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Ein theatralisches Zeitalter

2008
978-3-7720-8220-7
A. Francke Verlag 
Peter W. Marx
Peter W. Marx Ein theatralisches Zeitalter Bürgerliche Selbstinszenierungen um 1900 Ein theatralisches Zeitalter Peter W. Marx Ein theatralisches Zeitalter Bürgerliche Selbstinszenierungen um 1900 A. Francke Verlag Tübingen und Basel Titelbilder: Hintergrund: Fassade des Lessing-Theaters (links) und Innenraum des Berliner Kaufhauses Wertheim (rechts). Vordergrund: Der von Zebras gezogene Reklamewagen des Zirkus Hagenbeck (links), die Ovation eines Wiesbadener Bürgers an Wilhelm II. (Mitte) und (rechts) Jenny Gross bei der „Mohrenwäsche“ (Theatergeschichtliche Sammlung Schloss Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. © 2008 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Umschlaggestaltung: Haiko Hane, Wiesbaden Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISBN 978-3-7720-8220-7 Wahn, Köln). Für Susanne 7 Inhalt Vorwort..................................................................................................................... 9 Hochstapler, Selbstdarsteller und Schauspieler. Eine Einleitung Maskenspiele .......................................................................................................... 11 Reisewege ............................................................................................................... 21 Methodische Überlegungen zu den Bedingungen bürgerlicher (Selbst-) Darstellung .............................................................................................. 27 Die Bühne als Schauplatz und Ort bürgerlicher Selbstdarstellung ................ 39 Ein theatralisches Zeitalter? ................................................................................. 44 Kanon und Politik: Tell, Nathan und Shylock................................................ 51 Wilhelm Tell - Sohn der Berge, Held aus der Mitte des Volkes ................. 57 „Ein nationaler Gottesdienst, bei welchem die angesehendsten Gemeindebürger ministrieren“............................................... 69 Der Kampf um den „eisernen Bestand der Dichtung“: „Wilhelm Tell“ in Berlin 1913 .............................................................................. 78 Zwischenspiel mit Überraschung: „Wilhelm Tell“ - ein Stummfilm 1923 ................................................................ 88 „Treibt sie auseinander! “ Versuch einer radikalen Lesart: Jessner 1919................................................................................................ 97 „Rein ist der Boden.“ (V,1): Achaz 1933 ........................................................... 107 Abschließende/ überleitende Bemerkungen ................................................... 115 Nathan & Shylock: Ansätze einer Genealogie jenseits des Mainstreams .................................................................................. 121 Durch die Maske des Fremden: Sender Glatteis liest Nathan und Shylock. „Der Pojaz“ (1905) ................................................. 124 Nathan & Shylock: Denkfiguren, Karikaturen, Masken................................. 130 Die Vor-Geschichte: Die großen Virtuosen Devrient, Dawison, Possart ................................................................................ 146 „Bei Sonnenthal hört der Antisemitismus auf…“ - Adolf von Sonnenthal: „Nathan der Weise“ .................................................... 158 Der ‚authentische’ Shylock: Schildkraut, Granach .......................................... 165 Werner Krauß und die Judenmaske: Nathan, Shylock, „Jud Süß“ ............................................................................... 180 Fritz Kortner: Shylock (1927) im Angesicht des Antisemitismus ................... 192 Kanon und Politik: Abschließende Bemerkungen. ......................................... 199 8 „Normallodenstück“ und bayerische Ausstattungsrevue: Die Konjunktur des Bauerntheaters ................................................................ 203 Vorgeschichte (1): Wurzelsuche ........................................................................ 205 Vorgeschichte (2): Die Hochgebirgsmeininger: Die „Münchener“ (1879-1893)............................................................................ 210 „Die oberbayerischen Stücke den Oberbayern“: Die „Schlierseer“ .................................................................................................. 215 Repertoire und Selbstinszenierung ................................................................... 220 Rezeption .............................................................................................................. 227 Conrad Dreher meets Buffalo Bill: Bajuwarenschau oder Volkstheater? ...................................................................... 232 Fremdkörper im Revier....................................................................................... 236 Das Lachen von Parvenupolis .......................................................................... 251 Vorgeschichte: „Auf der Eisenbahn…“ ............................................................ 254 Theater für Parvenupolis .................................................................................... 259 Ein „Theater für die Lebenwollenden“: Das Lessing-Theater. ...................... 265 Das Warenhaus. ................................................................................................... 273 Das Theater als Vergnügungs-Warenhaus....................................................... 286 Schaulust und Begehren: Das Publikum. ......................................................... 294 Der Parvenu als Trickster .................................................................................... 305 Die kulturelle Ökonomie des Spektakels ..................................................... 311 Theater und Spektakel ........................................................................................ 327 Der Mann, der Sherlock Holmes war: Ferdinand Bonn ................................. 334 „Pferdinand“ Bonn: Shakespeare im Zirkus .................................................... 341 Spektakel der Macht ............................................................................................ 350 Epilog .................................................................................................................... 371 Literaturverzeichnis Quellen .................................................................................................................. 377 Forschungsliteratur ............................................................................................. 384 Filmverzeichnis ................................................................................................... 415 Quellen im Internet............................................................................................ 415 Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 416 Register ................................................................................................................. 417 9 Vorwort Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis einer langen Beschäftigung mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, die ich in Mainz begonnen habe, die mich aber in den letzten Jahren an die unterschiedlichsten Orte geführt hat. Geschrieben wurde sie großteilig in New York - dank eines Stipendiums der Alexander von Humboldt-Stiftung. Ich möchte mich daher besonders für diese großzügige und umfassende Unterstützung und Förderung bedanken. An der Columbia University in the City of New York war ich zu Gast am Department of Germanic Languages, wo mich besonders Mark Anderson und Andreas Huyssen begleitet haben. - Ohne diese Gastfreundschaft wäre ein solches Vorhaben nicht möglich gewesen. Das vorliegende Buch verdankt sich aber nicht allein dem zurückgezogenen Nachdenken, es ist vielmehr auch Produkt vieler Gespräche und Anregungen. Ich möchte daher - trotz der Gefahr durch Auslassung ungerecht zu sein - die Gelegenheit nutzen, mich zu bedanken. Mein Dank gilt in besonderer Weise Christopher Balme, der meine Arbeiten über Mainz hinaus gefördert und mitgeprägt hat. Unsere zahlreichen Gespräche haben mir geholfen, einen Weg zu und durch dieses Thema zu finden. Ich danke meinem Kollegen Friedemann Kreuder, der meine Arbeiten sowohl mit kollegialem und freundschaftlichem Rat unterstützt, als auch als Institutsleiter meine vielfältigen Wege mitgetragen hat. Erika Fischer-Lichte hat dieses Projekt in verschiedenen Gesprächen angeregt und an einigen Stellen - ich denke besonders an ein Gespräch in St. Petersburg im Mai 2004 - in neue Bahnen gelenkt. Hierfür bin ich sehr dankbar. Die vorliegende Arbeit wäre nicht möglich, ohne Menschen, die in einem sehr konkreten Sinne den Weg in die Vergangenheit ermöglichen, weil sie in Bibliotheken und Archiven jene Schatzstücke bereit halten, ohne die historisches Denken leer bliebe. Hier gilt mein Dank besonders Elmar Buck und Hedwig Müller von der Theatergeschichtlichen Sammlung Schloss Wahn (Köln), bei denen ich nicht nur suchen und stöbern durfte, sondern die durch viele Hinweise und Gespräche meine Arbeit bereichert haben. Hajo Kurzenberger hat mich in den letzten Jahren immer wieder beraten und gefördert, seine Gastfreundschaft hat mich im letzten Winter für ein Semester nach Hildesheim geführt, Freddie Rokem und Jeanette Malkin haben mich 2002 eingeladen, meine Arbeit auf einer Konferenz in Jerusalem vorzustellen, seitdem verbindet uns ein stetiger wissenschaftlicher Austausch, der mich sehr bereichert. Viele Gespräche und Begegnungen haben das Nachdenken für dieses Buch inspirierend und auch vergnüglich gemacht. Mein Dank gilt Sharon Aronson-Lehavi, Mashav Balsam, Mita Banerjee, für unsere Zusammenarbeit, Hans-Peter Bayerdörfer, Martin Baumeister, Sabine Haenni, mit der mich ein starkes Interesse für die metropolitane Kultur auf beiden Seiten des 10 Atlantiks verbindet, Timo Heimerdinger, Alfred Hornung, dessen Zutrauen immer eine wichtige Stütze ist, Hans-Otto Hügel, Noah Isenberg, dessen Vorschlag noch auf den letzten Seiten des Buches Eingang gefunden hat, Martin Puchner, für viele Anregungen, Wolfgang Schneider, James Shapiro, für seine Ermutigung. Mein besonderer Dank gilt Jürgen E. Schmidt, dessen Rat mir stets sehr wichtig ist. Ich danke an dieser Stelle weiterhin Sam Albert und Andrea Masley, deren (Gast-) Freundschaft dieses Buch begleitet hat. Ohne den Rückhalt meiner Mainzer Kolleginnen und Kollegen, die meine Abwesenheit im besten Sinne des Wortes mitgetragen haben, wäre das Projekt in der jetzigen Form kaum möglich gewesen. Ich will mich an dieser Stelle besonders bei meinen studentischen Mitarbeiterinnen bedanken, die auf vielfältige Weise durch Umsicht, Einfallsreichtum und nicht zuletzt durch Geduld dieses Buch ermöglicht haben: Jasmin Fisel, Stephanie König, Annika Rink, Sofie Taubert, Dorothea Volz. Stefanie Watzka hat sich der Mühe unterzogen, das Manuskript zu korrigieren und zu redigieren - ich bin für ihre Sorgfalt und Präzision sehr dankbar. Ich danke Haiko Hane für seinen Entwurf des Buchumschlags. Kristin Becker hat meine Arbeit an diesem Buch von Beginn an hilfreich, unermüdlich und in vielen Diskussionen begleitet. Bedanken möchte ich mich auch bei Jürgen Freudl, der mein Schreiben als Lektor nun schon seit langem betreut. Ohne den Rückhalt meiner Familie und vieler Freunde, die mit Geduld und Nachsicht die unterschiedlichen Wege dieser Arbeit verfolgt haben, wäre dies nicht möglich gewesen. Ich denke hierbei auch voller Dankbarkeit an meine Großeltern, Albert und Erna Marx, Dr. Walter und Ilse Heep sowie an meine Urgroßmutter, Julie Voss. Ihre Erzählungen und Erinnerungen haben meine Kindheit belebt und - wie ich beim Schreiben immer wieder festgestellt habe - mein Bewusstsein um die Geschichtlichkeit des eigenen Augenblicks auf positive Weise gefördert. Ich bin hierfür sehr dankbar. Meine Tochter Miriam hat mit ihrer Fröhlichkeit und Freundlichkeit die letzten zweieinhalb Jahre des Arbeitens an diesem Buch beobachtet. Ihre Neugier und Zuversicht sind ein großer Ansporn. Widmen möchte ich dieses Buch meiner Frau, Susanne Stadler, ohne deren Geduld und Nähe es nicht möglich gewesen wäre. Sie hat alle Höhenflüge und Untiefen dieser Arbeit begleitet - es ist im umfassenden Sinne Ausdruck unseres gemeinsamen Weges. Ich empfinde mehr Dankbarkeit, als ich in diesen Zeilen sagen kann. Mainz, im Februar 2008 Peter W. Marx 11 Hochstapler, Selbstdarsteller und Schauspieler. Eine Einleitung Maskenspiele [Die Hochstapelei] ist das eigentliche Metier unserer Epoche, das Produkt und das Spiegelbild unserer Zeit! Heute will jeder mehr scheinen, als er ist, mehr ausgeben, als er hat, mehr Genüsse und Ehren erreichen, als ihm gebühren. Ich frage Sie: wer ist heute nicht Hochstapler? Alfred Nossig 1 Als am 8. Januar 1927 Kriminalpolizisten den vorbestraften Harry Domela (1905 ~ seit 1969 verschollen) in Köln festnahmen, endete für ihn eine geographische wie soziale Irrfahrt durch das Deutschland der Weimarer Republik, während für die deutsche Gesellschaft eine (je nach Blickwinkel) amüsante oder hochnotpeinliche Auseinandersetzung um ihre innere Verfasstheit begann. Auf dem Höhepunkt dieses Skandals erschienen Domelas Memoiren unter dem Titel „Der falsche Prinz“ (1927), die einen detaillierten und bunten Bericht dessen gaben, was der Vorsitzende Richter im Prozess ängstlich zu vermeiden suchte: eine Beschreibung, wie der vormalige Landstreicher Harry Domela als falscher Aristokrat durch Deutschland und seine oberen Schichten reist und wie er diese mit ethnographischem Interesse und Staunen in ihrem Verhalten und in ihren Sitten erlebt. Auslöser für die Verhaftung Domelas (und für seine ‚Verbrechen’) war letztlich aber eine kollektive Sehnsucht nach einem aristokratischen Herrscher und seinem autoritären Habitus, die sich in der ‚neuen Demokratie’ nicht öffentlich artikulieren durfte, sondern hinter vorgehaltener Hand und in Hinterzimmern wucherte und blühte. Domela hatte dieser Sehnsucht Nahrung bzw. ein Gesicht gegeben und persönlichen Vorteil hieraus gezogen. Zwei Jahre lang fuhr er als „Herr von der Recken“ bzw. „Prinz von Lieven“ durch Deutschland, wobei der Höhepunkt seiner Karriere darin bestand, dass er für Prinz Wilhelm von Preußen (1906-1940), den Enkel des abgedankten und geflohenen Kaisers, gehalten wurde. Eine Schlüsselszene ist in diesem Zusammenhang sein Besuch in einem Hotel in Erfurt, in dem sich Domela als „Baron Korff“ einquartiert. Der Direktor bittet ihn zu sich und zeigt ihm voller Stolz das Gästebuch seines Hotels mit den Unterschriften prominenter Gäste: Der Direktor konnte jetzt eine gewisse Erregung nicht mehr verbergen. ‚Ja, Marx, der höchste Beamte des Deutschen Reiches, auf dieser Seite.’ Er schlug eine neue, noch unbeschriebene Seite auf. ‚Und hier, hier müßte sich eigentlich eine der höchsten Persönlichkeiten eintragen, eine Persönlichkeit, die der hohen Stellung eines Reichskanzlers gleichkommt, ein Name, der einen noch volleren Klang hat.’ 1 Nossig 1902, 14. 12 Er ergriff einen Federhalter, tauchte ihn ein und reichte ihn mir. ‚Wir haben dabei an den Herrn Baron gedacht. Falls Herr Baron die Güte haben würde? ! ’ Ich hatte Mühe, meine Verblüffung zu verbergen. ‚Marx - Korff? ! ’ sagte ich, ‚der Gegensatz ist doch wohl zu groß. Wie würde sich neben einem Reichskanzler Marx ein simpler Baron Korff ausnehmen! ’ Der Direktor lächelte diskret. ‚Wer könnte denn außer Eurer Kaiserlichen Hoheit sonst in Frage kommen? ’ - ‚Wer glauben Sie denn, daß ich bin…’ - ‚Oh, wir haben Eure Kaiserliche Hoheit sofort erkannt.’ - ‚Nun, wer bin ich denn? ! ’ fragte ich, und prompt antwortete er. ‚Seine Kaiserliche Hoheit Prinz Wilhelm von Preußen, der älteste Sohn des Kronprinzen.’ 2 Ungeachtet des apologetischen Charakters der Szene - Domela inszeniert sich selbst mehr als passives ‚Opfer der Situation’ denn als aktiven Täter - offenbart sich hier eine Grundkonstellation, die Domela durchgehend für seine Schilderung wählt: Er dient als Projektionsfläche für die Sehnsüchte der Anderen - erst durch diesen Initialfunken angeregt, wird er selbst tätig: „Nun war ich Prinz Wilhelm von Preußen. Nur eins fehlte mir noch zu meiner Rolle, eine angemessene Equipierung. Ich entschloß mich daher, für einen Tag nach Berlin zu fahren und mich dort neu einzukleiden.“ 3 Es ist sicherlich nicht nur stilistischen Gründen geschuldet, dass Domela sich an dieser Stelle der Theatermetaphorik von Rolle und Kostüm bedient. Vielmehr entsteht aus dem Wechsel von Rollenspiel (Domela) und Wahrnehmung/ Projektion (Umwelt) eine Situation, die zwar nicht der ‚Realität’ entspricht, aber eine neue soziale Wirklichkeit begründet. Seinen prägnantesten Ausdruck findet dies in einem Theaterbesuch in Gotha, wo der vermeintliche Prinz seinem Volk entgegentritt und beide sich in ihren Rollen erkennen: Wir traten in die Loge. An der Brüstung blieb ich einen Augenblick stehen und sah ostentativ ‚auf mein Volk’ herab. Sämtliche Operngläser richteten sich wie auf ein Kommando nach mir. Eine Sekunde war es ganz still im Theater. Dann schwoll das Stimmengeschwirr um so stärker an. 4 Die Schilderung doppelt die Theatersituation - nicht allein auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum findet ein theatraler Akt statt, die Über- 2 Domela 2000, 161f. 3 Domela 2000, 163. 4 Domela 2000, 183. Abb. 1: Harry Domela (rechts) spielt sich selbst in „Der falsche Prinz“ (1927); hier mit Wilhelm Bendow als Hoteldirektor. 13 nahme der Rolle wird durch die affirmative Rezeption des Publikums wirksam. Innerhalb von Domelas Text bedeutet dies eine radikale Perspektivverschiebung: Schildert der Ich-Erzähler im ersten Teil seinen sozialen Abstieg als einen Prozess, der sich vornehmlich dadurch artikuliert, dass er von außen nach innen schaut, 5 so steht er nun im Zentrum und Fokus eines kollektiv-nostalgischen Blicks. Für den kritischen Leser des Jahres 1927 offenbart sich hieran eine erschreckende Wahrheit über das ‚eigentliche’ Innenleben der deutschen Gesellschaft. So schreibt bspw. Kurt Tucholsky: Diese Schilderung ist ja deshalb so schrecklich, weil die Tatsache, daß es sich um einen falschen und nicht um einen richtigen Prinzen handelte, gar nichts an der Beurteilung dieser Großbourgeoisie, dieser Adligen, dieser Hoteldirektoren ändert. Daß sie einen richtigen Prinzen so und eben so empfangen hätten und natürlich heute so empfangen, ist das Niederdrückende. 6 Aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts sind aber nicht allein die Vorzeichen der nur wenige Jahre später sich vollziehenden Katastrophe des Nationalsozialismus erkennbar, sondern der Fall Domela offenbart sich auch als Symptom einer tiefgehenden sozialen Verunsicherung und Verschiebung, deren Wurzeln ins 19. Jahrhundert reichen. Als Beleg hierfür mag man sich nur die vielfältigen Formen der Beschäftigung mit dem Phänomen der Hochstapelei vor Augen führen: Man denke an die zahlreichen literarischen Verarbeitungen, 7 die sehr populären (Auto-) Biographien bekannter Hochstapler 8 sowie die beginnende psychologisch-kriminologische Auseinandersetzung 9 mit dem Thema. Der Hochstapler erscheint als Symptom einer sich verändernden Gesellschaft, sein ‚Verbrechen’ basiert letztlich auf der Leichtgläubigkeit oder Orientierungslosigkeit seiner Opfer. 10 Trotz der Fülle von Hochstapler- Geschichten ist auffällig, dass nicht alle die gleiche Popularität und Eindringlichkeit haben. Während sich einige bekannte Motive, wie Heiratsschwindel oder religiöse Leichtgläubigkeit, durch alle Zeiten und Gesell- 5 Rekurrent ist hierbei das Motiv des im Dunkeln Stehenden, der in erleuchtete und erwärmte Innenräume blickt. Es ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass Harry Domela nicht als alleiniger Autor des Textes zu begreifen ist, sondern dass vielmehr Wieland Herzfelde, in dessen Malik-Verlag das Buch 1927 erstmals erschien, redigierend in den Text eingegriffen und ihm auch eine entsprechende politische Perspektivierung gegeben hat. (Vgl. hierzu besonders Rietzschel 2000.) Dies ist gerade im ersten Teil besonders deutlich - hier wird das Bild der geschlossenen Tür sowie der Blick aus der dunklen Kälte in die erhellten und mutmaßlich beheizten Räume zur Chiffre sozialer Ausgrenzung. 6 Tucholsky 1998, 466f. 7 Vgl. etwa Wachenhusen 1887 oder Nossig 1902. 8 Vgl. zeitgleich mit Domelas Buch etwa Straßnoff 1926 oder Boothbuy 1928. 9 Richtungsweisend und als Einführung gut geeignet sind hierbei Aschaffenburg 1907, 1908 und 1924. 10 Einen frühen Vorläufer kann man sicherlich in Gottfried Kellers Erzählung „Kleider machen Leute“ (1866) sehen, in der ein Schneider aufgrund seines Mantels für einen reichen Grafen gehalten wird. 14 schaften hinweg finden lassen, gerinnen andere in besonderer Weise zu einem Bild ihrer Zeit, so dass ihre Geschichten zu einem Panorama der betreffenden Gesellschaft werden. 11 In dieser Hinsicht ist sicherlich das bekannteste Pendant zu Harry Domela der Schuster Wilhelm Voigt (1849- 1922), der 1906 als „Hauptmann von Köpenick“ einen Bezirksbürgermeister festsetzte und die Stadtkasse erbeutete. Zehn Tage später wurde er verhaftet und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, allerdings bereits 1908 von Kaiser Wilhelm II. begnadigt. 12 Anders als Domela begann Voigt sein kulturelles ‚Nachleben’ 13 vor allem in der literarischen Überformung durch Carl Zuckmayer (1896-1977), der Voigts Geschichte 1931 im „Hauptmann von Köpenick“ zu einer Parabel des deutschen Militarismus und autoritären Staates machte. Domelas und Voigts Geschichten markieren, in welchem Maße die deutsche Gesellschaft sich durch äußerliche Statussymbole beeindrucken und in die Irre führen ließ. Verbleibt man aber nicht bei dem Lachen über die Dummheit und Leichtgläubigkeit der Getäuschten, so tritt ein tiefer liegender sozialer Mechanismus zutage, den der Psychologe und Kriminologe Gustav Aschaffenburg (1866-1944) beschrieben hat: Die Erfolge der Schwindler und Hochstapler erscheinen überraschend. Sie erklären sich einerseits durch die Neigung des Publikums, sich durch Titel und Auftreten (Automobil! ) verblüffen zu lassen. Sie werden andererseits hauptsächlich durch das sichere Auftreten verständlich, das allen diesen Personen gemeinsam ist. 14 Mit Blick auf die strafrechtliche Relevanz führt Aschaffenburg aus, dass der Hochstapelei zwar eine „degenerative Veranlagung“ 15 zugrunde liege, ihr 11 Stephan Porombka schreibt dies vor allem der medialen Verbreitung zu; vgl. Porombka 2001, 15. Auch wenn sich an den Beispielen der Effekt der Medialisierung sehr genau nachzeichnen lässt, so lässt diese Deutung doch außer Acht, dass es eine je unterschiedliche Qualität der kulturellen Dichte, d.h. der involvierten kulturellen Systeme, gibt. 12 Vgl. zu diesem Fall die ausführliche Schilderung bei Porombka 2001, 55-63. 13 Zwar trat auch Voigt öffentlich mit seiner Geschichte auf und verkaufte Postkarten in seiner Uniform, allerdings blieb dies in seiner Wirkung und Verbreitung begrenzt. Vgl. hierzu Porombka 2001, 61f. 14 Aschaffenburg 1908, 590. 15 Aschaffenburg 1907, 548. Abb. 2: Die Gesichter des „Hauptmanns von Köpenick“; zeitgenössische Postkarte. 15 Verhalten aber gerade deshalb gutachterlich so schwer einzuschätzen sei, weil es nur graduell, nicht aber kategorial vom ‚Normalfall’ unterschieden werden könne. Aber die prinzipielle Exkulpierung verbietet sich schon aus dem Grunde, weil sich Andeutungen von phantastischem Schwindeln auch in der Norm finden. Das Jägerlatein, die Aufschneidereien mancher Hochtouristen und Weltreisenden sind Erscheinungen, die wir ebenso wie manche Lügen und Phantasien der Kinder als verwandte Erscheinungen betrachten müssen. 16 Dieses Verhalten sei in einem allgemeinen Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und Achtung begründet, 17 wie Erich Wundt erläutert: Die causa movens der Pseudologia phantastica ist in dieser graduell höchsten Form nicht so sehr der Hang […], etwas Bestimmtes, aber unter den gegebenen Umständen nicht Angängiges zu erzählen, zu tun oder zu erstreben, als vielmehr der unwiderstehliche Drang, etwas zu s e i n , zu leben, zu denken und zu fühlen als ein anderer Mensch, dessen Bild in einer begehrenswerten Gestalt der Phantasie vorschwebt, als solcher vor der Welt und vor s i c h s e l b s t zu gelten. Die I d e e der Rolle bringt die Befriedigung mit sich, während materielle Vorteile, meist auch nur ephemerer Natur, selbstverständlich mit akzeptiert werden, weil sie eben die Szenerie für die Aktion abgeben, aber im Grunde doch erst in zweiter Linie kommen. 18 Ähnlich wie Domela in seiner Autobiographie beschreiben auch Aschaffenburg und Wundt die Hochstapler mit den Metaphern des Theaters und der Schauspielerei: „die Freude an der Sensation“, Szenerie, Aktion, Rolle, Publikum und schließlich das Bedürfnis nach Wirkung und Geltung. Psychologisch aber sei das ausschlaggebende Kennzeichen der Pseudologia phantastica, 19 dass der Betreffende nicht mehr zwischen Rolle und ‚Realität’ unterscheiden könne, wie Aschaffenburg an einem seiner Fälle expliziert: Von Beruf war er eigentlich Schauspieler, und zwar, wie einige Proben uns zeigten, ein herzlich schlechter, mit den Manieren und dem Pathos des Provinzschauspielers. Wenn er aber ins Schwindeln geriet, wurde sein Benehmen so echt und einwandfrei, daß es oft schwer wurde, sich dem packenden Eindrucke zu entziehen. Er erzählte uns eines Tages, wie sein junges Eheglück in Chicago durch den Tod seiner Frau und seiner beiden Kinder, von denen das eine an Diphterie starb, das andere von einem herabfallenden Balken erschlagen wurde, zerstört worden sei. Während des Sprechens liefen ihm die Tränen über die Wangen, und er machte einen solch verstörten Eindruck, daß wir trotz unserer Überzeugung, daß er nie verheiratet gewesen war, uns eines tiefen Mitgefühls nicht erwehren konnten. Darin liegt das Geheimnis des Erfolges. Im Augenblick des Schwindelns 16 Aschaffenburg 1908, 590. 17 Aschaffenburg führt hierzu aus: „Durchweg findet sich eine Freude, wohlklingende Titel zu führen, auch da, wo der Titel nicht den Zweck haben soll, Vorteile zu erringen, Uniformen zu tragen, protzig aufzutreten, und besonders stark die Neigung, Oberkellnern, Portiers, Droschkenkutschern, Dienstmännern usw. zu imponieren. Die Freude an der Sensation […] führt oft zu ganz verblüffend dummen Handlungen, die geradezu eine Entdeckung provozieren müssen.“; Aschaffenburg 1908, 590. 18 Wundt 1911, 483f. 19 Den Begriff als Krankheitsbild hat Delbrück 1891 geprägt. 16 vergißt der Hochstapler ganz, daß er schwindeln will, und er lebt sich so in seine Rolle hinein, daß er sie erlebt. 20 Der Hochstapler als Schauspieler, der dem Diderot’schen Paradox zum Opfer fällt oder das Stanislawski’sche Paradigma übererfüllt? So reizvoll eine solche theatrale Lesart des Hochstaplers sein mag, so sehr greift sie aus kulturwissenschaftlicher Perspektive zu kurz, weil sie das konstitutive Moment der Mitwirkung des ‚Publikums’, der Opfer, nur am Rande berücksichtigt. Um diesem Wechselspiel näher zu kommen, mag ein Seitenblick auf Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ weiterhelfen: Zuckmayer, der, wie der Untertitel ausweist, den Stoff zu einem „Märchen“ verdichtet hat, lässt selbst den Kaiser über den Vorfall lachen, der ihm zum Beweis deutscher Disziplin wird, wenn er ausruft: „Kein Volk der Erde macht uns das nach! “ 21 Dieses von Zuckmayer erfundene Lachen - das sicherlich nicht als Verlachen gemeint ist - bestätigt die soziale Relevanz und Notwendigkeit symbolischen Rollenspiels und seiner äußerlichen Autorisierung, die der Hochstapler sich in illegitimer Weise aneignet. Selbst der Kaiser kann über Voigt lachen, weil seine ‚Bedrohung’ der kaiserlichen Autorität und ihrer symbolischen Ordnung gegenüber dem blinden Vertrauen und Gehorsam seiner Untertanen, die ebendiese Macht bestätigen, in den Hintergrund tritt. Ein Blick auf den gesellschaftlichen Kontext zeigt, dass die Konjunktur der Hochstapelei in einer tiefgreifenden Verschiebung sozialer Kategorien gründet: Mit der 1871 erfolgten Gründung des Deutschen Reiches war zwar ein rechtlich-politischer Rahmen gesetzt worden, das soziale Zentrum dieses Staates aber sah sich einem massiven Veränderungsprozess ausgesetzt. Während der juristische Diskurs mit dem Begriff des Staatsbürgers (in Abgrenzung zum Konzept des Untertans) eine eindeutige rechtliche Stellung schuf, verloren jene Kategorien, die im Rahmen der Ständegesellschaft eine stabile soziale Identität garantierten, ihre Bindungskraft. Stattdessen wurde das Konzept der Bürgerlichkeit zum zentralen Referenzpunkt gesellschaftlicher Entwicklung, 22 allerdings nicht mehr in dem eindeutigen Sinne, in dem es das 18. und frühe 19. Jahrhundert verwendet hatte. Jürgen Kocka hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass das Bürgertum des 19. Jahrhunderts kaum mehr als eine homogene Klasse beschrieben werden kann, weil die ‚klassischen’, ‚harten’ sozialen Merkmale, wie Besitz und Bildung, in Anbetracht der als Modernisierung ablaufenden Wandelprozesse nicht mehr greifen. Kocka schlägt stattdessen vor, Bürgerlichkeit als eine Kultur zu definieren, die sich wesentlich in symbolischen Handlungen, wie Tischsitten, Konventionen, Titel, artikuliert. 23 Dieter Hein und Andreas Schulz führen hierzu aus: 20 Aschaffenburg 1907, 547. 21 Zuckmayer 1960, 405. 22 Vgl. hierzu Schulz 2005, 22-25. 23 Vgl. Kocka 1987, 44. 17 Die Gemeinschaft von Teilgruppen des Bürgertums wird wesentlich durch eine kulturelle Alltagspraxis gestiftet, die den sozialen Zusammenhalt insgesamt festigt. Daß im 19. Jahrhundert das Bürgertum Verhaltensnormen und -maßstäbe setzte, die - etwa im Bereich der Wohnkultur, in Kleidung und Umgangsformen - stände- und klassenübergreifend akzeptiert wurden, ist unumstritten. 24 Die verbreitete Akzeptanz bürgerlicher Verhaltensweisen basierte vor allem auf ihrem integrativen Potenzial: „Bürgerliche Lebensführung, ihre Werte, Normen und Praktiken, war immer auch ein universalistisches, sozial offenes Modell, das gleichwohl in bestimmten sozialen Kontexten spezifisch gebrochen wurde.“ 25 Das implizite Versprechen, dass im Zeichen der Bürgerlichkeit gesellschaftliche Teilhabe eine Frage individuellen Willens und nicht eine Frage von Stand oder Geburt sei (ein Erbe des aufklärerischen Individualismus 26 ), gewann auch deshalb im Deutschland des späten 19. Jahrhunderts eine solche Bedeutung, weil es die soziale und ökonomische Mobilität am besten zu bewältigen schien 27 - ohne die sozialen Strukturen in einem revolutionären Sinne zu verändern. Wirft man einen flüchtigen Blick allein auf die quantitative Dimension der Urbanisierung - laut Kocka lag 1907 in den deutschen Großstädten der Anteil der Ortsgebürtigen bei weniger als 50% -, so wird erkennbar, dass die durch Migration erzeugten Veränderungen nahezu einer Auflösung der sozialen Milieus alter Prägung gleichkamen. 28 Bindungskraft, Integration und Identifikation boten hierbei vornehmlich kollektive Praktiken, die leicht zugänglich waren: Bürgerliche Kultur […] hielt das Bürgertum zusammen und begründete seinen Ort in Gesellschaft und Politik. Sie war städtisch, kommunikativ und schriftlich, in ihr spielten Selbständigkeit und Respekt für Leistung, Bildung und methodische Lebensführung eine maßgebliche Rolle. 29 Allerdings war dieses Integrationsangebot nicht uneingeschränkt und für alle gleichermaßen offen - vielmehr stellte sich die ideale bzw. idealistische Offenheit de facto auch als Ausgrenzungsbzw. Distinktionspolitik (im Sinne Bourdieus) dar. Die Zivilgesellschaft war realiter zunächst die Sache einer Minderheit. Klasse und Geschlecht begrenzten die Verallgemeinerung des zivilgesellschaftlichen Projekts. Idealer Universalitätsanspruch kontra reale Exklusivität - es war dieser im 19. 24 Hein/ Schulz 1996, 13. 25 Hettling/ Hoffmann 1997, 346f. 26 Vgl. hierzu Kocka 2001, 122. 27 Dass es sich hierbei nicht um ein pures Ideologem handelt, zeigt ein Seitenblick auf die deutsch-jüdische Geschichte, für die gerade jüngere Studien nochmals die zentrale Bedeutung von Bildung als Mittel und Weg sozialer Integration beschreiben haben. Vgl. hierzu etwa Kaplan 1991 oder die ausführliche Studie von Lässig 2004. 28 Der soziale Effekt war aber nicht allein auf das Wachstum der Städte selbst begrenzt. Zwar lebten auch immer mehr Menschen in den Städten, so dass diese zum entscheidenden lebensweltlichen Referenzpunkt der Gesellschaft wurden, die kulturelle Wirkung der Metropolen lag aber eher in ihrer weiterreichenden Vorbildfunktion begründet; vgl. Reif 2006, 4. 29 Kocka 2001, 118. 18 Jahrhundert rasch manifest werdende Widerspruch, der zum Gegenstand marxistischer Sozialkritik wurde […]. Auf der anderen Seite entfaltete diese Spannung zwischen universalem Versprechen und exklusiver Realität auch eine mächtige, auf Veränderung drängende Dynamik. 30 Fritz Stern definiert die aus dieser Spannung entstehende Dynamik als Kennzeichen der deutschen Gesellschaft, wenn er sie als „a society in motion, and mobility was its essence and its trauma“ 31 beschreibt. Der Hochstapler, der sich äußerlich diese Erkennungsmerkmale aneignet, verkörpert ebendiese traumatische Mobilität: Indem er die Verfügbarkeit der Zeichen sozialer Zugehörigkeit ausnutzt und sie durch seine Entlarvung noch ausstellt, agiert er den prekären Status gesellschaftlicher Kategorien aus. Sein erschwindelter Aufstieg aber ist die Kehrseite einer ebenfalls allgegenwärtigen Fallhöhe. In diesem Sinne argumentiert der vermeintliche Graf Alcanti in Alfred Nossigs Schauspiel „Die Hochstapler“ (1902): Ich werde beweisen, dass die Hochstapler die einzigen wirklich gescheiten Menschen sind, die einzigen wahren Menschen, die Vollmenschen, während wir anderen nur Dummköpfe und Halbmenschen sind! Denn wir alle, wir führen nur unsere eigene - eine einzige, beschränkte Existenz; ein Hochstapler aber ist heute Kammerdiener, morgen Kavalier, heute Falschspieler, morgen Priester, heute Clown, morgen König, übermorgen Goldgräber, Zauberer, was weiss ich! Wie Proteus ändert er die Gestalten, in hundert Milieus taucht er ein, und lebt in einem Leben - tausende von Leben! 32 In dieser Vielgestaltigkeit des Lebens und der Fülle möglicher Identitäten treffen sich - gewissermaßen im Grenzbereich der bürgerlichen Gesellschaft - Schauspieler und Hochstapler. So wie der Schauspieler am Rande der bürgerlichen Gesellschaft steht, weil es zu seiner Profession gehört, gerade nicht die constantia des Charakters zu zeigen, die den Bürger ausmacht, so dringt der Hochstapler - mit denselben Mitteln - in die Zentren dieser Gesellschaft vor. Hier wird deutlich, warum Domela und Voigt zu Chiffren ihrer Zeit werden konnten: Ihre ‚Tricks’ basierten nicht einfach nur auf der Leichtgläubigkeit einiger Dummer, sondern entsprangen der herrschenden Werteordnung ihrer Gesellschaft. Die Rollen, die sie sich aneigneten, waren im kulturellen Repertoire 33 als handlungsleitend (für beide Seiten) vorgezeichnet - gerade dies aber macht die Täuschung durch den Hochstapler nicht mehr nur zu einer individuellen Fehlleistung seines Opfers, sondern zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen. 30 Kocka 2001, 135. 31 Stern 1979, xv. 32 Nossig 1902, 18f. 33 Vgl. zu diesem Terminus Even-Zohar 1997. 19 Die wilhelminische Gesellschaft selbst war sich dieses konstitutiven Rollenspiels zumindest ansatzweise bewusst, wie man an der Vielzahl der Rekurse auf den Schauspieler als sozialen Typus sowie auf das Theater erkennen kann. 34 Am anschaulichsten wird dies vielleicht in der Person Wilhelms II., der sich so ausgiebig symbolisch-theatraler Mittel bediente, 35 so dass er vielfach wegen seiner Auftritte kritisiert und karikiert wurde. Doch war diese Theatralik so wirkungsvoll, weil sie durchaus zum Repertoire gesellschaftlichen Umgangs passte. In diesem Sinne resümiert Heinrich Mann in seinem Essay „Kaiserreich und Republik“ (1919): Ein Überall und nirgends im Adlerhelm, der das monarchische Prinzip oder ein neues Fabrikat anpreist, das hieß Kaiser. […] Er ist von den Seinen bewundert worden, wie selten die menschliche Eigenliebe sich selbst bewunderte. […] Als sie ihn gehen ließen, verstießen sie nur sich selbst. Sie sollen ihn nicht verleugnen. Sie sollen sich nicht auf ihn entlasten. Seine Schuld ist die kleinere, denn seine Rolle auf dem gemeinsamen Theater war durch sie bestimmt. 36 Auch wenn Manns Diagnose des „gemeinsamen Theaters“ hier als politische Kritik gemeint ist, lässt sich doch jenseits der unmittelbaren Zeitkritik ein weiterreichender kultureller Befund herauslesen: Die Folgen der aus der Modernisierung 37 sich entwickelnden sozialen Verschiebungen bedurften der symbolischen Darstellung und Aushandlung. Diese konnte sich als stabilisierende oder konstitutive Verkörperung vollziehen, wie es etwa von Wilhelm II. oder den bürgerlichen Alltagspraktiken intendiert war. Sie konnte aber auch ins Groteske oder Schwindelhafte erwachsen. Die ihr zugrunde liegende Mobilität bzw. Instabilität aber bemisst den Rahmen und das Profil der Identitätspolitik in Deutschland in diesem Abschnitt der Modernisierung. 34 Vgl. hierzu Meyhöfer 1989 sowie Conrad 2004. 35 Vgl. zu den Wirkungen dessen bspw. Brude-Firnau 1997, 18-20. 36 Mann 1968, 33. 37 Jürgen Kocka plädiert nachdrücklich für eine Verschiebung von Moderne zu Modernisierung und verspricht sich davon eine methodische Öffnung, die der Gefahr eindeutiger und einseitiger Perspektiven begegnet; vgl. Kocka 2001, 150-154. Abb. 3: Porträt Wilhelms II. in Kürassieruniform. 21 Reisewege Alt Heidelberg, du feine, du Stadt an Ehren reich, am Neckar und am Rheine, kein’ andre kommt dir gleich. Stadt fröhlicher Gesellen, an Weisheit schwer und Wein […]. Joseph Victor von Scheffel 38 Um sich dieser Identitätspolitik anzunähern, mag es hilfreich sein, für einen Moment Harry Domelas Spuren weiter zu folgen, scheint sein Weg doch geradezu die Untiefen und Grenzbereiche dieses Feldes auszuloten. Unmittelbar vor der Schilderung seiner Erlebnisse in Erfurt und Berlin widmet er sich in einem Kapitel seinem zwischenzeitlichen Aufenthalt in Heidelberg. Beziehungsreich ist hierbei bereits die Einleitung des Kapitels, in der er beschreibt, wie er Hamburg überstürzt verlässt und im Zug plötzlich den Entschluss fasst, nach Heidelberg zu reisen: „Ich wollte Farben und Sonne sehen. Heidelberg - mir aus den Werken Scheffels vertraut - lag so nahe.“ 39 Domelas Verweis auf Joseph Victor von Scheffel (1826-1886) ist nicht nur ein Ausweis seiner Belesenheit, sondern ruft jene idyllische Stilisierung auf, die seit dem 19. Jahrhundert so charakteristisch für Heidelberg ist. 40 Domelas Beschreibung greift sowohl Motive der Romantik, wie die Schlossruine, als auch biedermeierliche bzw. populärkulturelle Bilder auf: Ich trete in den Burggarten ein. Traumhafte Stille umfängt mich. Ich gehe dahin, den Blick versonnen auf Park und Ruine gerichtet, versunken in die Romantik dieses Märchengartens. […] Eine lang aufgespeicherte Sehnsucht überkommt mich, ich weiß nicht wonach… 41 Stadt und Landschaft fügen sich zu einer harmonischen Einheit, die seiner namenbzw. begriffslosen Sehnsucht Ausdruck zu verleihen vermag. Alle Häuschen sind eng aneinandergerückt, als ob eines die Nähe des anderen suchte, jedes ein mir unbekannter Winkel des Glücks, eine kleine enge Welt für sich. […] Da zerreißen auf einmal die Wolken; ein mächtiger Sonnenstrahl fällt 38 Scheffel 1919, 212f. 39 Domela 2000, 109. 40 Michael Klant schreibt hierzu: „Der romantische Topos, bald nach der Wiederbelebung der Universität im Jahr 1803 entstanden, tauchte besonders in der Trivialliteratur um 1900 mit solch unbeirrbarer Beharrlichkeit auf, daß es nicht Wunder nimmt, wenn er sich bis in die Fremdenführer unserer Tage hinübergerettet hat.“; Klant 1985, 141. Vgl. zu diesem Bild auch Goldschmitt 1929, der Heidelberg als „die am meisten besungene deutsche Stadt und Landschaft“ (Goldschmitt 1929, 1) identifiziert. Nach Goldschmitt dominiert bei Scheffel vor allem die „Huldigung“ an Heidelberg als „Stadt der Jugend und als Landschaft von alles verjüngender Kraft,“; Goldschmitt 1929, 30. Für die neuere Forschung richtungsweisend ist vor allem Fink 2002. 41 Domela 2000, 110. 22 auf die Stadt, auf Burg und Neckartal. […] Ein blauer, tiefblauer Himmel breitet sich über der grandiosen Landschaft. Ich möchte jauchzen! 42 Besonders im Kontrast zur unmittelbar vorausgegangenen Beschreibung der Großstädte figuriert Heidelberg in Domelas Schilderung als locus amoenus im Sinne der etablierten Motivtradition. Auch seine weiteren Schritte folgen dieser Tradition: Um seiner Sehnsucht nach der Sorglosigkeit und Unbekümmertheit des Studentenlebens Genüge zu tun, nimmt er Kontakt mit dem Corps Saxo-Borussia auf. 43 Diese für Heidelberg so typische Studentenverbindung war ein exklusiver Club vornehmlich aristokratischer Studenten, 44 der in der Literatur längst zum Inbegriff studentischer Korporation geworden ist. 45 Als Domela sich auch hier als „Prinz Lieven“ vorstellt, ist er sofort ein gern gesehener Gast, mit dem die Corps-Studenten auch gegenüber Dritten angeben. Bald jedoch muss Domela erkennen, dass seine Vorstellung vom Verbindungsleben wirklichkeitsfern und vergleichsweise naiv war. 46 Statt eines gleichberechtigten Miteinanders findet er nur ein animalisches Treiben, in dessen Zentrum übermäßiger Alkoholgenuss und das Schikanieren der Untergeordneten steht. Domela beschreibt und deutet dies als ein Lehrstück über soziale Unterschiede: Ein einfacher Hafenarbeiter in St. Pauli gäbe sich nicht so. Und wenn er sich so gäbe, so wäre es bei ihm nicht zu verwundern. Er ist schließlich in einer Umgebung groß geworden, in der auf Umgangsformen nicht gesehen werden kann. Aber wie stark und mächtig mußte der Zug nach unten, die Vorliebe für das Ordinäre in diesem vorgeblichen Aristokraten sein, der, in einer gepflegten Umgebung groß geworden und in seiner Kindheit sorgsam behütet, nach Möglichkeit von häßlichen Eindrücken ferngehalten worden war und der doch so schnell den ganzen Firnis abstreifte und sich kopfüber in den Dreck stürzte. 47 Diese Episode Domelas, die von seinen Zeitgenossen begierig aufgenommen wurde, ist nicht allein deswegen von Interesse, weil sie den (maroden) inneren Zustand der ehemaligen und teilweise immer noch präsenten Führungseliten aufdeckt - dies zieht sich ohnehin wie ein roter Faden durch seine Beschreibungen -, sondern weil sie idealtypisch zeigt, wie sich Domela in die kollektive Bilderwelt einschreibt bzw. wie seine Abenteuer als Hochstapler geradezu als eine Expedition in diese Bilderwelten verstanden werden können. 42 Domela 2000, 111. Vgl. zum Motiv der theatralen, kulissenhaften Landschaft Goldschmitt 1929, 34. Tatsächlich hat das Ambiente auch eine Tradition von Freiluftaufführungen inspiriert; vgl. Fink 1997. 43 Vgl. Domela 2000, 112. 44 Vgl. zur Geschichte und Rolle der Verbindungen an der Universität Heidelberg Giovannini 1985. 45 Goldschmitt 1929 weist eine Reihe von Romanen nach, die im Milieu der Verbindungen spielen, explizit ist hier zu nennen: Gregor Samarow: „Die Saxoborussen“ (1885). 46 Vgl. etwa Domela 2000, 119. 47 Domela 2000, 142f. 23 Domelas Beschreibung verweist nämlich auf einen der größten Theatererfolge des frühen 20. Jahrhunderts, der auch in den 1920er Jahren präsent war: „Alt-Heidelberg“ (UA 1901) von Wilhelm Meyer-Förster (1862-1934). 48 Die Fabel des Stückes ist relativ schlicht: Karl Heinrich, der Erbprinz von Sachsen-Karlsburg, einem kleinen Fürstentum, das unter der Herrschaft seines alten, menschenscheuen Onkels in Trostlosigkeit versinkt, soll zur Vollendung seiner Ausbildung für ein Jahr nach Heidelberg geschickt werden. Der zweite Akt spielt in einem Heidelberger Gasthof, in dem Karl Heinrich wohnen soll. Bereits unmittelbar nach seiner Ankunft durchlebt er an seinem ersten Abend einen doppelten rîte de passage: Er küsst zum ersten Mal in seinem Leben eine Frau, Käthie, die Nichte des Wirtes Rüder, und wird - angeregt durch ein Studentenlied - Mitglied der Saxo-Borussia. Der dritte Akt zeigt Karl Heinrich im Genuss seiner „Burschenherrlichkeit“. Heimgekehrt von einem bis in die Morgenstunden währenden Trinkgelage beschließt er mit Käthie einen Ausflug zu machen, der in ihrer Fantasie zu einer gemeinsamen Reise/ Flucht nach Paris wird: „Dann wird’s immer lustiger, du bist die Prinzeß, und zwar die allerschönste.“ 49 , verspricht Karl Heinrich Käthie. In diese Liebesidylle platzt die Nachricht, dass Karl Heinrichs Onkel einen Schlaganfall erlitten hat und er sofort zurückkehren muss, um die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Nach anfänglichem Wehren fügt er sich in sein Schicksal, das der Minister so beschreibt: „Die Fürsten wohnen einsam auf ihren Thronen, eine Kluft trennt sie von allen anderen […]. Sie müssen einsam bleiben, darin liegt ihre schwere Aufgabe, aber auch ihre Kraft.“ 50 Der vierte Akt spielt (mit einem Zeitsprung von zwei Jahren) wieder in Karlsburg und zeigt einen verbitterten und vereinsamten Karl Heinrich, der kurz vor seiner angebahnten Heirat steht. Durch eine zufällige Begegnung an seine Heidelberger Zeit erinnert, beschließt er für einige Tage dorthin zurückzukehren. Der fünfte Akt, wiederum im Gasthaus Rüder situiert, zeigt Karl Heinrichs erneuten Abschied aus Heidelberg, der mit einem festlichen Essen mit seinem Corps begangen werden soll. Allerdings verläuft der Besuch für Karl Heinrich enttäuschend, weil er fast nichts so vorfindet, wie es in seiner Erinnerung war. Eine Wende ereignet sich kurz vor seiner Abreise, als er Käthie wiederbegegnet, in der er jenen Sehnsuchtsort findet, den er suchte: „Es war alles […] wie früher: der Main, der Neckar und - Heidelberg. Nur 48 Der Erfolg dieses Stückes bemisst sich nicht allein an seiner dauerhaften Präsenz auf vielen Bühnen im gesamten Deutschen Reich, sondern auch an der Tatsache, dass der Text in verschiedene Sprachen übersetzt und in unterschiedlichen Fassungen immer wieder verfilmt wurde. Die bekanntesten Beispiele hierfür sind „Alt-Heidelberg, Du feine“ (1914) sowie die Verfilmung von Ernst Lubitsch aus dem Jahr 1927 unter dem Titel „The Student Prince in Old Heidelberg“. Vgl. zum Stück ausführlich Fink 2002, 66-95 sowie zu den zahlreichen Adaptionen 110-143. 49 Meyer-Förster 1908, 65. 50 Meyer-Förster 1908, 72. 24 die Menschen sind anders geworden. Ich habe keinen wiedergefunden. […] Nur dich, Käthie.“ 51 Obgleich die Liebe der beiden keine Einlösung finden kann - auch Käthie hat bereits Hochzeitspläne -, bedeutet die nun erfüllte Sehnsucht nach Käthie eine Wende zum Guten: „Wir behalten uns, Käthie. Ich vergesse dich nicht und du mich nicht. Wir sehen uns nicht wieder, aber wir vergessen uns nicht.“ 52 Meyer-Försters Stück verbindet die bekannten und populären Elemente des ‚Heidelberg-Mythos’, um sie effektvoll in Szene zu setzen. Hierzu gehört die Einbindung des studentischen Liedguts, das weit über die Kreise eines akademischen Publikums bekannt gewesen sein dürfte, die pittoreske Kulisse Heidelbergs, die sogar im Nebentext festgeschrieben wird, 53 und schließlich die folkloristischen Aspekte des Studentenlebens, wie das Farbentragen, das Kneipen oder das Motiv der filia hospitalis. 54 Auch die Einbindung dialektaler Elemente in der Sprache einiger Figuren trägt zur atmosphärischen Stilisierung bei. Heinrich Stümcke sieht in der eigentümlich sentimentalen Dramaturgie des Stückes etwas typisch Deutsches. Ein leichter Zug von Sentimentalität in der Resignation, vielleicht auch ein ganz klein wenig Philistrosität schaden dem Eindruck nicht, sie entsprechen vielmehr dem deutschen Gemüte. 55 Hinterfragt man die Konstruktion auf ihre politischen Implikationen, so wird deutlich, dass der bittersüße Verzicht auf das individuelle Liebesglück letztlich eine Verherrlichung der Fürsten-Disziplin darstellt, aus der sich - wie der Minister in der oben zitierten Passage ja ausführt - wiederum die privilegierte Stellung legitimiert. Hierin liegt ein Teil jenes restaurativ-affirmativen Kerns des Stückes sowie die zugrunde liegende politische Botschaft, die insofern einen unmittelbaren politischen 51 Meyer-Förster 1908, 104. 52 Meyer-Förster 1908, 107. 53 Vgl. hierzu Meyer-Förster 1908, 23. 54 Vgl. hierzu Klant 1985, 152. 55 Stümcke 1901/ 02, 216. Abb. 4: Harry Walden und Leonie Taliansky in „Alt-Heidelberg“ am Berliner Theater (1901). 25 Bezug aufwies, als Wilhelm II. selbst Mitglied des Corps Borussia Bonn war. 56 Meyer-Försters Stück offenbart eine eigentümliche Dialektik der politischen und sozialen Verhältnisse: Zwar wird das Fürstenhaus als Hort der Freudlosigkeit und Disziplin in deutlicher Abgrenzung gegen das heiterarkadische Heidelberg gestellt, letztlich obsiegt aber die monarchische Realität von Pflicht und Macht gegen die bacchantische, vermeintlich klassenlose Gemeinschaft. Heidelberg und das Corps als Inbegriff studentischen Lebens werden zu einem kollektiven Sehnsuchtsort, der allerdings keine ‚neue’ Realität begründen kann, sondern als liminaler Ort eines rîte de passage dient, an dessen Ende die geläuterte Einsicht in die Notwendigkeiten steht. Mit Blick auf die Aushandlung sozialer Kategorien ist festzuhalten, dass die visionär-utopische Alternative von individueller Freiheit und Glückserfüllung letztlich ein Ventil zur Stabilisierung der herrschenden Verhältnisse ist. Der Verzicht auf Glück durch die Verschiebung in eine nostalgische Verklärung entdeckt sich als Moment, soziale Unterschiede zu bekräftigen. Obwohl übertriebenes Standesbewusstsein gerade in der Figur des Kammerdieners Lutz persifliert wird, 57 erscheinen soziale Unterschiede als notwendig und innerlich begründet. Ihre Aufhebung ist nur möglich im Kontext der Universität(sstadt) als liminalem Ort, der allerdings keine dauerhafte Existenz gewähren kann. Mit diesem Modell kultureller und gesellschaftlicher Adoleszenz unterbreitet Meyer-Förster ein affirmatives Identifikationsangebot, das Adel und Bürgertum (in seiner ganzen sozialen Bandbreite) eint, figuriert doch die Universität als sozialer Ort, der zum einen in individueller Leistung begründete soziale Mobilität verspricht und zum anderen eine (mehr oder weniger) barrierefreie Begegnung der verschiedenen Schichten ermöglicht. Da dieses Ideal aber nicht der sozialen Wirklichkeit entspricht, offeriert das Stück als Surrogat für mögliche fehlende individuelle Erfahrung eine atmosphärische Dichte, die eine emotionale Identifikation ermöglicht. 58 Im Vergleich zu „Alt-Heidelberg“ sind Domelas Erlebnisse nachgerade spiegelbildlich verkehrt: Wird Karl Heinrich gerade ohne Ansehen/ Kenntnis seiner Person aufgenommen, 59 so erhält Domela überhaupt erst durch seinen (vorgeblichen) Rang Zutritt. Während Meyer-Förster Heidelberg als liminalen Ort passagerer Klassenlosigkeit beschreibt, schildert Domela die Saxo-Borussen als Hort antidemokratischen und undisziplinierten Verhaltens. Figuriert bei Meyer-Förster das ‚Über-die-Stränge-Schlagen’ als notwendiger Teil einer höheren Ökonomie der sozialen Unterschiede und Adoleszenz, ist dies für Domela ein Ausweis kultureller Degeneration. 56 Vgl. hierzu Röhl 2001b, 299-305. 57 Vgl. hierzu besonders Meyer-Förster 1908, 56. 58 Vgl. hierzu Stümcke 1901/ 02, 216. 59 Vgl. Meyer-Förster 1908, 49-53. 26 Ungeachtet der Frage, ob sich für ein zeitgenössisches Publikum im Jahr 1927 ebenfalls eine solche intertextuelle Lektüre aufdrängte, 60 verweist die Beziehung der beiden Texte - zumal im Brennglas der Figur des Hochstaplers - auf zentrale Momente der Identitätspolitik, die im Folgenden ausführlicher dargestellt werden sollen. 60 Porombka weist darauf hin, dass Domela als Schauspieler sowohl in „Alt-Heidelberg“ als auch in der Verfilmung seiner Erlebnisse mitgewirkt habe; vgl. Porombka 2001, 71. 27 Methodische Überlegungen zu den Bedingungen bürgerlicher (Selbst-) Darstellung Es giebt keine Kultur der Bauern oder des Mittelstands mehr. Was noch besteht, ist Rest, Flutland, das unrettbar weggeschwemmt werden wird. Positiv können die unteren Stände Nichts mehr leisten. Auch ihre Geschmacklosigkeit ist nicht positiv, sondern ein Spiegelbild. Sie gucken sie ab von den oberen Ständen. Harry Graf Kessler 61 Harry Graf Kessler (1868-1937) beschreibt in dem als Motto vorangestellten Zitat einen sozialen Erosionsprozess und seine desorientierende Wirkung auf das Alltagsleben, die nicht nur bestimmte Gruppen umfasst, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen darstellt. Wenngleich zu fragen ist, ob sich Kesslers Sichtweise nicht eine nostalgische, Veränderung als Verlust empfindende Grundperspektive einschreibt und man eher von einem (Neu-) Konstruktionsals einem Erosionsprozess sprechen sollte, lassen sich doch ausgehend von der Perspektive des Hochstaplers einige allgemeinere methodische Überlegungen zur Beschreibung dieser Identitätspolitik und den sie auslösenden Umständen finden. Hierbei scheint es sinnvoll, drei Aspekte zu unterscheiden: - performative Praktiken - das Imaginäre - Zirkulation als Konstituens kultureller Räume. Eine Differenzierung in diese drei Gesichtspunkte ermöglicht eine genauere Begriffsbildung, die nicht nur auf den rein semantischen Gehalt historischer Begriffe zielt, sondern auch ihre kulturelle Wirksamkeit bzw. ihr Mäandern in kulturellen und sozialen Strukturen in den Blick nimmt. Zur Bedeutung performativer Praktiken In der kulturwissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahre hat sich - angeregt besonders durch die gender und postcolonial studies - die Abkehr von einer essentialistischen Begriffsbildung als Commonsense etabliert. 62 Stattdessen richtet sich die Frage stärker auf die Konstruktion von Identitätskategorien, wie sozialer Status (class), Geschlecht (gender) oder Ethnizität 61 Kessler 2004, 531. 62 Diese Differenzierung findet sich bereits bei Ernst Cassirer in seiner Schrift „Substanzbegriff und Funktionsbegriff” (1910) vorgezeichnet; vgl. Cassirer 1994. Allerdings hat besonders die Entwicklung der Cultural Studies zu einem verstärkten methodischen Bewusstsein geführt, wie Werner Sollors anmerkt: „The interpretation of previously ‚essentialist’ categories (childhood, generations, romantic love, mental health, gender, region, history, biography, and so on) as ‘inventions’ has resulted in the recognition of the general cultural constructedness of the modern world.”; Sollors 1989, x. 28 (race), sowie auf die Wege, auf denen diese Kategorien in die Lebenswelt implementiert werden. 63 Der amerikanische Kulturwissenschaftler Dwight Conquergood hat in seinem Aufsatz „Rethinking Ethnography“ (1991), der für die Entstehung der Performance Studies in den USA von entscheidender Bedeutung war, sich dieser Frage angenommen. Conquergood formuliert einen Ansatz, der ebenfalls von der Konstruiertheit kultureller Identität ausgeht 64 und den Menschen als homo performans in dem Sinne bestimmt, dass die ‚Erfindung’ von Kultur und ihre Schaffung durch performative Akte zu den Wesensmerkmalen des Menschen gehört. 65 Cultural Performances 66 erscheinen in dieser Perspektive nicht mehr als reine ‚Inszenierungen’ oder ‚Sichtbarmachungen’ kultureller Konzepte, sondern als Wege, durch die sich soziale Wirklichkeit bildet. Methodisch verbindet Conquergood diese Überlegung mit einer Hinwendung zum Untersuchungsgegenstand, der sich nicht länger als Fallbeispiel eines abstrakteren Prinzips darstellt, sondern zum Zentrum der Überlegungen wird. The performance paradigm privileges particular, participatory, dynamic, intimate, precarious, embodied experience grounded in historical process, contingency, and ideology. […] The performance paradigm insists on face-to-face encounters instead of abstractions and reductions. It situates ethnographers within the delicately negotiated and fragile ‘face work’ that is part of the intricate and nuanced dramaturgy of everyday life […]. 67 Conquergoods Verständnis von Performativität und Cultural Performances trägt hierbei - begrifflich wie methodisch - einen pragmatischen Kern: Soziale Kategorien werden nicht, wie das ideengeschichtliche Paradigma dies konzipierte, in einer Relation zu Kultur und Gesellschaft beschrieben, die ihnen erst sekundär begegnet, sondern die Kategorien entfalten ihre Wirksamkeit (und damit ihre ‚Existenz’) überhaupt erst im Moment und Prozess ihrer Implementierung in die Lebenswelt. Die metaphorische Verbindung zum Theater führt aber über die reine Assoziation hinaus: Das Theater nimmt innerhalb gesellschaftlicher Verhandlungen in der Tat eine zentrale Rolle ein, weil hier Rollenmuster gezeigt und ‚durchgespielt’ werden. Insofern erscheint es (zumal gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, d. h. in der Hochphase der bürgerlichen Gesellschaft) nicht allein als eine „moralische Anstalt“ im Sinne Schillers, 63 Innerhalb der deutschen (Theater-) Wissenschaft haben sich in diesem Zusammenhang vornehmlich zwei zentrale Konzepte etabliert, das der Theatralität und das der Performativität. Vgl. hierzu besonders Fischer-Lichte 1998a und 1998b. An dieser Stelle soll allerdings keine ausführliche Würdigung dieser Diskussion, sondern lediglich eine Annäherung an den Begriff unter heuristischen Aspekten erfolgen. Zur allgemeineren Diskussion vgl. bspw. Fischer-Lichte 2004. Für eine explizite Gegenüberstellung von Theatralität und Performativität - gerade auch im Vergleich zwischen Deutschland und den USA vgl. einführend Reinelt 2002. 64 Vgl. Conquergood 1991, 184. 65 Vgl. Conquergood 1991, 187. 66 Vgl. hierzu Singer 1991, 29. 67 Conquergood 1991, 187. 29 sondern in besonderem Maße auch als „soziale Schule“, durch die Normen und Werte sowie Handlungsformen diskutiert und legitimiert werden. Dieser Aspekt berührt nicht nur das Geschehen auf der Bühne; auch der Theaterbesuch selbst muss als kulturelle Praxis angesehen werden, durch die sich das Publikum selbst inszeniert. 68 In diesem Zusammenhang sind zwei Arbeiten aus dem Bereich der Theaterwissenschaft für die hier zu diskutierenden Fragestellungen besonders einschlägig: So untersucht Harley Erdman in seiner Studie „Staging the Jew. The Performance of an American Ethnicity, 1860-1920“ (1997) unterschiedliche Inszenierungen jüdischer Figuren im US-amerikanischen Theater. Hierbei nimmt er auf Judith Butlers (im Rahmen der gender studies entwickeltes) Konzept von Performativität Bezug 69 und kann zeigen, dass gesellschaftliche Integration und theatrale Darstellung in einem Wechselverhältnis miteinander stehen: Mit zunehmender Einbindung und Akzeptanz jüdischer Gruppen in die US-amerikanische Gesellschaft verschwinden die stereotypen stock-characters von der Bildfläche. Erdman macht aber auch deutlich, dass man Theater nicht als Spiegel der Gesellschaft, sondern eher als Zerrspiegel betrachten sollte, weil sich Bühnenfiguren bei näherer Betrachtung oftmals als Konglomerat unterschiedlichster Bilder erweisen: Given this outline, however, I want to refrain from invoking the theatre as faithful mirror of society. If it seems to function at times like a mirror, it does so more like one at a funhouse, for Jewish stage representations of the time embodied curious amalgams of characteristics associated with both German and Eastern European cultures, with certain features and trends emerging in ways which did not directly coincide with immigration patterns. In some cases, […] society ended mirroring theatre, rather than the reverse. 70 Erdmans Arbeit kommt das Verdienst einer intensiven Untersuchung des Wechselverhältnisses von Integration und theatraler Repräsentation anhand ethnischer Gruppen zu, allerdings konzentriert er sich allein auf das Theater im engeren Sinne, so dass mögliche Wechselwirkungen mit anderen Diskursen nur am Rande Berücksichtigung finden. Joseph Roach wählt für seine Studie „Cities of the Dead“ (1996) einen weiter gesteckten Fokus. Für ihn bildet die Untersuchung von Performances unterschiedlichster Provenienz die Möglichkeit, die Politik der Identität in ihrer Dynamik beschreiben zu können. Zentral ist für diesen Ansatz die Vorstellung, dass die Performance eine Möglichkeit eröffnet, Konturen der 68 Marvin Carlson hat deutlich gemacht, dass sich dieses Moment bereits in der baulichen Struktur der Theater finden lässt: „The great monumental theatres of the eighteenth and nineteenth centuries, especially those devoted to the performance of opera, gave comparatively little attention to such spatial segregation, partly because they were oriented toward a more homogenous audience from the outset, and partly because, as such theatres became the favored gathering places of the new monied classes their public spaces became a kind of indoor parade ground not only for the gathering of fashionable society, but even more important, for its display.”; Carlson 1989, 151f. Vgl. hierzu auch Schulz 1999. 69 Vgl. Erdman 1997, 6. 70 Erdman 1997, 9. 30 eigenen Identität dadurch zu manifestieren, dass man sich (im performativen Akt) gegen andere abgrenzt. 71 Roachs Arbeit ist insofern von besonderem Interesse, als er sich explizit um eine historiographische Perspektive bemüht. Sein Konzept einer Genealogie der Performance (genealogy of performance) stützt sich zunächst auf die von Michel Foucault im Anschluss an Nietzsche getroffene Unterscheidung von Genealogie vs. Historie, 72 d. h. der Gegenüberstellung einer teleologischen Metaerzählung und einer kleinschrittigen, brüchigen Form der Geschichtsschreibung, die offenlegt, wie sie Verbindungen (heuristisch) herstellt und diese nicht als organische, zwangsläufige Entwicklungslinien auffasst. Als Analyse der Herkunft steht die Genealogie dort, wo sich Leib und Geschichte verschränken. Sie muß zeigen, wie der Leib von der Geschichte durchdrungen ist und wie die Geschichte am Leib nagt. 73 Roach bezieht sich in der Bestimmung seines eigenen Ansatzes explizit auf diese Verschränkung von Leib und Geschichte: Performance genealogies draw on the idea of expressive moments as mnemonic reserves, including patterned movements made and remembered by bodies, residual movements retained implicitly in images or words (or in the silence between them), and imaginary movements dreamed in minds not prior to language but constitutive of it, a psychic rehearsal for physical actions drawn from a repertoire that culture provides. 74 Die auf den Akteur und seine Inszenierungen zielende Perspektive der Performativität kann insofern als das Bindeglied zwischen dem Imaginären und der kulturellen (und sozialen) Wirklichkeit einer Gesellschaft verstanden werden. Dies bleibt allerdings keineswegs auf die Bühne beschränkt: Gerade die Beispiele von Domela und Voigt zeigen, dass dies auch jenseits des Theaters als künstlerischem und abgezirkeltem Raum möglich ist. Das Imaginäre Während der Begriff der Performativität impliziert, dass die symbolische Verkörperung, das symbolische Ausagieren, nicht bloß ein zusätzliches Dekorum ist, sondern sich soziale Kategorien durch sie konstituieren, gilt es doch zu betonen, dass diese symbolischen Akte nicht allein der individuellen Willkür und Handlungsfreiheit unterliegen, sondern dass sie vielmehr auf ‚Rollen’ gründen, die durch eine entsprechende kollektive Vorstellung legitimiert und vorgezeichnet sein müssen. 71 Vgl. hierzu etwa Roach 1996, 5. 72 Foucault beschreibt diesen Unterschied folgendermaßen: „Die Genealogie verhält sich zur Historie nicht wie die hohe (und die tiefe) Sicht des Philosophen zum Maulwurfsblick des Gelehrten; vielmehr steht sie im Gegensatz zur metahistorischen Entfaltung der idealen Bedeutungen und unbegrenzten Teleologien. Sie steht im Gegensatz zur Suche nach dem ‚Ursprung’.“; Foucault 1996, 69. 73 Foucault 1996, 75. 74 Roach 1996, 26. 31 Die Wirkung der öffentlichen Bilder […] ist davon abhängig, ob daraus imaginäre Bilder, geläufige Vorstellungen geworden sind. Bilder in den Köpfen, die als abrufbare Codes funktionieren. 75 Der Kunsthistoriker Hans Belting hat sich dieser Fragestellung in einer sehr grundsätzlichen Weise genähert, indem er für eine anthropologische Bildwissenschaft eintritt: Unsere inneren Bilder sind nicht immer individueller Natur, aber sie werden auch dann, wenn sie kollektiven Ursprungs sind, von uns so verinnerlicht, daß wir sie für unsere eigenen Bilder halten. Die kollektiven Bilder bedeuten deshalb, daß wir die Welt nicht nur als Individuen wahrnehmen, sondern dies auf eine kollektive Weise tun, welche unsere Wahrnehmung einer aktuellen Zeitform unterwirft. […] Der Bildeindruck, den wir durch das Medium empfangen, steuert die Aufmerksamkeit, die wir den Bildern widmen, denn ein Medium hat nicht nur eine physisch-technische Beschaffenheit, sondern auch eine historische Zeitform. Unsere Wahrnehmung unterliegt einem kulturellen Wandel, obwohl unsere Sinnesorgane sich seit urdenklichen Zeiten nicht geändert haben. […] Daraus folgt der Grundsatz, daß die Bildmedien den Bildern nicht äußerlich sind. 76 Der Begriff des Mediums wird für Belting zum Kristallisationspunkt, in dem die kulturelle Bedingtheit von Bildern und Wahrnehmung sich niederschlägt. Diese Bedingtheit prägt sowohl die historisch-technische Form von Bildern als auch ihre kulturelle Autorität: Deshalb kann das Bild auch nur ein anthropologischer Begriff sein, der sich gegen Begriffe ästhetischer oder technischer Art behaupten muß. Die mediale Bilderfahrung (durch Reaktion auf aktuelle Bildtechniken) ist eine kulturelle Übung, und gründet deshalb nicht nur auf technischem Wissen, sondern auf Konsens und Autorität. 77 Um diese Rückbindung des Bildes an seinen kulturellen Kontext in einem umfassenden Sinne beschreiben zu können, entwickelt Belting das Konzept des Imaginären in Anlehnung an Wolfgang Iser. 78 Imagination blieb auf ein Vermögen des Subjekts bezogen, aber das Imaginäre ist auf das Bewußtsein bezogen, infolgedessen auch auf Gesellschaft und ihre Weltbilder, in denen eine kollektive Geschichte von Mythen weiterlebt. So unterscheidet sich das Imaginäre von den Produkten, in denen es zum Ausdruck kommt, als der gemeinsame Bildgrund und Bilderfundus in einer kulturellen Tradition, aus denen die Bilder der Fiktion abgerufen und mit denen sie inszeniert werden können. 79 Belting unterscheidet zwischen dem Imaginären als kollektivem Bilderfundus in einer kulturellen Tradition und der Imagination als individuellem Akt. Arjun Appadurai schlägt in diesem Zusammenhang vor, zwischen Imagination und Fantasie zu unterscheiden, wobei er letztere als einen individu- 75 Benz 2001, 11. 76 Belting 2001, 21. 77 Belting 2001, 58. 78 Belting bezieht sich hierbei vornehmlich auf Iser 1991. 79 Belting 2001, 74. 32 ellen Akt bestimmt (ähnlich dem Begriff der Imagination bei Belting). 80 Appadurai sieht den entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Ebenen allerdings im programmatisch-handlungsorientierenden Charakter, den er der Imagination zuschreibt. 81 The imagination […] has a projective sense about it, has a sense of being a prelude to some sort of expression, whether aesthetic or otherwise. […] It is the imagination in its collective forms, that creates ideas of neighborhood and nationhood, of moral economies and unjust rule, of higher wages and foreign labor prospects. The imagination is today a staging ground for action, and not only for escape. 82 Bei Appadurai verschiebt sich der kulturelle Ort der Imagination: Während Belting das Imaginäre mit Iser noch gegen das Reale abgrenzt, 83 betont Appadurai gerade den Einfluss des Imaginären auf die Wirklichkeit und hebt damit letztlich deren kategoriale Trennung auf. Das Imaginäre wird so verstanden als Bestandteil kultureller und sozialer Realität, weil sich im Rahmen bzw. unter Rückgriff auf diesen Bilderfundus Denken und Handeln vollzieht. Gleichzeitig schreibt auch Appadurai den Medien eine besondere Rolle zu - allerdings konzentriert er sich auf die elektronischen Medien, in deren Aufkommen er einen kategorialen Bruch zu erkennen glaubt. 84 Diese Argumentation kann allerdings nur teilweise überzeugen, denn wirft man einen genaueren Blick auf seine Beispiele, so fällt auf, dass hier oftmals der den elektronischen Medien zugeschriebene Effekt 85 durch den Film oder die massenhafte Verbreitung der Fotografie vorgezeichnet waren. Der von Appadurai behauptete Bruch mit der Tradition scheint also bereits am Ende des 19. Jahrhunderts zu liegen. Hier finden sich sowohl die technischen als auch sozio-ökonomischen Voraussetzungen, die man heute als Wirkungen der elektronischen und digitalen Medien beschreibt. Gemeinsam ist beiden Autoren, dass sie sich um eine Neubestimmung des epistemologischen Status von Bildern bemühen. 86 Dieser Impuls, der sich allgemein mit dem Ansatz der Visual Culture-Forschung verbindet, 87 verknüpft eine stärkere Hinwendung zur Visualität mit dem Anspruch der Berücksichtigung medialer Spezifika. 88 80 Vgl. Appadurai 2002, 176f. 81 Vgl. hierzu auch Appadurai 2002, 175, wo er besonders die modernen (elektronischen) Massenmedien gegen traditionelle Bildformate abgrenzt. 82 Appadurai 2002, 177. 83 Vgl. Belting 2001, 74. 84 Vgl. hierzu Appadurai 2002, 173 sowie 178. 85 Appadurai spricht in diesem Zusammenhang vor allem von der Mobilität der Bilder sowie ihrem Potenzial zur Konstitution von Wirklichkeit(en) beizutragen; vgl. Appadurai 2002, 2-4. In dieser Hinsicht haben die elektronischen Medien bezüglich der Geschwindigkeit und Verfügbarkeit neue Maßstäbe gesetzt, die Grundzüge dieser Entwicklung sind aber bereits mit der Entwicklung der Fotografie zu erkennen. 86 Um eine solche epistemologische Neubewertung von Bildern bemüht sich auch die Theaterikonographie; vgl. zu dieser Forschungsrichtung Balme 1997. 87 Vgl. hierzu einleitend bspw. Barnard 2001 oder Howells 2003. 88 Dies reklamiert bspw. Poster 2002. 33 Hinsichtlich des sozialen Aspektes des Imaginären, seiner Funktion als Markierung und Skizze eines kulturellen Handlungsraums, wird (kulturelle) Sichtbarkeit gleichbedeutend mit der sozialen Verortung von Einzelnen bzw. Gruppen. „For visual culture, visibility is not so simple. Its object of study is precisely the entities that come into being at the points of intersection of visibility with social power.” 89 In diesem Sinne definiert Nicholas Mirzoeff das visuelle Subjekt als eine Person, die gleichzeitig selbst als Sehende („agent of sight“) wie auch als Konstrukt verschiedener Kategorien von Visualität agiert. 90 Zieht man die semiotischen Konstituenten des Theaters in Betracht, so ist offensichtlich, dass das Imaginäre im Sinne dieser Theorien eine besondere Rolle spielt. Hinsichtlich der Darstellung von Identitätskategorien erscheint das Theater aufgrund seiner sozialen Lokalisierung und der Vernetzung von Visualität und Sprache als ein besonders privilegierter Ort. 91 Das Beispiel des Theaters zeigt darüber hinaus, dass das Imaginäre sich nicht allein durch visuelle Elemente konstituiert, sondern auch sprachliche oder akustische Elemente einbindet. 92 Insofern können Inszenierungen (im engeren Bereich des Theaters oder als Cultural Performances) nicht nur auf ihre eigene visuelle Konstruktion befragt werden, sondern auch hinsichtlich der Verweise und Verästelungen ihrer Konstruktion in verschiedenen anderen Diskursen. Zirkulation als Konstituens kultureller Räume Während das Konzept der Performativität die Dynamik sozio-kultureller Kategorien abbildet und der Begriff des Imaginären auf eine gemeinsame Vorstellungswelt verweist, bleibt das Moment der Rezeption bislang eine Leerstelle. Will man aber zu einem Begriff des Rezipienten/ Zuschauers kommen, der nicht als rein ‚passive Ableitung’ der Inszenierung/ Performance konzipiert ist, so ist die Frage der Performativität um diesen entscheidenden Aspekt zu erweitern, denn nur dann wird es möglich sein, auch die Ambivalenz und Uneindeutigkeit von Performances und Inszenierungen in den Blick zu gewinnen. 93 Stephen Greenblatt hat in diesem Sinne auf das kollektive Moment des Theaters in seiner Gestaltung und in seiner Rezeption verwiesen: First, the theater is manifestly the product of collective intentions. There may be a moment in which a solitary individual puts words on a page, but it is by no means clear that this moment is the heart of the mystery and that everything else is to be stripped away and discarded. […] Second, the theater manifestly addresses its audience as a collectivity. The model is not, as with the nineteenth- 89 Mirzoeff 2002, 10. 90 Vgl. Mirzoeff 2002, 10. 91 Vgl. hierzu Marx 2003b, 285f. 92 Hierauf verweist besonders Poster 2002, 68. 93 Hans-Peter Bayerdörfer plädiert aus einem gänzlich anderen Blickwinkel ebenfalls für einen weiten Fokus der Theaterhistoriographie, der über das ästhetische Produkt hinausreicht; vgl. Bayerdörfer 1990, 50f. 34 century novel, the individual reader who withdraws from the public world of affairs to the privacy of the hearth but the crowd that gathers together in a public space. 94 Ausgehend von dieser Überlegung sucht er nach einer Möglichkeit, die Grenzbereiche und Überlagerungen zwischen ‚Kunst’ und ‚Welt’ auszuloten, 95 und bestimmt so das Theater als einen Ort der „Zirkulation sozialer Energien“: For the circulation of social energy by and through the stage was not part of a single coherent, totalizing system. Rather it was partial, fragmentary, conflictual; elements were crossed, torn apart, recombined, set against each other; particular social practices were magnified by the stages, others diminished, exalted, evacuated. What then is the social energy that is being circulated? Power, charisma, sexual excitement, collective dreams, wonder, desire, anxiety, religious awe, freefloating intensities of experience: in a sense the question is absurd, for everything produced by the society can circulate unless it is deliberately excluded from circulation. 96 Freddie Rokem hat sich in seiner Studie „Performing History“ (2000) mit diesem Konzept Greenblatts auseinandergesetzt. Er betont zunächst, dass Greenblatt mit dem Begriff der sozialen Energie eine Verbindung zwischen Macht- und ästhetischen Strukturen herzustellen sucht. 97 Unter Rekurs auf Peter Brook definiert Rokem dann die soziale Funktion von Inszenierungen: The central point in any theatrical event is thus to fine tune the different energy sources of the actors as well as the spectators in order to make them flow within the new collective that has been created. The aim, of course, is to make these energies visible and understandable for the spectators, to make them communicative on the aesthetic, as well as emotional and intellectual levels. 98 Rokem stellt die Relation zwischen Akteuren und Auditorium als ein Kommunikationsverhältnis dar, obgleich die Zuschauer auch in diesem Modell ein ‚stummer’ Partner bleiben. Die Suche nach einer Sichtbarmachung sozialer Energien, die von Rokem besonders betont wird, eröffnet aber noch einen weiteren Weg: Ähnlich wie Mirzoeff, der das „visual subject“ zugleich als Sehendes und Gesehenes bestimmt, 99 impliziert Greenblatt mit seiner Metapher der Zirkulation eine solche Wechselseitigkeit, wenn er den kollektiven Moment von Theater ausdrücklich auf Produktion und Rezeption bezieht. Um diese Annäherung an den Rezipienten weiterzuverfolgen, ist es hilfreich, die Metapher der Zirkulation näher zu betrachten. 94 Greenblatt 1988, 4f. 95 Vgl. hierzu programmatisch Greenblatt 1995, 15. 96 Greenblatt 1988, 19. 97 „Greenblatt relates the notion of energy both to power and hegemony in the social sphere as expresses through different public discourses and social practices and to the literal and metaphorical expressions of these practices in the dramatic texts from the same period.“; Rokem 2000, 193. 98 Rokem 2000, 200f. 99 Vgl. Mirzoeff 2002, 10. 35 Die Wurzeln der Metapher der Zirkulation (zur Beschreibung gesellschaftlicher Entwicklungen) liegen im Bereich ökonomischer Theorien. 100 So hat etwa Karl Marx den zweiten Band von „Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“ (1885) dem „Zirkulationsprozeß des Kapitals“ gewidmet. Aus kulturwissenschaftlicher Sicht ist es besonders der Philosoph Georg Simmel (1858-1918), der betont hat, dass die Zirkulation von Geld nicht allein ein ökonomischer Prozess ist, 101 sondern dass sich hier kulturelle und soziale Wertsetzung vollzieht. Simmel versteht Werte - ökonomische wie immaterielle - nicht als essentialistische Eigenschaften der Objekte selbst, 102 sondern als Folge eines Prozesses, der sich zum einen zwischen dem Einzelnen und dem Objekt vollzieht - als Vorgang des Begehrens -, der zum anderen aber auch eine soziale Komponente beinhaltet, die durch den wirtschaftlichen Kreislauf vollzogen wird: Die Tatsache des wirtschaftlichen Tausches also löst die Dinge von dem Eingeschmolzensein in die bloße Subjektivität der Subjekte und läßt sie, indem sie ihre wirtschaftliche Funktion in ihnen selbst investiert, sich g e g e n s e i t i g bestimmen. Den praktisch wirksamen Wert verleiht dem Gegenstand nicht sein Begehrtwerden allein, sondern das Begehrtwerden eines anderen. 103 Simmels Formulierung von der Bestätigung bzw. Konstitution der Werte durch den Tausch lässt sich als Reformulierung des performativen Charakters sozialer Kategorien lesen. Auf der Grundlage einer nachdrücklichen Absage an jeglichen Essentialismus entwickelt er ein Gesellschaftsmodell, dessen Grundaxiome deutliche Nähen zur Theorie der Performativität erkennen lassen. 104 Benjamin Lee und Edward LiPuma haben in ihrem Aufsatz „Cultures of Circulation: The Imaginations of Modernity“ (2002) einen entsprechend erweiterten Begriff von Performativität vorgeschlagen: 100 Blickt man auf die ideengeschichtlichen Wurzeln dieser Metapher, so stößt man auf das Bild vom Gemeinwesen als organischem Körper, wie es der römische Konsul Agrippa Menenius Lanatus 494 v. Chr. entwarf, um den Konflikt zwischen Plebejern und Patriziern zu schlichten. Gerade in der Staatsphilosophie und in der volkswirtschaftlichen Theoriebildung hat sich diese Denkfigur sehr lange erhalten. 101 Auch Simmel greift auf das Bild des kollektiven Körpers und des Blutkreislaufs zurück: „[D]as Geld funktioniert einerseits als das Gelenksystem dieses Organismus; es macht seine Elemente gegeneinander verschiebbar, stellt ein Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit und Fortsetzbarkeit aller Impulse zwischen ihnen her. Es ist andrerseits dem Blute zu vergleichen, dessen kontinuierliche Strömung alle Verästelungen der Glieder durchdringt, und, alle gleichmäßig ernährend, die Einheit ihrer Funktionen trägt.“; Simmel 2001, 531. 102 „Daß Gegenstände, Gedanken, Geheimnisse wertvoll sind, das ist aus ihrem bloß natürlichen Dasein und Inhalt niemals abzulesen; und ihre Ordnung, den Werten gemäß vollzogen, weicht von der natürlichen aufs weiteste ab.“; Simmel 2001, 1. 103 Simmel 2001, 31. 104 Diese Nähe lässt sich allerdings nicht geistesgeschichtlich begründen, denn das Performativitätskonzept wurde letztlich erst durch Austin in „How to Do Things with Words“ (1955) voll entfaltet. Insofern kann sich das Argument nur auf eine Vergleichbarkeit der Argumentationsführung stützen. 36 Produced by their self-reflexive objectification, performative acts can thus be seen to be a presupposition for the very cultures of circulation of which they are a constitutive part. 105 Zirkulation ist in diesem Sinne nicht einfach ein Transmissionsprozess, sondern ein kulturelles Phänomen sui generis: If circulation is to serve as a useful analytic construct of cultural analysis, it must be conceived as more than simply the movement of people, ideas and commodities from one culture to another. Instead, recent work indicates that circulation is a cultural process with its own forms of abstraction, evaluation, and constraint, which are created by the interactions between specific types of circulating forms and the interpretive community built around them. 106 Aus dem Wechselverhältnis von Zirkulation und den zirkulierenden Objekten bildet sich dann jene Struktur, die von Lee/ LiPuma als cultures of circulation bezeichnet wird: Cultures of circulation are created and animated by the cultural forms that circulate through them, including - critically - the abstract nature of the forms that underwrite and propel the process of circulation itself. 107 Aus dieser Struktur der Zirkulation entstehen Imaginationspunkte, an denen sich der Diskurs über Identität in besonderer Weise kristallisiert. Lee/ LiPuma benennen für den Diskurs der westlichen Moderne vor allem die Öffentlichkeit, den bürgerlichen Staat und den Markt: The three social imaginaries […] are crucial to Western modernity - the public sphere, the citizen-state, and the market - all presuppose a self-reflexive structure of circulation built around some reciprocal social action, whether that action be reading, as in the case of the public sphere and nationalism, or buying and selling, as in the case of the market. 108 Das Modell kultureller Zirkulation erfährt eine konzeptionelle Weiterung, wenn man die Frage des Konsums mit in den Blick nimmt: Die Struktur wechselseitiger Bestätigung des Wertes durch das Begehren, das im Tauschhandel seinen Ausdruck findet, verweist darauf, dass die Zirkulation notwendigerweise zwischen (mindestens) zwei Partnern vonstatten geht und dass es sich keineswegs um einen eindimensionalen Vorgang handelt. In diesem Sinne hat auch Arjun Appadurai das ökonomische Konzept von Konsum und Begehren (demand) kulturwissenschaftlich reformuliert: I suggest that consumption is eminently social, relational, and active rather than private, atomic, or passive. […] It means looking at consumption (and the demand that makes it possible) as a focus not only for sending social messages […], but for receiving them as well. Demand thus conceals two different relationships between consumption and production: 1. On the one hand, demand is deter- 105 Lee/ LiPuma 2002, 193. Vgl. hierzu auch Lee/ LiPuma 2002, 192. 106 Lee/ LiPuma 2002, 192. 107 Lee/ LiPuma 2002, 192. 108 Lee/ LiPuma 2002, 193. 37 mined by social and economic forces; 2. on the other, it can manipulate, within limits, these social and economic forces. 109 Appadurai versteht den Konsum von Waren folglich nicht als rein ökonomischen Vorgang, dem der Einzelne (mehr oder weniger wehrlos) ausgeliefert ist, sondern als einen (aktiven) Akt sozialen Austausches. Appadurais Definition ermöglicht eine differenzierende Beschreibung von Greenblatts Formel von der „Zirkulation sozialer Energien“: Liest man vor dem Hintergrund von Appadurais Definition nochmals Greenblatts Bestimmung sozialer Energien („power, charisma, sexual excitement, collective dreams, wonder, desire, anxiety, religious awe, free-floating intensities of experience“), so ist auffällig, dass Greenblatt sich allein auf immaterielle Elemente bezieht - auf diese Weise gelangt er zu einer Idealisierung der Zirkulation über den Bereich des Materiellen hinaus. Gleichzeitig aber schreibt er so die Grenze zwischen ‚Theater’ und ‚Welt’, die er an anderer Stelle entschieden kritisiert, 110 fest, indem er seinen Begriff Zirkulation auf Abstrakta fokussiert und damit von den ökonomischen Entwicklungen einer Gesellschaft (fast) vollkommen abtrennt. Simmel hingegen deutet verschiedentlich an, dass Objekte und Immaterielles nicht a priori zu trennen sind. 111 Die von Greenblatt implizierte Trennung zwischen der Sphäre der Kunst und jener der Ökonomie führt aber zu jenem ‚Verstummen’ des Auditoriums, die das Gleichgewicht der Zirkulation so prekär stört: Denn in gewisser Weise stellt sich auch das Theater als ein (Tausch-) Handel dar, bei dem der Zuschauer nicht allein durch seine Anwesenheit, sondern eben auch durch Geld aktiv Teil an der Zirkulation hat. Aufgrund der oftmals schwierigen Quellenlage erscheint eine (heuristische) Operationalisierung der aktiven Beteiligung des Publikums als problematisch, jedoch werden die Konturen dieses Verhältnisses erkennbar, wenn man bereit ist, die ökonomische Dimension des Theaters, etwa seine Organisationsstruktur, ernst zu nehmen und nicht als eine Zufälligkeit beiseite zu schieben. Gerade wenn man sich bewusst macht, dass die in dieser Arbeit zur Rede stehende Epoche gekennzeichnet ist durch die Öffnung des Theaters für marktwirtschaftliche Strukturen - als Rahmendatum sei hier nur die Gewährung der Gewerbefreiheit 1869 bzw. 1871 genannt -, wird erkennbar, dass Theater nicht allein im Sinne einer bürgerlichen Bildungsanstalt zu bestimmen ist. Vielmehr wird man seine gesellschaftliche Position (und damit seine sozio-kulturelle Funktion) erst in den Blick gewinnen, wenn es gelingt, die ästhetische, ethische und ökonomische Dimension mit zu berücksichtigen. Appadurais Definition von Konsum bzw. Waren bietet hierfür einen guten Ausgangspunkt, weil er nicht der verallgemeinernden Annahme folgt, 109 Appadurai 1986, 31. 110 Vgl. Greenblatt 1988, 4f. 111 Vgl. hierzu etwa Simmel 2001, 502-533. 38 dass in der kapitalistischen Gesellschaft alles zur Ware würde, 112 sondern von einer zeitlichen Phase im ‚Leben’ eines Gegenstandes ausgeht, in der dieser zur Ware werden kann: I propose that the commodity situation in the social life of any ‘thing’ be defined as the situation in which its exchangeability (past, present, or future) for some other thing is its socially relevant feature. 113 In diesem Sinne kann man auch die Theaterinszenierung als eine komplexe commodity situation im Sinne Appadurais bestimmen, denn hier treten verschiedene Objekte in einen Austauschprozess ein: 114 Schauspieler, Texte, Bilder bzw. Elemente des kollektiven Imaginären, aber auch in einem weiteren Sinne soziale Kategorien, die gezeigt und damit verhandelt werden. Im Prozess der Zirkulation werden sie vom Auditorium entweder akzeptiert oder verworfen. Vor diesem Hintegrund lässt sich Greenblatts Bestimmung vom Theater als privilegiertem Ort sozialer Energie in einem neuen Lichte lesen: Die Bühne 115 ist durch ihre spezifische semiotische Konstitution ausgezeichnet, sie ist aber vor allem ein Schnittpunkt zwischen der Sphäre der Öffentlichkeit und dem Markt. Der Bezug zum Diskurs des Nationalismus, der sich in Deutschland im 18. Jahrhundert bildet, komplettiert diese Stellung als Schnittpunkt zwischen verschiedenen, kulturell und sozial zentralen Imaginationsorten. Ausgehend von dieser weit gefassten Idee der Zirkulation kann sich ein historiographischer Ansatz nicht länger auf eine rein ideen- oder sozialgeschichtliche Betrachtungsweise beschränken, sondern muss vielmehr versuchen, die vielfältigen Ebenen der Zirkulation und Überlagerung nicht als Sonder- oder marginale Formen, sondern als konstitutives Moment für die Bestimmung der sozialen Funktion von Theater zu verstehen. 112 Igor Kopytoff hat ohnehin darauf verwiesen, dass die stets angenommene Zäsur durch die kapitalistischen Wirtschaftsbedingungen sich aus anthropologischer Perspektive in dieser Schärfe nicht aufrecht erhalten lässt; vgl. Kopytoff 1986, 72. 113 Appadurai 1986, 13. 114 Vgl. hierzu besonders auch Balme 2005, 2-4. 115 In diesem Punkt muss man auf eine entscheidende Analogie zwischen dem Elisabethanischen Theater und dem bürgerlichen Theater des 19. Jahrhunderts verweisen: Beide Theaterformen, so verschieden ihr geistesgeschichtlicher Kontext auch ist, ähneln sich dahingehend, dass sie durch ihre Profitorientierung in einem besonderen Verhältnis zu ihrem Auditorium - und damit auch im Kreislauf der Zirkulation - standen. Insofern lässt sich hier eine Verbindung zwischen Greenblatts Renaissance- Studien und Lee/ LiPumas Ansatz, der sich eindeutig auf die gesellschaftlichen Bedingungen der Moderne bezieht, herstellen. 39 Die Bühne als Schauplatz und Objekt bürgerlicher Selbstdarstellung Theater als kulturelle Institution um 1900 war auf vielfältige Weise in die Strukturen der Selbstdarstellung und Identitätspolitik eingebunden. In einer ersten Annäherung kann man dies besonders auf drei Ebenen beobachten: - Auf der Ebene des Dargestellten: Die auf der Bühne in Szene gesetzten Bilder und Vorbilder thematisierten auf unterschiedliche Weise die Lebenssituation des Publikums. Dies konnte direkt geschehen - in Form von Dramen und Inszenierungen, die aktuelle Fragen explizit aufgreifen, man denke hierbei nur an das Aufkommen der Salonkomödien 116 - oder mittelbar durch die Inszenierung von kanonischen Werken. In jedem Fall stellte sich die Bühne als ein institutionalisierter und legitimierter Schnittpunkt zwischen dem Imaginären und den verschiedenen performativen Praktiken dar. - Auf der Ebene der Rezeption: Begreift man den Theaterbesuch als einen Moment (kulturellen) Konsums, so wird deutlich, dass es sich um einen aktiven Akt sozialer und kultureller Teilhabe handelte. Hierbei kommt es keineswegs auf die ungeteilte Zustimmung zum Gezeigten an - im Gegenteil -, allein der Konsum markiert den kulturellen Ort des Theaters. - Auf der Ebene der organisatorischen Form des Theaters: Die Liberalisierung der Theaterlandschaft durch die Einführung der Gewerbefreiheit 1869 bzw. 1871 führte nicht einfach nur zu einer quantitativen Vervielfachung des Theaters, 117 sondern auch, über die wirtschaftliche Organisationsform, zu einer unmittelbaren Abhängigkeit von ihrer kulturellen und sozialen Akzeptanz. Diese Abhängigkeit - ungeachtet ihrer Licht- und Schattenseiten - sorgte für eine Dynamisierung der Institution Theater. Folgt man den vorstehenden Überlegungen und blickt hiervon ausgehend auf die vorliegende theaterhistorische Forschung, so stellt man fest, dass diese, was das 19. Jahrhundert betrifft, von veritablen Lücken geprägt ist. Das 19. Jahrhundert dient oftmals nur als Negativfolie, die - von einigen Lichtpunkten, wie den Meiningern, der Freien Bühne oder einzelnen Künstlern, abgesehen - im Wesentlichen dazu dient, das neue, moderne Theater, das mit der Historischen Avantgarde sich konstituiert, umso strahlender zeigen zu können. So urteilt Brauneck in seiner umfassenden, mehrbändigen Theatergeschichte Europas über die sich bildenden Privattheater des späten 19. Jahrhunderts: Als ‚Geschäftstheater’ orientierte sich die Mehrzahl der privatwirtschaftlich betriebenen Theaterunternehmen ausschließlich am Geschmack des Publikums und 116 Vgl. hierzu einführend Fambach 1952. 117 Vgl. hierzu bspw. die Zahlen, die Brauneck 1999, 625, angibt. 40 den Gegebenheiten des Marktes. In der Praxis führte dies dazu, daß in diesem Theaterbereich überwiegend anspruchslose Unterhaltungsstücke, vornehmlich die um 1900 so populäre Operette aufgeführt wurde. 118 Diese teleologische Perspektive, die sich mit anderer Schwerpunktsetzung auch in weiteren Historiographien finden lässt, konzipiert das 19. Jahrhundert als mangelhafte Vor-Geschichte, deren Aporien erst durch später auftauchende Formen gelöst werden. 119 Um den eigenen historiographischen Standpunkt besser bestimmen zu können, ist es notwendig, sich zu vergegenwärtigen, dass diese Schwarz-Weiß-Zeichnung, die das Theater des 19. Jahrhunderts großteilig als kommerzielle, profitorientierte Massenware abqualifiziert, bereits in den zeitgenössischen Theatergeschichten angelegt ist. So schreibt Max Martersteig (1853-1926) in seiner Abhandlung „Das deutsche Theater im neunzehnten Jahrhundert“ (1904): Die Ausdehnung der Gewerbefreiheit auf die theatralischen Unternehmungen aller Art war kaum Gesetz geworden, als sich die Spekulation, ersichtlich schon lange gerüstet, beeilte, die dargebotenen Chancen auszunutzen. […] In den Tingeltangeln wurde eine Gattung Dramatik eingeführt, die den erbärmlichen Abhub der Possen, Operetten und Volksstücke, zu fürchterlichen monstra zusammengeknetet, aufwies, in denen der Couplet-Komiker und die Chansonnette, als dramatis personae glänzten. 120 Die Operette wird für Martersteig zum Inbegriff des künstlerischen und sittlichen Verfalls des Theaters und der Gesellschaft: Mit der theatralischen Massenproduktion, die Hand in Hand ging mit der wirtschaftlichen Entwicklung, mit der Verzehnfachung einer zahlungsfähigen Jeunesse dorée, wucherten auch bei uns solche Erscheinungen [wie in Paris und London] empor. Schon durch die Pflege der Operette war an den Theatern der Verbrauch von wenig aber gut angezogenen Mädchen bedeutend gewachsen; nun kam der Zirkus dazu, das Varieté, die Possentheater mit dem Genre der dramatischen Revues: so viel Gelegenheit für jene zweifelhafte Gattung der Weiblichkeit, die ein Rest von Stolz zwar die gröbere Art der Prostitution verabscheuen läßt, die aber die unterstützende Freundschaft eines Jobbers oder besseren Commis - durch den Titel der ‚Künstlerin’ in eine höhere Weihe gerückt -, für durchaus wünschenswert hält. 121 Martersteig drückt seine Kritik nicht nur mit der Gleichsetzung von Prostitution und Schauspielerei aus - eine Verbindung, die zwar durchaus historisch gegeben ist, die aber ebenso sehr zu einem Topos der Kulturkritik geworden ist -, sondern auch, indem er sprachlich das Vokabular des Wirtschaftslebens übernimmt, wenn er etwa vom „Verbrauch“ von Men- 118 Brauneck 1999, 632. Mit ähnlicher Argumentation aber (zeitentsprechend) stärker im marxistischen Jargon vgl. auch Brauneck 1974, 7-10. 119 Bemerkenswert ist in diesem Kontext allerdings, dass als Referenzpunkt dieser Argumentationslinie letztlich immer noch ein Theaterideal angesehen wird, dessen wirkungsästhetisches und ethisches Fundament eigentlich im 18. Jahrhundert liegt. 120 Martersteig 1904, 631. 121 Martersteig 1904, 634. 41 schen spricht oder an anderer Stelle die unersättliche „Nachfrage nach theatralischem Menschenmaterial“ 122 beklagt. Er verortet diesen Niedergang in Berlin, das „nun in jeglichem Sinne die Zentrale der theatralischen Kultur wurde.“ 123 Dies bedeutet für ihn nicht nur eine regionale Spezifizierung, sondern der Ortsname wird zu einer Chiffre der als orientierungslos gekennzeichneten Großstadt. In diesem Sinne bedient er sich einer Reihe anti-moderner, nostalgischer Topoi, wie der Beschreibung der Gesellschaft als Plutokratie 124 und prunksüchtig 125 sowie vor allem der Nervosität als Kennzeichen des modernen Großstadtmenschen. 126 Wie sehr diese von Martersteig entwickelte Argumentation einer allgemeinen Einschätzung entsprach, enthüllt ein Blick auf die Studie „Das Theater der Reichshauptstadt“ (1904) von Siegfried Jacobsohn (1881-1926), der ebenfalls die Urbanisierung als Motor der Theaterentwicklung beschreibt: In dieses Zentrum [des vereinten Deutschlands] wälzten sich von allen Seiten der bewohnten Erde, und namentlich von Osten her, Kapital und Arbeit, Mammon und Menschenmassen. Stadt und Bevölkerung wuchsen im Sturm, und über die Bevölkerung kam ein Taumel. 127 Jacobsohns Beschreibung, die das Wachstum der Stadt mit dem Bild der Lawine als Naturkatastrophe imaginiert, deutet das Großstadtleben von Anfang an als ungesundes, gar unnatürliches, kulturelles Klima. Diese drängende, trügerische Hetze mußte der Physiognomie des werdenden Weltstädters den entscheidenden Zug geben. […] Die harte Schaffenskraft eines rasenden Verkehrs, der atemlose Interessenskampf einer entwurzelten Emporkömmlingskaste erzeugte übermüdete, reizbare, abwechslungsbedürftige Nerven - Großstadtnerven. […] Hatte Berlin auch im Gesamtzuge der Entwicklung das strenge Gepräge der großen Unternehmungen und der rastlosen Arbeit erhalten - das Getriebe des Tages bestimmten vorerst der materielle Dünkel, die niedrige Erfolgsanbetung, die Sensationsgier der industriell und gesellschaftlich ‚Angelangten’. 128 Jacobsohn verbindet in seiner Zeitdiagnose typische Motive der Großstadtkritik, 129 die sich auch bei Martersteig finden, mit einer sozialen Beschreibung, die die „industriell und gesellschaftliche Angelangten“ gegen das traditionelle Bildungsideal stellt. Auch in den teureren Theatern saß jetzt ein Publikum, dessen Aufnahmefähigkeit nicht über eine Reihe bunter Bilder, ein leichtes Ballet, eine prickelnde Musik hinausreichte. Die neue Unrast des ganzen täglichen Daseins mit ihren gehäuften 122 Martersteig 1904, 632. 123 Martersteig 1904, 633. 124 Vgl. Martersteig 1904, 485. 125 Vgl. Martersteig 1904, 487. 126 Vgl. Martersteig 1904, 489f. 127 Jacobsohn 2005, 12. 128 Jacobsohn 2005, 13. 129 Als paradigmatisch hierfür kann Simmels Analyse der Großstadt angesehen werden; vgl. Simmel 1903. 42 Ansprüchen an das moderne Nervensystem half Feerien erzeugen, in denen der Verstand keinen Sinn entdeckte, die aber erschlaffte Nerven für einen Abend angenehm zu beleben vermochten. Diese Nerven gehörten Leuten, die […], so tüchtig sie im übrigen sein mochten, doch ohne die nötige Erziehung waren, um ein wahrhaft künstlerisches Verlangen hegen zu können. 130 Referenzpunkt dieser ‚Verlustdiagnose’ ist sowohl das „Theater als moralische Anstalt“ im Sinne Schillers als auch der Traum von einem Nationaltheater, dessen Nicht-Erfüllung vor dem Hintergrund der vollzogenen politischen Vereinigung umso schmerzlicher hervortreten musste. 131 Weder wird von den beiden Autoren die soziale Mobilität als Chance, noch die entstehende Vielfalt von Theatern und -formen als Fülle verstanden: „In Berlin tobte die Theaterwut, grassierte eine wahre Theaterepidemie, aber eine Epidemie pflegt nicht Leben zu erzeugen.“ 132 So verfallen dem Verdikt der „Überpfefferung der Anziehungsmittel“ 133 nicht nur einzelne (seinerzeit sehr erfolgreiche) Autoren, wie Paul Lindau (1839-1919), Adolphe L’Arronge (1838-1908), Oscar Blumenthal (1852-1917) oder Gustav von Moser (1825-1903), sondern auch ganze Theaterformen, wie das Café chantant, das Varieté oder der Zirkus. Auch die Übernahme von Formen und Vorlagen aus London, Paris oder Wien, die bspw. zur Herausbildung der Lokalposse von David Kalisch (1820-1872) führten, werden nicht als positive Impulse, sondern eher als Mangel an eigener Substanz beschrieben. Es wäre zu einfach, diese Perspektive als schlichtweg anti-modernistische Nostalgie (miss-) zu verstehen - im Gegenteil, gerade Martersteig und Jacobsohn erweisen sich ansonsten als überaus aufgeschlossen für ästhetische Neuerungen und sozialkritische Perspektiven. Vielmehr - und gerade dies wirkt sich eben auf die Theatergeschichtsschreibung als prägend aus - sind für beide diese Defizite die Fluchtlinien, an denen das Neue Gestalt gewinnt. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich Jacobsohns Reinhardt-Buch (1910) ansieht, in dem er mit explizitem Bezug auf seine frühere Schrift, Reinhardt als ‚Erlöser’-Figur dieser Vor-Geschichte beschreibt: Damit knüpft dieses Buch an mein erstes Buch an und stellt einen historischen Zusammenhang her. Das „Theater der Reichshauptstadt“ schildert, wie Berlin die erste Theaterstadt Deutschlands wurde. Es erklärt aber auch, warum Berlin, trotz der ungeheuern Arbeit, die es an sein Theaterwesen gewandt hat, bis ins Jahr 1904 zu keinem Theater gelangt ist, das sich ohne Überhebung Deutsches Theater hätte nennen dürfen. Die Leistung eines solchen Theaters müßte, sagte ich, eine Synthese der Leistung von L’Arronge und von Brahm bilden, die beide ein Halbtheater […] geführt haben. Das neue Buch, das also nicht ohne Absicht mit dem Jahre 1905 einsetzt, verkündet es als Reinhardts Ruhm, die ersehnte Synthese geschaffen zu haben. 134 130 Jacobsohn 2005, 15f. 131 Dies findet sich sowohl bei Martersteig 1904, 471-473, als auch bei Jacobsohn 2005, 14. 132 Jacobsohn 2005, 26f. 133 Jacobsohn 2005, 17. 134 Jacobsohn 1910, VIII. 43 Eine kritische Lektüre dieser Beschreibungen ist gerade deswegen zur Bestimmung der eigenen historiographischen Position so instruktiv, weil diese zum einen immer noch als Referenzpunkte der Theatergeschichtsschreibung in Anspruch genommen werden, zum anderen, weil an ihnen gezeigt werden kann, in welchem Maße die soziale Dynamik dieser Epoche ausgeklammert bzw. als kultureller Störfall abgelehnt wird. In diesem Licht aber ist der hier projektierte Ansatz nicht nur als Füllen bestehender Lücken oder als eine Gegen-Geschichte zu verstehen, sondern als der Versuch, das Theater als zentralen Ort und konstitutives Medium dieser dynamischen Gesellschaft zu beschreiben. 44 Ein theatralisches Zeitalter? Was wir an deutscher Kultur besitzen, ist nur für Helden und Heldenmomente. Und diese giebt es so wenig und so selten. Deshalb giebt es so wenig und so selten Kultur bei uns. - Kultiviert sein heißt, einer Lebenslage oder einer Frage, die sich bietet, gewachsen zu sein. Der Deutsche ist immer nur Ausnahmslagen und metaphysischen Fragen gewachsen. Wenn er essen will, oder sich anziehen, sich einrichten, Konversation machen soll, findet er keine deutschen Formen. Er muss dann deshalb notgedrungen undeutsch oder unkultiviert sein. Harry Graf Kessler 135 Gerade hier: in Kost und Kleidung, Ball und Begräbnis, Korrespondenz und Couplet, Flirt und Komfort, Geselligkeit und Gartenkunst offenbart sich der Mensch jedes Zeitalters in seinen wahren Wünschen und Abneigungen, Stärken und Schwächen, Vorurteilen und Erkenntnissen, Gesundheiten und Krankheiten, Erhabenheiten und Lächerlichkeiten. Egon Friedell 136 Das im Titel des Buches so selbstbewusst postulierte theatralische Zeitalter wird in den nachfolgenden Kapiteln zu entdecken und zu kartographieren sein. Daher soll an dieser Stelle keine eingehendere Diskussion erfolgen, gleichwohl erscheinen einige Bemerkungen hilfreich, um Missverständnisse oder falsche Erwartungen zu vermeiden. In der theaterwissenschaftlichen Forschung hat sich seit einiger Zeit ein Bemühen um eine begriffliche Differenzierung etabliert, das darauf zielt, dem alltagssprachlichen Gebrauch, der nicht zimperlich das Theater (auf allen Ebenen und in allen Schattierungen) für sich in Anspruch nimmt, von der wissenschaftlichen Terminologie zu differenzieren. So hat sich etwa das Adjektiv theatral durchgesetzt, um nicht das mit vielen pejorativen Obertönen behaftete theatralisch verwenden zu müssen. Ist also bereits der Titel ein Ausweis für mangelnde Rücksicht gegenüber terminologischen Gepflogenheiten? Mitnichten, die Formulierung zielt vielmehr genau auf dieses Moment des „Zur-Schau-Stellens“, das im alltäglichen Sprachgebrauch ja gerade oftmals jenseits der Bühne angesiedelt wird. Denn die hier behauptete kulturelle Zentralstellung von Theater und theatralen Praktiken wird sich schließlich nur dann einlösen lassen, wenn es 135 Kessler 2004, 475. 136 Friedell 2005, 23. 45 gelingt, die Wechselwirkungen und Verwindungen unterschiedlicher Gesellschafts- und Lebensbereiche nachzuzeichnen. Diese Mutmaßung kann sich durchaus auf entsprechende Forschungsergebnisse stützen: So hat etwa David Blackbourn in seinem Aufsatz „Politics as Theatre“ (1987) eindrucksvoll zeigen können, dass das Theater dem politischen Diskurs nicht nur als Metapher diente, sondern eine Denkfigur mit weitreichenden Implikationen war. An diese Überlegungen anschließend konnten Johannes Paulmann und Martin Baumeister zeigen, wie sehr Theater zu einem Leitmodell von Öffentlichkeit wurde. 137 Diese Form der Öffentlichkeit basierte auf der Differenzierung der Gesellschaft, ihrem Wachstum und der steigenden Bedeutung der Städte. Kaspar Maase hat in diesem Zusammenhang das widersprüchliche Bild einer Gesellschaft gezeichnet, deren innere Differenzierung immer stärker zunahm, 138 die gleichzeitig aber - vor dem Hintergrund des neuen Phänomens der Freizeit - mit der Populärkultur eine Sphäre schuf, in der sich die unterschiedlichsten sozialen Gruppen begegnen konnten: Populäre Bühnen und Rummelplätze, große Zirkusse und Panoramen zogen Besucher durchaus unterschiedlicher Herkunft an, und der Abstecher ins Reich der gewöhnlichen Vergnügungen hatte in den Oberschichten Tradition. 139 Dass diese Phänomene des Übergangs in der Geschichtsschreibung bislang nur unzureichend Berücksichtigung gefunden haben, ist zum einen mit den historischen Quellen begründet, die aus Gründen der Distinktionspolitik klare Grenzen postulieren, 140 zum anderen mit einem Verständnis von Öffentlichkeit, das entscheidend durch Jürgen Habermas und seine Studie „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ ( 1 1962) geprägt ist. Habermas konstruiert als Ideal eine „kulturräsonnierend[e] Öffentlichkeit“ 141 , deren Anfänge er im 18. Jahrhundert situiert 142 und die er den Massenmedien und der Massenkultur entgegenstellt, welche er nur als Symptome des Verfalls bzw. als Teil eines Verblendungszusammenhangs beschreibt: [A]nstelle der literarischen Öffentlichkeit tritt der pseudo-öffentliche oder scheinprivate Bereich des Kulturkonsums. […] Wenn die Gesetze des Marktes, die die Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit beherrschen, auch in die den Privatleuten als Publikum vorbehaltene Sphäre eindringen, wandelt sich das Räsonnement tendenziell in Konsum, und der Zusammenhang öffentlicher Kommunikation zerfällt in die wie immer gleichförmig geprägten Akte vereinzelter Rezeption. 143 Obwohl Habermas im Vorwort zur Neuauflage 1990 darauf verwiesen hat, dass einige seiner Annahmen und Schlussfolgerungen der Präzisierung oder 137 Vgl. Paulmann 2000 und Baumeister 2005. 138 Maase 2001, 24f. 139 Maase 2001, 63. 140 Hierauf verweist Maase 2001, 58-61. 141 Habermas 1990, 15. 142 Vgl. aus historischer Perspektive kritisch zu Habermas Gestrich 2006. 143 Habermas 1990, 248f. 46 Revision bedürfen, 144 hat sich die kulturpessimistische Grundeinschätzung in vielen Studien durchgesetzt. So entwickelt etwa Werner Faulstich in seiner Mediengeschichte „Medienwandel im Industrie- und Massenzeitalter (1830-1900)“ (2004) einen sozialgeschichtlichen Horizont, der neuere Ansätze der Bürgerlichkeitsforschung explizit verwirft 145 und stattdessen von einer Differenzierung in Bürger und Kleinbürger ausgeht. Dass diese Differenzierung auch aus heuristischen Gründen nur bedingt geeignet ist, wird deutlich, wenn Faulstich etwa im Zusammenhang mit den aufkommenden Illustrierten auf deren „gesellschaftsübergreifende Bedeutung“ 146 verweist. Da sich auch für andere Medien und Institutionen ein solch übergreifender Charakter beschreiben lässt, ist es aus methodischer Perspektive aussichtsreicher, sich von solchen Stratifikationen zu lösen und eher die Spuren des sozialen Mäanderns als eine Form von Öffentlichkeit sui generis zu beschreiben. Dies entspricht Jonathan Crarys Feststellung, dass das 19. Jahrhundert durch eine Proliferation von Bildern und (sozialen) Zeichen geprägt ist. Hierfür stützt er sich auf Jean Beaudrillard (1929-2007). In einer Kasten- oder Ständegesellschaft gibt es keine Mode, denn die Zuordnung ist allumfassend und die Beweglichkeit innerhalb der Klassen gleich Null. Ein Verbot schützt die Zeichen und sichert ihnen eine absolute Klarheit: jedes verweist zweifelsfrei auf einen Status. […] In den Kastengesellschaften, den feudalen oder archaischen Gesellschaften, in den grausamen Gesellschaften, sind die Zeichen zahlenmäßig begrenzt, ihre Verbreitung ist beschränkt, jedes hat den Wert eines Verbots, jedes bedeutet eine wechselseitige Verpflichtung zwischen Kasten, Clans oder Personen: sie sind also nicht willkürlich. Die Willkürlichkeit der Zeichen entsteht, wenn es, statt zwei Personen durch eine unauflösliche Wechselbeziehung zu verbinden, als Signifikant auf ein entzaubertes Universum der Signifikate verweist, als gemeinsamer Nenner der realen Welt, dem gegenüber niemand mehr eine Verpflichtung hat. 147 Crary folgert hieraus: Thus for Baudrillard modernity is bound up in the capacity of newly empowered social classes and groups to overcome the ‚exclusiveness of signs’ and to initiate ‚a proliferation of signs on demand.’ 148 Das Theatralische, die Verfügbarkeit und Konsumierbarkeit sozialer Zeichen, ist also mitnichten ein reines Nachahmen höher gestellter Schichten, sondern bildet eine neue Form der Öffentlichkeit, in der durch die Zirkulation von Bildern soziale Beziehungen erst hergestellt werden und unterschiedliche Identitätsmodelle und Machtansprüche miteinander interagieren und konkurrieren. Das Moment des Theatralischen verdoppelt sich im Konsum nochmals: Konsum ist ein Akt kultureller Teilhabe, dem durch seine öffentliche Form 144 Vgl. vor allem zur Frage des Medienkonsums Habermas 1990, 30-33. 145 Vgl. bes. Faulstich 2004, 15-17. 146 Faulstich 2004, 74. 147 Baudrillard 1991, 80. 148 Crary 1992, 12. 47 ein Moment sozialer Selbstverortung eignet. Thorstein Veblen (1857-1929) hat dies im Begriff der Conspicuous Consumption zusammengefasst: „Conspicuous consumption of valuable goods is a means of reputability to the gentleman of leisure.“ 149 Löst man sich von einem idealistischen Begriff der Öffentlichkeit, so wird das Theatralische als Ausdruck und Katalysator sozialer Mobilität erkennbar. Während das Theatralische als heuristischer Arbeitsbegriff zu begründen ist, bedarf der Begriff des Zeitalters eingehenderer Erklärung. Die gebräuchliche Rede vom „langen 19. Jahrhundert“ 150 , die sich auf einen Zeitraum von 1789 bis 1918 beziehen kann, hat in den letzten Jahren in der historischen Forschung zunehmend Widerspruch erfahren. So hat sich etwa Paul Nolte in seinem Aufsatz „1900: Das Ende des 19. und der Beginn des 20. Jahrhunderts in sozialgeschichtlicher Perspektive“ (1996) eingehend mit den unterschiedlichen Periodisierungen auseinandergesetzt. Auf der Grundlage eines historiographischen Selbstverständnisses, das sich nicht auf einzelne Parameter, sondern auf eine Zusammenschau vielfältiger Entwicklungen stützt, plädiert er für eine stärkere Betonung der Wende um 1900 als einer eigenständigen historischen Phase: [E]s spricht alles dafür, der sozialgeschichtlichen Zäsur der Jahrhundertwende historiographisch mehr Anerkennung als bisher zu verschaffen, und das insbesondere dann, wenn man von der Überlegenheit einer strukturgeschichtlichen Sichtweise einerseits und eines (im weiten Sinne) sozial- und kulturgeschichtlich geformten Geschichtsbildes andererseits ausgeht und dies als methodischen Appell ernst nimmt, anstatt sich heimlich wieder der konventionellen politischen Periodisierung anzupassen. 151 Nolte begreift die Zeit um 1900 als eine Phase intensiver Modernisierung, in der sich auf vielen gesellschaftlichen und kulturellen Feldern nachhaltige Verschiebungen abzeichnen: Die Entwicklung von der „Bürgerstadt“ zur Großstadt, 152 die Ausdifferenzierung der Wissenschaften 153 sowie das Entstehen neuer Formen der Öffentlichkeit 154 bzw. des Konsums. 155 Einer theatergeschichtlichen Perspektive kommt ein solches Verständnis sehr entgegen, weil sich das Theater in seiner ästhetischen Ausrichtung wie in seiner organisatorischen Struktur als ein Brennspiegel dieser Entwicklungen lesen lässt. Seit Gewährung der Gewerbefreiheit 1869 vollzog sich ein Wandel, der die Theaterlandschaft in ihren Grundfesten veränderte. Eine zeitliche Grenze kann man im Ausbruch des Ersten Weltkriegs sehen, nach dessen Ende sich unter den Bedingungen der Weimarer Republik das Theater neu ausrichtete. 149 Veblen 2001, 57. 150 Vgl. hierzu Kocka 2001, 138-154. 151 Nolte 1996, 298. 152 Vgl. Nolte 1996, 288. 153 Vgl. Nolte 1996, 295. 154 Vgl. Nolte 1996, 292f. 155 Vgl. Nolte 1996, 295f. 48 Dass der hier umrissene Zeitraum in politischer Hinsicht mit dem wilhelminischen Kaiserreich sich überschneidet, ist bedeutungsvoll, zumal das Kaiserreich in der historischen Forschung in den letzten Jahren eine deutliche Neubewertung erfahren hat. 156 Gleichzeitig wäre es zu kurz gegriffen, wenn man das „theatralische Zeitalter“ mit dem Wilhelminischen zur Deckung brächte. Vielmehr sucht dieser Titel den kulturgeschichtlichen Fokus zu betonen, der es auch erlaubt, die Übergängigkeiten mit in den Blick zu nehmen. So sollen auch die Ränder der Betrachtung nicht trennscharf gezogen werden, sondern vielmehr werden die genealogischen Linien dort, wo es zur Klärung des Arguments beiträgt, weitergezogen. Insofern ist die zeitliche Unschärfe, die der Untertitel mit seiner Formulierung „um 1900“ mit sich bringt, durchaus beabsichtigt. Im Zentrum soll weniger eine eindeutige Periodisierung als vielmehr die Analyse kultureller Wandlungsprozesse stehen. Ansatzpunkte, diese Dynamik nachzuzeichnen, sind jene Konzepte, die auf der politischen und kulturellen Agenda einen hohen Stellenwert einnahmen, wie das Konzept der Nation - gerade auch im Wechselverhältnis zur Idee von Bürgerlichkeit bzw. Ethnizität 157 : Hatte die ‚Reichsgründung’ 1871 formal zwar den Nationalstaat geschaffen, so war damit keineswegs für die Implementierung einer zentralen, integrativen Leitidee für die Lebenswelt gesorgt. 158 Vielmehr korrespondierte die Weiterung des Begriffs der Bürgerlichkeit gerade nicht mit einer Gleichsetzung des Konzepts von Nation im Sinne einer Bürgernation, sondern ließ vielmehr die Idee des Volks im Sinne einer ethnischen Einheit wichtiger werden. Die rechtliche 156 Hier wären eine Reihe von Einzelstudien zu nennen, die aber an entsprechender Stelle im Laufe der Arbeit ausführlich diskutiert werden. Exemplarisch für diese Neuansätze, die stärker die Momente der Modernisierung und der daraus resultierenden Spannungen innerhalb der Gesellschaft betonen, sei hier auf Berman 2001 verwiesen. 157 Ethnizität wird im Folgenden im Anschluss an gängige kulturwissenschaftliche Ansätze nicht als biologisches Kriterium, sondern als Teil einer kulturellen Tradition verstanden; vgl. hierzu bspw. Erdheim 1993, 165. Vielmehr soll mit Werner Sollors von einer grundsätzlichen Konstruiertheit von Ethnizität als relationaler Kategorie ausgegangen werden: „Does not any ‚ethnic’ system rely on an opposition to something ‚non-ethnic,’ and is not this very antithesis more important than the interchangeable content […]? Such questions are inspired by some newer anthropological, sociological, and historical thinking, according to which ethnicity is not so much an ancient and deep-seated force surviving from the historical past, but rather the modern and modernizing feature of a contrasting strategy that may be shared far beyond boundaries within which it is claimed. It marks an acquired modern sense of belonging that replaces visible, concrete, communities whose kinship symbolism ethnicity may yet mobilize in order to appear more natural.”; Sollors 1989, xiv. 158 Diesen Prozess der Implementierung als soziale Notwendigkeit haben sowohl Anderson 1983 als auch Hobsbawm 1983 aufgezeigt. Heinrich August Winkler hat in diesem Kontext darauf verwiesen, dass die Reichsgründung nur eine Etappe in der Geschichte des Nationalismus darstellt: „Die Nationenbildung begann nicht mit der Gründung eines deutschen Nationalstaats, und sie hörte nicht mit ihr auf. Sie trat vielmehr in ein neues Stadium. Im weiteren Sinn gehörte zum Prozeß der Nationenbildung alles, was den Deutschen ein Bewußtsein von Gemeinsamkeit über die Grenzen des Territorialstaates hinweg vermittelte: obenan Sprache, Kultur, Geschichte.“; Winkler 2000, 215. 49 Gleichstellung aller Bürger beschwor die Idee der Nation als ethnischer Gemeinschaft herauf und schuf damit für den Diskurs ein unhintergehbares Unterscheidungsmerkmal, das der Idee bürgerlicher Gleichheit ein Ende zu setzen suchte. 159 Der Aufstieg des Antisemitismus zum sozialen Code, 160 durch den man sich sozial und politisch positionierte, ist ein Symptom der Spannungen innerhalb der deutschen Gesellschaft, die eben soziale Mobilität immer auch ängstlich zu bannen suchte. Shulamit Volkov hat aus dieser Konstellation eine historiographische Prämisse entwickelt: Sie fordert mit Blick auf die jüdische Geschichte in Deutschland, dass es der Anspruch einer umfassenden Historiographie sein müsse, die Auseinandersetzung von Majorität und minoritären Gruppen nicht länger als ‚Sonderfall’ zu begreifen, sondern als konstitutiven Bestandteil von Geschichte: Vielleicht sollten in einer wirklich postmodernen Historiographie interne jüdische Angelegenheiten nicht mehr an den Rand gehören. Eher könnten sie als weiteres Kapitel bei der Zusammensetzung des vielseitigen Puzzles aus sozialen Elementen einer Gesellschaft dienen, die jetzt voller Unterschiede und sogar Verschrobenheiten zu sein scheint. […] Eine Geschichte der europäischen Länder, frei vom Nationalismus und dem Ideal des Nationalstaats, muß daher noch geschrieben werden. Nur darin würde die Geschichte der Minderheiten aller Art zu ihrem Recht kommen. Die jüdische Geschichte, eine Geschichte, welche die gesamte Skala der verschiedenen Narrativen [sic! ] wiedergibt, ein Prototyp aller Minderheitenberichte, könnte dann endlich aus ihrem Dasein am Rande errettet werden. In diesem neuen Kontext könnte sie nicht nur für die Juden lehrreich sein, sondern auch für alle, die ernsthaft wünschen, die Neuere Geschichte nochmals zu überdenken; für diejenigen, die bereit sind, mit neuen Betrachtungsweisen zu experimentieren. 161 Diese Forderung nach einer Geschichte jenseits des Nationalstaats kann, um einen Gedanken von Peter Burke aufzugreifen, zu einer vielstimmigen Kulturgeschichte führen, 162 die Brüche und Widersprüche nicht zu glätten sucht oder einem teleologischen Entwicklungsschema unterordnet, sondern als Ausweis der Komplexität Gehör verschafft. So gesehen will der Begriff des theatralischen Zeitalters keine trennscharfe Linie sein, sondern ein ‚Dach’, um diese Polyphonie kultureller Selbstverortung nachzuzeichnen. Um sich diesem Prozess zu nähern, wird in den ersten beiden Kapiteln das Verhältnis von Theater und kanonischer Literatur - hier verstanden als Teil des kollektiv Imaginären - untersucht. Dies erfolgt in zwei Schritten: Zunächst wird die Bühnengenealogie von Schillers „Wilhelm Tell“ nachgezeichnet, das nicht nur besonders häufig gespielt wurde, sondern auch ein 159 Volker Ullrich hat darauf verwiesen, dass die Idee des Nationalismus im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Veränderung erfährt, in deren Verlauf sie immer mehr „zu einer illiberalen, staatskonformen Integrationsideologie [wurde], die Nation und Reich ineinssetzte, also mit der herrschenden politischen und sozialen Ordnung identifizierte.“; Ullrich 1999, 376. 160 So argumentiert Volkov 2000. 161 Volkov 2001, 30f. 162 Vgl. Burke 1997, 212. 50 affirmatives Identifikationsangebot für das Publikum bereit hielt. Diesem wird die Genealogie von Shylock (Shakespeare: „Merchant of Venice“) und Nathan (Lessing: „Nathan der Weise“) entgegengestellt. Anhand der theatralen Aktualisierung dieser kanonischen ‚Fremd-’Bilder sollen Strategien der Integration bzw. Exklusion aufgezeigt werden. Das dritte Kapitel untersucht auf der Ebene der Populärkultur die Faszination und Imagination des Authochthonen, während das vierte Kapitel dem „Theater für Parvenupolis“ unter dem Gesichtspunkt von Urbanisierung und Kommodifikation nachgeht. Das fünfte Kapitel schließlich sucht die Umrisse einer kulturellen Ökonomie des Spektakels nachzuziehen. Das Titelbild dieses Buches sucht, dies in einer Abbreviatur zum Ausdruck zu bringen: Vor den als Kulissen dienenden Polen von Theater, hier dem Berliner Lessing-Theater, und dem Warenhaus, hier Wertheim Berlin, lassen sich drei Schlüsselszenen erkennen: der von Zebras gezogene Reklamewagen von Hagenbeck, dem Seelöwen entsteigen - einer Kopie von Barnums legendärer Zebra-Kutsche -, die leicht peinliche Ovation eines Wiesbadener Bürgers an den ausreitenden Kaiser Wilhelm II. und schließlich die zu ihren Lebzeiten legendäre Jenny Groß auf einer Scherzpostkarte, die das damals so beliebte Motiv der „Mohrenwäsche“ in einen ‚unbekümmert-heiteren Rassismus’ übersetzt. 163 Dass sich aus diesen Aufnahmen kein Tableau fügt, folgt durchaus einer inneren Logik, denn die Genealogie zielt nicht auf den grand récit, sondern auf die Miniaturporträts exemplarischer Protagonisten dieses theatralischen Zeitalters - in der Hoffnung, in der Zusammenschau werde sich die Dynamik und Lebendigkeit der Zeit wiederfinden. 163 Vgl. hierzu Badenberg 2004. 51 Kanon und Politik: Tell, Nathan und Shylock Es ist herkömmlich geworden, in großen nationalen Momenten unseren nationalen Dichter zum Volke sprechen zu lassen. Theodor Fontane 1 Der Mensch als zweidimensionales Wesen, wie Jan Assmann ihn bestimmt hat, 2 bedarf einer gegenwärtigen, sozialen Einbindung ebenso sehr wie einer historischen. Kultur vernetzt den Menschen also nicht allein in seiner Zeit, sondern bietet eine existentielle Orientierung über die eigene Lebensspanne hinaus. So gesehen ist die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, sei sie wissenschaftlicher Natur oder in Form alltagsweltlicher Praktiken stets auch eine Selbstpositionierung. Gerade die Veränderungen, die Deutschland im 19. Jahrhundert gewärtigte, forderten eine historische Selbstvergewisserung in besonderer Weise heraus, wie Hinrich C. Seeba bemerkt: The ethereal realm of German language and literature was charged with creating a sense of community, a cultural nation without a nation-state, a nation of the mind that was to anticipate or, less optimistically, substitute for a political reality that was absent. 3 Das Fehlen einer stabilen staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung verstärkte auf verschiedenen Ebenen die Bemühungen, einen unverrückbaren, essentiellen Kern kultureller Texte bzw. Errungenschaften zu bestimmen, der als Zentrum der Nation dienen sollte. 