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Kommunikationsverben

2001
978-3-8233-3018-9
Gunter Narr Verlag 
Gisela Harras

Der Wortschatzausschnitt kommunikativer Ausdrücke ist in den letzten 20 Jahren in der lexikalischen Semantik kaum systematisch bearbeitet worden. Dies ist umso erstaunlicher, als dieser Bereich einen nicht unbeträchtlichen Bestandteil des Verbwortschatzes aller indoeuropäischen Sprachen ausmacht: Eine grobe Zählung, bei der auch komplexe lexikalische Einheiten wie Funktionsverbgefüge, Phraseologismen und Idiome berücksichtigt wurden, ergab für das Deutsche ca. 5000 lexikalische Einheiten. Die Vernachlässigung von kommunikativen Ausdrücken ist aber auch aus qualitativen Gründen unverständlich; schließlich sind sie der Indikator für die Konzeptualisierung des kommunikativen Verhaltens innerhalb einer Sprach- und Kulturgemeinschaft. Mit dem vorliegenden Band soll versucht werden, diese semantische Lücke zumindest ansatzweise zu füllen. Unter dem Aausdruck "konzeptuelle Ordnung" Im Untertitel dieses Bandes werden sowohl kognitive Schemata (wie kommunikations- oder Ereigniskonzepte)als auch Kategoriale Aspekte verstanden, die aus einer induktiven Analyse von Kommunikationsverben gewonnen und für eine systematische Analyse nutzbar gemacht werden. Der Ausdruck "semantische Repräsentation" im Untertitel nimmt einmal Bezug auf den Aspekt der Abbildung konzeptueller Strukturen auf das Lexikon und zum anderen auf den eher praktischen Gesichtspunkt der lexikologischen und lexikographischen Darstellung.

Studien zur deutschen Sprache FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Gisela Harras (Hrsg.) Kommunikationsverben Konzeptuelle Ordnung und semantische Repräsentation gnW Gunter Narr Verlag Tübingen STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE 24 Studien zur deutschen Sprache FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Herausgegeben von Ulrike Haß-Zumkehr, Werner Kallmeyer und Bruno Strecker Band 24 • 2001 Gisela Harras (Hrsg.) Kommunikationsverben Konzeptuelle Ordnung und semantische Repräsentation gnw Gunter Narr Verlag Tübingen Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kommunikationsverben : Konzeptuelle Ordnung und semantische Repräsentation / Gisela Harras (Hrsg.). - Tübingen : Narr, 2001 (Studien zur deutschen Sprache; Bd. 24) ISBN 3-8233-5154-0 © 2001 ■ Gunter Narr Verlag Tübingen Dischingerweg 5 ■ D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechthch geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Satz: Volz, Mannheim Druck: Laupp&Göbel, Nehren Verarbeitung: Nädele, Nehren Printed in Germany ISSN 0949-409X ISBN 3-8233-5154-0 Inhalt Vorwort 7 Gisela Harras Performativität, Sprechakte und Sprechaktverben 11 Daniel Glatz Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben 33 Edeltraud Winkler Möglichkeiten der semantischen Dekomposition von Kommunikationsverben 61 Kristel Proost Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 77 Gisela Harras Synonymie und Synonymik 131 Edeltraud Winkler Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 195 Vorwort Kommunikations-, speziell Sprechaktverben sind in den letzten 20 Jahren in der lexikalischen Semantik kaum systematisch bearbeitet worden. Dies ist umso erstaunlicher, als dieser Bereich einen nicht unbeträchtlichen Bestandteil des Verbwortschatzes aller indoeuropäischen Sprachen ausmacht. Eine erste grobe Zählung, bei der auch komplexe lexikalische Einheiten wie Funktionsverbgefüge, Phraseologismen und Idiome berücksichtigt wurden, ergab für das Deutsche ca. 5000 lexikalische Einheiten. Die Vernachlässigung von Kommunikationsverben ist aber auch aus qualitativen Gründen unverständlich; schließlich sind sie der Indikator für die Konzeptualisierung des kommunikativen Verhaltens innerhalb einer Sprach- und Kulturgemeinschaft. Aus diesen Gründen wurde am Institut für Deutsche Sprache ein Projekt in Angriff genommen, das die systematische semantische Analyse von Kommunikations-, speziell Sprechaktverben zum Ziel hat mit dem praktischen Ergebnis einer „Erklärenden Synonymik kommunikativer Ausdrücke des Deutschen“ (ESKA). Dafür wurde ein konzeptuelles Ordnungssystem der semantischen Repräsentation vermittels einer induktiven Analyse der Verben erstellt, mit dem nicht nur die im Deutschen existierenden lexikalischen Ausdrücke erfasst, sondern darüber hinaus der gesamte Lexikalisierungsraum, d.h. die Möglichkeiten der Lexikalisierung kommunikativer Konzepte, untersucht werden können. Zur Vertiefung solcher Untersuchungen wurde bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft der Antrag für ein Projekt zu „Tendenzen der Lexikalisierung kommunikativer Konzepte“ gestellt, das seit Mai 1999 von der DFG gefördert wird. Erste Ergebnisse dieser Arbeit werden zusammen mit den semantischen Grundlagen des Projekts ESKA in diesem Band vorgestellt. Unter dem Ausdruck „konzeptuelle Ordnung“ in dem Untertitel dieses Bandes werden sowohl kognitive Schemata (wie Kommunikations- oder Ereigniskonzepte) als auch ein System kategorialer Aspekte verstanden, die aus einer induktiven Analyse von Kommunikationsverben, im Wesentlichen von Sprechaktverben, gewonnen und für eine systematische semantische Analyse nutzbar gemacht wurden. Der Ausdruck „semantische Repräsentation“ im Untertitel nimmt einmal Bezug auf den Aspekt der Abbildung konzeptueller Strukturen auf das Lexikon und zum andern auf den eher praktischen Gesichtspunkt der lexikologischen und lexikografischen Darstellung. Innerhalb dieses Rahmens sind die einzelnen Beiträge so einzuordnen: Der Beitrag von Gisela Harras Perfomativität, Sprechakte und Sprechaktverben ist der Frage gewidmet, wie sich Konzepte der Sprechakttheorie auf die (Beschreibung der) Semantik von Sprechaktverben abbilden lassen. In dem Bei- 8 Vorwort trag von Daniel Glatz Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben wird gezeigt, dass sich Kommunikationsverben, besonders Sprechaktverben im engeren Sinn, nicht so ohne Weiteres in das sonst übliche Schema zur Ereignisstrukturierung einfügen lassen. Edeltraud Winkler rekurriert in ihrem Beitrag Möglichkeiten der semantischen Dekomposition von Kommunikationsverben ebenfalls auf das in der Semantik übliche Verfahren zur Dekomposition lexikalischer Bedeutungen und weist auf die Problematik ihrer Anwendung auf Sprechaktverben hin. Kristel Proost geht in ihrem Beitrag Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte der Frage nach, wie kommunikative Konzepte in verschiedenen indoeuropäischen Sprachen lexikalisiert sind und speziell auch der Frage, welche Rolle dabei Phraseologismen und Idiome spielen. Die letzten beiden Beiträge von Harras und Winkler konzentrieren sich auf die Frage der semantischen Repräsentation in einer erklärenden Synonymik. In dem Beitrag von Gisela Harras Synonymie und Synonymik wird eine realistische Theorie der Synonymie und eine Möglichkeit ihrer Umsetzung für die Erstellung einer Synonymik vorgeschlagen. Der Beitrag von Edeltraud Winkler Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben gibt abschließend einen Überblick über die in dem IDS- Projekt verwendeten Darstellungsformate. Während der Arbeit hatten wir Gelegenheit, mit unseren Kollegen Dmitrij Dobrovol’skij (Moskau) und Marcus Egg (Saarbrücken) und mit unserer Kollegin Christiane Fellbaum (Princeton) ausführlich und lustvoll zu diskutieren, wofür wir ihnen auch an dieser Stelle herzlich danken möchten. Für die Hilfe bei der Auswertung französischer Daten bedanken wir uns bei unserer Kollegin Jacqueline Kubczak. Schließlich möchten wir uns noch bei unseren studentischen Hilfskräften Eva Burckhard, Ilona Link und Kerstin Nieradt für ihre Mitarbeit bei der Erstellung des Phraseologismuskorpus bedanken. Im September 2000 Gisela Harras Der Autor und die Autorinnen des vorliegenden Bandes sind unter den folgenden E-Mail-Adressen erreichbar: Daniel Glatz: Gisela Harras: Kristel Proost: Edeltraud Winkler: glatz0ids-mannheim.de harras@ids-mannheim.de proost@ids-mannheim.de winklerSids-mannheim.de Gisela Harras Performativität, Sprechakte und Sprechaktverben 0. Vorbemerkung Wenn man sich mit der Semantik von Sprechaktverben beschäftigt, liegt es nahe, auch über den Zusammenhang zwischen den pragmatisch-semantischen Eigenschaften von Sprechakten und den lexikalisch-semantischen Eigenschaften von Sprechaktverben nachzudenken. Im folgenden Beitrag werde ich deshalb zunächst der Frage nachgehen, ob Performativität auch eine semantische Eigenschaft von Sprechaktverben ist und in einem zweiten Teil zeigen, wie die Sprechakttheorie Searles und Vandervekens für eine lexikalische Semantik nutzbar gemacht werden kann. 1. Performativität als Indikator semantischer Diskretheit 1.1 Der Blick zurück auf Austin Bekanntlich war es Austin, der den Ausdruck performative (performativity) geprägt hat als Bezeichnung für eine Eigenschaft von Äußerungen mit ganz bestimmten syntaktischen Kennzeichen, nämlich: einem Subjektausdruck in der ersten Person Singular oder Plural einem Verb im Präsens, Indikativ, Aktiv Solche Äußerungen sind im Englischen im Unterschied zum Deutschen auf den Gebrauch ganz bestimmter Verben festgelegt. Während man im Standarddeutschen z.B. als Antwort auf die Frage „Was tust du? “ sagen kann: (1) Ich putze das Badezimmer (2) Ich male ein Bild (3) Ich besuche meine Großmutter 12 Performativität, Sprechakte und Sprechaktverben wären die entsprechenden Antworten im Englischen die folgenden: (4) I am cleaning the bathroom (5) I am painting a picture (6) I am visiting my grandmother Mit solchen Äußerungen wird jeweils eine ganz spezielle Situation beschrieben, die Äußerungen sind wahr oder falsch. Im Unterschied dazu gibt es, gemäß der Austinschen Auffassung im Englischen (und im Deutschen) Äußerungen mit den genannten syntaktischen Kennzeichen, die nichts beschreiben und daher weder wahr noch falsch sein können wie die folgenden: (7) I promise you to come tomorrow (8) I name this ship the Queen Elizabeth (9) I bet you sixpence it will rain tomorrow und entsprechend im Deutschen: (10) Ich verspreche dir, morgen zu kommen (11) Ich taufe dieses Schiff auf den Namen Königin Elisabeth (12) Ich wette mit dir eine Mark, dass es morgen regnet Angesichts dieser Sachlage so räsonniert Austin könnte man auf die Idee verfallen, dass Äußerungen, die weder wahr noch falsch sein können, barer Unsinn sein müssten. Es sind jedoch in erster Linie bestimmte Philosophen, die sich nicht vorstellen können, dass Äußerungen, denen kein Wahrheitswert zugeordnet werden kann, sinnvoll sein könnten, obwohl sie nichts beschreiben. Der deskriptive Gebrauch von Sprache ist eben nur einer unter anderen, und zu den letzteren gehört der performative Gebrauch mit den genannten syntaktischen Kennzeichen. Wenn eine Person eine solche Äußerung macht, so Austin, dann würden wir eher sagen, dass sie etwas tut als dass sie etwas sagt. Sie liefert keinen Bericht über das Ausführen einer Handlung: Indem sie sagt, was sie tut, fuhrt sie diese Handlung aus. Die Funktion des Verbs in der Verwendung der ersten Person Singular, Präsens, Indikativ, Aktiv ist es, klar zu machen, welche spezielle Handlung jeweils ausgeführt wird, wenn eine entsprechende Äußerung gemacht wird: „By means of these explicit performative verbs and some other devices [z.B. hereby, G.H.] then, we make explicit what precise act it is that we are performing when we issue our utterance. But here I would like to put in a word of warning. We must distinguish between the function of making explicit what act it is we are Gisela Harras 13 performing. In issuing an explicit performative utterance we are not stating what act it is, we are showing or making explicit what act it is. To say „I warn you that“ is not to state that you are doing something, but makes it plain that you are it does constitute your verbal performance, a performance of a particular kind.“ (Austin 1979, S. 245) 1.2 1st Austins Auffassung plausibel? An der Austinschen Auffassung ist verschiedentlich Kritik geübt worden (z.B. von Cresswell 1972; Lewis 1972; Wamock 1973): Das entscheidende Merkmal performativer Äußerungen, das die spezifische Art der Handlung, die Illokution, anzeigt, sei nicht das performative Verb, sondern der indikativische Modus des Verbs, der qua Konvention die Illokution der Feststellung (assertion) ausdrückt. Eine erfolgreiche Äußerung eines performativen Satzes (performative sentence), so wird gesagt, stellt eine wörtliche (literal) Feststellung eines Sprechers dar, dass er denjenigen Akt ausführt, dessen Illokution durch das verwendete performative Verb benannt ist. Wenn diese Feststellung wahr ist, dann ist die Äußerung performativ. Mit der Äußerung eines Satzes wie: (13) Ich frage dich, ob es regnet stellt der Sprecher fest, dass er eine Frage stellt. Bevor ich zur Kritik dieser Auffassung komme, sei noch die Searle- Vandervekensche Version der Performativität skizziert: Mit einer erfolgreichen Äußerung von (13) stellt ein Sprecher offensichtlich nicht nur fest, dass er eine Frage stellt, sondern er stellt auch diese Frage. Doch, so die Kritik, keine noch so erfolgreiche Feststellung kann als solche allein die tatsächliche Ausführung dieser Handlung garantieren; der Sprecher könnte z.B. unaufrichtig sein oder missverstanden werden. Die assertive Hypothese ist daher inadäquat. Sie erklärt nicht den spezifisch performativen Charakter des Gebrauchs performativer Sätze. Vanderveken und Searle schlagen stattdessen vor, die primäre Illokution erfolgreicher Äußerungen performativer Sätze nicht in der Feststellung (assertion) zu sehen, sondern in der Deklaration (declaration): „Indeed, in speech act theory, it is the defining feature of a declaration that the speaker in representing himself as performing a present action in the world succeeds in performing that action in virtue of his speech act by the sole fact of his representation. For this reason, a successful utterance of a performative sentence is performative because a successful declaration makes its propositional content true, 14 Performativität, Sprechakte und Sprechaktverben and the propositional content in this case is that the speaker performs the illocutionary act with the force named by the performative verb. Thus, any successful utterance of a performative sentence has the secondary illocutionary force named by the performative verb by way of having the primary illocutionary force of declaration.“ (Vanderveken 1990, S. 19) Durch die erfolgreiche Äußerung von (13) stellt der Sprecher in abgeleiteter Weise (derivatively) eine Frage, indem er deklariert, dass er diese Frage stellt. Die Frage, die sich angesichts der Searle-Vandervekenschen Version ihrer Auffassung von Performativität stellt, ist die folgende: was ist mit der Annahme einer zusätzlichen primären Illokution des Deklarierens gewonnen? Wie plausibel ist diese Annahme? Wäre sie empirisch relevant, müsste sie durch gleiche Muster von Reaktionen auf explizit performative Äußerungen nachweisbar sein. Nehmen wir die folgenden Beispiele: (14) Ich frage dich, ob die Sonne scheint (15) Ich bitte dich, dieses Päckchen zur Post zu bringen (16) Ich teile Ihnen mit, dass die Besprechung auf morgen 15 Uhr festgelegt ist (17) Ich sage meine Teilnahme an dieser Veranstaltung zu Auf (14) könnte der Adressat so reagieren: (18) Schau doch aus dem Fenster (anstatt so blöd zu fragen) (19) Du siehst es doch Auf (15): (20) Das brauchst du gar nicht, ich würde es ohnehin tun (21) Ich habe das Päckchen bereits auf die Post gebracht Auf (16): (22) Das habe ich bereits gewusst (23) Woher wissen Sie das? Auf (17): (24) Das geht nicht, Sie sind gar nicht eingeladen (25) Das ist dann aber verbindlich Gisela Harras 15 In allen Fällen der möglichen Reaktionen auf Äußerungen wie (14)-(17) wird in keinem auf die Searle-Vandervekensche „primäre Illokution der Deklaration“ reagiert, sondern es wird immer auf eine spezielle Bedingung der jeweiligen „sekundären Illokution“ Bezug genommen: in (18) und (19) auf die epistemische Bedingung des Fragens, in (20) und (21) auf ebenfalls epistemische Voraussetzungen des Bittens, in (22) und (23) auf epistemische und kenntnisbezogene Bedingungen des Mitteilens und in (24) und (25) auf interaktioneile Bedingungen des Zusagens. Es ist schwer vorstellbar, wie in solchen Fällen eine Reaktion auf die „primäre Illokution“ des Deklarierens aussehen sollte. Man könnte allenfalls in Betracht ziehen, dass die Legitimation für den Vollzug des Aktes, der durch das performative Verb benannt ist, in Abrede gestellt wird, etwa so: (26) Das kannst du mich nicht fragen/ bitten/ mir mitteilen/ zusagen Wie die möglichen Adressatenreaktionen zeigen, sind solche generellen Zurückweisungen immer mit den aus der Sicht des Adressaten fehlenden oder mangelhaften Voraussetzungen und Bedingungen der jeweils speziellen Akte allein begründbar. Die Searle-Vandervekensche Version der Performativitätsauffassung vermehrt m.E. das Reich der Illokutionen ohne empirischen Nachweis. Die Kritik an der assertiven Hypothese der Performativität kann nun in der gleichen Weise erfolgen wie die an der deklarativen Hypothese: Mit assertiven Äußerungen wird ein Wahrheitsanspruch erhoben. Angenommen nun, y hat beim Einparken x's Wagen beschädigt, und x, der gerade noch rechtzeitig hinzukam, äußert gegenüber y (Beispiel aus Grewendorf 1979, S. 207): (27) Ich fordere Sie auf, mir Ihre Versicherung anzugeben Nehmen wir weiter an, dass x mit dieser Äußerung den illokutionären Akt des Auffordems vollzogen und y die Äußerung als Aufforderung verstanden hat. Wenn nun y die Äußerung darüber hinaus noch als x's Feststellung, dass x den y auffordert, ihm seine Versicherung anzugeben, verstehen würde, dann müsste es möglich sein, dass y in einem rationalen Diskurs den Wahrheitsanspruch von (27) problematisieren könnte. Grewendorf schreibt dazu: „Es kommt nicht vor, daß mit einer als Akt der Aufforderung zählenden Äußerung ein im Prinzip als problematisierbar angesehener Widerspruch erhoben wird“ (Grewendorf 1979, S. 207). 16 Performativität, Sprechakte und Sprechaktverben Das heißt, der Adressat wird nicht mit Äußerungen derart kontern: (28) Das stimmt (29) Da haben Sie Recht (30) Dieser Meinung bin ich auch (31) Das glaube ich nicht Die Fälle, in denen in einem zugegebenermaßen eher grotesken Kontext solche Äußerungen gemacht werden, kennzeichnet Grewendorf so: „ (a) im Falle von «das glaube ich nicht» würde der Sprecher trotzdem keine Argumente dafür verbringen, daß er eine Aufforderung gemacht hat; er würde an ein Mißverständnis glauben und seine Aufforderung wiederholen oder sich nicht emstgenommen fühlen oder seiner Aufforderung Nachdruck verleihen (etwa drohen) oder die Sache dem Rechtsanwalt übergeben etc. Er würde (b) angesichts einer freundlichen Zustimmung auf jeden Fall nicht darüber Befriedigung verspüren, daß jemand mit ihm einer Meinung ist, er würde eine solche Zustimmung auch nicht als Indiz dafür werten, daß der Sachverhalt, daß er aufgefordert hat, tatsächlich besteht, er würde sich mit diesen Antworten gar nicht auseinandersetzen, er würde sie sich verbitten.“ (Grewendorf 1979, S. 208) Diese kursorischen Hinweise auf die Reaktionsmöglichkeiten eines Adressaten performativer Äußerungen reichen völlig, um die Unangemessenheit der Annahme einer zusätzlichen „primären” Illokution der Assertion oder Deklaration als einen assertiven (deklarativen) Fehlschluss zu entlarven. 1.3 Performativität und Lexikon Bisher war lediglich von Performativität als einer spezifischen Eigenschaft bestimmter sprachlicher Äußerungen die Rede. Wie verhält sich diese nun zum Lexikon einer Sprache? Auch dazu finden sich bei Austin einige interessante Bemerkungen: Der performative Gebrauch macht klar oder zeigt an, genau welche sprachliche Handlung jeweils vollzogen wird. Insofern macht es einen Unterschied, ob jemand (32) oder (33) äußert: (32) Mach die Tür zu (33) Ich bitte dich, die Tür zuzumachen Gisela Harras 17 Austin schreibt: „ln using the imperative we may be ordering you to shut the door, but it just isn't made clear, whether we are ordering you or imploring you or beseeching you or indicating you or tempting you, or one or another of many other subtly different acts which, in an unsophisticated language, are very likely not discriminated. (...) If I say something like ‘I shall be there’, it may not be certain whether it is a promise, or an expression of intention, or perhaps even a forecast of my future behaviour, of what is going to happen to me; and it may matter a good deal, at least in developed societies, precisely which of these things it is. And that is why the explicit performative verb is involved to make clear exactly what it is, how far it commits me and in what way, and so forth.“ (Austin 1979, S. 244f.) Austin hält dann auch die Möglichkeit des performativen Gebrauchs von Verben für einen geeigneten Test zur Zusammenstellung von sozial relevanten Handlungen innerhalb einer Gesellschaft, deren Sprache die entsprechenden Ausdrücke enthält. Bezogen auf das Lexikon einer Sprache könnte man auch sagen: Die Möglichkeit des performativen Gebrauchs eines Verbs ist ein Indikator für seine semantische Diskretheit, in diesem Fall für die Lexikalisierung sozial verbindlicher kommunikativer Konzepte, vermittels derer sich die Sprecher der entsprechenden Gemeinschaft in spezifischer Weise auf eine ganz bestimmte kommunikative Handlung festlegen können. 1.4 Beschränkungen für Performativität Mit dem Ausdruck Performativität wird im Folgenden die Möglichkeit des performativen Gebrauchs lexikalischer Ausdrücke abgekürzt bezeichnet. Die Frage wird sein: Welche Beschränkungen gibt es für Performativität? Wie können diese begründet werden? 1.4.1 Die Beschränkung durch Kollektivität und Iterativität Zunächst erscheint es ganz natürlich, wenn nicht logisch, dass Bezeichnungen für Handlungen, die durch mehrere Akteure ausgeführt werden, nicht performativ gebraucht werden können. Dies gilt für Verben wie sich unterhalten, diskutieren, debattieren, sich beraten, usw., vgl.: (34) Ich unterhalte mich * (hiermit) (35) Ich diskutiere *(hiermit) (36) Ich berate mich "‘(hiermit) 18 Performativität, Sprechakte und Sprechaktverben Das Zustandekommen solcher Handlungen ist an die Mitwirkung anderer Personen als den Sprecher gebunden; dieser kann sie nicht einfach performativ ‘herbeireden’. Die Äußerungen (34)-(36) ohne den Performativitätsindikator sind deskriptiv, mit dem Indikator sind sie nicht nur sinnlos, sondern auch ungrammatisch. Das gleiche gilt nun auch für Bezeichnungen von Handlungen, zu deren Ausführung mehrere Handlungszüge notwendig sind. Dies gilt für Verben wie argumentieren, sich durchfragen, schwätzen, beweisen, überzeugen, überreden usw., vgl.: (37) Ich argumentiere * (hiermit) (38) Ich schwätze * (hiermit) (39) Ich beweise hiermit, dass p (40) *Ich überzeuge dich (hiermit) davon, dass p (41) *Ich überrede dich (hiermit) zu p An diesen Beispielen ist zweierlei auffällig: (39) scheint als deskriptive Äußerung völlig in Ordnung; hiermit ist kein Performativitätsindikator, sondern ein kataphorischer Ausdruck; (40) und (41) sind auch nicht als deskriptiv interpretierbar, z.B. als Antwort auf die Frage „was tust du? “. überzeugen und überreden sind perlokutionäre Verben, sie lexikalisieren den Endzustand eines Prozesses und könnten der Klasse der achievement-Verben zugeordnet werden. Das bringt uns auf die Frage, ob es lexikalisch motivierte Beschränkungen für Performativität geben könnte. Dazu ein kurzer Exkurs: 1.4.2 Gibt es lexikalisch motivierte Beschränkungen für Performativität? überzeugen und überreden, so hatte ich vermutet, könnte man der Klasse der achievement-Verben zuordnen: Ereignisse, die durch solche Prädikate bezeichnet werden, haben eine zeitliche Ausdehnung und einen Endzustand, vgl.: (42) Wie lange hast du gebraucht, um ihn zu überzeugen/ überreden? Zwei Stunden. (43) *Um wieviel Uhr hast du ihn überzeugt/ überredet? Gisela Harras 19 Insoweit könnte man die beiden Ausdrücke den achievements zuordnen. Deren Strukturbeschreibung verlangt allerdings auch eine Komponente Anfangszustand, was für die beiden Verben nicht gegeben ist, da mit diesen (bzw. mit ihrer jeweiligen Verwendung) der Einstellungsgehalt, der den Anfangszustand definieren müsste, überhaupt erst als Bestimmung des Endzustands eingeführt wird (vgl. dazu ausführlich den Beitrag von Glatz in diesem Band). Das heißt, überzeugen und überreden lassen sich nicht eindeutig zuordnen. Dies könnte ein Grund für die deskriptive wie performative Anomalie ihrer Verwendung in der 1. Person Sigular, Präsens, Indikativ, Aktiv sein. Was die Anomalie des deskriptiven Gebrauchs angeht, so könnte man diese Vermutung noch dadurch bestärken, dass man auf das ebenfalls perlokutionäre Verb belehren verweist, vgl.: (44) Ich belehre dich * (hiermit) Dessen deskriptive Verwendung scheint völlig in Ordnung. Im Unterschied zu überzeugen und überreden ist mit belehren ein Anfangszustand lexikalisiert, was möglicherweise mit der Präfigierung zusammenhängt (? ). Allerdings bringt uns dieser spekulative Hinweis bei der Frage nach lexikalisch motivierten Beschränkungen für Performativität auch nicht weiter: alle Deklarative, die Paradefälle der Performativität, sind eindeutig in die Klasse der achievement-Verben einzuordnen, ohne dass dies ihre performative Verwendung blockierte, vgl.: (45) Ich erkläre (hiermit) die Olympischen Spiele für eröffnet (46) Ich ernenne Sie (hiermit) zu meinem Stellvertreter (47) Ich stelle (hiermit) fest, dass das für die heutige Beschlussfassung notwendige Quorum erreicht ist usw. Hier könnte man einwenden, dass mit deklarativen Verben keine Sprechereinstellungen lexikalisiert sind. Dies kann aber kaum eine lexikalisch motivierte Beschränkung für Performativität sein, denn was machen wir dann mit versprechen, bitten, loben, grüßen, verbieten usw.? Es wird wohl so sein, wie bereits Austin bemerkt hat, dass Performativität durch gesellschaftliche Konventionen und Institutionen begründet ist: „Now since apparently society approves of censuring and reprimanding, we have here evolved a formula ‘I reprimand you’ or ‘I censure you’, which enables us ex- 20 Performativität, Sprechakte und Sprechaktverben peditiously to get this desirable business over. But on the other hand, since apparently we don’t approve of insulting, we have not involved a simple formula ‘I insult you’, which might have done just as well.“ (Austin 1979, S. 245) Dagegen versucht McCawley (1979), eine Antwort auf die Frage zu finden, ob die Möglichkeit des performativen Gebrauchs eines Verbs aufgrund seiner Bedeutung vorausgesagt werden kann, wobei er von der Überzeugung ausgeht: „... that the meaning of a verb does in fact completely determine whether it can be used performatively; however I am much less sure of what the relationship between semantic structure and performativity is. Are there, for example, a small number of .basic' performative predicates, such that the meaning of any performative is one of those predicates combined in various ways with other elements of meaning? If so, then what is about those predicates which makes them bearers of performativity? “ (McCawley 1979, S. 15If.) Um wenigstens für solche Basisprädikate eine Antwort auf seine Frage geben zu können, etabliert McCawley zunächst — in Anlehnung an und in korrigierender Ergänzung zu Austin sieben Gruppen von performativen Verben. Für das Deutsche sind dies die folgenden: 1. Verdiktive Verben, die Urteilensakte bezeichnen, wie: beschuldigen, anklagen, diagnostizieren, beurteilen, verstehen (als), schützen, einstufen, lokalisieren 2. Operative Verben, die deklarative Akte bezeichnen, wie: taufen, ernennen, exkommunizieren, proklamieren, anklagen, verurteilen, eröffnen 3. Imperative Verben, die Aufforderungsakte bezeichnen, wie: auffordern, befehlen, verbieten, ermahnen 4. Adhortative Verben, die Ratens-, Ermahnensakte bezeichnen, wie: raten, vorschlagen, empfehlen, warnen 5. Kommissive Verben, die Verpflichtungsakte bezeichnen, wie: sich verpflichten, versprechen, erklären (etw. zu tun) Gisela Harras 21 6. Behabitative Verben, die verhaltensbezogene Urteilsakte bezeichnen, wie: entschuldigen, tadeln, beglückwünschen 7. Expositive Verben, die kommunikationsstrukturierende Akte bezeichnen, wie: 1. zugeben, feststellen, meinen 2. erwähnen, bemerken 3. antworten, informieren 3 a. fragen, untersuchen 4. gestehen, schwören, bezeugen 5. akzeptieren, zustimmen 5 a. korrigieren 6. argumentieren, schließen, postulieren 7. beginnen, beenden la., analysieren, definieren 7b. erklären, formulieren, illustrieren 7c. nennen, betrachten/ verstehen als McCawley unterzieht die Verben dieser sieben Gruppen einem fünffachen Test: a) dem Test des performativen Gebrauchs mit Passiv b) dem Test des performativen Gebrauchs mit möchte/ would like to c) dem Test des performativen Gebrauchs mit würde/ would d) dem Test des performativen Gebrauchs mit will/ will e) dem Test des performativen Gebrauchs mit lassen Sie mich/ lass mich/ let me Der Test ergibt, auf das Deutsche bezogen, das folgende Ergebnis (ok steht für ‘geht in Ordnung’, * steht für ‘geht nicht in Ordnung’): 22 Performativität, Sprechakte und Sprechaktverben Verdiktive Operative Imperative Adhortative Kommissive Behabitative Expositive 1 2 3 3a 4 5 5a 6 7 7a 7b 7c mit Passiv */ ok ok ok/ * ok * mit möchte ok ok ok ok ok ok ok ok ok ok ok ok ok ok ok ok mit würde ? * * ok * * ok ok ok ? ok ok ok ok ok ok ok ok mit will ? * * ok * * ? ok ok ok ok ok ok ok ok ok ok mit lassen * * * ok ? ? ok ok ok ok ok ok ok ok ok ok ok ? McCawleys Auffassung zufolge ist diese Verbklassifikation eine semantisch motivierte. In einem nächsten Schritt untersucht er, ob die jeweilige semantische Struktur auch eine notwendige Bedingung für die Klassenzugehörigkeit eines Verbs darstellt. Die Klasse der Verben, bei denen es am offensichtlichsten ist, was sie gemeinsam haben, sind die Operative, d.h. Verben, mit denen auf deklarative Akte Bezug genommen wird wie taufen, ernennen, exkommunizieren usw. Ihre semantische Struktur ist eine der Inklusion (wenn nicht Identität) zwischen einem Ereignis des Sagens und einem durch dieses Sagen herbeigeführten Ereignis oder Sachverhalt. Die semantische Struktur eines Satzes wie: (48) Ich ernenne Gene Autry zum Botschafter von Frankreich Gisela Harras 23 notiert McCawley, indem er die Beziehung zwischen Sagen und dem herbeigeführten Ereignis durch Referenzindices markiert, wobei SAGEN, SAY denselben Index hat wie WERDEN ZU, COME ABOUT (vgl. McCawley 1979, S. 157): (49) I say w that it comes w about that Gene Autry is ambassador in France Imperative und Kommissive {auffordern, verbieten, sich verpflichten, versprechen) haben ebenfalls eine COME ABOUT-Struktur mit dem Unterschied, dass der durch das Sagen herbeigeführte Sachverhalt nicht durch den Komplementsatz allein beschreibbar ist. Durch Imperative und Kommissive wird eine Obligation zur Ausführung einer Handlung herbeigefuhrt, durch Imperative hörerseitig, durch Kommissive sprecherseitig. Die semantische Struktur der Sätze, in denen sie Vorkommen, ist die folgende: (50) I say* that it comes w about that I/ you owe you/ me p (mit p für den Gehalt des Komplementsatzes) Adhortative wie raten, vorschlagen, empfehlen usw. unterscheiden sich von den Imperativen dadurch, dass nicht nur das Interesse des jeweiligen Sprechers die Hörerhandlung legitimiert, sondern auch das Interesse des Hörers sowie der allgemeine Nutzen die Handlung legitimieren. Behabitative wie gratulieren, danken, tadeln usw. haben die Struktur von benefaktiven Konstruktionen, z.B. bedeutet (51) Ich danke dir dafür, dass du mir geholfen hast soviel wie: (52) Ich biete dir meine Feststellung an, dass ich dir dankbar dafür bin, dass du mir geholfen hast Zwischen Imperativen und Kommissiven auf der einen und Behabitativen auf der anderen Seite kann keine klare Unterscheidung getroffen werden; beide Male handelt es sich um Obligationen, mit Behabitativen wird etwas herbeigeführt, was nur zum Teil eine sprecherseitige Obligation darstellt. Die Unterscheidung schließlich zwischen Verdiktiven und Expositiven wird zunächst dadurch motiviert, dass Verdiktive in ihrem performativen Gebrauch nicht mit möchte/ would like und lassen Sie mich/ lass mich/ let me verwendet werden können, Expositive aber sehr wohl. Den wesentlichen semantischen Unterschied illustriert McCawley an den folgenden Beispielen: (53) Seit Mrs Smith ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hat Dr. Novotny fünfzig Mal festgestellt, dass sie an Leberzirrhose leidet 24 Performativität, Sprechakte und Sprechaktverben (54) Seit Mrs. Smith ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hat Dr. Novotny ihre Krankheit fünfzig Mal als Leberzirrhose diagnostiziert In (53) ist ausgedrückt, dass Dr. Novotny eine einzige Meinung vertreten hat, seit er Mrs. Smith zum ersten Mal untersucht hat, während in (54) ausgedrückt wird, dass er wiederholt Zweifel an seiner Diagnose hatte oder dass andere Ärzte ihn zur neuerlichen Untersuchung angetrieben haben. Wenn ein Arzt eine Krankheit diagnostiziert, dann setzt er sein Urteil in Kraft („puts it on the record ). Er kann nur dann eine neue Diagnose stellen, wenn er seine alte vorher außer Kraft gesetzt hat „... and there is again an empty space in ‘in the record’ for his judgment“ (McCawley 1979, S. 161). Feststellen, konstatieren (state) kann man dagegen etwas unabhängig davon, ob es bereits gilt/ in Kraft ist. Der semantische Unterschied zwischen Expositiven und Verdiktiven ist also der folgende: - Expositive verhalten sich wie Behabitative: ebenso wie man jemandem xmal für etwas danken kann, kann man zum tausendsten Mal konstatieren, dass sich der Euro in einem beklagenswerten Zustand befindet. - Verdiktive verhalten sich wie Operative, Imperative, Adhortative und Kommissive. Jemanden zu etwas auffordem, jemandem etwas versprechen, jemandem etwas raten kann man nur dann, wenn die Obligation zur Ausführung der Handlung nicht (mehr) gilt, nicht in Kraft ist. Die semantische Struktur von Verdiktiven ist (vgl. McCawley 1979, S.161): (55) I say w that it comes w about that it is on the record that I believe that S McCawley beantwortet seine Fragen nach der Klassenzughörigkeit der Verben bezüglich ihrer semantischen Struktur und nach der Begründung von Performativität abschließend so: Verdiktive, Operative, Imperative, Adhortative und Kommissive sind kausative Verben. Mit ihnen wird auf sprachliche Handlungen und auf ein Ereignis, das als Teil dieser Handlung zustande kommt, Bezug genommen. - Mit Behabitativen und Expositiven wird auf Akte des [Sagens, dass S] Bezug genommen. - Diese beiden semantischen Eigenschaften sind die Hauptursachen für Performativität: „I regard it as fairly plausible that these two characteristics are the only bearers of performativity, though it will take a lot of serious and detailed lexicography to establish it“ (McCawley 1979 S. 164). Gisela Harras 25 Gegen die Untersuchung McCawleys sowie ihre Ergebnisse ließen sich vom Standpunkt der lexikalischen Semantik wie auch dem der Sprechakttheorie eine Menge kritischer Einwände anfuhren, z.B. dass die Klassifikation nicht vollständig ist, dass die Kriterien der performativen Verwendungsmöglichkeiten als semantische nicht hinreichend begründet sind oder dass es problematisch ist, Prädikate wie danken als ‘Angebot einer Feststellung’ zu charakterisieren und sie damit in eine Reihe mit Kommissiven zu stellen sowie dass insgesamt die semantische Übergeneralisierung von Verdiktiven, Operativen, Imperativen, Adhortativen und Kommissiven fragwürdig ist. Der entscheidende Einwand ist jedoch, dass die beiden Kriterien für Performativität weder hinreichend noch notwendig sind: beleidigen, überzeugen sind kausative Verben und müssten nach McCawley zur ersten Gruppe gehören, aber keines dieser Verben ist performativ verwendbar; lügen müsste nach McCawley in die zweite Gruppe gehören und daher performativ verwendbar sein, was ganz offensichtlich nicht der Fall ist. Ob mitteilen, informieren, benachrichtigen kausative Verben sind, ist fraglich; performativ verwendbar sind sie allemal. Man kommt wohl nicht umhin, dem Fazit Searles zuzustimmen (vgl. auch Verschueren 1998): „First, most contemporary analyses try to derive the performative from the assertion; but on my proposal, the performative, the declaration, is primary; the assertion is derived. Secondly, it turns out that there is no such thing as a semantic property which defines performative verbs. Unless there is some special feature of the verb which implies nonperformativity (as with „hint“ or „boast“) any verb at all which names an intentional action could be uttered performatively. The limitation on the class that determine which will succeed and which will fail derive from facts about how the world works, not from the meanings of the verbs.“ (Searle 1989, S. 557) Die Antwort auf die Frage, ob es lexikalische Beschränkungen für den performativen Gebrauch von Sprechaktverben gibt, ist also eindeutig: NEIN! 1.4.3 Die Beschränkung durch illokutionären Selbstmord Auf eine Art der Beschränkung, die Searle und Vanderveken „self-defeating“ oder „illocutionary suicide“ genannt haben, soll noch kurz verwiesen werden. Sie betrifft alle Verben des Lügen-Paradigmas, vgl.: (56) Ich lüge *(hiermit) (57) Ich lüge dich *(hiermit) an (58) Ich erlüge * (hiermit) diese ganze Geschichte (59) Ich flunkere *(hiermit) 26 Performativität, Sprechakte und Sprechaktverben Nach Searle und Vanderveken ist eine Feststellung der Form: (60) Alle meine Feststellungen sind falsch self-defeating, weil ihre „illocutionary points“ leer sind. (56)-(59) besagen nun dasselbe. Es gibt allerdings noch ein anderes Problem: nämlich das des unausweichlichen Lügen-Paradoxons: Wenn der Sprecher von (56) die Wahrheit sagt, dann muss die deskriptive Äußerung wahr sein; das heißt aber, der Sprecher äußert die Unwahrheit; die Äußerung ist falsch. Dies kann jedoch nicht der Fall sein, denn wir gingen davon aus, dass der Sprecher die Wahrheit sagt. Wenn der Sprecher die Unwahrheit sagt, dann muss die Äußerung falsch sein, d.h. der Sprecher sagt die Wahrheit! Dass man so etwas nicht performativ äußern kann, liegt auf der Hand, denn mit einer solchen Äußerung wäre das gesamte (zweck)rationale Fundament unserer Kommunikation (und der Griceschen Kooperation allemal) gründlich unterwandert! 