4 Dieser Kanon war als Schatz nationaler Gemeinsamkeit gedacht, der ein Gegengewicht zu den politischen Unwägbarkeiten bieten sollte. Bei näherer Betrachtung entlarvt sich aber dieses Verständnis von Kanon als eines unverbrüchlichen, statischen Schatzes als Fiktion. In diesem Sinne hat Susan Gallagher in ihrem Aufsatz „Contingencies and Intersections“ (2001) darauf verwiesen, dass jede Art von Kanon imaginären Charakter habe, weil er sich nicht auf eine formale Festsetzung, sondern eher auf eine (oftmals unartikulierte) allgemeine Wertschätzung stütze. 5 Gallagher folgert hieraus: „[T]he literary canon is a loose, baggy monster, a fluid movement of ebbs and flows, ins and outs - imaginary, therefore, as opposed to concrete.“ 6 1 Fontane 1976, 56. 2 Vgl. hierzu Assmann 1991. 3 Seeba 2003, 184. 4 Vgl. zur Kanonbildung Seeba 2003, 188f. 5 Vgl. Gallagher 2001, 54. 6 Gallagher 2001, 54. 52 Der Kanon stellt keine festgefügte Einheit dar, sondern ist als eine veränderliche kulturelle Größe zu verstehen, deren Grenzen und Gehalt sich nicht abschließend bestimmen lassen. Insofern erscheint Gallaghers Verweis auf das Imaginäre mehr als eine sprachliche Spielerei: So wie das kollektive Imaginäre nicht materiell fassbar gemacht oder erschöpfend dokumentiert werden könnte und dennoch als Fundus kollektiver Bilder und Vorstellungen erkenntnisleitend und handlungsorientierend ist, kann auch der Kanon nie endgültig bestimmt werden, seine kulturelle Funktion ist aber an seiner Wirksamkeit erkennbar. In diesem Sinne lässt sich auch der einleitende Satz von Fontane, mit dem er seine „Wilhelm Tell“-Kritik aus dem Jahr 1870 beginnt, neu lesen: Es ist nicht allein so, dass in Krisen- oder Übergangszeiten besonders auf kanonische Texte zurückgegriffen wird, sondern vielmehr erweist sich ihre kanonische Qualität an der Frage, ob sie „in großen nationalen Momenten“ „zum Volke sprechen“ können. Im Folgenden soll anhand von drei prominenten Beispielen diese Form der aktualisierenden Lektüre nachgezeichnet werden, um zu zeigen, in welchem Maß der Kanon immer auch Teil bzw. Katalysator der Identitätspolitik war. Die Hinwendung zum Kanon bietet hierbei eine doppelte kulturelle Positionierung; zum einen weil damit ein unmittelbarer Bezug auf den ‚Parnass’ der Hochkultur genommen wird, zum anderen, weil er - bezogen auf das Theater - auch eine deutliche Festlegung auf eine spezifische Theaterästhetik impliziert, nämliche jene des Theaters des Dramas. Gerade diese ästhetische Ausrichtung fordert einige grundlegende Überlegungen zur Kategorie der Bühnenfigur als zentralem Begriff einer historischen Analyse heraus: - Es gehört zu den Grundaxiomen semiotischer Textanalyse, festzustellen, dass Figuren - selbst wenn sie nach anthropologischen oder psychologischen Rollenmodellen entwickelt sind - keineswegs ein transzendenter Status zukommen kann. Vielmehr handelt es sich um textuelle Größen, deren spezifische Gestalt zwar den Text in einer konkreten Form gestaltet, die aber primär unter diesem Gesichtspunkt der von ihnen implizierten Orientierung zu befragen sind. 7 - Das Verständnis der Figur als textueller Größe bedeutet, dass die Figuren nicht auf ihren ‚Wahrheitsgehalt’ oder ihre ‚historische Wahrhaftigkeit’ befragt werden können, sondern als potenzielle Schnittstellen zwischen dem Imaginären und den Strukturen des 7 So hat etwa Manfred Pfister bereits 1977 den ‚unklaren’ Sprachgebrauch von Figur, Person und Charakter dahingehend kritisiert, dass hierdurch oft eine psychische Entität impliziert werde, die über den eigentlichen Text hinausgehe; vgl. Pfister 1988, 221f. Hinter dieser terminologischen ‚Unklarheit’ verbirgt sich tatsächlich ein Methodenstreit: Bis heute finden sich noch psychologisierende oder hermeneutische Fragestellungen in vielen literaturwissenschaftlichen Abhandlungen, die in ihrem Kern gerade von einer solchen transzendenten Bestimmung der Figur auszugehen scheinen. 53 Einzeltextes von Interesse sind. Betrachtet man etwa die Forschung zu Shakespeares „Merchant of Venice“, so zeigt sich, dass die Frage nach der ‚Authentizität’ der Shylock-Figur aus epistemologischen Gründen nicht beantwortet werden kann, weil weder abschließend geklärt werden kann, ob Shakespeare selbst jemals in seinem Leben einem Juden begegnete, noch die Referenz aus den Quellen klar beschrieben werden kann. Wendet man sich aber der Frage zu, welche Diskurse in dieser Figur zusammenfallen und in welcher Weise sie Anteil an der Veränderung oder Affirmation bestehender Diskurse haben kann, dann ergibt sich für eine kulturwissenschaftliche Fragestellung, die nach der Politik kultureller Identität fragt, eine neue Perspektive. 8 In diesem Zusammenhang gewinnen ‚ethnische Markierungen’ eine besondere Bedeutung, da sie unmittelbar auf den Prozess der kollektiven Identitätskonstitution verweisen. - Vorstehende Überlegungen beziehen sich vornehmlich auf die literarische Figur. Im Hinblick auf die Bühnenfigur aber, d. h. jene ‚Mischung’ aus literarischer Figur (sprachlichem Text) und Darsteller (Visualität, stimmliche Qualität, Bewegungen etc.), besteht ein kategorialer Unterschied, der nicht dahingehend reduziert werden kann, dass die Bühnenfigur als ‚Verkörperung’ oder ‚Transformation’ der literarischen Figur bestimmt wird. Vielmehr hat die theaterwissenschaftliche Forschung der letzten zwanzig Jahre nicht bloß auf die Eigenständigkeit der Inszenierung, sondern auch auf die kategoriale Differenz von literarischer und Bühnenfigur verwiesen. Hinsichtlich der performativen Praktiken kultureller Identitätspolitik und der Implementierung des Imaginären in der Alltagswelt des Publikums wird im Folgenden besonders nach den Bühnenfiguren zu fragen sein, weil diese Elemente des kollektiv Imaginären sind und zugleich durch die jeweilige Inszenierung den Prozess der Imagination stets neu aktualisieren. Um dies beschreiben zu können, gilt es, eine methodische Perspektive zu entwickeln, die gerade auf die gesteigerte Vielfalt und Mehrdeutigkeit gegenüber dem literarischen Text besteht. Die kanonische Figur und die Bühnenfigur stehen nicht allein in einem Wechsel-, sondern stets auch in einem latenten Spannungsverhältnis. Die Bühnenfigur inkorporiert die Spannung zwischen den Erwartungen und Vorstellungen, wie sie im kollektiven Imaginären vorgebildet sind, und dem konkreten ästhetischen Akt der besonderen Theaterinszenierung. 8 Diese Perspektive entwickelt James Shapiro in seiner Studie „Shakespeare and the Jews“ (1996); vgl. hierzu programmatisch Shapiro 1996, 189. Shapiro lehnt eine Diskussion über die Frage, ob der Text per se antisemitisch sei, ab und konzentriert sich vielmehr darauf, welche Funktionen der Figur Shylock im Kontext der englischen Gesellschaft zukamen. Abschließend fasst er das Ergebnis seiner Analyse zusammen: „Stories not only allow insight into the complex process through which cultural identities are formed but also help define the boundaries that mark cultural shifts.“; Shapiro 1996, 225. 54 Wie aber können die möglichen Umrisse einer kulturwissenschaftlichen Analyse der Bühnenfigur aussehen? Bereits Foucaults Begriff der Genealogie und seine Bestimmung, dass danach zu fragen sei, „wie der Leib von der Geschichte durchdrungen ist und wie die Geschichte am Leib nagt“ 9 , sowie die Rezeption dieses Ansatzes durch Roach markieren einen Weg, der die Bühnenfigur in ihrer jeweiligen Inszenierung als Schnittstelle von literarischer Figur, Imaginärem und Akteur ausweist. In seiner Studie „The Haunted Stage“ (2001) wendet sich Marvin Carlson eingehend der Frage zu, welche Bedeutung das ‚Vorwissen’ des Publikums für die Rezeption hat: All theatrical cultures have recognized, in some form or another, this ghostly quality, this reuse of something coming back in the theatre, and so the relationships between theatre and cultural memory are deep and complex. […] The present experience [of attending a performance] is always ghosted by previous experiences and associations while these ghosts are simultaneously shifted and modified by the process of recycling and recollection. 10 Mit Carlson lässt sich Foucaults metaphorische Umschreibung des von „der Geschichte angenagten Leibes“ auf eine sehr konkrete Weise lesen: Auch wenn der westliche, europäische Theaterdiskurs immer die Einmaligkeit der Aufführung in das Zentrum seiner Überlegungen stellt, 11 so ist das Publikum doch keineswegs vollkommen unvorbereitet oder unvoreingenommen. Im Gegenteil, es bezieht bewusst sein gegenwärtiges Erlebnis auf zurückliegende Erfahrungen. Der kulturelle Kanon ist so im Sinne einer komplexen Verweisstruktur zu verstehen: Per definitionem werden seine Texte und Figuren als bekannte und damit als ‚heimgesuchte’ („haunted“) definiert. Hierbei spielt die Überlagerung mit Vorwissen und früheren Erfahrungen nicht nur eine bereichernde Rolle, sondern kann auch zu Konflikten und Ablehnungen führen: Surely, the most familiar examples of ghosting […] is that which occur when an actor who has developed a certain degree of public recognition undertakes a wellknown role […] Here two repositories of public cultural memory can and often have come into conflict, with potentially powerful dramatic results as they negotiate a new relationship, either a successful new combination or a preservation of a duality. 12 Carlson führt mit Blick auf „Hamlet” aus: Thus, every new major revival of Hamlet is doubly haunted, on the one hand, by the memories of the famous Hamlets of the past […] and, on the other hand, by memories of the new interpreter, who comes with his own particular style and technique, in most cases also familiar to the audiences. 13 9 Foucault 1996, 75. 10 Carlson 2003, 2. 11 Vgl. hierzu Marx 2003, 170-182. 12 Carlson 2003, 78. 13 Carlson 2003, 79. 55 Er deutet diesen Effekt des haunting in Analogie zur Intertextualität. 14 Bezieht man allerdings das spezifische Wechselverhältnis von Kanon und Imaginärem in die Überlegungen ein, so kann man hier sogar von einer dreifachen Heimsuchung sprechen, denn das Imaginäre, als Fundus kollektiver Vorstellungen und Erwartungen, kann durchaus direkt auf die Wahrnehmung einzelner Figuren einwirken. Die literarische Rollenfigur, die Persona 15 des Schauspielers und das Imaginäre bilden ein Dreieck, in dessen Spannungsfeld die Inszenierung ihren kulturellen Ort findet. Carlsons Herangehensweise fokussiert nur die Inszenierung, zu der dann weitere Bedeutungsebenen hinzutreten. Diese Verwobenheit lässt sich aber auch aus der umgekehrten Perspektive beschreiben: Die ‚Heimsuchung’ bindet die ästhetische Struktur der Inszenierung jenseits einer expliziten Referenz in die politischen und kulturellen Diskurse ihrer Zeit ein. Die theatrale Repräsentation erscheint so nicht einfach nur als semiotischer Akt, sondern als eine komplexe Überlagerung verschiedener Diskurse. Das Erscheinen der Figur auf der Bühne verbindet das ästhetische Produkt mit dem kulturellen Kontext. Sie wird zu einem visuellen Subjekt, wie Mirzoeff es definiert, deren Sichtbarkeit aus einer Überschneidung semiotischer Strukturen und Kategorien sozialer Macht besteht: By the visual subject, I mean a person who is both constituted as an agent of sight […] and as the effect of a series of categories of visual subjectivity. 16 Natürlich kann eine Bühnenfigur im physiologischen Sinne nicht selbst sehen; aber als Schnittpunkt verschiedener Diskurse kann sie durchaus als sehend verstanden werden. Im Gegensatz zur literarischen, kanonischen Figur, die in ihrer semiotischen Konstitution als literarische Größe fixiert ist, wird die Bühnenfigur in jeder Inszenierung des Textes neu bestimmt. Sie ist keineswegs ein blindes Objekt künstlerischer Intention oder assoziativer Rezeption. Sie wird durch die Inszenierung so auf die historische Gegenwart des Publikums bezogen, dass sie in einem metaphorischen Sinne sehen kann. Das Sehen der Figur ist ein Akt kultureller Wahrnehmung, ein Produkt des theatralen Arbeitsprozesses, an dem Darsteller, Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner etc. ihren Anteil haben. Wichtig ist es in diesem Kontext festzuhalten, dass diese Eigenschaft nicht an eine spezifische Ästhetik oder Programmatik gebunden, sondern in der kulturellen Position von Theater begründet ist, denn das Sehen eignet der Figur auch dann, wenn sie sich gegenüber der Gegenwart der Zuschauer zu verweigern sucht. Die zweite Bedingung des visuellen Subjekts erscheint sehr viel geläufiger. Dass die Rezeption durch Dritte für das Theater konstitutiv ist, kann als Konsens theaterwissenschaftlicher Forschung gesehen werden. In diesem Wechselspiel gegenseitiger Wahrnehmung entsteht die Bühnenfigur als 14 Vgl. hierzu auch Carlson 1994, wo die Analogie zur Intertextualität noch deutlicher ausgeführt wird. 15 Vgl. hierzu auch Carlson 2004, 163f. 16 Mirzoeff 2002, 10. 56 visuelles Subjekt - als Subjekt kultureller Zirkulation, in der sie nicht allein passives Objekt ist, sondern auch einen aktiven Anteil trägt. Das beschriebene Dreieck von Figur - Persona - Imagination, durch das die kulturelle Position der Bühnenfigur leichter zu bestimmen ist, sowie die Wechselseitigkeit von Wahrnehmung und Wahrgenommen-Werden, die dem visuellen Subjekt eignet, eröffnet neue methodische Perspektiven für die Bühnengenealogie. Produktion und Rezeption erscheinen in diesem Sinne als komplementäre Verfahren. Das künstlerische Produkt, verstanden als kulturelles Element, lässt sich nur dann hinreichend beschreiben, wenn sowohl die Ebene der Produktion als auch die Zeugnisse der Rezeption Berücksichtigung finden. Beide Ebenen erscheinen nicht mehr als unterschiedliche Möglichkeiten analytischer Perspektiven, sie müssen vielmehr in ihrer wechselseitigen Bezogenheit gedacht werden. Nur aus der Berücksichtigung dieser Wechselwirkungen lässt sich die spezifische Dynamik beschreiben, die den kulturellen Standort einer Inszenierung ausmacht. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sollen im Folgenden zwei genealogische Skizzen besonders prominenter Kanonfiguren gezeichnet werden: zum einen Wilhelm Tell aus Schillers gleichnamigen Drama als Prototyp einer affirmativen Heldenfigur, zum anderen Nathan aus „Nathan der Weise“ und Shylock aus Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“als Figuren des Fremden in der Konfrontation mit der Majoritätskultur. 57 Wilhelm Tell - Sohn der Berge, Held aus der Mitte des Volkes Einer Situation, wie der gegenwärtigen, entspricht nichts besser, als der ‚Tell’. Er enthält kaum eine Seite, gewiß keine Szene, die nicht völlig zwanglos auf die Gegenwart, auf unser Recht und unseren Kampf gedeutet werden könnte, und wir müssen uns des guten Taktes des Publikums freuen, das nicht stichwortbegierig mit seinem Beifall im Anschlag lag, sondern ihm nur Ausdruck gab, wo Schweigen ein Fehler der Affektion gewesen wäre. Theodor Fontane 17 Theodor Fontanes enthusiastische Aufnahme des „Wilhelm Tell“, die er 1870 weniger durch ästhetische Maßstäbe als durch die spezifische Aktualität oder die Fähigkeit zur Aktualität begründet, ist durchaus exemplarisch für die Aufnahme des Textes im späten 19. Jahrhundert. Seit der Uraufführung dieses letzten von Schiller vollendeten dramatischen Textes im Jahr 1804 in Weimar hatte er nicht nur einen festen Platz im Repertoire des deutschsprachigen Theaters gewonnen, er galt immer schon als ein Schnittpunkt zwischen Kunst und Politik. Von den Napoleonischen Kriegen, 18 über die Reichsgründung 1871, die Begründung der Weimarer Republik bis hin zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft lassen sich die Spuren einer Rezeption dieses Textes finden, die ihn als ‚nationales Festspiel’ verstehen. Obgleich der Stoff selbst seit längerem bekannt und auch in verschiedenen Bearbeitungen auf der Bühne gespielt worden war, 19 gewann er diese spezifische Wirkung erst durch die Schiller’sche Fassung. Die von Schiller ausgehende Wirkungsgeschichte blieb nicht allein auf die Sphäre des Theaters beschränkt; 20 sie griff auch auf andere Medien und Lebensbereich über: So findet sich etwa in der Malerei des 19. Jahrhunderts eine regelrechte Tell-Ikonographie, die sich in der Auswahl ihrer Motive 17 Fontane 1976, 56. 18 Dieser Bezug dominiert die Genealogie der Rezeption auch in den Quellen. So schreibt etwa Julius Naumann in seiner Einleitung einer Ausgabe für den Schulgebrauch: „Ich brauche hier nicht weitläufig hervorzuheben, von welcher p o l i t i s c h e n W i c h t i g k e i t das Schauspiel ‚Wilhelm Tell’ für unser deutsches Volk wurde, als die Napoleon’sche Zwingherrschaft auf demselben zu lasten und alle Keime und Regungen der Freiheit zu unterdrücken anfing.“; Naumann 1903, 6. Vgl. mit demselben Tenor auch Funke 1901, 173. 19 Vgl. hierzu Gsteiger/ Utz 1985. 20 Es sei an dieser Stelle nur kursorisch auf die zahlreichen literarischen Bezugnahmen und Auseinandersetzungen mit dem Schiller’schen Text hingewiesen, sei es Kellers „Grüner Heinrich“ oder Gotthelfs „Tells Sohn“. 58 deutlich an Schiller orientierte. 21 Neben regelmäßigen Freiluftaufführungen, auf die an anderer Stelle ausführlicher eingegangen werden soll, beeinflusste Schiller auch den aufkommenden Fremdenverkehr in der Schweiz. Mettler/ Lippuner zeigen anhand der ersten Baedeker-Ausgabe für die Schweiz von 1844 auf, wie Schiller als Quelle für die Beschreibung des Vierwaldstätter Sees verwandt wird. 22 Die Schilderungen, die dem Reisenden als Wegweiser seiner eigenen Erfahrungen dienen sollen, erzeugen eine Überblendung der unmittelbaren individuellen Erlebnisse mit den Strukturen und Prägungen des kanonischen Textes. Dadurch kann ein doppelter Effekt erzielt werden: Auf der einen Seite wird der Text in der Lebenswelt des Reisenden implementiert und durch die touristischen Erlebnisse als authentisch bezeugt - die Wahrhaftigkeit des Ortes steht (idealiter) für die Wahrheit des Mythos selbst -, auf der anderen Seite gewinnt die Reise eine weitere Bedeutungsebene, denn der Reisende selbst tritt (natürlich vollkommen ungefährdet und nur in seiner Fantasie) in die Fußstapfen der mythischen Figur. 23 Die sich seinerzeit etablierende kulturelle Praxis des touristischen Reisens kann als paradigmatisches Beispiel für die zahlreichen Versuche angesehen werden, eine möglichst direkt erfahrbare Verbindung von Kanon und Lebenswelt herzustellen. Obgleich an dieser Stelle keine ausführliche und eigenständige Textanalyse zu leisten ist, sollen einige Gesichtspunkte hervorgehoben werden, die den Text für den zeitgenössischen Diskurs und besonders die Politik kultureller Identität am Ende des 19. Jahrhunderts zugänglich machten. An den Beginn meiner Überlegungen möchte ich ein Zitat von Julius Naumann stellen, der für seine Ausgabe für den Schulgebrauch (1903) die zentralen Linien des Schiller’schen Textes und die Intention des Autors zusammenfasst. Nach Naumann zielt „Wilhelm Tell“ vor allem auf eine Verherrlichung der Freiheitsidee, wobei er eine spezifische Einschränkung zu erkennen glaubt: Zu diesem Zwecke [i.e. die Verherrlichung der Freiheitsidee] bedient er sich eines einfachen, schlichten Hirtenvolkes, das zufrieden in seiner Abgeschlossenheit nur sicher und frei wohnen will hinter seinen herrlichen Bergen und in seinen lustigen Thälern, das aber angefochten wird von einem ländergierigen Fürsten und von ihm in seinem Frieden gestört wird, weshalb es sich durch die Tatkraft eines 21 Vgl. hierzu Utz 1984, 173-191. 22 Vgl. Mettler/ Lippuner 1989, 93-95. 23 Mettler/ Lippuner glauben, in dieser Aneignung des Mythos durch den Tourismus eine Veräußerlichung gegenüber den „patriotischen Wallfahrten“ des 19. Jahrhunderts zu erkennen; vgl. Mettler/ Lippuner 1989, 93. Diese Argumentation kann insofern nicht überzeugen, als sie zwischen einem ‚authentischen’ Ereignis, der „patriotischen Wallfahrt“, und dem touristischen Ereignis differenziert. Sicherlich lassen sich hier verschiedene Zielsetzungen beschreiben, denn die touristische Reise war keineswegs als kollektives Moment gedacht. Die dichotomische Unterscheidung verkennt aber, dass die Reiseführerliteratur sich ja gerade um einen solchen Moment der Kollektivität bemühte, wenn sie gezielt die Bezüge zum bürgerlichen Bildungskanon herstellte. 59 Einzelnen und die Mithilfe aller Patrioten von dem Drucke frei macht, der es belästigt. 24 Naumann benennt nicht nur die Grundachsen des Dramas - den Konflikt zwischen dem „einfachen, schlichten Hirtenvolk“ und dem „ländergierigen Fürsten“, es ist vor allem seine aus heutiger Sicht blumige Sprache, die noch auf einen weiteren Aspekt des Dramas aufmerksam macht: Die Landschaft wird nicht nur als (mehr oder weniger zufälliger) Ort der Handlung verstanden, vielmehr kommt ihr konstitutive Bedeutung für den Text zu. Die „herrlichen Berge“ und „lustigen Täler“ scheinen in einer inneren Korrespondenz zu stehen zu den Menschen, die in oder zwischen ihnen leben. Der Antagonist zeichnet sich durch seine Gier und besonders durch seine Störung der an sich gegebenen Harmonie aus. Naumanns Paraphrase, die durchaus als typisch für das Verständnis des Stücks um 1900 angesehen werden kann, vollzieht die dramaturgische Entwicklung des Schiller’schen Textes nach, indem sie die Freiheit als zu erstrebendes Ziel gleichsetzt mit der Harmonie einer ländlichen Idylle, die erst durch den äußeren Einfluss gestört wird. Die Forschungsliteratur hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass das Drama im Kontext der Französischen Revolution von 1789 (und, wie erwähnt, der Napoleonischen Befreiungskriege) zu sehen ist. Schiller entwirft aber mit seinem „Wilhelm Tell“ weder einen Revolutionshelden, noch propagiert er den radikalen Wechsel eines politischen Systems. 25 Stattdessen spricht Rösselmann bei der Schließung des Bundes (II,2) jene Formel aus, die für den politischen Impuls des Textes als zentral betrachtet werden kann: Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,/ In keiner Not uns trennen und Gefahr./ (Alle sprechen es nach mit erhobenen drei Fingern.)/ Wir wollen frei sein, wie die Väter waren/ Eher den Tod als in der Knechtschaft leben. (II,2/ 1448-1451) Es ist neben der Imagination der Volksgemeinschaft als große Familie - „Volk von Brüdern“ - die Formulierung „Wir wollen frei sein, wie die Väter waren“, die unterstreicht, dass die angestrebte Form der Freiheit nicht in der Schaffung neuer Verhältnisse, sondern in der Rückkehr zu einer vorher existierenden Ordnung besteht. 26 24 Naumann 1903, 6. 25 Vgl. hierzu bes. Knobloch 1996, 158-165. 26 In diesem Zusammenhang kann auch auf die folgenden Ausführungen Stauffachers verwiesen werden: „Wir haben diesen Boden u n s erschaffen/ Durch unserer Hände Fleiß, […] Unser ist durch tausendjährigen Besitz/ Der Boden - und der fremde Herrenknecht/ Soll kommen dürfen und uns Ketten schmieden/ Und Schmach antun auf unserer eignen Erde? / […] Der Urzustand der Natur kehrt wieder,/ Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht -/ Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr/ Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben -/ Der Güter höchstes dürfen wir verteid’gen/ Gegen Gewalt - Wir stehen vor unser Land,/ Wir stehen vor unsre Weiber, unsre Kinder! “ (II,2; 1260-1288) Stauffachers Monolog entwirft nochmals die für den Text so wichtige Engführung von Landschaft (Boden) und menschlicher Gemeinschaft und leitet aus ihr das Recht zum Widerstand her. 60 Besonders deutlich wird diese Intention in der Sterbeszene des alten Attinghausen (IV, 2). Seine letzten Worte, die einen Monolog beenden, in dem er als Vision die Vereinigung von Adel und Bauernstand beschrieben hat, sind: „Seid einig - einig - einig -“ (IV, 2; 2452). Diese Aufforderung zur Einigkeit über soziale Grenzen hinweg ist es, die als Leitformel des „Wilhelm Tell“ verstanden werden kann. Die erstrebte Harmonie findet in einer stummen Szene am Ende des Dramas einen prägnanten Ausdruck: Indem sich die Vordersten um den Tell drängen und ihn umarmen, erscheinen noch R UDENZ und B ERTHA , jener die Landleute, diese die Hedwig umarmend. Die Musik vom Berge begleitet diese stumme Szene. Wenn sie geendigt, tritt Bertha in die Mitte des Volkes. (V, 3) Als Finale - es folgt nur noch ein kurzer Replikenwechsel, in dem Bertha um die Aufnahme in die Gemeinschaft der Schweizer bittet - setzt Schiller eine Tableauszene 27 , die in ihrem Aufbau nochmals die entscheidenden Entwicklungsmomente des Textes zusammenführt und ins Bild setzt. Die symbolische Aufnahme von Rudenz und Bertha in die neu konstituierte ‚Familiengemeinschaft’ des Volkes kann als doppelte Versicherung verstanden werden, denn sie erfüllt die von Attinghausen auf dem Sterbebett geforderten Einigkeit und unterstreicht damit, dass die neue Freiheit eher als Kontinuität denn als radikaler Bruch zu verstehen ist. Bemerkenswert an der Szenenanweisung ist, dass Schiller die Berge wiederum als konstitutives Element („Musik vom Berge“ begleitet die stumme Szene und beendet sie) in das Schlussbild einbindet. Peter Utz hat darauf verwiesen, dass diese letzte Szene dezidiert eine „Öffnung zum Publikum“ impliziere: Das Schlußbild hat einen ungeheuren Öffnungswinkel auf das Publikum hin, dem man mit einem durch die Wirkungsgeschichte des „Tell“ geschärften Blick mißtraut. 28 Leif Ludwig Albertsen deutet in seinem Aufsatz „Ein Festspiel und kein Drama“ (1987) diese affirmativen Tendenzen dahingehend, dass er „Wilhelm Tell“ nicht als Drama, sondern als Festspiel 29 versteht. Er definiert den Unterschied zwischen den beiden folgendermaßen: 27 Zur Bedeutung der Tableauszenen schreibt Albertsen, der insgesamt auf den tableauartigen Aufbau des Textes verweist: „Viele dieser Tableauszenen haben nicht nur einen Augenblickseffekt, sondern zugleich eine tiefe ideologische Dimension, wie der Rütlischwur, der Sonnenaufgang usw.“; Albertsen 1987, 334. 28 Utz 1984, 41. 29 Peter Sprengel grenzt das Festspiel als Gattung deutlich gegen das Drama ab; hierfür benennt er drei zentrale Kriterien: 1) das Festspiel ist für einen spezifischen Anlass geschrieben und daher auch nicht für weitere Aufführungen vorgesehen; 2) es hat einen kultischen Charakter, „wobei es zur eigentümlichen Tendenz des Formtyps gehört, den Übergang vom Spiel zur Realität so fließend wie möglich zu gestalten. Das Publikum kann zum Mitspieler werden, wie umgekehrt die Spieler […] dem weiteren Kreis des Publikums angehören.“ (Sprengel 1991, 17); 3) die statische Struktur, d.h. es dominiert ein tableauartiger Aufbau. Vgl. hierzu Sprengel 1991, 15-20. 61 Wer das Festspiel vom normalen Drama unterscheidet, wird zugeben, daß bei einer Gedenkfeier die positive Haltung eines Festspiels sinnvoller ist als die Haltung des tragischen Dramas, das gern auf ungelöste oder gar unlösbare Dilemmas hinweist. 30 In diesem Sinne führt er aus: In seiner Form […] setzt Schillers ‚Wilhelm Tell’ ins Zentrum nicht den philosophischen Inhalt, sondern die postulierte Harmonie, das Festspiel, wenn man will: die rhetorische Manier. […] Daher war der ‚Tell’ für die Politiker des 19. Jahrhunderts so wichtig. Er lehrt die heilige Vaterlandsliebe und damit allgemeine Wehrpflicht, er enthält tausend schöne Stellen, die der angehende Nationalbürger auswendig lernen darf. 31 Albertsens Lesart deutet die klare Gegenüberstellung der Figuren mit einer eindeutigen Verteilung in ‚Gut’ und ‚Böse’ nicht als dramaturgische Schwäche, sondern als Merkmal der als eigenständig verstandenen Textgattung Festspiel. 32 Die textuelle Struktur von „Wilhelm Tell“ orientiert sich, nach Albertsen, also weniger an einer differenzierenden Dar- und Gegenüberstellung moralischer Dilemmata als an einer affirmativen und möglichst eindeutigen Positionierung. Die Einbindung des Publikums, wie von Utz beschrieben, erscheint in diesem Zusammenhang von konstitutiver Bedeutung. Diese Argumentation weist - wenngleich dieser Punkt von Albertsen nicht ausgeführt wird - auf eine weitere Ebene des Textes hin, die in der Rezeption durchaus eine Rolle spielte. Er spricht davon, dass viele Elemente des Textes barocke Greueleffekte [seien], wie sie sich so nackt und unreflektiert nicht einmal Shakespeare leistet, weil sie keinen dramatischen Inhalt haben, wohl aber einen kultischen als Abmalung des Teufels. 33 Albertsens - literaturgeschichtlich nicht ganz unproblematische - Ausführungen greifen einen Punkt auf, der für die Genealogie des „Tell“ von Bedeutung ist. Die Struktur des Textes und seine Fabel sind auf das Spektakel ausgelegt. Es sind nicht allein die Szenen der Grausamkeit, die Albertsen nur im Sinne einer post-barocken Helden-Dramaturgie deutet, sondern auch die zahlreichen Wechselwirkungen zwischen dem Handlungsort und der Dramaturgie (die Gewitterszenen auf dem See, die „hohle Gasse“) oder die spektakulären Momente, wie der ‚Apfelschuss’, die in der Bühnenrezeption des Textes eine entscheidende Rolle spielen. 34 Die Dramaturgie und der strukturelle Aufbau des „Wilhelm Tell“ erscheinen in dieser Perspektive als widersprüchlich und keineswegs als Musterbeispiel der Vorstellungen der Weimarer Klassik. Während in der Schiller-Forschung diese Elemente vornehmlich als Reminiszenzen der 30 Albertsen 1987, 329. 31 Albertsen 1987, 336f. 32 Vgl. Albertsen 1987, 333f. 33 Albertsen 1987, 334. 34 Vgl. in diesem Sinne auch Piatti 2004, 24-27. 62 Barock-Dramaturgie gedeutet werden, 35 ist auffällig, dass die Entstehung und Uraufführung des „Wilhelm Tell“ zeitlich mit dem Entstehen und der zunehmenden Verbreitung des Melodramas zusammenfällt. 36 Ein Blick auf diese Parallele ist allerdings dadurch verstellt, dass Schiller und Goethe sich in ihren theoretisch-programmatischen Schriften gegen jede Form des Rührstücks wenden. Die Fehde Schillers und Goethes mit Autoren dieser populären Gattung, wie Kotzebue oder Gellert, scheint die Eindeutigkeit dieser Grenzlinie nur zu bestätigen. Dennoch kann ein Blick auf das Melodrama hilfreich sein, um die spezifische Struktur sowie die kulturelle Funktion des „Wilhelm Tell“ näher zu beleuchten. Als eine genuine Mischform 37 immer schon in den Randbezirken traditioneller Ästhetiktheorie angesiedelt, entwickelte sich das Melodrama von Frankreich aus in kürzester Zeit zu einer in ganz Europa verbreiteten und populären Form. 38 Korrespondierend zu dieser Popularität stand allerdings eine Geringschätzung, die teilweise bis heute anhält. Für die semiotische Konstitution des Melodramas ist es typisch, dass nicht länger die Sprache als dominierendes Zeichensystem fungiert, sondern vielmehr das Zusammenspiel von Musik, Sprache und Visualität, oft unter Zuhilfenahme einer sich zunehmend ausdifferenzierenden Bühnenmaschinerie, zum organisierenden Zentrum wird. In dramaturgischer Hinsicht ist es vor allem die eindeutige Gegenüberstellung von Gut und Böse, die die Handlung motiviert und das Verhältnis der Figuren untereinander bestimmt. Das Melodrama ist keine Gattung der argumentativen Entfaltung, seine Wirkungsabsicht zielt auf die Sensation, die emotionale Erregung des Zuschauers durch synästhetische Effekte. In den letzten Jahren sind neben den semiotischen und dramaturgischen Aspekten zunehmend auch die spezifische Programmatik und kulturelle Funktion des Melodramas in den Blick der Forschung geraten. Elaine Hadley hat diesen Zusammenhang in ihrer Studie „Melodramatic Tactics“ (1995) mit dem Begriff des melodramatischen Modus (melodramatic mode) zu beschreiben versucht. Nach Hadley ist das Melodrama in England als Reaktion auf die kulturellen und sozialen Veränderungen zu verstehen, die sich als Folge der Industrialisierung bzw. Entwicklung des kapitalistischen Marktes abzeichnen: 35 Vgl. Albertsen 1987, 334f. 36 Die Literatur zum Melodrama ist inzwischen kaum noch überschaubar; vgl. einführend bspw. Brooks 1976; Corsten 1999; Fietz 1996; Schimpf 1988. 37 Schon die Bezeichnung durch den zusammengesetzen Begriff aus melos [Lied] und drama [Handlung] verweist auf die konstitutive Position zwischen den konventionellen Gattungsgrenzen. 38 Als erstes Melodrama überhaupt gilt allgemein Rousseaus „Pygmalion“ (UA 1770), das erste deutsche Melodrama ist „Ariadne auf Naxos“ von Brandes/ Benda (UA 1775), ab 1802 findet sich das Melodrama auch im englischen Theater, wo es rasch zu einer zentralen Form wird. Vgl. hierzu Hyslop 1992; Schmidt 1986; Shepherd 1999. 63 [T]he melodramatic mode emerged in the early and mid-nineteenth century as a polemical response to the social, economic, and epistemological changes that characterized the consolidation of market society in the nineteenth century, […]. 39 Dieser Modus, so Hadley, ist nicht allein auf das Theater beschränkt, er lässt sich auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen finden. Seinen Fluchtpunkt findet er in der Imagination traditioneller gesellschaftlicher Zusammenhänge, die der als Erosion wahrgenommenen Veränderung gegenübergestellt werden. In the face of rapid industrialization, private capital accumulation, and bureaucratization, the melodramatic mode’s distinctive theatricality insisted on the continued vitality of traditionally public, social formations, especially patriarchal status hierarchies, which constituted identity in terms of familial and communal relationships. 40 Lynn M. Voskuil argumentiert ähnlich, wenn sie in ihrem Aufsatz „Feeling Public: Sensation Theater, Commodity Culture, and the Victorian Public Sphere” (2002) untersucht, in welchem Maße das Sensation Theater 41 als eine Sonderform des Melodramas das (Selbst-) Bewusstsein der Öffentlichkeit prägte. Hier wird erkennbar, dass die Funktion dieses Theaters sich keineswegs in seinen spektakulären Effekten erschöpft oder in seiner Thematisierung gemeinschaftlicher Zusammenhänge, sondern dass dieser Zusammenhang sich erst durch die spezifische Form des Theaters bildete. Der dieser Argumentation zugrunde liegende Begriff der Öffentlichkeit orientiert sich, wie Voskuil betont, nicht an Habermas’ Bestimmung, 42 sondern betont die Gemeinsamkeit des Erlebens und Fühlens: ‚National feeling,’ in this context, might thus be construed as a shared state of sentience, a state that relies not only on a receptive awareness of sensations but also on their active pursuit and effective management. And in this context the ‚public sphere’ becomes something quite different from a space of rational interaction, political debate, or discursive exchange. Instead, it becomes the cultivation 39 Hadley 1995, 3. 40 Hadley 1995, 4. 41 Vgl. zu den terminologischen Bestimmungen Voskuil 2002, 251. Voskuil führt aus: „In the first place, as a form of melodrama, sensation drama relied on the same stock characters, suspenseful plotting, spectacular staging, and consistently applied principles of poetic justice that are among the formal features of most melodramas. In the second place - its status as melodrama notwithstanding - sensation drama was perceived by many Victorians to represent a novel and distinctive trend in the theater, and the craving for them was seen as new, sometimes regrettable, and ultimately unstoppable.”; Voskuil 2002, 252. 42 „British and European studies in this vein have aimed to revise and challenge Jürgen Habermas’s strong emphasis on an enlightened bourgeoisie that came together in coffeehouses, salons, and other communal spaces in order to discuss and critique political, social, and cultural issues. Instead of a single, hegemonic public sphere, such studies depict multiple counter-spheres (on this point, see Eley, Mah, Wang), often construed as sites of overtly politicized engagement, resistance, or competition, thus expanding the scope of the classical Habermasian public sphere to include individuals and collectives Habermas had overlooked as well as challenging the idealization of rational exchange that animates his notion.”; Voskuil 2002, 248. 64 of collective sensational experience, a process whose authenticity paradoxically rests on a radical suspension of disbelief. 43 Die vorstehenden Überlegungen zum Melodrama und Sensation Theater lassen sich nicht direkt auf die deutschen Verhältnisse übertragen. Denn sie beziehen sich nicht nur auf ein anderes Land im Sinne einer geographischen Einheit, sondern auch auf andere soziale und kulturelle Bedingungen. Weder die wirtschaftliche noch die kulturelle Modernisierung Englands sind zu diesem Zeitpunkt mit den Verhältnissen in den deutschen Staaten vergleichbar. 1804, im Jahr der Uraufführung des „Wilhelm Tell“, dominierte die Frage nationalstaatlicher Einheit - Teile des Landes waren durch Napoleon besetzt und wurden als ‚fremdverwaltet’ wahrgenommen - den politischen Diskurs, während sich in sozialer, kultureller und ökonomischer Hinsicht der Prozess der „Verbürgerlichung“ zwar abzeichnete, das Bürgertum aber erst im Laufe des 19. Jahrhunderts zur zentralen sozialen Gruppe aufstieg. Insofern stellt sich die Frage, ob mögliche strukturelle Analogien zwischen „Wilhelm Tell“ und dem Melodrama überhaupt für eine Lesart nutzbar gemacht werden können. Trotz der Unterschiede soll dies im Folgenden versucht werden, mit dem Ziel, jene Elemente, die der ‚klassischen’ Dramaturgie entgegenstehen, nicht nur als ‚Einlagerungen’ älterer Theaterformen oder als ‚handwerkliche’ Fehler des Autors zu marginalisieren, sondern ihre für die Wirkung und Bühnengenealogie konstitutive Bedeutung zu beschreiben. In diesem Sinne gilt es, die Parallelen zum Melodrama zu beschreiben, um dann nach ihrer möglichen Funktion zu fragen. Auf die Tatsache, dass der Handlungsort (Alpen) keineswegs nur als pittoresker Hintergrund genutzt wird, sondern zum ‚Mitspieler’ wird, wurde ja bereits hingewiesen. Voskuil hat mit Blick auf die Naturdarstellungen im Sensation Theater auf eine Verwandtschaft der Gattung mit dem sich in dieser Zeit etablierenden Panorama und Diorama verwiesen. 44 Diese optischen Medien, die im 19. Jahrhundert eine besondere Popularität erreichten, stehen in ihren Effekten, so Voskuil, in Wechselwirkung mit dem Melodrama, auch wenn sie nicht restlos in ihr aufgehen: The panoramas and dioramas in vogue from the late-eighteenth century until the mid-nineteenth aimed to copy real-life scenes with exacting facticity and influenced staging techniques in mid-Victorian theater. There were important differences, though, between the verisimilitude of these exhibitions and the authenticity of sensation theater. The raison d’être of panoramas and dioramas was deception, Altick explains, a trompe l’œil illusion so complete that viewers flinched at battle scenes and drew back from the edges of painted cliffs (186-94). In contrast, the taste for authenticity in the 1860s was premised on a sophisticated awareness of stage illusion and a thorough-going commodification of the playgoing experience. 45 43 Voskuil 2002, 269. 44 Vgl. hierzu allgemein Plessen 1993 sowie besonders zur Entwicklung in Deutschland Oettermann 1993. 45 Voskuil 2002, 255f. 65 Gegenstand der Panoramen und Dioramen waren Schlachten, historische Ereignisse, aber auch Stadtansichten und Landschafts- oder Meeresdarstellungen. 46 „Wilhelm Tell“ und der Handlungsort der Alpen bedienen durchaus (bereits auf der Ebene des literarischen Textes) ähnliche spektakuläre Strategien, wie sie sich in den aufkommenden Panoramen darstellen. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Schiller die Schweiz niemals selbst gesehen hat, sich aber während des Schreibprozesses intensiv mit Karten und Bildern der Handlungsorte auseinandersetzte. Insofern verdichtet sich der imaginierte Handlungsort der Alpen zu einem symbolischen Raum, der unmittelbar auf die Figuren und die Dramaturgie einwirkt. 47 Wie sehr sich dies in der Bühnengenealogie fortsetzte, lässt sich daran erkennen, dass zahlreiche Kritiken die Wirkung der Bühnenmalerei und -technik im Hinblick auf diesen imaginierten Handlungsort thematisieren. Dies setzt wiederum jenes Wechselspiel von Authentizität und Täuschung in Gang, das nach Voskuil für die Wirkung von so entscheidender Bedeutung ist: In a culture that was similarly immersed in spectacle, sensation theater audiences were likewise in the know. They went to the theater not to see actors ‚really’ plunge from cliffs into waterfalls, but instead to experience what Gunning has described as ‚a vacillation between belief and incredulity’. (119) 48 Die Sensation ist, nach Voskuil, also als eine körperliche Wirkung zu verstehen, die in bewusstem Gegensatz zu einer rationalen Wirkung steht. 49 Sie hebt aber hervor, dass diese Reaktionen nicht mit einer Ästhetik des Schocks, wie sie sich in der Moderne entwickelt, 50 gleichzusetzen sind, denn die Zuschauer seien durchaus auf das Bevorstehende vorbereitet gewesen. Sei es, weil der Stoff bekannt war oder weil die Produktionen eingehend in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften diskutiert und eingeführt wurden. In diesem Sinne kann man auch für „Tell“ sensationelle Elemente der Dramaturgie definieren, die in ebendieser Spannung zwischen Erregung und einem gleichzeitigen Vertrautsein mit der Fabel standen. 46 Bruno Weber hat die graphische Entwicklung zum Panorama nachgezeichnet; die thematische Dominanz von Stadt- und Landschaftsansichten ergibt sich, nach Weber, zunächst einmal aus der Form der Darstellung, die einen möglichst umfassenden Rundumblick erforderte. Vgl. hierzu Weber 1993. 47 Barbara Piatti schreibt hierzu: „Nicht zuletzt aus Gründen der Publikumswirksamkeit widmete sich Schiller der Darstellung von Gebirgs- und Seekulisse mit besonderer Sorgfalt. […] Dabei hatte Schiller ihn nie gesehen, den ‚Fjord von Uri’, wie der Urnersee gerne betitelt wurde. Aber vielleicht ahnte er es: Es gab (und gibt) wenige Landschaften, die eine vergleichbare Theatralik und Kulissenhaftigkeit aufweisen würden wie der Vierwaldstättersee. Ihm ist etwas Opernhaftes, etwas Effektheischendes eigen.“; Piatti 2004, 95. 48 Voskuil 2002, 265. 49 „Sensation drama was perceived to be new in part because it was thought to produce ‘sensations’ in its spectators, minute bodily responses that distinguished its effects from those of other kinds of drama, including earlier melodrama. […] Both were thought not to awaken sympathy - to touch the heart and draw the tear - but to affect the nerves and the body physiologically and involuntarily.”; Voskuil 2002, 261. 50 Vgl. Voskuil 2002, 262. 66 Mit Blick auf die kulturelle und politische Orientierung lassen sich ebenfalls Parallelen erkennen: Elaine Hadley beschreibt den melodramatischen Modus als eine nostalgische Reaktion, die angesichts der Schrecken und Ungewissheiten sozialer und kultureller Veränderungen traditionelle Formen, wie Familie, die Vormachtstellung des Vaters etc. besonders akzentuiert. Hearkening back to deferential society and its patriarchal grounds for identity, the melodramatic mode in its various manifestations was profoundly reactionary, if not precisely politically reactionary. […] Nostalgia, after all, is always a practice in the present. The melodramatic mode was as much a product as a participant in the history of nineteenth century capitalist culture, and its features were more a result of contemporary pressures than an exact historical reproduction. 51 Als Reflex auf die krisenhaften Erfahrungen der Napoleonischen Kriege bedient sich auch „Wilhelm Tell“ dieses melodramatischen Modus. Das Stück reagiert auf die (stattgehabten oder drohenden) Veränderungen, indem es Revolution als Rückkehr zu alten Werten imaginiert - getragen von der ausgesöhnten und vereinten Gemeinschaft von Adel und Bauern/ Bürgern. Diese neue Gemeinschaft wird als streng patriarchalische Familiengemeinschaft imaginiert - alternative Formen und Entwürfe verschwinden hinter der Opulenz und der dramaturgischen Energie des Textes. Bei aller Nähe bleibt festzuhalten, dass diese Lektüre von „Wilhelm Tell“ mit den Begriffen des Melodrama bzw. des Sensational Drama aus literaturgeschichtlicher Perspektive, d.h. vor allem mit einem Blick auf Schillers eigene ästhetische Maßstäbe, 52 problematisch bleiben muss. Die möglichen Parallelen hinsichtlich der semiotischen und dramaturgischen Konzeption zeigen trotzdem, dass sich in diesem Text unterschiedliche Theaterkonzeptionen mischen, die sich in der Bühnengenealogie neu entfalten (können). Im Hinblick auf eine Beschreibung der Bühnengenealogie wäre es eine Verkürzung, wollte man den Text allein aus seinem poetologischen und geistesgeschichtlichen Umfeld darstellen. Die Forschungsliteratur hat die Widersprüchlichkeiten oder Differenzen zwischen dem Text und dem Programm der Weimarer Klassik u.a. dadurch versucht einzufangen, indem man den Text in verschiedene dramaturgische Ebenen aufteilte (Tell- Geschichte/ Rütli-Schwur/ Rudenz) oder, wie etwa Peter Utz dies tut, affirmative und emotionalisierende Lesarten allein der Rezeption zuschrieb. Gegen eine solche Verengung aber zeugt der Text selbst: Die eigentümlich stumme Titelfigur und ihre marginale Position im Hinblick auf die übrigen Handlungsstränge sowie ihr explizites Bekenntnis: „Ich kann nicht lange prüfen oder wählen,/ Bedürft Ihr meiner zu bestimmter Tat,/ Dann 51 Hadley 1995, 14. 52 Sprengel erkennt hier durchaus eine Linie in Schillers Arbeiten für das Theater: „Die Festspiel-Karriere des Wilhelm Tell ist gewiss singulär; doch auch andere Dramen Schillers tendieren zumindest punktuell zum Festspiel. […] Grundsätzlich ist die Affinität der Schillerschen Dramatik zum Festspiel in dem Streben nach öffentlicher Repräsentanz begründet, das die dramatische Handlung wiederholt in die Nähe von ‚Grundformen des Staatszeremoniells, der Rechtsprechung, des Kults etc.’ [Zitat Borchmeyer] führt.“; Sprengel 1991, 37f. 67 ruft den Tell, es soll an mir nicht fehlen.“ (I,3 V. 443-445), lassen sich als programmatischer Hinweis auf die semiotische Konstitution des Textes lesen. Diese Replik, mit der Tell zu Beginn des Dramas eingeführt wird - und auch die Trennung der verschiedenen Ebenen der Fabel angekündigt wird -, kann dahingehend verstanden werden, dass die Titelfigur sich nicht primär durch sprachliche Elemente auszeichnet, sondern durch Taten oder (semiotisch formuliert) andere Zeichensysteme. In diesem Sinne kann man auch Tells Antwort auf die Frage nach seinem weiteren Vorhaben verstehen: „Ist es getan, wird’s auch zur Rede kommen.“ (IV, 1 V. 2301). 53 Nimmt man diese einführenden Überlegungen zum Ausgangspunkt, lassen sich einige Elemente festhalten, die bei der genealogischen Analyse besondere Beachtung verdienen: - Auffällig ist zunächst einmal die intensive Verschränkung des Handlungsortes mit dem dramaturgischen Aufbau. Joseph Roach hat in vergleichbarem Zusammenhang von einer performance of origin gesprochen, die er wie folgt definiert: „By performance of origin I mean the reenactment of foundation myths along two general axes of possibility: the diasporic, which features migration, and the autochthonous, which claims indigenious roots deeper than memory itself.” 54 Die intendierte Darstellung der Schweizer als autochthone Gemeinschaft dürfte aus den vorstehenden Überlegungen deutlich geworden sein; die Landschaft als Handlungsort und -träger ist hierfür von zentraler Bedeutung, denn sie verbürgt die ‚Authentizität’ der Gruppe und aus dem spezifischen Verhältnis zu ihr entsteht das Handlungsmotiv der Figuren. Hinsichtlich der Bühnengenealogie ist weiterhin zu fragen, wie diese Strukturen im Rahmen theatraler Inszenierungen umgesetzt werden bzw. welche Hinweise sich auf die Rezeption solcher Strukturen in den Quellen finden lassen. Dies stellt sich nicht allein bezüglich der ‚technischen’ oder medialen Umsetzung als Problem dar, sondern besonders auch hinsichtlich der lokalen und semantischen Verschiebung, die der Ort und das Stück erfahren, wenn es in einem anderen Kontext vorgestellt wird. - Die oben skizzierten möglichen Parallelen zum Melodrama verdienen eine eingehendere Betrachtung: Hierbei soll die Spannung zwischen den ‚sensationellen’ oder ‚spektakulären’ Elementen auf der einen Seite sowie die Frage nach der Wirkung auf die Zuschauer auf der anderen diskutiert werden. In diesem Kontext wird die Frage nach dem Verhältnis von Visualität und Sprache eine besondere Rolle spielen. 53 Überhaupt ist auffällig, dass besonders die Figur des Tell sich immer wieder negativ zur Sprache äußert, etwa in besagter Szene im ersten Akt, wenn er auf den Wunsch Stauffachers nach einer Fortführung des Gesprächs entgegnet: „Das schwere Herz wird nicht durch Worte leicht.“ (I, 3 V. 418). 54 Roach 1996, 42. 68 - Schließlich soll vor allem nach der Funktion des „Wilhelm Tell“ als Festspiel nationaler Identität gefragt werden. So wird zu untersuchen sein, in welchem Maße Regisseure, Schauspieler und Rezipienten (d.h. jene Rezensenten, deren Wahrnehmungen uns zugänglich sind) dieses Stück in den Kontext der Politik nationaler Identität stellten und welche Elemente besonders betont oder verworfen wurden. Gleichzeitig ist (mit Blick auf Albertsen) anzumerken, dass Schiller sich nicht der traditionellen Festspielelemente, wie Prolog oder allegorischer Figuren, bedient. Stattdessen nutzt er den melodramatischen Modus, um eine emotionale, affektive Wirkung beim Publikum zu erzielen. In diesem Zusammenhang wird zu betrachten sein, wie die Titelfigur und ihr Gegenspieler ‚in Szene gesetzt’ werden und in welcher Wechselwirkung dies zur Imagination des Volkes als Gemeinschaft steht. 69 „Ein nationaler Gottesdienst, bei welchem die angesehendsten Gemeindebürger ministrieren…“ In seinem 1846-55 geschriebenen Roman „Der grüne Heinrich“ beschreibt der Schweizer Schriftsteller Gottfried Keller (1819-1890) als eine der Jugendepisoden seines Protagonisten Heinrich Lee die Aufführung des „Wilhelm Tell“ durch die Dorfgemeinschaft. 55 Nach Keller ist das Besondere an diesem Spiel, dass es unter freiem Himmel stattfindet, alle Rollen von Laien gespielt werden und es Dorf und Landschaft gleichermaßen verwandelt: Denn dies war das Schönste bei dem Feste, daß man sich nicht an die theatralische Einschränkung hielt, daß man es nicht auf Überraschungen absah, sondern sich frei herum bewegte und wie aus der Wirklichkeit heraus und wie von selbst an den Orten zusammentraf, wo die Handlung vor sich ging. Hundert kleine Schauspiele entstanden dazwischen und überall gab es was zu sehen und zu lachen, während doch bei den wichtigsten Vorgängen die ganze Menge andächtig und gesammelt zusammentraf. (416) 56 Die Verwandlung des Ortes und seiner Bewohner erscheint als ein Akt der Verzauberung „aus der Wirklichkeit heraus“ zu einer fröhlichen Gemeinschaft, die nicht durch eine äußere Ordnung, von Keller bezeichnenderweise als „theatralische Einschränkung“ beschrieben, gebildet wird, sondern aus einem inneren Impuls sich jeweils an den entscheidenden Punkten zusammenfindet. Besonders deutlich wird diese Transformation am Darsteller der Titelfigur. Keller führt ihn bereits entsprechend ein: „Da erschien unversehens der Tell, welcher mit seinem Knaben einsam seines Weges ging. Es war ein berühmter, fester Wirth und Schütze […].“ (417) Kellers Sprache übernimmt die innere Ordnung der Aufführung, indem er erst im zweiten Satz auf die Differenz von Darsteller und Rolle verweist; darüber hinaus führt er Tell in demselben Modus ein, wie dies im Schiller’schen Drama (I,1) passiert, nämlich „unversehens“ als Retter in der Not: Tell bzw. der Tell-Darsteller erscheint in dem Augenblick, da sich die fröhliche Gesellschaft in einem Disput mit dem Zolleinnehmer befindet, dessen Mangel an Kunstverstand bzw. Übermaß an Profitstreben die gesamte Inszenierung gefährdet. Diese Episode vollendet die Transformation des Tell endgültig. Hierauf faßte der wackere Tell den Schlagbaum, drückte ihn wie eine leichte Feder in die Höhe und ließ Alles durchpassiren [sic! ], die Verantwortung auf sich nehmend. Die Bauern ermahnte er, sich zeitig wieder einzufinden, um seinen Thaten zuzusehen, uns Rittersleute aber grüßte er kalt und stolz und schien uns 55 Zu den intertextuellen Implikationen dieser Episode vgl. Stocker 1998, 134-141. Keller hat dies in seinem Aufsatz „Am Mythenstein“ (1861) nochmals aufgegriffen und sich ausführlich mit der Frage eines nationalen Festspiels auseinandergesetzt; vgl. Keller 1996. 56 Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf Keller 2003. 70 auf unseren Pferden für wirkliches Tyrannengesindel anzusehen, so sehr war er in seine Würde vertieft. (418) Der Höhepunkt der Verzauberung ist erreicht, wenn am Ende die siegreiche und befreite Gemeinschaft ihren Erfolg und ihren Helden feiert: Die Sonne ging eben unter, als ich ankam und sah, wie das Volk das Gerüste zusammen brach und mit den Kränzen auf einen gewaltigen Holz- und Reisighaufen warf und diesen anzündete. Hier ging auch die Verherrlichung des Tell vor sich, statt vor seinem Hause, doch nicht mehr nach der vorgeschriebenen Ordnung, sondern in Folge einer allgemeinen Erfindungslust, wie der Augenblick sie in den tausend Köpfen erweckte, und der Schluß der Handlung ging unbestimmt in eine rauschende Freudenfeier über. […] Auf allen Hügeln und Bergen sahen wir jetzt die Fastnachtsfeuer brennen, das unsrige flammte in großem Umfange, wir standen in einem Kreise hundertweise darum. […] Alles sang, klang und wogte durcheinander auf der Allmende, über welche das Feuer seinen röthlichen Schein verbreitete. (451) Spätestens an diesem Schlussbild der Aufführung wird deutlich, dass Keller die Inszenierung weniger als ein ästhetisches Ereignis beschreibt, 57 denn als einen rituellen Akt, an dessen Ende das Dorf sich selbst als Gemeinschaft neu inszeniert und feiert. Ähnlich wie Schiller bindet Keller die Landschaft in die Geschehnisse ein, um den autochthonen Mythos zu beschreiben: Der uralte, gewaltige Frühlingshauch dieses Landes, obschon er Gefahr und Noth bringen konnte, weckte ein altes, trotzig frohes Naturgefühl, und indem er in die Gesichter und die wilden Flammen wehte, ging die Ahnung zurück vom Feuerzeichen des politischen Bewusstseins, über die Christenfeuer des Mittelalters zu dem Frühlingsfeuer der Heidenzeit, das vielleicht zur selben Stunde auf derselben Stelle gebrannt. In den dunklen Wolkenlagern schienen Heerzüge verschwundener Geschlechter vorüberzuziehen, manchmal anzuhalten über dem nächtlich singenden und tönenden Volkshaufen, als ob sie Lust hätten herabzusteigen und sich unter die zu mischen, welche ihre Spanne Zeit am Feuer vergaßen. (452) 58 In der Beschreibung vermischen sich ästhetische Erfahrung und Gemeinschaftserlebnis mit der Idee des autochthonen Mythos zu einer untrennbaren Einheit, die sogar die Grenzen von Zeit und Kultur überschreitet. Das rauschhafte Erlebnis, das Keller hier entwirft, lässt - inspiriert durch die theatrale Erfahrung - erkennen, dass das Band, welches diese Gemeinschaft zusammenhält, älter und tiefgreifender ist als alle Kulturerfahrungen. Ihre 57 Über die künstlerische Leistung finden sich im Gegenteil einige ironische Anmerkungen; vgl. Keller 2003, 419f. 58 Saxer bindet dies in einen Vergleich zwischen Wagners Festspielidee und derjenigen, die er für Keller rekonstruiert, ein; vgl. Saxer 1957, 174-181. Ohne die Implikationen seines Argumentes kritisch zu reflektieren, verweist Saxer auf die autochthone Prägung dieses Entwurfs: „Das Kellersche Gesamtkunstwerk wurzelt in der Festspieltradition des Schweizervolkes, weiter aber auch in der Ganzheit der Nation überhaupt, und noch umfassender, auch in der Natur, der Erde, welche dieses Volk hervorgebracht hat. […] Keller will ein echtes Naturtheater, wo die umgebende Landschaft, auf die das Theatergebäude auch abgestimmt sein muß, ihren gewaltigen stimmungsmäßigen Einfluß auf das Spiel ausüben soll.“; Saxer 1957, 177. 71 Wurzeln reichen nicht nur bis zum Tell-Mythos und der Begründung der Schweiz als politischer Einheit zurück, sondern bis in die „Heidenzeit“. Dadurch verschiebt sich der Akzent der Erfahrung vom historischen Bewusstsein einer politischen Gemeinschaft hin zur Feier und Bestätigung einer ethnischen, völkischen Identität. Kellers Beschreibung der Tell-Aufführung verweist nicht zufällig auf die Bestandteile von Ritualen: die Grenzerfahrung („aus der Wirklichkeit heraus“), das ‚Opfer’ bzw. den symbolischen Kampf und schließlich die Bestätigung der kollektiven Identität. 59 Seine literarische Inszenierung ist - jenseits der Frage, ob sie auf eine tatsächliche Aufführung rekurriert 60 - insofern von besonderem Interesse, als sie die kulturelle Funktion und Bedeutung des „Tell“ spiegelt, 61 denn in der Tat lässt sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine zunehmende Festspieltätigkeit in der Schweiz beobachten. 62 Es wäre zu kurz gegriffen, wenn man Kellers Beschreibung nur dokumentarischen Charakter zusprechen wollte, obgleich in der Forschung verschiedentlich diskutiert wurde, ob es eine historische Vorlage für diese Episode gibt. Als theatergeschichtliche Quelle ist sie allerdings schon deshalb wenig geeignet, weil sich der Erzähler immer wieder ironisch von dem Beschriebenen distanziert. 63 Unmittelbaren Bezug auf die Mode der Freiluftaufführungen nimmt hingegen Adolf Vögtlin in seinem Aufsatz „Das Tell-Schauspiel in der Schweiz“ (1899), der sich auf eine Inszenierung aus dem Jahr 1899 bezieht, die gemeinsam von den Gemeinden Brugg, Hochdorf und Altdorf durchgeführt wurde. 64 Das Festspiel ist während der letzten zehn Jahre bei der gedeihlichen Witterung der Bundes-, Gründungs- und Schlachtfeiern, der Schützen- und Gesangsfeste üppig ins Kraut geschossen und hat eine Fülle farbenglänzender und prunkhafter Früchte gezeitigt, deren Geschmack und Nährwert jedoch je länger je mehr als fad und unbedeutend bezeichnet werden. 65 Vögtlins Perspektive des Theaterkritikers, die auf eine ästhetische Wertung abzielt, 66 soll hier mit Blick auf jene Elemente betrachtet werden, die er analog zu Kellers Beschreibung besonders hervorhebt. So kritisiert Vögtlin 59 Vgl. zu den Linien dieser Denkfigur, die Theater, Ritual und Opfer aufeinander bezieht, einführend Fischer-Lichte 2005, 17-45. 60 Vgl. hierzu bspw. Naumann 1997. 61 Hierauf verweist auch Utz 1984, 81. 62 Vgl. hierzu ausführlicher Stern 1986. 63 Vgl. hierzu etwa Vögtlin 1899, 1010 bzw. 1014. 64 Dies ist insofern bemerkenswert, weil üblicherweise jede der Ortschaften eine eigene Freiluftaufführung veranstaltete. Die Spiele in Altdorf werden bis heute fortgeführt, allerdings wurde bereits von Anfang an auch in geschlossenen Räumen gespielt; für weitere Informationen siehe www.tellspiele-altdorf.ch. Auch die im Jahr 1912 gegründeten Tell-Spiele in Interlaken existieren bis heute; vgl. www.tellspiele.ch. 65 Vögtlin 1899, 1009. 66 Vgl. hierzu besonders Vögtlin 1899, 1018. 72 etwa, dass „bloß deklamiert“ 67 werde. Gleichzeitig betont er die eindrucksvollen Effekte, die die Inszenierung auf die Zuschauer ausgeübt habe. Unter den starken Wirkungselementen hebt er die Auftritte der Reiter, die „mit der Schneidigkeit wohlberittener Dragoner“ 68 ausgeführt worden seien, sowie die Massenauftritte hervor. Bei einer Spieldauer von fünf Stunden (mit einer halbstündigen Pause) sei das Werk „mit größter Pietät und ohne Streichungen“ 69 gegeben worden. Der Fluchtpunkt von Vögtlins Argumentation ist die soziale Funktion, die er den Tell-Spielen zuschreibt: Die Würdenträger des Städtchens, die hier zu gemeinsamem schönen Spiele und innerer Erhebung den Arbeitern ohne Amt und Würden die Hand boten, paradierten nicht nur im Sonntagsgewande, das ihnen die Kunst umgeworfen, sondern sie trugen den Sonntag im warmen Herzen. 70 Vögtlins Argumentation zieht jene Linie der Interpretation weiter, die Keller im „Grünen Heinrich“ entworfen hat: das Theaterspiel als gemeinschaftstiftendes Ritual. Während Keller jedoch noch von einer (mehr oder weniger ungestörten) ländlichen Gemeinschaft spricht, bezieht sich Vögtlin explizit auf eine sich ausdifferenzierende und komplexer werdende Gesellschaft. Das Spiel fungiert in seiner Perspektive als ein Ritual, das als Aussöhnung und Brücke zwischen den sich abzeichnenden sozialen Gegensätzen dient. „Würdenträger“ und „Arbeiter ohne Amt und Würden“ reichen sich im Spiel die Hand und bilden eine neue Gemeinschaft. Dieses neue Kollektiverlebnis und -bewusstsein, das mit Blick auf den historischen Kontext als bewusster Gegenentwurf zu einer sozialkritischen oder engagierten Utopie der Befreiung aus ökonomischen Zwangsverhältnissen verstanden werden muss, gründet unmittelbar im Moment des Theaterspielens selbst: Die einzelnen Darsteller haben sich immer tiefer in ihre Rollen hineingelebt und viele von ihnen immer mehr von ihrem eigenen Wesen, von ihrem eigenen Geiste darin gefunden; sie werden auch ohne weiteres auf den Ruhm des Schauspiel- Künstlers verzichten, der beim Studium den entgegengesetzten Weg einschlägt und sich beständig seines eigenen Selbst zu entäußern versucht. 71 Indem Vögtlin explizit das Spiel der Brugger und ihr Verhältnis zur Rolle dem „Schauspiel-Künstler“ gegenüberstellt, ordnet er die Tell-Spiele endgültig unter das Vorzeichen des Rituals. Das Spiel wird als ein Prozess der Selbsterkenntnis und -erfahrung beschrieben, dessen Mangel an Kunstfertigkeit gerade für seine Authentizität bürgt. Um die „große, würdige Teilnahme“ des Publikums zu beschreiben, wählt Vögtlin eine physikalische 67 Vögtlin 1899, 1018. An anderer Stelle führt er aus: „Das Spiel ist hauptsächlich Deklamation, die Mimik nimmt eine untergeordnete Stellung ein; nur die großen Affekte und die großen Linien in der Bewegung, vor allem in der Massenbewegung […] wirken auf bedeutende Entfernung und im lichten, freien Raum, und darauf haben es denn die Brugger mit Recht abgesehen.“; Vögtlin 1899, 1017. 68 Vgl. Vögtlin 1899, 1016. 69 Vgl. Vögtlin 1899, 1016. 70 Vögtlin 1899, 1016. 71 Vögtlin 1899, 1017. 73 Metaphorik, die versucht, das Verhältnis von Spielenden und Zuschauenden als das einer geradezu zwangsläufigen, naturgesetzlichen Wahlverwandtschaft zu beschreiben: „Die Massenscenen erzielten, wohl eingeübt wie sie waren, elektrisierende Wirkung.“ 72 Das Elektrisierende der Massenszenen ist ein Hinweis auf das sich in diesen Spielen konstituierende visuelle Subjekt. Dieses ist nämlich nicht der einzelne Protagonist, sondern die Masse selbst, die nicht bloß dargestellt wird, sondern sich selbst im theatralen Akt erkennt. Der Erfolg des einzelnen Darstellers war immer da am größten und reichhaltigsten, wo er die nationale Gesinnung bethätigte oder auch nur in den lapidaren Versen Schillers aussprach. Ich kenne kein Schauspiel, das einen innigeren Kontakt zwischen Darstellern und Zuschauern […] herzustellen vermöchte, als es das Medium der Gesinnung im ‚Wilhelm Tell’ zuwege bringt. 73 Vögtlin beschreibt ein regelrechtes Muster: So wie der einzelne Darsteller in seinem Verhältnis zur Rolle dann am stärksten wirkt, wenn er sich nicht verstellt, sondern sein ‚Wesen’ durch den performativen Akt erkennt, so ist auch die einzelne Rollenfigur dann umso eindrucksvoller, wenn sie sich als Teil der Menge darstellt und zu erkennen gibt. In diesem Sinne lässt sich Vögtlins Formulierung vom „Bethätigen der nationalen Gesinnung“ am ehesten verstehen. Seine Wendung gibt aber auch zu erkennen, dass diese „Gesinnung“ nicht einfach nur dem Text inhärent ist, sondern dass sie einer performativen Praxis bedarf, um in die Lebenswelt der Spieler und Zuschauer implementiert zu werden. Durch dieses Wechselspiel konstituieren sich das visuelle Subjekt auf der Bühne und die Gemeinschaft aus Publikum und Spielern. Vögtlins Lesart streicht heraus, dass sich hier, durch die spezifische Eigenart des Textes und des Stoffes, 74 eine Gemeinschaft jenseits aller sozialen Stratifikationslinien bildet bzw. diese sogar überwindet, weil sie auf ein tieferliegendes, nahezu mythisches Fundament, ihre nationale Identität, zurückgreifen kann. Während diese Schweizer Inszenierungen von der engen Verbindung von Schauspiel und ‚Originalschauplatz’ zehrten, die - wie geschildert - seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch in der Reiseliteratur hergestellt wurde, gab es ähnliche Unternehmungen auch in Deutschland. 75 Die bekannteste und bis heute bestehende Initiative stammt von dem Pfarrer Joseph Saier (1874-1955) in Ötigheim (Baden). Saiers Motivation für die Gründung einer Laienspielgruppe mag aus der Notwendigkeit kirchlicher Bildungsarbeit motiviert gewesen sein; 76 in das Bewusstsein der 72 Vögtlin 1899, 1017. 73 Vögtlin 1899, 1017. 74 Vögtlin schreibt hierzu: „Sie würden nicht irgend ein anderes Freiheitsdrama mit dieser reinen Hingebung und Feierlichkeit spielen können.“; Vögtlin 1899, 1016. 75 Widmann 1925, 164 verweist allgemein darauf, dass seit 1909 die Aufführungen des „Wilhelm Tell“ auf Freilicht- oder Naturbühnen zugenommen haben. 76 Laut Selbstdarstellung des Vereins auf seiner Homepage (http: / / www.volksschauspiele.de/ ) galt Saiers Bemühen zunächst der Jugend, für die er ein ansprechendes Angebot schaf- 74 Öffentlichkeit trat seine Arbeit allerdings erst 1910 mit der Inszenierung des „Wilhelm Tell“, der seither immer wieder auf dem Spielplan stand. Einen besonderen Erfolg verbuchte die Inszenierung des Jahres 1913, die von über 100.000 Zuschauern besucht wurde. 77 Die gesamte Anlage und Organisation der Festspiele war deutlich auf eine Massenwirkung ausgelegt: Die Naturbühne bot ca. 4.000 Zuschauern Platz, es wirkten mehrere hundert Darsteller mit. 78 Die zeitgenössischen Berichte heben - ähnlich wie Vögtlin - besonders die Darstellungen der Masse hervor. So schreibt Eduard Morasch (vermutlich 1913): Wie er [Saier] die mitunter nach Hunderten zählenden Volksmassen auf der Szene beschäftigt, wie er ihren Auftritt leitet und malerisch gestaltet, wie ihren Abgang motiviert, muß oft geradezu Bewunderung erregen. In den Massenszenen liegt überhaupt die besondere Stärke des Oetigheimer Volksschauspiels. So üben namentlich die Rütliszene und die Apfelschußszene mit ihren zusammenströmenden Volksmassen die stärkste Wirkung aus. 79 Ein anonymer Rezensent der „Kölner Volkszeitung“ führt aus: „Das innige Zusammenwachsen von Menschen und umgebender Natur erreicht hier die lebendigste Wirkung.“ 80 Auch die Ötigheimer Inszenierung wird im Sinne einer autochthonen Lesart verstanden, die besonders die Konstitution der Volksgemeinschaft betont. Dies deckt sich mit der Interpretation des Schil- fen wollte, indem er bereits 1906 den Verein Volksschauspieler Ötigheim gründete. 77 So die Selbstauskunft des Vereins unter www.volksschauspiele.de. 78 Vgl. Anonymus 1913 sowie Morasch 1913. 79 Morasch, o. Angabe. 80 Kölner Volkzeitung vom 1. 8. 1913, o.S. Abb. 5: Ensemblebild der Mitwirkenden in der „Tell“-Inszenierung in Ötigheim 1912. 75 ler’schen Textes, wenn Morasch schreibt: „Es ist überhaupt wunderbar, wie gut gerade der Tell die Darstellung durch Leute aus dem Volk verträgt, ja, wie ihm diese Darstellung geradezu zustatten kommt.“ 81 Analog heißt es in der „Volkszeitung“: „So in der freien Natur, von Leuten aus dem Volke vorgeführt, ist Wilhelm Tell das wahre Volksstück.“ 82 In dieser theatralen Aneignung geht der kanonische Text vollends in der Politik nationaler Identität auf - er verliert sogar seinen Status als ästhetisches Produkt zugunsten seiner sozialen Funktion. Der besondere Erfolg der Inszenierung im Jahr 1913, der nur deshalb - so die Selbstauskunft des Vereins - 1914 nicht gesteigert werden konnte, weil wegen des Krieges die Saison abgebrochen wurde, kann nicht anders als vor dem Hintergrund des heranziehenden Ersten Weltkrieges verstanden werden. Widmann führt in seiner Abhandlung „Wilhelm Tells dramatische Laufbahn und politische Sendung“ (1925) zur Rezeption im Ersten Weltkrieg aus: Während des Weltkrieges 1914 bis 1918 wurde Schillers ‚Tell’ nicht nur auf den deutschen Theatern mit Vorliebe gespielt und bewährte aufs neue seine zündende patriotische Kraft, er wurde auch draußen im Felde, hinter der Front, im Freien des öfteren aufgeführt […]. Aus Schillers Worten schöpften die oft übermenschlich angestrengten, körperlich und seelisch ermatteten Krieger neue Stärkung, Erhebung und Begeisterung. 83 Das Pathos dieser Zeilen lässt bereits erkennen, dass die Aneignung des Textes durch die theatrale Praxis Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts deutlich im Zeichen eines zunehmend aggressiveren Nationalismus stand. Gerade die Aufführungen auf Naturbühnen und durch Laien erleichterten die Transformation von einem ästhetischen in einen rituell-politischen Kontext, wobei die Begrenztheit der künstlerischen Mittel die politisch-kulturelle Funktion (wenn nicht gar Mission) deutlicher werden ließ. Mit seiner Verherrlichung einer autochthonen Gemeinschaft, deren Handeln sich aus einer langen Tradition bzw., wenn man Keller folgen will, aus einer mythischen Legitimation ableitet, erlaubte der Text und die sich auf ihn beziehende performative Praxis die Implementierung einer exklusiven, letztlich auf völkischen Ideen beruhenden, antimodernen Identitätspolitik. Der melodramatische Modus, der von den Inszenierungen in Gang gesetzt wurde, erweist sich hier nicht nur als nostalgisch, sondern tritt vollends in den Kontext reaktionärer Politik ein. Darüber hinaus ist anzumerken, dass augenscheinlich diese politischrituelle Funktion nicht notwendigerweise auf das Laienspiel beschränkt blieb. Schon Fontane berichtet in seiner Rezension der Berliner „Tell“- Inszenierung von 1870 von lebhaften Reaktionen des Publikums, bei denen an einigen Stellen die „Tagesstimmung“ durchschlug. 84 Auch Widmann 81 Morasch, o. Angabe. 82 Kölner Volkzeitung vom 1. 8. 1913, o.S. 83 Widmann 1925, 166f. 84 Vgl. Fontane 1976, 57. 76 zählt eine Reihe von Beispielen auf, die belegen, wie Inszenierungen von „Wilhelm Tell“ zu nationalistischen Feiern genutzt wurden. Dies gilt für die Zeit 1870/ 71, 85 für die Zeit des Ersten Weltkriegs und für die 1920er Jahre, für die das Verbot von „Tell“-Inszenierungen durch die französischen Besatzungstruppen als ‚negativer’ Beleg für diese Bedeutung des Textes gelten kann. 86 Für den unbesetzten Teil Deutschlands führt Widmann besonders eine Berliner Aufführung vom Februar 1923 an: Nach dem Rütlischwur wiederholte das gesamte Publikum, dem Beispiel einiger Herren folgend, den Treueid, worauf das Deutschlandlied stehend gesungen wurde. […] Ähnlich wie in Berlin gestalteten sich auch in etlichen anderen deutschen Städten die patriotischen Kundgebungen; zumeist wurde der Rütlischwur feierlich nachgesprochen und das Nationallied ‚Deutschland, Deutschland über alles’ gesungen: da und dort wurden auch aus der Mitte des Publikums einige Verse gesprochen, die in ein Hoch auf Deutschland ausklangen. 87 Die Kommunikation zwischen Bühne und Publikum, die im Nachsprechen des Eides eine kulturelle und politische Einheit bildet, lässt durch die emphatische Antwort „aus der Mitte des Publikums“ die Inszenierung des kanonischen Textes zu einer theatralen Affirmation nationaler Identität werden. Das Theater selbst wird damit zum Forum der Politik kollektiver Identität, indem die konventionelle Trennung von Bühne und Zuschauerraum durch die Interaktion aufgehoben wird. Die Nähe zum nationalistischen Diskurs lässt sich unter anderem aus dem Text und den in ihm vorgezeichneten Handlungslinien herleiten. Ihre spezifische Wirkung entfaltet sie aber vor allem durch die spektakulären Elemente. Gerade im Hinblick auf die immer wieder als besonders eindrucksvoll beschriebenen Massenszenen erweist sich die tableauartige Dramaturgie als zentrales Element. 88 „Wilhelm Tell“ beschreibt nicht allein die Konstitution von Gemeinschaft, sondern ermöglicht auch, sie entsprechend ins Bild zu setzen. 89 Der tableauartige Aufbau eröffnete wiederum eine neue Ebene kultureller Zirkulation. Betrachtet man die Quellen, die zu den Laienaufführungen vorliegen, so ist es erstaunlich, in welchem Maße die Produktionen fotografisch dokumentiert sind. Bei vielen der Bilder handelt es sich um Postkarten, die prägnante Momente zu zeigen versprachen. Die Transformation von der Szene zur Postkarte aber wurde nur möglich durch einen 85 Vgl. hierzu bspw. Widmann 1925, 130-134. 86 Vgl. Widmann 1925, 177f. 87 Widmann 1925, 179-181. 88 Matthias Warstat hat in seiner grundlegenden Studie „Theatrale Gemeinschaften“ (2005) mit Blick auf die Arbeiterbewegung gerade die hohe Bedeutung der Tradition der tableaux vivants herausgehoben; vgl. Warstat 2005, 308-313. 89 Peter Sprengel hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass der Dürer-Bund 1913 in einer Veröffentlichung die Rütli-Szene explizit als nationales Festspiel empfohlen hat; vgl. Sprengel 1991, 36. In diesem Zusammenhang ist sicherlich auch zu berücksichtigen, dass sowohl die wilhelminische Ära als auch die Zeit der Weimarer Republik eine ganze Reihe von theatralen und paratheatralen Formen kannten, die auf den politischen Diskurs einwirkten. Vgl. hierzu etwa Baumeister 2005. 77 dramaturgischen Aufbau, der entsprechende Kristallisationspunkte bereithielt. Sie bedeutet vor allem eine Ausweitung der Wirkung über das unmittelbare Theatererlebnis hinaus zu einem dauerhaften Beitrag zum imaginären Fundus. Vergleicht man die Bilder, so ist nicht nur der in vielen Fällen ähnliche Bildaufbau bemerkenswert, sondern auch, dass besonders die gemeinschaftskonstituierenden Szenen dargestellt sind - vorzugsweise die Rütli- oder die Schluss-Szene. Die kulturelle Funktion dieser Bilder ist deutlich: Im anachronistischen Gepräge mittelalterlicher Bauern kann sich eine völkische Kollektividentität artikulieren, die das Spiegelbild ihrer heterogenen Gegenwart zu vermeiden sucht. Für diese Appropriation des Textes war es günstig, dass sich aus der zeitlichen Distanz der Handlung eine Vielzahl pittoresker Möglichkeiten ergaben. 90 In diesem Sinne heben zahlreiche Berichte der Freiluftaufführungen besonders die spektakulären Elemente, wie etwa den intensiven Einsatz von Pferden und anderen Tieren, hervor. Die eigentümliche Nähe zum Melodrama und seinem extensiven Einsatz von Sensationen eröffnet eine emotional-affirmative Lesart des Textes: Wo die Zitate ohnehin als „geflügelte Worte“ in den Sprachgebrauch übergegangen sind, erfüllt die Sensation der Bühne die Aufgabe, emotionale Begeisterung herzustellen. 90 Dies wird auch von Keller thematisiert, wenn Heinrich ausgewählt wird, die Dekorationen zu besorgen, weil „man mir manche Einsicht und Fertigkeit besonders als Maler zutraute“. (408) Vgl. hierzu auch Keller 2003, 409-413. 78 Der Kampf um den „eisernen Bestand der Dichtung“: „Wilhelm Tell“ in Berlin 1913 In jenem Jahr 1913, in dem die Volksschauspiele Oetigheim mit über 100.000 Besuchern ihren größten Erfolg feierten, entspann sich ausgehend von einer „Tell“-Inszenierung im Lessing-Theater in Berlin eine heftige Diskussion um die Frage von inszenatorischer Freiheit und Regiewillkür. Das Lessing- Theater wurde zu diesem Zeitpunkt durch die Sozietät Deutsches Künstlertheater bespielt, 91 einer Gruppe von Schauspielern des Brahm-Ensembles, die dessen künstlerisches Programm auch nach seinem geplanten Ausscheiden (1914) weiterführen wollten. Durch Brahms vorzeitigen Tod 1913 kam dieser Plan bereits ein Jahr früher zum Tragen. Besondere Aufmerksamkeit erregte in diesem Zusammenhang die Beteiligung von Gerhart Hauptmann (1862- 1946), der bei diesem Unternehmen nicht nur als Autor, sondern auch als Regisseur mitwirken wollte. 92 Vor dem Hintergrund der Brahm’schen Programmatik versprach die Inszenierung von „Wilhelm Tell“ durch Gerhart Hauptmann eine herbeigesehnte oder befürchtete, in jedem Fall aber eine hochsymbolische Begegnung zweier zentraler Protagonisten des deutschen Theaters. Emil Faktor benannte dieses Spannungsverhältnis in der Einleitung seiner Rezension: „Friedrich Schiller war der bedeutendste Dramatiker des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts und Gerhart Hauptmann ist der bedeutendste Dramatiker des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts.“ 93 Die Inszenierung des damals vielleicht populärsten Dramas Schillers durch einen der führenden Köpfe des Naturalismus verhieß entweder die Aussöhnung des Neuen mit dem Alten, den Triumph einer der beiden Richtungen oder ein tragisches Scheitern aller. Diese Konstellation war umso gewichtiger, da Brahms Direktion des Deutschen Theaters unter anderem daran gescheitert war, dass es ihm nicht gelungen war, vor dem Hintergrund seines eigenen künstlerischen Programms eine Lesart kanonischer Texte zu entwickeln, die allen Ansprüchen, denen der Texte, seiner eigenen Programmatik und dem Geschmack des Publikums gerecht geworden wären. Bevor ich im Folgenden den Versuch unternehmen will, die einzelnen Positionen dieser Auseinandersetzung nachzuzeichnen, soll zunächst ein kurzer Seitenblick auf die Bühnengenealogie des „Tell“ im 19. Jahrhundert geworfen werden. Hierbei ist auffällig, dass sich der Blick auf die „Tell“- Inszenierungen des professionellen Theaters kategorial von jenem unterscheidet, dem die Laienaufführungen begegnen. Stand im Zentrum jener die Frage nach der Masse als zentralem Subjekt, rückt in diesen vor allem die 91 Vgl. hierzu überblicksartig Richter 1970. 92 Vgl. zu dieser Gründung Rühle 2007, 202-204. 93 Faktor 1913. 79 Leistung der Protagonisten ins Zentrum. Tell wie Gessler waren Paraderollen der großen Virtuosen. In diesem Sinne zeichnet etwa Widmann in seiner bereits erwähnten Bühnengeschichte des „Wilhelm Tell“ vor allem eine Geschichte einzelner Schauspieler-Leistungen. Als entscheidenden Wendepunkt der Genealogie beschreibt Widmann die Inszenierung des „Tell“ durch die Meininger ab 1876. Diese Inszenierung, für die u.a. Ludwig Barnay (1842-1924), Herman Nissen (1857-1914) und Arthur Kraußneck (1856-1941) die Titelrolle übernahmen, ist insofern von Interesse, weil erst die ausgedehnten Gastspiele der Meininger das Stück europaweit bekannt und populär machten. 94 Im Hinblick auf die Rolle des Wilhelm Tell hat Monty Jacobs in seiner bilanzierenden Sammlung „Deutsche Schauspielkunst“ (1913) neben Iffland vor allem Ferdinand Eßlair (1772-1840) 95 und Ludwig Barnay als herausragende Tell-Darsteller aufgeführt. Bemerkenswert ist, dass bereits Eßlair von August Klingemann wegen seiner überzeugenden Darstellung eines „Schweizer Bauern“ statt einer traditionellen Heldenfigur gelobt wird. 96 Diese Linie lässt sich auch in der Wahrnehmung Barnays erkennen, wenn Karl Frenzel über ihn schreibt: Herr Barnay bemüht sich, die Gestalt ihres idealen Schmuckes zu entkleiden und sie auf das Niveau der Alltagswirklichkeit herunterzudrücken. Sein Tell ist ein verwegener Jäger, ein schlichter, wortkarger Mann, in der Bewegung heftig, in der Erscheinung ein wenig abenteuerlich: durchaus realistisch, ohne jeden Anflug des Heroischen. 97 Widmann folgt dieser Linie, die die realistische Darstellung zu ihrem Fluchtpunkt macht. Er stellt besonders die „Tell“-Inszenierung des Deutschen Theaters 1884 heraus, in der Arthur Kraußneck die Titelrolle spielte. Widmann zitiert Oscar Blumenthals Kritik aus dem „Berliner Tageblatt“: Etwas wie der frische Feldgeruch der Ackerkrume zog durch die ganze Darstellung. […] Der steifnackige Trotz erhob sich hier gegen Unrecht und Gewalt. Wir sahen einfache Söhne des Gebirges, die mit geradem Herzen und tapferer Faust sich gegen ein aufgezwungenes Joch wehren; es waren keine 94 Widmann schreibt hierzu: „Durch die Meininger lernten auch die Engländer, Dänen, Schweden, Niederländer, Belgier, Polen und Russen Schillers Freiheitsdichtung in würdigster Weise kennen. […] Bis zum Abschluß ihrer Gastspielreisen im Sommer 1890 haben sie ‚Tell’ 223mal aufgeführt.“; Widmann 1925, 136. 95 Widmann sagt, Eßlair sei „wohl der hervorragendste aller Tell-Darsteller in der ersten Häfte des 19. Jahrhunderts“ (Widmann 1925, 90) gewesen. Vgl. hierzu auch Widmann 1925, 90-92. 96 Klingemann schreibt: „Die meisten andern Künstler bringen es übrigens mit dieser Rolle in der Regel zu einem ehrlichen Helden, welcher sich vom Anfang bis zum Ende als solcher verkündigt […]. Davon ist nun aber bei Eßlair nirgend die Rede, und so wie er auftritt, sieht man vom Kopf bis zum Fuße in jeder Haltung und Bewegung nichts als einen wackern Schweizer Bauern, […].“; Klingemann zit. nach Jacobs 1954, 250. 97 Frenzel zit. nach Jacobs 1954, 253. 80 geschminkten Theater-Bauern, sondern Alle in Ton und Haltung von überzeugender Lebensechtheit. 98 Die Formulierung vom „Sohn der Berge“ wird zu einem Schlüsselbegriff, der sich immer wieder in der Rezeption des „Wilhelm Tell“ findet. Die Hinwendung zum ‚Authentischen’, die sich hier vollzieht oder zumindest behauptet wird, wird zur ästhetischen Normvorstellung, an der alle „Tell“- Inszenierungen gemessen werden. Auf den ersten Blick bildet dies eine Schnittmenge mit den Freilicht- und Laienaufführungen. Dass diese Gemeinsamkeit aber nur auf der Ebene der Rhetorik der Rezeptionszeugnisse erscheint, wird daran erkennbar, dass bei den Laienaufführungen zwar die ‚Echtheit’ gelobt, gleichzeitig aber immer wieder die Begrenztheit künstlerischer Mittel angeführt wird. Statt einer Schnittmenge wird vielmehr eine signifikante Verschiebung erkennbar: Während in den Laienaufführungen die Menge selbst zum visuellen Subjekt wurde, tritt im professionellen Theater der einzelne Darsteller in den Fokus. Seine ‚Authentizität’ soll ihn als metonymische Repräsentation der Menge, des Volkes, ausweisen, damit die Figur, im Wechselspiel von Wahrnehmen und Wiedererkennen, zum visuellen Subjekt nationaler Selbstfindung werden kann. In dieses Spannungsverhältnis zwischen behaupteter bzw. gewünschter ‚Echtheit’ der Darstellung und einer als authentisch betrachteten, aber mit ästhetischen Mängeln versehenen Tradition der Laienschauspiele tritt nun 1913 Hauptmanns Inszenierung ihrerseits mit dem Anspruch an, unter dem Vorzeichen des Naturalismus eine adäquate Lesart des Textes zu entwickeln. Die Quellenlage fällt sehr unterschiedlich aus, weil zwar eine Reihe von Kritiken vorliegen, aber nur eine fotografische Aufnahme erhalten ist, so dass man über das Bühnenbild keine weiteren Rückschlüsse ziehen kann. 99 Die Titelrolle der Inszenierung übernahm Hans Marr (1878-1949), die Rolle des Gessler Emanuel Reicher (1849-1924). Das zentrale Merkmal von Hauptmanns Regie und Textbearbeitung war der Versuch, den Text zu kürzen und die Sprache ‚realistisch’ zu gestalten. Bereits dieser Ansatz provozierte einige Kritiker. So wandet sich Alfred Klaar, Kritiker der „Vossischen Zeitung“, entschieden gegen diese Form der Textbearbeitung: 98 Blumenthal zit. nach Widmann 1925, 140. Die Hinwendung zum ‚Authentischen’ war besonders mit Josef Kainz, der die Rolle des Melchthal spielte, verbunden. Max Pohl schrieb hierzu in der „Berliner Zeitung“: „Statt des süßlich flötenden Salontirolers mit kokett gekürzten Wadenstutzen, dem man einst auf deutschen Bühnen begegnete, stand da urplötzlich ein stiernackiger, grobknochiger Sohn der Berge, dessen Blicke, von drohend überhängenden Brau[en] beschattet, die Worte ankündigten, welche sich seinem Munde nur mühsam, ruckweise, wie langsam abbröckelndes Gestein der Felsenbrust, entrangen, […].“; Pohl zit. nach Widmann 1925, 142f. 99 Bemerkenswert ist, dass Hauptmann in seinen Tagebüchern keine weiteren Angaben zu dieser Inszenierung macht - umso erstaunlicher, als dies eine seiner ersten Regiearbeiten war. 81 Ohne Rücksicht auf den Rhythmus, ohne rechtes Gefühl für das Tempo des befeuerten Wortes wurde jenes suchende Stammeln, jene unterstreichende Dehnung, jene Ueberdeutlichkeit [sic! ] der trennenden und vorbereitenden Pausen bevorzugt, die, wie der Regieausdruck von heute lautet, den ‚Sinn hervorholen’ sollen, wo er solcher Arbeit nicht bedarf, wo er, von einem überstarken Gefühl getragen, ganz von selbst in rauschender Fülle an das Gemüt heranstürmt. 100 Emil Faktor vom Berliner Börsen Kurier führte in ähnlichem Sinne aus: Wenn er [Hauptmann] sich für Schiller entschloß, so hätte er die Feindschaft gegen den Monolog und ähnliche Eigentümlichkeiten des klassischen Dramas fallen lassen müssen. Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß er Schiller öfters mit dem Rotstift protegierte und temporale Einlagen, wie die berühmte Versicherung, daß das Licht eine edle Himmelsgabe sei, herausstrich. Bei dieser langwierigen Tellaufführung hatte man Ursache, für Verkürzungen und Beschleunigungen dankbar zu sein. Aber dieses Säuberungsverfahren ging zu weit, wenn der Tellmonolog in der hohlen Gasse (hier erhob sich zum ersten Mal Widerspruch) zusammenschrumpfte und bis zur Unkenntlichkeit hervorgeknirscht wurde. Und was half dieser Kleinkrieg gegen Weitschweifigkeit und blumige Rhetorik, wenn zum Ersatze Sprechpausen hinzugedichtet wurden, die für gedanklich ausgetretene Pfade kein Vorteil waren, wenn Charaktergemälde des ausgiebigen Händeschüttelns und Milieustudien bäuerlichen Lachens eingeflochten wurden, die den auf Hurtigkeit eingerichteten Redeströmen Schillers beinahe etwas Komik beimischten. 101 Diese Form der Sprachverwendung, die das Pathos zu unterlaufen suchte, wurde von den Kritikern immer wieder mit Otto Ludwig (1813-1865) in Verbindung gebracht, 102 dessen pointierte Thesen zu Schillers Sprache und seinen Figuren seinerzeit eine große Aufmerksamkeit fanden: Das Charakteristische in Schillers Poesie […] scheint die Inkonsequenz der poetischen Intention, die einer großen Wirkung durch das Ganze nicht den Reiz aufopfern kann, wo irgend Gelegenheit verführt, auch im ganz einzelnen zu wirken, sollte selbst diese einzelne Wirkung der Absicht der Totalwirkung geradezu widersprechen. So ist’s mit den Charakteren; wo sich einer derselben beim Publikum insinuieren kann, da vergißt er leicht die ursprüngliche Intention; wo einem was Schönes zu sagen einfällt, da kann er es nicht bei sich behalten; dergleichen sähe oft wie Improvisation des Schauspielers aus, wenn solche künstliche Rhetorik improvisiert sein könnte. 103 Ludwigs Kritik polemisiert gegen jenes rhetorische Pathos, das von anderer Seite als das besondere Kennzeichen und die spezifische Stärke Schillers verstanden wurde. Jenseits der Frage, ob sich die Schiller’schen Texte überhaupt unter dem Gesichtspunkt eines (wie auch immer zu bestimmenden) Realismus betrachten lassen, markiert der Einwand ein zentrales Problem der Darstellung, nämlich zum einen die oftmals überbordende Rhetorik, die den Gesamtzusammenhang zu zerstören droht, zum anderen den eklatanten 100 Klaar 1913a. 101 Faktor 1913. 102 Vgl. etwa Klaar 1913a oder Schlenther 1913b. 103 Ludwig 1908, 198. 82 Widerspruch zwischen dem behaupteten sozialen Stand der Figuren und ihren Sprach- und Ausdrucksmöglichkeiten. Dieser Widerspruch stand Pate für die Entstehung des Naturalismus und seine Programmatik, Figuren und ihre Sprache wirklichkeitsgetreu zu gestalten. Hauptmann verfehlte mit seinem Versuch, das Pathos des Textes zu ersetzen und stattdessen den Mangel an Ausdrucksfähigkeit der Figuren darzustellen, die Erwartungen seines Publikums bzw. überforderte dessen Bereitschaft für ästhetische Innovationen. Die Hauptmann’sche Sprachbehandlung zeitigte aber Konsequenzen, die über die gesprochene Sprache hinausreichten, denn durch das Unterlaufen des ‚hohen Dichterwortes’ gewannen die nicht-sprachlichen Zeichen an Bedeutung. Paul Schlenther lobt dies ausdrücklich: In den ersten Szenen lag der ganze schwere Druck des geknechteten Volkes gleichsam in der Luft. Die Atmosphäre wog Zentner. […] Aus belasteten Seelen rangen sich die Worte los. Gerhart Hauptmann kennt ja nicht bloß die armen Weber, sondern auch die Bauern, Hirten und Jäger; er hat das Wunderwürdige vermocht, diese schlichten Menschen in ihrem harten Kampf um Nächstes und Höchstes schlicht zu halten, und doch seelisch über die großen, glänzenden Worte emporzuheben, die ihnen Schiller in den Mund gelegt hat. […] Gerhart Hauptmann hat gezeigt, daß auch Schiller seine Menschen menschlich sah, daß auch er von theatralischen Konventionen der Worte und Gebärden zu befreien ist. 104 Während Schlenther eine Renaissance des Schiller’schen Textes sah, der eine tiefere, unter den „theatralischen Konventionen der Worte und Gebärden“ verborgene, menschliche Wahrheit zu Tage brachte, verwarf Karl Strecker in seiner Rezension in „Bühne und Welt“ ebendiese Strategie als „Misshandlung Schillers“: [E]r [Hauptmann] hemmt als Regisseur […] ihre Sprache durch Stocken, Flüstern, Unterbrechungen, Hüsteln, Lachen, unartikulierte Laute. Er will damit andeuten, daß sie natürlich sprechen. Aber sie sprechen ja trotzdem nicht natürlich, […] sondern Schillersch. Er will ferner damit andeuten, daß sie ihr eigentliches Empfinden verschweigen, daß sie noch allerhand zu sagen hätten, und nur ein Stammeln dafür finden. Aber sie haben gar nichts mehr zu sagen, weil Schiller mit seiner unvergleichlichen dichterischen Kraft eben alles aus ihnen herausholt, was sie denken und empfinden. 105 Hinter dieser divergierenden Einschätzung verbirgt sich mehr als eine unterschiedliche ästhetische Bewertung der Sprachverwendung oder die altbekannte Diskussion um die Frage der Werktreue. Hier werden die Möglichkeiten und Grenzen der Inszenierung kanonischer Texte deutlich: Die kulturelle Position von „Wilhelm Tell“ drohte, eine unvoreingenommene Rezeption auf der Bühne nachgerade unmöglich zu machen, da das (gebildete) Publikum fortwährend auf Zitate oder wohlbekannte Sinnsprüche lauerte. Siegfried Jacobsohn hat diesen Widerspruch zwischen kanonischem Status und unmittelbarer Theatererfahrung deutlich benannt: 104 Schlenther 1913a. 105 Strecker 1913, 83. 83 Aber seien wir ehrlich: er [„Wilhelm Tell“] ging keinen mehr viel an. Soweit ihn uns die Schule nicht verekelt hatte, verekelte ihn das Theater. […] Hauptmann wäre zu tadeln, wenn er irgendwo den Charakteristiker Schiller getroffen hätte. Er hat nur den Rhetoriker Schiller getroffen und darum ist er zu loben. 106 Die Rhetorik der Schiller’schen Texte aber bestimmte Schillers Position gerade außerhalb des ästhetischen Diskurses. 107 Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde er nicht nur als der deutsche Nationaldichter gefeiert, sondern er wurde regelrecht zu einer „versteinerten Integrationsfigur“ 108 , um die sich ein intensiver Kult rankte. Dieser artikulierte sich in Denkmälern, Statuen und Festaufführungen sowie in der Distribution seiner Werke in preisgünstigen Ausgaben mit hohen Auflagen. 109 Jacobsohn benennt mit Schule und Theater, denen er eine prägende Wirkung auf die Haltung zum Text zuschreibt, nicht nur zwei zentrale Institutionen, die das bürgerliche Bewusstsein prägten, sondern implizit auch genau ihre Wechselwirkung: Beide - so unterschiedlich ihre Form und Wirkungsweise sein mag - haben in dieser Konstellation die Verbreitung und Verbindlichkeit einer bestimmten Lesart zu stützen und festzuschreiben. Neben diese institutionellen Formen tritt die Implementierung in die Alltagskultur durch das Zitat. Peter Utz hat darauf aufmerksam gemacht, dass mit dem ersten Erscheinen von Georg Büchmanns „Geflügelten Worten“ ( 1 1864/ 13 1884) die bürgerliche Zitatkultur ihren Höhepunkt erreichte: So begründet das Zitat eine spezifische Form der Öffentlichkeit - und ist nur innerhalb dieser Öffentlichkeit begründet: nur was als Zitat und Anspielung verstanden wird, ist ein Zitat und eine Anspielung. 110 Das Zitieren erfüllte im Kontext bürgerlicher Kultur die Funktion, im performativen Akt die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu demonstrieren, wobei diese Zugehörigkeit durchaus exklusive Züge gegenüber jenen trug, die über ein entsprechendes Wissen nicht verfügten. Diese Durchdringung des Textes durch die Zitatkultur - Utz spricht in diesem 106 Jacobsohn 1913, o.S. 107 So schreibt etwa Ferdinand Tönnies in seiner Schrift „Schiller als Zeitbürger und Politiker“ (1905): „Die ‚Jungfrau’ und ‚Tell’ wirken heute durch die großen Klänge der Befreiung von Fremdherrschaft, der nationalen Ehre, der Begrenzung von Tyrannenmacht, in Deklamationen, von der Bühne und in Zitaten auf das Volk und auf jugendliche Gemüter mit immer neuem Zauber.“; Tönnies 1905, 41. [Herv. Verf.] Tönnies’ Bemerkung ist insofern von besonderem Interesse, als er Deklamation, Bühne und Zitat als gleichberechtigte Wirkungsebenen beschreibt, ohne sich der Wertung des ästhetischen Diskurses anzuschließen. 108 Utz 1984, 56. 109 Vgl. Utz 1984, 57. 110 Utz 1984, 130; Utz’ Argumentation ist allerdings insofern in besonderer Weise durch den Zeitpunkt ihrer Entstehung geprägt, als er das vollkommene Fehlen einer Theorie des Zitierens bemängelt; vgl. Utz 1984, 128. Mittlerweile aber hat sich aus der Intertextualitätstheorie eine umfangreiche Forschungsdiskussion zum Zitat und seiner Bedeutung entwickelt, so dass an dieser Stelle nur auf Utz’ historische Überlegungen rekurriert werden kann. 84 Zusammenhang davon, dass „Tell“ in Deutschland zur „reinen Rede- Figur“ 111 geworden sei - aber konnte nicht ohne Folgen für die Theaterrezeption sein: „[M]an hört den ‚Tell’ mit den Ohren des ‚Büchmann’ und sieht ihn mit den Augen des ‚Baedeker’.“ 112 Marvin Carlson hat, wie angeführt, 113 eben diesen Vorgang als haunting, als Heimsuchung, beschrieben. Im Fall des „Tell“ verstärkt sich dieser Effekt insofern, als die Referenz nicht allein auf andere ästhetische Erfahrungen verweist, sondern auf eine kulturelle Kompetenz und ein Alltagswissen, das für das Bürgertum (in all seinen Schattierungen) konstitutiv war. Im Sinne dieser Erwartungshaltung kann sich eine ‚erfolgreiche’ Inszenierung nur als affirmative Wiederholung des Bekannten darstellen. Diese Rahmenbedingung resultiert weniger aus einer ästhetischen als vielmehr aus einer kulturellen Erwartungshaltung. 114 Wir wollen Schiller ja gerade nicht hüsteln und stammeln hören. Seine Dichtungen sind für das deutsche Volk immer ein Altar im heiligen Hain gewesen, eine Stätte der Erhebung, der Abklärung, Bildung und Erziehung zur Größe. Wenn wir Schiller suchen, so bedanken wir uns gerade in diesem Augenblick für das Waschfaß der Mutter Henschel. 115 Streckers religiöse Metaphorik findet sich auch in Julius Harts Rezension: Eine höchste Respektsperson ist dieser Schiller immer noch für unser Volk, und dies kann von seinen Theaterkünstlern verlangen, daß sie an die Darstellung klassischer Dichtung herantreten, nicht um sie in Grund und Boden zu kritisieren, sondern nur dann, wenn auch sie für den Dichter noch alle Ehrfurcht und Treue in sich verspüren, vom höchsten Willen erfüllt sind, den lauteren Schillergeist zu verkörpern… 116 Diese konservative Lesart der Inszenierung und ihre Einschätzung von Theater steht bereits deutlich außerhalb des ästhetischen Diskurses: Sie postuliert mit ihrer religiösen und fast schon mystischen Metaphorik ein Theater, dessen Produkte nicht Kunst, sondern vielmehr gänzlich Ritual oder „nationaler Gottesdienst“ 117 geworden sind. Hier wird ein Theater vorgestellt, das nicht mehr nur „Bildungstempel“ oder „moralische Anstalt“ ist, sondern zentralen Anteil an der Formung kollektiver Identität hat. Diese Funktion wird so sehr zu seinem Maßstab, dass sich nurmehr nähern darf, wer den „lauteren Schillergeist“ in „Ehrfurcht und Treue“ verkörpern will. 111 Utz 1984, 127. 112 Utz 1984, 128. 113 Vgl. hierzu S. 54f. dieser Arbeit. 114 Diese Erwartung wird von den Kritikern teilweise thematisiert; so beginnt Klaar seine Rezension mit der polemischen Einleitung: „Nur ein Stückchen des ‚Tell’-Monologs wollte ich in später Stunde noch hören, ehe ich die ehemalige Kurfürsten-Oper, die gestern als ‚Deutsches Künstler-Theater’ der Sozietät eröffnet wurde, verließ; ich hörte wirklich nur ein Stückchen; denn das berühmte Selbstgespräch, das zum eisernen Bestand der Dichtung und der Motivierung gehört, war auf kaum die Hälfte zusammengestrichen.“; Klaar 1913a. 115 Strecker 1913, 83. 116 Hart zit. nach Widmann 1925, 169-171. 117 Widmann 1925, 5. 85 Die Argumentation ähnelt in negativer Verkehrung der Bewertung der Laienspiele: Jene erfüllten ihre Funktion, weil sie nicht Kunst sein wollten. Hauptmann wird zum Vorwurf, dass er aus (eigener) ästhetischer Intention heraus die künstlerischen Mittel der Klassik abgelehnt habe und dadurch die ‚eigentliche’, nämlich die kultisch-kulturelle Funktion des „Wilhelm Tell“ nicht habe erfüllen können. Die Verteidiger der Inszenierung setzten hingegen an dieser Funktionalisierung und Engführung ein und verwiesen darauf, dass die kulturelle Bedeutung und Praxis die ästhetische Wahrnehmung nachhaltig beeinträchtige bzw. eine unbefangene Herangehensweise nahezu unmöglich mache. All das Gerede über die furchtbare Verstümmelung des ‚Tell’ durch die Weglassung berühmter und beliebter Stellen erscheint mir unberechtigt. Nach meiner festen Überzeugung stoßen wir uns nur daran, weil wir nun einmal den Tell eben auswendig kennen. 118 Kern der Auseinandersetzung um die Hauptmann’sche Inszenierung war nicht die Frage einzelner ästhetischer Mittel oder die Berechtigung ihrer Anwendung. Die breite Ablehnung markierte sehr deutlich, wie eng die Spielräume waren, die das Theater in seiner Aneignung kanonischer Texte hatte. Schlaglichtartig wird aber auch sichtbar, wie sehr Theater - zumindest im Umgang mit diesen Texten - von einem vormodernen Diskurs der Identitätspolitik in Anspruch genommen und für den ‚Dienst’ zur Festigung kultureller und politischer Normen verpflichtet wurde. Bei aller Ablehnung der ästhetischen Zielsetzung ist es gleichzeitig bemerkenswert, dass Hauptmann an bestimmten Linien der „Tell“-Interpretation festhielt: Hans Marrs Interpretation der Rolle fügte sich in jenes Schema ein, 118 E.K. 1913, o. S.; ähnlich auch Schlenther: „Den Text zum ‚Tell’ aber lernen seit hundert Jahren deutsche Knaben und Mädchen auswendig und behalten ihn zeitlebens im Gedächtnis. Was Schiller selbst jetzt ohne jedes Bedenken opfern würde, ist durch die orthodoxe Macht der Gewohnheit sakrosankt geworden. Wirklich kommt etwas wie Verwirrung über einen, wenn Altbekanntes plötzlich übersprungen wird.“; Schlenther 1913b. Abb. 6: Hans Marr als Tell; Berlin 1913. 86 das seit der Mitte des 19. Jahrhunderts von Schauspielern, wie Barnay oder Kraußneck, vorgebildet wurde, indem er volkstümliche, wenn nicht gar ethnische Merkmale betonte. Bereits das Kostüm verweist auf den archaischen, vor-kulturellen Status der Figur: Mit gebundenen Schuhen, die knapp bis unter das Knie reichen, einem Fellwams, das um die Hüfte mit einem Gürtel zusammengehalten wird, und einer unförmigen Lederkappe passt die Figur sich weniger in das vorherrschende Imaginäre eines mittelalterlichen Dekors an, als dass sie vielmehr auf frühe zivilisatorische Phasen zurückverweist. 119 Dieses ‚Ungehobelte’ wurde von der Kritik als ‚authentische’ Lesart der Figur angenommen. So lobt etwa der ansonsten kritische Klaar: Marr in der Rolle des Tell, der stärksten Bekenntnisse, die den Charakter aufschließen, beraubt, hatte die richtige demotische Auffassung und wußte in der Szene des Apfelschusses durch eine eigentümliche Starrheit, aus der der furchtbare innere Kampf hervorleuchtete, ergreifend zu wirken. Aber im ganzen war der Ton etwas zu sehr auf rauhe Brutalität gestimmt, die dem Gegner die Zähne weist. 120 Während Klaar noch zurückhaltend - aber immerhin doch lobend - von „demotischer Auffassung“ spricht, wird in anderen Rezensionen der Bezug zur autochthonen Lesart des Textes und der Figur sehr viel deutlicher: Man braucht sich nur die äußere Erscheinung dieses Tells anzusehen, um zu begreifen, daß hier weniger der bewußte Volksheld als der dumpfe Volksmann, der Berg-Bauer, das elementare Naturkind dargestellt wird, unter dessen friedlicher Hülle gefährliche Kräfte schlafen. Und dieser Betonung des Erdgeborenen und Erdverwachsenen entspricht das übrige: […]. 121 Auch Schlenther beschreibt Marrs Tell als eine mythische, urtümliche Gestalt: Und wie im Traum legt der große bärenstarke, urweltliche Mensch den Bogen an, wie im Traum schießt er auf den Apfel und wie im Traum hält er noch lange, nachdem der Schuß gefallen ist, seinen Bogen gezielt, bis er den Leib seines lebenden Kindes am eigenen Körper spürt, da erst bricht der Koloß zusammen. 122 Die Formel vom „Sohn der Berge“ leitet - bei Kritikern wie Befürwortern der Inszenierung - die Wahrnehmung Marrs. 123 Hier wird die eigentümliche 119 Faktor schreibt hierzu: „Den Tell spielt Hans Marr, sehr überzeugend, im Aussehen eher ein Wikinger als ein Gebirgsbewohner, aber im Tone von einer so ruhigen Beherztheit, daß bei ihm die Angst vor dem Pathos sehr angenehm berührte.“; Faktor 1913. 120 Klaar 1913a. 121 Anonymus 1913. 122 Schlenther 1913a. 123 Diese Wahrnehmung wurde durch die Persona Marrs noch begünstigt. Adolf Winds schreibt in seiner Abhandlung „Der Schauspieler in seiner Entwicklung vom Mysterienzum Kammerspiel“ (1919) über Marr: „Ebenso besitzt Hans Marr […] die gesunde, kernige Männlichkeit, die den Grundzug der individualistischen Talente bildet; […]. Diese Schauspieler sind in ihrer Ursprünglichkeit nicht nachzuahmen, wer nicht ihre Stärke besitzt, kann ihre Einfachheit nicht erreichen […].“; Winds 1919, 96. Diese 87 Stellung von Hauptmanns Inszenierung deutlich: Während seine ästhetische Intention hinsichtlich der Sprachverwendung mit Blick auf die kultischkulturelle Funktion weithin abgelehnt wurde, scheint seine Lesart der Figuren grundsätzlich mit der vorherrschenden Interpretation zusammenzufallen, die Figuren als Ausdruck eines autochthonen Selbstverständnisses zu verstehen. Das Verkennen des Publikums gründete folglich weniger in den ‚Wertsetzungen’ der Inszenierung als vielmehr in dem Umstand, dass das sensible Gleichgewicht von Sprache, Fabel und Visualität als gestört betrachtet wurde. Der kanonische Text mochte den Figuren äußerlich bleiben, wie man an der reinen Deklamation der Laienspiele erkennen kann, er erfüllte aber für das Publikum (zumindest bestimmter Kreise) die entscheidende Funktion des Wiedererkennens und der Affirmation. Augenscheinlich ist es das Zusammenspiel dieser beiden Ebenen, das die kultisch-kulturelle Funktion vervollständigt. Persona wird später die Rezeption Marrs im Sinne einer völkisch-nationalen Lesart begünstigen, deren Grundzüge vermutlich bereits 1913 angelegt waren. 88 Zwischenspiel mit Überraschung: „Wilhelm Tell“ - ein Stummfilm 1923 Von Hauptmanns Inszenierung führt ein genealogischer Seitenstrang in das Medium Film: Im Jahr 1923 kam der Stummfilm „Wilhelm Tell“ in die Kinos, inszeniert von Rudolf Dworsky (1882-1927) und Rudolf Walther-Fein (1875-1933), in Dekorationen, die Reinhardts Bühnenbildner Ernst Stern (1876-1954) entworfen hatte. 124 Die Titelrolle übernahm Hans Marr, der den Tell zehn Jahre zuvor unter Hauptmanns Regie gespielt hatte und den er 1934 nochmals für einen nationalsozialistischen Propagandafilm spielte. Obgleich der Film erhalten und zugänglich ist, stellt sich die Quellenlage insofern als problematisch dar, als sich keine Rezensionen oder sonstige Kommentare finden lassen; auch die einschlägigen Filmgeschichten geben hierzu keine weiteren Auskünfte. Insofern stützen sich die folgenden Ausführungen vor allem auf eine Analyse des dramaturgischen und bildlichen Aufbaus. Zunächst einmal sticht ins Auge, dass der Film sich nicht einfach auf eine Umsetzung des Schiller’schen Dramas beschränkt, sondern kleinere Szenen hinzufügt, die dem Film weitere Nebenhandlungen eröffnen. Hierzu gehört, dass der junge Melchthal von Tell im Wald bei einem Köhler und seiner Tochter versteckt wird. Hieraus ergibt sich ein neuer Handlungsstrang, denn zwischen Melchthal und der Köhlerstochter entwickelt sich eine Liebesbeziehung - allerdings nur in wenigen Szenen -, die sich in eben jenem Moment erfüllt, in dem das Volk sich gegen den Kaiser und die Vögte erhebt. Privates Glück und nationale Befreiung bilden so eine emotionale Einheit. Diese Strategie findet sich auch auf einer weiteren Ebene wieder; der Handlungsstrang um Rudenz und Bertha wird dahingehend abgewandelt, dass Rudenz nicht erst zu seinen Wurzeln zurückfinden muss, wie dies bei Schiller geschildert wird, sondern dass er im Auftrag des alten Attinghausen an den Kaiserhof geht, um gegen die Behandlung der Bauern durch die Vögte zu protestieren. Hier trifft er auf den - durch die Vermittlung des alten Attinghausen und seine Freundschaft zu ihm moralisch legitimierten - Kanzler, der ihn mit Bertha bekannt macht und so ihre Liebe (augenscheinlich wissentlich) initiiert. Diese Beziehung wird unmittelbar bedroht durch Gessler, der zwar ihr Vormund ist, Bertha aber zur Heirat nötigen will, um an ihr Erbe zu gelangen. Als sie sich ihm verweigert, lässt er Rudenz in den Kerker werfen, um Bertha zu erpressen. Hierdurch kommt es zu einem direkten Antagonismus zwischen Rudenz/ Bertha und Gessler und gleichzeitig zu einer Verknüpfung dieses Strangs mit Tell, denn der Weg durch die „hohle 124 Vgl. zum besonderen Stil Sterns einführend Rorrison 1986. 89 Gasse“ soll Gessler zu seiner Hochzeit mit Bertha führen. Sie entkommt seiner Erpressung nur, weil er vor der Hochzeit ermordet wird. Der Film setzt dies pointiert um: Während Bertha festlich angekleidet auf die Hochzeit wartet, wird Gesslers Leiche in den Hof getragen. Hierdurch werden die Ereignisse noch stärker zugespitzt, die Verbindung von privatem Glück (oder Unglück) und gemeinschaftlichem Wohlergehen nochmals in Szene gesetzt und auf einer anderen sozialen Ebene dargestellt. Hinsichtlich seiner ästhetischen und dramaturgischen Konstruktion fällt auf, dass der Film sich nicht mehr an der Ästhetik der Bühne orientiert, sondern die Stärken des eigenen Mediums herausstreicht. Das geschieht, indem die spektakulären Elemente weiter ausgebaut und genutzt werden. Dies lässt sich sowohl am opulenten Einsatz von Kostümen, Tieren und Statisten erkennen wie auch an der teilweise ausführlichen Darstellung grausamer Szenen, wie etwa der Blendung des alten Melchthal, dem Niederbrennen seines Hofes oder jener Szene, in der Baumgarten den Vogt Wolffenschiessen erschlägt, der seine Frau bedrängt. Hierbei arbeitet der Film mit einer Mischung aus gezeigten Grausamkeiten und metonymischen Schnitten auf Details, die der Fantasie des Betrachters weiteren Spielraum eröffnen. 125 Konsequent setzt der Film jene Handlungselemente, die Schiller nur in mündlicher Rede präsentiert, bildlich um. Diese Verschiebung gründet in den Bedingungen des immer noch jungen Mediums Film, erfüllt aber auch eine zentrale dramaturgische Funktion, weil die Gewalt des Widerstands angesichts des Übermaßes an exzessiver, obrigkeitsstaatlicher Grausamkeit als legitimiert, ja nachgerade als vernachlässigenswert erscheint. Dramaturgie und Aufbau des Films sind geprägt durch eine komplexe Struktur von Schnitten, die das szenische Nacheinander des Textes in eine Gleichzeitigkeit oder wenigstens in ein Nebeneinander kurzer Sequenzen überführt. Im Folgenden soll dies anhand der Rütli-Szene ausführlicher dargestellt werden: Die Szene, die in der Mitte des Films angesiedelt ist, wird eingeleitet durch einen Blick auf den Vierwaldstätter See, während man im Vordergrund kapuzentragende Gestalten als Schattenrisse erkennen kann, die sich langsam aus dem Dunkel der Bäume lösen. Sodann erfolgt ein Gegenschuss der Kamera: Man sieht eine Gruppe von Männern, die vor einem dunkleren Hintergrund in einem helleren Kreis stehen und Richtung Zuschauer zeigen. Es erfolgt neuerlich ein Gegenschuss, im Vordergrund wieder die Köpfe, der See ist nun deutlicher zu erkennen, auch ein Boot wird sichtbar. Nochmals ein Gegenschuss auf die Männergruppe, zu der sich nun aus dem Hintergrund weitere Figuren gesellen, die unter Umarmungen begrüßt werden. Dieser Wechsel von Schuss und Gegenschuss wiederholt sich noch öfter, der 125 Die erwähnte Baumgarten-Szene zu Beginn des Films wirkt in diesem Zusammenhang allerdings nahezu grotesk: Als Baumgarten, von den Hilferufen seiner Frau vom Holzfällen im Wald herbeigerufen, an seinem Haus ankommt, wird er in einer Großaufnahme mit der Axt in der Hand gezeigt wird, bei der die Tür als Bildrahmen fungiert. Es erscheint der nur ironisch zu verstehende Zwischentitel: „Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.“ 90 Schauplatz wird von immer mehr Figuren belebt. Im Vordergrund ist Stauffacher zu erkennen. Es erfolgt ein Schnitt: Man sieht Gessler in einem ansonsten dunklen Raum, dessen Hintergrund nicht zu erkennen ist, an seinem nur von Kerzen erleuchteten Schreibtisch sitzen. Im Hintergrund zeichnet sich eine Tür ab, ein Diener erscheint. Zwischentitel: „Die Späher melden, daß es gärt im Volk.“ Gessler lehnt sich zurück, blickt seinen Diener an. Zwischentitel: „Sie werden lernen, sich zu ducken! “ Gessler nimmt eine der auf dem Tisch liegenden Schriftrollen, breitet sie aus und zeigt sie seinem Diener. Es erfolgt ein Schnitt: Man sieht wieder den Versammlungsplatz. Die Gruppe hat sich nun so formiert, dass sie in einem zum Zuschauer geöffneten Winkel steht, an der Spitze, etwas erhöht, Stauffacher. Großaufnahmen einzelner Figuren, die wild gestikulieren und die Fäuste ballen, Schwenk auf Stauffacher, der sich mit leicht gebeugtem Oberkörper nach links und rechts wendet und offensichtlich eine Ansprache hält. Dann streckt er die Hand nach vorne aus; als die Menge (freudig) auf ihn zuläuft, hebt er beide Arme in die Höhe. Die Menge weicht einen Schritt zurück. Zwischentitel: „Nichts fordern wir als unser Recht: Frei unter Freien friedlich leben.“ Zustimmendes Nicken. Dann erscheint im Hintergrund der junge Melchthal. Zwischentitel: „Auf nichts als blutge Vergeltung will ich denken.“ Schnitt: Man sieht Tell, ohne sein Wams, nur in einem offenen, weißen Hemd, wie er sich über seine schlafenden Knaben beugt. Er betrachtet sie erst, dann streicht er ihnen über den Kopf. Es folgt eine Großaufnahme der Kinder. Schnitt: Die Gruppe hat sich wieder in die Position des offenen Winkels gestellt, Stauffacher in der Mitte. Er streckt eine Hand vor. Zwischentitel: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr.“ Er streckt nochmals bekräftigend seine Hand vor, die nun von zwei anderen Figuren genommen wird. Die Aufstellung der Versammlung hat sich in kleinere Gruppen gelöst, die jeweils einander zugewandt stehen und sich wiederholt die Hände reichen. Aus dem Hintergrund löst sich der junge Melchthal, den man in einer Großaufnahme sieht. Er rauft sich die Haare. Zwischentitel: „Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, eher den Tod als in der Knechtschaft leben.“ Er führt beide Hände an die Brust und reckt sie dann in die Luft; die übrigen Figuren greifen zustimmend seine Geste auf. Nun tritt ein Mönch aus dem Hintergrund vor, hebt seine Arme, alle senken die Köpfe. Zwischentitel: „Wir wollen trauen auf den höchsten Gott und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.“ Schnitt: Man sieht einen belebten Marktplatz, im Hintergrund steht bereits die Stange mit dem Gessler-Hut. Der Film inszeniert die Rütli-Szene als Höhe- und Knotenpunkt der Handlung, indem er ihn durch die beiden eingeschnittenen Szenen mit den übrigen Handlungssträngen verbindet: Die Gessler-Szene etwa ruft nicht nur die bereits gezeigte Unterdrückung und Gewalt ins Gedächtnis, die die Rütli-Szene motiviert, sondern sie dient zugleich als Vorausschau und 91 Klammer zur Apfelschuss-Szene, die sich unmittelbar an den Rütlischwur anschließt. Der Text des Zwischentitels mit Gesslers Drohung kann nicht anders verstanden werden als ein unmittelbarer Verweis auf das Gebot, dem Hut die Reverenz zu erweisen. Umgekehrt ist die Szene wiederum mit der Rütli-Szene durch die Mitteilung des Boten verklammert, es „gäre im Volk“. Durch diese inszenierte Gleichzeitigkeit wird das Nacheinander des Textes in ein dynamisches Gefüge verwandelt. Im Vergleich dazu ist die eingeschobene Tell-Szene weniger stark mit dem unmittelbaren Handlungsvorgang verbunden; sie bildet einen Kontrapunkt: Sowohl die zärtliche Geste Tells, der den Schlaf seiner Söhne bewacht, wie vor allem die diese Sequenz abschließende Großaufnahme der schlafenden Kinder evozieren geradezu klischeehaft Vorstellungen von Friedfertigkeit und Familienidylle. Beiden Einschüben kommt im Hinblick auf die Rütli-Szene eine weitere zentrale Funktion zu: Sie markieren die Gegensätze, zwischen denen sich die Gemeinschaft am Rütli konstituiert, nämlich zwischen der Repression und sadistischen Willkür des Vogts auf der einen und dem friedlich-idyllischen Familienleben auf der anderen Seite. Jenseits ihrer narrativen Verklammerung bilden sie eine Kommentarebene, durch die die Tragweite der Rütli-Szene sich erst erschließt. Es gehört zu den Besonderheiten des „Tell“-Films, dass er neben den überwiegenden Studioaufnahmen Aufnahmen an Originalschauplätzen zeigt. 126 Dieses Unterfangen erklärt sich auch aus der Tatsache, dass durch die seit dem 19. Jahrhundert übliche Engführung von literarischem Text und Landschaft eine Imagination geschaffen wurde, die das Theater nur in Ausnahmefällen bedienen konnte, die dem Film aber einen deutlichen Vorteil hinsichtlich der Nutzung des Spektakulären eröffnete. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass im Film die Aufnahmen der Originalschauplätze an einigen zentralen Stellen eine eigene Bedeutungsebene konstituieren. So auch in der Rütli-Szene: Eingeleitet wird die Szene durch wiederholte Außenaufnahmen, wobei besonders die visuelle Verschmelzung von Figuren und Landschaft herausgestellt wird. Dies lässt sich auch im Sinne der autochthonen Lesart des „Wilhelm Tell“ verstehen, die in der Genealogie dominiert. Die deiktischen Szenen 127 stehen in einem Kontrast zu den Versammlungsszenen, denn hier wird eine räumliche Konzentration dadurch geschaffen, dass die Umgebung vollkommen im Schwarzen verschwimmt. 128 Die Gemeinschaft bzw. der Ort der Gemeinschaft erscheint vor 126 Dies war in den 1920er Jahren keineswegs üblich; so weist Lotte H. Eisner anhand von Fritz Langs „Nibelungen“-Film darauf hin, dass Außenaufnahmen zu dieser Zeit eher eine Ausnahme waren und dass bspw. die UFA sie strikt ablehnte; vgl. Eisner 1973, 151. 127 Hier wird teilweise das Imaginäre des Tourismus bedient, wenn etwa ein pittoresker Blick auf den Vierwaldstätter See mehrfach vorgeführt wird. 128 Eine ähnliche Strategie liegt bei den beiden eingeschobenen Sequenzen vor - auch hier wird durch die Verdunkelung ein künstlicher Raum geschaffen. 92 dem Hintergrund des formlosen Dunkels als ein durch den Lichtkreis besonders hervorgehobener Ort. 129 Der Rütli wird nicht als ein konkreter Platz inszeniert, vielmehr erscheint er als symbolische Größe. 130 Die Helligkeitskontraste und deiktischen Verweise gehen nicht mehr in einer realistischen Verweisstruktur auf, sondern fungieren als Markierungen kultureller Wertigkeit. Am deutlichsten wird diese Verschiebung hinsichtlich der Sprachverwendung: Die Konstitution der Gemeinschaft erfolgt nicht aus dem Geist der Rede wie bei Schiller. Der Film versucht auch nicht, das technische Defizit der Tonlosigkeit durch Schrift zu kompensieren; die Zwischentitel ergänzen lediglich bekannte Schlagworte und stehen wie Motti den aus sich selbst verständlichen Bildern gegenüber. Dadurch erscheint die Menge als eine Gefühlsgemeinschaft, die sich, unter der väterlich beschwichtigenden Leitung Stauffachers, zur Tat zusammenschließt. Auffällig sind hierbei die verwandten choreographischen Formen, zum einen der Kreis, zum anderen jener offene Winkel, der das Publikum symbolisch in den Kreis der Gemeinschaft einzuschließen scheint. Mit den eingeschobenen Szenen ist in dieser Schlüsselsequenz ein Antagonismus präsent, der sich konsequent durch den ganzen Film zieht: nämlich die Gegenüberstellung zwischen Gessler und Tell. Natürlich ist dieser ohnehin ein konstitutiver Bestandteil des Dramas und auch der Bühnengenealogie. Allerdings setzt der Film ihn auf allen Ebenen konsequent um und konstruiert über die Vorgaben des Textes hinaus eine Reihe direkter Konfrontationen. So wird etwa zu Beginn des Films ein Schützenfest gezeigt, aus dessen Wettbewerb Tell als Sieger hervorgeht. In dem sich anschließenden Festumzug wird er von den Dorfbewohnern als „Schützenkönig“ gefeiert. Als der Umzug auf Gesslers Gefolge stößt, erkundigt sich dieser, welchem König gehuldigt werde. Auf Tells Antwort reißt Gessler ihm mit dem Hinweis, er kenne nur einen König, die Trophäenkette vom Hals. Tell wehrt den einsetzenden Protest der Übrigen ab und erwidert (in einem Zwischentitel): „Einmal bricht jede Kette.“ Im Kontext des gesamten Films kann dies als eine Vorausschau auf die Befreiung aus der Unterdrückung der Vögte verstanden werden. Bemerkenswert an dieser Szene ist ihr bildlicher Aufbau, der sich in der Apfelschuss-Szene wiederholen wird: Während Gessler zu Pferde sitzt, steht ihm, umgeben von den übrigen Dorfbewohnern, Tell gegenüber. Gessler hingegen wird von seinem Tross im Hintergrund und durch Soldaten umringt. 129 Der Film nutzt diese Strategie der ‚Ortlosigkeit’ durch einen dunklen Hintergrund noch an anderen Stellen, um durch den Ausdruck der Figuren das Geschehen zu kommentieren; vgl. etwa die Szene, wenn Baumgarten Wollfenschiessen erschlägt: Die Tat wird reflektiert durch eine Großaufnahme seiner Frau vor einem dunklen Hintergrund. 130 Es ist zu berücksichtigen, dass diese Funktion wesentlich durch den Kontrast zu den sehr detaillierten und konkreten Raumaufnahmen steht; hierdurch erscheint das Fehlen einer bestimmten Deixis besonders markiert zu werden. 93 Durch den Höhenunterschied muss Tell zwar immer zu Gessler aufschauen, die ihn umgebenden Menschen zeigen ihn aber als Teil einer größeren Gemeinschaft - im Gegensatz zur relativ isolierten Position Gesslers. Gleichzeitig weist Tells Körperhaltung, die bisweilen geradezu an Standbilder zu erinnern scheint, einen gewissen Stolz auf, während Gessler in seinen Bewegungen durch die Position auf dem Pferd sehr eingeschränkt ist. Er selbst kann Tell körperlich (außer mit seiner Peitsche) nicht erreichen. Dieses asymmetrische Verhältnis wird in einer für den Film neugeschaffenen Szene vollkommen ins Gegenteil verkehrt: Man sieht in einer Gegenlichtaufnahme Gessler von hinten, wie er in freier Natur einen Bergpfad hinaufgeht. An einem Engpass, der um eine 90° Kurve führt - was bedeutet, dass man den weiteren Verlauf des Weges nicht überblicken kann -, begegnet ihm plötzlich Tell. Gessler drückt sich erschrocken an die Felswand, während Tell weit ausschreitend an der dem Abhang zugewandten Seite des Pfades steht. Nach einer Großaufnahme, die in Schuss und Gegenschuss Gessler und Tell zeigt - diesmal in einem umgekehrten Größenverhältnis, da Gessler sich ängstlich nach unten duckt -, erscheint der Zwischentitel: „Der alte Urzustand der Natur kehrt wieder, wo Mensch dem Menschen gegenübersteht.“ Es folgt nochmals eine Großaufnahme von Tell, der auf- und niederblickt, um dann die Kappe von seinem Kopf zu nehmen und zu sagen: „Ich bin’s, der Tell? [sic! ] - Was ist Euch, Herr? “ In der folgenden Großaufnahme ist nur der Kopf Gesslers, eingerahmt von einem Fuchspelz, zu sehen, der verneinend blickt und andeutungsweise die Peitsche bewegt. Nachdem Tell weitergegangen ist, sieht man Gessler nochmals angsterfüllt den Kopf in Richtung des Pfades bewegen. Diese Szene zeigt in spiegelbildlicher Verkehrung das Verhältnis zwischen Gessler und Tell, wie es bereits in ihrer ersten gemeinsamen Szene angelegt ist. Hier allerdings - und der Zwischentitel verweist ja explizit darauf - in einer Umgebung, in der das Naturrecht noch (oder wieder) gilt. Dabei kommt besonders die unterschiedliche Physis der beiden Darsteller zum Tragen: Während Marr ein großgewachsener, stämmiger Mann ist, erscheint Veidt als Gessler zwar drahtig, aber auch fragil. Verstärkt wurde dieser Gegensatz noch durch die Persona des Gessler- Darstellers, denn Conrad Veidt (1893-1943) war einer der berühmtesten Filmschauspieler seiner Zeit. Er wirkte bereits 1916 in Filmen mit, am bekanntesten ist sicherlich seine Darstellung in „Das Kabinett des Dr. Caligari“ (1919/ 20) sowie seine Mitwirkung in Richard Oswald-Filmen, wie „Anders als die Anderen“ (1919). Er galt nicht nur als einer der Hauptvertreter des filmischen Expressionismus; durch seine Spielweise wurde er oft auf die Darstellung exotischer oder marginaler Figuren festgelegt. Ebendiese Spielweise und die ausgestellte fragile Körperlichkeit wird im „Tell“-Film der als kraftvoll und ‚gesund’ dargestellten Physis Marr-Tells gegenübergestellt. Gessler erscheint im negativen Sinne als ‚Kulturprodukt’, das in der freien Natur nicht (über-) lebensfähig wäre. Dieser Effekt wird auch dadurch erzielt, dass Tell in verschiedenen Einstellungen explizit als autochthone Gestalt gekennzeichnet wird, so etwa, 94 wenn er zu Beginn beobachtet, wie Baumgarten um Hilfe bittet. Die Kamera zeigt Tell vor einer grauen Felswand, von der er sich optisch kaum abhebt. Erst durch seine Bewegungen löst er sich langsam von ihr. Auch die Ermordung Gesslers wird umrahmt von diesem Gegensatz: Tell läuft nach seiner Flucht von dem Schiff auf eine freie Lichtung und wirft sich mit weitausgebreiteten Armen auf den Boden, um dann gen Himmel zu blicken. In seinem Fühlen und Handeln scheint Tell in einer inneren Einheit zur Natur zu stehen - so dass er vor seiner schicksalhaften Entscheidung, Gessler zu töten, allein in der Natur dargestellt wird. Im Gegensatz dazu wird in einer Großaufnahme gezeigt, wie Gessler sein zurückscheuendes Pferd mit gewaltsamen Tritten in die Flanke in jene „hohle Gasse“ treibt, in der er sterben wird. Insofern scheint sein Tod durch seine Unfähigkeit, auf die ‚Stimme der Natur’ zu hören, mitverursacht. Konsequent setzt der Film jene autochthone Lesart ins Bild, die Marr bereits 1913 in Hauptmanns Inszenierung verkörpert hatte. Nur wird sie hier noch dadurch verstärkt, dass Veidts Gessler in allen Punkten als spiegelbildlicher Antagonist dargestellt wird. Obwohl der Film sich in dieser Frage an den vorgezeichneten Spuren der Genealogie zu orientieren scheint, weist er am Ende allerdings eine Überraschung auf: Während die Signalfeuer und die Mobilisierung der Schweizer ausführlich gezeigt werden, sieht man kaum eigentliche Bilder des Umsturzes. Dieser Verzicht lässt sich durch den Umstand erklären, dass die eindeutige Parteinahme des Films nicht dadurch gestört oder in Frage gestellt wird, dass die revolutionäre Gewalt visuell mit derjenigen der Vögte gleichgesetzt wird. 131 Nachdem die Freiheit errungen ist, sieht man Tell einsam auf einem Berggipfel stehen. Er blickt auf das Land, dann auf seine Armbrust, die er mit beiden Händen hält und kurz an seine Brust drückt; darauf nimmt er ein Messer und zerschneidet die Sehne. Schließlich rammt er die Armbrust in den Boden, wo sie wie ein Kreuz stehen bleibt, während er selbst beide Arme ausbreitet und für einen Moment im Wind steht. Diese Apotheose des Tell ist eine ambivalente Szene: Auf der einen Seite inszeniert sie ihn als Christusfigur, die durch ihre Tat die Gemeinschaft gerettet und gestiftet hat, auf der anderen Seite kann sie als eine deutliche Abkehr von jeglicher Gewalt verstanden werden. Der Film verstärkt diese pazifistische Interpretation noch dadurch, dass Tell auf die Frage seines Sohnes, wo die Armbrust sei, am Ende des Films antwortet: „Kein Pfeil soll mehr von ihrer Sehne schnellen.“ Der Film endet denn auch nicht (wie bei Schiller) in einem Gruppentableau, das alle sozialen Gruppen als Gemeinschaft inszeniert, sondern in einer Familienaufnahme Tells mit seiner Frau und seinen Söhnen. 131 Stattdessen inszeniert der Film, wie der alte Melchthal dem Vogt, der ihn blendete, verzeiht, um einen gesellschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen. Diese Episode wird bei Schiller zwar auch erwähnt (V, 1; 2903-2911), wirkt aber beiläufiger, weil sie nur in einem Botenbericht in größerem Zusammenhang ausgeführt wird. 95 Mit dieser Episode vollzieht der Film in seiner Schlussphase eine Wende, die überrascht, weil sie den Pfad der bekannten, nationalen Lesart verlässt. Sie lässt sich mit diesem pazifistischen Schluss nicht in Einklang bringen. Diese zweite, sich nur am Ende zeigende Lesart - so inkonsequent sie auch durchgeführt worden sein mag - steht im Kontrast zum nationalistischen Gebrauch des „Tell“ in den 1920er Jahren auf vielen deutschen Bühnen. Sie kann dramaturgisch letztlich nur durchgeführt werden, indem Tell sich am Ende ganz ins Private zurückzieht. Gleichwohl fallen damit die verschiedenen Handlungsstränge des Films auseinander, denn die visuelle Apotheose des Tell als naturkindlicher Christus hält die Figur weiterhin für eine nationalistische und homogenisierende Lesart offen. Insofern befindet sich der Film in einer Zwischenposition: Auf der einen Seite benutzt er die konventionelle Lesart und trägt sie, vor allem durch die Darstellung Marrs, weiter, auf der anderen Seite unternimmt er gleichzeitig (an einigen Stellen) den Versuch, eine neue, pazifistische Interpretation des „Tell“ zu entwickeln. Angesichts der Dominanz der Genealogie aber erscheinen diese Versuche als zu vereinzelt, um eine wirklich neue Lesart zu etablieren - darüber hinaus bleiben viele der verwandten Bilder auch für eine konservative, nationalistische Lesart appropriierbar. 1934 drehen Marr und Veidt nochmals gemeinsam einen „Tell“-Film, in der Schweiz, finanziert mit Geldern der nationalsozialistischen Regierung. Es ist Veidts letzter Film, bevor er Deutschland verlässt, Marr hingegen, bekennender Nationalsozialist, 132 inszeniert diesmal die Figur als völkische Führerfigur in einem Dekor, das deutlichste Anklänge an nationalsozialistische Kulte hat. 133 Rückblickend zeigt sich hier eine Kontinuität, denn die Anlage des Wilhelm Tell als völkische, ethnisch gekennzeichnete Figur im Rahmen eines Kampfes einer autochthonen Kultur gegen eine rein äußerliche und schwächliche Zwangsherrschaft lässt sich bei Marr schon in den früheren Inszenierungen finden. Der Medienwechsel selbst, der diesen Filmen vorausgeht, bedeutet auch eine Verschiebung der kulturellen Funktion: Während durch die unmittelbare Präsenz von Darstellern und Zuschauern die Möglichkeit besteht, dass die Kommunikation die Grenze der Bühne überschreitet und so die Inszenierung zu einem affirmativen Ritual kollektiver Werte und Identitätsvorstellungen werden kann, ist der Film in seiner Wirkung allein auf die einseitige Rezeption der Bilder durch den Zuschauer angewiesen. Die Grenze zwischen Film und Theater markiert hier nicht nur eine semiotische Differenz, sie kennzeichnet vor allem eine Frage kultureller Wertigkeit. 132 Vgl. hierzu Dumont 1987, 152. 133 Vgl. zu diesem Film, der leider von der Forschungsliteratur kaum beachtet wird, einführend Dumont 1987, 151-155. Bemerkenswert ist an dieser ohnehin knappen Darstellung, wie Dumont versucht, herauszustreichen, in welchem Maße die Schweizer Widerstand gegen diese Form nationalsozialistischer Kulturvereinnahmung geleistet hätten. 97 „Treibt sie auseinander! “ Versuch einer radikalen Lesart: Jessner 1919 Ich raste, übererregt, von allen nur möglichen Leidenschaften erhitzt, voll bewaffnet, ordengeschmückt, peitschenknallend, das „Treibt sie auseinander! “ brüllend, auf die Bühne. […] Entrüstungsgebrüll aus dem Zuschauerraum über die, wie es dem Klüngel schien, übertrieben krasse Darstellung despotischer Gewalt. […] Ich stürmte, peitschenknallend, nun bis an die Rampe vor, übersteigerte den schon höchstgesteigerten Ton und schrie, die Gegenschreie ignorierend, so lange in die Zuschauerhölle hinein, das „Treibt sie auseinander! “ unzählige Male wiederholend, bis die Radaubande wie vor einem Vorgesetzten kuschte. Fritz Kortner 134 Am 12. Dezember 1919 hob sich im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt - seit Kriegsende nicht mehr Königliches Schauspielhaus, sondern Preußisches Staatstheater - der Vorhang für „Wilhelm Tell” in einer Inszenierung des Intendanten Leopold Jessner (1878-1945). Sie war nicht nur der eigentliche, künstlerische Auftakt von Jessners Arbeit als Intendant und Regisseur, sondern auch der Beginn einer erbitterten Auseinandersetzung, in deren Verlauf Jessner selbst zum Symbol des Kampfes um die Kultur bzw. das Bestehen der neuen Republik überhaupt wurde. 135 Seine Persona 136 als Jude und Sozialdemokrat wirkte wie eine Provokation auf nationalistische und konservative Kreise. Der Theaterskandal, der sich um diese Inszenierung rankt, 137 reicht also weit über rein ästhetische Fragen hinaus und markiert vielmehr die umstrittene und streitbare Position, die das Schauspielhaus in jenen Jahren einnahm. 134 Kortner 1991, 356. 135 Vgl. hierzu auch Marx 2005. 136 Die Kenntnisse über Jessners Biographie sind nach wie vor sehr spärlich, es liegen aber mit Feinberg 2003 und vor allem Heilmann 2005 ausführliche Studien vor, die eine solide Grundlage für eine eingehendere Beschäftigung mit Jessner bieten. Der hier verwandte Begriff der Persona verweist allerdings weniger auf die individuelle Persönlichkeit und ihre Biographie als vielmehr auf die öffentliche Wahrnehmung und Darstellung einer Person. 137 Matthias Heilmann hat darauf hingewiesen, dass sich die Forschungsliteratur im Wesentlichen auf die Darstellung Kortners in seiner Autobiographie stützt, dass diese Schilderung aber von den anderen Quellen nur teilweise gedeckt wird. Vor allem - so Heilmanns Folgerung - sei die Darstellung, dass eine ordentliche Durchführung der Aufführung kaum möglich gewesen sei, eine Übertreibung. Vgl. hierzu Heilmann 2005, 147. 98 Im Folgenden soll weniger die Anatomie des Skandals selbst nachgezeichnet werden - dies ist in der Forschungsliteratur bereits mehrfach unternommen worden 138 -, als ausgehend von dem Profil, das sich aus den bisherigen genealogischen Skizzen gebildet hat, versucht werden, die Position der Inszenierung selbst zu beschreiben. Im Zentrum der Inszenierung stand - räumlich wie auch konzeptionell - eine übergroße, monumentale Treppe, die das Bühnenbild von Emil Pirchan (1884-1957) dominierte. 139 Diese Treppe, die noch in weiteren Inszenierungen Verwendung finden und als „Jessner-Treppe“ bald zum Inbegriff eines neuen Regiestils werden sollte, brachte die Intention der Inszenierung bereits durch die Strukturierung des Bühnenraumes zum Ausdruck, wie C. O. Werner Luft es schildert: Am bewußtesten und darum eindeutigsten prägte sich Jeßners Stilisierungswille in der szenischen Gestaltung aus. Der Regisseur suchte nicht mehr jeder einzelnen Szene gerecht zu werden […], sondern er hatte eine architektonische Idee für die Gesamtheit des Bühnenbildes. Das Symbol dieser Idee war eine Treppe, die den Bühnenraum von rechts nach links durchzog und von vorn nach hinten durchstufte. […] Je nach dem Wesen des Schauplatzes wurden auf, hinter und vor dieser Treppe die übrigen Requisiten und Prospekte, wie Zwing-Uri, die zu Zacken stilisierten Berge usw. angebracht. 140 Jessner selbst beschreibt in seinem Aufsatz „Die Stufenbühne“ (1924) diese Stilisierung als eine Konsequenz aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs: Denn der Mensch von heute glaubt nicht mehr an die sogenannte Wirklichkeit, die ihm mit Pappe und Schminke demonstriert wurde, glaubt nicht mehr an die Illusionen eines glanzvoll-farbigen Flitters, den ihm die Rampenlichter vortäuschen. Dem, der selbst als ein Zerrissener durch das Geschehnis der unmenschlich letzten Jahre voll Blut, voll Tränen, voll verhaltenem Grimm gewandert ist, können die Bretter, die die Welt darstellen, nicht mehr als verkleinernde Photographie oder spielerisch-opulentes Zauber-Theater bedeutsam werden. 141 Die Idee der Treppe ist für Jessner eine Chance, die Bühne als ästhetischen Raum neu zu bestimmen, und nicht allein ein modischer Einfall: Denn der Bühnenraum soll nicht mehr nur: Boden sein für Dekorationen, die die jeweilige Umwelt bedeuten, sondern die Möglichkeit bieten einer eigens bewegten Darstellung, die ihre Gesetze lediglich aus dem innerlich Wesenhaften der Dichtung empfängt. 142 138 Vgl. hierzu vor allem die extensive Beschreibung bei Heilmann 2005, 140-169. 139 Vgl. einführend zu Pirchans Arbeiten Eckert 1998, 66-68. 140 Luft 1927, 70. 141 Jessner 1979b, 155. 142 Jessner 1979a, 155. 99 Abstraktion und formale Strenge, mit diesen Begriffen kennzeichnet David F. Kuhns Jessners Arbeiten und beschreibt seinen Inszenierungsstil als emblematisch, 143 indem er ihn gegen einen symbolischen Inszenierungsstil absetzt: The distinction I propose would differentiate two kinds of non-representational, abstractionist acting: in symbolic performance the actor became a connotative image, in emblematic performance he was more like a denotative image. In the former, acting tended towards the evocative and suggestive, the mysterious; in the latter, the actor’s significance on stage was more imagistically and conceptually precise. 144 In der Tat lässt sich für Jessners Inszenierung ein ästhetischer Code beschreiben, der sich nicht allein auf das Bühnenbild beschränkt, sondern sowohl Kostüme als auch die Farbgebung 145 im Ganzen mit einschließt. Nach Kuhns ist es die Konzentration auf eine Kernidee, 146 durch die sich die Jessner’sche Ästhetik auszeichnet; auch Jessner äußert sich in diesem Sinne, wenn er die Treppe in Bezug zur traditionellen Ausstattung von Schillers „Wilhelm Tell“ setzt: Mehr als alle photographische Wiedergabe der Berge müßte ein einziger Bergrücken, ins Überperspektivische auf die Bühne gestellt, die Gewaltsamkeit des szenischen Vorgangs bezeugen. 147 Die meisten Kritiken beziehen sich ausdrücklich auf diese Abstraktion und beschreiben sie als eine Verschiebung gegenüber den konventionellen Darstellungen. Siegfried Jacobsohn, einer der entschiedensten Fürsprecher der Inszenierung, schreibt: Er [Jessner] bricht entschlossen mit der traditionellen Meiningerei und verlangt jedem einzelnen den äußersten Grad von Beseeltheit ab, unbekümmert darum, ob die Art ihres Ausdrucks zu der Freitreppe stimmt oder nicht. 148 Der Verweis auf die „Meiningerei“ und die als überlebt empfundenen Darstellungskonventionen finden sich auch in anderen Kritiken. So bemerkt etwa Norbert Falk: [A]ber der ganze Aufbau dieser Aufführung hat außerordentlichen Wurf, volle Kraft und Wucht und zeigt das Schauspielhaus zum erstenmal jenseits aller bisher 143 Kuhns’ Begriff des Emblematischen darf nicht verwechselt werden mit jenem der Barockforschung, in deren Kontext der Begriff auf eine spezifische Gattung und ein spezifisches Verhältnis von Visualität und Textualität verweist; vgl. etwa Schöne 1993. 144 Kuhns 1991, 35. Kuhns weist in einem anderen Zusammenhang darauf hin, dass vor allem Jessners „Richard III.“ (1920) als ein Musterbeispiel dieser Inszenierungsstrategie angesehen werden kann, während „Wilhelm Tell“ verschiedene Brüche aufweise; vgl. Kuhns 1997, 196. 145 Jacobsohn benennt in seiner Rezension sehr deutlich die Bedeutung der Farbe (im Zusammenspiel mit dem Licht): „Monumentalität muß nicht Farblosigkeit bedeuten. Schon das Licht […] schützt vor Eintönigkeit. Grau lastet der dumpfe Druck auf dem Volke, und golden bricht die Sonne, die immer die Familie Tell gekringelt hat, in aller Hütten und Herzen.“; Jacobsohn 1967, 192. 146 Vgl. Kuhns 1991, 35. 147 Jessner 1979b, 156. 148 Jacobsohn 1967, 192. 100 geübten Meiningerei, Nach-Meiningerei, vollkommen auf dem Boden eigenen Planens. Jeßner hätte sich’s leichter machen können, wenn er mit einem Kompromiß zwischen dem am Gendarmenmarkt herkömmlichen Dekorationsplunder opernhaften Schlages und seinen Absichten begonnen hätte. Er hatte den Mut, einer morsch gewordenen Tradition ins Gesicht zu schlagen, und hat dadurch mit einem einzigen Ruck das Schauspielhaus an die Stelle gestoßen, wo es hingehört. 149 Der „Schlag ins Gesicht einer morsch gewordenen Tradition“ wurde aber nicht nur von jenen Randalierern bekämpft, die versuchten, die Aufführung zu verhindern; 150 auch bei der Kritik fand sie eine geteilte Aufnahme. Alfred Kerr (1867-1948) etwa, der die Aufführung im Ganzen positiv besprach, diagnostizerte in der Innovation auch den Verlust: So steingehauene Regelmäßigkeiten passen für die ‚Braut von Messina’. Hier wird ja das Rütli zum Kapitol. Hier erlebt man eine stilisierte Schweiz; eine naturlose Schweiz; eine begriffliche Schweiz; nicht eine greifbare Schweiz. Die Schiller- Schweiz ist greifbar. Immerhin: die Leute reden jetzt wie Menschen. Früher war alles umgekehrt: die Landschaft war echt, und die Menschen unecht. Dann schon lieber wie heut! 151 Kerrs Argument von der „naturlosen, begrifflichen Schweiz“ bei Jessner, die die „greifbare“ Schweiz bei Schiller ablöst, verweist implizit auf die bis dahin vorherrschende autochthone Lesart. Jessner schuf mit seiner Abstraktion 149 Falk 1967, 197. 150 Ihering versucht in seiner Vorkritik, die Proteste auf eine ästhetische Auseinandersetzung zu reduzieren, (Vgl. Ihering 1967, 190f.) eine Argumentation, die aber den politischen Hintergrund und seine Dimensionen nachhaltig verharmlost. 151 Kerr 1967, 193. Abb. 7: Szenenbild von „Wilhelm Tell“; Regie: Leopold Jessner; Berlin: Preußisches Staatstheater, 1919. 101 nicht allein einen neuen Stil, er löste den „Wilhelm Tell“ aus einer spezifischen, in ihrer kulturellen Funktion zentralen Lesart. Alfred Klaar beklagte dies als „szenische Abzirklung und Entfärbung der Tellbilder, auf deren landschaftliche Treue der Dichter selbst so großes Gewicht legt“ 152 . Klaars Berufung auf die Autorität des Dichters und seine Intention ist nicht nur problematisch, weil sie in dem (im zeitgenössischen Diskurs allerdings akzeptierten) Ideal der Werktreue gründet. Sie verschleiert vor allem, dass im Laufe der Aufführungsgeschichte, gerade seit Mitte des 19. Jahrhunderts, das Bild der Schweiz längst nicht mehr durch die Suche nach Authentizität geprägt war, sondern sie vielmehr zu einem mythischen Ort im Diskurs nationaler Identität stilisiert wurde. Ihering hingegen fasst die Bedeutung der Jessner’schen Entscheidung schon klarer: Er strich die Schweiz und stellte die Personen auf Podeste und Stufen, hinter denen nur die Abschlüsse wechselten: schwarze Wände und Vorhänge, die zu drohenden Gebirgsmassen zusammentraten oder zu Berggassen und freiem Himmel auseinandergingen. 153 Jessner eliminierte die Schweiz als imaginären Bezugsort nationaler Identität und setzt dem die ‚kahle’ Bühne entgegen; Podeste statt Berge, Stufen statt Täler. In diesem Sinne ist Jessners Inszenierung nicht nur durch das zu verstehen, was sie zeigte, sondern auch durch das, was sie gezielt verweigerte: Sie verschloss sich in ihrer Abstraktion einer nationalen Appropriation und versuchte den Text wieder auf das zurückzuführen, was er ist, ein ästhetisches Konstrukt. Kuhns hat Jessners politische Haltung, in Anlehnung an Kortners teilweise sehr polemische und subjektive Einschätzungen, 154 als abstrakt beschrieben. „Jessner’s strategy for plumbing the spiritual dimension of political struggle was to approach it on a mystical level, expressed in an austere, disciplined formalism […].“ 155 Kuhns’ Argumentation erweist sich mit Blick auf Jessners Inszenierungen - „Wilhelm Tell“ kann hier als der Beginn einer Reihe von Arbeiten verstanden werden - durchaus als stichhaltig: Die Abstraktionen vom historischen Kontext scheinen vornehmlich auf eine tiefere Bedeutung des Textes hinweisen zu wollen. Jessner selbst spricht in diesem Zusammenhang vom „innerlich Wesenhaften der Dichtung“ 156 . 152 Klaar 1919b. 153 Ihering 1919. 154 Es gehört zu den Schwächen von Kuhns’ Argumentation, dass er sich zu sehr auf Kortners autobiographische Beschreibungen stützt und auch die dort getroffenen Urteile übernimmt. Dies mag zwar dem bis heute bestehenden Desiderat einer ausführlichen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Jessner geschuldet sein, dennoch bleibt festzustellen, dass Kuhns keine hinreichende kritische Würdigung seiner Quellen unternimmt. 155 Kuhns 1991, 37. Vgl. auch Kuhns 1991, 46. An anderer Stelle bemerkt er hierzu: „However, the inability of the Expressionist theatre to develop an ultimately effective political discourse revealed the inadequacy of its vague, spiritualized political activism. Jessner, as I noted earlier, shared that spiritual view of politics.”; Kuhns 1997, 216. 156 Jessner 1922, 155. 102 Zieht man jedoch die Bühnengenealogie zur Beurteilung hinzu, so stellt sich die Situation anders dar: Die Reduktion und Verweigerung der allbekannten dekorativen Opulenz erscheint als unmittelbare politische Stellungnahme. Die teilweise sehr heftigen Reaktionen des Publikums können in diesem Sinne auch als eine Reaktion auf diese Stellungnahme verstanden werden. Indem Jessner den imaginären ‚Ursprungsort’ nationaler Identität verweigerte, warf er den Text auf die Gegenwart der Zuschauer zurück. Mit dieser Strategie ging Jessner über jene Versuche hinaus, die Hauptmann 1913 unternommen hatte. 157 Hatte Hauptmann versucht, den Text im naturalistischen Sinne zu verstehen und der autochthonen Lesart zu folgen, blieb ein solcher Weg bei Jessners Produktion versperrt. Wenn Jacobsohn angesichts des Bühnenbildes bemerkt: „Der Phantasie sind keine Schranken gesetzt.“ 158 , dann gilt es umgekehrt auch festzustellen, dass die kollektive Imagination, die sich im Laufe der „Tell“- Rezeption, gerade im Hinblick auf den Ort der Handlung, immer mehr verfestigte, hier keinen Platz finden konnte. Paul Fechter, der der Inszenierung ablehnend gegenüberstand, formulierte genau dies: Wenn irgendein Werk, so ist dieses umschwebt von den Erinnerungen von Generationen; alle guten Geister von der Schmiere bis zum Hoftheater haben an seinem Vorstellungsbild gebaut. Wenn man das der Welt umwirft, so gilt es vorher, sich zu fragen, ob man auch reich genug ist, ihr Höheres zu bieten, wenn sie den Tand unwillig fahren lässt. 159 157 In den Rezensionen wird der Vergleich zwischen Hauptmanns und Jessners Inszenierung durchaus immer wieder gezogen; vgl. beispielhaft Ihering 1919. 158 Jacobsohn 1967, 191. 159 Fechter 1967, 195. Abb. 8: Fritz Kortner als Gessler; Berlin: Preußisches Staatstheater 1919. 103 Fechters rhetorische Frage geht von der affirmativen Funktion des Textes und seiner Inszenierung aus. Gerade dieser aber sucht Jessner den Text zu entziehen, indem er ein ‚Wiedererkennen’ unmöglich macht. Jessner nutzt „Wilhelm Tell“ nicht, um Freiheit und nationale Identität zu feiern, indem er das Volk als homogene Gemeinschaft inszeniert, sondern um - gerade auch angesichts des politischen und kulturellen Kontextes - durch seine Ästhetik die Konzepte von Volk und Freiheit zu hinterfragen. Hinsichtlich der schauspielerischen Leistung beeindruckte vor allem die Darstellung Gesslers durch Fritz Kortner (1892-1970). Siegfried Jacobsohn prägt eine Formel, deren Grundlinie sich auch in anderen Rezensionen finden lässt: „Kortner gelingt’s, indem er Schiller in Shakespeare verwandelt.“ 160 Kortners Gessler stand dabei ganz im Zeichen des emblematischen Stils: Er versuchte keine psychologische Differenzierung der Figur, er übertrieb sie eher ins Groteske und Maskenhafte. Die Attribute, die sich in den Kritiken finden lassen, spiegeln diese Überzeichnung wider: „Kortners Geßler, in rotem Mantel, finster, mit verkniffenem Gesicht, ist ganz Teufel, ein krallenscharfer Vampyr der Tyrannei.“ 161 / „Dieser [Kortner] gab ein wollüstig lachendes Scheusal. Einen grinsenden Götzen. Einen fetten Cäsaren aus der Zeit der Christenverfolgungen.“ 162 / „[…] sobald Fritz Kortner den feigen Tyrannen zu einem grässlich lachenden Kobold macht. Aus dem Krötenmaul dieser Märchenfigur zischt kein Satz, um den nicht schwefelige Flammen flackerten.“ 163 [Herv. PWM] Die Eindeutigkeit von Kortners Darstellung korrespondiert mit der Abstraktion des Raumes. Luft verweist darauf, dass nach dem Prinzip einer ähnlichen symbolischen Ordnung auch die Kostüme der Darsteller gestaltet waren: Während Albert Bassermann (1867-1952) als Tell in Weiß gekleidet war, erschien Kortner in einem roten Mantel. 164 Als „emblem of repressive 160 Jacobsohn 1967, 193; vgl. auch Kerr, der schreibt: „Kortner versetzte dem Landvogt Shakespeare-Züge. Das was ein Sadist. Ein anderer Richard.“; Kerr 1967, 194. 161 Falk 1967, 198. 162 Ihering 1919. 163 Jacobsohn 1967, 192. 164 Vgl. Luft 1927, 72. Abb. 9: Albert Bassermann als Tell; Berlin: Preußisches Staatstheater 1919. 104 authority“ 165 erwies sich dieser Gessler gerade nicht als Beispiel eines exzessiven Spiels, wie in der Frühphase des Expressionismus üblich, sondern als Paradigma ästhetischer Stilisierung, wie es für Jessners Inszenierungen typisch war. 166 Diese ästhetische Strategie verursachte eine Störung des bekannten Mechanismus von Wiedererkennen und Affirmation; zum einen, weil die Figur selbst zum Objekt ästhetischer Wertschätzung wurde, 167 zum anderen, weil hierdurch die Balance zwischen Tell und Gessler gestört wurde. Denn während bereits in der dramaturgischen Konstruktion des Dramas Gessler, der erst spät in Erscheinung tritt und dann (im Kontext der „Apfelschuss-Szene“) auch unmittelbar auf Tell trifft (III,3), eine eindimensionale Figur ist, gewann gerade diese Qualität durch Kortners Darstellung an Bedeutung. Albert Bassermann als Tell aber folgte nicht der von Jessner gesetzten Linie, sondern blieb eher einer naturalistischen Darstellung verhaftet. 168 Anscheinend wies die Inszenierung hier einen Bruch auf, wie Luft bemerkt: Dem naturalistischen Tell Bassermanns stand ein völlig unrealistischer Landvogt gegenüber […]. Das Phantastische Kortners konnte nur schwer mit dem Realismus Bassermanns harmonieren […]. 169 Dieser Bruch - Kuhns spricht von einem „flirt with chaos“ 170 - fungierte als eine Demarkationslinie, anhand derer sich Befürworter und Kritiker erkennen ließen. Die unmittelbare Konfrontation wirkte auch auf die Rezeption Bassermanns zurück. Im Kontext von Jessners Inszenierung wurde sein ‚Naturalismus’ nicht als Ausweis von Authentizität wahrgenommen - im Gegensatz etwa zu Marrs Tell 1913 -, sondern als Kunstprodukt. Mit weiß- 165 Kuhns 1997, 208. 166 Kuhns beschreibt diesen Prozess der Stilisierung überhaupt als typisch für die Spätphase des expressionistischen Theaters: „Expressionist acting had never been based on the psychology of personality. But from Hasenclever’s Son to Toller’s Friedrich, the playing of the central figure in Expressionist productions had always involved the ecstatic creation of a human character. […] However, by 1920, Deutsch’s Cashier in the film version of Von morgens bis mitternachts was not so much an alienated bank clerk as he was a two-dimensional, rhetorical figure if Alienation itself. Similarly, in Jessner’s production of Wilhelm Tell and Richard III, Kortner played not a man but a monstrous idea.”; Kuhns 1997, 212. 167 Die meisten Rezensionen betonen Kortners Darstellung als eine spezifische Leistung der Inszenierung, Jacobsohn bringt dies auf eine deutliche Formel: „Unsere menschliche Angst wird zur künstlerischen Entzücktheit. Man möchte den Todespfeil auffangen, nur um den brennenden Dämon im grellroten Mantel immer weiter vor Augen zu haben.“; Jacobsohn 1967, 193. 168 Jacobsohn bemerkt hierzu: „Er [Bassermann] hat seitdem Gesetze des Stils nicht anerkennen gelernt. Gegen sie und gegen den Spielleiter stellt er seine Natur.“; Jacobsohn 1967, 193. Vgl. auch Sternaux 1919, 1415f. 169 Luft 1927, 72f. 170 Kuhns 1997, 209. 105 blondem Bart und blonden Haaren, in weißer Tracht erinnerte Bassermann eher an das bekannte Bildnis Hodlers: 171 Tell selbst, von Bassermann gegeben, mutete ganz wie eine Hodlersche Figur an, die Hodlerstimmung fand sich stellenweise, so namentlich beim Bau der Zwinguri, in Meunier-Eindrücke gesteigert. 172 Im Kontext der Inszenierung und durch sein Kostüm verkehrte sich Bassermanns naturalistisches Spiel in das Gegenteil; es evozierte nicht mehr eine ‚Authentizität’ der Figur, sondern verwies umso mehr auf ihre Künstlichkeit. 173 Aber die Gestalt bekommt etwas Mythisches, sie gibt den Tell der Ur-Sage mehr als den Schillerschen Helden, einfach, kindlich fast, arglos, grausam, im gegebenen Augenblick voll Feuer und hartem Manneszorn ist Bassermanns Armbrustschütz. 174 Die Wendung ins Mythische kann sich nicht mit der autochthonen Lesart verbinden, sondern steht als isoliertes Element im Gefüge der Inszenierung. Diese Abstraktion aber, so Kuhns, diente dazu, „to confront the audience directly with the idea of the will to power, challenging them to contemplate it in terms of the chaotic socio-political situation in which they all were inescapably involved.” 175 Oder wie Ihering es formulierte: „Jeßner führte also im Grunde nicht den besonderen ‚Tell’, sondern ein allgemeines Freiheitsdrama auf.” 176 Jessners Lesart des „Wilhelm Tell”, wenn man Kuhns in seiner Argumentation folgt, führt über die Abstraktion zum Bezug in eine Gegenwart, in der nach dem Ersten Weltkrieg und der Errichtung der Republik Begriffe wie Tyrannei, autoritäre Gewalt, Freiheit und Revolution gänzlich andere Assoziationen weckten als im Kontext der vorhergehenden affirmativnationalistischen Lesart. Die spezifische Leistung Jessners aber liegt nicht nur in seiner ästhetischen Gestaltung und seiner Interpretation des Textes, sondern in dem Mut und historischen (Selbst-) Bewusstsein, in einer solchen Übergangszeit nicht einfach nach einem neuen Stoff zu suchen, sondern gezielt die Bühne zu jenem Ort zu machen, an dem der kanonische Text mit dem geschichtlichen Augenblick des Publikums konfrontiert wird - ohne die billige Ausflucht nostalgischer Bilderfluten anzubieten. Dies wurde auch von der Kritik besonders hervorgehoben: „Und eben darin erblicke ich Jeßners Tat: Ihr 171 Ferdinand Hodler (1853-1918) hatte 1896 für die Schweizer Landesausstellung ein überdimensionales Bild des Tell geschaffen, das in der Ikonographie der Figur im 20. Jahrhundert eine besondere Rolle einnimmt. Vgl. hierzu Kern 2004. 172 Anonymus 1919. Vgl. auch E.B. 1919; Fechter bemerkt polemisch: „Er [Bassermann] war zum Unterschied von andern ein Tell in Weiß, sozusagen ein Wintersport-Tell mit Hodlerzügen.“; Fechter 1967, 196. Vgl. in diesem Sinne auch Sternaux 1919, 1415. 173 Heilmann hingegen deutet dieses Wechselspiel als einen Kompromiss; vgl. Heilmann 2005, 151. 174 Falk 1967, 197. Vgl. hierzu auch Kuhns 1997, 209. 175 Kuhns 1997, 215. 176 Ihering 1919. 106 glaubtet, Schiller sei für euch abgetan? Nun wohl: seht ihn mit e u r e n Augen. Und wir sahen.“ 177 Aus dieser Perspektive lässt sich die als Motto vorgestellte Passage aus Kortners „Aller Tage Abend“ (1959) als eine Schlüsselszene im Hinblick auf die genealogische Position der Inszenierung lesen: Kortners Gessler - diese Figur wurde ja nachgerade zum Inbegriff der ästhetischen Programmatik - konfrontiert sich unmittelbar mit der „Zuschauerhölle“. Sein „Treibt sie auseinander! “ erscheint in diesem Sinne wie ein selbstreflexiver Kommentar auf die Inszenierung, die eben genau dieses affirmative Wechselspiel der Selbst- Erkenntnis der Menge als homogenes, autochthones Volk durchbrechen will, um grundsätzlich nach der Bedeutung von Freiheit und politischer Befreiung zu fragen. Dass diese Verortung durchaus im Bewusstsein der genealogischen Linien des Dramas erfolgte, kann man bereits an der Besetzung erkennen, denn neben Bassermann und Kortner war es vor allem Kraußneck in der Rolle des alten Attinghausen, der in den Kritiken Erwähnung findet. Während Kraußneck, der den Tell seinerzeit bei den Meiningern und im Hoftheater spielte, die Tradition des 19. Jahrhunderts verkörperte, stand Bassermann für den Naturalismus, Kortners Interpretation des Gessler wurde hingegen als ein Verweis auf die zeitgenössische Auffassung des expressionistischen Darstellers verstanden. Obgleich dieses Nebeneinander von Theaterepochen nicht von allen Kritikern goutiert wurde, 178 markiert dies nochmals in besonderer Weise den Anspruch auf einen Neuanfang - im Bewusstsein der eigenen Genealogie. 177 Anonymus 1919. Heilmann berichtet, dass anfangs gerade die Unterstützer Jessners, wie Ludwig Marcuse, über die vermeintlich konservative Entscheidung Jessners, seine Intendanz mit „Tell“ zu beginnen, enttäuscht gewesen seien, dies aber durch die Inszenierung eindrucksvoll widerlegt worden sei; vgl. Heilmann 2005, 141. 178 So schrieb etwa Fechter: „Er [„Wilhelm Tell“] war auf Monumentalität angelegt - und umfaßte schauspielerische Leistungen von sämtlichen Spielarten seit dreißig Jahren: Naturalismus, Hoftheater, Ekstase, alles.“; Fechter 1967, 195f. 107 „Rein ist der Boden.“ (V,1): Achaz 1933 Mit der Premiere von „Wilhelm Tell“ am Deutschen Theater in Berlin am 5. Mai 1933 gab nicht nur der neue Intendant des Deutschen Theaters, Carl Ludwig Achaz (1889-1958), seinen Einstand, die Inszenierung markierte gleichzeitig das Ende einer theatergeschichtlichen Epoche - auch wenn dies in den zeitgenössischen Quellen eher durch die Verkündung einer neuen Epoche des ‚heroischen’, nationalsozialistischen Theaters verdrängt wurde. Es ist in diesem Zusammenhang lohnend, sich kurz die organisatorischen Rahmenbedingungen dieses Theaterabends zu vergegenwärtigen: Carl Ludwig Achaz, Sohn des Industriellen und Leiters der IG Farben Carl Duisberg (1861-1935), übernahm gemeinsam mit Heinrich Neft (1868-1944) zum 1. März 1933 die Leitung des Deutschen Theaters, 179 nachdem die beiden von Max Reinhardt eingesetzten Direktoren Karl-Heinz Martin (1886- 1948) und Rudolf Beer (1885-1938) aus politischen Gründen hatten zurücktreten müssen. 180 Obgleich Achaz noch einen Vertrag mit Reinhardt als künstlerischem Berater abgeschlossen hatte, wurde gleichzeitig von ihm erwartet, das Deutsche Theater im Sinne nationalsozialistischer Kulturpolitik zu führen. Einen ersten Schritt in diese Richtung unternahm er im April 1933, als „Ewiges Volk“ von Kurt Kluge (1886-1940) 181 in einer Inszenierung von Karl-Heinz Martin Premiere hatte. Kluges Werk schildert den Kampf österreichischer Soldaten gegen serbische Truppen in Kärnten, nachdem die Regierung in Wien sie schon verloren gegeben hat. Im Zentrum des Stückes steht die Verherrlichung des nationalen Widerstandes sowie die Apotheose des Heimatbzw. Volksgedankens. Die Reaktionen auf die Inszenierung sind ein Spiegelbild der politischen Einstellungen: Während „Der Völkische Beobachter“ die Inszenierung als Neuanfang des deutschen Theaters pries, nahmen Kritiker, wie etwa Herbert Ihering, eine deutlich distanziertere Position ein. 182 Achaz sah es nach eigenen Angaben als den Kern seiner Aufgabe an, den künstlerischen Verpflichtungen, die sich aus der seiner Meinung nach stattgefundenen ‚nationalen Revolution’ ergäben, gerecht zu werden. 183 Hierzu 179 Vgl. hierzu auch Rühle 2007, 737, der in dieser Direktion - im Gegensatz zu vielen anderen von den nationalsozialistischen Machthabern installierten - noch eine ästhetische Kontinuität zu sehen meint. 180 Dieser Teil der Geschichte des Deutschen Theaters ist bislang von der Forschung leider nur sehr marginal berücksichtig worden. Die einzige umfangreichere Untersuchung, die es zu diesem Zeitraum gibt, ist der Aufsatz „The Nazification of Max Reinhardt’s Deutsches Theater Berlin“ (1988) von Wayne Kvam. Hierauf stützt sich auch Rischbieter 2000 in seinen knappen Ausführungen. Vgl. auch Weigel 1999, 174f. 181 Vgl. zu Kluge Reininger 1979, zu seinem Drama dort bes. 311-314. 182 Vgl. hierzu Kvam 1988, 360f. 183 Kvam übersetzt hier eine Passage aus einem autobiographischen Text Achaz’: „When I took over the directorship of the Deutsches Theater, the national revolution had just 108 sollte „Wilhelm Tell“ den Grundstein legen. 184 In einem Vorabbericht wird Achaz’ Dramaturg, Günther Stark, mit den Worten zitiert: „Uns bewegt die Erhebung des Volkes.“ 185 Der Kritiker Otto Ernst Hesse übertrug dies auch auf die Theaterkritik: Es darf Zeiten geben, in denen der Kritiker die ästhetischen Maßstäbe zurückstellen darf. Nicht verleugnen, weil Kunstmachen ein ehrliches Handwerk wie jedes ehrliche Handwerk sein muß; aber an zweite Stelle rücken, weil die Bühne über die Sphäre der Kunst herausgreift - weil das Leben auf der Bühne über das Gleichnis hinaus zum Leben und zum Teil unseres Lebens selbst wird. Ein Theater, das sich heute an den Tell wagt, legt ein Bekenntnis ab. 186 Hesses Argumentation konstatiert eine Verschiebung von Theater und ‚Wirklichkeit’ und leitet aus dieser eine neue, politisch-nationale Funktion der Theaterkritik ab: So wie die Bühne ihr Bekenntnis ablegt, so könne auch der Kritiker nicht umhin, die Inszenierung eher mit den Augen des politischen Bekenntnisses zu sehen als ‚nur’ nach ästhetischen Maßstäben. 187 Die Inszenierung fand bei den politischen Machthabern eine positive Aufnahme. Goebbels wird in den Berichten nicht nur als begeisterter Premierenbesucher zitiert, 188 sondern sorgte auch für ein Gastspiel der Inszenierung in der Dortmunder Westfalenhalle, wo sie mit mehreren hundert Statisten vor einem Auditorium von 7.000 Zuschauern vom 10. bis 19. Juni 1933 gespielt wurde. 189 Gleichwohl blieb der Inszenierung der Erfolg beim Stammpublikum versagt. Kvam sieht hierin eine Abkehr des bürgerlichen (zu einem Großteil jüdischen) Publikums vom Deutschen Theater. Insofern markiert Achaz’ Intendanz, der schon 1934 durch Heinz Hilpert (1890-1967) abgelöst wurde, 190 eine Übergangsphase dieser Bühne, die bis dahin als Zentrum bürgerlicher Theaterkultur Berlins betrachtet werden konnte: During the fourteen months that had elapsed since the exile of Max Reinhardt, the theatre had lost not only its owner, but also its repertoire, its regular audience, and many members of its famed ensemble. 191 taken place. Therefore, I knew that I would be facing a special artistic obligation.”; Kvam 1988, 361. 184 Die Quellenlage zu dieser Inszenierung ist eigentlich recht gut, neben einigen Fotos von Tell und Gessler liegen vor allem eine ganze Anzahl von Kritiken (12) vor - leider gibt es in der Forschung nur marginale Hinweise auf die Inszenierung selbst. 185 P.H. 1933. 186 Hesse 1933. 187 Dieses Argument lässt sich natürlich auch im Sinne einer subtilen Apologetik lesen, die darauf zielte, dass der Kritiker seiner Aufgabe nicht nachkommen könne, weil der politische Druck ihm diesen Handlungsspielraum nähme. 188 Vgl. Diebold 1933, Hesse 1933; Köppen 1933. 189 Kvam 1988, 366. 190 Hilpert wiederum war ein langjähriger Vertrauter Reinhardts. Insofern gilt er für die Geschichtsschreibung des Deutschen Theaters in Berlin stets auch als ein Repräsentant des ‚alten’ Erbes; vgl. hierzu, allerdings nur mit einführendem Charakter, die Darstellung von Dillmann 1990. Vgl. auch Rühle 2007, 750-754. 191 Kvam 1988, 373. 109 Die Inszenierung des „Wilhelm Tell” stützte sich im Wesentlichen auf drei Faktoren: eine deutlich veränderte Textfassung, eine Inszenierung, die auf visuelle Opulenz setzte, und schließlich eine Besetzung, die den Kontrast zwischen Tell und Gessler ins Zentrum rückte und holzschnittartig ausstellte. Ausgangspunkt war die Darstellung des Heroischen - ausgedrückt in einem Pathos, das sich den Text und seine Dramaturgie aneignete. So heißt es in einer Rezension: Das Bemerkenswerteste an der Regie von Carl Ludwig Achaz war, daß er es wagte, Schillers Helden Heldentöne anschlagen zu lassen, daß er nicht vor den Konsequenzen eines pathetischen Stils zurückschreckte, der über dieses Heldengedicht sich spannt wie der Himmel über die Schroffen der Schweiz. 192 Voraussetzung dieses Pathos war eine Bearbeitung des Textes, die ganze Passagen bzw. Monologe 193 sowie den letzten Akt, besonders die sog. Parricida-Szene (V, 2), wegließ. In dieser Szene wird Tell mit dem Mörder des Kaisers, Johannes Parricida, konfrontiert: eine Szene, die den ethischen Konflikt des politischen Mordes thematisiert. Die Streichung der Szene findet sich in vielen Kritiken erwähnt, denn angesichts der politischen Umstände des Jahres 1933 sowie der dominierenden Rhetorik von „nationaler Revolution“ musste die ethische Frage nach der Legitimität von Gewalt besonders relevant sein. Folgerichtig bemängelten einige Rezensenten dieses Fehlen. Wäre nicht […] die sonst vielleicht am leichtesten zu vermissende Parricida-Szene gerade heute mit ihrer Auseinandersetzung zwischen dem Verbrecher aus persönlichem Haß und dem durch das Schicksal zum Werkzeug geschichtlicher Gerechtigkeit Gewordenen von geradezu aktueller Bedeutung? 194 Friedrich Hussongs Argumentation greift im Sprachstil die nationalsozialistische Metaphorik von der Schicksalsbestimmtheit auf und stellt damit einen Konnex zwischen der Tat Tells und dem neuen politischen Regime her. 195 Auch Hesse setzt seine Argumentation in diesen Zusammenhang und verband sie mit der Begründung der Aktualität des Stückes selbst: Wenn in irgendeine Zeit, so paßt diese Idee doch in die unsere: zu zeigen, wie ein naiver Einzelgänger, ein Außenseiter der Volksgemeinschaft, durch ein Schicksal, das symbolisch für alle gilt, zum bewußten Mitglied der Volksgemeinschaft, zum aktiven jenseits alles Egoismus stehenden Bürger wird. […] So hätte man grade auch heute die Parricida-Szene nicht streichen dürfen, weil sie zum Verständnis der Unterscheidung zwischen politischer Aktion und Mord aus privatem Interesse notwendig ist. 196 192 h.s. 1933b. 193 Köppen schreibt hierzu: „[E]r [Achaz] hat gestrichen noch und noch (ich glaube sogar, er hat in dieser Hinsicht den Jeßner-Rekord gebrochen) und Szenen umgestellt und Visionen, die sich in ihm entzündeten […], Gestalt werden lassen.“; Köppen 1933. 194 Hussong 1933. 195 Diese Analogie wurde auch von den Nazis selbst immer wieder hergestellt. So stellte Hitler in „Mein Kampf“ einem Kapitel das Tell-Zitat „Der Starke ist am mächtigsten allein.“ (V. 437) voran. 196 Hesse 1933. 110 In die Klage über das Fehlen der Szene mischt sich thematisch wie im Sprachton der nationalsozialistische Diskurs, der Gewalt als politisches Mittel rechtfertigte und durch die spezifische historische Situation - des „durch das Schicksal zum Werkzeug geschichtlicher Gerechtigkeit Gewordenen“ - begründete. Unabhängig von der Diagnose des Mangels entfalten die Kritiken so eine Lesart, die Tell mit dem nationalistischen Führer-Kult zur Deckung bringt. Als Regisseur ordnete Achaz seinem Ziel einer möglichst eindrucksvollen, opulenten Inszenierung den Text unter. Fluchtpunkt war die Apotheose der (Volks-) Gemeinschaft im Anschluss an die Ermordung Gesslers. Hier folgte eine Collage aus den Szenen des fünften Aktes, die mit großem technischen Aufwand (Statisterie, Projektionen, Drehbühne) umgesetzt wurde. Zuletzt sieht alles ein wenig nach Willkür aus, wo, nach Geßlers Tod, die Drehbühne bemüht wird, Massen kreuz und quer über die Bühne ziehen, hinter wehenden Fahnen her, ein Lied singen, Feuer am Horizont aufleuchten, wo schließlich als Schluß-Szene eine Mixtur aus drei Szenen des fünften Aktes serviert wird. 197 Die Inszenierung bediente sich nicht einfach nur der spektakulären Elemente, die der Dramaturgie des Textes eigen sind, sondern sie nutzte deutlich die Elemente nationalsozialistischer Propagandainszenierungen (Fahnen, Feuer, Massenszenen) 198 für eine „äußerliche Pathetik der Masse, Bewegung und des Bildes“ 199 . Die kulturell-affirmative Funktion der Inszenierung, die stets eine dominante Linie der Genealogie darstellte, sollte hier in die neuen politischen Verhältnisse überführt werden. Um diese Eindeutigkeit der Botschaft zu erzielen, musste der Text in seiner Bedeutung zu einem nachgeordneten semiotischen Teilsystem der Inszenierung werden. 197 C.R. 1933. 198 Vgl. hierzu auch Rischbieter 2000, 73. 199 h.s. 1933b. Abb. 10: Attila Hörbiger als Tell; Berlin: Deutsches Theater, 1933. 111 Die Eindeutigkeit der Botschaft sollte eine emotional-aufrüttelnde Inszenierung der Masse sein und keine alternativen Lesarten zulassen. 200 Diese Eindeutigkeit versuchte Achaz auch durch die Besetzung der Hauptrollen herzustellen: Attila Hörbiger (1896-1987) als Tell verkörperte geradezu stereotypenhaft das Leitbild des arischen Helden. Seine Darstellung orientierte sich an der Formel vom Tell als „Sohn der Berge“ 201 und steigerte sie ins Völkische und rein Heroische. So wurde er in den meisten Kritiken als „Naturbursche“ 202 beschrieben, während gleichzeitig das Fehlen von ‚Zwischentönen’ bemängelt wurde. Köppen deutete dies jedoch gänzlich im Sinne der Lesart des Tell als urtümlich und erdverbunden: Wenn aber Frische, Jugendlichkeit, Unbeschwertheit die Merkmale dieser Aufführung sind, so ist dafür tonangebend, der Tell Attila Hörbigers, der mit einem Wort umrissen ist: Sohn der Berge. Tritt er auf, so bekommt man Sehnsucht unter seiner Führung auf die Berge zu steigen. Er würde bei gemeinsamer Wanderung gewiß nicht viel reden, aber jeder Zug seines Antlitzes, die Art, wie er schreitet, würde verraten, wie er in diesem Land verwurzelt ist. Zweier Regungen ist dieser primitive Bergmensch fähig, der Liebe und des Hasses. Beide äußert er elementar. Für Zwischenstufungen, etwa seelischer Qual, bevor er dem Tyrannen gehorcht, hat er nicht den ‚rührenden’ Ausdruck. 203 [Herv. PWM] Köppen schildert Hörbigers Tell als elementares Wesen, das instinktiv, nahezu vor-kulturell handelt und in seinem Handeln seinem Gefühl, aber eben nicht intellektueller Reflexion folgt. Diesem Tell stand mit Heinrich George (1893-1946) ein Gessler gegenüber, der gleichfalls klischeehaft gezeichnet war. Dieser Gessler war in ebendem Maße ins Negative übersteigert, in dem Tell nur das Heroische verkörperte: „Hier wälzt sich auf die Bühne ein schwammiges Ungetüm, ein fauchendes, keuchendes Ungetüm - man denkt an eine Dampfwalze, die alles zermalmen muß, weil sie dazu konstruiert wurde.“ 204 / „Ein kurznackiges, fettes drohendes Gespenst, ein Alpdruck der Unterdrückung.“ 205 / „George […] sieht wie ein Moloch aus, wie ein asiatischer Götze; […]“ 206 / „Er sah aus wie ein mongolischer Despot oder wie ein Kinderschreck aus dem Märchen.“ 207 / „Heinrich George hat einen interessanten Gessler aus seiner Individualität geschaffen, einen dicken, schleimigen, seimigen Kerl, einen feigen Neurastheniker, einen Sadisten mit Tobsuchtsanfällen.“ 208 / 200 In diesem Sinne kritisieren Rezensenten, die dem nationalsozialistischen Regime ablehnend oder kritisch gegenüberstanden, wie Herbert Ihering oder Bernhard Diebold, vor allem, dass die Sprachverwendung Schiller nicht angemessen gewesen sei. 201 Köppen 1933. 202 C.R. 1933; Hesse 1933; Hussong 1933. 203 Köppen 1933. 204 Köppen 1933. 205 Ihering 1933. 206 Diebold 1933. 207 h.s. 1933b. 208 A.E. 1933. 112 „Dieser Landvogt war ein aus dem Urschlamm emporgestiegener Golem, vor dem man das Fürchten lernen konnte.“ 209 [Herv. Verf.] Die Attribute, die dieser Rollenfigur von den Kritiken zugeordnet wurden (jenseits der Frage, ob die Kritiker die Darstellung lobten oder verwarfen), verweisen alle auf einen ähnlichen Kontext: Immer wird der Figur etwas Monströses und zugleich Un-Menschliches im Wortsinne zugeschrieben. Auffällig sind hier die Assoziationen, die auf einen kulturell fremden Kontext („mongolisch“, „asiatisch“, auch „Golem“) verweisen. So wie Hörbiger schablonenhaft seinen Tell als Inbegriff des arischen, deutschen Helden zeigte, so stellte George ihm das Urbild des unförmigen Un-Menschen entgegen. Auch Kortner hatte durch seine Spielweise die Rolle des Gessler in einen direkten Antagonismus zum Tell gebracht; auffällig sind aber die Unterschiede im Diskurs der Kritik: Hatte man Kortner die Wendung der Figur ins Shakespearehafte zugesprochen, 210 so scheint sich Georges Darstellung in der einfachen antithetischen Darstellung zu erschöpfen. 211 Interessant sind auch die unterschiedliche Kostümierung und ihre Konnotationen: Kortners Kostüm besaß bei aller Abstraktion deutliche Anspielungen auf den zeitgenössischen Militarismus (bspw. Orden), 212 Georges Gessler hingegen trat in Ketten- 209 M.M. 1933. 210 Vgl. S. 103 dieser Arbeit. 211 Diebold vermerkt hierzu: „Auch Heinrich George bringt für den Geßler zu wenig Kunst auf; und was die ‘Natur’ betrifft, so tut er etwas gar zu viel für das Dämonische; sieht wie ein Moloch aus, wie ein asiatischer Götze; und hat so gar nichts von einem österreichischen Gouverneur, der neben der Strenge noch ein Halunke ist mit einem steinernen Herzen. Er ist kein Typus Geßler; er ist kein Typus Schillers; er ist auch nicht Natur. Nur eine theatralische Erscheinung.“; Diebold 1933. 212 Kortner beschreibt sein Kostüm als entscheidenden Stein des Anstoßes: „Der völlig aufgelöste Jessner sah mich mit brechenden Augen an: ‚Wenn die Leute Sie erst sehen, dann ist es ganz aus.’ Das war ein Hinweis auf meinen drastischen Aufzug […]. Ich hatte so ziemlich alle Waffengattungen irgendwo an meinem Geßler baumeln. Und Abb. 11: Heinrich George als Gessler; Berlin: Deutsches Theater, 1933. 113 hemd und Ritterhelm ganz als mittelalterliche Gestalt auf. Während Kortners Gessler die Balance zwischen Tell und Gessler störte und so das Spiel Bassermanns in einen anderen Kontext stellte, stützte Georges Darstellung Hörbigers Tell, sie schaffte die Voraussetzung für die programmatische Eindeutigkeit, auf die die Inszenierung abzielte. Vor dem Hintergrund seiner politischen Zielsetzung und mit Blick auf die bisherigen Ausführungen zur Genealogie des Textes auf der Bühne erscheint es nur konsequent, dass Achaz die autochthone Lesart des Textes besonders betonte. Die Landschaft selbst wurde im Sinne des ‚Blut und Boden’-Mythos zum Kern des heroischen Pathos. Der ‚Tell’ ist das einzige Schauspiel von Schiller, mit einer Landschaft dahinter, die wahrlich die heroische, reine, über die Menschen gebietende Luft des Hochgebirges hat, obgleich unser armer Dichter es nur aus Beschreibungen kannte. 213 Dieser Akzent wurde von den zustimmenden Kritiken besonders hervorgehoben: „Er [Achaz] sah nicht vom Landschaftlichen ab, sondern ließ sich durch eindrucksvolle Bühnenbilder Ernst Schüttes unterstützen, in denen der Gebirgswelt ihr Recht wurde.“ 214 / „Die Aufführung mit Schüttes naturgewachsenen, alle Stilisierungen verschmähenden Bühnenbildern, zündet fast in jeder Szene mit elementarer Ursprünglichkeit.“ 215 / „[H]inter den echten Tannenbäumen leuchtet die heroisierende Projektion.“ 216 Diese Lesart bestimmte auch das Finale der Inszenierung, die mit dem von Melchthal geäußerten Satz endete: „Rein ist der Boden.“ (V,1; 2870) Der Satz, der in Schillers Drama keineswegs an prominenter Stelle steht, sollte zum Schlüsselsatz der Inszenierung werden, wie es in der Vorabberichterstattung angekündigt wurde: Das Stück ist ein einziger Vorstoß des Freiheitsdrangs eines Volkes bis zum Schluß: ‚Rein ist der Boden. Das Land ist frei. Der Tag der Freiheit ist erschienen.’ Das sind die Motoren des Geschehens. […] Man hat dies eine Bild: der Freiheitsdrang eines Volkes, und man bemüht sich, dies klare Bild durchzuführen. 217 Das Argument der ‚Reinheit’ verweist direkt auf die nationalsozialistische Politik, die unmittelbar nach ihrem Machtantritt eine aggressive Politik der Vertreibung von Juden und Andersdenkenden begonnen hatte. 218 Das Ideal ethnischer Homogenität und ‚Reinheit’ wird so in einen direkten Zusammenhang mit der Inszenierung des „Wilhelm Tell“ gesetzt. Orden hingen an ihm, wie an einem vorgeahnten Göring.“; Kortner 1991, 355. Vgl. hierzu auch Heilmann 2005, 154. 213 A.E. 1933b. 214 M.M. 1933. 215 Köppen 1933. 216 Hesse 1933. 217 P.H. 1933. Vgl. hierzu auch M.M. 1933. 218 Vgl. zu den direkten Auswirkungen der nationalsozialistischen Politik auf die Personalsituation an den Theatern Riss 2000, 176-187. 114 Es eröffnet sich aber noch ein weiterer selbstreflexiver Verweis auf Achaz’ eigene und die Situation des Deutschen Theaters: Gründete diese doch in Reinhardts Vertreibung und dem Verdrängen seines Erbes - ein Prozess, der im Nachgang der Inszenierung von Seiten des Propagandaministeriums ausdrücklich gelobt wurde: Die Direktion des Deutschen Theaters, die wieder ausschließlich Personen übertragen ist, die deutsch sind, hat für die Aufführung alles das aufgeboten, was wir an charakteristischen Darstellern, wirklich deutschen Darstellern in Berlin haben. 219 Achaz reduzierte also - korrespondierend zu den politischen Rahmenbedingungen - alle Ambivalenzen und Komplexitäten des Textes, um ihn zu einer Metapher des völkischen Gemeinschaftsbegriffs zu machen. Hierfür konnte er zwar an bestimmte Linien der Genealogie anknüpfen, gleichzeitig aber gelang es ihm nicht, die Balance zwischen dem Anspruch des kanonischen Textes und seiner eigenen ästhetischen bzw. kultischpolitischen Programmatik zu entwickeln. Es ist allerdings ohnehin zu fragen, ob nicht der genius loci des Theaters selbst - unbestritten das Zentrum bürgerlicher Theaterkultur - einer solchen Lesart entgegenstand. 220 Die Widersprüchlichkeit und Widerständigkeit des Dramas zeitigte noch eine weitere Wendung nationalsozialistischer Kulturpolitik. Hatte Hitler in „Mein Kampf“ (1925) noch das „Tell“-Zitat „Der Starke ist am mächtigsten allein“ (V. 437) als Motto verwandt und wurde die Tell-Figur in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft als Musterbild einer Führerfigur und Antizipation Hitlers gedeutet, erließ er, nach mehreren Attentaten auf seine Person, 1941 ein Verbot des Stückes für das Theater und den Literaturunterricht in den Schulen. Bei Neuauflagen von Schulbüchern sollten alle Zitate aus „Wilhelm Tell“ entfernt werden. 221 Die Versuche, sich der Wirkungsmacht des Textes entgegenzustellen, wenn man seine Bedeutung schon nicht kontrollieren konnte, müssen nicht nur als bereits im Ansatz gescheitert betrachtet werden, sie markieren auch eindrucksvoll die Mehrdeutigkeit dieses vermeintlich so bekannten Textes, der sich einer schlichten Vereinnahmung entzieht. 219 Zit. nach Köppen 1933. 220 Vgl. zu dieser Dimension eines genius loci, den die Geschichte eines Theaters entfalten kann, Carlson 2003, 131-164. 221 Vgl. hierzu die Darstellung und Dokumentation bei Piatti 2004, 211-215. 115 Abschließende / überleitende Bemerkungen But it was never a quiet, balanced country: Even before the Great War and most especially after it, Germany was restless, fearful, aggressive, and divided. Fritz Stern 222 Bereits die vorstehend beschriebenen Linien der Bühnengenealogie, denen natürlich weitere hinzuzufügen wären, zeigen Kristallisationspunkte, anhand derer sich das Verhältnis von Kanon bzw. kanonischen Figuren und der Politik nationaler Identität näher beschreiben lässt. Weit davon entfernt, eine homogene oder teleologische Geschichte zu bilden, wird doch deutlich, dass bestimmte Linien sich so weit verfestigen, dass sie in der Rezeption stets präsent sind: Hierzu zählen besonders die autochthone Lesart des „Wilhelm Tell“ sowie die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts etablierende Darstellung als ‚urtümlich’ - im Gegensatz zur vorhergehenden Darstellungskonvention, die ihn eher als Heldenfigur im Operettendekor realisierte. Eine besondere Position nehmen in diesem Kontext die Laienspiele ein, deren Funktion sich zum einen aus ihrem Charakter als „site-specific performance“ ableitet, zum anderen dadurch konstituiert, dass sie trotz bzw. gerade wegen der künstlerischen Mängel am ehesten eine affirmativ-rituelle Funktion erfüllen konnten. An diese Tradition versuchte Achaz mit seiner Inszenierung 1933 anzuknüpfen, indem er die Befreiung, d. h. den V. Akt, sowie die Rütli-Szene mit Elementen der nationalsozialistischen Propaganda und völkischen Kulte (Fahnen, Feuer, Gesang) ausstattete. Diese Engführung gelang ihm aber nur durch eine radikale Bearbeitung und Aneignung des Textes, die sich konsequent über dessen rhetorische und dramaturgische Komplexität hinwegsetzte. Jessners Inszenierung stellt in diesem Kontext eine bemerkenswerte Ausnahme dar, weil seine Bearbeitung sich gerade gegen die überlieferte, nationalistische Lesart wandte und das Drama in stilisierter Form einerseits als Verweigerung des Bekannten, andererseits als ein abstraktes Spiel um Freiheit sowie das Verhältnis von Gewalt und Politik inszenierte. Eine Zwischenstellung nimmt Hauptmanns Inszenierung von 1913 ein. Obwohl Hauptmann für seine Inszenierung ein ästhetisches Konzept vertrat, das deutlich von der Konvention - vor allem hinsichtlich der Sprachbehandlung - abwich, blieb er den Grundlinien einer autochthonen Lesart treu. Die Tell-Darstellung Marrs und ihr ‚Nachleben’ in den Filmen von 1923 und vor allem 1934 unterstreichen die Appropriierbarkeit. Fragt man nach den Gründen für die Attraktivität des Textes - statistische Untersuchungen zeigen, dass „Wilhelm Tell“ nicht nur kontinuierlich auf den Spielplänen präsent war, sondern auch eines der populärsten Dra- 222 Stern 1999, 4. 116 men Schillers war 223 -, so kann man mit Blick auf die vorstehenden genealogischen Darstellungen zwei Punkte besonders hervorheben: Zum einen bietet die spezifische Struktur des Dramentextes eine breite Möglichkeit verschiedener Lesarten, sowohl in thematischer wie in ästhetischer Hinsicht. Das von Zeitgenossen und Literaturwissenschaftlern bisweilen als Mangel betrachtete Nebeneinander von ‚klassischer’ Dramaturgie und Rhetorik sowie spektakulären, melodramatischen Elementen erweist sich hinsichtlich der Rezeption durch das Theater als fruchtbar, weil es verschiedene Zugangswege eröffnet. Was sich einer gattungspoetischen Perspektive als Problem darstellt, erscheint in der Theaterpraxis als eine Vielfalt inszenatorischer Aneignungsmöglichkeiten: Gerade das spektakuläre Potenzial der Dramaturgie hat - wie gezeigt - hierbei oftmals eine große Rolle gespielt. Zum anderen leistete „Wilhelm Tell“ einen spezifischen Beitrag zur Imagination nationaler Identität. Die autochthonen Grundzüge seiner Fabel sowie die tableauartige Dramaturgie und die Massenszenen korrespondierten mit der Suche nach Leitbildern. Dieser Prozess, der mit der Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzt, kann keinesfalls mit der Schaffung der staatlichen Einheit 1871 als abgeschlossen betrachtet werden. Eric Hobsbawm hat auf die fehlende Identifikation mit dem neuen staatlichen Gebilde und auf die Schwierigkeiten, die in diesem Zusammenhang auftraten, hingewiesen: Since the ‘German people’ before 1871 had no political definition or unitiy, and its relation to the new Empire (which excluded large parts of it) was vague, symbolic or ideological, identification had to be more complex and - with the exception of the role of the Hohenzollern dynasty, army and state - less precise. […] Like many another liberated ‘people’, ‘Germany’ was more easily defined by what it was against than in any other way. 224 Diese Inszenierung eines ‚äußeren Feindes’, die sich im politischen Diskurs vornehmlich gegen Frankreich richtete, korrespondierte auf der Ebene des kollektiven Imaginären mit der klaren Konfrontation zwischen den Bauern und den Vögten im „Wilhelm Tell“. Vergegenwärtigt man sich etwa die Paraphrase der Fabel von Naumann, 225 so wird erkennbar, dass die Gegenüberstellung des „einfachen, schlichten Hirtenvolkes“ mit den „ländergierigen Fürsten“ genau jene konstitutive Achse der Politik der Identität trifft, die Hobsbawm definiert. Als positive Imaginationsfiguren finden sich im literarischen Kanon durchaus auch noch andere Figuren, wie Hamlet 226 oder Faust 227 , die im Diskurs deutscher Nationalidentität im 19. Jahrhundert eine besondere Rolle spielen. Vergleicht man diese jedoch mit der Figur des Tell, so fällt auf, dass 223 Vgl. etwa für die Spielzeiten 1929-1933 und 1933-1944 Eicher 2000, 324-328. 224 Hobsbawm 1983, 278. 225 Vgl. hierzu S. 58 dieser Arbeit. 226 Vgl. hierzu etwa Pfister 1992, auch Marx 2005. 227 Vgl. hierzu auch den Sammelband Möbus/ Schmidt-Möbus/ Unverfehrt 1995. 117 beide Figuren als Einzelgänger dargestellt werden, während Tell sich gerade durch sein spezifisches Verhältnis zur Gemeinschaft auszeichnet. Die Konstitution von Gemeinschaft nimmt aber im Rahmen der Genealogie einen breiten Raum ein: Tell wird nicht nur als heroische Figur inszeniert, sondern auch als autochthone und gemeinschaftliche Figur. „Wilhelm Tell“ bietet so die Möglichkeit, sozialen Zusammenhalt zu inszenieren und in die Imagination des neuen staatlichen Gemeinwesens zu überführen. Die Frage nach den Grundzügen der Gemeinschaftsbildung bzw. nach ihrem inneren Zusammenhalt wurde auch jenseits des Theaters kontrovers diskutiert und als Schlüsselproblem der sich modernisierenden Gesellschaft begriffen. Paradigmatisch hierfür ist die außerordentlich einflussreiche Schrift „Gemeinschaft und Gesellschaft“ ( 1 1887) von Ferdinand Tönnies (1855-1936), der gemeinhin als einer der ‚Gründungsväter’ der deutschen Soziologie gilt. Tönnies entwickelte angesichts der spürbaren sozialen Veränderung durch Modernisierungsprozesse 228 die Gegenüberstellung von Gemeinschaft und Gesellschaft als Grundformen sozialen Zusammenlebens. Gemeinschaft wird in diesem Sinne als sozialer Zusammenhalt definiert, der sich nach dem Vorbild der Familie formt und aus ihr erwächst: Denn die Gemeinschaft des Blutes als Einheit des Wesens, entwickelt und besondert sich zur Gemeinschaft des Ortes, die im Zusammenwohnen ihren unmittelbaren Ausdruck hat, und diese wiederum zur Gemeinschaft des Geistes als dem bloßen Miteinander-Wirken und Walten in der gleichen Richtung, im gleichen Sinne. 229 Diese „Einheit des Wesens“, die von Tönnies als eine Konsensgemeinschaft bestimmt wird, welche keiner expliziten Verhandlung von Werten und Vorstellungen bedarf, 230 wird als eine homogene Gemeinschaft mit biologischen Vokabeln beschrieben - als „Verbindung des ‚Blutes’“ und „Verhältnis der Leiber“. 231 Sie erscheint als der harmonische Urzustand, dem die Gesellschaft entgegengesetzt ist als Kreis von Menschen, welche […] auf friedliche Art miteinander leben und wohnen, aber nicht wesentlich verbunden, sondern wesentlich getrennt sind, und während dort [in der Gemeinschaft] verbunden bleibend trotz aller Trennungen, hier getrennt bleiben trotz aller Verbundenheiten. […] [H]ier ist ein jeder für sich allein, und im Zustande der Spannung gegen alle übrigen. 232 Die Gesellschaft wird von Tönnies als spiegelbildliches Gegenstück zur Gemeinschaft entworfen, als ein Sozialverband, der mühsam mit Regeln den Hobbes’schen ‚Krieg Aller gegen Alle’ bändigt. 233 228 Hierauf verweist Riedel 1975, 855. 229 Tönnies 1963, 14. 230 „Aber Verständnis ist ihrem Wesen nach schweigend: weil ihr Inhalt unaussprechlich, unendlich, unbegreiflich ist. Wie Sprache nicht verabredet werden kann, wenn auch durch Sprache zahlreiche Zeichensysteme für Begriffe, so kann Eintracht nicht abgemacht werden, wenn auch noch so viele Arten von Einigungen.“; Tönnies 1963, 22. 231 Tönnies 1963, 55. 232 Tönnies 1963, 40. 233 Vgl. zu diesem Verweis auf Hobbes Tönnies 1963, 53f. 118 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Tönnies die Gemeinschaft nicht nur als biologisch homogene Gruppe - durchaus mit Anklängen an völkisches Gedankengut - definiert, sondern auch explizit als autochthon bestimmt: Der Grund und Boden hat seinen eigenen Willen, wodurch die Wildheit unstäter Familien gebunden wird. Wie das gebärende Weib den zeitlichen Zusammenhang der menschlichen Leiber sinnlich darstellt, der Kette des Lebens einen neuen Ring einfügend; so bedeutet das Land die Zusammengehörigkeit einer zu gleicher Zeit lebenden Menge, welche nach den in ihm verkörperten Regeln sich richten muß. […] Das Land trägt ihre Zelte und Häuser; und je fester und dauernder das Gebäude wird, desto mehr verwachsen die Menschen mit dieser seiner begrenzten Scholle. 234 In dieser Denkfigur offenbart sich eine zentrale Linie der Identitätspolitik, die die Bühengenealogie mit dem politisch-wissenschaftlichen Diskurs verbindet: Die Gemeinschaft figuriert als Leitbild, das in seinem Umfang nur als Abgrenzung gegen die Veränderungen der Moderne verstanden werden kann. Das Theater, unbestreitbar das Zentrum bürgerlicher und urbaner Kultur, wird so zu einem Ort, an dem die Imagination einer vormodernen Kollektividentität ihren Platz finden kann. Fritz Stern hat diese kulturelle Grundkonstellation als die Spannung zwischen einem Wertesystem und einer sich etablierenden Wirtschaftsform beschrieben: Imperial Germany […] affords the extraordinary picture of a triumphant capitalism spiritually devalued. The psychological premises of capitalism were obviously incompatible with the pretensions of German idealism and nationalism: The German ideal of self-cultivation was hardly consonant with an insistence on material self-aggrandizement, and the glorification of state authority in German nationalism can be seen as a rebuke to economic selfishness. 235 Die Bühnengenealogie des „Wilhelm Tell” reflektiert nicht einfach nur diese Grundhaltung, sie konstituiert und stützt sie durch ihren eigenständigen Beitrag zur Imagination: Tell und die Gemeinschaft am Rütli treten - durch die Struktur der theatralen Inszenierung - als visuelle Subjekte in den Prozess der Zirkulation und gesellschaftlichen Verhandlung ein. Angesichts der von vielen als Verlust erfahrenen sozialen und kulturellen Veränderungen werden sie zum Urbild einer homogenen Kollektividentität, die sich im Kampf gegen das Fremde bewährt, indem sie ihre angestammten Rechte verteidigt. Mit Ausnahme Jessners setzt die Bühnenkonvention eine nostalgische Fantasie in Gang, die eine ‚wesenhafte’ Kollektividentität behauptet und verteidigt, indem sie sich gegen die Veränderung der Gegenwart abgrenzt. „Wilhelm Tell“ erfüllt gerade durch die sich verfestigende Genealogie, die bis in die konkrete Bildlichkeit hinein sich als fester Bestandteil des Imaginären erweist, die Funktion einer Urszene kollektiver Identität. Sigmund Freud (1856-1939) prägte diesen Begriff in seiner Studie „Aus der Geschichte 234 Tönnies 1963, 218. 235 Stern 1999, 285. 119 einer infantilen Neurose“ (1918), um ein „in der Psychoanalyse (re)konstruiertes Erlebnis, auf das sich die spätere pathologische Struktur wie auf einen Kernpunkt zurückführen läßt“ 236 , zu beschreiben. Im Zentrum steht hierbei das Kind, das seine Eltern beim Koitus beobachtet und diese Erfahrung im Traum verarbeitet, wobei die Beobachtung des Kindes sowohl in Bezug auf die eigene Zeugung als auch auf das Erwachen der eigenen Libido von Bedeutung ist. Die Wirkung der Urszene aber wird erst in ihren „Materialwandlungen“ erkennbar. 237 Es sind ihre Spuren, durch die die Urszene letztlich als solche identifiziert werden kann. Während der epistemologische Status der Urszene für die Psychologie von Freud und anderen immer wieder kritisch diskutiert wurde, 238 ist es gerade die Weiterung des Begriffs auf kollektive Prozesse, die für die hier verfolgte Fragestellung von besonderem Interesse ist. In seinen „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“ (1915-17) hat Freud selbst nicht nur den archaischen und über das Individuum hinausreichenden Charakter von Träumen betont, 239 sondern besonders den kollektiven Charakter der Urfantasien hervorgehoben: Ich meine, diese Urphantasien - so möchte ich sie und gewiß noch einige andere nennen - sind phylogenetischer Besitz. Das Individuum greift in ihnen über sein eigenes Erleben hinaus in das Erleben der Vorzeit, wo sein eigenes Erleben allzu rudimentär geworden ist. 240 Das ‚Hinausgreifen’ über das eigene Erleben ist für Freud nicht nur die zentrale Funktion von Mythen und Märchen, es legitimiert gleichzeitig den epistemologischen Status dieser Kulturprodukte, in denen sich, so lässt sich folgern, phylogenetische Dispositionen und Erfahrungen sedimentieren. Während diese essentialistischen Obertöne für Freuds eigene Argumentation durchaus konstitutive Bedeutung haben - denn nur wenn der Mythos in einer ‚tatsächlichen’ Wechselwirkung mit der psychologischen Entwicklung des Einzelnen steht, kann er zum Beweis psychologischer Theorie werden -, sind sie einer kulturwissenschaftlichen Begriffsbildung eher hinderlich. Insofern erscheint es vielversprechender, sich der Metapher selbst zuzuwenden: Bettina Conrad hat in ihrer Studie „Gelehrtentheater“ (2004) aufgezeigt, wie sehr gerade Freud in seinen Arbeiten zur Traumdeutung auf die Metapher des Theaters und vor allem des zeitgenössischen Theater- und Dramendiskurses zurückgreift, um seine eigenen Begrifflichkeiten zu bilden. 241 Allerdings spart sie gerade den Begriff der Urszene aus. Ein Zugang, der sich nicht in die Gefahr der Essentialisierung begibt, liegt in der Bildsprache der Metapher selbst: Der Begriff der Szene impliziert nicht allein eine bestimmte symbolische Handlung oder Bildlichkeit, sondern auch einen Zuschauer, der in ein Wechselverhältnis mit dem Gezeigten 236 Kaiser 2003, 89. 237 Vgl. hierzu Freud 1966, 69. 238 Vgl. hierzu einführend Kaiser 2003, 89-92. 239 Vgl. etwa Freud 2003, 204. 240 Freud 2003, 362. 241 Vgl. Conrad 2004, 105-181. 120 tritt. 242 Gerade dieses Wechselverhältnis von Gezeigtem und Sehendem bedingt die „Materialwandlungen“, die mäandernde Fortschreibung der Szene, die für Freud ja eines der entscheidenden Kriterien der Urszene ist. So gesehen lässt sich die Urszene als Kernpunkt der Bühnengenealogie verstehen. Nicht im Sinne eines Ursprungs, auf den alles zurückgeführt werden kann - dies hieße, die essentialistischen Implikationen des Begriffs programmatisch auszudeuten -, sondern als Kristallisationspunkt, auf den kulturell sich die unterschiedlichen Materialwandlungen beziehen lassen. Die ‚Zeugung’ und Geburt der Gemeinschaft, wie sie in „Wilhelm Tell“ etwa in der Szene des Rütli-Schwurs inszeniert wird, übernimmt für die Politik der Identität in Deutschland im Zeitraum 1870-1933 die Bedeutung einer Urszene: Gerade in Anbetracht der komplexen und widersprüchlichen Entwicklung der Nationalstaatsbildung, in deren Verlauf ‚Bürger’ (‚Volk’) und Aristokratie ja durchaus auch in antagonistische Verhältnisse zueinander gerieten, bot die Imagination einer solchen Geburt nationaler Gemeinschaft aus dem Geist innerer Einheit und familiärer Autorität einen positiven Bezugspunkt der eigenen Identitätskonstitution und ihrer politischen Fortschreibung. Gleichzeitig aber, und dies wird im folgenden Kapitel an einem weiteren genealogischen Strang zu untersuchen sein, enthält die Urszene in nuce auch die Züge der pathologischen Dimensionen dieser Imagination, neben der nostalgischen Rückwendung vor allem das Betonen einer gewachsenen Einheit, die in letzter Konsequenz auch den Ausschluss alles Fremden impliziert. 242 Zum Begriff der Szene bei Freud vgl. besonders Conrad 2004, 108, Anm. 14. 121 Nathan & Shylock: Ansätze einer Genealogie jenseits des Mainstreams Es ist hier also der Fremde nicht in dem bisher vielfach berührten Sinn gemeint, als der Wandernde, der heute kommt und morgen geht, sondern als der, der heute kommt und morgen bleibt - sozusagen der potentiell Wandernde, der, obgleich er nicht weitergezogen ist, die Gelöstheit des Kommens und Gehens nicht ganz überwunden hat. Georg Simmel 1 Die Frage nach der kulturellen Funktion und Bedeutung des Theaters für die Politik kollektiver Identität ließ sich für „Wilhelm Tell“ insofern leicht beantworten, weil das Stück fraglos ein affirmatives Angebot zur Identifikation macht. Die Dynamik der Genealogie gründete in dem Wechselverhältnis zwischen der Bühnenfigur, dem Kanon sowie dem kollektiv Imaginären. Die Zurückweisung von Inszenierungen/ Lesarten stellte sich in diesem Sinne als ein ‚Nicht-Wiedererkennen’ dar, wobei „Wilhelm Tell“ durch seinen Protagonisten und die Darstellung der Menge als Gemeinschaft als Urszene kollektiver Identität fungierte. Dem Theater kam eine zentrale Rolle im Sinne eines säkularen, affirmativen Rituals zu. Wie aber, so ist im Anschluss an diese Überlegungen zu fragen, verhält es sich, wenn die Figuren nicht als positive Identifikationsfiguren, die aus der Mitte der Gemeinschaft entstammen, erscheinen, sondern als ‚fremd’ 2 oder ‚randständig’ ausgewiesen werden? Wie konstituiert sich in diesen Fällen das visuelle Subjekt und welchen Status nimmt es gegenüber der Majoritätskultur ein? Das als Motto vorangestellte Zitat Georg Simmels betont, dass ‚Fremdheit’ nicht schlichtweg als ‚Unbekannt-Sein’ bestimmt werden kann, sondern ein Spannungsverhältnis innerhalb einer Gemeinschaft bezeichnet: „Der Fremde ist ein Element der Gruppe selbst, nicht anders als die Armen und die mannigfachen ‚inneren Feind[e]’ - ein Element, dessen immanente und Gliedstellung zugleich ein Außerhalb und Gegenüber einschließt.“ 3 Der Fremde ist eine marginale (im metaphorischen wie im Wortsinne) Erscheinung nach Simmel; er steht am Rande des ‚Mainstreams’, ist aber gleichzeitig ein fester Bestandteil der Gesellschaft, für die er das ‚Außen’ schlecht- 1 Simmel 1908, 509. 2 Wenn hier sowie im Folgenden von „fremd“ und „Fremdheit“ gesprochen wird, dann ist dies im Sinne eines kulturwissenschaftlichen Fremdheitsbegriffs zu verstehen, der nicht absolut, sondern relational begründet ist. Fremdheit in diesem Kontext setzt immer bereits das Wechselverhältnis von Fremd- und Eigengruppe voraus. Vgl. hierzu etwa Mecklenburg 1990, Turk 2001, Wierlacher 2001, Lotman 1986. 3 Simmel 1908, 509. 122 hin repräsentiert. So gesehen ist er kein temporäres Phänomen, sondern eine permanente Herausforderung bzw. Begrenzung der ‚Gemeinschaft’. Das visuelle Subjekt im Kontext eines affirmativen Verhältnisses konstituiert sich durch Blick und Gegenblick. Diese Bedingung aber kann die marginale Erscheinung nur bedingt erfüllen, denn auch wenn sie als ‚grenzwertig’ gesehen wird, bleibt die Frage offen, welchen Blick sie zurückwirft. Insofern ist es notwendig, Mirzoeffs Begrifflichkeit in dem Sinne zu erweitern, dass die (implizite) Fiktion des homogenen Blicks zugunsten einer Mehrzahl von sich möglicherweise auch widersprechenden Perspektiven erweitert werden muss. Mirzoeff definiert diese Situation des Aufeinander-Blickens nicht weiter, der Kontext impliziert aber durchaus einen kollektiven Blick. 4 Dessen Einhellig- oder Eindeutigkeit aber kann bei näherer Betrachtung nicht überzeugen. Gerade die marginale Erscheinung verdeutlicht, dass sie aus verschiedenen Winkeln gesehen werden kann und auch wahrgenommen wird: Sie kann sowohl von den Rändern wie vom Zentrum der Gesellschaft betrachtet werden und verändert, je nach Perspektive, ihre konkrete Bedeutung. So löst sich Mirzoeffs visuelles Subjekt letztlich in dem Sinne auf, den Gayatri C. Spivak als subject-effect beschrieben hat: A subject-effect can be briefly plotted as follows: that which seems to operate as a subject may be part of an immense discontinuous network […] of strands that may be termed politics, ideology, economics, history, sexuality, language and so on. […] Different knottings and configurations of these strands, determined by heterogeneous determinations which are themselves dependent upon myriad circumstances, produce the effect of an operating subject. 5 Diese Bestimmung des Subjekt-Effekts ermöglicht es, Mirzoeffs Terminologie zu konkretisieren: Die Bühnenfigur erscheint als Knotenpunkt eines komplexen Netzes von Überlagerungen und Überschneidungen. Ja, sie bildet sich überhaupt erst durch solche Verwindungen. Gleichzeitig, und in dieser Dialektik liegt ihre besondere Bedeutung, wird diese Verfasstheit vom Effekt eines einheitlichen Subjekts so überlagert, dass ihre Heterogenität bzw. Konstruiertheit nicht mehr erkennbar ist. Ebenfalls wird bei den folgenden Überlegungen zu berücksichtigen sein, dass die Figur des Fremden bereits in ihrer semiotischen Konstitution in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis steht, denn als Element des Kanons ist sie zunächst einmal ein Produkt des Mainstreams. Hierin liegt ihre Chance, aber auch ihre Gefahr: Sie kann dieses Spannungsverhältnis markieren und somit zur Disposition stellen oder es im Sinne einer Komplizenschaft mit dem Zentrum preisgeben und dadurch den marginalen Standort festschreiben. 4 Diese implizite Kollektivität des Blicks wird deutlich, wenn Mirzoeff Sichtbarkeit als soziales Phänomen bestimmt: „For visual culture, visibility is not so simple. Its object of study is precisely the entities that come into being at the points of intersections of visibility and social power.”; Mirzoeff 2002, 10; Herv. Verf. 5 Spivak 1996, 213. 123 Diese Position des Fremden korrespondiert mit den zwei Formen des Ursprungsmythos, die Joseph Roach ausführt. Er unterscheidet zwischen einem autochthonen Mythos und einem Mythos der Diaspora, wobei er die beiden Formen nicht als trennscharfe Kategorien versteht, sondern als Pole eines Wechselverhältnisses: As evocations of the past, both myths of origin - the diasporic and the autochthonous - also suggest alternatives for the future. These alternatives inevitably raise the question of surrogation: diaspora tends to put pressure on autochthony, threatening its imputed purity, both antecedent and successive, because it appears to make available a human superabundance for mutual assimilation. At this promising yet dangerous juncture, catastrophe may reemerge from memory on the shape of a wish. 6 Die Spannung zwischen den beiden mythischen Modellen steht in einem komplexen Wechselverhältnis mit der Bühnenfigur, denn die literarische Figur des Fremden, als Teil des Kanons, entstammt unmittelbar jenem ‚Schrecken’, den der diasporische Herkunftsmythos mit sich bringt. Die Figur ist Ausdruck dieses Schreckens selbst. Als Bühnenfigur aber kann sie - nun als visuelles Subjekt - auch auf das Publikum zurückschauen. Sie ist damit der Eindeutigkeit, in der sie der Kanon imaginiert, enthoben. Vielmehr wird die literarische Figur durch die vielfachen ‚Heimsuchungen’ auf der Bühne dynamisiert und in die Zirkulationen der Kultur eingebunden. So findet eine neue Verortung der Figur des Fremden statt. Der Schrecken des Anderen ist nicht länger stumm in der Literatur gebannt, sondern erhält durch die Bühne einen Spielraum zur Re-Lektüre. 7 Die Re-Lektüre ist ein zentrales Moment jeder Bühnengenealogie. Bereits die semiotische Konstitution von Theater bestimmt jede Inszenierung, wenn nicht jede Aufführung, als ‚neue’ Lektüre, die sich durch Verschiebungen gegenüber ihren ‚Vorgängern’ auszeichnet. Diesem Umstand kommt im Kontext der Figuren des Fremden eine besondere Bedeutung zu, weil auf sie nicht allein eine affirmative Sehnsucht projiziert wird, die nach einer Kontinuität der Figuren strebt. Die spezifische Komplexität dieser Figuren entsteht aus dem Umstand, dass in ihnen widersprüchliche Interessen zusammenfallen (können). Allein durch ihr Auftreten thematisieren und bestimmen sie das Verhältnis von ‚eigen’ und ‚fremd’ jeweils neu. Um sich den Spuren dieses Prozesses anzunähern, sollen im Folgenden zunächst Nathan und Shylock als Denkfiguren des Diskurses untersucht werden, um ausgehend von dieser Konstellation die Bühnengenealogie näher zu betrachten. 6 Roach 1996, 43. 7 Man kann in Homi K. Bhabhas Konzept des third space ein Modell für dieses Potenzial der Bühne sehen: „It is that Third Space, though unrepresentable in itself, which constitutes the discursive conditions of enunciation that ensure that the meaning and symbols of culture have no primordial unity or fixity; that even the same signs can be appropriated, translated, rehistoricized and read anew.”; Bhabha 1994, 37. 124 Durch die Maske des Fremden: Sender Glatteis liest Nathan und Shylock. „Der Pojaz“ (1905) Was ist ein Theater? Sender Glatteis in „Der Pojaz“ 8 Es ist nicht ohne Ironie, dass Karl Emil Franzos (1848-1904) heute vor allem für einen Roman bekannt ist, dessen Veröffentlichung er zu Lebzeiten nicht zuließ, weil er fürchtete, er werde vor dem Hintergrund eines erstarkenden Antisemitismus falsch verstanden. So wurde „Der Pojaz“, obwohl schon 1893 vollendet, erst 1905 postum veröffentlicht. 9 „Der Pojaz“ ist aus heutiger Perspektive ein ‚problematisches’ Buch, weil es thematisch mit seiner Schilderung des osteuropäischen Judentums auf eine Welt verweist, die durch die Shoah vollständig zerstört wurde. Auch lässt sich die kulturpolitische Zielsetzung, mit der Franzos die Verbesserung der ostjüdischen Lebensverhältnisse durch Assimilation an den Westen - besonders Deutschland erscheint im Roman als Paradigma des Erfolgs - durchsetzen will, kaum mehr nachvollziehen. Die historische Erfahrung der Shoah lässt eine unvoreingenommene Lektüre des Romans nicht mehr zu. So gewinnt die verzögerte Publikation symbolische Bedeutung, weil sich in ihr der Zweifel an dem Fortschrittsglauben der Erzählung dokumentiert. Eine Lektüre des Romans, die auf die Frage nach dem Verhältnis von Kanon und Politik kollektiver Identität zielt, kann diese Spannung nicht ignorieren. Sie muss versuchen, diese zum Zentrum ihrer Überlegungen zu machen: Es gilt, die von Franzos entwickelte narrative Konstruktion auf ihre Position im Rahmen dieser Politik zu befragen. 10 Im Zentrum des Romans, der nach dem Muster eines Bildungsromans in der Tradition von Goethes „Wilhelm Meister“ angelegt ist, 11 steht die Figur des jungen Sender Glatteis, der wegen seiner Streiche den Beinamen Pojaz trägt. 12 Sender lebt in dem kleinen galizischen Dorf Barnow inmitten einer strenggläubigen jüdischen Gemeinschaft. Sender, der bereits durch seinen Spitznamen als Außenseiter gekennzeichnet ist, entdeckt durch die zufällige Begegnung mit dem Theater eine neue Perspektive für sein Leben: Er will Schauspieler und ein „Deutsch“, ein assimilierter, aufgeklärter Jude, werden. Dies aber ist im Kontext der konservativen Dorfgemeinschaft voll- 8 Franzos 2000, 57. 9 Hermand 2000, 358. 10 Steven Aschheim führt hierzu aus: „Franzos did not refer to political hegemony when he talked about Germanization but to a cultural ideal. Deutschtum was the human standard by which other nations should measure their own particular cultural progress.”; Aschheim 1982, 28. 11 Vgl. hierzu etwa Bayerdörfer 1985, 226. 12 Bereits dieser Spitzname verweist auf den Kontext des Theaters, denn Pojaz ist „das korrumpierte Wort für ‚Bajazzo’“; Franzos 2000, 12. 125 kommen ausgeschlossen. Am Ende stirbt er an einer Lungenentzündung als Folge seines literarischen Selbstunterrichts in einer zugigen Klosterbibliothek. In Wahrheit aber scheitert er als tragischer Held an den Widersprüchen zwischen seinen eigenen Vorsätzen und den autoritären Vorgaben seines Umfelds. Der Roman reflektiert Franzos’ eigene biographische Erfahrungen: Karl Emil Franzos wuchs als Sohn eines österreichischen Militärarztes in Galizien auf, studierte in Wien und Graz, arbeitete als Journalist und gehörte zu jenen liberalen, assimilierten jüdischen Kreisen, die in „Der Pojaz“ als kulturelles Leitbild dargestellt werden. Gleichzeitig lernte er in seiner Kindheit - freilich aus dem Blickwinkel eines „Deutsch“ - das Leben und die Lebensbedingungen des osteuropäischen Judentums kennen. Bereits in früheren Arbeiten beschäftigte er sich mit der Welt des ostjüdischen Shtetls, so etwa in seinem Reisebericht „Aus Halb-Asien“ (1876) oder seiner Novellensammlung „Die Juden von Barnow“ (1877). Insofern bildet „Der Pojaz“ innerhalb seines Œuvres einen Punkt der Verdichtung, weil er hier zentrale Fragestellungen seines Schaffens in einem narrativen Zusammenhang kondensiert. Franzos’ Perspektive auf das Shtetl ist von einem aufklärerischen Impuls geprägt: Die Lebensbedingungen erscheinen sowohl in materieller Hinsicht als auch in ihren Auswirkungen auf die Mentalität der Menschen kritisch. Ihre Religiosität wird von Franzos als rückwärtsgewandte und (wie das Schicksal Senders beweist) destruktive Haltung beschrieben. 13 Durchgehend in all seinen Schriften schildert Franzos die ostjüdische Kultur als eine unterentwickelte Zivilisationsstufe - der Titel seines Buches „Aus Halb- Asien“ ist hier ein besonders sprechendes Beispiel. 14 Diese Umstände sind keineswegs nur Äußerlichkeiten, sie sind für eine Analyse der narrativen Konstruktion unmittelbar bedeutsam. Denn Franzos wählt eine Erzählerposition, die ihn als Kenner ostjüdischer Lebensverhältnisse ausweist, etwa wenn er immer wieder Begriffe aus dem Jiddischen übersetzt, die gleichzeitig aber in ihrem Fortschrittsglauben eindeutig Partei ergreift. Dies lässt nach der Intention des Romans fragen: Sein Plädoyer für eine Emanzipation der Ostjuden - die von Franzos nur als Assimilation an das Vorbild deutscher Kultur denkbar ist - ist eindeutig. Allerdings zeugt die Konstruktion und Struktur des Romans in gewisser Weise gegen diese Intention. Denn „Der Pojaz“ ist deutlich für ein westliches Publikum geschrieben, das die Konstruktion des Bildungsromans erkennt und goutieren kann. 15 Dies wird bereits an seiner sprachlichen Form deutlich: Wäre der 13 Franzos schreibt etwa: „Die Juden von Barnow sind ‚Chassidim’, Mucker und Schwärmer, wilde phantastische Fanatiker, die zwischen grausamer Askese und üppiger Schwelgerei hin und her schwanken.“; Franzos 2000, 44. 14 Vgl. hierzu bspw. Aschheim 1982, 29. 15 Wie sehr Franzos diese Kenntnis voraussetzt, wird schon in seinem Vorwort deutlich, in dem er sich sowohl mit Anfeindungen gegen seine Schriften von jüdischer als auch nicht-jüdischer Seite auseinandersetzt, um die Bedeutung seines Romans zu legitimieren. Der erste Satz thematisiert seine Intention und den kulturellen Kontext: „Der Held 126 Roman im Sinne einer direkten Einflussnahme konzipiert gewesen, hätte Franzos ihn eher in jiddischer Sprache schreiben müssen, um sicherzustellen, dass sein Zielpublikum ihn rezipieren kann. 16 Insofern nimmt er eine ambivalente Position ein, denn seine Erzählperspektive ist die des Mainstreams, der die ostjüdische Lebenswelt imaginiert. Damit aber schreibt er die Diskrepanz zur Majorität als negative Eigenschaft fest. So wird Sender zu einer Maske des Fremden, die vorgibt auf die Majoritätskultur zu blicken. In Wirklichkeit ist sie aber selbst nur ein Abbild des eigenen kulturellen Selbstverständnisses, in gewisser Weise eine narzisstische Projektion. Senders Sehnsucht nach westlicher, ‚deutscher’ Kultur fällt so auf den Mainstream selbst zurück, der sich die eigene Überlegenheit durch diese Maske bestätigt. Franzos nutzt diese ‚Maske’ für eine Re-Lektüre des Kanons, die sich nicht in der ironischen Darstellung von Senders mangelnder Bildung erschöpft. Symptomatisch ist bereits die erste Begegnung Senders mit dem Theater - einer kulturellen Institution, die ihm so unbekannt ist, dass er nach ihr fragen muss und während der Aufführung selbst die Bedingungen des Theaters missversteht. 17 Direkt bei seinem ersten Theaterbesuch begegnet er der Figur des Shylock, die er als alter ego erkennt. Die ästhetische Erfahrung stellt sich gleichzeitig als ein Erkenntnisprozess dar: ‚Ja’, sagte der Alte [i.e. Shylock] und fängt an zu reden über Juden und Christen, und daß wir so bitter von den Christen verfolgt werden - durch Mark und Bein ist es mir gegangen und durch das tiefste Herz. Bis dahin hab’ ich noch nicht viel nachgedacht über uns und die Polen, und hab’ geglaubt, es schickt sich so, aber jetzt haben sich mir die Augen aufgetan über das blutige Unrecht, das wir erdulden. 18 Dieses Erlebnis ist für ihn so revolutionär, dass es sich unmittelbar physisch vollzieht. Sender kann seiner Erregung kaum Herr werden, der Körper antizipiert jene intellektuelle Erkenntnis, für die Sender noch die entsprechende Bildung fehlt. Ebenso körperlich reagiert er auf den Ausgangs des Dramas und die erzwungene Taufe: Meinen Augen hab’ ich nicht getraut - aufgesprungen bin ich und hab’ die Fäuste geballt! ‚So ein Unrecht! ’, schrei’ ich. ‚Das kann ich nicht länger anschauen! ’ Zum Glück sind schon alle Leut’ aufgestanden, sonst wär’ mir’s wahrscheinlich schlecht gegangen. Ich aber lauf’ allen voran die Treppe hinunter und dann auf dieser Geschichte - und zwar in Wahrheit ein Held, wenn man diese Bezeichnung nicht einem Menschen, der mit Aufgebot aller Kraft leidvoll nach einem hohen Ziele ringt, ungerecht verweigern will - hatte auch einen heroischen Vornamen.“; Franzos 2000, 12. 16 Hermand 2000, 358, verweist auf einen Vorabdruck in russischer Sprache, in der Forschung ist über die Rezeption dieser Fassung allerdings nichts Weiteres bekannt. 17 So beschreibt er selbst die Eindrücke seines ersten Theatererlebnisses: „Erst wie die Stadt fortwackelt und wieder das Zimmer kommt mit den zwei lustigen Mädchen, hab’ ich mich erinnert, daß es ja nur so ein Spiel ist.“; Franzos 2000, 63. 18 Franzos 2000, 63. 127 und ab vor dem Hotel. Bald war mir heiß, bald haben mir die Zähne geklappert - so aufgeregt bin ich noch nie gewesen. 19 Sender antwortet, von seinen Affekten hin- und hergerissen, mit affektiven Emotionen auf das Theatererlebnis, seine Begeisterung mündet - ganz im Sinne des emanzipatorischen Impetus Franzos’ - zunächst in dem Bedürfnis, Schauspieler zu werden, das dann - angeregt durch den Theaterdirektor Nadler, der als assimilierter Jude dargestellt ist 20 - in ein allgemeines Bedürfnis nach Bildung umgeleitet wird. So bestätigt Franzos durch die Maske des Fremden das Theater als „moralische Anstalt“. 21 Im Zentrum von Senders Bildungsbestreben, das sich auf Anraten Nadlers mit Schiller, Lessing, später Goethe und Shakespeare ganz am bürgerlichen Bildungskanon orientiert, 22 steht die Suche nach jüdischen Figuren der Literatur. Dies führt letztlich zu einer Gegenüberstellung von „Nathan der Weise“ und dem „Kaufmann von Venedig“. Sender begegnet Nathan im Selbststudium in einer Klosterbibliothek. Seine Lektüre ist geprägt von Missverständnissen, die seinem Bildungsmangel erwachsen. So vergleicht er zunächst Lessings Drama mit seinem eigenen Wissen und kommt zu der Schlussfolgerung, dass Lessing „nichts von Juden versteh[e]“ 23 . Die Ringparabel als Kernstück des Dramas bleibt Sender in ihrer aufklärerischen Botschaft vollständig verschlossen: Als er nun mit ungemeiner Spannung aller Sehnen der Seele, so wie man eine unerhörte Entdeckung vernimmt, das Märchen von den drei Ringen las, da sank ihm diese Binde [des religiösen Vorurteils] freilich nicht von den Augen, aber er erkannte doch, daß es Leute gegeben, die sie nicht getragen. […] [‚]Ich habe doch gewiß nichts gegen die Polen und bin schon zufrieden, wenn sie mich in Ruh’ lassen, aber daß ihre Religion so gut ist wie die meinige, kann ich nicht glauben. Denn warum bleib’ ich ein Jud’, den alle schimpfen und bedrücken? Da kann ich mich ja gleich taufen lassen! Aber daß der Herr Lessing einen Juden so gerecht reden läßt, war doch schön von ihm. Die Leut’ hören es und denken sich dann: ‚Warum sollen wir die Juden hassen? - sie hassen ja auch uns nicht’ … Und das ist gut, sehr gut! Schad’ ist nur, daß nicht alle Polen Deutsch verstehen! ’ 24 19 Franzos 2000, 64f. 20 Der Unterschied zwischen Sender und Nadler wird von Franzos als so groß beschrieben, dass jener die gemeinsame jüdische Identität nicht zu erkennen vermag, wie Nadler ausführt: „‚Höre‘, sagt er, ‚du hast es nicht erkannt, aber ich bin selbst ein Jude. Freilich aus einem anderen Land, aus Preußen. Aber nicht darum allein möchte ich mich gern deiner annehmen, sondern weil du höchst wahrscheinlich ein großes Talent bist. Ob du es wirklich bist, ob du wirklich für das Theater taugst oder nicht, weiß ich nicht gewiß. So, wie du jetzt bist, kann es dir niemand mit Gewißheit sagen. Aber bei Gott und auf Ehre! - soweit ich es jetzt beurteilen kann, taugst du vortrefflich dazu, mehr als ich, mehr als jemand von meinen Leuten. […] Bleibe zwei Jahre an einem Ort und lerne Deutsch - das ist das Wichtigste - lesen, schreiben, sprechen. Ferner mußt du das Notwendigste wissen, das übrige findet sich.“; Franzos 2000, 66. 21 Vgl. hierzu Marx 2003, 278f. 22 Vgl. Franzos 2000, 133. 23 Franzos 2000, 96. 24 Franzos 2000, 103. 128 Im direkten Vergleich der beiden Figuren ist es Shylock, der Sender näher steht als Nathan: Darum empfand er es auch peinlich, daß ihm von jenen beiden ‚Spielen’, die er kannte, der „Nathan“ nicht ganz so gut gefiel, als der ‚Schajelock’, obwohl doch in diesem die Juden nicht so gut wegkommen. […] ‚Nathan’, sagte er sich, ‚ist zwar der Bessere, aber er redet immer ruhige, vernünftige Sachen und hat keine großen Leiden und keine grossen Freuden, Schaje aber - der kann immer schreien und herumlaufen und dieses und jenes tun. Nathan wäre leichter zu machen, aber Schaje wäre mir doch lieber! Natürlich aber den Schluß, den müßte ich machen, wie ich will! ’ 25 Senders Präferenz für den „wilden, rachegierigen ‚Schajelock’“ 26 korrespondiert durchaus mit anderen Stimmen des jüdischen Diskurses, die die allzu ideale Gestalt Nathans zwar der Botschaft nach begrüßten, aber als Theaterfigur ablehnten. Shylock erscheint - vor dem Hintergrund der wenigen jüdischen Figuren in der kanonischen Literatur - für Sender als ein jüdisches alter ego, das es ihm ermöglicht, die eigene Diasporaerfahrung und Situation der Bedrängung zu verstehen. Am Ende, als Sender bereits todkrank sich einer ‚Schmierentruppe’ anschließt, wird Shylock (in einer Probe) die Rolle seines Lebens - „da vergaß er, wer und wo er war, er fühlte sich als der Jude Shylock auf dem Rialto zu Venedig.“ 27 Franzos spiegelt das Schicksal Senders, die Geschichte seines heroischen Scheiterns, mit der historischen Figur des Schauspielers Bogumil Dawison (1818-1872), der als ‚Schatten’ und Vorbild Senders immer wieder beschworen wird. Stammte er doch ebenfalls aus dem jüdischen Milieu Polens, schaffte aber, im Gegensatz zu Sender, den Eintritt in die Hochkultur und wurde u.a. Mitglied am Wiener Burgtheater. 28 Am Ende des Romans wohnt der todgeweihte Sender einer Vorstellung Dawisons bei, in der dieser als Shylock gastiert. Wieder wird ein künstlerisches Erlebnis als Offenbarungserfahrung 29 beschrieben: Die Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit und die Freude einen solchen Künstler zu hören, ergriffen ihn gleichermaßen. […] Das war kein Schauspieler mehr, sondern ein armer, unglückseliger Mensch, der lange seine und der Brüder Jammer verschlossen in sich getragen, der klaglos geduldet und nun plötzlich Worte fand für sein furchtbares Weh. Über Senders Antlitz rannen die Tränen nieder, als am Schluße der Szene donnernder Beifall losbrach, saß er regungslos, aber seine Lippen murmelten: ‚Mein Gott und Herr, ich danke dir! ’ 30 Dawison wird zum Gegenbeispiel für Senders eigenes Schicksal - jener verkörpert die erfolgreiche Assimilation und Integration in die westliche Gesellschaft, dieser das tragische, das Mitleid des Lesers erweckende Scheitern 25 Franzos 2000, 104. 26 Franzos 2000, 104. 27 Franzos 2000, 323. 28 Vgl. zu Dawison ausführlicher S. 149-154 dieser Arbeit. 29 „Mir ist’s als hätte ich in die Sonne gesehen; darauf kann man lange nichts anderes unterscheiden.“; Franzos 2000, 355. 30 Franzos 2000, 354. 129 an den eigenen kulturellen Wurzeln. Die Parallelisierung von Dawison und Sender, bis hin zu einer letzten Begegnung der beiden, ist aber nicht nur eine Strategie, die Geschichte des Romans authentischer zu machen oder Senders Lebensentwurf als denkbare Möglichkeit darzustellen. Shylock wird zum imaginären Bezugspunkt, indem Dawison als Beispiel des erfolgreich Assimilierten und Sender als der suchend Scheiternde sich treffen können. Die marginale Figur eröffnet die Möglichkeit, aus ‚beiden Richtungen’ sozialer Entwicklung über die Frage jüdischer Identität zu reflektieren. Diese Reflexion ist allerdings nicht durch die Rhetorik religiöser Toleranz gekennzeichnet, sondern vielmehr durch eine Emotionalität - Franzos betont immer wieder die „Wildheit“ der Shylock-Figur -, die deutlich die Spuren der Ablehnung und Diskriminierung trägt. Diese Erfahrungen werden nicht idealisiert oder heroisiert, sie bilden vielmehr das ‚Kraftzentrum’ der Figur. Hinter diesen wird der „arm[e], unselig[e] Mensch“ erkennbar. In dieser Lektüre unterläuft die Maske der Fremdheit, die der narrativen Konstruktion in ihrem grundsätzlichen Plädoyer für eine Assimilation zugrunde liegt, den aufklärerischen Impetus: Shylock ist nicht bloß eine Chiffre der zu erstrebenden Kultur, er repräsentiert auch die anhaltende Erfahrung von Diskriminierung und Marginalität. Dawison als Shylock schließlich verkörpert so nicht allein den Erfolg von Bildung und Assimilation, sondern auch die Kontinuität marginaler Existenz. 130 Nathan & Shylock: Denkfiguren, Karikaturen, Masken Denn d e u t s c h vor Allem - wie Lessing es durch und durch war - ist der Nathan. Emil Lehmann 31 Shakespeare hat im Shylock einen Typus geschaffen, für dessen Echtheit die Juden selber durch zwei Jahrtausende die glänzendsten Zeugnisse abzulegen unermüdlich beflissen gewesen sind. Sebastian Brunner 32 Es ist unmöglich, die Wirklichkeit der Völker nach ihren verkrüppelten Seelen und ihren von Tagesleidenschaft geblendeten Geistern zu messen. Das wahre Leben eines Volkes ist ausschließlich jenes, das in seinen reifsten Geistern und freiesten Seelen sichtbar wurde. Das Zeugnis, das auf dem Wege von Shylock über Nathan zur Judith die großen dramatischen Menschendarsteller des Abendlandes gegeben haben, ist gültig und durch keinen Tageslärm zu erschüttern. Es beweist für immer, daß keine hoffnungslose Fremdheit den jüdischen Menschen vom germanischen trennt. Julius Bab 33 Die von Franzos geschaffene Maske Sender Glatteis ist deswegen von besonderem Interesse, weil sie in der Diskussion und Gegenüberstellung von Shylock und Nathan literarisch einen Diskurs reflektiert, der paradigmatisch für die Frage jüdischer Teilhabe im 19. Jahrhundert ist. Nathan und Shylock werden weit über die ästhetische Dimension hinaus zu Denkfiguren, an denen sich die Frage von kultureller Pluralität und gesellschaftlicher Offenheit bzw. Repression bricht. 34 Daher soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, einige Linien dieses Diskurses nachzuzeichnen, der den Rahmen für die Bühnengenealogie bildete. Hans Mayer hat in seiner Studie „Außenseiter“ (1975) ganz in dieser Tradition Shylock gewählt, um die Frage jüdischer Emanzipation zu disku- 31 Lehmann 1879, 5. 32 Brunner 1890, 367. 33 Bab 1925, 225. 34 Besonders prominente Vertreter dieses Diskurses sind bspw. Ludwig Börne (1786- 1837) oder Heinrich Heine (1797-1856): Beide entwickeln eine Lesart des „Kaufmann von Venedig“, die die humanen, tragischen Züge der Shylock-Figur (auch gegen die Komödienstruktur des Textes) verteidigt. Vgl. hierzu Mayer 1975, 350-366. 131 tieren. Er beginnt seine Ausführungen mit der Begründung, warum er sich für Shylock und - anders als Kracauer 35 - gegen Ahasver entschieden hat: Allein der Ewige Jude meint niemals den einzelnen Juden. Er steht für ein theologisches Schicksal, nicht für irgendeine jüdische Singularexistenz. […] Phänotyp für die gescheiterte jüdische Emanzipation ist nicht der unsterbliche Ahasverus, sondern die Kunstfigur eines Dramatikers, Shylock, der Mann ohne Vornamen, der Jude von Venedig. 36 Mayer weist eine eigene genealogische Linie jüdischer Figuren auf, die von Barrabas, der Titelfigur in Marlowes „Jew of Malta“ (1589), über Shylock, Nathan, Moritz Spiegelberg aus Schillers „Die Räuber“ (UA 1782) bis zu den Thesen der „Dialektik der Aufklärung“ reicht. 37 Bei allen Unterschieden symbolisieren für Mayer diese Figuren eine Spannung innerhalb der westlichen bürgerlichen Gesellschaft bzw. die Suche nach einer möglichen Lösung dieser Spannung. Mit dem Wissen um die Shoah erscheint der Optimismus vieler älterer Darstellungen illusionär oder naiv. Es wäre aber voreilig, sie aus diesem Grunde als obsolet beiseite zu stellen. Vielmehr müssen vor dem Hintergrund dieses Wissens die Lesarten der Figuren sorgfältig geprüft werden, um auf jene Stellen zu verweisen, an denen sich hinter dem programmatischen Optimismus vielleicht eher ein verborgener Diskurs der Bedrohung verbirgt als ein visionärer Impuls. Insofern erscheint es sinnvoll, im Folgenden bewusst jüdische Stimmen und antisemitische Zwischenrufe einander gegenüberzustellen. Alfred von Berger (1853-1912), Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg (1899-1909) und Direktor des Wiener Burgtheaters (1910-1912), prägte eine Formel, die für das zeitgenössische Verständnis der beiden Figuren von entscheidender Bedeutung war: Der Shylock Shakespeares ist der Vater des Lessingschen weisen Nathan, wie er selbst der Sohn des Marloweschen Barrabas ist, des wüsten Juden von Malta. Barrabas zeugete Shylock und Shylock zeugete Nathan. 38 Bemerkenswert ist, dass Berger, der in seinen Formulierung die Sprachformen biblischer Genealogieketten zitiert - eine stilistische Spielerei, die seinem Argument eine zusätzliche Autorität sichern soll -, die Geschichte jüdischer Emanzipation als ein evolutionäres Geschehen in der Metaphorik einer Abstammungsreihe beschreibt. Als Familiengeschichte betrachtet, werden die drei verschiedenen Texte in einen Ablauf eingeordnet, an dessen Ende die Idealgestalt des Nathan als Verkörperung aufgeklärter Toleranz steht. Diese von Berger gewählte Metapher impliziert die Idee einer kontinuierlichen gesellschaftlichen Verbesserung - wobei stillschweigend die eigene Gegenwart als Höhepunkt dieser Entwicklung geschildert wird. 35 Vgl. Mayer 1975, 313-315. 36 Mayer 1975, 315. 37 Vgl. etwa Mayer 1975, 451-458. 38 Berger 1910, 171. 132 Bergers Sichtweise, die ganz dem ästhetischen und Theaterdiskurs verpflichtet ist, findet ein Echo in zwei Texten, die von jüdischen Schriftstellern für ein jüdisches Publikum geschrieben wurden, nämlich von Leo Winz (1876-1952), dem Herausgeber der Zeitschrift „Ost und West“, und dem Dramaturgen und Kritiker Julius Bab (1880-1955). 39 Winz setzt sich in seinem Text „’Eleazar’, ‚Shylock’ und ‚Nathan der Weise’“ (1905) neben dem Lessing’schen und dem Shakespeare’schen Drama noch mit der Oper „Die Jüdin“ [„La Juive“] von Fromental Halévy (1799-1862) auseinander. In einer antithetischen Gegenüberstellung charakterisiert er Shylock als eine Figur, bei der „das rein menschliche Triebleben zu sehr hervorgekehrt“ 40 sei. Shakespeare sei vornehmlich an der psychologischen Darstellung interessiert gewesen, 41 nicht aber an den spezifischen Merkmalen jüdischer Identität. In diesem Sinne versteht Winz Shylocks Motivation als Ausdruck einer permanenten Erfahrung von Diskriminierung und Ausgrenzung: Shylock’s Hass gegen den Christen Antonio und dessen Freunde entspringt ebenfalls der berechtigten Auflehnung einer noch nicht im Schlamme dauernder Knechtschaft verkümmerten Seele. Sein unbesiegliches Rachegefühl lebte in einem Herzen, das noch von den Wunden blutet, die ihm von feindlicher Hand geschlagen worden sind. 42 Diese Sichtweise des Shylock legitimiert zwar im moralischen Sinne sein Handeln, gleichzeitig aber beschreibt Winz Shylocks ‚jüdische Identität’ als Zufälligkeit - sie wird zur Metapher einer sozialen Situation, die als eigentlicher Bezugspunkt der Figur betrachtet wird. 43 Ebenso wenig sei Nathan der „vollkommen[e] Typus eines Juden“, weil Lessing lediglich einer ethischen Botschaft habe Ausdruck verleihen wollen: „Er giebt daher dem Leben eine Gestalt, wie sie die Lehre erheischt.“ 44 So beschreibt Winz, hierin Senders intuitiver Entscheidung für Shylock und gegen Nathan durchaus vergleichbar, Nathan als reine Idealgestalt: Nichts kann sein Blut schneller fliessen, nichts sein Herz stärker pochen machen. Er wurde wie ein Wild verfolgt und gehetzt, seine Frau und seine sieben Kinder, seine Freunde und Gemeindebrüder wurden vor seinen Augen schuldlos niedergemetzelt oder den Flammen übergeben. Und diesem so arg heimgesuchten Manne leiht Lessing die Kraft, Toleranz zu üben. […] Bei Nathan äussert sich die Toleranz und die Liebe in einer übernatürlichen Uebertreibung, denn er soll bloss den Juden darstellen, der die biblische Lehre in ihrer vollkommensten und reinsten Gestalt ins öffentliche Leben hinauszutragen berufen sei. 45 Winz’ Argument zielt nicht allein auf die Frage der Wahrscheinlichkeit, die sich angesichts dieser Diskrepanz stellen ließe. Es lässt sich auch in dem 39 Vgl. einführend zu Bab Albanis 2002, bes. 195-206. 40 Winz 1905, 667. 41 Vgl. Winz 1905, 670. 42 Winz 1905, 663. 43 Vgl. Winz 1905, 664. 44 Winz 1905, 667. 45 Winz 1905, 667. 133 Sinne lesen, dass er eine Form ästhetischer Emanzipation fordert, die den Juden bzw. die jüdische Figur nicht nur als idealisierte Personifikation ethischer Werte oder als dämonische Maske unterdrückter Rachegefühle versteht, 46 sondern sich um eine Darstellung jüdischer Identität bemüht, die sowohl Leidenschaften wie auch ethische Überlegungen erkennen ließe. Eine solche Synthese glaubt Winz in der Gestalt des Eleazar in Halevys Oper erkennen zu können; korrespondierend mit seiner etwas schematischen Argumentationsdialektik schließt er seine Ausführungen mit der formelhaften Feststellung: Der Jude nur als Mensch musste wie Shylock handeln, der Jude bloss als Jude könnte zu einem Nathan werden, der Jude als Mensch und Jude ist und bleibt ein Eleazar. 47 Die Argumentation bedient sich der Gegenüberstellung auch, um die Frage nach der Darstellung marginaler Figuren in der Majoritätskultur zu diskutieren. Winz zollt zwar Lessings wie Shakespeares Entwurf verschiedentlich Respekt, letztlich aber verwirft er beide, weil sie das Jüdische nur als Metapher begreifen, die je nach individueller Zielsetzung semantisch gefüllt werden kann. Winz artikuliert bewusst ein Verkennen gegenüber diesen Figuren, weil er sie nicht als jüdische Figuren (an-) erkennen kann - beide weisen für ihn gravierende Reduktionen auf. Eleazar kann Winz daher zum positiven Beispiel werden, weil hier jüdische und allgemein-menschliche, psychologische Züge zu einer Einheit verschmelzen. 48 Ohne „Die Jüdin“ einer eigenen Analyse unterziehen zu wollen, soll auf die besondere Konstruktion der Argumentation aufmerksam gemacht werden: Winz thematisiert nicht die Frage der Emanzipation oder die grundsätzliche Problematik der Darstellung jüdischer Figuren, er konzentriert sich auf die Forderung nach umfassender Gleichstellung. Letztlich, so kann man es implizit aus seinem Argument herauslesen, geht es um einen gleichberechtigten Platz jüdischer Figuren im Diskurs des Mainstreams und um die Anerkenntnis, dass das ‚Jüdische’ nicht nur als Objekt oder passive Metapher zu Gebote steht, sondern ein Eigenrecht hat. 49 Wie sehr Winz hierbei auf einen eigenständigen, gleichberechtigen Anteil an der Majoritätskultur 46 In diesem Sinne kritisiert Winz sowohl Lessing als auch Shakespeare hinsichtlich ihrer ästhetischen Grundkonzeption: „Lessing’s Drama ist ein Tendenzstück, in dem eine bestimmte Richtung zum Ausdruck kommen soll. Shakespeare’s Schauspiel entbehrt ebenso jeder Tendenz wie alle seine anderen Dramen. Jener stellt die Kunst in den Dienst der Moral. Bei diesem ist sie Selbstzweck, dem die Moral untergeordnet ist.“; Winz 1905, 665. 47 Winz 1905, 672. 48 Winz schreibt: „Eleazar liebt wie ein Jude und hasst wie ein Mensch. Er vermag nicht, wie Nathan, seine Gefühle zu beherrschen, aber auch nicht so grausam zu sein, wie Shylock in seinem Hass.“; Winz 1905, 672. 49 In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass die Zeitschrift „Ost und West“ selbst als ein Forum konzipiert war, das eben auf die Darstellung jüdischer Kultur jenseits bzw. nicht ausschließlich im Kontext westlicher Majoritätskultur zielte. Vgl. Brenner 1998. 134 zielt, mag man auch daran erkennen, dass er nicht versucht, Eleazar durch den Hinweis auf Halevys jüdische Herkunft zu autorisieren. Babs Überlegungen hingegen, 20 Jahre später in der Zeitschrift „Der Morgen“ veröffentlicht, sind etwas anders akzentuiert: Im Zentrum steht die Frage, ob das Verhältnis zwischen Juden und den Majoritätskulturen, in denen sie leben, von einer „allen gemeinsamen Menschlichkeit“ oder von einer unüberwindbaren Feindschaft begründet sei. 50 Die literarischen Figuren Shylock, Nathan und Judith dienen ihm hierbei als Untersuchungsobjekte, anhand derer er diese Nähe oder Distanz zu beschreiben sucht. Babs Argumentation ist im Gegensatz zu Winz’ von einem literaturwissenschaftlichen, analytischen Zugriff geprägt, der erst in einem zweiten Schritt allgemeinere Überlegungen einfließen lässt. In diesem Sinne etwa betrachtet Bab die Figur des Shylock als eine heterogene Gestalt, in der verschiedene dramaturgische Konzeptionen und Traditionen zusammenfließen und sich überlagern. 51 Shakespeare habe sich bei der Gestaltung des Shylock zunächst der mittelalterlichen Auffassung des Lustspiels bedient, dies sei im Interesse seiner Intention gewesen, denn sie lieferte dem Dichter den Juden als N i c h t m e n s c h e n , den man als fratzenhaft düsteren und ohne Gefühlsregung zu beseitigenden Unhold in die künstlerische Rechnung einstellen konnte. 52 Die Figur habe aber - dank der Begabung des Dichters und aus der inneren Notwendigkeit der dramaturgischen Konstruktion - zunehmend menschliche Züge angenommen. Bab schildert dies als einen Prozess, der nicht intentional vom Autor geleitet wurde, sondern diesem selbst entgegengetreten sei. 53 Shylocks berühmte Rede (III, 1) betrachtet Bab als Beginn der Judenemanzipation in Europa, weil sie die mittelalterliche Tradition, die nur ‚Christenmenschen’ kenne, beendet. 54 Aus der inneren Dynamik des Dramas heraus, der Shakespeare sich nicht verschlossen habe, erwächst Shylock als eine Figur, die als Mensch, wie alle anderen Figuren, erkennbar wird. Die 50 Vgl. Bab 1925, 209. 51 Diese Diskussion ist im 19. Jahrhundert verbreitet geführt worden: Stein des Anstoßes war vornehmlich die Klassifikation des „Kaufmann von Venedig“ als Komödie. Im Laufe des 19. Jahrhunderts rückten die ‚tragischen’ Aspekte der Figur Shylock, die bis dahin vornehmlich durch die Tradition der Typenkomödie verdeckt waren, ins Bewusstsein. Als Konsequenz aus dieser Entwicklung entstand bspw. die Konvention, den fünften Akt wegzulassen und das Stück mit Shylocks Abgang vom Gericht zu beenden. Vgl. hierzu auch Bab 1925, 217. 52 Bab 1925, 213. 53 So schreibt Bab über die große Rede Shylocks vor Antonio (I, 3): „Es scheint mir unmöglich zu überhören, daß schon mit dieser Rede der Stil des Lustspiels verlassen, ja zerstört ist, denn es ist nicht möglich, dies Wortgefüge im Stil des dummen Teufels, des sinnlos und damit letzten Endes harmlos wütenden Unholds zu sprechen. Diese Worte kommen mit furchtbarer Folgerichtigkeit aus einer Menschenseele, die der Dichter in diesem Augenblick als wesensgleich mit allem Menschlichen sonst erkannt hat.“; Bab 1925, 214. 54 Vgl. Bab 1925, 215. 135 Asymmetrie des Schlusses bzw. des vierten Aktes erklärt Bab mit dem Hinweis, dass diese Lösung der Komödienfigur gelte, aber die Entwicklung, die Shylock zwischenzeitlich durchlaufen hat, ausblende. Die ästhetische Analyse beweist also, daß Shakespeare keineswegs mit der Absicht umging, ein Stück zu schreiben, in dem das menschliche Wesen der Juden ergründet und verteidigt wird; er ging ganz im Gegenteil davon aus, die Tradition zu benutzen, daß Juden keine Menschen sind. Was aber im Verlauf der dichterischen Arbeit entstand, ist etwas viel Großartigeres und viel Beweiskräftigeres, als es die Durchführung irgendeines tendenziösen Planes sein könnte. 55 Diesem Argument folgend unterstreicht Bab - im Gegensatz zu Winz - Nathans ‚Natürlichkeit’: [D]ie Gestalt des Nathan hat kein kühler Verstand erwählt und zur Verfechtung einer These auf seine Stelle gesetzt. Auch dieser väterlich bewegte, leidgehärtete, humorvoll überschauende Weise ist ganz und gar ein einmal einziger und dadurch für immer gültiger Mensch, lebt durch die Zauberkraft seiner Worte in unserer Phantasie, ist keineswegs nur eine Formel für unseren Verstand. 56 Bab betont die ‚Menschlichkeit’ der Figur als spezifische Qualität und erkennt sie als besonders prononcierten Ausdruck jüdischen Denkens und jüdischer Kultur: In einem noch tieferen Sinn als Shylock, bei dem die Mischung von sinnlicher Bildhaftigkeit und logischer Kontrastschärfe auch schon erstaunlich echt war, - in einem noch tieferen Sinne spricht Nathan ‚jüdisch’ - fängt in seinen Reden die innerste Eigenart jener Kräfte auf, die die Kulturgeschichte aus der urtümlichen Eigenart des jüdischen Volkes hat reifen lassen. 57 Diese Spuren ‚jüdischer Identität’ meint Bab in seinem 1929 veröffentlichten Aufsatz „Nathan der Jude“ noch deutlicher, sogar in der unmittelbaren Textur zu erkennen: Es scheint mir ganz unmöglich, diese Worte anders als im jüdischen Tonfall zu sprechen. Der charakteristische Rhythmus der Sprache wird hier von ihrem geistigen Gehalt unmittelbar erzwungen. […] Der unjüdischste Schauspieler der Welt wird durch den geistigen Gang der Fragenfolge zu der charakteristisch jüdischen Betonung kommen müssen. 58 Um seiner zentralen Fragestellung nach der Position und den Möglichkeiten jüdischer Kultur im Kontext europäischer (nicht-jüdischer) Kultur näher zu kommen, ist es zwangsläufig, dass Bab Nathan als eine authentisch menschliche und authentisch jüdische Figur verstehen muss, denn schließlich wird sie für ihn zum Modellfall einer gelungenen und umfassenden Emanzipation: 55 Bab 1925, 217. 56 Bab 1925, 219. 57 Bab 1925, 220. 58 Bab 1929, 30. 136 Der Weg, den Shakespeare geöffnet hatte, war nun zu Ende gegangen: wenn die Juden in vollem Sinne Menschen sind, so müssen sie auch am menschlich Guten vollen Anteil haben können, so mußte ein frei und stark und tief fühlender Westeuropäer eines Tages auch die Möglichkeit entdecken, unter bestimmten geistigen Voraussetzungen als Ausdruck für Menschentum höchster und reinster Art eine jüdische Gestalt zu wählen. 59 Babs Lesart erklärt Nathan zu einem Modellfall interkultureller Hermeneutik. Der „frei und stark und tief“ fühlende „Westeuropäer“ ist in der Lage, nicht nur das Allgemein-Menschliche im ‚Fremden’ zu entdecken, er kann in diesem sogar jenes Beispiel erkennen, das als Vorbild an Tugendhaftigkeit für alle dienen kann. Für Bab signalisiert dies den Wegfall von sozialen und kulturellen Schranken und somit die vollständige Gleichgültigkeit (im Wortsinne) jüdischer Existenz in der Majoritätskultur. Diametral entgegengesetzt zu Winz, der in Nathan gerade eine abstrakte und zu idealisierte philosophische Projektion sieht, postuliert Bab ein Verständnis der Figur, das die Emanzipation vorwegnimmt. Seine Argumentation mündet schließlich in seiner Analyse von Hebbels „Judith“ (1840), die für ihn insofern von besonderem Interesse ist, als er sie als Werk eines „in besonders starkem Sinne germanische[n] Dichter[s]“ 60 versteht. Das Werk sei bemerkenswert, weil dieser Dichter „die ganz besondere Art jüdischen Strebens, jüdischen Weltgefühls, jüdischen Gottsuchens als eine geschichtlich bedeutsame Ausprägung eines allmenschlichen Grundtriebes erkennt und anerkennt.“ 61 Diese Utopie - in dem diesem Kapitel als Motto vorangestellten Zitat deutlich artikuliert - gründet in der Sphäre des ‚Allmenschlichen’, in dem Bab die Grundlage einer neuen Kultur der Verständigung sieht, die er einer „hoffnungslosen Fremdheit“ gegenüberstellt. Diese Argumentation ist zunächst einmal Winz’ Überlegungen vollständig entgegengesetzt: Hat Winz indirekt die Metaphorisierung und Appropriation des Jüdischen als solche kritisiert, begrüßt Bab gerade diese Figuren als Momente der Teilhabe. Wo Winz das Verkennen zum Zentrum seines Arguments macht, stellt Bab das Sich-Selbst-Erkennen dagegen. Nur so gelingt es Bab, eine utopische Perspektive zu entwickeln, die er als höhere Wahrheit jenseits des „Tageslärms“ benennt. Bab und Winz bewegen sich in ihrer Argumentation im Grenzbereich des ästhetischen Diskurses, die nahegelegten Schlussfolgerungen weisen zwar über den Bereich des Theaters/ der Literatur hinaus, behalten diesen jedoch immer noch im Auge. Für die Wahrnehmung und Funktionalisierung der beiden Figuren im öffentlichen Diskurs ist es aber entscheidend, auch jene Diskurse zu betrachten, die sich deutlicher bemühen, diese Grenze zu überschreiten. 59 Bab 1925, 221. 60 Bab 1925, 224. 61 Bab 1925, 224f. 137 Besonders die Rezeption des „Nathan“ stand von Beginn an unter dem Vorzeichen des allgemeinen Diskurses um die rechtliche und soziale Stellung der Juden. 62 Während die Theater das Stück nur langsam annahmen, entwickelte sich in aufgeklärten christlichen und akkulturierten jüdischen Kreisen der Brauch, das Stück in verteilten Rollen zu lesen. Die jüdische Salonniére Henriette Herz berichtet, daß Lessings Drama in einer der von ihr besuchten Gesellschaften ‚fast jährlich einmal […] mit verteilten Rollen gelesen’ wurde. Eine solch programmatische, von Juden und Christen gemeinsam bestrittene ‚Nathan’-Lektüre läßt sich im übrigen auch für Hamburg nachweisen. […] Man geht sicherlich nicht fehl, wenn man in der Aneignung des ‚Nathan’ durch literarische Gesellschaften ein Surrogat für öffentliche Aufführungen sieht. 63 Gunnar Och benennt mit dem Begriff der Aneignung einen wichtigen Aspekt dieser gemeinsamen Lektüre. Vergleicht man diese Sitte der Salonlektüre mit der Genealogie des „Wilhelm Tell“, dann wird deutlich, dass sie sowohl der Verbreitung des Textes dient, als auch der Implementierung seiner Botschaft. Durch die performative Aneignung vollzieht sich die Konstitution einer sich selbst als bürgerlich verstehenden Gesellschaft, für die religiöse Differenzen keine unüberwindbaren sozialen Schranken mehr sein sollten. Der Umstand, dass dieser Prozess in den jüdisch-bürgerlichen Salons stattfand, verstärkt diese These eher, als dass er ihr widerspräche, 64 stellten die Salons doch die ersten Sphären dar, in denen sich, unter kritischer Beobachtung und teilweise heftiger Ablehnung, ein jüdisch - nicht-jüdischer Dialog entwickelte zu einem Zeitpunkt, da die rechtliche Gleichstellung noch nicht vollzogen war. 65 Der Vergleich mit der Genealogie des „Wilhelm Tell“ lässt eine weitere Schlussfolgerung zu: Jenseits des professionellen Theaters vollzog sich die Implementierung des „Tell“ gerade außerhalb städtischer Milieus als Ausdruck einer autochthonen Kollektividentität. Eine solche Lesart wird durch Lessings Text nicht nur nicht ermöglicht - Schillers Bestreben um Authentizität in der Darstellung und um programmatische Beschreibung einer autochthonen Identität steht hier einer Lokalisierung der Fabel gegenüber, die sich auf ein fiktives Jerusalem bezieht. Sie entspricht auch nicht der kulturellen Bedeutung des Textes: Dem fiktiven Jerusalem wird die sich entwickelnde Stadt als kultureller Ort gegenübergestellt. Lessings „Nathan“ ist nicht nur ein Plädoyer für Aufklärung und Toleranz, seine Rezeption markiert auch die ersten Anfänge sozialer Modernisierung. Das kollektive Lesen des „Nathan“ kann in diesem Sinne als Form eines säkularen Rituals betrachtet werden, durch das sich die Konstitution dieser neuen Gesellschaft - oder wenigstens bestimmter Sphären - vollzog. 62 Vgl. hierzu etwa Och 1995, 162-169. 63 Och 1995, 167f. 64 Zur Bedeutung dieser Salons vgl. bspw. Hertz 1997, Thomann Tewarson 1997, Hahn 1999. 65 Vgl. hierzu Bilsky 2005 und Hahn 2005. 138 Mit dieser literarischen Praxis korrespondiert das Bemühen um Lessing- Denkmäler im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. In dem 1879 vom Deutsch-Israelischen Gemeindebund publizierten „Lessing-Mendelssohn- Gedenkbuch“ finden sich zwei Artikel, die sich mit Lessing-Denkmälern auseinandersetzen. So dokumentiert der Band unter anderem einen Aufruf von Abraham Geiger (1810-1874), einem der zentralen Vertreter der jüdischen Reformbewegung, 66 für ein Lessing-Denkmal. Geiger betont ausdrücklich die säkular-rituelle Funktion von Denkmälern für die Herausbildung kollektiver Identität: Seinem eigenen Genius setzt ein Volk Denkmale, wenn es dessen edelsten Trägern, seinen großen Männern, solche errichtet; sie lehren es, was es vermag und was es soll, nicht blos was der Einzelne in der Vergangenheit geleistet hat. 67 Geiger hebt hervor, dass Lessing über seine literarische Tätigkeit hinaus auch als Vordenker sozialer Veränderung für Deutschland von Bedeutung sei. Seine besondere Relevanz für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland erschöpfe sich nicht im historischen Verdienst, vielmehr stelle er eine stetige Mahnung an die eigene sittliche Verfassung dar: In Lessing hat es [das Judentum] den muthigen Führer, der ihm zeigt, wie man nach Wahrheit ringen soll […]. Im Beitrage zum Denkmale Lessing’s bekunde sich die Verehrung für seine Gesinnung, das Streben, sie in uns zu wecken, unsere Hingebung an die Wahrheit, unser Muth für sie einzustehen, das Bewußtsein von unserm guten Rechte, und die Ausdauer, es zu vertreten. Er stehe da, unvergänglich für uns zeugend und zur Nachfolge anregend. 68 1863 verstärkt Rabbiner A. Goldschmidt anlässlich der Enthüllung einer Lessing-Büste in Kamenz noch diese quasi-rituelle Bedeutung von Denkmälern: O, lasset bei dem Standbilde unsres unsterblichen Lessing uns geloben, das Werk, das Er, der Einzelne begonnen, in seinem Geiste fortzusetzen. - Dadurch, daß wir ein Standbild aus Erz und Stein Ihm errichtet, dadurch ehren wir uns; dadurch, daß wir sein Denkmal in unseren Herzen Ihm errichten und verwirklichen, wonach er gestrebt und gerungen, dadurch ehren wir Ihn und uns zugleich. 69 Lessing wird hier - wie die von ihm geschaffene Figur des Nathan - zu einem Synonym für Toleranz und Emanzipation der Juden. So wie mit „Nathan der Weise“ im literarischen Bereich und in der Sphäre des Theaters durch die Lektüre und Inszenierung des Textes die Idee der Toleranz implementiert werden soll, bieten die Denkmäler eine Gelegenheit für die Implementierung im öffentlichen Leben. Im Bild Lessings fallen zwei Aspekte zusammen: dasjenige der Toleranz und der Aufklärung und gleichzeitig seine Verwurzelung in Deutschland - Goldschmidt spricht von Lessing als „diese[m] größten Sohn Deutschlands“ 70 , Geiger stellt einen 66 Vgl. zu Geiger einführend Heschel 1997. 67 Geiger 1879, 283. 68 Geiger 1879, 287. 69 Goldschmidt 1879, 319. 70 Goldschmidt 1879, 319. 139 direkten Zusammenhang zwischen kollektiver Identität und dem Lessing- Denkmal her: „Das deutsche Volke setzt seinem eigenen Genius ein Denkmal, indem es Lessing ein solches errichtet […].“ 71 Margarete Susman verbindet 1929 in ihrem Aufsatz „Was bedeutet Lessing dem deutschen Juden? “ die beiden Aspekte zu einer Formel: Und es ist kein Zufall, daß in diesem deutschesten aller Geister auch das Verhältnis zwischen deutschem und jüdischem Geist seinen reinsten Ausdruck gefunden hat: in der Gestalt, die Lessing als schöpferische Verschwisterung seiner selbst und seines jüdischen Freundes in den Mittelpunkt seines größten Werkes gestellt hat. 72 Nathan wird in dieser Lesart durch die intellektuelle Verschmelzung von Lessing und Moses Mendelssohn zur Idealfigur des akkulturierten Judentums - das Drama selbst wird zum „Bürgerbrief [der deutschen Juden] innerhalb der deutschen Kulturgemeinschaft“ 73 oder zu ihrer „Magna Charta“ 74 . Diese Funktion aber konnten (Denk-) Figur und Drama nur erfüllen, wenn gleichzeitig, wie Lehmann dies etwa in dem als Motto vorangestellten Zitat tut, der ‚deutsche Charakter’ der Dichtung und des Dichters immer wieder betont wurde. Die zentrale Stellung Lessings als Symbol- und Leitfigur des deutsch-jüdischen Diskurses lässt sich auch an den Bildern Moritz Daniel Oppenheims (1800-1882) ablesen. Oppenheim, der wie kaum ein zweiter das kollektive Imaginäre des akkulturiert-jüdischen Diskurses prägte, 75 hat sich an verschiedenen Stellen in seiner Arbeit mit Lessing und dessen „Nathan“ auseinandergesetzt. Ein besonders interessantes Beispiel ist sein Gemälde „Die Betrachtung der Ringe“ (1844/ 45), das thematisch an die Ringparabel anschließt. Oppenheim setzt aber nicht Christentum, Judentum und Islam einander gegenüber, er transponiert das Thema vollkommen auf den deutschen Kontext, indem er einen protestantischen, einen katholischen und einen jüdischen Geistlichen miteinander konfrontiert. 