2. Sprechakte und Sprechaktverben Im Folgenden soll es nicht um die leidige Frage gehen, ob Sprechaktverben als Indikatoren für Sprechakte betrachtet werden können (vgl. dazu Baumgärtner 1977; Bierwisch 1980; Heringer 1980; Meibauer 1982; Strecker 1984). Vielmehr soll die Möglichkeit der Abbildung semantischer Eigenschaften von Sprechaktverben auf Sprechakte und umgekehrt demonstriert und damit auch die These vertreten werden, dass eine Sprechaktklassifikation für eine semantische Analyse fruchtbar sein kann (vgl. Meibauer 1982, S. 142) oder allgemeiner formuliert, dass Handlungs- und Sprechakttheorie für die lexikalische Analyse direkt nutzbar gemacht werden kann (vgl. Wunderlich 1976, S. 304; Harras 1998). Baumgärtner (1977) hat zu Recht daraufhingewiesen, dass Sprechaktverben keiner natürlichen Taxonomie unterliegen, denn das würde voraussetzen, dass die soziale Realität selbst schon strukturiert ist, also schon vor den lexikalischen Ausdrücken durch unabhängige und eindeutige Formen einer systematischen Interaktion geregelt wäre. Dies ist aber bis auf einige Ausnahmen institutioneller Herkunft nicht der Fall. Folglich dürfte es vergeblich sein, für die semantische Klassifizierung von Sprechaktverben mit anderen Vorgaben zu rechnen als mit ihrem bloßen Auftreten im Gebrauch. So bleibt nur der Versuch einer indirekten induktiven Analyse unter der Voraussetzung, dass Sprechaktprädikate wenigstens in gewissen kategorialen Aspekten Gisela Harras 27 übereinstimmen und in ihnen zugleich minimal unterschieden werden können. Dass eine solche Annahme richtig ist, lässt sich leicht zeigen. Man vergleiche zunächst die folgenden Beispiele: (61) Fritz bestreitet, dass der Euro jemals eine starke Währung wird (62) Anna bittet Otto, ihr beim Renovieren der Wohnung zu helfen (63) Franz verpflichtet sich, bei Annas Umzug zu helfen (64) Anna tadelt Otto, dass er die Bank gesprengt hat (65) Otto warnt Anna davor, einen solchen Antrag zu stellen Mit all diesen Sätzen wird auf Situationen Bezug genommen, in denen ein Sprecher S gegenüber einer Hörerschaft H (in (61) und (63) nur implizit, d.h. nicht syntaktisch kodiert) eine Äußerung macht mit einem bestimmten Inhalt, einem propositionalen Gehalt, der in den jeweiligen Komplementsätzen ausgedrückt ist. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Prädikaten bestreiten, bitten, sich verpflichten, tadeln und warnen lassen sich nun folgendermaßen begründen: Mit bestreiten wird ausgedrückt, dass der Sprecher (der Referent des Subjekts des Matrixsatzes) den im Komplementsatz ausgedrückten propositionalen Gehalt nicht für wahr hält, d.h. mit dem Prädikat wird eine bestimmte Einstellung des Sprechers zum propositionalen Gehalt, kurz: eine propositionale Einstellung, ausgedrückt. Das Prädikat bitten verlangt, dass der propositionale Gehalt p auf eine Handlung festgelegt ist, deren Agens der Hörer (der Referent des direkten Objekts des Matrixsatzes) ist; dies erklärt die semantische Abweichung von Sätzen wie: (66) *Anna bittet Otto, zu regnen/ dass es regnet (67) * Anna bittet Otto, dass sie das Klavier trägt Ferner verlangt bitten, dass die Art der propositionalen Einstellung auf eine voluntative Einstellung festgelegt ist: S will p, sowie, da p eine Hörerhandlung darstellt, eine intentionale Sprechereinstellung: S will, dass H p tut, mit der Werteverteilung: p ist im Interesse von S. Dies wiederum verlangt, dass p auf ein Ereignis festgelegt ist, das nicht von selbst passiert, oder anders formuliert: aus der Sicht von S ist p nicht erwartbar. sich verpflichten verlangt für p eine Handlung mit Sprecheragens in der Nachzeit als nicht erwartbarem Ereignis mit der propositionalen Einstellung: S will p, wobei p im Interesse von H ist. 28 Performativität, Sprechakte und Sprechaktverben Tadeln verlangt für p eine vorzeitige Handlung mit Höreragens sowie eine evaluative propositionale Einstellung: S bewertet p negativ (im Unterschied etwa zu loben). Warnen verlangt einen Nachzeitbezug von p, wobei p entweder eine Handlung mit Sprecheragens oder ein Ereignis ist, das in die Nachzeit hineinreicht, mit der Werteverteilung: nicht im Interesse von H und der Sprecherannahme: im weiteren Verlauf der Dinge erwartbar. Die kategorialen Aspekte, die wir aus der Verbanalyse gewonnen haben, sind, zusammengefasst, die folgenden: (1) der Aspekt des propostionalen Gehalts (2) der Aspekt der propositionalen Einstellung von S (3) der Aspekt der intentionalen Einstellung von S (4) der Aspekt der Vorannahmen von S Diese vier kategorialen Aspekte lassen sich ohne Weiteres auf die Bedingungen abbilden, die Searle/ Vanderveken (1985) und Vanderveken (1990) für die illokutionären Kräfte (‘illocutionary forces’) von Sprechakten formuliert haben: (A) „illocutionary point“ (B) „mode of achievement of an illocutionary point“ - Art des Erreichens eines illocutionary point (C) „propositional content“ propositionaler Gehalt (D) „preparatory conditions“ - Vorbereitungsbedingungen (E) „sincerity conditions“ - Aufrichtigkeitsbedingungen (F) „degree of strength“ - Grad der Stärke des illocutionary point Für (A) werden fünf verschiedene „points“ unterschieden, und in den verschiedenen Ausprägungen von Sprechakttheorien besteht inzwischen Einigkeit darüber, dass es nur diese fünf sind: (i) der „assertive point“, der darin besteht, dass der Sprecher einen Sachverhalt als ‘actual’ hinstellt, repräsentiert; Gisela Harras 29 (ii) der „commissive point“, der darin besteht, dass sich der Sprecher zu einer Handlung verpflichtet; (iii) der „directive point“, der darin besteht, dass der Sprecher versucht, den Hörer dazu zu bringen, etwas zu tun; (iv) der „declarative point“, der darin besteht, dass der Sprecher eine Handlung ausführt, die einen Sachverhalt als bestehend hervorbringt; (v) der „expressive point“, der darin besteht, dass der Sprecher eine propositionale Einstellung zum Ausdruck bringt. Vanderveken hält diese fünf illocutionary points aus folgenden Gründen für empirisch gerechtfertigt: „From a linguistic point of view, this classification of illocutionary points is empirically justified, because only these five illocutionary points are needed in order to analyze the illocutionary force markers and performative verbs in English and other natural languages.“ (Vanderveken 1990, S. 105) Wenn wir jetzt unsere Zusammenstellung der kategorialen Aspekte, die wir aus der Verbanalyse gewonnen haben, mit den fünf illocutionary points vergleichen, finden wir auf Anhieb keine Entsprechungen. Bei näherer Betrachtung der Vandervekenschen Aufzählung fällt allerdings auf, dass in den Beschreibungen durchwegs von intentionalen Begriffen Gebrauch gemacht wird. Die deutschen Entsprechungen sind: repräsentieren, sich verpflichten, jemanden zu etwas zu bringen versuchen, eine bestimmte Handlung mit einem bestimmten Ergebnis ausführen, etwas Bestimmtes zum Ausdruck bringen. Da diese Prädikate vom Sprecher ausgesagt sind, können wir generell die Bedingung des illocutionary point auf den Aspekt der intentionalen Sprechereinstellung abbilden. (A) Die Bedingung des illocutionary point wird von Searle/ Vanderveken (1985) und Vanderveken (1990) durch das Kriterium der „direction of fit“ ergänzt. Die direction of fit legt die jeweilige Ausrichtung von Sprache zur Welt bzw. von der Welt zur Sprache fest. Assertive haben die Ausrichtung von der Sprache zur Welt, Kommissive und Direktive die Ausrichtung von der Welt zur Sprache, Deklarative haben beide Ausrichtungen und Expressive eine leere Ausrichtung. Ob diese Kennzeichnung auch eine Rolle für die lexikalische Analyse von Sprechaktverben spielt, ist eine offene Frage. Vanderveken selbst spricht ausschließlich von der „direction of fit of utterances“ und stuft sie als „conditions of success of utterances“, also als Erfolgsbedingungen für Äußerungen ein. Unter dieser Voraussetzung spielt das Kriterium der direction of fit keine Rolle für die lexikalische Analyse. 30 Performativität, Sprechakte und Sprechaktverben (B) Mithilfe des Kriteriums der Art des Erreichens des illocutionary point werden illokutionäre Akte differenziert, die einem illocutionary point zugeordnet sind, wie z.B. innerhalb der Direktive befehlen, das eine Aufforderung mit der Zusatzbedingung einer autoritären Position des Sprechers darstellt oder innerhalb der Assertiven bezeugen als ‘vor Gericht aussagen’, das die Zusatzbedingung eines bestimmten institutionellen Rahmens verlangt. Insgesamt ist diese Bedingung auf bestimmte Vorannahmen des Sprechers abbildbar. (C) Die Bedingung des propositonalen Gehalts ist direkt auf den entsprechenden kategorialen Aspekt der Verbanalyse abbildbar. (D) Die Vorbereitungsbedingungen werden als eine spezielle Klasse von Präsuppositionen für illokutionäre Akte bestimmt; z.B. präsupponiert ein Sprecher, der etwas verspricht, so Vanderveken (1990) dass er die versprochene Handlung tun kann und dass diese im Interesse des Hörers liegt; ein Sprecher, der sich entschuldigt, präsupponiert, dass das, wofür er sich entschuldigt, nicht im Interesse des Sprechers (oder anderer) liegt usw. Vorbereitungsbedingungen sind auf den kategorialen Aspekt der sprecherseitigen Vorannahmen abbildbar. Allerdings ist hier Vorsicht geboten: Die sog. Präsuppositionen der Sprechakttheorie müssen nicht notwendigerweise auch lexikalische Präsuppositionen sein. Wenn man den Negationstest anwendet, erhält man ein ziemlich uneinheitliches Bild, vgl.: (68) Er hat ihn nicht vor dem Angriff des Stiers gewarnt (69) Er hat ihn nicht ermahnt, endlich sein Manuskript abzuliefem (70) Er hat ihm nicht verboten, zur EXPO zu fahren In all diesen Fällen werden die jeweiligen Präsuppositionen erhalten: in (68) und (69) die Erwartbarkeit von p (‘Stierangriff, ‘Manuskriptablieferung’), in (70) die Intention von H, zur EXPO zu fahren. Die folgenden Beispiele dagegen zeigen ein anderes Bild: (71) Er hat ihm nicht versprochen, zur EXPO zu fahren (72) Er hat sich nicht für sein Verhalten entschuldigt (73) Er hat ihn nicht gebeten, das Klavier zu tragen M.E. ist es äußerst fragwürdig, ob mit diesen Sätzen überhaupt so etwas präsupponiert ist wie: ‘zur EXPO fahren ist im Interesse von H’ oder gar: ‘H ist fähig, das Klavier zu tragen’. (E) Aufrichtigkeitsbedingungen werden von Vanderveken als propositonale Einstellungen bestimmt, vgl.: Gisela Harras 31 „By performing an illocutionary act, the speaker also expresses (or manifests) mental states of certain psychological modes about the state of affairs represented by the propositional content.“ (Vanderveken 1990, S. 117) Sie sind also direkt auf den kategorialen Aspekt der propositionalen Sprechereinstellung abbildbar. (F) Die sechste Bedingung - „degree of strength“ bezieht sich auf unterschiedliche Intensitätsgrade propositionaler Einstellungen. So wird durch jemanden anflehen, etwas zu tun eine größere Intensität des Sprecherwillens ausgedrückt als durch bitten oder auffordern. Diese Bedingung ist nicht auf einen der kategorialen Aspekte abbildbar, die wir aus der exemplarischen Verbanalyse gewonnen haben. M.E. ist ‘Intensität’ eine semantische Eigenschaft, die erst durch die paradigmatische Verbanalyse zutage tritt. Der Vergleich von kategorialen Aspekten der Verbanalyse und illokutionären Bedingungen hat wohl klar gezeigt, das sie aufeinander abbildbar sind. Zum Abschluss sind die Beziehungen nochmal schematisch zusammengefasst: illokutionäre Bedingungen kategoriale Aspekte Abb. 1 32 Performativität, Sprechakte und Sprechaktverben Literatur: Austin, John L. (1975): How to do Things with Words. Second Edition. Oxford. Austin, John L. (1979): Performative Utterances. In: Austin, John L.: Philosophical Papers. Third Edition. Oxford. S. 233-252. Baumgärtner, Klaus (1977): Lexikalische Systeme möglicher Performative. In: Zeitschrift fur germanistische Linguistik 5, S. 257-276. Bierwisch, Manfred (1980): Semantic Structure and Illocutionary Force. In: Searle, John R./ Kiefer, Ferenc/ Bierwisch, Manfred (Hg.): Speech Act Theory and Pragmatics. Dordrecht. S. 1-36. Cresswell, Max J. (1972): Logics and Languages. London. Grewendorf, Günther (1979): Explizit performative Äußerungen und Feststellungen. In: Grewendorf, Günther (Hg.): Sprechakttheorie und Semantik. Frankfurt a.M. S. 197-216. Harras, Gisela (1998): Tendenzen der Lexikalisierung kommunikativer Konzepte. Antrag an die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Heringer, Hans Jürgen (1980): Lexikalische Luftgebäude. In: Ballweg, Joachim/ Glinz, Hans (Hg.): Grammatik und Logik. Jahrbuch 1979 des Instituts für deutsche Sprache. Düsseldorf. S. 174-190. Lewis, David (1972): General Semantics. In: Davidson, Donald/ Harman, Gilbert (Hg.): Semantics ofNatural Language. Dordrecht. S. 169-218. McCawley, James (1979): Remarks on the Lexicography of Performative Verbs. In: McCawley, James: Adverbs, Vowels, and Other Objects of Wonder. Chicago. S. 151- 164. Meibauer, Jörg (1982): Akte oder Verben oder beides. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 1, S. 137-148. Searle, John R. (1989): How Performatives Work. In: Linguistics and Philosophie 12, S. 535-558. Searle, John R./ Vanderveken, Daniel (1985): Foundations of Illocutionary Logic. Cambridge. Strecker, Bruno (1984): In Sachen Meibauer contra Ballmer/ Brennenstuhi. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 3, S. 261-264. Vanderveken, Daniel (1990): Meaning and Speech Acts. Volume 1: Principles of Language Use. Cambridge. Verschueren, Jan (1998): Speech Act Verbs. In: Mey, Jacob L. (Hg.): Concise Encyclopedia of Pragmatics. Amsterdam. S. 938-941. Wamock, George J. (1973): Some Types of Performative Utterance. In: Berlin, Isaiah/ Forguson, L. W. (Hg.): Essays on J. L. Austin. Oxford. S. 69-89. Wunderlich, Dieter (1976): Studien zur Sprechakttheorie. Frankfurt a.M. Daniel Glatz Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben Einleitung Verben und Verbprojektionen zeigen oft eine erstaunliche Variation ihrer Bedeutung in Verbindung mit der Variation des morphosyntaktischen Kontextes. Um den Zusammenhang zwischen semantischer Struktur sowie morphosyntaktischem Verhalten und morphosyntaktischer Flexibilität (z.B. der Erweiterbarkeit zu resultativen Konstruktionen) zu erfassen, verweist man häufig auf Eigenschaften der Ereignisstruktur der entsprechenden Verbprojektionen. Allerdings hat man sich bei der Diskussion dieser Fragen aus naheliegenden Gründen im allgemeinen auf einige wenige Gruppen von Verben, wie etwa Bewegungs- oder Lokalisierungsverben, beschränkt. Im Folgenden soll erörtert werden, wie sich Kommunikationsverben verhalten, nicht nur im Hinblick auf ihre Ereignisstruktur, sondern auch hinsichtlich der damit verbundenen Möglichkeiten, ihre Argumentstruktur etwa zu resultativen Konstruktionen zu erweitern. Kommunikationsverben sind Verben, die kommunikative Akte bezeichnen, welche mit sprachlichen Mitteln ausgeführt werden entweder notwendigerweise (z.B. überreden) oder, im Falle von hybriden Verben, optional (z.B. bereuen, zumuten). Diese Verben zeigen ein divergierendes Verhalten. Während resultative Verwendungsweisen bei Verben wie rufen (die Neuigkeit ins Zimmer rufen), flüstern (die Neuigkeit ins Ohr flüstern) oder faxen (die Neuigkeit nach Australien faxen) in ähnlicher Weise wie bei Bewegungsverben möglich sind, findet man Derartiges bei Sprechaktverben wie versprechen oder tadeln nicht. Wir werden nur einige ausgewählte Probleme behandeln und eine ganze Reihe von Bereichen ausklammem, so z.B. den ganzen Bereich der verbalen Präfixbildungen. Weiterhin werden wir uns (fast) ausschließlich mit dem deskriptiven Gebrauch von Kommunikationsverben beschäftigen. Außerdem wird der Gegenstandsbereich auf das Zusammenspiel des Verbs mit seinen Argumenten eingeschränkt, dies auch deshalb, weil keine ausreichend elaborierte Theorie adverbialer Modifikation zur Verfügung steht. Es wird zunächst geklärt, was man unter ‘Ereignisstruktur’ verstehen soll, und in einem nächsten Schritt werden diese wesentlichen ereignisstrukturellen Eigenschaften bestimmt. Abschließend soll geprüft werden, inwieweit sie für die semantische Beschreibung von Kommunikationsverben eine Rolle spielen. 34 Daniel Glatz 1. Was ist Ereignisstruktur? Fragen der Ereignisstruktur werden seit langer Zeit sowohl in der Philosophie wie auch in der Linguistik intensiv diskutiert. Im Folgenden soll ein kurzer Abriss der für uns relevanten Diskussion gegeben werden. Zunächst soll jedoch bestimmt werden, was wir unter ‘Ereignisstruktur’ verstehen wollen. Die Struktur von Ereignissen wird durch temporale Merkmale der entsprechenden Situation definiert. Diese sind keine ontologischen Charakteristika, sondern Reflexe von Möglichkeiten für Sprecherentscheidungen, die einzelsprachlich verfügbare Strukturen nutzbar machen, wobei die Beziehung zwischen ontologischen Charakteristika und deren sprachlicher Konzeptualisierung nicht arbiträr ist. Aus diesem Grund sind grundsätzlich auch zweierlei Herangehensweisen an den Themenbereich denkbar: eine, die von ontologischen Kriterien ausgeht und deren Abbildung in sprachliche Strukturen untersucht, und eine zweite, die die variable Konzeptualisierung externer Apperzepte zum Ausgangspunkt macht, entsprechend der Einsicht, dass "[n]icht der reale Verlauf einer in der Regel komplexen, d.h. aus unterscheidbaren Teilsituationen zusammengesetzten, Situation (...) die Wahl der sprachlichen Darstellung [determiniert], sondern die konzeptuelle Zuordnung einzelner Ausschnitte der Realität der Teilsituationen zu einem umfassenden Situationskonzept.“ (vgl. Herweg 1990, S. 51f.). Verben bzw. Prädikate oder Verbprojektionen werden gemäß den Eigenschaften klassifiziert, die die Relationen zwischen den von den Prädikaten bezeichneten Sachverhalten und dem Verlauf der Zeit charakterisieren. Die Gesamtheit dieser Eigenschaften wollen wir ‘Ereignisstruktur’ nennen. Ereignisstrukturelle Informationen werden in dem Maße semantisch repräsentiert, in dem sie grammatisch relevant sind. Als relevante Eigenschaften werden dabei häufig die folgenden genannt: - Das Vorhandensein temporaler Grenzen: Handelt es sich um ein begrenztes Ereignis? - Ist ein (inhärenter) Zustandswechsel involviert oder nicht? Wird das Ereignis als (a)telisch aufgefasst? So bezeichnet gestern schwamm Hans zwei Stunden lang zwar ein begrenztes Ereignis, das aber keinen inhärenten und definiten Zustandswechsel beinhaltet, im Gegensatz etwa zu Peter erreichte den Gipfel. - Ist das Ereignis intern gegliedert oder nicht, d.h. ist es homogen oder nicht und wenn ja, in welchem Sinne bzw. bis zu welcher unteren oder oberen Grenze? Man vergleiche hier Fälle wie er hielt eine Rede, er redete Mist, er stotterte viele Jahre lang. Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben 35 - Ist das Ereignis zeitlich ausgedehnt oder nicht, d.h. ist das Ereignis punktuell oder nicht? Beispiele, die hier häufig genannt werden, sind etwa explodieren, finden vs. schlafen. Dabei scheinen die bzw. einige dieser Charakteristika nicht unabhängig voneinander zu sein. So impliziert z.B. die interne Gliederung eines Ereignisses eine gewisse zeitliche Ausdehnung. Auf die genannten Eigenschaften wird später noch genauer eingegangen. Dabei werden wir sehen, dass einige dieser Kriterien für die Ereignisstruktur im eigentlichen Sinne nicht relevant sind. 2. Zur Natur von Ereignissen Über Handlungen und andere Ereignisse sprechen wir mit derselben Selbstverständlichkeit wie über Personen und andere Objekte. Das impliziert allerdings nicht unmittelbar, dass Ereignisse in das Inventar ontologischer Primitiva aufgenommen werden wie z.B. Personen und natürliche Objekte. Dennoch ist klar, dass dem Reden über Ereignisse eine wie auch immer geartete Ereignistheorie zugrunde liegen muss. Es soll hier nicht die philosophische Diskussion nachgezeichnet werden (vgl. dazu etwa Stoecker 1992 oder Pianesi/ Varzi 2000). Eine natürliche oder ‘Folktheorie’ von Ereignissen materialisiert sich in gewissem Sinne in den sprachlichen Strukturen, die einzelsprachlich zum Reden über Ereignisse zur Verfügung stehen, und es gibt einige Evidenz, dass sich diese Strukturen auch in der Konzeptualisierung von Ereignissen niederschlagen (vgl. Stutterheim 1999). Die Bedingungen, die für Identität und Individuation von Ereignissen angenommen werden, haben Konsequenzen für die Frage, wie granular unsere Ereigniskonzeption ist. Das lässt sich an einem bekannten Beispiel von Alvin Goldman demonstrieren. Er wirft die Frage auf, ob es sich bei dem Ereignis ‘am Telefon „Hallo“ sagen’ vs. ‘am Telefon laut „Hallo“ sagen’ um ein oder zwei Ereignisse handelt. Eine Ereigniskonzeption, die als Identitätskriterium eine identische spatiotemporale Extension annimmt, stößt hierbei auf Schwierigkeiten. Bezieht man sich auf Kausalitätsrelationen, dann lässt sich z.B. der ambige anaphorische Bezug und der Bezug zur zugrunde liegenden semantischen Repräsentation behandeln: (1) Paul sagte laut „Hallo“ am Telefon und das verstimmte Vidia sehr, denn er konnte dieses „Hallo“-Sagen nicht ausstehen/ er konnte lautes Reden nicht ausstehen. Die entsprechende Frage ergibt sich hinsichtlich des Beispiels Brutus stabbed Caesar with a knife: Referieren Brutus stabbed Caesar und Brutus stabbed Caesar with a knife auf dasselbe Ereignis? 36 Daniel Glatz Ein weiterer Punkt ist, dass Implikationsbeziehungen zwischen Sätzen angemessen repräsentierbar sein müssen, sodass z.B. eine angemessene semantische Repräsentation (logische Form) wiedergeben muss, wie sich aus Brutus stabbed Caesar with a knife der Satz Brutus stabbed Caesar folgern lässt. Wichtig für die damit verbundenen Probleme ist vor allem der Lösungsvorschlag von Davidson (1967) geworden, der die folgende Analyse vorschlägt: Es handelt sich um ein Ereignis Brutus stabbed Caesar, und das Ereignis hat die Eigenschaft, dass es mit einem Messer ausgefuhrt wurde. Damit wird in die semantische Repräsentation ein zusätzliches Ereignisargument eingeftihrt. Derartige Theorien haben eine Reihe ontologischer Implikationen. Zwar sind bis zu einem gewissen Grade die semantischen und ontologischen Theorien unabhängig voneinander, dennoch gibt es notwendige Verbindungen zwischen ihnen, z.B. bezüglich Fragen nach Identitätskriterien für Ereignisse, die in Verbindung stehen mit Implikationsbeziehungen zwischen Sätzen. Man vergleiche hier wieder das „Hallo“-Beispiel, bei dem es eine Abhängigkeit von Lexikalisierungsmustem zu geben scheint. Wenn man die Auffassung vertritt, es handele sich im Falle von ‘„Hallo“ am Telefon-Sagen’ und ‘laut „Hallo“ am Telefon-Sagen’ um ein Ereignis, dann ist die Frage, ob es sich bei ‘„Hallo“ am Telefon rufen’ vs. ‘„Hallo“ am Telefon schreien’ auch um nur ein Ereignis handelt. Damit scheint es aber einen Zusammenhang zwischen einzelsprachlichen Lexikalisierungsmustem und der vertretenen Ereigniskonzeption zu geben, der hier allerdings nicht weiter verfolgt werden kann. Das ist aber in unserem Zusammenhang insoweit relevant, als es Rückwirkungen auf die Frage hat, wie eine geeignete semantische Repräsentation aussehen soll: Soll jedes konstitutive Teilereignis auch in der semantischen Repräsentation reflektiert sein? Das hat wiedemm Auswirkungen darauf, wie diese Struktur mit der thematischen Struktur und der Argumentstruktur verbunden wird. 3. Zeitschemata und Aktionsarten Trotz aller daran geübten Kritik bilden die von Vendler (1967) formulierten Zeitschemata („time schemata“, vgl. Vendler 1967) noch immer allgemein den Ausgangspunkt der Diskussion über Ereignisstruktur und Zeitkonstitution. Sie sollen deshalb im Folgenden kurz vorgestellt und kritisch diskutiert werden. Tabellarisch lassen sich die Vendlerschen Schemata und die Werteverteilungen bei den Hauptkriterien wie folgt zusammenfassen (vgl. auch die Übersicht bei Dowty 1979, S. 60): Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben 37 States Activities Achievements Accomplishments Progressivform V Durativadverb Zeitspannenadv. at what time... ? V Beispiele know something run, push a cart reach the summit draw a circle Hauptklassifikationskriterium Vendlers ist, ob die entsprechenden Prädikate in der Progressivform gebraucht werden können. Vendler hat aufgrund von Beispielen wie I am running vs. */ am knowing the answer und / am drawing a circle vs. */ am reaching the top behauptet, dass activity und accomplishment terms auf Prozesse referierten, die in der Zeit Vorgehen („going on in time“), weshalb die Kombination mit der Progressivform möglich sei. Allerdings lassen sich eine ganze Menge von Beispielen nennen, bei denen die progressive Form möglich ist, obwohl es sich dabei nach Vendlers Kriterien nicht um activity oder accomplishment terms handelt, also keine Prozesse „going on in time“ bezeichnet werden: (1) I am assuming that you will come tonight. (2) I am living in Mannheim. Auf der anderen Seite scheint die Verwendung der Progressivform nicht nur vom Faktor der temporalen Extension gesteuert zu sein. Vendlers Beispiele zeigen, dass er Progressivierbarkeit mit dem Merkmal Agentivität verquickt. Die Verwendbarkeit der Progressivform ist aber unabhängig von der Frage, ob die entsprechende verbale Projektion Agentivität oder temporale Prozesshaftigkeit ausdrückt, denn es treten alle Kombinationen auf (vgl. Verkuyl 1993,8.37): Agentivität Prozesshaftigkeit He is running He is ignoring me Prices are increasing Small things are mattering 38 Daniel Glatz Auch eine ganze Reihe weiterer Tests Vendlers sind eigentlich Agentivitätstests, z.B. die Kombinierbarkeit mit Adverbien wie deliberately oder mit stop/ start. Ganz abgesehen von den bereits genannten Problemen ergeben sich bei der Übertragung auf das Deutsche zusätzliche Schwierigkeiten dadurch, dass Vendlers (und auch Dowtys) Hauptkriterium die Anwendbarkeit der Progressivform ist, eine Kategorie, über die das Deutsche in grammatikalisierter Form nicht verfügt. Vendler nennt als Charakteristikum, das accomplishment und achievement terms zusammenfasst, dass diese beiden Klassen über definite Zeiteinheiten prädizieren: For accomplishments: A was drawing a circle at t means that t is on the time stretch in which A drew that circle. For achievements: A won a race between t! and t 2 means that the time instant at which A won that race is between t, and t 2 . (Vendler 1967, S. 106) Wir erhalten also die folgende Kreuzklassifikation: state und achievement terms beziehen sich auf „time instants“, activity and accomplishment terms auf „time stretches“. Achievement und accomplishment terms beziehen sich auf definite, activity und state terms auf indefinite Zeiteinheiten. Die mögliche Kombinierbarkeit mit Zeitrahmenadverbien mitfor/ ... lang, die ein weithin gebrauchtes Kriterium für die Aktionsartenklassifikation liefert, ist nicht nur sensitiv für temporale Extension (weshalb Peter hustete drei Stunden lang nur iterativ interpretierbar ist), sondern auch für die Defmitheit des Ereignisses (3) *Sie malte einen Kreis eine halbe Stunde lang. (4) Sie malte eine halbe Stunde lang. (5) *Sie kannte die Lösung eine halbe Stunde lang. (6) *Sie erreichte den Gipfel eine halbe Stunde lang. Die Bedeutung des Zeitrahmenadverbs ist inkompatibel mit dem Konzept eines definiten Ereignisses, das durch seine Grenzen definiert wird. Allerdings folgt aus der multiplen Sensitivität dieses Tests auch, dass die Kombination aus unterschiedlichen Gründen unmöglich sein kann, wenn man nicht die Möglichkeit der Reinterpretation vorsieht, d.h. die Möglichkeit, den durch das Adverb ausgedrückten Zeitrahmen auf den Nachzustand zu beziehen. Die Gründe für die Kombinierbarkeit mit Zeitspannenadverbien mit in sind nicht ganz so klar, vgl.: Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben 39 (7) *Sie malte in einer halben Stunde. (8) Sie malte einen Kreis in einer halben Stunde. (9) *Sie kannte die Lösung in einer halben Stunde. (10) Sie erreichte den Gipfel in einer halben Stunde. Im Falle von achievement terms wird über die Vorbereitungsphase, die dem Zustandswechsel vorausgeht, prädiziert, wobei dieser nur inferenziell zu gewinnen ist. Bei accomplishment terms bezieht sich das auf den Zeitraum, über den tatsächlich prädiziert wird. Accomplishment und achievement terms werden durch diese Tests zu einer natürlichen Klasse zusammengefasst. Diese wird von Vendler allerdings wieder mit dem Kriterium der temporalen Extension vermischt (vgl. Abschnitt 4.2). Die Verben, die nach Vendler mit der Progressivform kombinierbar sind, teilen sich wieder in zwei Gruppen, je nachdem, ob sie homogen sind oder nicht, vgl. he is running oder he is pushing a cart vs. he is drawing a circle. Diese Art von Charakterisierung betrifft die induzierten Implikationsmöglichkeiten. Wenn sie mit temporalen Adverbien kombiniert werden, sollen sich activity und accomplishment terms hinsichtlich ihrer Implikationen unterscheiden: If (p is an activity verb, then x <j>edfor y time entails that at any time during y, x <j>ed was true. If tj> is an accomplishment verb, then x <pedfor y time does not entail that x <j>ed was true during any time within y at all. (Dowty 1979, S. 57) Für die Progressivform gelte folgende Implikation: If (f> is an activity verb, then x is (now) (ping entails that x has <j>ed. If <j) is an accomplishment verb, then x is (now) tying entails that x has not (yet) tyed. (ebd.) Die Eigenschaft der Homogenität kommt aber nicht nur activity terms zu, sondern auch state terms, diesen jedoch in einem etwas anderem Sinne: For activities: A was running at time t means that time instant t is on a time stretch throughout which A was running. (...) For states: A loved somebodyfrom tj to t : means that at any instant between t t and t 2 A loved that person. (Vendler 1967, S. 106) Die Eigenschaft der Homogenität wird durch Abb. 1 illustriert. Eine etwas genauere Spezifikation wird später gegeben werden (vgl. Abschnitt 4.3). 40 Daniel Glatz he is pushing a cart he is pushing a cart he is pushing a cart he is pushing a cart Abb. 1 Wie in Abschnitt 4.3 näher ausgeführt, ist das Homogenitätskriterium nicht unproblematisch. Dabei stellt sich allerdings die Frage der Granularität bzw. der Interaktion mit den semantischen Rollen der Argumente: (11) For hours he ate sandwiches. Entsprechend Vendlers Kriterien muss es sich dabei um einen activity term handeln. Allerdings gilt hier das Homogenitätskriterium nicht. Der Agent muss zumindest ein Sandwich komplett verzehrt haben, bevor das Prädikat zutrifft. Entsprechendes gilt auch etwa für she stopped waltzing (darauf hatte bereits Dowty 1979 hingewiesen). Es gibt also eine gewisse, jeweils spezifische untere Grenze, bis zu der Homogenität gilt. Das wird durch die später noch erläuterte Eigenschaft der Divisivität erfasst. Das dritte Kriterium, das Vendler hier benutzt, die Kombinierbarkeit mit der Phrase It took Xy time to ... (vgl. Vendler 1967, S. 101), scheint wiederum sensitiv für Agentivität und nicht für Zeitkonstitution zu sein. Wir können also das folgende Fazit geben: Es scheint keine linguistischen, ereignisstrukturell relevanten Gründe zu geben, achievement und accomplishment terms zu unterscheiden. Wegen der angeführten Probleme mit den Vendlerschen Klassen werden wir uns nicht auf diese stützen, sondern auf die im Folgenden erläuterten primitiven temporalen Eigenschaften von Ereignissen. 4. Temporale Eigenschaften von Ereignissen Es soll zunächst eine Reihe von temporalen Eigenschaften von Ereignissen hinsichtlich ihrer Relevanz diskutiert werden, um diejenigen herauszufiltem, die wir bei der Untersuchung von Kommunikationsverben verwenden werden. Dabei werden wir uns vor allem an Verkuyl (1993) und Egg (1994) an- Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben 41 lehnen. Wir wollen die folgenden Eigenschaften etwas ausführlicher diskutieren: - Begrenztheit - (A)Telizität - Homogenität - Temporale Extension 4.1 Begrenztheit Terminologisch wird Begrenztheit {boundedness) häufig mit Telizität vermischt, z.B. bei Jackendoff 1990 (vgl. S. 29: „the bounded/ unbounded (event/ process, telic/ atelic) distinction“ vgl. auch S. lOlff; vgl. auch Tenny 1994, S. 5 mit dem Term delimitedness sowie Moens/ Steedman 1988 culminated vs. non-culminated). Eine zusätzliche Frage ist, ob für die Aktionsartenklassifikation eine Differenzierung zwischen rechter vs. linker Ereignisgrenze relevant ist (vgl. einschlafen vs. aufwachen). In diesem Punkt werden wir uns der Position von Krifka und Egg anschliessen, die plausibel machen, dass für den Bereich der Zeitkonstitution Phasenaktionsarten wie Invs. Egressiv keine direkte Relevanz haben, obwohl ein enger Zusammenhang mit der Zeitkonstitution besteht (vgl. z.B. Krifka 1989, S. 104). So sind etwa Ingressive und Egressive stets telisch und punktuell. Formal lässt sich Begrenztheit im Anschluss an Krifka (1992, S. 32; vgl. auch Egg 1994, S. 44ff.) folgendermaßen wiedergeben: VP [BG(P) o Vx Vy (P(x) a y C x P(y))] mit BG für ‘Begrenztheit’ Ist ein Prädikat begrenzt, dann trifft es auf alle Teile von x und auf alle Entitäten, von denen x ein Teil ist, nicht zu. Was das im Falle von Charlie Parker spielte die Mondscheinsonate in einer halben Stunde bedeutet, lässt sich an folgender Grafik deutlich machen: 42 Daniel Glatz Dabei stellt Mondscheinsonate in diesem Fall das ‘incremental theme’ dar. Die Eigenschaft der Begrenztheit ist eigentlich eine genauere Spezifikation von Vendlers Kriterium der Defmitheit, bezogen auf die zeitlichen Einheiten, über denen die Prädikation operiert. Eine ganze Reihe von sprachlichen Tests sind sensitiv für dieses Merkmal, u.a. die Kombinierbarkeit mit durativen Temporaladverbien, die nur bei unbegrenzten Prädikaten möglich ist, vgl: (1) Fidel sprach drei Stunden lang. (2) *Fidel hielt seine Abschiedsrede drei Stunden lang. (3) Peter brüllte drei Stunden lang wie am Spieß. (4) Wanja schlief sieben Jahre lang. Ein Grund für die häufige Verquickung von Begrenztheit mit dem Merkmal Telizität mag sein, dass Telizität Begrenztheit impliziert, d.h. ein telisches Prädikat besitzt einen spezifischen Endpunkt, aber im Gegensatz zu telischen Prädikaten wird bei nur begrenzten Prädikaten kein spezifischer Zustandswechsel induziert. Fälle wie Parker spielte drei Tage lang die Mondscheinsonate nehmen eine eigenständige Position ein, die sich an den spezifischen Folgerungsbeziehungen illustrieren lässt. Im Gegensatz zu begrenzten Prädikaten wie Fidel hielt seine Abschiedsrede, lässt sich nichts über den Vor- und Nachzustand folgern. Parker kann vor dem in Rede stehenden Spielen der Mondscheinsonate diese bereits gespielt haben und auch nach dem denotierten Zeitabschnitt noch einmal spielen oder auch nicht. Egg (1994) nennt derartige atelische Ereignisprädikate „Intergressive“. Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben 43 4.2 (A)Telizität Will man die Eigenschaft der (A)Telizität in einfachen Worten charakterisieren, so kann man das in der folgenden Weise tun: Ein verbaler Ausdruck ist atelisch, wenn er keinen inhärenten Endpunkt besitzt (z.B. laufen). Gibt es einen solchen inhärenten Endpunkt, ist der Ausdruck telisch (z.B. einen Kilometer laufen). Die sehr häufig als Telizitätstest angeführte Kombinierbarkeit mit Zeitdauer- und Zeitspannenadverbien atelische Ausdrücke sind mit Zeitdauer-, nicht jedoch mit Zeitspannenadverbien kombinierbar, bei telischen Ausdrücken verhält es sich umgekehrt sind, wie bereits erwähnt, keine Tests auf Telizität, sondern auf Begrenztheit (1) Otto schrie eine Stunde lang/ *in einer Stunde. (2) Otto schrieb einen Brief in einer Stunde/ *eine Stunde lang. Die Essenz von Telizität lässt sich genauer dadurch charakterisieren, dass ein Prädikat dann telisch ist, wenn es einen definiten Zustandswechsel einführt (vgl. Egg 1994,8.48). Eine Konsequenz dieser Eigenschaft ist, dass es bei telischen Prädikaten nicht möglich ist, aus der Semantik des Prädikats selbst abzuleiten, was während des Zeitraumes, für den das Prädikat Gültigkeit hat, zutrifft (vgl. Egg 1994, S. 3Iff). Prince verliess die Bühne impliziert einen definiten Zustandswechsel, da die Bedeutung des Prädikats notwendigerweiser zumindest zwei Zeitpunkte mit einschließt, die gegensätzliche Wertzuweisungen hinsichtlich der Eigenschaft ‘sich auf der Bühne befinden’ haben. Das Prädikat lässt aber keinerlei Inferenz darauf zu, wie der Lokationswechsel stattgefunden hat (tatsächlich ist es unser Weltwissen, das uns sagt, dass überhaut ein Lokationswechsel stattgefunden haben muss). Das entspricht etwa Dagobert überzeugte die Polizei von seiner Unschuld. In einem Fall wie Peter rannte aus dem Haus oder Paul überredete Vidia zu diesem Unsinn ist dagegen inferierbar, durch welche Tätigkeiten der definite Zustandswechsel herbeigeführt wurde (nämlich durch ‘rennen’ bzw. ‘reden’). Die Implikation ist also nicht umkehrbar: Ist inferierbar, was während der Zeitspanne, auf die das Prädikat zutrifft, vor sich geht, so ist hinsichtlich der Telizität des Prädikats nichts zu folgern. Das Vorliegen eines Zustandswechsels zeigt sich daran, dass es möglich ist, den Nachzustand zu modifizieren: (3) Paul überredete Vidia zwei Stunden lang zu diesem Unsinn. (4) Paul überzeugte Vidia zwei Stunden lang von diesem Unsinn. Dowty hat versucht, activities auf kontinuierliche Zustandswechsel zurückzuführen. Damit überlagert er Vendlers Unterscheidung von telischen vs. ateli- 44 Daniel Glatz sehen Situationen durch das Merkmal der Dynamik. Das ließe sich vielleicht für Verben wie rennen noch einigermaßen plausibel machen, nicht aber für Fälle wie schnarchen etc. Das Entscheidende ist aber, dass es gerade darum geht, dass der Sprecher einen bestimmten Prozess etc. als gleichförmig darstellen will und sich deshalb auf eine spezifische Granularitätsebene beschränkt (siehe auch Krifka 1989, S. 117; Herweg 1990, S. 50f.). 4.3 Homogenität Homogenität ist nach Krifka (vgl. 1989, S. 41; 1992, S. 32; Egg 1994, S. 46) definiert als Konjunktion von Kumulativität und Divisivität: VP [KUM(P) <h> Vx Vy (P(x) a P(y) -> P(x u y))] VP [DIV(P) o Vx Vy (P(x) a y C x —> P(y))] mit KUM = Komulativität und DIV = Divisivität Die Eigenschaft der Kumulativität lässt sich am besten am Beispiel der nominalen Referenz erläutern. Wenn man ein Massennomen wie Wasser betrachtet, so ist festzustellen, dass man auf eine Zusammenfassung von Entitäten, auf die man einzeln mit Wasser referieren kann, wiederum mit Wasser referieren kann: „So called mass terms like ‘water’, ‘footwear’, and ‘red’ have the semantic property of referring cumulatively: any sum of parts which are water is water“ (Quine 1960, S. 19). Das gilt ganz entsprechend z.B. fur Zustände wie in der Kneipe sein. Divisive Prädikate zeichnen sich durch die Eigenschaft aus, dass aus der Gültigkeit eines Prädikats bezogen auf eine Entität folgt, dass jeder Teil dieser Entität ebenfalls in der Extension dieses Prädikats liegt. Das gilt etwa für Paul war von 9.15 bis 9.30 Uhr auf der Toilette'. Paul muss sich zu jedem Zeitpunkt t, zwischen 9.15 und 9.30 Uhr auf der Toilette befunden haben. Der Unterschied zwischen Kumulativität und Divisivität wird sehr schnell deutlich, wenn man Pluralterme betrachtet. Wenn ich Orangen und Orangen zusammenfasse, so kann ich auf die entstehende Menge von Entitäten noch immer mit Orangen referieren, ich kann aber nicht auf jeden Teil von Orangen mit Orangen referieren, sondern es muss sich z.B. um mindestens zwei Orangen handeln. Es ist leicht einsichtig, dass es sich im Falle von er tanzt Walzer oder sie unterhalten sich um kumulative, aber nicht divisive Prädikate handelt. Es scheint klar, dass Kumulativität für ereignisstrukturelle Eigenschaften relevant ist, während dies für Divisivität im strikten Sinne eher fraglich ist. Der Terminus Homogenität wird häufig auch dann verwendet, wenn ein kumulatives Prädikat nur bis zu einer gewissen Granularitätsstufe divisiv, d.h. nicht divisiv strictu senso ist. Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben 45 4.4 Temporale Extension Vendler hat die temporale Extension als Kriterium zur Unterscheidung von achievement vs. accomplishment terms angeführt: „When I say that it took me an hour to write a letter (which is an accomplishment), 1 imply that the writing of the letter went on during that hour. This is not the case with achievements. Even if one says that it took him three hours to reach the summit, one does not mean that the ‘reaching’ of the summit went on during those hours.“ (Vendler 1967, S.104) Die Extension punktueller Prädikate sind ausschließlich Zeitpunkte. Bei Dowty wird Punktualität als Kriterium für die Differenzierung von Achievements vs. Accomplishments angeführt (d.h. in Eggs Terminologie für die Klasse der Wechsel). Nichtpunktuelle Wechsel werden bei Dowty als kausative Accomplishments klassifiziert, deren lexikalische Repräsentation CAUSE enthält. Punktuelle Wechsel dagegen, die als Achievements klassifiziert werden, enthalten in ihrer lexikalischen Repräsentation das Element become (zu den Wahrheitsbedingungen von BECOME siehe Dowty 1979, S. 139ff; zu denen von CAUSE vgl. ebd., S. 191). Mittels zweier Tests lässt sich demonstrieren, dass sich das Merkmal Telizität mit Punktualität kreuzklassifizieren lässt (mit # als Index für die Möglichkeit der Reinterpretation): (a) Modifikation mit plötzlich, bei der alle nichtpunktuellen Prädikate ingressiv interpretiert werden (b) Verwendung als Komplement von unterbrechen ohne Reinterpretation (1) #Plötzlich schrieb Steven King seinen neuen Roman, (nichtpunktuell, telisch) (2) Plötzlich versprach Peter, einen neuen Kühlschrank zu kaufen, (punktuell, telisch) (3) Steven King unterbrach das Schreiben seines neuen Romans, (nichtpunktuell, telisch) (4) *Peter unterbrach zu versprechen, einen neuen Kühlschrank zu kaufen, (punktuell, telisch) (5) #Plötzlich spielte Charlie Parker die Mondscheinsonate, (nicht-punktuell, atelisch) (6) Charlie Parker unterbrach das Spielen der Mondscheinsonate, (nicht-punktuell, atelisch) (7) Plötzlich stotterte Paul, (punktuell, atelisch) (8) #Paul unterbrach das Stottem/ zu stottern, (punktuell, atelisch) 46 Daniel Glatz Telizität und Punktualität sind offenbar unabhängig voneinander. Man findet im konkreten Fall vertraute Reinterpretationen, z.B. ist das erste Beispiel nur mit ingressiver, das vierte nur mit iterativer Reinterpretation möglich. Ein entscheidendes Argument gegen die Auffassung von Dowty ist, dass es punktuelle Accomplishments und nichtpunktuelle Achievements gibt. Ein Beispiel für ein punktuelles Accomplishment liefert erschießen (siehe dazu auch Egg 1994, S. 52, der allerdings das nicht ganz geeignete schießen als Beispiel anführt, wohl durch die Interferenz mit shoot) (9) * Felix unterbrach das Erschießen von Paul. (10) Plötzlich erschoss Felix Paul. Ein Beispiel für einen nichtpunktuellen achievement term ist (11) Das Wasser lief in einer Stunde aus. Zusätzlich demonstriert Verkuyl am Beispiel von type a letter oder draw a circle, dass die zeitliche Extension eines Ereignisses außersprachlichen Gesetzmäßigkeiten unterliegt und nicht sprachlich determiniert ist. Dieses Merkmal ist nicht relevant für die Aktionsartenklassifikation (vgl. Verkuyl 1993, S. 46ff. und ihm folgend Egg 1994, S. 50ff.). Akzeptiert man die Irrelevanz von Punktualität, dann wird auch von dieser Seite her die Unterscheidung von Accomplishments vs. Achievements in ihrer Eigenschaft als Primitiva der Ereignisstruktur hinfällig. 5. Kommunikationsverben Eine genauere Beschreibung der unterschiedlichen Typen von Kommunikationsverben soll hier nicht gegeben werden, man vergleiche hierzu Winkler (in diesem Band). Für unsere Zwecke genügt es, darauf hinzuweisen, dass wir zwei Gruppen von Kommunikationsverben unterscheiden: - Eigentliche Sprechaktverben, d.h. Kommunikationsverben, die hinsichtlich Sprechereinstellungen spezifiziert sind - Kommunikationsverben, die nicht hinsichtlich Sprechereinstellungen bestimmt sind Hinsichtlich der semantischen Beschreibung sind dabei zwei Typen von Sprechereinstellungen relevant: Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben Al 1. die propositionale Einstellung des Sprechers, mit den folgenden fünf Möglichkeiten: epistemisch (mitteilen), voluntativ (auffordern), kategorisierend (beurteilen als), evaluativ (loben), emotiv (lamentieren)', 2. die intentionale Einstellung des Sprechers, mit den folgenden fünf Möglichkeiten: bezogen auf eine Handlung des Hörers (befehlen), bezogen auf eine epistemische Einstellung des Hörers (bestreiten), eine deklarative Einstellung des Sprechers (taufen), bezogen auf eine kategorisierende Einstellung des Hörers (plädieren für) sowie bezogen auf eine evaluative Einstellung des Hörers (tadeln). Für auffordern etwa ist die propositionale Einstellung voluntativ, während sich die intentionale Einstellung auf eine Handlung des Hörers bezieht. Das Verb mitteilen zeigt eine epistemische propositionale Einstellung, die intentionale Einstellung des Sprechers bezieht sich auf eine epistemische Einstellung des Hörers. Nicht spezifiziert hinsichtlich propositionaler und intentionaler Einstellung sind Verben wie sprechen, reden, schreien, flüstern, telefonieren, schreiben etc. Diese Verben bezeichnen eher die Tatsache selbst, dass etwas geäußert wird (im Falle von reden oder sprechen), die Art und Weise wie etwas geäußert wird (wie schreien oderflüstern) oder den Kanal, den der Sprecher benutzt, um den jeweiligen Sprechakt auszuführen (z.B. telefonieren, faxen oder e-mailen). In einem Fall wie flüstern ist es jedoch dann, wenn der propositionale Gehalt versprachlicht ist, möglich, die propositionale und intentionale Einstellung zu inferieren. Diese sind nicht Teil der lexikalischen Bedeutung von flüstern, sondern werden durch die Interpretation des jeweiligen Komplementsatzes geliefert. Dazu einige Beispiele: (1) Dann sah Frau Lerp-Schulte, wie sie bäuchlings im Blut lag und noch flüsterte: „Holt Hilfe“ Propositionale Einstellung: voluntativ: S will: P Intentionale Einstellung: eine Handlung von H: S will: H tut P (2) ... der Kostenpunkt, flüsterte er, sei, die Rückenmarksanästhesie mit eingerechnet, auf tausend Franken fixiert... Propositionale Einstellung: epistemisch: S kennt: P Intentionale Einstellung: eine epistemische Einstellung von H: S will: H kennt P 48 Daniel Glatz (3) Ich kann der Kleinen auch telefonieren, dass sie mich später zu Hause erwarten soll. Propositionale Einstellung: voluntativ: S will: P Intentionale Einstellung: S will: H tut P (4) Und im Herbst 1984 telefoniert Beyreuther das gleiche Ergebnis nach Australien. Propositionale Einstellung: epistemisch: S kennt: P Intentionale Einstellung: epistemische Einstellung von H: S will: H kennt P 5.1 Tests mit Kommunikationsverben Wenn man annimmt, dass das, was für die ereignisstrukturellen Eigenschaften von verbalen Projektionen relevant ist, die temporalen Merkmale sind, insofern und wie sie linguistisch konzeptualisiert werden, dann lässt sich erwarten, dass diese Merkmale auch durch sprachliche Operationen eruier- und validierbar sind. D.h. die Kompatibilität sprachlicher Strukturen kann in der Tat Rückschlüsse auf diese temporalen Merkmale erlauben. Dabei hat man sich aber stets zu vergewissern, was der jeweilige Test ‘misst’. Da bei Vendler und Dowty die Progressivform eine so entscheidende Rolle spielt, wollen wir zuerst einige Strukturen im Deutschen betrachten, denen eine der englischen Progressivform verwandte Semantik zugeschrieben wird. Wie bereits gesagt, ist die Kombinationsmöglichkeit mit der Progressivform das Hauptkriterium für Vendler und teilweise auch für Dowty bei der Etablierung der unterschiedlichen Zeitschemata. Dieser Test ist unverändert nur für das Englische anwendbar. Es gibt allerdings im Deutschen eine ganze Reihe von Konstruktionen, deren Funktion mit der der englischen Progessivform vergleichbar ist (zumindest teilweise; vgl. dazu Krause 1999), die im Folgenden etwas näher betrachtet werden sollen. Dass hierbei auch textuelle Parameter relevant zu sein scheinen z.B. können „Sätze in der Verlaufsform nur in Situationsbeschreibungen über Zeitpunkte verwendet werden“ (Lötscher 1976, S.141; vgl. allgemein ebd., S. 139ff.) soll dabei vernachlässigt werden. Allgemein ist nie die Kombination von Performativität und Progressivform möglich (vgl. dazu auch Harras in diesem Band). Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben 49 Die am häufigsten mit der englischen Progressivform verglichene Konstruktion ist die a/ n-Konstruktion. Sie ist z.B. möglich bei intervallbasierten unbegrenzten Prädikaten (1) Der Aktienkurs war drei Stunden lang/ für drei Stunden am steigen. (2) Fidel war seit 3 Stunden am reden/ brüllen/ schreien. (3) *Fidel ist seine Abschiedsrede seit drei Stunden am halten. (4) *Fidel ist seit drei Stunden seine Abschiedsrede am halten. Das Prädikat muss offensichtlich intervallbasiert sein (*Paul war am in der Kneipe sitzen), was aber auch wieder keine hinreichende Bedingung zu sein scheint (*Paul war am auf der Toilette sitzen). Agentivität scheint nicht relevant zu sein (das Wasser ist am auslaufen). Die einzige Konstruktion, die uns hier möglich erscheint, ist er ist am telefonieren', ggf. auch noch er ist am faxen, er ist am schreien/ brüllen. Mit atelischen transitiven Ereignisprädikaten (Ingressiva) scheint die am- Konstruktion nicht möglich zu sein: (5) ? Parker ist die Mondscheinsonate am spielen. (6) * Parker ist am die Mondscheinsonate spielen. Die Akzeptanz steigt teilweise, wenn das Objekt inkorporiert wird: *Die Kinder sind Fussball am spielen vs. Die Kinder sind am Fussball spielen, *Otto ist Mahnungen am faxen vs. Otto ist am Mahnungen faxen. Bei telischen Prädikaten tritt obligatorisch (meist egressive oder konative) Reinterpretation ein, wenn diese überhaupt möglich ist. Meist ist das jedoch nicht der Fall: (7) #Er ist am gewinnen. (8) #Er ist am versprechen, dass er sich immer rasieren wird. (9) 9? Sie ist den Mörder am verurteilen. (10) * Sie ist am den Mörder verurteilen. Die Aez'w-Konstruktion scheint sich im Großen und Ganzen entsprechend zu verhalten, allerdings restriktiver, vgl. etwa er ist beim Telefonieren. Dabei scheint die relative strikte Einschränkung zu bestehen, dass ein direkt agentives Subjekt vorhanden sein muss, vgl.: (11) *Der Aktienkurs ist beim Steigen. (12) * Das Wasser ist beim Auslaufen. 50 Daniel Glatz Ebert (1996, S. 46) meint, dass diese Konstruktion nicht auf Verben angewandt werden könne, die auf Prozesse/ Geschehen mit „low dynamicity“ referieren (13) Als sie sich umdrehte, war er immer noch am reden/ beim Reden. (14) Als sie sich umdrehte, war er immer noch am winken/ *beim Winken. Dann würde man aber erwarten, dass Fälle wie als sie sich umdrehte, war er immer noch am schlafen! beim Schlafen nicht akzeptabel wären, was nicht zutrifft. In jedem Fall ist die «^-Konstruktion hier wesentlich ‘besser’. Eine weitere Konstruktion, die in diesen Zusammenhang gehört, ist die daie/ -Konstruktion. Intervallbasiertheit scheint hier notwendig zu sein: (15) *Er ist dabei, in der Kneipe zu sitzen. (16) * Er ist dabei, blond zu sein. (17) Er ist dabei zu sprechen/ reden/ telefonieren/ faxen. (18) Er ist dabei, die Öffentlichkeit über den Stand der Dinge zu unterrichten. Das scheint auch bei begrenzten Prädikaten zu gelten, die ja notwendigerweise intervallbasiert sind {Charlie Parker ist dabei, die Mondscheinsonate zu spielen). Wenn man allerdings ein Zeitrahmenadverb hinzusetzt, werden die Sätze ungrammatisch (mit einer geringen Möglichkeit zur ingressiven Reinterpretation): (19) *Charlie Parker ist dabei, die Mondscheinsonate in einer Stunde zu spielen. Entsprechendes gilt auch für telische Prädikate (20) Weizsäcker ist dabei, seine 8.-Mai-Rede zu halten. (21) * Weizsäcker ist dabei, seine 8.-Mai-Rede in einer Stunde zu halten. (22) *Paul ist dabei, Vidia von der Schlechtigkeit seines Tuns zu überzeugen. Verglichen mit dem letztgenannten Beispiel wird bei Paul ist dabei, Vidia zum Theaterbesuch zu überreden durch überzeugen, ähnlich wie bei aus dem Haus laufen, eine Inferenz darauf, was vor dem Zustandswechsel vor sich geht, lexikalisch unterstützt. Insoweit ist überzeugen mit die Bühne verlassen zu vergleichen (man vergleiche auch die entsprechenden Reinterpretationsmöglichkeiten). Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben 51 In Fällen wie er ist gerade dabei zu behaupten, dass Madonna eine miserable Schlagzeugerin ist scheint der Fokus nicht auf dem Modus der Äußerung zu liegen (vgl. ? ? er ist gerade dabei zu schreien, er ist gerade dabei, die Neuigkeiten in die Welt zu schreien), sondern auf dem propositionalen Gehalt der Äußerung. Dies schlägt sich darin nieder, dass die Kombination mit Verben, die nur den Modus der Kommunikation bezeichnen, schwerlich möglich ist ("er ist dabei zu brüllen, *er ist dabei zu flüstern). Besser anwendbar scheint die tfa&ei-Konstruktion bei resultativen Konstruktionen zu sein, vgl.: (23) Er ist dabei, das Blaue vom Himmel zu lügen. Das hängt wohl weniger mit dem Accomplishmentcharakter dieser Konstruktion zusammen, als vielmehr mit Agentivität und Kausierung. In allen genannten Fällen sind die Sätze mit gerade ‘besser’. Krauses Auffassung, dass „die c/ aiei-Konstruktion mit atelischen Verben nicht sehr gut kombinierbar ist“ (1999, S. 9, Anm. 25) sowie dass diese Konstruktion mit Activities kaum kombinierbar“ (ebd., S. 15) sei, kann ich nicht teilen. Mir scheinen er ist dabei zu reden oder er ist dabei zu kochen ohne weiteres möglich zu sein, genauso wie er ist dabei zu telefonieren, auch wenn er ist dabei, eine Rede zu halten oder er ist dabei, Tee zu kochen etwas ‘besser’ ist. Bei der Kombination mit gerade hat man das Problem, dass die hier intendierte Lesart von gerade nur in Kombination mit dem Präsens zustande kommt. Das ist unproblematisch in Fällen wie er telefoniert gerade. Dabei scheint es aber oft der Fall zu sein, dass automatisch eine temporale Umdeutung eintritt (mit dem Präsens als historischem Präsens), deutlich z.B. in: (24) Er fragt gerade, wie lange das Museum geöffnet hat. Die Verwendung dieses Satzes scheint sich aber auf nur eine Sequenz eines noch nicht abgeschlossenen Gesamtereignisses zu beziehen im vorliegenden Fall auf den Status der Interaktionssequenz, in dem der Befragte noch keine Antwort gegeben hat, vgl. auch: (25) Er behauptet gerade, dass AKWs risikolos sind. (26) Er bestreitet gerade, dass AKWs risikolos sind. (27) Er warnt gerade vor den Gefahren der Atomkraft. Die letzte in diesem Zusammenhang genannte Konstruktion, die Krause (1999) Absentivkonstruktion nennt, scheint mir hier nicht relevant zu sein: (28) Er ist fragen, wie es zum Bahnhof geht. 52 (29) Er ist faxen. (30) Er ist telefonieren. ? (31) Sie ist anrufen. Daniel Glatz Es ist allerdings fraglich, ob hier wirklich zeitliche Ausdehnung ‘gemessen’ wird oder andere Aspekte der Zeitkonstitution eine Rolle spielen. Der Versuch von Ebert (1996), die Semantik der genannten Konstruktionen zu erfassen, spiegelt wider, dass noch eine ganze Reihe von anderen Eigenschaften, wie etwa Lokalität, eine Rolle spielen: „The three expressions (...) refer to various phases of a complex activity: am V sein being engaged in activity V beim V sein being engaged in/ in typical place of activity V V sein being engaged in/ in typical place of/ on the way to activity V.“ (zit. nach Krause 1999, S. 6) 5.2 Begrenztheit und Zustandswechsel als ereignisstrukturelle Eigenschaften von Kommunikationsverben Am Beispiel von versprechen lässt sich gut erläutern, welche Probleme es mit dem Kriterium „definiter Zustandswechsel“ geben kann. Die fehlende Kombinierbarkeit mit durativen Temporaladverbien erweist versprechen als ein begrenztes Prädikat (1) *Er versprach ihm zwei Stunden lang, heute beim Italiener zu essen. Reinterpretationen können hier in dreifacher Weise auftreten: (1) iterativ, (2) bezogen auf die Dauer des Ereignisses, auf das das Komplement verweist sowie (3) bezogen auf einen Nachzustand, der sich ganz allgemein als Gültigkeitsdauer der deklarierten Obligation paraphrasieren ließe. Versprechen kann nicht mit einem Zeitrahmenadverb kombiniert werden, so dass es sich z.B. nicht wie Vendlers Accomplishments verhält, vgl.: (2) *Max versprach ihr eine Stunde, am Donnerstag zum Italiener zu gehen. Vendler zieht als Kriterium zur Unterscheidung von Achievement vs. Accomplishment terms die Kombinationsmöglichkeit mit einem Temporaladverb heran, das auf einen spezifischen Zeitpunkt verweist, vgl: (3) Um Punkt 12 Uhr versprach ihr Max, zum Italiener zu gehen. (4) *Um Punkt 12 Uhr lief Max einen Kilometer. Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben 53 Die Nicht-Akzeptabilität von (4) beruht nicht auf Eigenschaften der Ereignisstruktur, sondern auf allgemeinem Weltwissen. Obwohl die Modifikation eines Nachzustands bei versprechen möglich ist (siehe das oben genannte Beispiel oder Max versprach es für ein Jahr), scheint die Art des Nachzustands und damit des Zustandswechsels nicht mit etwa Callas verließ die Bühne vergleichbar zu sein. So ist beim Letzten keine iterative Reinterpretation möglich. Zudem ist bei Otto versprach, sich zu bessern ähnlich wie bei Intergressiven keine Inferenz auf den Zeitraum vor und nach dem in Rede stehenden Ereignis möglich - Otto kann bereits vorher versprochen haben, dass er sich bessert, und er kann es auch danach tun oder nicht. Wir müssen hier auch daraufhinweisen, dass es uns um die Verwendung des Verbs versprechen und seiner Projektionen geht, nicht darum, was als Versprechensakt gilt und welche Glückensbedingungen dieser hat. So können wir zwar sagen, dass der Akt versprechen in einem Sinn eine Zustandsänderung impliziert, indem es eine spezielle Art von Obligation einführt: Diese spezielle Obligation ist jedoch nicht Teil der lexikalischen Bedeutung von versprechen. In jedem Fall ist es nicht möglich zu folgern, dass diese Obligation nicht existierte, bevor dieser Typ von Sprechakt ausgeführt wurde. Hat man die Vendlerschen Zeitschemata im Hinterkopf, scheinen sich perlokutionäre Verben wie überreden, überzeugen oder ein hybrides Verb mit perlokutionärer Note wie beibringen konformer zu verhalten als etwa versprechen. Prädikate wie überreden und überzeugen sind intervallbasiert und begrenzt, weshalb sie nicht mit durativen Temporaladverbien kombinierbar sind: (5) #Bush überzeugte Heather zwei Stunden lang, dass er ein Cowboy ist. (6) #Bush überredete Gore zwei Stunden lang, ihm zuzuhören. Die Einführung eines Zustandswechsels macht es möglich, den Nachzustand zu modifizieren: (7) Kohl überzeugte den Ausschuss zwei Stunden lang von seiner Unschuld. (8) Der Lehrer überredete den Schüler, zwei Stunden lang Ruhe zu halten. Die prozessualen Charakteristika dieser Verben lassen sich dadurch illustrieren, dass es möglich ist, über die „Vorbereitungsphase“ zu prädizieren, die dem Zustandswechsel vorausgeht, vgl.: 54 Daniel Glatz (9) Madonna überzeugte die Massen in 20 Minuten, dass Argentinien in Europa liegt. Welche Handlungen zum induzierten Zustandswechsel führen, bleibt unbestimmt, genau wie im Falle von (10) Madonna verließ innerhalb von 20 Minuten die Bühne. Das ist anders bei überreden, das sich in dieser Beziehung wie das telische Prädikat aus dem Haus laufen verhält (11) Max überredete ihn in 20 Minuten, zum Italiener zu gehen. Die Gruppe der deklarativen Verben lässt sich genauso behandeln. Verben wie taufen oder verurteilen sind begrenzt (Uder Pfarrer taufte das Kind für drei Stunden, der Richter verurteilte montags und dienstags) und intervallbasiert. Beide Verben sind telisch, denn sie implizieren einen definiten Zustandswechsel, der etwa durch ein Temporaladverb modifizierbar ist. 5.3 Ereignisstruktur und Expandierbarkeit von Argumentstrukturen Im Folgenden wird auf den Zusammenhang zwischen ereignis- und argumentstrukturellen Eigenschaften eingegangen. Dabei wird sich zeigen, dass Kommunikationsverben sich den auch bei anderen Verbgruppen zu findenden Gesetzmäßigkeiten fügen, gleichzeitig aber ein äußerst heterogenes Bild bieten. Beth Levin und Malka Rappaport Hovav haben in einer Reihe von Arbeiten vorgeschlagen, die argumentstrukturelle Erweiterbarkeit von Verben an deren ereignisstrukturelle Eigenschaften zu koppeln. Die Erweiterung erfolgt dabei in monotoner Weise. Es kann nur bis zur vorgegebenen maximalen Komplexität erweitert werden. Die Autoren gehen von der Dowtyschen Variante der Vendlerschen Zeitschemata aus und setzen die einzelnen Klassen in die folgenden „event structure templates“ um (vgl. Rappaport Hovav/ Levin 1998, S. 108): [x ACT<A^ffKgg>] Activity [x <STATE>] State [BECOME [x <STATE>\] Achievement [[x ACT<manner>] CAUSE [BECOME [y <jTT7g>]]] Accomplishment mit indirekter Kausierung [x CAUSE [BECOME [y <STATE>]]\ Accomplishment mit direkter Kausierung Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben 55 Entsprechend werden ankommen als [BECOME [x <STATE>]\ analysiert, lieben als [x <STATE>\. Ganz analog würden dann flüstern als [x ACT <MANNER> ] oder faxen als [x ACT< cw<4A/ A , £Z .>] rekonstruiert. Die Termini in spitzen Klammem referieren auf sogenannte Konstanten, Elemente einer offenen, aber finiten Menge von Typen, die ontologisch interpretiert sind. Die Grundbedeutung eines Verbs ist das Ergebnis der Einsetzung einer derartigen Konstante in ein ereignisstrukturelles Muster. Ausgehend von der Grundbedeutung können durch Erweiterungsoperationen weitere Bedeutungen abgeleitet werden. Ein Verb wie wischen ist von seiner Grundbedeutung her ein intervallbasiertes und unbegrenztes Prädikat, in Vendlers und Dowtys System ein activity term: (1) Peter wischte. (2) Peter wischte drei Stunden lang. (3) Peter wischte den Boden drei Stunden lang. Wischen kann nun aber auch Teil eines komplexeren Prädikates sein: (4) Peter wischte die Krümel vom Tisch. In dieser resultativen Konstruktion repräsentiert wischen den prozessualen Anteil des Ereignisses, während vom Tisch den Resultatszustand markiert. Damit erhalten wir vom Tisch wischen [[x ACT< WISCH en> y] CAUSE [BECOME \y<V0M T! SCH>]]] mit y = die Krümel. Alle Kommunikationsverben, die intervallbasiert, unbegrenzt und atelisch sind, verhalten sich ganz entsprechend: (5) Er telefonierte die Neuigkeit nach Australien. [[x ACT< TELEFO nieren> y] CAUSE [BECOME[y</ A' AUSTR.4UEH>]\\ Bei telischen Verben ist eine derartige Erweiterung nicht möglich (6) *Er versprach/ taufte/ überredete ihn dumm und dusselig. Der Grund ist nun unmittelbar einsichtig: Das „event structure template“, das diesen Verben zugeordnet ist, ist bereits so komplex, dass keine Expansion mehr möglich ist. Die Blockierung der Expandierbarkeit von Argumenten hat nicht notwendigerweise etwas mit der Lexikalisierung von Sprechereinstellungen zu tun, wie das folgende Beispiel zeigt: (7) Theroux lobte Vidia an die Spitze der Bestsellerliste. Insgesamt scheint es so, dass Kommunikationsverben sich sehr uneinheitlich verhalten und dass ereignisstrukturelle Eigenschaften eine wichtige Rolle spielen. 56 Daniel Glatz 6. Die Lexikalisierung kommunikativer Sachverhalte Betrachtet man eine kommunikative Situation, so lässt sich das globale Ereignis nach Maßgabe der vorliegenden Lexikalisierungsoptionen in folgender Weise aufgliedem: Sprecherin/ Sprecher Äußerung Hörerin/ Hörer ► ► N Akustische Erzeugung Äußerungsprodukt / Kanal Effekt speak, sav ◄ ; ► say, tell (to) ◄ ► tell ◄ Abb. 3: Unterschiedliche Lexikalisierungen eines Sprechereignisses (vgl. Croft 1991, S. 174) Die Graphik zeigt, wie ein komplexes objektives Ereignis sprachlich konzeptualisiert wird. Die divergierende Lexikalisierung durch einzelne sprachliche Einheiten gibt die Granularität wieder, mit der das komplexe Ereignis sich sprachlich kristallisiert. Das entspricht der Ereigniskonzeption bei Rappaport Hovav/ Levin: Ein Ereignis ist „a happening or a chain of happenings which can potentially be lexicalized by a verb and its argument in some natural language“ (ebd. 1999, S. 2). Verben wie schreien, brüllen, flüstern spezifizieren die Modi, in denen das akustische Sprachereignis generiert wird, telefonieren, faxen, e-mailen sind spezifisch hinsichtlich des genutzten Transmissionskanals, mitteilen, unterrichten, überzeugen oder beleidigen fokussieren die Adressaten, sei es bezogen auf eine Veränderung von deren mentalem Status oder Merkmalszuschreibungen sonstiger Art. Typischerweise ist der Subjektreferent bei diesen nicht propositional orientierten Verben menschlich oder doch belebt: (1) *Die Anweisungen brüllen, man solle sich in einem solchen Falle hinlegen. (2) Das Kochbuch sagt, man solle viel Knoblauch nehmen. (3) Das Sicherheitshandbuch fordert den verantwortungsvollen Mieter auf, vor dem Verlassen der Wohnung den Herd zu prüfen. Interessant ist nun, dass anscheinend immer nur ein Bereich dieser Kausalkette in einer Lexikalisierung semantisch stärker ausgestaltet werden kann. D.h., es gibt z.B. keine Lexikalisierung von „brüllend mitteilen“ vs. „flüsternd mitteilen“ oder „telefonisch beleidigen/ überzeugen“ vs. „faxend beleidigen/ überzeugen“ etc. Zur Ereignisstruktur von Kommunikationsverben 57 Man kann hier auch die Vorschläge zur semantischen Dekomposition von speak und teil bei Miller und Johnson-Laird (1976) vergleichen: Bei to speak wird nur auf die akustische Verfügbarkeit der produzierten Äußerung Bezug genommen, bei to tell dagegen auf durch das Äußern eines propositionalen Gehalts verursachte Veränderungen im mentalen Modell des Adressaten (vgl. dazu Winkler in diesem Band). Insgesamt scheint es so zu sein, dass Verben, die den Produktionsprozess der sprachlichen Äußerung und den Komunikationsprozess als solchen (inklusive des benutzten Kanals) fokussieren, eher Prozesscharakter haben, während Verben, die den Kommunikationsgehalt und die damit verbundene Wirkung beim Adressaten fokussieren, telisch sind. Man kann das mit der in ESKA vorgenommenen Klassifikation insofern verbinden, als Verben, die eine spezifische Sprechereinstellung lexikalisieren, zur Telizität tendieren. Das ist leicht dadurch verständlich zu machen, dass sich die Sprechereinstellungen, die propositionalen wie die intentionalen, auf den propositionalen Gehalt der Äußerung beziehen. Da die Sprechereinstellungen Teil der lexikalischen Bedeutung sind, muss eine gewisse semantische Fokussierung auf dieser Phase des Kommunikationsereignisses liegen. Es gibt allerdings keine eindeutige Verbindung zwischen der Spezifikation von Sprechereinstellung und den ereignisstrukturellen Eigenschaften. Ein Verb wie kritisieren, das eine negative evaluative Sprechereinstellung lexikalisiert, ist intervallbasiert, aber nicht begrenzt: (4) Barbara kritisierte viele Jahre lang die Torheit der Regierenden. Entsprechendes gilt für Verben wie jammern, schimpfen oder lamentieren, die eine negative emotive Sprechereinstellungen kodieren. Kommunikationsverben lassen sich also mit denselben Charakteristika erfassen, die auch für andere Verbgruppen notwendig und hinreichend sind. Eine Bedingung dafür ist allerdings, dass man sich von Vendlers Zeitschemata löst. Mit rein linguistischen Kriterien lässt sich etwa entscheiden, dass versprechen ein intervallbasiertes, begrenztes und telisches Prädikat ist. Dass es Schwierigkeiten macht, genauer zu spezifizieren, um welche Art von Nachzustand es sich handelt, ist für die Beschreibung der ereignisstrukturellen Eigenschaften der Ausdrücke nicht von Bedeutung. Es geht bei Kommunikationsverben um soziale (im Unterschied zu natürlichen) Tatsachen, die wesentlich schwieriger zu spezifizieren und validieren sind als z.B. die Veränderung einer raumzeitlichen Lokation. 58 Daniel Glatz Literatur Bach, Emmon (1986): The algebra of events. In: Linguistics and Philosophy 9, S. 5-16. Croft, William (1991): Syntactic Categories and Grammatical Relations. 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Die vorzunehmende Beschränkung zwingt dazu, sich auf einige Bedeutungsaspekte zu konzentrieren, die entweder für alle Kommunikationsverben zutreffend sind oder zumindest für größere Gruppen von ihnen. Verschiedene Möglichkeiten der Bedeutungsdekomposition sollen vorgestellt werden. Ich möchte mich innerhalb des Themenfeldes auf die Rolle konzentrieren, die dem CAUSE-Operator in diesem Zusammenhang zukommt. Denn dieser Operator wird in mehreren theoretischen Modellen auch zur Beschreibung von Sprechakt- oder Kommunikationsverben verwendet. Neben der Vorstellung einiger dieser Modelle soll hier versucht werden zu zeigen, an welchen Stellen der Verbbeschreibung der CAUSE-Operator sinnvoll eingesetzt werden könnte und wo die Probleme dabei liegen. In einem ersten Abschnitt geht es generell um die Verwendung des CAUSE-Operators bei der Darstellung von Verbbedeutungen. Anschließend ist auf die besondere Rolle von Agentivität und Intentionalität einzugehen. Ein weiterer Abschnitt widmet sich den Verwendungsmöglichkeiten von CAUSE speziell bei der Beschreibung von Kommunikationsverben. Abschließend werden diese Beschreibungen mit der Darstellung kommunikativer Ausdrücke in dem Projekt ESKA („Erklärende Synonymik kommunikativer Ausdrücke des Deutschen“) verglichen. Bei diesem Projekt handelt es sich um ein von Harras entwickeltes konzeptuelles Ordnungssystem zur Repräsentation von kommunikativen Ausdrücken, das mit einer geordneten Menge von Kategorien und Parametern arbeitet. Vgl. dazu Harras (1998), Harras/ Winkler (1994) und Winkler (in diesem Band). 1. Der CAUSE-Operator bei der Darstellung von Verbbedeutungen Der CAUSE-Operator wird zunächst und in erster Linie zur semantischen Beschreibung von kausativen Verben benutzt, d.h. von Verben, die den Vorgang des Verursachens bezeichnen. Dabei handelt es sich zumeist um Verben, die ein Agens haben, das einen bestimmten Zustand verursacht, beispielsweise durch eine Handlung. Klassische kausative Verben sind etwa töten, glätten, schmelzen, füttern, leeren, schließen u.Ä. (Unter formalen Gesichtspunkten 62 Edeltraud Winkler betrachtet, gehören die genannten Verben unterschiedlichen Klassen an, was aber für die folgende Darstellung als nicht relevant anzusehen ist.) Wie ist Kausation nun im Einzelnen aufzufassen? Grundsätzlich kann Kausation als (konzeptuelle) Relation zwischen Ereignissen bzw. Situationen verstanden werden. Diese Relation bringt zum Ausdruck, dass ein Ereignis (das natürlich immer in einer Situation stattfmdet und auf sie bezogen ist) ein anderes verursacht, hausiert. Der Terminus ‘Ereignis’ ist in diesem Fall sehr weit gefasst, denn es kann sich dabei durchaus um eine komplexere Handlung eines oder mehrerer Agenten handeln. Doch auch das verursachte Ereignis kann ganz unterschiedlicher Natur sein. Verursacht werden können Zustände oder Ereignisse in einem engeren Sinne oder auch Handlungen, die dem verursachenden Ereignis folgen. Die Agenten einer solchen Folgehandlung können die gleichen sein wie die der hausierenden Handlung, oder aber es treten andere Agenten in Erscheinung. Sei es, dass sie durch ein vorangegangenes Ereignis zum Handeln gezwungen werden, sei es, dass vorangegangene Handlungen Anderer ihr Aktivwerden verlangen. Darüber hinaus impliziert das Konzept von Kausation, dass der Zustand der Welt ein anderer wäre, wenn das vorhergehende oder hausierende Ereignis nicht stattgefunden hätte. Das ist eine Position, die schon auf Stalnaker (1968) und Lewis (1973) und ihre Annahmen über Kausation innerhalb der konditionalen Logik zurückgeht. Sie gehen davon aus, dass Propositionen in kausaler Beziehung zueinander stehen können. Dabei hausiert Si S2 dann und nur dann, wenn sowohl Si als auch S2 stattfmden, aber S2 nicht stattfinden würde, wenn Si nicht stattgefunden hätte (vgl. auch Wunderlich 1997a). Einen Vorschlag für die Darstellung des Konzeptes CAUSE, der das eben Gesagte berücksichtigt, haben u.a. Miller/ Johnson-Laird (1976) gemacht, die die folgende Definition zugrunde legen: CAUSE(S, S'): Something characterized by the statement S „causes“ something characterized by the statement S' if: (i) HAPPEN(S) (ii) HAPPEN(S') (iii) Cause((i), (ii)) (Miller/ Johnson-Laird 1976, S. 482) Die Schreibweise ‘CAUSE’ steht in diesem Falle für das konzeptuelle Kausieren, während ‘Cause’ zunächst einmal nur perzeptuell verstanden und als ein Wahmehmungsprodukt angesehen werden soll, welches lediglich besagt, dass zwei Ereignisse als in kausaler Beziehung zueinander stehend wahrgenommen werden. Möglichkeiten der semantischen Dekomposition von Kommunikationsverben 63 CAUSE kann auch eine Relation zwischen Individuen und Propositionen sein, die dann in Bezug zu Situationen gesetzt wird. Das ist deswegen möglich, weil nicht nur Nomina, sondern auch Verben ein referenzielles Argument haben, das allerdings auf Situationen beschränkt ist. (Gründe für die Ausdehnung der Annahme eines referenziellen Arguments auch auf die Verben werden bei Wunderlich (1997a), S. 33f. angeführt.) Aus der Tatsache, dass das referenzielle Argument von Verben situational ist, folgt natürlich auch das Vorhandensein einer temporalen Komponente. Referenzielle Argumente haben grundsätzlich die Aufgabe, sprachliche Ausdrücke in der (externen) Welt zu verankern. Dabei werden sie von den funktionalen Kategorien, die auf ihnen operieren, unterstützt. Für Verben sind das Aspekt, Tempus, Modus sowie die entsprechenden ‘Complementizer’. Die funktionalen Kategorien binden das referenzielle Argument entweder an ein anderes referenzielles Argument, oder aber sie geben zusätzliche Kontextinformationen zu dessen Einordnung. Referenzielle Argumente unterliegen auch nicht dem syntaktischen Argumentlinking. Das bedeutet für Verben, dass die Situationen, auf die sie referieren, nicht direkt mit einem syntaktischen Argument in Beziehung zu setzen sind. Wunderlich (1997a) stellt die situationalen referenziellen Argumente von Verben vereinfacht als komplexe Entitäten dar, die er mit S bezeichnet, ohne im Einzelnen auf die Eigenschaften von Situationen einzugehen. Nach seiner Ansicht sollte die Semantische Form von kausativen Verben ohnehin von jeglichen Eigenschaften der hausierenden Situation abstrahieren. Davon ausgenommen ist lediglich die Tatsache, dass es einen Agenten bzw. eine hausierende Entität gibt. Die semantische Repräsentation eines kausativen Verbs wie leeren oder to empty wäre dann in der folgenden Form darstellbar: (1) to empty: CAUSE (x, BECOME (EMPTY(y))) (s) (siehe Wunderlich 1997a, S.36) Bierwisch hingegen stellt den Situationsbezug in verschiedenen Arbeiten durch sein INSTanzprädikat her, das Situationen und Propositionen in Relation zueinander setzt. Er definiert CAUSE unter Rückgriff auf Dowty (1979) als eine Relation zwischen Ereignissen und gelangt zu der folgenden formalen Darstellungsweise: (2) e inst[x cause p] = def e inst[[x do e']&[e' cause' e"]&[e" inst p]] Der Formalismus unter (2) ist nicht wie (1) als die semantische Repräsentation für ein bestimmtes kausatives Verb anzusehen, sondern lediglich als eine Darstellung und Definition von Kausation im Allgemeinen. Sie besagt, dass durch die Handlung eines Agenten ein anderes Ereignis verursacht wird, welches mit Hilfe des Instanzprädikats in einen situationalen Zusammenhang zu der ausgedrückten Proposition gestellt wird. Die beiden bisher aufgeführten Darstellungsweisen sind aber ohne Probleme ineinander überführbar. 64 Edeltraud Winkler In einer ersten Zusammenfassung kann man sagen, dass CAUSE als Prädikat bei der Dekomposition von Verben bzw. deren Bedeutungen benutzt wird; es stellt eine Möglichkeit zum Ausdruck kausaler Beziehungen dar. Solche Dekompositionsstrukturen finden sich auf der Ebene der Semantischen Form (SF), die eine von drei Repräsentationsebenen innerhalb einer Lexikalischen Dekompositionsgrammatik bildet, wie sie beispielsweise von Wunderlich vertreten wird. Die Semantische Form bildet gemeinsam mit der ©-Struktur (TS) die Ebene, auf der die lexikalischen Einheiten ihren Platz haben. Die letztere wird durch / .