76 Während die beiden christlichen Geistlichen skeptisch wechselseitig die Ringe betrachten, erscheint die jüdische Figur, die bezeichnenderweise in einem orientalischen Gewand dargestellt wird, vollkommen in sich und in der Betrachtung des eigenen Ringes ruhend. Die Transposition der literarischen Vorlage in einen kulturellen Kontext (Deutschland im 19. Jahrhundert), in dem eine Auseinandersetzung mit dem Islam nur am Rande eine Rolle spielte, aktualisiert die Fabel im Sinne des jüdischen Diskurses. Gleichzeitig scheint die jüdische Figur durch ihre orientalistische Inszenierung mit einer besonderen Autorität ausgestattet, da sie deutlich als die älteste erkennbar ist. 77 71 Geiger 1879, 285. 72 Susman 1929, 23. 73 Bab 1929, 29. 74 Mendes-Flohr 1999, 36. 75 Vgl. hierzu Gotzmann 1999; Sabar 1999; Cohen 1998, 160-169. 76 Vgl. Merk 1999, 49f. 77 Vgl. dagegen Riedel 1999, 165, der das Bild ganz im Sinne Freimaurerischer Metaphorik interpretiert. 140 In einem weiteren Bild hat Oppenheim Lessing als Schlüsselfigur des deutsch-jüdischen Dialogs dargestellt, nämlich in seinem Gemälde „Lavater und Lessing bei Moses Mendelssohn“ (1856). Im Vordergrund sitzen Lavater und Mendelssohn an einem Tisch, wobei Lavater, in dem Bestreben Mendelssohn vom Christentum zu überzeugen, „eine aggressiv bedrängende Haltung einnimmt“ 78 . An der Rückseite des Tisches, etwas im Hintergrund, steht Lessing und blickt auf Lavater hinunter. Die Bildkomposition ist deswegen so bemerkenswert, weil Oppenheim Lessing, der bei jenem historisch verbürgten Besuch Lavaters nicht zugegen war, als Moderator hinzufügt. 79 Oppenheim stellt mit diesem Bild nicht nur sein eigenes Bekenntnis zur jüdischen Religion - gegen das missionarische Bedrängen des Protestanten - aus, 80 er inszeniert Lessing als ‚Schutzpatron’ eines sich selbst bekennenden Judentums im Rahmen einer liberalen Gesellschaft. Oppenheim ist in diesem Kontext von besonderer Bedeutung, denn er wandte sich als einer der ersten Maler jüdischer Herkunft überhaupt jüdischen Themen zu. Die Wirkung seiner Bilder wird aber erst richtig deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sie über relativ preiswerte Kunstdrucke oder Postkarten eine sehr weite Verbreitung fanden. 81 78 Merk 1999, 53. 79 Vgl. zu dieser Komposition Riedel 1999, 165. 80 Merk schreibt hierzu: „Für Oppenheim ist die Verteidigung der eigenen Religion und Kultur zu diesem Zeitpunkt zu einem elementaren Wert geworden, der in seinem früheren Werk in diesem Ausmaß nicht präsent war.“; Merk 1999, 54. 81 Richard I. Cohen hat die Zirkulation der Bilder als Kunstdrucke beschrieben: „Indeed, the series became a common commodity and performed a symbolic function for middle-class Jews in Central and Western Europe, by then fully emancipated: it allowed Abb. 12: Moritz Daniel Oppenheim: „Die Betrachtung der Ringe“ (1844/ 45). 141 Es erscheint beinahe zwangsläufig, dass je mehr Lessing im jüdischen Diskurs als Schlüsselfigur zu einer liberalen Gesellschaft und ‚Ahnherr’ eines akkulturierten Judentums konstruiert wurde, desto stärker sein „Nathan“ und seine Person von nationalistischen Kräften in Frage gestellt wurden. Wenn Geiger und Goldschmidt den Denkmalskult um Goethe und Schiller erwähnen und Lessing in diese Reihe eingliedern wollen, dann lässt sich hinter diesem Argument eine deutliche gesellschaftliche Spannung erkennen. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eignete sich der antisemitische Diskurs die Denkfiguren Shylock und Nathan an und entwickelte eine politisch akzentuierte Lesart. Während Shylock als authentische, historisch begründete Figur erschien, wurde Nathan diskreditiert, indem man ihn als Produkt jüdischer Manipulationen darstellte. Einer der wichtigsten Vertreter dieses antisemitischen Diskurses war der Berliner Philosophieprofessor Karl Eugen Dühring (1833-1921), der in zwei Schriften Lessing und die Frage jüdischer Emanzipation behandelte: „Die Überschätzung Lessing’s und dessen Anwaltschaft für die Juden“ (1881) sowie „Die Judenfrage als Frage der Racenschädlichkeit für die Existenz, Sitte und Cultus der Völker“ (1881). 82 Dührings Schriften sind von einem programmatischen Antisemitismus gekennzeichnet, der auf der dichotomischen Gegenüberstellung von deutsch vs. jüdisch aufbaut. Seine Argumentation hinsichtlich Lessings und seines „Nathan“ stützt sich im Wesentlichen auf zwei Gesichtspunkte: Zum ersten them to identify passively with their vanishing past, feel a sense of pride with their recent ancestors, and envision the ghetto as the authentic place of their nostalgic memories.”; Cohen 1998, 168. 82 Vgl. hierzu einführend Fischer 2000, 87f. Abb. 13: Moritz Daniel Oppenheim: „Lavater und Lessing bei Moses Mendelssohn“ (1856). 142 sei Lessing als Schriftsteller überbewertet, was wiederum eine Folge der „unverschämtesten Judenreclame“ sei. 83 Zum zweiten bestimmt Dühring Lessing als einen Schriftsteller, der durch seine „Geistesbeschaffenheit“ - wie auch durch eine ‚zweifelhafte Abstammung’ 84 - jüdisch sei: „Seine schriftstellerischen Manieren und seine geistigen Allüren sind jüdisch.“ 85 Merkmale dieses Stils seien das fragmentarische der meisten Werke 86 sowie die Reduktion aller höheren Gefühle auf das rein Sinnliche. 87 Diese Elemente wiesen Lessing als mittelmäßigen Schriftsteller aus, der „[u]nter dem Schein des Eintretens für die Toleranz […] für allgemeine Verjudung der Denkweise“ 88 arbeite. In diesem Sinne folgert Dühring hinsichtlich des „Nathan“: „Eine Aufführung des Nathan kann demgemäß heute nicht mehr als Kunstact, sondern nur als eine jüdische Demonstration gelten.“ 89 In ähnlicher Weise argumentiert der Wiener Geistliche Sebastian Brunner (1814-1893) in seiner Schrift „Lessingiasis und Nathanologie: eine Religionsstörung im Lessing- und Nathan-Cultus.“ (1890). 90 Brunner, der sich verschiedentlich auf Dühring beruft, kompiliert in seiner Schrift Auszüge aus anderen Büchern, die er in knappen und polemischen Sätzen kommentiert, mit kurzen ‚satirischen’ Gedichten: Es gaukelt in der Bretterbude Herum ein parfürmirter Jude, Er ist so edel und tugendreich, Daß ihm kein andrer Jude gleich; Bekanntlich ist ein Christ sein Vater, Der ihn frisirt hat für ’s Theater. 91 Brunners Hauptargument ist Lessings vermeintlich lasterhafter Lebenswandel. So behauptet er, „Nathan der Weise“ sei von Lessing in finanzieller Abhängigkeit (wegen Spielschulden, wie sich aus den kryptischen Andeutungen Brunners herauslesen lässt) geschrieben worden. 92 Er schließt aus dieser Diskreditierung des Autors, dass seine Werke abzulehnen seien: Lessing hat im Solde der Juden und in Rache gegen Goeze […] sich ja eben als Judenanwalt gegenüber den von den Juden beschummelten und ausgesogenen Völkern hingestellt, er hat die am Tage liegende, vom Talmud anbefohlene Grausamkeit der Juden den Goyim gegenüber nicht nur verschwiegen, sondern auch noch in einer jetzt immer mehr und mehr erkennbaren und greifbaren Toleranzlüge und Liebeseligkeit dem Nathan auf den Leib geschrieben. 93 83 Vgl. bspw. Dühring 1892, 72. 84 Vgl. Dühring 1892, 66f. 85 Dühring 1892, 67. 86 Vgl. Dühring 1892, 67. 87 Vgl. Dühring 1892, 68. 88 Dühring 1892, 70. 89 Dühring 1892, 71. 90 Vgl. auch hierzu Fischer 2000, 82-84. 91 Brunner 1890, 134. 92 Vgl. etwa Brunner 1890, 118f. 93 Brunner 1890, 365. 143 Brunner liest die Figur des Nathan selbst als reine Theaterfiktion: Nathan ist überhaupt kein Jude und schon gar kein mittelalterlicher Jude. Nathan trägt wohl den Kaftan eines orthodoxen Juden, aber der Kaftan ist angefüllt mit dem billigen Phrasengehäcksel von Toleranz und jener Theologie, die Ende des 18. Jahrhunderts in den Logen üblich gewesen ist. 94 An dieser Stelle wird der Unterschied zwischen Dühring und Brunner besonders deutlich: Brunners Antisemitismus gründet nicht so sehr in rassistischen Argumenten als in der Angst vor einem nachhaltigen Verlust der kirchlichen Deutungsvormacht. Das Theater selbst erscheint ihm in seiner moralischen Bewertung als eine problematische Institution, sobald es in Konkurrenz zur ‚Kanzel’ tritt. 95 In diesem Sinne betont er die antikirchlichen und anti-christlichen Tendenz des „Nathan“, um das Stück deswegen zu verwerfen. Allerdings lässt seine Argumentationsführung erkennen, dass diese beanspruchte Deutungshoheit keineswegs der sozialen Realität entspricht: Wenn der Clerus an allen jenen Orten, an denen d i e B ü h n e benutzt wird, um die positive Religion der Christen durch derlei eklatante Lügen und erfundene Schmähungen herabzusetzen, auch pflichtgemäß die Kanzel benutzt, um gegen diese Infamieen [sic! ] zu reagiren [sic! ], so wird er nur eine Gewissenspflicht erfüllen, und er darf sich in Ausübung dieser Pflicht durch das Wuthgeschrei jener Menschenklassen nicht beirren lassen, denen nach des Apostels Wort die Predigt des Kreuzes ein Aergerniß und eine Thorheit ist. 96 Bei Brunner wie bei Dühring fällt die antisemitische Argumentation mit einer grundsätzlich antimodernen Weltsicht zusammen: Bei Dühring figuriert die zersetzende Kraft der „Reclame“ als Metapher für die zunehmende ökonomische und soziale Veränderung der Moderne; Brunner behauptet gegen alle Widerstände die Verbindlichkeit einer christlichen Weltsicht, die im Kontext eines laizistischen Staates ja gerade nicht mehr gewährleistet werden soll. Bei beiden werden die Juden zum Inbegriff sozialer Veränderung, die als Zersetzung und Verlust beschrieben wird. Der moralische Anspruch des Theaters erscheint als bloßer Schwindel: Nathan der Weise hat viele Christen verdummt, aber weder einen Christen noch einen Juden besser gemacht, - die schlechten Christen sind schlechte Christen geblieben; die Nathanpredigt hat, wie man zu sagen pflegt, noch keinen Hund aus dem Ofen gelockt. 97 Korrespondierend mit der Ablehnung des Nathan wird Shylock zum Musterbeispiel einer authentisch jüdischen Figur, die das wahre ‚Wesen’ des 94 Brunner 1890, 116. 95 In der Tat ist die Rezeptionsgeschichte des „Nathan“ von einer anhaltenden Auseinandersetzung mit kirchlichen Kreisen geprägt. Fischer 2000, 102-104, verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es selbst 1929 anlässlich einer Inszenierung des „Nathan“ zu Ehren von Lessings 200. Geburtstag Widerstand der Geistlichkeit in Frankfurt/ Main gegeben habe. 96 Brunner 1890, 363. 97 Brunner 1890, 256. 144 Judentums offenbare. Die von Brunner und Dühring aufgeführte Argumentation stellt in nahezu allen Punkten eine spiegelbildliche Verneinung der im jüdischen Diskurs entworfenen Perspektive auf Lessing und den „Nathan“ dar. In dieser notwendigerweise kursorischen Darstellung soll noch ein weiteres Beispiel der Instrumentalisierung der Denkfiguren Nathan und Shylock angeführt werden: die Schrift „Judengestalten auf der deutschen Bühne“ (1940) von Elisabeth Frenzel (*1915). 98 Diese Arbeit, die als Dissertation an der Berliner Universität angenommen wurde und besondere Förderung durch den sog. ‚Reichsdramaturgen’ Rainer Schlösser (1899-1945) erfuhr, 99 stellt den Versuch einer ‚literaturwissenschaftlichen’, nationalsozialistischen Sichtung des literarischen Kanons hinsichtlich jüdischer Figuren dar. Die Studie ist in ihrer Perspektive und Argumentation eindeutig der nationalsozialistischen Ideologie verpflichtet. Sie legitimiert intellektuell die antisemitische Politik der Nazis und die Shoah. Im Gegensatz zu Brunner und Dühring versucht Frenzel das Drama nicht durch eine Diskreditierung des Autors zu verwerfen, sondern indem sie seine ethische Wertung als ausschließlich zeitgebunden ausweist 100 und die Kennzeichnung Nathans als Jude als Akt dramaturgischer Verstärkung beschreibt: Den Juden Nathan nimmt er [Lessing] als Prototyp der Toleranz, nicht, weil der Jude in Wirklichkeit so tolerant ist, sondern weil gerade in der Religion dieses Volkes Toleranz fast ein Verbrechen scheint. 101 Diese Lesart, die sich bereits durch Kuno Fischer im 19. Jahrhundert vorgeprägt findet, 102 knüpft an das von Brunner entwickelte Argument an, dass der Figur Nathan alle Merkmale jüdischer Identität fehlten: Dazu kommt noch, daß bei dieser Idealfigur, der die inneren Kennzeichen jüdischer Abstammung fehlen, auch die Mittel der äußeren Charakteristik, die dem Schauspieler überlassen sind, von vornherein wegfallen. 103 Frenzel versucht eine Lesart des „Nathan“ zu entwickeln, die den Text in seiner ethischen Aussage relativiert und Lessing weiterhin als Vertreter eines völkischen Kanons erscheinen lässt, in dem ein Aufruf zur Toleranz keinen Platz hat. 104 Kernpunkt dieser Interpretation ist eine Trennung zwischen Lessing als „einsatzbereite[m] Reformator und Vorkämpfer deutscher Kunst“, und als „Verfechter der Aufklärung“. 105 Gleichzeitig betont 98 Vgl. zu Frenzel einführend Radvan 2001. 99 Vgl. Radvan 2001, 30. 100 Vgl. Frenzel 1940, 54. 101 Frenzel 1940, 59. 102 Vgl. Och 1995, 149. 103 Frenzel 1940, 60. 104 Ganz in diesem Sinne kritisiert Frenzel denn auch, dass bei Lessing das Gespür für ‚rassische’ Unterschiede nicht entwickelt gewesen sei: „Tatsächlich ist der Rasseinstinkt in dem gebildeten Menschen der Aufklärung zum guten Teil verschüttet, wie viele Kräfte der Seele verschüttet sind.“; Frenzel 1940, 56f. 105 Vgl. Frenzel 1940, 56. 145 Frenzel - durchaus in Analogie zu Dühring -, dass diese Differenzierung auf dem Theater durch den unmittelbaren Eindruck der Bühne verloren gehen müsse: Aber ‚Nathan’ war nicht nur eine religiöse Streitschrift, sondern Theaterstück. […] Und im Augenblick, wo wir nicht Lessing-Nathans Philosophie lesen, sondern den Juden Nathan auf der Bühne sehen und hören, muß alles Wissen um Anlaß und Absicht vor einem eindeutig pro-jüdischen Dialog und Handlungsaufbau verblassen. 106 Es ist bemerkenswert, dass Frenzel ihre Ausführungen beschließt, indem sie die Denkfigur von Nathan wieder zurück auf die Bühne führt und hier verwirft, weil sie in ihrer unmittelbaren Wirkung der ‚eigentlichen’ Absicht nicht entsprechen könne. Die vorstehenden Überlegungen zeigen, dass „Nathan der Weise“ und „Der Kaufmann von Venedig“ in ihrer Wirkung keineswegs nur auf die Bühne beschränkt blieben. Die beiden zentralen jüdischen Figuren, Nathan und Shylock, wurden zu markanten Denkfiguren sowohl des jüdischen als auch des antisemitischen bzw. des Majoritätsdiskurses. Vor dem Hintergrund dieser Folie soll im Folgenden untersucht werden, inwiefern die Bühnengenealogie Anteil an diesem Diskurs hat bzw. inwiefern sie ihn aktiv in ihre Inszenierungen integrierte. 106 Frenzel 1940, 60. 146 Die Vor-Geschichte: Die großen Virtuosen Devrient, Dawison, Possart Es war Dawison’s tiefster Ehrgeiz, ein Deutscher, ja der erste deutsche Schauspieler sein zu wollen. Und doch war und blieb immer ein Fremdartiges in ihm. Karl Frenzel 107 Bevor einzelne Stationen der Bühnengenealogie näher beschrieben werden, soll ein kurzer Abriss über die Vor-Geschichte dieser Genealogie gegeben werden: Es ist eine Vor-Geschichte, kein Ursprung, der als Nukleus alle weiteren Entwicklungen in sich trägt. Ziel ist es, jene Konstellation nachzuzeichnen, die als Deutungshorizont die Wahrnehmung und den Diskurs der weiteren Genealogie bezeichnen. Das 19. Jahrhundert ist aus theatergeschichtlicher Perspektive verschiedentlich als das Jahrhundert der Virtuosen beschrieben worden. 108 Die Bezeichnung beschreibt nicht nur eine ästhetische Praxis, in deren Zentrum der einzelne Künstler und seine spezifischen Fähigkeiten stehen, sondern auch eine organisatorische Dimension des Theaters. Das Virtuosentum basierte auf einem ausgedehnten Gastspielwesen, da die schauspielerische Einzelleistung im Zentrum des Interesses stand, während Ensemblespiel sowie die Inszenierung als Ganzes als nachrangig galten. Diese Praxis bestimmte auch die soziale Wahrnehmung des Schauspielers/ der Schauspielerin und prägte seine/ ihre Arbeitsbedingungen. Das Virtuosentum - ein internationales und keineswegs nur im deutschsprachigen Raum zu findendes Phänomen 109 - führte zu einer Verschiebung der Wahrnehmung des Kanons, denn im Zentrum der Spielpläne standen vornehmlich jene Stücke, deren Rollenfiguren sich für diese Einzelleistungen eigneten: Hamlet, Faust, Mephisto, Richard III., Shylock, Nathan. Diese Sichtweise auf die Theaterliteratur korrespondierte mit der zunehmenden Bedeutung, die den Rollenfächern in ästhetischer und organisatorischer Hinsicht zukam. 110 In der ästhetischen Praxis des Theaters im 19. Jahrhunderts amalgamierten in der Darstellung jüdischer Figuren zeitgenössische Vorstellungen mit Figurenkonzeptionen, deren Wurzeln teilweise bis in die Zeit vor der bürgerlichen Theaterreform des 18. Jahrhunderts reichten, wie Hans-Peter Bayerdörfer ausführt: Offenbar gibt es im Fall von Judenrollen auf den deutschen Bühnen Aufführungskonventionen, die an jene komischen Figuren, jene Harlekine und 107 Frenzel 1877, 268. 108 Vgl. hierzu einführend Berns 1959. 109 Vgl. hierzu einführend Stettner 1998. 110 Vgl. Diebold 1913 und Doerry 1926. 147 Hanswürste denken lassen, die im Zuge der bürgerlichen Theaterreform des 18. Jahrhunderts mit mehr oder weniger Aplomb und Erfolg von den Brettern verbannt worden sind. 111 Während August Wilhelm Iffland (1759-1814) jüdische Figuren noch deutlich im ‚Jargon’ spielte, 112 war es vor allem Ludwig Devrient (1784-1832), der mit jüdischen Rollen Berühmtheit erlangte: Er spielte Shylock sowie Schewa in Cumberlands „The Jew“. 113 Adolf Winds benennt in seiner Schrift „Der Schauspieler in seiner Entwicklung vom Mysterienzum Kammerspiel“ (1919) im Zusammenhang mit Ludwig Devrient die zentralen Mittel der Darstellung (und ihre Kontinuität): Wie die Gestalt des schäbigen, innerlich edlen Juden bis heute auf den deutschen Bühnen eine stehende Figur geblieben ist, so feststehend sind auch die Mittel ihrer schauspielerischen Verkörperung. Die gebückte Haltung, der leise singende Ton, der pfiffige Blick, die eckigen Armbewegungen, der mauschelnde Gang sind jedem Darsteller dieser Figuren erb- und eigentümlich; hier meldet sich mit besonderer Eindringlichkeit die Macht der Tradition. 114 Winds beschreibt die Judenrollen 115 - deren Fortwirken er noch 1919 konstatiert - als gekennzeichnet durch einen grotesken Körper, bei dem letztlich die (als deformiert wahrgenommene) Sprechweise des Mauschelns 116 vollständig vom Körper Besitz ergriffen hat, so dass Sprache und Bewegung gleichermaßen deformiert erscheinen. Diese Bühnenkonvention übersetzte 111 Bayerdörfer 1989, 94. 112 Vgl. hierzu ausführlicher Bayerdörfer 1989, 97-103. 113 Zelter bemerkt 1815: „Gestern habe ich unsern neuen Schauspieler Devrient den Shylock spielen sehn. Der Beifall, den ihm unser Publikum bisher reichlich mitgeteilt hat, bezog sich besonders auf Judenrollen, indem er das jüdische Deutsch mit großer Vollkommenheit spricht.“; Zelter zit. nach Jacobs 1954, 351f. 114 Winds 1919, 112; Herv. Verf. Die Darstellungsweise des Shylock von Ludwig Devrient ist nicht abschließend zu klären; so verweist etwa Hannes Sulzenbacher darauf, dass Devrient für sein Gastspiel in Wien weitgehend auf die traditionellen Mittel der Darstellung jüdischer Figuren verzichtet habe. Vgl. Sulzenbacher 1995, 124. Gleichwohl lässt sich in der Forschung keine Begründung finden, warum Devrient innerhalb eines Genres zwei so unterschiedliche Interpretationen entwickelt haben sollte, zumal er gerade mit karikierenden und stereotypisierenden Mitteln durchaus erfolgreich war. 115 Bernhard Diebold nimmt in seiner Abhandlung „Das Rollenfach im deutschen Theaterbetrieb des 18. Jahrhunderts“ (1913) die Rollen von Nathan, Shylock und Schewa ausdrücklich von den „chargierten Rollen“ aus (Vgl. Diebold 1913, 129f.), allerdings scheint es hier nachhaltige und andauernde Überschneidungen zwischen dem komödiantischen Rollenfach und den von Diebold als „edlen Juden“ bezeichneten Rollen gegeben zu haben. Insofern scheint seine Einteilung eher programmatischer als deskriptiver Natur zu sein. 116 Sander Gilman hat in seiner grundlegenden Studie „The Jew’s Body“ (1991) sich eingehender mit der Bedeutung der Sprache im antisemitischen Diskurs beschäftigt: „The image of the ‚Jew who sounds Jewish’ is a stereotype within the Christian world which represents the Jew as possessing all languages or no language of his or her own; of having a hidden language which mirrors the perverse or peculiar nature of the Jew; or being unable to truly command the national language of the world in which he/ she lives or, indeed, of possessing a language of true revelation, such as Hebrew.“; Gilman 1991, 12. Vgl. auch Gilman 1991, 10-37. 148 die kulturelle Fremdheit, die mit der Rollenkennzeichnung einer Figur als jüdisch impliziert wurde, in eine groteske Entstellung des Körpers. Winds, der sich in seiner Schrift um eine allgemeine Entwicklungstheorie und Klassifikation der Schauspielerei und ihrer Bedingungen bemüht, ordnet Ludwig Devrient bezeichnenderweise als dämonischen Schauspieler ein. Als ‚genialer’ Schauspieler gilt uns der, der in der Masken Fülle, in den verschiedensten Gestalten vor uns tritt, also der ausgesprochene Charakterspieler, dem zur Kraft der hinreißenden Persönlichkeit die proteusartige Wandlungskraft sich gesellt. 117 Der von Winds entworfene Schauspielertypus erscheint als Grenzgänger, der sich am Rande der Kunst und der Gesellschaft befindet - wobei diese Randständigkeit gleichzeitig zur Vorbedingung seiner Kunst wird. Roland Barthes hat diesen „Mythos der Besessenheit“ als ein Konstitutivum der (westlichen) Schauspielkunst beschrieben: Der besessene Schauspieler bindet gewissermaßen, was die Gesellschaft seiner Zuschauer nicht sein will, nicht zu sein wagt, er repräsentiert und beschwört ihre Risiken. Dadurch beläßt der Mythos der Besessenheit […] den Schauspieler in einem Status der Ausgrenzung, der übrigens in der ganzen vorbürgerlichen Gesellschaft sein konstitutiver Status gewesen ist. […] Um so mehr die demokratische Gesellschaft den Schauspieler als Mitbürger, als Privatperson eingegliedert hat, um so mehr hat sie, umgekehrt, seinem Beruf den Status einer ‚Berufung’, einer Priesterschaft der Depersonalisation verliehen. 118 Aus diesem Blickwinkel ist es bezeichnend, dass der Typus des dämonischen Schauspielers in einen direkten Zusammenhang mit der Darstellung ‚fremder’ Rollen gestellt wird. Es scheint jener großen Begabung zu bedürfen - so impliziert die Klassifikation -, um die Distanz kultureller Fremdheit zu überwinden. Ideale Menschheit in reinem Ebenmaße darzustellen, war Ludwig Devrients Bestimmung nicht, die schöne Form stand ihm nicht zu Gebote; sein Geist jagte mit einer Art von dämonischer Lust an die Grenzen des Menschlichen nach seinen extremen Erscheinungen. Das Außerordentliche, Entsetzliche, Grausenerregende, das Bizarre und das Lächerliche, von den feinsten, leisesten Zügen bis zum letztmöglichen Grade des Ausdrucks, das war das Gebiet, welches er mit der genialsten Charakteristik und wahrhaft poetischem Humor beherrschte. 119 117 Winds 1919, 110. 118 Barthes 2001, 191f. 119 Winds 1919, 110. 149 Das „Außerordentliche“, das „Bizarre und das Lächerliche“ - diese Attribute figurieren letztlich, wenn man auf das Repertoire Devrients blickt, als Umschreibungen des Fremden. Die „dämonische Lust“ des Darstellers versetzt ihn in die Lage, sich diese jenseits des Mainstreams und seiner Wertungen angesiedelten Charaktere anzueignen - ohne den Darsteller (über das in der bürgerlichen Gesellschaft dem Schauspieler zugestandene Maß hinaus) selbst zu einer marginalen Existenz werden zu lassen. Im Gegenteil, das Theater wird nachgerade zu jenem Ort, an dem diese „dämonische Lust“ nicht zum Fall des bürgerlichen Verdikts, sondern zum Ort höchster gesellschaftlicher Anerkennung wird. Gefahr und Prestige stehen in einem prekären Gleichgewicht, das den sozialen Status des Schauspielers wie des Theaters überhaupt erst bestimmt. Ludwig Devrient entgegengestellt ist in dieser Genealogie Bogumil Dawison, jener Schauspieler, der in Franzos’ Roman als Paradigma gelungener Assimilation vorgestellt wurde. Dawison, dessen Karriere sowohl mit dem Wiener Burgtheater (1849-1854) als auch mit dem Dresdner Hoftheater (1854-1864) sowie zahllosen Gastspielen in Europa und den USA verbunden ist, wird von Winds ebenfalls als „dämonischer Schauspieler“ klassifiziert. Sein Repertoire umfasste vor allem Hamlet, Richard III. wie auch - als besonders hervorgehobene Leistung - Shylock. In seiner Dresdner Zeit trat Dawison in direkte Konkurrenz zu Emil Devrient (1803-1872), dem Neffen von Ludwig und Bruder von Eduard Devrient (1801-1877). 120 Beide arbeiteten zwar in einem ähnlichen Rollenspektrum, aber vertraten gegensätzliche Interpretationen desselben. In der direkten Konkurrenz erreichte Emil Devrient allerdings nie Dawisons Erfolg und Ruhm. Dennoch zeitigt diese Konstellation eine bemerkenswerte und für die Genealogie durchaus einflussreiche Nachgeschichte. Eduard Devrient formulierte in seiner „Geschichte der deutschen Schauspielkunst“ (1848-1874) 120 Vgl. hierzu Houben 1903, 143-152. Abb. 14: Porträtpostkarte von Bogumil Dawison. 150 eine Lesart von Dawisons Schauspielkunst, die für lange Zeit die Sichtweise auf ihn prägen sollte und einen neuen ‚Strang’ der Genealogie eröffnete: Seine künstlerische Persönlichkeit übte […], durch ihre sarmatische Fremdartigkeit, einen eigentümlichen Reiz aus. Der polnische Akzent, den seine Sprache immer behielt, die überreizte Auffassung, die ungestüme Heftigkeit, der tiefe Jammer seines Schmerzensausdrucks, alles das waren unmittelbar gewinnende Eigenschaften des anziehenden Genies. […] Die Virtuosität war in Dawison zu einem bloßen brillanten Eklektizismus herabgekommen, auf eine Darstellungsweise, die mit der Rolle spielt, Geschäfte damit macht und die Effekte eigner und fremder Erfindung, geschickt und überraschend, wie der Jongleur seine Kugeln, handhabt. 121 Neben der Kritik an der Kommerzialisierung des Virtuosentums, die sich bei Devrient auch in anderen Zusammenhängen finden lässt, 122 sind es vor allem die Verweise auf die ethnische Herkunft Dawisons, die Devrients Lesart beeinflussen. Ein spätes, aber nicht untypisches Echo findet sich in Winds’ Beschreibung: Mit B o g u m il D a w i s o n kam ein neuer Typ in die Gruppe der genial dämonischen Schauspieler; war auch in den Adern mancher andern, z.B. in den aus Holland stammenden Devrients, fremdes Blut geflossen, so machte sich mit dem Auftreten Dawisons zum erstenmal der semitische Einschlag in die deutsche Schauspielkunst bemerkbar. 123 Winds deutet Dawisons Darstellungsstil als Ausdruck einer ethnischen Prädisposition: Der Tropfen semitischen Blutes ist schon mit Dessoir in den Körper der deutschen Schauspielkunst gedrungen, hat ihr aber nicht geschadet, er brachte ohne Zweifel eine Auffrischung. Eine nationale semitische Eigenschaft: Empfindungen sichtbaren Ausdruck verleihen, weckt das schauspielerische Talent, kommt seiner Entwicklung entgegen. […] Eine fernere nationale Eigenschaft, die heute freilich höchstens noch bei dem stolzen Araber zu finden, den Orientalen aber gemeinsam eigen ist, besteht in einer gewissen Feierlichkeit der Körperhaltung. 124 Winds, der Dawisons Leistung durchaus anzuerkennen sucht, bedient sich einer Sprache, deren Struktur und Metaphorik vom Echo rassistischer und völkischer Ideen geprägt ist: Die Teilhabe jüdischer Schauspieler - Winds führt seine Aufzählung bis hin zu Sonnenthal, Reinhardt und Schildkraut 121 Devrient 1967, 305. 122 Noch deutlicher wird Devrient in den Briefen an seine Frau. So schreibt er über Dawisons Shylock 1861: „Es hat sich seit zwanzig Jahren ein eigentümliches Judenspiel auf der deutschen Bühne ausgebildet, ein Schacher mit den äußeren Effekten, eine kalte Rekommandation der eigenen Person und Ware, aber alle, Jerrmann, Rott und Dessoir, sind doch in solche Äußerlichkeit nicht verlaufen als Dawison. […] [J]etzt ist er ein reicher Bankier geworden, der die Theaterbörse mit breitspuriger Impertinenz dominiert, und dem alles gleichgültig ist, außer sein Profit.“; Devrient 1910, 382f. Es ist bemerkenswert, wie Devrient implizit antisemitische Stereotype nutzt, um die ästhetische Auffassung Dawisons und seine künstlerische Praxis herabzusetzen. 123 Winds 1919, 119. 124 Winds 1919, 120. 151 fort 125 - wird in biologischen Metaphern beschrieben, so dass sie als Infektion des „Körper[s] der deutschen Schauspielkunst“ erscheint. Auch wenn er die Wirkung positiv als „Auffrischung“ beschreibt, steckt doch hinter seiner Metaphorik eine deutliche Logik der Appropriation, nach der die ‚fremden’ Elemente zur Innovation und Lebensfähigkeit des ‚eigenen’ Systems beitragen, obwohl sie keinen Anspruch auf Gleichberechtigung oder auch nur Eigenständigkeit erheben können. Gleichzeitig werden die ‚fremden Einflüsse’ als substanziell ‚anders’ markiert und damit eine grundsätzliche Differenz festgeschrieben. Diese Sichtweise wiederum schlägt auf die ästhetische Wahrnehmung der schauspielerischen Leistung zurück. So zitiert Winds Karl Frenzels „Berliner Dramaturgie“ (1877): Die Schranke Dawison’s, auch in seiner Blüthe, war sein Mangel an Gemüth und reiner Idealität. Nie ist es ihm gelungen, Schiller’sche Verse herzbewegt und herzergreifend zu sprechen. Er war eben kein Deutscher und hat sich darum wohl auch gehütet, uns in Berlin seinen Wallenstein vorzuführen. 126 Dawison findet zwar als Shakespeare-Darsteller Anerkennung, aber der ‚Olymp’ klassischer deutscher Dichtung bleibt ihm aufgrund seiner ethnischen Herkunft verschlossen. Ein weiterer Punkt, der an Winds Charakterisierung auffällt, ist die Attribuierung Dawisons als „Orientale“. Seine Körpersprache wird als „nationale Eigenschaft“ beschrieben, wobei das Argument durchaus zwiespältig ist, denn die Eigenschaft, „Empfindungen sichtbaren Ausdruck“ zu verleihen, verweist umgekehrt auf einen nur unzureichend kultivierten, vorzivilisierten Körper, dessen Affektbeherrschung nicht dem ‚westlichen’ Ideal entspricht. Im Zusammenspiel mit dem von Frenzel attestierten „Mangel an Gemüth und reiner Idealität“ ergibt sich ein künstlerisches Profil, das für ekstatische Charaktere prädestiniert, gleichzeitig aber den Schauspieler, ebenso wie seine Rollen, in den kulturellen Randbereichen verortet. Anders als Ludwig Devrient wird er nicht als universaler Künstler beschrieben, dessen genialische Veranlagung sich die Extreme aneignen kann. Dawison erscheint als in diesen Extremen gefangen, er ist der Fremde. Sein Mangel an Bandbreite autorisiert zwar seine Darstellung des ‚exotischen’ Charakters, bildet gleichzeitig aber jene Grenze, die ihn von anderen Rollen - affirmativen Figuren - fernhält. 127 Im Kontext einer solchen Wahrnehmung ergibt sich nahezu zwangsläufig eine Überblendung der Persona des Schauspielers mit der Gestaltung 125 Vgl. Winds 1919, 121. 126 Frenzel 1877, 270. Vgl. Winds 1919, 121f. 127 So schreibt Frenzel, der Dawison durchaus positiv zu werten sucht: „Allein der Zuschauer fordert von einem Richard oder Macbeth, einem Antonius oder Othello nicht dies vollendet aristokratische Wesen; im Gegenteil der Kampf zwischen der Heftigkeit des Dämons, der Rauhheit der Natur und der feineren Welt- und Hofsitte, […] verstärkte […] die Natürlichkeit und Frische seiner Darstellung. Das wunderbare, buntfarbige, glänzende Leben in Shakespeares Dramen […] gewann in Dawison’s Spiel die glücklichste, die hinreißendste Gestalt.“; Frenzel 1877, 274. 152 jüdischer Rollenfiguren, obwohl, so weit es sich aus den Quellen ersehen lässt, Dawison nur durch seine Interpretation des Shylock mit einer jüdischen Rollenfigur in Erscheinung getreten ist. Diese Rolle spielte er seit 1852. Nach seinem Ausscheiden aus dem Dresdner Ensemble wurde sie ein zentraler Bestandteil seiner unzähligen Gastspiele in Europa und den USA. Frenzel beschreibt Dawisons Lesart des Shylock als neuartig: Im Shylock, wo er vielleicht am weitesten von der landläufigen Meinung abwich, dem betrogenen und überlisteten Wucherer der Komödie eine heroische Ader gab und ihn zu einem tragischen Helden erhöhte, hielt er doch zugleich das Wundersame und Märchenhafte aufrecht, daß Shakespeare’s Dichtung nichts von ihrem Reiz verlor. 128 Devrient hingegen sah in Dawisons Shylock - in deutlicher Abgrenzung zur Interpretation seines Onkels 129 - einen Verfall, eine Übernahme englischer Spielgewohnheiten: „In Dawison nähert sich die deutsche Schauspielkunst in erschreckender Weise der englischen, wie sie mit Kean geworden war; […].“ 130 Edmund Kean (1789-1833), der den Shylock erstmals 1814 in London spielte, interpretierte die Figur nicht im Sinne einer Komödienfigur, sondern als tragische Gestalt: „For the first time, the stage-Jew was taking on human form and for the first time the audience was able to appreciate it.” 131 Devrients Referenz zielt aber weniger auf diese spezifische Lesart, sondern vielmehr auf die kulturelle Position, die Kean zugesprochen wurde: Kean has often been called the first great ‚star’, whatever this may mean, and he has been accused of having undertaken Shakespearean roles only for the purpose of exhibiting his own talents; his abbreviated versions of the scenes in which he did not appear are sometimes taken as evidence against his basic interest in Shakespeare. 132 Devrient nutzt diese Evokation und verbindet sie mit antisemitischen Obertönen, die den besonderen Akzent der Dawison’schen Lesart unterminieren. Der emanzipatorische Impuls, die Selbstbehauptung, die man in seiner von der Konvention abweichenden Interpretation erkennen kann, wird so desavouiert. Selbst Peter Kollek, der mit seiner Studie „Bogumil Dawison. Porträt und Deutung eines genialen Schauspielers“ (1978) eine der wenigen theaterwissenschaftlichen Arbeiten zu Dawison vorgelegt hat, orientiert sich in weiten Teilen an Devrients Argumentation und deutet Dawisons Shylock im Sinne einer privaten Lesart: „Die Darstellung wurde von dem außerhalb der Rolle liegenden Anspruch immer überschattet. Dabei stellten sich echte, bislang unbeachtet gebliebene Reichtümer heraus.“ 133 128 Frenzel 1877, 272f. 129 Vgl. Devrient 1910, 384. 130 Devrient 1967, 305f. 131 Lelyveld 1961, 45. 132 Lelyveld 1961, 53. 133 Kollek 1978, 176. 153 Dawisons Position in dieser Genealogie der Rolle ist durch ein weiteres Merkmal gekennzeichnet, das seine Persona mit seiner Darstellungsart in ein besonderes Verhältnis setzt: Ab 1867 musste er infolge einer „Überreizung der Nerven“ der Bühne den Rücken kehren. Er verbrachte seine letzten Lebensjahre bis zu seinem Tod 1872 in verschiedenen Sanatorien. 134 In der historiographischen Wahrnehmung verbindet sich die Metaphorik des genialen, begabten Schauspielers und seines Ehrgeizes - Frenzel spricht vom „unruhigen Dämon“ 135 - mit seiner Krankheit zu einem öffentlichen Bild, das nicht nur seine Persona und die Rollenfiguren engführt, sondern die Krankheit letztlich zu einem Bestandteil seiner künstlerischen Existenz erklärt und so Dawisons marginale Position bekräftigt. Dawison erscheint als faszinierendes, rauschhaftes Phänomen, mit dem das Fremde Anteil an der Kultur des Mainstreams hat. Er repräsentiert sich selbst in der Interpretation des Shylock, gleichzeitig erweist er sich sowohl in kultureller wie auch in psychischer und physischer Hinsicht als randständig, abseits der ‚gesunden’ Majorität. Im Sinne Barthes’ ist hier das Gleichgewicht von Gefahr und Prestige aus der Balance geraten. Dawison ist in der Überblendung von Rolle, Persona und Krankheitsgeschichte der tatsächlich Besessene, dessen Leistungen als Kunstprodukte nicht mehr gesellschaftliche Anerkennung verdienen, sondern ein Beweis pathologischer Normabweichungen sind und daher in den Bereich der Medizin/ Psychiatrie gehören. Diese Überblendung verbindet den Schauspieler Dawison mit dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzenden psychiatrischen Diskurs, der die Nervosität (auch „Neurasthenie“) als eine typisch jüdische Eigenschaft attribuiert. 136 Da verschiedentlich gerade die Assimilation als pathogener Faktor für diese psychischen Erkrankungen beschrieben wurde, 137 bildet sich hier ein geschlossener Kreislauf, in dem Dawisons Persona, seine Rollengestaltung und seine ethnische Herkunft ein Bild erzeugen, das letztlich zum sozialen Ausschluss führen muss. Die Wirkung dieser Dynamik lässt sich beispielsweise noch in Ernst Leopold Stahls Studie „Shakespeare und das deutsche Theater“ (1947) ablesen, der über Dawison resümiert: Primitiveres Judentum [als bei Dessoir] von weit östlicherer Art und Herkunft, leidenschaftlich, ehrgeizzerwühlt und völlig hemmungslos, entlud sich in dem aus Warschau stammenden B o g u m i l D a w i s o n , dessen meteorartige Laufbahn 134 Vgl. hierzu Kollek 1978, 148f. 135 Frenzel 1877, 270. 136 Vgl. hierzu besonders Roelcke 2003, der einen guten Überblick zum psychiatrischen Diskurs bietet. Klaus Hödl, der in seiner Studie „Gesunde Juden - kranke Schwarze“ (2002) den medizinischen Diskurs in den USA und in Deutschland vergleicht, verweist darauf, dass die These von einer jüdischen Prädisposition zur Neurasthenie ab 1908 in Deutschland auch hinterfragt, aber nie völlig modifiziert wurde. Vgl. Hödl 2002, bes. 219f. 137 Vgl. hierzu Hödl 2002, 217f. 154 an der polnischen Schmiere begann und nach Europa- und Amerikafahrten, die ihm schwindelnd hohe Einnahmen brachten, in Umnachtung endete. 138 Stahl verdichtet 65 Jahre nach Dawisons Tod die Elemente seiner Persona und seiner Rollengestaltung zu einem Bild, das in ästhetischer Hinsicht einer damnatio memoriae gleichkommt. Der Wille zur Akkulturation, den Karl Frenzel Dawison noch bescheinigte, erscheint in dieser Perspektive vollends als Produkt eines ungezähmten Affekts, der letztlich nicht zur Aufnahme und Teilhabe führen kann. Dawisons Repräsentation auf der Bühne ist somit keine Kunst mehr, sondern letztlich Symptom einer von der Gesellschaft auszuschließenden Erkrankung. Während Ludwig Devrient für die Entwicklung der jüdischen Rollen zu Beginn des 19. Jahrhunderts steht und Dawison für jene Lesart der Figuren, deren Rezeption durch die Persona des Schauspielers - sofern sie selbst jüdischer Herkunft sind - geprägt ist, bietet Ernst von Possart (1841-1921) eine Interpretation, die mit größtmöglicher Akzeptanz für Persona und Rollengestaltung ausgestattet ist. Im Gegensatz zu Devrient und Dawison, die beide - mit einem vollkommen unterschiedlichen Profil - als marginale oder transgressive Erscheinungen wahrgenommen wurden, ist Possarts Persona im Zentrum der Gesellschaft angesiedelt. Als Generalintendant des Münchner Hoftheaters von 1893-1905 war er als Schauspieler, Theaterleiter und Regisseur tätig und genoss hohes gesellschaftliches Ansehen. 139 Anlässlich seines Gastspiels in den USA erschien 1889 in New York das von Leo von Raven herausgegebene „Possart Album“, das neben zwei einleitenden Texten eine Reihe kleinerer Rollenporträts enthält. Hierbei ist bemerkenswert, dass in dem aufgeführten Repertoire drei jüdische Rollen zu finden sind: Lessings Nathan, Shakespeares Shylock sowie Rabbi Sichel aus dem Stück „Freund Fritz“. Letztere ist eine komische Rolle, von der es in der Beschreibung heißt: „Dieses kleine Männchen, mit dem guthmütigen, und doch so klugen Gesicht, echt jüdisch in Rede und Benehmen, ohne im Geringsten zu karikieren oder zu verletzen, erobert sich die Herzen aller Zuhörer.“ 140 Gleichwohl nimmt diese Rolle eine Sonderstellung innerhalb von Possarts Repertoire ein, 141 der auf klassische Rollen spezialisiert war. Winds etwa klassifiziert ihn als „rhetorischen Schauspieler“, der besonders auf die Gabe seiner Stimme und seiner Sprechweise vertraute. 142 138 Stahl 1947, 232f. 139 Vgl. hierzu bspw. Schaumberg 1898. 140 Raven 1889, o.S. Herv. Verf. 141 Diese Sonderstellung mag man auch daran erkennen, dass die Kritik in der „New York Times“ vom 31.12.1887 seine Darstellung des Shylock folgendermaßen beschreibt: „The latter’s Shylock is an effective embodiment, evidently well studied and thought out. It relies for its effects on no tricks of manner or speech and its interest depends not on its being a portraiture as a type.”; Anonymus 1887. Im Gegensatz hierzu wird die Figur des Rabbi Sichel deutlich als ‚Jargon-Rolle’ gekennzeichnet. Gleichwohl finden sich solche Rollen in Possarts Repertoire regelmäßig, wie Crodel 1927, 37, anmerkt. 142 Vgl. Winds 1919, 87. Vgl. in diesem Sinne auch Crodel 1927, 69-81, mit einer ausführlichen Besprechung der Sprachbehandlung. 155 Abb. 15: Autogrammpostkarte Possarts mit kleinen Rollenbildern, 1889. Crodel, der in seiner Untersuchung „Der Schauspieler Ernst Possart“ (1927) ebenfalls die besondere Sprechweise betont, beschreibt Possarts Interpretation des Shylock als eine Art Nobilitierung: „Steht es doch fest, daß Possart den Shylock als dämonisch-tragische Figur gespielt hat, ihr die tragische Größe also nicht nur nicht nimmt, sondern sie ihr sogar verleiht.“ 143 In diesem Sinne beschreibt Crodel auch den Nathan: Die Weltanschauung eines gereiften, edlen Geistes, die der junge Künstler seinem Nathan verlieh, die Wärme, die er von dieser Gestalt auf das Publikum ausstrahlen ließ, die innere Schönheit, mit der er den alten Juden adelte, gibt ein beredtes Zeugnis von der ungewöhnlichen schauspielerischen Begabung Possarts. 144 Die Spielweise - dominiert von einer der Rhetorik des Textes folgenden Sprechform - betont die Würde und Erhabenheit der Figuren anstelle des Dämonischen oder Komischen. Ganz in diesem Sinne hat Hans-Peter Bayerdörfer darauf aufmerksam gemacht, dass es im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer grundsätzlichen Verschiebung in der Auffassung des Shylock kam: Diskreditierende Restbestände von Judenklischees werden dabei ausgeschlossen oder in individualisierende Charaktermomente überführt, womit zugleich eine gewisse Entjudaisierung eintritt. […] Die Andeutung eines charakterlich Dunklen, Hintergründigen, eines Dämonischen ersetzt das Stereotyp des Schachers, charakterisierende Pantomimen lassen die Karikatur jüdischer Gestik zurücktreten. 145 143 Crodel 1927, 47. 144 Crodel 1927, 55. 145 Bayerdörfer 1989, 112f. 156 Bayerdörfer rechnet diesen Effekt zum einen der „Differenzierung des deutschen Theaterwesens“ 146 zu, zum anderen verweist er auf den Einfluss durch die Rezeption von Keans Shylock-Interpretation. Letzteres Argument erscheint insofern nicht unproblematisch, als Bayerdörfer einen solchen Einfluss bereits bei Ludwig Devrient zu erkennen glaubt, 147 allerdings lässt gerade der Widerstand Devrients gegen Dawisons Spielweise, die verschiedentlich mit Kean in Verbindung gebracht wurde, dieses Argument nicht ganz überzeugen. Entscheidender ist, dass Bayerdörfer durch die Verschiebung „sogar eine gewisse Annäherung der Nathan- und Shylock- Charaktere“ 148 erkennt: „Historisierung und Ästhetisierung, die in der Ära des ‚Bildungstheaters’ stattfinden, erleichtern diese Annäherung.“ 149 In diesem Sinne stellt sich die oben beschriebene „Entjudaisierung“ als eine Metaphorisierung dar; die jüdischen Rollen werden dem Mainstream appropriiert, indem die kulturelle Differenz metaphorisiert und in eine psychologische Konstellation umgedeutet wird. Der Schauspieler, der sich die Rolle aneignet, gerät damit nicht mehr automatisch in jene marginale Position, die sich noch bei Devrient oder Dawison finden ließ. Die Rollenbeschreibungen im „Possart Album“ legen von genau diesem Prozess Zeugnis ab. So liest man zu Possarts Nathan: Nur so viel die charakteristischen Eigenthümlichkeiten der Orientalen betonend, als unumgänglich ist, um dieselben nicht aus dem Rahmen der Zeit und der Umgebung herauszuheben, weiß Possart das allgemein Menschliche der Rolle in unvergleichlicher Weise zum Ausdruck zu bringen. 150 Und analog heißt es dort über seinen Shylock: 151 Es herrscht eine Verschiedenheit in der Auffassung des Charakters des „Shylock“, indem ein Theil der Ästhetiker und darstellenden Künstler nur den individuellen Juden erblickt, dem gewisse Eigenschaften seines Stammes anhaften, indem sich gewisse allgemeine Charakterzüge wiederspiegeln, wohingegen die Anderen ihn zu einem Vertreter seiner Rasse erhöhen und seinem Schicksal den wahrhaft tragischen Hintergrund geben. Ernst Possart’s Auffassung ist die letztere. Sein Shylock ist eine Gestalt von heroischer Größe, ebenso bedeutend in der Anlage, wie machtvoll in der Durchführung. 152 Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Kritiken den Verzicht auf alle äußerlichen Mittel der Darstellung loben, kann die ‚Erhöhung’ zu einem „Vertreter seiner Rasse“ nicht anders als im Sinne der oben erwähnten Metaphorisierung beschrieben werden. Hier treffen sich Nathan und Shylock wieder: Beide Figuren werden zu allgemeinen Metaphern, die Attribuierung als jüdisch wird zum rein ‚dekorativen’ Element. Diese Ver- 146 Bayerdörfer 1989, 112. 147 Vgl. Bayerdörfer 1989, 113 bes. Anm. 41. 148 Bayerdörfer 1989, 114. 149 Bayerdörfer 1989, 114. 150 Raven 1889, o.S. 151 Für eine ausführliche, nahezu schon aufführungsanalytische Beschreibung vgl. Malyot 1906. 152 Raven 1889, o.S. 157 schiebung macht auch verständlich, warum Nathan und Shylock als Denkfiguren zwar für konträre Positionen stehen, sich als Theaterrollen aber bei vielen Virtuosen nebeneinander finden konnten. Denn - wie Bayerdörfer angemerkt hat - durch diese Metaphorisierung fanden aktuelle Fragen jüdischer Identität und Teilhabe auf der Bühne des Bildungstheaters eigentlich keinen Raum mehr. In der Blütezeit des bürgerlichen Bildungstheaters nach 1860 entfallen offenkundig antijüdische Momente in der Judendarstellung; es entfällt damit aber auch die Möglichkeit, die aktuellen Probleme im deutsch-jüdischen Verhältnis in die Rollengestaltung einzubeziehen. 153 Die Integration jüdischer Bühnenrollen in den Kanon und das Repertoire geschah augenscheinlich um den Preis des Verschwindens der jüdischen Identität der Figuren, die nur noch als Metapher einer sozialen oder psychologischen Situation verstanden wurden, aber nicht mehr den Anspruch auf Eigenständigkeit erheben konnten. Durch die Vereinnahmung in den Kanon wurden die Figuren zu Spiegelbildern des Mainstream selbst. Die vorstehenden Ausführungen skizzieren den Rahmen für die folgenden genealogischen Überlegungen, die sich nicht nur durch den zeitlichen Rahmen, sondern vor allem durch eine nachhaltige Veränderung der ästhetischen, kulturellen, sozialen und politischen Umstände auszeichnen. Gleichzeitig bilden die drei genealogischen Punkte, die hier aufgezeigt wurden, einen Rahmen, der helfen kann, spätere Lesarten zu situieren und zu kontextualisieren. 153 Bayerdörfer 1989, 114. 158 „Bei Sonnenthal hört der Antisemitismus auf…“ - Adolf von Sonnenthal: „Nathan der Weise“ Man braucht es nicht zu sagen, es sagt sich selbst: Adolph Sonnenthal ist der erste deutsche Schauspieler. Ludwig Speidel 154 Sonnenthal war ein Budapester Judenjunge gewesen, wurde deutscher Schauspieler, erklomm die Höhen des Ruhms, wurde geadelt und wurde für den Adel tonangebend in Kleidung und Gebaren. Fritz Kortner 155 Adolf von Sonnenthal (1834-1909) wurde im ungarischen Pest als Sohn einer jüdischen Familie geboren, er starb im Alter vom 75 Jahren in Wien als langjähriges Mitglied des Wiener Burgtheaters, geadelt und mit Ehrungen überhäuft. Seine Erfolge waren nicht auf Wien beschränkt, sie reichten - dank unzähliger Gastspiele - über Berlin, St. Petersburg bis in die USA. Allein diese umrissartigen biographischen Daten lassen die Ausmaße von Sonnenthals Karriere erkennen; sie erscheinen wie ein Echo auf Franzos’ Figur des Sender Glatteis: Auch Sonnenthals Wunsch, Schauspieler zu werden, stieß auf Widerstand und auf Wunsch seiner Familie erlernte er zunächst ein Handwerk. 156 Ludwig Eisenberg hat in seiner Biographie „Adolf Sonnenthal. Eine Künstlerlaufbahn als Beitrag zur modernen Burgtheater-Geschichte“ (1896) einen bezeichnenden Wendepunkt in diesen Lebensweg eingeschrieben: 1850 siedelte Sonnenthal nach Wien über und besuchte - nach eigenen Angaben - am ersten Abend das Burgtheater, wo er in einer Vorstellung von „Der Erbförster“ (O. Ludwig) zum ersten Mal Bogumil Dawison auf der Bühne sah. Sonnenthals eigene Schilderung zählt genau jene körperlichen Symptome auf, die Franzos seinem Sender Glatteis nach dessen erstem Theatererlebnis zuschreibt: Alles wurde lebendig in mir, das Blut raste und tobte in meinen Adern, als wollte es sie sprengen, ebenso wirbelten mir die tollsten Gedanken durch’s Hirn. Lange lief ich nach dem Theater noch herum, um Ruhe zu finden, aber es war mir immer, als ob Jemand hinter mir ginge und mir in’s Ohr schrie: Dawison oder gar Keiner wird Dir helfen! 157 Tatsächlich hilft Dawison dem jungen Sonnenthal, indem er ihm eine Schauspiellehrerin vermittelt und den Weg zu Heinrich Laube ebnet. Sonnenthals 154 Speidel 1911b, 170. 155 Kortner 1991, 85. 156 Vgl. Eisenberg 1903, 973. 157 Eisenberg 1896, 53. 159 Biographie erfüllt so all die Versprechen und Sehnsüchte, an denen Sender scheitert. Gleichzeitig scheint er im Vergleich zu Dawison selbst insofern erfolgreicher zu sein, als er sich seinen Platz in der Majoritätskultur erkämpfen und dauerhaft sichern kann. Liest man Beschreibungen seiner Darstellungskunst, dann war Sonnenthal - im Gegensatz zu Dawison - für das Rollenfach des Liebhabers in Konversationsstücken prädestiniert. 158 Bemerkenswerterweise spielt seine jüdische Herkunft in den meisten Beschreibungen keine Rolle. Dieser fehlende Verweis in einem Diskurs, der - wie gezeigt wurde - durchaus für solche Fragen aufmerksam war, spiegelt sich auch in Sonnenthals Repertoire: Neben zeitgenössischen Stücken spielte er vor allem klassische deutsche Rollen. Sein Wallenstein wird als einer der Glanzpunkte seiner künstlerischen Laufbahn beschrieben. Gerade aber wenn man diese Biographie mit jener fiktiven des Sender Glatteis oder der realen von Bogumil Dawison vergleicht, fallen zwei Dinge besonders auf: Wird Dawison die Idealität abgesprochen, so scheint Sonnenthals ästhetisches Profil auf sie beschränkt zu sein: [S]einem innersten Wesen, dessen Schwerpunkt das glückliche Ebenmaß der Kräfte, die wohltuende und befreiende Harmonie bildete, lagen Leidenschaftsstürme, unkontrollierte Ausbrüche glutvollen Empfindens ebenso fern wie die mit dem Seziermesser der philosophischen Analyse zergliedernde Charakteristik und das eigensinnige Verbohren in die letzten psychologischen Abgründe. 159 Zum zweiten sticht ins Auge, dass Sonnenthal trotz seines reichen Repertoires nie den Shylock spielte. Sonnenthal scheint - gänzlich im Gegensatz zu Sender und Dawison - vollkommen in den Strukturen des Mainstreams aufzugehen, wie man nicht zuletzt an seiner Erhebung in den Adelsstand 1881 erkennen kann. Will man Bergers genealogische Metapher über das Verhältnis von Shylock und Nathan aufgreifen, dann zeigt sich an Sonnenthals Biographie ein typisches Phänomen der Assimilation: Die Differenz der Herkunft, die noch in der ersten Generation präsent ist und explizit verhandelt wird, verschwindet. Allerdings ist der Metaphorik mit Vorbehalt zu begegnen, denn schließlich handelt es sich bei Sonnenthal in seinem Verhältnis zu Dawison und Sender Glatteis nicht um eine Familiengeschichte, sondern um einzelne Akteure und ihre Positionen im Diskurs kollektiver Identität. Sonnenthals ‚fehlende Beziehung’ zur Rolle des Shylock darf nicht in eine Metaphorik übersetzt werden, die das Fehlen als ‚Verblassen’ einer Erinnerung deklariert. Vielmehr handelt es sich um einen bewussten Prozess der (Selbst-) Inszenierung, bei dem Differenzen zum Verschwinden gebracht werden. Seinen vielleicht stärksten Ausdruck findet dies in Sonnenthals Aneignung der Rolle des Nathan, die er erst 1895, mit 61 Jahren, spielte. 160 Sie war 158 Vgl. hierzu etwa Richter 1919, 36. 159 Richter 1919, 36f. 160 Vgl. zu dieser Rolle Richter 1919, 131-138, die eine vergleichende Darstellung zwischen der Lesart Sonnenthals und derjenigen Joseph Lewinskys gibt. Richter ist in diesem 160 - neben der des Uriel Acosta, die aber von der Kritik keine besondere Beachtung erfuhr - die einzige Rolle, in der Sonnenthal eine explizit jüdische Figur verkörperte. Und er tat dies zu einem Zeitpunkt, da seine berufliche Laufbahn längst ihren Höhepunkt erreicht hatte und sein Platz in der Majoritätskultur (in einer sehr privilegierten Position) mehr als gesichert war. Ludwig Speidel hat eine Formel über Sonnenthals Nathan geprägt, die als Zitat in der Literatur immer wieder zu finden ist: Er hat zum Nathan, wie es ja Jeder thun wird, den Weg s e i n e r Begabung eingeschlagen, und Sonnenthal und Nathan sind einander auf halbem Wege entgegengekommen; was Nathan bei dieser Begegnung an Weisheit abgelegt, hat ihm Sonnenthal überschwänglich durch Gefühl ersetzt. 161 Diese Interpretation Speidels, die Sonnenthals Nathan auf dessen psychische Veranlagung und sein ‚Naturell’ zurückführt, zieht sich als roter Faden durch viele Rezensionen: Er ist vielleicht mehr der kluge als der weise Nathan, aber er ist die große echt menschliche Persönlichkeit. […] Es war, als ob der Mensch Sonnenthal hier einmal den Künstler völlig vergessen hätte - man hatte den Eindruck: Sonnenthal erlebt diese Momente. 162 Sonnenthal betonte vor allem die patriarchalische Würde der Figur - eine Rollengestaltung, die seinem üblichen Rollenprofil entsprach - und entfaltete hierbei eine Wirkung, die den Text kolorierte. So heißt es in der Kritik eines Berliner Gastspiels 1903/ 04: Zusammenhang auch die einzige Quelle, die ‚typisch jüdische’ Elemente in der Darstellung wahrgenommen zu haben glaubt. Vgl. hierzu besonders Richter 1919, 136. 161 Speidel zit. nach Eisenberg 1896, 402. 162 Ph.St. 1904, vgl. auch Stürmcke 1903/ 04, 647. Abb. 16: Adolf von Sonnenthal als Nathan. 161 [I]dealistischer, edler, großstilisirter kann der Weise von Jerusalem nicht gegeben werden. […] Aber intimer, rassiger, jovialer - das sind alles Momente, die im Nathan stecken - kann ich mir die Gestalt sehr wohl denken. 163 Diese Idealisierung wird auf den Bildern durch ein Kostüm und eine Dekoration unterstrichen, die opulent orientalistische Dekors verwenden. Durch Sonnenthals Spielweise sowie durch die visuelle Gestaltung der Figur und der Bühne wird der literarische Text (und seine appellative Botschaft) aus der Alltagswelt der Zuschauer in einen fiktiven dritten Raum (Orient) transponiert. So wird die jüdische Gestalt, die mit der Persona Sonnenthals verschmilzt, für den Mainstream konsumierbar, weil seine Botschaft abstrakt genug ist, um von tagesaktuellen Forderungen nicht vereinnahmt zu werden. Gleichzeitig wirkt diese Strategie auf den Schauspieler Sonnenthal zurück, weil die Abstraktion verhindert, dass seine Persona durch die jüdische Figur ‚affiziert’ würde. Die Kritiken betonen, in welchem Maße der „Mensch Sonnenthal“ diese Figur mit seiner individuellen Lesart füllt, nicht aber der „Jude Sonnenthal“. Hier offenbart sich eine paradoxe Logik: Sonnenthals Persona als assimilierter Jude und die jüdische Identität der von ihm verkörperten Bühnenfigur fließen in einem tertium comparationis, der 163 Anonymus 1903/ 04. Abb. 17: Szenenbild zum letzten Bild von „Nathan der Weise“; Gastspiel in Berlin; 1903/ 04. 162 Menschlichkeit, zusammen - der Jude Sonnenthal aber bleibt hinter der orientalistischen Idealgestalt des Nathan verborgen. Während Dawison - und sein literarisches alter ego Sender Glatteis - die Spannung zwischen der eigenen biographischen Erfahrung als Angehöriger einer Minorität angesichts einer übermächtigen Majoritätskultur ausagierte und das ‚Allgemein-Menschliche’ als Forderung artikulierte, die sich in ohnmächtiger Wut entlud, bildete dieses scheinbar erreichte Ideal den Kern der Sonnenthal’schen Darstellung. Der Idealismus der literarischen Vorlage sowie die spezifische Interpretation durch Sonnenthal setzen die Idee der Menschlichkeit voraus, die im Verlaufe der Handlung vollends zum Siege kommt. Die „allseitigen Umarmungen“, mit denen Lessing in seiner abschließenden Regieanweisung dem Finale einen bildhaften Ausdruck verleiht, erscheinen hier als ungebrochener Beweis einer interreligiösen Harmonie. Als Ausdruck dieses Konsens kann man das Zitat eines als antisemitisch bekannten Zeitungsblattes über Sonnenthals Nathan nehmen, das Eisenberg wiedergibt: „Bei Sonnenthal hört der Antisemitismus auf.“ So gesehen scheint Sonnenthal das gelungen zu sein, was Karl Frenzel als Dawisons oberstes Ziel beschreibt, nämlich der „erste deutsche Schauspieler“ zu werden. Ludwig Speidel gesteht dieses Verdienst Sonnenthal zu. Es gründet allerdings in Sonnenthals Verzicht, durch die Gestaltung einer jüdischen Figur, deren jüdische Identität auch Bezüge zur Gegenwart der Zuschauer aufweist, die Spannungen zwischen der eigenen biographischen Erfahrung und den Vorstellungen und Maßgaben der Majoritätskultur zum Ausdruck zu bringen. Insofern werden zwar Imagination und Persona zur Deckung gebracht, das sich konstituierende visuelle Subjekt aber zeichnet sich vornehmlich dadurch aus, dass es nicht die Gegenwart der Zuschauer wahrnimmt, sondern lediglich eine abstrakte Ideenwelt. Heinz Dietrich Kenter hat dies in seinem Aufsatz „Die großen Darsteller des ‚Nathan’“ (1929) in einen direkten Zusammenhang mit der Rolle selbst gestellt: Man vergleiche nur zeitgenössische Berichte über die großen Nathan-Darsteller. Ueberall die gleichen charakteristischen Begriffe, Vater, Patriarch, Humor und Gemüt - nur daß d i e B e t o n u n g d e s j ü d i s c h e n E l e m e n t s z u r ü c k t r i t t , nur daß der Vater […] allmählich ein c h r i s t li c h e r Vater wurde. 164 Dieses Argument benennt einen dialektischen Prozess: Das Zurücktreten der ‚jüdischen Elemente’ macht die Rolle des Nathan konsumierbar, ohne grundsätzlich den Status von Majorität und Minorität zu hinterfragen. Ähnlich wie Shylocks Heroismus wird Nathans Toleranz zu einer kanonischen, aber in der Politik der Identität wirkungsfreien Forderung. Der Wegfall bzw. die Metaphorisierung der ethnischen Markierung ermöglichte jene bekannten Doppelrollen von Nathan und Shylock, wie sie von Schauspielern wie Possart oder Bassermann in Szene gesetzt wurden. Gleichzeitig stellte diese Konstellation den jüdischen Schauspieler Sonnenthal, dessen Persona durch das Konzept der Akkulturation geprägt war, vor die Notwendigkeit, auf Shylock zu verzichten, weil diese Rolle un- 164 Kenter 1929, 34. 163 weigerlich den verschwiegenen Konflikt der Assimilation aktualisieren würde. Er konnte nur in der Maske der jüdischen Figur Nathan die Bühne der Politik der Identität betreten, weil hinter ihr und ihren Attribuierungen von väterlicher Würde, Großherzigkeit und Weisheit seine jüdische Persona verschwand. Dadurch blieb der Entwurf der assimilierten Identität unberührt. Während im Mainstreamdiskurs seine jüdische Identität keine Rolle spielte oder nur als Marginalie betrachtet wurde, galt Sonnenthal innerhalb jüdisch-akkulturierter Kreise als das paradigmatische Beispiel erfolgreicher Integration. In diesem Sinne erschienen ein Jahr nach Sonnenthals Tod, nach der sog. Jahrzeit, 165 in der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ mehrere Artikel, die sich mit Sonnenthal beschäftigen. 166 Bemerkenswert ist, wie in diesem Zusammenhang immer wieder der Konnex zwischen seiner religiösen Identität und der Rolle des Nathan hergestellt wird. 167 Adolph Kohut etwa dokumentiert in seinem Artikel „Adolf Sonnenthal als Bekenner“ einen bis dahin ungedruckten Brief Sonnenthals aus dem Jahr 1898, in dem dieser beschreibt, wie er der Fürstin Pauline Metternich die Besonderheit seines Nathan erläutert: ‚Durchlaucht’, erwiderte ich, ‚diesmal hat der Künstler weniger Anteil an dem Erfolge gehabt als der Jude in mir, der mich für meine Aufgabe begeisterte. Es war mir geradezu eine Wollust, einmal von meiner Kanzel herab mein schmerzerfülltes Herz auszuschütten.’ Die Fürstin sah mich eine Weile überrascht an, dann drückte sie mir stumm die Hand […]. 168 Es ist bezeichnend, dass Sonnenthal diese Begegnung mit dem Mainstream - die Fürstin Metternich kann sowohl als Personifikation aristokratischer Autorität als auch als Inbegriff des Mainstream betrachtet werden - als eine geglückte beschreibt. Nachdem auf die Überraschung, die eine Überraschung über die plötzliche Identifikation der Persona Sonnenthal mit der jüdischen Identität des Nathan gewesen sein mag, die stumme Ergriffenheit und Solidarisierung erfolgt, erfüllt sich in dieser Szene nicht nur die ästhetische, sondern besonders die ethische Mission des Künstlers Sonnenthal. Die ‚Predigt’ der Toleranz von seiner ‚Kanzel’, dem Theater, verfängt und damit bestätigt sich Sonnenthals beruflicher wie privater Lebensentwurf, weil das Theater als ‚moralische Anstalt’ wirkt und ihm erlaubt, das moralische 165 „Jahrzeit […] B[ezeichnung] d. jährlichen Gedenktage an d. Tod der Eltern oder nächsten Verwandten […]“; Bin Gorion 2003, 318. 166 Vgl. Münz 1910, Kohut 1910 sowie Biach-Brüx 1910. 167 Gleichzeitig räumt etwa Kohut 1910 ein: „Bisher war jedoch seine Stellung zu religiösen Fragen noch unbekannt, wenn man auch wußte, daß der von seinem Kaiser, Franz Joseph I., und anderen Potentaten mit Titel und Orden so ausgezeichnete Künstler fest am Glauben seiner Väter hing und dem Judentum treu ergeben war.“; Kohut 1910, 150. Zwischen den Zeilen dieser Mitteilung lässt sich erkennen, dass dieser posthum geführte Diskurs (der durch die Orientierung an der Jahrzeit noch deutlich als ein religiöser Diskurs markiert wird) durchaus versucht, den Schauspieler für den jüdischen Diskurs zu reklamieren - eine Notwendigkeit, die in der Deutungsoffenheit seiner Persona und seiner Rolle gründet. 168 Kohut 1910, 150. 164 Anliegen seines Entwurfs jüdischer Identität zu artikulieren und zu verteidigen. Knapp einen Monat nach dieser Veröffentlichung fügt Adolf Biach in seinem Artikel „Sonnenthal als Jude“ diesem Bild noch eine weitere Facette hinzu: Sonnenthal habe ihm in einem Brief aus dem Jahr 1906 für die Zusendung eines Vortrags über Maimonides gedankt und „aus Dankbarkeit eine Photographie [s]eines ‚Nathan’“ 169 beigelegt. Diese kleine Episode ist insofern von besonderem Interesse, weil sie dokumentiert, wie Sonnenthals Interpretation des Nathan den Raum des Theaters verlässt, in ein anderes Medium übergeht und zum Teil kollektiver Imagination werden soll. Die Anekdote lässt erkennen, dass Sonnenthal selbst seine Rollenbilder, ganz im Geist der Zeit als Porträtpostkarte, 170 bewusst einsetzte, um seine Lesart des Nathan über die Bühne hinaus zu verbreiten. Sonnenthals Nathan mag deswegen so erfolgreich gewesen sein, weil er zwei mögliche Lesarten eröffnete: Während der Mainstream ihn als Ausdruck der individuellen Künstlerpersönlichkeit verstand, galt Sonnenthal- Nathan dem jüdischen Diskurs als Inbegriff erfolgreicher und geglückter Assimilation. Dieser Erfolg allerdings ist ambivalent, denn er beruhte auf der ‚Unsichtbarkeit’ der jüdischen Identität der Persona Sonnenthals. Die Lesart gelungener Integration muss aber diese Unsichtbarkeit in ihr Gegenteil verkehren. So erscheint Sonnenthals Nathan im Wechselspiel dieser zwei Lesarten weniger als ein idealer Ort der Begegnung denn als Projektionsfläche eines wechselseitigen Missverstehens. 169 Biach 1910, 197. 170 Vgl. zur Bedeutung der Schauspielerfotografie Balme/ Leonhardt 2003, bes. 112-115. 165 Der ‚authentische’ Shylock: Schildkraut, Granach Schildkrauts Shylock riecht nach Zwiebeln und nach Knoblauch, und das ist ein mindestens so gutes Essen und ein mindestens so angenehmer Geruch als der geschlachteter Schweine und der in Milch der Mütter gebratener Zicklein. […] So ist dieser Rudolf Schildkraut, zappelnd, dicklich, mit Kehllauten, eine der stärksten Bannkräfte und Erschütterungen der deutschen Bühne gewesen. Arnold Zweig 171 Ein anderes Echo auf Sender Glatteis bietet die künstlerische Karriere von Rudolf Schildkraut (1862-1930). Die Stationen seiner Laufbahn markieren ihn bereits als Grenzgänger, denn sein Weg führte ihn von kleinen Schauspieltruppen in der Provinz des ehemaligen Habsburger Reiches über das Raimund-Theater in Wien, das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg, ab 1905 ins Ensemble Max Reinhardts in Berlin bis schließlich nach New York, wo er 1930 starb. 172 Sein Nachruf in der „New York Times“ titelte bezeichnenderweise: „Had Played in 3 Languages“ - Deutsch, Jiddisch und Englisch. Sein Lebensweg, dessen Details verschwommen und in der Darstellung seiner Persona stets ein bisschen geheimnisumwittert bleiben, führte von Konstantinopel, wo er einigen Quellen zufolge geboren sein soll, über Rumänien nach Wien. Diese biographischen Wechselwege sind nicht nur von anekdotischer Bedeutung: Rudolf Schildkraut ist, neben Bogumil Dawison, Adolf von Sonnenthal und Alexander Granach (1890-1945), einer der wenigen Schauspieler, die erfolgreich den Weg von den osteuropäischen, jiddischsprachigen Bühnen auf die Bühne des deutschsprachigen Theaters schafften. Schildkraut war gleichzeitig der einzige namhafte Schauspieler, der zwischen jiddischem, deutschem und englischem Theater wechselte und den Weg der Akkulturation nicht als ‚Einbahnstraße’ oder evolutionären Prozess verstand. Es ist leichthin verständlich, dass diese Persona sich auf die Wahrnehmung der Schildkraut’schen Bühnenrollen, zumal der jüdischen Bühnenrollen, auswirken musste. Während die meisten Kritiken den Shylock für seine beste Rolle hielten, 173 wirkte er vor allem in der Inszenierung von Shalom Aschs „Gott der Rache“ mit, einem der wenigen jiddischen Stücke, das ins Repertoire des Deutschen Theaters aufgenommen wurde. 171 Zweig 1928, 179. 172 Die Biographie Schildkrauts ist nach wie vor kaum erforscht, einführend vgl. Raché 1903/ 04 sowie die Autobiographie seines Sohnes Joseph Schildkraut; vgl. Schildkraut 1959. 173 Vgl. etwa Kienzl 1915, Strecker 1915. 166 Auffällig ist, dass - spiegelbildlich zu Sonnenthal - Schildkraut nie den Nathan spielte. Im Zentrum seiner Darstellung steht die „Kaufmann von Venedig“-Inszenierung, die Reinhardt 1905 für das Deutsche Theater einrichtete. Diese Inszenierung hatte im Rahmen des von Reinhardt begonnenen Shakespeare-Zyklus einen besonderen Stellenwert. Mit großem technischen Aufwand produziert, in einem Bühnenbild von Emil Orlik (1870-1932), nahm sie bereits durch ihre Ausstattung die Zuschauer gefangen. 174 Diese Spezifik der Inszenierung impliziert ein methodisches Problem: Während in den vorstehenden Analysen vornehmlich die Einzelleistungen von Schauspielern im Zentrum standen, rückte mit dieser Inszenierung, deren Programmatik eher auf die Ensembleleistung als auf die Präsentation eines spektakulären Darstellers zielte, der szenische Kontext stärker ins Zentrum. Dies wird bei den Analysen eine entsprechende Berücksichtigung finden müssen. Es gehörte zu den Besonderheiten von Reinhardts Produktionsform, dass er Inszenierungen stets mit mehreren Besetzungen produzierte, wodurch die ‚Stars’ seines Ensembles entlastet wurden und die Laufzeiten der Inszenierungen deutlich erhöht werden konnten. 175 In der „Kaufmann von Venedig“-Inszenierung alternierte Schildkraut, der die Rolle in der Premiere übernommen hatte, mit Alexander Moissi (1879-1935) und Albert Bassermann. 176 Im Folgenden soll Schildkrauts Darstellung vor allem mit der Rollengestaltung von Bassermann verglichen werden. Dieser Vergleich ist insofern aufschlussreich, als Bassermann neben dem Shylock auch den Nathan in einer Inszenierung von Felix Hollaender (1867-1931) aus dem Jahr 1911 spielte, d.h. hier eher der genealogischen Linie Possarts zuzuordnen wäre. Reinhardts Inszenierung nahm ihren Ausgangspunkt in der Darstellung Venedigs, das mit allen szenischen Mitteln ins Bild gesetzt wurde: „Renaissance - überall leuchtete sie in satten Farben, in Lebensfülle und Heiterkeit […].“ 177 Arthur Kahane bekräftigte dies angesichts der Neuinszenierung 1913: 178 „Held, Mittelpunkt, Herz und Wesen dieser Aufführung ist: Venedig. Nicht Shylock, sondern Venedig.“ 179 Die Opulenz der Dekoration 180 war keine Äußerlichkeit, durch sie betonte Reinhardt die komödienhafte Grundanlage der Inszenierung. 181 Eine Perspektive, die nicht auf die Ausstattung beschränkt blieb, wie Heinrich Hart betont: 174 Vgl. hierzu kritisch Leoster 1986, 591. 175 Vgl. allgemein zu dieser Besetzungspolitik die Darstellung bei Rudin 1978. 176 Später wurde die Rolle auch von Werner Krauß (1884-1959) gespielt, vgl. hierzu S. 180- 191 dieser Arbeit. 177 K. 1986, 589. 178 Schildkraut spielte die Rolle des Shylock in der Inszenierung aus dem Jahr 1905, die bis 1911 in 206 Vorstellungen gezeigt wurde. 1913 unternahm Reinhardt eine Neueinstudierung, bei der das Bühnenbild nicht von Orlik, sondern von Ernst Stern entworfen wurde. Vgl. hierzu Huesmann 1983, Nrn. 282; 715 sowie 808. 179 Kahane 1914, 116. 180 Vgl. hierzu einführend Ahrens 2001, 82-90. 181 Vgl. hierzu ablehnend Kerr 1917, 103f. 167 Ihre höchste Eigenart jedoch […] erhielt die Aufführung durch die Darstellung. Sie stand durchaus im Einklang mit der Auffassung, daß es sich um Spiel, nicht um bitteren Ernst handelt. Eine bewegtere Darstellung ist mir noch nicht vorgekommen. Das war ein Rennen, Tollen, Zappeln, Stürmen vom Anfang bis zum Ende. 182 Diese Beweglichkeit von Raum (durch die Drehbühne) und Darstellern sowie die Betonung des Atmosphärischen als ästhetischem Fluchtpunkt boten die Rahmenbedingungen für Schildkrauts Shylock-Darstellung. Die erhaltenen Fotos zeigen ihn in einem orientalisierenden Kostüm mit einer Lockenperücke, Ringen an den Fingern, das Gesicht von Locken und einem ‚franseligen’ Bart umrahmt, das Lächeln durch Zahnlücken entstellt. Die Aufnahme der ganzen Figur zeigt Schildkraut-Shylock als einen fast schon grotesken Körper: Der Mantel gibt der Gestalt einen beinahe geometrischen Umriss, während die Gestalt selbst unförmig, korpulent wirkt. Helene Richter beschreibt die Erscheinung folgendermaßen: Sein feistes Gesicht mit den hinter buschigen Brauen liegenden etwas glotzenden, aber klugen Augen und dem struppigen grauen Bart, seine behäbige Gestalt, die in dunkle, aber kostbare Stoffe gekleidet ist, kennzeichnen einen Mann, der sich in seiner fettglänzenden Haut nichts weniger als unbehaglich fühlt. Dieser Shylock ist durch und durch ein Krämergeist; auch die kleinlichsten, gedrücktesten Verhältnisse sind ihm nicht zu eng, so lange er in ihnen sein gutes Auskommen findet. 183 182 Hart 1986, 594. 183 Richter 1907, 338. Abb. 18: Rudolf Schildkraut als Shylock; Autogrammkarte, 1907. 168 Reinhardt fügte in seiner Inszenierung dem Text eine Reihe von stummen Szenen hinzu, die Übergänge des Textes oder Brüche bzw. Unklarheiten der Handlung ergänzten. 184 Richter hat ausführlich jene Szene beschrieben, in der Shylock das Verschwinden seiner Tochter bemerkt: Gleich nach Jessicas Flucht kehrt er heim. Klopft mehrmals. Wundert sich. Schöpft Verdacht. Endlich gibt die Tür nach. Er ruft innen wiederholt: Jessica! Zornig, ängstlich, schmerzlich man hört ihn die Treppe hinaufpoltern. Verstörten Antlitzes erscheint er einen Augenblick auf dem Balkon. Stürzt die Treppe wieder herunter. Man glaubt das Öffnen einer Truhe zu vernehmen. Ein heiserer, gellender Schrei. Der Deckel klappt zu. Shylock wankt stieren Blickes, ohne Turban und Rockelor auf die Gasse und stürzt mühsam fort auf den Rialto. 185 Die Beschreibung macht deutlich, dass die Gestalt Shylocks anfangs in ihrer Behäbigkeit in einem eigentümlichen Kontrast zu der Beweglichkeit ihrer Umgebung steht. Konsequenterweise zeigt ihn diese Szene, die für die Entwicklung der Figur einen Wendepunkt darstellt, zunehmend derangiert. Der Verlust von Turban und Rockelor sind Zeichen der inneren Verfassung; zugleich muss das gesteigerte Tempo der Bewegung, das Richters Beschreibung sprachlich nachvollzieht, schon durch den Kontrast zu der unförmigen Gestalt komische Effekte erzeugt haben, die mit der emotionalen Bedeutung der Szene für die Figur konterkarieren. Halbert setzt in seiner Beschreibung den Akzent auf die Gegenüberstellung zwischen der Welt Shylocks und jener des nicht-jüdischen Venedigs: Durch die Lüfte tönt Musik, in gedämpftem Orgelton weihevoll-freudig, summende Luft. Fein und seidig klingt jeder Ton. Und doch voll versonnener Leidenschaft und warmer Ueppigkeit. Lichter kommen, Lachen ertönt. Geschmeidige Menschenkörper klettern hinauf. Jessika wird entführt. Die Musik verhallt. Da kommt Scheylock. Er summt. Wie Juden summen an Winterabenden am Freitag. Behaglich dämmrig, licht und leicht. Er klopft an die Tür seines Hauses. Niemand antwortet. Schläft Jessika? Er klopft stärker, singt noch dabei. Niemand regt sich. Er singt nicht mehr. Er zischt bange: Jessika. Er schreit angstvoll: Kind! . . Dann stürzt er hinein - - und nun die grandiose Szene, die den Atem raubt, wo man die Augen schließt und nur hört: Der Jude poltert die Treppen hinauf . . stößt an, poltert weiter . . schließt den Geldschrank auf, brüllt verwundet auf, kommt auf die Terrasse, und stolpert wieder zurück, Schaum auf den Lippen, ohnmächtig und doch ohnmachtswild - - Ist es das Geld allein, wenn er aufschreit: Jessika! Und gellend ruft: Mein Kind! . . Viele werden es so sehen. Werden nicht den Zwiespalt fühlen, der hier röchelnd austobt und rachedurstig Blut verlangt. 186 Halberts Beschreibung ergänzt Richters Bericht um einige wichtige Punkte: Zunächst einmal ist auffällig, wie die Inszenierung durch die Gegenüberstellung der Instrumentalmusik, die als konstitutiver Teil der Bühnenatmosphäre erscheint, und dem Summen Shylocks die Figur in ihrem 184 Vgl. zur Bedeutung der stummen Szenen Hortmann 1998, 35f. 185 Richter 1907, 340. 186 Halbert 1906, 516. 169 Umfeld situiert; 187 gleichzeitig wird durch den Kontrast von Musik und Stille der Schrecken der Situation für Shylock noch deutlicher ausgestellt. Auch die Schwerfälligkeit der Bewegungen, das Anstoßen des Körpers markiert das Missverhältnis zwischen der Figur und ihrer Lebenswelt. An Halberts Beschreibung wird erkennbar, dass dies nicht allein komischen Effekten diente; vielmehr offenbarte die Figur durch diese stumme Szene eine zusätzliche Dimension ihres Gefühlslebens. Beide Beschreibungen betonen im Einklang mit anderen Rezensionen das Kreatürliche der Figur. Schreien, Starren, Schwanken - diese Attribuierungen lassen Shylock als unzivilisierte Gestalt erscheinen. Richter fasst diese Entwicklung mit den Worten zusammen: „Die Rolle hat ein ungeheures Wachstum. Shylock ist aus einer kleinen Kröte von Rialto-Makler zur blutgierigen Bestie geworden.“ 188 Dies korrespondiert mit dem Abgang der Figur nach dem Urteilsspruch: Schwerfällig erhebt er sich, um strauchelnd fort zu wanken. Als Graziano ihn an der Schulter packt, taumelt er willenlos, marklos in eine Ecke und schleppt sich endlich am Geländer entlang hinaus. 189 Bereits aus diesen Beschreibungen wird erkennbar, dass Schildkraut seinen Shylock nicht als heroische Gestalt, 190 sondern als einen Kontrast zur lichten und heiteren Atmosphäre der venezianischen Gesellschaft anlegte. Kahane hat diese Dynamik folgendermaßen beschrieben: Eine für sich geschlossene Welt, eine geschlossene Gesellschaft, und alle, die nicht dazugehören, sind Fremde, sind Ausländer, sind Barbaren; […]. Und dieselbe Ausländerkomik hat, letzten Grundes, auch Shylock. Der lästige Fremde, ein störender, unheimlicher Gast, Shakespeare gewiß ebenso widerlich und lächerlich und barbarisch, wie den Venezianern. Der geprellte Jude im Märchenspiel, der freilich einen Moment lang wie eine gefährliche Gewitterwolke in den sorglos heiteren Himmel der Venezianer bricht. Aber sobald durch das Wort der Porzia die Wolke verzogen, die Gefahr vorüber ist, bricht die ganze Lebensfreude Venedigs in einem Schrei der Erlösung aus, das Glück jauchzt noch einmal so hell auf 187 Dieser Kontrast findet sich nach Ahrens auch in der Ausstattung der Innenräume: „Die Innenräume, das Zimmer in Shylocks Haus […] wird als finster, kahl, schmutzig, kärglich beleuchtet aus einem hoch über dem Boden angebrachten Fenster beschrieben, und wirkt in seiner Ausstattung als krasser Gegensatz zu dem prunkvollen und doch anheimelnden Gemach der Porzia […].“; Ahrens 2001, 89; Herv. PWM. 188 Richter 1907, 341. Richters Beschreibung, die wegen ihrer Ausführlichkeit einen hohen Wert als Quelle hat, ist allerdings insofern problematisch, weil sie die Figur des Shylock ausschließlich als ‚Schacherer’ interpretiert. Vgl. Richter 1907, 339. Diese Hypothese, die sich durch den Vergleich mit anderen Quellen nicht halten lässt, verengt bisweilen ihre Beschreibung. 189 Richter 1907, 342. 190 Richter betont ausdrücklich diesen Bruch mit der Darstellungskonvention: „Entscheidend für seine Auffassung ist das Verzichten auf alle heroischen Effekte, mit denen diese Rolle seit Macklins epochemachendem tragischen Shylock häufig herausgeputzt wird, […].“; Richter 1907, 338. Vgl. zu Macklin Lelyveld 1961, 21-37. 170 und die letzte Erinnerung an jenes unheimlich Fremde versinkt in einem Meer von Musik. 191 Kahanes Paraphrase der Handlungslinien belegt auf den ersten Blick eine gewisse ‚Naivität’ der Konzeption - Fritz Kortner hat die Inszenierung gar als „gesellschaftsunkritisch“ bezeichnet. 192 Shylocks Hässlichkeit, die Schildkraut so deutlich ausstellte, bereitet somit sein ‚Verschwinden’ schon auf ästhetischer Ebene vor. 193 Gegen diese ‚innere’ Dynamik des Verschwindens des Fremden wirkte besonders Schildkrauts Darstellung. Gerade durch den Kontrast zwischen der eindeutigen äußerlichen Zeichnung der Figur und der Darstellung innerer Verletztheit wird sie zwar nicht in letzter Konsequenz verständlich, kann aber doch Mitleid erregen: Sein Shylock hat anfangs etwas Behagliches, er ist nicht ohne Vornehmheit und nicht ohne Humor. Ein Hasser nicht aus Herzensniedrigkeit, aus Bosheit, sondern aus leidvoller Erfahrung. Ein Fanatiker, aber ein klarbewußter, kein Wahnsinniger mit einer fixen Idee. Und ins Unmenschliche, ins Unbarmherzige steigert erst der Verrat der Tochter seinen Haß. […] Dieser Shylock macht glaubhaft, daß Shakespeare im Grunde zum Gutteil mit den Unterdrückten sympathisiert, soweit er es vor seinem Publikum zeigen darf. Es steckt im ‚K.v.V.’ eine heimliche Predigt für Toleranz und Humanität, die durch eine Darstellung, wie Schildkraut sie wagt, viel an Deutlichkeit gewinnt. 194 Auch Kortner, der (laut seiner Autobiographie) ein Wiener Gastspiel sah, schildert Schildkrauts Darstellung in diesem Sinne: Er [der Shylock Schildkrauts] war ein weicher Dulder des ihm zugefügten Unrechts, bis es unerträglich geworden war und Schildkraut furchterregend ausbrach. In seiner Brachialgewalt und Wüstenwildheit, etwas bis dahin in Wien nicht erlebtem, bleibt er ein Monument der Schauspielkunst […]. 195 Die Figur versperrte sich dem ‚Versinken des Fremden im Meer von Musik’, wie Kahane das Finale beschreibt. Schildkrauts Spielweise eröffnete die Perspektive darauf, dass die oberflächliche Heiterkeit und Pracht dieses Venedigs auf Ausgrenzung, Ausbeutung und Unterdrückung alles ‚Fremden’ beruht. Dieser Effekt war tatsächlich vornehmlich Schildkrauts Darstellung zu verdanken, weil Bassermann, der in derselben Inszenierung alternierend den Shylock spielte, eine solche Wirkung nicht zugeschrieben wird: [Bassermann spielt den Shylock]: häßlich, unheimlich, böse, fast grotesk. Während Schildkraut (der die Rolle schon früher spielte und jetzt mit Bassermann alterniert) ihn aus der […] Dialektik des getretenen Opfers darstellt, rührend und 191 Kahane 1914, 116f. 192 Kortner schreibt: „Von heute aus gesehen war die gesamte Reinhardtsche Aufführung gesellschaftsunkritisch. Alle waren bezaubernd, lustig, übermütig, charmant, melancholisch; und Shylock ein trauriger, bedauerlicher, aber auch herzgewinnender Einzelfall.“; Kortner 1991, 86. 193 Vgl. hierzu auch Halbert 1906, 516. 194 Hart 1986, 595. 195 Kortner 1991, 85f. 171 Mitleid erweckend, weniger Shakespeare als Rembrandt, dabei unterstützt von der unerhörten Echtheit in Ausdruck und Geste des Orientalen. 196 In der Tat lässt bereits ein Vergleich der Rollenfotos erkennen, dass Bassermann in seiner Maske deutliche Anleihen bei Karikaturen jüdischer Figuren macht. Schon die überdeutliche Nase wirkt stereotypenhaft. Zwar trägt auch Schildkrauts Figur durchaus hässliche Züge, diese liegen jedoch eher in Details, wie den fehlenden Zähnen. Wenn es aber gerade Schildkrauts Spiel war, das der Inszenierung eine neue Dimension verlieh, dann ist zu fragen, welche Mittel er nutzte, um seine Figur als jüdisch zu kennzeichnen. Die Kritiken geben hier kein ganz klares Bild. Doch als Grundtenor lässt sich feststellen, dass Schildkraut auf bekannte Bühnenmittel der Judendarstellung, wie den sog. Jargon, eine Art ‚Bühnenjiddisch’ verzichtete: Schildkraut ein Shylock von vollkommen individueller Auffassung, fast revolutionär in der Gestaltung: mehr Individuum als Vertreter einer geknechteten Rasse, ohne Chargierung und Pathos, fast ohne die sonst auf der Bühne übliche Jargonbetonung, von packender Selbstverständlichkeit im Hasse und im Geize, in der brennenden Leidenschaftlichkeit und in kordialer Heuchelei, von künstlerischer Beherrschung selbst an den Grenzen der Häßlichkeit. 197 Gleichzeitig fällt auf, dass viele Kritiken auf Schildkrauts Persona abzielen, wenn sie seine Gestaltung des Shylock beschreiben: „Schildkraut betont nicht nur nicht, sondern er mindert, so gut er vermag, das Rassische des Juden. Daß er am wenigsten es löschen kann, das weiß er natürlich.“ 198 Auch Kahane und Kortner verweisen auf die „Echtheit in Ausdruck und Geste des Orientalen“ 199 bzw. auf die spezifische „Darstellung des levanthinischen Urjuden“ 200 . Die geheimnisumwobene Biographie mit der Fama der Geburt in Konstantinopel verdichten sich in der Rezeption des Shylock zu einer Lesart, die vor allem die (ethnische) Authentizität fokussiert. [E]r spielte den Shylock nicht mehr, er lebte ihn. Man kann auch nicht von Nuancen und Ausarbeitung reden, man wurde von dieser packenden und verblüffenden Natürlichkeit einfach so hingerissen, daß man vergaß im ‚Theater’ zu sein. 201 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Verweis auf die ‚orientalische’ Identität Schildkrauts zielt, nicht auf seine osteuropäische 196 Kahane 1914, 118. Auch Kienzl betont den Unterschied zwischen Schildkraut und Bassermann: „Diese einheitlich und mit großer Kunst durchgeführte Auffassung [Schildkrauts] steht in schroffem Gegensatz zu der von Albert Bassermann, der den Shylock schonungslos gestaltet hat.“; Kienzl 1915. 197 K. 1986, 590. 198 Kienzl 1915. 199 Kahane 1914, 118. 200 Kortner 1991, 85. Auch der nachfolgende Verweis auf die „Wüstenwildheit“ des Schildkraut-Shylock (Kortner 1991, 86) kann als Verweis auf die ‚orientalische’ Persona Schildkrauts betrachtet werden. 201 P. 1913. Vgl. hierzu auch Kerr 1917, 104, der Schildkrauts Shylock als „aus einem Guß“ beschreibt. 172 Herkunft. Dies mag durch das Kostüm und die prachtvolle Bühnenausstattung unterstützt worden sein sowie durch eine Theaterkonvention, die im Kostüm mit orientalisierenden Elementen arbeitete. Dass Schildkraut nicht als ‚Ostjude’ wahrgenommen wurde, trug wesentlich zur Einbindung der Figur in den Kontext der Komödie bei. Bezüge zur gegenwärtigen Situation jüdischen Lebens wurden ebenso wenig hergestellt - oder nur auf einer sehr abstrakten Ebene - wie bei Sonnenthals Nathan. Allerdings lässt sich eine unterschiedliche Wahrnehmung innerhalb des jüdischen Diskurses bzw. durch jüdische Autoren feststellen: Arnold Zweig liest Schildkrauts Shylock, nicht nur in dem als Motto vorangestellten Zitat, als einen selbstbewussten Ausdruck jüdischer Identität. Auffällig sind die sinnlichen Attribute, die Zweig hierfür einsetzt: Schildkrauts Körperlichkeit sowie kleine Gesten fungieren als Merkmale (‚authentischer’) jüdischer Identität. 202 Neben der von Halbert betonten Melodie in der Szene, in der Shylock das Verschwinden seiner Tochter bemerkt, ist es besonders die Gerichtsszene, die von den Kritikern hervorgehoben wird. Siegfried Jacobsohn hat in seiner Rezension Schildkraut und Bassermann miteinander verglichen: Dann erfolgt die Katastrophe. Sogar taufen lassen soll sich Shylock. Bassermann reckt sich immer höher; Schildkraut murmelt voll Entsetzen: Schmah Jisroël! Was bei Bassermann nicht möglich wäre, weil sich niemand ihm zu nahe wagt, geschieht mit Schildkraut: ein Antisemit packt ihn am Hals und beutelt ihn. Bassermann verlässt den Saal mit Schritten des Niebesiegten; Schildkraut wankt vernichtet ab. 203 Der Ausruf des „Schmah Jisroël! “ 204 bei der Verkündung des Urteils fungiert nicht nur als Mittel, um auf Shylocks jüdische Identität zu verweisen oder um die Darstellung zu autorisieren. Sie betont vielmehr das Jüdische als Kern der Identität der Figur. Während Bassermann in der heroischen Lesart der Figur ‚unbesiegt’ die Bühne verlässt, ist Schildkrauts Shylock in dem Moment, da man ihm seine Identität raubt, tatsächlich vernichtet. In dieser Lesart wird der Konflikt um Shylock als ein Konflikt von Majorität und Minorität lesbar: Schildkrauts unheroischer, vielleicht komischer, ‚authentisch’-jüdischer Shylock ist ein Opfer der Komödienhandlung. Seine Taufe lässt sich weder als Überwindung des Bösen an sich noch als ‚Bekehrung’ und ‚Integration’ des Außenseiters in die Gemeinschaft legitimieren. Auch eine Wende ins Heroisch-Tragische, wie Bassermann sie vollzieht, ist ausge- 202 Die Bedeutung kleiner Gesten findet sich allerdings nicht allein im explizit jüdischen Diskurs; so vermerkt Karl Strecker in der „Täglichen Rundschau“ aus Berlin: „Das eigentümlich Jüdische drückt er in einer überraschenden Menge feinbeobachteter Einzelzüge aus. Die doch zu der vollkommenen Einheit eines wirklichen Menschen zusammengeschmolzen sind.“; Strecker 1915. 203 Jacobsohn 1913/ 14, 102. 204 Diese Geste, die Schildkraut auch in seiner jiddischen Fassung der Rolle übernahm, wurde dort als besonderes Merkmal der Authentizität der Darstellung verstanden; vgl. Berkowitz 2002, 188f. 173 schlossen. So bildet der „vernichtet wankende“ Abgang Shylocks einen unversöhnlichen Kontrapunkt zur heiteren Lebenswelt Venedigs. Die besondere Dynamik der Darstellung wird noch deutlicher, wenn man sich Jacobsohns Rezension näher betrachtet: Jacobsohn, der sich in seinen Schriften nur sehr spärlich zur Frage seiner eigenen jüdischen Identität äußerte, 205 votiert nach seinem Vergleich für die Bassermann’sche Interpretation: Bassermanns Gerichtsverhandlung? Mea res - so sehr, dass mir das Blut zu Kopfe steigt. Schildkrauts? Welch Schauspiel! Aber, ach, ein Schauspiel nur, vor dem sich mein artistisches Interesse nie erhitzt. Bei Bassermann ist das Stück tragisch, groß, zerrissen, ungerecht und unerträglich. Bei Schildkraut ist es lustig mit einem Einschlag von Traurigkeit, aesthetisch befriedigend und ziemlich klein. 206 Jacobsohns Wahrnehmung belegt in der Ablehnung Schildkrauts den kategorialen Unterschied zwischen den beiden Lesarten. Gleichzeitig lässt sie erkennen, dass Schildkrauts Spielweise vielleicht aus ästhetischen Gründen weniger beeindruckend gewesen sein mag, aber einen ethischen Konflikt jüdischer Identität im Kontext einer nichtjüdischen Majoritätskultur aufzeigte. Dieser allerdings bewegt Jacobsohns „artistisches Interesse“ in diesem Zusammenhang nicht. Dass Shylock als Bühnengestalt auch für ihn als Kritiker, der die Frage jüdischer Identität im Zusammenhang mit dem „Kaufmann von Venedig“ für zweitrangig hielt, eine Reflexion der eigenen kulturellen Identität forderte, macht Jacobsohn an einer anderen Stelle seiner Besprechung deutlich: Bassermann hat seine Starrheit einmal nur gelockert, hat - für unser Ohr verdächtig diabolisch, für der Christen Ohr harmlos vergnügt - gelacht, da ihm plötzlich jene furchtbare Bedingung einfiel; Schildkraut hat die Szene nicht 205 Vgl. zu Jacobsohns Stellung zum Judentum Oswalt 2000, 235-242. 206 Jacobsohn 1913/ 14, 102. Abb. 19: Albert Bassermann als Shylock. 174 akzentuiert, wie er überhaupt der starken Sache meistens mehr vertraut als seinen Kommentaren, Lichtern und Nuancen. 207 In der Rezeption Bassermanns, die Jacobsohn als Momentaufnahme beschreibt, entdeckt sich ein Riss im Publikum; die offensichtlich als diabolisch ausgestellte Freude, mit der Bassermann seinen Shylock die Bedingung stellen lässt, evoziert augenscheinlich im jüdischen Zuschauer eine Erinnerung an die karikierende und stereotype Spielweise, die mit dem „Kaufmann von Venedig“ verbunden ist. Nach Jacobsohn trennt dieser Moment das jüdische vom nichtjüdischen Publikum - die heroische, ‚nichtauthentische’ Spielweise Bassermanns lässt eine Trennlinie erkennen, die Jacobsohn in seinem „artistischen Interesse“, das das Theater als eine „moralische Anstalt“ jenseits religiöser oder ethnischer Spezifika verstehen will, überwunden glaubte. Insofern ist sein abschließendes Votum für Bassermann von programmatischer Natur, weil es trotzig diesem Moment der Irritation gegenübersteht. Der innere Zusammenhang aber, der zwischen Bassermanns Spielweise und dieser Erfahrung besteht, wird von Jacobsohn nicht reflektiert. Der Grund für diesen ‚blinden Fleck’ wird noch deutlicher, wenn man Jacobsohns Rezension von Bassermanns Nathan mit in den Blick nimmt. Einleitend stellt Jacobsohn fest: 207 Jacobsohn 1913/ 14, 101. Abb. 20: Albert Bassermann als Nathan, Berlin Deutsches Theater 1912. 175 ‚So ganz Stockjude sein zu wollen, geht schon nicht’; denn Nathan ist Freigeist und Kosmopolit. Es ist der Fall der meisten jüdischen Darsteller, die selten imstande sind, sich über ihre Nationalität emporzuschwingen. 208 In diesem Sinne plädiert Jacobsohn gegen eine Besetzung des Nathan mit jüdischen Schauspielern, sondern für eine ‚kosmopolitische’, im Vergleich zu Schildkraut, nicht-authentische Lesart der Rolle. Betrachtet man Rollenbilder Bassermanns als Nathan, so wird deutlich, dass dessen Lesart über den Weg des orientalistischen Stereotyps führt: Bassermann erscheint mit Turban und langem Bart. Einer ähnlichen Bildsprache hatte sich auch Sonnenthal bedient, allerdings setzte Bassermann in der Regie von Felix Hollaender 209 nicht die rhetorische Konstruktion der Rolle zentral, wie Sonnenthal dies tat, sondern bemühte sich um eine ‚Belebung’ der Rolle, wie eine Kritik polemisch vermerkt: Denn Bassermann, der germanische Nathan, war ganz Jude, freilich schlimmster Handelsjude ohne innere Größe, ohne Würde, ohne das aus tausend Wunden quellende tiefe Gefühl seines Stammes, ohne den königlichen Adel der Seele, der in den Nöten der Jahrhunderte seine Prägung erhalten hat. Es ist ein Jammer, daß weder Regisseur noch Direktor diesem ganz großen Künstler die Grenzen seiner Kraft weisen und ihn sich mit einer Nathanparodie bloßstellen lassen. 210 Bassermanns Shylock und Nathan stehen in einem inneren Verhältnis zueinander: Beide wurzeln in der Appropriation von Jüdischsein als theatralem Element. Gleichzeitig belegt diese Aneignung, dass es sich nicht nur um eine Frage ästhetischer Gestaltung handelt. Gerade im Kontrast zu Schildkrauts Shylock-Interpretation wird erkennbar, welche politischen Implikationen mit der Rollengestaltung verbunden sind. Bassermanns Figuren versuchen diese Implikationen auszublenden, indem er sie ins Heroische (Shylock) oder in naive Heiterkeit (Nathan) 211 wendet. Diese Blindheit gegenüber den politischen Implikationen schließt die Bühnenfiguren von der Gegenwart der Zuschauer aus - sie spiegeln damit in ihrer programmatischen Nicht-Bezogenheit die aktuellen Machtverhältnisse der Majoritätskultur. Sie reproduzieren die Marginalisierung ihrer Figuren, weil diese als frei appropriierbar ausgestellt werden. Bassermanns Darstellung und sein Repertoire führt eine Tradition des 19. Jahrhunderts fort, die in Ernst von Possart, wie beschrieben, einen ihrer bekanntesten Vertreter hatte. Im Vergleich aber zu Schildkrauts Shylock, der allein durch das Verhältnis von Bühnenfigur und Persona die Spannungen von Majoritätskultur und dem Status von Minoritäten thematisiert, wird eine solche Darstellungskonvention fragwürdig. Während Sonnenthals aus- 208 Jacobsohn 1912, 84. 209 Hollaender hatte in einem die Inszenierungen begleitenden Aufsatz darauf verwiesen, dass die Besetzung Nathans durch einen deutschen Schauspieler programmatische Bedeutung habe, weil es sich im Grunde um eine deutsche Figur handele. Diese Bemerkungen werden von vielen Kritiken polemisch zitiert, vgl. etwa Stümcke 1911; Anonymus 1911b. 210 Anonymus 1911b. 211 Vgl. hierzu ausführlicher Stümcke 1911, 196. 176 schließliches Votum für Nathan Possarts Repertoire indirekt zu bestätigen schien, weil es so eindeutig für die Assimilation votierte (und damit auch gegen jene eindeutig nicht-assimilierte jüdische Identität), kann Schildkrauts Shylock als eine Wendung gegen das Konzept der Assimilation verstanden werden - zumindest stellt sie diese bislang unumstrittene Zielsetzung in Frage. Insofern kehrt Schildkrauts Shylock die von Berger entworfene Genealogie von Nathan und Shylock um. Das Versprechen der Akkulturation, das Sonnenthals Nathan so nachhaltig in Szene gesetzt hatte, wird durch diesen Shylock, der gerade durch die ‚orientalische’ Persona Schildkrauts autorisiert wird, mit einem Fragezeichen versehen. Er verweist mit seinem Schicksal implizit auf die kulturelle Eigenständigkeit, die er dem Postulat (und Versprechen) vorbehaltloser Assimilation entgegenstellt. Schildkrauts künstlerische Biographie, die zwischen dem deutschen, US-amerikanischen und dem jiddischen Theater mäandert, bezeugt die Lebendigkeit und den umfassenden Anspruch eigenständiger jüdischer Kultur, die nicht reduziert werden kann auf eine kulturelle Vorstufe, wie dies ein evolutionäres Assimilationskonzept impliziert. In diesem Zusammenhang ist es interessant, einen Seitenblick auf die Rezeption Schildkrauts im New Yorker jiddischen Theater zu werfen. Joel Berkowitz zeichnet in seiner Studie „Shakespeare on the American Yiddish Stage“ (2002) Schildkrauts Auftreten in New York nach. Grundsätzlich schien Schildkrauts Engagement für die gehobene Qualität jiddischer Kultur zu sprechen, da es sich um einen Künstler handelte, der bereits eine beachtliche Karriere im deutschsprachigen Theater gemacht hatte. 212 Gleichzeitig aber finden sich nach Berkowitz auch Stimmen, die seine Interpretation ablehnten, weil sie die Figur nicht als authentisch jüdische Figur zeigte. For Entin, as for many other reviewers, the Jewishness (or the lack thereof) of Schildkraut’s Shylock was crucial to the success or failure of the performance. After all, if the actor failed to present an authentic Jew, then the Christian characters’ behavior toward him would no longer be the authentic manifestations of anti-Semitism, and the focal point of the play for most Jewish viewers - as a commentary on relations between Jews and Gentiles - would therefore dissolve. 213 Augenscheinlich hatte Schildkraut viele Elemente der Rollengestaltung, die er in Reinhardts Inszenierung 1905 entwickelt hatte, in das jiddische Theater übernommen. Hier aber verfing die Wirkung nur teilweise. In Reinhardts Inszenierung hatte Schildkraut die Figur in eine Ambivalenz zwischen komischen Elementen und einer Tragik, die nicht aus dem Heroischen rührte, sondern in der kreatürlichen Verletztheit der Figur ihren Grund hatte, geführt. Im Kontext einer nicht-jüdischen Majoritätskultur wurde seine Interpretation durch das Wechselspiel mit seiner Persona autorisiert. Eine solche Wechselwirkung konnte sich aber in einem explizit jüdischen Theater 212 Vgl. Berkowitz 2002, 185. 213 Berkowitz 2002, 187. 177 nicht einstellen, zumal hier durch Jacob Adler (1855-1926) die Figur in einer Lesart eingeführt worden war, die sie deutlich in das Zentrum der Inszenierung stellte. 214 Im Vergleich dazu musste Schildkrauts Shylock - trotz der Reputation, die er durch seine Aktivität im deutschen Theater genoss - unentschieden wirken. Es ist nicht ohne Ironie, dass die New Yorker Kritiken verschiedentlich Schildkraut mit Possart verglichen, wobei dessen heroischer Auffassung der Rolle der Vorzug gegeben wurde. 215 Der Seitenblick auf das jiddische Theater offenbart in diesem Kontext vor allem, wie sehr Schildkraut durch die öffentliche Wahrnehmung in seiner Rollengestaltung festgeschrieben und damit auch auf eine spezifische Lesart reduziert wurde. Im Kontext einer nicht-jüdischen Gesellschaft und Kultur wurde Schildkrauts Shylock zur Chiffre einer ‚authentischen’ Rolleninterpretation in dem Sinne, dass ethnische Momente der Bühnenfigur als unmittelbarer Ausdruck der Persona des Schauspielers gedeutet wurden. In diesem Blickwinkel wurde auch die Darstellung Alexander Granachs wahrgenommen, der den Shylock 1919 in München und 1925 an der Volksbühne in Berlin spielte. Granachs Biographie erscheint wie die spiegelbildliche Entgegnung auf das Scheitern des Sender Glatteis: Er wuchs in Galizien auf, machte in Lemberg die Bekanntschaft mit dem jiddischen Theater und kam schließlich 1908 nach Berlin, wo er sich zunächst als Sargtischler und Bäckergeselle durchschlug, bis er (durch die Protektion von Hermann Struck) einen Schauspiellehrer fand und schließlich seinen Weg zum ‚deutschen’ Theater bei Max Reinhardt und später Leopold Jessner machte. Die Wahrnehmung seiner Shylock-Darstellungen (1919 bzw. 1925) ist weitgehend von der Erinnerung an Rudolf Schildkraut geprägt, wie in vielen Kritiken angemerkt wird: „Der junge Mensch spielte wie ein kleiner Schildkraut, leidenschaftlich, gewandt, animalisch echt mit kräftigem Gemauschel aus Überzeugung.“ 216 Ähnlich wie bei Schildkraut wurde auch Granachs Shylock als besonders authentische Figurengestaltung wahrgenommen. Julius Bab benennt dies als sein besonderes Kapital: „Granach als Shylock hat sein Judentum einzusetzen und sein fulminantes Temperament.“ 217 Kurt Pinthus spricht von Granachs „natürlichen Jüdischkeit“, während eine Münchner Kritik seinen Shylock als „fanatischen Ostjuden“ 218 beschreibt. 219 Gleichwohl wurde von 214 Vgl. hierzu Berkowitz 2002, 173-183. 215 Vgl. Berkowitz 2002, 187. 216 Anonymus 1919. Vgl. hierzu auch psi 1919; RB 1919; Bur 1925. 217 Bab 1925. 218 RB 1919. 219 Ihering ist der einzige Kritiker, der bei Granach gerade jenes authentische Moment vermisst: „Es ist seltsam, hier wie oft bei ihm, liegen Ursprünglichkeit und theatrale Routine in ständigem Widerstreit. Granach hat manchmal eine singende Melodie, die den Eindruck von menschlicher Weite und Rasselandschaft hervorrufen. Aber diese gewachsene Melodie strömt nicht in die Rolle ein, gibt nicht den Unterton, wird nicht fruchtbar für die Gestaltung: Granach tut an äußeren Theatereffekten soviel hinzu, daß seine ursprüngliche Melodie […] gänzlich verschüttet wird. Wenn dieser Shylock manchmal vor sich hinzudämmern scheint, wird Steppe und Ferne und ahasverisches 178 vielen Kritikern eine deutliche Verschiebung im Vergleich zu Schildkraut bemerkt: Erschien dieser als väterliche Figur mit behäbigen Bewegungen, wirkte Granachs Shylock energetischer, sowohl in seinen Bewegungen wie in seiner Emotionalität. Die Legitimation dieses ‚Kaufmann von Venedig’: ein wirklicher Shylock gibt ihm seine Kraft. Der Shylock von Granach ist echt. Nicht der stammväterliche von Schildkraut. Ein kleiner, kranker, erschöpfter Shylock. Aber ein brennender, hasszerfressener, und ein gellender. Ein unheimlicher Paria. Ein dunkler Shylock mit hebräischen Liturgien. 220 Das Merkmal des Unheimlichen findet sich auch in anderen Kritiken wieder, durch das die Wut dieses Shylock eher als eine Raserei denn als eine nachvollziehbare Reaktion beschrieben wird. 221 Gleichzeitig erscheint Granach als metaphorische Gestalt des Judentums, als eine symbolische „Ghettogestalt“ 222 , deren Wut für das Schicksal des jüdischen Volkes steht: „Granachs Shylock entfaltet sich zu der Verdichtung gemarterten Judentums, das unter dem Hohn und der Grausamkeit von Shakespeares Welt und Nachwelt zu leiden hatte.“ 223 In seinem autobiographischen Roman „Da geht ein Mensch“ (1945) beschreibt Granach ausführlich, wie sehr Shylock für ihn selbst zu einer entscheidenden Rolle, einer „Sehnsuchtsrolle“ 224 , wurde. 225 Bezeichnenderweise ist es die Lektüre von Franzos’ „Pojaz“, die zum Schlüsselerlebnis wird und ihn zu einer Lektüre des „Kaufmann von Venedig“ animiert: Ich wälzte mich in Tränen, bejammerte und beklagte den Shylock und war verzweifelt. S-h-y-l-o-c-k, sagt das Buch, heißt S-h-a-y-e. Yesejah, mein Name also, ein naher, ein intimer Mensch, Shylock und der Pojaz und ich wurden eins. Nein, waren nur noch ich. Denn nicht nur die reale Erfahrung erlebte ich, alles Gelesene nahm ich als persönliche Erfahrung, als persönliches Erlebnis. 226 Die Begegnung mit Shylock und dem Pojaz, die zu einer Überblendung mit Alexander Granach führt, konstituiert eigentlich erst den Erzähler des autobiographischen Romans und begründet das enge Verhältnis des Schauspielers Granach zu dieser Rolle. Sie ermöglicht auch die visionäre Fortsetzung des Schicksals von Shylock, mit der der Roman endet: Shylock entflieht der Zwangstaufe nach Osteuropa und wendet sich in seiner Not an einen Rabbi, um Rat zu erhalten. Dieser empfiehlt ihm nochmals zu heiraten und Kinder zu bekommen. So wird Shylock schließlich zum Ahnherrn Granachs eigener Menschentum lebendig.“; Ihering 1925. Es ist bemerkenswert, wie auch Ihering Granach auf eine bestimmte Form der Darstellung reduziert und ihm die Fähigkeit zur Wandelbarkeit, die Ihering bei einem Schauspieler, wie Werner Krauß, hervorhebt, nachgerade abspricht. 220 P.W. 1925. 221 Vgl. bspw. Servaes 1925. 222 Servaes 1925. 223 Knopf 1925. 224 Granach 1957, 369. 225 Vgl. zu dieser Autobiographie Klanska 2003. 226 Granach 2003, 200. 179 Vorfahren, die wieder nach Westen ziehen, um auf dem Theater Shakespeares Stück zu spielen. Dieses aber wird für Granach zum Ausgangspunkt einer utopischen Vision: Und man muß ihn noch so lange spielen, bis einmal alle künstlichen Unterschiede von uns abfallen und der Mensch seinen Mitmenschen als Bruder erkennt und seinen Nächsten liebt wie sich selbst und ihm nichts antut, was er selber nicht erleiden möchte. 227 In der literarischen Selbstinszenierung schließt sich das genealogische Modell, das Berger in umgekehrter Folge entworfen hatte - Shylock wird zum Urvater einer nicht-assimilierten (ost-) jüdischen Identität, die in einer idealistisch-humanistischen Welt ihren Platz findet. Insofern stellt sich aus dieser Perspektive die Bühnenfigur des Shylock nicht allein als eine individuelle künstlerische Aufgabe dar, sondern vielmehr als eine moralische Verpflichtung und ein Versuch, durch die Re-Inszenierung seiner Geschichte die Vision einer humaneren Gesellschaft aufrecht zu erhalten. - Das Beklemmende an Granachs Vision ist, dass sie 1945 geschrieben wurde, zu einem historischen Zeitpunkt also, an dem die ostjüdische Gemeinschaft durch die Shoah ermordet und zerstört war und die Vision einer humaneren, toleranten Gesellschaft in einem unüberbrückbaren Gegensatz zur unmittelbaren historischen Erfahrung stand. 227 Granach 1957, 369. 180 Werner Krauß und die Judenmaske 228 : Nathan, Shylock, „Jud Süß“ Im Maskenrausch entdeckte Werner Krauß die stets neuen Gewänder seiner Seele, die, als kühnste Verwandlung eines Temperaments, plötzlich von ihm aufgenommen und ebenso plötzlich abgelegt wurden, um das neue Kostüm einer Stimmung zu tragen. Alfred Mühr 229 Eine jüdische Rolle, unter Reinhardt und Jessner in der Weimarer Republik gespielt, war etwas anderes als eine jüdische Rolle, unter Hitler gegeben. Erst wenn wir aus dem Fall Werner Krauß und »Jud Süß« allgemeingültige und zu verwendende Lehren ziehen, haben wir das Recht, sein geniales schauspielerisches Werk zu bewahren und weiterzugeben. Herbert Ihering 230 Der Schauspieler Werner Krauß (1884-1959) gehört zu den umstrittensten Akteuren der deutschen Theatergeschichte des 20. Jahrhunderts. Obwohl seine Karriere mit Namen wie Reinhardt und Jessner verbunden ist, ist es seine Tätigkeit zwischen 1933 und 1945 im nationalsozialistischen Deutschland, die die öffentliche Wahrnehmung seiner Persona bestimmt. Gleichzeitig - auch wenn dies vergleichsweise im Dunkeln liegt - kann seine Biographie insofern paradigmatischen Charakter beanspruchen, als die stillschweigende Rehabilitierung nach 1945, wenn auch mit einer kurzen Unterbrechung, durchaus als symptomatisch für die mangelnde Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus betrachtet werden kann. Im Fokus der Kritik steht hierbei besonders seine Mitwirkung in dem 1940 produzierten NS-Film „Jud Süß“ (Regie: Veit Harlan), in dem Krauß alle 228 Den Ausdruck „Judenmaske“ hat Carl Zuckmayer im Hinblick auf Emil Jannings verwandt: „Er selbst, der nicht ‚aussah’, liebte es, Judenmaske zu machen, schwere Augendeckel sinken zu lassen und mit einer bestimmten Kopfneigung jahrtausendealte Tragik, Verfolgung und Schläue darzustellen.“; Zuckmayer 2002, 141. Der Ausdruck wird hier als Referenz auf den US-amerikanischen Begriff Blackface verwandt, mit der die Spielweise im Rahmen der sog. Minstrelshows bezeichnet wurde; vgl. beispielhaft für neuere Untersuchungen Rogin 1998. Katrin Sieg hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es in der deutschen Sprache keinen äquivalenten Begriff für diese Form performativer Praktiken gibt. Während sie sich für den Begriff drag i. S. von Travestie, Transvestie entschieden hat, wird hier bewusst der Ausdruck Judenmaske verwandt, um auf eine spezifische Form der Repräsentation zu verweisen. Vgl. Sieg 2002, 4. 229 Mühr 1928, 93f. 230 Ihering 1997, 86. 181 jüdischen Nebenfiguren verkörperte, sowie sein Shylock, den er 1943 am Wiener Burgtheater spielte und der wegen seiner eindeutig antisemitischen Perspektive als Musterbeispiel nationalsozialistischer Aneignung kanonischer Texte gilt. 231 Herbert Iherings Forderung, dass aus dem „Fall Werner Krauß und »Jud Süß« allgemeingültige und zu verwendende Lehren“ zu ziehen seien, scheint dieser moralischen Frage Rechnung zu tragen. Vor dem Hintergrund der hier verfolgten genealogischen Perspektive soll allerdings ein anderer Weg eingeschlagen werden: Anstatt zwischen Krauß’ Shylock 1943 und 1921 zu unterscheiden, weil der historische Kontext ein grundsätzlich anderer war, sollen im Folgenden eher Kontinuitäten als Brüche im Vordergrund stehen. Kernpunkt der folgenden Überlegungen ist die „Kaufmann von Venedig“-Inszenierung, die Max Reinhardt 1921 für das Große Schauspielhaus produzierte, in der Krauß den Shylock spielte. Diese Inszenierung steht in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit seiner Rollengestaltung in dem Film „Nathan der Weise“ (1922) von Manfred Noa (1893-1930). 232 Krauß’ Affinität zu jüdischen Rollen steht in einem eigentümlichen Kontrast zu der Fama seines offenkundigen Antisemitismus, die von Zeitzeugen kolportiert wird. 233 So wird immer wieder auf das gespannte und ambivalente Verhältnis zu Reinhardt verwiesen. Der Fokus auf der Inszenierung von 1921 gründet nicht nur in dem hier ins Auge gefassten Untersuchungszeitraum, sondern in der Überzeugung, dass Krauß’ Darstellung jüdischer Figuren aus einer Verbindung mit seiner Persona als Schauspieler erwächst und dieser Zusammenhang wiederum in einem signifikanten Wechselverhältnis zu den bislang vorgestellten genealogischen Stationen steht. Als Quelle für die Beschreibung von Krauß’ Schauspieler-Persona können vor allem zwei ausführlichere Darstellungen dienen: die 1928 von Alfred Mühr publizierte Schrift „Die Welt des Schauspielers Werner Krauß“ sowie das von Herbert Ihering 1944 geschriebene (allerdings erst 1997 publizierte) Bändchen „Werner Krauss. Ein Schauspieler und das neunzehnte Jahrhundert“. Beide sehen Krauß als dämonischen Schauspieler, dessen Rollengestaltung in einem eigentümlichen Wechselverhältnis zwischen einer privaten bürgerlichen Existenz und den Bühnenfiguren steht. Ihering spricht von „dieser Doppelseitigkeit seines Wesens, diese Phantasie auf dem Boden einer bürgerlichen Vorstellungswelt und die bürgerliche Korrektheit auf dem Hintergrunde einer dämonischen Einbildungskraft“ 234 . Mühr unterstützt diese Lesart, indem er Krauß selbst zu Wort kommen lässt: Hier steht unser Haus. - Wissen Sie, was das heißt auf eigenem Boden zu leben? Den Spaten anzusetzen, ohne daß mir jemand auf die Schulter klopft und vorschreibt, wie ich ihn anzusetzen habe, wie ich die Erde zu schaufeln habe? - Dann 231 Vgl. zu dieser Inszenierung einführend Sulzenbacher 1995, 126-128. 232 Vgl. zu diesem Film und seinen Bedingungen Loiperdinger 1982 sowie Drößler 2004. 233 Vgl. bspw. Zuckmayer 2002, 150, der Krauß als Antisemit, aber „nicht im politischen, höchstens in einem nebelhaft-unklaren, gefühlsmäßigen Sinn“ beschreibt. 234 Ihering 1997, 51. 182 haben wir das Haus in Österreich. Bin ich nicht mehr Schauspieler, dann ziehe ich nach Österreich - lebe mit Landleuten - werde Bauer. 235 Die Fantasie einer pastoralen Idylle als Gegenentwurf zum Schauspieler Krauß sowie die Beschwörung des „eigenen Bodens“ als Bedingung des persönlichen Lebensentwurfs erscheinen als spiegelbildliche Verkehrung des traditionellen bürgerlichen Lebenswegs, der vom Land in die Stadt und ihre Kultur führte, 236 und sie lassen die Persona Krauß in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis zu seinen Rollen stehen. Insofern korrespondiert die Berufung auf eine authentische, autochthone Identität mit dem Bild der Maske, das für seine Darstellungsweise verwandt wird. Die beiden Metaphern entfalten ein Wechselverhältnis: Je authentischer und erdgebundener die ‚wahre’ Identität der Persona Krauß erscheint, umso mehr kann sie sich fremde Masken aneignen, ohne in ihrem Gleichgewicht gestört zu werden. Mühr entwirft hier nachgerade einen metaphysischen Kreislauf der Identität, in dessen Mittelpunkt Krauß steht: Bei der Aufnahme und dem Wechsel der Masken wird Werner Krauß vom Kreislauf einer Seelenwanderung eingeschlossen. Es ist das Martyrium jeder Berufung zum Theater. Es ist Fluch und Segen: sich selbst zu vertreiben, um in Doppelgängergestalt wieder zu sich selbst zurückzukehren. […] Überall, in jeder Maske, in der Gebärde, im einzelnen Wort lebt ein Teil seines Ichs und formt sich auf der Oberfläche des schauspielerischen Charakters als Gesicht einer Rolle, als Mensch von Körper und Maske, Schein und Sein. 237 Werner Krauß und seine ‚wahre’ Identität selbst - so suggeriert Mühr - aber werden von dieser Dynamik nur äußerlich berührt: Später flieht aus der Verlassenheit des Theaters ein Mensch in die aufsteigende Nacht. Einsam, in sich gekehrt, allein mit seinem Reichtum, seiner Phantasie, seinem Lachen und seiner Sehnsucht wandert der Schauspieler in die Heimat seines Menschtums. 238 Die Äußerlichkeit, die Mühr als Zentrum der schauspielerischen Tätigkeit Krauß’ beschreibt, lässt sich wiederum verknüpfen mit Iherings Charakterisierung von Krauß als optischem Schauspieler, der zunächst und unmittelbar durch seine visuelle Erscheinung wirke. 239 In welchem Verhältnis aber steht dies zu seiner Verkörperung jüdischer Rollenfiguren? Zunächst einmal eröffnet Mührs Analyse einen Spielraum, der sich gerade für die Darstellung ‚fremder’ Figuren eignet. Sie werden nicht durch die ‚Authentizität’ des Spielers autorisiert, sondern erscheinen vielmehr als Masken, die zwar im Spiel zum Teil des Spielers werden, ihn aber gleich- 235 Mühr 1928, 14. 236 In diesen Rahmen gehört auch, dass sowohl Mühr als auch Ihering eine Begebenheit kolportieren, derzufolge Krauß eines Abends nach einer Vorstellung Berlin ohne Vorankündigung verlassen habe, um in irgendeinem kleinen Dorf zu wandern und unter „Landleuten“ zu sein: vgl. etwa Mühr 1928, 15-17. 237 Mühr 1928, 24. 238 Mühr 1928, 95. 239 Vgl. Ihering 1997, 55. 183 zeitig in seinem ‚Wesen’ nicht affizieren. Krauß appropriiert sich das ‚Andere’, verwandelt es sich an, verleiht ihm mit seinem Körper Ausdruck, um es dann umso nachhaltiger wieder von sich zu trennen. Während die Bühnenfigur am Ende der Vorstellung als Schein entlarvt wird, kehrt der Schauspieler Krauß „in die Heimat seines Menschtums“ zurück. Gleichzeitig aber - und hier scheint sich ein Widerspruch aufzutun - beschreibt Mühr die Masken als Teil des Krauß’schen Ich. Dieser scheinbare Widerspruch zwischen der Äußerlichkeit der Rolle und dem inneren Zusammenhang wird durch ein weiteres Zitat erhellt: „Er ist der Schauspieler der Imagination, der Künstler des hellseherischen Gefühls, deshalb gestaltet er Masken der Natur und des Lebens.“ 240 Die Rollen haben insofern Anteil am ‚Wesen’ des Schauspielers, als er zum Medium der Imagination bzw. des Imaginären wird. Er ‚leiht’ ihnen seinen eigenen Körper und da sie auch als negative Gestalten Teil des kollektiv Imaginären sind, verleiht der Schauspieler Krauß ihnen Ausdruck. 241 Dieser Ausdruck ist nur eine „Maske der Natur“, eine Maske, deren Züge die Perspektive der kollektiven Imagination widerspiegeln. Insofern mag Krauß kein ausgesprochener Heldenschauspieler gewesen sein, dessen Darstellung per se ein affirmatives Angebot an sein Publikum war, aber die „dämonische Natur seiner körperlichen Beredsamkeit“ 242 war die Prädisposition, um dennoch als Schauspieler Repräsentant der kollektiven Imagination werden zu können. Im Zusammenhang mit der Betonung seiner ‚eigentlich’ bürgerlichen, ja autochthonen Existenz ergibt sich hier ein bemerkenswertes Spannungsverhältnis; Krauß verleiht der Imagination Ausdruck, entweder indem er positive, affirmative Figuren gestaltet oder indem er das aus dem Kollektiven ausgeschlossene, das ‚Andere’, in Szene setzt. Die persönliche und immer wieder betonte Verankerung im Kern der Majoritätsgesellschaft garantiert zugleich, dass diese Gestalten sich nicht allein in einem Kunstraum entfalten, sondern vielmehr per Intuition Anteil an der Politik der kollektiven Identität haben. Diese Rückbindung sichert die kulturelle Funktion der schauspielerischen Leistung und bewahrt Krauß vor jenem Identitätsverlust, der etwa Dawison attestiert wurde. Die Dämonie des Schauspielers ist hier eben nicht pathologisch, weil sie ihren Grund in einer als unverrückbar beschriebenen Identität im Mainstream hat. Mührs und Iherings Argumentation ist insofern von besonderem Interesse, als sie in einem spiegelbildlichen Kontrast zu jener Begründung steht, 240 Mühr 1928, 47. 241 Mühr differenziert an anderer Stelle deutlicher zwischen der ‚privaten’ Persona von Krauß und seinen Rollen, indem er auf die Differenz zwischen dem ‚Sprecher’ Krauß und dem ‚Bühnenschauspieler’ Krauß verweist: „Schützt sich Krauß auf dem Theater vor der ständigen Preisgabe seines Menschentums durch Masken, verbirgt sich die private Natur vor der öffentlichen, künstlerischen, stilistisch ausgewählten, zaubert die Maske die Illusion einer neuen Wirklichkeit, so klingt die Sprache des Vortragenden in unmittelbarer Natur.“; Mühr 1928, 50. 242 Mühr 1928, 10. 184 mit der Sonnenthal oder Schildkraut beschrieben wurden. War Sonnenthal ein begnadeter Nathan, weil seine Charaktereigenschaften mit jenen der Rollenfigur zusammenzufallen schienen, bürgte Schildkrauts Persona für eine adäquate, weil ‚authentische’ Darstellung des Shylock. Krauß steht auch nicht in der Tradition der großen Virtuosen in der Nachfolge Possarts. Stattdessen wird er zum Grenzgänger stilisiert, der in die ‚Grenzbereiche’ des Mainstream deswegen vorstoßen kann, weil er Teil des Mainstreams ist. Die Argumentation mit der Entwicklung des Zentralbegriffs der Maske mündet letztlich in der apologetischen Argumentation, die Krauß nach dem Zweiten Weltkrieg selbst vertrat, nämlich dass er lediglich als Schauspieler, nie aber als politischer Funktionär gewirkt habe. Nach dieser allgemeinen Charakteristik des Krauß’schen Schauspielstils soll im Folgenden anhand der Rezensionen der „Kaufmann von Venedig“- Inszenierung von 1921 untersucht werden, wie sich dieser Diskurs auf seine Rollengestaltung bzw. deren Wahrnehmung auswirkte. Hierbei gilt es zunächst einmal festzuhalten, dass das Große Schauspielhaus, der von Poelzig umgebaute Zirkus Schumann, sich nach seiner Fertigstellung 1919 als ein ausgesprochen schwieriger Theaterraum erwies, weil er aufgrund seiner Größe und seiner akustischen Beschaffenheit eine besondere Kraftanstrengung der Darsteller verlangte, die viele der an die Kammerspiele gewöhnten Reinhardt-Schauspieler ablehnten. Krauß war einer der wenigen, der diese Schwierigkeiten nicht hatte. Die Größe des Raumes verursachte eine Verschiebung der semiotischen Bedingungen: Nicht nur in stimmlicher, auch in gestischer und mimischer Hinsicht verlangte der Raum nach deutlichen und erkennbaren Zeichen. Diese Bedingungen schienen Krauß deutlich entgegenzukommen: „Gewiß, auch Werner Krauß spielt gerne Originale. Auch er versieht sie mit auffallenden Kennzeichen.“ 243 Reinhardt musste seine Regiekonzeption umstellen: Während seine vorherigen „Kaufmann“-Inszenierungen Venedig als pittoresken Ort in Szene setzten, verschob sich der Akzent nun deutlich: Man gedachte des schmalen, drangvoll engen Venedig von anno dazumal, während die neue Lagunenstadt nun sämtliche erreichbaren Dimensionen in sich verschlang und die ungleichen Höhenlagen selbstverständlich auch durch Stufenwerk beschönigte. Es war ein Sportübungsterrain für den jungen und den alten Gobbo […]. Die unterste Bühne, die eigentliche Arena, diesmal fürsorglich abgegrenzt, war auf den Shylock des Werner Krauß abgestimmt. 244 An dieser kurzen Beschreibung wird erkennbar, wie sehr Reinhardt sein Raumkonzept, das 1905 ganz auf die spezifische Dynamik der Bewegung durch die Drehbühne ausgerichtet war, den neuen, größeren räumlichen Gegebenheiten anpasste. Von der dekorativen Opulenz und visuellen Pracht des Orlik’schen Bühnenbilds scheint sich hier nichts mehr erhalten zu haben. 243 Ihering 1997, 44. 244 Faktor 1921. 185 Krauß’ Shylock stand bereits in seiner äußeren Erscheinung in einem deutlichen Gegensatz zu jenem Schildkrauts: Krauß spielte ihn als einen jüngeren Mann mit einer roten Perücke und rotem Bart. Heilborn beschreibt ihn wie folgt: Das Gesicht breit und brutal; ein paar rotblonde Löckchen fallen aus dieser schwarzen Kappe, die den Hinterkopf bedeckt, in die Stirn und lassen die braunen Augen dunkler erscheinen; die Gestalt wuchtig und stark; der Typus des polnisch-jüdischen Schlächters, wie ihn in Warschauer Gassen gesehen hat. Und der Mann wächst an seiner eigenen Rache ins Molochhafte hinauf. 245 Die rothaarige Perücke, auf die die meisten Rezensionen rekurrieren, 246 kann als eine Rückkehr zu einer Bühnentradition verstanden werden, die erst 1814 durch Kean beendet wurde. Kean war der erste bekannte Schauspieler, der Shylock nicht mit einer roten Perücke spielte. 247 Dies ist aber nicht nur eine theaterhistorische Marginalie - vielmehr kehrt Krauß damit zu einem Stilmittel zurück, das Shylock deutlich als fremde bzw. dämonische Figur zeichnet. Gleichzeitig stellte Krauß’ Kostüm eine deutliche Referenz auf die Lebensgewohnheiten des osteuropäischen Shtetls her. 248 Hier eröffnete sich eine weitere Differenz zu Schildkraut bzw. Granach, denn bei jenen wurzelte die Assoziation zum Ostjudentum nur in der (visuell nicht präsenten) Persona der Schauspieler. Krauß aber nutzte äußerliche Zeichen, um diese Assoziation hervorzurufen. Damit verortete er seine Figur in der kollektiven Imagination des Publikums, für das diese Zeichen als Teile ihrer Lebenswelt erkennbar waren. 249 Schildkraut setzte ein komplexes Wechselspiel von optischem Orientalismus und der mit seiner Persona verknüpften Referenz zur ostjüdischer Lebensweise und Kultur in Gang. Krauß wiederum band die Figur an die Gegenwart der Zuschauer und aktualisierte damit die Fabel: Seine Maske Shylock wurde zu einer Maske der unmittelbaren Erfahrungswelt des Publikums. Krauß’ Spielweise führte auch zu einer dramaturgischen Verschiebung: Schildkrauts Shylock war ein Störfaktor in der Komödienkonstruktion, nicht indem er die Figur ins Heroische oder Pathetische hob, sondern indem letztlich menschliche Züge erkennbar wurden. Krauß’ Shylock führt nicht zu einer solchen Doppelbödigkeit. Im Gegenteil, er überführt die Figur in eine Eindeutigkeit, die sich schon in den Attribuierungen der Rezensenten 245 Heilborn 1921. 246 Vgl. Faktor 1921; Jacobs 1921; H.S. 1921; Kerr 1921. 247 Vgl. hierzu Lelyveld 1961, 7ff. sowie 41f., der darauf verweist, dass die rote Perücke ihren Ursprung vermutlich in den dämonischen Figuren der mittelalterlichen Geistlichen Spiele hat. 248 Hannes Sulzenbacher verweist darauf, dass diese Referenz in den Wiener Inszenierungen mit Carl La Roche und Josef Lewinsky durchaus seit 1848 üblich war. Vgl. Sulzenbacher 1995, 124f. Für die hier aufgezeigte genealogische Linie, die sich allerdings vornehmlich auf den deutschsprachigen Raum stützt, lassen sich keine weiteren prominenten Beispiele für diese Kostümierung finden. 249 Vgl. zum Diskurs über das sog. Ostjudentum Aschheim 1982. 186 niederschlägt: „Werner Krauß spielt ihn auf der Höhe seiner Kunst als einen Juden, der Pogrome entfesselt, als einen bösartigen Clown, wie ihn Shakespeares Zeit sah.“ 250 Ihering beschreibt ihn mit vergleichbaren Vokabeln: Krauß fegte mit schwankenden, taumelnden Schritten in die Arena, ein böser, gefährlicher Clown, ein spukhaft komischer Ahasver. Er stolperte, stürzte hin und wälzte sich auf dem Boden. Er trat und wurde getreten. Er keifte und trompetete. Dieser rote, häßliche, Witze reißende Teufel, ein gespenstisch verzerrter Nachtmar, war ausgespien aus der Hölle des Mittelalters. Eine schauerliche Vision. Ein nächtiger Schreck. 