-Abstraktion erzeugt und enkodiert die in der Semantischen Form ausgedrückte Argumenthierarchie. Über das Argument-Linking kann dann von der ©-Struktur aus die Verbindung zur Ebene der Satz- oder Phrasenstruktur (PS) hergestellt werden. Zur anderen Seite hin ist die Semantische Form bezogen auf die Ebene der Konzeptuellen Struktur (CS). D.h., die verschiedenen Konzepte werden lexikalisiert und auf eine phonetische Form abgebildet. So weit dieser kurze Exkurs. Auf Grund der dargestellten Beziehungen zwischen den einzelnen Ebenen determinieren die Prädikate, die in lexikalischen Dekompositionsstrukturen auftreten, letztendlich sowohl Ereignisals auch Argumentstruktur. Wie sehen nun die kausalen Beziehungen, die mit CAUSE beschrieben werden, im Einzelnen aus? Es ist nicht immer ganz einfach, die Quelle für eine kausale Relation zu identifizieren, denn die kausale Beziehung ist manchmal nur implizit vorhanden. Rappaport Hovav/ Levin (1999) sprechen in diesem Zusammenhang, wie andere Autoren auch, von direkter Kausation versus indirekter Kausation (vgl. auch McCawley 1978, Delancey 1984, Comrie 1985 u.a.). Sie sehen ein grundlegendes Erfordernis für direkte Kausation darin, dass die Kausalkette vom verursachenden Subereignis zum resultierenden Subereignis nicht durch ein dazwischentretendes Ereignis unterbrochen wird. Eine ähnliche Unterscheidung findet sich bei Wunderlich (1997a). Er spricht einmal von direkter und indirekter Kausation, und zum anderen von expliziten und impliziten Kausativa. Grundsätzlich geht er von der Annahme aus, dass die SF kausativer Verben nicht unbedingt völlig explizit sein muss; bestimmte Dinge können inferiert werden. Darüber hinaus kann die Gesamtsituation aufgeteilt werden in verschiedene Teilsituationen (constituent situations), die von sortalen Beschränkungen der involvierten Prädikate abhängen. Wunderlich spricht von direkter Kausation, wenn der Agent das Endergebnis kontrolliert; um indirekte Kausation handelt es sich, wenn der Agent zwar die Ausgangssituation (input situation), aber nicht alle Zwischenstadien, die zum Endergebnis führen, kontrolliert. Explizit kausative Verben sind Verben, die in ihrer Semantischen Form mit Hilfe von CAUSE repräsentiert werden. Implizite Kausativa sind Verben mit einer kausativen Bedeutung, die zwar nicht in der SF repräsentiert wird (jedenfalls nicht mittels des CAUSE-Prädikats), die aber aus ihr zu folgern ist. Möglichkeiten der semantischen Dekomposition von Kommunikationsverben 65 Wunderlich macht nun einen Unterschied zwischen solchen Verben, die nur das Resultat einer Aktivität ausdrücken und solchen, die zusätzlich noch eine bestimmte Art von Aktivität zum Ausdruck bringen. Die Ersten werden explizit mit CAUSE repräsentiert, bei den Letzteren wird die kausale Interpretation implizit kodiert. Als Beispiele für diese Unterscheidung gibt er die semantischen Repräsentationen von Verben wie geben (give) bzw. schenken (donate) an, vgl.: (3) geben: CAUSE(x, BECOME(POSS(y, z))) (s) (4) schenken: {DONATE(x, z) & BECOME(POSS(y, z))} (s) Es handelt sich bei dem eben beschriebenen Sachverhalt um eine ähnliche Unterscheidung wie die zwischen kausativen und resultativen Konstruktionen. Die kausativen Konstruktionen verlangen ein explizites CAUSE-Prädikat; die resultativen Konstruktionen enthalten BECOME, das den Übergang zu einem Resultatszustand ausdrückt. Ein solcher Übergang ist allerdings durch einen kausalen Faktor bedingt. (Zu Syntax und Semantik resultativer Konstruktionen siehe u.a. Carrier/ Randall 1992, Glatz in diesem Band, Kaufmann/ Wunderlich 1998, Rappaport Hovav/ Levin 1998 und 1999, Stiebeis 1996, Wunderlich 1997b). 2. Zur Rolle von Agentivität und Intentionalität CAUSE wird, wie eingangs bemerkt, in der Regel als Darstellungsmittel für Vorgänge des Verursachens benutzt, wobei der Verursacher (der causer) typischerweise der Agent ist. Agentivität spielt also eine herausragende Rolle bei kausativen Verben. Sie liefert deshalb ein grundlegendes Differenzierungskriterium bei der Unterscheidung verschiedener Arten von CAUSE. So wird zunächst die Unterscheidung zwischen einem agentiven und einem nicht-agentiven CAUSE möglich. Diese stellt in Rechnung, dass es durchaus Ereignisse oder Zustände gibt, die zwar eindeutig kausativ verursacht werden, aber nicht durch ein Agens im hier beschriebenen Sinne. Beispiele für nicht-agentives CAUSE das dann natürlich auch nicht als intentional eingeordnet werden kann sind etwa die folgenden: (5) Der Wind schlägt die Tür zu. (6) Das Hochwasser überflutete die Straßen und setzte zahlreiche Keller unter Wasser. (7) Die Explosion zerbrach zwei Fenster. Das agentive CAUSE enthält ein Agens, welches in der Regel eine intentional handelnde Person ist, die durch ihr Handeln einen bestimmten (End)zustand hervorruft. Agentives CAUSE lässt sich nun noch weiter differenzieren. Das Agens kann entweder innerhalb eines institutionellen Rahmens handeln oder 66 Edeltraud Winkler aber nicht. Aus den genannten Tatsachen leiten sich also letztendlich drei unterschiedliche Arten von CAUSE ab, die sich folgendermaßen darstellen lassen: Es gibt demnach ein nicht-agentives CAUSE, das sich von einem institutioneilen agentiven CAUSE und einem nicht-institutionellen agentiven CAUSE unterscheiden lässt. Beispiele für die verschiedenen CAUSE-Arten sind u.a. bei Parsons (1990) aufgeführt. Nicht-institutionelles agentives CAUSE kommt in Sätzen wie den folgenden vor: (8) Mary schließt die Tür / schlägt die Tür zu. (9) Brutus ersticht Caesar. Um institutionelles agentives CAUSE handelt es sich bei den folgenden Beispielen. Hier geht es entweder um offizielle Situationen, die oft einen rituellen Charakter haben, bzw. das Agens handelt als Vertreter und im Namen einer Institution. (10) Paul tauft das Schiff auf den Namen „Elisabeth“. (11) Das Gericht / der Richter verurteilt ihn zu einer Geldbuße. Bereits Miller/ Johnson-Laird (1976) haben auf die wichtige Rolle sowohl von Agentivität als auch von Intentionalität bei kausativen Verben hingewie- Möglichkeiten der semantischen Dekomposition von Kommunikationsverben 67 sen. Sie betonen, dass die Intentionalität der mit den Verben beschriebenen Handlungen oftmals in den Verbbedeutungen inkorporiert ist. Gerade bei agentivem CAUSE ist in der Regel auch Intentionalität involviert. Semantisch gesehen sind intentionale Verben opak. Das bedeutet, dass die Wahrheit oder Falschheit eines Sachverhalts, der durch einen Satz mit einem intentionalen Verb ausgedrückt wird, nicht unbedingt abhängig ist von der Gültigkeit des Sachverhalts, der durch die Komplemente des Verbs bezeichnet wird. Etwas Ähnliches bringen auch Miller/ Johnson-Laird (1976) zum Ausdruck, wenn sie sagen: Cause should not be confused with, say, some truth-functional operator of the predicate calculus, whose value could be determined from the truth values of the predicates it relates; the value of Cause must be determined by the perceptual act of looking at the events it takes as arguments and determining whether the event indicated in one argument is perceived as causing the other. (Miller/ Johnson-Laird 1976, S. 99). Die Validierung dieser Tatsache, so betonen die Autoren, habe nichts mit ‘realen’ Gründen zu tun. Dieser Aspekt lässt sich möglicherweise auf Kommunikationsverben übertragen. Kommunikationsverben zeichnen sich dadurch aus, dass sie in entscheidendem Maße intentional bestimmt sind. Die Wahrheit oder Falschheit des Komplementsatzes ist nicht unbedingt entscheidend für die Beurteilung des Gesamtsatzes. So bleibt ein Satz wie (12) ungeachtet der offensichtlichen Falschheit seines Komplementsatzes weiterhin eine Behauptung und somit als Gesamtsatz wahr. (12) Paul hat behauptet, dass der Mond aus grünem Käse besteht. Entscheidend für die Beurteilung ist in diesem Beispiel, dass der Satz „Der Mond besteht aus grünem Käse“ in einer entsprechenden Situation mit einer behauptenden Intention, d.h. mit einem durch den Sprecher erhobenen Wahrheitsanspruch, geäußert wurde und derjenige, der auf ihn Bezug nimmt, ihn auch in diesem Sinne als Behauptung verstanden hat. Wenn man diesen Gesichtspunkt in die Betrachtung der Kommunikationsverben einbezieht, ließe sich eine Darstellung mit dem CAUSE-Operator in gewisser Weise rechtfertigen. Im nächsten Abschnitt wird auf die Möglichkeiten der Integration von CAUSE in die Beschreibung von Kommunikationsverben ausführlicher eingegangen. 68 Edeltraud Winkler з . Die Integration von CAUSE in die semantische Beschreibung von Kommunikationsverben In verschiedenen theoretischen Ansätzen und in unterschiedlicher Weise wurde bei der semantischen Beschreibung von Kommunikationsverben auch von CAUSE Gebrauch gemacht. Die Verben dieser Gruppe zählen nun allerdings weder zu den klassischen kausativen Verben noch zu den typischen resultativen Verben. Von den Letzten gibt es zwar eine kleinere Gruppe innerhalb der Kommunikationsverben, zu denen beispielsweise überreden, überzeugen und beleidigen gehören, aber sie stellen nicht gerade den Kembereich der Resultativa dar. Trotzdem stimmen die genannten und etliche andere Kommunikationsverben zumindest in einem Teil ihrer Eigenschaften mit den Charakteristika von resultativen Verben überein. Das Gleiche trifft für die Kommunikationsverben im Allgemeinen und die kausativen Verben zu. Bis zu einem gewissen Grade tritt Übereinstimmung oder Vergleichbarkeit in den wesentlichen Eigenschaften dieser Verben auf. Im vorigen Abschnitt war bereits die Rede von Agentivität und Intentionalität, die für kausative wie auch für Kommunikationsverben gleichermaßen von Bedeutung sind. Inwieweit andere, darüber hinausgehende Gemeinsamkeiten greifen, und wo eine einheitliche Darstellung von Kommunikationsverben und kausativen Verben nicht mehr möglich ist, soll in diesem Abschnitt gezeigt werden. Zu diesem Zweck seien einige Verwendungsweisen des CAUSE-Operators exemplarisch herausgegriffen. Miller/ Johnson-Laird (1976) gehen bei den Kommunikationsverben ähnlich vor wie bei anderen lexikalischen Feldern auch. D.h., sie nehmen einige grundlegende semantische Komponenten an, die mit den für das jeweilige semantische Feld relevanten Kemkonzepten kreuzklassifiziert werden. Auf diese Weise lässt sich ein lexikalisches Feld hinreichend charakterisieren. Zum konzeptuellen Kern der Gruppe der Kommunikationsverben gehören Konzepte, die sich auf unterschiedliche Aspekte von Kommunikation beziehen, wie Z.B. ÄUSSERN, AUSDRÜCKEN, MEINEN, ADRESSIEREN, VERSTEHEN, WISSEN и . Ä. Verschiedene solcher Aspekte sprachlicher Kommunikation können in die Bedeutung eines einzelnen Verbs eingehen. Sie sind darüber hinaus vernetzt mit Kemkonzepten aus anderen Bereichen. Eines dieser auf sprachliches Handeln bezogenen Kemkonzepte ist beispielsweise ÄUSSERN (UTTER). Miller/ Johnson-Laird machen dieses lexikalische Konzept abhängig von einer Kontrollinstruktion, die der Sprecher ausführt und dadurch eine Lautbzw. Zeichenkette produziert. UTTER bezeichnet also das kontrollierte Äußern einer Zeichenkette. Äußern hat mithin den Status einer Aktivität, die kausativer Natur ist. Das Konzept UTTER kann nun wiederum in andere, speziellere Verben bzw. deren Bedeutungsbeschreibungen Möglichkeiten der semantischen Dekomposition von Kommunikationsverben 69 integriert sein. So enthält z.B. SPEAK das Konzept von UTTER, wobei im Fall von SPEAK davon ausgegangen wird, dass die Äußerungen intentional sind. Weiterhin können sie nicht direkt benannt werden; auf sie muss referiert werden. Das bedeutet, dass das Verb spea/ c nicht mit direkter Redewiedergabe verkommen kann, sondern stets nur mit indirektem Äußerungsbezug. In dem Konzept von Miller/ Johnson-Laird wird darüber hinaus auf die akustischen oder phonetischen Charakteristika der Äußerung Bezug genommen, was im Falle von SPEAK lediglich heißt, dass die produzierten Laute nicht musikalischer Natur sind. Auf diese Art und Weise werden die verschiedenen Gruppen von Kommunikationsverben moduliert und voneinander separiert, wobei jeweils unterschiedliche Gesichtspunkte maßgeblich sind. So werden sie einmal unter der Perspektive des physikalischen Prozesses der Lautäußerung klassifiziert oder ein anderes Mal hinsichtlich der verschiedenen Möglichkeiten der Bezugnahme auf die sprachlichen Äußerungen. Ein weiterer Klassifizierungsgesichtspunkt ist ihre illokutionäre Kraft oder auch die kontextuelle Einbettung der Äußerung, um nur einige zu nennen. Der CAUSE-Operator kann dabei an verschiedenen Stellen der Bedeutungsbeschreibung einzelner Verben integriert bzw. inkorporiert sein. Vgl. hierzu die folgenden Beispiele: (13) (TO(EXPRESS))(x, y, z): Someone x „expresses“ something y that X feels „to“ someone Z if: (i) DO(x, S) (ii) CAUSE(S, POSSIBLE(KNOW(z, FEEL(x, y)))) (14) (TO(SPEAK))(x, y): Someone x „speaks to“ someone y if: (i) SPEAK(x, w) (ii) CAUSE((i), POSSIBLE(HEAR(y, W))) (iii) ADDRESS(x, y) (15) TELL(x, w): Someone x „teils“ w, where w refers to some words Wif: (i) (TO(SAY))(x, W, y) (ii) KNOW(y, w) (iii) CAUSE((i), (ii)) (16) PERSUADE(x, y, S): Someone x „persuades“ someone y that S if: (i) ACT(X, S') (ii) AGREE(y, S) (iii) CAUSE(S', (ii)) 70 Edeltraud Winkler Aus dem bisher Gesagten wird bereits ersichtlich, dass die Kommunikationsverben auch bei Miller/ Johnson-Laird nicht wie klassische kausative Verben behandelt werden, sondern dass mit CAUSE jeweils nur ein bestimmter und von Fall zu Fall unterschiedlicher Teil der Verbbedeutung erfasst wird. CAUSE kann nämlich innerhalb einer Verbbedeutung auch mehrfach auf verschiedenen Stufen der Darstellung auftreten. Das ist leicht aufzuzeigen, wenn man davon ausgeht, dass jede Verbbedeutung an einer Stelle das Konzept von UTTER enthalten muss, denn mit Kommunikationsverben wird immer in irgendeiner Weise auf sprachliche Äußerungen Bezug genommen. In das Konzept von UTTER ist seinerseits wiederum der CAUSE-Operator inkorporiert. In der Bedeutungsbeschreibung vieler Verben kommt, wie wir gesehen haben, CAUSE darüber hinaus noch an anderen Stellen vor, um kontrollierte Handlungen bzw. Verursachungszusammenhänge darzustellen. Von der Idee, eine bestimmte Kembedeutung für die gesamte Gruppe der Kommunikationsverben oder für einzelne Teilgruppen von ihnen herauszukristallisieren und sie dabei teilweise wie kausative Verben zu behandeln, bin ich auch in Winkler (1987) ausgegangen. Eines der Hauptziele war es, eine Bedeutungsinvariante, sozusagen eine Kembedeutung in der semantischen Struktur der Kommunikationsverben herauszufiltem. Den Ausgangspunkt hierfür bilden die beiden Grundfunktionen von Kommunikationsverben: Bezugnahme auf sprachliche Äußerungen und Informationsübertragung. Das semantische Grundinventar, das dafür benutzt wurde, setzt sich aus dem Sprecher, dem Adressaten, der sprachlichen Äußerung und den durch sie übertragenen Informationen zusammen. Da sich die Kommunikationsverben bis zu einem gewissen Grade ähnlich verhalten wie kausative Verben, werden sie zum Teil auch in vergleichbarer Weise dargestellt und beschrieben. Vergröbernd können die feststellbaren Ähnlichkeiten so angegeben werden: Der Sprecher bewirkt, dass der Adressat ein bestimmtes Wissen hat, und er kontrolliert diesen Vorgang. An diesem Punkt muss man allerdings die erste Einschränkung machen. Der Sprecher kann diesen Vorgang natürlich nicht vollständig kontrollieren, sondern ist dazu nur in gewissem Maße in der Lage. Sein Äußern einer Zeichenkette kann immer nur der Versuch sein, das Ziel zu erreichen, dass der Adressat am Ende über ein bestimmtes Wissen verfügt. Lediglich insoweit unterliegt der Vorgang der Kontrolle des Sprechers. Diese Beobachtung deckt sich mit dem, was Wunderlich (1997a) zu indirekter Kausation gesagt hat. Der Agent, also der Sprecher, kann nicht das Erreichen des Endergebnisses kontrollieren, sondern lediglich die Eingabesituation (input situation), d.h. das Produzieren der Laut- oder Zeichenkette, und evtl, noch einige Zwischenergebnisse auf dem Weg zu seinem geplanten Ziel. Es ist zu berücksichtigen, dass ein Kommunikationsversuch immer auch scheitern kann, was auf die unterschiedlichsten Gründe zurückführbar ist. Unter normalen Bedingungen, im Defaultfall also, erreicht der Sprecher sein Ziel. Werden jene Einschränkun- Möglichkeiten der semantischen Dekomposition von Kommunikationsverben 71 gen bedacht, dann kann man verba dicendi analog zu anderen (implizit) kausativen Verben behandeln. Bei Winkler (1987) wird dazu aber nicht der übliche CAUSE-Operator verwendet, sondern ein Prädikat, das als kontrolliertes TUN aufgefasst werden soll, und welches zwei Argumente hat, nämlich eine Proposition und ein Individuum. Die Proposition besagt, dass ein Individuum (der Sprecher x) durch sein Tun bewirkt, dass der Adressat y etwas Bestimmtes (nämlich den Inhalt p der Zeichenfolge z) erfahrt. ‘Erfahren’ ist hier durch WERDEN WISSEN repräsentiert, was eine Erweiterung und Spezifizierung des Prädikats WERDEN darstellt. Die Tätigkeit des Sprechers besteht im Äußern einer Zeichenfolge z mit einem bestimmten Inhalt oder propositionalen Gehalt p. Ein Argument von MACHEN ist damit ÄUSSERN, das seinerseits wiederum zwei Argumente aufweist, zum einen ein ausgezeichnetes Individuum in Zeichengestalt und zum anderen ein weiteres Individuum, nämlich den Sprecher X. Sowohl MACHEN als auch WERDEN liegen im Skopus des Prädikats TUNk, was bedeutet, dass der Sprecher den gesamten Vorgang kontrolliert. Die hierbei vorzunehmenden Einschränkungen wurden gerade diskutiert. Im Resultat ist das bisher Gesagte dann folgendermaßen formalisierbar: (17) [[TUNk [[MACHEN [WERDEN [[WISSEN p] y]]] [[ÄUSSERN z(p)] X]]] X] Mit dieser Darstellung nach Winkler (1987) lässt sich die Bedeutungsinvariante aller Kommunikationsverben charakterisieren. Sie dürfte in der einen oder anderen Weise in der semantischen Komponentenstruktur der einzelnen Kommunikationsverben enthalten sein und erfasst sozusagen die klassenkonstitutiven Merkmale für Kommunikationsverben. Die semantische Struktur der einzelnen Verben ist freilich viel reichhaltiger. In ihr müssen noch weitere Prädikate Berücksichtigung finden, um die jeweiligen Verben klar voneinander abgrenzen zu können. Doch der unter (17) aufgeführte Formalismus kann genutzt werden, um bereits auf dieser Ebene die verschiedenen Untergruppen von Kommunikationsverben semantisch voneinander zu separieren. Zu diesem Zweck können einzelne Komponenten der Darstellung modifiziert oder erweitert werden. So wird beispielsweise bei den fragen-Vzrbtn das, was der Adressat erfahren soll, eine andere, komplexere Struktur haben als bei anderen Kommunikationsverben. Soll er doch in diesen Fällen nicht nur schlechthin etwas erfahren, sondern immer zugleich auch, dass der Sprecher etwas von ihm wissen möchte, also seinerseits etwas zu erfahren wünscht, was mit einer Antworterwartung seitens des Sprechers an den Adressaten verbunden ist. Analoges gilt für die auffordern-Verbzn. Hier soll der Adressat wissen, dass der Sprecher möchte, dass er etwas tut oder gegebenenfalls auch unterlässt. Da auffordern-'Wtxbtn häufig mit Infmitivergänzungen Vorkommen, ist in diesen Fällen noch zusätzlich die Bedingung daran gebunden, dass der fehlende 72 Edeltraud Winkler Subjektausdruck der Infmitivkonstruktion referenzidentisch mit dem Adressaten ist. Dieses kann durch das Merkmal [Objektkontrolle] garantiert werden. In manchen Fällen müssen jedoch gar keine Prädikate hinzugefügt oder modifiziert werden. Mitunter ist bereits die unterschiedliche Spezifizierung und Bindung der Variablen ausreichend, um Untergruppen zu diversifizieren. Denn Variablen, die bereits in der Semantischen Form existenzquantifiziert werden, sind syntaktisch nicht spezifizierbar. Das bedeutet z.B., wenn die Adressatenvariable in der SF existenzquantifiziert wird, kann der Adressat nicht lexikalisiert werden. Das ist der Fall bei Verben wie aussagen, äußern, leugnen, widerrufen, behaupten, feststellen, konstatieren. Ebenso ist es möglich, dass die Variable für die Zeichenfolge von vornherein existenzquantifiziert ist, und zwar betrifft dies solche Verben, die kein direktes Zitat zulassen, wie ansprechen, beantworten, belügen, besprechen, diskutieren, nennen, reden, überreden, überzeugen, sich unterhalten, vereinbaren, verhandeln. Weiterhin kann die Propositionsvariable existenzquantifiziert sein. Mit solchen Verben kann dann nicht ausgedrückt werden, was geäußert wird, wie z.B. bei anreden, anschwindeln, anlügen, belügen, beraten. Ein Verb, bei dem alle Variablen bis auf den Sprecher existenzquantifiziert sind, ist lügen. In unserem Zusammenhang sind auch die Ergebnisse interessant, die Bierwisch (1996) bei der Untersuchung des Verbs fragen erzielt hat. Ausgangspunkt ist für ihn das Problem, wie eine lexikalische Einheit abzugrenzen ist, d.h. welche Variationen im Lexikoneintrag vernachlässigt werden können, also zu einer lexikalischen Einheit gehören, und welche berücksichtigt werden müssen und mithin eine neue lexikalische Einheit konstituieren. Bierwisch hat jene Variationen besonders im Blick, die die Argumentstruktur und die Argumentrealisierung, d.h. die Kasuszuweisungen, betreffen. Im Folgenden seien einige Beispiele für Lexikoneinträge nach Bierwisch vorgestellt. Betrachten wir zunächst mitteilen, dessen Argumentstruktur genau eine fakultative Position enthält, die erfassen soll, dass mitteilen keinen intransitiven Gebrauch erlaubt, andererseits aber einen freien Dativ zulässt. (18) Zx (Zy) Zz Ze [e inst [z cause [become [y knowx ]]]] Auch Bierwisch geht von einer Verursachensrelation zwischen einer Handlung des Sprechers und einem beim Hörer erreichten Zustand (dem Wissenszuwachs) aus. Für sagen soll der gleiche Lexikoneintrag wie für mitteilen gelten, ein semantischer Unterschied wird hier nicht gemacht. Der Lexikoneintrag für fragen besagt, dass der Fragende den Adressaten davon in Kenntnis setzt, dass jemand etwas zu wissen wünscht. Derjenige muss nicht notwendigerweise mit dem Fragenden identisch sein. Diese Tatsache Möglichkeiten der semantischen Dekomposition von Kommunikationsverben 73 findet ihren Ausdruck in den unterschiedlichen Variablen für den Fragenden (z) und denjenigen, der etwas wissen möchte (u). Es findet hier eine ähnliche Erweiterung des semantischen Grundinventars statt, wie sie weiter oben bereits für die fragen-Verben beschrieben wurde. Vgl. den folgenden Lexikoneintrag für das Verb fragen bei Bierwisch: (19) (kx) (ky) kz ke ([+ Wh]) [- Öbl] [e INST [Z CAUSE [ BBC [y KNOW [U WANT [U KNOW X ]]]]]] Es gibt nun allerdings zwei Besonderheiten bei fragen: Zum einen hat das Verb zwei Akkusativobjekte, d.h. nicht nur die Proposition, sondern auch der Adressat steht im Akkusativ und erhält deswegen das idiosynkratische Merkmal [- Obl(ique)]; zum anderen kann fragen intransitiv gebraucht werden, d.h. sowohl Thema als auch Adressat sind fakultativ. Weitere Einschränkungen ergeben sich bei der Realisierung der Themarolle. Gewählt werden kann nur zwischen sehr unspezifischen oder kommentierenden DPs (Nominalphrasen) und Fragesätzen. Dies wird durch das Merkmal [+ Wh] ausgedrückt, dessen fakultativer Status besagt, dass das Thema nicht unbedingt ein CP-Argument (also satzförmig) zu sein braucht. Es kann auch durch ein DP-Argument, eine Nominalphrase, besetzt werden. Diese Besetzung von kx wird durch semantische Selektionsbedingungen oder -beschränkungen bestimmt, wobei kx das innere Argument von KNOW bindet, welches eine Proposition sein muss. 4. Vergleich mit der ESKA-Darstellung der Kommunikationsverben Überblickt man den hier ausschnittsweise vorgenommenen Theorienvergleich und die im vorangegangenen Abschnitt vorgestellten Darstellungsmöglichkeiten für Kommunikationsverben sowie den Gebrauch, der zu diesem Zwecke von CAUSE gemacht wurde, so erweist sich, dass die verschiedenen Beschreibungen gar nicht so weit auseinander liegen. Sie sollen nunmehr mit der Darstellung verglichen werden, die im ESKA-Projekt gewählt wurde. Der Situationsbezug, der bei Bierwisch durch das Instanzprädikat hergestellt wird, und für den Wunderlich ein situationales referenzielles Argument bei Verben vorsieht, das jeweils deren höchstes Argument ist, stellt bei ESKA die generelle Sichtweise auf die Kommunikationsverben dar. Es wird davon ausgegangen, dass mit Kommunikationsverben immer auf Situationen Bezug genommen wird, in denen sprachliche Äußerungen zwar eine entscheidende 74 Edeltraud Winkler Rolle spielen, dass die Bezugnahme aber niemals nur auf eine isolierte Äußerung erfolgt. Auch in ESKA wird mit einem Grundinventar gearbeitet, das aus Sprecher, Hörer und sprachlicher Äußerung (in der Regel mit einem bestimmten propositionalen Gehalt) besteht. Hinzu kommen noch die jeweiligen Sprechereinstellungen sowohl propositionale als auch intentionale -, die hier eine wesentlich zentralere Rolle spielen als in den anderen Ansätzen. Zumindest sind sie explizit in die Bedeutungsdarstellung der Verben einbezogen. Das, was in den vorher vorgestellten Ansätzen unter den Stichworten ‘Bedeutungsinvariante’, ‘Bedeutungskem’ oder ‘Kemkonzept’ herausgearbeitet wurde, lässt sich auch in ESKA finden. Zum größten Teil sind diese Charakteristika in dem allgemeinen Rekurssituationstyp enthalten, der alle Kommunikationsverben umfasst. Teilweise gehen solche invarianten Eigenschaften aber auch als Parameter in die spezielleren Rekurssituationstypen ein. (Zur genaueren Beschreibung von ESKA siehe Harras/ Winkler 1994, Harras 1998 sowie Winkler 1996 und in diesem Band) Wenn man die Bedeutungen der einzelnen Kommunikationsverben voneinander abgrenzen will, muss in jedem Falle das Faktum Berücksichtigung finden, dass sich diese oft nur durch Unterschiede in ihren Verwendungsbedingungen bzw. durch situationale Annahmen und Differenzierungen separieren lassen. Das bedeutet letztendlich, dass bei der distinktiven Bedeutungsbeschreibung der einzelnen Verben so etwas wie Gebrauchssemantik eine wichtige Rolle spielt. Das Spektrum reicht dabei von verallgemeinerbaren Eigenschaften, die für größere Gruppen von Verben Gültigkeit haben, über Verwendungsspezifika einzelner Verben bis hin zu rein pragmatischen Gesichtspunkten, die mitunter die individuelle Sprachverwendung betreffen können. Aber gerade diese, im Einzelnen so notwendigen Unterscheidungen, lassen sich nur sehr schwer oder gar nicht formalisieren. Man benötigt demgemäß zusätzlich zum formalisierbaren Teil der Semantischen Form von Kommunikationsverben der die gemeinsamen Bedeutungsparameter der Verbklasse erfasst sowie noch einige darüber hinausgehende Gesichtspunkte, die für einzelne Subklassen von Verben Gültigkeit haben noch weitere Unterscheidungskriterien, die im Rahmen einer formalen Semantik nicht mehr oder nur mit sehr großem Aufwand darstellbar sind. Der CAUSE-Operator ist formal nicht in ESKA integriert, implizit findet er jedoch teilweise in den verbalen Bedeutungsbeschreibungen der Verben seinen Ausdruck. Besonders offensichtlich wird das natürlich bei solchen Verben, die resultative kommunikative Vorgänge beschreiben, wie z.B. beleidigen, überreden, überzeugen u.Ä. Bei den anderen Kommunikationsverben wird man wohl im günstigen Falle von indirekter Kausation im Sinne Wunderlichs ausgehen können, denn der Sprecher kann, es wurde mehrfach erwähnt, das Endergebnis nicht direkt kontrollieren. Möglichkeiten der semantischen Dekomposition von Kommunikationsverben 75 An dieser Stelle sei eingeflochten, dass sich möglicherweise in dem genannten Zusammenhang auch der von Egg (2000) eingeführte kategoriale Aspekt der Perspektive, der Kommunikationsverben eigen ist, nutzen lässt. Solche Verben beziehen sich gemäß Egg — auf einen zweiteiligen Sachverhalt, der aus der Kommunikationshandlung und der durch sie ausgelösten Veränderung besteht. Sie können entweder auf einen der beiden Teile fokussieren oder diesbezüglich unbestimmt sein. So würde es möglich werden, inhaltliche und Aspektklassifikation von Kommunikationsverben miteinander zu verbinden. Auf Grund der unterschiedlichen Perspektivierung lassen sich aber auch Vorhersagen für die Aspektklassifikation treffen. Beispielsweise fokussieren die allgemeinen Kommunikationsverben und die Expressiva den ersten Teil des kommunikativen Sachverhalts, die Kommunikationshandlung. Die Deklarativa und Kommissiva dagegen legen den Fokus auf den zweiten Teil dieses Sachverhalts, auf die durch die Kommunikationshandlung hervorgerufenen Veränderungen. Die Direktiva und Repräsentativa können unterschiedlichen Fokus haben, sie sind in dieser Hinsicht unbestimmt. Das Problem, das sich innerhalb dieses Ansatzes und darüber hinaus grundsätzlich ergibt, ist die Schwierigkeit, sich darauf festzulegen, worin die durch eine kommunikative Handlung ausgelöste Veränderung in der Welt besteht. D.h., welche Arten von Ereignissen oder Entitäten können durch sprachliches Handeln überhaupt verursacht werden? Searle spricht in diesem Zusammenhang von sozialen oder institutioneilen Tatsachen, die durch sprachliches Handeln geschaffen werden, und stellt diesen natürliche Tatsachen gegenüber. Ob eine solche Unterscheidung differenziert genug ist, mag vorerst dahingestellt sein. M.E. existiert für das genannte Problem noch keine griffige und hinreichend verifizierbare Lösung. Auch ESKA vermag hier kein generelles Verfahren anzubieten. Allerdings werden in den Lexikoneinträgen einzelner Verben jeweils individuelle Vorschläge unterbreitet. Literatur Bierwisch, Manfred (1996): Fragen zum Beispiel. In: Harras, Gisela/ Bierwisch, Manfred (Hg.): Wenn die Semantik arbeitet: Klaus Baumgärtner zum 65. Geburtstag. Tübingen. S. 361-378. Carrier, Jill/ Randall, Janet H. (1992): The Argument Structure and Syntactic Structure of Resultatives. In: Linguistic Inquiry 23, 2, S. 173-234. 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Kristel Proost Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 1. Einleitung Thema dieser Untersuchung ist die Lexikalisierung kommunikativer Konzepte. Im Zentrum des Interesses steht die Frage, ob die Lexikalisierung kommunikativer Konzepte gewisse Tendenzen aufweist. Diese Frage wirft zugleich zwei weitere auf. Erstens muss geklärt werden, wie sich die verschiedenen Arten lexikalischer Einheiten, nämlich Wörter einerseits und komplexe lexikalische Ausdrücke wie idiomatische und nicht-idiomatische Phraseologismen andererseits, relativ zueinander verhalten. Möglicherweise weisen diese beiden Typen eine eigene, für sie charakteristische Verteilung auf. Zweitens stellt sich die Frage, ob die in dem Wortschatzausschnitt der kommunikativen Ausdrücke auftretenden lexikalischen Lücken systematisch oder vielmehr rein zufällig verteilt sind. Zuerst wird erklärt, was im Folgenden als eine lexikalische Einheit angesehen wird. Danach wird die Relevanz der Erfassung und Darstellung lexikalischer Lücken als Teil des Lexikalisierungsraums für einen bestimmten Bereich lexikalischer Ausdrücke (hier kommunikative Ausdrücke) erläutert. Im Anschluss an die Frage nach der Relevanz der Beschreibung lexikalischer Lücken werden verschiedene Möglichkeiten ihrer Etablierung diskutiert. Eine solche Möglichkeit bietet z.B. das 1981 von Edmondson vorgeschlagene Modell, das zunächst kritisch betrachtet werden soll. Mit den Merkmalen, die diesem Modell zugrunde liegen, wird anschließend ein neues Modell aufgebaut. Dieses erfasst sowohl die einfachen und komplexen Lexikalisierungen als auch die lexikalischen Lücken im Bereich der kommunikativen Ausdrücke. Es dient zugleich als Ausgangspunkt für eine kontrastive Untersuchung des Lexikalisierungsraums für die kommunikativen Ausdrücke des Deutschen, Französischen und Russischen. Mit dieser Vorgehensweise wird ein doppeltes Ziel verfolgt: zum einen sollen die von Edmondson formulierten Lexikalisiemngstendenzen überprüft werden, zum anderen sollen die durch die Anwendung von Edmondsons Modell gewonnenen Daten eine genauere Definition des Begriffs ‘lexikalische Lücke’ ermöglichen. Im Anschluss daran wird eine Alternative zu Edmondsons Modell diskutiert, mit dem einige Unzulänglichkeiten dieses Modells vermieden werden können. 78 Kristel Proost 2. Lexikalische Einheiten und lexikalische Lücken 2.1 Lexikalische Einheiten Zu den Möglichkeiten der Lexikalisierung kommunikativer Konzepte zählen zunächst einmal einfache lexikalische Einheiten. Diese umfassen Kommunikationsverben im engeren Sinn, die sog. Sprechaktverben wie versprechen, loben, mitteilen usw. und Kommunikationsverben im weiteren Sinn wie reden, sprechen, flüstern, anschreien, telefonieren usw. Darüber hinaus können kommunikative Konzepte auch mittels komplexer kommunikativer Ausdrücke wie Idiomen {jemandem einen Bären aufbinden, jemandem Honig um den Bart schmieren usw.) und nicht-idiomatischen Phraseologismen {sich die Seele aus dem Leib schreien, lügen wie gedruckt usw.) lexikalisiert werden (vgl. Dobrovol’skij 1995, S. 19). Unter ‘Phraseologismen’ werden hier sowohl Idiome als auch Phraseologismen anderer Art wie z.B. Kollokationen, Funktionsverbgefiüge, Kommunikationsformeln usw. verstanden. Nach Dobrovol’skij (1995) bilden die Phraseologismen eine radiale Kategorie, in deren Kembereich sich die Idiome befinden, während die nicht-idiomatischen festen Wortkomplexe eher in der Peripherie angesiedelt sind. Idiome sind somit die besten Vertreter der Kategorie der Phraseologismen. Sie sind polylexikalische und lexikalisierte Lexikoneinheiten, die sich vor allem hinsichtlich ihres höheren Irregularitätsgrades von den Phraseologismen anderer Klassen unterscheiden. Mit ‘Irregularität’ ist hier die Verletzung der produktiven Regeln gemeint. Diese äußert sich bei nicht-idiomatischen Phraseologismen wie einen Beschluss fassen in der nicht-vorhersehbaren Wahl des Verbs (warum fassen und nicht greifen? ). Vom kognitiven Standpunkt aus betrachtet ist es deswegen ökonomischer, sich den ganzen Wortkomplex statt die semantisch unmotivierten Kombinationsmöglichkeiten des Nomens Beschluss zu merken. Im Vergleich zu nichtidiomatischen Phraseologismen enthalten Idiome mehr nicht-vorhersehbare Elemente, d.h. sie sind irregulärer. In jemanden vor den Kopf stoßen sind nahezu alle Elemente nicht-vorhersehbar: die Wahl der Konstituenten (Warum vor und nicht auf den Kopf? Warum stoßen und nicht hauen? ), die Restriktionen im Paradigma (Sie stieß ihn unmittelbar vor den Kopf.) u.a.m. (vgl. Dobrovol’skij 1995, S. 18-20). In Hinblick auf die Frage nach der Distribution von einfachen und komplexen kommunikativen Ausdrücken ist vor allem der Lexikonstatus von Phraseologismen von Belang. Sowohl Idiome als auch nicht-idiomatische Phraseologismen zeichnen sich durch ihre Lexikalisierung aus. Diese Eigenschaft unterscheidet die Klasse der Phraseologismen von der der regulären, frei gebildeten Wortverbindungen. Gekoppelt an das Kriterium der Lexikalisierung ist eine relative Stabilität und Reproduzierbarkeit. Freie Wortverbindungen Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 79 werden hingegen produziert und nicht reproduziert, d.h. sie sind Sequenzen, die nach produktiven Regeln generiert werden. Dadurch ergibt sich ein Kontinuum mit zwei Polen: ... an einem Pol stehen absolut freie Wortverbindungen, an dem anderen absolut idiomatische, stark irreguläre polylexikalische Einheiten mit wortähnlichem Charakter. Die meisten Wortkombinationen liegen zwischen diesen beiden Polen und weisen je nach ihrer Stellung auf dieser Skala einen unterschiedlichen Grad der ‘Lexikoneinheit’ auf. (Dobrovol’skij 1995, S.17-18) Der Lexikonstatus von Phraseologismen ist nicht in jedem einzelnen Fall unumstritten. Problematisch ist nicht so sehr die Abgrenzung von Idiomen und nicht-idiomatischen Phraseologismen: Idiome, die sich durch ihre relativ geringe Irregularität nur geringfügig von den Phraseologismen anderer Typen unterscheiden, haben immer noch den Status einer Lexikoneinheit, denn sie gehören zwar zur Peripherie der Idiomatik, aber nicht zur Peripherie der Phraseologie. Schwieriger ist es, Phraseologismen von freien Wortverbindungen abzugrenzen. Nach Dobrovol’skij (1995) können Wortkomplexe wie Pech haben und jemandem eine Falle stellen sowohl als Phraseologismen wie auch als reguläre Verbindungen von metaphorisch gebrauchten Substantiven und von Verben in ihrer wörtlichen Bedeutung eingestuft werden. Aus diesem Grund werden Wortverbindungen, deren Lexikonstatus fragwürdig ist, von dieser Untersuchung ausgeschlossen. Wenn es tatsächlich zutrifft, dass der Grad der Irregularität der betreffenden Wortkomplexe mit ihrem ‘Grad der Lexikoneinheit’ korreliert, würde dies m.E. bedeuten, dass idiomatische Phraseologismen in höherem Maße lexikalisiert wären als nicht-idiomatische Phraseologismen. Wörter müssten somit als die stärksten Lexikalisierungen angesehen werden, während nicht-idiomatische Phraseologismen die schwächeren Lexikalisierungen wären. Idiome würden demnach eine Position zwischen diesen beiden Kategorien eirmehmen: ihr Lexikonstatus würde sich nach ihrem Irregularitätsgrad bemessen. Aus den vorangehenden Bemerkungen zum ‘Grad der Lexikoneinheit’ von lexikalischen Ausdrücken geht hervor, dass Konzepte in unterschiedlichem Maße lexikalisiert werden können. In manchen Fällen werden Konzepte aber auch gar nicht lexikalisiert. Wie ich im nächsten Abschnitt zeigen werde, gilt dies auch für die kommunikativen Konzepte. Dies bedeutet, dass der Lexikalisierungsraum für den Bereich der kommunikativen Ausdrücke außer Verben und Phraseologismen auch die zu diesem Bereich gehörenden lexikalischen Lücken umfasst. 