251 Die Bezeichnung ‚Clown’, die sich in beiden Rezensionen findet, verweist darauf, dass Krauß’ Shylock weniger als psychische Entität mit wahrnehmbaren (oder gar nachvollziehbaren) Motivationen angelegt war, denn als mechanische, karikierende Gestalt von grotesken Ausmaßen und Umrissen, die vornehmlich als Kontrast zu der Welt des vornehmen Venedig fungierte. Iherings Referenz auf Ahasver und das Mittelalter sind keineswegs nur literarische Verweise, sie heben ein konstitutives Moment dieser Rollengestaltung hervor: Ahasver, die mythische Imagination des von Gott verurteilten und verworfenen Juden, ist ebenso eine Kontrastfigur wie die Juden der mittelalterlichen Passionspiele, die lediglich als Schablonen für die Heilsgeschichte dienten. 252 Die von den Kritiken immer wieder erwähnte Gewalt gegen Shylock - das Treten und Schlagen 253 - dokumentierten im Kontext der Komödie den Status der Figur als einen nicht-menschlichen. Der groteske Körper des Clowns ist nicht verletzlich oder schmerzempfindlich - Shylock wird zur Figur eines boshaften Slapstick-Vergnügens. Damit steht Krauß’ Darstellung außerhalb der genealogischen Linien, wie viele Kritiken feststellen: „Werner Krauß ist […] durch eine Welt von jenen Darstellern geschieden, die den Wucherer von Venedig die Patriarchenluft des weisen Nathan atmen lassen.“ 254 Kerr wiederum grenzt Krauß explizit gegen Schildkraut ab: Doch wenig gibt er vom Schmerz - der um die Gestalt bei Shakespeare wittert, vor seinen Zuschauern einst nicht wittern durfte, heut wittern muß. Shylocks Umriß ist bei Krauß am größten; Shylock selbst am größten bei Schildkraut. (Schildkraut schuf Erinnerungen für ein Dasein. Fern von allem Wehleidigen. Er 250 Jacobs 1921; Herv. PWM. 251 Ihering 1997, 60. 252 Vgl. hierzu auch Bremer 1986 sowie - mit entsprechender historisch-kritischer Würdigung - Holdschmidt 1935. 253 Kerr schreibt hierzu mit Blick auf den Zirkus: „Die Brutalität steigert man im Zirkus durch Fußstöße, durch Bauchtritte für den Vereinzelten, - das Gebell der Hepp-hepp- Hunde hallt sonnig durch den Rundbau.“; Kerr 1921. 254 Jacobs 1921. Jacobs diskutiert in diesem Zusammenhang, ob Krauß’ Shylock überhaupt eine jüdische Figur sei und beschreibt sie eher über soziale Merkmale („Plebejer“); Jacobs ist einer der wenigen Kritiker, der anführt, dass auch Krauß Mitgefühl am Ende des Dramas erweckt habe. 187 gab die Shakespearegestalt, nicht die Publikumsgestalt. Das innen Gesehene - nicht das außen Gelieferte.) 255 Kerrs Argumentation ist bemerkenswert, weil sie zum einen Krauß in der Genealogie verortet, zum anderen weil sie eine Denkfigur anführt, die zwischen dem Text und seiner Inszenierung unterscheidet. Schildkrauts Darstellung hebt die Figur hervor und schafft damit eine Lesart, die im Text zwar enthalten ist - hier wird Shakespeares Talent als größer denn der Zeitgeist beschrieben -, die aber erst durch den individuellen Schauspieler („das innen Gesehene“) entfaltet werden kann. Umgekehrt erscheint wiederum Krauß’ Leistung dem Text und dem ihm eingelagerten Zeitgeist gegenüber adäquat, der in dem Stück eine Komödie (Überwindung des ‚Anderen’/ Juden durch die erfolgreichen Venezianer) sieht und nicht die Tragödie Shylocks (erfolgloses Aufbegehren und dadurch Zerstörung minoritärer Existenz durch die Mutwilligkeit der Majorität). Damit weist das Argument über die rein theaterhistorische Referenz deutlich hinaus: Krauß’ Lesart muss in diesem Licht als reine Äußerlichkeit erscheinen, als eine Leistung, die dem Kanon nur in einem oberflächlichen Sinne gerecht wird, letztlich aber unfähig ist, die Gegenwart der Zuschauer angemessen zu erkennen. Iherings Charakterisierung von Krauß als „optischem Schauspieler“ gewinnt in diesem Kontext eine weitere Dimension: Die Abkehr von einer so prominenten genealogischen Linie muss ebenso als eine Markierung gelesen werden wie als Zeichen des Anknüpfens an eine solche Linie. Krauß’ Darstellung ist eine bewusste und explizite Verweigerung einer Lesart, an deren Stelle sie die eindeutige, karikierende Figur des „Nachtmars“ setzt. Die vermeintlich ‚ursprüngliche’, weil an Shakespeare’sche Konventionen anknüpfende Interpretation trägt 1921 auch eine deutliche politische Dimension, selbst wenn diese hinter der Dynamik des Lustspiels verborgen geblieben sein mag. Sie markiert eine Politik der Identität, die jüdische Identität als appropriierbar für die Majoritätskultur ausstellt. Shylock als reine Kontrastfigur, reduziert auf die Umrisse eines ‚Alptraums’, des bedrohlichen ‚Anderen’, dessen Überwindung die Normidentität bestärkt, verweigert die Anerkenntnis der Eigenständigkeit und Berechtigung der ‚anderen’ Identität. Durch sein Kostüm identifiziert Krauß dieses ‚Andere’ als (ost-) jüdische Identität, die dem Publikum aus der eigenen Lebenswelt unmittelbar gegenwärtig war. Dadurch wurde sein Shylock zu einer Aussage über die konkrete Verfasstheit der deutschen Gesellschaft 1921. Emil Faktor thematisiert diese Aktualität: 255 Kerr 1921. 188 Als sich nach den ersten Szenen des Shylock von gewisser Seite demonstrativer Beifall meldete, mochte man darüber nachdenken, ob das Stück in heutiger Zeit der Rassenhetze gut gewählt war. 256 Augenscheinlich hatte Max Reinhardt als Regisseur diese Verschiebungen unterschätzt und sich zu sehr auf seine bereits (mit Schildkraut und Bassermann) erprobte Grundkonzeption verlassen. Kerr bemängelt denn auch: „Hier war doch der Weg für eine Neuerung - die Reinhardt sich entgehen ließ.“ 257 Es ist bezeichnend für Reinhardts Selbst- und Theaterverständnis, dass er sich einer Politisierung des Theaters oder wenigstens eines politischen Bewusstseins, wie es für die Zeit der Weimarer Republik typisch war, verschloss. Sein „Kaufmann von Venedig“ belegt so, dass eine solche Konzeption von Theater, die sich primär einem ästhetischen Konzept verpflichtete, abweichenden und eventuell in ihrer aktuellen Form unerwünschten Lesarten nichts entgegenzusetzen vermochte. Für den Schauspieler Werner Krauß zeichnet sich hier eine konstitutive Konstellation ab: Diese besteht in der Trennung zwischen Persona und Rollenfigur, die diskursiv ‚sicherstellt’, dass der Schauspieler durch die Darstellung des Fremden nicht in seiner Mainstream-Identität affiziert wird, während die Distanz zwischen Rolle und Persona durch den Verweis auf den genialischen Dämon des Schauspielers überdeckt wird. Die Darstellung des ‚Anderen’ kann als performative Appropriation verstanden werden, für die das ‚Fremde’ wie eine Maske vom Schauspieler angeeignet und genutzt werden kann. Damit wird die jüdische Rollenfigur vollends zu einem Objekt der Majoritätskultur, der sich der Schauspieler selbst verpflichtet. Die ‚Judenmaske’ wird zu einer Strategie, ethnische Differenz zu artikulieren, um gleichzeitig - durch den performativen Akt selbst - das Machtverhältnis zwischen Majorität und Minorität festzuschreiben. Katrin Sieg hat in ihrer Studie „Ethnic Drag. Performing Race, Nation, Sexuality in West Germany” (2002) den Begriff des ethnic drag, des ‚ethnischen Transvestiten’, eingeführt, um solche Phänomene zu beschreiben: Ethnic drag includes not only cross-racial casting on the stage, but more generally, the performance of ‚race’ as masquerade. […] As a crossing of racial lines in performance, ethnic drag simultaneously erases and redraws boundaries posturing as ancient and immutable. 258 Schon die Konstruktion der Künstler-Persona Werner Krauß, wie sie vorstehend paradigmatisch mit Ihering und Mühr nachgezeichnet wurde, stützt diesen Begriff. Krauß wird als Grenzgänger dargestellt, der (ausgehend von der festen Basis seiner autochthonen Identität) in die Grenzbereiche gesellschaftlichen Lebens vordringt. Diese Darstellung als performativer Akt 256 Faktor 1921, der auf der anderen Seite ein Gelingen der Inszenierung durch das „Genie des Werner Krauß“ attestiert, weil dieser die Figur über „billige Agitationsmöglichkeiten“ erhoben habe. 257 Kerr 1921. 258 Sieg 2002, 2. 189 unterstreicht die theoretische Durchlässigkeit, gleichzeitig stellt sie die Differenz ins Zentrum. Die Repräsentationsstrategie ‚Judenmaske’ ist von einer Ambivalenz geprägt, die gerade für populärkulturelle Darstellungen des ‚Anderen’ im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert typisch ist, wie etwa neuere Studien zu den US-amerikanischen Minstrelshows zeigen. 259 Diese Unterhaltungsformen agieren in einer Mischung aus Faszination am ‚Anderen’, auf das geheime bzw. unterdrückte eigene Sehnsüchte projiziert werden, und einem Festschreiben der eigenen Überlegenheit. In diesem Sinne verleiht Krauß mit seinem Shylock dem kollektiven ‚Nachtmar’ Ausdruck: Er stellt den Körper des Juden Shylock, der nicht nur in seiner Physis unzivilisiert und ungebändigt erscheint, sondern auch seine Emotionen und Affekte unmittelbar auslebt, vor die Augen des Publikums. Insofern erscheint er als Gegenbild zum zivilisierten Körper des Mainstream-Zuschauers, als ein triebhaftes Wesen, dessen Kreatürlichkeit und Maßlosigkeit fasziniert und gleichzeitig die eigene Überlegenheit manifestiert. Der komödienhafte ‚Sieg’ über Shylock, der durch keinerlei Brüche in der Zeichnung der Figur ins Ambivalente gezogen wird, wird so zu einer Selbstbestätigung des eigenen Zivilisationsprozesses, dessen Erfolg das Publikum ‚genießen’ kann. Auf diese Weise wird Shylock zu einem sozialen Körper: Er übernimmt eine doppelte Stellvertretung, zum einen für die jüdische Minorität - eine Referenz, die durch das Kostüm besonders deutlich hergestellt wird -, zum anderen für den zu überwindenden Status individueller Entwicklung, indem die Affekte das Handeln des Einzelnen bestimmen. Damit wird die ‚Vernichtung’ Shylocks am Ende zu einem Moment des Fortschritts und der Selbstbestätigung des Einzelnen und der Majoritätsgesellschaft - ein Platz für Jüdischsein aber findet sich in diesem Gefüge nicht mehr. Krauß knüpft mit seiner Interpretation nicht an die Genealogie der Bühnenfigur und die Entwicklung ihrer Rollengestaltung in den letzten hundert Jahren an, sondern orientiert sich an einer teilweise älteren Form der Darstellung, die Shylock nur als Schattenriss des Mainstreams begreift. Diese aber, die sich in ästhetischer Hinsicht an Krauß’ Charakterisierung als „optischer Schauspieler“ (Ihering) anschließen lässt, bekommt hier eine programmatische Dimension: Die grob verkürzende Darstellung ist eine Verweigerung jedweder Berechtigung der Eigenständigkeit des ‚Anderen’ und trägt somit einen besonderen politischen Akzent. 260 Dass dies bei Krauß keineswegs eine Ausnahmeerscheinung war, lässt sich an seinen zahlreichen Filmrollen jüdischer Figuren ablesen: Er spielte 1922 den Nathan in „Nathan der Weise“ (Regie: Manfred Noa), 1923 den 259 Vgl. etwa Lott 1991 und 1992 und besonders Rogin 1998. 260 Elmar Buck hingegen sieht in seinem Aufsatz „Außenseiter auf der Bühne - zu den Konditionen des Theaters“ (1992) hierin keine spezifische Strategie, sondern hält den Shylock von 1943 nur aufgrund des veränderten historischen Kontextes für problematisch. Vgl. Buck 1992, 39. Eine solche Argumentation übersieht, dass bereits im semiotischen Verfahren ein Akt der Appropriation angelegt ist. 190 Shylock in „Der Kaufmann von Venedig“ (Regie: Peter Paul Felner) sowie den Professor Nathan in „Das alte Gesetz“ (Regie: E. A. Dupont). Gerade der Nathan-Film von 1922 261 folgt dem Schema visueller Appropriation. Die Fabel des Dramas wurde für den Film in monumentale Bilder umgearbeitet, die sich auf visuelle Opulenz stützten und den sprachlich argumentativen Duktus des Dramas auf emotional fesselnde Bilder reduzierte. 262 Dies ist nicht nur eine dem Medienwechsel geschuldete semiotische Verschiebung, sie löst den Impetus des Dramas auf. War die Bühnengenealogie des „Nathan“ durch den Vorwurf einer zu starken Textlastigkeit geprägt, so verkehrte der Film dies ins Gegenteil. Dadurch wurde notwendigerweise auch die emanzipatorische Botschaft des Textes abgeschwächt - zugunsten einer Bildsprache, die im orientalistischen Dekor schwelgte. 263 In ihrer politischen Tragweite dekuvriert sich diese Strategie in dem Film „Jud Süß“ (1940; Regie: Veit Harlan), in dem Krauß mit Ausnahme der Titelfigur alle jüdischen Rollen spielt. 264 Die Mehrfachbesetzung differenziert sich nur durch karikierende und stereotypisierende Darstellung. 265 Sieg hat dies mit der Tradition der ‚Judenfarce’ in Verbindung gesetzt. 266 I would argue that these aureal signals, which derive from the Jew Farce’s performance conventions, serve as constant reminders of Oppenheimer’s masquerade throughout the 261 Vgl. hierzu Loiperdinger 1982 sowie Drößler 2004. 262 Vgl. hierzu Drößler 2004, 216. 263 Der Film galt lange Zeit als verschollen, wurde 2006 aber vom Münchner Filmmuseum in einer digital restaurierten Fassung auf DVD veröffentlicht. Er steht - jenseits des hier aufgezeigten Kontextes - in einer Reihe mit anderen Versuchen, klassische Stoffe für das Medium Film zu erschließen. 264 In seiner Autobiographie „Das Schauspiel meines Lebens“ (1958) hat Krauß dies noch als subversiven Akt zu legitimieren versucht und beharrt darauf, dass er sich Goebbels Anweisung, die Rollen mit einer angeklebten Nase zu spielen, widersetzt habe. Diese Einlassungen sind weniger erhellend in Bezug auf die Umstände des Films als vielmehr im Hinblick auf die Unreflektiertheit der eigenen künstlerischen Praxis, die Krauß hier ausstellt. Vgl. Krauß 1958, 199-204. 265 Vgl. hierzu Knopp 2004, 63f. sowie 79-82. 266 Vgl. Sieg 2002, 47-53. Abb. 21 und 22: Werner Krauß und seine „Judenmaske“: oben in „Jud Süß“ (1940) und unten als Shylock 1943 am Wiener Burgtheater. 191 film. […] The film appropriates the genre’s plot elements, personnel, and performance conventions and updates them to fit the visual regime of modernity. 267 Siegs Argument verweist zu Recht auf die Tradition karikierender und stereotypisierter Darstellung jüdischer Figuren zu Beginn des 19. Jahrhunderts. 268 Jenseits der historischen Referenz, die sich sicherlich für die meisten Zuschauer nicht erschlossen hat, ist der entscheidende Punkt, dass Krauß diese Konventionen nicht nur hinsichtlich ihrer visuellen Organisation adaptiert, sondern dass dieser Rückgriff in sich bereits alle kulturellen, sozialen und politischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts ausblendet: 1921 geschah dies im Rahmen eines Komödienkonzeptes, das durch Schildkrauts vorhergehende Darstellung gebrochen worden war, 1940 aber steht seine Darstellung im Kontext der Shoah, den sie durch eine solche entmenschlichende Darstellung unterstützt. 269 Krauß’ Rollengestaltung ist in diesem Sinne ein unmittelbarer Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse bzw. eines einseitigen Machtanspruchs, der das ‚Andere’ als beherrschbar und verfügbar imaginiert. 267 Sieg 2002, 50. 268 Vgl. hierzu vor allem Neubauer 1994. 269 Vgl. hierzu Sieg 2002, 48. 192 Fritz Kortner: S hyl oc k (1927) im Angesicht des Antisemitismus Niemals ist dieser Bedränger seinem Opfer so nahe auf den Leib gerückt wie hier. Denn Shylock wetzt sein Messer nicht wie alle Shylocks an der Schuhsohle, er bereitet sich auch umständlich zum Schächten vor. Sein Kaftan wird an den Nagel gehängt, eine zerschlissene Weste kommt zum Vorschein, und Shylock nähert sich, das Messer in der Hand, mit funkelnden Augen dem Kaufmann Antonio. Monty Jacobs 270 Fritz Kortner, der einen vergleichbaren biographischen Weg zurücklegte wie Rudolf Schildkraut und Alexander Granach - auch er stammte aus einem ursprünglich ostjüdischen, religiösen Elternhaus 271 -, spielte mehrfach in seiner Laufbahn den Shylock, niemals aber den Nathan. Aus theaterhistorischer Perspektive ist seine Rolleninterpretation in verschiedener Hinsicht richtungsweisend, denn seine Lesart der Rolle in den 1920er Jahren setzte einen besonderen Akzent im Theater der Weimarer Republik. Sie wirkte auch im Theater der Bundesrepublik fort, für das Kortner als Person sowie als Schauspieler und Regisseur zu einer zentralen Instanz in ästhetischen wie in moralischen Fragen wurde. Sein Shylock wirkte allerdings nur in vermittelter Form weiter, da Kortner sich nach der Shoah weigerte, die Rolle vor einem anwesenden Publikum in Deutschland zu spielen. Kortners Shylock ist so nur in zwei Dokumenten überliefert: 1966 filmte Hans-Jürgen Syberberg (* 1935) Kortners Schallplattenaufnahme von Shylocks Monolog auf der Bühne der Münchner Kammerspiele; 1968 wurde eine Fernsehaufzeichnung des Stückes in der Regie von Otto Schenk (*1930) produziert. 272 Besonders Syberbergs Film ist ein anrührendes Dokument der Theatergeschichte, weil er zeigt, wie der Schauspieler Kortner den Text nicht im Sitzen sprechen kann, sondern auf Bewegungen und Gesten zurückgreift, die vielleicht die Umrisse seiner früheren Rollengestaltung erkennen lassen. Die Bilder - die eigentlich dem Medium Schallplatte fremd sind - verweisen nicht nur auf die frühere Rollenfigur, sondern auch auf ihre Unmöglichkeit nach 1945. Kortners Körper, in privaten Kleidern, um Jahre gealtert und ohne Kostüme oder Maske, dokumentiert die Erinnerungskraft der Gesten und Bewegungen, aber auch, dass es diesen Shylock als Theaterfigur, 270 Jacobs 1967, 827. 271 Zur Biographie Kortners vgl. einführend Völker 1993 bzw. Schütze 1994; eine ausführliche Monographie zu seinen Arbeiten ist bis heute ein Desiderat. 272 Vgl. hierzu ausführlich Sehrt 1973 und Moninger 2001, 234-240. 193 als visuelles Subjekt, dessen Bedingung das Sehen und das Gesehen-Werden ist, nach der Shoah nicht mehr geben kann. So verführerisch es sein mag, auf diese Aufzeichnungen zurückzugreifen, um den Kortner-Shylock zu analysieren, so wenig kann dies ein gangbarer Weg sein, weil er auf der Illusion beruhte, die filmische Dokumentation sei eine ‚Rekonstruktion’. 273 Insofern stützen sich die nachfolgenden Ausführungen vornehmlich auf den Diskurs der Theaterkritik von 1927. Bereits in der äußeren Erscheinung mit Kaftan, Pejes (Schläfenlocken) und Bart verweist Kortners Shylock deutlich auf zeitgenössische Zeichen (ost-) jüdischer, religiöser Lebensweise sowie auf den sozialen Status der Figur, der sich an seiner teilweise abgenutzten Kleidung erkennen lässt. 274 Die Kritiker bestätigen die ‚Authentizität’ der Figur: „Diesen Shylock Kortners, wie er sich kleidet, wie er sich gibt, trifft man heutigen Tages in der Dragonerstraße in Berlin.“ 275 Die äußere Gestaltung der Figur hat aber im Falle Kortners eine gänzlich andere Bedeutung als die Aktualität in Krauß’ Kostüm 1921. Als Kortner 1927 die Rolle in der Inszenierung von Jürgen Fehling (1885-1968) übernahm, war er einer der bekanntesten Schauspieler der Weimarer Republik und ebendiese Bekanntheit machte ihn zu einer besonders prominenten Zielscheibe für Angriffe von nationalistischen und antisemitischen Gruppen. 276 Seit seinem ersten Auftreten am Preußischen Staatstheater als Gessler wurde Kortner, gemeinsam mit Leopold Jessner, zum Inbegriff jüdischer Teilhabe an den Bemühungen um eine neue, republikanische Kultur. Antisemitische und antidemokratische Vorbehalte wurden gleichermaßen auf seine Persona projiziert - die unmittelbar der „Kaufmann“-Produktion vorausgehende „Hamlet“-Produktion (1926) in der Regie von Jessner hatte erst wieder gezeigt, wie sehr Kortner politische Kräfte polarisierte. 277 Obwohl sein Shylock von vielen Kritikern mit dem Schildkrauts verglichen wurde, 278 kann nicht übersehen werden, dass für Kortner die Ausgangslage seiner Rollengestaltung eine grundsätzlich andere war. Während Schildkraut seine osteuropäische Herkunft gezielt einsetzte und sie zum Ausgangspunkt eines spezifischen ‚Mythos’ wurde, betonte Kortner seine biographischen Wurzeln nicht übermäßig. Im Gegenteil, ausgehend von der Annahme seines Pseudonyms, über seine Rollen bis hin zu seiner öffentlichen Persona zeigte Kortner eine akkulturierte Identität. Der Kritiker Stefan Großmann formuliert diesen Zusammenhang folgendermaßen: „Freilich, 273 Sehrt verweist auf die Parallelen, weist aber auch auf die Unterschiede hin; vgl. Sehrt 1973, 78f. 274 Goldmann rügt dies ausdrücklich als Übertreibung: „Übertreibung ist es auch, wenn Shylock […] sich den Kaftan […] auszieht, und wenn er dann die ganze [Gerichts] Szene in einer zerrissenen und verschmutzten Weste spielt.“; Goldmann 1927. 275 E.H. 1927. 276 Kortner selbst hat seinen Shylock durchaus als eine Antwort auf diese Angriffe verstanden und eingesetzt, wie die Auseinandersetzung mit Harlan 1929 belegt. Vgl. hierzu auch Brand 1981, 263ff. sowie Marx 2007. 277 Vgl. Marx 2005a. 278 Vgl. etwa M.L. 1929; Knopf 1929; P.W. 1929; Jacobs 1967. 194 Kortner ist ein Kulturjude, deshalb kommt er dem Shylock nur durch Reflexion nahe, während Schildkrauts strömendes Naturjudentum die Gestalt spielend zeugte.“ 279 Jenseits der fragwürdigen essentialistischen Implikationen, die die Begriffe „Kulturjude“ und „Naturjudentum“ in sich bergen, verweisen sie darauf, dass Kortner als öffentliche Persona zwar von antisemitischen Kreisen als „Jude“ identifiziert wurde, er selbst diesen Zusammenhang aber nicht bewusst herstellte - auch wenn er seine jüdische Herkunft nie leugnete. 1927 trifft sein Shylock auf eine öffentliche Wahrnehmung, die diese Identifikation in bewusstem Gegensatz zu seiner individuellen Lebenspraxis und als Moment der Verweigerung gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe vornimmt. 280 Schildkraut spielte mit seiner Biographie, machte sie zum aktiven Bestandteil seiner öffentlichen Wirkung - bei Kortner sind vergleichbare Ansätze nicht erkennbar und nicht bekannt. In seiner Autobiographie „Aller Tage Abend“ ( 1 1959) beschreibt Kortner den Probenprozess mit Fehling, der von der Opposition zwischen Fehling, der „Shylock menschenfreundlicher gestaltet sehen [wollte], als er tatsächlich ist“ 281 , und seiner eigenen Auffassung geprägt war: Wahrscheinlich hatte Fehling die sehr lobenswerte Absicht, dem schon uns umbrandenden Antisemitismus keine Nahrung zu geben. Ich aber brannte darauf, ein Shylock zu sein, der, von der christlichen Umwelt unmenschlich behandelt, in Unmenschlichkeit ausartet. 282 Die Kritiken geben ein Echo dieser Rollenauffassung: „Kortner als Shylock ein Urgeschöpf, in dem sich der Haß von Generationen aufgestaut hat bis zum Bersten […]“ 283 ; „Shakespeares finsteres Untier“ 284 ; „ein gefährliches Raubzeug“ 285 ; „Untier Shylock“ 286 ; „[Shylocks] wilde Häßlichkeit“ 287 ; „Die Dämonie des Hasses, das Austoben eine ungezügelten Rache gegen den christlichen Widersacher findet bei ihm den schaurigsten Ausdruck. Unheimlich sein Äußeres, seine Verschlagenheit, seine gedämpfte Wut, das Schwelen einer unterdrückten Leidenschaft.“ 288 Die Attribute betonen die Hässlichkeit, das Unzivilisierte und Un- Menschliche der Figur. Die innere Dynamik der Inszenierung strebte einem Umschlag in der Gerichtsszene entgegen: Zum einen weil sich Kortner in einer bis dahin nicht 279 Großmann zit. nach Anonymus 1927. 280 In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass Kortner die Rolle des Shylock bereits vor 1927 gespielt hat, in Wien unter Reinhardts Regie (1924) sowie 1923 für „Die Truppe“ in der Regie von Berthold Viertel. Die Fehling-Inszenierung aber war in der öffentlichen Wahrnehmung die wichtigste. 281 Kortner 1991, 378. 282 Kortner 1991, 379. 283 H.W.F. 1927. 284 M.J. 1929. 285 Falk 1927. 286 Rosenthal 1927. 287 Sternaux 1927. 288 Degner 1927. 195 gekannten Konkretheit auf das Schneiden des Fleisches vorbereitete und damit keinen Zweifel daran ließ, dass dieser Shylock bereit war, seine Rache zu vollenden. Zum anderen machte er in seiner Darstellung deutlich, dass die Zwangstaufe keinen Komödienschluss ermöglicht, sondern die Existenz Shylocks vollends zerstört. Am Ende dieser Szene zog sich Kortners Shylock den Tallith über den Kopf - wie es etwa an Yom Kippur üblich ist -, ein Bild, das nicht nur Kortner selbst in seiner Autobiographie hervorhebt, sondern das auch von der Kritik entsprechend gewürdigt wurde: „Als er zusammenbricht, singt er synagogal, verhüllt er sich und bleibt er, das weiße Tuch um den Kopf lange liegen.“ 289 ; „Wenn er am Schlusse sein Haupt bedeckt. Wenn er … nicht schreitet, sondern geschlagen ist. (Aber von wem? ) Gebrüll rings. Er bedeckt sein Haupt. Er war der Mittelpunkt eines ungeheuren Trauerspiels: Endbewußtsein für Zuschauer. Es war ein Trauerspiel um Shylock.“ 290 Kerrs Formel des „Trauerspiels um Shylock“ unterstreicht, dass die Inszenierung von 1927 im Gegensatz zu den Reinhardt-Produktionen mit Schildkraut, Bassermann und Krauß nicht auf eine Komödienkonstruktion aufbaute, die dann durch Shylock getrübt werden konnte oder nicht, sondern dass Kortners Shylock den Fluchtpunkt der Inszenierung bildete. 291 Kortner setzte bei der Gestaltung seiner Rolle auf deutliche Kontraste. Aus ihrer Schonungslosigkeit, die, im Gegensatz zu der Schildkrauts, an keiner Stelle lustig war, entwickelte sich die grundsätzliche Dynamik: Seine Gewalt reflektiert die Gewalt, die ihm widerfährt: 292 „Ein Gedrückter, der wieder drückt, wenn er die Macht dazu bekommt.“ 293 Gleichzeitig aber verhindert diese Zeichnung der Figur, dass sie nur überhöht und so aus sentimentalen Gründen legitimiert wird. In dieser Weise liest Monty Jacobs Shakespeares Text: Er [Fehling] spielt Reinhardt nicht die Komödie des Übermuts, nicht den Karneval von Venedig nach. Aber auch die Tragödie vom Märtyrer Shylock sucht er nicht. […] Ein schwarzer, stinkender Teufel mitten unter den Hellen, Duftenden, so sehen Shakespeares Zeitgenossen den Juden Shylock. Aber Shakespeare selbst sieht nun einmal über seine Engländer hinaus, er ist nicht so brutal, Shylock zu zerstampfen, und nicht so sentimental, ihn zu beweinen. 294 Ebendiese Lesart angemessen umzusetzen, schreibt er Kortner zu: „Kortner hat den Mut, Shakespeares finsteres Ungetier so zu zeigen, wie es die Vene- 289 P.W. 1929. 290 Kerr 1927. 291 Dies wurde von einigen Kritiken (mit deutlich antisemitischen Obertönen) entsprechend negativ vermerkt: „Es kommt dazu, daß Kortner die Rolle zu sentimental spielt und die Folge davon ist, daß weder die Geldgier des jüdischen Wucherers, noch auch sein alle Grenzen und alle Vernunft übersteigender Haß, Eigenschaften auf denen die Komödie basiert, recht zur Wirkung kommen.“; hl. 1927. 292 Köppen beschreibt Kortners Shylock konsequenterweise als einen, der gezwungen ist, in einer ihm fremden Umgebung zu leben; vgl. Köppen 1927. 293 Jacobs 1929a, 234. 294 Jacobs 1967, 827. 196 zianer sehen, und er hat gleichzeitig die Gabe, Shylocks Herz zu zeigen, wie es Shakespeare sah.“ 295 Jacobs erkennt in Kortners Shylock eine doppelte Perspektive, das Ausstellen der Wahrnehmung, die die Figur durch den Majoritätsdiskurs erfährt, und gleichzeitig eine Einsicht in ihre innere Motivation und Verletztheit. In diesem Wechselspiel ist er eine vielschichtige Figur, deren Hass nicht nur aus den Ereignissen der dramaturgischen Abläufe resultiert - etwa in dem Sinne, in dem für Schildkrauts Shylock die Entdeckung der Flucht Jessikas einen entscheidenden Wendepunkt markiert -, sondern eine, deren individuelle Erfahrung paradigmatischen Charakter hat und die bereit ist, ihre Möglichkeit zur Rache zu nutzen: 296 „Die Qual eines unterdrückten und mißhandelten Volkes wimmert, schluchzt, stöhnt, schreit, bäumt sich auf in diesem Shylock, der eine Persönlichkeit ist und Größe ausstrahlt.“ 297 Fehling stützte diese Bedeutung des Shylock als Vertreter seines Volkes dahingehend, dass man nach der Gerichtsverhandlung eine Shylock erwartende Gruppe von Juden sah. Hier wurde kein tragisches Einzelschicksal verhandelt, sondern historische Erfahrung von Ausgrenzung, Verfolgung und Vertreibung vor Augen geführt. Sucht man diese Lesart in die Genealogie einzuordnen, so fallen zunächst die Differenzen auf, die auch von der Kritik benannt wurden: „Er ist nicht weich wie Schildkraut, nicht hart wie Krauß, aber er findet den Weg zu einer Majestät des Schmerzes, zu einer Würde des Hasses, wie kaum ein Shylock vor ihm.“ 298 Während Kortner in der Darstellung der Unerbittlichkeit vielleicht an Krauß erinnerte, so ist der entscheidende Unterschied, dass er Shylock nicht auf die Maske reduziert, sondern im Gegenteil versucht, ihm Komplexität und Widersprüchlichkeiten zu verleihen. Kortners Shylock reagierte unmittelbar auf den Antisemitismus seiner Gegenwart - Authentizität der Darstellung war nicht im ethnographischen Sinne relevant, sondern als Selbstbehauptung jüdischer Identität im Kontext einer Gesellschaft, in der aggressive Exklusionsstrategien zunehmend an Bedeutung gewannen. Hier war Kortner-Shylock authentisch in dem Sinne, dass die Haltung kulturellen Selbstbewusstseins, die die Figur kennzeichnet, mit der Haltung der Person (und Persona) Fritz Kortners zusammenfiel. Die Theater-Zeichen jüdischer Identität waren nicht Belege einer ‚eigentlichen’ Identität, sondern erkennbar äußerliche. So betrachtet thematisiert Kortner- Shylock weniger die Frage von Akkulturation als den Anspruch auf Anerkennung und Akzeptanz kultureller Eigenständigkeit und das Recht zur (gleichberechtigten, fraglosen) Teilhabe. 295 Jacobs 1929b. 296 Ähnlich äußert sich Norbert Falk: „War vorhin sein Schmerz um die treulose Jessika mehr ein Wutals ein Gramschmerz, so ist er jetzt wie ein gefährliches Raubzeug anzuschauen, im brennenden Rachedurst, der so naher Kühlung sich entgegenfreut.“; Falk 1927. 297 P.W. 1929. 298 Jacobs 1967, 829. 197 Indem Kortner sich gegen Fehling durchsetzte und Shylock nicht als tragischen Helden, sondern als widersprüchliche Figur in Szene setzte, reflektierte diese die ihr zugefügte Gewalt und erhob den Anspruch auf Gegenwehr. Shylocks Beharren auf seinem „Schein“ stellt sich in diesem Sinne als ein Akt der Selbstverteidigung dar, nicht als besondere Bösartigkeit oder ein plötzlich übergroßer Schmerz. Abb. 23: Fritz Kortner als Shylock und Elisabeth Bergner als Portia; Preußisches Staatstheater Berlin, 1927. 198 In Kortners Shylock wurde das Wechselspiel von Bühnenfigur und Persona zu einem Kommentar von besonderer Aktualität: Seine jüdische Identität, die in der Öffentlichkeit, gerade auch im Hinblick auf seine ‚assimilierte’ Lebensführung, thematisiert und zum Gegenstand von Angriffen wurde, fiel mit der Bühnenfigur zusammen und fand in ihr einen Ausdruck. Die Figur war die Chiffre einer selbstbewussten, wehrhaften jüdischen Identität, deren gesellschaftliche Position nicht auf einem Gnadenakt beruhte, sondern auf dem Recht auf kultureller Teilhabe. In diesem Licht war sie im Kontext des Jahres 1927 und der ersten deutschen Republik ein ‚Prüfstein’ der Politik kultureller Identität. Der Befund ist widersprüchlich, denn obwohl es möglich war, diese Sichtweise auf der Bühne zu präsentieren, weist der ablehnende Diskurs in seiner Argumentation auf jene rassistischen Theorien voraus, die 1933 im Zeichen des Nationalsozialismus in die Verwehrung von kultureller Eigenständigkeit und Teilhabe und in die Ermordung des europäischen Judentums führten. 199 Kanon und Politik: Abschließende Bemerkungen Der Urszene des Rütli und der Inkorporation der Gemeinschaft in der Figur des Wilhelm Tell stehen mit Nathan und Shylock zwei Figuren gegenüber, die in ähnlicher Weise Elemente einer kulturellen Urszene sind, aber in einem gänzlich anderen Sinne wirken. James Shapiro hat in seiner Studie „Shakespeare and the Jews“ (1996) darauf aufmerksam gemacht, dass die spezifische Funktion und Bedeutung des „Kaufmann von Venedig“ gerade darin liegt, dass das Stück mit Shylock eine Figur imaginiert, an die sich in sehr grundsätzlicher Weise Diskurse über den Charakter kollektiver Identität binden lassen. Shylock als Jude erscheint als die Urfantasie des Fremden schlechthin - ungeachtet der Frage, ob dem Bild eine konkrete historische Erfahrung zugrunde liegt. 299 Nathan - verschiedentlich als die genealogische Fortschreibung der Fremderfahrung betrachtet - ist dagegen die idealisierte Gestalt der Aufklärung, die den Fluchtpunkt der Emanzipationsbestrebungen (sowohl von jüdischer als auch von nicht-jüdischer Seite) verkörpert. In „Nathan der Weise“ fällt die Idee der Bildung mit der politischen Forderung nach Gleichberechtigung zusammen - sie konstruiert jene Wahlverwandtschaft, die nach Amos Funkenstein so charakteristisch für das deutsche Judentum war. 300 Beide Figuren erfuhren diskursive Fortschreibungen als Denkfiguren in unterschiedlichen Kontexten und mit jeweils spezifischer Akzentuierung. Die Bühnengenealogie - das heißt jener historische Ausschnitt, an dem im Feld der Ästhetik die Implementierung und jeweils neue Aktualisierung des Kanons untersucht werden kann - lässt auch die Aporien dieser Entwicklung erkennen. Ausgehend von einer Tradition der Darstellung von Judenfiguren, die (durch teilweise karikierende und stereotypisierende Mittel) Nathan und Shylock gleichermaßen verfügbar machte, entwickelte sich der genealogische Strang, der beide Rollen nebeneinanderstellte, 301 etwa für Schauspieler wie Possart oder Bassermann, während ab dem letzten Drittel des 19. Jahr- 299 Vgl. hierzu Shapiro 1996, 189. 300 „Sie [die deutschen Juden] trachteten danach, die Zufälligkeit ihrer Existenz als Deutsche und Juden aufzuheben. Sie waren überzeugt, das Beste der deutschen Kultur - die Bildung, der sie einen solchen Wert zumaßen - entspreche dem Besten in ihrer eigenen, jüdischen Tradition. Sie erstrebten eine Synthese von ‚Deutschtum und Judentum’ und konstruierten eine darin wirksame Wahlverwandtschaft.“; Funkenstein 1995, 197. 301 Buck erklärt diese Verfügbarkeit aus der ‚Spiellust’ der Schauspieler und warnt davor, die Komödie zu ernst zu nehmen; vgl. Buck 1992, 38. Während Buck zu Recht auf den Reiz und Effekt der ‚exotischen’ Verkleidung verweist, kann sein Argument insofern nicht überzeugen, als es verkennt, dass im Moment des ‚Auf-die-Bühne-Tretens’ die Figuren auch jenseits des ästhetischen Diskurses zum Gegenstand kultureller Verhandlungen werden. 200 hunderts gerade bei jüdischen Schauspielern - nicht zuletzt aufgrund einer zunehmenden Einwirkung der Persona der Schauspieler - diese Doppelbesetzung kaum überliefert ist. Im Gegenteil, die Gegenüberstellung von Dawison und Sonnenthal zeigt, dass die vollkommene Teilhabe an der Majoritätskultur verbunden war mit einer Unsichtbarkeit jüdischer Identität. Dass gerade Nathan diese Unsichtbarkeit ermöglichte bzw. forderte, spricht für die kulturelle Position des Textes. Umgekehrt wird Shylock immer mehr zu einer Chiffre der Selbstbehauptung, in die auch die Ethnizität des Darstellers, wie bei Dawison, Schildkraut oder Granach, einfließen kann - allerdings stets unter der Gefahr einer nachhaltigen Marginalisierung. Werner Krauß’ Darstellung wiederum steht zwar auf den ersten Blick durchaus in der Tradition einer älteren genealogischen Linie, gleichzeitig aber lässt gerade seine Wechselwirkung mit dem Medium Film und die Charakterisierung seiner Arbeitsweise als „optischer Schauspieler“ erkennen, dass hinter diesem semiotischen Verfahren eine politische Dimension der Appropriation steht. Das bewusste Abwenden von einer theaterhistorischen Entwicklung, die neue Lesarten der Figuren entwickelte, hin zu einer oberflächlichen Maskenhaftigkeit kann im Kontext der Politik kultureller Identität nicht anders als ein Akt der Exklusion und Verweigerung gelesen werden. Fritz Kortners Shylock wiederum nimmt den Impuls des sich verstärkenden Antisemitismus in seine Darstellung auf. Das Ausstellen der Bereitschaft zur (Gegen-) Gewalt verhindert jene Lesarten, die die Figur als heroisch (in einem sentimentalen Sinne) oder nur komisch verstehen wollen. Sie konfrontiert vielmehr das Publikum mit dem Konflikt, der im Zentrum des Textes steht: das Leben einer minoritären Gruppe unter den Bedingungen und dem Vorherrschen einer Majoritätskultur. Vergleichbar dem „Wilhelm Tell“ imaginiert auch „Nathan der Weise“ eine Urszene der Gemeinschaftskonstitution. Allerdings steht diese in einer nachgerade spiegelbildlichen Verkehrung zu jener auf dem Rütli: Wurde dort die Gemeinschaft als Bekräftigung eines quasi-familiären Zusammenhalts beschworen, so erfolgt im „Nathan“ zwar die Zusammenführung einer Familie, allerdings gründet diese in dem Gefühl einer gemeinsamen Tugend, die alle kulturellen und religiösen Grenzen überwindet. Die hier ausgestellte Gemeinschaft wurzelt in einer Politik der Identität, die sich nicht auf autochthone Grundlagen stützt, sondern eher - um mit Roach zu sprechen 302 - dem Mythos der Diaspora entspricht. Die Genealogie des „Nathan“ wiederum, die sich auf die Orte bürgerlicher Kultur (Salon/ Theater) konzentriert, unterstreicht, dass die Implementierung dieses Textes an die Bedingungen der modernen, bürgerlichen Gesellschaft gebunden ist. „Der Kaufmann von Venedig“ bedient ebenfalls den Mythos der Diaspora, indem der Fremde, „als der, der heute kommt und morgen bleibt“ (Simmel) zum dramaturgischen Motor wird. Am Ende des Dramas steht 302 Vgl. hierzu S. 123 dieser Arbeit. 201 nicht nur die ‚Vernichtung’ des Fremden, sondern auch die Bekräftigung der ‚ursprünglichen’ Gemeinschaft. Dass diese Urszene der Abwehr des Fremden von Shakespeare in einen Gerichtssaal verlegt wurde, erscheint im Kontext der antimodernen Gesellschaftstheorien durchaus folgerichtig, denn die Gesellschaft (als Gegensatz zur Gemeinschaft im Sinne Tönnies’) konstituiert sich eben nicht durch das Blut oder den Boden als Bezugsgröße, sondern durch die Regeln, die den Hobbes’schen Krieg Aller gegen Alle verhindern oder wenigstens dämpfen sollen: Gesellschaft als Gesamtheit, über welche sich ein konventionelles System von Regeln erstrecken soll, ist daher, ihrer Idee nach unbegrenzt; ihre wirklichen und zufälligen Grenzen durchbricht sie fortwährend. Da nun in ihr jede Person ihren eigenen Vorteil erstrebt und die übrigen nur bejaht, soweit und solange sie denselben fördern mögen, so kann das Verhältnis aller zu allen, vor und außerhalb der Konvention […] als potentielle Feindseligkeit oder als ein latenter Krieg begriffen werden, gegen welche dann alle jene Einigungen der Willen als ebensoviele Verträge und Friedensschlüsse sich abheben. 303 Die „potentielle Feindseligkeit“ bzw. der „latente Krieg“ sind im „Kaufmann von Venedig“ offen ausgebrochen; die Gerichtsverhandlung zeigt kein friedliches, kooperatives Zusammenleben mit dem Fremden als Bestandteil der Majoritätskultur, sondern nur ein Ausbalancieren von Strafen sowie letztlich die vernichtende Überwindung des Fremden. Befragt man diese kanonischen Texte auf ihre Funktion als Urszenen der Politik kollektiver Identität, ist auffällig, dass das Fremde hier entweder symbolisch ausgestoßen werden muss, um den Zusammenhalt der Gemeinschaft zu bekräftigen bzw. zu stiften, oder seine Integration nur in einem lebensfremden, idealistischen Märchenbild vorstellbar ist. Eine Selbstbehauptung minoritärer Identität ist augenscheinlich nicht denkbar. So erweist sich das kollektive Imaginäre des Kanons als ausgerichtet auf eine vor- oder anti-moderne Utopie der Gemeinschaft, die auf die Vielgestaltigkeit und Polyphonie der Lebenswelt mit dem Ideal ethnischer Homogenität antwortet. In den folgenden Kapiteln wird vor dem Hintergrund dieser Befunde zu fragen sein, wie sich diese Visionen in populären Theater- und Unterhaltungsformen spiegeln, die sehr viel enger mit den Modernisierungsprozessen der Lebenswelt verschränkt waren. 303 Tönnies 1963, 53. 203 „Normallodenstück“ und bayerische Ausstattungsrevue: Die Konjunktur des Bauerntheaters Mit den genealogischen Linien kanonischer Texte stand in den beiden vorangegangenen Kapiteln das Wechselverhältnis von Hochkultur und Identitätspolitik im Zentrum und damit lag der Fokus auf dem ‚Kunst- Theater’ im engeren Sinne. Im Folgenden soll dieser Blickwinkel um eine Betrachtung populärer, vornehmlich komischer Theaterformen erweitert werden, an denen untersucht werden soll, welches Echo die weitreichenden Prozesse der Modernisierung im Imaginären fanden bzw. welcher Teil dieses „Bilderfundus in einer kulturellen Tradition“ (Belting) als Antwort in Szene gesetzt wurde. Hierbei handelt es sich nicht einfach um eine ‚vertikale’ Verschiebung des Blicks von der Hochauf die Populärkultur, sondern um eine Fokussierung der eher kurzlebigen, dafür aber zeitbezogeneren Theaterproduktionen. Ohne das weite Feld der Komödienbzw. Komiktheorien eigens aufrollen zu wollen, 1 sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass gerade die Diskussion zu Beginn des 20. Jahrhunderts den sozialen Moment des Lachens betont. So stellt Henri Bergson (1859-1941) in seiner Schrift „Le Rire. Essai sur la Signification du Comique“ (1900) fest: Pour comprendre le rire, il faut le replacer dans son milieu naturel, qui est la société ; il faut surtout en déterminer la fonction utile, qui est une function sociale. […] Le rire doit avoir une signification sociale. […] La comique naîtra, semble-t-il, quand des hommes réunis en groupe, dirigeront tous leur attention sur un d’entre eux, faisant taire leur sénsibilité et exerçant leur seule intelligence. 2 Auch Sigmund Freud bestimmt in seiner Schrift „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ (1905) das Komische als ein Phänomen, das zunächst einmal im sozialen Kontext auftritt: Das Komische ergibt sich zunächst als ein unbeabsichtigter Fund aus den sozialen Beziehungen der Menschen. Es wird an Personen gefunden, und zwar an deren Bewegungen, Formen, Handlungen und Charakterzügen, wahrscheinlich ursprünglich an den körperlichen, später auch an den seelischen Eigenschaften derselben, beziehungsweise deren Äußerungen. 3 Beide Autoren heben den Körper (besonders in seiner Abweichung von der Norm) als bevorzugtes Objekt des Lachens hervor. Hier gewinnt das Lachen eine disziplinierende, für den Zusammenhalt einer sozialen Gruppe konstitutive Funktion. Allerdings erschöpft sich die soziale Funktion keineswegs in der Disziplinierung, vielmehr kann das Lachen auch zum integrierenden 1 Vgl. hierzu einführend Kreuder 2005. 2 Bergson 1945, 18f. 3 Freud 2001, 201. 204 und verbindenden Faktor werden - jedoch oft dadurch, dass der Ausschluss von Dritten die Gemeinschaft der Lachenden stiftet und bestätigt. So gesehen kommt dem Lachen/ Komischen keineswegs automatisch eine aufklärerische oder subversive Bedeutung zu. Zwar wird gerade in kulturwissenschaftlichen Theorien immer wieder die subversive Kraft des Lachens betont - man denke etwa an Bakhtins Konzept des Karnevals -, jedoch muss man für die bürgerliche Kultur festhalten, dass die hier populäre Komik letztlich einen affirmativen Kern hatte. 4 In diesem Sinne lässt sich das ständig vorgetragene Lamento, es sei eben ein Kennzeichen des Theaters des späten 19. Jahrhunderts, dass es sich in besinnungsloser Vergnügungssucht und Suche nach Ablenkung nur auf das komische Genre beschränkt habe, 5 anders deuten: In einer Zeit, die von tiefgreifenden sozialen Veränderungen geprägt ist, kann das Theater deshalb eine entscheidende Funktion übernehmen, weil es über das Komische ein Gefühl von Gemeinschaftlichkeit schaffen kann. Theater war deswegen ein privilegierter Ort gesellschaftlicher Verhandlungen, weil es mit den neu entstehenden Formen von Lokalposse und Operette - als Transformationen des französischen Vaudeville - Modelle der Gemeinsamkeit erfahrbar machte. 6 Klagt Harry Graf Kessler, dass die deutsche Kultur immer nur für den Helden und den Heldenmoment bestimmt sei, 7 dann soll im Folgenden gefragt werden, ob nicht das Komische, vielleicht auch das Triviale, ein Gegenmodell hierzu offeriert. Möglicherweise - und dies begründet die Arbeitshypothese der folgenden Überlegungen - hat gerade die komische, nichtheroische Populärkultur einen wesentlich größeren Anteil an der Bewältigung der (auch traumatischen) Modernisierung, als der Blick auf die Höhenkammliteratur und -kultur glauben machen will. 4 Vgl. hierzu die immer noch erhellenden Überlegungen von Klotz 1987, 13-17. 5 Vgl. hierzu S. 40-43 dieser Arbeit. 6 Für den US-amerikanischen Kontext sind solche Überlegungen weithin angestellt und akzeptiert; vgl. hierzu beispielhaft Haenni 2003. 7 Vgl. S. 44 dieser Arbeit. 205 Vorgeschichte (1): Wurzelsuche Politisch groß stehen wir da, suchen wir nun auch die innere Größe zu erlangen! Oder die Siegesjahre waren ein unnützes Blutbad, ein wüstes Schlachten und die Todten von 1870/ 71 für Nichts dahingemordet! Ohne die innere Größe bleiben wir immer die Sklaven fremder Nationen oder abgeschmackte Chauvinisten, nur mit ihr werden wir ein freies, großes und fruchtbares Volk… Möge vor allem das Theater diese Freiheit und Größe wiederspiegeln und die sittliche Kraft unseres Geschlechts befruchten und pflegen! Heinrich und Julius Hart 8 Mit der politischen und rechtlichen Schaffung eines deutschen Nationalstaats 1871 begann eine in ihren Formen und Zielrichtungen vielgestaltige, bisweilen sogar widersprüchliche Suche, die kulturelle Leere, durch die sich das neue Gebilde auszeichnete, zu füllen. Die Brüder Heinrich (1855-1906) und Julius Hart (1859-1930) haben die Notwendigkeit eines solchen kulturellen Aufbruchs als moralische Verpflichtung aus den Siegen 1870/ 71 beschrieben: Dem Sedan der stählernen Waffen sollte das Sedan des Geistes auf den Fuß folgen und vor allem das Theater, der Mittelpunkt aller frommen Segenswünsche, einer neuen ungeahnten Blüthe entgegengehen! Spiegelt doch diese volksthümliche Anstalt das Culturleben eines Volkes am klarsten wieder, bildet sie doch die schönste Frucht einer nationalen Entwicklung. 9 Die mit Blick auf das Ausbleiben einer solchen Blüte konstatierte Enttäuschung wurzelte in einer weitreichenden kulturellen Verunsicherung: Das politisch-juristisch in Kraft gesetzte Konzept des Staatsbürgers geriet in ein zunehmendes Spannungsverhältnis zur Idee des Volkes, wobei dieser Begriff eine semantische Verschiebung erfuhr, die seine soziale Referenz zugunsten einer ethnischen, ‚völkischen’ Bestimmung schwächte. Die Wurzeln einer solchen Bestimmung lassen sich bis ins 18. Jahrhundert verfolgen, 10 sie finden vor allem Anknüpfungspunkte in jenem Prozess kultureller Traditionserfindung (im Sinne Hobsbawms), die von den Märchensammlungen der Gebrüder Grimm über die romantischen Sagen- und Mythensammlungen bis hin zu den sprachhistorischen und -geographischen Arbeiten des 19. Jahrhunderts reichen. Zentrum dieser Spannungen war der 8 Hart/ Hart 1882, 6. 9 Hart/ Hart 1882, 3. 10 Gudrun Hentges hat ausführlich anhand der Darstellung minoritärer Gruppen in Schriften der Aufklärung zeigen können, wie sich hier ein im heutigen Sinne nationalistisches Gedankengut vorgezeichnet findet; vgl. Hentges 1999. 206 ‚Phantomschmerz’ einer nicht gewachsenen, sondern aus politischem Kalkül oktroyierten Einheit. Man mag den Enthusiasmus der Freudenbekundungen, die Fülle von Denkmälern und hektischen Versuchen, nationale Mythen zu schaffen, insofern nicht allein der Siegeseuphorie zurechnen, sondern in ihnen auch das Überspielen des Mangels einer unmittelbaren Erfahrbarkeit und Teilhabe erkennen. Das Fehlen eines ‚wirklichen’ Nationaltheaters und -dramas wurde zum Inbegriff der vermeintlichen kulturellen Defizite. Hierbei lassen sich in der Diskussion um das Theater vornehmlich zwei Strömungen festmachen: Die eine, die sich auf das Konzept des Theaters als „moralischer Anstalt“ beruft, sieht, wie die Brüder Hart, hierin vornehmlich eine sittlich-moralische Herausforderung, während die zweite Strömung das Theater als Residuum nationaler bzw. völkischer Eigenart betrachtet. 11 An der Frage der Bühnensprache lassen sich die Argumentationslinien dieser Auseinandersetzung besonder gut ablesen. So forderte der Philosoph Heinrich Theodor Rötscher (1803-1871) in seiner Schrift „Die Kunst der dramatischen Darstellung“ (1841-46) vom Schauspieler „das Muster einer nationalen Aussprache, von ihm vernehme man das reine Wahre, von allen Schlacken gereinigte Gold des echten Deutsch.“ 12 Die Reinheit der Sprache wird für Rötscher zum Ausweis der (politisch noch nicht vollzogenen) nationalen Einheit (im Gegensatz zum Dialektsprecher): Der mit einem Dialekt Behaftete bietet mithin den geistigen Gehalt nicht in der von der Geisteseigentümlichkeit der N a t i o n erzeugten Form dar; denn die Aussprache ist ja nichts anderes als die Art und Weise, in der der artikulierte Laut, den die Sprache zum Ausdruck des Gedankens mit innerer Notwendigkeit gebildet hat, an das Ohr klingt. […] Die Geistesschätze der Nation, worin sie ihr tiefstes Wesen ausgesprochen, können mithin nur in einem diesem Begriffe angemessenen Elemente wirksam vernommen werden. Dies ist die nationale, nicht die lokale Aussprache. 13 Mit einer vergleichbaren Argumentation plädiert Theodor Siebs (1862-1941) in seinem Werk „Deutsche Bühnenaussprache“ ( 1 1898), das als verbindliche Vereinbarung aus Beratungen mit dem Deutschen Bühnenverein und der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger entstand, für eine dialektfreie Aussprache: 11 Das ‚Völkische’ wird hierbei als ein der gegenwärtigen Kultur vorausgehendes, ‚eigentliches’ Zentrum der Nation verstanden, das durchaus in Abgrenzung gegen den liberalen, demokratischen Staatsbürgerschaftsbegriff steht. Wichtig werden für diese Perspektive die verschiedenen „deutschen Stämme“, die zum Referenzpunkt einer antimodernen Weltanschauung werden. In diesem Zusammenhang kann die von Josef Nadler (1884-1963) verfasste „Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften“ ( 1 1912-1928) durchaus als paradigmatisch angesehen werden. Gerade der vierte Band, der den Untertitel „Der deutsche Staat 1814-1914“ trägt, ist ein in seiner antimodernen und antisemitischen Sprache mustergültiges Beispiel für diesen Kultur- Revanchismus. Vgl. Nadler 1932. 12 Rötscher 1919, 80. 13 Rötscher 1919, 76. 207 Und so hat die Bühne die ehrenvolle Aufgabe, in dieser Sache die Lehrmeisterin Deutschlands zu sein, auch die Pflicht, auf sichere Regelung zu halten. […] Ein jeder gute Deutsche, dem die völlige gegenseitige Durchdringung unserer Stämme am Herzen liegt, wird sich über einen solchen weiteren Schritt zur vollkommenen Einigung freuen. Die Ausgleichung der Sprache der Gebildeten ist ein wertvolles Mittel zu inniger Verschmelzung von Nord und Süd, denn nichts scheidet heute Ober-, Mittel- und Niederdeutschland stärker als die Sprache. 14 Siebs’ Argumentation versteht die Bühne als „Lehrmeisterin Deutschlands“ und damit auch als Instrument der Modernisierung, wenn er hervorhebt, dass selbst jene, die sich für eine Erforschung der Dialekte einsetzten, diese für eine einheitliche Aussprache ganz aufzugeben bereit seien: [H]at man doch auch so manches mundartliche Sprachgut preisgegeben für die einige deutsche Schriftsprache - wie man Bäume des Waldes abholzt, durch den die Eisenbahn führen soll; wie wir so oft das uns lieb gewordene Alte einer notwendigen Neuerung opfern müssen. 15 Der metaphorische Verweis auf die Modernisierungsprozesse, für die die Eisenbahn metonymisch steht, konzipiert das anzustrebende, künftige Nationaltheater nach einem Modell, das sich in der Pariser Comédie Française vorgezeichnet findet. 16 In gewisser Weise schließt dieses Modell an die Idee eines bürgerlichen Nationaltheaters an, wie es seit dem 18. Jahrhundert immer wieder gefordert wurde. Im Gegensatz dazu plädierten andere Kulturkritiker für die Einbindung regionaler Sprachvarianten, um die Lebendigkeit der Dichtung und des Theaters zu erhöhen: Wenn sogar das Leben der hochdeutschen Schrift- und Gemeinsprache sich nur dadurch erhält und entwickelt, daß es sich ständig aus dem Quell der Dialekte bereichert und erfrischt, bedarf die mündliche Rede der Bühnenkunst um so engerer Fühlung, um so innigerer Durchdringung mit den Lauten und Farben der quellfrischen Mundart - es sei denn, daß die Bühnensprache erstarren und verdorren soll. 17 Der von Eugen Wolff (1863-1929) entworfene Gegensatz zwischen einer artifiziellen, leblosen Hochsprache und den „Lauten und Farben der quellfrischen Mundart“ findet bei Siebs ein entgegengesetztes Echo, wenn dieser sich dagegen verwahrt, den „Erdgeschmack“ der Dialekte auf der Bühne auszustellen. 18 Stellt man diese Diskussion in den Kontext zeitgenössischer Identitätsdiskurse, so offenbart sich hinter dem vermeintlich kleinlichen Streit eine grundsätzliche Auseinandersetzung um das Verständnis und die Funktion von Theater in dem sich bildenden Nationalgefüge. Die eine Seite plädiert für eine Kultur der Gebildeten, die durch Erziehung sich entwickeln muss und auf der „völligen gegenseitigen Durchdringung der Stämme“ be- 14 Siebs 1910, 4f. 15 Siebs 1910, 5f. 16 Im Hinblick auf die sprachprägende Bedeutung der Comédie Française vgl. Rötscher 1919, 78, was die kulturelle Bedeutung betrifft, vgl. Hart/ Hart 1882, 45. 17 Wolff 1900/ 01, 830. Vgl. hierzu auch zustimmend Bräutigam 1900/ 01. 18 Vgl. Siebs 1910, 1f. 208 ruht, während die andere Seite gerade das Ursprüngliche, Natur- Gewachsene sucht und im Theater erlebbar machen will. So ist es nur folgerichtig, dass Siebs seine Vorstellung in Bildern des technischen Fortschritts artikuliert, während Wolff eine übersprudelnde, lebendige Natur imaginiert. 19 In diesen Zusammenhang ist auch Wolffs Verweis auf Schillers „Wilhelm Tell“ und die vom Dichter intendierte Authentizität der Sprache einzuordnen. 20 Die Sehnsucht nach einer authentischen, autochthonen deutschen Kultur korrespondierte nicht nur mit einer bestimmten Lesart des Kanons, wie oben gezeigt werden konnte, sondern auch mit ähnlichen Suchbewegungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen: In einer neuen Welle des Interesses am bäuerlichen Leben seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der ländliche Raum und das Bild der Natur zu einem der Stadt als Inbegriff von Veränderung und Modernisierung entgegengesetzten Sehnsuchtsort. In dieser ‚Stadtflucht’-Bewegung nahm besonders Bayern einen privilegierten Status ein. Dies mag zum einen an der Tatsache liegen, dass die Industrialisierung hier im Vergleich zu anderen Regionen, wie dem Rheinland etwa, nur sehr zögerlich Raum griff, zum anderen daran, dass sich durch die ländliche Siedlungsstruktur und die agrarwirtschaftliche Prägung (sowie wahrscheinlich durch die Vormachtstellung der katholischen Kirche) bestimmte Sozial- und Brauchtumsformen länger halten konnten. Gleichzeitig stieß diese Sehnsucht in Bayern auf einen politisch-kulturellen Kontext, in dem sich seit Beginn des 19. Jahrhundert ein zunehmendes Interesse an der Festigung der eigenen kulturellen Identität entwickelt hatte, u.a. um die aus der Napoleonischen Herrschaft und den sie beendenden Befreiungskriegen resultierenden territorialen und konstitutionellen Veränderungen zu bewältigen. 21 Diese innerbayerische Suche wird besonders im Zusammenhang mit dem seit 1810 auf der Münchner Theresienwiese institutionalisierten Oktoberfest deutlich: Eine ‚organische’ Einheit des Territoriums hat es […] nie gegeben, wie der zu allen Zeiten mehr oder minder feststellbare Regionalismus innerhalb der Territorien beweist. In Bayern sollte jedoch ebenfalls aus dem neuen, vielgliedrigen Territorium eine Einheit geschaffen werden, und für sie wurden auch im Oktoberfest die symbolisierenden bzw. allegorisierenden Zeichen gesucht. 22 In diesem Kontext gewann die Entdeckung der Tracht eine größere Bedeutung 23 ebenso wie die Vorführung von traditionellen Tänzen und Bräuchen. Die für die Identitätsstiftung ausgewählten Zeichen und Symbole hatten be- 19 Vgl. hierzu besonders Wolff 1900/ 01, 827. 20 „Es ist bekannt, daß Schiller die Sprache seines ‚Tell’ geflissentlich mit alemannischen Worten und Formen versetzte. Soll auch das umsonst gewesen sein? “; Wolff 1900/ 01, 829. 21 In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass das Königreich Bayern erst 1806 durch den Reichsdeputationshauptschluss entstanden ist. 22 Möhler 1980, 248. 23 Vgl. Möhler 1980, 246-256 sowie 279-291. 209 reits zu diesem Zeitpunkt einen deutlich nostalgisch-restaurativen Charakter, wie Gerda Möhler feststellt: Die Allegorisierung der Tracht im Hinblick auf territorialen Bezug hat also ein tatsächliches Ausschalten von Veränderungen in der Zeit zur Folge, was für die Trachtenerhaltungsbewegungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts wichtig wurde. 24 Hinzu kamen ethnographische Forschungs- und Sammlungsprojekte, wie die mehrbändige „Bavaria: Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern“, die ab 1860 erschien. Auf Wunsch des späteren Königs Max II. unternahm bspw. Joseph Friedrich Lentner (1814-1852) eine Reihe von Wanderungen, ‚Expeditionen’, durch die bayerischen Lande, um ethnographisches Material zu sammeln. Ganz im Sinne dieser nostalgisch-restaurativen Selbst-Erfindung erhebt er in seiner Einleitung den Anspruch, eine besonders ‚reine’ und ursprüngliche Lebensart und -weise zu dokumentieren. Das Alpenwesen ist die poetische Blüthe des Volkslebens im Hochgebirg. In ihm tritt der Urzustand des Hirtenvolkes, das in den Bergen wohnt, in seiner Einfachheit und Freiheit zu Tage. 25 Eine über den regionalen Rahmen hinausreichende Bedeutung gewannen diese Unterfangen durch die ästhetische Überformung bzw. Stilisierung in der sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausbildenden Landschaftsmalerei, die das Idyll des Landlebens in prägnante Bilder fasste und so verfügbar werden ließ. 26 Ergänzt wurde dies noch durch eine verstärkt einsetzende Welle von Dorf- und Reiseliteratur. 27 Einen weiteren Wirkungskreis konnten diese literarischen und visuellen Bilder auch deswegen erzielen, weil ihr Blickwinkel der des Außenstehenden war: Mit der neuen Natursicht des Städters wandelt sich auch seine Einschätzung und Beurteilung der Landbevölkerung. In dieser erblickt er eine ursprüngliche, für ihn selbst nicht erreichbare Lebensform. […] Wie der Städter bleibt auch der Künstler nur Besucher der ländlichen Gegend. Seine Bilder entstehen aus der Sicht des Zuschauers. 28 Diese Erfahrbarkeit, deren Voraussetzung eine regelrechte Aufbereitung für den Blick des Fremden war, wurde durch den in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Fremdenverkehr noch gesteigert; sowohl die Natur als auch die Andersartigkeit des Landlebens konnten nun temporär selbst erlebt werden. 29 24 Möhler 1980, 251. 25 Lentner 1987, 13. 26 Als wichtigste Vetreter dieser Richtung seien hier Wilhelm von Kobell (1766-1855), Peter von Heß (1792-1871) sowie Lorenzo Quaglio (1769-1843) genannt. Vgl. zu diesem Prozess auch Gockerell 1974, 272, sowie besonders Hardtwig 1979. 27 Vgl. zur Entwicklung der Reisekultur in die Alpen einführend Hackl 2004, 23-57. 28 Münchner Kunstkatalog zit. nach Nied 1986, 25. 29 Vgl. hierzu bspw. Koshar 2000b, 57. 210 Die Sehnsucht nach einem Ort authentischen Lebens hielt auch auf dem Theater Einzug: Trugen bereits die Trachtengruppen sowie die öffentliche Vorführung von Tänzen und Gesängen, die bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts nachgewiesen werden können, deutliche Züge einer programmatischen Inszenierung, wuchs dieses Interesse bzw. Bedürfnis im Laufe des 19. Jahrhunderts deutlich an. Zunächst vollzog sich dieser Prozess ausgehend vom literarischen Diskurs, für den die Dramen von Ludwig Anzengruber (1839-1889) sowie die Dramatisierungen der Dorfgeschichten einen verheißungsvollen Ausblick auf ein genuines Volksstück versprachen. Es sei an dieser Stelle am Rande bemerkt, dass sich an dieser Dynamik die Vorherrschaft eines bildungsorientierten Theatermodells beobachten lässt, wie die Münchner Theatergeschichte zeigt: Das Volksstück verdrängte die ursprüngliche Volkstheaterkultur, die sich zwar in enger Abhängigkeit vom Wiener Volkstheater ausgebildet hatte, aber als Stegreif-Form nicht nur barocke Elemente weiterführte, sondern eine Variante des nicht- oder besser vor-bürgerlichen Theaters darstellte, dessen Motor gerade nicht der literarische Text war. 30 Insofern hat es durchaus symbolische Bedeutung, dass der Eröffnung des Münchner Theaters am Gärtnerplatz, das später zur ‚Heimstatt’ des Volkstheaters werden sollte, am 10. 11. 1865 die Schließung der Vorstadtbühnen der Familie Schweiger vorausging. 31 Das sich hier ab 1879 etablierende Bauern- oder Volkstheater war seiner Form sowie seiner Ästhetik nach ein Ausdruck bürgerlicher Sehnsuchts- und Bildungsträume und keinesfalls Ausdruck einer ‚authentischen’ Volkskultur. Vorgeschichte (2): Die Hochgebirgsmeininger: Die „Münchener“ (1879-1893) Das sich nur langsam und unter schwierigen ökonomischen Bedingungen konsolidierende Theater am Gärtnerplatz, das zwischenzeitlich (1873-1879) auch als königliches Theater geführt wurde, war auf Initiative einzelner Münchner Bürger gebaut und gegründet worden. Es suchte mit seinem Repertoire Anschluss an die metropolitane Bürgerkultur, namentlich durch die Operette. 32 Gleichzeitig bildete sich ein wachsendes Interesse am (oberbayerischen) Volksstück, das sich - wiederum nach Wiener Vorbildern - seit den 1850er Jahren entwickelte. Seine Dramaturgie bediente das Schema des 30 Diese Entwicklung ist für die Ausprägung des bürgerlichen Theaters durchaus typisch; so beschreibt Münz 1979 ausführlich solche Theaterformen zur Lessingzeit; vgl. auch Baumbach 2002. Vgl. für München Weigl 1961. 31 Vgl. hierzu bspw. Rückle 1929. 32 Vgl. hierzu Rückle 1929, 16. 211 populären Rührstücks bzw. des Melodramas, 33 versetzt mit folkloristischethnographischen Elementen. 34 Dieses Genre bot zwar keineswegs ‚authentische’ Volkskultur, es sorgte aber - ähnlich wie die Landschaftsmalerei und die Dorfliteratur - für die Konsumierbarkeit eines pastoralen Sehnsuchtsortes: In den 70er und 80er Jahren hatte sich der neue Typus herausgebildet, ein oberbayerisches ‚Volksstück’, das von bodenständiger gemeinschaftsbildender Volkskunst weiter entfernt war als ehedem, das aber in seiner verhältnismäßigen Abgeschliffenheit und Kultiviertheit auch besser geeignet war, einem nichtbayerischen Publikum vorgeführt zu werden, wie dies in den Gastspielen der ‚Münchener’ geschah. 35 Ausgehend von diesen Voraussetzungen entstand kurz vor der Rückwandlung des Theaters in eine Privatbühne 1879 der Plan einiger Schauspieler, ein Ensemble für Gastspiele mit diesen Stücken zu bilden. Die Truppe trat erstmals 1879 in Berlin auf, wo sie ab diesem Zeitpunkt unter dem Namen Münchener - seit 1880 unter der Leitung von Max Hofpauer (1845-1920) - regelmäßig mit Gastspielen präsent war. Obgleich das Ensemble immer wieder am Gärtnerplatz auftrat, nahm die Bedeutung der Gastspiele kontinuierlich zu. Bis zu ihrer Auflösung 1893 traten die Münchener in 72 Städten in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Russland, den Niederlanden und den USA auf und spielten 33 Stücke in 1982 Vorstellungen. 36 Ihr Erfolgsstück war der „Herrgottschnitzer von Ammergau“, das Ludwig Ganghofer (1855- 1920) eigens für die Münchener geschrieben hatte. 37 Mit rund 500 Vorstellungen nahm es den Löwenanteil aller Vorstellungen ein. 38 Das Erfolgsgeheimnis der Stücke wie des Ensembles war es, die ‚Exotik’ der bayerischen Bauernwelt, die in dieser „ethnographischen Dramatik“ 39 gezeigt wurde, effektvoll in Szene zu setzen: Die ‚Münchener’ wählten ihre Stücke lediglich nach dem Gesichtspunkt der wahrscheinlichen Wirkung auf das Publikum aus. […] Dieses Publikum unterschied sich von dem Münchner im wesentlichen dadurch, daß es an Bauernstücken vor allem andern das frische und bunte Milieu schätzte, während man in München mehr auf das stofflich Interessante, auf Vorzüge der behandelten Motive erpicht war. 40 Für die Rezeption waren die Authentizität der Darstellung und der Darsteller entscheidende Referenzpunkte: 33 So konstatiert Rückle mit Blick auf die Arbeiten von Franz Prüller: „Schauerromantik und Effekte aller Art drängen sich mehr und mehr bei ihm ein und überwuchern die gelungenen Episodenszenen voll Bauernhumor und Bauernkomik.“; Rückle 1929, 18. 34 Vgl. Rückle 1929, 19 und 32. 35 Rückle 1929, 18. 36 Vgl. zu diesen Zahlen Rückle 1929, 96. 37 Vgl. zu Ganghofer und der Münchner Theatergeschichte auch Cassimir 1929. 38 Vgl. hierzu Rückle 1929, 57. 39 Rückle 1929, 57. 40 Rückle 1929, 56. 212 Weit wichtiger war, daß im Gärtnertheater und bei den ‚Münchenern’ die ausschlaggebenden Darsteller bayerischer oder österreichischer Abstammung waren und daher als Kenner des Volkslebens, mindestens im oberbayerischen Volksstück, befähigt - und wohl auch von sich aus geneigt - waren, durch dem Leben abgelauschte, mimische und sprachliche Einzelheiten ihre schauspielerischen Leistungen mit wirkungsvollen Glanzlichtern zu versehen. 41 Diese inszenierte ‚Wahrhaftigkeit’ der Darstellung, die sich auch in der Bühnenausstattung ausdrückte, 42 erlaubte eine doppelte theaterästhetische Bezugnahme, die für die kulturelle Positionierung der Münchener durchaus entscheidend ist: - Zum einen wurde das Ensemblespiel und die Sorgfalt der Ausstattung als Referenz auf den Inszenierungsstil der Meininger 43 verstanden, wobei die Kritik den Münchenern teilweise sogar eine größere Wahrhaftigkeit zusprach. Siegfried Jacobsohn bemerkt hierzu: „Die Münchener waren das einzige deutsche Bühnenensemble, dem es gelungen war, das Prinzip der Meininger sich völlig anzueignen und selbständig anzuwenden und weiterzubilden.“ 44 Dieser Verweis, der auch den Spitznamen „Hochgebirgsmeininger“ begründete, war allerdings weniger Produkt einer bewussten ästhetischen Entscheidung als Folge eines ohnehin vorhandenen Darstellungsstils. 45 Gleichwohl ist der Verweis kein uneingeschränktes Lob, denn den Meiningern warf man - und hier kann Jacobsohn als beispielhafte Stimme angesehen werden - zugunsten einer visuell opulenten Produktion vor, den Anspruch auf eine sittlich-moralische Botschaft hintanzustellen: Dieses Publikum konnte sein altes gutes Recht, in Kunstdingen unbekümmert um ästhetische Grundsätze, dem Vergnügen des Augenblicks zu folgen, um so mehr in Anspruch nehmen, als es sich hier in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes um ein Vergnügen des Augenblicks handelte. Es sah durch das bunte Leben der szenischen Bilder seine Schaulust befriedigt, […]. 46 Diese Befriedigung der Schaulust war auch bei den Münchenern ein vorherrschendes Prinzip, wenn man der Beschreibung von Eugen Weigl folgt, der von „bayerischen ‚Ausstattungsrevuen’“ 47 spricht. 41 Rückle 1929, 70. 42 Rückle verweist darauf, dass besondere Sorgfalt auf die Echtheit der Gebirgstrachten und Requisiten gelegt wurde und dass die Kulissen von der Werkstatt Angelo Quaglio & Sohn hergestellt wurden, wahrscheinlich einem Verwandten von Lorenzo Quaglio, der die bayerische Landschaftsmalerei zu Beginn des 19. Jahrhunderts mitbegründete. Vgl. Rückle 1929, 51. Hier schließt sich der Kreislauf der ästhetischen Überformung bzw. Stilisierung des ländlichen Raumes zum kollektiven Sehnsuchts- und Symbolraum, wenn Malerei und Bühne so miteinander verbunden werden. 43 Vgl. hierzu einführend Prölß 1899, Grube 1926 sowie Osborne 1988. 44 Jacobsohn 2005, 41. 45 Vgl. Rückle 1929, 73. 46 Jacobsohn 2005, 30. 47 Weigl 1961, 81. 213 Jacobsohn konstatiert denn - wie bei den Meiningern - das Scheitern der Münchener: Diese Truppe hätte der Kraft und Schönheit der süddeutschen Mundart und ihrer Dramatik in ganz Deutschland tiefgehende und dauerhafte Siege erringen können, wenn sie von allem Anfang an statt der Gebärde der Wahrheit der Seele, statt ornamentaler Künste Kunst, statt der vielen Ganghofers den einen Anzengruber gegeben hätten. 48 - Ist der Verweis auf die Meininger - bei aller Ambivalenz - auch eine Nobilitierung des Ensembles, so stellt das Volksstück bzw. das es vermeintlich tragende Volks- oder Bauerntheater einen zweiten zentralen Referenzpunkt dar. Die ‚Wahrhaftigkeit’ und ‚Urwüchsigkeit’ dieses Genres wurde als Gegenentwurf zum sich entfaltenden Naturalismus in Beschlag genommen. Schon Eugen Wolff hatte in seinem Plädoyer für die Nutzung der Mundart auf der Bühne gegen den Naturalismus und sein „Gestammel“ polemisiert; 49 die Dramatik von Anzengruber und Ganghofer versprach aus konservativer Perspektive einen Gegenentwurf, der ebenfalls den ästhetischen Anspruch auf realistische Darstellung erheben konnte, ohne durch eine als unappetitlich empfundene Thematik zu stören oder durch sozialkritische Töne den Zustand der Gesellschaft zu hinterfragen. So heißt es in dem populären Standardwerk „Deutsche Literaturgeschichte“ ( 32 1910) von Robert König: Im Drama „hat sich gezeigt, daß, so anregend der Naturalismus auch gewirkt hat, Werke von bleibendem Wert aus ihm nicht hervorgegangen sind.“ 50 Im Gegensatz dazu wird bei Anzengruber die Darstellung des Allgemein-Menschlichen in ländlicher Umgebung ausdrücklich gelobt: Auch hier steckte er […] das, was im Leben vorging und noch vorgeht, in ein Gewand aus Loden, nicht in der Absicht, einer in die Mode kommenden Richtung zu huldigen, sondern lediglich aus dem Grunde, weil der eingeschränkte Wirkungskreis des ländlichen Lebens die Charaktere wenig in ihrer Natürlichkeit und Ursprünglichkeit beeinflusst, die Leidenschaften, rücksichtslos sich äußernd oder in nur linkischer Verstellung verständlicher bleiben. 51 Diese Argumentationslinie, die Rückle bemerkenswerterweise in seiner Monographie von 1929 noch weiterführt, 52 fokussiert das über die realistische Darstellung hinausweisende als den zentralen Gehalt und impliziert damit eine Vorstellung von Kunst und Theater, die sich jeglicher konkreter politischer oder gesellschaftskritischer Stellungnahme enthält. Letztlich figuriert hier das 48 Jacobsohn 2005, 42. 49 Vgl. Wolff 1900/ 01, 826. 50 König 1910, 458. 51 König 1910, 437. König erwähnt in diesem Zusammenhang auch lobend das Bauerntheater, hier allerdings bereits die Schlierseer. Vgl. König 1910, 438. 52 Vgl. bspw. Rückle 1929, 54. 214 Landleben als das reine, natürliche Gegenbild zu den Lebensbedingungen der Stadt, die, wenn man Königs Beschreibung spiegelbildlich ausführte, durch Unnatürlichkeit und Verstellung gekennzeichnet ist. Die beiden theaterästhetischen Referenzlinien lassen erkennen, warum so hochgesteckte Erwartungen an die Münchener gestellt wurden und wie sehr dieses ‚Volks-’Theater zum authentischen Ausdruck einer lebendigen, ethnisch-deutschen Kultur stilisiert wurde. 53 Hierbei nahmen die Münchener insofern eine besondere Stellung ein, als sie neben ihrer ‚Urtümlichkeit’ stets auch den Kunstcharakter ihrer Darbietungen betonten. 54 Ihr Erfolg allerdings beruhte im Wesentlichen darauf, dass sie mit einer Mischung aus sentimentaler, melodramatischer Dramaturgie und folkloristischen Versatzstücken eine Vision ländlicher Idylle in Szene setzten, die dem in Malerei und Literatur entworfenen Bild entsprach. In diesem Sinne erscheint es nur folgerichtig, dass die Kritik den Theaterbesuch mit dem Tourismus in unmittelbaren Bezug setzt: Die Vorstellungen der Münchener Gäste besuchen heißt eine Wanderung durchs bayerische Hochland machen. Der Tourist, welcher das stille Tal des Tegernsees oder die Schluchten und Matten der Bergkolosse durchstreift, muß besonderes Glück haben, wenn er in einem Sommer soviel prächtige Kernmenschen, so lustige Szenen und so rührende Herzensgeschichten kennen lernen will, als uns hier durch die Kunst des Dichters auf der Bühne vors Auge gerückt wird, uns, die wir behaglich im Theater sitzen. 55 53 Vgl. hierzu bspw. die Beschreibung bei Nadler 1932, 693f. 54 Rückle 1929, 71f., zitiert verschiedene Kritiken, die immer wieder das Spannungsverhältnis von Kunst und ‚Leben’ betonen. Kernpunkt ist hierbei die Hervorhebung der Tatsache, dass es sich um professionelle Schauspieler und nicht um ‚echte’ Bauern handele. 55 Berliner Kritik zum Gastspiel 1879, zit. nach Rückle 1929, 60f. 215 „Die oberbayerischen Stücke den Oberbayern“: Die „Schlierseer“ Aus heutiger Perspektive entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass die Münchener durch ihre Kunst jenes Ensemble ermöglichten, dessen Auftauchen letztlich zu ihrer Auflösung 1893 führte, nämlich das Schlierseer Bauerntheater, das durch den königlichen Hofschauspieler Conrad Dreher (1859-1944) gegründet wurde. Die für die Münchener so charakteristische Mischung von melodramatischer Dramaturgie und folkloristischen Elementen hatte schon frühzeitig zu einer Einbindung von Liedern und Tänzen in ihre Aufführungen geführt, was der Berliner Kritiker Oscar Blumenthal sarkastisch mit den Worten kommentierte: „Das Singen und Springen, das Saufen und Raufen hilft bei den Stücken der Münchner über die Langeweile der Handlung hinweg.“ 56 In dieser Spitze artikuliert sich ein Spannungsverhältnis, bei dem die ‚Exotik’ bayerischen Brauchtums den Anspruch, Kunsttheater zu bieten, unterläuft. 57 Conrad Dreher hatte als Schauspieler am Gärtnerplatztheater den späteren Hauptdarsteller und Leiter Xaver Terofal (1862-1940) und einige andere Darsteller aus Schliersee kennen gelernt, die bei den Münchenern Tanz- und Gesangseinlagen boten. 1892 entschloss sich Dreher, in Schliersee einen Theaterbau zu errichten, um mit den Einwohnern Bauernkomödien vorführen zu können. Nach dem Ankauf eines Wirtshauses, das als Standort vorgesehen war, wurde dort ein Holztheaterbau mit immerhin 500 Sitzplätzen errichtet. 58 In seinem kleinen Aufsatz „Freud und Leid eines Bauerntheater-Direktors“ (1899/ 1900), der erkennen lässt, welchem öffentlichen Druck Dreher ausgesetzt war, schildert er die Umstände dieser Gründung, wobei er sich selbst nur als „Protektor“, nicht aber als 56 Blumenthal im Berliner Tageblatt vom 23. 2. 1880 zit. nach Rückle 1929, 31. 57 Rückle 1929, 33, mahnt deshalb auch an, dass das Volksstück immer in Gefahr sei, „zur folkloristischen Revue zu entarten.“ 58 So Schupp 1899, 963; Dreher 1899/ 1900, 165, hingegen spricht von 400 Plätzen. Abb. 24: Der ‚Star’ der „Schlierseer“: Xaver Terofal. 216 aktiven Initiator beschreibt, der erst in dem Moment Verantwortung übernommen habe, als die wirtschaftliche Situation es erforderte: Dazu kam noch, daß ich mich in der Rentabilität der ganzen Sache geirrt hatte, indem ich dachte, daß sich aus den Theatereinnahmen die Betriebskosten der Aufführungen, Theaterbau, Dekorationen etc. decken ließen. Deshalb übernahm ich nun Hotel und Direktion des Bauerntheaters auf meinen Namen, engagierte die Mitglieder auf feste Gage, schickte sie im Winter auf Gastreisen, während sie im Sommer so viel als möglich ihren früheren Berufen nachgehen sollten. 59 Drehers Unternehmen realisierte sich in zwei Schritten bzw. auf zwei Ebenen: Zunächst einmal spielte das Ensemble in Schliersee, wobei Falk Schupp in seinem Artikel für „Bühne und Welt“ darauf verweist, dass das Theaterhaus zunächst für die „Bevölkerung der Umgegend“ errichtet worden sei, aber zunehmend Zuspruch fand durch die „nicht unbeträchtliche Zahl Münchener Freunde, welche in zweistündiger Eisenbahnfahrt herbeizukommen pflegten.“ 60 59 Dreher 1899/ 1900, 165. Bemerkenswert ist, dass Dreher seine Aktivität geradezu als soziale Maßnahme beschreibt, womit er sich u.a. gegen den Vorwurf zu verwahren sucht, er nutze die Leichtgläubigkeit der Bauern aus. 60 Schupp 1899, 963. Abb. 25: Ensembleaufnahme der „Schlierseer“ vor einer Bergkulisse. 217 Während die Verbindung von Gastronomie und Theater, die zu diesem Zeitpunkt in den Städten keine Besonderheit war, zunächst einmal auf den Tourismus verweist, beschreibt Julius Schaumberger (1858-1924) das Theater als einen Ort der unmittelbaren Begegnung mit der ‚ursprünglichen Volksnatur’: Das I. Parterre beherbergt vorwiegend das städtische Publikum, die Schliersee’r Sommerfrischler und die Touristen, die sich jetzt, dem Theater zu liebe, mehr als je in Schliersee aufhalten, im II. Parterre und auf der den Saal dreiseitig umgebenden Gallerie sieht man die Bevölkerung von ‚Schliers’ und Umgebung in Joppe und Kniehose, Mieder und grünem Spitzhütel. Dieselben Typen, die später auf der Bühne erscheinen, sieht man da schon unter den Zuschauern, […]. 61 Theater, Umgebung, 62 das szenisch Dargestellte und das Publikum verschmolzen zu einer Einheit, in der, wie Schupp beschreibt, Zuschauer und Darsteller wechselseitig ihre Authentizität und die des Theaters bezeugten. Das Schlierseer Theaterhaus wurde so zu einem Platz, an dem die Sehnsucht des Städters nach Idylle und ‚natürlichem’ Leben ihren Ort finden konnte: Kein gebildeter Deutscher aber, der sich den Staub der dumpfen Stadtenge in der reinen Luft der bayerischen Alpen aus der Seele geatmet, wird es versäumen dürfen, die Schlierseer im eigenen Heim spielen zu sehen. Das hieße in Rom gewesen sein, ohne den Papst zu sehen! 63 Schupps Beschreibung ist so charakteristisch, weil sie den Gegensatz von urbanem Lebensraum („dumpfe Stadtenge“) und ländlicher Idylle bedient, ihn aber nicht aufhebt, sondern die Schlierseer zum Inbegriff der „reinen Luft der bayerischen Alpen“ stilisiert, die zu sehen jedem Menschen von Bildung (! ) ein Bedürfnis sein muss. Die zweite - in ihrer kulturellen Wirkung und ökonomischen Bedeutung sehr viel entscheidendere - Ebene war die umfassende Gastspieltätigkeit, die die Schlierseer bald nach ihrer Gründung aufnahmen. Von Dreher als reine Reaktion auf die unzureichenden Gewinne aus den Aufführungen in Schliersee gerechtfertigt, begann die Truppe bereits 1893 ihre Gastspiele am Gärtnerplatztheater und verdrängten damit die Münchener aus ihrem ‚Stammhaus’. 64 Obgleich dieser Schritt hinsichtlich der Publikumsstruktur einen Wechsel darstellte, 65 war für den Erfolg wohl entscheidend, dass so- 61 Schaumberger 1893, 43-45. 62 „Das Publikum konnte in der Wirtshausatmosphäre des Zuschauerraums bajuwarische Gastronomie und durch die Fenster einen Ausblick auf die stimmungsvolle Umgegend genießen.“; Nied 1986, 131. 63 Schupp 1899, 965. 64 Tatsächlich verlief diese Konkurrenz von Anfang an unter dem Vorzeichen eines Verdrängungswettbewerbs: Die Darsteller der Münchener protestierten zunächst gegen das Gastspiel am Gärtnerplatztheater und gingen auch anderweitig publizistisch gegen Dreher vor; vgl. Rückle 1929, 91-96 sowie Nied 1986, 200-203, die auch über weitergehende Proteste und Gründe für die Auflösung der Münchener schreiben. 65 Nied betont, dass damit die Schlierseer sich „zum erstenmal [einem] rein großstädtischen Publikum“ gestellt hätten; vgl. Nied 1986, 226. Diese Feststellung ist zumindest 218 wohl die ästhetischen Mittel als auch das Repertoire deutlich an die Münchener anknüpfte. Die Novität lag folglich in der ‚Urtümlichkeit’ der Darsteller, wie von der Presse entsprechend betont wurde: Die oberbayerischen Stücke den Oberbayern, das ist jetzt die Losung; warum soll denn der Landbewohner, der Eingeborene der Berge, weniger gut seine Komödie spielen, als der Salontiroler vom Gärtnerplatz […]. Was uns gestern die Schlierseer Bauern boten, war wenigstens Natur, wahrhaft empfunden, urwüchsig, vom Herzen kommend und darum auch zum Herzen dringend. 66 Die Gegenüberstellung zwischen den „Eingeborenen der Berge“ und den „Salontirolern“ sowie die Betonung der Wahrhaftigkeit der Darstellung bildet das Grundmuster, das sich in vielen weiteren Kritiken der kommenden Jahre findet: Es ist nicht nur der Reiz des Neuen, sondern ein regelrechter Paradigmenwechsel, der die Schlierseer von den Münchenern trennt. Hatten die Münchener eine mühsame Balance zwischen Natürlichkeit und künstlerischer Professionalität zu halten gesucht, strebten die Schlierseer in ihrem Auftreten deutlich in eine Richtung: die der ‚unverstellten Bauern- Natur’. Publikum und Presse machten das Gastspiel zu einem Erfolg, dessen Kern die Überzeugung war, dass aus dieser ‚Ursprünglichkeit’ der Darstellung eine besondere, eigene Qualität erwachse. 67 Im Herbst des Jahres 1893 gastierten die Schlierseer bereits in Berlin am Wallner-Theater, das auf Possen spezialisiert war. Auch in Berlin war der Boden durch die jahrelange Präsenz der Münchener vorbereitet, wobei die Theaterleitung des Wallner-Theaters durch eine entsprechende Dekoration dafür sorgte, dass die Schlierseer einen passenden Rahmen vorfanden: Schon beim Eintritt eine angenehme Überraschung: ein würziger Tannengeruch erfüllte das schöne, elegante Haus. Tannenguirlanden rankten sich an den Brüstungen der Logen und Ränge [,] heimatliche Sterndisteln erglänzten in den dunkelgrünen Linien, Bildermedaillons, ‚Buam’ und ‚Deandl’ beim Jodeln, Schuhplatteln und Fensterln darstellend, trugen zum Schmucke des Theaters bei, Fahnen in Weiß-Blau […] zierten den […] Raum. Und vorne an der Bühne stand unserer Berge schönster Schmuck, der schöne Tannenbaum von grünendem Gewächs aller Art umgeben: als Übergang zur eigentlichen Stätte, wo unsere Bauern ihre Kunst […] zeigen sollten. 68 Das vierwöchige Berliner Gastspiel bildete den Auftakt zu einer Reihe von Tourneen, die besonders in den nördlich des Mains gelegenen Teil Deutschlands führten. Innerhalb kürzester Zeit wurden diese Gastspiele zu einem entscheidenden organisatorischen und ökonomischen Faktor für das irreführend, weil sie letztlich die von den Schlierseern selbst betriebene Legendenbildung fortschreibt, die zwischen dem Heimatort und der ‚fremden’ Metropole unterscheidet. Tatsächlich aber waren zum einen Terofal und einige andere Darsteller schon vorher am Gärtnerplatz aufgetreten und zum anderen richteten sich die Vorstellungen in Schliersee keineswegs nur an das einheimische Publikum, sondern waren auch für Gäste aus München gedacht, wie Schupp schreibt. 66 General-Anzeiger vom 7. 7. 1893 zit. nach Nied 1986, 229. 67 Vgl. insgesamt zu dem Gastspiel mit vielen Quellen Nied 1986, 233-237. 68 Bayern-Kurier v. 4. 10. 1893 zit. nach Nied 1986, 229. 219 Schlierseer Bauerntheater, wie ein Blick auf die Zahlen belegt: Insgesamt besuchten sie in den ersten neun Monaten 37 verschiedene Theater und bis September 1894 hatten sie bereits 298 auswärtige Vorstellungen absolviert. 69 Die Produktivität des Ensembles wird erst durch den Vergleich mit den Münchenern erkennbar: Während die Münchener in den 13 Jahren ihres Bestehens 1.982 Vorstellungen gaben, kamen die Schlierseer in den ersten 18 Jahren (bis 1910) auf 5.000 Vorstellungen. 70 Allein diese quantitative Dimension macht deutlich, dass die Schlierseer faktisch - wenngleich offiziell stets bestritten - einen nachhaltigen Prozess der Professionalisierung durchliefen, der, zumindest an einigen Stellen, auch von der Presse vermerkt wurde: Mit Zitherspiel und Kuhglocken haben sie wieder ihren Einzug bei uns gehalten, die Schlierseer ‚Bauern’-Schauspieler, die auf dieses Beiwort um so mehr Wert legen, je weniger sie eigentlich mit Ackerbau, Viehzucht oder dergleichen zu tun haben. Denn unsere Gäste aus den bayerischen Bergen sind genau so Berufsschauspieler, wie andere Wandertruppen von irgend woher; […]. Wer sich unter den Schlierseern oberbayerische Bauern im landläufigen Sinne vorstellt, die nur gelegentlich einmal ‚Komödie’ spielen, ist eben in einem gewaltigen Irrtum befangen. 71 Dennoch blieben solche kritischen Stimmen die Ausnahme, die letztlich den Erfolg der Schlierseer nicht schmälerten. Höhepunkt der Gastspieltätigkeit war sicherlich eine Tournee durch die USA im Jahr 1895, die u.a. nach New York, Indianapolis, St. Louis und Chicago führte. Insgesamt kann man festhalten, dass es den Schlierseern innerhalb kürzester Zeit gelang, zu einem - bisweilen oft karikierten und ebenso oft plagiierten - Inbegriff von Volkstheater zu werden, das an die Erfolge der Münchener anknüpfte, sie aber durch seine spezifische Gestalt verdrängte. Die Schlierseer schafften es, sich in einen Diskurs einzuschreiben, der Heimat und soziale Gemeinschaft mit den Begriffen einer ‚ursprünglichen’, ethnisch zu fassenden Identität imaginierten. 69 Vgl. zu diesen Zahlen Nied 1986, 269f. 70 Rein statistisch bedeutet dies, dass die Schlierseer ca. 384 Vorstellungen pro Jahr anboten, im Vergleich zu den Münchenern mit 148 Vorstellungen pro Jahr. 71 Wiesbadener Tageblatt Nr. 48 v. 29. 1. 1904, 3. Diese Professionalisierung konstatiert auch Nied 1986, 14f. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung wird Drehers Schilderung des Entstehens der Schlierseer, die ja den Eindruck zu erwecken suchte, das Theater-Spielen füge sich natürlich in den gegebenen Rhythmus des bäuerlichen Lebens ein, als Teil der Konstruktion des Bildes der Schlierseer erkennbar, aber nicht unbedingt glaubwürdiger. 220 Repertoire und Selbstinszenierung Um die kulturelle Positionierung besser verstehen zu können, ist es hilfreich, das Repertoire und besonders die Strategien der Selbstinszenierung in ihren Grundzügen nachzuzeichnen. Obgleich das Repertoire der Schlierseer umfangreicher war, als das der Münchener, schöpften sie im Wesentlichen aus der gleichen Quelle: Das erfolgreichste Stück war „Jägerblut“ von Benno Rauchenegger (1843-1910), gefolgt von „’s Lieserl vom Schliersee“ von Hans Neuert (1838-1912), einem ehemaligen Mitglied der Münchener, der auch das von diesen erfolgreich aufgeführte Stück „Almenrausch und Edelweiß“ nach einer Erzählung von Hermann von Schmid dramatisiert hatte. Der Wiener Kritiker Karl Kraus (1874-1936) hat diese Werke als „sattsam bekannt[e] Normallodenstück[e]“ 72 charakterisiert, während Ernst Georg Nied sie als ländliches ‚Boulevardtheater’ beschreibt: Der Unterschied zu städtischem Unterhaltungstheater besteht vor allem darin, daß in den Bauernstücken der Anschein der Authentizität erweckt werden soll, während die Handlung - wie beim Boulevard - belanglos oder unglaubwürdig sein darf, wenn sie nur einigermaßen griffige Charaktere in wirkungsvollen Verwicklungen vor alpiner Kulisse zeigt. 73 In diesem Sinne lassen sich einige Besonderheiten der Bauernkomödie feststellen, die weniger auf einer dramaturgischen Konzeption als auf der beabsichtigten Publikumswirkung beruhen: Zu diesen Besonderheiten gehört vornehmlich der komödiantische Grundton, der jede Form der vertieften Problematisierung oder Psychologisierung vermied. Eher wurden Unwahrscheinlichkeiten der Handlung in Kauf genommen, als zugunsten einer (psychologisch oder sozial begründeten) Wahrscheinlichkeit die Eindeutigkeit der Fabel einzuschränken. Stimmungsumschwünge waren nicht motiviert, sondern erschienen als äußere, bisweilen aufgesetzte Effekte. 74 72 Kraus 1979a, 203. 73 Nied 1986, 49. 74 „Die starken Rührungseffekte, mit denen das Volksstück arbeitet, sind wie seine meisten Wirkungsmomente fast immer willkürlich und äußerlich aufgesetzt.“; Rückle 1929, 34. Abb. 26: Terofal als Hauserin im „Amerikaseppl“. 221 In dieser Dramaturgie nahmen Episodenfiguren einen entscheidenden, teilweise den Rahmen der Fabel sprengenden Raum ein. Bei den Schlierseern gründete dies, was nicht untypisch war, in dem Umstand, dass mit Xaver Terofal ein entsprechender Schauspieler zur Verfügung stand. Dieses Kalkül wurde auch von der Kritik benannt, allerdings im Lob für Terofal zumeist mitgetragen: Ohne den Bader [gespielt von Terofal] wäre das Stück ‚Jägerblut’ ungenießbar, […]. Der Bader gibt ihm Leben und Humor. Der Bader, der mit dem Kern der Sache eigentlich nichts zu tun hat, und deshalb entbehrlich sein sollte, steht doch im Mittelpunkt des Interesses; er ist unentbehrlicher als alle anderen. 75 Hierbei lassen die stereotypen, komischen Figuren zunächst an die Protagonisten der Stegreifkomödien in der Tradition der commedia dell’arte denken. 76 Aber eine solche Referenz verweist kaum über das Assoziative hinaus, wie mit Blick auf die Münchener Theatergeschichte festgestellt werden konnte, 77 ging doch die Entstehung der oberbayerischen Bauernkomödie (und ihres ‚Stammsitzes’, des Gärtnerplatztheaters) gerade auf die Auflösung des bestehenden, vorstädtischen Improvisationstheaters zurück. Statt einer solchen historischen ‚Naturalisierung’, die möglicherweise noch den Kern einer karnevalistisch-subversiven Theaterkultur zu entdecken suchte, ist es angebracht, sich des kommerziell-wirkungsorientierten Charakters der Figurenführung bewusst zu werden. Die Bezüge lassen sich eher zum Melodrama bzw. der Music Hall herstellen, die ebenfalls mit holzschnittartigen stock characters arbeiteten. Wie sehr die Bauernkomödie sich solch zeitgenössischen Formen der Komik öffnete, lässt sich gut an der Rolle des Sepp in „Der Amerikaseppl“ (Rauchenegger/ Manz) erkennen, der sich im Verlauf des Stückes als „Hauserin“ verkleidet. Diese Rolle gab Terofal ausgiebig Gelegenheit für komische Auftritte in einer Travestierolle und die Kritik wies lobend auf die parallele Dramaturgie zu Brandon Thomas’ „Charley’s Aunt“ (UA 1892) hin: In gelungener Metamorphose tritt Sepp als dralles ‚Bauernweib’ in die Stube und bezwingt nicht nur das Herz des Bergmosers, sondern erwirbt auch noch die glühende Liebe eines weiteren Bauern und sogar des Amtsdieners. […] Man sieht 75 Wiesbadener Tageblatt Nr. 502 v. 2. 12. 1907, 5. 76 Hierauf spielt Rückle 1929, 28f., an. 77 Vgl. S. 210 dieser Arbeit. Abb. 27: Terofal als Bader in „Jägerblut“. 222 also, daß hier ‚Charley’s Tante’ in eleganter Weise auf schlierseerisch übersetzt worden ist. 78 Ein weiteres Merkmal des Repertoires war die ‚atmosphärische Ausgestaltung’, die sowohl auf die geographische Umgebung und die Allgegenwart der Natur zielte wie auch auf spezifische soziale Besonderheiten. Schon Rückle hat in seiner Arbeit auf das angestrebte „gut gestellt[e] Schlußtableau“ 79 als zentralen dramaturgischen Fluchtpunkt aufmerksam gemacht. Hier zeigt sich eine Nähe zur Malerei, die mehr als zufällig ist, denn die Kulissen sowie die ornamentale Nutzung der Schauspieler (durch Tracht und Volkstanz) zielten auf die Darstellung und Evokation der bekannten Idyllen- und Naturbilder. In vergleichbarer Weise wurden Brauchtumselemente, sofern sie über einen ‚exotischen Mehrwert’ verfügten, in die Dramaturgie eingebunden. Sehr beliebt waren Hochzeitsbräuche oder Umzüge zu besonderen Gelegenheiten, wie der Erntedankzug der Jungfrauen in „’s Lieserl vom Schliersee“. Ein spektakuläres Beispiel, das mehr als andere die Fantasie der Zuschauer ansprach, war das sog. Haberfeldtreiben. Hierbei handelt es sich um einen Brauch, 80 in dessen Zentrum ein Akt kollektiver Missbilligung und Ächtung stand. Der Legende nach geht diese Art der Gerichtsbarkeit auf die karolingische Zeit zurück und ist eine ländliche Fortführung des Fehmegerichts. Die Attraktivität dieses Brauchs bestand in seiner eigentümlichen Form: Die Haberer erscheinen nachts vermummt vor dem Haus des ‚Übeltäters’ und verlesen in Knittelversen sein Sündenregister. Danach verschwinden sie wieder in der Dunkelheit. Mit der Einführung der Zivilgerichtsbarkeit gingen die Behörden in besonders strenger Form gegen den Brauch vor. Die Schlierseer spielten nicht nur seit 1894 ein Stück mit dem Titel „’s Haberfeldtreiben“ von Karl Lichtenfeld, sondern ließen auch verschiedentlich verlauten, dass gerade Schliersee ein Zentrum des Haberfeldtreibens sei. Die Zusammenfassung des Stücks in der Broschüre „Das Schlierseer Bauerntheater“ (1896) macht deutlich, wie die Dramaturgie die spektakulären Elemente des Brauchs weidlich in Szene setzte und - ganz in der Manier des Melodramas - Natur und Handlung in eins brachte. Deutlich wird dies an der Beschreibung der Bestrafung des Bösewichts Grünmoser, der aus Furcht vor den Haberern schon sein Haus verkauft hat, um fliehen zu können: In stiller Nacht, der letzten, die er noch in seinem veräußerten Anwesen verbringen will, schleichen die Vertreter des Haberergerichts heran, holen ihn aus dem Hause, lesen ihm sein Sündenregister vor und binden ihn schließlich an einen Baum fest, worauf sie den Schauplatz verlassen. Unter Flüchen und Wuthgebärden schwört der gefesselte Grünmoser den Abziehenden Vergeltung. Indessen ist ein schon früher merkbares Gewitter heraufgezogen und kommt zum Ausbruch. Ein Blitz fährt in den Baum, an den Grünmoser gebunden und streckt 78 Mainzer Tagblatt Nr. 18 v. 17. 1. 1906, 2. 79 Rückle 1929, 27. 80 Vgl. hierzu ausführlich Schnieder 1983. 223 ihn nieder. S o f o l g t d i e s e m V o l k s g e r i c h t , w i e e i n e S i g n a t u r d e s H i m m e l s , e i n G o t t e s g e r i c h t ! 81 In dieser szenischen Zuspitzung erfüllt das Gewitter nicht nur eine dramaturgisch-sensationelle Funktion, es wirkt auch als Bestätigung des Brauchs durch die Natur oder, wie es der Text deutet, durch den Himmel als metaphysische Instanz. Damit schreibt diese szenische Präsentation das Bild der im Einvernehmen mit der Natur (und Gott) lebenden Bauern fort. Das Hauptmerkmal des Repertoires der Schlierseer war ein Stückaufbau, der durchlässig war für wiederholte Tanz- und Gesangseinlagen. Hierbei spielten das Schnadahüpfl’n 82 sowie der Schuhplattler 83 eine wichtige Rolle. Schaumberger beschreibt, dass der Tanz sogar über die Bühne hinaus in den Zuschauerraum gereicht habe: Und wenn nach Beendigung der Vorstellung die Darsteller in den Zuschauerraum herabsteigen und sich da ein fideler Bauernball entwickelt, wobei natürlich der famose Schuhplattler die Hauptrolle spielt, dann glauben wir leibhaftig die Menschen zu sehen, die das eben Gesehene wirklich erlebten, und wundern uns darüber, daß der Bua, den wir gerade auf Nimmerwiedersehen traurig von seiner Liebsten Abschied nehmen sahen, jetzt schon wieder seelenvergnügt ein anderes Diandl im Tanz hoch emporschwingt, […]. 84 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Repertoire sowie die ästhetischen Mittel der Schlierseer deutlich auf Wirkungseffekte abzielten und dafür den Schauspieler und weniger den Text zum zentralen Bezugspunkt des Theatererlebnisses machten. Dies hat Rückle bereits für die Münchener festgestellt: Das Volksstück hat seinen Schwerpunkt im darstellerischen, nicht im literarischen, seine Förderung und Pflege lag von den ersten Anfängen an vornehmlich in den Händen von Männern der Praxis, von Direktoren und Schauspielern. 85 Das kulturelle Phänomen der Schlierseer erschließt sich aber erst, wenn man auch die Selbst-Inszenierung jenseits der Bühne mit in den Blick nimmt. Zunächst einmal ist hierbei die Gestaltung der Bühne bzw. des gesamten Theaterraumes zu berücksichtigen: Das Theaterhaus in Schliersee verband sowohl von seiner Lage her (nächst einem Hotel und mit pittoreskem Blick) als auch in seiner Gestaltung des Innenraums Motive bayerischer Lebensart mit den räumlichen und gestalterischen Theaterkonventionen. So weist Karl Kraus darauf hin, dass während den Vorstellungen gegessen und getrunken werden konnte: 81 Bauerntheater 1898, 29f. 82 Vgl. Gockerell 1974, 278f. 83 Nina Gockerell verweist darauf, dass der Schuhplattler in dieser Form nichts mehr mit dem ‚ursprünglichen’ Volkstanz zu tun habe, sondern eine durch die Bauerntheater am Ende des 19. Jahrhunderts erfundene Form sei; vgl. Gockerell 1974, 273. 84 Schaumberger 1893, 46. 85 Rückle 1929, 24. 224 Die Productionen finden ‚vor gedeckten Tischen’ statt, und die Münchener, stets zahlreich versammelt, lassen sich in der Andacht des Bieres durch das Schauspiel keineswegs stören. 86 Nun war die Kombination von Theater und Gastronomie, namentlich in den Lokal-, Biergarten- oder Rauchtheatern, nichts Ungewöhnliches oder nur für das Bauerntheater Typisches. Nimmt man hinzu, dass das Wirtshaus ein besonders gern dargestellter Schauplatz war und ruft sich Schaumbergers Schilderung vom Überspringen der Rampe ins Gedächtnis, dann scheint es fast, als sei hier nicht trotz der Bewirtung Theater gespielt worden, sondern als trage dies zur atmosphärischen Dichte, die Theater- und Zuschauerraum verbindet, bei. Die Assoziationen von Unbeholfenheit und einem Charme, der sich gerade durch das verfehlende Imitieren bestehender Konventionen auszeichnet, beschreibt Kraus ebenfalls: Eine Kuhglocke gibt das Signal zum Aufziehen des Vorhanges, und ein Orchester von ländlicher Ungenirtheit erfüllt die Ohren der Zuschauer, die Zwischenacte und somit auch seine Pflicht zur Genüge. Das Haus ist elektrisch beleuchtet, und als Souffleurkasten dient den Naturschauspielern ein allerdings wenig cachirter roter Bauernregenschirm. Das rothe Parapluie, Symbol der ‚Einfalt vom Lande’, der tugendhaftesten Unbeholfenheit […]. 87 Die ‚ländliche Transformation’ traditioneller Theaterzeichen wurde als Markenzeichen auch auf den Gastspielen mitgeführt, was den Charakter der Selbst-Inszenierung noch einmal unterstreicht. Ein weiteres Mittel dieser Selbst-Darstellung war die ostentative Betonung des Laien-Status der Schauspieler bspw. durch öffentliche Kostproben (durchaus im Wortsinne) ihrer handwerklichen Kunst oder der explizite Verweis darauf in den Veröffentlichungen. Auch hier kann der Bericht von Kraus, der in seiner Gegenüberstellung der Schlierseer mit den ‚üblichen’ Theatergewohnheiten weitgehend der vorgegebenen/ intendierten Lesart folgt, als beispielhaft angesehen werden: „[D]er ‚jugendliche Held und Liebhaber’ Mathias Gailing [hat] mir heute recht kräftig - die Stiefel geputzt. Seine schauspielerischen Leistungen sind nicht minder ‚glänzend’ […].“ 88 Im selben Ton fährt er über die Arbeitsmoral der Schauspieler fort: Capriciosität würde auch dem Fräulein D i r n b e r g e r , welche im bürgerlichen Berufe des Kühemelkens beim besten Willen keine Gelegenheit zu überreizten Nerven finden kann, sowie den Damen P e i n t n e r und O e f e r l e , die sich beim Butterstampfen und Düngerschaufeln offenbar auch recht wohl fühlen, schlecht passen. Theaterdamen, die mit der Heugabel bedrohlich umzugehen verstehen, pflegt auch kein Schlierseer Lebemann zum Souper einzuladen, so daß die dortige Chronique scandaleuse an Coulissen-Pikanterien wirklich arm ist. 89 86 Kraus 1979a, 202. 87 Kraus 1979a, 202. 88 Kraus 1979a, 203. 89 Kraus 1979a, 203. 225 Hinter Kraus’ ironischem Grundton verbirgt sich - neben den Seitenhieben auf das öffentliche Bild des Theaters und seiner Künstler - jene Argumentationsfigur des Gegensatzes von unverstellter Natürlichkeit vs. Ziererei und „überreizter Nerven“, die für das (Selbst-) Verständnis der Schlierseer von so zentraler Bedeutung war. Fluchtpunkt dieser behaupteten Authentizität waren die Körper der Schauspieler, die auf der Bühne durch den Schuhplattler und den Gesang besonders akzentuiert wurden. Hierbei war es sowohl der physische Körper, der Gesundheit und Kraft auszustrahlen hatte, als auch der kulturelle Körper, der durch die Tracht zu einem Zeichen regionaler, autochthoner Identität gemacht wurde. Dieses Bild verkörperten die Schlierseer auch jenseits der explizit theatralen Vorführungen in ihrem gesamten Erscheinungsbild. Dies erregte nicht nur Aufmerksamkeit, sondern unterschied sie (scheinbar) von professionellen Schauspielern, die ihr Kostüm nur auf der Bühne trugen. 90 Weitere Mittel, um die Schlierseer zu einem festen Begriff zu machen, waren die damals üblichen Publikationen, die als Programmheft im heutigen Sinne fungierten und weitergehende Informationen über das Ensemble boten. Hier liegen mit Schaumbergers früher Schrift „Konrad Dreher’s Schliersee’r Bauerntheater“ (1893) sowie der ohne Verfasserangaben erschienenen Broschüre „Das Schliersee’r Bauerntheater“ ( 1 1896) zwei prototypische Veröffentlichungen vor. Neben diesen üblichen Mitteln sticht die große Zahl von Postkarten und Rollenporträts ins Auge. Auch dies entspricht durchaus den üblichen Gepflogenheiten, denn mit dem 19. Jahrhundert hatte sich die Fotopostkarte zu einem Massenmedium entwickelt, das gerade von Schauspielern weidlich genutzt wurde. Bei den Postkarten und Rollenporträts der Schlierseer ist auffällig, dass sie konsequenterweise die Darsteller immer in Tracht zeigen und in ihrer ästhetischen Gestaltung eher an ethnographische Dokumentationen erinnern als an Rollenfotos jener Zeit. Von besonderem Interesse sind die Abbildungen des gesamten Ensembles, das sich zumeist wirkungsvoll vor alpenländischer Kulisse in Szene setzt. Hierdurch gelingt die (im Medium des Fotos ja bereits angelegte) Zirkulation eines angestrebten Bildes über die Bühne hinaus, so dass die in der Selbst-Darstellung angelegte Überblendung der Darsteller mit der Landschaft („Naturschauspieler“) visuell greifbar und noch jenseits des Theatererlebnisses erfahrbar wurde. Das Prinzip einer umfassenden Präsenz, besonders am aktuellen Auftrittsort, begründete nicht nur eine nach heutigen Maßstäben höchst effektive Werbe- und Pressepolitik, die bspw. ‚human interest’-Geschichten, wie die zufällige Begegnung Xaver Terofals mit Kaiser Wilhelm II. im Berliner Tiergarten, sofort deutschlandweit verbreitete, 91 sondern führte auch zu einer Praxis öffentlicher Auftritte, mit denen die Truppe ihre physische Prä- 90 Hierauf verweist Nied 1986, 168. 91 Vgl. Nied 1986, 170. 226 senz in der jeweiligen Stadt demonstrierte. Typisch für diese Aktionen waren bspw. die „Werbemärsche“ vom Bahnhof zum Theater, wie sie das Ensemble bei ihrem ersten Gastspiel in München 1893 ausgeführt hatte. 92 Auch hierfür lassen sich in der Theater- und Kulturgeschichte zahlreiche Vorbilder finden. Der naheliegendste Bezug sind wohl die zeitgenössischen Einzüge des Zirkus oder der Völkerschauen, die diese Praxis, wie Anne Dreesbach nachweist, von dem amerikanischen Schausteller P. T. Barnum 93 (1810-1891) übernahmen. 94 Hierbei konstituiert der spektakuläre Aufmarsch durch die ihm eigene Theatralität eine Öffentlichkeit, die der Großstadt als Sozialsystem an sich fremd ist. Der äußere Anlass der Truppe verbindet die Städter zu einem gemeinsamen Publikum. Vanessa R. Schwartz hat auf diese konstitutive Bedeutung des „urbanen Spektakels“ mit Blick auf das Paris des 19. Jahrhunderts hingewiesen, das kollektive Zuschauen erzeugt hierbei eine (freilich brüchige) Gemeinsamkeit: The visual representation of reality as spectacle in late nineteenth century Paris created a common culture and a sense of shared experience through which people might begin to imagine themselves as participating in a metropolitan culture because they had visual evidence that such a shared world, of which they were part, existed. 95 Der Einmarsch der Schlierseer eröffnet noch eine weitere Lesart, die für die Identitätspolitik ebenfalls von Bedeutung gewesen sein dürfte: Durch ihr gemeinschaftliches Auftreten sowie ihre (regional bzw. ethnische) Markierung, durch die Tracht als ‚fremd’ ausgewiesen, unterstrich der Aufmarsch nochmals die für die kollektive Wahrnehmung (und den ästhetischen wie ökonomischen Erfolg) so konstitutive Gegenüberstellung von Stadt vs. Land. 92 Vgl. hierzu Nied 1986, 168-170. 93 Vgl. einführend zu Barnum Adams 1996 und 1997. 94 Vgl. hierzu Dreesbach 2005, 115-118. In diesem Kontext ist auch auf den traditionellen Trachtenumzug im Kontext des Münchener Oktoberfestes zu verweisen, der seit 1835 zum festen Repertoire dieses Festes gehört. 95 Schwartz 1998, 6. 227 Rezeption Als Besucher des jiddischen Theaters [in New York] zuckte ich dauernd und konvulsivisch zusammen. […] Als ich dann später Brecht von diesem grausamen Theatererlebnis berichtete und von der Pein, die ich Piscator gegenüber durchlitten hatte, sagte der nicht zu vergessende Bayer: »Wieso schämen Sie sich? Ich schäm’ mich auch nicht vor Ihnen der Schlierseer wegen.« Fritz Kortner 96 Die enge Verflechtung von Bühnenatmosphäre und Erscheinungsbild des Ensembles jenseits der Bühne verfehlte ihre Wirkung bei Publikum und Presse nicht. Die meisten Kritiken folgten in ihrer Lesart den vorgezeichneten Pfaden und betonten ‚Frische’ und Ursprünglichkeit der Darstellung: „Die Natürlichkeit und Frische der Schlierseer macht einen so gewaltigen Eindruck, daß Berufsschauspieler davon lernen können.“ 97 / „Diese Bauern spielen sich selbst mit vollster Naturtreue in ihrem eigenen Dialekt. Ihre Bauerntypen sind naturwahr, trotzdem sie auf der Bühne stehen und ‚gespielt’ werden.“ 98 / „[I]m Mittelpunkt steht der urwüchsige und in seiner Komik unwiderstehliche Xaver Terofal.“ 99 / „Spielen die Naturkinder auch alle gut, […]“ 100 Diese Attribuierungen, die hier beispielhaft aus den Kritiken des Mainzer Gastspiels 1906 ausgewählt wurden, beschreiben die Darstellung als im ‚Wesen’ der bayerischen Bauern liegend. Ähnlich argumentiert auch Peter Rosegger (1843-1918): „Das ist die Natur des älplerischen Bauernthums.“ 101 Im Zentrum seiner Beschreibung stehen die nicht-sprachlichen, nichtliterarischen Elemente: Dieser ‚Schuhplattler’, das wilde Werben des glühenden Alpenburschen ums spröde und bald wie Wachs sich schmiegende Dirndl! […] [W]as kann das für ein urgesundes, kreuzlustiges Volk sein, das in solchen Bewegungen und Rhythmen seiner Lebensfreude Luft machen muß. 102 Julius Schaumberger rekurriert in seiner Schilderung - ohne dies explizit zu benennen - auf die Metapher einer ‚erdverwachsenen’, autochthonen Kultur, wenn er schreibt: Dieses liebliche, anmutige Hochland zwischen Isar und Inn, auf das die Sonne mit ganz besonderem Wohlgefallen herabzuschauen scheint, beherbergt ein Volk, wie 96 Kortner 1991, 477. 97 Mainzer Tagblatt Nr. 14. v. 15. Januar 1906. 98 Neuester Anzeiger Mainz Nr. 265 v. 14. November 1906. 99 Mainzer Tagblatt Nr. 308 v. 14. November 1906. 100 Mainzer Journal Nr. 205 v. 14. November 1906. 101 Rosegger 1898, 104. 102 Rosegger 1898, 108. Vgl. hierzu auch Schaumberger 1893, 20. 228 es nur unter solch einem ganz besonderen Natursegen gedeihen kann: prächtige, stämmige, kerngesunde Menschen mit fröhlichen Herzen und hellen Köpfen. 103 Das ‚Verwurzeltsein’ in einer Landschaft, deren Züge und Klima unmittelbar auf die Lebensform und die kulturellen Hervorbringungen einwirken, bildet den entscheidenden Kern in der Wahrnehmung der Schlierseer. Ihre Kunst erscheint diesem Blick nicht einfach nur ‚unverstellt’ und ‚natürlich’, sondern als der unmittelbare Ausdruck einer regionalen, ethnischen Identität. Sie ist nicht Produkt einer sorgfältigen Ausbildung - gerade im Gegenteil erscheint sie durch den Laienstatus überhaupt erst möglich zu werden. Jede Professionalisierung zerstört diese Wirkung und damit auch das Besondere des Ensembles. 104 Aus diesem Grund wendet sich auch Karl Kraus gegen die Tourneepläne der Schlierseer: Ein derartiges Bärenführen kann für die frische, heimatwüchsige Kunst der Schlierseer durchaus nicht von Vorteil sein; sie werden an ihrer Schlichtheit Schaden nehmen, wenn sie in Schlichtheit ‚reisen’, die Fühlung mit dem heimatlichen Boden verlieren und dafür die schlechten Manieren der Virtuosen erlernen. Man hüte sich, die immerhin merkwürdige und in der Geschichte des Theaters bedeutungsvolle Erscheinung agirender Bauern zur ‚Specialität’ zu erniedrigen, von der zu der Orpheums-Pikantierie der ‚neunjährigen Soubrette’ nur mehr ein Schritt ist. 105 Die Bezogenheit der Schlierseer auf ihren „heimatlichen Boden“ und die Urtümlichkeit ihrer Darstellung, die in einer ethnischen Berufenheit zum Schauspiel wurzelt, sind Denkfiguren, die auf eigentümliche Weise eine (wenn auch zeitlich leicht verschobene) Resonanz in dem sich konstituierenden theaterwissenschaftlichen Diskurs finden: Die Betonung des Physischen, besonders durch den Verweis auf den Tanz als untrainierte Spielkunst, behauptet ein Theater jenseits des Theaters des Dramas und verweist damit auf das Begriffsfeld des Mimus. 106 Der Begriff Mimus, der ursprünglich ein spezifisches Genre des antikrömischen Theaters bezeichnete, wurde für den Münchner Theaterwissenschaftler Artur Kutscher (1878-1960) sowie für den Gründer des Kölner Instituts für Theaterwissenschaft Carl Niessen (1890-1969) zum zentralen Bezugspunkt einer von den Philologien unabhängigen Theaterwissenschaft. Kutscher definiert kategorisch: „Der Kern der Philologien ist der Logos, der 103 Schaumberger 1893, 19. 104 Hier offenbart sich ein grundsätzlicher Unterschied zu den oben besprochenen „Tell“- Spielen: Deren spezifische Dynamik entsprang dem theatralen Akt der Aneignung des Kanons - bei den Schlierseern aber spielt dieser Bezug überhaupt keine Rolle, entscheidender sind vielmehr jene Elemente, die als ihr unveräußerlich Eigenes verstanden werden, wie der Schuhplattler. 105 Kraus 1979a, 205. Konsequenterweise stellt Kraus angesichts eines Gastspiels 1897 fest: „Kein Wunder, daß die frische, heimatwüchsige Kunst dieser Bauern, durch den beständigen Aufenthalt in Großstadt- und Coulissenluft, Schaden genommen hat. Heute sind die Schlierseer fertige Durchschnittsschauspieler, die für uns erst wieder interessant werden, wenn wir uns auf dem kalten Wege der Erinnerung beibringen, daß, die uns hier Bauern vormimen, ja selbst einmal wirkliche Bauern waren.“; Kraus 1979b, 73. 106 Vgl. einführend zum Konzept des Mimus Kotte 2005, 80-86. 229 Kern der Theaterwissenschaft ist der Mimus.“ 107 Obgleich Kutscher und Niessen unterschiedliche Perspektiven verfolgten, 108 stimmten beide in einer substanziellen Grundlegung überein, derzufolge Theater „eine Gabe der menschlichen Natur“ 109 sei. Die Geschichte des Theaters erweist sich in dieser Perspektive nur noch als „Entfaltung“ dieses Wesens unter den je spezifischen historischen Gegebenheiten: Mit dem mimischen Urtrieb ist im Grunde das Theater in seiner Ganzheit gegeben, denn es bedarf nur der Zeit und verschiedener Umraum-Umstände, bis sich die Gesamtheit dessen, was wir Theater nennen, aus der Keimzelle entwickelt. 110 Abgesehen von den hochproblematischen Implikationen, die sich aus einer solch substanziellen Begriffsbildung ergeben, 111 implizieren Kutscher und Niessen damit schon begrifflich eine je kulturspezifische Neigung zum Theater. Während Niessen sich hierbei auf Beispiele aus aller Welt stützt, rekurriert Kutscher in seinen Ausführungen vornehmlich auf Europa bzw. auf Deutschland: Wir kennen kein Volk ohne mimische Spiele, aber diese entsprechen dem Charakter seiner Menschen. […] Der Bauer in der Lüneburger Heide, der Fischer auf der Nordseeinsel kann vor dem Selbstmord stehen oder das große Los gewonnen haben; sein Gesicht bleibt undurchdringlich, seine Haltung zeigt nichts von Erregung. Dem Süddeutschen dagegen kennt man an, was ihn bewegt, sein innerer Zustand verrät sich schnell und heftig in den Mienen und Gliedern, er ist weniger gehemmt, er befreit sich schneller von seinem Überschuß an Freud und Leid, er jauchzt, schreit, springt in die Luft, greift zum Maßkrug, teilt Watschen oder Liebkosungen aus. Doch auch hier sind wieder Unterschiede vorhanden. Der Schwabe hat eine auffallend geringe mimische Veranlagung; der Alemanne eine größere; die stärkste aber der bayerisch-österreichische Stamm. 112 Das Argument einer ‚stammesspezifischen’, bayerischen Neigung zum Theaterspiel ist ein fester Topos, der sich nicht nur im Bezug auf die Schlierseer immer wieder finden lässt, sondern mit Blick auf die zahlreichen Prozessionsbräuche und Passionsspiele als eine Mischung aus historisch gewachsener Tradition und ethnischer Veranlagung verstanden wird. 113 Kutschers Interesse galt im Hinblick auf den Mimus nicht dem Kultur- Theater, sondern explizit jenen ‚ursprünglichen’ Formen, die noch nicht durch die Zivilisation reglementiert oder ‚verunreinigt’ waren. Diese reine 107 Kutscher 1936, 196. In vergleichbarer Weise bestimmt auch Niessen den Mimus als „(dynamisch[e]) Substanz“, die der Theaterwissenschaft als „Quellpunkt“ dienen kann; vgl. Niessen 1949, 470. 108 Niessen zielte in seinem nie vollendeten Werk „Handbuch der Theater-Wissenschaft“ vornehmlich auf eine komparatistisch-ethnologische Beschreibung, während Kutscher in höherem Maße das (europäische) Kultur-Theater im Blick behielt. 109 Kutscher 1932, 7. 110 Niessen 1949, 502. 111 Vgl. gegen eine solche substanzielle Bestimmung von Theater grundsätzlich Münz 1998. 112 Kutscher 1932, 8. 113 Vgl. hierzu bspw. Gockerell 1974, 80-84. 230 Form des Spiels findet sich nach Kutscher nur noch bei Kindern oder „Primitiven“: „Dem Kinde am nächsten stehen die Naturmenschen, die Primitiven. Ihr wichtigstes Spiel ist der Tanz.“ 114 Dass Kutscher dies nicht nur auf ‚exotische’ Völker bezieht, sondern Reste und Spuren davon auch in der deutschen Kultur erkennen will, belegt seine Diskussion des Tanzes, der für ihn aus dem „Drang [entsteht], seelischen Erregungen körperlichen Ausdruck zu verleihen“ 115 und damit universell zu finden ist, wie bspw. im Liebestanz: Es gibt Liebestänze, die nichts bezwecken als den Tanzenden, Mann oder Frau, von der geschlechtlich und rassig vorteilhaftesten Seite zu zeigen, in aller Plastik und Schönheit, Kraft, Ausdauer, Geschicklichkeit und so eine Art von Liebeswerbung bedeuten, sogar einen Wettbewerb. Hierher gehört der orientalische Bauchtanz sowohl wie der süddeutsche Schuhplattler. 116 In dieser Perspektive kommt dem Tanz eine geradezu (im Vergleich zur repressiven bürgerlichen Moral) utopische, befreiende Bedeutung zu, die allerdings erst zutage tritt, wenn man seinen direkten Bezugspunkt, den Körper, in den Blick nimmt: Die Körperkunst ist auch die anschaulichste, voll gegenwärtig und fassbar, jedem gesunden Sinne zugänglich, auch dem, der anderen Künsten noch nicht gewachsen ist. Denn der Tanz wird aufgenommen durch unser Körpergefühl, das dem Naturmenschen in höchstem Grade eigen ist, und das der Zivilisierte oft verloren hat oder sich erst spät und mühevoll wieder aneignet. 117 Mit diesem Potenzial, nämlich an ein durch Zivilisation verlorenes Körpergefühl zu erinnern und damit wenigstens ein Stück weit die Entfremdung moderner Zivilisation zu überwinden, gewinnt die spezifische Darbietung der Schlierseer eine Bedeutung, die weit über die rein folkloristische Zurschaustellung hinausreicht. Betrachtet man Tanz und Gesang 118 der Schlierseer nämlich als Residuum des Mimus - und die zeitgenössischen Kritiken lassen durchaus auf eine solche implizite Lesart schließen -, so werden sie zu Zeichen einer ursprünglichen, ethnischen Identität, die der Zivilisierte im Umfeld seines täglichen Lebens, der Großstadt, verloren hat. 119 Dass Kutschers Bestimmung des Mimus noch weitere Bezüge zu den Schlierseern aufweist, wird an seinen Ausführungen zum Drama deutlich, wenn er das Volksstück „im Gegensatz zum klassischen Drama“ 120 definiert. Er bestimmt seine Merkmale als starke Kontraste in der Fabel, typisierende Figurenzeichnung sowie eine Offenheit des Stils und der Fabel: 114 Kutscher 1932, 12f. 115 Kutscher 1932, 13. 116 Kutscher 1932, 25. 117 Kutscher 1932, 14f. 118 Vgl. zum Gesang Kutscher 1932, 17. 119 Auch Rückle 1929, 86f., verweist im Zusammenhang mit dem Schuhplattler auf den Mimus. 120 Kutscher 1932, 93. 231 Es erlaubt sich, die Handlung zu unterbrechen, zu beleben, wo es am Platze scheint, mit den alten Bühnenmitteln, Musik, Gesang und Tanz. Der übliche Zusatz ‚mit Gesang und Tanz’ ist vollauf berechtigt. Das Volksstück ist wie der Mimus Antipode des klassischen Dramas und doch Mutterschoß aller Dramatik. 121 All diese Merkmale lassen sich auf die Schlierseer beziehen und korrespondieren mit der von ihnen intendierten Selbst-Darstellung. Der Seitenblick auf die Diskussion um den Mimus-Begriff, die zeitlich zwar der Hochphase der Schlierseer nachgeordnet ist, aber dennoch Bezüge zu ihnen erkennen lässt, macht deutlich, wie einzelne Elemente zum Ausweis einer ethnischen Identität stilisiert 122 und als solche in eine Sichtweise eingebunden werden, die das modernisierte Leben vornehmlich als Verlust erfährt. Das vermittelte Echo, das der Erfolg der Schlierseer im Diskurs um den Mimus findet, unterstreicht, wie verbreitet und populär solche Denkfiguren des Vor-Zivilisatorischen, Ursprünglichen in allen gesellschaftlichen Bereichen waren. Das Theater wird hierbei nicht als „moralische Anstalt“ konzipiert, sondern als Ort sinnlicher Erfahrung, die teilweise die Entfremdung der modernen Gesellschaft ‚heilen’ kann. 121 Kutscher 1932, 106. 122 In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass Niessen auf den „germanischen Mimus“ verweist, den er für den Ursprung des Theaters in Deutschland hält. Damit wendet er sich gegen Theorien, die das geistliche Spiel als Quelle für das Theater angeben. (Vgl. Niessen 1949, 519f.) Niessen entwickelt hier ein Geschichtsbild, das - letztlich in Anlehnung an Nietzsche - das Christentum als etwas der germanischen Kultur später hinzutretendes und diese verdrängendes beschreibt. Dass eine solche Auffassung zahlreiche Schnittstellen zur Ideologie des Nationalsozialismus eröffnet, muss an dieser Stelle nicht eigens erörtert werden. 232 Conrad Dreher meets Buffalo Bill: Bajuwarenschau oder Volkstheater ? Die Projektion der Naturhaftigkeit, die die Schlierseer als antimodernen, zivilisationskritischen Gegenentwurf ausdeutete, führte zu einer Wahrnehmung, die letztlich am Kunstcharakter des Dargebotenen zweifelte, wie dies bspw. Hermann Bahr (1863-1934) in seiner Besprechung eines Wiener Gastspiels zum Ausdruck bringt: Diese Vorstellung war nicht nur besser, als was wir sonst zu sehen gewohnt sind, sondern sie hatte überhaupt ein ganz anderes Wesen; das war überhaupt gar nicht mehr Theater. 123 Die (vermeintliche) Authentizität des Dargebotenen löst den Theaterbegriff des ‚als ob’ auf. In der ungekünstelten Präsenz der Darsteller, so die Argumentation, offenbare sich eine ethnische Identität, die nicht einfach nur gezeigt werde, sondern unmittelbar zugegen sei und direkt erfahrbar werde. Diese Lesart eröffnet eine Referenz auf den Diskurs der Historischen Avantgarde und ihres Topos der Überführung der Kunst in Leben sowie auf die Völkerschauen, die zwischen 1875-1930 ein regelrechtes Massenmedium waren. 124 Die Nähe zu den Völkerschauen, die auch Nied thematisiert, 125 bestand nicht allein in der Selbst-Inszenierung und dem Anspruch auf ‚Natürlichkeit’, sondern gründete auch in einer vergleichbaren Struktur der Präsentation, zumindest wenn man Honolds Beschreibung als Referenzpunkt nimmt. In den vom Publikum gut einsehbaren Anlagen saßen die ethnischen Selbstdarsteller wie auf dem Präsentierteller. Vertraglich hatten sie sich dazu verpflichtet, traditionelle Bekleidung zu tragen, ihre handwerklichen Künste, Tänze und Gesänge vorzuführen. 126 Die Völkerschauen waren Teil einer imperialistischen Kultur, die in ihrer visuellen Struktur bereits auf die Beherrschbarkeit der Welt bzw. den eigenen Herrschaftsanspruch verwies. Sie standen - und dies begründete vornehmlich ihre kulturelle Autorität - an der Schnittstelle von Wissenschaft und Populärkultur. 127 Auf diese Weise boten sie eine gut konsumierbare Vision des Fremden an, 128 die in ihrer Struktur vornehmlich durch europä- 123 Bahr 1898, 79. 124 Anne Dreesbach kann in ihrer Studie „Gezähmte Wilde“ (2005) für den Zeitraum 1875- 1930 rund 400 Völkerschauen nachweisen, von denen gut ein Viertel durch die Firma Hagenbeck veranstaltet wurde. Vgl. hierzu Dreesbach 2005, 79 sowie 111. 125 Allerdings lehnt er diesen Bezug als „vorgeblich“ ab; vgl. hierzu Nied 1986, 242. Den Bezug zu den Völkerschauen thematisiert auch Rückle 1929, 93. 126 Honold 2004, 188. 127 Vgl. Honold 2004, 173. 128 Wenn Anne Dreesbach schreibt, „Betrachtet man die Inszenierungen einzelner Gruppen, so fällt eine erstaunliche Übereinstimmung von den in der Werbung angesprochenen Stereotypen und der Inszenierung auf.“ (Dreesbach 2005, 160), so erscheint 233 ische Sehnsüchte und Projektionen vorgezeichnet waren. Konstitutiv für die Völkerschauen war - wenn man von einigen wenigen (literarischen) Ausnahmen, wie Peter Altenberg, Franz Kafka oder Alfred Kerr, einmal absieht 129 -, dass die Schau eine Blickstruktur institutionalisierte, die den Beobachter eindeutig in eine überlegene Position versetzte und damit seine Weltsicht bestätigte. Vor diesem Hintergrund scheint die assoziative Parallele 130 zu den Schlierseern für die Wirkung des Ensembles nachgerade bedenklich. Rudolf von Gottschall (1823-1909) benennt diesen heiklen Bezug in seiner Kritik: Freilich, wenn uns die Bühne nur jene Alpenbewohner selbst und ihre Volksgebräuche vorführen wollte, so würde sie auf einer Linie stehen mit dem zoologischen Garten, wo eine wilde Völkerschaft nach der anderen auftritt, […] nur daß wir es hier mit einem ganz zahmen deutschen Volksstamm zu thun haben; doch ist es ein Mehr, das unsern Antheil weckt. […] [E]s ist […] die Erziehung des Volkes zur Kunst, deren Früchte wir hier genießen […]. 131 Gottschall erkennt - ganz im Sinne des bürgerlichen „Theaters als moralischer Anstalt“ - den Wert bzw. die Leistung der Schlierseer vornehmlich in der „Erziehung des Volkes zu Kunst“; damit steht seine Lesart gegen den Löwenanteil der Kritik, die gerade die Echtheit als eine Abwesenheit jeglicher Erziehung feiert. Um dieses Spannungsverhältnis von Zurschaustellung, Exotik und Identifikation zu verstehen, mag ein Seitenblick auf ein zufälliges Foto helfen, das Conrad Dreher neben dem Indianerhäuptling Iron Tail und Buffalo Bill, 132 alias William Cody (1846-1917), in dessen Wild West Show 133 Iron Tail auftrat, zeigt. 134 Diese eigentümliche Begegnung ist deswegen von weiterführendem Interesse, weil die Wild West Show für die US-amerikanische Gesellschaft eine entscheidende Funktion erfüllte: Mit ihrer Inszenierung der frontier und deren Überwindung im Kampf gegen die „unzivilisierten“ und „wilden“ Indianer offerierte die Show einen affirmativen Bezugspunkt, der jenseits der erst kurz zurückliegenden Spaltung des Bürgerkriegs lag. Gerade dies machte ihr Identifikationsangebot so attraktiv: diese Aussage schon fast tautologisch bzw. belegt, wie sehr diese Formen der Zurschaustellung bewusst auf den Fundus des Imaginären zurückgriffen. 129 Vgl. hierzu Dreesbach 2005, 195-218. 