80 Krisle! Proost 2.2 Lexikalische Lücken als Teil des Lexikalisierungsraums 2.2.1 Lücken im Lexikon Zwischen den Begriffen oder Konzepten einerseits und den lexikalischen Ausdrücken andererseits gibt es keine 1: 1 -Beziehung. Erstens gibt es lexikalische Einheiten ‘ohne Inhalt’, wie leere Subjekte (es in Es hagelt, Es schneit,...) und leere Objekte wie sich in sich freuen, sich schämen, usw. (vgl. z.B. Wunderlich 1997, S. 45). Zweitens lexikalisieren bestimmte Ausdrücke mehrere Konzepte, was sich in Homonymie- und Polysemiebeziehungen zwischen lexikalischen Ausdrücken äußert. Umgekehrt kann ein einziges Konzept auch durch mehrere synonyme Ausdrücke lexikalisiert sein. Begriffe oder Konzepte können aber auch unabhängig von den lexikalischen Ausdrücken, mit denen auf sie Bezug genommen wird, auf der konzeptuellen Ebene vorhanden sein. Dies zeigt sich besonders dann, wenn wir beim Lernen einer Fremdsprache auf die Lexikalisierung eines Begriffs stoßen, auf den wir in unserer Muttersprache nur mittels freier Wortkombinationen Bezug nehmen können. Häufig fehlen beispielweise Lexikalisierungen für die Oberbegriffe einer Kategorie (vgl. Fellbaum 1996). Das Niederländische verfügt z.B. nicht über ein Wort, das wie das deutsche Geschwister oder das englische sibling das Konzept ‘Bruder/ Brüder und Schwester(n)’ lexikalisiert. Dies bedeutet aber nicht, dass die Sprecher, deren Muttersprache keine entsprechende Lexikalisierung enthält, auch nicht über das betreffende Konzept verfügen. Auf die nicht-lexikalisierten Konzepte wird dann eben mit freien Wortkombinationen Bezug genommen, was sich in Äußerungen wie Ik heb drie broers en zussen (Tch habe drei Brüder und Schwestern’) zeigt. Umgekehrt gibt es weder im Deutschen noch im Englischen einen speziellen Ausdruck für ‘etwas gerne essen oder trinken’, wofür das Niederländische das Verb lüsten bereitstellt. Deutsch- oder Englischsprachige verwenden in diesem Fall eine freie Wortkombination (etwas gerne essen/ like to eat something) oder ein allgemeineres Verb wie mögen oder like, um auf das entsprechende Konzept zu referieren. Dennoch zeigen lexikalische Lücken sich nicht nur im Sprachvergleich. Von jemandem, der eine pessimistische Haltung im Allgemeinen oder zu einem bestimmten Sachverhalt einnimmt, sagen wir, dass er ‘schwarz sieht’. Auf die entsprechende optimistische Haltung kann aber nur mit freien Wortverbindungen wie optimistisch sein und nicht etwa mit *weiß sehen Bezug genommen werden. Ein weiteres Beispiel ist das Verb verarmen, dem ein antonymisches Gegenstück *verreichen fehlt. Sogar für Objekte, deren Gebrauch zum Alltagsleben gehört, fehlen uns manchmal Lexikalisierungen. Wie nennt man beispielsweise das Objekt, das die Kunden eines Supermarktes benutzen, um ihre Einkäufe von denen anderer Kunden zu trennen? Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 81 In manchen Fällen scheinen auch syntaktische Faktoren die Annahme der Existenz lexikalischer Lücken zu rechtfertigen. Nicht-lexikalisierte Oberbegriffe wie ‘geistiges Schaffen’ und ‘Schaffen aus rohem Material’ sind z.B. deswegen sinnvoll, weil man mit ihnen dem syntaktischen Verhalten mancher Verbgruppen gerecht werden kann. Verben des ‘Schaffens aus rohem Material’ wie beispielsweise weave und mold unterscheiden sich dadurch von Verben des ‘geistigen Schaffens’ wie etwa compose und fabricate, dass sie im Gegensatz zu dieser letzten Verbgruppe eine syntaktische Argumentalternierung erlauben. Vgl. dazu die folgenden Satzpaare (vgl. Fellbaum 1996): (1 a) She wove a rug from the black sheep's wool. (lb) She wove the black sheep’s wool into a rug. (2a) She composed a quartet out of the old folk song. (2b) *She composed the old folk song into a quartet. Das syntaktische Verhalten der beiden Verbgruppen scheint die Annahme von nicht-lexikalisierten Oberbegriffen wie ‘geistiges Schaffen’ und ‘Schaffen aus rohem Material’ durchaus zu rechtfertigen (vgl. Fellbaum 1996, S. 224-225). Überhaupt können Taxonomien vielfach nicht ohne die Angabe von Pseudo- Hyperonymen vollständig dargestellt werden, weil bestimmte Kategorien sonst unbenannt blieben. Verben wie gehen, spazieren und winken drücken z.B. kontrollierte Bewegung aus, während Verben wie stolpern und hinfallen unkontrollierte Bewegung ausdrücken. In einer Taxonomie müsste man diese Kategorien mittels künstlicher Hyperonyme wie ‘kontrollierte Bewegung’ und ‘unkontrollierte Bewegung’ voneinander unterscheiden. Diesen Oberbegriffen entsprechen aber keine nicht-komplexen verbalen Ausdrücke. 2.2.2 Lücken im Bereich der kommunikativen Ausdrücke Eine gewisse Asymmetrie zwischen der konzeptuellen und der lexikalischen Ebene ist auch im Bereich der kommunikativen Ausdrücke vorhanden. Manche kommunikative Konzepte können überhaupt nicht mittels singulärer oder deskriptiver lexikalischer Ausdrücke beschrieben werden. Ein bekanntes Beispiel ist der Akt der Minimisierung, der als eine typische Reaktion auf Handlungen des Dankes auftritt. Ein Sprecher, der einem Hörer einen Gefallen getan hat, für den der Hörer sich anschließend bedankt hat, äußert seinem Hörer gegenüber typischerweise kommunikative Formeln wie gerne geschehen, keine Ursache, bitte, bitte sehr, ... Das Deutsche verfügt aber über kein Verb, mit dem auf die sprachliche Handlung des Minimisierens Bezug genommen werden kann. 82 Kristel Proost Verschueren (1981) listet zahlreiche Fälle fehlender deskriptiver Lexikalisierungen für den Bereich der englischen und niederländischen Sprechaktverben auf. Bittet ein Sprecher einen Hörer beispielsweise um einen Gefallen, so kann dieser entweder positiv {selbstverständlich, mache ich gerne) oder auch negativ {nein, leider nicht) auf die Bitte des Sprechers antworten. Zur Beschreibung der negativen Antwort eignet sich ein Verb wie sich weigern. Die positive Antwort des Hörers kann aber nicht mit einem lexikalisierten Ausdruck beschrieben werden. Im Deutschen käme dafür allenfalls einer Bitte entsprechen in Frage, was, genauso wie comply with a request, eine Verhaltensweise und keinen Sprechakt zum Ausdruck bringt. Auch auf ein Verbot kann ein Hörer entweder positiv {gut, in Ordnung) oder negativ {Ich werde es trotzdem tun) antworten. In diesem Fall kann weder die positive noch die negative Antwort des Hörers mittels eines lexikalisierten Ausdrucks beschrieben werden. Selbstverständlich kämen dafür die Ausdrücke ein Verbot akzeptieren! zurückweisen in Frage, aber die Verben akzeptieren und zurückweisen beziehen sich nicht nur auf die Annahme bzw. die Ablehnung eines Verbots. So kann man z.B. auch einen Vorschlag, ein Angebot oder einen Plan akzeptieren oder zurückweisen. Dies bedeutet, dass die Verben zurückweisen und akzeptieren unspezifisch in ihrer Bedeutung sind, denn sie spezifizieren nicht die Annahme oder die Ablehnung eines Verbots. Für die Annahme oder Ablehnung eines Verbots stellt das Deutsche keinen speziellen deskriptiven lexikalischen Ausdruck zur Verfügung. Im Vergleich zum vorhergehenden Beispiel stellt sich diese Lücke als nicht absolut heraus. Während es für das Akzeptieren einer Bitte überhaupt keinen singulären kommunikativen Ausdruck gibt, kann man den sprachlichen Ausdruck der Annahme oder Ablehnung eines Verbots wenigstens mit allgemeineren Verben zum Ausdruck bringen. Ein weiteres Beispiel eines Konzepts, dem kein entsprechendes Verb zugeordnet werden kann, ist der Akt, der sich hinsichtlich der epistemischen Einstellung des Sprechers darin vom Akt des Lügens unterscheidet, dass der Sprecher die Proposition für wahr hält. Während auf die Handlung des Lügens mit lügen Bezug genommen werden kann, gibt es für die entsprechende Handlung, bei der der Sprecher die Proposition für wahr hält, kein Verb *wahrsagen. Statt eines Verbs wird für diese Handlung der Phraseologismus die Wahrheit sagen verwendet (vgl. Harras 1998). Ähnlich verhält es sich mit den Lexikalisierungen des Akts des Fragens. Hier fehlen Verben für die verschiedenen Arten von Fragen (Entscheidungsfrage, Ergänzungsfrage, ...), bereichsspezifische Fragen (Regiefrage, Sachfrage, ...), sprecherrollenbezogenes Fragen (Richterfrage, Studentenfrage,...) und adressatenbezogenes Fragen (Preisfrage, ...). Während es keine Wörter wie *entscheidungsfragen, *regiefragen usw. gibt, stellt das Deutsche doch die Möglichkeit zur Bildung von Phraseologismen, insbesondere des Funktionsverb- Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 83 gefüges eine x-Frage stellen zur Verfügung (vgl. Harras 1998). Wenn es tatsächlich zutrifft, dass Wörter die stabilsten und nicht-idiomatische Phraseologismen die schwächsten Lexikalisierungen sind, müsste man hier den Schluss ziehen, dass das Konzept ‘lügen’ z.B. stärker lexikalisiert ist als das Konzept ‘die Wahrheit sagen’. Die Frage, ob Kommunikationsverben und komplexe kommunikative Ausdrücke zufällig oder systematisch verteilt sind, wird sich erst aus einer Analyse des gesamten Lexikalisierungsbestands ergeben können. Die Beispiele zeigen, dass es einerseits kommunikative Konzepte gibt, die nicht mittels eines Kommunikationsverbs, wohl aber durch einen komplexen kommunikativen Ausdruck lexikalisiert werden. Diese Konzepte wären dann schwächer lexikalisiert als solche, die mittels eines Wortes lexikalisiert werden. Andererseits geht aus den Beispielen ebenfalls hervor, dass es für manche kommunikativen Konzepte keine spezifischen Lexikalisierungen gibt. Solche Konzepte werden dann mittels eines allgemeineren Ausdrucks auf eine etwas unbefriedigende Weise lexikalisiert. Manche Konzepte existieren aber auch völlig unabhängig von irgendwelchen Lexikalisierungen. Diese einleitenden Beobachtungen deuten bereits darauf hin, dass es mindestens zwei Arten von Lücken gibt. Wenn für die Lexikalisierung eines Konzepts überhaupt kein lexikalischer Ausdruck zur Verfügung steht, ist die Lücke absolut. In solchen Fällen, in denen ein Konzept mittels allgemeinerer Ausdrücke lexikalisiert werden kann, ist die Lücke vielmehr relativ. Auf jeden Fall zeigen diese Beispiele, dass lexikalische Lücken Teil des Lexikalisierungsraums für einen bestimmten Wortschatzausschnitt einer bestimmten Sprache sind: In all diesen Fällen geht es um Handlungen und Ereignisse, die wir uns gut vorstellen können, für die es aber keine Entsprechungen auf der lexikalischen Ebene gibt. 3. Die Darstellung des Lexikalisierungsraums 3.1 Ein Ordnungssystem für die kommunikativen Konzepte Wie soll man nun Vorgehen, wenn man sowohl die vorhandenen als auch die fehlenden Lexikalisierungen für einen bestimmten Wortschatzausschnitt einer bestimmten Sprache erfassen will? Herkömmliche Wörterbücher sind das Ergebnis von Untersuchungen der Lexikalisierungen einer Sprache im Allgemeinen oder für einen spezifischen Wortschatzbereich. Bei diesen Untersuchungen wird ein Bezug zwischen Konzepten und lexikalischen Ausdrücken hergestellt. Wörterbücher enthalten somit Aussagen über Lexikalisierungen. Sie sind Listen von Relationen zwischen Konzepten und lexikalischen Ausdrücken. Auf diese Weise kann gezeigt werden, in welchen Fällen ein Ausdruck mehrere Konzepte lexikalisiert und wann umgekehrt einem 84 Kristel Proost einzigen Konzept mehrere Ausdrücke gegenüberstehen. Es können also Bezeichnungsrelationen wie Synonymie, Hyponymie, Hyperonymie, Homonymie usw. erfasst werden. Allerdings können durch Untersuchungen von Lexikalisierungen weder die Relationen zwischen den Konzepten noch die zwischen den lexikalischen Ausdrücken erfasst werden. Diese können nur mittels eines Begriffsnetzes, das die Ordnung der Konzepte darstellt, bestimmt werden. Ein solches konzeptuelles Ordnungssystem hat den Vorteil, dass nicht nur einfache und komplexe Lexikalisierungen, sondern auch die fehlenden Lexikalisierungen, die lexikalischen Lücken, ermittelt werden können (siehe Harras 1998, S. 6-9). 3.2 Herkömmliche Sprechaktklassifikationen Die wohl bekanntesten Systeme zur Ordnung kommunikativer Konzepte sind die herkömmlichen Sprechaktklassifikationen. Da Sprechakte auf kommunikative Konzepte abbildbar sind, können Sprechaktklassifikationen, wie etwa die von Searle (1975) und Searle/ Vanderveken (1985), als ein Ordnungssystem für kommunikative Konzepte aufgefasst werden. Was innerhalb solch einer Klassifikation als eine lexikalische Lücke gilt und wie viele Lücken es gibt, wird durch die Art der Sprechaktklassifikation bestimmt. Diese ist ihrerseits von der Wahl und der Anzahl der Klassifikationskriterien sowie von der Anzahl der Ebenen, auf die diese Kriterien angewendet werden, abhängig. Ein Beispiel dafür, wie Unterschiede in der Klassifikation die Zahl der Lücken beeinflussen können, ist der folgende Vergleich der Sprechaktklassifikationen von Searle, Recanati und Vanparys (siehe Vanparys 1996, S. 28- 31). Die Klassifikation von Searle (vgl. Searle 1975) beruht auf drei Kriterien: dem illokutionären Zweck, der Entsprechungsrichtung zwischen den Worten und den Tatsachen und der psychischen Einstellung. Dem Kriterium des illokutionären Zwecks werden fünf Werte zugeordnet (assertiv, kommissiv, direktiv, deklarativ und expressiv), dem Kriterium der Entsprechungsrichtung entsprechen vier (Wort-zu-Welt, Welt-zu-Wort, beidseitig und keine) und dem Kriterium der psychischen Einstellung fünf Werte: Glauben, Absicht, Wunsch, variabel und sowohl Glauben als auch Wunsch. Da diese Kriterien nur auf eine Ebene angewendet werden, kann die Klassifikation auch als eine Matrix mit hundert (5x4x5) Slots dargestellt werden. Davon sind nur fünf gefüllt. Die Kombinationen von Werten für die Klassifikationskriterien führen hier nämlich zu Konfigurationen, die laut Vanparys empirisch unmöglich seien (vgl. Vanparys 1996, S. 30). Was Vanparys mit ‘empirisch unmöglich’ meint, ist allerdings unklar. Möglicherweise hat er damit diejenigen Kombinationen von Werten gemeint, die prinzipiell, d.h. logisch unmöglich sind. Die Suche nach Lexikalisierungen für solche Kom- Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 85 binationen wäre selbstverständlich sinnlos. Andererseits könnten mit ‘empirisch unmöglichen’ Kombinationen auch solche Kombinationen gemeint sein, die zwar prinzipiell möglich, aber in einer bestimmten Sprache nicht lexikalisiert sind. Solche Kombinationen würde Vanparys allerdings auch aus seiner Klassifikation heraushalten wollen, weil er der Meinung ist, dass eine Klassifikation immer saturiert sein müsse. Wenn man wie Recanati (1987, S. 160) bei der Klassifikation allerdings von der Entsprechungsrichtung zwischen den Worten und den Tatsachen ausgeht, kann man zwei Klassifikationsebenen unterscheiden. Auf der ersten Ebene können Direktiva und Kommissiva, die die gleiche Entsprechungsrichtung haben, zu einer Gruppe zusammengefasst werden. Auf der zweiten Ebene wird dann aufgrund des illokutionären Zwecks und/ oder aufgrund der psychischen Einstellung zwischen Direktiva und Kommissiva unterschieden. Vgl. dazu Abb. 1: Entsprechungsrichtung Wort-zu-Welt Welt-zu-Wort keine beidseitig illokutionärer Zweck assertiv kommissiv direktiv expressiv deklarativ psychische Einstellung Glauben Absicht Wunsch variabel Glauben und Wunsch Abb.l: Die Klassifikation von Recanati (1987) Gegenüber Searles Klassifikation hat die Klassifikation von Recanati den Vorteil, dass sie der Ähnlichkeit von Kommissiva und Direktiva gerecht wird und zwei Kriterien auf zwei unterschiedlichen Ebenen angewandt werden. Vanparys modifiziert die Klassifikation von Recanati weiter, indem er als zweites Klassifikationskriterium die psychische Einstellung wählt. Diese dient jetzt nur noch dazu, Direktiva und Kommissiva voneinander zu trennen. So kann er das problematische Etikett ‘variabel’ für die psychische Einstellung der Expressiva vermeiden. Vgl. dazu Abb. 2. (Die Spalte ‘Kategorie’ in Abb.2 ist das Ergebnis der Klassifikation und kein Klassifikationskriterium.) 86 Krisle! Proost Entsprechungsrichtung psychische Einstellung Kategorie Wort-auf-Welt Welt-auf-Wort Absicht Wunsch Assertiva Kommissiva keine beidseitig Direktiva Expressiva Deklarativa Abb. 2: Die Klassifikation von Vanparys (1996) Vergleicht man diese Klassifikation mit der von Searle, so stellt man fest, dass diese Klassifikation keine Lücken enthält, sie ist m.a.W. saturiert. Dies folgt daraus, dass das zweite Kriterium (die psychische Einstellung) nur auf die Gruppe mit der Entsprechungsrichtung ‘Welt-auf-Wort’ angewendet wird. Generell ist diesen Überlegungen zu entnehmen, dass die Lücken umso zahlreicher sind, je mehr Kriterien der Klassifikation zugrunde liegen und je geringer die Zahl der Ebenen ist, auf die diese Kriterien angewendet werden. Dass die Kombinationen von Werten manchmal zu unmöglichen Konfigurationen führen, ist zunächst einmal kein Hindernis. Wenn die Klassifikation u.a. zu logisch unmöglichen Kombinationen von Werten führt, müssen solche Kombinationen später aus der Klassifikation herausgenommen werden. Im Gegensatz zu logisch unmöglichen Kombinationen wären praktisch unmögliche Kombinationen solche, die man sich vorstellen kann, die aber beispielsweise aus pragmatischen Gründen nicht realisiert sind. Am interessantesten wären allerdings die praktisch möglichen, aber dennoch nicht aktualisierten Kombinationen. Wenn solche Lücken innerhalb einer Sprache systematisch auftreten, kann man aus dem Auftreten dieser Lücken bestimmte Lexikalisierungstendenzen für diese Sprache ableiten. Diese könnten auch im Sprachvergleich überprüft werden. Selbstverständlich könnten die Lücken auch rein zufällig verteilt sein. 3.3 Eine lexikalische Kombinatorik für Regulativa Eins der wenigen konkreten Beispiele eines Ordnungssystems für kommunikative Konzepte wurde bereits 1977 von Baumgärtner vorgeschlagen, der zeigt, dass performative Prädikate in Beziehungen auftreten, die sich über eine lexikalische Kombinatorik, d.h. über bestimmte Zusammenhänge bestimmter lexikalischer Komponenten, erklären lassen. Performative Prädikate stellen also lexikalische Systeme dar und verhalten sich hinsichtlich bestimmter Aspekte systematisch. Für eine semantische Theorie der performativen Prädikate ist dies deswegen wichtig, weil ein systematisches Verhalten dieser Prädikate theoretische Vorhersagen über verbal gegebene, aber auch Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 87 über nicht gegebene, performative Prädikate erlaubt. Die von Baumgärtner (1977) vorgeschlagene lexikalische Kombinatorik erlaubt es, mögliche performative Prädikate unmittelbar abzulesen und auch zu erkennen, welche Prädikate aus welchen Gründen kaum oder nicht möglich sind. Da Performative keine natürliche Taxonomie haben, bleibt nur die Möglichkeit einer indirekten induktiven Analyse. Diese setzt voraus, dass Performative wenigstens hinsichtlich gewisser kategorialer Aspekte übereinstimmen und diesbezüglich auch minimal unterschieden werden können. Baumgärtner (1977) setzt die Performative zunächst über diejenigen Eigenschaften in Beziehung, die sich als Variable mit festen Zahlen von Werten erweisen. Diese Eigenschaften liefern die kategorialen Aspekte. Die einzelnen Performative unterscheiden sich untereinander nur hinsichtlich der Werte, die sie für die jeweiligen Aspekte annehmen. Für die kategorialen Aspekte werden elementare Ausdrücke angesetzt. Diese entsprechen Feststellungen über das Bestehen der einzelnen Bedingungen für den Gebrauch der Prädikate und erhalten deswegen Wahrheitswerte. Ein Performativ, das das Bestehen bestimmter Gebrauchsbedingungen lexikalisiert, erhält für den entsprechenden Aspekt den Wert ‘wahr’. Performative, die das Nicht-Bestehen solcher Bedingungen lexikalisieren, erhalten den Wert ‘falsch’. Ein Performativ ist durch eine Wahrheitswerteverteilung über die betreffenden Ausdrücke für die kategorialen Aspekte vollständig bestimmt. Die Gesamtheit dieser Verteilungen bestimmt alle Performative, sowohl die aktualisierten als auch die möglichen nicht gegebenen. Einige der Verteilungen entfallen, weil sie Wertekombinationen enthalten, die sinnlos sind. Als Beispiel soll die lexikalische Kombinatorik von Baumgärtner (1977) für die Klasse der einfachen Regulativa dargestellt werden. Die Klasse der Regulativa umfasst die Direktiva und die Kommissiva. Einfache Regulativa setzen im Gegensatz zu komplexen keinen Vorkontext voraus. Die Ausdrücke für die kategorialen Aspekte der Klasse der einfachen Regulativa sind: 1. P: die Proposition p in der ‘aktualen Hinsicht’ des derzeitigen Gebrauchs durch den Sprecher. (Der Sprecher spricht sich für oder gegen das im Komplement ausgedrückte Ereignis aus.) 2. P’: die Proposition p in ‘kognitiver Hinsicht’ (die Erwartbarkeit des im Komplement ausgedrückten Ereignisses) 3. Sbj: die Subjektreferenz des Komplements: Sprecher (S) oder Adressat (A) 4. I s : l(S,P): das Interesse des Sprechers an P 5. I A : l(A,P): das Interesse des Adressaten an P 6. r s : l(S, P’): das Interesse des Sprechers an P’ 7. r A : l(A,P’): das Interesse des Adressaten an P’ 88 Kristel Proost Die einzelnen Performativa nehmen einen Wahrheitswert für jeden dieser kategorialen Aspekte an. Jedes Regulativ ist durch die Kombination der Wahrheitswerte für die jeweiligen kategorialen Aspekte vollständig bestimmt. Abb. 3 zeigt einige Beispiele solcher Kombinationen von Wahrheitswerten. (Die Punkte in der nachfolgenden Matrix deuten die Fälle an, in denen für die kategorialen Aspekte kein Wahrheitswert zugewiesen werden kann. Die mit einem Fragezeichen versehenen nicht-sprechaktbezogenen Prädikate stellen die Bedeutung der fehlenden Sprechaktverben dar, und das Symbol ‘0’ steht für fehlende Lexikalisierungen, deren Bedeutung auch nicht mittels nicht-sprechaktbezogener Prädikate repräsentiert werden kann.) P warnen f auffordern w 0 w 0 f 0: mas w 0: sad w '^vermeiden f P Sbj lg w A • f A w w S w f S w f S f f S w S f • • • • • • • • • • • • f • f Abb. 3: Kombinatorik für die einfachen Regulativa nach Baumgärtner (1977) Wie Abb. 3 zeigt, sind manche der Kombinationen im Deutschen durch lexikalische Ausdrücke wie etwa warnen und auffordern realisiert. Neben Wertekombinationen, die praktisch möglich und aktualisiert sind, gibt es auch noch solche, die logisch unmöglich sind. So sind die Kombinationen, die z.B. P: w un d P‘: w oder auch P: f und P‘: f enthalten, nicht logisch sinnvoll, denn mit der ersten Kombination würde der Sprecher sich für ein ohnehin erwartbares P aussprechen, während er sich im zweiten Fall gegen ein P aussprechen würde, dass ohnehin nicht erwartbar ist. Abgesehen von solchen logisch unmöglichen Kombinationen erwähnt Baumgärtner (1977) auch Wertekombinationen, die zwar logisch möglich, aber praktisch unmöglich sind. Dazu zählt etwa eine Kombination die P: w, P': f und l A : f enthält. Eine derartige Kombination würde einer Situation entsprechen, in der ein Sprecher sich für ein nicht-erwartbares P ausspricht, das aber nicht im Interesse des Adressaten ist. Für eine derartig ‘sadistische’ Ein- Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 89 Stellung käme höchstens das Verb drohen in Frage, welches aber gerade kein prototypisches Performativ ist. Wenn dieses Verb gelegentlich doch als Performativ verwendet wird, geschieht dies meist in Äußerungen wie Ich drohe Dir nur ungerne, mit denen der Sprecher seine Distanzierung gegenüber dieser negativen Wertekombination zum Ausdruck bringt. Auch die Kombination P: f und P‘: w ist immer dann praktisch unmöglich, wenn das P‘ im Interesse des Sprechers liegt. Diese Verteilung müsste mit einem ‘masochistischen Prädikat’ lexikalisiert werden. Wenn der Sprecher sich gegen ein erwartbares P ausspricht, wobei das P‘ im Interesse des Adressaten liegt, müsste diese Wertekombination wiederum durch ein ‘sadistisches Prädikat’ lexikalisiert werden usw. Nach Baumgärtner (1977) sind solche Kombinationen zwar denkbar und somit logisch grundsätzlich möglich, praktisch aber sind sie dennoch nicht möglich, weil sie ethisch fraglich sind. Für unsere Zwecke sind selbstverständlich diejenigen Verteilungen, die zwar praktisch möglich, aber dennoch nicht aktualisiert sind, am interessantesten. Ein Beispiel einer solchen Wertekombinationen ist in Abb. 3 mit dem nichtsprechaktbezogenen Verb vermeiden belegt. Ob solche Lücken systematisch oder rein zufällig verteilt sind, zeigt sich hier noch nicht. Um diese Frage zu beantworten, wäre ein System notwendig, mit dem alle Sprechaktverben mittels identischer kategorialer Aspekte erfasst werden. 3.4 Ein Ordnungssystem für die Kommunikationsverben Ein System, mit dem aber im Gegensatz zu Baumgärtners Kombinatorik (vgl. Baumgärtner 1977) alle Kommunikationsverben erfasst werden können, ist das konzeptuelle Ordnungssystem, das Harras (1995, 1998) zur Beschreibung der Bedeutung von Sprechaktverben entwickelt hat. Es wird dabei von einem sog. allgemeinen Rekurssituationstyp ausgegangen, einem Situationstyp, in dem sprachliche Kommunikation eine Rolle spielt und der dadurch beschrieben werden kann, dass ein Sprecher einem Hörer etwas mit einer bestimmten Absicht sagt. Der allgemeine Rekurssituationstyp zeichnet sich somit durch vier standardmäßige Situationsrollen aus: den Sprecher, den Hörer, das Äußerungsprodukt und eine komplexe kommunikative Einstellung des Sprechers. Von diesen vier Rollen, können zweien, nämlich dem Äußerungsprodukt und der Einstellung des Sprechers, kategoriale Aspekte zugeordnet werden, für die jeweils bestimmte Ausprägungen bestimmt werden können. Aufgrund der Zuordnung von kategorialen Aspekten zu zwei Situationsrollen und der Zuordnung der Ausprägungen zu diesen Aspekten werden spezielle Rekurssituationstypen aufgebaut, die das konzeptuelle Ordnungssystem für die Klassifizierung von Teilmengen kommunikativer Verben liefern. Wichtig ist hier, dass die kategorialen Aspekte sowie ihre Ausprägungen aus einer Verallgemeinerung einer induktiven Analyse, d.h. auf der Grundlage einer bestimmten Sprache, gewonnen werden, während die Möglichkeiten ihrer 90 Kristel Proost Ausprägungen systematisch und ohne Rücksicht auf einzelsprachliche Lexikalisierungen ausgerechnet werden. Das so gewonnene konzeptuelle Ordnungssystem ist somit in relativ hohem Maße sprachunabhängig (vgl. Harras 1995, Winkler 1996, Harras 1998; für eine detaillierte Darstellung dieses Ordnungssystems sowie des Projekts ESKA - Erklärende Synonymik Kommunikativer Ausdrücke vgl. Winkler in diesem Band). Durch die Möglichkeiten der Ausprägungen der jeweiligen kategorialen Aspekte erhält man Verteilungen, von denen manche durch Kommunikationsverben realisiert sind, andere nicht. Dieses konzeptuelle Ordnungssystem erlaubt es somit, alle möglichen Kommunikationsverben einer beliebigen Sprache, sowohl die tatsächlich gegebenen als auch die möglichen nichtgegebenen, mittels einer Verteilung der Möglichkeiten für bestimmte Ausprägungen der kategorialen Aspekte zu erfassen. Im Gegensatz zu Baumgärtners kategorialen Aspekten können die in diesem System benutzten Kategorien für alle Sprechaktklassen verwendet werden. Das System ermöglicht daher prinzipiell eine Antwort auf die Frage, ob die zu einem bestimmten Wortschatzausschnitt gehörenden lexikalischen Lücken systematisch oder vielmehr zufällig verteilt sind. Unsere Analysen der Verteilungen für einzelne Ausprägungen weisen jedoch bereits auf das Bestehen gewisser Tendenzen im Auftreten lexikalischer Lücken hin. Dies soll hier anhand der Lexikalisierungen von negierten Einstellungen exemplarisch dargestellt werden. Das Äußerungsprodukt kann mittels des Parameters des propositionalen Gehalts differenzierter betrachtet werden, während die komplexe Sprechereinstellung durch die Parameter der propositionalen Einstellung, der Sprecherabsicht und der Vorannahmen des Sprechers genauer beschrieben werden kann. Für die handlungsbezogene Sprecherabsicht gibt es prinzipiell die beiden Möglichkeiten S will: H tut P und S will: H tut nicht P. Im Deutschen gibt es aber keine Lexikalisierung für das Nicht-Tun oder Unterlassen von Hörerhandlungen bei initialen Aufforderungen. Für reaktive Direktiva spielt die Ausprägung des propositionalen Gehalts als P oder "T dagegen schon eine Rolle: es gibt erlauben für P und verbieten für ^P. Auch bei den Kommissiva und den Repräsentativa spielt die Ausprägung des propositionalen Gehalts als P oder -’P eine Rolle bei den reaktiven, aber nicht bei den initialen Prädikaten. Bei diesen beiden Sprechakttypen gibt es zusichern bzw. zustimmen für P und verzichten bzw. bestreiten für -'P. Bei den entsprechenden initialen Verben gibt es dagegen nur versprechen bzw. behaupten für P und _ ’P. Auf der zweiten Reaktionsstufe gibt es überhaupt nur für die Repräsentativa Lexikalisierungen (wie z.B. beharren auf), für die die Ausprägung des propositionalen Gehalts als P oder ^P wiederum nicht distinktiv ist. Direktive und kommissive Prädikate fehlen hier ganz; vgl. Abb. 4 und Harras (1998, S. 15). Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 91 Direktiva P v auffordern P erlauben - ■ P verbieten Pv-P ? Kommissiva Repräsentativa versprechen behaupten initial zusichern zustimmen reaktiv entsagen bestreiten reaktiv ? beharren auf re-reaktiv Abb. 4: Lexikalisierungen von negierten Einstellungen nach Harras (1998) Im nächsten Abschnitt werden wir ein System für die Ordnung von kommunikativen Konzepten verwenden, das 1981 von Edmondson vorgeschlagen wurde. Im Gegensatz zum konzeptuellen Ordnungssystem von Harras erfasst Edmondsons System nicht alle Kommunikationsverben. In dieser Hinsicht ist es weniger für die Darstellung des gesamten Lexikalisierungsraums geeignet. Es hat jedoch den Vorteil, dass für die Klassifikation der kommunikativen Konzepte weniger Parameter gebraucht werden. Aus diesem Grund ist das System einfacher und überschaubarer. Es eignet sich deswegen besonders für den Zweck einer Studie der Tendenzen der Lexikalisierung kommunikativer Konzepte. Es versteht sich, dass die aus diesem System resultierenden Ergebnisse nur als vorläufig betrachtet werden können und der weiteren Prüfung anhand des gesamten Lexikalisierungsbestands bedürfen. Das System von Edmondson (1981) wird im Folgenden zuerst erläutert. Anschließend wird der Aufbau dieses Modells als inkonsequent kritisiert. Anhand der Merkmale, die auch schon Edmondson verwendet, wird ein neues Modell aufgebaut, das es erlaubt, Lexikalisierungstendenzen und lexikalische Lücken klar zu erkennen. Dieses neue Modell wird dann als Ausgangspunkt für eine kontrastive Untersuchung von Lexikalisierungstendenzen im Deutschen, Russischen und Französischen verwendet. 3.5 Das Ordungssystem von Edmondson 3.5.1 Klassifikationskriterien Edmondson (1981) orientiert seine Klassifikation von Geschehenstypen an Leach (1964). Die für die sprachliche Kommunikation relevanten Konzepte werden von Edmondson zunächst anhand von Merkmalen erfasst, denen einer von zwei Werten (positiv oder negativ) zugeordnet wird. In einem nächsten Schritt werden den jeweiligen Wertekombinationen Lexikalisierungen zugeordnet. In denjenigen Fällen, in denen für bestimmte Wertekombinationen keine Lexikalisierungen vorhanden sind, liegen lexikalische Lücken vor. 92 Kristel Proost Die Klassifikation von Edmondson (1981) beruht auf den folgenden fünf Merkmalen: 1. Ein Geschehen A ist/ war der Fall (+) oder wird der Fall sein (-) 2. Entweder der Sprecher (S) oder der Hörer (H) ist in das Geschehen involviert: S ist in das Geschehen involviert (+); H ist in das Geschehen involviert (-) 3. Derjenige, der in das Geschehen involviert ist (entweder S oder H), kann für das Geschehen verantwortlich gemacht werden (+) oder auch nicht (-) 4. A hat erwünschte (+) oder unerwünschte (-) Folgen 5. für den Sprecher (+) oder für den Hörer (-) Aus der Kombination dieser Merkmale und der Zuweisung von Werten für die einzelnen von ihnen, ergibt sich eine Matrix mit 32 Werteverteilungen. Diesen werden auf intuitive Weise Lexikalisierungen zugeordnet. Die Fragezeichen in der Matrix sollen die Werteverteilungen andeuten, bei denen diese Vorgehensweise zu unsicheren Ergebnissen führte. Schrägstriche zwischen zwei Verben besagen, dass es sich hier um Verben mit unterschiedlicher Bedeutung handelt. Abb. 5 zeigt die von Edmondson hergestellte Matrix. Alle Lexikalisierungen und alle Angaben von lexikalischen Lücken in Abb. 5 stammen von Edmondson. Das Gleiche gilt für die Fragezeichen und die Schrägstriche. Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 93 boast, (self-praise, self-congratulate) ? ? (wie in I? ) 'llself-commiserationllself-criticism apologize 11 (wie in 1? ) 11 (wie in 1? ) 11self-commiserationllcomplain, 1curse sympathize, commiserate thank 10 congratulate, praise, compliment 11 complain, curse, eXcJexcuse, pardon etc. 12 sympathize, commiserate 13 llwelcome 14 congratulate, Icompliment 15 979 16 sympathize, commiserate 17 Iresolve, lundertake 18 promise, undertake etc.loffer, propose etc. 19 Iresolve not to, lundertake not to 20 warn, threaten 21 Iboast 22 99 23 99 llwarnl 11sympathize order, request, beg, plead etc. 24 25 26 instruct, advise, suggest, recommend etc. 27 order etc, (siehe 25) not to 28 instruct etc, (siehe 26) not to, prohibit 29 99 30 31 99 32 warn, advise that Abb. 5: Das Ordnungssystem von Edmondson (1981) 3.5.2 Kritik und ein alternatives Ordnungssystem Aus dieser Matrix lässt sich laut Edmondson (1981) eine grundsätzliche Tendenz der Lexikalisierung des kommunikativen Verhaltens ableiten: Kommunikatives Verhalten, das den Hörer unterstützt, wird häufig lexikalisiert, während kommunikatives Verhalten, das den Sprecher unterstützt, eher nicht lexikalisiert wird. Diese Lexikalisierungstendenz würde die soziale Maxime ‘Unterstütze die Kosten und den Nutzen deines Hörers! ’ widerspiegeln sowie die ihr untergeordneten Maximen ‘Unterdrücke deine eigenen Kosten und deinen Nutzen! ’ und ‘Erwidere die Vorteile, die du bekommst! ’ Es gebe laut Edmondson eine klare Verbindung zwischen solchen Maximen einerseits und 94 Kristel Proost dem Begriff der Höflichkeit sowie der Taktmaxime von Leech (1977) andererseits. Zu den Fällen, die der Tendenz nicht folgen, gehören z.B. vergangene Geschehen, für die der Hörer verantwortlich ist und die erwünschte Folgen für den Sprecher haben (Kombination 9). Für diese Kombination gibt es das Verb danken, obwohl das entsprechende kommunikative Verhalten des Hörers den Sprecher unterstützt. Das Vorhandensein einer entsprechenden Lexikalisierung erklärt sich aber daraus, dass der Akt des Dankens letztendlich den Hörer unterstützt, weil der Sprecher mit der Dankeshandlung die Bemühungen des Hörers beim Zustandekommen des Geschehens anerkennt. Ähnliches gilt für die Kombination in Zeile 13 (der Hörer ist involviert in ein vergangenes Ereignis mit erwünschten Folgen für S). Offensichtlich widersprechen auch die Lexikalisierungen für die Kombinationen 11 und 25 dieser Lexikalisierungstendenz. Dass solche Lexikalisierungen dennoch bestehen, führt Edmondson darauf zurück, dass wir ohne Handlungen wie Auffordem und Beklagen weder über die Möglichkeit der Kooperation noch über die der Vergeltung verfügen würden. Bei jeder sozialen Begegnung gebe es bei den Kommunikationspartnem eine gewisse Spannung zwischen einer Neigung zu Kontakt einerseits und andererseits einer Neigung, sich selbst zu verteidigen. Diese Spannung liege den komplexen Ritualen zugrunde, derer wir uns beim kommunikativen Verhalten bedienen. Dies würde erklären, warum wir über ein breites Spektrum von Lexikalisierungen für die Kombinationen in den Zeilen 11 und 25 verfügen. Die von Edmondson formulierte Lexikalisierungstendenz ist allerdings teilweise nur schwer zu überprüfen. Erstens würde eine systematische Anordnung von Handlungen und Ereignissen sicherlich mehr Klarheit in die Daten bringen. Die Trennung von Handlungen und Ereignissen ist bereits in Edmondsons Merkmalen impliziert. Man könnte diese zwei Kategorien allerdings klarer auseinander halten, wenn man die entsprechenden Geschehen tatsächlich auch ‘Handlungen’ bzw. ‘Ereignisse’ nennen würde. Man könnte z.B. ein Geschehen, wofür entweder S oder H verantwortlich ist, eine ‘Handlung’ nennen und ein Geschehen, wofür weder S noch H verantwortlich ist, ein ‘Ereignis’. Tendenzen würden sich wahrscheinlich deutlicher zeigen, wenn alle Handlungen und alle Ereignisse zu jeweils einer Gruppe zusammengefasst würden und man sie auch so in der Matrix anordnen würde. Zweitens ist die Menge der Lexikalisierungen unvollständig, weil nur einfache und keine komplexen Lexikalisierungen angeführt wurden. Hierauf werde ich gleich näher eingehen. Auf diese Weise entstehen Lücken, die mittels Phraseologismen gefüllt werden können und die somit gar keine Lücken sind. Drittens enthält die Matrix Lexikalisierungen, die dort nicht hingehören, weil sie keine Sprechaktverben sind. Ein Beispiel ist resolve, das zwar eine Einstellung, aber keine sprachliche Handlung zum Ausdruck bringt. Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 95 Im Folgenden werden wir nun die Matrix hinsichtlich dieser drei Aspekte ändern. Der Aufbau dieser neuen Matrix ist in Abb. 6 dargestellt: Die von Edmondson formulierten Lexikalisierungstendenzen werden anhand dieser neuen Klassifikation von Handlungs- und Ereignistypen sowie einer auf dieser Klassifikation basierenden Matrix überprüft. Zugleich werden wir diese Matrix als Ausgangspunkt für eine kontrastive Untersuchung von Lexikalisierungstendenzen des Deutschen, Französischen und Russischen verwenden. Die Ergebnisse des neu geordneten Systems werden in Abb. 7 a-h dargestellt. (Ausdrücke, die nur einer Stelle in der Matrix Vorkommen, sind kursiv gesetzt.) Für die Hilfe mit den französischen Daten danke ich Eva Burkhart und Jacqueline Kubczak, für die russischen Daten danke ich Dmitrij Dobrovol’skij. 96 Kristel Proost 4. Ergebnisse 4.1 Lexikalisierungstendenzen 4.1.1 Die Daten der Matrix In diesem Abschnitt werden die Lexikalisierungsmöglichkeiten für die durch die jeweiligen Kombinationen repräsentierten Konzepte diskutiert. VERGANGENE HANDLUNGEN DES SPRECHERS Vergangene Handlung des S; positiv für S Französisch 1 glorifier ses actes 2 se vanter 3 cräner 4 afficher 5 se feliciter de 6 faire le fanfaron 7 faire etalage de Deutsch 1 prahlen 2 protzen 3 aufschneiden 4 sich selbst rühmen/ loben 5 mit etwas angeben 6 den Mund (zu) voll nehmen 7 große Reden schwingen Russisch 1 baxvalit’sja (UMG.) 2 xvalit’sja 3 zadavat’sja (UMG.) 2. Vergangene Handlung des S; positiv für H Deutsch Französisch 1 glorifier ses actes 2 se vanter 3 cräner 4 afficher 5 se feliciter de 6 faire le fanfaron 7 faire etalage prahlen protzen aufschneiden sich selbst rühmen/ loben, (dass man etwas fur H getan hat) damit angeben, (dass man sich H gegenüber toll verhalten hat) den Mund (zu) voll nehmen große Reden schwingen Russisch 1 baxvalit’sja (umg.) 2 xvalifsja 3 zadavafsja (UMG.) Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 97 3. Vergangene Handlung des S; negativ für S Französisch 1 regretter (hybrid) 2 deplorer (hybrid) 3 s'accuser 4 se culpabiliser 5 s'imputer la faute Deutsch 1 etwas bedauern (HYBRID) 2 bereuen (hybrid) 3 sich selbst beschuldigen 4 sich selbst bezichtigen 5 sich selbst die Schuld geben (HYBRID) Russisch 1 sozalet ’ (HYBRID) 3 obvinjat’ sebja (HYBRID) 4. Vergangene Handlung des S; negativ für H Französisch 1 regretter (HYBRID) 2 döplorer (HYBRID) 3 s'excuser 4 faire/ donner ses excuses 5 demander/ implorer pardon 6 se culpabiliser Deutsch 1 etwas bedauern (hybrid) 2 bereuen (HYBRID) 3 sich entschuldigen 4 um Entschuldigung/ Vergebung/ Verzeihung bitten 5 eine Entschuldigung aussprechen Russisch 1 vyrazat ’ sozalenie 3 izvinjat ’sja 4 prinosit ’ (svoi) izvinenija 5 prosit'proscenija Abb. 7a Von den Kombinationen 1-4 repräsentiert nur die in Block 4 hörerunterstützendes Verhalten: Der Sprecher drückt sein Bedauern oder sein Schuldbewusstsein angesichts einer vergangenen, von ihm ausgeführten Handlung mit negativen Folgen für den Hörer aus. Die Kombinationen 1 und 2 erfassen Verhalten, das den Sprecher unterstützt. Mit den Lexikalisierungen, die in diesen Blöcken aufgelistet werden, wird auf vergangene Sprecherhandlungen mit positiven Folgen für S oder H Bezug genommen. In beiden Fällen betont der Sprecher aber sein eigenes Verdienst beim Zustandekommen dieser als positiv bewerteten Handlungen. Für all diese Verhaltensweisen gibt es viele Lexikalisierungen, die jedoch alle unspezifisch in ihrer Bedeutung sind. Dies zeigt sich darin, dass die vorhandenen Lexikalisierungen zu mehreren Wertekombinationen passen. 98 Kristel Proost Da es sowohl für das hörerunterstützende als auch für das sprecherunterstützende Verhalten viele solcher unspezifischen Lexikalisierungen gibt, wird Edmondsons Behauptung durch die in diesen Zeilen vorhandenen Lexikalisierungen weder bestätigt noch widerlegt. ZUKÜNFTIGE HANDLUNGEN DES SPRECHERS 5. Zukünftige Handlung des S; Deutsch positiv für S 0 Französisch 0 Russisch 0 6. Zukünftige Handlung des S; positiv für H Französisch 1 promettre 2 dormer une/ sa promesse 3 jurer 4 proposer 5 offrir 1 s'obliger 8 prendre un engagement 9 contracter une obligation Deutsch 1 versprechen 2 ein Versprechen geben 4 vorschlagen 5 einen Vorschlag machen 6 anbieten 1 jemandem ein Angebot unterbreiten 8 sich verpflichten 9 eine Verpflichtung übernehmen/ aufsich nehmen Russisch 1 obescat ’ 2 dat' obescanie 4 predlagat’ 5 vystupit' c presdlozeniem (OFFIZIELL) 6 vnesti predlozenie (OFFIZIELL) 7 vzjat' na sebja objaztel 'stvo 1. Zukünftige Handlung des S; Deutsch negativ für S 0 Französisch 0 Russisch 0 Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 99 8. Zukünftige Handlung des S; negativ für H Französisch 1 menacer 2 jurer vengeance 4 annoncer des sanctions/ repressions 5 envoyer un ultimatum Deutsch 1 drohen 2 jemandem etwas androhen 3 Drohungen ausstoßen 4 Sanktionen androhen/ verhängen 5 ein Ultimatum stellen Russisch 1 ugrozat' 2 preduprezdat’ 3 predosteregat’ 4 ob javit ’ o predstojascix sankcijax 5 stavit ’ ul 'timatum Abb. 7b Block 6 bestätigt zunächst die von Edmondson formulierte Tendenz: für die zukünftigen Handlungen des Sprechers mit positiven Folgen für den Hörer gibt es viele Lexikalisierungen, die zudem auch nur dieser Wertekombination zugeordnet werden können. Die Lexikalisierungen für das Englische ergeben hier das gleiche Bild wie im Deutschen: Das Englische verfügt für diese Wertekombination über lexikalische Ausdrücke wie promise, propose, offer, commit oneself sowie über die entsprechenden Kollokationen make/ give a promise, make a proposal/ an offer, usw. Für die Kombination in Block 5 (zukünftige Handlungen des Sprechers mit positiven Folgen für den Sprecher) gibt es keine Lexikalisierungen, was die Tendenz zunächst zu bestätigen scheint. Ein Sprechakt, der dieser Wertekombination entsprechen würde, wäre irrational. Ein Sprecher, der sich zu etwas entschließt, nimmt an, dass das, wozu er sich entschließt, keine Folgen hat, die er als negativ für sich selbst bewerten würde. Ein Ausdruck dafür wäre ‘sich selbst etwas versprechen’. Edmondson erwähnt hier (allerdings mit Fragezeichen) die Verben resolve und undertake. Resolve ist aber kein Kommunikationsverb, und undertake würde in der intendierten Lesart ‘sich verpflichten’ eher zu Verben wie versprechen (Block 6) passen. Kommunikative Konzepte, die mit der Kombination 5 erfasst werden, sind zwar denkbar und somit kommunikationslogisch auch prinzipiell möglich, praktisch sind sie aber kaum möglich. Da das durch die Kombination 5 dargestellte kommunikative Verhalten praktisch unmöglich ist, ist es auch fragwürdig, ob diese Lücke die besagte Tendenz tatsächlich bestätigt. Für die Lexikalisierung der Kombination in Block 8 verfügt das Deutsche (wie auch das Englische) über ein relativ breites Spektrum an Möglichkeiten. Da es hier um Ausdrücke geht, die wie drohen, androhen bzw. threaten, utter a threat usw. zukünftige Handlungen des Sprechers mit negativen Folgen für 100 Kristel Proost den Hörer ausdrücken, widerspricht das Vorhandensein solcher Lexikalisierungen Edmondsons Hypothese. Kommunikatives Verhalten, das der Kombination in Block 7 entsprechen würde (zukünftige Handlungen des Sprechers, negativ für den Sprecher), wäre wiederum irrational. Auszudrücken wäre ‘sich aufopfem’, ‘sich schinden’. Dies auch zu äußern wäre irrational. Edmondson erwähnt hier (wiederum mit Fragezeichen) die Wortkomplexe resolve not to und undertake not to, die m.E. keine lexikalischen Einheiten sind. Da hier eine praktische Lücke vorliegt, kann das Fehlen von Lexikalisierungen nicht unbedingt als Widerspruch zur Hypothese ausgelegt werden. VERGANGENE HANDLUNGEN DES HÖRERS 9. Vergangene Handlung des H; Deutsch positiv für S 1 danken 2 seinen Dank aussprechen 3 vor Dank zerfließen 4 loben 5 ein Loblied aufjemanden anstimmen/ singen 6 jemandes Lob singen 7 jemandem ein Lob erteilen 8 jemanden mit Lob überschütten/ überhäufen 9 sich in Lob ergehen Russisch 1 blagodarit ’ 2 vyrazat ’ blagodarnost (OFFIZIELL) 3 rassypat 'sja v blagodarnostjax 4 xvalit’ 5 pet' difiramby 6 osypat’poxvalami 1 rastocat' poxvaly Französisch 1 remercier 2 exprimer sa reconnaissance 3 dire merci 4 louer 5 exprimer ses louanges 6 chanter les louanges de qn 7 glorifier 8 celebrer 9 feliciter 10 louanger 11 vanter qn. 13 rendre hommage ä qn. 14 donner des coups d'encensoir Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 101 10. Vergangene Handlung des H; positiv für H Französisch 1 louer 2 glorifier 3 cölebrer 4 louanger 5 vanter qn. 6 dormer des coups d'encensoir 8 feliciter 9 rendre hommage ä qn. 10 faire un compliment/ des compliments ä qn. 11 complimenter qn. Deutsch 1 loben 2 ein Loblied aufjemanden anstimmen/ singen 3 jemandes Lob singen 4 jemandem ein Lob erteilen 5 jemanden mit Lob überschütten/ überhäufen 6 sich in Lob ergehen 8 gratulieren 9 beglückwünschen 10 jemandem ein Kompliment machen Russisch 1 xvalit’ 8 pozdravljat’ 9 delat’ komplimenty (HYBRID) 11. Vergangene Handlung des H; negativ für S Deutsch 1 sich beklagen 2 Klage fuhren 3 ein Klagelied über jdn. anstimmen 4 jammern lamentieren sich beschweren bedauern 8 jemanden verfluchen 9 einen Fluch überjemanden aussprechen/ verhängen 10 jemanden verdammen 11 jemanden verwünschen 12 jemandenfreisprechen 13 jemandem verzeihen 14 jemanden entschuldigen 15 jemanden beschuldigen 16 jemanden bezichtigen 19 kritisieren 20 tadeln 21 vorwerfen 22 jemandem einen Vorwurfmachen 102 Kristel Proost Französisch 1 se plaindre 2 räler 3 rouspeter (UMG.) 4 faire des jeremiades 8 maudire 12 pardonner (qc. ä qn.) 15 accuser 16 inculper qn. 17 acquitter 18 condamner 19 critiquer 20 desapprouver 21 reprouver 22 reprocher 23 faire des reproches a qn. Russisch 1 zalovat’sja 2 plakat’sja 8 proklinat’ 9 kljast' poslednimi slovami 15 obvinjat’ 19 kritikovat’ 22 uprekat’ 12. Vergangene Handlung des H; negativ für H Französisch 1 plaindre qn. 2 compatir qn. 3 temoigner sa pitie/ compassion Deutsch 1 jemanden bedauern 2 bemitleiden (HYBRID) 3 jemanden beweinen 4 jemanden beklagen Russisch 1 zalet’ 3 socuvstvovat’ (hybrid) 4 vyrazat’ socuvstvie 5 zloradstvovat' Abb. 7c Das kommunikative Verhalten, das mittels der Kombinationen 9, 10 und 12 erfasst wird, ist hörerunterstützend. Mit der Kombination in Block 12 werden Handlungen mit negativen Folgen für den Hörer erfasst. Die Lexikalisierungen in diesem Block bringen aber das Bedauern des Sprechers angesichts dieser negativen Folgen für H zum Ausdruck. Insofern ist das Verhalten, das mit diesen Kombinationen erfasst wird, hörerunterstützend. In Block 9 finden sich einige wenige Ausdrücke, die nur zu dieser Kombination passen und daher sehr spezifisch in ihrer Bedeutung sind {danken, seinen Dank aussprechen, ...). Insofern bestätigt das Bestehen dieser Ausdrücke die Hypothese. Die übrigen Ausdrücke, die die Kombinationen in 9, 10 und 12 lexikalisieren, sind unspezifisch in ihrer Bedeutung. Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 103 Die Kombination in Block 11 erfasst kommunikatives Verhalten, das den Sprecher unterstützt, denn es geht hier um Bezeichnungen von vergangenen Hörerhandlungen, die als negativ für den Sprecher bewertet werden. Neben unspezifischen Lexikalisierungen, finden sich hier auch zahlreiche spezifische, wie etwa kritisieren, tadeln, vorwerfen, jmdm. einen Vorwurf machen usw. Das Vorhandensein dieser Ausdrücke widerspricht Edmondsons Hypothese. ZUKÜNFTIGE HANDLUNGEN DES HÖRERS 13. Zukünftige Handlung des H; positiv für S Deutsch 1 auffordern 2 verlangen 8 bitten 9 flehen 10 jemanden anflehen 11 erlauben Französisch 1 demander (une faveur) 2 exiger 3 ordonner 4 sommer 5 charger 6 inciter (qn.) 7 pousser (qn.) 8 prier 9 supplier 11 permettre 12 autoriser Russisch 1 trebovat' 8 prosit’ 9 umoljat Vuprasivat ’ 11 pozvolit’ 14. Zukünftige Handlung des H; positiv für H Französisch conseiller 2 proposer 3 recommander 4 inciter 5 pousser Deutsch 1 raten 2 vorschlagen 3 empfehlen Russisch 1 sovetovat’ 2 predlagat’ 3 rekomendovat’ 6 ob' javlat' o svoix namereni/ ax 104 Kristel Proost 15. Zukünftige Handlung des H; negativ für S Französisch 1 dcfendre 2 interdire 3 deconseiller 4 dissuader 5 permettre 6 autoriser Deutsch 1 verbieten 2 untersagen 3 abraten 4 jemandem etwas ausreden 5 jemanden von etwas abbringen 6 zulassen 1 erlauben Russisch 1 zaprescat’ 3 otsovetovat’ 4 otgovarivat’ 5 pozvolif 16. Zukünftige Handlung des H; negativ für H Französisch 1 imposer qc. ä qn. 2 mettre qc. sur le dos de qn. 4 interdire 5 defendre 6 dbconseiller 7 dissuader 9 permettre 10 autoriser Deutsch 1 jemandem etwas zumuten (HYBRID) 2 jemandem etwas aufs Auge drücken (HYBRID) 3 jemandem etwas aufbürden (HYBRID) 4 verbieten 5 untersagen 6 abraten 7 jemandem etwas ausreden 8 jemanden von etwas abbringen 9 erlauben Russisch 1 vzvalit' 4 zaprescat’ 6 otsovetovat’ 7 otgovarivat’ 9 pozvolit’ Abb. 7d Die Kombination in Block 14 erfasst kommunikatives Verhalten, das den Hörer unterstützt. Dieser Kombination können viele Ausdrücke zugeordnet Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 105 werden, die zudem sehr spezifisch in ihrer Bedeutung sind, d.h. sie passen nur zu dieser Kombination. Verhalten, das den Sprecher klar unterstützt, wird mit der Wertekombination in Block 13 erfasst, der nun gerade auch viele spezifische Lexikalisierungen entsprechen, was somit Edmondsons Hypothese völlig umwirft. VERGANGENE EREIGNISSE, IN DIE DER SPRECHER INVOLVIERT IST 17. Vergangenes Ereignis; S involviert; positiv für S Französisch 1 se föliciter 2 s'estimer heureux Deutsch 1 sich glücklich preisen/ schätzen (HYBRID) 2 sich selig schätzen (hybrid) 3 dem Himmel/ dem Schicksal danken Russisch 1 pozdravif sebja 2 blagodarif nebo/ boga/ sud’bu 18. Vergangenes Ereignis; S involviert; Deutsch positiv für H 0 Französisch 0 Russisch 0 19. Vergangenes Ereignis; S involviert; negativ für S Französisch 1 maudire 4 se plaindre (de)/ (aupres de qn.) 5 deplorer 6 confier sa douleur 7 s- 'appitoyer sur soi-meme 8 se lamenter sur son sort 9 se repandre en lamentations 10 faire des jeremiades Deutsch 1 verfluchen 2 über etwas fluchen 3 das Schicksal verfluchen 4 über etwas klagen 5 Klage fuhren 6 ein Klagelied über etwas anstimmen 7 sein Leid klagen 8 jammern 9 lamentieren 10 sich selbst beweinen 11 sich selbst bemitleiden (HYBRID) Russisch 1 proklinaf 2 proklinaf sud'bu 4 zalovat’sja 5 zalet’ sebja 6 plakat’sja 7 zalovafsja na sud’bu 106 Kristel Proost 20. Vergangenes Ereignis; S involviert; negativ für H Französisch 1 s'appitoyer 2 plaindre (qn.) 3 ddplorer (qn.) 4 faire des jeremiades Deutsch 1 bemitleiden (hybrid) 2 jemanden bedauern 3 jemanden beweinen 4 jemanden beklagen Russisch 1 vyrazat’ socuvstvie/ solidamost’ Abb. 7e Hörerunterstützend ist das Verhalten, das mit den Kombinationen 18 und 20 beschrieben wird. Vergangene Ereignisse, in die der Sprecher involviert ist und die positive Folgen für den Hörer haben (Block 18), werden gar nicht lexikalisiert. Dieser Wertekombination würde ein Sprechakt entsprechen, bei dem der Sprecher den Hörer glücklich preist für das, was ihm (dem Sprecher) zugestoßen ist. Solche Sprechakte würden an die Grenze der kommunikationslogischen Unmöglichkeit stoßen. Hörerunterstützend ist auch das Verhalten, das durch die Kombination in Block 20 beschrieben wird: der Sprecher drückt sein Bedauern oder Mitleid aus gegenüber einem Hörer, der von einem Ereignis, in das der Sprecher involviert war, negativ betroffen ist. Dieses Verhalten kann mittels (unspezifischer) lexikalischer Ausdrücke lexikalisiert werden. Die Kombination 17 widerspricht der Hypothese vollkommen. Im Deutschen wird diese Kombination nur mittels Kollokationen wie sich glücklich/ selig preisen/ schätzen und dem Himmel/ Schicksal danken lexikalisiert. Im Englischen steht außerdem das Verb congratulate (oneself) zur Verfügung. Angesichts der Tatsache, dass das entsprechende kommunikative Verhalten sprecherunterstützend ist, kann das Auftreten von Lexikalisierungen an dieser Stelle nur verwundern. Mit der Kombination 19 verhält es sich genau umgekehrt: das mit dieser Kombination lexikalisierte Verhalten unterstützt den Sprecher gerade nicht und ist trotzdem lexikalisiert. Auch dieses Ergebnis wäre aufgrund der von Edmondson formulierten Hypothese wohl kaum zu erwarten gewesen. Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 107 ZUKÜNFTIGE EREIGNISSE, IN DIE DER SPRECHER INVOLVIERT IST 21. Zukünftiges Ereignis; S involviert; positiv für S Französisch 1 prödire 2 prophetiser Deutsch 1 prophezeien 2 Vorhersagen Russisch 1 predskazyvat’ 22. Zukünftiges Ereignis; S involviert; positiv für H Französisch 1 predire 2 prophetiser Deutsch 1 prophezeien 2 Vorhersagen Russisch 1 predskazyvat’ 23. Zukünftiges Ereignis; S involviert; negativ für S Französisch 1 predire 2 prophetiser 3 tenter le diable Deutsch 1 prophezeien 2 Vorhersagen 3 schwarz malen 4 heraufbeschwören 5 den Teufel an die Wand malen 6 unken Russisch 1 predskazyvat’ 3 karkat’ 24. Zukünftiges Ereignis; S involviert; negativ für H Französisch 1 predire 2 prophetiser 3 tenter le diable Deutsch 1 prophezeien 2 Vorhersagen 3 schwarz malen 4 heraufbeschwören 5 den Teufel an die Wand malen 6 unken Russisch 1 predskazyvat’ 3 karkat’ Abb. 7f Hier kommen fast überall die gleichen Lexikalisierungen vor. Der einzige Unterschied besteht in der Lexikalisierung der Bewertung des zukünftigen Ereignisses. Für zukünftige Ereignisse, die negativ bewertet werden, gibt es im Deutschen spezifische Ausdrücke wie schwarz malen, unken oder den Teufel an die Wand malen. Dabei spielt es allerdings keine Rolle, für wen das 108 Kristel Proost Ereignis als negativ eingeschätzt wird. Der Kostenträger wird hier also nicht lexikalisiert. Im Englischen gibt es keine Möglichkeit, die negative Bewertung zu lexikalisieren. Eine Möglichkeit, eine positive Bewertung zu lexikalisieren, gibt es weder im Deutschen noch im Englischen. Hörerunterstützend ist das Verhalten, das mit der Kombination in 22 erfasst wird. Hier gibt es aber genau die gleichen Verben wie für das entsprechende sprecherunterstützende Verhalten (Block 21). Die Daten in den Blöcken 21-24 zeigen, dass hörerunterstützendes und sprecherunterstützendes Verhalten, das sich auf zukünftige Ereignisse, in die der Sprecher involviert ist, bezieht, gleichermaßen lexikalisiert sind. Damit widersprechen diese Daten dem Teil der Hypothese, der besagt, dass sprecherunterstützendes Verhalten eher nicht lexikalisiert wird. VERGANGENE EREIGNISSE, IN DIE DER HÖRER INVOLVIERT IST 25. Vergangenes Ereignis; H involviert; positiv für S Französisch 1 saluer 2 s'estimer heureux Deutsch 1 begrüßen (HYBRID) 2 sich glücklich preisen Russisch 1 privetstvovat' 26. Vergangenes Ereignis; H involviert; positiv für H Französisch 1 feliciter 2 presenter ses felicitations 3 faire un compliment/ des compliments ä qn. 4 complimenter qn. Deutsch 1 gratulieren 2 beglückwünschen 3 jemandem ein Kompliment machen Russisch 1 pozdravljat’ 3 delat’ komplimenty 27. Vergangenes Ereignis; H involviert; negativ für S Deutsch 1 lamentieren 2 sich selbst bedauern Französisch 1 se plaindre 2 faire des jeremiades Russisch 1 zalet’ sebja 2 plakat’sja Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 109 28. Vergangenes Ereignis; H involviert; negativ für H Französisch 1 plaindre (qn.) 2 temoigner sa compassion 3 compatir (ä qn.) 4 s'appitoyer (sur qn.) 5 deplorer (qn.) Deutsch 1 jemanden bedauern 2 bemitleiden Russisch 1 vyrazat’ socuvstvie/ solidamost’ 2 socuvstvovat’ (hybrid) Abb. 7g Die Kombinationen 26 und 28 erfassen hörerunterstützendes kommunikatives Verhalten. Für beide Kombinationen gibt es Lexikalisierungen, wenngleich auch unspezifische. Das durch Kombination 28 erfasste Verhalten ist deswegen hörerunterstützend, weil ein Sprecher sein Bedauern oder Mitleid zum Ausdruck bringt gegenüber einem Hörer, der in ein Ereignis mit für ihn unerwünschten Folgen involviert war. Sprecherunterstützend ist das Verhalten, das durch die Kombination in Block 25 beschrieben wird. Allerdings gibt es auch hier (unspezifische) lexikalische Ausdrücke. Die Ergebnisse für die Blöcke 25-28 legen den Schluss nahe, dass sowohl hörerunterstützendes als auch sprecherunterstützendes Verhalten lexikalisiert wird. Edmondsons Behauptung, dass kommunikatives Verhalten, das den Sprecher unterstützt, eher nicht lexikalisiert wird, wird somit durch diese Beobachtungen widerlegt. ZUKÜNFTIGE EREIGNISSE, IN DIE DER HÖRER INVOLVIERT IST 29. Zukünftiges Ereignis; H involviert; positiv für S Französisch 1 predire 2 prophetiser Deutsch 1 prophezeien 2 Vorhersagen Russisch 1 predskazyvaf 30. Zukünftiges Ereignis; H involviert; positiv für H Deutsch 1 prophezeien 2 Voraussagen Französisch 1 predire 2 prophetiser Russisch predskazyvat’ 110 Kristel Proost 31. 32. Zukünftiges Ereignis; H involviert; negativ für S Französisch 1 predire 2 prophetiser 3 tenter le diable Deutsch 1 prophezeien 2 Voraussagen 3 schwarz malen 4 den Teufel an die Wand malen 5 unken Russisch 1 predskazyvat’ 3 karkat’ Zukünftiges Ereignis; H involviert; negativ für H Französisch 1 predire 2 prophetiser 3 tenter le diable 6 avertir 7 prevenir Deutsch 1 prophezeien 2 Voraussagen 3 schwarz malen 4 den Teufel an die Wand malen 5 unken 6 warnen Russisch 1 predskazyvat’ 3 karkat’ 6 preduprezdat’ 7 predosteregat’ Abb. 7h Die Ergebnisse für die Blöcke 29-32 entsprechen denjenigen für die Blöcke 21-24: die Lexikalisierungen sind größtenteils die gleichen in allen Zeilen. Nur die unterschiedliche Bewertung wird lexikalisiert. Der Aspekt des Kostenträgers wird aber nicht zum Ausdruck gebracht. Hörerunterstützend ist das durch die Kombination 30 beschriebene kommunikative Verhalten. Dies wird aber gleichermaßen lexikalisiert wie das in Block 29 erfasste Verhalten, das den Sprecher unterstützt. Die Daten widersprechen somit dem Teil von Edmondsons Hypothese, der besagt, dass sprecherunterstützendes Verhalten eher nicht lexikalisiert wird. 4.1.2 Schlussfolgerung Zusammenfassend kann gesagt werden, dass alleine schon die Verteilung der lexikalischen Ausdrücke, mit denen Ereignisse beschrieben werden, der von Edmondson formulierten Hypothese widerspricht: sprecherunterstützendes Verhalten wird etwa in dem gleichen Maße wie hörerunterstützendes Ver- Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 111 halten lexikalisiert. Dies gilt insbesondere für zukünftige Ereignisse. Bei den vergangenen Ereignissen sprechen die (unspezifischen) Lexikalisierungen der Kombinationen 20, 26 und 28 für Edmondsons Behauptung, während die lexikalischen Ausdrücke der Wertekombinationen 17, 18 und 19 der Hypothese widersprechen. Die Verteilung derjenigen kommunikativen Ausdrücke, mit denen Handlungen beschrieben werden, ergibt ein etwas differenzierteres Bild. Wenn wir die praktisch unmöglichen Kombinationen außer Betracht lassen, nicht zwischen spezifischen und unspezifischen Lexikalisierungen unterscheiden und ferner auch all diejenigen Fälle ignorieren, die weder für noch gegen die Hypothese sprechen, kommt das folgende Ergebnis zustande: sechs Fälle die Lexikalisierungen für die Kombinationen 4, 6, 9, 10, 12 und 14 bestätigen Edmondsons These, während fünf Fälle die Lexikalisierungen für die Kombinationen 1, 2, 8, 11 und 13 der besagten Tendenz widersprechen. Wenn es auch klar ist, dass eine Tendenz mehr Ausnahmen als eine Regel zulässt, sind die Ausnahmen hier doch zu zahlreich, um überhaupt noch von einer Tendenz sprechen zu können. Aus diesen Überlegungen kann nur ein Schluss gezogen werden: Die von Edmondson formulierte Tendenz für die Lexikalisierung des kommunikativen Verhaltens trifft nicht zu. 4.1.3 Zwei Gegenthesen Aufgrund des Datenmaterials scheint die Annahme von zwei anderen Lexikalisierungstendenzen gerechtfertigt. Am feinsten ausdifferenziert sind die Paradigmen der Direktiva und der Kommissiva. Diese entsprechen den Kombinationen 13 und 14 für die Direktiva und den Kombinationen 6 und 8 für die Kommissiva. Fast alle Lexikalisierungen, die diesen Kombinationen zugeordnet sind, haben eine sehr spezifische Bedeutung, d.h. sie passen ausschließlich an diese Stelle der Matrix. Die Feststellung, dass die Direktiva und die Kommissiva die am feinsten ausdifferenzierten Paradigmen sind, widerspricht an sich schon Edmondsons These: Direktiva vom Typ auffordern unterstützen den Sprecher, während Direktiva wie raten und Kommissiva wie versprechen den Hörer unterstützen. Gerade diese beiden Verhaltensweisen sind auf der lexikalischen Ebene am meisten ausdifferenziert. Am wenigsten ausdifferenziert sind die Repräsentativa, mit denen auf zukünftige Ereignisse Bezug genommen wird. Im Deutschen kann allenfalls noch hinsichtlich der Bewertung des zukünftigen Ereignisses unterschieden werden, was im Englischen nicht möglich ist. Es kann allerdings nur eine negative Bewertung ausgedrückt werden; eine positive Bewertung wird weder im Deutschen noch im Englischen lexikalisiert. 112 Kristel Proost 4.1.4 Lexikalisierungstendenzen im Sprachvergleich Die zwei oben genannten Tendenzen für die Lexikalisierung kommunikativer Konzepte treffen auch auf das Französische und das Russische zu. Im Französischen und im Russischen sind die Paradigmen der Direktiva und der Kommissiva am feinsten ausdifferenziert. Dies zeigt sich für die Kommissiva in den Blöcken 6 und 8. Die Lexikalisierungen, die den Kombinationen 6 und 8 zugeordnet werden, sind sehr spezifisch in ihrer Bedeutung: sie passen nur in diese Blöcke und entsprechen keiner anderen Wertekombination. Die Direktiva finden sich in den Blöcken 13 und 14. Hier sind ebenfalls fast nur spezifische lexikalische Ausdrücke vorhanden. Für die Lexikalisierung zukünftiger Ereignisse stehen auch im Französischen und im Russischen nur wenige lexikalische Ausdrücke zur Verfügung. Darüber hinaus sind die vorhandenen Ausdrücke (wie auch im Deutschen) sehr unspezifisch in ihrer Bedeutung. Dies zeigt sich darin, dass diese Ausdrücke zu relativ vielen Wertekombinationen passen. Die geringe Anzahl der zudem unspezifischen Lexikalisierungen für zukünftige Ereignisse hängt wohl damit zusammen, dass wir zukünftige Ereignisse im Gegensatz zu zukünftigen Handlungen in den meisten Fällen nicht vorhersehen können. Zukünftige Ereignisse haben daher in unserer Kultur möglicherweise einen relativ geringen, zukünftige Handlungen dagegen einen hohen Stellenwert. Die Ähnlichkeit der hier untersuchten Sprachen (Deutsch, Französisch, Russisch) hinsichtlich der Lexikalisierung kommunikativer Konzepte lässt keine großen Unterschiede in der Lexikalisierung solcher Konzepte in den übrigen indoeuropäischen Sprachen vermuten. Interessant wäre es allerdings, die beiden Tendenzen anhand kommunikativer Ausdrücke nicht-indoeuropäischer Sprachen zu überprüfen. Es wäre z.B. möglich, dass die Sprache einer Gesellschaft, in der Magie eine wichtige Rolle spielt, viel mehr lexikalische Ausdrücke für zukünftige Ereignisse zur Verfügung stellt. Umgekehrt hätten die zukünftigen Handlungen von Sprecher und Hörer in einer solchen Gesellschaft möglicherweise einen relativ geringen Stellenwert, was sich in einer geringeren Anzahl (möglicherweise unspezifischer) Lexikalisierungen äußern könnte. Die Frage, ob es sich bei den oben genannten Tendenzen für die Lexikalisierung kommunikativer Konzepte um Sprachuniversalien handelt, kann erst nach einem Vergleich mit einer ausreichenden Anzahl nicht-indoeuropäischer Sprachen beantwortet werden. Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 113 4.2 Lexikalische Lücken 4.2.1 Das Konzept ‘lexikalische Lücke’ Ein weiteres Ergebnis, das aus der Matrix in Abb. 7 a-h gewonnen werden kann, ist die Möglichkeit einer genaueren Definition des Begriffs ‘lexikalische Lücke’. Aus den Daten in der Matrix geht hervor, dass lexikalische Lücken ein graduelles Phänomen sind. Dementsprechend kann der Begriff ‘lexikalische Lücke’ entweder fein- oder grobkörnig definiert werden. Wird der Begriff ‘lexikalische Lücke’ grobkörnig definiert, kann gesagt werden, dass eine lexikalische Lücke dann vorliegt, wenn es für eine bestimmte Wertekombination keine Lexikalisierung gibt. Für solche Lücken gibt es in der Matrix keine Beispiele: die Wertekombinationen, denen gar keine Lexikalisierungen zugeordnet werden, würden kommunikative Handlungen erfassen, die entweder kommunikationslogisch unmöglich (vgl. Block 18) oder irrational und somit praktisch unmöglich wären (vgl. Blöcke 5 und 7). Solche Lücken sind von vornherein aus der Betrachtung auszuschließen. Als lexikalische Lücken kommen nur solche Lücken in Frage, die kommunikativen Konzepten entsprechen, die sowohl kommunikationslogisch als auch praktisch möglich, aber dennoch nicht lexikalisiert sind. Solche Fälle kommen in der Matrix nicht vor. Das Fehlen von kommunikativen Äquivalenten für ein Verb wie vermeiden in der Kombinatorik von Baumgärtner (vgl. 1977) wäre ein Beispiel einer solchen ‘groben Lücke’. Die Lücken, die dadurch entstehen, dass Konzepte überhaupt nicht lexikalisiert werden, werde ich im Folgenden als ‘absolut’ bezeichnen. Wenn der Begriff ‘lexikalische Lücke’ feinkörnig definiert wird, kann man sagen, dass eine lexikalische Lücke dann vorliegt, wenn es für eine einem kommunikativen Konzept entsprechende Wertekombination eine Lexikalisierung gibt, die nicht ausschließlich zu dieser einen Kombination passt. Es geht hier mit anderen Worten um Wertekombinationen, für die es nur unspezifische lexikalische Ausdrücke gibt. Das Ausmaß der Lücke ist dann von zwei Faktoren abhängig: der Position der Lexikalisierung auf der Lexikalisierungsskala (d.h. handelt es sich um ein Wort, ein Idiom oder einen nichtidiomatischen Phraseologismus? ) sowie der Anzahl der Wertekombinationen, denen die betreffende Lexikalisierung zugeordnet werden kann. Lücken dieser Art werde ich im Folgenden als ‘relativ’ bezeichnen. Der graduelle Charakter des Begriffs ‘lexikalische Lücke’ soll nun anhand der folgenden Beispiele erläutert werden. Mit einem Verb wie bitten wird auf eine zukünftige Handlung des Hörers Bezug genommen, die vom Sprecher erwünscht wird, was bei Edmondson mit ‘positiv für den Sprecher’ ausgedrückt wird. Das Verb bitten passt nur zu 114 Kristel Proost dieser einen Wertekombination. Dies bedeutet, dass bitten in Hinblick auf alle in der Matrix verwendeten Merkmale spezifisch ist. Mit bitten werden m.a.W. die folgenden Unterschiede lexikalisiert: Handlung (statt Ereignis), zukünftig (statt vergangen), Hörerhandlung (im Gegensatz zu Sprecherhandlung), positive Bewertung (vs. negative Bewertung) und der Sprecher (im Gegensatz zum Hörer) als Kostenträger (vgl. Abb. 8): Abb. 8: bitten: lexikalisierte Merkmale In diesem Fall liegt keine lexikalische Lücke vor, weil bitten in Hinblick auf kein einziges Merkmal unspezifisch ist. Eine Kollokation wie ein Versprechen geben lexikalisiert genau so viele Unterschiede wie das Verb bitten. Mit diesem Phraseologismus werden zukünftige Handlungen des Sprechers, die als positiv für den Hörer bewertet werden, beschrieben. Es werden in diesem Fall also auch fünf Unterschiede lexikalisiert (vgl. Abb. 9): ein Versprechen geben Handlung zukünftig des Sprechers positiv für den Hörer Abb. 9: ein Versprechen geben: lexikalisierte Merkmale Insofern ein Versprechen geben genauso wie bitten alle hier möglichen Unterschiede lexikalisiert, liegt auch hier keine lexikalische Lücke vor. Anders verhält es sich aber mit der Position dieser Kollokation auf der Lexikalisierungsskala. Wie bereits in Abschnitt 1 erwähnt wurde, sind Kollokationen, was den Grad ihrer Lexikoneinheit angeht, relativ weit von den Wörtern entfernt. Da es sich in diesem Fall um einen lexikalischen Ausdruck mit relativ niedrigem Grad der Lexikoneinheit handelt, zeigt sich hier auch schon eine lexikalische Lücke. Zusammenfassend kann man sagen, dass ein Versprechen Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 115 geben ein sehr spezifischer Ausdruck mit relativ niedrigem Grad der Lexikoneinheit ist. Prahlen, protzen und aufschneiden können den Kombinationen 1 und 2 zugeordnet werden. Für die in der Matrix verwendeten Merkmale erhalten diese Ausdrücke die folgenden Werte: Handlung (statt Ereignis), vergangen (statt zukünftig), Sprecherhandlung (statt Hörerhandlung) und positive (im Gegensatz zu negativer) Bewertung (vgl. Abb. 10): Handlung vergangen Sprecherhandlung positive Bewertung Abb. 10: prahlen ...: lexikalisierte Merkmale prahlen protzen aufschneiden Da diese Ausdrücke nur zu zwei verschiedenen Kombinationen (nämlich 1 und 2) passen, ist die hier auftretende Lücke relativ gering. Es liegt insofern eine Lücke vor, als wir nicht über einen lexikalischen Ausdruck verfügen, der abgesehen von den o.g. lexikalisierten Unterschieden auch noch den Unterschied hinsichtlich des Nutzenträgers (Sprecher oder Hörer) lexikalisiert. In dieser letzten Hinsicht sind die oben erwähnten Verben unspezifisch (vgl. Abb. 11): prahlen protzen aufschneiden Nutzenträger (Sprecher oder Hörer) Abb. 11: prahlen nicht-lexikalisierte Merkmale Die Idiome den Mund {zu) voll nehmen und große Reden schwingen können ebenfalls den Kombinationen 1 und 2 zugeordnet werden. Diese Ausdrücke lexikalisieren somit die gleichen Unterschiede wie die Verben prahlen, protzen und aufschneiden. Auf der Lexikalisierungsskala nehmen sie aber nicht den gleichen Platz wie diese Verben ein, denn der Grad ihrer Lexikoneinheit ist geringer als derjenige der Verben, die ihnen entsprechen. Insgesamt ist die Lücke, die diese Idiome im Wortschatzausschnitt der kommunikativen Ausdrücke hinterlassen, daher größer als bei den obigen Verben. Schwarz malen und unken werden vier Kombinationen (23, 24, 31 und 32) zugeordnet. Diese Ausdrücke lexikalisieren die Unterschiede Ereignis (vs. 116 Kristel Proost Handlung), zukünftig (vs. vergangen) und negative (im Gegensatz zu positiver) Bewertung (vgl. Abb. 12): schwarz malen unken Ereignis zukünftig negative Bewertung Abb. 12: schwarz malen ...: lexikalisierte Merkmale Nicht lexikalisiert ist die im Ereignis involvierte Person (Sprecher oder Hörer) und der Kostenträger (Sprecher oder Hörer). Die Lücke ist hier also größer als bei prahlen, protzen und aufschneiden, weil eine größere Anzahl an Merkmalen nicht lexikalisiert wird (vgl. Abb. 13): schwarz malen unken involvierte Person Kostenträger Abb. 13: schwarz malen ...: nicht-lexikalisierte Merkmale Wenn es einen Ausdruck gibt, der wie schwarz malen die Merkmale ‘Ereignis’, ‘zukünftig’ und ‘negative Bewertung’ ausdrückt, würde man aufgrund der Systematik auch erwarten, dass es parallel zu diesem Ausdruck eine Lexikalisierung für die Merkmale ‘Ereignis’, ‘zukünftig’ und ‘positive Bewertung’ gibt. Ein entsprechender Ausdruck *weiß malen fehlt aber im Deutschen. Wenn man das Konzept ‘ein positives zukünftiges Ereignis Voraussagen’ ausdrücken will, muss man sich mit dem unspezifischen Ausdruck prophezeien begnügen. Die Lücke bei prophezeien und Voraussagen ist noch größer als die, die bei schwarz malen auftritt. Diese Verben passen zu acht Kombinationen (21, 22, 23, 24, 29, 30, 31 und 32). Sie bringen nur zwei Unterschiede zum Ausdruck: Ereignis im Gegensatz zu Handlung und zukünftig statt vergangen (vgl. Abb. 14): prophezeien Voraussagen Ereignis zukünftig Abb. 14: prophezeien ...: lexikalisierte Merkmale Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 117 Alle anderen Unterschiede können mit diesen Verben nicht ausgedrückt werden (vgl. Abb. 15): 4.2.2 Lexikalische Lücken im Sprachvergleich Beim Sprachvergleich stellt sich heraus, dass die französischen und russischen Ausdrücke, die den o.g. deutschen Beispielen entsprechen, genauso spezifisch bzw. unspezifisch in ihrer Bedeutung sind wie die deutschen Ausdrücke. Die Äquivalente von Direktiva wie auffordern (und auch von Kommissiva wie versprechen) passen auch im Französischen und im Russischen nur zu einer einzigen Kombination. Bei diesen Verben tritt in keiner der drei Sprachen eine lexikalische Lücke auf. Wie bei schwarz malen und unken macht sich bei den französischen und russischen Äquivalenten (tenter le diable bzw. karkat ’) eine Lücke bemerkbar. Mit diesen Ausdrücken wird weder die im Ereignis involvierte Person noch der Kostenträger (Sprecher oder Hörer) lexikalisiert. Im Übrigen fehlt auch dem Französischen und dem Russischen ein Ausdruck wie *weiß malen. Bei prophetiser bzw. predskazyvat’ kommt noch hinzu, dass auch die Bewertung nicht zum Ausdruck gebracht wird. Es entsteht hier also eine Lücke von genau der gleichen Art wie die, die beim deutschen Verb prophezeien auftritt. Selbstverständlich ist die Äquivalenz der fremdsprachigen Ausdrücke nicht immer so vollkommen wie in den oben erwähnten Beispielen. So kommt es z.B. vor, dass ein Konzept, das in einer bestimmten Sprache mittels eines Wortes lexikalisiert wird, in einer anderen Sprache mit einem Phraseologismus zum Ausdruck gebracht wird. Manchmal stehen in einer bestimmten Sprache für ein Konzept auch mehrere Ausdrücke mit unterschiedlichem lexikalischem Status zur Auswahl, während es für das gleiche Konzept in einer anderen Sprache nur Wörter oder nur Phraseologismen gibt. Generell sind sich die verschiedenen fremdsprachigen Äquivalente in Hinblick auf die von ihnen lexikalisierten Merkmale aber sehr ähnlich. involvierte Person Bewertung Kosten-ZNutzenträger Abb. 15: prophezeien ...: nicht-lexikalisierte Merkmale 118 Kristel Proost 4.3 Das Verhältnis von einfachen und komplexen Lexikalisierungen Wenn man das Vorkommen der einfachen und komplexen Lexikalisierungen vergleicht, stellt sich heraus, dass den spezifischen Ausdrücken, d.h. denjenigen Ausdrücken, die nur zu einer einzigen Wertekombination passen, fast keine Idiome entsprechen. Nicht-idiomatische Phraseologismen treten in diesen Fällen gelegentlich neben den nicht-komplexen verbalen Ausdrücken auf. Für die zukünftigen Sprecherhandlungen, die als positiv für den Hörer bewertet werden, gibt es z.B. neben Verben wie versprechen, anbieten und sich verpflichten auch Kollokationen wie ein Versprechen geben, ein Angebot machen! unterbreiten und eine Verpflichtung übernehmenlauf sich nehmen. Für vergangene Hörerhandlungen mit unerwünschten Folgen für den Sprecher verfugt das Deutsche über Verben wie kritisieren, tadeln und vorwerfen, aber auch z.B. über Kollokationen wie Kritik üben, und einen Vorwurf machen. Natürlich können die o.g. Handlungen auch mittels Idiomen zum Ausdruck gebracht werden. Diese Idiome enthalten dann zwar das jeweilige Verb, darüber hinaus lexikalisieren sie aber auch noch andere Kategorien. Auf diese Aspekte werde ich im nächsten Abschnitt näher eingehen. Jemandem die Leviten lesen enthält z.B. alle Einstellungen, die auch von einem Wort wie tadeln lexikalisiert werden. Darüber hinaus fügt das Idiom dem Verb aber noch eine weitere Komponente, nämlich den Aspekt der Intensivierung, hinzu. Das Idiom ist mit anderen Worten kein exaktes Äquivalent des Verbs. Vergleicht man solche Fälle mit Kollokationen wie jemandem ein Versprechen geben, stellt man fest, dass die Kollokation dem entsprechenden Verb nichts hinzufügt. Die Beobachtung, dass es für Verben, die sehr spezifisch in ihrer Bedeutung sind, entsprechende Kollokationen, aber keine entsprechenden Idiome gibt, lässt sich anhand der Daten in der Matrix (Abb. 7 a-h) auch für das Französische und das Russische bestätigen. Das einzige Gegenbeispiel ist das Verb zumuten, für das es den idiomatischen Ausdruck jemandem etwas aufs Auge drücken gibt. Ob hier wirklich eine weitere Tendenz der Lexikalisierung kommunikativer Konzepte vorliegt, kann sich erst nach einer Untersuchung des ganzen Lexikalisierungsbestands zeigen. Eine solche vollständige Untersuchung erlaubt das Ordnungssystem von Edmondson allerdings nicht. Dieser Punkt wird in Abschnitt 6 behandelt. Aufgrund der aus der Matrix zu entnehmenden Ergebnisse lässt sich über das Verhältnis von einfachen Lexikalisierungen (Verben) und Phraseologismen (idiomatischen und nicht-idiomatischen) nicht viel aussagen. Das liegt zum einen daran, dass die Matrix überhaupt nur sehr wenige Idiome enthält. Zum anderen ist das aber auch darauf zurückzufiihren, dass das Vorkommen nichtidiomatischer Phraseologismen keinerlei Auffälligkeiten aufweist. Erstens fallen die nicht-idiomatischen Phraseologismen nicht durch eine besondere Distribution auf. Nur in einem einzigen Fall treten sie dort auf, wo es Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 119 keine nicht-komplexen verbalen Ausdrücke gibt. Auf vergangene Ereignisse, in die der Sprecher involviert ist und die als positiv für den Sprecher bewertet werden, kann man im Deutschen z.B. nur mit Kollokationen wie sich glücklich/ selig preisen/ schätzen und dem Himmel/ dem Schicksal danken Bezug nehmen. Dass dies keineswegs eine sprachübergreifende Tendenz ist, zeigt schon ein Blick auf die französischen Daten: für die Lexikalisierung dieser Ereignisse verfügt das Französische neben komplexen Ausdrücken wie s' estimer heureux auch über einfache Lexikalisierungen wie se feliciter. Sonst kommen Phraseologismen fast immer als Alternative zu einzelnen Verben vor. Relativ häufig sind auch die Fälle, in denen eine Wertekombination nur mittels einzelner Verben lexikalisiert werden kann. Zusammenfassend kann man über die Distribution von einfachen Lexikalisierungen und nicht-idiomatischen Phraseologismen sagen, dass für die Lexikalisierung der Wertekombinationen in der Matrix am häufigsten einzelne Verben zur Verfügung stehen. In vielen (aber nicht allen) Fällen ist auch eine Alternative in der Form einer Kollokation vorhanden. Äußerst selten sind hingegen die Fälle, in denen nur eine Kollokation verwendet werden kann. Zweitens sind die nicht-idiomatischen Phraseologismen meist genau so spezifisch oder unspezifisch wie die nicht-komplexen verbalen Ausdrücke, die ihnen entsprechen, d.h. sie lexikalisieren meist gleich viele Distinktionen. Ein Beispiel ist beschuldigen im Vergleich zu (jemandem/ sich selbst) die Schuld geben. Diese Ausdrücke beschreiben sowohl vergangene Handlungen des Sprechers mit unerwünschten Folgen für ihn selbst als auch vergangene Handlungen des Hörers mit negativen Folgen für den Sprecher. Nur in einigen seltenen Fällen sind Phraseologismen auch spezifischer in ihrer Bedeutung als nicht-komplexe verbale Ausdrücke. Ein Beispiel ist der Unterschied zwischen entschuldigen und um Entschuldigung/ Vergebung/ Verzeihung bitten. Während entschuldigen sowohl vergangene Handlungen des Sprechers mit unerwünschten Folgen für den Hörer als auch vergangene Handlungen des Hörers mit unerwünschten Folgen für den Sprecher lexikalisiert, kann man sich mit um Entschuldigung bitten nur auf die eigenen Handlungen beziehen. Die Kollokation ist hier also spezifischer als das entsprechende Verb. Da dies in den Daten nur selten vorkommt, kann das Vorhandensein von Kollokationen sicher nicht dadurch erklärt werden, dass Kollokationen spezifischer in ihrer Bedeutung wären als die ihnen entsprechenden Verben. 