130 Allerdings wird diese Assoziation auch von den zeitgenössischen Kritiken durchaus als Stilfigur eingebunden, wenn die Schlierseer als „Naturkinder“ bezeichnet werden, von ihren „Stammeseigenschaften“ die Rede ist oder man Terofal den „unverwüstlichen Häuptling der Schlierseer“ (Mainzer Neueste Nachrichten Nr. 302 v. 30. 12. 1907) nennt. 131 Gottschall 1898, 110. 132 Vgl. zu Buffalo Bill Kasson 2000. 133 Vgl. einführend zu den Wild West Shows Reddin 1999. 134 Dreesbach 2005 weist auf eine Begegnung von Dreher mit Buffalo Bills Ensemble 1890 in München hin; vgl. Dreesbach 2005, 174f. Ob das Foto von dieser Begegnung stammt, lässt sich allerdings nicht feststellen. 234 By the close of the nineteenth century, wild west shows joined the panoply of mass entertainments that were creating, sometimes consciously, sometimes not, a national culture rooted in the shaped conviction that ‘to be a people of plenty’ Americans would have to accept ‘empire as way of life’. 135 Für die US-amerikanische Identitätspolitik war die Populärkultur allerdings nicht ein Diskurs neben dem ‚eigentlichen’ der ‚Hochkultur’, sondern ermöglichte durch ihre Dynamik und Vielgestaltigkeit überhaupt erst eine solche umfassende Identitätskonstitution. Dreher scheint mit seinem Ensemble einem ähnlichen Projekt verpflichtet zu sein: Die Begegnung mit den bayerischen Bauern im Theater setzt eine dialektische Wahrnehmung von Befremden und (Wieder-) Erkennen in Gang, deren Zentrum eine behauptete gemeinsame ethnische Identität ist, die allerdings unter den Lebensbedingungen der Moderne nicht mehr un- 135 Rydell/ Kroes 2005, 32. Abb. 28: Conrad Dreher trifft Iron Tail und Buffalo Bill. 235 mittelbar leb- und erkennbar ist. In der Kritik eines Ehrengastmahls für die Schlierseer beschreibt ein Prager Journalist genau diesen Mechanismus: Der anregende Contrast der Erscheinung that den Augen wohl, ohne die Herzen zu entfremden; bald entwickelte sich der gemüthlichste Verkehr zwischen den liebenswürdigen Vertretern der ländlichen Kunst und ihren städtischen Genossen. 136 Ein „anregender Contrast für die Augen, ohne die Herzen zu entfremden“ - hiermit ist idealtypisch jene Lesart ausformuliert, mit der die Schlierseer den Exotismus kultureller Differenz ausnutzen konnten, ohne dem Verdikt kategorialer, unüberbrückbarer Fremdheit zu verfallen. Vielmehr boten sie mit der Inszenierung von Ursprünglichkeit ein Bild deutscher Ethnizität, das einem nostalgischen Bedürfnis Ausdruck zu verleihen vermochte. Aus dieser Perspektive verkörperten die Schlierseer eine anti-moderne Alternative zum entfremdeten Leben der Großstadt. Gleichzeitig - und hierin zeigt sich eine Parallele zu Buffalo Bill - war diese Form eben nur in Gestalt moderner Populärkultur möglich, 137 die sich den Bedingungen der Modernisierung anpasste bzw. diese ausnutzte, ohne es erkennen zu lassen: Die schablonenartige Dramaturgie, die präzise Planung und Durchführung der Gastspiele, die Nutzung aller Medien und Zirkulationsformen, um das eigene Bild in Umlauf zu bringen, sowie schließlich die Beziehungen zum Tourismus zeigen, dass das vormoderne Sehnsuchts-Bild nicht von einem vormodernen Theater geliefert wurde. Ihre Arbeit zielte keineswegs auf eine Veränderung der Verhältnisse, sondern stabilisierte diese - ähnlich wie der Tourismus - durch kontrollierte Eskapaden. 136 Zit. nach Bauerntheater 1898, 115. 137 Wie sehr die Schlierseer Teil der zeitgenössischen Populärkultur waren, zeigt zum einen die Vielzahl der Karikaturen und Persiflagen, zum anderen die wuchernde Zahl von Nachahmerensembles mit einem ähnlichen Profil. Innerhalb kürzester Zeit waren die ‚authentischen’ Volkstheater so in Mode gekommen, dass sich Heinrich Stümcke in „Bühne & Welt“ genötigt sah zu mahnen: „Der allenthalben laut werdende Ruf nach Heimatkunst kommt Bestrebungen, wie sie die Dialekttheater vertreten, augenblicklich nicht wenig zu gute, und der Gedanke, den Reichtum deutscher Landschaft und deutscher Mundart von den Brettern, die noch immer die Welt bedeuten sollen, herab zu verkünden, ist an und für sich kein übler. Aber warnen möchte ich doch an dieser Stelle davor, daß eine gewisse Art von Heimatstoffelei und Naturburschentum, die sich in Buchform schon unliebsam genug breit zu machen beginnt, nicht auch auf der Bühne ins Kraut schießt, und daß das Publikum sich nicht schließlich einbildet, ein Stück sei schon gut und interessant, weil es in irgend welchem Dialekt gespielt wird, mag er nun schlesisch oder alemanisch sein.“; Stümcke 1900/ 01, 702f. 236 Fremdkörper im Revier Ja, schwimmen, segeln, Kahn fahren, rudern, bis die Hände Schwielen haben und die Arme bis hinauf zur Schulter rotgebrannt sind, das ist Leben. W. Fred 138 Die Spezifik der nostalgischen Verklärung, die im Zentrum der Schlierseer und der ihnen nacheifernden Truppen stand, beruhte - wie gezeigt - auf der Spannung zwischen der (behaupteten) Natürlichkeit der Darsteller, des Dargestellten und der dazu im Gegensatz stehenden urbanen Lebenswelt des Publikums. In vergleichbarer Weise - dies spielte in der Rezeption dieser Ensembles ebenfalls eine wichtige Rolle - wirkte auch der seit den 1850er Jahren einsetzende Fremdenverkehr sehnsuchtsstiftend und (wenigstens temporär) -befriedigend. Das 19. Jahrhundert bildete nämlich eine besondere Form des Tourismus aus, die sog. Sommerfrische. 139 Der Begriff sowie die Praxis stammen ursprünglich aus Südtirol, wo wohlhabende Familien im Sommer in die höher gelegenen Landesteile zogen, um der Hitze zu entfliehen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die Sommerfrische von Österreich ausgehend - teilweise in Anlehnung an aristokratische Vorbilder - in das Repertoire bürgerlicher Lebensformen übernommen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich diese Urlaubsform so weit, dass dank eines breiteren und differenzierteren Angebotes auch weniger begüterte bürgerliche Schichten im Sommer aufs Land reisen konnten. Voraussetzung war nicht mehr der eigene Landsitz, der in den Sommermonaten bewohnt wurde, sondern die sich rasch ausbreitenden Hotellerie- und Gastronomiebetriebe. Zentrum dieser Reiseaktivitäten waren zunächst die Bäder, später dann jene Regionen, die als besonders natürlich - nicht nur im ökologischen, sondern auch im kulturellen und politischen Sinne - galten. Einen Vorrang genossen die Alpen, boten diese doch der sich etablierenden Praxis des Bergsteigens 140 die perfekte Bühne für eine maskulin-heroische Selbstinszenierung in Form der Berg- und Naturbezwingung. Hans Haas grenzt diese Form von Tourismus, wobei hier wohl richtiger von Alpinismus zu sprechen wäre, von der Sommerfrische ab, indem er auf die jeweils unterschiedlichen Natur-Räume und -bilder verweist: Die Sommerfrische nämlich versprach ein eher gemütliches, geruhsames Naturerlebnis, das nicht durch den Antagonismus von Mensch und Natur geprägt war, sondern die Natur in ihrer pittoresken Form in den Mittelpunkt stellte. Die Sommerfrische war die Antithese zur gleichzeitigen Touristik. Hier erholte man bei kultivierter Geselligkeit die vom städtischen Leben strapazierten Nerven, 138 Fred 1906/ 07, 365. 139 Vgl. hierzu Haas 1994a. 140 Vgl. hierzu Haas 1994b. 237 während der Tourist im Alleingang und in der extremen Herausforderung die vom städtischen Leben abgestumpften Sinne belebte. […] Die Berge umrahmten das harmonische Bild des ruhigen Verweilens auf Veranden, Balkonen und Ruhebänken. […] Anstrengung und Naturbetrachtung standen in Widerspruch zueinander. 141 Die Sommerfrische ist das Gegenbild zum städtischen Leben: hier kann der Stadtbewohner die Zumutungen und Entfremdungen seines Alltags hinter sich lassen, allerdings nicht ohne den Komfort der Urbanität in seinem Hotel wenigstens ansatzweise wiederzufinden. W. Fred hat in seinem Aufsatz „Salzkammergut. Ein Brief.“ (1906/ 07) diese Atmosphäre als Aufblühen und Maskerade gleichermaßen beschrieben: Jung werden auch wieder die Alten, und Kniehose, Bauernmieder und fußfreier Rock trägt dann […] manche und mancher, die uns durch solches Tun nur ein Lächeln aus den Mundwinkeln locken können. Derlei Maskerade ins Bäurisch- Älplerische, die Umwandlung raffinierter und prüder Stadtmenschen in herbe und frische ‚Deandeln’ und ‚Buam’ ist der Hauptreiz solcher sommerlichen Vergnügungen. Im Salzkammergut sein, das heißt für so und so viele: ein paar Wochen oder Monate als letztes Raffinement die Natürlichkeit genießen und üben. 142 Freds Anmerkung unterstreicht, wie sehr die Natürlichkeit letztendlich ein hochgradig kommodifiziertes Konsumgut der urbanen Umwelt war. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass mit dem Aufkommen des Fremdenverkehrs eine Gründungswelle der Heimat- und Brauchtumsvereine einherging. 143 Diese Praxis bürgerlichen Lebens fand ihr Echo auch auf der Bühne - eine Aneignung, die vermutlich nicht allein in der Aktualität und dem unmittelbaren Bezug zur Lebenswelt des anvisierten Publikums begründet war, sondern der Logik des Spektakulären folgte: Stand die Theatralik und das Pittoreske im Zentrum der Naturinszenierung der touristischen Praxis, so konnte die Bühne sich dieses Imaginäre ebenso aneignen wie die folkloristischen Elemente, die ohnehin durch die ‚Bauerntheater’ einen festen Platz in der theatralen Landschaft des späten 19. Jahrhundert hatten. 141 Haas 1994a, 68f. 142 Fred 1906/ 07, 355f. 143 Vgl. hierzu bspw. Hackl 2004, 47f. Abb. 29: Das „Älplertum“ als Mode. Anzeige aus dem „Leipziger Kunst- und Theater-Anzeiger“, 1893. 238 Vor dem Hintergrund dieser Konstellation kann es nicht Wunder nehmen, dass eines der erfolgreichsten Stücke dieser Zeit ebendiesen Topos reichlich bediente: „Im weissen Rössel“ von Oscar Blumenthal und Gustav Kadelburg (1851-1925). Diese Komödie, mit deren Uraufführung 1897 Blumenthal seine Direktion am Berliner Lessing-Theater beendete, war das meistgespielte Stück seiner Zeit und machte Blumenthal zum meistgespielten Autor auf allen deutschen Bühnen. 144 Ähnlich wie „Alt-Heidelberg“ mäandert auch dieses Stück durch verschiedene Medien: 1930 wird es von Ralph Benatzky (1884-1957) und Erik Charell (1894-1974) in eine Operettenrevue umgearbeitet, die wiederum die Grundlage für eine Reihe von Verfilmungen bildet. 145 „Im weissen Rössel“ spielt am Wolfgangsee im Salzkammergut, das „zum Inbegriff der Sommerfrische im 19. und 20. Jahrhundert“ 146 wurde. Das Drama macht diese kollektive Vorstellung zum Zentrum seiner Dramaturgie, was man u.a. daran erkennen kann, dass bereits die einleitende Bühnenbeschreibung explizit Versatzstücke der touristischen Landschaftsaneignung benennt: Die Decoration aller drei Acte stellt den Garten vor dem Wirtshaus „Zum weißen Rößl“ dar, das in brauner Holz-Architektur im Schweizerstyl ausgeführt ist. […] Vorn eine große Wurzelbank, ein ungedeckter Tisch von Naturholz und zwei Stühle. Den Hintergrund der Bühne bildet der See- und Gebirgsprospekt, der sich in bewegten Wellen bis zum Wirtshausgarten fortsetzt, welcher durch eine in der Mitte geteilte Balustrade gegen den See abgegrenzt ist. 147 Die Evokation bekannter Motive setzt sich in der musikalischen Begleitung fort, denn die Szenenanweisung schreibt vor, dass man „das Zithervorspiel des Tiroler Volksliedes, mit welchem das Stück beginnt“ 148 , hört. Indem das gewünschte Bühnenbild die panoramatische Präsentation der Landschaft auf die Bühne bringt, ordnet es die unterschiedlichen Facetten des Fremdenverkehrs zu einem farbigen Tableau für die Ankunft des Dampfers, mit dem die Hauptfiguren eintreffen. Der Nebentext beschreibt ein regelrechtes Genrebild: Die Portiers vom ‚Weissen Rößl’, vom Hotel ‚Zur Post’, vom ‚Grünen Baum’, und von der ‚Rudolfshöhe’, an deren Mützen die Namen der Gasthäuser angebracht sind, gehen an den Landungsplatz und stellen sich in Reih’ und Glied auf. Sommergäste treten hinzu, um die Ankunft des Dampfers abzuwarten, theils in städtischer Sommertracht, theils in Gebirgskostüme gekleidet. […] Ein Dorfmäd- 144 Rudolph Lothar merkt hierzu an: „Im Jahre der Jahrhundertwende ergab eine Statistik der Aufführungen an allen deutschen Theatern ein höchst bemerkenswertes Resultat. Es kamen 302 Theater mit zusammen 43458 Aufführungen in Betracht. An der Spitze aller Autoren marschiert Blumenthal mit 3076 Aufführungen, an der Spitze aller Stücke das ‚weisse Rössel’ mit 1692 Abenden. In weitem Abstand folgen die Konkurrenten: Gerhart Hauptmann bringt es auf 1294 Aufführungen, Schiller auf 1102, Sudermann auf 988.“; Lothar 1905, 280. 145 Vgl. hierzu Doppler 1998. 146 Hackl 2004, 44. 147 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 6. 148 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 7. 239 chen bietet Alpensträußchen feil, die auf einer Stange befestigt sind. Einige Gebirgsführer mit Rucksäcken und Gebirgsstöcken bilden weiter abseits eine Gruppe für sich. 149 Das Anfangstableau führt verschiedene Typen von Reisenden und Einheimischen als Episodenfiguren ein, etwa die Hochzeitsreisenden, die keinerlei Ansprüche an das Hotelzimmer stellen, so sie nur überhaupt eines bekommen, oder der Hochtourist „[i]n übertriebenem Gebirgskostüm mit großem Bergstock, Eishacke und einer um die Schulter geschlungenen Seilrolle“ 150 . Die dekorative Opulenz (gesteigert noch durch die Details, mit denen die Figuren im Nebentext näher bestimmt werden) verweist, bei aller ‚Exotik’, auf die Lebenspraxis des städtischen Publikums, für das Urlaub und seine besondere Aura kultureller Differenz bzw. Variation ein fester Bestandteil des Imaginationshorizonts sind. Hier wird nicht kulturelle Fremdheit zum Motor der theatralen Wirkung, sondern der Zuschauer wird mit seinen Erfahrungen direkt in das Bühnengeschehen eingebunden. In dieser Konstellation entspannt sich eine mehr oder weniger konventionelle Lustspieldramaturgie, in deren Zentrum Ottilie Giesecke und Dr. Otto Siedler als Liebespaar stehen, das zunächst den Widerstand von Ottilies Vater, Wilhelm Giesecke, überwinden muss, um zum Happy-End zu kommen. Gespiegelt wird dieser Hauptstrang durch zwei weitere Liebespaare, nämlich Klärchen Hinzelmann und Arthur Sülzheimer sowie die Wirtin des „Weissen Rössel“, Josepha Voglhuber, und ihren Zahlkellner Leopold Brandmayer. Die Figuren sind holzschnittartige Typen, ihre Handlungen sind weder psychologisch motiviert noch durch ihre soziale Situation begründet. Für den Fortgang der Fabel und das angestrebte Happy-End werden auch Widersprüche in Kauf genommen: Als Josepha merkt, dass ihre Liebe zum Stammgast Otto Siedler nicht erwidert wird, beschließt sie kurzerhand den eben noch als aufmüpfig und zudringlich gefeuerten Zahlkellner Leopold zu heiraten. Ihren Sinneswandel erklärt sie selbst mit verblüffendem Pragmatismus, der durch das zitierte Lokalkolorit nur unzureichend überdeckt wird: Wir im Gebirg’ - wir geben uns nicht lang’ ab mit einer unglücklichen Liab! - Und wenn ich schon den Mann nicht kriegen kann, den i gern hab’, so muß i halt versuchen, den Mann gern zu haben, den ich kriegen kann! 151 Diese sehr ‚bodenständige’ Begründung hindert sie allerdings nicht daran, ihre Hochzeit mit Leopold später als tief empfundene Liebe zu preisen. Der emotionale Effekt gründet nicht in einer möglichen individuellen Motivation der Figur, sondern ist eine Konsequenz der dramaturgischen Konstellation. Die Verdreifachung der Liebesgeschichte ermöglicht eine Komik der Variation, wobei Josepha und Leopold als ‚österreichische’ Variante dienen, Klärchen und Arthur das Liebespaar mit ‚Schönheitsfehler’ darstellen - sie 149 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 16. 150 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 19. 151 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 100. 240 lispelt und er hat einen Kahlkopf -, einzig Ottilie und Otto können als privilegierte Identifikationsfiguren betrachtet werden, weil sie die unmarkierte Norm repräsentieren. Blumenthal und Kadelburg nutzen diesen konventionellen Aufbau, um die folkloristisch-ethnographischen Elemente des Schauplatzes sowie die kulturelle Praxis der Sommerfrische szenisch auszugestalten. Hierbei ist die Figur des Wilhelm Giesecke der zentrale Bezugspunkt. Giesecke wird als typischer Berliner eingeführt, wie man an der dialektalen Färbung seiner Sprache und seiner expliziten Selbstbeschreibung erkennen kann. Er erscheint - in komischer Deformation - als der paradigmatische Repräsentant der Modernisierung: Als Glühstrumpffabrikant vertritt er nicht nur (in Produkt und Herstellungsform) die moderne Lebenswelt, auch sein Erkenntnisraum und seine Vorstellungswelt sind zutiefst von den ökonomischen Bedingungen seiner Existenz geprägt. Programmatisch erscheint hierfür der Satz, mit dem er die Bühne betritt und den er - in ständiger semantischer Verschiebung - permanent wiederholt: „Na, das Jeschäft ist richtig.“ 152 Die sich aus der Situation der Sommerfrische ergebende Spannung von Urbanität und ‚Land’ wird von Giesecke selbst - ganz im Zeichen der für die Modernisierung so typischen Denkfigur einer umfassenden Raumbeherrschung - mit der (auch durch den Tourismus geförderten) Ubiquität der Berliner erklärt: „Haben Sie schon mal ne Jegend ohne Berliner gesehen? Ich nicht! “ 153 Diese Versicherung ist durchaus doppeldeutig: So wie sie als Beleg für die Weltgewandtheit und Umtriebigkeit der Berliner gelesen wer- 152 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 21. 153 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 21. Abb. 30: Jenny Groß als „Rössel“-Wirtin Josepha; Berlin: Lessing-Theater, 1897. 241 den kann, kann sie auch als Beweis für die Beschränktheit Gieseckes verstanden werden, der in seinem Leben noch niemals außerhalb Berlins war und sich daher eine Welt jenseits dieses Mikrokosmos nicht vorstellen kann. Es gehört zu den Besonderheiten des Stückes, dass es den Stadt-Land- Gegensatz nicht nutzt, um eine Seite eindeutig zu favorisieren. Stattdessen wird dieser alte Komödientopos eingesetzt, um die vielfältigen kulturellen Differenzen und Missverständnisse zwischen Preußen und Österreichern als eine nie versiegende (und versagende) Quelle der Komik zu nutzen. 154 Das Tableau des Tourismus zeigt darüber hinaus die moderne Deformation der Einheimischen, die ihren Gästen weitaus mehr gleichen, als der äußere Anschein glauben machen will. So lehnt etwa der Bettler Loidl die Aufforderung zur Aufgabe seiner Bettelei, weil er bereits ein reicher Mann sei, mit Hinweis auf die Tradition dieses ‚Familiengeschäfts’ ab und fügt noch eine nahezu volkswirtschaftliche Erklärung an: „Und wozu sind denn die Fremden da, als daß wir ihnen das Geld abnehmen? “ 155 Die Sommerfrische, so zeigen Blumenthal und Kadelburg, ist ein wechselseitiges Maskenspiel, dessen theatraler Charakter von den verschiedenen Parteien durchaus thematisiert, aber nicht vollends durchschaut oder aufgelöst werden kann. Dies zeigt sich an Giesecke selbst, der laut Szenenanweisung „in einem langen Lodenmantel“ 156 auftritt. Die Kleidung, so führt seine Tochter aus, sei der eigentliche Grund für die Reise gewesen: Ottilie: Aber Papa, wir hatten doch nun einmal die schönen Kostüme vom Alpenball, bei Krolls im vorigen Jahre. Die müssen wir abtragen, und hier geht ja doch alle Welt so. Charlotte (zu Ottilie): Steht Dir aber auch wirklich reizend, dieses Ischler Bauernkostüm! Giesecke: Aber mir nicht. (Er wirft den Lodenmantel ab und erscheint im Gebirgskostüm, gemsledernen Hosen, nackten Knien und hellgrünen Stutzen.) Wenn ich mir so in die große Friedrichstraße blicken lasse, da denken die Leute, ich bin aus die Jebirgshallen ausgebrochen! Von’s Tiroler Quartett! Und das soll schön sein? Die halben Hosen? Als wenn der Stoff nicht gelangt hätte! Und die nackichten Kniee! Wenn die Sonne weg ist, dann friert’s Einem - und wenn sie da ist, da kommen die Mücken und frühstücken! … Ich danke! … 157 Jenseits der für den Schwank typischen Eigenlogik des Zufalls, die das Vorhandensein eines Kleidungsstücks zum Motor einer Reise werden lässt, 158 154 Vgl. hierzu bspw. Blumenthal/ Kadelburg 1898, 24 sowie 27-29. 155 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 14. 156 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 21. 157 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 23. 158 Karl Holl bestimmt dies als eines der konstitutiven Elemente des Schwanks: „Er wurzelt im Diesseits und kennt nichts Jenseitiges. Er kennt kein Schicksal, das die Diesseitsbegebenheiten vom Jenseits aus bestimmt und dadurch einen idealen Nexus schafft. Sein Schicksal ist diesseitig, ihn regiert der Zufall. Der Zufall schafft irgendwelche Voraussetzungen, die das Geschehen innerhalb des Schwanks bestimmen. Sein pragmatischer Nexus ist daher nur ein scheinbarer, ad hoc erfundener.“; Holl 1964, 282. 242 wird hier die Verschränkung von Sommerfrische und maskenhafter Verstellung deutlich ausgestellt. Die Reise wird mit der Kostümierung der Touristen vorbereitet und begonnen, sie erscheint als karnevalistische Praxis, die in einem ähnlich sanktionierten Raum, wie dem des Maskenballs, angesiedelt ist. Dass es sich hierbei um das Echo einer bestehenden Praxis handelt, hat Freds Beschreibung bereits deutlich werden lassen. 159 Dabei bilden Reiseführer 160 und Theater für den Städter einen handlungsleitenden Imginationshorizont, dessen komisches Scheitern das Stück weidlich ausspielt, etwa wenn Arthur Sülzheimer Josepha und Ottilie für Bauernmädchen hält: Sülzheimer: (Josepha und Ottilie erblickend): Da kommen ja zwei Bauernmädel, vielleicht können die mir Bescheid geben? Kommt doch einmal her, Kinder! Ottilie: Wie? Josepha: Reden’s mit uns? Sülzheimer: Natürlich! Sollst mal herkommen, Mizi! Josepha: Mizi? Sülzheimer: Oder Pepi —? Dann heißt eben Deine Freundin Mizi! Das geht hier doch immer die Reihe herum. Josepha (zu Ottilie): Jesses, der hält uns für ein paar Bauernmadel. Ottilie (zu Josepha): Das ist ja reizend. Sülzheimer: Was habt Ihr denn da zu tuscheln? Josepha (zu Ottilie): Lassen wir ihn dabei, — das giebt a Hetz! (Zu Sülzheimer) Was wollen denn der gnädige Herr? Sülzheimer (zu Ottilie): Du Dirnd’l, willst Dir ein paar Kreuzer verdienen? Ottilie: Du? Sülzheimer: Na ja, ich denke hier im Gebirge sagt man immer ‚Du’ — das weiß ich doch von den Schlierseern. Josepha: Alsdann gut! Wenn Du willst, sagen wir Du. Sülzheimer: Kinder, was seid ihr aber für ein paar hübsche Mädels — so drall! Josepha (ihn gegen die Schulter stoßend): Aber geh’. Sülzheimer: Und so frisch. (Kneift Ottilie in die Wange.) Ottilie (schlägt ihn auf die Hand). 161 Hier verfängt nicht nur die Täuschung durch Ottilies (Ver-) Kleidung, vielmehr ist Sülzheimer so sehr in der kollektiven Bilderwelt gefangen, dass er zwischen Vorstellung und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden kann. So lässt er alle Formen des Anstands hinter sich und fordert dies als ‚authentischen’ Umgang ein. Die Verfügbarkeit der Bilder wird von ihm als Beleg für die Verfügbarkeit der Menschen betrachtet. Diese Täuschungen und die aus ihnen resultierenden Fehltritte werden aber nicht einem dekuvrierenden Blick ausgesetzt, sondern in einer sentimental-sinnlichen Weise zur Bestätigung des Sehnsuchtsortes genutzt. Die ‚Bestrafung’ Sülzheimers durch den Schlag auf die Hand sowie das sich an- 159 Vgl. hierzu auch Hackl 2004, 107-109. 160 Giesecke verweist explizit auf den Baedeker als Orientierungsinstanz; vgl. Blumenthal/ Kadelburg 1898, 61. Zur Funktion und Bedeutung des Baedeker vgl. Knoll 1991, 341-343. 161 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 90f. 243 schließende Verlachen führen keineswegs zum sozialen Bruch, sondern stellen unmittelbar ausgleichende Gerechtigkeit her. Letztlich bleibt die Bestätigung, dass an diesem Sehnsuchtsort die Sinnlichkeit ihren Platz hat. So hat es durchaus programmatische Bedeutung, dass das Stück mit dem „Lied vom Busserl“ 162 beginnt. Die Sinnlichkeit bzw. Sinnenfreude, die der Schauplatz ausstrahlt, artikuliert sich zwar schon im begehrlichen Blick der Touristen auf die Stubenmädchen, findet seine Einlösung aber erst in den Liebespaaren des Happy-Ends. In der von Blumenthal/ Kadelburg ein Jahr nach ihrem großen Erfolg vorgelegten Fortsetzung unter dem Titel „Als ich wiederkam …“ ist es ausgerechnet die Figur des Giesecke, die diese belebende Wirkung bestätigt: Er, der „Im weissen Rössel“ noch ungeachtet aller Gefühle seine Tochter zur Stabilisierung seines Geschäftes mit Sülzheimer verheiraten wollte, verliebt sich unter dem Einfluss der österreichisch-sommerlichen Verhältnisse selbst. Bereits „Im weissen Rössel“ hatte Giesecke sich vom Schnadahüpfl’n - jener Gesangsform, für die die Schlierseer so berühmt waren - so mitreißen lassen, dass er „singend und tanzend [in] den Schlussjodler“ 163 einfiel. Von seiner Tochter bei diesem ‚Gefühlsausbruch’ ertappt, antwortet er in grammatikalisch eigentümlicher Aneignung: „Störe mich nicht! Ich hupfle Schnada! “ 164 „Im weissen Rössel“ inszeniert ein Modell der ‚kulturellen Begegnung’, das - anders als jenes der Schlierseer - keineswegs Authentizität reklamiert, sondern das Aufeinandertreffen von Urbanität und Ländlichkeit imaginiert, indem es sich großzügig aus dem „Fundus der kulturellen Tradition“ bedient. Das Stück nimmt sekundären Anteil an den Selbstbildern der Großstadt wie an der Imagination des Alpenraumes als Residuum freier, natürlicher, ungezwungener Identität. Das spezifische Erfolgsrezept besteht darin, den Städter auf den ausgetretenen Pfaden touristischer Appropriation die Natur ungetrübt als Sehnsuchtsort seiner eigenen Existenz sehen zu lassen. Ebendies beschreibt im Stück die Figur des Hinzelmann als den „Reisezauber“: Und da laß ich mich auch nicht lange mehr bitten - dann treibt’s mich hinauf auf die Berge, in den flüsternden Wald hinein, und wenn ich dann so durch den stillen Morgen gehe und das Auge so offen wird für all das Schöne, - da fange ich an, ihn zu fühlen den Reisezauber. Und Alles, was noch vor Kurzem mir so wichtig erschienen ist, und mich so gedrückt hat, es kommt mir auf einmal so kleinwinzig vor, von da oben. 165 Der Fremdkörper des Städters erwacht hier zu einem neuen, seinem ‚eigentlichen’ Leben - um dann wieder gestärkt in seinen Alltag zurückkehren zu können. Die von Blumenthal/ Kadelburg entworfene Versöhnung befreit nicht von den Zumutungen der Modernisierung, sondern stabilisiert diese (nach dem Modell des Karnevals) durch eine passagere Phase der Euphorie. 162 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 7. 163 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 64. 164 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 65. 165 Blumenthal/ Kadelburg 1898, 109. 244 Eine Variation dieses Themas - allerdings mit anderen Akzenten - liefert Ernst Lubitsch (1892-1947) in seinem Film „Meyer aus Berlin“ (UA 1919), in dessen Zentrum die (von Lubitsch selbst verkörperte) Figur des Sally Meyer steht. 166 Die Fabel des Films erzählt von der - durch eine ‚Notlüge’ erschwindelten - Erholungsreise Sally Meyers nach Tirol. Meyer, der mit Hilfe seines Arztes seiner eifersüchtigen Frau Paula für ein paar Tage entfliehen will, erhofft sich ein amouröses Abenteuer mit seiner Urlaubsbekanntschaft Kitty, wenn er sich auf die von ihr vorgeschlagene Watzmann-Besteigung einlässt. Während die Hoffnungen enttäuscht werden, wird er von der ihm nachgereisten Paula und Kittys Verlobtem Harry - die beide zufällig in derselben Berghütte Unterschlupf gesucht haben - überrascht. Nach einer kurzen chaotischen Zwischenszene kommt es schließlich zur Versöhnung der beiden Paare. Wie alle frühen Lubitsch-Filme folgt auch dieser eher der Logik und Dramaturgie des Schwanks denn einem differenzierten oder differenzierenden Darstellungsprinzip. Die Figuren und ihre jeweilige Gefühls- und Motivationslage ist ebenso explizit wie eindimensional: Sallys Suche nach erotischen Abenteuern wird durch den zu Beginn zu sehenden Brief an den Arzt ebenso deutlich wie durch den Umstand, dass er sich - kaum dass seine Frau das Zimmer für einen Moment verlassen hat - in zweideutiger Absicht dem Hausmädchen nähert. „Meyer aus Berlin“ steht in diesem Kontext vor allem für die filmische Aneignung der so populären Topoi „Älplertum“ und Tourismus. Wie sehr der Film bewusst Anschluss an diese kulturellen Praktiken sucht, wird bereits in der Aufbruchszene deutlich: Sally beginnt seine Reise, nachdem er sein Ziel auf einer überdimensionierten Karte ausgesucht hat, mit der äußeren Verkleidung. Während er in der Bildmitte zu sehen ist - bereits mit Lederhose und einem weißen Hemd bekleidet - stehen seine Ehefrau rechts, das Hausmädchen links und beide reichen ihm nacheinander weitere Requisiten: einen Lodenhut mit einer überdimensionierten Vogelfeder, einen Rucksack, ein langes Bergseil, das er sich schräg um den Oberkörper schlingt, und schließlich einen Eispickel. Vor der Tür stehend, hebt er das Bein, schlägt sich mit der Hand auf das Knie und winkt zum Abschied. Diese Geste, die die Maskierung abschließt, ist eine deutliche Referenz auf den Schuhplattler. Die Bedeutung dieser Sequenz, deren Bildarrangement jenem der Theaterbühne entspricht, 167 wird dadurch betont, dass sie aus dem Fluss der Bilder herausgehoben wird, indem sie einen Moment länger stehen bleibt und so zu einer Ikone gerinnt, die den Grundton für das Kommende setzt. Sallys Weg zum Bahnhof wird zu einer theatralischen Prozession, die alle Evokationen der Fremdheit der Kleidung in einer Klimax zusammenfasst. Bereits der Hausmeister, dem Sally am Haustor begegnet, fragt: „Na, Herr 166 Diese Figur findet sich (mit kleineren Variationen) in fast allen frühen Lubitsch-Filmen seit „Stolz der Firma“ (1914); vgl. hierzu ausführlicher S.306-310 dieser Arbeit. 167 Elsaesser 2002b, 36. 245 Meyer, gehen Sie zum Maskenball? “ Die folgende Szene zeigt Sally, wie er auf dem Bürgersteig einer breiten Straße in der linken Bildhälfte zuläuft. In der rechten Bildhälfte sieht man in die entgegengesetzte Richtung kleinere Gruppen von Frauen und Mädchen laufen, die sich offensichtlich lachend nach Sally umdrehen. Darauf folgt die Begegnung mit zwei Herren, die - nachdem sie höflich die Hüte zum Gruß gezogen haben - fragen: „Wo treten Sie denn heute abend auf? “ Am Ende dieser Klimax sieht man Sally, von einer Horde Schulkinder verfolgt, Richtung Kamera aus dem Bild rennen. Hier gibt der Film endgültig die narrative Verklammerung preis, um die spektakulären Aspekte dieser Prozession auskosten zu können. Diese Szenen aber sind nur vor dem Hintergrund des durch Theater und kulturelle Praxis etablierten Alpen-Exotismus zu verstehen. Der Film macht sich für seine Exposition diesen Exotismus in doppelter Weise zunutze: Er bedient ihn und macht ihn zum Mittel seiner Komik, indem er die Exotik kulturell und visuell im Kontrast zur urbanen Umgebung situiert, so dass das Spektakuläre als Teil urbaner Lebenswelt thematisch werden kann. Dieser Rahmen bleibt auch bei Sallys Ankunft in Tirol präsent. Der Film zeigt, wie Sally links aus dem Bahnhof tritt, vor dem Bedienstete in Uniformen zu sehen sind, während er selbst als einziger Tiroler Tracht trägt. Er geht in die Bildmitte, stützt sich auf seinen Stock und blickt sich skeptisch um. Zwischentitel: „Also das ist Tirol! “ Die Kamera zeigt in Großaufnahme einen Misthaufen mit Hühnern, Schnitt, man sieht nun wieder Sally, der mit den Achseln zuckt. Zwischentitel: „Komische Gegend.“ Er schüttelt den Kopf und geht aus dem Bild. An diesem veränderten Schauplatz verschiebt sich die Bedeutung der volkstümlichen Kleidung (oder Verkleidung) Sallys: Erscheint sie vor dem Hintergrund Berlins als Maskerade eines städtischen Körpers, so markiert sie hier den Fremdkörper - auch die vermeintliche ‚Echtheit’ seiner Kleidung kann nicht über die grundsätzliche Fremdheit und das Befremden hinwegtäuschen, mit dem er der Landschaft begegnet. Der Kontrast von äußerer Erscheinung und Landschaft macht nur umso deutlicher, dass Sally seine Wurzeln nicht hier hat. Diese Differenz wird in Anbetracht des Watzmann, den Sally zunächst für einen Bekannten aus Berlin hält, noch deutlicher und zu einem den Film im Folgenden leitenden Prinzip erhoben. Während Sally beim ersten An- Abb. 31: Sallys Abschied aus „Meyer aus Berlin“ (UA 1919). 246 blick des Berges vor Schreck hintenüberfällt, bereitet der Berg bzw. seine leichtfertig versprochene Besteigung ihm solches Kopfzerbrechen, dass er des Nachts von ihm träumt. Eine Traumsequenz, die Sallys Verhältnis zur Natur besonders ins Bild setzt: Zunächst sieht man Sally im Bett sich unruhig hin- und herwerfen. Plötzlich erscheint an der Wand der Watzmann mit der Aufschrift 2.800. Sally erblickt den Berg erschreckt, nimmt eine Null weg und wirft sie ängstlich aus dem Bett. Der Berg schrumpft darauf ein Stück, Sally bemerkt dies. Lächelnd nimmt er eine zweite Null und wirft sie ebenfalls weg. Als er sieht, dass der Berg weiterschrumpft, lächelt er wieder. Zwischentitel: „Wußt ich’s doch, daß der Watzmann mit sich reden läßt.“ Er dreht sich zufrieden um und schläft ein. Die Traumsequenz verdeutlicht, wie sehr Sally in seinem Handeln und Denken von der Lebenswelt der Großstadt durchdrungen und aufgesogen ist: Das Besteigen des Berges erscheint ihm als ein Geschäft, bei dem es gilt, durch geschickte Verhandlungen eine gute Position zu erringen. Diese Exposition bildet den äußeren Rahmen, um das Scheitern seines verfehlten Naturverständnisses in Anbetracht der echten Natur vorzuführen. Hier nutzt der Film wiederum neben der Figurenführung auch seine medialen Möglichkeiten eines erweiterten panoramatischen Blickes, um die Schönheit und Erhabenheit der Natur in (für jene Zeit vergleichsweise) opulenten Bildern einzufangen. Dieses Verfahren spiegelt das Ausstellen der Stadt bei Sallys Aufbruch - war dort die Stadt der Resonanzboden für das (wenngleich ironisierte) Spektakuläre und Sensationelle, das Sallys Verkleidung in diesem Kontext hervorrufen musste, so zeigt der Film nun die tatsächlichen ‚Reize der Natur’, vor deren Hintergrund das Handeln Sallys um so skurriler wirken muss. Das Figurenverhältnis von Kitty und Sally trägt zu dieser Komik noch bei: Leitmotivisch zeigt der Film, wie Kitty voranschreitet, während Sally mühsam hinter ihr läuft. Kitty genießt die Aussicht und die frische Luft, während Sally Wurst und einen Limburger Käse verzehrt, dessen Geruch gestisch untermalt wird. Kitty erobert als Erste den Gipfel, während sich Sally dort vorsichtig und ängstlich hinsetzt. Als er die Höhe realisiert, rennt er mit panischem Schrecken ins Tal - diesmal (und der Film kommentiert dies in einem Zwischentitel explizit) läuft er voran und Kitty kann kaum folgen. Abb. 32: Film-Still aus „Meyer aus Berlin“. 247 Sallys Flucht, die der Film in all seinen Facetten und unter Ausnutzung aller medialen und visuellen Möglichkeiten zelebriert, erweist sich als eine Inversion des Geschlechterverhältnisses - der maskulin-heroische Akt der Bergbezwingung wird nicht vollbracht bzw. Sally scheitert an dieser Probe. Dieses Versagen gerinnt dem Film zu einem symbolischen Bild: Aus Ungeschicklichkeit rutscht Sally ab und hängt, von Kitty gehalten, vor einer Felswand schreiend im Seil. Hier wird das Prinzip des Scheiterns vor der Natur zum komischen Bild: Sally ist nun tatsächlich in jener Schlinge gefangen, die er sich selbst zu Beginn des Films übermütig zur Maskerade umgehängt hat. Der Berg aber - so scheint der Film hinter dem Lachen vermitteln zu wollen - lässt sich von solcherlei Tricks nicht täuschen. Die ‚reine Natur’ entlarvt die Schwindelei der urbanen Existenz, die glaubt, sich die autochthone Identität auf theatralem (und theatralischem) Wege aneignen zu können. Mit dieser ambivalenten Dialektik, die im Lachen nur scheinbar versöhnt wird, bestätigt der Film den Mythos des Autochthonen - und den (unverrückbaren) Status Sallys als Fremdkörper, der scheitern muss, weil jegliche innere Korrespondenz fehlt. Während Blumenthal und Kadelburg die Sommerfrische als arkadischen locus amoenus inszenieren, mit dessen Hilfe der Städter sein inneres Gleichgewicht finden kann, muss der Berg Sally notwendigerweise abweisen. Diese Abweisung gewinnt gerade deshalb eine so grundsätzliche und problematische Komponente, weil Sally deutlich als jüdische Figur gekennzeichnet ist. Zur Markierung der Figur bedient sich der Film kultureller Marker, die im zeitgenössischen Kontext deutlich auf einen jüdischen Hintergrund hindeuten, wie den Namen, die Betonung des Geschäftlichen sowie die besondere Betonung der Nase. 168 Folgt man dieser Spur der Ablehnung des Touristen als Fremdkörper, so wird schnell deutlich, dass Lubitschs Film keineswegs ein Einzelfall ist, sondern dass es eine regelrechte Ikonographie der Deplatziertheit des jüdischen Körpers im Gebirge gab. Die Verbreitung bzw. Popularität dieses Topos lässt sich u.a. an der Fülle von Karikaturen erkennen, die sich genau dieses Motivs bedienen. So zeigt etwa Hermann Schlittgen (1859-1930) in einer Karikatur für die „Fliegenden Blätter“ ein Ehepaar in Tracht vor einer Gebirgs- und Seekulisse. Der Untertitel lautet: „Sag’, Moritz, warum steigen wir in unser’m neuen Gebirgskostüm nicht emal auf’n Berg? “ — „Was sollen mer mit de theuer’n Anzüg’ auf’n Berg oben machen, wo se ka’ Mensch sieht? ! “ 169 Es ist nicht nur der Name - Moritz wurde häufig in Satiren als Marker jüdischer Identität verwandt -, sondern besonders die Physiognomie und 168 Hier gibt es eine sehr bezeichnende Szene, als Sally nach dem Weg fragt und er von einem Entgegenkommenden den Hinweis erhält, er solle einfach seiner Nase folgen. Hierauf bedankt sich Sally überschwänglich. Als Kitty ihn fragt, warum er so vergnügt sei, antwortet er: „Erfreut ist, wer hier einen Landsmann trifft.“ Vgl. allgemein zur Bedeutung der Nase als Stigma jüdischer Identität Gilman 1991 und 1998. 169 Abgebildet in Fuchs 1921, 178. 248 Körperhaltung, die hier als ethnische Marker dienen. Die statische und korpulente Körperlichkeit widerspricht dem kulturellen Leitbild des gesunden, ‚kernigen’, natürlichen Körpers diametral. Der kurze Dialog belegt die bloße Äußerlichkeit der Kleidung, die in keinem inneren Zusammenhang zur Landschaft/ Natur steht und auch explizit als Kostüm benannt wird, dessen Wirkung - hier wird die Theatermetapher konsequent weitergeführt - verloren ist, wenn es keiner sieht. In der Karikatur erscheint das Tragen der Tracht als Teil einer (übertriebenen) bürgerlichen Repräsentationspraxis, die vollends ins Leere läuft, weil es ihr an jeglicher Substanz fehlt. Auch die Idee der Sommerfrische als Ort der Rekreation schlägt fehl, weil sie durch die bürgerliche Praxis wechselseitiger Selbst-Inszenierung vollkommen aufgesogen wird. So erstarrt das performative Element bürgerlicher Selbst-Inszenierung zur grotesken Geste. Dass hierbei der Natur eine konstitutive Bedeutung nach jenem Modell, das Lubitsch in „Meyer aus Berlin“ inszeniert hat, zuerkannt wird, verdeutlicht eine Karikatur von Rudolf Wilke (1873-1908) aus dem „Simplicissimus“ (1907), die Hackl ausführlich diskutiert. 170 Die Zeichnung zeigt zwei groteske Körper, korpulent und unförmig, in bayerische Tracht gehüllt, mit Rucksack, Stab und Porzellanpfeife. Der Untertitel lautet: „Nu haben mer uns de echten teiren Kostime angeschafft, und trotzdem missen mer iberall die Fremdenpreise bezahlen.“ — „Moritz, ich denke immer, se merken’s an der Sprach.“ 171 170 Vgl. Hackl 2004, 109-112. 171 Zit. nach Hackl 2004, 111. 249 Hackl sieht dies als ein Beispiel dafür, wie sehr die Sprache zu einem Schibboleth der kulturellen Identifizierung wird, verkennt dabei aber, dass die Zeichnung gerade die Körper als Fremdkörper erkennbar werden lässt, angesichts deren offensichtlicher Fremdheit die Vermutung, es liege an der Sprache, bizarr wirken muss. Die Körper werden als kategorial fremd identifiziert, so dass unter der Maske der Tracht der jüdische Körper thematisch wird. Diese Differenz - so die zugrunde liegende Botschaft - kann durch keinerlei kulturelle Praxis überwunden werden. Der Körper als Fluchtpunkt bzw. letztes Residuum ethnischer Identität verweist auf das Konzept eines ethnischen Selbst-Entwurfs der Majorität, wie es sich bereits in der Rezeption des „Wilhelm Tell“artikuliert hat. Das Abb. 33: Karikatur von Rudolf Wilke aus dem „Simplicissimus“ (1907). 250 Lachen wird so zu einem disziplinierenden Akt kultureller Grenzziehung und Ausgrenzung. Es ist nur auf den ersten Blick erstaunlich, dass sich dies gerade im Hinblick auf einen scheinbar so unpolitischen Bereich, wie den Urlaub, artikuliert. Wie Frank Bajohr in seiner Studie „’Unser Hotel ist judenfrei’. Bäder- Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert“ (2003) zeigen konnte, entwickelte sich gerade im Zusammenhang des aufblühenden Fremdenverkehrs ein zunehmender Antisemitismus, der eine eigene Geographie von ‚jüdischen’ und ‚judenfreien’ Orten entwarf. 172 Dieser Antisemitismus speiste sich nicht nur aus sozialen und politischen Ängsten und Befürchtungen, sondern er schloss sich explizit an den beginnenden Körperdiskurs der Lebensreformbewegung an. Aus dieser Perspektive figuriert der Urlaub als Gegenbild zur Urbanität und als kultureller Ort des ‚gesunden’ Körpers. Die in der Karikatur gezeigte Hässlichkeit des jüdischen Körpers ist keine ästhetische Fragestellung, sondern kondensiert den durch Modernisierung deformierten, urbanen Körper zum Lachobjekt. Das Publikum kann - wie in „Meyer aus Berlin“ und in den Karikaturen - diese Ablehnung lachend bestätigen. Dieses Lachen aber, das so deutlich einem urbanen Kontext entspringt, ist auch eine Affirmation der Idee des Autochthonen und Antimodernen. In ebendieser Spannung zwischen einem urbanen Ursprungs- und einem fiktiven Sehnsuchtsort findet der kollektive Identitätsdiskurs seinen kulturellen Ort: Es ist nicht mehr wie „Im weissen Rössel“ die passagere Versöhnung aller Widersprüche durch den locus amoenus, sondern die Klarheit der Differenz, die deutlich trennt, was im „Dickicht der Städte“ ununterscheidbar ist. 172 Vgl. Bajohr 2003. 251 Das Lachen von Parvenupolis In keiner Stadt Deutschlands ist der Mittelstand zugleich so sehr auf Sparsamkeit und eitle Repräsentation bedacht. […] Man kultiviert die aristokratische Form und die aus dem Hinterhaus. Es treten die Erscheinungen auf, derentwegen der Berliner zur komischen Figur wird. Zur Abendgesellschaft kommt der Eine im Frack, der Zweite im Gehrock und ein Dritter im hellen Straßenanzug. Karl Scheffler 1 Die Hochkonjunktur ‚authentischer’ Theaterformen sowie das Entstehen der Reisekultur sind keineswegs - wie sie durch ihre Themen glauben machen wollen - unabhängig von den tiefgreifenden gesellschaftlich-kulturellen Wandlungsprozessen der Modernisierung zu sehen. Im Gegenteil, sie können in ihrer kulturellen Wirkung erst dann umfassend erkannt werden, wenn man sie als bewusste Nicht-Thematisierung, als Verklärung eines Jenseits aller Veränderung versteht. Die Schilderung bzw. die passagere Teilhabe an Orten und Lebensformen, die nicht dem zeitgenössischen Standard entsprachen, fordert nicht den schonungslosen Imperativ eines unaufhaltsamen, aufklärerischen Fortschritts, diese Orte werden als liebevoller Anachronismus und erhaltenswerte Oase inmitten der turbulenten Veränderungen betrachtet. Hierbei - so hat vorstehende Analyse gezeigt - wird das Konzept kultureller bzw. nationaler Autochthonie zugrunde gelegt, das zumindest partiell der Idee einer liberalen Bürgergesellschaft entgegensteht. Diese Verklärung, die man mit Fritz Stern 2 als das Verdrängen der traumatischen Dimension von Modernisierung deuten kann, fordert die Frage heraus, in welchen Bildern bzw. mit welchen Mitteln die stattfindenden Veränderungen thematisiert und verhandelt wurden. Während der kanonische Bilder-Fundus mit der Figur des Shylock eine Urszene bereithält, die zwar in ihrer Erscheinung und historischen Situierung gerade keinen Bezug zur Gegenwart zu haben vorgibt, aber durch die Fabel das Moment der Abwehr der Gemeinschaft vor der Vergesellschaftung inszeniert, scheint eine in Form und Thema unmittelbare Gestaltung der Modernisierung im kanonischen Imaginären zu fehlen. In Ermangelung einer eindeutigen Figur, in der der Schrecken der Modernisierung Gestalt finden könnte, ist es unumgänglich, den historischen Ort der Veränderung, die sich zur Metropole weiternde (Groß-) Stadt, zum Ausgangspunkt der Spurensuche zu machen. Die Metropolen waren sowohl das idealistische „Labor des Fortschritts“ 3 als auch der historische Ort, an 1 Scheffler 1989, 174. 2 Vgl. S. 18 dieser Arbeit. 3 Reif 2006, 4. 252 dem sich der soziale und kulturelle Wandel sedimentierte. Das Bevölkerungswachstum der Städte zwang zu einer Reformulierung jener Bestimmung des Fremden, die Simmel vorgeschlagen hat: Wenn der Fremde nicht mehr als der ‚Weiterziehende’ verstanden werden soll, sondern als der, der heute kommt und morgen bleibt, so stellt sich die Frage, wie sich die Stadt als soziales Gefüge, unter der Bedingung, dass die meisten, die heute da sind, erst gestern kamen, organisiert und konstituiert. Zugespitzt kann man fragen: Wie bilden sich Identität und sozialer Zusammenhang in einer Gesellschaft, die sich selbst letztlich fremd ist? Es ist bezeichnend für den Kontext deutscher Geschichte, dass das Verhandeln solcher Mobilität und der aus ihr resultierenden Verfasstheit durch das Ausblenden von Migration bzw. deren Überblendung durch die Imagination autochthoner Identität erfolgt. Veränderung erscheint vornehmlich in der Szene der Ausgrenzung: Der Dazugekommene, der ‚Aufsteiger’, der ‚Emporkömmling’, kurz der Parvenu, wird zur Verkörperung der Veränderung und gleichzeitig Gegenstand des kollektiven Spotts. Das Lachen, das er hervorzuruft, ist weniger, so kann man aus einer einfachen statistischen Überlegung ableiten, herzhafter Affekt als vielmehr soziale Maske und erklingt umso lauter, je mehr es die eigene Zugehörigkeit bestätigen muss. Hier lachen nicht die Alteingesessenen, die es in dem Sinne gar nicht gibt, über die Neuankömmlinge, sondern die Neu-Bürger über die Karikatur ihrer eigenen Lebensbedingungen. Das Fehlen dieser Phänomene in den großen historiographischen Erzählungen hat einen doppelten Beweggrund: Zum einen - und dies hat die Genealogie eines autochthonen Identitätsentwurfs im Kanon wie in der Populärkultur ja gezeigt - gab es eine konservative, nostalgische, anti-moderne Opposition gegen diese Art sozialer Öffnung und Veränderung. Zum anderen bildete sich aus den sich konstituierenden bürgerlichen Kreisen selbst eine Opposition, die auf die als negativ empfundenen Auswirkungen der kommerzialisierten, ‚entfremdeten’ Lebenswelt zielte. 4 Dies erschwert die historiographische Annäherung, weil diese bürgerlichen Milieus als Felder sozialer Mobilität zerstört wurden und viele ihrer Protagonisten in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft vertrieben oder ermordet wurden. Diese Herrschaft, in ihrer Grundstruktur anti-liberal und damit bis zu einem gewissen Grad auch anti-bürgerlich, 5 speiste sich nicht zuletzt aus den Verlustängsten und Ressentiments gegenüber historischen Veränderungen derer, denen die Modernisierung nicht Chance und Veränderung, sondern Verlust und Entfremdung bedeutete. Nachdem nach 1945 (in der Bundesrepublik) zunächst eine restaurative Geisteswissenschaft Kultur- und Theatergeschichte in unpolitischer, d.h. vorgeblich unbeschädigter, Kontinuität schreiben wollte, haben neuere Historiographien seit den 1960er Jahren den Verlust bzw. dessen Ausmaß dadurch nachzuzeichnen versucht, dass sie die verbannten, ermordeten und 4 Vgl. hierzu etwa Mommsen 1994, 41-58. 5 Vgl. hierzu Schulze 2005, 34f. 253 vergessenen Akteure dieser Kultur in ihrer historischen Bedeutung fokussierten. 6 Dies führte zu einem Resonanzeffekt zwischen den beiden oben beschriebenen Gegnerschaften, der das bourgeois-liberale Milieu fast vollständig verschwinden ließ: Augenscheinlich war es nicht möglich, Jacobsohn, Tucholsky oder Kerr wiederzuentdecken, ohne auch ihre Ablehnung dieser Kultur, die gerade von einem Akteur wie Oscar Blumenthal exemplarisch vertreten wird, mit zu übernehmen. So soll im Folgenden der Weg von der imaginierten Ursprünglichkeit einer unberührt natürlichen Heimat in das „Dickicht der Städte“, wie Brecht es nannte, nachgezeichnet werden. Zielpunkt ist Parvenupolis, d.h. jene Orte und Institutionen, an denen die neue Urbanität zur sozialen Lebenswelt wurde. 6 In den Blick traten vor allem Schriftsteller wie Kurt Tucholsky, Walter Mehring, Ernst Toller oder auch Kritiker wie Siegfried Jacobsohn oder Alfred Kerr, deren Werturteile sich im Kontext dieser Renaissance fortschrieben. 254 Vorgeschichte: „Auf der Eisenbahn…“ Die Spuren der theatralen Fremdbzw. Selbstinszenierung reichen in Berlin nicht weit über das frühe 19. Jahrhundert hinaus: Anders als bspw. in Wien, wo sich im Wiener Volkstheater Sedimente barocker und vor-barocker Theaterformen finden lassen, ist das Berliner Theater vergleichsweise jung 7 und die theatrale Selbst-Thematisierung beginnt sehr zögerlich im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts, vor allem seit sie mit der Gründung des Wallner- Theaters - durch den Wiener Franz Wallner (1810-1876) - einen populären Ort erhält. 8 Der wichtigste Protagonist dieser Entwicklung ist David Kalisch (1820- 1872), der als Autor einer Fülle von Lokalpossen 9 verfasste sowie als Redakteur des „Kladderadatsch“ publizistisch das Wachstum Berlins zur Großstadt begleitete. Insofern folgt es einer inneren Logik, sein erstes Stück „Auf der Eisenbahn“ (UA 1846) an den Beginn dieser genealogischen Linie zu stellen. Bereits äußerlich ist das Stück bemerkenswert. Zum einen, weil der Untertitel „Vaudeville-Burleske“ auf das französische Vorbild des Textes verweist. Dies ist keineswegs nur von nebensächlicher Bedeutung: Kalisch, der selbst einige Jahre seines Lebens in Paris verbracht hatte, importierte damit genau jene Theaterform, die für die metropolitane Kultur in Paris so typisch war. An diesem Beispiel werden die besonderen kulturellen Voraussetzungen der urbanen Entwicklung Berlins deutlich. Hier konnten keine bestehenden Traditionen fortgeführt oder transformiert werden, wie es für die Wiener Lokalposse und ihre Rezeption in München zu beobachten ist, sondern durch den Import aus Frankreich entstand eine hybride Form, deren Genese größere Freiheiten gewährte, als dies bei der Adaption überlieferter Motive und Figuren möglich wäre. Zum anderen thematisieren Titel und einleitende Szenenanweisung mit der Ortsangabe „Eisenbahnhof in der Nähe einer großen Stadt“ 10 einen der wichtigsten Katalysatoren der Modernisierung: die Eisenbahn als Inbegriff des modernen Transportwesens. 11 Dieses nachhaltige Veränderungspotenzial wird im abschließenden Couplet explizit problematisiert: Es heißt zwar, wenn sie fertig all’, Die Eisenbahn, dann setzt’s Krawall. Dann ziehn Gewitter über’n Rhein, Schlägt’s auch gleich an der Oder ein. 7 Vgl. hierzu überblicksartig Marx 2003. 8 Vgl. hierzu besonders Wischer 1967. 9 Vgl. einführend zur Lokalposse als Gattung Klotz 1987, 89-103. 10 Kalisch 1988a, 75. 11 Vgl. hierzu allgemein Schivelbusch 2004a; vgl. zum Motiv der Eisenbahn in der bildenden Kunst Brettell 2006. 255 So donnert’s abends in Berlin - - 12 Durch das Motiv der Eisenbahn und durch die Wahl des Schauplatzes situiert sich das Stück an einem ungewöhnlichen Ort, denn es zeigt nicht das topographische und symbolische ‚Herz’ Berlins, sondern wählt einen liminalen Ort, für den Wandel, Veränderung, aber auch Vielgestaltigkeit und Dynamik charakteristische und konstitutive Eigenschaften sind. 13 Die Fabel des Stückes konzentriert sich um zwei Liebespaare, Ferdinand von Dallesplatz und Jeanette Zwickauer sowie Wilhelm Schulze und Karoline. Dallesplatz erwartet mit seinem künftigen Schwiegervater die Rückkehr seiner Braut. Zwickauer erzählt leidenschaftlich, wie er von einem jungen Mann, Wilhelm Schulze, getäuscht und um 40 Taler gebracht wurde. In den beiden plötzlich die Szene betretenden Harfenmädchen erkennt Zwickauer mit Schrecken die Töchter eines Schneiders, den er mit seinen Geldgeschäften in den Ruin und letztlich aus Gram in den Tod getrieben hat. Er kann aber seine Entdeckung gerade noch verhindern. Nach einem Szenenwechsel sieht man nun Schulze - jenen eloquenten Widersacher Zwickauers, der sich später noch als Freund von Dallesplatz und vermisster Bräutigam eines der beiden Harfenmädchen, Karoline, herausstellen wird - einen Dieb fangen, der Jeanette Zwickauer bestohlen hat. Nach einigen Verwicklungen kommt es zum Wiedersehen aller Figuren, wobei Dallesplatz Zwickauer nötigt, Schulze den Aufbau eines eigenen Geschäfts sowie einer Existenz als „nützliches Glied der Gesellschaft“ 14 zu finanzieren. Dem Happy-End steht - nachdem Zwickauer sich unbemerkt davongestohlen hat - nichts mehr im Wege. Die dramaturgische Führung der Fabel ist willkürlich und entspricht nicht den Standards der bürgerlichen Komödie, wie sie sich im 18. Jahrhundert zu formieren beginnt. Volker Klotz beschreibt dies als typisch für die Posse: Unter allen Spielarten des bürgerlichen Lachtheaters nämlich löst sie sich am striktesten von den Mustern der bürgerlichen Bühnengattungen. […] Was dabei herauskommt, sind Bühnenstücke, die weder ästhetisch einhellig noch reibungslos schlüssig geraten. Im Gegenteil. Oft ist das dramatische Geschehen lückenhaft begründet, der Ablauf holprig, das Tempo der Ereignisfolge schwankend, der Aufbau mißproportioniert. 15 Diese nach Maßgabe der konventionellen Gattungstheorie mangelhafte Komposition lässt sich zum einen als ‚Erbe’ des Vaudevilles und seiner lockeren Dramaturgie verstehen, zum anderen als Konsequenz einer Theaterform, die nicht länger auf die Handlung als verbindende Klammer setzt, 12 Kalisch 1988a, 123. Selbstverständlich ist dies im Kontext des Jahres 1846 vornehmlich als eine politische Anspielung zu verstehen, allerdings ist der Topos der Raumüberwindung typisch für die Thematisierung der Eisenbahn. Vgl. hierzu Schivelbusch 2004a. 13 Vgl. zum Bahnhof explizit Schivelbusch 2004a, 152-157. 14 Kalisch 1988a, 120. 15 Klotz 1987, 120. Wenn in Paris früh Blitze sprüh’n, 256 sondern das Genrebild - die theatrale Imagination einer idealen Lebenswelt des Publikums - zentral setzt. Was sich auf der Possenbühne durchsetzt, ist weniger eine schlagkräftige und ereignisreiche Handlung; es sind vielmehr die milieueigenen Lebensregungen, die durch die Handlung entbunden werden. 16 Bei Kalisch aber erweist sich das Milieu als keineswegs so gegeben und stabil, wie man es aus anderen Lokalpossen, bspw. dem „Datterich“ von Ernst Elias Niebergall, kennt. Vielmehr ist die gezeigte Gesellschaft durch Übergänge und Brüche gekennzeichnet. Dies wird bereits an der Sprache der Figuren deutlich, die keine einheitliche Form aufweist, sondern durch unterschiedliche Sprach- und Stilebenen geprägt ist. Hierzu gehört besonders der Einsatz von Dialekt sprechenden Figuren, wie den Kellnern oder den reisenden Handwerksburschen, die jeweils durch ihre unterschiedlichen Sprechweisen gekennzeichnet werden. Im Text selbst wird diese Vielfalt im Hinblick auf die deutsche Nationalfrage, die ja 1846 keineswegs geklärt war, thematisiert: „Wir bestreben uns als Eisenbahnhofrestaurationsoberkellner jeden deutschen Ausländer mit Klängen aus der Heimat zu überraschen.“ 17 Gleichwohl zieht der Text auf der Ebene der Episodenfiguren eine klare Trennlinie: Die zwei „jüdische[n] Kaufleute“ 18 aus Polen werden zu sprachlosen Karikaturen, deren Unfähigkeit, sich zu mitzuteilen, dadurch noch komischer wird, dass sie immer nur „Oi, jojojojojo! “ 19 sagen. Auch auf der Ebene der Hauptfiguren erweist sich der Zusammenhalt der gezeigten Gesellschaft als ausgesprochen fragil. So beginnt das Stück mit einem längeren Monolog von Dallesplatz, der die Familienverhältnisse seiner Braut kommentiert: Wie mich nun alle Welt um diese Partie beneidet! Ja, wenn sie es nur wüßt[en], welches Glück es ist, der Schwiegersohn eines Mannes zu sein, dem bei allen Gütern und Schätzen die einfachste Bildung des Geistes und des Herzens mangelt, dessen stete Ängstlichkeit für sein Renommee, dessen auffallende Wohltätigkeit etwas so Zweideutiges, so Verdächtiges hat, daß ich durchaus nicht die Geschichte seines Reichtums erfahren möchte! Ich würde dann vielleicht trotz der glänzenden Aussichten für die Zukunft jene Zeit zurückwünschen, wo ich arm, aber reich und stolz in meinem Bewußtsein, die Straße des Lebens zog. Doch: Meine Braut ist ja ein braves, gutes Mädchen, und es wäre grausam, sie für die Vergangenheit ihres Vaters büßen zu lassen. Beweist es doch auch einen gewissen Sieg der Meinung, wenn man so alte Vorurteile besiegt, sich über Stand, Glauben usw. wegsetzt und wie ich, Freiherr von Dallesplatz, die Tochter eines Bankier Zwickauer, eines ehemaligen - - Doch halt, da ist er ja schon mit seiner schreienden Liebenswürdigkeit […]. 20 Der Text bedient sich zur Exposition der Fabel eines in der Literatur des 19. Jahrhunderts weit verbreiteten Topos, nämlich der aus Armut entstehenden 16 Klotz 1987, 113. 17 Kalisch 1988a, 93. 18 Kalisch 1988a, 74. 19 Kalisch 1988a, 84. 20 Kalisch 1988a, 76. 257 Verbindung von Adel und dem neu entstandenen ‚Geldadel’. 21 Die nostalgische Perspektive des Textes wird daran erkennbar, dass die Verarmung von Dallesplatz an keiner Stelle kritisch kommentiert wird. Vielmehr zeigt das Verhältnis von Dallesplatz und Zwickauer, dass die alte Gesellschaftsordnung insofern fortbesteht, als dieser Zwickauer zurechtweist 22 und auch das Happy-End, das zu einem guten Teil auf finanziellen Leistungen Zwickauers beruht, ‚anordnet’. So wird Zwickauer zur Negativfigur des Textes, die moderne Wirtschaftsformen, wie Aktien- und Zinsgeschäfte, repräsentiert 23 und von Dallesplatz verächtlich als „Geldmensch“ 24 bezeichnet wird. Klotz verweist darauf, dass es für die Posse als Gattung typisch ist, dass sie sich gegen diese neuen Wirtschaftsformen wendet. 25 Darüber hinaus wird Zwickauer als assimilierter Jude beschrieben, wodurch die Gleichsetzung von Kapitalismus, der, so Klotz, „triftig als unberechenbare, anonymisierende Überfremdung empfunden wird“ 26 , mit den sich verbürgerlichenden jüdischen Schichten erfolgt, die einen so zentralen Topos für diese Form der nostalgischen Moderne-Kritik (und des sich etablierenden antisemitischen Diskurses 27 ) bildet. Zwickauers wirtschaftliche sowie religiös-ethnische Vergangenheit erscheinen so dubios, dass der Text sie nur versteckt benennt („Bankier Zwickauer, eines ehemaligen - -“), dadurch aber öffnet er sich für die Imagination des Publikums, das das Bild Zwickauers nun nach Belieben aus dem kollektiven Bilder-Fundus füllen kann. 28 Diese Logik ethnischer Markierung bzw. Identifizierung kapitalistischer Wirtschaftsformen ist die Grundlage, auf der das Happy-End sich etablieren kann: Die Ehe von Karoline und Wilhelm Schulze sowie die Eröffnung einer eigenen Schneiderei bedeutet nicht nur die Rückkehr zu vorkapitalistischen Produktions- und Wirtschaftsformen, sondern imaginiert eine ‚heile’ Gesellschaft, in der auch der Aristokrat um seine angestammte Autorität nicht länger (wegen möglicher ökonomischer Unpässlichkeiten) fürchten muss. Kalisch zeichnet ein Bild sozialer und physischer Mobilität, um es dann (in Gestalt des sich zurückziehenden Zwickauers) zu überwinden und durch das Bild sozialer Stabilität, aber auch Immobilität zu ersetzen. Die Zwielich- 21 Dieses Motiv wird auch bei Gustav Freytag in „Soll und Haben“ (1855) genutzt; auf der populären Theaterbühne ist es vor allem Adolphe L’Arronge, der es in seinem Erfolgsstück „Dr. Klaus“ (UA 1878) ausführt. 22 Vgl. Kalisch 1988a, 85. 23 Vgl. hierzu Kalisch 1988a, 86. 24 Vgl. Kalisch 1988a, 76. 25 Vgl. Klotz 1987, 93. 26 Klotz 1987, 114. Klotz’ Argumentation verkennt hier die teilweise sehr schwierigen nationalen Obertöne, mit denen sich die Posse gegen die Modernisierung wendet. Diese werden vor allem vor dem Hintergrund der weiterreichenden Popularität der Posse bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein problematisch. 27 Vgl. hierzu einführend Weinzierl 2001. 28 Vgl. hierzu einführend Benz 2001, 13-26. 258 tigkeit des Parvenus belegt hierbei die jeglicher Veränderung zugrunde liegende Gefährdung von Harmonie und Ordnung. 259 Theater für Parvenupolis Wir sehen im Geiste Paris und London verarmt; die Millionen der Welt ergießen sich in den geöffneten Schoß Berlins; unter den Schalmeienklängen des Völkerfriedens ziehen die Nabobs und Silberfürsten die Linden entlang und die Sonne des Erdenreichs erstrahlt über Parvenupolis. Walther Rathenau 29 Von früh bis spät rennt ein überarbeitetes Kolonistenvolk durch die Gassen, das von Würde nichts weiß. Karl Scheffler 30 Ich hoffe von dem Theater nichts mehr, weil ich von der Gesellschaft, die in den Theatern unserer großen Städte den Ton bestimmt, nichts hoffe. Maximilian Harden 31 Dieses neue Berlin, ein junger tölpischer Riese, ein Schlemmer in Quantitäten mit einem wundervollen Magen, mit kapitalen Freß- und Verdauungswerkzeugen hat den jugendlichen Ehrgeiz, nichts abzulehnen, alles zu versuchen und den kauderwelschenden Importeuren und Vermittlern auf eigene Leibesgefahr die sichtende Auswahl zu ersparen, die sie wo anders für einen entschiedeneren und ausschließlicheren Geschmack selbst besorgen müssten. Arthur Eloesser 32 Das von Kalisch formulierte Modell der Lokalposse war in seiner nostalgischen Grundkonstruktion nicht dauerhaft in der Lage, eine adäquate Form der Selbst-Inszenierung oder -Thematisierung zu bieten. Denn die Entwicklung Berlins - die ja nur zeitlich derjenigen von Paris, London oder New York nachgeordnet ist - löste im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein solches Befremden aus, dass sich nachgerade ein ethnographisches Interesse an den sozialen und kulturellen Formationen dieser Veränderungen bildete. 33 Dieses artikulierte sich teilweise mit wissenschaftlich-deskriptivem Habitus, wie etwa in den von Hans Ostwald (1873-1940) herausgegebenen „Großstadtdokumenten“ (1904-1908), oder als satirische oder polemische Abrech- 29 Rathenau 2002, 17. 30 Scheffler 1989, 135. 31 Harden in Linsemann 1897, V. 32 Eloesser 1910, 699. 33 Vgl. hierzu Kirshenblatt-Gimblett 1998, 52. 260 nung mit den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Urbanisierung. 34 Theater, zumal seine populären Spielarten, haben für diesen Prozess der inneren Urbanisierung 35 eine entscheidende Rolle. 36 So begründet Conrad Alberti (1862-1918) in seiner Polemik „Ohne Schminke! Wahrheiten über das moderne Theater“ (1887) seine Beschäftigung mit dem Theater nicht mit dessen künstlerischem Stellenwert, sondern mit seiner öffentlichen und wirtschaftlichen Bedeutung: Niemand von uns Söhnen der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ist mehr so naiv, zu glauben, daß das Theater eine moralische Anstalt sei, daß dasselbe unmittelbar wirkenden Einfluß auf die Sittenverbesserung der Menschen im Einzelfall haben könnte. […] Und wäre das Theater nichts anderes, als das beliebteste, besuchteste und einfußreichste aller öffentlichen Vergnügungen, so müßte ihm schon darum die größte Beachtung seitens der Gebildeten zu Theil werden, denn Niemand wird leugnen, daß gerade die Vergnügungen der Allgemeinheit auf den Stand der öffentlichen Sittlichkeit, die Entwicklung und Fortbildung aller im Volke lebenden Grundbegriffe, auf die Bestrebungen und Verhältnisse der Einzelnen, und deshalb vom Standpunkte der Gesellschaftswissenschaft und Volkswirthschaft als das eingehendste Studium verdienen. 37 Um das Theater von Parvenupolis zu verstehen, ist es notwendig, sich dem Diskurs der Urbanisierung zuzuwenden und ihn als Folie mitzulesen, denn erst in diesem Kontext gewinnen die theatralen Unternehmungen ihre historische und kulturelle Kontur. Ein besonders interessantes Beispiel dieser Auseinandersetzung ist die kleine Schrift „Berlin - ein Stadtschicksal“ (1910) von Karl Scheffler (1869- 1951). Sie bedient sich auf der einen Seite bekannter Topoi der Modernisierungskritik, auf der anderen Seite aber ist sie in ihren architektonischen und städtebaulichen Vorschlägen sehr originell. Scheffler setzt sich ausgesprochen polemisch, bisweilen sogar aggressiv mit der Berliner Entwicklung auseinander und imaginiert das Bevölkerungswachstum als Zerstörungsszene, wobei er sich kollektiver Bilder bedient, die an die Zeit der Völkerwanderung und die Zerstörung des Imperium Romanum erinnern: Nur glich die von neuem hereinbrechende Unkultur nun nicht mehr dem Zustand, der entsteht, wenn Eroberer in ein wildes Land kommen, wo alles neu aus dem Nichts geschaffen werden muß, sondern einem Zustand, wie er gegeben ist, wenn Barbarenhorden ein höher kultiviertes Land überschwemmen und die Kulturformen, die sie vorfinden, parvenühaft mißbrauchen. 38 34 Beispielhaft hierfür sind Kabarettisten und Chansoniers, wie Paul Graetz, Otto Reutter oder Claire Waldoff, die sich in ihren Auftritten besonders über den Lokalbezug definierten; vgl. hierzu Marx 2007. 35 Dieses Konzept stammt von Korff 1985. 36 Im Kontext des Ersten Weltkriegs hat Martin Baumeister dies ausführlich nachweisen können; vgl. Baumeister 2005. 37 Alberti 1887, 10f. 38 Scheffler 1989, 123. 261 Seine Beschreibung, die sich vor dem Hintergrund einer imperialistischen Weltordnung als ein kolonialer Alptraum liest, kehrt das Bild des Parvenu ins Extrem; es ist nicht mehr der Einzelne, der einer bestehenden Gemeinschaft hinzutritt, sondern die Gemeinschaft verschwindet vollkommen unter der Übermacht der Migrationsströme. 39 Die pessimistischen und fatalistischen Grundzüge seiner Beschreibung degradieren die Zugewanderten zu vorzivilisierten - wenn nicht gar evolutionär auf einer ‚niedrigeren’ Stufe stehenden - Lebewesen: Ein Kulturgewissen hatten diese endlosen, mit hungrigen Emporkömmlingswillen, festen Nerven und derbem Lebensappetit herbeidrängenden Scharen der östlichen Menschen nicht. Es war barbarisches Kolonistenvolk, das die neue Zeit lärmend begrüßte, als es aus dem Dunkel seines vegetativen Lebens nun zum Licht des geschichtlichen Bewusstseins emporzusteigen begann. 40 Dem Grundtenor dieser Diagnose stimmt auch Walther Rathenau (1867- 1922) in seiner Schrift „Die schönste Stadt der Welt“ (1899) zu, wenn er die Existenz eines ‚ursprünglichen’ Berliners bezweifelt 41 und die Stadt als Parvenupolis beschreibt: „Daß Berlin der Parvenu der Großstädte und die Großstadt der Parvenus ist, dessen brauchen wir uns nicht zu schämen, denn Parvenu heißt auf deutsch: self made man.“ 42 Bemerkenswert ist, dass Rathenaus Rekurs auf das US-amerikanische Konzept des self-made man durchaus einen ironisch-pejorativen Beigeschmack trägt - dies erstaunt umso mehr, als er selbst einer Familie entstammte, die in besonderer Weise von der sozialen Mobilität des 19. Jahrhunderts profitierte. 43 Maßstab dieses Lamentos ist ein Ideal von Bürgerlichkeit und bürgerlichem Umgang, wie man es vielleicht allenfalls gegen Ende des 18. Jahrhunderts - zur Hoch-Zeit des bürgerlichen Salons - finden konnte. Aus dem Blickwinkel dieses bürgerlichen Bildungsideals aber erscheint der soziale Aufstiegswille als degoutant, 44 wie Scheffler schreibt: 39 Scheffler schreibt hierzu: „Es sind, seit Berlin sich zur Weltstadt zu entwickeln begonnen hat, kaum vier bis fünf Jahrzehnte verflossen, und schon sieht man sich vergebens nach dem ‚echten Berliner’ um, nach dem Typus jener Stadtbevölkerung, wie sie sich in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts darstellte.“; Scheffler 1989, 122. 40 Scheffler 1989, 120. Gerade der letzte Satz lässt sich als ein Verweis auf Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ (1840) verstehen, in der Hegel die Kontinente nach ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung sortiert und hierbei Afrika als „Kinderland“ klassifiziert, weil es über keinerlei geschichtliches Bewusstsein verfüge; vgl. Hegel 1971, 135. Hierdurch wird die Herabsetzung jener Zugezogenen nur noch weiter verstärkt. 41 Vgl. Rathenau 2002, 15. 42 Rathenau 2002, 14. 43 Vgl. Stern 1999b, 165-196. 44 Scheffler hierzu: „Die neuen Ansiedler waren im wesentlichen Proletarier, die den brennenden Ehrgeiz hatten, Bourgeois zu werden. […] Aus dieser Kraft aber ergibt sich auch gleich das Laster der neuen Stadtbevölkerung: der rohe Materialismus, der das Edle um seiner selbst willen nicht kennt. […] Alle Wünsche der unteren Klassen streben immer zur Lebensform der Mittelklasse. Und eben diese berlinische Mittel- 262 Dabei ist der Bildungshunger dieser Großstadtmenge unersättlich. Sie peitscht die Furcht, man könne ihr die Unangemessenheit anmerken; darum bemächtigt sie sich Dessen, was nur langsam von innen begriffen werden kann, mit aller Hast von außen. […] Es fehlt dem Parvenütum der Berliner selbst an Genussfähigkeit und Behagen; und das nimmt den Großstadtbewohnern den Rest von Liebenswürdigkeit. Einer überschreit immer den Andern; Jeder hält nur für gut und richtig, was er sagt. 45 Diese innere Leere korrespondiert nach Scheffler mit dem topographischen Bild Berlins, das kein eigentliches Zentrum habe, sondern eine bloße Anhäufung metropolitaner Versatzstücke sei: Es gibt natürlich Alles in Berlin, was zum eisernen Bestand der modernen Großstadt gehört: breite Straßen, Schmuckplätze, Boulevards mit Blumenreihen, gartenähnliche Anlage, einen großen Stadtpark und Prunkgebäude die Menge. Aber das Alles macht in Berlin einen traurigen lieblosen Eindruck. 46 Kristallisationspunkt dieser Kritik ist vor allem der Bezirk Berlin W, der zum Inbegriff des neureichen Aufsteigertums wurde. Edmund Edel (1863-1934) beschreibt in seiner Sammlung satirischer Betrachtungen „Berlin W. Ein paar Kapitel von der Oberfläche“ (1906) den Bezirk folgendermaßen: Berlin W. Draußen, wo die Protzburgen des Geldes stehen, den Kurfürstendamm säumen, wo die ‚Jugendstil’-Architekturen des ‚bayerischen Viertels’ sich in maßlosen Geschmacksverirrungen gefallen, da draußen, wo das Geld rollt, die Dienstmädchen weiße Hauben tragen und die ‚Herren’ Portiers auf hochherrschaftliche Ordnung halten, und wo Berlin eigentlich Charlottenburg, Schöneberg oder Wilmersdorf ist, da draußen liegt Berlin W. 47 Berlin W wurde im zeitgenössischen Imaginären zu einer festen Größe, 48 wobei das literarisch-satirische Bild der Wirklichkeit vermutlich nur teilweise entsprach. Hans O. Modrow verteidigt denn auch in „Berlin 1900“ (1936) die soziale Notwendigkeit eines symbolisch-repräsentativen Lebensstils gegen solcherlei Kritik: Dem Mittelstand ist überall ein bedeutsames Moment gemeinsam: er will gelten. Reichtum will selten gelten, er zieht sich lieber zurück, er hat es mit der Armut gemeinsam, daß er es nicht liebt, von sich reden zu machen. Aber Mittelstand beweist eine gewisse Konformität von Leistung und Resultat, er will seine Erfolge zeigen, damit seine Leistung nicht übersehen wird. […] Nannte man den Berliner klasse gehört doch zum Übelsten, was die neue Zeit hervorgebracht hat. Sie ist in allen ihren Instinkten kulturfeindlich; sie ist es umso wirksamer, als sie Berlin beherrscht.“; Scheffler 1989, 128f. 45 Scheffler 1989, 132. 46 Scheffler 1989, 152. 47 Edel 2001, 11. 48 Beispiele für solche literarischen Verarbeitungen sind etwa Paul Lindaus Roman „Der Zug nach dem Westen“ (1886), Felix Holländers „Sturmwind im Westen“ (1896) oder der von Hans von Bleichröder 1908 im Privatdruck vorgelegte „Roman aus Berlin W.“, der eine erotische, wenn nicht pornographische Inbesitznahme der Stadt durch einen Bankierssohn imaginiert. 263 großsprecherisch, so tat man ihm unrecht. Er wollte sich nur gewürdigt wissen, und weil man ihm das lange versagte, wurde er nicht selten barock. 49 In diesem Bedürfnis nach sozialer Geltung wurden Bildung und Kunst zu einer Ware, einem Luxusgut, dessen man sich ostentativ versichern musste, um den sozialen Standard zu halten. Dieses (Un-) Verständnis, so Scheffler, setzte eine Eigendynamik in Gang, die letztlich der Idee von (bürgerlicher) Bildung im traditionellen Sinne nachgerade zuwiderläuft. Das ungebildete Kolonistengeschlecht wollte unterhalten und geschmeichelt sein, nicht belehrt und veredelt, es wollte Marktwerte, nicht Kulturwerte. Es brauchte das Sentimentale, Wohlfeile, Theatralische, das vom Augenblick für den Augenblick Geborene, das Mittelmäßige und Massenhafte. Und so hat sich die yankeehaft hastende Millionenbevölkerung eine Parvenükunst nach ihrem Geiste gemodelt. 50 Das Theater wird für Scheffler über seine historische Form hinaus als das „Theatralische“ zu einem Menetekel mangelnder Bildung. Diesen Befund weisen auch andere Schriften jener Zeit auf, die sich explizit mit dem Theater beschäftigen, wie die in der Einleitung diskutierten Passagen bei Jacobsohn und Martersteig zeigen. 51 Der Topos ist unmittelbar mit dem Wachstum Berlins und seiner Theaterlandschaft verbunden, er findet sich bereits in Maximilian Hardens (1861-1927) Schrift „Berlin als Theaterhauptstadt“ (1888), in der er das Theater als eine „für den größten Theil gerade des gebildeten Publikums […] nicht ernst zu nehmende Luxusanstalt“ 52 beschreibt. In unseren Schauspielhäusern aber fehlt gerade der beste Theil unseres Volkes, Gelehrte, Beamte, geistige Arbeiter jeglicher Art haben längst auf den Besuch der Theater verzichtet, den sie ebenso wie die schöngeistige Literatur als einen ernsthafter Männer unwürdigen Zeitvertreib betrachten. […] Im Allgemeinen herrscht in unseren Theatern die Plutokratie, jene gefürchteten Premierentiger, in deren Händen oft das Schicksal eines ernsten Kunstwerkes liegt, sind fast ausnahmslos in den Koulissen der Börse mehr noch und besser bewandert, als in denen der Bühne. 53 Aus dieser Perspektive erscheint es beinahe zwangsläufig, dass ein solches Publikum nur zu einem Niedergang des Theaters als moralische Anstalt und bürgerliche Kunstform führen kann. Etwas differenzierter, allerdings mit vergleichbarer Grundhaltung, beschreibt der Kritiker der „Vossischen Zeitung“, Alfred Klaar (1848-1927), 54 das Berliner Premierenpublikum als ein nicht mehr homogenes, spontan empfindendes. Es bestehe aus drei Gruppen: 49 Modrow 1936, 59. 50 Scheffler 1989, 165. 51 Vgl. hierzu S. 39-43 dieser Arbeit. 52 Harden 1888, 5. 53 Harden 1888, 6. 54 Vgl. zu Klaar Antoine 1963. 264 Das Premierenpublikum jener Berliner Bühnen, die für eine gewisse Zeit, wenn auch oft nur für eine kurze, das Schicksal der Novitäten bestimmen, setzt sich zum geringsten Teil aus Menschen von naiver Empfänglichkeit zusammen und besteht auch nicht aus Elementen von gleichartiger Disposition oder von der Fähigkeit, sich einander rasch anzugleichen und dadurch den Eindruck [der Bühne] zu verstärken. Ein gutes Dritteil der Zuschauer wird durch die Kritiker und berufsmäßigen Schriftsteller gebildet, […]. Ein anderes Dritteil faßt die Premierenlöwen und die Interessenten des Hauses in sich, von denen die einen aus sportmäßiger Liebhaberei, die anderen in ihrem ökonomischen Eifer alle Chancen des großen Rennens erwägen. […] [B]ei einem letzten Dritteil endlich wird die naive Theaterempfindung […] durch den wunderlichen Ehrgeiz, des der Kritik zuvorzutun und die Urteile und Urteilsbegründungen des literarischen Gerichtshofes vorwegzunehmen, häufig zurückgedrängt oder doch eingeschüchtert; die schlichtesten Besucher dieser Modetheater fürchten den Makel der Bildungslosigkeit, der ihnen angeheftet werden könnte, wenn sie sich unbedenklich den nächsten Wirkungen hingäben. 55 Eine Karikatur des „Simplicissimus“ aus dem Jahr 1912 setzt dies symbolisch ins Bild, wenn zwei junge, mondän gekleidete Frauen sich in einer Loge räkeln und sich zuraunen: „Das wird wieder ein öder Abend! Schon zwei Akte und kein Skandal! “ Was aber passiert, wenn man diesen grand récit gegen den Strich liest? Löst man sich von der Folie eines Theaterideals, das unschwer als Weiterführung des bürgerlich-moralischen Bildungstheaters des 18. Jahrhunderts identifiziert werden kann, so wird in der Karikatur und den Streitschriften schemenhaft jenes so sozial wichtige und kulturell einflussreiche Theater von Parvenupolis erkennbar, das als Zentrum und Katalysator der urbanen Milieus diente. 55 Klaar 1910/ 1911, 126f. Abb. 34: Karikatur aus dem „Simplicissimus“ (1912). 265 Ein „Theater für die Lebenwollenden“: Das Lessing-Theater Aus der Fülle der in Folge der Theaterfreiheit 1869 gegründeten Theater ragen drei Häuser besonders heraus: das 1883 unter der Leitung von Adolphe L’Arronge (1838-1908) als Sozietät gegründete Deutsche Theater 56 sowie die beiden 1888 eröffneten Bühnen, das Berliner Theater von Ludwig Barnay (1842-1924) und das Lessing-Theater von Oscar Blumenthal. Letzteres kann als paradigmatisch für das Parvenutheater angesehen werden, weil es von seiner Genese, seiner baulichen Struktur und seinem ästhetischen Programm her typisch für die sich bildenden kommerziellen Räume ist, die der Zeitkritik als so bezeichnend für das Parvenutum galten. Initiator dieses Bühnenunternehmens war der Theaterkritiker und Bühnenautor Oscar Blumenthal, der, durch die Erfolge seiner Stücke am Deutschen Theater 57 wohlhabend geworden, 1887 ankündigte, ein Theater für die zeitgenössische Dramatik eröffnen zu wollen. Blumenthal kündigte ein „Theater der Lebenden“ an, das vor allem der Gegenwartsdramatik gewidmet sein sollte. Martersteig erblickte in diesem aber nur, wie eine viel kolportierte Wendung lautete, ein „Theater der Lebenwollenden“ 58 . In der Forschung, die das Lessing-Theater nur am Rande der Erwähnung für würdig befindet, 59 wird daher vornehmlich der kommerzielle Hintergrund 56 Zur Intendanz L’Arronge vgl. Raeck 1928. 57 Bezeichnend für die ablehnende Haltung, die Blumenthal von vielen seiner Zeitgenossen entgegengebracht wurde, ist Eugen Wolffs Polemik „Oscar Blumenthal, der Dichter des deutschen Theaters und der deutschen Presse“ (1887), der ihm reine Effekthascherei vorwirft, die den „ursprünglichen, deutschen Geist“ verderbe; vgl. Wolff 1887. Dass sich in die Kritik antisemitische Stereotypen mischen, ist durchaus typisch für diese Auseinandersetzung. 58 Martersteig 1904, 675. 59 In die Theatergeschichte findet das Lessing-Theater eigentlich nur Eingang als Spielstätte der „Freien Bühne“ 1889 sowie von 1904-1912 als Theater unter der Leitung von Otto Brahm. Vgl. hierzu Buth 1965. Abb. 35: Porträt von Oscar Blumenthal. 266 der Gründung betont: Blumenthal habe mit seinem eigenen Theater lediglich eine bessere Rendite für seine Stücke erzielen wollen. 60 Eine solche Perspektive aber, die mit der Klassifizierung - oder besser Stigmatisierung - als „Geschäftstheater“ 61 die damnatio memoriae der Theaterhistoriographie begründet, verkennt den zentralen Platz, den diese Bühne für die kulturellen Verhandlungen in Berlin einnahm. In den zehn Jahren seiner Intendanz hat Blumenthal nicht nur konsequent Gegenwartsdramatik spielen lassen und Autoren wie Hermann Sudermann (1857-1928) zum Durchbruch verholfen, er öffnete seine Bühne auch für wichtige Gastspiele, wie jenes der „Freien Bühne“ (1889) oder das von Eleonora Duse (1858-1924) 1892 in Berlin. 62 Bereits der Name und das damit verbundene ‚Patronat’ Lessings, das durch die Eröffnung des Hauses mit „Nathan der Weise“ bekräftigt wurde, können als programmatisch angesehen werden. Für einen Schriftsteller jüdischer Herkunft war diese Bezugnahme sicherlich nicht nur das „Hochkultur-Feigenblatt“ zur notdürftigen Kaschierung der ökonomischen Interessen. Der Verweis auf Lessing und auf seinen „Nathan“ reklamiert eine Freiheit und Toleranz, die - durch die Verfassung von 1871 zum rechtlichen Prinzip geworden - die soziokulturelle Grundlage dieses Theaters und der Tätigkeit seines Intendanten war. 63 Ähnlich programmatisch, wenngleich mit einer anderen Zielrichtung, lässt sich die äußere Form des Hauses deuten: Bereits die Lage am Friedrich- Karl-Ufer, gegenüber dem damals noch im Bau befindlichen Reichstag und in unmittelbarer Nähe zum Tiergarten und damit zu Berlin W, signalisierte eine selbstbewusste kulturelle Verortung. Wichtiger aber, und dies heben die meisten Besprechungen des Gebäudes hervor, war der Umstand, dass es sich um ein freistehendes, von allen Seiten gut sichtbares Gebäude handelte: An der Ecke des Friedrich-Carl-Ufers und der Unterbaum-Straße, gegenüber der westlichen Ausmündung der Carlstraße in die Kronprinzenbrücke gelegen, behauptet er [der Bau] die Mitte einer Stadtgegend, die schon jetzt zu den bevorzugtesten Berlins gehört, nach Vollendung des Reichshauses aber unzweifelhaft einen weiteren Aufschwung nehmen wird. Seine Lage an der Pferde-Ringbahn setzt ihn mit allen übrigen Stadtteilen in bequeme Verbindung. 64 Der Bau erregte vor allem deshalb das allgemeine Interesse, weil es das erste freistehende Theatergebäude seit über zwanzig Jahren war - die meisten der im Zuge des Theaterbooms entstandenen Bühnen waren entweder umge- 60 So bspw. Wilcke 1958, 25. 61 Die Unterscheidung von Kulturvs. Geschäftstheater findet sich immer wieder im Sprachgebrauch am Ende des 19. Jahrhunderts; eine ausführlichere Definition gibt Seelig 1914. 62 Vgl. Wilcke 1958, 103-106. 63 Zieht man diesen kulturellen Kontext mit in Betracht, so erscheint es geradezu kleinlich, dass Gerhard Wahnrau hierin einen eklatanten Widerspruch zur auf Gegenwartsdramatik bezogenen Programmatik des Hauses erkennen will; vgl. hierzu Wahnrau 1957, 546. Wahnraus Beschreibung kann im Ganzen als paradigmatisch für dieses bewusste Auslassen in der Theatergeschichtsschreibung angesehen werden. 64 Anonymus 1888, 65. 267 baute Schank- oder Tanzsäle oder wurden als Fassadentheater 65 in bestehende Häuserfronten eingefügt. Die Lage des Lessing-Theaters stellte eine besondere Herausforderung für die Architekten Hermann von der Hude (1830- 1908) und Julius Hennicke (1832-1892) dar und machte es unweigerlich zu einem Schauobjekt. 66 Die Ausrichtung des Gebäudes trug dieser erhöhten Aufmerksamkeit Rechnung: Es wurde auf dem Grundstück, das diagonal zu einer wichtigen Straßenkreuzung lag, so ausgerichtet, dass an seinen Seiten zwei kleine dreieckige Plätze entstanden, die repräsentativ gestaltet wurden. 67 In Anbetracht der Tatsache, dass Blumenthal die Kosten alleine trug und auch in den 1880er Jahren die Grundstückspreise eine nennenswerte Größe in der Kalkulation waren, kann man dies als demonstrative Großzügigkeit verstehen. Otto Weddigen betont den schmückenden Charakter des Baus für die Stadt: „Berlin ist dadurch um einen eigenartig schönen Bau bereichert, der weithin sichtbar, den Nordwesten in der Gegend des Friedrich-Karl-Ufers und der Kronprinzenbrücke schmückt.“ 68 65 Vgl. zu diesem Bautyp Carlson 1989, 98-127. 66 Hierzu vermerkt die „Deutsche Bauzeitung“: „Es ist daher als eine erwünschte Bereicherung der öffentlichen Gebäude unserer Stadt umso mehr zu begrüßen, als es dieser […] an Theaterbauten von eigenartiger Gestalt bisher fast ganz fehlt.“; Anonymus 1888, 66. 67 „Vor der Hauptfassade, welche dadurch fast genaue Südlage erhalten hat, bleibt ein kleiner Vorplatz frei, während die durch Gitter mit Einfahrtstoren abgegrenzten dreieckigen Plätze, welche sich auf den Längsseiten ergeben, mit Garten-Anlagen geschmückt werden sollen.“; Anonymus 1888, 65. Vgl. hierzu auch Reissmann 1996. 68 Weddigen 1904-06, 360. Abb. 36: Außenansicht des Lessing-Theaters. 268 Diese großzügige Anlage korrespondierte mit einem Baudekor, das „im wesentlichen noch die der älteren Berliner (Nach Schinckel’schen) Schule eigene Auffassung der Renaissance“ 69 aufgriff. 70 Dieser eklektizistische Historismus fügte sich gut in das Villenviertel von Berlin W ein und nahm gleichzeitig mit seinen Formen Bezug auf die Repräsentativbauten jener Zeit. 71 Gleichzeitig - und diese Verbindung markiert sehr deutlich den kulturellen Ort des Theaters - entsprach das Gebäude den neuesten bautechnischen Standards: Seine Bauweise aus Stahl und Mauerwerk antizipierte die erst ein Jahr später in Kraft tretenden neuen Brandschutzvorschriften, mit 69 Anonymus 1888, 67. 70 Eine ausführlichere Beschreibung des Baus bietet Zielske 1971, 175-178. 71 Wilcke weist ausdrücklich hierauf hin: „Die beiden assoziierten Architekten hatten in Berlin unter anderem mehrere Hotels (den ‚Kaiserhof’ und das ‚Centralhotel’ am Bahnhof Friedrichstraße) und viele Wohnhäuser und Villen im Tiergartenviertel gebaut - alles im ‚Geiste der italienischen Renaissance’ - im Pseudostil der Gründerzeit.“; Wilcke 1958, 14. Abb. 37: Innenansicht des Lessing-Theaters. Die Lithographie inszeniert das Theatergebäude als Star seiner eigenen Bühne, wie man am Prospekt, das die Außenansicht zeigt, erkennen kann. 269 denen man versuchte, Lehren aus dem verheerenden Theaterbrand in Wien 1881 zu ziehen. 72 Die Aneignung historischer Bauformen bei gleichzeitiger Verwendung der neuesten technischen Errungenschaften schuf eine Verbindung, die konventionelle Raumkonzepte mit den Bedingungen einer sich modernisierenden Lebenswelt verband. Noch deutlicher wird dies, wenn man sich die bühnen- und haustechnischen Anlagen betrachtet: Das Haus verfügte über eine moderne Heizungs- und Lüftungsanlage und wurde - eine wichtige Innovation - mit elektrischem statt mit Gaslicht beleuchtet: Die Beleuchtung erfolgt mittels elektrischen Lichts. Es sind für das Zuschauerhaus i.g. nicht weniger als 415 Flammen vorgesehen, von denen 90 für die Garderoben und Korridore der Bühne, 325 für das Zuschauer-Haus Verwendung finden werden; im Saale selbst sollen 80 Flammen in 8 großen an der Decke vertheilten Körben, 69 in Bouquets an den Rangbrüstungen vereinigt werden. 73 Für die Bequemlichkeit der Zuschauer sorgte ein ausgefeiltes System von Korridoren, Treppenhäusern und eine besonders luxuriöse Ausstattung. 74 In den Pausen dienten sowohl die Foyers - sozial differenziert zwischen Parkett, I. Rang und II. Rang - und die Korridore sowie die umliegenden Straßen als „bequeme Wandelbahnen für das Publikum.“ 75 Eine Karikatur des „Kladderadatsch“ aus dem Jahr 1888 bringt den Ausstattungseifer unter dem Titel „Theater-Bequemlichkeit und Sicherheitsvorkehrungen der Zukunft“ auf den Punkt. Die zweiteilige Karikatur zeigt in der ersten Zeile elegante Herren im Frack, die sich in den sehr breiten Sesseln die Pause mit Zeitunglesen, Sekt oder einem kleinen Nickerchen vertreiben. Im Falle eines Brandes aber - so belehrt der überleitende Zwischentext - würden die Sessel hydraulisch in den Keller versenkt, so dass die Zuschauer das Gebäude durch einen eigens dafür vorgesehenen Ausgang bequem verlassen könnten. Auch wenn es keinen expliziten Verweis auf das Lessing-Theater gibt, dürfte sich - zumal im Eröffnungsjahr 1888 - dieser Bezug den Zeitgenossen geradezu aufgedrängt haben. Die Mischung aus dekorativer Tradition und technischer Innovation setzte sich in anderen Teilen der Anlage fort. So war der Zuschauerraum im Stil des Rokoko gehalten, eine übliche Stilform für Theaterräume jener Zeit. Allerdings wich die Farbgestaltung leicht von den gewohnten Mustern, rot und gold, ab, wie Reissmann betont: „Im Zuschauerraum dominierten helle 72 Vgl. zu den Theaterbränden Buck 2000. 73 Anonymus 1888, 66. Vgl. zum Beleuchtungssystem der Bühne, das ebenfalls elektrisch war, Weddigen 1904-06, 363. Vgl. zur Geschichte der elektrischen Bühnenbeleuchtung besonders auch Baumann 1990, der anführt, dass in der Spielzeit 1888/ 89 im deutschsprachigen Raum 34 Theater elektrisch beleuchtet wurden, von denen sich neun in Berlin befanden; vgl. Baumann 1990, 132. 74 Die Deutsche Bauzeitung erwähnt in diesem Zusammenhang bspw., dass die Abmessungen der Sessel größer seien als in vergleichbaren Theatern; vgl. Anonymus 1888, 66. 75 Weddigen 1904-06, 361. 270 Farben, blau, weiß und gold. Für Vorhänge und Polsterungen fand blauer Samt Verwendung.“ 76 Die Struktur des Saales selbst war der des Königlichen Schauspielhauses von Schinckel 77 nachgebildet, weil der für die künstlerische Leitung vorge- 76 Reissmann 1996, 125. 77 Vgl. zu diesem Bau Behr/ Hoffmann 1984. Abb. 38: Karikatur zur „Theatersicherheit“ aus dem „Kladderadatsch“ (1888). 271 sehene Ernst von Possart 78 diesen Saal wegen seiner Akustik für vorbildlich hielt. Die Abweichungen von diesem Vorbild sind aber bemerkenswert: Die Logen waren weniger tief und abgeschlossen 79 und durch die Verwendung von Eisenträgern konnte auf größere, den Raum strukturierende Säulen zur Stützung der Ränge verzichtet werden. 80 Da die obligatorische Hofloge als Proszeniums- und nicht als Mittelloge im I. Rang ausgeführt war, 81 entstand trotz der Gesamtzahl von 1.170 Plätzen ein überschaubarer, offener Theaterraum. Auch hieran lässt sich die charakteristische Verbindung von historischen Formen und modernster Technik erkennen. Es wäre aber voreilig, wenn man davon ausginge, dass das historische Dekor den modernen Grundzug des Raumes vollkommen überdecken und zum Verschwinden bringen sollte. Im Gegenteil, Blumenthal selbst sorgte dafür, dass die Details des Baus nicht verborgen blieben. Symptomatisch für die Einbindung der technischen Hochleistung ist eine Episode aus der Bauphase: Bevor die eigentlichen Bauarbeiten beginnen konnten, musste der sich auf dem Grundstück befindliche Zirkus Krembser, eine der ersten Eisenkonstruktionen Berlins, abgetragen werden. 82 Das Gebäude wurde um hundert Meter versetzt und rechtzeitig wieder hergestellt, so dass die Zirkussaison ohne Verzögerung beginnen konnte. 83 In dieses Schema konsumierbarer, weil in angenehme Formen gebrachter Technik gehörte neben der elektrischen Beleuchtung des Hauses die Bühnentechnik, die von dem berühmten Münchner Theateringenieur Karl Lautenschläger (1843-1906), dem Erfinder der Drehbühne, entworfen wurde. In der Gestalt des kostbaren und luxuriösen Theaters, dessen Dekor so vertraut war, konnten die technischen Neuerungen genossen werden, ohne als bedrohlich empfunden zu werden. In diesem Zirkulationskreislauf traditioneller Formen, technischer Neuerungen und sozialer Mobilität gewinnen Ausstattungs- und Dekorfragen eine weit über das Detail hinausreichende Bedeutung. Das Theater stellte im urbanen Kontext einen öffentlichen Raum dar, dessen Zugänglichkeit durch ökonomische Kriterien, nicht durch soziale oder Bildungsanforderungen geregelt war. Was sich vor der Folie eines abstrakten Ideals von Bildungstheater als bloßer Verlust oder Niedergang ausnimmt, erweist sich bei näherer Betrachtung als ein besonders intensiver Ort der Zirkulation und sozialer Verhandlungen. 78 Possart verließ allerdings das Lessing-Theater nach einem Jahr schon wieder, vgl. hierzu Wilcke 1958, 27. 79 Vgl. Wilcke 1958, 16. 80 Vgl. Weddigen 1904-06, 363, sowie Zielske 1971, 178. 81 Die Hofloge erwähnt lediglich Anonymus 1888, 66, über ihre Nutzung finden sich ansonsten in der Literatur keine weiteren Angaben. 82 Die Konstruktion dieses Gebäudes, das immerhin 3.500-4.000 Personen Platz bieten konnte, war so aufsehenerregend, dass die „Deutsche Bauzeitung“ den 1887 errichteten Bau ausführlich vorstellte; vgl. Anonymus 1887. 83 Vgl. hierzu Reissmann 1996, 123. 272 Soziale Mobilität war eine unmittelbare Lebenserfahrung und die raison d’être des Publikums im Lessing-Theater, denn es sprach vor allem jene Kreise an, die von den Modernisierungsprozessen profitierten. So stellt etwa Eugen Zabel (1851-1924) fest, dass besonders „die Finanz- und Börsenkreise nebst Allem, was zur Lebewelt gehört, […] Geschmack am Lessingtheater“ 84 fanden. Der Theaterkritiker Karl Frenzel (1827-1914) beschreibt 1892 das Lessing-Theater als das „richtige Luxus-Theater der Berliner Gesellschaft […], eine Mischung aus dem Vaudeville- und Gymnase-Theater in Paris.“ 85 Das Lessing-Theater, dessen programmatische Nähe zu Berlin W mit Blick auf diese sozialen Prozesse eine fast symbolische Bedeutung gewinnt, war das idealtypische Theater für Parvenupolis - für alle Lebenwollenden. Gleichzeitig repräsentiert es einen Typus von Öffentlichkeit, der keineswegs auf das Theater beschränkt war. Ein Seitenblick auf die Entstehung und Entwicklung der Warenhäuser in Berlin soll zeigen, wie sehr die Zirkulationsströme der sich bildenden Konsumkultur das Gesicht der Metropole prägten. 84 Zabel 1903, 102. 85 Frenzel 1892, 122. 273 Das Warenhaus Wenn man heute in einer Familie hört: Wir gehen zu Wertheim, so heisst das nicht in erster Linie, wir brauchen irgend etwas besonders notwendig für unsere Wirtschaft, sondern man spricht wie von einem Ausfluge, den man etwa nach einem schönen Orte der Umgebung macht. Man wählt sich dazu einen Nachmittag, an dem man möglichst viel Zeit hat, verabredet sich womöglich noch mit Bekannten. In der Leipzigerstrasse angekommen, bewundert man erst eine ganze Zeit lang die Schaufenster, dann ergeht man sich in den Erdgeschossräumen, sieht sich die verschiedensten Auslagen an, kauft vielleicht hier und da, lässt sich durch den Fahrstuhl in den ersten Stock befördern und nimmt womöglich eine Tasse Chocolade nebst einem obligaten Stück Torte oder Apfelkuchen. Hat man Bekannte gefunden oder mitgebracht, so bleibt man wohl plaudernd längere Zeit sitzen, zeigt die gegenseitigen Einkäufe und reizt sich dadurch gegenseitig zu neuen Ausgaben. Gustav Stresemann 86 So wie das kommerzielle (Privat-) Theater zum Ort und Schauplatz einer umfassenden und sinnlichen Erfahrung von Modernisierung wurde, fungierten die sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts etablierenden Warenhäuser ebenso als ‚Schauplätze’ gesellschaftlichen Wandels und sozialer Mobilität wie als Katalysatoren dieser Entwicklungen. 87 Während in Paris und New York bereits seit den 1850er Jahren erste Warenhäuser (seit 1866 auch in London) entstanden waren, eröffneten Abraham und Ida Wertheim erst 1876 das erste deutsche Warenhaus in Stralsund. 88 In Berlin selbst gab es zwar schon seit 1839 auf einzelne Waren spezialisierte Kaufhäuser, 89 wie Jardon und Gerson, ab 1843 auch N. Israel, 90 aber erst die Eröffnung von Wertheim 1885 in der Rosenthaler Straße läutete die Ära der großen Warenhäuser ein. 91 Das berühmteste Warenhaus entstand 1896 mit der Eröffnung des von Alfred Messel (1853-1909) entworfenen Wertheim-Hauses in der Leipziger Straße. Dieses Gebäude nahm im Berliner Stadtbild eine so bedeutende 86 Stresemann 1900, 714. 87 Wolfgang Schivelbusch weist in diesem Zusammenhang explizit auf die Parallele von Eisenbahn und Kaufhaus hin; vgl. Schivelbusch 2004a, 165-171. 88 Vgl. hierzu Coles 1999, 73-75. 89 Zu dieser begrifflichen Unterscheidung vgl. Wiener 1912, 260f. 90 Vgl. zu diesen Geschäften Coles 1999, 81. 91 Vgl. hierzu Coles 1999, 75. 274 Stellung ein, dass Hans O. Modrow es neben dem Reichstag als das schönste Bauwerk der Stadt bezeichnet: Das Parlamentsgebäude Wallots am Königsplatz, das Warenhaus Wertheim am Potsdamer Platz werden für alle Zeiten die beiden großen und schönen, die beiden gelungenen Monumentalbauten des modernen Berlin bleiben, die Wahrzeichen einer doppelten Entwicklung zur historischen Führung des Reiches und seiner wirtschaftlichen Hegemonie. 92 In seiner ökonomischen Verfasstheit und kulturellen Position ist das Warenhaus auf vielfache Weise mit den Modernisierungsprozessen verbunden, beispielhaft seien hier drei Merkmale genannt: - Die wichtigste Voraussetzung des Warenhauses war die Massenproduktion von Bedarfsgütern aller Art: Nicht mehr das für den einzelnen Kunden nach individuellem Bedarf hergestellte Produkt, sondern die massenhafte Produktion senkte die Kosten und machte eine breitere Lagerhaltung möglich. 93 So wurde eine Kalkulation 92 Modrow 1936, 57. 93 Wiener schreibt hierzu: „Eine der Hauptwandlungen, die die Fabrikation aller Waren im 19. Jahrhundert durchgemacht hat, zeigt sich in dem Zurücktreten der individuellen, den Wünschen des einzelnen Bestellers angepaßten Waren, für welche sich auf Abb. 39: Außenansicht des Warenhauses Wertheim, Berlin. 275 möglich, die sich nicht mehr an der einzelnen Ware orientierte, sondern am Gesamtabsatz: „Der Satz: ‚Die Masse muß es bringen’ gilt als Prinzip für diese moderne Geschäftspraxis.“ 94 Die hieraus resultierende Notwendigkeit, ständig neue Produkte auf den Markt zu bringen, erklärt auch, warum gerade die Kleiderkonfektion ein so wichtiger Motor für das Entstehen der Warenhäuser war, denn die sich als kulturelle Praxis etablierende Mode mit ihren wellenartigen (und damit auch berechenbaren) Innovationen kam dieser Wirtschaftsform besonders entgegen. 95 - Auch die Urbanisierung und die damit verbundenen größeren Absatzmärkte stellten eine Grundbedingung der Warenhäuser dar. 96 Durch den größeren Einzugsbereich und den erweiterten Rahmen des Geschäfts konnten - und dies markiert den wirtschaftlichen Vorteil gegenüber dem traditionellen Einzelhandel bzw. den „Spezialgeschäften“ - die Betriebskosten gesenkt werden, etwa durch eine bessere Ausnutzung des Raumes 97 und das Vermeiden von ‚Leerlaufzeiten’ beim Personal, in denen auf Kundschaft gewartet wurde. Wie die Verkaufsräume, so kann auch das Verkaufspersonal beim Warenhause günstiger genutzt werden. Im kleinen Detailgeschäft sind die Verkäufer oft stundenlang unbeschäftigt, während sie in den Hauptstunden wiederum so überlastet sind, daß ihre Kräfte ganz verbraucht werden. 98 - Schließlich lässt sich eine genealogische Linie zwischen dem Warenhaus und den seit der Mitte des 19. Jahrhunderts stattfindenden Weltausstellungen ziehen. Das Prinzip des Ausstellens von Gütern und das Ermöglichen einer visuellen und sinnlichen Erfahrung von Modernisierung (und natürlich das Wecken eines Kaufbedürfnisses) ist beiden Institutionen gemein. 99 Diese Einbindung in die Modernisierungsprozesse macht das Warenhaus zu einem symbolischen Ort, an dem sich beispielhaft die gesellschaftliche Auseinandersetzung bricht. Widerstand und Befürwortung belegen gleichermaßen, wie sehr das Warenhaus die Lebenswelt am Ende des 19. Jahrhun- wenige Muster beschränkende Typen, die ‚Standardwaren’ eingetreten sind.“; Wiener 1912, 12. 94 Wiener 1912, 16. 95 Westphal 1992 beschreibt ausführlich das Entstehen der Berliner Konfektionsmode aus den Bedingungen dieser Zeit; vgl. Westphal 1992, 13-100. 96 Schivelbusch schreibt hierzu: „Das Kaufhaus als neue Form des Einzelhandels hat zur Voraussetzung ein entwickeltes innerstädtisches Verkehrssystem. […] Wie Haussmanns Verkehrsadern über die Bahnhöfe an das Eisenbahnnetz und den Gesamtverkehr, so sind die neuen Kaufhäuser ihrerseits an die neuen innerstädtischen Verkehrsadern und damit an den Gesamtverkehr angeschlossen.“; Schivelbusch 2004a, 165. 97 Auch Modrow 1936, 55, benennt dies als Problem. 98 Wiener 1912, 19. 99 Vgl. Crossick/ Jaumain 1999, 28 sowie Wilzopolski 1992, 106. 276 derts veränderte und zum ‚Einfallstor’ von sozialer und ökonomischer Mobilität wurde. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich viele Schilderungen eines ethnographischen Gestus bedienen, der die Neuheit der Institution im Bild des Staunens als Fremdheit fasst. Beispielhaft ist die Beschreibung, die Paul Göhre (1864-1928) in seiner damals grundlegenden Studie „Das Warenhaus“ (1907) an den Beginn seiner Analyse stellt: Mühsam retten wir uns durch ein Gewühl von Fußgängern, Radfahrern, Droschken, Lastwagen, Automobilen, Omnibussen und Straßenbahnwagen. Nun stehn wir still auf den Stufen eines der schlichten beiden Torhäuser, die den Potsdamer vom Leipziger Platz abschließen. Vor uns flutet die Masse der Menschen und Wagen dahin, rastlos, ununterbrochen, dem Engpaß der Leipziger Straße zu. […] Hinter ihnen [den Menschen] […] die hohen Häuser des Platzes, von denen doch nur eins dem Schauenden in die Augen fällt, in den Augen bleibt, auf das der Strom der hastenden Menschen und rasselnden Wagen ewig zustürzt, am Eingang des Schlundes, Leipziger Straße geheißen: das Warenhaus Wertheim. Stumm in dem lauten Lärm, stolz und selbstbewußt wie die Riesenbäume vor ihm, hoheitsvoll, fast feierlich hebt sich sein Eckbau in die Höhe. 100 Einen ähnlichen Blickwinkel wählt auch Maximilian Harden: Kopf an Kopf standen die Menschen, Männer, Frauen, Kinder aus allen Ständen, und starrten durch die mächtigen Scheiben in Tiefen und Höhen des Gelobten Landes. Noch wagten nur Wenige sich hinein; die Scheu vor der glitzernden Pracht hielt die meisten zurück. 101 Und weiter heißt es: [M]itten im Reden haftete das Auge immer wieder an der hell strahlenden Herrlichkeit, der Strom stockte und die eben noch Schmälenden starrten mit offenem, für ein Weilchen ruhenden Munde ekstatisch in ein Märchenreich … Und nun kam mählich Bewegung in die dichten Reihen: die Vordersten hatten sich, von Rückkehrenden ermuthigt, in den Glaspalast hineingewagt, die Verschüchterung war gewichen, die Heerde tribbelte dreist hinterdrein. Man brauchte ja nichts zu kaufen, man sollte nur erst einmal sehen. Und zu sehen war genug da. 102 Dieses Staunen war dem Bautypus und der kulturellen Institution selbst inhärent, wie Georg Buß beschreibt: Eigentlich hat doch erst Deutschland dem Warenhause eine architektonische Ausgestaltung verliehen, die sowohl der zwecklichen Bestimmung des Baues, wie den Anforderungen der Kunst, insbesondere der harmonischen Verbindung von Stein und Eisen, entspricht. Es hat in Wahrheit den architektonischen Typus für das Warenhaus geschaffen - jenen lichterfüllten, geräumigen und monumental wirkenden Bau mit dem prächtigen Oberlichthof, um den, als den vornehmsten Kern der ganzen Anlage, sich die verschiedenen Stockwerke öffnen und leicht auffindbar die Treppen und Aufzüge gruppieren. 103 100 Göhre 1907, 7. 101 Harden 1898, 1. 102 Harden 1898, 2f. 103 Buß 1906/ 07, 605f. 277 Das intendierte Beeindrucken des ‚Publikums’ war tatsächlich eine zentrale Wirkungsabsicht der Warenhäuser. Nach Crossick/ Jaumain gründet dies in einem grundlegenden Paradox der Ökonomie des Warenhauses: At the heart of the department store’s representation lay a paradox: the goods offered to the aspirant consumer market were often mass-produced and aggressively priced, yet the culture to be sold with it was one of luxury, indulgence and good taste. It was less the products which created the sense of elegance and good living than the department store setting in which they were sold. 104 Diese Spannung zwischen einem ökonomisch notwendigen massenhaften Konsum und einem kulturellen Anspruch, der gerade die Spuren des Massenhaften zu verbergen sucht, war im Messel-Bau idealtypisch gegelöst. Im Gegensatz zu den französischen und amerikanischen Vorbildern betonte das Äußere des Gebäudes gerade nicht die modernen Stahl- und Glaskonstruktionen, sondern zitierte traditionelle Baustile. Göhre beschreibt die unterschiedlichen Facetten des Gebäudes: Erinnerte der Eckbau am Leipziger Platz an einen gotischen Dom, die Hauptfront in der Leipziger Straße an die Front eines griechischen Tempels, so macht dieser Teil des Warenhauses fast den Eindruck eines großen Schlosses in deutscher Renaissance. 105 Und an anderer Stelle führt er aus: Aber das ist das Schöpferische an seinem [Messels] Werke, daß er sie nicht als einzelne feste harte Stücke übernahm und spröde nebeneinander fügte, sondern er schaltete mit ihnen ganz souverän. Es ist Barock, Renaissance, ältere und spä- 104 Crossick/ Jaumain 1999, 27. 105 Göhre 1907, 13. Abb. 40 und 41: Innenansichten Wertheim: oben Blick in den Lichthof, unten der Wintergarten. 278 tere Gotik, selbst Antike verwendet: aber indem sie Messel zu dem ganz neuen Zwecke eines modernen Warenhauses verwertete, indem er diesen Zweck als höchste zu leistende Anforderung über alles stellte, indem er ferner diesen Zweck mit zum Teil ganz modernem Material, Glas und Eisen neben Stein, zu erfüllen suchte, mußte er schon aus diesem Tatbestand heraus sie und ihre Motive abwandeln, leise um- und zueinanderbiegen. 106 Der Eklektizismus, der so typisch für die wilhelminische Architektur ist, 107 gliederte den Bau bewusst in den Kontext monumentaler Repräsentativbauten ein und zitierte hierfür Formen, die neben dem Eindruck von Tradition und Solidität ein nationales Pathos befriedigten. In the Wertheim store, Messel crafted an image of cultural continuity that belied the role of department stores in these disruptions. Seeking to create a specifically German solution to what was perceived as one of the most frankly modern - and thus to many Germans dangerously international - of all turn-of-the-century building types, he neutralised the impermanence of fashion by establishing a ‘timeless architecture’ securely tied to the country’s medieval cultural and commercial traditions. 108 Auch die innere Anlage des Gebäudes entwarf eine sinnliche Atmosphäre von Luxus, Eleganz und Großzügigkeit. „[E]in Warenhaus braucht Licht, viel Licht“ 109 - diese Feststellung Göhres schrieb sich, wie Alfred Wiener (1885-1964) ausführt, dergestalt in den Grundriss des Warenhauses ein, 110 dass der sog. Lichthof zum „Mittelpunkt des Gebäudes“ 111 wurde. Dieser Raum, der ursprünglich wegen seines Oberlichts zur Beleuchtung konzipiert worden war, wurde zum symbolisch-repräsentativen Kernstück der Anlage. Da sich ihm alle übrigen Etagen öffneten, wurden Höhe und Größe des Raumes eindrucksvoll erlebbar. Die stets an einer Seite liegende Freitreppe, die den Raum gliederte und ihm Dynamik verlieh, kann durchaus als Erbstück barocker Raumarchitektur verstanden werden. 112 Der Lichthof, der demonstrativ nicht den Prinzipien ökonomischer Raumorganisation folgte, wurde in seiner verschwenderisch-opulenten Ausstattung zum zentralen Bezugspunkt der kulturellen Erfahrung des Warenhauses. Hier sei, so Göhre, „alles Schmuck, Fest, Feier.“ 113 106 Göhre 1907, 14. 107 Scheffler polemisiert hiergegen: „Von Berlin scheinen alle Monstrositäten auszugehen, die überall im Reich schon zu finden sind; dieses Gemisch von hundert mißverstandenen Stilformen, dieses tolle architektonische Parvenütum der Gegenwart scheint etwas spezifisch Berlinisches zu sein. […] Der Eklektizismus der Großstadt aber ist in keiner Weise mehr durch tüchtige Bürgergesinnung und gebildeten Fürstenwillen determiniert worden: es ist der Eklektizismus eines rohen Kunstpöbels.“; Scheffler 1989, 156f. 108 James 1999, 256. 109 Göhre 1907, 12. 110 Vgl. hierzu auch Wiener 1912, 45, der betont, dass diese Gestaltung eine (internationale) Gemeinsamkeit des Bautypus „Warenhaus“ darstellt. 111 Wiener 1912, 46. 112 Wie dominant diese Treppe für die Raumgestaltung war, lässt sich daran ablesen, wie viel Aufmerksamkeit Wiener ihr widmet, vgl. Wiener 1912, 50-55. 113 Göhre 1907, 18. 279 Dieser Gesamteindruck aber: der einer einzigen hohen Harmonie in Grau und Gold, der eines völlig Neuartigen und Eigenen, der seines Gleichen sonst nirgends in der Welt hat. Denke an den herrlichsten und größten Versammlungssaal in Deutschland, an die mächtigste Einfahrtshalle des modernsten Zentralbahnhofs, an den prunkvollsten Krönungssaal unsrer Fürstenschlösser, an das dämmerige Riesenschiff des Kölner Doms: von allen diesen Räumen ist etwas in ihm; mit ihnen allen ist er verwandt; ihnen allen erscheint er gleichwertig und ebenbürtig: und ist doch ein Eigengewachsenes, weil aus ganz eignen Bedürfnis- Abb. 42: Der ‚neue’ Lichthof bei Wertheim. 280 sen zu ganz neuen Zwecken herausgebildet, eben als der Lichthof eines Weltwarenhauses, […]. 114 Die Raumgestaltung ordnete den ökonomischen Zweck einer Inszenierung von Überfluss und Eleganz unter, wie man schon an der Größe erkennen kann: Bei Wertheim hatten die beiden Lichthöfe immerhin eine Größe von 440m im alten bzw. 655m im neuen Trakt. 115 Almost lost amidst the magnificence of a space which awe-struck contemporaries equated with princely palaces was the mundane goal of selling. Simultaneously Berlin’s grandest publicly accessible space and Germany’s largest display of merchandise, it transcended without precluding its obvious commercial purpose. 116 Die Großzügigkeit des Lichthofes korrespondierte mit anderen Elementen der Anlage, die nicht primär dem Verkauf dienten, sondern vielmehr das Warenhaus als sozialen Ort auswiesen. Dies waren Einrichtungen, die dem Publikum die Anstrengungen des Kaufens erleichtern, ihnen Erholung, Erfrischung und Bequemlichkeiten gewähren sollen, [hierzu] gehören in erster Reihe die Erfrischungsräume, Teestuben, Restaurants, wie sie heute jedes Warenhaus, auch das kleinste, haben muß. 117 Zu diesem Raumrepertoire gehörten Wintergärten, Lese- und Schreibzimmer 118 sowie in einigen Warenhäusern Kino- oder Theatersäle. Die Atmosphäre eines Zwischenraumes von privatem Lebensbereich und öffentlicher Sphäre, die in der Raumkonzeption so dominant war, wurde dadurch noch verstärkt, dass es explizit keinen „Kaufzwang“ gab: Dem unangenehmen Gefühl, kaufen zu m ü s s e n , ist er [der Kunde] enthoben, denn niemand kümmert sich um ihn. Zwanglos kann er das ganze Haus durchwandern, die Aufzüge bis zum obersten Geschoß benutzen, die reich dekorierten Säle und Hallen durchstreifen, Neuheiten der Mode, Kostbarkeiten aller Branchen, moderne Zimmereinrichtungen, seltene Altertümer und wertvolle Kunstwerke beschauen, ungeniert sich am Büffet erfrischen, zwischen Palmen und Blumen im Winter- und Sommergarten weilen, Schirm, Paletot und Paket an der Annahmestelle zum unentgeltlichen Bewahren abgeben. Kostenlos darf er eins der sechs Telephone benutzen, ohne Schwierigkeiten kann er das gewünschte Billet zu irgendeinem Theater oder Konzert erhalten, sich oben im Atelier photographieren lassen und anstandslos, ohne etwas gekauft zu haben, das Haus verlassen. 119 Die zwanglose Atmosphäre und der ostentative Überfluss widersprachen nur auf den ersten Blick den wirtschaftlichen Interessen des Warenhauses. Die Mehrkosten waren, wie Wiener ausführt, Teil einer mittelbaren Profitkalkulation. 114 Göhre 1907, 21. 115 Vgl. Wiener 1912, 48. 116 James 1999, 263. 117 Wiener 1912, 69. 118 Vgl. hierzu die Ausführungen von Wiener 1912, 73-78. 119 Buß 1906/ 07, 608f. 281 Alles, was das Warenhaus hat und ist, muß dazu dienen, das Publikum anzulocken. Dazu gehört zunächst das Kaufhaus selbst mit seinen Riesenfronten, die die Waren den Blicken der Vorübergehenden geradezu darbieten, dazu die feenhafte Beleuchtung des Abends, durch die die ganze Straße im Lichte der elektrischen Lampen erstrahlt, und die schon von weitem die Aufmerksamkeit erregt, die Schaufenster mit ihren schönen Auslagen, die stets eine ganz besondere Anziehungskraft ausüben. 120 Diese Anziehungskraft und die durch die Anlage intendierte Atmosphäre erzeugt jene „Massensuggestion“, die zum Kauf führt: Denn es ist keine Frage, daß die psychologische Wirkung, die das Hin- und Herwogen der Menschenmassen, das Gewirr der Stimmen, der Glanz von Tausenden von Glühlampen, der Prunk der Ausstattung, die Aussicht auf kleine Geschenke und nicht zuletzt die Menge der ausgestellten Waren hervorrufen, sehr groß ist, daß all das auf leicht empfängliche Gemüter geradezu verwirrend wirkt und sie zum Kaufe anregt. 121 Crossick/ Jaumain haben in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass das Warenhaus als „theatre of the store“ 122 eine Inszenierung bot, die zum Kern der neuen Erfahrung von Konsum wurde und den kulturellen Wert der Waren in entscheidender Weise veränderte: Spectacle and exhibition moved to the heart of the experience. […] Theatrical images recur, for it was theatricality which gave meaning to the often massproduced goods. […] Indeed theatre, and later film, offered the department store its approach to the spectator’s experience: displays were treated as a sequence of tableaux, with recurrent motifs providing coherence. 123 Dieses Moment der Inszenierung machte den potentiellen Konsumenten nicht nur zu einem sich frei im Raum bewegenden Zuschauer - ein Topos, der von der Historischen Avantgarde mit unterschiedlichen Referenzen (vom Flaneur bis zum vagabundierenden Blick) aufgegriffen wurde 124 -, er wurde zum visuellen Subjekt, das mit seiner räumlichen und ökonomischen Präsenz einen Akt kultureller Teilhabe und Selbst-Inszenierung vollzog. Dies geht über das Veblen’sche Konzept der conspicuous consumption hinaus, 125 weil der Konsument nicht nur Anteil an der Warenwelt und einer spezifischen sozialen Schicht nimmt, sondern auch zum Subjekt (und Objekt) der Erfahrung einer sich modernisierenden Welt wird. Das Warenhaus als kulturelle Institution moderierte zwischen technischen Neuerungen, sozialer Mobilität und bestehenden gesellschaftlichen Konzepten. Insofern beruht die avantgardistische Begeisterung für das 120 Wiener 1912, 22. Schivelbusch hat auf die Funktion des erleuchteten Schaufensters als Bühne der Ware und der damit einhergehenden Neubestimmung der Straße als öffentlichem Raum verwiesen; vgl. Schivelbusch 2004b, 138-148. 121 Wiener 1912, 23. 122 Crossick/ Jaumain 1999, 11. 123 Crossick/ Jaumain 1999, 27. 124 Vgl. hierzu Fiebach 1995, 38-56 sowie Schivelbusch 2004a, 166-171, der in Analogie zur Eisenbahnreise von einer „panoramatischen Wahrnehmung“ im Warenhaus spricht. 125 Vgl. S. 47 dieser Arbeit. 282 Warenhaus ein Stück weit auf einem Missverständnis: Fokussierte jene gerade die euphorische Erfahrung von Modernität - beschrieben in ekstatischen Metaphern von Elektrizität und Geschwindigkeit - und sah dies als Vorboten einer radikalen Veränderung, so zielte die Strategie des traditionellen Warenhauses eher darauf, die Neuerungen mit bekannten Mustern der bürgerlichen Lebenswelt zu harmonisieren. 126 In diesem Sinne war der Eklektizismus des Warenhauses auch nicht ein Mangel an Geschmackssicherheit, sondern ein bewusstes Sich-Einschreiben in kulturelle Traditionen und genealogische Linien. 127 Das Warenhaus inszenierte zwar die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Waren, Luxus, Eleganz und Lebensstil, führte aber gleichzeitig mit dem bis dahin unüblichen Prinzip der Barzahlung de facto eine soziale Schranke ein. 128 Dennoch versprachen sich viele Zeitgenossen eine ‚Demokratisierung’ der Gesellschaft; Göhre etwa imaginiert das Warenhaus, bezeichnenderweise den Lichthof, als sozialen Begegnungsraum: [Das Warenhaus] wirkt sozial ausgleichend, indem es an seinen Verkaufstischen, in seinen Lichthöfen und Erfrischungsräumen, vor seinen Kunstsachen und in seinen Fahrstühlen Menschen aus allen Bevölkerungsschichten in enge und manchmal nicht ganz flüchtige Begegnungen miteinander bringt. Eines Vormittags z.B. hielten wir uns in dem geschilderten Lichthallengange Wertheims, am Putzlager, längere Zeit beobachtend auf. Und in dieser Zeit erschienen neben- und nacheinander protestantische Diakonissen und katholische Nonnen, Demimondänen, ehrbare Bürgerfrauen, elegante Damen der Gesellschaft, Trauernde, Kinder, junge Weiber und alte Mütterchen, Häßliche, Schöne, Frische, Elastische, Langsame; ab und zu auch ein Mann. 129 Die Schilderung inszeniert das Warenhaus in symbolischer Verdichtung als doppelte soziale Bühne: zum einen für die Waren als Konsumgüter, deren dekorative Herrichtung Göhre leitmotivisch betont, zum anderen als öffentlicher Raum, in dem Menschen interagieren, die ansonsten in keiner direkten Begegnung miteinander stehen bzw. geradezu antagonistisch zueinander sich verhalten. Tatsächlich lässt die Beschreibung bewusst werden, wie sehr es der wilhelminischen Gesellschaft - zumal unter den Bedingungen einer sich so 126 Dies wird umso deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass für Deutschland eigentlich erst der Entwurf des Schocken-Kaufhauses in Stuttgart (1926-1928) durch Erich Mendelsohn (1887-1953) sowohl die bautechnischen Neuheiten offen ausstellte, aber auch in seiner Formensprache auf die Dynamik und Metaphorik zeitgenössischen Industriedesigns Bezug nahm; vgl. hierzu James 1999, 264-270. 127 Wolfgang König, der das Verhältnis von Wilhelm II. zur technischen Modernisierung ausführlich untersucht hat, weist mit Blick auf die persönliche Lebenswelt Wilhelms diese Symbiose von modernster Technik und einer traditionellen Maskierung ausführlich nach. Insofern kann man hier von einer kulturellen Strategie sprechen, die auf die lebensweltliche Implementierung dieser Neuerungen zielte. Vgl. König 2007, bes. 191- 195. 128 Vgl. hierzu Coles 1999, 78. 129 Göhre 1907, 136. 283 rapide vollziehenden Urbanisierung - an sozialen Räumen mangelte. 130 War früher das bürgerliche Heim - auch in seiner erweiterten Form als Salon - der zentrale Referenzpunkt bürgerlicher Identitätskonstitution, so fiel dies durch die Erosion der sozialen Milieus weg. Die zahlreichen sich gründenden Vereine und Clubs konnten diese Leerstelle nur bedingt schließen. Thorstein Veblen hat mit Blick auf die US-amerikanische Gesellschaft beschrieben, wie in einer solchen Konstellation der Konsum - in einer Situation wechselseitiger Beobachtung - zum konstitutiven Moment von sozialer Bindung wird: But when the differentiation [of society] has gone farther and it becomes necessary to reach a wider human environment, consumption begins to hold over leisure as an ordinary means of decency. […] The means of communication and the mobility of the population now expose the individual to the observation of many persons who have no other means of judging his reputability than the display of goods (and perhaps of breeding) which he is able to make while he is under their direct observation. 131 Göhres Beschreibung unterstreicht noch ein weiteres Moment: Das Warenhaus war primär ein weiblicher Raum. Das Erscheinen des Mannes wird von Göhre schon durch das Semikolon als aus der Reihe (der Aufzählung) fallend markiert. Die weibliche Dominanz galt sowohl für das Personal, das zwar nicht in seiner Mehrzahl, wohl aber in einer für die damaligen Verhältnisse signifikanten Zahl weiblich war, 132 als auch für die Kundschaft, wie man aus den feilgebotenen Waren folgern kann. Die Vorherrschaft der Damenkonfektion im Warensortiment belegt dies sehr deutlich. 133 Alfred Wiener deutet dies als grundlegende Bedingung des Warenhauses, das nämlich gezielt auf die weibliche Psyche abstelle. „Dabei rechnet das Warenhaus vor allem mit der psychologischen Eigenart der Frauenwelt, allein durch das Sehen dazu verleitet zu werden, Dinge zu kaufen, die sie vielleicht gar nicht brauchen.“ 134 Damit stützt sich das Warenhaus auf die bestehende Geschlechterordnung und schreibt sie gleichzeitig fort: Die Frau als Kundin erscheint als schwach und verführbar - wobei der halb-öffentliche, halb-private Raum des Warenhauses einen, von den Verlockungen der Waren selbst abgesehen, geschützten Raum bietet, in dem die Frauen sich auch ohne männlichen Begleiter arglos bewegen konnten. 130 Scheffler führt dies ausdrücklich an: „Der Adel, das Militär und die Beamten lebten abgeschlossen für sich, und das Bürgertum gelangt über die Organisation kleiner Sonderkreise nicht hinaus. Es gibt Gelehrtenkreise, Künstlerkreise, Börsenkreise und vielerlei Berufskreise, es gibt adelige und bürgerliche, zionistische und antisemitische Kliquen; aber eine eigentliche Gesellschaft gibt es nicht.“; Scheffler 1989, 132. 131 Veblen 2001, 65. 132 Vgl. Göhre 1907, 65. 133 Die entstehende Konfektionsschneiderei kann als Paradigma dieser neuen Form des Konsums gelten; vgl. hierzu Westphal 1992. 134 Wiener 1912, 22f. 284 Die Positionierung des Warenhauses als soziale Bühne bürgerlicher Identität (auch in ihren geschlechtsspezifischen Rollenbildern) - mit bewusst großbürgerlich-aristokratischem Gepräge - lässt sich noch an anderen Stellen beobachten: Wertheim etwa eröffnete eine eigene Kunstausstellung sowie eine Theaterkasse, die für alle Berliner Theater Karten verkaufte. 135 Damit überschritt das Warenhaus die Sphäre reiner Güterzirkulation, zog seinen Wirkungskreis in den Bereich von Kunst und Unterhaltung und wurde damit in einem sehr konkreten Sinne ein Eingangstor zur bürgerlichen Lebenswelt. 136 Die bis zur inneren Fremdheit gewachsenen Städte schufen sich zur Kompensation der sozialen Verschiebungen eine komplexe und dynamische Struktur solcher Zwischenräume, die zwar auf kommerzieller Grundlage entstanden, dies jedoch maskierten, um ihre sozio-kulturelle Funktion, die entscheidend von ihrem Prestige abhing, erfüllen zu können. Diese aufwendige Selbstinszenierung war unerlässlich, um sich in einer Gesellschaft positionieren zu können, die in einer Spannung zwischen ihrem Wachstum, ihrer ökonomischen Basis und ihrem Selbstbild lebte, wie Fritz Stern betont: Imperial Germany […] affords the extraordinary picture of a triumphant capitalism spiritually devalued. The psychological premises of capitalism were obviously incompatible with the pretensions of German idealism and nationalism: The German ideal of self-cultivation was hardly consonant with an insistence on material self-aggrandizement, and the glorification of state authority in German nationalism can be seen as a rebuke of economic selfishness. […] The notion of devalued capitalism may also help us to understand the prevalent hypocrisy of Imperial society. The new system was a special spur to dissemblance. It condemned everyone to hide or deny his true role: the Bürger sought the trappings of nobility, and the nobleman, so contemptuous of any system that assigned rank by wealth, needed to modernize or lose his ancestral seat. 137 Die rhetorische Wucht der Kulturkritik gegen solche Zwischenräume, von denen Warenhaus und (Geschäfts-) Theater nur zwei Beispiele sind, denen sich weitere, wie etwa Galerien, Hotels und Restaurants, leicht hinzufügen ließen, verkennt die zentrale, integrative Funktion dieser maskierten Räume. Zwar mag es sein, dass sie sich ihr Renommee nur äußerlich von bestehenden Institutionen borgten, für die gesellschaftliche Gegenwart aber erfüllten sie zentrale Aufgaben, indem sie Möglichkeiten der Teilhabe schufen und die vielfältigen Zirkulationsströme der Großstadt organisierten. Die Kritik, dass sie im Gegensatz zu ihren imitierten Vorbildern nur „Talmieleganz“ und Halbbildung böten oder dass sie im Hinblick auf eine zukünftige - dann oftmals als sozialistisch verstandene - Gesellschaft nicht hinreichend revolutionär wirkten, lässt einen ihrer wichtigsten Grundzüge außer Acht: Die maskierten Zwischenräume waren angefüllt mit und ange- 135 Vgl. hierzu Göhre 1907, 48. 