5. Komplexe Lexikalisierungen 5.1 Komplexe Lexikalisierungen im Rahmen eines Ordnungssystems Fassen wir zunächst einmal unsere bisherigen Ergebnisse zusammen. Nachdem das Ordnungssystem von Edmondson neu geordnet wurde und die kom- 120 Kristel Proost plexen Lexikalisierungen mit in das System einbezogen wurden, stellte sich heraus, dass der von Edmondson formulierten These jede empirische Grundlage fehlt. Stattdessen gaben die Daten Anlass zur Annahme von zwei anderen Lexikalisierungstendenzen: die Paradigmen der Direktiva und Kommissiva sind am feinsten ausdifferenziert, während die Auswahl an lexikalischen Ausdrücken für zukünftige Ereignisse recht armselig ist. Ferner boten die Daten die Möglichkeit einer genaueren Definition des Begriffs ‘lexikalische Lücke’. Nur bei den absoluten Lücken fehlt die Möglichkeit zur Lexikalisierung vollkommen. Bei den viel häufiger vorkommenden relativen Lücken zeigen sich zahlreiche Abstufungen. Das Vorkommen dieser relativen Lücken und die mit ihnen verbundenen Abstufungen hängen damit zusammen, dass die Paradigmen der Direktiva und Kommissiva am feinsten ausdifferenziert sind, während für die Lexikalisierung zukünftiger Ereignisse nur wenige Ausdrücke zur Verfügung stehen. Die direktiven und kommissiven Ausdrücke sind auch die spezifischsten. Bei ihnen liegt gar keine Lücke vor: sie passen genau zu jeweils einer einzigen Kombination. Die Ausdrücke, mit denen auf zukünftige Ereignisse Bezug genommen wird, sind hingegen alle sehr unspezifisch. Hinsichtlich des Verhältnisses von einfachen und komplexen Lexikalisierungen erlauben die Daten in der Matrix jedoch keine nennenswerten Aussagen. Idiome kommen so gut wie gar nicht vor. Nicht-idiomatische Phraseologismen fallen weder durch eine besondere Distribution noch durch einen höheren oder niedrigeren Grad der Spezifizierung auf. Diese beiden Beobachtungen legen den Schluss nahe, dass das hier vorgestellte Ordnungssystem die komplexen Lexikalisierungen, insbesondere die Idiome, nicht zu erfassen vermag. 5.2 Die Bedeutung komplexer Lexikalisierungen Für die Beschreibung der Bedeutung von Idiomen und komplexen Lexikalisierungen brauchen wir zunächst die Merkmale, die der Matrix zugrunde liegen: Ereignis oder Handlung, vergangen oder zukünftig, Sprecher oder Hörer involviert/ verantwortlich, positive oder negative Folgen für den Sprecher oder für den Hörer. Abgesehen von diesen Merkmalen erfordert die Beschreibung der Bedeutung komplexer Lexikalisierungen aber auch zusätzliche Kategorien. Zur Beantwortung der Frage, um welche Kategorien es sich hier handelt, haben wir zunächst ein Korpus von etwa 750 komplexen Lexikalisierungen zusammengestellt. Dieses Korpus entstand auf der Grundlage des Duden-Wörterbuchs der Redewendungen, aus dem alle komplexen kommunikativen Ausdrücke, d.h. sowohl die idiomatischen als auch die nicht-idiomatischen, herausgesucht und zusammengetragen wurden. Als kommunikative Ausdrücke gelten hier auch die sog. hybriden Ausdrücke, d.h. diejenigen Ausdrücke, die entweder eine Einstellung oder auch die Äu- Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 121 ßerung derselben zum Ausdruck bringen. Phraseologismen, die im Duden- Wörterbuch als ‘veraltet’ oder ‘fachsprachlich’ markiert waren, wurden nicht aufgenommen. Für die so gesammelten Phraseologismen wurde daraufhin festgelegt, welchem Kommunikationsverb sie entsprechen und welche zusätzlichen Kategorien die Phraseologismen den ihnen entsprechenden Verben hinzufugen. Dazu zunächst einige Beispiele: (3) jmdm. ein Loch/ Löcher in den Bauch fragen \.fragen 2. iterativ 3. aufdringlich (4) jmdm. die Seele aus dem Leib fragen \. fragen 2. iterativ 3. aufdringlich (5) jmdn. auspressen/ ausquetschen wie ein Zitrone \.fragen 2. iterativ 3. aufdringlich 4. zielgerichtet (6) jmdm. die Leviten lesen tadeln 2. Intensivierung (7) jmdm. seine Meinung geigen/ sagen 1. zurechweisen/ tadeln/ kritisieren 2. Direkt (8) jmdm. etwas flüstern 1. zurechtweisen/ tadeln/ kritisieren 2. Direkt 3. Intensivierung (9) jmdn. mit Lob überschütten/ überhäufen loben 2. Intensivierung (10) lügen, dass/ bis sich die Balken biegen 1. lügen 2. Intensivierung (schamlos) (11) lügen wie gedruckt 1. lügen 2. Intensivierung (gewandt) (12) jmdn. hinters Licht führen 1. täuschen 2. bösartig (13) jmdm. Sand in die Augen streuen 1. lügen/ täuschen 2. zielgerichtet (in Hinblick auf: H glaubt P) keine moralische Wertung (heimliche Freude im Fokus des Sprechers) (14) jmdm. einen Bären aufbinden L lügen 2. zielgerichtet (in Hinblick auf: H glaubt P) moralische Wertung durch einen Außenstehenden (15) jmdn. auf den Arm nehmen 1. täuschen 2. Abschwächung (lächerlich) 122 Kristel Proost Aus diesen Beispielen geht hervor, dass die Kategorien, welche die Phraseologismen den ihnen entsprechenden Verben hinzufügen, anderer Art sind als die in der Matrix verwendeten Merkmale des kommunikativen Verhaltens oder die Sprechereinstellungen, die Harras mit den kategorialen Aspekten und deren Ausprägungen beschreibt. Im Gegensatz zu den Kategorien, die mittels solcher Merkmale oder kategorialer Aspekte erfasst werden, geht es hier um Kategorien, wie ‘Intensivierungsgrad’, ‘Grad der Aufdringlichkeit’ und ‘Aufrichtigkeitsgrad’, d.h. um Eigenschaften, die erst durch einen Vergleich von lexikalischen Ausdrücken, die zu einem Paradigma gehören, gewonnen werden können. Die oben diskutierten Systeme können den Bedeutungen der Phraseologismen, insbesondere aber denen der Idiome, nur dann gerecht werden, wenn sie um solche paradigmatischen Kategorien ergänzt werden. Diese Beobachtung gilt nicht nur für die hier erwähnten Beispiele, sondern ist für alle Idiome im Korpus gültig. Die oben angegebenen Beispiele zeigen auch, dass die Kategorien, welche die Phraseologismen den Verben hinzufügen, sich häufig wiederholen. Dies gilt ebenfalls für das ganze Korpus, in dem natürlich viel mehr als nur die oben erwähnten Kategorien auftauchen. Im Korpus findet sich aber keineswegs ein willkürliches Durcheinander aller möglichen Kategorien, sie bilden vielmehr eine Menge, die sich durchaus ordnen lässt. Dazu müssen zuerst diejenigen Phraseologismen, die die gleichen Kategorien beinhalten, gruppiert werden. Die oben erwähnten Phraseologismen lassen sich z.B. anhand der Oberbegriffe: ‘Aufdringlichkeit’, ‘Aufrichtigkeit’ und ‘Bewertung’ zu drei Gruppen zusammenfassen. Zur Gruppe der Phraseologismen, die ‘Aufdringlichkeit’ ausdrücken, gehören die Beispiele (3) bis (5), zu der Gruppe ‘Aufrichtigkeit’ gehören die Beispiele (10) bis (15) und zur Gruppe ‘Bewertung’ die Beispiele (6) bis (9). Die Begriffe ‘Aufdringlichkeit’, ‘Aufrichtigkeit’ und ‘Bewertung’ sind graduelle Begriffe, die sich auf einer Skala darstellen lassen, auf der sowohl einfache als auch komplexe Lexikalisierungen eingeordnet werden können. Dies möchte ich anhand der Abb. 16 bis 18 zeigen. (Die mit * markierten Wörter stehen für imaginäre Lexikalisierungen.) Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 123 * dreistlügen betrügen täuschen 1 schwindeln lügen . Unaufrichtigkeit *wahrsagen flunkern 1! 0 lügen 4 jmdm. S. in die Augen streuen jmdn. hinters Aufrichtigkeit t jmdn. aufden Arm nehmen jmdm. einen Bären aufbinden t die Wahrheit sagen gedruckt/ Lichtführen dass sich die Balken biegen Abb. 16: Lexikalisierungen von ‘Aufrichtigkeit’ tadeln zurechtweisen kritisieren rügen negative Bewertung 0 t t t jmdm. jmdm. jmdm. die etwas seine Leviten flüstern Meinung lesen sagen/ geigen preisen loben rühmen ^ positive Bewertung ► “ t jmdn. mit Lob überschütten ein Loblied aufjmdn. singen jmdm. ein Lob erteilen Abb. 17: Lexikalisierungen von ‘Bewertung’ 124 Kristel Proost löchern ausquetschen Aufdringlichkeit 1 fragen I jmdm. ein Loch in den Bauchfragen jmdm. die Seele aus dem Leibfragen jmdn. wie eine Zitrone auspressen Unaufdringlichkeit ► Abb. 18: Lexikalisierungen von ‘Aufdringlichkeit’ Die Skalen in den Abbildungen 16-18 zeigen, dass keines der dargestellten Paradigmen symmetrisch aufgebaut ist. Diese Asymmetrie zeigt sich in dreifacher Hinsicht. Erstens gibt es auf jeder der drei Skalen wesentlich mehr Lexikalisierungen im negativen als im positiven Bereich. Dies mag damit Zusammenhängen, dass die Unaufdringlichkeit, Aufrichtigkeit und positive Bewertung aus Gründen der kommunikativen Ethik als die Norm gilt bzw. unmarkiert ist, und alles, was davon abweicht, als auffälliges Verhalten angesehen wird, bzw. markiert ist. Zweitens gibt es im extrem-negativen Bereich dieser Skalen nur Idiome. Für kommunikatives Verhalten, das als negativ bewertet wird, stehen sowohl einfache als auch komplexe Lexikalisierungen zur Verfügung. Auf der Aufrichtigkeitsskala entsprechen z.B. Verben wie schwindeln und flunkern mehr oder weniger den Idiomen jmdm. einen Bären aufbinden bzw. jmdn. auf den Arm nehmen. Links von lügen tauchen aber nur noch Idiome auf: jmdm. Sand in die Augen streuen, jmdn. hinters Licht führen, lügen wie gedruckt und lügen, dass/ bis sich die Balken biegen. Die einzigen einfachen Lexikalisierungen, die links von diesen Idiomen erscheinen, sind die hybriden Verben betrügen und täuschen. Ein Verb, das nur eine Lesart als Sprechaktverb hat, wie etwa *dreistlügen, kommt hier allerdings nicht vor. Analog zu diesen Beispielen finden sich im extrem-negativen Bereich der Bewertungs- und Aufdringlichkeitsskalen nur die Idiome jmdm. die Leviten lesen bzw. jmdm. die Seele aus dem Leib fragen und jmdn. wie eine Zitrone auspressen/ ausquetschen. Schließlich äußert sich die Asymmetrie im Aufbau der Paradigmen auch darin, dass es nicht für jeden positiven Ausdruck einen entsprechenden negativen gibt und vice versa. Das auffälligste Beispiel ist lügen, für dessen positives Gegenstück eine einfache Lexikalisierung wie etwa *wahrsagen fehlt. Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 125 Allerdings taucht im extrem-positiven Bereich der Bewertungsskala das Idiom jmdn. mit Lob überschütten/ überhäufen auf. Ob es sich hier um eine Ausnahme handelt, kann sich erst nach einer weiteren Analyse der Daten im Phraseologismen-Korpus zeigen. Möglich wäre ebenso, dass Idiome auch zur Lexikalisierung von Verhalten, das als extrem-positiv bewertet wird, zur Verfügung stehen. Zusammenfassend kann man sagen, dass die bisher analysierten Daten eine weitere Tendenz der Lexikalisierung kommunikativer Konzepte andeuten: Für Verhalten, das als negativ bewertet wird, stehen mehr lexikalische Ausdrücke zur Verfügung als für Verhalten, das als positiv bewertet wird und somit den Normen der kommunikativen Ethik entspricht. Kommunikatives Verhalten, das als extrem negativ bewertet wird, wird bevorzugt mittels Idiomen lexikalisiert. Ob diese Tendenz für die ganze Klasse der kommunikativen Ausdrücke gültig ist, oder ob sie nur auf bestimmte Teilmengen dieser Klasse zutrifft, wird sich erst nach einer Analyse des gesamten Phraseologismen-Korpus zeigen können. 6. Fazit und Ausblick Die im vorigen Abschnitt formulierten Lexikalisierungstendenzen betreffen den Aufbau gewisser Paradigmen kommunikativer Ausdrücke. Wie oben bereits erwähnt wurde, muss die Gültigkeit dieser Tendenzen anhand des gesamten Phraseologismen-Korpus überprüft werden. Doch nicht nur diese Lexikalisierungstendenzen bedürfen der weiteren Prüfung. Auch die beiden Tendenzen, die aus den Daten der Matrix hervorgehen, müssen anhand eines umfangreicheren Korpus einfacher Lexikalisierungen bestätigt oder widerlegt werden. So ein Korpus müsste alle Kommunikationsverben, d.h. sowohl die eigentlichen Sprechaktverben als auch die Kommunikationsverben im weiteren Sinn, enthalten. Viele Kommunikationsverben können aber mit dem Ordnungssystem, das der Matrix zugrundeliegt, nicht erfasst werden: Dazu noch einige Beipiele. Erstens können Repräsentativa, die das Für-Wahr- oder -Falsch-Halten der Proposition durch den Sprecher fokussieren, wie z.B. lügen, behaupten und bestreiten nicht erfasst werden. Mit den oben verwendeten Merkmalen kann nur die Bedeutung solcher Repräsentativa beschrieben werden, mit denen auf zukünftige Ereignisse Bezug genommen wird. Zweitens wird dem Unterschied zwischen Verben wie warnen und solchen wie raten in keinerlei Weise Rechnung getragen. Der Bedeutungsunterschied zwischen diesen beiden Verben bezieht sich auf die Erwartbarkeit der Proposition. Mit einem Verb wie warnen spricht man sich gegen ein erwartbares P aus, mit raten hingegen für ein nicht-erwartbares P. Bei den Merkmalen, die 126 Kristel Proost der Matrix zugrundeliegen, spielt die Erwartbarkeit der Proposition keine Rolle. Auch der Position der Äußerung, ob initial, reaktiv oder re-reaktiv, kann keinerlei Rechnung getragen werden. Diese ist Teil der Vorannahmen des Sprechers bzgl. der spezifischen Situationsumstände, die in Edmondsons Ordnungssystem allerdings unberücksichtigt bleiben. Die Position der Äußerung liegt z.B. dem Unterschied zwischen behaupten, bestreiten und beharren auf zugrunde. Obwohl das System, wie wir gesehen haben, der Bedeutung vieler Direktiva gerecht wird, ist es dennoch nicht imstande, Direktiva vom Typ fragen zu erfassen. Dies liegt daran, dass die epistemische Einstellung des Hörers aus der Sicht des Sprechers ein wesentlicher Bestandteil der mit fragen lexikalisierten Sprechereinstellungen ist. Die epistemische Einstellung des Hörers gehört aber nicht zu den Merkmalen, die beim Aufbau der Matrix berücksichtigt wurden. Aspekten wie der epistemischen Einstellung des Sprechers oder Hörers, der Erwartbarkeit der Proposition und den situativen Vorannahmen des Sprechers wird im konzeptuellen Ordnungssystem von Harras Rechnung getragen, mit dem Sprechereinstellungen mittels kategorialer Aspekte und deren Ausprägungen beschrieben werden. Dies bedeutet, dass dieses System im Gegensatz zum Ordnungssystem von Edmondson die Bedeutung von Verben wie fragen, lügen, behaupten, bestreiten, beharren auf usw. beschreiben kann. Da die Kombinationen der Möglichkeiten für die Ausprägungen der kategorialen Aspekte nicht in jedem einzelnen Fall lexikalisiert werden, erfasst das System auch lexikalische Lücken. Das System erfasst m.a.W. den gesamten Lexikalisierungsraum. Es wäre daher sinnvoll, das oben ausgeführte Verfahren mit diesem System zu wiederholen und auf dieser Grundlage ein neues System mit Lexikalisierungen für Kombinationen von Ausprägungsmöglichkeiten sowie lexikalischen Lücken herzustellen. Dies hätte zwei Vorteile. Erstens könnten die beiden Tendenzen für die Lexikalisierung kommunikativer Konzepte anhand einer nahezu vollständigen Datenmenge überprüft und so bestätigt oder widerlegt werden. Zweitens wäre angesichts der wesentlich größeren Datenmenge zu erwarten, dass hier absolute Lücken, d.h. praktisch mögliche, aber dennoch nicht lexikalisierte Kombinationen, auftreten würden. Man könnte sich damit auch der Frage nach der Distribution solcher Lücken zuwenden. Letzteres war auf der Grundlage des eingeschränkteren Systems von Edmondson nicht möglich. Die beiden in der Einleitung aufgeworfenen Fragen können nun folgendermaßen beantwortet werden. Was die Frage nach der Verteilung der Lücken angeht, muss zuerst erwähnt werden, dass im Ordnungssystem, das hier entwickelt und verwendet wurde, keine absoluten Lücken Vorkommen. Die ge- Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte 127 sammelten Daten lassen daher keine Aussagen über die Verteilung solcher Lücken zu. Umso häufiger kommen jedoch die relativen Lücken vor, deren zahlreiche Abstufungen den Schluss nahe legen, dass lexikalische Lücken ein graduelles Phänomen sind. Wie sich zeigte, hängt die Größe der relativen Lücken vor allem von zwei Faktoren ab. Erstens wird sie durch den Grad der Spezifizierung des betreffenden Ausdrucks bestimmt: je größer die Anzahl der von einem Ausdruck lexikalisierten Konzepte, desto größer ist die relative Lücke. Zweitens ist das Ausmaß der Lücke vom lexikalischen Status der betreffenden Lexikalisierung abhängig. Die Verteilung dieser relativen Lücken erwies sich tatsächlich als systematisch: Die spezifischsten Ausdrücke gehören den Paradigmen der Direktiva und Kommissiva an. Für die Beschreibung zukünftiger Ereignisse steht uns hingegen nur eine geringe Auswahl unspezifischer Ausdrücke zur Verfügung. Die Distribution relativer Lücken wird somit durch diese zwei Tendenzen der Lexikalisierung kommunikativer Konzepte bestimmt. Da das verwendete Modell nicht alle Kommunikationsverben zu erfassen vermag, ist es notwendig, die Tendenzen anhand einer umfangreicheren Datenmenge zu überprüfen. Über das Verhältnis von einfachen und komplexen Lexikalisierungen lässt das hier verwendete Ordnungssystem aber keine nennenswerten Aussagen zu. Aufgrund der bereits analysierten Daten aus dem Phraseologismen- Korpus hat sich aber gezeigt, dass die oben diskutierten Kategorien wie kategoriale Aspekte oder Merkmale des kommunikativen Verhaltens nicht ausreichen, um die Bedeutung von Idiomen zu erfassen. Dazu sind paradigmatische Eigenschaften notwendig, die von keinem der hier diskutierten Modelle berücksichtigt werden. Eine erste Studie dieser Kategorien deutet auf einige weitere Lexikalisierungstendenzen hin: Für ein Verhalten, das als negativ bewertet wird, stehen mehr Ausdrücke zur Verfügung als für ein solches, das als positiv oder einer Norm entsprechend bewertet wird. Extrem-negatives Verhalten wird vorzugsweise mittels Idiomen lexikalisiert. Ob hier wirklich zwei weitere Tendenzen vorliegen, kann erst eine Analyse des gesamten Phraseologismen-Korpus zeigen. 128 Kristel Proost 7. Literatur Baumgärtner, Klaus (1977): Lexikalische Systeme möglicher Performative. In: ZGL, 5, S. 257-276. Bentivogli, Luisa/ Pianta, Emanuele (2000): Looking for Lexical Gaps. In: Heid. Ulrich et al. (Hg.): Proceedings of the Ninth euralex International Congress, euralex 2000. Stuttgart/ Germany, August 8 th -12 th , 2000. Stuttgart. S. 663-669. Dobrovol’skij, Dimitrij (1995): Kognitive Aspekte der Idiom-Semantik: Studien zum Thesaurus deutscher Idiome. Tübingen. Dobrovol’skij, Dimitrij (1997): Idiome im mentalen Lexikon: Ziele und Methoden der kognitivbasierten Phraseologieforschung. (= FOKUS Linguistisch-Philologische Studien 18). Trier. Duden Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten (1998): Wörterbuch der deutschen Idiomatik. (= Duden 11). Mannheim. 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Winkler, in diesem Band) Ich habe aber auch die Gelegenheit genutzt, eine Retrospektive der Synonymiediskussion in Linguistik und Philosophie zumindest in ihren charakteristischen Ausprägungen nachzuzeichnen. Von einer ‘Retrospektive’ kann man getrost sprechen, denn die Synonymiediskussion in der Linguistik hat im Wesentlichen in den Sechziger-, Siebziger- und frühen Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts stattgefunden, so dass dieser Beitrag in seinem ersten Teil (Abschn. 1-3) auch ein Streifzug durch den semantischen Strukturalismus ist. 1. Das zweifache Dilemma mit der Synonymie 1.1 Quines Exerzitien zu Synonymie und Analytizität Der Begriff der Synonymie ist vor allem in der Sprachphilosophie problematisiert worden, besonders radikal von Quine, der nachweist, dass es einen allgemeinen und absoluten Synonymiebegriff nicht geben kann. Außer dass Quines Argumentationen äußerst scharfsinnig sind, führen sie auch die notwendigen Bedingungen für Synonymie wie Austauschbarkeit und Analytizität ein, so dass es angemessen erscheint, seine Argumentationen etwas ausführlicher darzustellen. 132 Gisela Harras 1.1.1 Synonymie und Definition Bedeutung ist für Quine ein intensionaler Begriff, der streng von der Extension eines sprachlichen Ausdrucks zu unterscheiden ist. So haben z.B. die Allgemeinterme „Lebewesen mit Herz“ und „Lebewesen mit Nieren“ dieselbe Extension, doch ihre Bedeutung ist unterschiedlich. Bedeutungen hängen eng mit den intensionalen Begriffen der Synonymie sprachlicher Ausdrücke und der Analytizität von Aussagen zusammen. Mithilfe von Definitionen erhalten wir synonymische Ausdrücke wie z.B. für den Ausdruck Junggeselle „unverheirateter Mann“. „Doch wie finden wir heraus, daß Junggeselle als „unverheirateter Mann“ definiert ist? Wer hat es so definiert und wann? Sollten wir uns auf das nächstbeste Wörterbuch berufen und die Formulierung des Lexikographen zum Gesetz erheben? Der Lexikograph ist ein empirischer Wissenschaftler, dessen Aufgabe darin besteht, vorgängige Tatsachen aufzuzeichnen, und wenn er „Junggeselle“ als „unverheirateter Mann“ umschreibt, geschieht dies aufgrund seiner Überzeugung, daß diese beiden Formen miteinander synonym sind und daß diese Synonymiebeziehung im allgemeinen oder in einem bevorzugten Sprachgebrauch, vorgängig seiner eigenen Arbeit, enthalten ist.“ (Quine 1979a, S. 30f.) Definitionen eines Lexikographen, so Quines Fazit, können unmöglich als Basis für den Begriff der Synonymie angesehen werden, denn solche Definitionen sind immer Wiedergaben eines bestimmten Sprachgebrauchs. Selbst verfeinerte Definitionen, die Camap Explikationen nennt, beruhen auf vorgängigen Sprachgebräuchen: Bei der Explikation geht es nicht nur um synonymische Paraphrasen eines Definiendums, sondern darum, das Definiendum durch Verfeinerung oder Ergänzung seiner Bedeutung zu verbessern. Dabei muss der Explikator den Sprachgebrauch derjenigen Kontexte erhalten, die die bevorzugten (oder typischen) Kontexte eines Definiendums ausmachen und zugleich den Sprachgebrauch anderer möglicher Kontexte präzisieren. Es ist leicht zu sehen, dass auch die Explikation auf vorgängigem Sprachgebrauch beruhen muss. Auch wenn man, wie es Camap (1972) getan hat, von einer formalen, mathematischen Sprache ausgeht, bleibt das Problem des vorgängigen Sprachgebrauchs als Kriterium für Definitionen in ihrer Eigenschaft als Synonymiebehauptungen bestehen. Formale Sprachen bestehen aus zwei Sprachen, von denen die eine Teil der anderen ist: die Gesamtsprache und die in ihr enthaltene Teilsprache der Grundnotation. Sie stehen miteinander durch Übersetzungsregeln in Beziehung, die jedem Ausdruck, der nicht in Grundnotation formuliert ist, einen in Grundnotation aufgebauten Komplex als gleich zuordnet. Diese Übersetzungsregeln sind die sogenannten Definitionen, die als Synonymie und Synonymik 133 Korrelationen zwischen zwei Sprachen angesehen werden. Solche Korrelationen sind nicht willkürlich. Ihre Aufgabe besteht darin, zu zeigen, dass die Grundnotation alle Zwecke der Gesamtsprache erfüllen kann. Dies ist aber nur dann möglich, wenn die Definitionen den vorgängigen Gebrauch der Grundnotation erhalten, sei es in Form von direkter Aufrechterhaltung durch Synonymiebehauptung, sei es in Form von Explikationen, die den vorgängigen Sprachgebrauch voraussetzen. 1.1.2 Synonymie, Austauschbarkeit und Analytizität Wenn der Begriff der Synonymie nicht durch den Begriff der Definition bestimmt werden kann, dann, so Quine, ist es ein naheliegender Vorschlag, dass Synonymie zweier sprachlicher Formen einfach in ihrer Austauschbarkeit in allen Kontexten ohne gleichzeitige Veränderung ihres Wahrheitswertes, salva veritate, besteht. Zunächst macht Quine eine Einschränkung bezüglich ‘alle Kontexte’. Im Fall der Ausdrücke Junggesellenwohnung, Junggesellenwirschaft, Jungesellendasein ist die erste Komponente nicht durch das Synonym „unverheirateter Mann“ ersetzbar. Das gleiche gilt für Zitatvorkommen wie: (1) „Junggeselle“ hat elf Buchstaben/ ist ein Nomen Solche Gegenbeispiele können dadurch entkräftet werden, dass man die Ausdrücke Jungesellenwohnung, Junggesellenwirtschaft, Junggesellendasein und das Zitat „Junggeselle“ jeweils als ein einziges nicht teilbares Wort auffasst und fordert, dass sich die Austauschbarkeit salva veritate nicht auf fragmentarische Vorkommen innerhalb eines Wortes bezieht (zu weiteren Kontextbeschränkungen vgl. 2). Quine gesteht zunächst ein, dass es Synonymie im Sinn einer vollständigen Identität von psychischen Assoziationen und poetischen Eigenschaften sprachlicher Ausdrücke nicht gibt. Ihm geht es vielmehr um „kognitive Synonymie“, und deren Bedingung lautet: (2) Zwei Ausdrücke X und Y sind kognitiv synonym dann und nur dann, wenn die Aussage „Alle und nur X sind Y“ analytisch ist Auf das vertraute Beispiel bezogen: „Junggeselle“ und „unverheirateter Mann“ sind kognitiv synonym heißt, dass die Aussage: (3) Alle und nur Junggesellen sind unverheiratete Männer analytisch ist. 134 Gisela Harras Mit diesem Begriff der kognitiven Synonymie ist Analytizität vorausgesetzt; andererseits wird Analytizität, wie Quine gezeigt hat, durch Synonymie erklärt: (4) Die Aussage „Alle und nur X sind Y“ ist analytisch dann und nur dann, wenn X und Y kognitiv synonym sind Ist nun Austauschbarkeit salva veritate allein eine hinreichende Bedingung für kognitive Synonymie? Quine beantwortet die Frage positiv, arbeitet dabei aber mit einem Trick, wie er selbst zugibt. Die Aussage (5) Es ist notwendig, dass alle und nur Junggesellen Junggesellen sind ist zweifellos wahr. Wenn nun „Junggeselle“ und „unverheirateter Mann“ salva veritate austauschbar sind, muss (6) Es ist notwendig, dass alle und nur Junggesellen unverheiratete Männer sind ebenso wie (5) wahr sein. Zu behaupten, dass (6) wahr ist, ist genau dasselbe wie zu behaupten, dass (3) analytisch ist und folglich, dass „Junggeselle“ und „unverheirateter Mann“ kognitiv synonym sind. Der Trick, dessen sich Quine bedient, besteht darin, eine Sprache zu unterstellen, die den Ausdruck notwendig enthält, wobei dieser Ausdruck so verstanden wird, dass er zu wahren Aussagen dann und nur dann führt, wenn er auf analytische Aussagen angewendet wird. Wenn wir einen solchen Ausdruck für sinnvoll halten, dann „müssen wir davon ausgehen, daß wir ‘analytisch’ schon auf befriedigende Weise verstanden haben“ (Quine 1979a, S. 36). Das Fazit, das Quine zieht, ist: Austauschbarkeit salva veritate bedeutet gar nichts, solange sie nicht auf eine Sprache relativiert ist, die ihrem Umfang nach in relevanten Aspekten bestimmt ist. Was die relevanten Aspekte sind, sagt Quine allerdings nicht, aber wir können nach allem, was wir bereits wissen, davon ausgehen, dass sie intensionaler Natur sind, d.h. die Sprache ist bezüglich der Synonymie ihrer Ausdrücke und der Analytizität ihrer Aussagen bereits bestimmt. In einem nächsten Schritt konstruiert Quine eine rein extensionale Sprache, die einen Vorrat an einstelligen und mehrstelligen Prädikaten enthält, die vor allem mit einem nicht-logischen Gegenstandsbereich zu tun haben. Der Rest der Sprache ist logisch. Atomare Sätze bestehen aus einem Prädikat, gefolgt von einer oder mehreren Variablen; komplexe Sätze werden mithilfe von Wahrheitsfunktionen (‘nicht’, ‘und’, ‘oder’ usw.) aus atomaren Sätzen gebil- Synonymie und Synonymik 135 det. Kontextuell können Kennzeichnungen und Singulärterme definiert werden, ebenso wie Klassen von Klassen. Ausgeschlossen aus einer solchen Sprache sind intensionale Ausdrücke wie Modaladverbien und kontrafaktische Konditionale. Eine Sprache dieses Typs ist im folgenden Sinn extensional: jedwede zwei Prädikate, die extensional übereinstimmen (d.h. von demselben Objekt wahr sind), sind austauschbar salva veritate. In einer solchen Sprache wären „Lebewesen mit Herz“ und „Lebewesen mit Nieren“ salva veritate austauschbar. Diese Austauschbarkeit beruht aber auf zufälligen außersprachlichen Tatsachen und nicht auf der Bedeutung der beiden Ausdrücke, d.h. sie garantiert keinesfalls das Vorliegen von kognitiver Synonymie. Dass „Junggeselle“ und „unverheirateter Mann“ in einer extensionalen Sprache salva veritate austauschbar sind, sagt nichts darüber aus, dass die extensionale Übereinstimmung von „Junggeselle“ und „unverheirateter Mann“ auf Bedeutung beruht und nicht bloß auf zufälligen Tatsachen wie im Fall von „Lebewesen mit Herz“ und „Lebewesen mit Nieren“. Austauschbarkeit salva veritate, verstanden mit Bezug auf eine extensionale Sprache, kann also keine hinreichende Bedingung für kognitive Synonymie sein. Wenn eine Sprache aber über intensionale Ausdrücke wie notwendig verfügt, dann ist die Austauschbarkeit salva veritate eine hinreichende Bedingung für kognitive Synonymie, doch „eine solche Sprache ist nur insofern verständlich, als der Begriff der Analytizität schon vorgängig verstanden ist“ (Quine 1979a, S. 37). 1.2 Das Problem der Analytizität Aus den Quineschen Exerzitien zu Synonymie und Analytizität wird zweierlei deutlich: (1) Mit Bezug auf eine Sprache ist Synonymie durch Analytizität und Analytizität durch Synonymie und Notwendigkeit (oder logische Wahrheit) erklärt. Es gibt keine Möglichkeit, die Begriffe unabhängig voneinander zu erklären, d.h. aus dem Zirkel der Erklärung des einen intensionalen Begriffs durch den anderen und vice versa auszubrechen. (2) So wie die Dinge liegen, brauchen wir einen Begriff von Synonymie und Analytizität, der unabhängig von einer einzelnen Sprache ist, also statt ‘analytisch in L’ (mit L als Konstante für ein bestimmtes Sprachsystem) bzw. ‘synonym in L’ bräuchten wir einen Begriff von ‘analytisch in L’ (mit L als Variable für ein beliebiges Sprachsystem) bzw. ‘synonym in L’. Die beiden Begriffe mit Konstanten und Variablen für L könnten nur dann in einen Zusammenhang gebracht werden, wenn wir den allgemeinen Analytizitätsbegriff, also ‘analytisch in L’ mit variablem L geklärt hätten (vgl. dazu Bosch 1979). Dies ist aber, wie Quine gezeigt hat, nicht 136 Gisela Harras möglich, da der Synonymiebegriff auf vorgängigem Sprachgebrauch in einer bestimmten Sprache beruht, und dieser Gebrauch als synonym wiederum auf Analytizität in einer bestimmten Sprache beruht. Umgekehrt lässt sich nicht sagen, was Analytizität oder Synonymie für variables L ist, selbst wenn man ‘analytisch in L’ und ‘synonym in L’ für alle existierenden Sprachsysteme geklärt hätte. Dies ließe nun den trivialen Wittgensteinschen Schluss zu, dass die Begriffe Synonymie und Analytizität nur mit Bezug auf eine Sprache, eine Lebensform sinnvoll sind, gäbe es da nicht noch zwei Probleme, die in den Quineschen Exerzitien stecken: (1) Das Problem der Verallgemeinerung der Feststellung synonymischen Sprachgebrauchs zweier Ausdrücke x und y zur generellen Feststellung, dass x und y Synonyme sind. (2) Das Problem der Unterscheidung analytischer und synthetischer Aussagen. Zu (1): Quine hält die Arbeit eines Lexikografen, der mithilfe synonymischer Ausdrücke die Bedeutung von anderen Ausdrücken erklärt, für eine durchaus sinnvolle Tätigkeit (vgl. Quine 1979b); was der Lexikograf macht, ist, den vorgängigen Gebrauch eines Ausdrucks zu verzeichnen, so wie er in einer bestimmten Sprachgemeinschaft in usueller oder typischer Weise vorliegt. Sprachteilnehmer sind in einer konkreten Situation durchaus in der Lage, etwas, das mit einer bestimmten Intention geäußert wurde, dann, wenn der Adressat es nicht oder unvollkommen verstanden hat, nochmal mit einem anderen Ausdruck zu sagen. Und sie sind sich darüber hinaus auch ganz sicher, dass sie mit den Ausdrücken dasselbe gesagt haben, d.h. dass die zwei von ihnen gebrauchten Ausdrücke relativ zur Situation und ihrer Sprecherintention gleichwertig sind. Bosch spricht hier von „Kontextäquivalenz“ der beiden Ausdrücke (vgl. Bosch 1979, S. 166). Die Fähigkeit, Kontextäquivalenzen von Ausdrücken zu beurteilen, hält er für einen Teil der normalen Sprachbeherrschung eines muttersprachlichen Sprechers. Problematisch wird es, wenn man von der konkreten Situation und der jeweiligen Sprecherintention abstrahiert und ganz allgemein von Äquivalenz zweier Ausdrücke in allen Kontexten, d.h. von Synonymie im bisherigen philosophischen Sinn spricht. In diesem Fall kann man nicht mehr davon ausgehen, dass die Beurteilung zweier Ausdrücke als synonym zur Sprachbeherrschung von Sprechern gehört: „Es gibt keinerlei Form alltäglichen Sprachgebrauchs, in der Synonymieurteile erforderlich wären. Synonymieurteile sind generelle Aussagen über die Sprache und keine Form des Sprachgebrauchs. Sie gehören ebenso wenig zur normalen Sprachbeherrschung wie die Fähigkeit, grammatische Regeln für die eigene Sprache zu formulieren. Im Gegensatz zum Begriff der Kontextäquivalenz enthält der Synonymie und Synonymik 137 Synonymiebegriff implizit den Begriff aller möglicher Kontexte und den Begriff aller möglicher Ausdrucksintentionen. Und gerade jene beiden Begriffe übersteigen unsere Vorstellung bei weitem und dürften kaum als sinnvolle Begriffe konstruierbar sein.“ (Bosch 1979, S. 166f.) Innerhalb unserer Sprache, unserer Lebensform, haben wir natürlich eine Vorstellung von den möglichen Kontexten und Intentionen, die mit dem Gebrauch sprachlicher Ausdrücke verknüpft sind, und die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft stimmen in ihren Vorstellungen und Urteilen weitgehend überein. Doch sobald sich die Kontexte radikal ändern, schwindet diese Übereinstimmung. Bosch bemüht das berühmte Beispiel von Putnams Katzen, für die sich herausstellt, dass sie vom Mars gesteuerte Roboter sind. Würden wir dann sagen, dass sich die Bedeutung von Katze geändert hat und die Aussage „alle Katzen sind Tiere“ nicht mehr analytisch, sondern empirisch falsch ist, oder würden wir sagen, dass die Bedeutung von Katze unverändert geblieben ist, aber Katzen nicht mehr existieren? Es dürfte außer Zweifel stehen, dass die Beantwortung dieser Fragen nicht von der Beherrschung unserer Sprache abhängig ist (vgl. Bosch 1979, S. 167). Zum zweiten Problem: Nach allem, was wir bisher diskutiert haben, dürfte es zweifelhaft sein, ob es über Kontextäquivalenz hinaus so etwas wie Synonymie überhaupt gibt. Und wenn dies der Fall ist, dann gibt es auch keine analytischen Wahrheiten. Bosch (1979) hat darauf aufmerksam gemacht, dass sich die philosophische Diskussion viel zu sehr auf ostensive Prädikate, also Ausdrücke für natürliche Arten, Artefakte und physikalische Prozesse konzentriert hat. Im Fall des Erlemens ostensiver Prädikate können wir sehen, worauf diese Prädikate angewendet werden und worauf nicht, wobei wir uns an eine gewisse Variationsbreite ihrer Anwendung gewöhnen, doch die Menge aller ihrer möglichen Kontexte kann nie ausgeschöpft werden. Ostensive Prädikate sind aber nur eine Art von Prädikaten. Dazu kommen Prädikate, die wir nicht durch ostensive Definitionen erlernen können, da ihr Zutreffen oder Nicht-Zutreffen auf einen Gegenstand gar nicht beobachtbar, sondern ausschließlich eine Sache der Konvention in einer Gemeinschaft ist. Es lässt sich durch keine Beobachtung feststellen, ob das Prädikat Junggeselle auf eine bestimmte Person zutrifft oder nicht. Es erhält seinen Sinn aufgrund bestimmter sozialer oder institutioneller Tatsachen. Solche Prädikate nennt Bosch „Systemprädikate“: „Systemprädikate stehen nun Kraft des Systems, dem sie angehören, in festen intensionalen Beziehungen zu andern Systemprädikaten. Aufgrund einer solchen Beziehung wäre dann auch die Aussage, daß alle Junggesellen unverheiratet sind, als analytisch anzusehen, oder die Aussage, daß Geschiedene einmal verheiratet waren, daß jede Schwiegermutter ein verheiratetes Kind (gehabt) hat, etc.