136 Diese Lebenswelt wurde auch zunehmend durch die Massenkonfektion im Bereich von Kleidung und Möbeln geprägt, so dass der Diskurs über Einrichtung und Lebensstil größere Bedeutung gewann. Vgl. hierzu auch Muthesius 2005. 137 Stern 1999a, 285. 285 trieben von einem starken Bewusstsein für die Gegenwart. Ihnen Geschichts- oder Traditionslosigkeit vorzuwerfen, ist tautologisch - ihr kommerzieller Charakter zielte notwendigerweise auf den historischen Moment des Jetzt und suchte eine Stabilisierung bestehender Verhältnisse, denen er die Veränderungen anpasste. Die maskierten Räume wollten Gegenwart gestalten und sinnlich erfahrbar machen. Durch die Ablehnung, die ihnen entgegenschlug, werden sie auf der Ebene der Institutionen zum Pendant der Figur des Parvenu, in der soziale Mobilität und Dynamik verlacht wurden. Die fundamentale Kritik an diesen Zwischenräumen mag historisch berechtigt und verdienstvoll gewesen sein, sie verkennt aber letztlich, dass Theater und Warenhaus, wie alle gesellschaftlichen Institutionen, Produkt und Teil einer gegebenen, nicht einer idealen Lebenswelt waren. 286 Das Theater als Vergnügungs-Warenhaus Auf der Titelseite des „Kladderadatsch“ erschien am 5. März 1914 eine Karikatur unter dem Titel „Das Vergnügungs-Warenhaus“, die nach dem Muster eines Setzkastens eine Reihe von kleinen Räumen zeigte, in denen verschiedene Darbietungen zu sehen waren. Die Unterschriften unter den Räumen nahmen Bezug auf zeitgenössische Phänomene, wie die Futuristen, Pathé-Filme oder Reinhardt’sche Theaterproduktionen. Der erklärende Text lautete: Da es unmöglich ist, alle täglich stattfindenden Premieren, Konzerte und Vorträge, die man unbedingt gehört haben muß, zu besuchen, so hat ein Warenhaus eine Abteilung für Massenkunstgenüsse eingerichtet, in der täglich etwa 20 Veranstaltungen gleichzeitig zu hören und zu sehen sind. Infolge des Geburtenrückgangs gibt es jedoch mehr Vortragende als Publikum. Die Karikatur macht deutlich, wie sehr das Warenhaus und seine Form der Präsentation zu einem kulturellen Denkmodell geworden waren. Erkennbar wird auch, dass das kulturelle Leben vornehmlich als soziales Band („die man unbedingt gehört haben muß“) fungierte. Der kommerzielle Charakter, den die Karikatur so grell ins Licht setzt, mussten diese Institutionen aber zu verbergen suchen. Großzügigkeit, Eleganz und Luxus, die das Wertheim’sche Warenhaus ebenso inszenierte wie das Lessing-Theater, konnten nur dann ihre kulturelle Wirkung entfalten, wenn sie nicht als Konsumgüter erkennbar waren. Ihr Rhythmus, ihre Form und bis zu einem gewissen Grad auch ihre Themen aber waren bestimmt von einer kapitalistischen, auf Gewinnmaximierung zielenden Produktionsweise. Die Mode - ein beliebter Topos der Kulturkritik jener Zeit - in Kleidung, (Lebens-) Stil und Ästhetik stellt sich hierbei als Motor und Produkt dieser Entwicklung dar: Der Zwang, durch Innovation neue und größere Nachfrage zu schaffen, beherrschte das Abb. 43: Karikatur aus dem „Kladderadatsch“: Das „Vergnügungs-Warenhaus“. 287 Theater ebenso wie das Warenhaus und begründete damit eine neue Schnelligkeit des öffentlichen Lebens. Werner Sombart (1863-1941) hat dies als „Urbanisirung des Consums“ bezeichnet und die „grössere Unstetigkeit und Wandlungsfähigkeit“ als zentrale Kennzeichen großstädtischen Lebens benannt. 138 Karl Frenzel stellt mit Blick auf die „dramatische Produktion“ der Saison 1899/ 1900 eine ähnliche Diagnose. Weitaus das Meiste ist mittelmäßige Waare mit dem Fabrikstempel. Die Concurrenz zwingt die Theater zu einer raschen Aufeinanderfolge von Neuheiten, wenn nicht ein Werk besondere Anziehungskraft ausübt. […] Ein Theater, das einseitig nach künstlerischen und literarischen Neigungen und Gesichtspunkten geleitet würde, kann auf die Dauer nicht bestehen. Daher die Fülle von unbekannten Theaterstücken, die jede Theatersaison hervorbringt, sei es, daß sie nur wenige Abende leben, sei es, daß sie durch einen glücklichen Zufall und eine gelungene Darstellung zu hundert Wiederholungen kommen. 139 Frenzels Metaphorik aus dem Wirtschaftsleben sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der „industrielle“ Charakter des Theaters gerade nicht offen liegen sollte, auch wenn viele Praktiken deutlich den Prinzipien der Massenproduktion entlehnt waren: Seien es Autorenkollektive, wie Blumenthal & Kadelburg, 140 sei es die Verlängerung der Spielzeit, um sich gegenüber den Mitkonkurrenten zu profilieren und mehr Vorstellungen spielen zu können, oder sei es, dass man in der Spielplangestaltung nach Stücken suchte, die sich über längere Zeit im Spielplan hielten und hohe Aufführungszahlen erreichten, da so ein höherer Gewinn zu erzielen war. Der kommerzielle Charakter des Theaters konnte nur als ironisches Stigma offen ausgesprochen werden, wie etwa von Renatus in seiner Glosse „Das Theater als industrielle Anstalt“ (1903), in der er fordert, kommerzielle Theaterformen endgültig von der Theaterkritik auszuschließen. Die Kenntniß aber und Würdigung der dramatischen Massenartikel mag den Foyers, Kaffeehäusern und Primanerkonventikeln überlassen bleiben; auch den vierten Seiten der Tagesblätter, wo unter mannichfachen Spitzmarken, Verkehrstörungen, Auktionen, Ueberschwemmungen und Selbstmorde ohne Mitleid, Rührung und Parteinahme besprochen werden. 141 Trotz solcher Invektiven gewann diese Theaterarbeit immer größere Bedeutung, auch weil sie ihr Produktionstempo erheblich steigern konnte. 142 138 Vgl. Sombart 1902, 7. 139 Frenzel 1900, 288. 140 „Wer schreibt für Theater? In neun Fällen von zehn: Geschäftsleute. Einzelfirmen oder Doppelfirmen; und es giebt schon solche, die für Gründungen reif sind. Hat man das Recht, sie im Geschäftsbetrieb zu hemmen, weil auch Aischylos Stücke schrieb? Einer, der Cirkuspantomimen dichtet, ist unverletztlich und der Kritik enthoben: ist nun ein Dramenkonfektionär ein schlechterer Mensch oder strengerer Absicht schuldig, weil in seinen Fabrikaten gesprochen wird? “; Renatus 1903, 472. 141 Renatus 1903, 473. 142 Es sei an dieser Stelle nur am Rande vermerkt, dass eine solche Form der Theaterführung natürlich einigen zentralen Forderungen der Theaterreform diametral entgegenlief: Die auf Gewinnerwirtschaftung, wenn nicht gar -steigerung ausgerichtete Produktionsweise erlaubte weder den Aufbau eines umfangreicheren Repertoires noch die 288 Die Auswirkungen ihrer Organisation blieben nicht auf die internen Arbeitsabläufe beschränkt, sondern bestimmten auch die kulturelle Position von Theater, das nun weniger als „moralische Anstalt“ denn als Medium der Unterhaltung und vor allem als sozialer Ort begriffen und genutzt wurde. Die kompakte Majorität, die im Theater gutes oder schlechtes Wetter macht, war für alle echte Kunst verloren; sie mußte denn durch modische Schnörkel oder außerkünstlerische Begleiterscheinungen dafür geködert werden. 143 Für Maximilian Harden war diese Entwicklung ein epochaler Bruch mit der Theatertradition, der zwangsläufig aus den Lebens- und Arbeitsbedingungen der modernisierten Gesellschaft folgte. Die Fülle der Sensationen, die heutzutage selbst auf den friedlichsten Bürger einstürmen, erzeugt mählich ein anderes Temperament, eine andere Epidermis, ein anderes Bedürfnis und eine andere Sehnsucht. Wer wacker gejobbert hat oder zermürbt von der Geschäftslast, von erregenden, aufrüttelnden Eindrücken her ins Theater kommt, wer an Mordsgeschichten und blutdunstigen Telegrammen aus aller Herren Länder die Nerven abgestumpft hat, Der wird im Schauspielhause andere Kost verlangen als der athenische Bürger, der Kavalier aus Shakespeares Zeit oder der kleine Handelsmann des Mittelalters, für den die Stadtmauer das Universum umschloß. 144 Oscar Blumenthal verkörperte, wie eingangs beschrieben, 145 als Autor sowie als Theaterleiter für viele seiner Zeitgenossen den Inbegriff des profitorientierten Theatermannes, der frei von allen künstlerischen Ansprüchen und Skrupeln den (ökonomisch definierten) Erfolg sucht. 146 Ein Blick auf die von Blumenthal zu verantwortenden Spielpläne 147 ergibt ein differenzierteres Bild: Neben französischen Stücken von Victorien Sardou (1831-1908) und Alexandre Dumas (fils, 1824-1895) finden sich, wie zu erwarten, eigene Stücke Blumenthals, aber auch zeitgenössische, naturalistische Dramen, wie Ibsens „Nora“, die in der ersten Spielzeit 1888/ 89 immerhin 17 Aufführungen erlebte, und vor allem die Dramen von Hermann Sudermann (1857-1928), den Blumenthal mit einem großzügigen Entwicklung fester an das Zusammenspiel gewöhnter Ensembles. Insofern wird nochmals deutlich, dass die Meininger etwa, die so gerne als Meilenstein der Theatergeschichte des 19. Jahrhunderts zitiert werden, tatsächlich eine große (und öffentlich subventionierte) Ausnahme darstellten. 143 Jacobsohn 2005, 41. 144 Harden in Linsemann 1897, VIII. 145 Vgl. S. 265f. dieser Arbeit. 146 Nadler nennt Blumenthal einen „literarische[n] Industrieritter“ (Nadler 1932, 674), während Harden ihn gar als Verkörperung einer quasi-industriellen Produktionsweise beschreibt: „Wenn Sie die Blumenthals und Paschs mit eisernem Besen wegkehren könnten: ich fürchte, die Sache bliebe dennoch so ziemlich unverändert. Neue Blumenthals und neue Paschs träten an die Stelle der alten und Alle kehrten zur alten Uebung wieder. Denn die Funktionen schaffen sich immerzu ihre Organe.“; Harden in Linsemann 1897, IX. 147 Vgl. hierzu die tabellarische Aufstellung bei Wilcke 1958, 49-58. 289 Vertrag an sein Haus band. 148 Sudermanns „Die Ehre“ war in der Spielzeit 1889/ 90 mit 98 Vorstellungen ein Überraschungserfolg, der entscheidend den wirtschaftlichen Bestand des Hauses garantierte. 149 Diese realistisch-naturalistische Linie überrascht zunächst, denn als Kritiker hatte der „blutige Oscar“ 150 diese Stilrichtung heftig bekämpft. Auch schien das Lessing-Theater mit seinem luxuriösen Profil kaum der geeignete Ort für sozialkritische Dramen zu sein. 151 Rückblickend polemisiert Jacobsohn: „Daß Blumenthal sich Ibsen und Anzengruber als Kritiker und Epigrammatiker in den Weg gestellt hatte, hatte die beiden schlimmstenfalls aufgehalten; daß er sie jetzt aufführte und so aufführte, das tötete.“ 152 Wie erklärt sich der Erfolg dieser Dramen angesichts eines Publikums, das sich durch die von Sudermann angeschlagenen gesellschaftskritischen Töne angegriffen fühlen musste? L. Schönhoff hat in seinem Aufsatz „Das berlinische Publikum und seine Schaubühnen“ (1897), der in der Wiener Zeitschrift „Die Zeit“ erschien, dies mit der spezifischen Verfasstheit und Entwicklung von Berlin erklärt: [D]ieser Stadt, die im Besten wie im Gemeinsten das Wesen eines Emporkömmlings hervorkehrt, fehlt noch immer das merkwürdige Bindemittel, das in alten Culturstädten erobernde Gewalt übt. […] Da zerfällt das heutige Berlin ganz deutlich, schroffer als anderswo, in eine Doppelstadt. Was sociale Neugierde vermag, um Leute zweier Städte mit einander bekannt zu machen, hat sie gethan. Nicht viel mehr. Die Neugierde mußte durch das reiche Maß socialer Erörterungen geweckt werden. 153 „Sociale Neugierde“ habe - in einem Missverständnis - den Erfolg Sudermanns bewirkt: In Sudermanns ‚Ehre’ war es ein überraschender Irrthum, der die Sensation hervorrief. Die Bewohner der einen Stadt Berlin nahmen einen Theil des Hinterhauses für das Ganze. Sie hatten keine rechte Kenntnis von der Ehrempfindung der Leute in der anderen Stadt Berlin, einer Ehrempfindung, die sich in ganz eigener Art entwickelt hat und bisweilen bis zur Exaltation hinanreicht, und sie nahmen verkümmertes Lumpenproletariat für wirkliches Proletariat und freuten sich ihrer scharfsinnigen Entdeckung. 154 Tatsächlich zeigt bereits ein Blick auf die Nebentexte, wie Sudermann die sozialen Lebenswelten Berlins im Bild von Vorder- und Hinterhaus einander gegenüberstellt, wenn der erste und dritte Aufzug in der Wohnung der Familie Heinecke - „kleinbürgerliche, stark verschliffene Ausstattung“ 155 - der zweite und vierte Aufzug im Salon des Kommerzienrats Mühlingk - „Rei- 148 Vgl. Reißmann 1996, 128f. 149 Vgl. Wilcke 1958, 32. 150 Vgl. hierzu Wilcke 1958, 11. 151 Zielske bemerkt dies mit Blick auf die Eröffnungsvorstellung der „Freien Bühne“, die hier stattfand; vgl. Zielske 1998, 54. 152 Jacobsohn 2005, 61. 153 Schönhoff 1897, 200. 154 Schönhoff 1897, 200. Eine Beschreibung des Premierenabends liefert Kerr 1903, 19-21. 155 Sudermann 1905, 7. 290 che, doch etwas steife Ausstattung.“ 156 - spielt. Hier wird das Panorama Berliner Lebenswelten so kontrastiert, dass es auf der einen Seite Identifikationsmöglichkeiten bot und ein Wiedererkennen ermöglichte, auf der anderen Seite aber durch den ‚sozialen Exotismus’ die Neugierde wecken konnte. 157 Karl Frenzel verweist darauf, dass dieses Interesse mehr Folge eines Mode-Bedürfnisses als Grundlage einer tief greifenderen Sozialkritik oder gesellschaftlicher Veränderungen zu betrachten sei. An dem Beispiel dieses Theaters [i.e. das Lessing-Theater] tritt die Schwäche der dramatischen Production in das grellste Licht. Die Richtung in das Problematische und Trostlose, die sie seit der Verherrlichung Ibsens eingeschlagen hat, schränkt sie auf einen engen Kreis ein und erlaubt ihr weder in der Auswahl der Stoffe noch in der Behandlung einen gefälligen Wechsel. Aber gerade danach verlangt das Publicum des Lessing-Theaters. Schon aus Neigung zum Gegensatze hört es bei der eigenen Sattheit einmal zwischen Mitleid und Schauer von dem Hunger der Armen und macht einen Besuch im Hinterhause, nur darf man nicht darauf rechnen, daß ihm diese Neigung zur Gewohnheit wird. Schnell genug sehnt es sich aus der Finsternis in die Helle, aus dem Trübsinn in die Freude zurück. 158 Wie sehr Sudermann von diesem Kitzel des Neuen und Modischen profitierte, zeigt eindrücklich die Rezeption seines zweiten Stücks „Sodoms Ende“, das ein Jahr nach dem Sensationserfolg der „Ehre“ am Lessing- Theater uraufgeführt wurde. Hier nahm Sudermann direkt Bezug auf die Aufsteigerwelt von Berlin W, die er durch den biblischen Titel zugleich ins Mythische überhöhte. 159 Da das Drama offen die außereheliche Affäre der reichen Ada Barczinowski mit dem jungen Maler Willy Janikow thematisiert, der seine Adoptivschwester Klärchen Fröhlich verführt und in den Tod treibt, wurde es zunächst kurz vor der Premiere von der Theaterzensur verboten. 160 Das Verbot aber, das nach einigen Tagen und nur geringfügigen Änderungen am Text aufgehoben wurde, sicherte den Erfolg der Inszenierung: Das polizeiliche Verbot der Aufführung steigerte das Interesse; überall bildete das Drama, so wenig man noch von seinem Inhalte wußte, den Stoff eifriger Gespräche. Wie billig ergriff Jedermann dem Verbot gegenüber die Partei des Dichters. […] Die Einmischung der Polizei in eine ästhetische Angelegenheit machte darum […] eine unbewußte Reklame für ‚Sodoms Ende’. 161 156 Sudermann 1905, 51. 157 Vgl. hierzu auch Schönhoff 1897, 201. 158 Frenzel 1892, 123. 159 Hans O. Modrow hat darauf hingewiesen, dass solcherlei literarische Kritik von diesen Gesellschaftskreisen nicht als substanzieller Angriff, sondern eher als schmeichelnder Kitzel begriffen wurde; vgl. Modrow 1936, 58. 160 Vgl. Wilcke 1958, 33f. 161 Frenzel 1891, 126. Ernst Traumann hat bereits 1891 im Bezug auf „Die Ehre“ den „Pauken- und Trompetenschall einer raffinirten Reclame“ als einzige Quelle des Erfolgs ausgemacht; vgl. Traumann 1891, 18. 291 Das Verbot schuf, mit allen politischen Implikationen, ein günstiges Klima - auch wenn der Erfolg nicht an den von „Die Ehre“ heranreichte. 162 Das Konzept, thematisch und visuell an die Lebenswelt des Berliner Publikums anzuknüpfen, erwies sich als erfolgreich. Dies zeigt sich besonders daran, dass das 1891 uraufgeführte Stück „Großstadtluft“ von Blumenthal und Kadelburg mit 123 Aufführungen in der ersten und immerhin noch 62 Vorstellungen in der zweiten Spielzeit die erfolgreichste Produktion des Lessing-Theaters war - wenn man von „Im weissen Rössel“ mit 142 Vorstellungen in der ersten Spielzeit absieht. 163 Ganz im Stile seiner bekannten Lustspiele nutzt Blumenthal hier den Stadt-Land-Gegensatz aus, um die Großstadt zu feiern: Der junge Ingenieur Flemming wird von seinem Schwiegervater, dem reichen Fabrikanten Schröter, gezwungen, Berlin zu verlassen und nach der Hochzeit bei ihm in der Kleinstadt Ludwigswalde zu leben. Unter dem Eindruck der dortigen, kleinbürgerlichen Verhältnisse, die von Langeweile, Gleichförmigkeit und boshafter Schwatzsucht geprägt sind, flieht Flemming nach Berlin. Nach anfänglichem Widerstand folgt seine Frau ihm und in einem alle Konflikte lösenden Happy-End finden sich die verschiedenen Parteien ausgesöhnt. Während die Fabel dem konventionellen Lustspielaufbau folgt, nutzen Blumenthal und Kadelburg den Handlungsrahmen, um den Berliner Lokalpatriotismus in Szene zu setzen. Im Antagonismus des jungen Flemming und des alten Schröter artikuliert sich der Gegensatz von Stadt und Land, der - anders als im „Weissen Rössel“- mit einer deutlichen Parteinahme formuliert wird: Der ganze Unterschied ist der, daß Sie [Schröter] in Ludwigswalde leben und ich in Berlin. Wir haben hier so viel zu sehn und zu schaffen, daß wir gar keine Zeit finden, uns auch noch um die kleinen Menschlichkeiten der andern zu bekümmern. Und darum gibt es bei uns vielleicht mehr junge Sünder, aber weniger alte Duckmäuser. Wir machen unsre Dummheiten, wenn uns die ersten Barthaare wachsen, und nicht, wenn uns die letzten Kopfhaare ausgehn. 164 Blumenthal/ Kadelburg referieren explizit auf die Modernisierung des Alltags und jenen Luxus, für den gerade Berlin W so bekannt war. Hierbei wird das Lebensgefühl der Großstadt, das im Verlauf der Fabel immer mehr die Oberhand gewinnt, ausdrücklich an die Veränderungen der Lebenswelt gebunden, die im allgemeinen Stereotyp beklagt werden. Dieses Berlin, das ist meine Vaterstadt, das ist mein Mutterboden. Ich kann mir gar keinen Tag denken, ohne Asphaltstaub und Kutschergrobheiten, ohne Telephongeklingel und Stadtbahndonner. Wissen Sie, wo ich wohne? Ecke Friedrich- und Leipzigerstraße, mitten im tollsten Großstadtgeräusch. Das ist mir ein Lebensbedürfnis - das brauche ich - für meine Nerven! 165 162 „Die Ehre“ wurde 98mal gespielt, während „Sodoms Ende“ nur 43 Aufführungen erreichte; vgl. Wilcke 1958, 50f. 163 Vgl. Wilcke 1958, 52. 164 Blumenthal/ Kadelburg 1907, 8. 165 Blumenthal/ Kadelburg 1907, 32f. 292 Hier werden die Topoi der Kulturkritik nicht als ungesund und für das Individuum bedrohlich beschrieben, sondern als Quelle kultureller Identität und individuellen Wohlbefindens. Im Gegensatz zu diesem affirmativen Bild der Großstadt erweist sich Ludwigswalde nicht nur als verschlafen und rückständig, sondern beschränkt durch seine vollkommene Sozialkontrolle den Lebensraum des Einzelnen. Der zugereiste Großstädter wird zur Projektionsfläche von Verlustängsten, aber auch verdrängten Sehnsüchten und Begehrlichkeiten. Es trägt schon komisch-groteske Züge, wie die Damen des Ortes in jedem Verhalten den Hinweis auf ein außereheliches Verhältnis erblicken wollen. Als schließlich seine eigene Frau, durch diese Verdächtigungen angestachelt, an seiner Treue zweifelt, beschließt Flemming nach Berlin zurückzukehren. Vor seiner Abreise hält er ihr ein flammendes Plädoyer, das den Gegensatz von Großstadt und Land deutlich pointiert: Ich rede ja nicht von all dem kleinstädtischen Um und Auf. Das ist das wenigste. Aber die Kleinstadt da drin (aufs Herz klopfend) … daß du auch in deinem Herzen nicht über die Station Ludwigswalde hinausgekommen bist … daß ein paar Lästerzungen in einer Stunde zerstören können, was ich mit meiner ehrlichen Hingebung, mit meiner ganzen Liebe aufgebaut habe … das tut weh. […] daß die engen Straßen auch enge Herzen erzeugen? Das ist es, was mich verjagt. 166 In der unaufhaltsam, gegen alle Wahrscheinlichkeiten auf das Happy-End zutreibenden, mechanischen Lustspieldramaturgie verbindet sich die Aussöhnung des Paares schließlich mit der Durchsetzung moderner, liberaler, großstädtischer Lebensart. Schlussendlich bleibt den Kleinstädtern, prototypisch durch Schröter verkörpert, nichts anderes, als im „komischen Zorn“ die Überlegenheit des urbanen Lebensstils anzuerkennen. Schröter (mit komischem Zorn): Der Teufel hole alle Berliner! Wie sie’s machen, weiß ich nicht, aber herum kriegen sie einen immer. (In Flemmings Hand einschlagend.) Da! 167 Der beeindruckende Erfolg des Stückes lag sicherlich darin begründet, dass es dem Berliner Lokalpatriotismus entgegenkam und - im Gegensatz zu Kalischs Lokalpossen - die Modernisierungsphänomene affirmativ thematisierte. Beruhen Kalischs Possen auf der Idee, die Kontinuität von Werten und Sozialformen nostalgisch gegen die Unbill der Modernisierung zu verteidigen, so integrieren und feiern Blumenthal und Kadelburg diese in ihrer Dramaturgie. Dies machen sie jenseits der Fabel durch kleine Referenzen auf die konkrete Lebenswelt ihres Publikums. Hierbei thematisieren sie auch das Theater, etwa wenn der Ludwigswalder Rektor Arnstedt ein von Flemming für den Lesezirkel vorgeschlagenes Stück wegen seines „derb-realistischen Geschmack[s]“ ablehnt. Im weiteren Verlauf des Dialogs wird deutlich, dass es sich um „Die zärtlichen Verwandten“ von Roderich Benedix (1811-1873) handelt. Arnstedt beschreibt Benedix als „Neuerer, der nur die Nachtseiten 166 Blumenthal/ Kadelburg 1907, 111f. 167 Blumenthal/ Kadelburg 1907, 140. 293 des Lebens aufsucht und im Häßlichen schwelgt“ 168 - eine Beschreibung, die den Wortlaut der zeitgenössischen Naturalismus-Kritik persifliert. Im Zusammenhang mit Benedix, der zum Zeitpunkt der Uraufführung ja bereits 18 Jahre tot war und als ausgesprochen altbacken galt, musste dies unpassend und komisch wirken. Es findet sich noch an einer anderen Stelle ein bemerkenswerter Verweis auf die zeitgenössischen Theaterverhältnisse: In einem parallelen Strang der Fabel nutzt der Berliner Rechtsanwalt Lenz einen vermeintlichen Theaterbesuch als Alibi für ein ausgiebiges Festgelage mit Schröter. Allerdings fliegt diese Lüge durch folgende Zeitungsmeldung auf: Im Königlichen Schauspielhaus hat gestern die elektrische Beleuchtung ihren Dienst versagt. Infolgedessen mußte die Vorstellung von ‚Torquato Tasso’ ausfallen und das Theater geschlossen werden. 169 Diese Passage hat eine doppelte Pointe: zum einen die aus ihr resultierende Peinlichkeit der Entdeckung auf der Ebene der Fabel, zum anderen handelt es sich um eine mittelbare Referenz auf das Lessing-Theater selbst, denn dieses war gerade für seine moderne technische Ausstattung bekannt. Vor allem die innovative elektrische Beleuchtung steht hier stellvertretend für Fortschrittlichkeit. Den technischen Defekt mit anschließender Theaterschließung dem renommierten Königlichen Schauspielhaus anzudichten, war ein Seitenhieb auf einen Mitkonkurrenten und betonte die eigene Überlegenheit, denn nur weil die eigenen technischen Anlagen so gut funktionierten, konnte das Publikum über die Pointe lachen. Karl Frenzel hat in seiner Jahresrückschau 1892 das Stück folgendermaßen resümiert: Weder in der Fabel noch in den Figuren offenbart sich eine größere oder feinere Originalität; die Theatererinnerung und die Theaterschablone herrschen vor, aber das Handwerkszeug wird von zwei Meistern der Technik geübt, […]. Wir waren zwei Monate lang von der Bühne her so verängstigt und vergrämt worden, daß diese Naivetät und Harmlosigkeit, die bei alledem ihren modernen Chic bewahrte, wie eine Erlösung aus wüsten Träumen erschien. Das Lachen an sich kam hier wieder zu Ehren. Dabei soll das Geschick in der Zusammenstellung und Steigerung der komischen Scenen, das Anmuthige, immer das schickliche Maß Haltende des flotten Dialogs als künstlerisches Verdienst der Autoren nicht unerwähnt bleiben. 170 „Großstadtluft“ bildet den Idealtypus des affirmativen Theaters von Parvenupolis, das nicht zu behaupten sucht, hinter aller Veränderung sei alles gleich geblieben, sondern das in seiner Dramaturgie wie in seiner baulichen und dekorativen Gestalt Modernisierung konsumier- und genießbar zu machen suchte. 168 Blumenthal/ Kadelburg 1907, 67. 169 Blumenthal/ Kadelburg 1907, 27. 170 Frenzel 1892, 126. 294 Schaulust und Begehren: Das Publikum Gleichwohl kann ein Blick auf das literarische Repertoire des Lessing- Theaters nur bedingt Aufschluss über seine kulturelle Position geben. Der Schwerpunkt seiner Wirkung lag nicht so sehr in den behandelten Themen - dafür folgten diese viel zu sehr einem Bedürfnis nach rascher Abwechslung - als vielmehr in der Art der Darstellung. Das Lessing-Theater zielte, wie es in den zeitgenössischen Quellen immer wieder heißt, auf das schaulustige Publikum, 171 dessen Begehren eher durch das Auge als durch das Ohr befriedigt wurde. Maximilian Harden schreibt hierzu: „Die Schaulust ist schneller und mit sichererem Erfolg anzuregen als der Geist jener disparaten Elemente, aus denen sich ein modernes Theaterpublikum zusammensetzt.“ 172 Aus dieser Konstellation ergeben sich, so Harden, unmittelbare Konsequenzen für die Produktionsweise des Theaters: Schwerer wiegend aber ist die offenbare Rückwirkung der gesteigerten Schaulust auf unsere moderne Produktion. Das Auge der Menge ist verwöhnt durch die prachtstrahlenden Bilder, ein einfacher Vorgang aus dem Alltagsleben fesselt schon rein äußerlich nicht genügend. 173 Die Argumentation Hardens, die stillschweigend ein (realistisches) Literaturtheater als Normal- oder Idealzustand postuliert, lässt sich noch in eine andere Richtung lesen: Augenscheinlich fand das disparate Publikum weniger im Fluchtpunkt eines gemeinsamen Themas oder Stils zusammen als im kollektiven Staunen über die Opulenz des Sensationellen. Hierin lässt sich erneut die Verwandtschaft von Theater und Warenhaus erkennen. Diese ist, so wird schemenhaft erkennbar, über den Einzelfall hinaus ein grundlegendes Prinzip der urbanen Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts. Deren Ökonomie des Spektakels soll Gegenstand des nachfolgenden Kapitels sein; an dieser Stelle interessiert zunächst, wie sehr diese Strukturen auch die veränderte Konzeption von Bürgerlichkeit im Kontext einer sich bildenden Konsumkultur spiegeln. Bemerkenswert ist, dass dieser Verschiebungsprozess - parallel zum Warenhaus - mit einer geschlechtsspezifischen Attribuierung erfolgt, wie man etwa bei Jacobsohn nachlesen kann: Die Vorherrschaft der Frau, und einer geistig unmündigen, verzogenen Luxusfrau, verhinderte, daß Fragen und Gegenstände des öffentlichen Lebens, daß mächtige Zeitströmungen zu szenischem Ausdruck kamen. Die Modesucht dieser Frau hob Salonhelden und Geselligkeitstalente wie Lindau in die Höhe. 174 171 Traumann 1891, 18. 172 Harden 1888, 44. 173 Harden 1888, 45. 174 Jacobsohn 2005, 27. In ähnlicher Weise schreibt auch Conrad Alberti: „Unser größtes Unglück ist aber das Ueberwiegen des weiblichen Geschlechts im Theaterpublikum, 295 Der Topos des weiblichen Publikums als dominierender Faktor ist keineswegs originär auf Jacobsohn zurückzuführen. Vielmehr bedient er sich eines gegen Ende des 19. Jahrhunderts bekannten Motivs, das auch Theodor Fontane (1819-1898) in seinem Gedicht „Publikum“ nutzt: Publikum Das Publikum ist eine einfache Frau, Bourgeoishaft, eitel und wichtig, Und folgt man, wenn sie spricht, genau, So spricht sie nicht mal richtig. Eine einfache Frau, doch rosig und frisch, Und ihre Juwelen blitzen, Und sie lacht und führt einen guten Tisch, Und es möchte sie jeder besitzen. 175 Fontane beschreibt das Publikum als Parvenu-Frau, die ihren Reichtum ostentativ zeigt, bei näherer Betrachtung aber nicht einmal über die grundlegendste Bildung („So spricht sie nicht mal richtig.“) verfügt. Das Streben der Direktoren wird als ein zweifaches Begehren thematisiert: zum einen auf die Attraktivität der Frau bezogen („rosig und frisch“), zum anderen auf ihre materiellen Güter („ihre Juwelen blitzen“; „führt einen guten Tisch“). Das von Fontane aufgestellte Bild findet sich ähnlich in einer Karikatur von P. Kraemer, die 1903 in „Bühne und Brettl“ erschien: Unter dem Titel „Die Ballkönigin vom Ball der Direktoren“ sieht man eine Gruppe von Männern eng um eine rundliche Frau mit langer Perlenkette und einem üppigen das sich fast zu Dreivierteln aus Frauen und Mädchen zusammensetzt.“; Alberti 1887, 100. 175 Fontane 1962, 44f. Abb. 44: Karikatur aus „Bühne und Brettl“ (1903). 296 Diadem im Haar stehen, auf deren Fächer „Überschuss“ steht. Im Gegensatz dazu sitzen im rechten Bildteil im Hintergrund zwei schmale, auf den Boden blickende Frauen, auf deren Fächern „Schönheit“ bzw. „Kunst“ steht. Dieses Stereotyp des Publikums korrespondiert mit der bestehenden Geschlechterordnung, in der Frauen als schwach und verführbar, aber auch als launisch dem Mann gegenübergestellt wurden. Alfred Wiener hatte mit Blick auf das Warenhaus ja explizit die durch visuelle Opulenz typisch weibliche Verführbarkeit als Motor dieser Geschäftsform benannt. 176 In der Theaterkritik taucht dieser Topos als Lamento mangelnden Kunstsinnes auf. Paul Linsemann (1871-1913) schlägt dementsprechend eine, die konventionelle Geschlechterordnung wiederherstellende Lösung vor: Ob das Publikum erzogen werden kann? O ja. Von den Theatern und von der Kritik. Man muß der launischen Frau nicht alle Launen nachgeben. Das verwöhnte reiche Publikum könnte von ihrer arbeitsamen Schwester, dem Publikum im Schiller-Theater wie in den Volksbühnen lernen: wie es sich betragen und wie es genießen, wie es jauchzen und weinen, wie es von Kunstpöbel zum Kustvolk sich bilden sollte. 177 Die Erziehung wird von Linsemann als Akt männlicher Strenge imaginiert. Bemerkenswert ist, dass das „verwöhnte reiche Publikum“ vom Arbeiterpublikum der Volksbühnen lernen soll. Führt man diese Denkfigur weiter, so zeigt sich, dass sie implizit nicht nur auf ein weibliches, sondern auf ein im Ganzen effeminiertes Publikum zielt, dem der männliche Wille zur Kunst fehlt. 178 Das Bild korrespondiert mit einem Verständnis der modernisierten Lebenswelt, das diese als unnatürlich in dem Sinne klassifiziert, als die gegebenen, „natürlichen Geschlechterverhältnisse“ durch „Verweichlichung“ aufgebrochen werden. Der Topos der Effeminierung der Stadtmenschen korrespondiert mit einer ethnischen Markierung, 179 wie man sie beispielhaft an einer Karikatur von Ernst Heilemann (1870-1936) für den „Simplicissimus“ aus dem Jahr 1907 sehen kann. 180 Der Bildausschnitt zeigt, den Blick von einer Bühne in den Zuschauerraum imaginierend, ein elegant gekleidetes Publikum, Herren im Frack, Damen in großer Abendtoilette. Im Zentrum der Zeichnung sieht man eine große, füllige Frau mit weißen Haaren, einer auffälligen Halskette, Ringen an den Fingern und einem auffälligen Hermelinpelz um die Schultern gehängt. Der Untertitel lautet: „Krippenspiel in Berlin. ‚Ich find’ die Idee so originell! ’“ 176 Vgl. hierzu S. 283 dieser Arbeit. 177 Linsemann 1897, 27. 178 So beschreibt Linsemann als einen der Interessenspunkte des Publikums seine Sensations- und Schwatzsucht, die hier aber explizit auch männlichen Zuschauern zugesprochen wird: „Die Berliner Premierentiger namentlich in den specifischen Luxustheatern sind von einer unsagbaren Ruppigkeit. Im Grunde genommen geht jeder mit der heimlichen Lust im Herzen hin, ein hübsches Skandälchen zu erleben. Das giebt morgen an der Börse Stoff zum Plaudern! War auch dabei! Habe auch auf dem Hausschlüssel gepfiffen! “; Linsemann 1897, 25. 179 Vgl. zur Diskussion von Gender-Aspekten bes. Boyarin 1997. 180 Die Darstellung ist entnommen von Fuchs 1921, 252. 297 Die Bildsprache der Karikatur ruft eindeutig die Assoziationen an die Berliner „Luxustheater“ und ihr Publikum wach. Das Krippenspiel erscheint als originell, wobei sich - zieht man die gezeigten Physiognomien als kulturelle Marker hinzu, die das Publikum als jüdisch kennzeichnen sollen - die Bemerkung auf den Stoff und weniger auf die Form bezieht. Den als Bürger verkleideten jüdischen Parvenus fehlen, so will das Bild suggerieren, die elementarsten Grundlagen kultureller, und das meint hier christlicher, Allgemeinbildung. Die an sich vielleicht in diesem Zusammenhang wenig verfängliche Bemerkung, wenngleich fast nichtssagend, enthüllt eine fundamentale, kulturelle Grenze. Dieses ‚weibliche’ Publikum fand auf der Suche nach „Zerstreuung oder Sensation“ 181 im Theater einen Schauraum, der sich in seiner allgemeinen Form der Darstellung und in den Mitteln der Bühne, namentlich in Dekor und Kostümen, mit dem Imaginären des Warenhauses überschnitt. Die hieraus resultierenden Zirkulationsströme wurden besonders durch die Schauspielerin verkörpert, die in der öffentlichen Wahrnehmung unter dem Rubrum der Mode zu einer Schnittstelle von Kunst und Warenkonsum wurde. Unbewußt oder absichtlich, verkündet der beste Modekenner der Gegenwart, Max v. Boehn, machte die Schauspielerin die Bühne zu einem Modefaktor. Das Auftreten von Frauen auf dem Theater war für die Mode von einschneidender Bedeutung. 182 181 Linsemann 1897, 24 182 Goldschmitt 1922, 41. Abb. 45: Karikatur von Ernst Heilemann (1907). 298 Die Wahlverwandtschaft von Mode und Bühne lässt die Doppelgesichtigkeit der Apostrophierung des Publikums als weiblich erkennen. Das Signum der Schauspielerin im ausgehenden 19. Jahrhundert war der Toilettenluxus, d.h. eine besonders aufwändige Gestaltung der Garderobe. Sidonie Grünwald- Zerkowitz (1852-1907), die in einer Artikelserie „Toilettenkünstlerinnen auf der Bühne“ in „Bühne und Welt“ Sarah Bernhardt, Charlotte Wolter und Eleonora Duse porträtierte, begriff die Bühnentoilette als konstitutiven Bestandteil „modernen“ Theaters: Sie [die moderne Schauspielerin] muß sich mit voller Hingabe auf die Kunst verstehen, ihr Aeußeres mit der Rolle, die sie darstellt, künstlerisch richtig in Einklang zu bringen. Denn die Toilette gehört mit zur polyphonischen Instrumentation des dramatischen Bildes. 183 Denn gerade dies begründe das Hineinwirken der Schauspielerin in die bürgerliche Lebenswelt und bestimme ihre dortige Stellung: „Einst waren Kaiserinnen, heute sind einzelne Schauspielerinnen die Trägerinnen der Mode. Sie geben in den meisten modernen Stücken die Parole aus für neue Moden.“ 184 Heinrich Stümcke verstärkt diese Einschätzung, wenn er schreibt: Die Theaterbesucherinnen in Parkett und Logen, die bei der ersten Schneiderin der Stadt arbeiten lassen oder ihre Garderobe wohl gar zum Teil aus Berlin und Paris beziehen, wollen namentlich an der ersten Liebhaberin und der Salondame eine Art von lebendigem Modejournal haben, nach dem sie sich bei ihren Bestellungen richten können. 185 Und Werner Sombart führt aus, dass in Paris dieses System dahingehend perfektioniert sei, dass einige Modehäuser direkt mit Schauspielerinnen zusammenarbeiteten, um neueste Modelle zu lancieren. 186 Die Erwartungshaltung des Publikums zwang die Schauspielerinnen, ihre Garderobe beständig den neuesten Trends anzupassen. Da es nach den Standardverträgen den Schauspielerinnen selbst oblag, die Kostüme zu stellen, bedeutete dies eine große wirtschaftliche Belastung, die einer weit verbreiteten und von vielen Seiten akzeptierten Form der Prostitution Vorschub leistete. 187 Liebschaften, Verehrer und „Gönner“ waren eine der Grundlage dieses Theatersystems. Die Begriffe Theater und Prostitution 183 Grünwald-Zerkowitz 1898/ 1899, 509. 184 Grünwald-Zerkowitz 1898/ 1899, 510. 185 Stümcke 1905, 70. 186 Vgl. Sombart 1902, 17-19. 187 Conrad Alberti wendet sich in diesem Kontext vor allem gegen die Theaterdirektoren, die von diesen Zuständen profitierten, wenn er schreibt: „In der That, viele Theaterdirektoren […] wissen recht gut, daß ihre ‚Kunstinstitute’ nichts anderes sind als geschickt maskierte Bordelle, sie dulden den Unfug ruhig aus Rücksichten auf ihre Kasse; sie sparen ja am Gagenetat, je mehr Nebeneinnahmen ihre Künstlerinnen besitzen; die Liebhaber der letzteren sind ihre besten Theaterbesucher, und wenn sie an ihre Künstlerinnen höhere Anforderungen stellen als die blendender Toiletten und leidlichen Memorirens ihrer Rollen, so ist es in der Regel höchstens das Verlangen des jus primae noctis.“; Alberti 1887, 73. 299 schienen für einige Zeitgenossen nahezu synonym zu werden. Paul Schlenther spricht in diesem Zusammenhang von den „Theaterprinzessinnen, die das Theater als Aushängeschild für ihre Reize, die Kunst als heiliges Mittel zu heillosen Zwecken ansehen.“ 188 Und auch Stümcke führt aus, dass dies in Einzelfällen so weit gediehen sei, dass die Bühne nur noch eine Nebensache sei: Wer auf Gummirädern, mit livrierten Dienern und Kutscher, in Blaufuchs und Zobel gehüllt, zur Probe vorfahren kann und nach der Vorstellung im chambre separée nach Pariser Karte soupiert, für den bedeuten 60-100 Mark Monatsgage nur das Trinkgeld für Garderobiere, Friseur und Zofe. 189 In Anbetracht dessen entlarvt sich die Denkfigur des weiblichen Publikums als Maske männlichen Begehrens. Dabei ist der Diskurs um den doppelten Blick auf die Schauspielerin, die als Künstlerin sowie als begehrenswerte Frau erscheint, nicht nur im 19. Jahrhundert präsent. So beschreibt etwa Eduard Devrient in seiner „Geschichte der deutschen Schauspielkunst“ das erste Auftreten von Schauspielerinnen in Deutschland im Rahmen der Velthen’schen Truppe (ca. 1685) als kategorialen Bruch: Aber abgesehen von dem Verstoß gegen die Sitte, den das Theater damit beging, war mit der Einführung der Frauen […] doch für alle Zeiten der Geschmack und das Urteil des männlichen, also des tonangebenden Publikums durch das geschlechtliche Interesse getrübt. 190 Goldschmitt, der sich auf Devrient bezieht, beschreibt das Auftreten der Schauspielerin als eine Kollision der Sinne, bei der letztlich das Auge das Ohr bzw. den Verstand betrügt und den Zuschauer so verführt: Aber auch der unvoreingenommene Zuhörer ist im Theater stets auch zugleich Zuschauer. Er erfreut sich an der Stimme des Darstellers, wie er seine Bewegungen genießt, und die Mimik und Geste, von formaler Schönheit des Körpers unterstützt, kann nur im unnormalen Zuschauer das Gesetz von der geschlechtlichen Polarität jeder menschlichen Betätigung unwirksam machen. […] Das erotische Problem wird […] zur Gefahr für die Kunst, kann zur Trübung des Genießens und künstlerischen Erlebens beim Zuschauer führen und zugleich die Unbekümmertheit des Schaffens bei der Schauspielerin verwirren. 191 Wurde diese Spannung dem bürgerlich-moralischen Theater zum Problem, das durch ethische und sittliche Überhöhung kompensiert werden sollte, 192 so wurde sie einem auf Sensation und Sinnenreiz zielenden Theater, wie dem hier beschriebenen „Luxustheater“ am Ende des 19. Jahrhunderts, zum Motor. In einem kulturellen Klima, das Schaulust und Verführbarkeit als Moment der (Waren-) Zirkulation begriff, kam dem Körper der Schauspielerin eine doppelte Bedeutung zu: Sie wurde zur Repräsentantin eines mondänen Lebensstils - und damit zu einem Ideal von Weiblichkeit -, 188 Schlenther 1895, 42. 189 Stümcke 1905, 73. 190 Devrient 1967, Bd. I, 168. 191 Goldschmitt 1922, 56f. 192 Vgl. hierzu auch Heeg 2000, 83-98. 300 gleichzeitig aber auch zum Objekt der Begierde des männlichen Publikums - ein Begehren, das hinter der Maske des weiblichen Publikums vorgeblich verschwindet. Der Verstoß gegen bürgerliche Moralvorstellungen wurde, wie Paul Schlenther schreibt, in einer scheinheiligen Balance zwischen Voyeurismus und wohliger Entrüstung ausagiert: Je weniger der gute Bürger mit den Damen von der Bühne verkehren möchte, desto neugieriger hört er von ihren Abenteuern erzählen. Wenn sie nicht durch ihre Kunst berühmt werden, dann durch ihren Lebenswandel. 193 Der Idealtypus einer solchen Schauspielerin im Berlin des späten 19. Jahrhunderts war die aus Wien stammende Jenny Groß (1863-1904), 194 die seit Gründung des Lessing-Theaters dort als erste Kraft engagiert war. Berühmt wurde sie vor allem für ihre prächtigen Kostüme, mit denen sie das Prinzip von Prunk und Pracht der Ausstattung (über-) erfüllte. Theodor Fontane macht ihrem Auftreten am Königlichen Schauspielhaus das ambivalente Kompliment, er habe niemals „ein Reitkleid besser sitzen, niemals ein rotseidenes Taschentuch auf seinen Farbwert hin glücklicher ausnutzen sehen.“ 195 Heinrich Stümcke versucht dies ins Positive zu wenden: Jenny Groß gehörte zu jenen Künstlerinnen, die die Grenzen ihres Könnens und ihrer Begabung mit kluger Selbstkritik erkennen und von unfruchtbaren Experimenten sich nach Möglichkeit hüten. […] Obgleich seit Jahren von periodisch wiederkehrenden Anfällen eines ernsthaften Leidens verfolgt, war Jenny Groß äußerlich ein Bild der Gesundheit und unverminderter Eleganz; eine jener Künstlerinnen, die bei Erwähnung ihres Namens in der Presse und in der Öffentlichkeit das epitheton ornans ‚Die schöne’ zwei Jahrzehnte hindurch getreulich begleitet hat. 196 Einer ähnlich verschlüsselten Sprache bedient sich auch Ludwig Eisenberg (1858-1910) in seinem „Großen Biographischen Lexikon der deutschen Bühne im 19. Jahrhundert“ (1903): Die ganze Kraft ihres Könnens, ihre anziehende Persönlichkeit, wie nicht minder ihre fast mustergiltige Toilettenkunst setzte sie ein, um diesem Stück [Sardou: „Madame Sans Gêne“] zum Erfolg zu verhelfen. […] Es sind überhaupt die ele- 193 Schlenther 1895, 41. 194 Emma Vely beschrieb Jenny Groß in einem Porträt folgendermaßen: „Vier Jahre lang war sie am Schauspielhause, sentimentale Rollen und Salondamen spielend, dann rief sie Oscar Blumenthal bei der Gründung des Lessingtheaters auf die Stätte, wo sie erst recht zur Entfaltung kam und das Rollengebiet fand, welches ihr unbestritten eigenes ist: jene eleganten, koketten, schnippischen, manchmal auch ein wenig sentimentalen Frauen der Vergangenheit und Gegenwart […]. Dazu der Glanz ihrer Toiletten, die Kunst, ob als historische Gestalt oder als moderne Frau, stets richtig, geschmackvoll, blendend zu erscheinen - eine Première, in der Jenny Groß moderne Kleider trägt, ist für unsere Modedamen tonangebend und ihre Wiener, Pariser und hiesigen Lieferanten sind gesucht.“; Vely 1899/ 1900, 376f. 195 Fontane 1905, 393. 196 Stümcke 1904, 695. 301 Abb. 46-48: Die vielen Gesichter der Jenny Groß: Als junge Schauspielerin, in der Titelrolle von „Madame Sans Gêne“ und als Grande Dame. ganten, koketten, schnippischen manchmal auch sentimental angelegten Frauen […] ihre Spezialität […]. 197 Maximilian Harden hingegen kritisiert diesen Typus der Schauspielerin offen: 198 Das größte Vorbild, Fräulein Jenny Groß, ist unter lautem Wehklagen des Pressgesindes eben ins Grab gebettet worden. Die kluge ungarische Jüdin verstand das Metier. Nicht ein Fünkchen schauspielerischen Talentes. In ihren besten Rollen wie eine Wachspuppe, die eingelernte Reden herplappert und, wenn die rechte Schnur gezogen wird, weint oder lächelt. Ein Genie aber in der Kunst, den Frauenreiz zur Möblierung des Lebens auszunützen. 199 Oscar Blumenthal war sich als Theaterleiter der Bedeutung und Anziehungskraft der Groß für seine Bühne sehr bewusst und schrieb für sie Rollen, in denen sie ihre Vorzüge zur Schau stellen konnte, wie etwa die „Rössel“-Wirtin Josepha. 200 Jenny Groß durchschaute die innere Dynamik des kommerziellen Theaterbetriebs, wie man an ihrer bewussten Selbstinszenierung erkennen kann. So kaufte sie die Übersetzungsrechte des 1893 in Paris uraufgeführten Stückes „Madame Sans Gêne“ [„Madame Ungeniert“] von Sardou und importierte es - ebenso wie die Spielweise der legendären Réjane (Gabrielle Réju, 1856-1920) und deren Pariser Kostüme. Das Stück war ein durchschlagender Erfolg und die Groß spielte die Titelrolle in Berlin und auf Gastspielen über 400mal. Das Drama um die historische Figur der Wäscherin Katherine Hubscher, die als Ehefrau des späteren Marschalls François Joseph Lefebvre (1755-1820) im Zuge der napoleonischen Eroberungen zur Herzogin von Danzig wurde, bot 197 Eisenberg 1903, 357. 198 Diese Polemik von Harden gab wiederum Karl Kraus die Gelegenheit, seiner Antipathie gegen Harden freien Lauf zu lassen, auch wenn dies hier bedeutete, für Groß Partei zu ergreifen; vgl. Kraus 1904, 17f. 199 Harden 1904, 245f. 200 Wilcke 1958, 91f. Vgl. auch die Abbildung auf S. 240 dieser Arbeit. 302 Anlass für spektakuläre Kostümwechsel, die ihrem sozialen Aufstieg entsprachen: Und das weiße, einfache Fähnchen steht dieser Wäscherin gar entzückend zu Gesicht. - Wenn der Vorhang zum andermal aufrauscht, dann hat sich die ungeheuerliche Metamorphose der Wäscherin vollzogen; sie trägt jetzt das stolze, der Entfaltung weiblicher Reize so sehr Rechnung tragende Empire-Kostüm mit derselben Anmuth, wie vorher das einfache Tüllfähnchen der Wäscherin; […]. 201 Das Stück thematisiert im historischen Kostüm die Folgen sozialen Aufstiegs, wobei die Hubscher gerade deshalb zur Heroine erwächst, weil sie, wie der „Vorwärts“ lobend schreibt, „ihrer alten Wäscherinnen-Derbheit treu geblieben“ 202 ist. Die größte Wirkung beim Publikum hatte allerdings die Garderobe von Jenny Groß, so dass die „Berliner Illustrirte Zeitung“ die „vorzügliche Darstellung der Titelrolle in Wort - und Kleid“ 203 lobte. Für Maximilian Harden war dieses weibliche Unternehmertum allerdings nur eine Verfallserscheinung: [S]ie kaufte als Großkapitalistin im Bühnenreich einfach die Stücke, die ihr Erfolg verhießen, und gewährte das Aufführungsrecht nur dem Theater, das bereit war, Jenny als Stern am Leinwandhimmel glänzen zu lassen. Dann ging sie nach Paris oder Wien, guckte der Réjane, der Schratt die Effekte ab, bestellte bei Paquin oder Drecoll die theuersten Kleider, putzte sie mit den glitzernden Märchenschätzen aus Tausendundeine Nacht: und wurde wie eine richtige Schauspielerin behandelt. 204 Dass die für ihre Bühnenwirkung so wichtigen Kostüme und Schmuckstücke einem bunten Liebesleben, das wiederum die Attraktivität ihrer Persona erhöhte, zu verdanken waren, war ein offenes und öffentliches Geheimnis, das Teil ihrer Auftritte war: Wird in Rennberichten, Ballglossen und Modeplaudereien stets als die eleganteste Frau erwähnt. Wer auf sich hält, muß sich mit solcher Erinnerung weihen. So kam die Groß zu Gewinn und ward gesegnet. Zwanzig Jahre war sie eine „Sehenswürdigkeit“, war die Dame mit dem werthvollsten Brilliantschmuck. 205 Es gibt ein Bild aus dem Jahr 1900, als eine, leider nicht mehr zu ermittelnde, Zeitschrift Jenny Groß zur „beliebtesten Bühnenkünstlerin“ wählte, das sie in dekorativer Pose in ihrem Salon zeigt. Während sie selbst halb auf einem Sofa liegt, steht vor ihr ein Tisch mit kleinen Kostbarkeiten. Ein Silberbecher, ein Tafelaufsatz, kleinere Schalen, ein Zigarettenetui, verschiedene Döschen und Stapel mit Fotos. Alles Gegenstände, die man leicht als Geschenke von Verehrern identifizieren - oder sie sich als solche vorstellen kann. Der Salon selbst ist großzügig und elegant ausgestattet, ein ausladender Kronleuchter, eine Fülle von Porzellanfiguren und eine Büste dokumentieren ganz im 201 Anonymus 1894a, 1. 202 Anonymus 1894b, o.S. 203 Anonymus 1894a, 1. 204 Harden 1904, 246. 205 Harden 1904, 247. 303 Geiste des ausgehenden 19. Jahrhunderts den erlesenen Geschmack der Hausherrin. Liest man dieses Foto im Licht seiner theatergeschichtlichen Entstehung, erscheint es plötzlich auf fast bedrückende Weise hellsichtig, weil es in der Anordnung des Raumes und seiner Objekte die Position der Schauspielerin, repräsentiert durch Jenny Groß, zum Ausdruck bringt. Sie wird in der Reihe der Trophäen selbst als Trophäe eines begehrenden Blicks erkennbar. So sehr sie ihre eigenen Geschicke zu ihrem Vorteil zu lenken imstande war, so wenig konnte sie dem Zirkulationsstrom entgehen, der sie im Theater von Parvenupolis zu einem Objekt machte wie die Geschenke und Kostbarkeiten, die ihren Erfolg dokumentierten. Das Theater von Parvenupolis - ein Typus, für den das Lessing-Theater nur ein Beispiel unter vielen ist - zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass es seine soziale und kulturelle Position affirmativ zum Zentrum seiner Tätigkeit machte. 206 Es wollte keine „moralische Anstalt“ und keine Kanzel sein, 206 Marline Otte hat in ihrer Studie „Jewish Identities in German Popular Entertainment, 1890-1933“ (2006) anhand des Metropol-Theaters zeigen können, dass diese Theater durchaus auch eine gewisse „soziale Durchlässigkeit“ in dem Sinne aufwiesen, dass sie zwar in ihrer Erscheinung vornehmlich ein wohlhabendes Publikum ansprachen, ihre Abb. 49: Porträt von Jenny Groß in ihrem Salon, 1900. 304 sondern es war in einem zwiespältigen, vielleicht fragwürdigen, aber ausgesprochen dynamischen Sinne ein konstitutiver sozialer und öffentlicher Raum, der sowohl seinem Publikum als auch dessen Imaginärem eine opulente Bühne bot. ökonomische Existenz aber darauf beruhte, dass sie ein breites Bevölkerungsspektrum anzogen. Es wäre nun falsch, von einem klassenlosen Ort zu sprechen, aber das Beispiel des Metropol-Theaters zeigt, wie irreführend die Annahme einer streng sozial diversifizierten Unterhaltungskultur ist. Stattdessen wird man gerade diesen Zwischenräumen mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. Vgl. Otte 2006, bes. 210. 305 Der Parvenu als Trickster Für die Verkörperung sozialer Mobilität gibt es neben der oben skizzierten Figur des Parvenu als Karikatur noch das Modell der ethnischen Trickster- Figur. Ursprünglich bezeichnet der Begriff Trickster eine Gestalt der amerikanischen Mythologie, eine außerhalb der Gesellschaft und ihrer Ordnung stehende Figur, orts- und sozial ungebunden, getrieben von ihren Lüsten und Wünschen, aber auch mit übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet. In much recent Trickster writing, this equation has been developed by emphasizing Trickster as the creatively antinomian overreacher transgressing the artificial codes of society and the categories of human perception that give rise to those codes. The argument in brief, is that Trickster’s violative behaviour places him at the margin of or even beyond the social pale: from such a vantage point he liberates humans from conventional social moral boundaries and dramatizes new ways of perceiving and the possibility of new orders. 207 Das Modell des Tricksters, das von der Forschung auch auf die griechischrömische Hermesbzw. Merkurfigur übertragen wurde sowie auf den Harlekin der commedia dell’arte oder den Hanswurst des Wiener Volkstheaters, 208 bietet eine alternative Lesart der ethnischen Markierung, die zwar die Figur außerhalb der herrschenden Gesellschaft platziert, ihr dadurch aber einen erweiterten Handlungsspielraum eröffnet. Die genealogische Linie einer solch ethnisch markierten Figur, deren Wurzeln vermutlich in den jüdischen Komödienfiguren des 17. und 18. Jahrhunderts zu suchen wären, 209 kann für das sich modernisierende Deutschland mit Kalischs Posse „Einer von unsere Leut’“ (UA 1859) begonnen werden. In diesem Stück ist es der jüdische Hausierer Isaak Stern, der seine randständige Position nutzt, um entscheidend in den Handlungsverlauf einzugreifen. Da er nicht in das (vormoderne) soziale Beziehungsgeflecht der übrigen Figuren eingebunden ist und selbst von Meister Frühauf, dem er zu 207 Ballinger 1989, 15. Die ethnologische Forschung hat sich zunehmend kritisch mit diesen metaphorischen Übertragungen des Konzeptes in andere Bereiche auseinandergesetzt: „However, the antinomian Trickster has often become very much the culture hero for the Euro-American literary-scholarly establishment; he is in danger of finding himself the adopted brother of our various Romantic overreachers.“; Ballinger 1989, 15. Vgl. hierzu auch Carlyon 2002, der die Metapher des Tricksters mit der des Narren (jester) oder Clowns in Verbindung bringt. Im Folgenden wird bewusst dieser weite, metaphorische Sprachgebrauch genutzt. Dies mag eine Entfernung vom Originalkontext sein, versteht man den Trickster aber nicht als ein essentialistisches Modell, sondern als heuristisches Konzept, dann ist er unter dem Gesichtspunkt seiner Erklärungskraft, nicht im Hinblick auf die Geschlossenheit seiner genealogischen Begriffsgeschichte zu beurteilen. 208 Rudolf Münz etwa hat dies als „Harlekin-Prinzip“ bezeichnet; vgl. Münz 1998, 60-65. 209 Vgl. hierzu Bayerdörfer 1989. Jenseits der Theatertradition hat Daniel Boyarin die Figur des Tricksters als eine Lesart jüdischer Tradition fruchtbar gemacht; vgl. Boyarin 2002. 306 Dank verpflichtet ist, wieder und wieder weggejagt wird, 210 kann Stern das Ränkespiel gegen Frühauf aufdecken und das Liebesglück von dessen Tochter retten. Hierbei stehen ihm sein Witz und seine gegen allen Anstand verstoßende Frechheit als entscheidende Hilfsmittel zur Seite. Die Dramaturgie nutzt diese Fabel aber nicht, um die Lächerlichkeit von Stereotypen aufzuzeigen, wie Lessing es in seiner aufklärerischen Komödie „Die Juden“ (1749) exemplarisch getan hat, sondern bekräftigt diese vielmehr, indem Stern eine sehr dialektische Lesart zur Verteidigung des Eigennutzes vorträgt: Wenn er [Frühauf] mir aber vorwirft den jüdischen Eigennutz, so werde ich ihm antworten und immer wieder antworten: Der Eigennutz ist die Triebfeder aller menschlichen Handlungen und bei den edlen Handlungen ist es ein edler Eigennutz. Mit einem Worte, jeder sucht seinen Vorteil auf dieser Welt. 211 Während Kalisch die Trickster-Figur zu einem historischen Zeitpunkt imaginiert, an dem die rechtliche Gleichstellung zwar Forderung, aber politisch noch nicht verwirklicht war, tritt mit den Sally-Figuren aus Lubitschs frühen Filmen (1914-1918) eine Parvenu-Trickster-Figur auf, die den Kontext rechtlicher Gleichstellung ebenso vorfindet wie die ökonomischen und kulturellen Bedingungen der umfassenden Modernisierung. Auch bei der Sally- Figur artikuliert sich Jüdischsein eher über indirekte, äußerliche Marker als durch eine explizite Benennung. Obwohl die meisten der frühen Filme Lubitschs unterschiedliche Formen und Wege sozialen Aufstiegs thematisieren, wird die Verwindung von kultureller Identitätspolitik, neuen Produktions- und Vertriebsformen, einem neuen, durch Konsum geprägten Lebensstil und sozialer Mobilität in „Schuhpalast Pinkus“ (1916) am deutlichsten. Der Film zeigt den Aufstieg von Sally Pinkus (E. Lubitsch), der zunächst als fauler Schüler mit einem großen Interesse an Frauen gezeigt wird, zum reichen und erfolgreichen Geschäftsmann. Hierbei inszeniert der Film Sally - mit großen Überschneidungen zu den übrigen Sally-Filmen - als libidinösen Charakter, dessen Handeln weniger planvoll und zielgerichtet als vielmehr trieb- und lustgesteuert erscheint. Konsequent zeigt der Film 210 Vgl. bspw. Kalisch 1903, 23. 211 Kalisch 1903, 78. Abb. 50: Sallys Appetit ist geweckt! Szene aus „Schuhpalast Pinkus“ (1916). 307 zunächst, wie Sally, da er den gesellschaftlich geforderten Verhaltensstandards nicht genügt, diszipliniert wird: Er wird von seinen Eltern beschimpft, fliegt von der Schule, sein Lehrmeister entlässt ihn, weil er statt zu arbeiten ein Verhältnis mit dessen Tochter beginnt, und schließlich soll er in einem großen Schuhladen seine Stellung verlieren, weil er beim Bedienen sein Verlangen, eine Kundin zu berühren („Killekillekille“), nicht unterdrücken konnte. Hier tritt die entscheidende Wende ein: Kurz bevor der Chef ihn buchstäblich an die Luft setzen kann, betritt eine Kundin den Laden, die sich eine Reihe von Schuhen zeigen lässt, diese aber alle als zu klein geschnitten ablehnt. Sally steht ein bisschen abseits und beobachtet die Szene, greift dann entschlossen ein paar Schuhe und verändert die auf die Sohle geschriebene Größe in eine kleinere Nummer. Die Dame ist nun zufrieden, während der Ladenbesitzer, erstaunt über diesen Coup, daneben steht. Sally nutzt diese Gelegenheit aus, um sich seine Stellung zurückzuholen, und um der Dame, die der Vorspann als Tänzerin Melitta Hervé ausweist, eine persönliche Lieferung der Schuhe zu versprechen. Es ist gerade seine marginale Position, die Sally die Einsicht in die eitle Schwäche der Kundin gewährt und die es ihm ermöglicht, diese Schwäche für sich zu nutzen. Der lustvolle Akt dieser Erkenntnis und des Tricks wird durch die Körpersprache Lubitschs deutlich zum Ausdruck gebracht: Ostentativ kratzt er sich am Kopf, rollt mit den Augen, streckt die Zunge heraus oder leckt seinen Stift an, bevor er schreibt. Der durch dieses Spiel inszenierte groteske Körper weist, wie Sabine Hake ausgeführt hat, Bezüge zur Theatergeschichte (Harlekin, Pickelhering und Hanswurst) auf, insbesondere zur jiddischen Theatertradition: Sally Pinkus and his accomplices combine character traits of the shmendrik, a stupid but shrewd young man, with the aggressive clumsiness of schlemihl, who makes up for his social disadvantages through his knowledge of human faibles and the art of persuasion. 212 Die Szene dient dem Film insofern als Schlüsselmoment, weil es Sally gelingt, sein libidinöses Handeln mit ökonomischem Erfolg zu verbinden und damit aus dem Schatten seiner bisherigen Fehlschläge herauszutreten. Bezeichnenderweise ist es die Tänzerin (sein erstes ‚Opfer’), die seine Tüchtigkeit erkennt und ihm 30.000 Mark für die Gründung eines eigenen Geschäfts leiht. Dieses nennt er - eine deutliche Anspielung auf die luxuriöse Inszenierung der Warenhäuser - „Schuhpalast Pinkus“. Der Innenraum des Geschäfts ist großzügig gestaltet - an der der Kamera gegenüberliegenden Wand befindet sich, ebenso wie Wiener es für Warenhäuser gefordert hat, 213 eine große Freitreppe. Allerdings läuft das Geschäft eher schleppend an, wie Sally selbst mittels eines Zwischentitels kommentiert: „Großes Personal, keine Kundschaft.“ 212 Hake 1992, 30. 213 Vgl. Wiener 1912, 50-55. 308 In der nächsten Szene sieht man Sally daraufhin in Frack und Zylinder mit Blumen in der Hand ein Theater betreten. Hinter ihm läuft ein Piccolo mit einem aufwendig dekorierten Geschenkkorb, in dem sich - wie eine Großaufnahme zeigt - ein Paar Schuhe befinden. Während auf der (fast leeren) Bühne Melitta Hervé tanzt, setzt sich Sally auffällig in die Loge am linken Bildrand. Die Kamera zeigt noch einige Aufnahmen der Tänzerin, bevor der Vorhang zugeht und man das Publikum stürmisch applaudieren sieht. Während man in der rechten Bildhälfte sieht, wie die Tänzerin sich verbeugt, wendet sich links - eingerahmt durch die Loge - Sally zum Publikum und ruft: „Diese entzückenden Schuhe gibt es nur im Schuhpalast Pinkus! “ Das Publikum fährt mit seinem Applaus fort, allerdings nun mit zwei Adressaten: Während sich die Tänzerin rechts verneigt, sieht man, dass nun auch Sally links die Ovationen entgegennimmt oder zumindest für sich beansprucht. Der Film verdeutlicht so, wie Sally sich die Theaterszene aneignet und für seinen eigenen Zweck ausnutzt. Das Publikum sanktioniert diese Vereinnahmung aber nicht - vielmehr wird Sally beim Verlassen des Theaters von Zuschauern umringt und kann Flugzettel verteilen, auf denen für eine „Stiefelschau“ am kommenden Tag geworben wird. Die sich anschließende Sequenz zeigt die angekündigte Stiefelschau: Durch die Tiefe des Raumes ist ein Laufsteg geführt, auf dem Modelle die unterschiedlichen Stiefel präsentieren, während Sally am vorderen Ende steht und auf die Besonderheiten der Schuhe hinweist. Auffällig ist hierbei, dass die Kamera ihre technischen Möglichkeiten ausschöpft, um den intendierten Blick in Szene zu setzen: Mit Großaufnahmen werden die Schuhe und auch die Beine der Modelle ausführlich gezeigt. 214 Sallys Verhalten, das sich im Grenzbereich des gesellschaftlich Akzeptierten bewegt, agiert die Durchdringung der Lebenswelt durch das Geschäft symbolisch aus. Die Übernahme der Theaterszene für seine eigenen kommerziellen Zwecke sowie die Aneignung theatraler Mittel für die Präsentation der Waren 215 symbolisiert - einschließlich des doppelt begehrenden Blicks der Kamera, der die Schuhe ebenso meint wie die Frauenbeine - jenen Kreislauf, der als charakteristisch für Parvenupolis erachtet werden kann. Als Regisseur hat Lubitsch diesem System noch eine weitere Reverenz erwiesen, denn bei den zu Beginn des Films die Besetzung präsentierenden Schrifttafeln findet sich am Ende eine Tafel, auf der steht: „Die Schuhe und Stiefel sind von der Firma Emil Jacobi Berlin Friedrichstr. Ecke Taubenstr.“ Hier doppelt sich das Thema des Films mit einer frühen Form des heute üblichen product placement. Anders als die vielen Karikaturen von Parvenu-Figuren zeigt Lubitschs Sally nicht eine deformierte Person, sondern eine, deren Begehren erfüllt wird, ja deren (überproportionales) Begehren ihn in besonderer Weise prädestiniert, die Untiefen der sich modernisierenden Gesellschaft zu meistern. 214 Vgl. zu diesen Großaufnahmen Witte 2002, 289. 215 Vgl. zur Mode im frühen Film Ganeva 2007. 309 Der Film inszeniert diesen Erfolg denn auch in doppelter Weise: Im Anschluss an die Stiefelschau zeigt er Sally in seinem großen Direktionszimmer sitzen und in einer Zeitung lesen. Eine Großaufnahme zeigt den im Stil einer Theaterrezension geschriebenen Artikel: „Durch die geschickte Reklame ist ein enormes Aufblühen seines Schuhpalastes zu erwarten.“ Hiermit wird das Begehren nach öffentlicher Anerkennung erfüllt. Nach einem Schnitt sieht man, wie Sally den Raum gemeinsam mit Melitta Hervé betritt. Er bietet ihr einen Sitzplatz neben seinem Schreibtisch an, zeigt ihr den Zeitungsartikel und küsst ihre Hand, um dann mit einer großen Geste zu beginnen, einen Scheck auszustellen. Plötzlich hält er inne, schlägt ihr auf den Oberarm und fragt: „Wozu teilen? Werden Sie meine Frau, dann bleibt’s in der Familie.“ Beide haben sich langsam erhoben, die Tänzerin lächelt, nickt leicht. Sally schließt sie in seine Arme und küsst sie. In logischer Konsequenz des harmonisierenden Erfolgs folgt der sozialen Anerkennung auch die Erfüllung des individuellen Begehrens. Das Streben nach Geld, Anerkennung und Liebe findet hier zu einer harmonischen Einheit. Auch wenn Lubitschs Figuren sicherlich nicht ohne Selbstironie betrachtet werden können, ist doch gerade im Vergleich auffällig, dass hier sozialer Aufstieg als persönliche Erfolgsgeschichte inszeniert wird. Der Parvenu erscheint nicht als fratzenhafte Maske, in der alle Ängste und Schrecken der Modernisierung gebannt und verlacht werden. Vielmehr zelebriert der Film, dass es gerade die tricksterhafte Gestalt ist, die unter den Bedingungen der modernisierten Gesellschaft erfolgreich agieren kann. Wo andere - wie etwa der Chef in der Verkaufsszene - rat- und tatenlos scheitern, gewinnt Sally, weil er spielerisch alternative Handlungsweisen ausprobiert und vor allem seinem Bauchgefühl (im Wortsinne) mehr vertraut als seinem Kopf oder seinem ‚sozialen Gewissen’. Lewis Hyde hat genau diese Strategien als typisch für den Trickster beschrieben: The trickster myth derives creative intelligence from appetite. It begins with a being whose main concern is getting fed and it ends with the same being grown mentally swift, adept at creating and unmasking deceit, proficient at hiding his tracks and at seeing through the devices used by others to hide theirs. 216 Die Bewältigung der modernisierten Lebenswelt durch den Trickster ist aber nicht frei von Ambivalenzen, denn der Trickster selbst bleibt doch letztlich aus dem gesellschaftlichen Gefüge ausgeschlossen. Lubitschs Film „Der Stolz der Firma“ (1914) setzt diese konstitutive Ambiguität des Tricksters 217 in ein eindrucksvolles Bild um: In einer Doppelbelichtung sieht man links den unassimilierten Siegfried Lachmann (eine Variation der Sally-Figur), während rechts der erfolgreiche Siegfried in Frack und Zylinder steht. Ersterer zeigt lachend mit dem Daumen auf sein alter ego. 218 216 Hyde 1999, 17. 217 Hyde schreibt hierzu: „Trickster is the mythic embodiment of ambiguity and ambivalence, doubleness and duplicity, contradiction and paradox.“; Hyde 1999, 7. 218 Vgl. hierzu auch Jelavich 1999, 234. 310 Der Film nutzt hier sein spezifisches Potenzial, um das Nacheinander der Fabel in ein Nebeneinander des Bildes zu übersetzen - der technische Trick lässt aber auch den Trickster sichtbar werden, der sich nicht in den konventionellen Kategorien einfangen lässt. Abb. 51: Der Trickster als sozialer Grenzgänger: Schlussbild aus „Stolz der Firma“ (1914). 311 Die kulturelle Ökonomie des Spektakels Die Anhänger der Sensation sind hartgesottene Geschäftsleute. Erich Schlaikjer 1 Im Jahr 1888 - knapp 20 Jahre nach dem durch die Gewährung der Gewerbefreiheit ausgelösten Theaterboom in Berlin - imaginierte ein Karikaturist des bekannten Berliner Journals „Kladderadatsch“ das künftige archäologische Erbe Berlins unter dem Titel „Berlin, bei einstiger Ausgrabung“: Unter einem von allerlei Kabeln durchkreuzten Himmel sieht man Häuser und Straßen, die mit Reklameschildern regelrecht zugepflastert sind: „Concordia Theater“, „Varieté Theater“, „American Theatre“, „Adolph-Ernst-Theater“ sowie „Spandauer Bock“, „Löwen Bräu“, „Hörner Bräu“ etc. Die Stadt als sozialer Raum - so die Vision des Zeichners 1888 - löst sich vollkommen in der Flut von Gastronomie- und Unterhaltungsbetrieben auf. Die neue Konsumkultur erobert den öffentlichen Raum. Diese Kritik erschöpft sich nicht im Topos des Kulturverfalls. In ihrer Gestaltung lässt sie die Spuren eines weitergehenden Prozesses erkennen: Komplementär zu dem, was Thorstein Veblen als conspicuous consumption beschrieben hat, wird 1 Schlaikjer 1913, 28. Abb. 52: Karikatur „Berlin bei einstiger Ausgrabung.“; „Kladderadatsch“ vom 16. September 1888. 312 hier eine (kulturelle) Ökonomie des Spektakels erkennbar, die nicht als bloßer Überbau der ökonomischen Wirklichkeit gegenübergestellt werden kann, sondern die in entscheidendem Maße lebensweltliche Realität schafft. Mit dem Begriff des Spektakels tritt das Theatralische in die soziale Interaktion des urbanen Raumes in der Epoche der Modernisierung ein. Gleichzeitig atmet er nicht die Aura des autonomen Kunstwerks, sondern deutet auf seine ökonomischen und populärkulturellen Wurzeln hin, wie ein Blick auf Etymologie und Begriffsgeschichte zeigt. Der im zeitgenössischen Sprachgebrauch oftmals als Kampfvokabel eingesetzte Begriff, der in jüngster Zeit eine bemerkenswerte Renaissance erfahren hat, ist im deutschen Sprachraum durch eine negative Konnotation geprägt. So schreibt Johann Christoph Adelung (1732-1806) in seinem Werk „Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“ ( 2 1793- 1801): Das Spectakel […] ein aus dem Lat. Spectaculum entlehntes, aber nur in den gemeinen Sprecharten übliches Wort, so wohl einen fürchterlichen, widrigen und seltsamen Anblick, als auch ein widerwärtiges Getöse, einen Lärm zu bezeichnen; […]. Im Oberdeutschen gebraucht man es auch für Schauspiel. 2 In der gegenwärtigen Diskussion ist der Begriff des Spektakels vornehmlich durch Guy Debord (1931-1994) bestimmt, der ihn in „La Société du Spectacle“ (1967) zum Ausgangspunkt seiner marxistischen Gesellschaftsanalyse gemacht hat. 3 Für ihn ist das Spektakel gleichermaßen Produkt wie Ausdruck der Allgegenwart von Ware und Konsum: Das Spektakel ist der Moment, worin die Ware zur völligen Besetzung des gesellschaftlichen Lebens gelangt ist. Das Verhältnis zur Ware ist nicht nur sichtbar geworden, man sieht sogar nichts anderes mehr: die Welt, die man sieht, ist seine Welt. 4 Dieser Verblendungszusammenhang erwächst in Debords Analyse aus der Ubiquität der Ware, die letztlich jede Idee von Welt oder Wirklichkeit aufgelöst hat. 5 Deutlich wird diese Erosion an der Ablösung des Nutzwertes, der noch als letzter ‚Anker’ die Ware an die Bedürfnisse und die ‚Wirklichkeit’ des Individuums, oder wohl besser des Konsumenten, band, durch die Inszenierung der Ware. Hier tritt das Spektakel als zentraler Motor der kapitalistischen Weltkonstruktion in Erscheinung: 2 Adelung 1803, 176; vgl. auch Campe 1813, 564. Das Grimm’sche Wörterbuch führt die vermeintlich noch neutrale Erfassung durch Adelung bereits als Relikt eines älteren Sprachgebrauchs, der sich dann vollends ins Negative verkehrt habe. Vgl. Grimm/ Grimm 1905, 2131-2134. Tadeusz Kowzan hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Begriff des Spektakels bereits in der Aristoteles-Rezeption problematisch wurde; vgl. Kowzan 1991. 3 Vgl. einführend zu Debord Wiegmink 2005. 4 Debord 1996, 35. 5 Vgl. Debord 1996, 38. 313 Das Spektakel ist ein ständiger Opiumkrieg, um die Identifizierung der Güter mit den Waren und auch die der Zufriedenheit mit dem sich nach seinen eigenen Gesetzen vermehrenden Überleben aufzuzwingen. 6 Das Spektakel ist aber nicht nur eine instrumentelle List zur (Selbst-) Erhaltung der kapitalistischen Weltkonstruktion; es ist der ins symbolische gesteigerte Ausdruck dieser Verhältnisse, wie Debord schon fast aphorismenhaft schreibt: „Das Spektakel ist das Kapital in einem solchen Grad der Akkumulation, daß es selbst zum Bild wird.“ 7 Und er führt an anderer Stelle aus: Das Spektakel ist die andere Seite des Geldes: das abstrakte, allgemeine Äquivalent der Waren. Wenn aber das Geld als Vertretung der zentralen Äquivalenz […] die Gesellschaft beherrscht hat, ist das Spektakel seine moderne, entwickelte Ergänzung, in der die Totalität der Warenwelt als allgemeine Äquivalenz mit all dem, was die Gesamtheit der Gesellschaft sein und tun kann, im ganzen erscheint. Das Spektakel ist das Geld, das man nur anblickt, denn in ihm hat sich schon das Ganze des Gebrauchs gegen das Ganze der abstrakten Vorstellung ausgetauscht. Das Spektakel ist nicht nur der Diener des Pseudogebrauchs, es ist bereits in sich selbst der Pseudogebrauch des Lebens. 8 Das Zitat unterstreicht den umfassenden Charakter des Debord’schen Spektakelbegriffs: Das als leblos verstandene Spektakel 9 steht einem emphatischen Lebensbegriff gegenüber, der als Kontrapunkt seiner Gesellschaftsanalyse dient. Innerhalb dieses Denksystems ist die kategoriale Gegenüberstellung unverzichtbar, weil nur durch sie die dialektische Figur eines utopischen Befreiungspotenzials von Kunst - wie gebrochen auch immer - noch aufrechterhalten werden kann. Martin Puchner hat in seiner Auseinandersetzung mit Debord darauf verwiesen, dass diese Analyse aus dem Geist einer radikal-kritischen Lektüre der Historischen Avantgarde stammt. Anders aber als die meisten Vertreter der Avantgarde bietet für Debord die Kunst kein emanzipatorisches Potenzial mehr, das es erlaubte, der Totalität des Spektakels zu entfliehen. 10 Der von Debord (mit-) begründete Situationismus projektierte stattdessen ein dialektisches détournement, d.h. die Schaffung eines Moments, der es erlaubt, den Verblendungszusammenhang offenzulegen. 11 Aus einer historischen Perspektive erzeugt diese kategoriale Gegenüberstellung von Spektakel vs. Leben ein Unbehagen, weil sie auf einem essentialistischen Lebensbegriff basiert und Debord darauf verzichtet, seine Analyse in irgendeiner Form historisch zu verorten. 12 Um den Begriff des Spektakels für eine historiographische Perspektive nutzbar machen zu 6 Debord 1996, 36. 7 Debord 1996, 27. 8 Debord 1996, 39. 9 Debord schreibt: „Das Spektakel überhaupt ist, als konkrete Verkehrung des Lebens, die eigenständige Bewegung des Unlebendigen.“; Debord 1996, 13. 10 Vgl. Puchner 2004, 6. 11 Vgl. hierzu ausführlicher Puchner 2004, 9. 12 Vgl. hierzu auch Crary 1989, bes. 98. 314 können, gilt es, diese historische Verortung vorzunehmen, um nicht allein den evokativen Obertönen ausgesetzt zu sein. Der Schriftsteller Alfons Paquet (1881-1944) hat sich in seiner 1908 veröffentlichten Dissertation „Das Ausstellungsproblem in der Volkswirtschaft“ ausführlich mit der ökonomischen Dimension des stetig wachsenden Ausstellungswesens beschäftigt. 13 Bereits in seiner begrifflich-methodischen Hinführung plädiert er für eine nachhaltige Erweiterung des traditionellen Wertbegriffs: Infolgedessen ist die Erscheinungsform der äußeren Sichtbarkeit- und Erkennbarkeitseigenschaften der Güter, sowohl bei der Erzeugung und Verteilung der Güter, wie später bei der Art ihrer Konsumtion, von solcher Wichtigkeit, daß diese in vielen Fällen auch unmittelbar bei der wirtschaftlichen Wertbildung als Komponente des Tauschwerts in Betracht kommt. Damit aber bilden die Funktionen der bloßen Sichtbarkeit und Erkennbarkeit der Dinge überhaupt, eine Wertkategorie für sich, die sich klar bestimmbar abheben läßt gegen die etwa außerdem vorhandene Eigenschaften der Güter, dem ideellen oder dem praktischen Handeln einseitig zu dienen. Wir bezeichnen jene Wertkategorie […] als den ‚Sehens- oder Schauwert’. 14 Der Schauwert ist für Paquet ein Merkmal der Waren, der sich im Gegensatz zum Material- oder Gebrauchswert allein aus der „bloßen Sichtbarkeit und Erkennbarkeit der Güter entgegengebrachten Wertschätzung, ohne Rücksicht auch auf die Herkunft dieser aus dem ökonomischen, dem ästhetischen oder ethischen Werturteile“ 15 ableiten lässt. Damit ist der Schauwert nicht mehr (in der Nachfolge ästhetischer Theoriebildung) im Guten oder Schönen begründet, sondern einzig im Faktum seiner Position im Feld kultureller Zirkulation. Als Motor dieser Wertsetzung führt Paquet denn auch „Schönheitsfreude, Schaulust oder Wißbegier der Menschen“ 16 an, ohne zwischen diesen näher zu unterschieden oder sie in eine - wie auch immer begründete - Hierarchie überführen zu wollen. Schauwert und Schaulust fungieren in diesen Überlegungen als komplementäre Kräfte sozialer Entwicklung. 17 Es ist dem nationalökonomischen Grundgedanken der Studie zuzurechnen, dass Paquet nicht in die im historischen Diskurs so weit verbreitete Abwehr gegen die Schaulust verfällt, sondern sie als Moment des kulturellen und sozialen Lebens konzeptionalisiert. 13 Für den Hinweis auf die Arbeit von Paquet danke ich Christopher Balme (München) sehr herzlich. 14 Paquet 1908, 4. 15 Paquet 1908, 5. 16 Paquet 1908, 7. 17 Zum Begriff der Schaulust, dessen Verbreitung sich eher seiner evokativen Kraft als seiner Wohldefiniertheit verdankt, vgl. Stadler 2005, der auch eine Genealogie der Schaulust (in Abgrenzung zum Voyeurismus) gibt. 315 Paquets Überlegungen korrespondieren mit der von Sombart geforderten „ökonomischen Theorie der Mode“ 18 , denn auch Sombart sucht am Phänomen der Mode die Folgen jenes Prozesses zu beschreiben, den er als „Urbanisirung des Consums“ 19 identifiziert hat. Das von beiden Autoren empfundene Ungenügen bestehender theoretischer Modelle, die mit ihrer Fokussierung auf Materialbzw. Tauschwert augenscheinlich nur unzureichend neue Wirtschafts- und Sozialformen beschreiben konnten, reflektiert die Herausforderung der durch Modernisierungsprozesse initiierten Dynamiken. Für Paquet kristallisiert sich diese Entwicklung im expandierenden Ausstellungswesen: Konsequent seiner methodischen Perspektive folgend bestimmt er dieses als Teil der ökonomischen Gesamtstruktur; so wie der Schauwert ein Element des Wertgefüges von Waren ist, so sind auch die Ausstellungen und die von ihnen erzeugten Kosten ein notwendiger Teil der Gesamtkalkulation. Er entfaltet ein ökonomisches Spektrum, das sich entlang des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der Ausstellung bildet. Die den vielseitigen Ausstellungsvorgängen in jedem Einzelfalle zugrunde liegende Verwertung von Sichtbarkeitseigenschaften realer Güter kann unter zwei Gesichtspunkten erfolgen: dem der P r o d u k ti v i t ä t und dem der R e n t a b i li t ä t . Der Ausstellungsakt ist Produktionsmittel und richtet sich daher nach dem Gesetze der Produktivität, wo er […] dazu beiträgt […] neue Werte zu erzeugen. Der Ausstellungsakt ist dagegen Produktionszweck und daher, sofern seine Entstehungsweise Kapital und Arbeit erfordert, nach dem Kriterium der Rentabilität zu beurteilen, wo bei seiner Veranstaltung nicht der die technische oder wirtschaftliche Produktion unmittelbar fördernde Zweck, sondern die Befriedigung der psychologischen Konsumtionsbedürfnisse der Gesellschaft - z.B. der bloßen, mit Neugier, Lernbegier in Verbindung stehenden Schaulust, - an erster Stelle steht, um die für das Zustandekommen eines derartigen Ausstellungsvorganges gemachten Anlagen bei gleichzeitigem Streben nach möglichst einzigartiger und zum Eintausch der von ihm ausgehenden Genüsse verlockender Gestaltung, möglichst hoch zu verzinsen. 20 Paquet formuliert hier eine ökonomische Relation, die sich von dem traditionellen Konzept von Gebrauchts- und Tauschwert weitgehend löst. Der von ihm bereits auf den ersten Seiten seiner Studie entwickelte Begriff der „psychischen Konsumtion“ 21 zeugt von einer Perspektive, die in ihren Begrifflichkeiten weit über rein wirtschaftliche Fragestellungen hinausreicht. Gernot Böhme hat jüngst - allerdings ohne eigens auf Paquet einzugehen - die hier beschriebene Konstellation als ästhetische Ökonomie bezeichnet. Auch er nimmt seinen Ausgangspunkt in der Feststellung, dass neben den beiden ‚klassischen’ Wertkategorien eine neue Kategorie entstanden ist, die er als Inszenierungswert bezeichnet. 22 Böhme beschreibt seine Zielrichtung folgendermaßen: 18 Sombart 1902, 11. 19 Sombart 1902, 6. 20 Paquet 1908, 28. 21 Vgl. Paquet 1908, 3. 22 Vgl. hierzu Böhme 2001, 69-71. 316 Die ästhetische Ökonomie geht von dem ubiquitären Phänomen einer Ästhetisierung des Realen aus und nimmt die Tatsache ernst, daß diese Ästhetisierung einen bedeutenden Faktor in der Ökonomie fortgeschrittener kapitalistischer Volkswirtschaften darstellt. 23 Böhme versteht die ästhetische Ökonomie nicht als eine Grundkonstellation, sondern versieht sie mit einem historischen Index in dem Sinne, dass sie nur in „einem gewissen Entwicklungsstadium, in dem nämlich alle Bedürfnisse einer Gesellschaft im wesentlichen befriedigt sind“ 24 , auftreten kann. Somit erweist sich sein Begriff eher als eine Gegenwartsanalyse denn als ein historisch zu bildendes Argument. Allerdings verweist Böhme darauf, dass es innerhalb der ökonomischkritischen Theorie eine genealogische Linie gebe, die von Veblen, Sombart zu Bataille reiche, welche Konsum eben nicht (wie traditionell) über Knappheit, sondern durch den Überfluss der Güter definiere. 25 Er entwickelt diese Linie aber nicht im Sinne einer historischen Fundierung seines Arguments weiter. Doch Paquets Studie, die selbst vor dem Hintergrund eines breiten Dialogs über das Ausstellungswesen sich positioniert, zeigt, dass das Bewusstsein von der Bedeutung des Schauwerts bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, d.h. zum Zeitpunkt klassisch industrieller Produktion, ausgebildet war. Liest man Böhmes Überlegungen im Lichte dieser historischen Konstellation, so lässt sich seine Schlussfolgerung in dem Sinne zuspitzen, dass der Schauwert immer dann gesellschaftlich-kulturell von Bedeutung wird, wenn zumindest für einzelne Schichten die elementaren Bedürfnisse gestillt sind. Der Schauwert ist also - analog zu Veblens Begriff der conspicuous consumption - ein zentrales Instrument der Distinktionspolitik. Die in diesem Kapitel projektierte Ökonomie des Spektakels wird folglich genau an jener historischen Verbindungsstelle anzusetzen haben, an der Schaulust, Schauwert und soziale Inszenierung ineinandergreifen. In den Blick gerät damit auch die Frage des Luxus, des exzessiven Gütergebrauchs. Sombart hat diesen programmatisch als libidinöses Moment beschrieben. 26 In dieser Bestimmung, die besonders das die Notwendigkeit überschreitende Moment des Luxus betont, 27 findet die alltagssprachliche Rede von der Schaulust ihre Entsprechung. Veblen verweist darüber hinaus darauf, dass Konsum, um zur sozialen Identifikationsstiftung beitragen zu können, ebendieses Moment des Verschwenderischen oder Überflüssigen - er spricht von „waste“ - haben muss: Throughout the entire evolution of conspicuous expenditure, whether of good or of services or human life, runs the obvious implication that in order to effectually 23 Böhme 2001, 69f. 24 Böhme 2001, 71; vgl. auch Böhme 2001, 80f. 25 Vgl. hierzu Böhme 2001, 71 sowie ausführlicher Böhme 2006, 59f. 26 Vgl. Sombart 1992, 86. 27 So schreibt Sombart: „Luxus ist jeder Aufwand, der über das Notwendige hinausgeht.“; Sombart 1992, 85. 317 mend the consumer’s good fame it must be an expenditure if superfluities. In order to be reputable it must be wasteful. 28 Ähnlich wie Paquet mit Blick auf den Schauwert stellt auch Veblen fest, dass diese spezifische Eigenschaft des Verschwenderischen nicht dem Objekt selbst eignet, sondern ihm im Moment der Zirkulation zugeschrieben wird. 29 Bereits aus diesen Überlegungen lassen sich einige Grundzüge der Ökonomie des Spektakels erkennen: Offensichtlich handelte es sich am Ende des 19. Jahrhunderts um ein Ereignis, das zentral auf die Schaulust seines Publikums abstellte - jenseits aller weiterführenden Überlegungen. In seiner Struktur wird dies erkennbar an einer Kosten-Nutzen-Rechnung, die den Schauwert als zentrales Movens über alle anderen Erwägungen stellt. In diesem Sinne - allerdings aller Totalitätsansprüche entkleidet - führt ein Weg zurück zu Debords Spektakel-Begriff, denn unter dem Signum des Schauwerts ist das Spektakel tatsächlich jener Moment, an dem das Kapital zum Bild gerinnt. Allerdings wäre diese These leer, wenn sie nicht ergänzt würde durch die Feststellung, dass das Spektakel eben nur komplementär zur Idee des soziale Identität stiftenden Konsums gedacht wird. Erst in diesem Zusammenspiel wird die kulturelle Tragweite des Spektakels erkennbar. So gesehen, stehen Spektakel und Konsum in enger Verbindung zur Herausbildung neuer Formen von Öffentlichkeit. 30 Diese kann aber nicht mehr idealistisch über den freien Diskurs oder Gedankenaustausch definiert werden, wie Habermas dies für die bürgerliche Öffentlichkeit beschreibt. 31 Die neue Form der Öffentlichkeit stellt sich vielmehr als ein Feld unterschiedlicher Kräfte und Interessen dar, die um Deutungshoheit und gesellschaftliche Vorrangstellung miteinander konkurrieren. Ausgelöst wird dieser Wettstreit durch die Modernisierung der Gesellschaft, ihre kapitalistische Verfasstheit und ihren pluralistischen Charakter, der überkommene Autoritätsansprüche hinterfragt. Spektakel und Konsum, verstanden als ein aktiver Akt kultureller und gesellschaftlicher Teilhabe, treten so in ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis. Paquets Konzept des Schauwerts sowie des Ausstellens als eigenständigem Moment wirtschaftlicher Wertschöpfung erlaubt es ihm, ein heuristisches Modell zu entwickeln, das vom Schaufenster über Museen bis hin zu den Weltausstellungen reicht. 32 Er begreift diese Formen nicht als kategorial geschiedene, sondern als verschiedene Stufen der Wertschöpfung durch Ausstellung. So entwirft Paquet eine Perspektive, die es ermöglicht, unter der Frage des Schauwerts nicht nur die Gewerbeausstellungen und -messen, 28 Veblen 2001, 72. 29 Vgl. Veblen 2001, 75. 30 Vgl. zum Panorama unterschiedlicher Konzepte von Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert Hohendahl 2000, bes. 75-91. 31 Vgl. hierzu S. 45f. dieser Arbeit. 32 Vgl. Paquet 1908, 30f. 318 sondern auch „Schaubuden, Zirkus, Panoptikum, Panorama, Theater“ 33 zu betrachten. 34 Dass sich mit dieser Perspektive eine weitreichende kulturelle Diagnose verbindet, unterstreicht Werner Sombart in seinem Aufsatz „Die Ausstellung“ (1908): Zunächst gehört die Ausstellung - auch ihrer Entstehung nach - in die große Kategorie der öffentlichen Schaustellungen, die für unsere Kultur […] so charakteristisch sind. Die Ausstellung gehört zur Familie der Konzerte, Theater und in engerem Sinne der Museen, die alle erst im letzten Jahrhundert entstanden oder doch sich erst während dieser Zeit dem demokratischen Omnibus-Prinzip entwickelt haben. 35 Sombarts Feststellung findet in der gegenwärtigen Forschungsdiskussion auf zweierlei Weisen ein vielstimmiges Echo: Zum einen korrespondiert die von ihm vertretene These von der „Ausstellungsbesuchsmanie“ 36 mit der Feststellung, dass die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Zeitalter der Ausstellungen gewesen sei; 37 zum anderen hat gerade in den letzten Jahren die These vom prägenden, ja konstitutiven Moment der Schaustellung in der kulturwissenschaftlichen Diskussion ein breites Echo erfahren. 38 Einen wichtigen Impuls für diese Auseinandersetzung bietet die Studie „The Birth of the Museum“ (1995) von Tony Bennett. Bennett entwirft hier ein Gegenbild zu Michel Foucaults These vom panoptischen Blick, indem er sich jenem Phänomen zuwendet, das er als Ausstellungskomplex (exhibitionary complex) begreift. Er fasst den Ausstellungskomplex zunächst einmal historisch als das Entstehen von Institutionen zur Schaustellung, die sich im Nachgang der Great Exhibition 1851 in London entwickelt haben. 39 Dieser institutionelle Zusammenhang habe die Entwicklung einer neuen Öffentlichkeit befördert, die sich in Form und Intention nach den Bedingungen der modernisierten kapitalistischen Gesellschaft richtete: The institutions comprising the ‚exhibitionary complex’ […] were involved in the transfer of objects and bodies from the enclosed and private domains in which they had previously been displayed (but to a restricted public) into progressively more open and public arenas where, through the representations to which they were subjected, they formed vehicles for inscribing and broadcasting the messages of power (but of a different type) throughout society. 40 Die ‚andere Art’ von Macht, die der Ausstellungskomplex vermittelt, ist nicht die des allmächtigen, kontrollierenden Auges, wie Foucault es für den 33 Paquet 1908, 31. 34 Erich Stüber hat in seiner 1921 veröffentlichten Dissertation „Der Faktor ‚Ausstellung’ in der Volkswirtschaft“ explizit gegen eine so weite Fokussierung Stellung genommen; vgl. Stüber 1921, o.S. 35 Sombart 1908, 249f. 36 Sombart 1908, 254. 37 Vgl. hierzu Hoffenberg 2001, xiii. 38 Vgl. für das 19. Jahrhundert beispielhaft Schwartz/ Przyblynski 2004. 39 Vgl. hierzu Kretschmer 1999, 14-56. 40 Bennett 1995, 60f. 319 panoptischen Blick beschreibt. Die Ausstellungen beförderten, so Bennett, vielmehr Selbstorganisation und -ordnung. The exhibitionary complex was also a response to the problem of order, but one which worked differently in seeking to transform that problem into one of culture - a question of winning hearts and minds as well as the disciplining and training of bodies. 41 So entfaltet sich in den Ausstellungen jene neue Öffentlichkeit, für die Konsum und Schaustellung konstitutive Motoren ihrer Entwicklung sind. Freilich handelt es sich nicht um ein freies Spiel der Kräfte, denn auch der Ausstellungskomplex beinhaltet Kontroll- und Überwachungsstrukturen, deren Wirkung aber eher auf eine Verinnerlichung beruhen denn auf äußerlicher Repression. To see and be seen, to survey yet always be under surveillance, the object of an unknown but controlling look: in these ways, as micro-worlds rendered constantly visible to themselves, expositions realized some of the ideals of panopticism on transforming the crowd into a constantly surveyed, self-watching, selfregulating, and, as the historical record suggests, consistently orderly public - a society watching over itself. 42 Im Wechselspiel von Sehen und Gesehenwerden, im kulturellen Spektakel, bei dem die Rollen von Zuschauer und Akteur restlos durchlässig sind, entfaltet sich eine neue Form gesellschaftlichen Umgangs, für die Schaustellung und Konsum zentrale Elemente ihrer sozialen Verankerung sind. 43 Das vielleicht sichtbarste Zeichen dieser Konstellation waren die Weltausstellungen, die ab 1851 in unregelmäßiger Folge veranstaltet wurden. 44 Thomas Richards beschreibt die Weltausstellungen als Inbegriff der kapitalistischen Waren- und Konsumwelt, wenn er - mit Bezug auf Debord - feststellt: Descended from the spectacular masques and allegorical processions that celebrated political and economic triumph in the eighteenth century, the spectacle of the Exhibition elevated the commodity above the mundane act of exchange and created a coherent representational universe for commodities. […] The spectacle exalted the ordinary by means of the extraordinary, the small by means of the large, the real by means of the unreal: […]. In a very real sense the Exhibition fashioned a phenomenology and a psychology for a new kind of being, the consumer, and new strain of ideology, consumerism. 45 So dokumentierten die Weltausstellungen nicht nur den technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt bzw. die industrielle Leistungskraft der aus- 41 Bennett 1995, 62. 42 Bennett 1995, 69. 43 Es ist keineswegs zufällig, dass diese Bestimmung Bennetts an Mirzoeffs Definition des visuellen Subjekts erinnert - vielmehr korrespondieren die beiden Konzepte in der Beschreibung der visuellen Kultur des ausgehenden 19. Jahrhunderts. 44 Erst 1928 bzw. 1931 kam es zu einer Koordinierung der Planungen dieser großen Messen, bis dahin befanden sich die veranstaltenden Länder in freier Konkurrenz zu einander; vgl. Haltern 1973, 1. 45 Richards 1990, 4f. 320 stellenden Länder, sondern erlaubten eine sinnliche Erfahrung der modernisierten (Lebens-) Welt. Utz Haltern hat bereits 1973 darauf verwiesen, dass die Weltausstellungen sowohl zur Vernetzung von Produktions- und Distributionszweigen beitrugen als auch auf die Entwicklung und Herausbildung der internationalen Arbeiterbewegung entscheidenden Einfluss hatten. 46 Auch die Gründung der Nachrichtenagentur Reuters steht in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Great Exhibition 1851 in London, so wie die Unternehmensgründung von Thomas Cook anlässlich der Pariser Weltausstellung 1855 einen entscheidenden Impuls für das Entstehen des modernen Tourismus gab. 47 Die Weltausstellungen waren Orte und Katalysatoren zur Herausbildung eines neuen Lebensgefühls, das sich in entscheidender Weise aus den Modernisierungserfahrungen speiste. Timothy Mitchell hat auf den unterschwelligen Machtanspruch der Weltausstellungen hingewiesen, der sich vor dem Hintergrund eines kolonial-hegemonial geprägten Weltbilds entfaltete: The exhibition persuades people that the world is divided into two fundamental realms - the representation and the original, the exhibit and the external reality, the text and the world. Everything is organized as if this were the case. But reality, it turns out, means that which can be represented, that which presents itself as an exhibit before an observer. The so-called real world outside is something experienced and grasped only as a series of further representations, an extended exhibition. 48 In Deutschland wurde der Diskurs um die Weltausstellungen unter etwas anderen Vorzeichen geführt, was zum einen darin begründet war, dass Deutschland im europäischen Vergleich kaum als Kolonialmacht gelten kann, zum anderen, dass sich in Deutschland starke Kräfte gegen die mit den Weltausstellungen verbundenen Internationalisierungsbestrebungen artikulierten. Vor diesem Hintergrund ist es bezeichnend, dass Deutschland sich nicht zur Veranstaltung einer eigenen Weltausstellung entschließen konnte. Trotz verschiedener Anläufe kamen die Planungen nie über eine Vorstufe hinaus. So wurde die deutsche Weltausstellung, für die kein anderer Ort als Berlin denkbar war, zu einem publizistischen Phantom, dessen diskursive Verhandlung in signifikanter Weise die Topoi des Modernisierungsdiskurses spiegeln. Bereits 1879 diskutierte K. Lüders in einem Beitrag für die „Preußischen Jahrbücher“ die Frage einer Weltausstellung in Berlin. Lüders verhielt sich allerdings so ablehnend-zögerlich, dass ihm 1880 Albert Brockhoff mit seiner Broschüre „Eine Weltausstellung in Berlin“ antwortete. Hatte Lüders mit den hohen Kosten, die nicht durch die Einnahmen zu decken seien, der Rückständigkeit der deutschen Industrie gegenüber der 46 Vgl. Haltern 1973, 28-31. 47 Vgl. Haltern 1973, 16. 48 Mitchell 1989, 233. Jonathan Crary hat aus diesen Überlegungen auf die weitreichenden epistemologischen Bedeutungen des Ausstellungswesens und des öffentlichen Zur-Schau-Stellens im ausgehenden 19. Jahrhundert hingewiesen; vgl. Crary 2000, 231- 238. 321 englischen und französischen sowie der vergleichsweise geringeren Attraktivität Berlins argumentiert, so zog Brockhoff aus diesen Überlegungen die gegenteiligen Schlüsse, indem er die nationale Konkurrenz ausdrücklich als Chance beschrieb: Andere […] sagen, unsere Gewerbetreibenden müßten jetzt lange Ruhe haben, um den nationalen Styl auszubilden; ihnen rathe ich, nicht blos die Produzenten, sondern auch die Consumenten zu isoliren; beides geht schwer an. Das jetzt so rege nationale Bewußtsein der Deutschen hat die ererbten Muster, soweit sie mit unserer heutigen Lebensart, Bildung und Anschauung vereinbar, mit Liebe ergriffen und wird sie zäh festhalten. Was aber die Konkurrenz auf einer Weltausstellung nicht überdauern kann, das ist auch nicht zu retten, wenn es ihr fern bleibt. 49 Paradigmatisch stehen sich hier (mit Lüders) eine nationale bzw. nationalstaatlich denkende Position, die tendenziell gegen Modernisierung und Innovation sich wendet, und (mit Brockhoff) eine liberale, metropolitane Sichtweise gegenüber. Es ist nur folgerichtig, wenn Brockhoff sich von einer Weltausstellung gerade für Berlin entscheidende Impulse erhofft: Berlin, die jüngste der Reichshauptstädte, muß internationalen Cercle halten. Der Einheitsgedanke wird dadurch in Deutschland neue Stärkung empfangen. Berlin wird alte Vorurtheile, die gegen das ehemalige wendische Fischerdorf bestehen, zerstreuen, es wird selbst die Reste seiner kleinbürgerlichen Vergangenheit abschütteln und sich als Weltstadt fühlen lernen. 50 Diese Schlussfolgerung entspricht dem, was Heinz Reif als transmetropolitanen Diskurs 51 identifiziert: Erst in der wechselseitigen Bespiegelung formiert sich das Repertoire kultureller Praktiken und Institutionen, die den über nationale Grenzen hinausweisenden metropolitanen Lebensraum bilden. Zu Beginn der 1890er Jahre kam es - nun unter dem durchaus repräsentationsfreudigen Kaiser Wilhelm II. - zu einem erneuten Anlauf für eine Berliner Weltausstellung, der allerdings bereits im August 1892 durch die Mitteilung des Reichskanzlers Leo von Caprivi (1831-1899), der Kaiser habe von dem Plan Abstand genommen, weil die Erfolgsaussichten zu unsicher seien, Makulatur wurde. 52 Im Kontext dieser Bestrebungen veröffentliche Hans Delbrück (1848- 1929) zwei leidenschaftliche Plädoyers in den „Preußischen Jahrbüchern“. Im Vergleich zu den früheren Aufsätzen fällt auf, wie wenig sich die Argumente geändert haben: Auch Delbrück konzediert die Rückständigkeit der „Treibhauscultur der Jungstadt Berlin“ 53 gegenüber London oder Paris und räumt ein, dass „[u]nsere Industrie […] in mancher Beziehung hinter der 49 Brockhoff 1880, 17. 50 Brockhoff 1880, 19. 51 Reif schreibt: „Große Städte gelten auch deshalb als Metropolen, weil sie in auffälliger Weise zu transmetropolitanen Diskursen neigen […], die nicht zuletzt der gegenseitigen Anerkennung, der Bestätigung von Zugehörigkeit zum Kreis der Metropolen dienen.“; Reif 2006, 4. 52 Vgl. Thiel 1986, 16 sowie König 2007, 147-155. 53 Delbrück 1892a, 229. 322 französischen, englischen, amerikanischen zurück[steht].“ 54 Ungeachtet dieser vermeintlichen Gefahr einer Blamage erhofft er sich von einer deutschen Weltausstellung entscheidende innovative Impulse: Denn eine Weltausstellung wirkt bildend auf die ganze Bevölkerung, bereichert ihre Anschauungen, erzieht ihren Geschmack, lehrt sie die Leistungen der einzelnen Länder miteinander zu vergleichen. 55 In der internationalen Begegnung sieht Delbrück das friedensstiftende Potenzial einer Weltausstellung. Mit Blick auf Frankreich, das er immer noch als virulente militärische Bedrohung begreift, schreibt er: „Sie [die Ausstellungen] werden die Geister der Menschen erfassen und beschäftigen und damit von den Kriegsgedanken, wenigstens um einige Linien weiter ablenken.“ 56 In dieser Argumentation schwingen jene rhetorischen Figuren mit, die den Weltausstellungen die Aura eines völkerverbindenden Friedensfestes im Zeichen technologischen Fortschritts verleihen sollten und die sich in Metaphern wie „Turm von Babel“ oder „Neues Jerusalem“ besonders deutlich niederschlagen. 57 Delbrücks Argumentation sticht dennoch aus dem Diskurs heraus, weil er explizit den Aspekt der Schaustellung betont, wenn er die Bedeutung der Weltausstellungen damit begründet, dass sie die revolutionären Neuerungen in Technik, Industrie und Handel „zum Ausdruck und zur unmittelbaren Kenntniß“ und zwar durch „Selbstsehen“ statt durch „vermitteltes Sehen“ brächten. 58 Zwar bestreitet er nicht die Gefahr des bloßen „Spektakels“ 59 bzw. der „Schaulust“ 60 , aber allein der pädagogische Erfolg bei denen, die sich zu neuen Ideen und Entwicklungen anregen ließen, sei der Mühe wert. 61 1896 kam es zu einer ‚kleinen’ Lösung, denn die Berliner Gewerbeausstellung, die im Treptower Park veranstaltet wurde, erreichte fast die Dimensionen einer Weltausstellung, wenn man an die Ausstellungsfläche von 900.000 m 2 denkt. 62 Die extensive Selbstdarstellung zielte auf die großen Themen der kaiserlichen Politik, die Marine und die Kolonialbewegung, ohne dass dies durch internationale Beteiligung konterkariert oder relativiert wurde. 63 Vor dem Hintergrund des oben skizzierten Diskurses und den mit der Weltausstellung verbundenen Hoffnungen internationaler Öffnung 54 Delbrück 1892a, 233. 55 Delbrück 1892b, 353. 56 Delbrück 1892a, 235. 57 Vgl. Haltern 1973, 38. 58 Vgl. Delbrück 1892b, 352. 59 Delbrück 1892a, 230. 60 Delbrück 1892b, 353. 61 Vgl. ausführlich Delbrück 1892b, 352f. 62 Vgl. zu den Zahlen ausführlich Thiel 1986, 20. 63 Wie bei großen Ausstellungen üblich wurde die industrielle Leistungsschau durch eine Reihe von Vergnügungseinrichtungen ergänzt. Die besondere Attraktion der Berliner Gewerbeausstellung war eine Nachbildung von „Alt-Berlin“. Auch hieran wird der rückwärtsgewandte Charakter dieser Schau deutlich; vgl. Zelljadt 2005. 323 erscheinen die nationalistischen Züge der Gewerbeausstellung noch deutlicher. Das Ausstellungswesen bildet aber nur die institutionelle Dimension der Ökonomie des Spektakels, deren Grundzüge sich erst unter Berücksichtigung weiterer paralleler Entwicklungen entdecken. So hat die kulturwissenschaftliche Forschung in den letzten Jahren besonders die „Sehsucht“ 64 und den „Bildhunger“ 65 des 19. Jahrhunderts hervorgehoben: Die Medienkultur des 19. Jahrhunderts war, als direkte Gegenbewegung zur Abstraktifikation der literalen Kultur des 18. Jahrhunderts, charakterisiert durch eine umfassende Bildlichkeit. 66 Nic Leonhardt, die mit Blick auf die Theaterkultur ein umfassendes Inventar der neuen Bildmedien erstellt, 67 konstatiert grundsätzlich: Der Sehsinn nimmt im 19. Jahrhundert eine vorherrschende Stellung ein. […] Die skizzierten visuellen Massenmedien reagieren reflexartig auf die veränderte Wahrnehmung und das differenzierte Unterhaltungsbedürfnis eines großstädtischen Massenpublikums, wie umgekehrt neue Medien der Zeit ein neues Sehverhalten evozieren, das auf Beschleunigung und Zerstreuung setzt. 68 Bruce McConachie hat in dem von Phililipp Zarilli (et al.) herausgegebenen Lehrbuch „Theatre Histories“ (2006) die Entwicklung der Fotografie sogar zum zentralen Parameter seiner historiographischen Analyse des Zeitraums von 1850 bis 1970 gemacht. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Annahme, dass die Fotografie innerhalb kürzester Zeit auf andere kulturelle Bereiche sowie besonders auf die Visualität des Theaters gewirkt habe. 69 Dieser massive Einfluss der Fotografie liegt, so Jonathan Crary, in dem Umstand begründet, dass dieses neue Medium sich besonders eng an die ökonomischen Verhältnisse der Konsumgesellschaft anlehnte: Within this new field of serially produced objects, the most significant, in terms of their social and cultural impact, were photography and a host of related techniques for the industrialization of image making. […] Photography is an element of a new and homogeneous terrain of consumption and circulation in which an oberserver becomes lodged. To understand the ‚photography effect’ in the nineteenth century, one must see it as a crucial component of a new cultural economy of value and exchange, not as a part of a continuous history of visual representation. Photography and money become homologous forms of social power in the nineteenth century. 70 64 Vgl. hierzu Plessen 1993 im Katalog zur gleichnamigen Ausstellung. 65 Vgl. Faulstich 2004, 257. 66 Faulstich 2004, 258. 67 Vgl. hierzu Leonhardt 2007, 67-116. 68 Leonhardt 2007, 115. 69 Vgl. hierzu Zarilli [et al.] 2006, 281-292. 70 Crary 1992, 13. 324 Durch die Fotografie wird die Herstellung und Distribution von Bildern an den Waren- und Geldkreislauf angeschlossen. So wurde sowohl der Bildhunger als auch das kollektive Imaginäre ausgestattet. Shelley Streeby hat in diesem Zusammenhang für die USA von einer „culture of sensation“ gesprochen, die einen zentralen Beitrag zur Nationenbildung in den USA geleistet hätte. 71 Diese Kultur der Sensation, die sich im Spektakel manifestiert, ist unmittelbar an die Modernisierung der Lebenswelt und die Herstellung sozialer Zusammenhänge gebunden. 72 Fragt man nach den konkreten Erscheinungsformen des Spektakels, so trifft man auf ein Feld, das sich zwischen darstellender und bildender Kunst, Literatur und Körperkultur entspannt. Ihm sind sowohl unterschiedliche visuelle Medien, wie Panorama und Diorama, zuzurechnen, wie auch Fotografie und Film und die Bühne in ihren mannigfaltigen Formen. Diese Gemengelage hat sich erst im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in unterschiedliche, klar von einander zu trennende Medienfelder ausdifferenziert. Um neben der soziokulturellen Dimension des Spektakels auch die semiotische und mediale Dimension zu verstehen, ist es hilfreich, sich die Grundzüge dieser Diskussion zu vergegenwärtigen. Von großer Bedeutung ist hierfür A. Nicholas Vardac, der in seiner beachtenswerten Studie „Stage to Screen“ (1949) das Spektakel als eine eigenständige Bühnengattung bestimmt und gegen das Melodrama abgrenzt: Between the spectacle and the melodrama there is a considerable overlapping. However, while the melodrama usually depended upon stock productional techniques and thus showed itself in disagreement with certain tastes of the period, spectacle plays attempted a more realistic, three-dimensional mise en scène, and in this way revealed the growing taste for spectacular realism which the melodrama alone could not altogether satisfy. 73 Vardacs Argumentation zielt auf eine evolutionäre Dynamik, die vom fantastischen Pantomimenspektakel 74 zum Film führt: Apparently, the pantomime-spectacle, because of the limitations of stage equipment more a metropolitan than a provincial form, had begun to cry out for a more fluid and spectacular pictorial medium than that of the stage. 75 In dieser Logik erscheint der Film als die bessere technische Lösung, ansonsten aber nur als die ‚Fortführung der Bühne mit anderen Mitteln’: Not only was the film able to include a larger number of effects, but these effects were more fantastic. At the same time the motion-picture theatre, with a simple screen opposing a projection machine at the end of a hall, was able to replace the elaborate metropolitan stage machine and thereby vastly enlarge its potential 71 Vgl. Streeby 2002, 28. Streeby betont allerdings, dass an dieser „culture of sensation“ auch die populäre Literatur einen entscheidenden Anteil hatte. 72 Vgl. hierzu sowohl Fritzsche 1998 als auch Schwartz 1998, die auf die Bedeutung solch sensationeller Momente für die Konstitution der Großstädte hinweisen. 73 Vardac 1949, 68. 74 Vgl. hierzu Vardac 1949, 152. 75 Vardac 1949, 156. 325 audience. Production costs were decreased while box-office receipts were increased. The motion-picture was, from the start, the more practical and economical medium for the pantomime-spectacle. 76 Die evolutionäre Zwangsläufigkeit in Vardacs Argumentation ist verschiedentlich kritisiert worden, 77 am ausführlichsten von Ben Brewster und Lea Jacobs in „Theatre to Cinema“ (1997). Brewster/ Jacobs betonen zwar auch die Verwandtschaft von Bühne und Film, die sie beide als „optical machine“ 78 verstehen, beharren aber auf der jeweils eigenständigen ästhetischen und visuellen Grundkonstitution. Die komplexen Szenenwechsel, die Vardac als technische Probleme beschreibt, die letztlich auf das neue Medium Film vorauswiesen, seien gerade bei den Féerien und Pantomimen ein wichtiger Bestandteil der besonderen Wirkung gewesen. Die Nähe sei kein Beleg der Übergängigkeit, sondern in einem dialektischen Sinne Ausweis der wechselseitigen Unabhängigkeit. Nineteenth century staging is thus characterized by a stage picture of a relatively fixed and large size, with often great perspective-rendered depth. These perspective effects enforced a planar organization of the space, with little movement in depth and action distributed across the stage; the demand for visibility of the action to a widely distributed audience, and for a large proportion of the audience to see a relatively similar pictorial composition, drove the principal action to the front of the stage, as did problems of audibility. Despite the gradual suppression of the open-stage scene change during the nineteenth century, transformation effects remained a crucial element of pictoral staging in both comic and serious genres, and both popular and respectable theatre, but these transformations were tied to situational high points rather than simple change of place. 79 Folgt man dieser Lesart, so lässt sich das Verhältnis von Film und Bühne klarer formulieren und es wird eine dramaturgische Struktur des Spektakels erkennbar, deren Hauptmerkmale nicht mehr die narrative Verklammerung der Charaktere ist, sondern das spektakuläre Moment - selbst unter Inkaufnahme der Lockerung oder Auflösung der narrativen Kohärenz. In diesem Sinne beschreibt Ralf Erik Remshardt die Sensationsszene: Die Sensationsszene lebte von ihrem autonomen Schauwert, sie war austauschbar, und ersetzte daher in der dramatischen Struktur Kausalität durch Ikonizität. So lenkte sie, wie auch der frühe Film, die Aufmerksamkeit auf die Möglichkeiten und Bedingungen der Repräsentation, der Wirklichkeitsillusion selbst. 80 Tom Gunning hat mit seinem Aufsatz „The Cinema of Attractions“ (1990) diesen Aufbau ausführlich für das frühe Kino nachgewiesen und damit das Verständnis für den frühen Stummfilm revolutioniert. Gunning weist eine eigenständige Logik der Inszenierung nach, die sich nur über den Präsentationsmodus erschließt: 76 Vardac 1949, 159. 77 Vgl. hierzu beispielhaft Schmidt 1996, 263. 78 Brewster/ Jacobs 1997, 143. 79 Brewster/ Jacobs 1997, 159f. 80 Remshardt 1998, 82. 326 To summarize, the cinema of attractions directly relicits spectator attention, inciting visual curiosity, and supplying pleasure through an exciting spectacle - a unique event […] that is of interest in itself. 81 In seinem späteren Aufsatz „An Aesthetic of Astonishment“ (1995) vertieft Gunning diese These noch. In einer dekonstruierenden Lektüre jener Gründungslegende des Films, nach der sich die ersten Zuschauer aus Angst vor dem im Film herannahenden Zug schreiend unter die Tische geworfen hätten, 82 zeigt Gunning, dass die Zuschauer der ersten Filme keineswegs naiv die Bilder für Wirklichkeit gehalten hätten, sondern vielmehr durch die vielfältigen Theaterformen auf derlei Inszenierungen vorbereitet gewesen seien. 83 This coup de théâtre, the sudden transformation from still image to moving illusion, startled audiences and displayed the novelty and fascination of the cinématographe. […] The audience’s sense of shock comes less from a naive belief that they are threatened by an actual locomotive than from an unbelievable visual transformation occurring before their eyes, parallel to the greatest wonders of the magic theatre. 84 Die Sehgewohnheiten des Publikums, die sie auf die Sensation der bewegten Bilder vorbereiteten, entstammten der Theaterkultur ebenso wie der Lebenswelt der modernisierten Großstadt. So schließt sich im Spektakel der Kreis zwischen visueller Kultur und sozio-kulturellen Veränderungen. Begreift man das Spektakel in seiner doppelten Bedeutung als cultural performance, die soziale Identität im Kontext der sich ausdifferenzierenden Konsumkultur stiften hilft, und als Produkt einer lebendigen und sich beständig verändernden Medienlandschaft, so wird es als zentrales Feld kultureller Verhandlungen erkennbar. Eine historiographische Annäherung ist aber nur in einem dialektischen Sinne möglich, die sich der Nähe zu unserer komplex medialisierten Lebenswelt bewusst ist, gleichzeitig aber versucht, die historische Distanz zu reflektieren. In diesem Sinne kann die visuelle und ästhetische ‚Fremdheit’, die den Betrachter des 21. Jahrhunderts bei frühen Filmen befällt, ein wichtiges Vademecum sein, die Dimensionen des Spektakels zu verstehen: Es ist weder aus dem Theater des Dramas zu erläutern noch aus der Ästhetik des psychologisch-realistischen Spielfilms. Das Spektakel ist ein Phänomen des Übergangs, ein Zeugnis einer liminalen kulturellen Phase, dessen Fremdheit nicht voreilig überspielt werden darf, sondern den Schlüssel zu seiner kulturellen Funkion darstellt. In diesem Sinne soll in den folgenden Kapiteln an ausgewählten Beispielen die Ökonomie des Spektakels in ihren unterschiedlichen Dimensionen aufgezeigt werden. 81 Gunning 1990, 58. 82 Vgl. hierzu auch Loiperdinger 1996 sowie Faulstich 2004, 237. 83 Gunning schreibt: „The craft of nineteenth-century stage illusions consisted of making visible something which could not exist, of managing the pay of appearances in order to confound the expectations of logic and experience.“; Gunning 1995, 116f. 84 Gunning 1995, 119. 327 Theater und Spektakel Der Tag macht müde und schwächt gen Abend die Empfänglichkeit für schwere Kunst. Sich von 8-11 noch in die nachdenklichen Probleme eines Hebbel oder Ibsen zu vertiefen, ist der abgearbeitete Gegenwartsmensch oft rein physisch außerstande. Bei Possen oder leichter Musik, nun ja, da kann man ausruhen und - schließlich auch noch mal ein wenig ans Geschäft denken… ‚Wollen wir heut abend ausgehen? ’ so telephoniert der Geschäftsmann vom Bureau aus seiner Gattin, ‚wohin: Restaurant, Eispalast, Wintergarten, Zirkus, Lichtspiele oder Theater? ’ Ihm ist’s farcimentum, wenn nur die Nerven dabei beruhigt werden. So sehen die Kunstideale der zahlungskräftigen Großstadtschichten aus. Karl Strecker 85 Wenn Conrad Alberti in seiner Streitschrift „Ohne Schminke“ (1887) die „Abschaffung des Ballets“ fordert, begründet er dies damit, dass es lediglich „ein[e] geschickt[e] Maskirung [d]es Verlangens nach Befriedigung der niederen Sinne“ 86 sei. Dieses Argument zielt auf eine Rettung des Theaters als moralische Anstalt unter dem Primat der Literatur: Auf der Bühne soll in erster Linie das Wort herrschen, zum wenigsten der Ton, denn diese sind lebendig und belebend: die stumme, todte Pantomime, das Ballet, gehört in den Circus, nicht aber auf die Bühne, […]. 87 Alberti reformuliert die Dominanz des Literarischen und schafft damit eine scharfe Trennlinie, die sich hier als ästhetische und soziale artikuliert, um zwischen Theater und Spektakel zu unterscheiden. Der sittlich-ästhetische Auftrag des Theaters soll durch den bloßen Schauwert nicht desavouiert werden. Bei näherer Betrachtung der Theaterlandschaft um 1900 erweist sich der Verweis auf die Gattungslehre als bildungsbürgerliches Rückzugsgefecht, denn die theatrale Praxis hatte solch eindeutige Unterscheidungen längst hinter sich gelassen. Die tatsächliche Verschwommenheit der Grenzen wird daran erkennbar, dass schon die Meininger, deren opulente Inszenierungen ja in ihrem programmatischen Historismus noch eine konzeptionelle Legitimation fanden, Alberti zu einer eingehenden Reflexion über den Status und die Bedeutung der Ausstattung veranlassen. 88 Der hier konstruierte Gegensatz von Kunst vs. Spektakel mündet in die Gegenüberstellung des 85 Strecker 1911, 16. 86 Vgl. Alberti 1887, 68. 87 Alberti 1887, 69. 88 Vgl. auch hierzu Alberti 1887, 71f. 328 Schauspielers und der Theatermaschinerie. 89 Maximilian Harden hat in „Berlin als Theaterhauptstadt“ (1888) ähnliche Bedenken formuliert: Die Luxusentfaltung auf der Bühne ist eine große Gefahr für unser gesammtes [sic! ] Theaterwesen. Die allzu deutliche Illustration schläfert die Phantasie ein und schließlich versagt diese auch da, wo keine Äußerlichkeit mehr fortzuhelfen vermag. Schwerer wiegend aber ist die offenbare Rückwirkung auf unsere moderne Produktion. Das Auge der Menge ist verwöhnt durch die prachstrahlenden Bilder, ein einfacher Vorgang aus dem Alltagsleben fesselt schon rein äußerlich nicht genügend. 90 Heinrich Stümcke hat 1911 diese Entwicklung aus der historischen Konkurrenzsituation des Theaters mit dem Film erklärt: Seitdem der Schaubühne in dem Kinotheater ein neuer und vielleicht der gefährlichste von allen bisherigen Feinden erstanden ist, der insbesondere die Besucher der billigeren Plätze mit der Kraft einer gewaltigen Saugpumpe, durch die verschiedenartigsten Lockungen in seine teils primitiven, teils verschwenderisch üppigen Zauberhöhlen zieht, haben die Bühnenleiter einen förmlichen Freibrief, wenn sie in ihrer bedrohten Existenz sozusagen den Teufel mit dem Beelzebub bekämpfen und in bezug auf sensationelle Augenweide und oberflächliche Unterhaltung, die an die Verstandeskräfte des Zuschauers keinerlei Anforderungen stellt, dem Lichtbildspieler Paroli zu bieten suchen. 91 Durchaus im Sinne Albertis fordert Stümcke eine klare Trennung von Theater und Spektakel, die sich schon in der Berichterstattung niederschlagen soll: Dieser Umstand, daß in der Tagespresse, natürlich ohne jede Absicht, einfach weil es so herkömmlich ist, die Darbietungen unserer Theater ohne Unterschied der Gattung rezensiert und doch durchaus nicht die gleichen Maßstäbe angelegt werden, ist sicherlich ein Hauptgrund, wenn in weiten Teilen manche Leistungen unserer Literaturbühnen weit unterschätzt und die neuen Ausstattungsstücke und Vaudevilles viel zu ernst genommen werden. Die Berücksichtigung der letzteren sollte, wie es bei Zirkussen und Kinematographen schon zumeist geschieht, nur in der Abteilung ‚Lokales und Vermischtes’ erfolgen. 92 1913 greift Erich Schlaikjer (1867-1928) in seiner Schrift „Gegenwart und Zukunft der deutschen Schaubühne“ das Thema auf und diagnostiziert einen ökonomischen Kreislauf sich bedingender und ständig steigernder Verschwendung, den er als „Börsenspekulation in Sensationserfolgen“ 93 beschreibt. Hat der Direktor einmal seine geschäftliche Hoffnung in die Ausstattung gesetzt, wird er sie immer stärker betonen, wird er zu immer neuen Reizmitteln greifen und, was anfangs noch geschmackvoll war, wird zu einer barbarischen Konzession an die Schaulust der Menge. Es kommt noch hinzu, daß die unsolide geschäftliche Basis ein Zurück nicht mehr gestattet. Ist das erste große Defizit ent- 89 Vgl. zu diesem Argument auch Schmidt 1996, 264. 90 Harden 1888, 45. 91 Stümcke 1911/ 12, 294. 92 Stümcke 1911/ 12, 297. 93 Schlaikjer 1913, 36. 329 standen, zwingt die innere Logik den Direktor zu einer immer erneuten Jagd nach einem entsprechend großen Gewinn. Er schreitet die alte Bahn der imponierenden Ausstattung weiter, und diese Bahn muß schließlich und zuletzt ins Verderben führen. […] Das Ausstattungsgeschäft ist noch viel unsolider, noch viel ruinöser, als sich aus dieser Rechnung ergibt. Der Direktor wird nicht nur in wagehalsige geschäftliche Spekulationen hineingetrieben, er spielt geradezu mit den geschäftlichen Grundlagen seines Theaters ein Hazardspiel auf Leben und Tod. Er muß die Massen ins Theater locken, um zu dem Sensationserfolg zu kommen, der ihm einzig und allein nützen kann. Die Massen aber werden nicht durch den Klassiker gerufen, der gespielt wird, sondern durch den bunten Rahmen, in dem er gespielt wird. Die breiten Massen und die deutschen Klassiker stehen leider vorläufig noch in einem Gegensatz zueinander. Die Massen aber kann der Direktor wohl rufen, nur festhalten kann er sie nicht. Die Schaulust ist leicht befriedigt, ist schnell mit ihrem Gegenstande fertig und will dann etwas Neues. 94 Das Spektakel entdeckt sich in Schlaikjers Sichtweise als Inbegriff kapitalistischer Logik: Akkumulation und Beschleunigung unter den verschärften Bedingungen von Angebot und Nachfrage bestimmen den inneren Rhythmus dieser Kunstproduktion - ohne dass ästhetische oder sittliche Werte noch zu vermitteln wären. Wie von Stümcke oder Alberti vorgezeichnet, sieht Schlaikjer hierin eine innere Aushöhlung des Theaters durch andere Unterhaltungsformen. Für Schlaikjer ist es der Zirkus, dessen Produktionsform das Theater zu imitieren sucht - um daran zugrunde zu gehen: Der Theaterdirektor unternimmt hier etwas, was nur der Zirkus vermag. Der Zirkus kann die Massen nicht nur rufen, sondern auch festhalten, weil nicht nur die Ausstattung, sondern alle seine Nummern der Schaulust in stetem Wechsel etwas zu bieten haben. Was der Theaterdirektor dem Zirkusdirektor voraus hat, ist der Klassiker, den er spielt. Den aber hat er selbst aus der Rechnung ausgeschieden, als er sich an die breiten Massen wandte, für die seine Vorzüge nicht existieren. Nun ist es natürlich nicht nur möglich, sondern überaus wahrscheinlich, daß ein derartig reich ausgestatteter Klassiker auch vom guten Publikum besucht wird. Das gute Publikum aber reicht nicht aus, um die Riesenerfolge aufzubringen, durch die allein die großen Summen der Ausstattung hereingeramscht werden können. Es bildet einen kleinen Bruchteil in dem notwendigen Meer von Publikum. 95 In diesem Sinne verursacht das Spektakel eine doppelte Verschiebung, nämlich einen ästhetischen Verfall (unter Preisgabe des sittlichen Anspruchs) und einen sozialen Verdrängungsprozess, bei dem das „gute Publikum“ durch die Massen ersetzt wird: Immer mehr wird die Herrschaft an die unberechenbaren Massen abgegeben, denen man in hoffnungsloser Entwürdigung mit immer neuen Konzessionen entgegenkommt. Wer diesen Prozeß einmal durchdenkt, wird am Ende finden, daß wir die malerischen Effekte der letzten Jahre reichlich hoch bezahlt haben. 96 94 Schlaikjer 1913, 36f. 95 Schlaikjer 1913, 38. 96 Schlaikjer 1913, 39. 330 Schlaikjer imaginiert das Spektakel als Kulturverfall und den Beginn einer Willkürherrschaft der „unberechenbaren Massen“. Damit impliziert er, dass kulturelle Sphären und soziale Klassifizierungen deckungsgleich seien - Populärkultur für die ‚unteren’ Schichten, Kunst für die ‚besseren Kreise’. Dieses Argument aber haben neuere Forschungen als rhetorische Figur entlarvt: Die Vorstellung von ‚Vermassung’ als Kulturproblem verbreitete sich demnach schon lange vor dem Auftreten eines großen unterbürgerlichen Publikums; entwickelt wurde sie im Rahmen einer innerbürgerlichen Kontroverse. Hier formulierten bürgerliche Intellektuelle Kritik, Enttäuschung und Verachtung gegenüber den arrivierten, wohlhabenden, ungeniert Luxus, Selbstdarstellung und Vergnügen suchenden Teilen der eigenen Klasse. 97 Im Zerrbild des Spektakels brechen sich die apokalyptischen Bilder einer modernisierungskritischen Weltsicht, die allen Formen sozialer Mobilität ängstlich begegnet. 98 Um einen historiographischen Zugang jenseits dieser Verkürzungen zu gewinnen, ist es wichtig sich zu vergegenwärtigen, dass das Spektakel seinen Ort in den unterschiedlichsten Formen und Konstellationen fand. Ein anschauliches Beispiel hierfür liefert Jost Lehne in seiner Studie zum Berliner Admiralspalast. 99 Der 1911 eingeweihte Gebäudekomplex kann als Paradebeispiel für das Ineinander von Spektakel und Konsumkultur gelten, beherbergte er doch neben Cafés und luxuriösen Bädern ein Lichtspieltheater und - als Herzstück - eine Eisarena. Hier konnte Jede(r)mann/ -frau tagsüber Schlittschuh laufen, während sich die Arena abends in ein Theater mit 2.000 Plätzen verwandelte, in dem aufwändige Eisballette aufgeführt wurden. Lehne verweist darauf, dass die Wirkung auf das Publikum nicht allein auf der Schaustellung basiert habe, sondern der grundsätzlichen Zugänglichkeit der Eisfläche: Der Schaueindruck des Stückes basierte, wie in Varieté und Revue, auf dem Vortrag körperlicher Bewegungskunst, und ähnlich wie im Ballett, auf Eleganz und Athletik. […] Der Zuschauer der Eisballette partizipierte zudem in besonderer Weise an den Aufführungen, da er das Eislaufen meist selbst praktizierte. Anders als im Theater, war hier der Aufführungsort keine abgetrennte Bühne, sondern die Eisfläche, die der Besucher tagsüber selbst benutzen konnte. 100 Der sich hier im Zeichen von Spektakel und Konsum entfaltende soziale Raum war schon aus ökonomischen Gründen darauf ausgerichtet, möglichst viele Bevölkerungsschichten anzusprechen und mit einem vielfältigen, aber preislich differenzierten Angebot anzulocken. Wie sehr solche Angebote 97 Maase 2001b, 312f. 98 Maase interpretiert in diesem Sinne die Formen der Populärkultur als Ausdruck einer fortschrittlichen Gesinnung: „Die modernen Massenkünste, um es zuzuspitzen, repräsentierten in diesen Konflikten die liberale Massendemokratie; Auseinandersetzung um Populärkultur war Auseinandersetzung um Akzeptanz und Auslegung moderner Vergesellschaftung und Sozialordnung.“; Maase 2001b, 291. 99 Vgl. Lehne 2006. 100 Lehne 2006, 44f. 331 einem Bedürfnis der Metropolen um 1900 entsprach, lässt sich an dem Umstand ablesen, dass die Eisballette auch in New York erfolgreich aufgenommen wurden. 101 Spuren des Spektakels sind aber nicht nur im Umfeld der kommerziellen Unterhaltungskultur zu finden. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wuchs das Interesse an aufwändigen und überwältigenden Bühnenwerken auch in den ‚regulären’ Theatern. Einer der prominentesten Vertreter dieser Entwicklung war Georg von Hülsen (1858-1922), der 1893 zum Intendant des Königlichen Hoftheaters in Wiesbaden ernannt worden war und ab 1902 Generalintendant der Preußischen Hofbühnen wurde. 102 Hülsen, ein enger Vertrauter Wilhelms II., war maßgeblich an der Einrichtung der Wiesbadener Kaiserfestspiele, der heutigen Maifestspiele, beteiligt, die ab 1896 stattfanden. 103 Hülsen entwickelte für diesen repräsentativen Anlass das Konzept der Wiesbadener Bearbeitung, durch die klassische, aber wenig gespielte Stücke für den Zeitgeschmack als „Haupt- Spektakel“ 104 aufbereitet wurden. Die Eingriffe bezogen sich sowohl auf Sprache bzw. Musik als auch auf die szenische Einrichtung, wobei hier vor allem Hülsens Theaterverständnis ausschlaggebend war. Sein Neffe, Eckart von Naso (1888-1976), beschreibt dies wie folgt: Von den zwei Seelen der Hülsenschen Brust war die Opernseele die ungleich stärkere. Sie kam seiner Art entgegen, die auf das Repräsentative, geschmackvoll Verschwenderische gerichtet war - nicht eigentlich auf den Geist. […] Er entfaltete gerne Massen und Pracht. Theater bedeutete für ihn die Entfesselung szenischer Möglichkeiten, […]. 105 Die erfolgreichste Bearbeitung war die Oper „Oberon“ von Carl Maria von Weber (1786-1826), die 1900 in der Wiesbadener Fassung uraufgeführt wurde. Weber hatte den Stoff von Wieland 1826 für ein Londoner Theater vertont. 106 Hülsen sorgte für eine umfassende Neubearbeitung: eine Neudichtung des Librettos durch Joseph von Lauff (1855-1933) 107 und die ‚Ergänzung’ der Partitur durch den Wiesbadener Kapellmeister Josef Schlar (1861-1922). 108 Kernstück dieser Bearbeitung waren eingefügte ‚Melodramen’, Dialogszenen, die nun neu mit Musik unterlegt wurden. 109 In szenischer Hinsicht verlangte das Stück mit seinen vielen verschiedenen Handlungsorten, die vom Feenreich Oberons über den Kaiserlichen 101 Vgl. Lehne 2006, 40. 102 Leider gibt es zu Hülsen kaum neuere Forschungsliteratur; vgl. zu seiner Berliner Zeit Reichel 1962. 103 Vgl. hierzu ausführlich Haddenhorst 1985, 10-15 sowie 216-224. 104 Schaubühne 1909, 641 zit. nach Haddenhorst 1985, 26. 105 Naso 1953, 384. 106 Vgl. zur Theaterrezeption des Stoffes Bobrik 1909. 107 Diese Fassung wurde auch publiziert; vgl. Hülsen 1900. 108 Vgl. hierzu Keiser 1900. 109 Vgl. hierzu Haddenhorst 1985, 47. 332 Harem in Bagdad bis zum Thron Karls des Großen reichen, 110 eine Fülle von Szenenwechseln. Hülsen ging in seiner Inszenierung über den Weber’schen Entwurf hinaus, indem er die Verwandlungen selbst zum Teil des Bühnenereignisses machte: Es ist einfach unmöglich, den Beschauer dauernd im Banne einer konzentrierten Stimmung zu halten, wenn der Faden der szenischen Ereignisse durch den wieder und wieder fallenden Vorhang beständig abgeschnitten wird. Es wurde deshalb angestrebt, die wechselnden Bilder durch Uebergangsverwandlungen in einander zu ziehen und den Zwischenvorhang nur bei den größeren dramatischen Einschnitten - dreimal in 15 Bildern - fallen zu lassen. 111 So entstand eine Inszenierung, die in ihrem exzessiven Gebrauch szenischer Mittel ihresgleichen suchte. 112 Exemplarisch für den avancierten Gebrauch der Theatermaschinerie war der Einsatz einer Wandeldekoration, um die Rückkehr des Protagonisten Hüon an den Hof Karls des Großen zu zeigen. 113 Wandeldekorationen, die nur sehr selten eingesetzt wurden, bestanden aus einem horizontalen Prospekt, der über zwei Rollen mit verschiedenen Bildern abgerollt werden konnte, während sich die Akteure auf der Bühne in die entgegengesetzte Richtung bewegten. Auf diese Weise konnte der optische Eindruck von Bewegung im Raum erzeugt werden. 114 110 Vgl. hierzu die Aufstellung bei Hülsen 1900, 3f. 111 Hülsen zit. nach Haddenhorst 1985, 47f. 112 Gerda Haddenhorst hat die Bearbeitung und die Inszenierung ausführlich anhand des Regiebuchs rekonstruiert; vgl. Haddenhorst 1985, 45-81. 113 Vgl. Haddenhorst 1985, 70f. 114 Bereits bei der Londoner Uraufführung 1826 wurde eine entsprechende Wandeldekoration eingesetzt. Günther Hansen dokumentiert die Entwicklung und unterschiedlichen Formen dieses Dekorationstypus, der später durch Filmprojektionen vollkommen abgelöst wurde; vgl. Hansen 1965. Vgl. hierzu auch Kranich 1929, 178f. Abb. 53 und 54: Bühnenbilder der Wiesbadener „Oberon“- Inszenierung von 1900. Oben Audienzsaal zu Bagdad; unten Thronsaal Karls des Großen. 333 Die Wirkung der Inszenierung beruhte denn auch weniger auf der Fabel oder der Entwicklung der Figuren als auf der Opulenz der Ausstattung, ganz im Sinne der Sensationsszene, wie Remshardt sie definiert hat. 115 Der Diskurs der Rezeption war sich dieses Spektakel-Charakters durchaus bewusst, wie man an Fritz Engels Schlussfolgerung ablesen kann: Die Räder und Räderchen des großen Apparats griffen mit ausgezeichneter Akkuratesse in einander. […] Man sah wunderschöne, überaus lieblich geschwungene Tanzfiguren, und man sah aus Kulissen und Kostümen Farbenspiele zusammenströmen, die, ohne alle Marktschreierei von einer bestabgetönten Buntheit waren. Ja, Kostüme und Kulissen. 116 Der Hülsen’sche Inszenierungsstil basierte auf einer exzessiven Ästhetik, die sich in ihrer äußeren Form dem Spektakel der Populärkultur anglich, deren kultureller Ort aber eine der prominentesten Hofbühnen Deutschlands war. Im Konzept der Wiesbadener Bearbeitung wurde die Ästhetik des Spektakels zum Programm erhoben, auch wenn dies viele Zeitgenossen vor den Kopf stieß. Das Urteil, das eine Kritik über die Bearbeitung des „Kaufmanns von Venedig“ fällte, kann als durchaus prototypisch für diese ablehnende Haltung gelten: Das Schifflein der Dichtung mußte darunter [der Fülle von „Ausstattungseffekten“] sinken. Es steht nur noch als Wrack vor uns, auf dessen zersplitterten Planken die Schaulust eine Orgie feiert. 117 Gerade aber die „Orgie der Schaulust“ ist es, die im Folgenden interessieren wird. Um den Blick für diese Zirkulationen zu schärfen, soll das Spektakel nicht an den ‚üblichen Verdächtigen’ diskutiert werden, sondern an dem heutzutage fast vergessenen „Barnum des deutschen Theaters“, 118 Ferdinand Bonn (1861-1933). 115 Vgl. hierzu S. 325 dieser Arbeit. 116 Fritz Engel im Berliner Tageblatt zit. nach Haddenhorst 1985, 76. 117 Zit. nach Haddenhorst 1985, 34. 118 Kienzl 1911, 126. 334 Der Mann, der Sherlock Holmes war: Ferdinand Bonn Obgleich er heute fast gänzlich der Vergessenheit anheim gefallen ist, 119 war Ferdinand Bonn zu Lebzeiten eine Legende. Von einigen abgöttisch verehrt, von anderen bekämpft, 120 von den meisten bespöttelt, entfaltete Bonn eine öffentliche Wirkung, die selbst aus heutiger Perspektive erstaunt. 1861 im bayerischen Donauwörth als Sohn eines Juristen geboren, kehrte Bonn nach erfolglosem Studium der Rechtswissenschaft dem ‚bürgerlichen’ Lebensweg den Rücken, um nach einer kurzen Ausbildung durch Ernst von Possart 1885 seine Bühnenlaufbahn als Schauspieler zu beginnen. Mit Stationen in München, Moskau, Berlin und Wien sowie Gastspielreisen, die ihn immer wieder auch in die USA führten, gehörte Bonn zu den populärsten Schauspielern seiner Zeit. Darüber hinaus verfasste er eine Reihe von Theaterstücken, von denen die bekanntesten und erfolgreichsten seine Dramatisierungen von Sherlock-Holmes-Geschichten nach Arthur Conan Doyle (1859-1930) waren. Ferdinand Bonns enorme öffentliche Wirkung ist aber nur teilweise auf seine künstlerische Arbeit zurückzuführen. Einflussreicher waren vielmehr seine spektakulären Selbstinszenierungen jenseits der Bühne. Edmund W. Braun schreibt in seinem Porträt für „Bühne und Welt“ über die Münchener Anfänge: Die Gesellschaft Münchens ehrte in ihm das schöne Trio: Künstler, Reserveoffizier und Herrenreiter, vielleicht die beiden letzteren Eigenschaften mehr als die erstere. […] Bonn malte, dichtete, musizierte und ritt […]. 121 Bonn pflegte seine Extravaganzen, 122 seine cholerischen Ausfälle und seine öffentlichen Auftritte, zu denen wohl auch seine Beziehung zu Prinzessin Elvira von Bayern (1868-1943), die in einem Skandal öffentlich wurde, zu zählen ist. 123 Diese Anekdote fügt sich in die Strategie der Selbstinszenierung, die Bonn in Auftreten, Lebenswandel und vor allem seinen autobiographischen Schriften an den Tag legte. Die Frankfurter „Sammlung Manskopf“ enthält ein Porträt Bonns, das die erstrebte Anmutung des Aristokratischen zur Schau stellt. Im Gegensatz zu üblichen Schauspielerporträts ließ Bonn sich nicht in bürgerlicher Kleidung oder im Bühnenkostüm ab- 119 Eine Ausnahme bildet hier die 2004 von Brigitte Müller vorgelegte Monographie „Ferdinand Bonn - Frauenheld, Lebemann und Weltverbesserer“, die allerdings bisweilen schon fast hagiographische Züge annimmt. Ungeachtet dessen ist vor allem verdienstvoll, dass die Arbeit eine Reihe von schwer zugänglichen Quellen abdruckt. 120 Noch aus dem historischen Abstand ist die erbitterte Gegnerschaft, der sich Bonn ausgesetzt sah, eindrücklich. So schreibt etwa Walter Turzinsky in „Berliner Theater“ (1906): „Berliner Theater. ‚Sherlock Holmes.’ Bis in die Unendlichkeit. Wer die künstlerische Inferiortät dieses Hintertreppenstückes und seiner Hauptdarsteller, des Ehepaares Bonn, nicht unterstützt, dient der guten Sache.“; Turzinsky 1906, 124. 121 Braun 1899/ 1900, 1041. 122 Vgl. hierzu auch Müller 2004, 81f. 123 Vgl. Müller 2004, 83f. 335 lichten, sondern in elegantem Reitanzug mit Stiefeln und Gerte, einen großen Hund streichelnd. Diese Koketterie mit einem aristokratischen Lebensstil findet sich auch in seiner Autobiographie „Mein Künstlerleben“ (1920): Bei meiner Charakteranlage mußte das Duell einen großen Nimbus für mich haben. Zwar stieß ich auch da statt auf Ritterlichkeit oft auf Tücke und Schiebung. Die mittelalterliche Form, seine Ehre herzustellen, lag mir aber so im Blute, daß ich sie bis in die reifsten Jahre nicht lassen konnte. Ein fürchterlicher Ruf war natürlich für einen Schauspieler die Folge, der seine Regisseure und Direktoren forderte. 124 Die Selbststilisierung gründete in einer Überhöhung seines Künstlertums, das er als besondere Form der Berufung und Adelung begriff. Sein Motto „Der Schönheit eine Gasse! “ 125 korrespondierte mit der Kunstauffassung Wilhelms II., zu dem sich Bonn besonders hingezogen fühlte. Das Fundament dieser Haltung war ein anti-modernes, nostalgisches Weltverständnis: Die emporgeschossene Industrie hatte Deutschland reich und sittenlos gemacht, hatte hunderttausende in Fabriken getrieben, wo sie unmöglich gut und zufrieden sein konnten. Alles, was aus dunkler Gier nach Genuß, von gesunder Landluft in den giftigen Brodem großer Städte angezogen und dort zerrieben worden war, das alles wurde zu weißen Blutkörperchen im Staatsorganismus. 126 Gleichzeitig polemisiert er bereits 1908 gegen das urbane Milieu der Intellektuellen und Literaten: Reinliche Scheidung! Ich will nur den Guten gefallen, den Unverdorbenen. Reinliche Scheidung! Bleibt draußen, Börsianer, bleibt draußen, literarische Quatschköpfe, draußen, parfümierte Ehebrecherinnen, draußen, ihr sezessionistischen Beingerippe mit wegrasierten Ohren, bleibt draußen, ihr Literaturjüngels mit ausgefranzten Hosen und schmutzigen Fingern, auch ihr, adelige Rohlinge und ihr 124 Bonn 1920, 136. 125 Bonn 1908, 181. 126 Bonn 1920, 88. Abb. 55: Porträt von Ferdinand Bonn. 336 Hundertfünfundsiebziger vor allem, hinaus mit euch! Herein mit dir, Volk, großes, gutes starkes Volk. 127 Bonns hypertrophe Selbststilisierung, die in fast pathologischer Manier historische Ereignisse und Persönlichkeiten auf sich selbst bezieht, reflektiert die konsequente Ablehnung, die ihm von Seiten der Presse und der Intellektuellen entgegengebracht wurde. 128 Diese Konstellation steuerte auf einen krisenhaften Höhepunkt zu, als Bonn im Herbst 1905 die Direktion des Berliner Theaters übernahm. Obwohl die zweijährige Direktion, die sich zeitlich parallel zu Max Reinhardts Aufstieg zum wichtigsten Theaterdirektor Berlins vollzog, künstlerisch und ökonomisch ein Fehlschlag war, machte Bonn sich und sein Theater zum Stadtgespräch. Wirft man einen Blick auf seine künstlerische Praxis, so erstaunt zunächst einmal die Rückständigkeit seiner Vorstellungen, die Bonn geradezu programmatisch verteidigte. Während alle Theaterreformer die kurzen und unzureichenden Probenbedingungen kritisierten, verkündet er im § 6 seines berüchtigten Hausgesetzes für das Berliner Theater: „Lange Proben sind zwecklos und gesundheitsgefährdend.“ 129 Bonn bekannte sich zu einem ästhetischen Stil, der gezielt eine überbordende Ausstattung und allerlei Bühneneffekte einsetzte: „Die Stücke ohne Technik, ohne Kraft und Wirkung nennt man literarisch. Die anderen nennt man theatralisch. Gut, ich halte es mit den letzteren.“ 130 Entsprechend diesen Maßgaben eröffnete er seine Direktion mit einem eigenen Stück „Andalosia“ - ein „Märchen gibt Gelegenheit zu prachtvoller Ausstattung, ohne die es heute doch nicht geht.“ 131 Bonn nutzte die szenischen Möglichkeiten seines Textes weidlich aus, wie er in seiner Autobiographie stolz beschreibt: 127 Bonn 1908, 126. 128 Bonn verbindet seine Schilderung der Ablehnung in Berlin mit der Nutzung antisemitischer Stereotype im Sinne eines kulturellen Erkennungscodes, wie Shulamit Volkov dies beschrieben hat. Bonn tut dies allerdings nicht direkt, sondern im Gestus der Verneinung, wenn er etwa schreibt: „Viele Leute suchen in dem Umstand, daß ich jetzt der einzige Christ unter den Berliner Bühnenleitern bin, den Grund für die heftigen Zeitungsangriffe gegen mich. Ich bekomme viele Zuschriften über diesen Punkt. […] Als ehrlicher Mann muß ich aber sagen, daß es nicht wahr ist. Echt rassige Juden haben mich gelobt und Vollblutarier haben mich verrissen.“; Bonn 1920, 101. Vgl. hierzu auch Bonn 1908, 113-115. Obschon Bonn den Verdacht zurückweist, lässt er das Argument selbst stehen und bedient sich eines Vokabulars, dessen rassistische Obertöne er nicht hinterfragt. Brigitte Müller untersucht leider in ihrer Monographie diesen politischen Strang von Bonns Schaffen nicht weiter, obgleich sie - ohne weitere Kommentierung - einen Zeitungsausschnitt des „Berliner Tageblatts“ vom 28. September 1933 dokumentiert, der berichtet, dass an seinem Sarg sowohl ein Redner als auch eine „Fahnenabordnung“ des Bundes nationalsozialistischer Bühnenkünstler gestanden hätten. Vgl. Müller 2004, 112. 129 Zit. nach Bonn 1908, 73. An anderer Stelle schreibt er: „Um aber die 100 Proben zu haben, muß man das Stück dann 100mal geben. Das nennen sie amerikanisch - zu dumm - sie könnten es auch englisch oder französisch nennen.“; Bonn 1908, 20. 130 Bonn 1908, 20. 131 Bonn 1908, 9. 337 Im Waldakt ließ ich die ganze hügeliggebaute Bühne mit Blechkufen belegen, worin echte Tannen und Heidekraut steckten. Das duftete. Ein richtiger Bach, wirkliche Eichhörnchen und Vögel hinter unsichtbaren Drahtgittern. Der Gemüsegarten des Einsiedlers zeigte wirkliches Gemüse, in dem dann, wie bekannt, durch die wirkliche Ziege, die es wirklich fraß, das Gedicht ganz wirklich ausgepöbelt wurde. 132 Publikum und Kritik lehnten diesen opulenten Realismus ab: „Die ‚Andalosia’ hat einen Durchfall erlebt, wie er in der Berliner Theatergeschichte seit langem nicht mehr da war.“ 133 Besonders die von Bonn auf die Bühne gebrachte Menagerie reizte zum Spott: „Dagegen hat sich das reichlich lebende Inventar auf der Bühne, ein Pferd und zwei Ziegen, sehr manierlich benommen.“ 134 Die detailversessene Ausstattung der Waldszene eröffnet eine bemerkenswerte theatergeschichtliche Parallele, denn nur neun Monate zuvor war es gerade der Wald auf der Bühne, mit dem Max Reinhardt in seiner „Sommernachtstraum“-Inszenierung im Neuen Theater den Grundstein für seine weitere Karriere gelegt hatte. 135 In Anbetracht der ungeheuren Wirkung (und der langen Laufzeit) der Produktion kann man davon ausgehen, dass Bonn Reinhardts Arbeit kannte. Offensichtlich hatte er versucht, dessen Erfolgsrezept zu überbieten. Wo Reinhardt es im Dialog mit dem Shakespeare’schen Text gelungen war, aus der Opulenz der Bühne 132 Bonn 1920, 160; vgl. hierzu auch Bonn 1908, 37. 133 So schreibt der Rezensent der „Deutschen Warte“ in seinem Artikel vom 13. Oktober 1905, zit. nach Müller 2004, 324. 134 Deutsche Warte v. 13. Oktober 1905; zit. nach Müller 2004, 324. 135 Unter dem Titel „Fort mit dem Kulissenzauber“ stellte ein anonymer Autor mit dem Pseudonym Everro diese Parallele explizit her: „Diese historisch-perversen Bestrebungen Reinhardts aber erfasst man erst in ihrer ganzen destruktiven Bedeutung, wenn man sich klar macht, wie sie die anderen Berliner Kunststätten lahm legen. Da will ein Barnowsky am Kleinen Theater auch Originell-Vorzügliches leisten, um aber diese Kunststücke […] fertig zu bringen, […] giebt er hysterisch-perverse Komödien, von ‚Bonns’ pathologischen Extratouren am Berliner Theater, der sich zur Staffage Stücke schreibt, in Szene setzt, aufführen und durchfallen lässt, soll hier gar nicht erst gesprochen werden.“; Everro 1905, o.S. Vgl. zum Reinhardt’schen „Sommernachtstraum“ und seinen Bezügen Marx 2007. Abb. 56: Szenenbild aus „Sherlock Holmes“; Berliner Theater, ca. 1905. 338 eine eigene theatrale Poesie zu schaffen, geriet bei Bonn die Fülle der Details zur Farce. Dass Bonn noch fünfzehn Jahre später, beim Abfassen seiner Autobiographie, Reinhardt nicht einmal am Rande erwähnt, kann man als einen Hinweis darauf verstehen, wie sehr die eigene Niederlage in Anbetracht des Vergleichs ihn geschmerzt haben muss. Seine größten Erfolge errang Bonn als Autor von Sherlock-Holmes- Dramatisierungen, in denen er selbst die Hauptrolle spielte. Obgleich von der Kritik verrissen, fanden diese Stücke ein breites Publikum, 136 dem sich auch der Kaiser in einem vielbeachteten Besuch anschloss. Durch diese Gunst des Hofes erhielt Bonns Berliner Theater entscheidendes Ansehen. 137 Allerdings konnte der zwischenzeitliche Erfolg das Unternehmen nicht retten. Hierzu trug nicht nur die Feindschaft der Presse entscheidend bei, sondern auch eine Flut von Skandalen und Prozessen - Bonn selbst benennt in seiner Autobiographie 97 Prozesse 138 -, die das Ansehen Bonns erheblich schädigten. Nach zwei Jahren sah er sich gezwungen, die eigene Direktion aufzugeben. Erich Schlaikjer resümiert über das Unterfangen: Die glücklicherweise nur kurze Direktionsperiode des Herrn Bonn bildet einen Schulfall, an dem man das gefährliche Wesen der Sensation studieren kann. Wenn auch Herr Bonn mit einer nicht gewöhnlichen Dreistigkeit den ‚deutschen Idealismus’ für sein Theater reklamierte, war es von Anfang an als eine amerikanische Sensationsbühne gedacht und geleitet. 139 Die Bezeichnung als „amerikanische Sensationsbühne“ korrespondiert mit dem oben zitierten Epitheton „Barnum des deutschen Theaters“ - beides sind nicht so sehr Hinweise auf Bonns zahlreiche Gastspiele in den USA, sie verweisen vielmehr auf seinen Umgang mit der Öffentlichkeit. P. T. Barnum war bereits zu Lebzeiten zum Inbegriff aggressiver und täuschender Reklame geworden. Der Begriff Humbug, unter dem diese für deutsche Verhältnisse ungewohnten Praktiken bekannt wurden, hatte im Deutschen denn von Beginn an die negative Konnotation einer gezielten Täuschung zur Gewinnung eines eigenen (finanziellen) Vorteils. 140 Der Vorwurf der „Amerikanisierung“ evoziert die Idee eines allgemeinen kulturellen Verfalls und belegt nochmals, wie sehr das Entstehen einer 136 Schlaikjer schreibt hierzu: „Der Direktor hatte mit ,Sherlock Holmes’ die Massenpsyche stark getroffen. Die ersehnte allgemeine Spannung entstand im Publikum wirklich. Alle künstlerische Schmach war mit einem Mal vergessen. All die Lächerlichkeiten, die das Theater zu einem Gegenstand des Spotts gemacht hatten, waren wie weggeblasen. Die Sensation war da; die Menschen strömten herein; die Macht der Sensation offenbarte sich glänzend.“ Schlaikjer 1913, 29. 137 Vgl. hierzu seine triumphierende Schilderung in Bonn 1908, 103-107. 138 Vgl. Bonn 1920, 131-147. 139 Schlaikjer 1913, 29. 140 Dem deutschen Publikum war Barnum, dessen Zirkus Barnum & Bailey erst 1900 auf Deutschlandtournee kam, spätestens seit der deutschen Übersetzung seiner Autobiographie 1855 ein Begriff. Vgl. Barnum 1855. Wie sehr sein Name im deutschsprachigen Diskurs zu einem regelrechten Kampfbegriff geworden war, lässt sich u.a. daran ablesen, dass bereits 1887 Conrad Alberti den Gründer des Deutschen Theaters, Adolphe L’Arronge, als den „Barnum der deutschen Bühne“ bezeichnete; Alberti 1887, 22f. 339 neuen Konsumkultur und der ihr eigenen Form der Öffentlichkeit - einschließlich ihr zuzuordnender Phänomene, wie der Werbung - durch die USA beeinflusst wurden. 141 Der Erfolg des Schlagwortes gründete auch in dem Umstand, dass er eine Distanz zu schaffen versprach, die der Entfremdung, welche viele Beobachter angesichts dieser Entwicklungen befiel, entsprach. 142 Ferdinand Bonn bediente sich verschiedener Mittel, um sich und seine Bühne in das Licht der Öffentlichkeit zu setzen. Da er sich von den Journalisten schlecht behandelt fühlte, 143 kündigte er das Eröffnungsstück seiner Direktion, „Andalosia“, nicht unter seinem Namen an, sondern nutzte das Pseudonym Florian Endli, 144 wobei er dieses um die Legende ergänzte, es handele sich um einen schweizerischen Schullehrer, der an Schwindsucht leide und daher nicht zur Premiere nach Berlin kommen könne. Natürlich sickerte die Information durch, dass sich hinter Endli Bonn selbst verstecke, so dass eifrig über die tatsächliche Urheberschaft spekuliert wurde: „Kundige Thebaner wollen wissen, daß hinter Florian Endli sich eigentlich der Dichter Ferdinand Bonn verberge, dass der dichtende schweizerische Schullehrer eine sagenhafte Person sei, so wie Wilhelm Tell.“ 145 Solche Legenden schürten kurzfristig das öffentliche Interesse an Bonn und seinem Theater, verschlechterten aber die Beziehungen zur ‚ernsten’ Theaterkritik, die Bonn nun entweder gänzlich außer Acht ließ oder verriss. Um den schlechten Premierenkritiken zu entgehen, griff Bonn zu einer ungewöhnlichen List, wie Siegfried Jacobsohn berichtet: Er bricht eines schönen Abends den ersten Teil [von ‚Sherlock Holmes’] kurz nach dem Anfang ab, tritt vor, kündigt dem Publikum die Premiere des ‚Hundes’ [von Baskerville] an, die auf der Stelle stattfinden werde, und verschickt zur selbigen Stunde an sämtliche Zeitungen eine Notiz, die dieses Humoristenstücklein in vollster Objektivität zum besten geben. 146 Es ist nicht ohne Ironie, dass Bonn gerade eine heimliche Premiere nutzte, um Aufmerksamkeit für sein neues Stück zu erregen. Jacobsohn weist denn auch auf eine versteckte Komplizenschaft zwischen Bonn und der Presse hin: „Bonn pfeift und sie tanzen.“ 147 141 Vgl. hierzu ausführlich Nolan 1994. 142 Paradigmatisch für diese rhetorische Strategie ist Karl Streckers Diagnose in „Der Niedergang Berlins als Theaterstadt“ (1911): „Der in immer klareren Linien hervortretende Amerikanismus des Berliners kann wohl eine gewisse äußerliche Zivilisation, aber nimmermehr große Kulturwerte schaffen. Er ist Massenmensch, der vor allem verdienen und - ‚anständig auftreten’ will; schnellfertig, schnellzüngig, mokant und an Äußerlichkeiten hängend, will er alles mit dem Kopf erfassen, und darum fehlt ihm die rechte Urbanität.“; Strecker 1911, 7. 143 Vgl. hierzu Bonn 1920, 71. 144 Zu Bonns Pseudonymen vgl. Müller 2004, 284f. 145 Deutsche Warte vom 13. Oktober 1905 zit. nach Müller 2004, 323. 146 Jacobsohn 1907, 386. 147 Jacobsohn 1907, 386. 340 Für Erich Schlaikjer offenbart sich in dieser Anekdote eine grundsätzliche Wahlverwandtschaft zwischen der Großstadt, der Presse und marktschreierischen Geschäftspraktiken, wie Bonn sie an den Tag legte: Es sei weiter zugegeben, daß die Weltstadt der Sensation einen besonders günstigen Boden bietet. Der Reklameapparat ist stark entwickelt, die Technik der Bühnen ist unmöglichen Ansprüchen gewachsen, vor allem aber wohnen die Menschen in Massen beisammen. Die Massenpsyche ist von vornherein vorhanden und durch die gemeinsame Stadt auf einen gemeinsamen Ton gestimmt, was das Eintreten der Sensation sehr erleichtert. 148 Obschon Bonns Direktion nur zwei Jahre andauerte, markiert sie in zweierlei Hinsicht eine bemerkenswerte theaterhistorische Position: Zum einen überführt Bonn - obwohl sein Bekenntnis zum „deutschen Idealismus“ anderes erwarten ließe - das Theater in ein kommerziell wirtschaftendes Institut, das sich konsequent dem Spektakel verschreibt. Zum anderen wird an seinem Scheitern - gerade im Vergleich zu Reinhardts Aufstieg - deutlich, dass die von Bonn vertretene Perspektive einer anti-modernen, kaisertreuen Weltanschauung im Bereich des Theaters nicht hinreichend Rückhalt finden konnte. 148 Schlaikjer 1913, 31. 341 „Pferdinand“ Bonn: Shakespeare im Zirkus Ein wirkliches Pferd ist schon besser als ein hölzernes. Ferdinand Bonn 149 1911 kehrte Ferdinand Bonn auf die Bühne der Berliner Öffentlichkeit zurück, um abermals mit einem Großprojekt die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: Nur wenige Wochen nachdem Max Reinhardt im Zirkus Schumann seine Inszenierung des „König Ödipus“ gezeigt hatte, 150 kündigte Bonn an, Shakespeares „Richard III.“ im konkurrierenden Zirkus Busch zu inszenieren. Zum Abschluss der Aufführungsserie hielt er eine Ansprache an das Publikum, in der er seine programmatische Zielsetzung benannte: Zum ersten Male standen Künstler der Bühne und des Zirkus Hand in Hand, um dieses männliche Werk Shakespeares in dem ritterlichen Geiste, in dem es gedacht ist, in der vollen Kraft der Pferde und der eisenrasselnden Ritter so zu verwirklichen, wie es die Bühne nimmermehr imstande ist. 151 Bonn begründet seine Hinwendung zum Zirkus aus dem Ungenügen des Theaters, mit der Fantasie des Dichters, wie sie sich im Drama niederschlage, mithalten zu können: In Richard III., einem Reiter- und Ritterstück, in welchem alle Augenblicke gesagt wird: ‚Reit hin zum Herzog! ’ ‚Ein Königreich für ein Pferd! ’ usw., sind Pferde unentbehrlich, wenn dieses Jugendwerk Shakespeares die wilde Ritterzeit anschaulich machen soll. 152 Dass eine solche Lesart sowohl im scharfen Gegensatz zur Bühnengenealogie, die das Stück als eine der Glanzrollen für Virtuosen kannte, stand, als auch eine tiefgreifende Bearbeitung des Textes verlangte, ist leicht vorstellbar. Die Ausstattung gewann ein Eigenleben, das bald die dramaturgischen Strukturen des Shakepeare'schen 149 Bonn 1908, 14. 150 Vgl. zu den Reinhardt’schen Zirkusexperimenten Marx 2006, 83-117. 151 Zit. nach Anonymus 1911b. 152 Bonn 1920, 160. Abb. 57: Pressezeichnung der Begegnung Richards mit Elisabeth und Margaret; Berlin: Zirkus Busch, 1911. 342 Textes verdeckte. So kürzte Bonn den Text auf eine Spielzeit von zwei Stunden zusammen 153 und kondensierte ihn auf jene Szenen, die Gelegenheit zu üppiger Prachtentfaltung boten. Der Rezensent des „Vorwärts“ schildert die Werbungsszene mit Lady Anne: Eine kurze Ruhepause gewährte Richards berühmter Monolog, aber gleich die Begegnung mit Anna bringt eine neue Sensation. Sechs Rosse ziehen das Leichwägelchen, in dem ihr seliger, von Richard hingemorderter Gemahl liegt. Das prunkende Gefolge strömt in die Arena und begleitet Richards freche Werbung um die Witwe - Bonn schleudert sie auch zwischendurch zu Boden - mit Zeichen von Entrüstung. 154 Dabei schlug der von Bonn entfesselte genius loci der Manege auf die Stimmigkeit der Szenen zurück, wie ein anderer Rezensent festhält: „Hielt sich doch selbst bei der Werbeszene ein Stallbursche für verpflichtet, das wieder in Ordnung zu bringen, was ein schöngezäumtes Roß gesündigt hatte.“ 155 Die wenigen überlieferten Bilder der Aufführung zeigen die Ritter zu Pferde. Eine Zeichnung der „Berliner Morgenpost“, die Richard in seinem Krönungszug in der Konfrontation mit Elisabeth und Margaret zeigt, lässt erahnen, dass es allein aufgrund der Höhenunterschiede zu keinen intensiveren schauspielerischen Interaktionen kommen konnte. So bemerkt der Kritiker der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ süffisant: „Der Krakeel dort unten verstörte die Hörer rundum, und es tat jedesmal wohl, wenn flinke Rösslein erschienen und die Hauptschreier entführten.“ 156 Das, was Reinhardts Arena-Inszenierungen auszeichnete, nämlich die Schaffung einer dichten Bühnenatmosphäre, 157 misslang Bonn offensichtlich: Verschiedene Kritiken bemängelten die schlechte Beleuchtung, 158 während andere auf die schlechte Ausgestaltung des Raumes hinwiesen. 159 Höhepunkt der Inszenierung war die Entscheidungsschlacht bei Bosworth, die Bonn als regelrechtes Pferde-Spektakel in Szene setzte. Wenn die zahlreichen Reiter durch den Raum rasen, hinten die ziemlich steile Ebene hinauf, und im oberen Walde verschwinden, um dann wieder hervorzubrechen, wenn sie kämpfen und Schlachtlärm verursachen und zwischendurch ledige Gäule laufen, an den maskierten Toten vorbei, denn kommt man zu der Einsicht, daß die Dichtung Shakespeares eigentlich gar nicht so nötig für die Aufführung ist. Besonders raffiniert ist der Kampf zwischen Richard und Richmond in der Schlachtszene dadurch, daß der Gaul Richards dressiert ist, auf ein Kommando zu stürzen und liegen zu bleiben. […] Die Echtheit der Wiedergabe 153 Vgl. Jacobsohn 2005a, 127. 154 dt. 1911, o. S. 155 Kirstein 1911, o. S. 156 Anonymus 1911e, o. S. 157 Vgl. Fischer-Lichte 2005, 46-68. 158 Vgl. etwa Anonymus 1911e oder Kirstein 1911. 159 So schreibt der „Vorwärts“: „Eine Hintergrundbühne, auf der sich die eigentliche Handlung abspielte, wie bei Reinhardt, gab’s überhaupt nicht. Statt dessen ein paar, vermutlich den Tower darstellende Papptürmchen auf einem Plateau.“; dt. 1911, o. S. 343 eines Schlachtfeldes dürfte noch nie so erreicht worden sein, wie es durch diesen Pferdekadaver geschieht.“ 160 Hier löste sich die spektakuläre Darstellung so weit vom Theater des Dramas, dass der Text überflüssig wurde. 161 Die Kritiker lehnten die Inszenie- 160 Anonymus 1911d, 315. 161 Verstärkt wurde dieser Eindruck noch durch verschiedene Presseberichte über Unfälle im Umfeld der Inszenierung - vgl. Anonymus 1911g und 1911h -, die Bonn auch in seiner Autobiographie genüsslich ausführt (Vgl. seine ausführliche Schilderung in Bonn 1920, 160-166.). Auf diese Weise sollte dem Publikum wohl die Gefahr bzw. die physisch-artistische Leistung Bonns und seines Ensembles besonders deutlich werden. Abb. 58: Pressezeichnung der Schlachtszene bei Bosworth; Berlin: Zirkus Busch, 1911. 344 rung großteilig ab und Ferdinand Bonn - fortan als „Pferdinand“ apostrophiert - wurde für seine „Verrossung der Literatur“ 162 vielfach angegriffen und verspottet. Eine Karikatur des „Kladderadatsch“ schwelgte in grotesken Bilden, welche Shakespeare-Rollen Bonn noch im Sattel spielen könnte. 162 Anonymus 1911c, o. S. Abb. 59: Karikatur des „Kladderadatsch“ vom 9. April 1911. 345 Während einige Rezensenten den Bezug zu Max Reinhardt herstellten, verwiesen die meisten auf die Zirkuspantomimen, die für diese Produktion Pate gestanden hätten: Für Bonn ist […] der Zirkus nur ein Mittel, bei dessen stillosen Flitterglanz unter erborgter Kunstetikette Anleihen zu machen. Nicht Reinhardt, den altbekannten Zirkuspantomimen eifert er in Wahrheit nach. Die Clous, mit denen er das Stück versorgt, sahen denen, mit denen sonst das Publikum jetzt bei der Hermannsschlacht im Zirkus Busch bedacht wird, geradezu drollig ähnlich, nur daß dort das Vergnügen nicht durch einen überflüssigen, obendrein meist unverständlichen Text unterbrochen wird. 163 Der Verweis auf die Zirkuspantomime eröffnet ein Bezugsfeld, das es erlaubt, Bonns Richard-Inszenierung jenseits ihrer ästhetischen Bedeutung neu zu verorten. Da die konventionelle Historiographie Theater und Zirkus kategorial voneinander trennt, sind die Zirkuspantomimen, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreuten, bis heute ein Desiderat der Forschung. 164 Sie waren ein fester Bestandteil des Zirkusprogramms und bilden gerade hinsichtlich der Ökonomie des Spektakels einen wichtigen Baustein. Es war der ‚Zirkuskönig’ Ernst Jacob Renz (1815-1892), der den entscheidenden Anstoß zur Entwicklung dieser Form gab: Während im deutschsprachigen Zirkus bis in die 1870er Jahre hinein vor allem Equestrik und Aequilibristik in Form einer unzusammenhängenden Nummerndramaturgie dargeboten wurden, entwickelte Renz, beeinflusst vor allem durch französische Vorbilder, die für Deutschland neue Form der Zirkuspantomime. 165 Die Circuspantomimen jener Zeit waren vor allem durch zwei Elemente gekennzeichnet, nämlich dem Aufgreifen einer literarischen oder historischen Vorlage und deren Umsetzung in ein phantastisch-bombastisches Schauerlebnis unter Zuhilfenahme eines gewaltigen Personenapparates einschließlich eines Corps de Ballet und einer auf das Barocktheater zurückgehenden vielfältigen Maschinerie. Der Circus nahm sich mit Vorliebe Stoffe aus der klassischen Literatur und dem gängigen Theater- und Opernrepertoire und kaschierte die inhaltliche Verdünnung mit äußeren Effekten und imposanten Aufmachungen, um dem Amüsierbedürfnis des etablierten Bürgertums möglichst entgegenzukommen. 166 Dass Renz gezielt die Nähe zur Bühne suchte, lässt sich an dem Umstand ablesen, dass er für die künstlerische Entwicklung der Pantomimen mit dem Hofballettmeister August Siems zusammenarbeitete. 167 Die Themen waren breit gestreut und orientierten sich in erster Linie an der Möglichkeit spektakulärer Darbietungen, wie man schon an den Titeln 163 dt. 1911, o. S. 164 Leider sind die Studien zur Zirkusgeschichte sehr dünn gesät. Neben einer ausführlichen Einzelstudie zum Zirkus Busch (Winkler 1998) ist vor allem auf die Arbeiten von Günther/ Winkler (1986) sowie Otte 2006 hinzuweisen. 165 Vgl. hierzu Günther/ Winkler 1986, 73. 166 Gerhard Eberstaller zit. nach Winkler 1986, 14. 167 Vgl. hierzu Halperson 1920, 101f. 346 erkennen kann: „Karneval auf dem Eis“, „Der Rattenfänger von Hameln“, „Im dunklen Erdteil“. 168 Allerdings stieß diese Entwicklung bei Zirkusanhängern auf deutliche Ablehnung. Signor Saltarino (i.e. Hermann-Waldemar Otto [1863-1941]), der als Chronist des Artistentums mit verschiedenen Schriften hervorgetreten ist, stellt kategorisch fest, die Pantomime sei ein „fremdes Element“, das abzulehnen sei, weil in ihm „nur die künstlerischen Leistungen der Garderoben- und Requisiten-Kammern das Maßgebliche waren.“ 169 Ein solcher gattungstheoretischer Purismus - egal ob von Seiten des Artistentums oder des Kunsttheaters - verkennt aber, in welchem Maße die Pantomimen Medien und Katalysatoren sozialer und technologischer Entwicklung waren. In diesem Sinne deutet Marline Otte die Hochphase des Zirkus als kulturhistorisches Phänomen: In short, the appearance of circuses as mass media in Germany must be read as one of the most colorful signs that Germany had entered the modern age, in which technology, the rationalization of minds and bodies, and speed and precision were all held in high esteem. 170 Die sensationelle Einbindung neuer Technologien wurde neben der internationalen Ausrichtung 171 zu einem Kennzeichen der Zirkuspantomimen. So importierte Renz Anfang der 1890er Jahre aus Frankreich die technisch sehr aufwendigen Wasserpantomimen, bei denen die gesamte Manege mit Wasser gefüllt wurde. 172 Ihren Höhepunkt erlebte die Zirkuspantomime im 1884 gegründeten Zirkus Busch, der ab 1889 auch in Berlin präsent war, wo er 1895 ein eigens errichtetes Gebäude bezog. 1892 zeigte Busch in Wien seine erste Ausstattungspantomime mit dem Titel „Eine Walpurgisnacht auf dem Blocksberg“. 173 Während der Gründer und Namensgeber Paul Busch (1850-1927) in erster Linie Manager war, oblagen Entwurf und Durchführung der Pantomimen seiner Frau, Constance Busch (1849-1898). Auch Busch folgte der von Renz verfolgten Strategie der sensationellen Ausstattung: Constance Busch interessierte sich bereits 1895 für die Integration von Filmprojektoren in ihre Pantomimen 174 und 1909 präsentierte der Zirkus Busch ein „Radiumballett“, dessen ästhetische Wirkung dadurch geprägt war, dass die Kostüme mit Radium imprägniert waren und so im Dunkeln leuchteten. 175 Entscheidenden Einfluss auf die Weiterentwicklung dieser Gattung hatte, nach dem Tod ihrer Mutter, Paula Busch (1886-1973), die eine bürgerliche Erziehung erhalten hatte und zunächst ein Studium der Germanistik 168 Vgl. zu den Titeln Halperson 1926, 101. 169 Saltarino 1910, 21. 170 Otte 2006, 31. 171 Vgl. Halperson 1926, 95-97. 172 Vgl. Günther/ Winkler 1986, 66. 173 Vgl. hierzu Winkler 1998, 14. 174 Vgl. hierzu Busch 1957, 66f. 175 Vgl. Winkler 1998, 24. 347 aufnahm. 176 Sie trat als Schriftstellerin in Erscheinung und bemühte sich um eine stärkere Literarisierung der Pantomimen. 1910 debütierte sie mit ihrer Pantomime „Die Hermannsschlacht“ bzw. „Armin“, die in den Kritiken immer wieder als Vergleichspunkt für Bonns Inszenierung herangezogen wurde. Bonn provozierte solche Vergleiche, weil er Dekorationsteile des Zirkus für seine Inszenierung verwandte. Ein weiteres Kennzeichen der Busch’schen Pantomimen war die Hinwendung zu nationalen bzw. nationalistischen Themen: Anstelle der Blauen Blume der Romantik pflanzte sie [Paula Busch] nun das Banner nationalistischer Tradition in die Manege mit pompösen Schaustücken wie ‚1806’, ‚Krone und Fessel’, ‚Fridericus Rex’, ‚Die Mühle von Sanssouci’, ‚Bismarck’, ‚Ut de Franzosentid’ und so weiter, dabei das Zirzensische mehr und mehr dem Dramatischen opfernd. […] Der Theaterzirkus Buschscher Prägung unterschied sich von dem Renzschen durch seine auffällige gesellschaftliche Relevanz. 177 Dies korrespondierte mit der nostalgischen Aura des Zirkus und dem Nimbus des „Fahrenden Volks“. Die ‚klassische’ Darbietung des Zirkus, in dessen Zentrum immer noch das Pferd stand, bezog sich auf Werte wie Ritterlichkeit und Heldentum, die dem aristokratischen Tugendkatalog entsprachen. Die Stilisierung von Pferd und Reiter muss in einem dialektischen Bezug zur Gegenwart der Zuschauer gesehen werden, denn trotz des hohen Ansehens war das Pferd in verkehrstechnischer wie militärischer Hinsicht ein Relikt vergangener Tage. 178 Fragt man vor diesem Hintergrund nach dem sozialen Ort des Zirkus, so wird man ihn als ein deutlich bürgerliches Phänomen verorten können. 179 Trotz seines aristokratischen Duktus wandte er sich vor allem an die Gruppe der Neubürger, die den Zirkus in ihr kulturelles Repertoire aufnahmen. Die konservativ-affirmative Grundhaltung des Zirkus zeigt sich nicht zuletzt an den häufigen Besuchen der kaiserlichen Familie, die von den Zirkuskünstlern noch in der Retrospektive als feste Bezugspunkte der eigenen Identitätspolitik genutzt wurden. 180 Zirkusdirektoren, wie Busch oder Renz, waren keine gesellschaftlichen Grenzgänger mehr: Beide verdienten nicht nur Millionen mit ihren Unternehmen und wurden vom preußischen Hof, der 176 Paula Busch berichtet, sie habe Erich Schmidt ein Dissertationsvorhaben zu den Zirkuspantomimen angetragen, das dieser auch interessiert aufnahm. Mit Blick auf die Geschichte der deutschsprachigen Theaterwissenschaft wäre dies sicherlich eine interessante Fährte, die aber wohl als verloren anzusehen ist. Vgl. Busch 1957, 62f. 177 Günther/ Winkler 1986, 96. Martin Baumeister hat ausführlich diskutiert, wie die Massenpantomimen des Zirkus sich auch in den Kontext der mentalen Mobilisierung des Ersten Weltkriegs eingebunden haben; vgl. Baumeister 2005, 175-182. 178 Vgl. hierzu ausführlich Otte 2006, 31-35. 179 So auch Günther/ Winkler 1986, 43, die allerdings den Begriff bürgerlich im Horizont einer marxistischen Geschichtsschreibung, wie sie in der DDR üblich war, verwenden und damit eher auf seine kapitalistische Verfasstheit zielen. 180 Dies ist in Paula Buschs Autobiographie noch deutlich zu spüren, wenn sie die Begegnungen mit der kaiserlichen Familie ungebrochen als besondere Höhepunkte beschreibt; vgl. Busch 1957, 45-48. 348 beiden den Titel eines Kommissionsrats verlieh, 181 mit Ehren bedacht. Wenn Günther/ Winkler bedauernd feststellen, dass Busch „in erster Linie Unternehmer und erst in zweiter Zirkusdirektor“ 182 gewesen sei, so schreiben sie die Legende des außerhalb der Gesellschaft stehenden Artistentums fort, verschleiern damit aber die Tatsache, dass die Großzirkusse des ausgehenden 19. Jahrhunderts hochgradig diversifizierte und logistisch hoch effiziente Großunternehmen waren. In seiner eigentümlichen Mischung aus konservativem Dekor, aristokratischem Gepräge, bohemienhafter Ausstrahlung, sensationeller Ausstellung neuer Technologien und dem Zielen auf ein Massenpublikum wurde der Zirkus ein „(etwas unheimlicher) Ort des Klassenfriedens“ 183 , wie Walter Benjamin schreibt. Als ein solcher Ort der Gemeinsamkeit der urbanen Lebenswelt war er ein wichtiger Bestandteil einer umfassenden Spektakelkultur und -ökonomie. Seine ästhetisch-programmatische Struktur zielte nicht auf die Originalität der eigenen Setzung oder Schöpfung, sondern auf eine sekundäre Teilhabe an bestehenden gesellschaftlichen Kräften und Formationen, sei es das kollektive Imaginäre, sei es die soziale Ordnung und ihre Symbole. Gerade darin lag das integrative Potenzial dieses Spektakels, das ein unmittelbarer Ausdruck der von der Konsumkultur begründeten Öffentlichkeit ist. Da der Zirkus sich nicht auf den Schutz eines angestammten kulturellen Prestiges zurückziehen konnte und auch nicht durch staatliche Subventionen vor Veränderung geschützt wurde, blieb nur, kontinuierliche Veränderung und ‚Selbsterfindung’ zum Motor seiner Entwicklung zu machen. Allerdings verkehrten sich die expansiven Strategien letztlich gegen den Zirkus selbst: So bedeuteten die in den 1920er Jahren aufkommenden Ausstattungsrevuen 184 eine schwere Krise für den sich dem Theater nähernden Zirkus: „Der Triumph der Spezialitätentheaterm der Varietés entzog dem Zirkus in erschreckendem Maße die artistischen Darbietungen, die hier bei weniger Arbeit mehr verdienten.“ 185 Die Konkurrenzsituation der Spektakelkultur wirkte sich nicht allein auf die Produzenten aus - auch das Publikum wandte sich dem neuen Format der Revue bzw. verstärkt dem Film zu. Denn hinsichtlich der Schaffung von Schauwerten und vor allem hinsichtlich ihrer ökonomischen Verwertung war das neue Medium Film, das Constance Busch bereits 1895 als Attraktion in ihre Pantomimen hatte einbinden wollen, deutlich im Vorteil. 186 Eine Vorahnung dieser Entwicklung kann man im Urteil der „Norddeutschen 181 Vgl. für Renz Günther/ Winkler 1986, 46, für Busch Halperson 1920, 120. 182 Günther/ Winkler 1986, 89. 183 Benjamin 1991, 71. 184 Vgl. hierzu Jansen 1987. 185 Günther/ Winkler 1986, 76. 186 Zur Analogie von Film und Zirkuspantomime vgl. auch Günther/ Winkler 1986, 77. 349 Allgemeinen Zeitung“ sehen: Der Rezensent von Bonns „Richard III.“ bescheinigt, er bestehe nur in „Fresken, einem Futter für die ‚Kientoppe’“ 187 . Die Zirkuspantomimen sowie die Zirkusinszenierungen von Bonn bis Reinhardt zeigen in einer kulturhistorischen Perspektive die Verwurzelung des Spektakels in der großstädtischen Lebenswelt um 1900, ohne dass es sich auf bestimmte Schichten, ästhetische Programmatiken oder technische Bedingungen verengen ließe. Die Hochphase des Zirkus gründet vielmehr gerade in seiner grundsätzlichen Offenheit für unterschiedlichste Impulse. Der Zirkus war ein Ort der Sensation und Schaulust in allen Facetten und Formen. Seine Kurzlebigkeit als Massenmedium bzw. die Instabilität seines Genres sind in diesem Sinne jedoch nicht Ausweis ihrer Marginalität, sondern Folge ihrer zentralen sozialen Position am Schnittpunkt unterschiedlichster Diskurse und Entwicklungen. 187 Anonymus 1911e, o. S. 350 Spektakel der Macht Das Eingebundensein der Spektakelkultur in die sich neu formierende und erweiternde, urban geprägte Konsumkultur des ausgehenden 19. Jahrhunderts darf nicht dazu verleiten, diese als reinen ‚Überbau’ abzutun. Die sich hier entfaltende Öffentlichkeit, für die das Wechselverhältnis von Sensation (Schauwert) und Schaulust zum zentralen Motor gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe wurde, prägte auch den politischen Diskurs. Daher soll im Folgenden an ausgewählten Beispielen dieses Spektakel der Macht untersucht werden. Der Staats-Schauspieler seiner Selbst: Wilhelm II. Das Theater ist auch eine meiner Waffen. Wilhelm II. 188 Dieser Wilhelm ist der Ferdinand Bonn unter den Monarchen. Karl Kraus 189 Als am 25. Juni 1888 der gerade 29jährige neue Kaiser Wilhelm II. den Weißen Saal des Berliner Stadtschlosses betrat, um mit einer von seinem Kanzler Otto von Bismarck (1815-1898) verfassten Rede den Reichstag zu eröffnen, antwortete das pompöse Zeremoniell auch auf die Befürchtungen, der Tod von Wilhelm I. und der seines Sohnes Friedrich III. nur drei Monate später könnten zu einer grundlegenden Instabilität des noch jungen Kaiserreichs führen. Das sog. „Dreikaiserjahr“ bedeutete einen regelrechten ‚Generationssprung’, durch den die Krone vom Großvater fast unmittelbar auf den Enkel überging. Da sich aufgrund der komplexen Verfassungslage des Kaiserreichs 190 und der noch herrschenden Staatstrauer eine 188 Zit. nach Anonymus 1902, 305. 189 Kraus 1909, 36. 190 Vgl. hierzu Zippelius 1999, 115-122. Abb. 60: Porträt Wilhelms II. in Paradeuniform. 351 prunkvolle Krönung, die den Befürchtungen der Destabilisierung entgegengetreten wäre, verbot, wurde die Reichstagseröffnung zum Anlass genommen, eine solche Inszenierung der Selbst-Bestätigung ins Bild zu setzen. Wilhelms Rede und sein Auftreten (sowie das aller übrigen Beteiligten) waren sorgfältig kalkuliert und vorbereitet, nicht nur in politischer Hinsicht, 191 sondern auch in visueller: Hatte man doch den Maler Anton von Werner (1843-1915) mit der Gestaltung des Raumes und dem Arrangement der Zeremonie beauftragt. 192 Wilhelms Mutter, Victoria (1840-1901), war durch den großen Aufwand - alle deutschen Bundesfürsten waren zu diesem Anlass in Berlin erschienen - und den Pomp in ihrer Trauer gekränkt, wie sie ihrem Tagebuch anvertraute: Man hat Anton v. Werner hergeholt um den Weißen Saal zu decoriren wie für ein Fest! Wie roh u. gefühllos an einem eben geschlossenen Grab! - Wenn das Deutsche Reich solche gezwungene mis en scene u. Hocus Pocus bedarf, um der Welt zu beweisen, daß es nicht aus den Fugen geht, thut es mir leid! 193 Es ist wohl kein Zufall, dass Victoria ihre Beobachtung in eine fast Hamlet’sche Perspektive kleidet, die dessen Diagnose „The Time is out of joint“ wie beiläufig zitiert. Die Skepsis gegenüber der „mis en scene“ und dem „Hocus Pocus“ lenkt den Blick auf die spezifische äußere Gestalt, mit der von Werner als ‚Dekorateur’ den Anlass inszenierte. Die Wahl von Werners verdankte sich nicht allein seiner Position als Leiter der Königlichen Hochschule der Bildenden Künste, er hatte vor allem mit seinem mehrfach variierten Bild der Kaiserproklamation zu Versailles 1871 ein Gemälde geschaffen, das im kollektiven Imaginären fast den Rang eines fotografischen Dokuments innehatte. 194 191 Vgl. hierzu Röhl 2001a, 20-31. 192 Wie seinen Memoiren zu entnehmen ist, wurde von Werner des öfteren konsultiert, um protokollarische bzw. zeremonielle Fragen zu lösen; vgl. Werner 1913, 530 bzw. 538. Dies kann als ein Indiz dafür gesehen werden, mit welchen Unsicherheiten das Kaiserreich bei der Erfindung seiner Wurzeln konfrontiert war. 193 Zit. nach Röhl 2001a, 30f. 194 Vgl. hierzu Bartmann 1993, 332-353, mit einer ausführlichen Dokumentation des Bildes und seiner unterschiedlichen Fassungen. Françoise Forster-Hahn spricht in diesem Abb. 61: Anton von Werner: „Die Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches (18. Januar 1871)“, 1885. 352 Für die Reichstagseröffnung 1888 gestaltete von Werner nun nicht allein die Dekoration des Weißen Saals, er fertigte auch ein Gemälde an, das bildlich der Tatsache Ausdruck verlieh, dass diese Rede bzw. der Auftritt Wilhelms II. de facto seine Krönung zu ersetzen hatte. Das Gemälde, 1893 vollendet, steht in einem spiegelbildlichen Verhältnis zu jenem der Kaiserproklamation: Während Wilhelm I. im Kreis der Bundesfürsten bewusst als primus inter pares erscheint, steht Wilhelm II. freier. Im Gegensatz zu seinem Großvater, der seine Ansprache durch Bismarck verlesen ließ, hält Wilhelm II. das Manuskript selbst in den Händen und wird so zu einem aktiv Handelnden. 195 Das verbindende Element zwischen beiden Gemälden (und den auf ihnen dargestellten historischen Situationen) ist die Gestalt Bismarcks, der jeweils am Fuße des Podests steht. Seine in eine weiße Uniform gehüllte Gestalt hebt sich deutlich ab und markiert damit seine entscheidende Rolle. 196 Die Form der Amtseinführung und die sich ihr anschließende bildliche Aufbereitung bzw. Auswertung 197 spiegeln das politische Selbstverständnis Wilhelms II., der aus der Formel der Gottgewolltheit einen unmittelbaren politischen Anspruch ableitete. 198 Gleichzeitig war ihm die Notwendigkeit einer entsprechenden äußeren Darstellung dieses Anspruchs bewusst, so Zusammenhang davon, dass von Werners Bild nicht einfach Geschichte erzählt, sondern regelrecht geformt habe; vgl. Forster-Hahn 1993, 80. Nic Leonhardt hat ausführlich die Bildzirkulationen des deutsch-französischen Krieges beschrieben und hierbei besonders auf die Rolle von Werners verwiesen. Am deutlichsten wird dies sicherlich bei seiner Mitwirkung am „Sedan-Panorama“, das schon als Medium auf eine massenhafte Konsumption seiner Bilder zielt. Vgl. hierzu Leonhardt 2006, 170-225 sowie Grau 2001. 195 Vgl. Bartmann 1993, 409f. 196 Tatsächlich ist die weiße Kürassieruniform bei der Kaiserproklamation erst eine spätere Erfindung von Werners gewesen, um Bismarck besonders hervorzuheben; vgl. Bartmann 1993, 349. 197 Vgl. zur Zirkulation der von Werner’schen Bilder Prieske 1993. 198 Vgl. hierzu Ullrich 1999, 143-153. Abb. 62: Anton von Werner: „Die Eröffnung des Reichstags im Weißen Saal des Berliner Schlosses durch Wilhelm II, 1888“ (1893). 353 dass er sich mit besonderem Eifer zeremoniellen und symbolischen Aufgaben zuwandte. 199 Thomas A. Kohut resümiert hierzu: In keeping with his theatricality, the Kaiser made dramatic use of symbols in communicating with his subjects. As with his appreciation of the significance of press and public opinion, Wilhelm sensed the power of symbolic communication with his subjects because symbols affected him so powerfully. 200 Wilhelm II. bediente sich hierbei einer Symbolsprache, die im barocken Gepräge des Absolutismus wurzelte. Mit seiner schon fast zum Fetischismus neigenden Begeisterung für Uniformen und Machtzeichen maskierte er seinen eigenen Körper zum Symbol der Kaiserwürde und ihres Machtanspruchs. Jürgen Habermas hat in „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (1962) solche Verfahren als repräsentative Öffentlichkeit beschrieben, die sich nicht als sozialer Bereich, sondern als „Statusmerkmal“ konstituiere. 201 Allerdings verweist Habermas explizit darauf, dass es sich um einen vorbürgerlichen Typus der Öffentlichkeit handele, der durch das Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft obsolet geworden sei. Die wilhelminischen Auftritte lassen sich aber nur auf den ersten Blick als Beispiel repräsentativer Öffentlichkeit begreifen. Tatsächlich kann man Wilhelms Selbstinszenierung in ihrer historischen Wirkung und Bedeutung nur umfassend beschreiben, wenn man sie in ihren Spannungen zur politischen Verfassung und zur sozialen Wirklichkeit des Kaiserreichs versteht. Die respektheischenden Gesten speisten sich keineswegs aus einem allseits anerkannten Herrschaftsanspruch, sondern waren vielmehr ein Akt performativer Selbstbehauptung. Der Anspruch repräsentativer Öffentlichkeit bzw. unumschränkter Macht geronn zum Gestus, der seiner permanenten Inszenierung bedurfte, um soziale Wirklichkeit zu gewinnen. Dementsprechend schildert der Historiker Karl Lamprecht (1850-1915) Wilhelm II. im Vokabular eines Bühnendarstellers: [E]r besitzt […] die seltene Gabe, in Unterredung und Einzelrede gleich wirksam zu sein: wer von der Unterhaltung mit ihm kommt, ist entzückt, wer ihn hat reden hören, ergriffen. Unter diesen Umständen, zumal da bei öffentlichen Reden zugleich das eindrucksvolle Inszenieren des Gesamtaktes den ästhetischen Neigungen des Kaisers entspricht, können Wirkungen von einzigartiger Gewalt entstehen, deren mindestens ausnahmsweise Anwendung man dem Kaiser nicht 199 So schreibt von Werner mit leichter Verwunderung: „Trotz der Sorgen und Lasten, die ihm die Staatsgeschäfte auferlegten, fand der Kaiser noch Zeit, selbst anscheinend untergeordneten Angelegenheiten vom künstlerischen Gesichtspunkte aus sein Interesse zuzuwenden, […].“; Werner 1913, 570. John C. G. Röhl zeichnet in seiner Biographie, die innerhalb der historischen Forschung als maßgebliches Standardwerk gelten kann, ein etwas anderes Bild: Wilhelm hatte augenscheinlich ohnehin keine große Neigung, sich den Mühen des politischen Geschäftes, wie Aktenstudium etc., zu unterziehen, und konzentrierte sich umso mehr auf die äußere Repräsentation; vgl. Röhl 2001a, 136-145. 200 Kohut 1991, 143. 201 Vgl. Habermas 1990, 60f. 354 verargen sollte: es handelt sich um den Gebrauch von echt fürstlichen Machtmitteln, die in seiner Person sich ausnahmsweise günstig vereint finden. 202 Lamprecht erkennt dieses Verhalten auf der einen Seite als unverzichtbaren Bestandteil öffentlichen Lebens an, 203 weist auf der anderen Seite aber darauf hin, dass der Kaiser die Neigung habe, sich selbst an den „rhetorischen Narkosen“ seiner Worte zu berauschen. 204 Egon Friedell (1878-1938) hat in seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ (1927-1931) eine psychologische Deutung dieser Strategie unternommen: Das Zentralmotiv in der Seele des Kaisers war der infantile Wunsch, von aller Welt geliebt zu werden, immer im Mittelpunkt zu stehen: er wollte, wie Bismarck sagte, alle Tage Geburtstag haben. […] Infantil war auch seine Freude an Aufzügen, Festivitäten, Verkleidungen (er wechselte bisweilen ein halbes Dutzend Mal am Tage das Kostüm und erschien im ‚Fliegenden Holländer’ in Admiralsuniform; der Berliner Witz erwartete, daß er sie auch bei der Eröffnung des Aquariums anlegen werde). Auch seine Reden, nicht selten durch glänzende Formulierungen packend, zeigten diese Freude an gleißendem Ausstattungswesen, opernhaftem Requisitenflitter: […]. All dies hatte etwas Rührendes; und wäre völlig harmlos geblieben, wenn Wilhelm der Zweite ein bloßer Bürger, etwa Leiter einer Großbank oder eines Theaterkonzerns, und eben nicht Kaiser gewesen wäre. 205 Friedells Analyse erschöpft sich allerdings nicht in solcherlei individualpsychologischen Diagnosen, vielmehr wird Wilhelm II. für ihn zu einer historischen Leitfigur, weil er „fast immer Ausdruck der erdrückenden Mehrheit seiner Untertanen“ 206 gewesen sei. Die historische Forschung hat in den letzten Jahren die ‚theatralische Ader’ Wilhelms II. einer Neubewertung unterzogen. So erscheinen seine Selbstinzenierungen im Hinblick auf das von Wilhelm verfolgte Programm des persönlichen Regiments, 207 d.h. einer aktiven Rolle des Kaisers, von großer politischer Bedeutung. In einer verfassungsrechtlichen Konstellation, in der dem Kaiser mit dem Reichstag und dem Reichskanzler zwei Kontrollgremien zugeordnet waren, dienten die Auftritte Wilhelms dazu, seinen Machtanspruch jenseits des konstitutionellen Rahmens zu demonstrieren und persönlichen Einfluss geltend zu machen. Martin Kohlrausch hat in seiner viel beachteten Studie „Der Monarch im Skandal“ (2005) eine Sichtweise auf dieses öffentliche Verhalten gefordert, die sich stärker von den zeitgenössischen Bewertungen löst. So stellt Kohlrausch fest: „Die ‚Redewut’ Wilhelms II. entsprang keineswegs nur einem ‚Spleen’ des Monarchen. Vielmehr entsprach sie den Anforderungen einer 202 Lamprecht 1913, 73. 203 Vgl. Lamprecht 1913, 72. 204 Vgl. Lamprecht 1913, 76f. 205 Friedell 2005, 1367. 206 Friedell 2005, 1364. 207 Vgl. zu diesem Begriff Ullrich 1999, 148f. 355 kommunikativ mobilisierten Gesellschaft.“ 208 Und an anderer Stelle wird er noch deutlicher: Wilhelm II. entwickelte […] den Kommunikationsstil eines modernen, auf Massen und Stimmungen reagierenden Politikers. Eine der Vorbedingungen und gleichzeitig ein Bestandteil der immer wieder beschworenen direkten Kommunikation waren die vielen Reisen Wilhelms II. 209 Dieser Befund deckt sich mit der Analyse von Johannes Paulmann, der in seiner Studie „Pomp und Politik“ (2000) das Entstehen eines neuen Zeremoniells, nämlich der öffentlichen Monarchenbegegnung, als Folge der politischen Verfasstheit der Nationalstaaten, die nicht immer gleichbedeutend mit den dynastischen Ordnungen der Herrscherhäuser waren, beschrieben hat. 210 Unter den Bedingungen der Nationalstaaten spielte […] die Sichtbarkeit von Herrschaft für die Integration der Gesellschaft eine besondere Rolle. Aus dem gewandelten Staatensystem resultierte eine zusätzliche Motivation, Macht und Prestige der rivalisierenden politischen Gebilde anschaulich werden zu lassen, in dem die Staatsoberhäupter sich in repräsentativer Form auf der europäischen Bühne trafen. 211 Paulmann erweitert seine politische Analyse um die kulturhistorische Feststellung, dass durch die zeremoniellen Begegnungen und die neue Form der Selbstrepräsentation der Herrscher auch eine Einbindung in die „Waren- und Konsumwelt“ 212 gefunden habe. Dies betraf sowohl die kommerzielle Verbreitung von Monarchenbildern als auch die Wahrnehmung öffentlicher Auftritte als Spektakel, wobei sich hier die wechselseitigen Interessen zunächst einmal positiv verstärkten: „Kommerz ging mit der Omnipräsenz einher.“ 213 Paulmann sieht diesen doppelten Kreislauf von politischem Kalkül und kommerzieller Verwertung als zentrales Moment sozialer Integration: Neben der imaginierten und aktuell erlebten Gemeinschaft der Nation formierte sich bei den spektakulären Anlässen eine Gemeinschaft der Konsumenten, unmittelbar für den Augenblick am Straßenrand und auf den Tribünen, aber auch mittelbar und dauerhafter in der Welt der Warenkultur. […] Sowohl die Nation als auch die Konsumgesellschaft schlossen die Monarchen ein. 214 Wilhelm II. war für diese Form der Integration in die Konsumkultur, die ihm beträchtliche Wirkungsmöglichkeiten eröffnete, bekannt. Stärker noch 208 Kohlrausch 2005, 80. 209 Kohlrausch 2005, 73. 210 Vgl. hierzu Paulmann 2000, 357. 211 Paulmann 2000, 343f. 212 Paulmann 2000, 344. 213 Paulmann 2000, 390. 214 Paulmann 2000, 398. 356 als sein Großvater nahm er teil an der ausgeprägten Bäderkultur, 215 außerdem wurde er zu einem beliebten Postkartenmotiv. 216 Durch die Fotografie sowie verbesserte Drucktechniken war die Zirkulation dieser Bilder bald nicht mehr zu kontrollieren - Sichtbarkeit und Omnipräsenz, vor allem aber die Einbindung in die Konsumkultur, führten zwangsläufig zu einem Kontrollverlust. Der „Simplicissimus“ spottete im November 1907 über die Proliferation der Herrscherbilder unter dem Titel „Die meistphotographierten Europäer“. In zwei Zeilen werden Monarchen und Schauspieler mit der Unterzeile „Wirkliche und Bühnenhelden“ einander gegenübergestellt, wobei die Ähnlichkeit in Geste und Körperhaltung in verräterischer Weise offenlegt, zu welcher Nähe Macht und Pose gekommen sind. Die monarchische Geste war das Mittel der öffentlichen Wirkung - sie traf auf ein Publikum, dessen Reaktion vieltönig und vielstimmig war. Vor dem Hintergrund einer sich dynamisch verändernden Gesellschaft übernahm Wilhelm II. auf unterschiedlichen Ebenen eine symbolische Funktion. Wolfgang König zeigt etwa in „Wilhelm II. und die Moderne“ (2007), in welchem Maß der Kaiser durch seine persönliche Nutzung neuer technischer Errungenschaften diesen gesellschaftliche Akzeptanz und Verbreitung verschaffte. Beispielhaft hierfür ist der Umgang mit dem Automobil, das durch die kaiserliche Familie gesellschaftsfähig wurde. 217 Die öffentliche Wirkung Wilhelms bestimmte sich nicht allein aus der Intention seiner Herrschaftsgesten, sondern auch aus der unterschiedlichen Resonanz, die diese in der Gesellschaft fanden. Wie sehr Wilhelm II. sich hierbei zum Akteur der Spektakelkultur machte, kann man an der Beschreibung des Reiseführers „Berlin für Kenner“ (1912) feststellen, der ihn als eine eigenständige ‚Sehenswürdigkeit’ aufführt: 215 Vgl. hierzu Paulmann 2000, 357 sowie besonders Blackbourne 2001, der deutlich macht, wie sehr die Bäder des ausgehenden 19. Jahrhunderts selbst Bühnen des sozialen Spektakels waren. 216 Vgl. hierzu ausführlich May 1998. 217 Vgl. hierzu ausführlich König 2007, 204-221. Abb. 63: Karikatur des „Simplicissimus“ (1907). 357 Man spähe aus, ob auf dem Schloß die Kaiserstandarte weht. Dann ist der Kaiser in Berlin. Um 10 Uhr vorm. pflegt er auszureiten, um 2 Uhr nachm. im Auto auszufahren, beidemale die ‚Linden’ entlang. Um 11 bzw. 3 Uhr kehrt er zurück. 218 Rudy Koshar begreift ihn folgerichtig als Ware und Akteur eigenen Ranges in der neuen urban geprägten Konsumkultur: In Berlin […] the kaiser’s motorcade, departing or returning, had become a tourist attraction, and the ‚melodic trumpet signal’ of the royal automobiles was identified as a distinctive feature of Berlin life. […] Given the new popularity of tourism in Europe in this age of rising material wealth, the kaiser’s travels illustrated that national identity was now also increasingly a product of consumption. The ‚buying’ and ‚selling’ of historical sites to the public, indeed the buying and selling of many images of those sites in the form of photographs, mugs, and playing cards, potentially united Germans from different backgrounds with their kaiser and with each other. In the process, the kaiser created himself as Germany’s leading consumer of touristic spectacles just as he became a spectacle to the other consumers. 219 218 Anonymus 1912, 21. 219 Koshar 2000a, 25. Abb. 64 bis 66: Der „Reisekaiser“ als Sehenswürdigkeit auf Postkarten. 358 Das Spektakel der Geschichte Wie sehr Wilhelms Selbstinszenierung eine Strategie gegen den horror vacui der Traditionslosigkeit des Hohenzollern’schen Kaiserhauses war, wird an der Fülle historischer Bezüge deutlich, mit denen er seinem Machtanspruch eine historische Autorität zu verleihen suchte. Karl Lamprecht führt hierzu aus: In ihren historischen Neigungen aber ist die Persönlichkeit des Kaisers vor allem hohenzollerisch: nichts geht ihm über die hohe Überlieferung seines Hauses und seines Geschlechts. Man weiß, wie er die Großen unter seinen Ahnen verehrt; aber auch die Gesamtreihe ist ihm mehr als lieb und teuer. 220 Wilhelms Verehrung seiner Vorfahren kontrastierte mit der relativ jungen Geschichte des preußischen Königshauses, das erst im 18. Jahrhundert seine politische und vor allem militärische Vormachtstellung ausbauen konnte. Umso mehr insistierte Wilhelm auf der Präsenz seiner dynastischen Ansprüche, die er auch mit den Mitteln des Spektakels durchzusetzen suchte. So etwa, wenn er selbst im Rahmen eines Hofballs in die Rolle Friedrich Wilhelms I. (1620- 1688), des „Großen Kurfürsten“, schlüpfte. Hierbei handelte es sich nicht um einen privaten Moment karnevalesker Verstellung - vielmehr brachte der Hof gezielt Porträtkarten Wilhelms im Kostüm in Umlauf, 221 der Körper des Monarchen wurde so zum Ort und Träger einer heroischen Vergangenheit und historischen Kontinuität. Paradigmatisch für diese Strategie historischer Selbst-Verortung war die Planung und Errichtung eines Denkmalparcours in der Siegesallee, die in Erinnerung an den militärischen Sieg über Frankreich 1871 errichtet worden war. Es sollte für jeden Herrscher der Mark Brandenburg eine Statuengruppe geben, die den Herrscher, umrahmt von zwei Porträtbüsten wichtiger Zeitgenossen, zeigte. Am 27. Januar 1895, seinem Geburtstag, veröffentlichte Wilhelm II. einen Erlass, in dem er den Plan zu dieser ‚Schenkung’ bekannt gab: 220 Lamprecht 1913, 39. 221 Vgl. hierzu Röhl 2001a, 958f. Abb. 67: Wilhelm II. als Verkörperung der eigenen dynastischen Vergangenheit; hier in der Maske des Großen Kurfürsten. 359 Meine Hauptstadt Berlin hat an der Entwicklung, welche dem deutschen Städtewesen dadurch [i.e. die „Wiedererrichtung des Reichs“] beschieden ward, reichen Anteil genommen, […]. Als Zeichen meiner Anerkennung für die Stadt und zur Erinnerung an die ruhmreiche Vergangenheit unseres Vaterlandes will Ich daher einen bleibenden Ehrenschmuck für Meine Haupt- und Residenzstadt Berlin stiften, welcher die Entwicklung der vaterländischen Geschichte von der Begründung der Mark Brandenburg bis zur Wiederaufrichtung des Reichs darstellen soll. 222 Liest man die Formulierungen im Licht der kulturellen Entwicklung, so fallen zunächst einmal die Besitzansprüche auf, die Wilhelm mit Formulierungen wie „Meine Haupt- und Residenzstadt“ erhebt. Tatsächlich war das Kaiserhaus an der Entwicklung urbaner Modernisierung nur bedingt beteiligt und stellte sich im Übrigen auch eher in einen Antagonismus zu diesen Strömungen. 223 Insofern war das Konzept der Siegesallee ein Versuch, das Territorium für sich in Anspruch zu nehmen und entsprechend zu markieren. Uta Lehnert hat sie daher konsequenterweise als „Réclame Royale“ bezeichnet und unter werbestrategischen Gesichtspunkten analysiert. 224 Mit Blick auf den Entstehungskontext ist es wichtig sich zu vergegenwärtigen, dass das Unternehmen an vergleichbare Projekte anschloss, mit denen versucht wurde, dem Nationalgefühl Ausdruck zu verleihen bzw. es zu manifestieren. Bereits 1872 war in Berlin mit der Siegessäule ein Denkmal für die Reichsgründung bzw. den militärischen Sieg über Frankreich eingeweiht worden. 225 Zehn Jahre später folgte in Rüdesheim das Niederwalddenkmal, in dessen Zentrum eine waffenbewehrte Germania stand, die als Verkörperung der „Wacht am Rhein“ selbstbewusst bzw. herausfordernd nach Frankreich blickt. 226 Im Kontext der wilhelminischen Geschichtsinszenierung ist vor allem das Kyffhäuser-Denkmal zu nennen, das 1896 durch Wilhelm II. eingeweiht wurde. Es markiert den mythischen Ort der Entrückung, an dem Kaiser Friedrich I. (~ 1122-1190), genannt Barbarossa, schlafen soll, bis das Reich ihn wieder ruft. 227 Die monumentale Denkmalsanlage stellt Friedrich I. und Wilhelm I. in einen direkten Zusammenhang: Im Untergeschoß der riesigen Architektur, im Berg und in ihn hineingebunden sitzt Barbarossa im Augenblick des Erwachens, und oben in der freien Höhe reitet Wilhelm, der Erfüller, gleichsam aus dem Berg heraus, vor einer ‚trotzigen’ Turmarchitektur, mit Adler und Krone an der Spitze. 228 222 Zit. nach Anonymus 1900, 5. 223 Wolfgang König schreibt hierzu: „Wilhelm hielt nichts vom Berliner Wirtschaftsbürgertum, das in seiner Residenzstadt eine Art Nebenregierung führte, die ihm immer wieder Steine in den Weg legte.“; König 2007, 148. 224 Vgl. hierzu bes. Lehnert 1998, 15-22. 225 Vgl. hierzu Koshar 2000a, 30. 226 Vgl. hierzu Mazón 2000. 227 Vgl. zur Interpretation der Gesamtanlage auch Koshar 2000a, 40-43. 228 Nipperdey 1968, 545. 360 Wilhelm II. setzte gezielt die Popularität seines Großvaters für die mythische Überhöhung seiner Dynastie ein. 229 Programmatisch förderte er die Errichtung von Denkmälern - tatsächlich wurden 300-400 errichtet 230 -; er versuchte auch das Epitheton „Wilhelm der Große“ durchzusetzen. Deutlichster Ausdruck dieser mythischen Einbindung war auch der gelegentlich gebrauchte Name „Barbaalba“. 231 Die Siegesallee stellte für Künstler und Historiker eine besondere Herausforderung dar, weil hier die dynastische Folge der Hohenzollern mit dem Fluchtpunkt des Kaiserreichs ausgestellt werden sollte. Dies förderte zunächst eine Reihe von unbekannten oder wenig schmeichelhaften Ahnherren zutage, wie Otto den Faulen (1346-1379). Für die Bildhauer stellte sich das Problem, dass es für viele ältere Figuren keine Abbildungen gab, an denen man sich hätte orientieren können. So kam es, dass der gerade in Berlin gastierende Cellist Paul Bazelaire (1886- 1958) als Heinrich das Kind porträtiert wurde, begleitet von einer Büste des Wedigo von Plotho, für den ausgerechnet Heinrich Zille (1858-1929) Modell stand. 232 Abgesehen davon, dass Wilhelm II. durch Besuche in den Ateliers die Arbeiten unmittelbar verfolgte, schrieb er seine Person unmittelbar in dieses dynastische Großprojekt ein, indem er für die Statue von Friedrich II. (1712-1786) selbst im Kostüm Modell stand. 233 Da Wilhelm Friedrich besonders verehrte, bestand er darauf, dass dieser nicht im Alter gezeigt werde, sondern als junger Mann, obgleich es hierfür keine historischen Vorlagen gab. Uta Lehnert resümiert: 229 Vgl. hierzu auch Röhl 2001a, 953-960. 230 Vgl. hierzu Nipperdey 1968, 543. 231 Vgl. zu diesem ‚Ahnenkult’ Röhl 2001a, 953-960. 232 Verantwortlich für diese Gruppe war August Kraus (1868-1934), der eng mit Zille befreundet war; vgl. hierzu auch Lehnert 1998, 125-128. 233 Vgl. hierzu Lehnert 1998, 204. Abb. 68: Das Standbild Friedrichs II. in der Siegesallee, für das Wilhelm selbst Modell gestanden hatte. 361 Das Standbild Friedrichs II. ist ein Produkt des Kaisers, der mit der jugendlichen Variante einen völlig neuen Friedrichstypus schaffen wollte. Viel mehr als eine dem tradierten Friedrichstypus folgende Kostümfigur ist nicht dabei herausgekommen. 234 Die Enthüllungen der Statuen gestaltete Wilhelm mit militärischen Ehren als Spektakel sui generis, wobei er seinen persönlichen Vorlieben etwa dadurch Ausdruck verlieh, dass er vor der Statue Friedrichs II., die seine eigenen Gesichtszüge trug, eine Minute salutierte. 235 Wilhelm II. strebte mit dem Denkmalparcours nicht nur eine dynastische Propaganda an, er schrieb sich selbst auch in seiner spezifischen Körperlichkeit in das historische Bewusstsein seiner Zeitgenossen ein: In Ermangelung einer gewachsenen Geschichte modellierte er seinen eigenen Körper zum Träger historischer Kontinuität. Wie sehr dieser Anspruch, den urbanen Raum, der hier pars pro toto für die gesamte Gesellschaft stehen kann, für sich zu reklamieren, in Spannung zur Lebenswelt der modernen Großstadt Berlin und der vielschichtigen deutschen Gesellschaft stand, unterstreicht eine Karikatur, die mit dem Titel „Strafe muß sein“ 1904 im „Simplicissimus“ erschien: Sie zeigt einen Kammerherrn, der zu einer Gruppe sich verbeugender Männer sagt: „Nein, meine Herren, solange Berlin sozialdemokratisch wählt, ist nicht daran zu denken, daß mit der Errichtung von Denkmälern innegehalten wird.“ 236 Darüber hinaus verfolgte Wilhelm II. mit seiner Schenkung ein ästhetisches bzw. kulturpolitisches Ziel. Der mit der Gesamtleitung beauftragte Reinhold Begas (1831-1911) traf mit seinem neobarocken Stil Geschmack und Selbstverständnis des Kaisers, nahm aber innerhalb der Kulturschaffenden eine eher randständige Position ein. Bei einem Empfang der Bildhauer 1901 zum Abschluss der Siegesallee hielt Wilhelm II. eine viel be- 234 Lehnert 1998, 227. 235 So Lehnert 1998, 245. 236 Vgl. auch Lehnert 1998, 306. Abb. 69: Karikatur von Olaf Gulbransson; „Simplicissimus“, 1904. 362 achtete Rede, in der er seinen Dank zum Anlass für einen Angriff auf die moderne Kunst nutzte. Das Gegenbild zur ‚wahren Kunst’ war für Wilhelm der Naturalismus, den er als Kunst, die „in den Rinnstein niedersteigt“, 237 brandmarkte. An ihrer statt sehnte er sich nach einer Kunst, die in der Gestalt des Schönen die Ideale eines Volkes ausstelle. Es ist aufschlussreich, dass Wilhelm die von ihm favorisierte Kunst mit ‚natürlichen’ Kriterien beschreibt, 238 während er die moderne Kunst als Produkt von „Marktschreierei, […] Presse, […] Konnexion“ 239 identifiziert: „Die Kunst, die zur Reklame heruntersteigt, ist keine Kunst mehr, und mag sie hundert- und tausendmal gepriesen werden.“ 240 Hier offenbart sich das fundamentale Unbzw. Missverständnis des Kaisers gegenüber dem öffentlichen Raum: Obgleich Wilhelm durchaus mit Bewusstsein (und auch Geschick) für seine Wirkung in der Öffentlichkeit agierte und symbolische und theatrale Situationen zu schaffen und zu nutzen wusste, denunziert er die Vielstimmigkeit des öffentlichen Raumes als Moment kulturellen Verfalls - ohne zu erkennen, wie sehr sein Einfluss auf ebendieser Vielstimmigkeit beruhte. Hier stoßen sich unversöhnlich neoabsolutistischer Machtanspruch und die Verfasstheit einer letztlich doch pluralistischen Gesellschaft. 237 Zit. nach Anonymus 1902, 314. 238 So heißt es in der Rede: „Das Gefühl für das, was häßlich oder schön ist, hat jeder Mensch, mag er noch so einfach sein, […].“; zit. nach Anonymus 1902, 315. Dieses scheinbar demokratische Verständnis bedarf aber - implizit - der Führung durch den ‚echten’ Künstler oder eben durch den Herrscher, der entscheidet, was für sein Volk gut und richtig ist. 239 Anonymus 1902, 314f. 240 Zit. nach Anonymus 1902, 315. 363 Der Herrscher und die Bühne Für sein Streben nach öffentlicher Wirkung nahm Wilhelm II. auch das Theater in Anspruch. 1898, anlässlich seines zehnjährigen Thronjubiläums, hielt er eine Ansprache an die Mitglieder der Berliner Hofbühnen, in der er das Theater als „Werkzeug“ und „Waffe“ des Monarchen bestimmte. Ich war der Ansicht, daß das Königliche Theater vor allen Dingen dazu berufen sei, den Idealismus in unserem Volk zu pflegen, an dem es, Gott sei Dank! noch so reich ist, und dessen warme Quellen noch in seinem Herzen reichlich quellen. 241 Ganz in diesem Sinne nahm Wilhelm direkten Einfluss auf Spielplan, Darstellungsstil und Engagements an den Preußischen Hofbühnen. 242 Zeitgleich zu diesem Einfluss gerieten die Hofbühnen in Berlin immer stärker in den Schatten der Privatbühnen. Bereits 1888 konstatierte Maximilian Harden: Ein Repertoir wie das des [Königlichen] Schauspielhauses bedeutet einfach den künstlerischen Bankerott, den völligen Verzicht auf jede führende Stellung im Theaterleben. 243 Im Sinne der wilhelminischen Selbstinszenierung bot das Theater, im Gegensatz zu Fotografien und anderen Bildformaten, deren Verwendung und Zirkulation nur begrenzt kontrolliert und gesteuert werden konnten, 244 den Vorteil, dass mit dem Fortbestehen der Theaterzensur 245 ein Instrumentarium obrigkeitsstaatlicher Einflussnahme bestand. Auch wenn die Zensur zunehmend unterlaufen wurde, war sie hinsichtlich der Darstellung von Mitgliedern des Hauses Hohenzollern ausgesprochen effektiv. Grundlage hierfür war eine Kabinettsorder von Friedrich Wilhelm IV. (1795- 1861) vom 20. April 1844, die die Darstellung verstorbener Mitglieder des Hauses Hohenzollern ausdrücklich verbot. 246 Diese Order wurde mehrfach explizit bestätigt und blieb für Hof- und Privattheater bis zum Ende der Monarchie 1918 in Kraft. 247 Umso größere Aufmerksamkeit verdienen daher jene Fälle, in denen der Hof Bühnenauftritten von Hohenzollern-Figuren ausdrücklich zustimmte. So erteilte Wilhelm II. 1897 Ernst von Wildenbruch 248 (1845-1909) zur Feier des hundertsten Geburtstags seines Großvaters, Wilhelm I., den Auftrag, ein 241 Zit. nach Anonymus 1902, 305. 242 Vgl. Reichel 1962, 31-35. 243 Harden 1888, 14. 244 Vgl. zu diesem Punkt auch Kohlrausch 2005, 64f. 245 Vgl. zur Theaterzensur Kleefeld 1905. 246 Ein Faksimile des Verbots findet sich bei Houben 1978, 123. 247 Vgl. hierzu ausführlicher Houben 1978, 121-131. 248 Wildenbruchs Vater, Louis von Wildenbruch, war der uneheliche Sohn des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen und somit der Hohenzollern-Familie verwandtschaftlich verbunden. Gleichwohl verlief Ernst v. Wildenbruchs Weg zum Theater auf verschlungenen Wegen; vgl. einführend zu Wildenbruch und seiner Biographie Wahl 2002, 157-182 sowie Kiefer 1997, 158-178. 364 Theaterstück zu verfertigen. 249 „Willehalm. Dramatische Legende in vier Bildern“ ist das Ergebnis dieses Auftrags. Wildenbruch nimmt in seinem Stück nicht direkt Bezug auf Wilhelm I.; er versetzt die Handlung in eine mythische, römisch-antike Vorzeit, die durch den Kampf von Römern, angeführt durch den Imperator, und Germanen geprägt ist. Die vier Bilder des Stücks porträtieren Willehalm in vier Lebensphasen: als „Knabe, Jüngling, Mann und Greis.“ 250 Das erste Bild, situiert im Lager des Imperators, in dessen Hintergrund der Rhein sichtbar ist, zeigt Willehalm in einer Gruppe von Knaben, die als Geiseln von den besiegten Germanenfürsten genommen wurden. Der Imperator will die Lebenskraft der Jünglinge seinem Volk einverleiben: Seht auf diesen Wangen/ Widerschein des unverfälschten Blutes./ In den blonden Ringel-Locken/ Unversehrten Markes Kraft/ Lenken will und leiten/ Ich in unsere Adern/ Dieses Lebens sprudelnden Quell. 251 Der militärischen Niederlage soll nun durch Verführung die ethnischphysische Appropriation folgen. Wildenbruch spricht hier in der Sprache völkisch-rassistischen Denkens, dessen Zentrum die Reinheit des Blutes ist. Während die übrigen Knaben, den „weichen Banden der Lust“, 252 dem Wein und den Tänzen der lasziven Parisina - ein plumper Verweis auf Paris - verfallen, widersteht allein Willehalm den Versuchungen. Als er verhindert, dass die ebenfalls gefangen genommene Seele die Jungfrau [sic! ] der Parisina das Schuhband knüpfen muss, zieht Willehalm den Zorn des Imperators auf sich. Im Moment höchster Gefahr wird der Handlungsverlauf durch eine apotheotische Szene unterbrochen, in der Seele die Jungfrau Willehalm ihr wahres Wesen offenbart. Hierfür nimmt Wildenbruch in seinen Regieanweisungen den gesamten Bühnenapparat in Anspruch: In diesem Augenblick erschüttert ein gewaltiger Donnerschlag die ganze Bühne; alles Licht erlischt, es wird finstere Nacht; lautlose Stille tritt plötzlich ein. Nach einiger Zeit zuckt ein weißes Licht auf, bei dessen Schein man den Imperator wie in Schlaf versunken auf seinen Sessel gebeugt sieht, während die Krieger, die Fürstensöhne, Parisina und ihre Begleiter und Begleiterinnen in Gruppen, wie schlafend, am Boden liegen. Mitten in dem weißen Lichte steht die Jungfrau, hoch aufgereckt, in herrlichem, mit funkelnden Edelsteinen besetztem Gewande, einen Kranz von Schilfrosen im Haar. Willehalm liegt auf den Knieen, starrt zu ihr auf. 253 Die dergestalt verklärte Jungfrau entdeckt sich als „Seele […] [d]es zertrümmerten deutschen Landes“ 254 und erteilt Willehalm eine historische Mission: 249 Vgl. hierzu Litzmann 1916, 183-185. 250 Wildenbruch 1897, 5. 251 Wildenbruch 1897, 14f. 252 Wildenbruch 1897, 15. 253 Wildenbruch 1897, 33. 254 Wildenbruch 1897, 33. 365 Willehalm, herrliches Königskind,/ Geh’ in das Land, wo die Deutschen sind/ Wecke die Träumenden - wirst Du es thun? […] Deiner harren werd’ ich in Thränen,/ Deiner Warten in Heimaths-Sehnen,/ Wirst Du kommen? 255 Nach der Erscheinung wird Willehalm - allerdings für den Zuschauer nur durch einen Botenbericht erfahrbar - von einem weißen Pferd, das den Fluten des Rheins entsteigt, in Sicherheit gebracht. Das zweite Bild, in einer Gebirgslandschaft situiert, bietet ein allegorisches Spiel der Zerrissenheit Deutschlands, die nur durch den Heros Willehalm überwunden werden kann. 256 Das dritte Bild spielt wieder im Lager des Imperators, der nun nicht mehr als vermeintlich allmächtige Figur erscheint, sondern dessen Macht im Schwinden ist. Ängstlich hört er beständig auf die unterirdischen Aktivitäten der Toten, deren Rache er fürchtet. Weder die ungezügelte Sinnlichkeit eines Tanzes noch der Arzt können ihn von seiner Angst befreien. Als er schließlich aus dem Kerker Seele die Jungfrau holen lässt, um sich an ihrer - wie er meint - verfallenen Gestalt zu ergötzen, wächst seine Furcht, denn sie erscheint ebenso „jung und blühend wie zu Anfang“. 257 Als er sie daraufhin töten will, erscheint Willehalm mit seinen Truppen, um sie zu befreien und den Imperator zu besiegen. Bemerkenswert ist, wie Wildenbruch diesen Auftritt seines Titelhelden imaginiert: Horn-Rufe rechts hinter der Scene, denen Posaunenstöße aus dem Hintergrunde antworten. Dann sieht man, wie an der Mauer von außen ein Einzelner emporklimmt; man erkennt den Adlerhelm Willehalms, dem sich langsam die Gestalt nachschiebt; auf seinem Helme, auf der Gestalt, die allmählich sichtbar wird, flimmert das Sonnenlicht. 258 Sterbend bezeugt der Imperator die Übermacht Willehalms, die nicht militärischer Natur, sondern eine Vormachtstellung des Neuen über das Alte, Totgehweihte ist: „Ueber mich geht die rollende Zeit - / Ueber mich steigt das neue Recht - / Ueber mich wächst das junge Geschlecht - / Jugend - erschlägt mich -“ 259 Das vierte Bild, in einer idyllischen Landschaft situiert, stellt Willehalm als Greis vor und lässt ihn in einer Apotheose entrücken. Bevor er in ihren Armen stirbt, bittet er Seele die Jungfrau, „dem geliebten Land“ 260 als sein Vermächtnis zu bleiben. Die Szene endet mit einem Wechselgesang zwischen Seele und einem Chor „aus tiefer Ferne“, 261 der zweimal den Vers enthält: „Schlummre, Geliebter; Dir ist das Bette,/ Lorbeer-umlaubt,/ Herrlich 255 Wildenbruch 1897, 34. 256 Hier treten die allegorischen Figuren des Gewaltigen und des Weisen auf, die von der Forschung als Chiffren für Bismarck und Moltke gelesen werden; vgl. Wahl 2002, 238. 257 Wildenbruch 1897, 89. 258 Wildenbruch 1897, 97. 259 Wildenbruch 1897, 99. 260 Wildenbruch 1897, 110. 261 Wildenbruch 1897, 112. 366 bereitet: / Herzen des Volks Deine Ruhestätte,/ Unter Dein Haupt/ Hände der Deinen gebreitet.“ 262 Wildenbruchs „Willehalm“ überschreitet deutlich die Grenzen der Gattung des historischen Dramas: 263 Weder Stoff, Begebenheit, noch die Titelfigur 264 sind historisch belegt. Vielmehr handelt es sich um allegorische Figuren, die ein allgemeines Prinzip verkörpern sollen. Auch Willehalm, der als Chiffre für Wilhelm I. konzipiert ist, gewinnt im Kontext der allegorischen Figuren eine symbolische Dimension, in der sich das Individuelle der Figur auflöst. So ist „Willehalm“ kein Stück über die historische Person Wilhelm I., sondern - ganz im Sinne der wilhelminischen Vergangenheitsinszenierung - eine Fortführung der Mythisierung. Analog zum Kyffhäuser- Denkmal wird Wilhelm bei Wildenbruch zum Erfüller bzw. Sachwalter einer mythischen Sehnsucht. Hierfür hat Wildenbruch ästhetische Formen gesucht, die zum einen mit Anachronismen durchsetzt sind und zum anderen die künstlerische Überformung betonen. So bildet sich keine konsekutive Fabel, sondern eine Abfolge symbolischer Szenen, etwa wenn Seele die Jungfrau vor Parisina, der Verkörperung der französisch-romanischen Lebensart, niederknieen soll und von dieser ‚Schmach’ nur durch den selbstlosen Einsatz Willehalms bewahrt wird. Schon die Sprachgestaltung setzt auf diese Prinzipien ästhetischsymbolischer Überformung. Dies wird besonders deutlich, wenn der Imperator im ersten Bild die Titelfigur im Wagner’schen Duktus charakterisiert: „Der Groller, der Woller, der Willehalm.“ 265 Gleichzeitig enthält der Text eine Reihe von Verweisen auf szenische Effekte, die ihn deutlich in die Nähe des Melodramas bzw. des Ausstattungsstücks rücken - das Sensationelle wird von Wildenbruch als Mittel der mythischen Überhöhung bewusst in Dienst genommen. Das Stück kam bei Rezensenten und Publikum nicht gut an und verschwand auch bald wieder von den Spielplänen. 266 Bezeichnend für die Aufnahme ist Maximilian Hardens Urteil, das ebenso deutlich wie harsch ausfällt: Es hat mit Kunst nicht das Allergeringste zu thun, mißhandelt die deutsche Sprache, daß jedem Patrioten die Haare zu Berge stehen, und wirthschaftet mit toten Symbolen und frostigen Allegorien. 267 262 Wildenbruch 1897, 112. 263 Heinrich Bulthaupt hat in seiner „Dramaturgie des Schauspiels“ Wildenbruch (zwar nicht für „Willehalm“, sondern für ein anderes Stück) entsprechend kritisiert: „Nun hatte sich Wildenbruch ja am Geiste des Dramas schon stärker versündigt: durch seine historischen Bilderzyklen.“; Bulthaupt 1914, 339. 264 Es gibt von Wolfram von Eschenbach ein unvollendetes Epos mit dem Titel „Willehalm“, das allerdings außer dem Namen der Titelfigur nichts mit dem Wildenbruch’schen Stück gemein hat; vgl. hierzu Wahl 2002, 234-236. 265 Wildenbruch 1897, 24. Auf die Wagner-Assoziationen verweist auch Flatz 1982, 220. 266 Vgl. zu den Aufführungszahlen Flatz 1982, 231. 267 Harden 1897, 576. 367 Im Strudel des Spektakels: Ferdinand Bonn und Wilhelm II. Dass sich die Bühne jedoch keineswegs so einfach vereinnahmen oder kontrollieren ließ, wie es dem Hof vorschwebte, belegt eine Episode aus der Direktion Ferdinand Bonns am Berliner Theater. Während im Allgemeinen die Privattheater eher in einem respektvoll distanzierten Verhältnis zum Hof standen, suchte Bonn ausdrücklich und - wie er schreibt - aus politischer Überzeugung die Nähe des Kaisers: „Wenn nur der Kaiser käme.“ 268 Als der Kaiser schließlich zu „Der Hund von Baskerville“ ins Berliner Theater kam, wurde die Begegnung für Bonn zu einer Schlüsselszene: Es ist ausschließlich die Persönlichkeit, die mich so gewaltig anzieht. […] Für Titel und Orden fehlt mir jedes Verständnis und jeder Zwang ist mir als freiem Menschen verhaßt. Aber den Kaiser glaubt ich beim ersten Wort Jahrelang [sic! ] zu kennen, dem könnt ich alles sagen, alles ganz grad heraus. 269 Bonn nutzt die Gelegenheit, um bei Wilhelm II. persönlich um eine Aufführungsgenehmigung für „Der junge Fritz“, den ersten Teil seiner Friedrich-Trilogie, nachzusuchen. 270 „Der junge Fritz“ greift eines der widersprüchlichsten Ereignisse aus dem Leben Friedrichs II. heraus, nämlich seinen Fluchtversuch nach England, den er 1730 mit seinem Freund Hans Hermann von Katte (1704-1730) unternahm. Beide wurden verhaftet und wegen Fahnenflucht angeklagt. Katte wurde daraufhin auf ausdrücklichen Befehl Friedrich Wilhelms I. (1688-1740) im Beisein Friedrichs hingerichtet. Die Episode wurde mehrfach in Bühnenwerken aufgegriffen und löste - nicht zuletzt wegen der anhaltenden Gerüchte, Katte und Friedrich hätten eine homosexuelle Beziehung unterhalten - große Befürchtungen aus, die in einer sehr restriktiven Handhabung der Gewährung von Aufführungsrechten resultierte. 271 Ferdinand Bonn gestaltete diese Episode auf den ersten Blick gänzlich im Sinne des wilhelminischen Wertehorizonts. Dies wird besonders deutlich, wenn in der Schlussszene Friedrich Wilhelm Katte vor die Wahl zwischen einer Begnadigung und dem (Opfer-) Tod für die sittliche Reife Friedrichs stellt: Geht Ihr durch jene Tür, Katte, so wird mein Sohn leben, aber seine Seele wird von dem furchtbaren Schmerz, den der Tod des geliebten Freundes ihm bereitet, groß und frei von allem Niederen. Denn Unglück vernichtet nur die Kleinen - die Großen macht es riesengroß. - Euer Blut, Katte, wird zu einem Wunderborn aus dem Fritz zeitlebens Treue, Ehre, Ernst und Willen schöpft. Dann will ich glauben an den Genius meines erniedrigten Volkes, der in Fritz die ersten Schwingen regt. Dann will ich glauben an das echte deutsche Herz, daß [sic! ] in Euch, Katte, seinen ersten Schlag nach langem Stillstehn tut, das eines Tages in Millionen auferstehen wird. Dann will ich glauben, daß einst Tausende, Hunderttausende 268 Bonn 1908, 88. 269 Bonn 1908, 107f. 270 Vgl. Bonn 1908, 154f. 271 Vgl. Houben 1978, 124. 368 frische, liebe Jungen, so wie Du, mein lieber Katte, ihr Herzblut freudig verspritzen werden für ein großes, glückliches, deutsches Vaterland! 272 Katte folgt diesem Ruf „begeistert“, wie es in der Regieanweisung heißt, in den Tod, um durch sein ‚Opfer’ ein „starkes, einiges, großes deutsches Reich“ 273 zu befördern. Bonn beschreibt dieses Kapitel preußischer Geschichte in den Vokabeln eines nationalistischen Opferkults. Letztlich steht Friedrich, im Stück nur „Fritz“ genannt, nicht im Konflikt mit seinem Vater, sondern nach der Hinrichtung „wankt [er] auf den Knien zum Vater und küßt seine Hand.“ 274 Damit nimmt er die historische Mission an, die sein Vater ihm vor Augen stellt und die Bonn für sich und seine Zuschauer 1907 als erfüllt betrachtete. Bonns verklärende Lesart der Ereignisse deutet den Gegensatz zwischen Vater und Sohn als tragische Verstrickung um, die notwendig für die weitere historische Entwicklung sei. Obwohl Friedrich Wilhelm im Gegensatz zu seinem Sohn als grobschlächtig und unkultiviert beschrieben wird, zeigt Bonn deutliche Sympathien für diese Figur, deren Marotten sich spätestens im Aufeinandertreffen mit August II. (dem Starken) (1670-1733) als wahre Tugenden erweisen. Prahlt jener mit seiner Macht und seiner Verschwendung, so hält dieser - im Wissen um die Ablehnung durch seine Umwelt - an den Maximen seines Handelns fest: Ein faules Volk hab’ ich arbeitsam und sparsam gemacht, einen verschuldeten Staat hab’ ich durch seine Armee und sein Beamtentum zu einer Macht erhoben, und doch haßt mich die Mitwelt, und die Geschichte wird mich vergessen. 275 Die politische Dimension dieser Figurenzeichnung wird noch deutlicher, wenn Bonn Friedrich Wilhelm mit dem französischen Erzieher des Prinzen ins Gespräch kommen lässt: Er ist Franzose, Duhan. Ich kann von Ihm nicht verlangen, daß er deutsch fühlt. Ich aber bin mit allen Wurzeln und Fasern meines Herzens ein Deutscher! Ich bin stolz darauf, ein Deutscher zu sein! Er lächelt? - - Vielleicht kommt ein Jahrhundert, wo keiner mehr drüber zu lächeln wagt. 276 Bonn nutzt das historische Dekor seiner Fabel, um die eigene Gegenwart zu verklären - die Konfrontation des preußischen Königs mit dem französischen Hauslehrer wird zu einer paradigmatischen Gegenüberstellung, die ein Echo der Erbfeindschaftsrhetorik ist. Obwohl Bonn in den Repliken gegen Prunk und Verschwendungssucht Augusts Stellung nimmt, nutzt er die Szenen am Dresdener Hof im zweiten Aufzug, um Tanzeinlagen und szenische Effekte exzessiv auszuspielen. So heißt es in der einleitenden Regieanweisung: 272 Bonn 1907, 61. 273 Bonn 1907, 60. 274 Bonn 1907, 63. 275 Bonn 1907, 29. 276 Bonn 1907, 15f. 369 Gräfin Orszelska als Göttin Diana, auf einem Wagen stehend, von weißen Hirschen gezogen durch die Bäume in bengalischem Licht. Eine Schar leichtgeschürzter Nymphen zieht und tanzt voraus und nebenher. Ihnen folgt der Hof als mythologische Jagdgesellschaft kostümiert, Rüdengebell. Hörnerklang. 277 Solche spektakulären Elemente finden sich geballt in diesem Aufzug und wurden von Bonn als konstitutive Momente der Bühnenwirkung eingeplant, wie man auch an der Beschreibung der Liebesszene von Friedrich und Gräfin Orszelska erkennen kann: Der Vordergrund, wo Orszelska und Fritz auf dem Rasenhügel aneinander gelehnt ruhen, ist in grünem Dämmerlicht, während die Waldwiese im Hintergrunde von Mondlicht erfüllt ist. Später während des Elfentanzes abwechselnd farbige magische Beleuchtung. Eine Elfe tritt leise und behutsam auf der Waldwiese auf und winkt den anderen. Es kommen mehrere und führen ganz geräuschlos einen Reigen auf. Seine feine, ganz leise Musik dazu in der Ferne: Harfen, Geigen, Flöten. 278 Bonn entwirft ein pastorales Tableau, das in seiner opulenten Ausstattung sowohl an seine „Andalosia“-Inszenierung erinnert als auch an Max Reinhardts „Sommernachtstraum“ - eine Assoziation, die durch den Auftritt der Elfen verstärkt wird. Letztere treten hier allein für den visuellen Effekt auf, denn sie sind ansonsten an keiner anderen Stelle im Stück zu finden. Solche Brüche in der dramaturgischen Konzeption finden sich noch an anderen Stellen im Stück: So enthält etwa der ersten Aufzug Slapstick- Elemente, wenn Friedrich und seine Freunde sich vor dem König verstecken. 279 Auch der Versuch, pathetische Formeln zu finden, missglückt bisweilen, so etwa, wenn Orszelska über ihre Begegnung mit Friedrich sagt: „[J]etzt, seit ich den Prinzen sah, erscheint mir die Liebe wie ein gotischer Dom, in den man voll Schauer tritt.“ 280 Während Wildenbruch in seinem „Willehalm“ einen allegorischpathetischen Stil benutzt, sucht Bonn seine Figuren psychologisch zu motivieren. Allerdings hält er dies nicht durch, sondern durchbricht dies mit verschiedenen komischen und spektakulären Elementen. 281 Als der Hof Bonns Gesuch trotz mehrfachen Drängens ablehnte, brach für ihn eine Welt zusammen. Der Versuch, das Verbot durch öffentliche Generalproben zu umgehen, wurde beim zweiten Mal von der Polizei unterbunden 282 - der Coup der „heimlichen Premiere“, mit dem er einst die Presse getäuscht hatte, ließ sich nicht wiederholen. In der für Bonn typischen 277 Bonn 1907, 26. 278 Bonn 1907, 37. 279 Vgl. Bonn 1907, 10f. 280 Bonn 1907, 28. 281 Brigitte Müller dokumentiert, dass die Literaturkritik Bonn bereits zu Lebzeiten immer als Trivialschriftsteller wahrgenommen hat - eine Einschätzung, die nicht nur für seine Sherlock Holmes-Bearbeitungen gilt, sondern auch bei diesem historischen Stoff zutrifft; vgl. Müller 2004, 316-318. 282 Vgl. Bonn 1920, 109f. 370 Weise legt er diesem Ereignis eine grundlegende symbolisch-historische Bedeutung bei: Es geschah zu dem Zeitpunkt, als ich mich einer Welt von Feinden erwehrt hatte, die meinen Versuch, der Schönheit eine Gasse zu bahnen, wild bekämpften. Gerade in dem Augenblick als ich im Begriffe war, den Gegner auf die Schultern zu drehen und mich ganz allein zu behaupten, trat er in meinen Weg und brachte mich zu Fall. Genau so wie er später das siegreiche Deutschland zu Fall gebracht hat. 283 An anderer Stelle heißt es: „Ein oberster Kriegsherr, der dieses Stück verbot und den Autor dafür in Schaden und Schande brachte, der konnte den Weltkrieg nicht gewinnen.“ 284 Jenseits der Bonn’schen Selbstbezogenheit ist es aufschlussreich, dass er seine letzte Begegnung mit Wilhelm II. als ein Aufeinandertreffen auf Augenhöhe beschreibt: Wieder etwas später sah ich ihn zum dritten und letzten Mal. Gerade dicht an mir vorbei mußte sein Auto fahren. Ich sehe ihm fest in die Augen, ohne zu grüßen. Er stutzt, winkt mit der Hand und - salutiert. Wahrhaftig, er grüßt zuerst. Der Kaiser den engagementlosen Schauspieler. Da lüfte auch ich meinen Hut. - Wie traurig war doch dies alles. ‚Es soll der Sänger mit dem König gehen. Sie beide stehen auf der Menschheit Höhn.’ […] Dort verschwindet das Auto im Dunste der Großstadt. Tati - tata. Jetzt seh ich ihn wohl nimmermehr. 285 Bonns Schilderung ist eine Schlüsselszene des Scheiterns zweier Protagonisten in der Gesellschaft des Spektakels. Im öffentlichen Raum, also der Lebenswelt der Metropole des frühen 20. Jahrhunderts („Dunste der Großstadt“) konnte diese wechselseitige Bespiegelung und Heroisierung nur noch eine randständige Position einnehmen. Die Zeichen der Zeit zeigten in eine andere Richtung - Wilhelms und Bonns Inszenierungsstrategien waren Anachronismen, die kaum noch angenommen wurden. In der Spannung zwischen diesen Strategien, der Schaffung eines neuen Pathos und einer Öffentlichkeit, die sich weder nachhaltig kontrollieren noch durch das Pochen auf überliefertes Prestige lenken ließ, mussten diese beiden Selbstdarsteller scheitern. Nicht nur die Revolution, auch das Spektakel frisst seine Kinder. Das Ende der Monarchie schuf auch für diese Schlüsselszene ein Nachspiel: 1919 übernahm Ferdinand Bonn in dem Film „Kaiser Wilhelms Glück und Ende“ endgültig die Rolle Wilhelms II. Ein Standbild der „Filmschau“ 286 zeigt, wie der Schauspieler und ‚sein’ Kaiser vollends zu einer Gestalt verschmelzen in jener Pose, die Anton von Werner in seinem Gemälde von der Eröffnung des Reichstags 1888 gezeichnet hatte. Hier schrumpft die Geste der Macht-Behauptung zu einem reinen Moment ästhetischer Selbst- Bespiegelung. 283 Bonn 1920, 94. Es ist schon aufschlussreich, wenn man sich bewusst macht, wie sehr Sprache und Metaphern Wilhelms auf Bonns Sprache abgefärbt haben. 284 Bonn 1920, 77. 285 Bonn 1920, 126; Herv. im Original. 286 Der Artikel findet sich dokumentiert bei Müller 2004, 144-150; bes. 146. 371 Epilog Die vorstehenden Skizzen zur Theatralität bürgerlicher Selbstinszenierung um 1900 lassen sich nicht abschließend zu einem homogenen Tableau fassen. Allein ein solcher Versuch müsste in Anbetracht der widersprüchlichen Strömungen und Fliehkräfte als eine unangemessene Verkürzung erscheinen. So möchte ich an den Abschluss meiner Überlegungen zwei komplementäre Anekdoten stellen, an denen Grundzüge der beschriebenen Epoche sowie Linien der weiteren Entwicklungen aufscheinen. Eckart von Naso, der als Dramaturg unter seinem Onkel, Georg von Hülsen-Häseler, am Hoftheater seine Karriere begann, unter Jessner diese Position in den Jahren der Weimarer Republik ausfüllte und auch unter Gustaf Gründgens (1899-1963) im Dritten Reich an diesem Haus blieb, berichtet ausführlich vom Ende des Hoftheaters und der Überführung zum Preußischen Staatstheater als Institution der demokratischen Republik. Seine Schilderung, die deutlich der Schock und das Ressentiment der ehemaligen aristokratischen Eliten prägt, umkreist eine Schlüsselszene während einer Personalversammlung im Schauspielhaus: Da begab sich der Spuk, wie aus Strindbergs Gespenstersonate herausgeschnitten. In der Kaiserloge erschien eine Scheuerfrau. Sie erschien dort mit Eimer, Besen und Lappen und stand einen Augenblick still. Weil Ränge und Logen sonst leer geblieben waren, die Köpfe im Parkett sich aber nach dem Eimer-klappernden Geräusch umgedreht hatten, schien das Weib jetzt Mittelpunkt und Blickfang zugleich. Es genoß seine Wirkung, machte es sich dann bequem, stützte die Ellenbogen auf und lehnte sich mit einem höhnischen Lachen über die Brüstung. Und in diesem Moment geschah das Hässlichste. Ein donnernder Applaus stieg vom Parkett zur Kaiserloge auf. 1 Naso imaginiert den Wechsel vom Kaiserreich in die Republik als Sakrileg, als Spuk des Hässlichen. Die Putzfrau figuriert in diesem Angsttraum als Personifikation der Anmaßung, die sich in der Loge spreizt. Gleichzeitig ist das Echo der früheren Kaiser-Auftritte, wie auch in Domelas Schilderung, 2 überdeutlich. Der Jubel, der vor kurzem noch Aura und Bedeutung des Kaisers bestätigte, gilt nun der „Scheuerfrau“, die - so Nasos Tonfall - eine Laune der Geschichte, keinesfalls aber Gottes Vorsehung an diesen Ort gestellt hat. In diesem Spiel der historischen Verschiebung gewinnt der Ort des Schauspielhauses eine eigene Bedeutung - hatte doch Wilhelm II. gegen vielfältigen Protest 1904/ 05 das Schinkel’sche Schauspielhaus radikal umbauen lassen. Der Architekt Felix Genzmer (1856-1929) hatte dem Kaiser 1 Naso 1953, 430. 2 Vgl. S. 12 dieser Arbeit. 372 eine neobarocke Hofloge in den Ersten Rang gebaut, eine ideale Bühne imperialer Selbstinszenierung. 3 Die historische Abwesenheit des kaiserlichen Staats-Schauspielers aber ließ diese Bühne in den 1920er Jahren zu einem kontroversen Schauplatz symbolischer Auseinandersetzungen werden, wie man an einer komplementären Anekdote Kortners ablesen kann: [R]eichspräsident Ebert […] hatte ebenfalls einmal eine Vorstellung des Staatstheaters besuchen wollen. Der Beamte im Dienst weigerte sich, die frühere Hofloge, die in der Republik deren Staatsoberhaupt zur Verfügung stand, zu öffnen. Jessner kam am Anfang der Vorstellung zu mir in die Garderobe, in der ich mich für den ‚Richard’ zurechtmachte. Er war verzweifelt, denn der Reichspräsident stand wartend vor der verschlossenen Loge. Der kaisertreue Beamte hatte sich zunächst ganz unverhüllt geweigert, zu öffnen, dann aber, ängstlich geworden, behauptet, den Schlüssel verlegt zu haben. Ich erklärte kategorisch, nicht aufzutreten, falls die Loge für den Präsidenten verschlossen bliebe. […] Der Schlüssel wurde gefunden. Der Präsident saß in seiner Loge - ich überzeugte mich davon mit einem Blick durch das Vorhangloch. Die Vorstellung konnte beginnen. Wieder war ein Pyrrhus-Sieg des Liberalismus errungen. 4 Kortners Wahrnehmung des Kampfes um den privilegierten Platz der Kaiserloge, deren Inbesitznahme durch den Reichspräsidenten erst die Gespenster des anwesend-abwesenden Kaisertums vertreibt, ist der Nasos diametral entgegengesetzt. Seine Schilderung atmet sowohl die historische Erfahrung der Saalschlachten um die Jessner’schen Inszenierungen wie auch die Vergeblichkeit dieses Kampfes. In Kortners Beschreibung wird die ehemalige Hofbühne - kristallisiert im Ort der Hofloge - zum zentralen Verhandlungs ort kul tureller und politischer Selbstverortung. Bei aller Gegensätzlichkeit der Perspektive bestätigen beide Berichte aber noch die zentrale, symbolische Bedeu- 3 Vgl. hierzu Schabe 1997, 19f. 4 Kortner 1991, 381f. Abb. 70: Blick auf die Hofloge im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. 373 tung des Theaters. So rückt im Licht dieser Betrachtung der spezifische Ort, das Schinkel’sche Schauspielhaus am Gendarmenmarkt im Herzen Berlins noch stärker ins Zentrum. Es steht zum einen für den engen Zusammenhang von Theater und politischer Selbstinszenierung, zum anderen markiert es einen Anachronismus, der in die 1920er Jahre hineinragt - denn längst hatten sich neben bzw. jenseits des Theaters neue kulturelle und politische Foren etabliert. Zunehmend wurden die politischen Auseinandersetzungen direkt auf der Straße ausgetragen, während das Theater auch seinen Primat als Form urbaner Lebensart zunehmend verlor. Wie sehr das Theater diese politische Funktion eigentlich nur noch als Reminiszenz beanspruchen konnte, zeigt auf eigentümliche Weise Ernst Lubitschs antifaschistischer Film „To Be or Not to Be“ (1942). Im Zentrum des Films steht eine Gruppe von Schauspielern im besetzten Polen, die durch ein waghalsiges Masken- und Verwirrspiel die deutschen Besatzer überlisten und so den polnischen Widerstand vor der Entdeckung bewahrt. Auf dem Höhepunkt kehrt der Film an seinen Ausgangspunkt zurück - das Theater. Um der drohenden Verhaftung zu entgehen, beschließen die Schauspieler mittels einer komödienhaften Verwechslungsdramaturgie aus Warschau zu entfliehen. Hierfür wollen sie einen angekündigten Theaterbesuch Hitlers nutzen. Bezeichnenderweise ist es wieder eine Loge, die Königsloge des Theaters, die zum Dreh- und Angelpunkt der Szene wird. Während der ‚echte’ Hitler von den im Zuschauerraum versammelten Soldaten mit Heil-Rufen und dem Absingen des Deutschland-Liedes gefeiert wird, läuft der Schauspieler Greenberg in einem unbeobachteten Moment auf die Tür der Loge zu. Als er von der schwer bewaffneten Leibwache sofort umringt wird, tritt unbeachtet ein Schauspieler in Hitler-Verkleidung mit seiner Entourage auf. Jetzt spielen die beiden Schauspieler vor der Leibwache Theater, denn Greenberg, der ansonsten nur kleinere Chargen spielen darf, kann nun die Traumrolle seines Lebens, den Shylock, spielen. Leidenschaftlich deklamiert er den großen Monolog „Aren’t we human…“. Der coup de théâtre wirkt - mit der Verhaftung des vermeintlichen Attentäters durch den vermeintlichen Hitler gelingt dem Ensemble die Flucht. Die Loge figuriert hier als ambivalenter Ort, der diese Verwechslung überhaupt erst möglich macht, weil seine ostentative Sichtbarkeit nach innen mit dem Überraschungsmoment der geschlossenen Tür Abb. 71: Greenberg deklamiert Shylocks Monolog vor ‚Hitler’; Film-Still aus „To Be or Not to Be“ (1942). 374 nach außen korrespondiert. In ironischer Verkehrung nutzt Lubitsch hier nicht die Loge selbst, sondern deren Rückseite als Bühne. Der Film ist geprägt durch einen wechselseitigen Austausch von Bildern zwischen Europa und den USA, wie Thomas Elsaesser festgestellt hat. 5 Gerade im Moment des Theaters sedimentieren sich diese Bilder, die man - wenn man bedenkt, dass Lubitsch Mitglied in Max Reinhardts Ensemble war - auch als ein fernes Echo auf das Berliner Theater der 1910er Jahre lesen kann. Mit den Evokationen von „Hamlet“ und dem „Kaufmann von Venedig“ verwebt sich der Film vielfach mit der deutschen Theatergeschichte. Diese Referenz ist aber in einem weiterreichenden Sinne ein anachronistisches Moment des Films, denn seine ironischen Töne, sein feinsinniger Appell für Toleranz und Humanität entsprachen nicht dem politischen Kontext des Jahres 1942. 6 So sehr der Film in seiner Dramaturgie und Ästhetik überzeugt, seine Darstellung der Nazis und ihrer Verbrechen wirkt immer noch zu harmlos. Dies ist nur zum Teil durch die mangelnden Kenntnisse über die Gräuel in Europa im Jahr seiner Herstellung zu erklären. Entscheidender ist der Umstand, dass der von Lubitsch gewählte Ort des Theaters, der schließlich zu einer Denkfigur von politischer Auseinandersetzung wird, wie sich an der Figur der Königsloge zeigt, den politischen Totalitarismus der Nationalsozialisten nicht beschreiben konnte. Die Masseninszenierungen der Nazis zielten auf das Herstellen einer homogenen Gemeinschaft im Zeichen völkischer, rassistischer Ideen. 7 Der Ausschluss des ‚Anderen’ sowie das bedingungslose Aufgehen in der Volksgemeinschaft waren konstitutive Bestandteile dieser Strategie. Die Vielfalt und Widersprüchlichkeit unterschiedlicher Identitätsmodelle, wie sie sich unter dem Rubrum des Bürgerlichen um 1900 finden lassen, wurde von den Nationalsozialisten systematisch und gewaltsam zerstört. Lubitschs Appell für Toleranz und Humanität wurzelt in einem anderen Paradigma. Hitlers Inszenierungsstrategie bewegte sich bewusst jenseits von Theater (und Loge) und zielte auf die Orte und Effekte der Masseninszenierung, wie man sie am Nürnberger Reichsparteitagsgelände beobachten kann. Die Idee eines Hitlers, der sich vom Monolog eines Shylock auch nur einen Moment lang rühren ließe, muss naiv erscheinen. Am Anfang dieser Arbeit stand Shulamit Volkovs Forderung nach einer historiographischen Perspektive jenseits der Nationalstaaten, in der minoritäre Gruppen und - so können wir ergänzen - soziale und kulturelle Mobilität nicht mehr als Grenz- oder Krisenfall gedacht werden, sondern als kon- 5 Vgl. hierzu Elsaesser 2000, 379-381. 6 Scott Eyman hat ausführlich beschrieben, wieso der Film in den USA durchfiel und dabei besonders die politischen Implikationen herausgearbeitet; vgl. Eyman, 301-304. 7 Vgl. hierzu etwa die ausführliche Diskussion der Thing-Spiele bei Fischer-Lichte 2005, 122-158. 375 stitutives Moment. 8 Die vorstehenden Überlegungen zielten auf ebendiese Dynamiken und haben versucht, sie auf unterschiedlichen Ebenen in all ihrer Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit nachzuzeichnen. Die von Volkov geforderte historiographische Perspektive verändert aber auch die Wahrnehmung der eigenen Gegenwart. So gibt die historische Perspektive auf die Zeit um 1900 auch den Blick darauf frei, welche Chancen und Wege durch den weiteren Verlauf der Geschichte verloren sind. Es ist sicherlich nicht zufällig, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Rede vom Bürgerlichen wieder Konjunktur hat. Im historischen Blickwinkel offenbart sich nicht selten, wo sich hinter der Rede nur Nostalgie oder dürftig getarnter Sparwille verbergen und wo die Diagnose neue Wege eröffnet. In diesem Licht ergibt sich eine bemerkenswerte Korrespondenz zwischen Volkovs Idee einer Geschichte jenseits des Nationalstaats und der Denkfigur des Kosmopolitismus, die in jüngster Zeit in philosophischen und sozialwissenschaftlichen Schriften Raum greift. Ulrich Beck und Edgar Grande definieren diese als „besondere Form des gesellschaftlichen Umgangs mit kultureller Andersartigkeit.“ 9 Auch wenn sich Geschichtsschreibung nicht in dem Missverständnis verfangen darf, stets nur die eigene Epoche im Spiegel der Vergangenheit betrachten zu wollen, kann der historische Blick doch helfen, den Kurzatmigkeiten mancher Diskussionen zu entgehen, indem er auf das Mäandern von Geschichte und Vielfalt historischer Wege aufmerksam macht. 8 Vgl. hierzu S. 49 dieser Arbeit. 9 Beck/ Grande 2007, 25. Vgl. für eine ausführliche Diskussion der ethischen Dimensionen solcher Vorstellungen Appiah 2006. 377 Literatur Quellen A. „Wilhelm Tell“ 1. Laienspiele Anonymus. „Oetigheimer Volksschauspiele.“ Volkszeitung 1. 8. 1913. [Theatergeschichtliche Sammlung Schloss Wahn] Morasch, Eduard. „Wilhelm Tell in Oetigheim.“ o.A. 1913. [Theatergeschichtliche Sammlung Schloss Wahn] Vögtlin, Adolf. „Das Tell-Schauspiel in der Schweiz.“ Bühne und Welt 1 (1899): 1009- 18. 2. 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Regie Ernst Lubitsch. PAGU, 1916. To Be or Not to Be. Regie Ernst Lubitsch. United Artists, 1942. Wilhelm Tell. Regie Rudolf Dworsky, Rudolf Walther-Fein. Aafa-Film AG, 1923. Wilhelm Tell. Das Freiheitsdrama eines Volkes. Regie Heinz Paul. Schweizer Produktion der Terra-Film AG, 1933. Quellen im Internet In den letzten Jahren sind eine Reihe von Digitalisierungsprojekten abgeschlossen worden, die in vorbildlicher Qualität Quellenbestände erschließen, die ansonsten kaum noch oder nur selten in dieser Vollständigkeit aufzufinden sind. Nachstehend sind einige wichtige Seiten aufgeführt. Compact Memory. Ed. Hans Otto Horch, Rachel Heuberger, Annette Haller. 18. Februar 2008. < http: / / www.compactmemory.de > . »Die Fackel. Herausgeber: Karl Kraus, Wien 1899-1936«. Ed. Austrian Academy of Sciences. 18. Februar 2008. < http: / / www.aac.ac.at/ fackel > . Filmportal.de. Ed. Deutsches Filminstitut in Verbindung mit CineGraph. 18. Februar 2008. < http: / / www.filmportal.de > . Heidelberg historische Bestände - digital. Ed. Universitätsbibliothek der Ruprecht-Karls- Universität Heidelberg. 18. Februar 2008. < http: / / w ww.ub.uniheidelberg.de/ helios/ digi/ zeitung.html > . Sammlung Manskopf. Ed. Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg (Frankfurt/ Main). 18. Februar 2008. < http: / / e docs.ub.unifrankfurt.de/ manskopf/ > . Simplicissimus.com. Ed. Klassik Stiftung Weimar. 18. Februar 2008. <http: / / www.simplicissimus.com > . 416 Abbildungsverzeichnis Bildquellen der Abbildungen: Bühne und Welt (17) bpk/ Kunstbibliothek, SMB (40), (41), (42), (60), (67) Deutsches Filminstitut - DIF, Frankfurt (1) Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung (31), (50), (51) Sammlung Manskopf; Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg (Frankfurt/ Main) (4), (14), (15), (27), (55) Sammlung Riesner (Wiesbaden) (64), (65), (66) Theatergeschichtliche Sammlung Schloss Wahn (Köln) (5), (6), (8), (10), (11), (16), (20), (23), (24), (25), (26), (28), (30), (46), (47), (48), (49) Trotz intensiver Recherche ist es dem Autor nicht in allen Fällen gelungen, den Rechteinhaber zu ermitteln. Berechtigte Ansprüche können beim Autor geltend gemacht werden. 417 Register Achaz, Carl Ludwig 107-110; 111; 113-115 Adler, Jacob 177 Alberti, Conrad 260; 294f.; 298; 327- 329; 338 Anzengruber, Ludwig 210; 213; 289 Appadurai, Arjun 31f.; 36-38 Aschaffenburg, Gustav 13-16 Bab, Julius 130; 132; 134-136; 139; 177 Baedeker, Karl 58; 84; 242 Bahr, Hermann 232 Barnay, Ludwig 50; 79; 86; 265 Barnum, P. T. 226; 333; 338 Bassermann, Albert 103-106; 113; 162; 166; 170-175; 188; 195; 199 Baudrillard, Jean 46 Beer, Rudolf 107 Begas, Reinhold 361 Belting, Hans 31f.; 203 Benatzky, Ralph 238 Berger, Alfred von 131f.; 159; 176; 179 Bergson, Henri 203 Bismarck, Otto von 347; 350; 352; 354; 365 Blumenthal, Oscar 42; 79f.; 215; 238-243; 247; 253; 265-267; 271; 278; 288f.; 291-293; 300; 301 Als ich wiederkam… 243 Das weiße Rössl 238-243; 250; 291; 301 Großstadtluft 291-293 Bonn, Ferdinand 333-350; 367- 371 Der junge Fritz 367-370 Brahm, Otto 42; 78; 265 Brockhoff, Albert 320f. Brunner, Sebastian 130; 142-144 Büchmann, Georg 83f. Buffalo Bill (William Cody) 232-235 Busch, Constance 346; 348 Busch, Paul 346-348 Busch, Paula 346f. Caprivi, Leo von 321 Carlson, Marvin 29; 54f.; 84; 114; 267 Charell, Erik 238 Conquergood, Dwight 28 Dawison, Bogumil 128f.; 146; 149- 156; 158f.; 162; 165; 183; 200 Debord, Guy 312f.; 317; 319 Delbrück, Hans 15; 321f. Devrient, Eduard 149; 150; 152; 299 Geschichte der deutschen Schauspielkunst 149; 299 Devrient, Emil 149 Devrient, Ludwig 146-148; 150- 152; 154; 156 Diebold, Bernhard 108; 111f.; 146f. Domela, Harry 11-15; 18; 21- 23; 25; 26; 30 Dreher, Conrad 215-217; 219; 225; 232-234 Dühring, Karl Eugen 141-144 Dworsky, Rudolf 88 Wilhelm Tell 88-95 Edel, Edmund 262 Berlin W 262 Eloesser, Arthur 259 Eßlair, Ferdinand 79 Fehling, Jürgen 193-197 Fischer-Lichte, Erika 28; 71; 342; 376 Fontane, Theodor 51f.; 57; 75; 295; 300 Franzos, Karl Emil 124-130; 149; 158; 178 Der Pojaz 124-129; 178 Frenzel, Elisabeth 144f. Frenzel, Karl 79; 146; 151-154; 162; 272; 287; 290; 293 418 Freud, Sigmund 118-120; 203 Friedell, Egon 44; 354 Friedrich II. 360f.; 367-369 Friedrich III. 350 Friedrich Wilhelm I. (der Große Kurfürst) 358 Friedrich Wilhelm I. 367-369 Ganghofer, Ludwig 211; 213 Herrgottschnitzer von Ammergau 211 Geiger, Abraham 138f.; 141 George, Heinrich111-113 Göhre, Paul 276-278; 280; 282-284 Granach, Alexander 165; 177-179; 185; 192; 200 Greenblatt, Stephen 33f.; 37f. Groß, Jenny 50; 240; 300-303 Grünwald-Zerkowitz, Sidonie 298 Habermas, Jürgen 45f.; 63; 317, 352 Halevy, Fromental 132-134 Harden, Maximilian 259; 263; 276; 288; 294; 301f.; 328; 363; 366 Harlan, Veit 180; 190; 193 Jud Süß 180f.; 190f. Hart, Heinrich 166f.; 170; 205-207 Hart, Julius 84; 205-207 Hauptmann, Gerhart 78; 80-83; 85; 87f.; 94; 102; 115; 238 Hilpert, Heinz 108 Hitler, Adolf 109; 114; 180; 375f. Hobsbawm, Eric 48; 116; 205 Hofpauer, Max 211 Hollaender, Felix 166; 175; 262 Hörbiger, Attila 110-113 Hülsen, Georg von 331-333 Iffland, August Wilhelm 79; 147 Ihering, Herbert 100-103; 105; 107; 111; 177f.; 180-184; 186-189 Jacobs, Monty 79; 147; 185-187; 192f.; 195f. Deutsche Schauspielkunst 79 Jacobsohn, Siegfried 41f.; 82f.; 99, 102-104; 172-175; 212f.; 253; 263; 288f.; 294f.; 339; 342 Jelavich, Peter 309 Jessner, Leopold 97-106; 112; 115; 118; 177; 180; 193 Kahane, Arthur 166; 169; 170f. Kalisch, David 42; 254-259, 292, 305f. Auf der Eisenbahn 254-258 Einer von unsere Leut 305f. Kean, Edmund 152; 156; 185 Keller, Gottfried 13; 57; 69-72; 75; 77 Am Mythenstein 69 Der grüne Heinrich 69-71 Kleider machen Leute 13 Kerr, Alfred 100; 103; 166; 171; 185-188; 195; 233; 253; 289 Klaar, Alfred 80f.; 84; 86; 101; 263f. Kluge, Kurt 107 Kocka, Jürgen 16-19; 47 Kortner, Fritz 97; 101-106; 112f.; 158; 170f.; 192-198; 200; 227; 374f. Kraus, Karl 220; 223-225; 228; 301; 350 Krauß, Werner 166; 178; 180-191; 193; 195f.; 200 Kraußneck, Arthur 79; 86; 106 Kutscher, Artur 228-231 Lamprecht, Karl 353f.; 358 L’Arronge, Adolphe 42; 257; 265; 338 Dr. Klaus 257 Lautenschläger, Karl 271; 353f.; 358 Lentner, Joseph Friedrich 209 Lessing, Gotthold Ephraim 50; 127; 130-133; 137-145; 154; 162; 210; 266; 306 Die Juden 306 Nathan der Weise 50; 56; 127f.; 130-145; 154; 157; 158-164; 166; ; 172; 174-176; 180f.; 184; 186; 189f.; 192; 199f.; 266 Lichtenfeld, Karl 222 s’ Haberfeldtreiben 222 419 Lindau, Paul 42; 262; 294 Linsemann, Paul 259; 288; 296f. Lubitsch, Ernst 23; 244-248; 306-310 Der Stolz der Firma 244; 309f. Meyer aus Berlin 244-248; Schuhpalast Pinkus 306-309 To Be or Not to Be 375f. Ludwig, Otto 81; 158 Mann, Heinrich 19 Marr, Hans 80; 85-88; 93-95; 104; 115 Martersteig, Max 40-42; 263; 265 Martin, Karl-Heinz 107 Marx, Karl 35 Messel, Alfred 273; 277f. Meyer Förster, Wilhelm 23-25 Alt-Heidelberg 23-25; 238 Mirzoeff, Nicolas 33f.; 55; 122; 319 Moissi, Alexander 166 Moser, Gusav von 42 Nadler, Josef 206; 214; 288 Naso, Eckart von 331; 373f. Naumann, Julius 57-59; 71; 116 Neuert, Hans 220 S’Lieserl vom Schliersee 220, 222 Almenrausch und Edelweiß 220 Niessen, Carl 228f.; 231 Noa, Manfred 181; 189f. Nathan der Weise 181; 189f. Nossig, Alfred 11, 13, 18 Der Hochstapler 11; 13; 18 Oppenheim, Moritz Daniel 139-141; 190 Orlik, Emil 166; 184 Ostwald, Hans 259 Paquet, Alfons 314-318 Pinthus, Kurt 177 Pirchan, Emil 98 Possart, Ernst von 146; 154-156; 162; 166; 175-177; 184; 199; 271; 334 Rathenau, Walther 259, 261 Rauchenegger, Benno 220f. Der Amerikaseppl 220f. Jägerblut 220f. Reicher, Emanuel 80 Reinhardt, Max 42; 88; 107f.; 114; 150; 165; 168; 170; 176f.; 180f.; 184; 188; 194f.; 286; 336-338; 340-342; 345; 349; 369; 376 Renz, Ernst Jacob 345-348 Roach, Joseph 29f.; 54; 67; 123, 200 Rosegger, Peter 227 Rötscher, Heinrich Theodor 206f. Saier, Joseph 73f. Sardou, Victorien 288, 300f. Schaumberger, Julius 217; 223-225; 227f. Scheffel, Joseph Victor von 21 Scheffler, Karl 251; 259-263; 278; 283 Schenk, Otto 192 Schildkraut, Rudolf 150; 165-167; 169-173; 175-178; 184-188; 191-196; 200 Schiller, Friedrich 28; 42; 49; 57- 70; 78-94; 100; 103; 111; 113; 127; 131; 137; 141; 151; 208; 238 Wilhelm Tell 49; 52-109; 113-120; 121; 137; 199f.; 208; 249 Schlaikjer, Erich 311; 328-330; 338; 340 Schlar, Josef 331 Schlenther, Paul 81f.; 85f.; 299f. Der Frauenberuf im Theater 299f. Schlittgen, Hermann 247 Schlösser, Rainer 144 Shakespeare, William 50; 53; 56; 61; 103; 127; 130-136; 151-154; 166; 169- 171; 176; 178f.; 186f.; 194-196; 199; 201; 288; 337; 341f.; 344 Hamlet 54; 146; 149; 351; 376 Merchant of Venice 50; 51; 53; 56; 121-200; 251; 375f. Richard III. 146; 149; 341-345; 348f. Siebs, Theodor 206-208 420 Siems, August 345 Simmel, Georg 35; 37; 41; 121; 200; 252 Sombart, Werner 287; 298; 315f.; 318 Sonnenthal, Adolf von 150; 158-166; 172; 175f.; 184; 200 Stern, Ernst 88; 166 Stern, Fritz 18; 71; 115; 118; 251, 261, 284 Strecker, Karl 82; 84; 165; 172; 327; 339 Stümcke, Heinrich 24f.; 175; 235; 298-300; 328f. Sudermann, Hermann 238; 266; 288- 290 Die Ehre 289-291 Sodoms Ende 290f. Terofal, Xaver 215; 218; 220f.; 225; 227; 233 Tönnies, Ferdinand 83, 117f.; 201 Gemeinschaft u. Gesellschaft117f.; 201 Tucholsky, Kurt 13; 253 Veblen, Thorstein 47; 281; 283; 311; 316f. Veidt, Conrad 93; 95 Voigt, Wilhelm 14; 16; 18; 30 Wagner, Richard 70; 366 Wallner, Franz 254 Walther-Fein, Rudolf 88 Weber, Carl Maria von 331f. Oberon 331f. Werner, Anton von 351-353; 376 Widmann, Wilhelm 73; 75f.; 79f.; 84 Wiener, Alfred 273-275; 278; 280f.; 283; 296 Wilhelm von Preußen, Prinz 11f. Wilhelm I. 350; 359; 363f.; 366f. Wilhelm II. 14; 19; 25; 50; 225; 282; 321; 331; 335; 350-363; 367; 370; 373 Wildenbruch, Ernst von 363-366; 369 Willehalm 363-366 Wilke, Rudolf 248f. Winz, Leo 132-136 Wolff, Eugen 207f.; 213; 265 Zabel, Eugen 272 Zille, Heinrich 360 Zuckmayer, Carl 14; 16; 180; 181 Der Hauptmann von Köpenick 14, 16 Geheimreport 180f. Zweig, Arnold 165, 172 037507 Auslieferung Mai.indd 13 12.06.2007 14: 24: 01 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Zu Beginn des 20. Jahrhunder ts werden sakrale Räume zu wichtigen Bezugspunkten für das zeitgenössische Theater: 1922 etablieren Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal im Rahmen der Salzburger Festspiele die barocke Kollegienkirche als Spielstätte für die Uraufführung des Salzburger Großen Welttheaters . Sie begründen damit eine Tradition des Kirchenraumspiels, die mit George Taboris Inszenierung des Buchs mit sieben Siegeln (1987) in einen der größten Theaterskandale der ausgehenden 1980er Jahre mündet. Das Verhältnis zwischen Theater, (Sakral-) Raum und Rezeption steht im Mittelpunkt dieser Studie zu den Salzburger Festspielen und ihren Kirchenrauminszenierungen von 1922 bis in die Gegenwart. Constanze Schuler Der Altar als Bühne Die Kollegienkirche als Aufführungsort der Salzburger Festspiele Mainzer Forschungen zu Drama und Theater, Band 37 2007, 279 Seiten, €[D] 68,00/ SFr 107,00 ISBN 978-3-7720-8214-6 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Wie schreibt man heute Theatergeschichte? Welche Vielfalt unterschiedlichster Theaterformen entfaltet sich, blickt man über die am Höhenkamm orientierte Theatergeschichtsschreibung früherer Forschergenerationen hinaus? Welche innovativen Ergebnisse bieten neu erschlossene Quellen, hinterfragt man mit ihnen bereits etablierte Forschungsmeinungen? Diese und weitere Fragen haben sich die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes gestellt. Die Ergebnisse bieten einen neuen Blick auf ein Thema, das es immer wieder zu diskutieren gilt: die Theaterhistoriographie. Mit Beiträgen von: Joachim Fiebach · Heidy Greco-Kaufmann · Stefan Hulfeld · Corinna Kirschstein · Anja Klöck · Andreas Kotte · Friedemann Kreuder · Peter W. Marx · Uta Schorlemmer · Constanze Schuler · Sabine Sörgel · Stefanie Watzka · Birgit Wiens Friedemann Kreuder / Stefan Hulfeld / Andreas Kotte (Hrsg.) Theaterhistoriographie Kontinuitäten und Brüche in Diskurs und Praxis Mainzer Forschungen zu Drama und Theater, Band 36 2007, 328 Seiten, 25 Abbildungen, €[D] 59,00/ SFr 93,00 ISBN 978-3-7720-8212-2 037507 Auslieferung Mai.indd 13 12.06.2007 14: 24: 01 Uhr Theaterwissenschaft Narr Francke Attempto Verlag Postfach 25 67 · D-72015 Tübingen www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Peter W. Marx Max Reinhardt Vom bürgerlichen Theater zur metropolitanen Kultur 2006, 250 Seiten, zahlr. Abb., € 29,90/ SFr 52,20 ISBN 978- 3-7720-8175- 0 “Wo der Begriff Theater gedacht wurde, war sein Name gleich mitgedacht.” So urteilt etwa der Zeitgenosse Bruno Frank über Max Reinhardt, und an weiteren überschwänglichen Würdigungen des genialen “Theatrarchen” ist bis heute wahrlich kein Mangel. Dieses Buch zieht nun zum ersten Mal eine umfassende Bilanz: Es stellt Reinhardts Theaterkonzept und seine ästhetischen Projekte ebenso vor wie die ganz eigene Struktur des Reinhardt’schen Theaterimperiums. Und es arbeitet die Stärken, aber auch die Schwächen seines Entwurfs klar heraus. Abschließende Bemerkungen gelten dem Schicksal des Juden Max Reinhardt sowie dem Aufstieg und Ende seines Theaters vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Reinhardts Leben und Wirken wird im Lichte dieser Betrachtungen zum Spiegel einer bewegten Zeit.