“ (Bosch 1979, S. 172) 138 Gisela Harras Damit wären wir also wieder bei dem Wittgensteinschen Diktum, dass Synonymie und Analytizität nur innerhalb einer Lebensform sinnvolle Begriffe sein können, nur haben wir, so hoffe ich, das Diktum jetzt etwas besser verstanden! Das heißt aber noch lange nicht, dass wir auch wüssten, was Synonymie in einer bestimmten natürlichen Sprache ist. 2. Synonymie in einer bestimmten natürlichen Sprache Zwei notwendige Bedingungen für Synonymie in einer bestimmten natürlichen Sprache können wir zunächst aus den sprachphilosophischen Erörterungen, wenn auch mit aller Vorsicht, herausfiltem: die Bedingung der Austauschbarkeit salva veritate zweier Ausdrücke und, folgend aus Quines Bedingung der Analytizität, die Bedingung der Gleichheit der Bedeutungen zweier Ausdrücke, die als synonym gelten sollen. Für die Bedingung der Austauschbarkeit hat bereits Quine die Beschränkung formuliert, dass sie sich nicht auf fragmentarische Vorkommen innerhalb eines Wortes bezieht. Doch es gibt weitere Beschränkungen für Kontexte bzw. Kontexttypen, die Cooper (1966) als ‘widerspenstig’ bezeichnet. Beispiele sind die folgenden: (1) fast hat vier Buchstaben (2) fast hat weniger Phoneme als beinah (3) Viele Köche verderben den Brei (4) Sein Argument beruht auf einem Zirkelschluss (5) Jeder, der glaubt, dass alle Junggesellen korrupt sind, glaubt, dass alle Junggesellen korrupt sind All den Sätzen (1) bis (5) ist gemeinsam, dass für ihre Verifizierung die semantische Deutung der jeweiligen Ausdrücke keine Rolle spielt: für (1) und (2) ist dies offensichtlich, sie sind Zitatvorkommen. Im Fall von (3), dem Sprichwort, gewinnt der Gesamtsatz eine Art Eigenleben, so dass die standardmäßige Bedeutung der Ausdrücke, aus denen er besteht, seine Gesamtbedeutung nicht im kompositionellen Sinn bestimmt. Es wäre witzlos, (3) durch folgende Ersetzungen zu verändern: (3’) Ein Überfluss an Küchenchefs verdirbt die Qualität der dickflüssig gekochten Speisen Gleiches gilt für (4): der Sinn von lexikalisierten Zusammensetzungen ist nicht eine einfache Funktion der Bedeutung der Ausdrücke, aus denen sie Synonymie und Synonymik 139 bestehen; wir hatten das bereits am Beispiel von Junggesellenwirtschaft gesehen. Für Sätze vom Typ (5) gilt, dass ihre Verifizierung nicht notwendigerweise die semantische Deutung der in ihnen vorkommenden Ausdrücke voraussetzt. Einen Satz wie: (6) Einige Physiker glauben, dass renitente Quarkoide nur alle tausend Jahre auftreten kann man dadurch verifizieren, dass man einige Physiker fragt, ob sie das, was der cfcs-Satz ausdrückt, glauben, oder auch dadurch, dass man es in einer Fachzeitschrift nachliest, ohne auch nur die mindeste Ahnung von der Bedeutung des Wortes Quarkoid zu haben. Auf alle Sätze (1) bis (6) trifft also das Kriterium zu, dass man zu ihrer Verifikation nicht in der Lage sein muss, die in ihnen enthaltenen Ausdrücke, die in anderen Kontexten Ersetzungskandidaten sein könnten, semantisch zu interpretieren. Wir können also ganz allgemein die Beschränkung formulieren: Alle Kontexttypen, für deren Verifizierung die Bedeutung der einzelnen in ihnen enthaltenen Ausdrücke keine Rolle spielt, sind für die Austauschbarkeit salva verdate auszuschließen. Mit dieser Definition von Kontextbeschränkung bekommt man auch das Problem der Ersetzbarkeit in opaken (oder intensionalen) Kontexten gut in den Griff: In einem Satz wie: (7) Anton glaubt, dass der Mann am Strand ein Spion ist kann man die definite Kennzeichnung der Mann am Strand nicht salva veritate durch Herr Müller von nebenan ersetzen, selbst wenn für den Sprecher, der den Satz äußert, ohne jeden Zweifel feststeht, dass der Mann am Strand identisch mit Herrn Müller von nebenan ist. Dagegen ist in (8) Anton glaubt von dem Mann am Strand, dass er ein Spion ist eine solche Ersetzung ohne weiteres möglich. Der Unterschied zwischen (7) und (8) ist bekanntlich der zwischen de dicto und de re Lesart (vgl. Quine 1980; Mates 1970). Nach unserer Definition können wir jetzt sagen, dass im Fall der de dicto Lesart die Ausdrücke deshalb nicht salva verdate ersetzbar sind, weil sie in dem c/ ow-Kontext stehen, für dessen Verifizierung die Bedeutungen der in ihm vorkommenden Ausdrücke keine Rolle spielen, während dies für alle Ausdrücke der de re Lesart, die vor dem <Ara-Kontext stehen, gerade nicht der Fall ist. Als zweite Bedingung für Synonymie hatten wir aus der Sprachphilosophie die Gleichheit der Bedeutung der beiden Ausdrücke, die synonym sein sollen, übernommen. Was soll aber unter Gleichheit von Bedeutung verstanden wer- 140 Gisela Harras den? Bierwisch/ Schreuder sehen im Rahmen der Zwei-Ebenen-Semantik vier Möglichkeiten von Synonymie vor: (1) Die semantische Form eines Ausdrucks A SF(A) ist identisch mit SF(B) (2) SF(A) ist äquivalent mit SF(B) (3) Die konzeptuelle Struktur von A CS(A) ist identisch mit CS(B) relativ zu einem bestimmten Kontext Ct (4) A und B sind identisch bezüglich ihrer Referenz (Denotation) (Bierwisch/ Schreuder 1992, S. 37) Den Geltungsbereich der drei ersten Möglichkeiten, d.h. einer strikten Synonymie im Sinn von Identität und Äquivalenz, schränken Bierwisch/ Schreuder allerdings erheblich ein, indem sie zugestehen, dass solche Fälle in einer natürlichen Sprache so gut wie nie Vorkommen. Sie verweisen dabei auf ein Phänomen, das bereits einen der Begründer der linguistischen Semantik, Michel Breal, beschäftigt hat, nämlich die Tendenz in einer Sprachgemeinschaft, zu einem bestimmten Zeitpunkt vorfmdliche bedeutungsgleiche, d.h. von den einzelnen Sprechern als solche empfundene, Ausdrücke semantisch differenzierend zu verwenden. Breal spricht von einer „loi de repartition“, einem Gesetz der Bedeutungsverteilung, das zwangsläufig immer dann in Kraft tritt, wenn aus der Sicht eines einzelnen Sprechers oder einer Sprechergruppe die Möglichkeit der Verwirklichung einer vollkommenen oder strikten Synonymie gegeben ist. Die Gültigkeit eines solchen Gesetzes wurzelt, wie es Gauger interpretiert, in dem intuitiven Wortverständnis eines durchschnittlichen Sprechers: „Da für diesen das Wort gerade die Aufgabe hat, ein Ding es von allen übrigen unterscheidend zu bezeichnen, müssen verschiedene Wörter auch Verschiedenes meinen“ (Gauger 1972, S. 34). Das Problem ist also folgendes: Gibt es Gleichheit von Bedeutungen oder nur Ähnlichkeit? Gibt es Synonyme auf der Ebene des Sprachsystems (oder der Kompetenz) oder nur Synonyme der Rede, d.h. Kontextäquivalenzen? 2.1 Synonymie im Sprachsystem - Synonymie in der Rede Wenn man heute aus der zeitlichen Distanz zur Diskussion über (lexikalische) Synonymie, die im Wesentlichen in den Sechziger-, Siebziger- und frühen Achtzigerjahren stattgefunden hat, ein Fazit ziehen will, dann kann man zunächst vier Auffassungstypen zusammenfassen: (1) Synonymie auf der Ebene des Sprachsystems (der Kompetenz) gibt es nicht. Synonymie und Synonymik 141 (2) Es gibt Synonymie, verstanden als Relation zwischen zwei oder mehr bedeutungsgleichen lexikalischen Ausdrücken auf der Ebene des Sprachsystems. (3) Es gibt Synonymie, verstanden als Relation zwischen zwei oder mehr lexikalischen Ausdrücken mit zugleich gleichen und verschiedenen Bedeutungskomponenten auf der Ebene des Sprachsystems. (4) Synonymie ist eine Erscheinung sowohl des Sprachsystems als auch der Rede, der parole (Performanz). Zur ersten Auffassung: Auf der Ebene des Sprachsystems kann es keine Synonymie geben. Koch (1963) definiert zwei oder mehr lexikalische Ausdrücke als synonym genau dann, wenn sie gegeneinander austauschbar sind, ohne den jeweils intendierten Aussagegehalt und Aussagecharakter zu verändern. Beispiele für diese Art von unbedingter Synonymie, für Koch Synonymie im Sprachsystem, gibt es nicht. Mit der Definition wird die Abhängigkeit einer aktuellen Synonymie, d.h. einer Kontextäquivalenz zweier Ausdrücke, von der Sprecherintention behauptet. Damit wird das Vorkommen eines lexikalischen Ausdrucks als synonym zu einem anderen auf den mentalen Prozess eines Sprechers beschränkt, zumindest, wenn sich die Austauschbarkeit auf dasselbe Kontextvorkommen beziehen soll, wie in der Synonymiediskussion allgemein vorausgesetzt wird. In der Rede gibt es allerdings kein solches Gebilde wie: (1) Wir brauchen einen neuen Fahrstuhl Aufzug Das Vorliegen aktueller Synonyme muss also auch dadurch erklärt werden, wie der Hörer sie erkennen kann. Koch kommentiert seine Definition so: „Die jeweilige Intention des Sprechers und im weiteren Sinn der sprachliche und außersprachliche Kontext entscheiden über die Synonymität mehrerer Ausdrücke. Synonymie kann nur aus den Gegebenheiten des Sprechakts erschlossen werden.“ (Koch 1963, S. 76) Unklar ist, was unter „Gegebenheiten des Sprechakts“ zu verstehen ist. Inwieweit spielt dabei die Kompetenz von Sprecher und Hörer für die Bedeutung der jeweils benutzten sprachlichen Ausdrücke eine Rolle, insbesondere die semantische Eignung oder Disposition eines Ausdrucks, als Synonym für einen anderen gelten zu können? Gauger (1972) bestimmt Synonymie ebenfalls als Erscheinung der Rede und darüber hinaus als Eigenschaft von speziellen Kontexten: Es ist der Kontext 142 Gisela Harras der aktuellen Rede, der einen Ausdruck als Synonym kennzeichnet. Gauger unterscheidet zwei Arten von Kontexten: nicht-synonymische Kontexte synonymische Kontexte Nicht-synonymische Kontexte haben die Eigenschaft, „die Wörter hinsichtlich ihrer Bedeutung zu entlasten“ (Gauger 1972, S. 71). Was Gauger unter Entlastung versteht, lässt sich am besten durch ein Beispiel für einen nichtsynonymischen Kontext verdeutlichen: (2) „Eine TG besteht aus drei Teilen: Syntax, Semantik, Phonologie. Die syntaktische Komponenete zerfällt ihrerseits in einen Konstituenten- oder Tiefenstrukturteil, der auch als Basis bezeichnet wird, und in einen Transformationsteil.“ In diesem Kontext könnte man besteht aus durch zerfällt in und zerfällt in durch besteht aus ersetzen, ohne die Bedeutung des Gesamtsatzes, geschweige denn seine Wahrheitsbedingungen zu verändern. In nicht-synonymischen Kontexten, das sind die gewöhnlichen Kontexte unserer Rede, werden die feinen Bedeutungsunterschiede der Wörter nivelliert und das Gleiche ihrer Bedeutung profiliert. Eine zweite Kontextart ist der synonymische Kontext, in dem die Wörter, wie Gauger schreibt, als „inhaltsähnliche also gerade auch als inhaltsverschiedene - Wörter erscheinen“ (Gauger 1972, S. 71). Hier werden die Wörter hinsichtlich ihrer Verschiedenheit fokussiert. Synonymische Kontexte sind sprachreflexiv; sie enthalten mehr oder weniger explizit „den metasprachlichen Hinweis: mit dem Wort A meine ich etwas anderes als mit dem Wort B (A und B seien zwei Synonyme)“ (Gauger 1972, S. 71). Nebenbei bemerkt, kann man sich natürlich fragen, was der Zusatz in Klammern heißen soll, wenn Synonymie nur eine Erscheinung der Rede ist! Zwei schöne Beispiele für synonymische Kontexte sind: (3) „Ich möcht ein wenig ausgeschimpft, abgekanzelt, verknurrt und verdonnert werden, das würde mir unsagbar wohltun.“ (4) „Longtemps j’ai envie les concierges de la rue Lacepede, quand le soir et Fete les font sortir sur le trottoir, ä califourchons sur leurs chaises: les yeux innocents voyaient sans avoir mission de regarder.“ Es ist klar, dass in solchen Kontexten keine Möglichkeit des Austauschs der Ausdrücke besteht. In (3) wird mit der Reihung der bedeutungsähnlichen Synonymie und Synonymik 143 Ausdrücke die Intensivierung der verbalen Bestrafung perspektiviert. Man könnte dies noch zusätzlich durch Partikeln wie ja, sogar markieren, vgl.: (5) Ich möcht ein wenig ausgeschimpft, ja abgekanzelt, sogar verknurrt, ja sogar verdonnert werden. Eine Vertauschung der Ausdrücke, z.B. in der Reihenfolge, würde zu einem semantisch fragwürdigen Satz führen, vgl.: (6) 9 Ich möcht ein wenig verdonnert, ja verknurrt, sogar abgekanzelt, ja sogar ausgeschimpft werden. Vertreter der Auffassung, dass Synonymie von Ausdrücken nur auf der Ebene der Rede auftritt, sind außerdem Scur (1973), Grimm (1971), Juhasz (1970), Lipshits (1978) und Wiktorowitsch (1980) mit interessanterweise z.T. entgegengesetzten Argumenten: So argumentieren Scur (1973), Grimm (1971) und Juhasz (1970) mit dem Saussureschen Systembegriff: Auf der Ebene der langue ist der systematische Wert (valeur) eines Zeichens eindeutig von den Werten aller anderen Zeichen restlos bestimmt. Erst in der Rede werden die Unterschiede aufgehoben. In die entgegengesetzte Richtung argumentieren Lipshits (1978) und Wiktorowisch (1980): Auf der Systemebene ist die Bedeutung lexikalischer Ausdrücke lediglich durch deren mögliche Denotate beschränkt, d.h. auf dieser Ebene gibt es zahlreiche bedeutungsgleiche Ausdrücke, die erst auf der Ebene der Rede durch konnotative Bedeutungsfaktoren differenziert werden. In dieser Sichtweise sind Synonyme als zugleich bedeutungsgleiche und bedeutungsverschiedene Ausdrücke auf die Rede - und da auch nur auf besondere Kontexte (Gaugersch: synonymische) beschränkt. Coseriu hat verschiedentlich (zuerst 1952; 1974) die Auffassung vertreten, dass Synonymenpaare im System eine Einheit bilden, d.h. begrifflich nicht geschieden sind. Differenzierungen und Oppositionen bilden sich erst in der Norm heraus, wobei die Norm im Unterschied zur parole kollektiv bestimmt ist. Die Norm umfasst alle diejenigen Elemente, die nicht unikal und okkasionell sind, sondern sozial, d.h. normale häufig wiederholte Elemente in der Rede einer Sprachgemeinschaft darstellen, die aber nicht zum System gehören. Alle konnotativen Elemente gehören nach Coseriu zur Norm einer Sprachgemeinschaft. Z.B. bilden span, tomo/ volumen oder frz. tome/ volume im System eine Einheit, sie sind begrifflich nicht geschieden. Durch verschiedenartigen Gebrauch unterscheiden sie sich erst auf der Ebene der Norm. Söll (1966) fragt m.E. völlig zu Recht: „Ist denn tomo nicht etwas anderes als volumen (inhaltliche gegen äußerliche Aufteilung eines Buches, ähnlich frz. tome/ volume, vgl. „un tome en deux volumes“)? “ (Söll, 1966, S. 98). 144 Gisela Harras Problematisch an den Argumentationen der Befürworter der Synonymie als gleich- und verschiedenbedeutende Ausdrücke auf der Ebene der Rede sind allemal zwei stillschweigende Voraussetzungen: einmal die Voraussetzung, dass Konnotationen (Stilregister, Wertungen und Sprechergruppenabhängigkeit) von Ausdrücken ausschließlich auf der Ebene der parole zu lokalisieren sind; zweitens die Voraussetzung, dass denotative und konnotative Bedeutung strikt voneinander zu trennen seien. Auf dieses Problem werde ich weiter unten noch näher einzugehen haben. Für die Bestimmung von aktueller Synonymie oder Kontextäquivalenz ist, wie wir gesehen haben, immer das Kriterium der Austauschbarkeit von Ausdrücken in denselben Kontextvorkommen wichtig. Da dieses Kriterium auch für alle anderen Synonymiebestimmungen wesentlich ist, erscheint es mir angemessen, vor der Diskussion der Standpunkte (2) bis (4) noch einmal näher auf das Problem der Austauschbarkeit einzugehen. 2.2 Spezielle Substitutionsbedingungen Wir wissen bereits von Quine, dass Synonymie durch Austauschbarkeit zweier oder mehrerer Ausdrücke in nicht-intensionalen Kontexten bestimmt werden soll: Zwei Ausdrücke einer bestimmten Sprache sind synonym genau dann, wenn ihre gegenseitige Ersetzung zu bedeutungsgleichen Sätzen führt, z.B. sind die beiden Sätze: (1) Wir brauchen einen neuen Fahrstuhl (2) Wir brauchen einen neuen Aufzug bedeutungsgleich, und Fahrstuhl und Aufzug sind daher synonym. Es ist auch klar, dass die Bestimmung der Synonymie von zwei oder mehr Ausdrücken von der Beurteilung der Bedeutungsgleichheit von Sätzen abhängig ist, und folglich ein Kriterium für Bedeutungsgleichheit von Sätzen benötigt wird. Lyons (1969) gibt eine Definition mit Hilfe des Begriffs der Implikation: „If one sentence SI, implies another sentence S2, and if the converse also holds, SI and S2 are equivalent: i.e. if SI z> S2 and if S2 n SI, then SI = S2 (where = stands for ‘is equivalent to’). If now the two equivalent sentences have the same syntactic structure and differ from one another only in that where one has lexical item x, the other has y, then x and y are synonymous.“ (Lyons 1969, S. 450) Zur Implikation als Kriterium für Sinnrelationen allgemein findet sich bei Lyons das Folgende: Synonymie und Synonymik 145 „Sense-relations are stateable within a framework which includes the notion of implication. The notion may be introduced here by way of the prior concepts of explicit assertion and denial. We will assume that in all languages it is possible to establish rules of correspondence between affirmative and negative sentences; and that the correspondence between a particular affirmative and a particular negative sentence is accounted for by the grammar of the language. Thus the negative sentence John is not married corresponds to the affirmative sentence John is married. We will now say that a negative sentence explicitly denies whatever is explicitly asserted by the corresponding affirmative sentence; and on the basis of this notion of explicit assertion and denial we can construct the semantically more interesting notion of implicit assertion and denial, or implication. One sentence, S|, is said to imply another, S 2 , symbolically, Si S 2 if speakers of the language agree that it is not possible to assert explicitly Si and to deny explicitly S 2 . And S, implicitly denies S 2 - S, implies not S 2 : Si n ~ S 2 if it is agreed that the explicit assertion of S| makes impossible, without contradiction, the explicit assertion of S 2 “. (Lyons 1969, S. 445) Wiegand (1976) hat en detail gezeigt, dass die Lyonssche Definition sich nur unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen auf natürliche Sprachen anwenden lässt. Die erste Voraussetzung bezieht sich auf die Präzisierung von assertion ‘Behauptung’ als entweder: (a) der Akt des Behauptens (b) das, was behauptet wird (c) das konkrete sprachliche Resultat, der geäußerte Behauptungssatz (d) der Behauptungssatz als syntaktische Kategorie, d.h. als linguistische Abstraktion. Dasselbe gilt für denial, wobei (b), das, was verneint ist, wiederum eine Behauptung darstellt (vgl. Wiegand 1976, S. 135). Die Begriffe ‘affirmative sentence’ und ‘negative sentence’ sind Abstraktionen aus dem pragmatischen Begriff der Satzäußerung. Lyons unterscheidet zwischen einem behauptenden Satz und dem, was mit ihm behauptet wird. Der negative Satz (3) John is not married verneint explizit das, was mit dem affirmativen Satz (4) John is married 146 Gisela Harras explizit behauptet wird. Wiegand weist wie ich meine zu Recht darauf hin, dass die Redeweise von „behauptenden/ vemeinenden Sätzen“ zu Inkonsistenzen der Argumentation führt: Die beiden Sätze (3) und (4) stehen nur dann in dem von Lyons bestimmten Verhältnis, wenn man davon ausgeht, dass sich der Name John auf ein und dieselbe Person bezieht. Dies ist aber in den Sätzen (3) und (4) in ihrer Eigenschaft als Beispiele für eine linguistische Argumentation nicht notwendig enthalten, und das heißt, dass Lyons stillschweigend von pragmatischen Voraussetzungen Gebrauch macht, nämlich, dass Sprecher einer Sprachgemeinschaft normalerweise davon ausgehen, dass sich ein bestimmter geäußerter Personenname innerhalb eines Diskurs- oder Textabschnitts immer auf ein und dieselbe Person bezieht. Man muss also mindestens eine Voraussetzung angeben, die sicherstellt, dass Referenzidentität vorliegt. Eine solche Voraussetzung ist explizierbar durch eine semantische oder pragmatische Referenztheorie, durch eine textlinguistische Kohärenztheorie oder durch eine Übersetzungstheorie mit natürlicher Sprache als Ausgangs- und einer prädikatenlogischen Konstruktsprache als Zielsprache (vgl. Wiegand 1976, S. 138). Die zweite einschränkende Voraussetzung betrifft die Redeweise von „implicit assertion/ denial“. Das Verhältnis von implizit und explizit bestimmt Lyons so (ich wiederhole nochmal den vorletzten Satz aus dem Zitat): „One sentence, S" is said to imply another, S 2 , symbolically, S, n S 2 if speakers of the language agree that it is not possible to assert explicitly S, and to deny explicitly S 2 .“ (Lyons 1969, S. 450) Lyons gründet den Implikationsbegriff also auf die Übereinstimmung von Sprecherurteilen in einer Sprachgemeinschaft, wobei es unklar ist, was der Gehalt der Urteile „possible“ bzw. „impossible“ sein soll. Für die natürliche Sprache kann man sich zahlreiche Situationen vorstellen, in denen es durchaus möglich ist, einen Satz Si zu behaupten und einen Satz S2, den Si impliziert, zu verneinen. Erst, wenn man den Zusatz „without contradiction“ des letzten Satzes im Zitat berücksichtigt, ist es unmöglich („impossible“), einen Satz Si zu behaupten und einen von ihm implizierten Satz S2 zu verneinen, und dies nur dann, wenn die Referenzidentität der in den Sätzen vorkommenden Personennamen bzw. definiten Kennzeichnungen garantiert ist. Unter dieser Voraussetzung ist es nicht möglich um wieder auf das alte Quine- Beispiel zurückzukommen, das auch Lyons bemüht zu behaupten: (5) John ist ein Junggeselle und (6) John ist ein unverheirateter Mann Synonymie und Synonymik 147 zu verneinen. Laut Quine ist diese ‘Unmöglichkeit’ in der Analytizität des Satzes (7) Ein Junggeselle ist ein unverheirateter Mann begründet, und Analytizität wird mit logischer oder notwendiger Wahrheit gleichgesetzt. Lyons ist der Meinung, dass für linguistische Zwecke die Domäne der natürlichen Sprache ausreicht und kein Rekurs auf logische Wahrheit und die damit erforderliche Unterscheidung zwischen analytisch und synthetisch notwendig ist: „What a linguist requires is a pragmatic concept of analyticity one which gives theoretical recognition to the tacit presuppositions and assumptions in the speechcommunitiy and takes no account of their validity within some other frame of reference assumed to be absolute or linguistically and culturally neutral.“ (Lyons 1969,8.445) Zum Zweck einer solchen Beschränkung hat Lyons den Begriff des ‘restricted context’ eingeführt, was nichts anderes heißt, als dass ‘notwendig wahr’ aufzufassen ist als relativ zum üblichen (d.h. regelgerechten) Sprachgebrauch in einer natürlichen Sprache. „Without contradiction“ ist damit auch nicht als ‘ohne logischen Widerspruch’ zu verstehen, sondern als ‘Widerspruch relativ zur Übereinstimmung in den Urteilen der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft’. Dieses Fazit hat natürlich verblüffende Ähnlichkeit mit der Bedeutungsauffassung Wittgensteins, besonders in der scharfsinnigen Rekonstruktion durch Kripke (1983). Die Diskussion lässt uns mit der Einsicht zurück, dass die Beurteilung von semantischen Gleichheits- oder Ähnlichkeitsbeziehungen eine Sache der Urteilsübereinstimmung von Sprechern einer Sprache ist und mit der Frage, wie man solche Übereinstimmungen außer durch den belegten Sprachgebrauch feststellen kann. Bevor ich zu diesem äußerst kritischen Punkt komme, möchte ich noch auf ein Kontextproblem zu sprechen kommen, das für die Austauschbarkeit von Ausdrücken, die als synonym gelten sollen, eine Lösung verlangt. Angenommen, jemand äußert, um beim alten nun schon mehr als vertrauten Beispiel zu bleiben: (8) Inges Mann ist ein Junggeselle, wie er im Buche steht In diesem Kontext ist Junggeselle wohl kaum durch unverheirateter Mann zu ersetzen, vgl.: (9) * Inges Mann ist ein unverheirateter Mann, wie er im Buche steht 148 Gisela Harras Die Lösung des Problems scheint klar: in (8) wird Jungeselle nicht in seinem üblichen Sinn verstanden, sondern als Prädikat für bestimmte Eigenschaften wie ‘wenig soziabel’ oder ‘eigenbrötlerisch’. Wiegand (1976) unterscheidet zwischen usuellen und nicht-usuellen Kontexten mit Rückgriff auf die Differenzierung zwischen etwas sagen und etwas meinen ä la Grice. Ein Sprecher, der mit Hilfe bedeutungsvoller Zeichen etwas sagt, muss nicht notwendigerweise auch genau das meinen, was er sagt, z.B. wenn jemand, der gefragt wird, wo sich die Person Anton aufhält, äußert: (10) Vor der Post steht ein roter Mercedes kann er unter bestimmten Umständen meinen, dass sich Anton in der Post auftrält; gesagt hat er aber nur etwas über die Lokalisation eines bestimmten Autos. Gleiches gilt für metaphorischen, tautologischen und ironischen Sprachgebrauch. Wir können also solche Kontexte, ebenso wie früher schon alle intensionalen, als geeignete Kandidaten für Kontexte, in denen zwei oder mehr Ausdrücke austauschbar sind, ausschließen und nur solche Kontexte vorsehen, die usuell sind, d.h. mit denen jemand sagt, was er meint. Wenden wir uns jetzt dem größeren Problem zu: Wie kann man Gleichheit oder Ähnlichkeit von Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke anhand von Kontexten beurteilen? Wir hatten bereits gesehen, dass es, bedingt durch die Linearität von sprachlichen Äußerungen, im mündlichen Sprachgebrauch keine Äußerungen der Form gibt: D.h. die mutmaßlichen Synonyme finden sich im mündlichen Sprachgebrauch nicht in demselben Kontext. Eine Äußerungssequenz (11) Wir brauchen einen neuen Fahrstuhl. Wir brauchen einen neuwird als redundante Wiederholung verstanden, möglicherweise mit dem zweiten Teil als Korrektur oder Präzisierung des ersten Teils. In diesem Fall hätten wir so etwas wie einen synonymischen Kontext im Sinn Gaugers, und solche Kontexte scheiden für die Beurteilung von Gleichheit oder Ähnlichkeit von Bedeutungen ohnehin aus. Man könnte nun auf die Idee kommen, dass vielleicht schriftliche Äußerungen geeignetere Kandidaten für nicht-synonymische Kontexte darstellten. Allerdings ergibt sich hier das doppelte Problem, nämlich einmal, dass die Kontexte sich auf Textabschnitte nicht absehbarer Länge beziehen können und zum andern, dass Gleichheit der Kontexte im Satzrahmen (und davon (1) Wir brauchen einen neuen Fahrstuhl Aufzug en Aufzug Synonymie und Synonymik 149 waren wir bisher immer ausgegangen) eher die Ausnahme ist. Allenfalls könnte man den mentalen Prozess der Auswahl eines synoymen Ausdrucks eines Schreibenden in einer bestimmten Situation untersuchen, müsste dabei allerdings von der fragwürdigen Voraussetzung ausgehen, dass ein Schreiber überhaupt bewusst auswählt, d.h. dass er in einer kontrollierten Weise über eine Reihe von gleichbedeutenden Ausdrücken verfügt. Wir können also das Fazit ziehen, dass Austauschbarkeit von Ausdrücken in demselben Kontext keine Praxis von Sprechern einer natürlichen Sprache darstellt, sondern lediglich eine mehr oder weniger geeignete Versuchsanordnung im linguistischen Labor! Die Chancen für den Erfolg einer direkten Befragung über Bedeutungsrelationen zweier Ausdrücke im Nullkontext stehen denkbar ungünstig. Hirsch (1975) schreibt dazu: „If the man in the street is asked whether pretty means the same as beautiful, he is entirely right to answer „No“, when the question is so framed. And even if the words are contextualized in sentences, the experiment yields the same results. „She is a pretty girl“ and „She is a beautiful girl“ carry different meanings for the native speaker, when the sentences are presented in isolation. But this usual way of testing for synonymy is in some respects an entirely artificial experiment.“ (zit. nach Schreyer 1976, S. 4) Offenbar scheinen solche direkten Befragungen bei den Probanden als Indizierungen für synonymische Kontexte verstanden zu werden, so dass damit kaum Synonyme als gleichbedeutende lexikalische Ausdrücke in einer natürlichen Sprache eruierbar wären. 2.3 Synonymie als Relation zwischen bedeutungsgleichen Ausdrücken Die Auffassung, dass Synonymie als Bedeutungsgleichheit auf der Ebene des Sprachsystems zu verstehen sei, leidet, wie bereits mehrfach betont, unter einem empirischen Vakuum. Bereits Ullmann (1967) gesteht ein, dass vollständige Synonymie in einer Sprache extrem selten vorkommt. Sie stellt einen Luxus dar, den sich Sprachen schlecht leisten können. Vollständige Synonyme sind nach Ullmann kongruent, sie haben den gleichen „Mitteilungs- und Gefühlswert“ und können daher gegeneinander ausgetauscht werden (vgl. Ullmann 1967; Iskos/ Lenkova 1960). Als Domäne für vollständige Synonymie sieht Ullmann vor allem Fachsprachen, z.B. sind in der linguistischen Fachsprache Spirans - Frikativ, Formenlehre - Morphologie, Semantik - Bedeutungslehre Synonymenpaare. Söll (1966) weist zu Recht daraufhin, dass Fachterminologien keine affektiven Werte, keine Polysemien und keinen spontanen Bedeutungswandel aufweisen; sie beruhen wesentlich auf 150 Gisela Harras normativen Setzungen bzw. expliziten Vereinbarungen im Unterschied zum konventionell geregelten nicht-terminologischen Sprachgebrauch. Verschiedentlich wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass vollständige Synonymie noch am ehesten in Fällen vorliege, in denen die Synonymenpaare aus Ausdrücken zweier Subsprachen bestünden wie z.B. Karzinom - Krebsgeschwulst, Appendizitis - Blinddarmentzündung. Dagegen ist einzuwenden, dass der Begriff „synonym in einer Sprache“ zu vage bestimmt ist (vgl. Wiegand 1970, der solche Fälle als „Heteronyme“ von den „Synonymen“ (innerhalb ein und desselben Subsystems) abgrenzt). Lyons bemängelt zweierlei an der Konzeption einer vollständigen Synonymie: erstens: die beiden Kriterien ‘Austauschbarkeit in allen Kontexten’ und ‘Gleichheit von kognitiver (denotativer, begrifflicher) und emotiver (konnotativer) Bedeutung’ sind zwei verschiedene Kriterien; zweitens: Synonymie ist insgesamt kontextabhängig. Aus der Diskussion der beiden genannten Standpunkte resultiert eine m.E. äußerst problematische Bestimmung der Synonymie, die zwischen Bedeutungsgleichheit auf der Ebene des Sprachsystems und kontextbestimmter Äquivalenz auf der Ebene der parole oszilliert. Da offenbar genau diese Oszillation das Kardinalproblem jeder Synonymiebestimmung darstellt, werde ich auf die Argumentation von Lyons (noch einmal) näher eingehen. Der Flaupteinwand von Lyons gegen die Definition von Ullmann ist, dass sie die Interdependenz von Austauschbarkeit und Bedeutungsgleichheit vorwegnimmt. Zum Zweck der terminologischen Unterscheidung differenziert Lyons zunächst zwischen reiner (complete) und totaler Synonymie. Reine Synonymie liegt dann vor, wenn Äquivalenz der kognitiven und emotiven Bedeutung besteht, totale Synonymie, wenn die Ausdrücke in allen Kontexten austauschbar sind. Mit diesem Klassifkationsschema sind dann vier Arten von Synonymie möglich, vgl.: Synonymie und Synonymik 151 In den herkömmlichen Konzeptionen wird laut Lyons nur der erste Fall als Synonymie im eigentlichen Sinn anerkannt und damit zugleich die Interdependenz von totaler Austauschbarkeit und reiner Äquivalenz gefordert. Wenn man jedoch der Konsequenz des empirischen Vakuums entkommen will, muss man die Annahme aufgeben, dass reine Äquivalenz und totale Austauschbarkeit notwendigerweise miteinander verbunden sind: „Once we accept that they are not, and at the same time abandon the traditional view that synonymy is a matter of identity of two independently determined senses, the whole question becomes much more straightforward.“ (Lyons 1969, S. 448) In diesem Zitat, mit dem gegen die Notwendigkeit der Interdependenz von totaler Austauschbarkeit und reiner Äquivalenz plädiert wird, bleibt unklar, was Lyons an dem „traditional view“ bemängelt: ist es die geforderte Identität der „Sinne“? ist es die Art und Weise ihrer Ermittlung „unabhängig voneinander“? Dies kann einmal heißen, dass die Sinne unabhängig von den Kontexten, in denen sie Vorkommen können, ermittelt werden oder dass sie unabhängig von den Sinnrelationen, in denen sie stehen, ermittelt werden. Wir werden sehen, dass Lyons (wahrscheinlich) Letztes meint. Die Unterscheidung zwischen reiner und nicht reiner Synonymie hängt von der Unterscheidbarkeit der kognitiven und der emotiven Bedeutung ab. Lyons weist eine solche Unterscheidungsmöglickeit mit zwei Argumenten zurück: 152 Gisela Harras (1) Der Einfluss der emotiven Bedeutung wechselt je nach Stillage und Situation beträchtlich. Lyons gibt zwei Beispiele, die von Ullmann stammen: liberty/ freedom; hide/ conceal und stellt fest, dass es viele Textzusammenhänge und Situationen geben kann, in denen die beiden Ausdrücke ohne den geringsten Bedeutungsunterschied verwendet werden können. Es wäre falsch anzunehmen, die emotiven Sinne eines Wortes seien für seinen Gebrauch ausschlaggebend. Es ist klar, dass Lyons hier mit der Möglichkeit von Kontextäquivalenz in nicht-synonymischen Kontexten sensu Gauger argumentiert. Dies ist allerdings wenig überzeugend für die Zurückweisung einer grundsätzlichen Unterscheidung zwischen kognitiver und emotiver Bedeutung (2) Ausschließlich emotive Synonymie gibt es nicht; es wird immer zuerst kognitive Synonymie definiert. Diese Priorität lässt darauf schließen, dass emotive oder affektive Faktoren kontextbzw. situationsbestimmt sind. Da Synonymie aber hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der „general principles of semantic structure“ betrachtet werden soll „... it seems preferable to restrict the term „synonymy“ to what many semanticists have described as „cognitive synonymy“. (...) As a consequence we shall have no further use for the distinction between „complete“ and „incomplete“ synonymy“ (Lyons 1969, S. 450). Die Konsequenz aus der Argumentation besteht letztlich in der Aufgabe des traditionellen Synonymiebegriffs mit den Kriterien der Bedeutungsäquivalenz und der Austauschbarkeit in allen Kontexten. Lyons hebt hervor, dass Synonymie mehr als alle anderen Sinnrelationen kontextabhängig ist, d.h. auch, dass sie nicht per se eine strukturelle Beziehung darstellt: „All instances of synonymy could be eliminated from the vocabulary without effecting the sense of the remainder of the lexical items. The ‘impoverished’ vocabulary would offer fewer opportunities for stylistic variety, but everything that could be said with the larger vocabulary could also be said with the smaller synonymy-free vocabulary.“ (Lyons 1969, S. 452) Synonymie ist also nicht wesentlich für die semantische Struktur einer Sprache, tritt aber in bestimmten Kontexten als Folge elementarer struktureller Beziehungen, speziell der Hyponymie und Inkompatibilität, auf: Bestimmte Situationelle und sprachliche Kontexte können zwei Ausdrücke x und y als synonym bestimmen in der Weise, dass x ein Hyponym von y ist und y ein Hyponym von x. In der Äußerung: (1) I'll go to the shop and get some bread ist get ohne weitere Implikationen durch buy ersetzbar. Die Standardkonventionen der Gesellschaft sind derart, dass man das, was man in einem Laden holt (besorgt), durch Kauf erhält und umgekehrt: was man kauft, holt/ besorgt Synonymie und Synonymik 153 man in einem Laden bzw. einer entsprechenden Verkaufsinstitution. Die Synonymie der beiden Ausdrücke besteht in der kontextindizierten symmetrischen Hyponymierelation von buy (dt. kaufen) und get (dt. holen, besorgen). Außerhalb eines solchen Kontextes kann man nicht davon ausgehen, dass die beiden Ausdrücke notwendigerweise synonym sind. Die Lyonssche Auffassung der Synonymie als kontextindizierte symmetrische Hyponymierelation zweier Ausdrücke impliziert zweierlei: erstens: Synonymie als Kontextäquivalenz ist eine Eigenschaft der Rede; zweitens: die Disposition zu dieser Eigenschaft ist durch die fundamentalere Relation der symmetrischen Hyponymie begründet. Synonymie ist dieser Auffassung zufolge sowohl auf der Ebene des Sprachsystems als auch auf der der Rede anzusiedeln. Wir werden uns mit dieser Auffassung weiter unten (vgl. 4.) noch näher auseinandersetzen. 2.4 Synonymie als Relation zwischen zugleich bedeutungsgleichen und bedeutungsverschiedenen Ausdrücken Die Auffassung, Synonymie als Relation zwischen zwei (oder mehr) lexikalischen Ausdrücken mit gleichen und zugleich verschiedenen Bedeutungskomponenten anzusehen, ist in strukturalistisch geprägten semantischen Arbeiten am weitesten verbreitet. (Vgl. Agricola 1957; Duchacek 1964; Söll 1966; Filipec 1968; Michel 1969; Schogt 1972; Sommerfeldt 1975; Heger 1976; Viehweger et al. 1977; Reding 1978; Rey Debove 1978; Wersig 1978; Baidinger 1980; Fuchs 1980; Karcher 1980; Ruzsiczky 1983; Kaempfert 1984; Gruse 1986; Szabo 1991; Schippan 1992.) Als das Gleiche wird die begriffliche oder denotative, als das Unterschiedliche die konnotative Bedeutung bzw. die stilistische Markierung verstanden. Viehweger et al. (1977) geben als Beispiel Knabe und Junge. Beide Ausdrücke haben die denotative Bedeutung, das Semem [MENSCH, MÄNNLICH, NICHT ERWACHSEN] gemeinsam. Mit Verweis auf die Synonymiedefmition von Lyons als bilaterale Implikation (der auf der lexikalischen Ebene die symmetrische Hyponymierelation entspricht) wird als Bedingung für die Identität der denotativen Bedeutung, d.h. die Identität zweier Sememe f und g, gefordert: „...die Aussage f über eine Erscheinung x (impliziert) die Aussage g über die Erscheinung x und umgekehrt.“ (Viehweger et al. 1977, S. 335) 154 Gisela Harras Für die Identität der Sememe von Knabe und Junge müssen die folgenden Implikationen bestehen: (1) (a) [x ist ein Knabe] —» [x ist ein Junge] (b) [x ist ein Junge] -> ■ [x ist ein Knabe] Das Beispiel verdeutlicht allerdings auch, dass die Sätze, mit denen die Implikationen ausgedrückt werden, eher dem linguistischen Labor entstammen als dem usuellen Sprachgebrauch. Der Satz: (2) Ein Knabe ist ein Junge würde in einem nicht-linguistischen Kontext wohl eher als eine Erklärung des Gebrauchs eines Wortes {Knabe) durch den eines anderen (Junge) verstanden werden denn als tautologische Äußerung (vgl. dazu Harras 1998). Der Satz: (3) Ein Junge ist ein Knabe verlangt dagegen einen speziellen Kontext, etwa der Art, dass der Ausdruck Junge bereits in einem bestimmten Diskursabschnitt geäußert wurde und für einen Folgetext ein Kontextäquivalent festgelegt werden soll. An diesem Beispiel sieht man bereits die Probleme, die mit der Synonymiebestimmung als denotativ bedeutungsgleich und konnotativ bedeutungsverschieden verbunden sind: Wenn Synonymie was keiner ernsthaft bestreiten würde auch an die Austauschbarkeit zumindest in einigen Kontexten geknüpft ist, müsste man über die bereits eingeführten hinausgehende Kontextrestriktionen bestimmen. Im Fall von Junge und Knabe ist Knabe der Ausdruck, der bezüglich seiner möglichen Kontexte als ‘gehoben’ markiert ist (vgl. DUDEN). Die entsprechende generalisierte Kontextrestriktion lautet: Wenn zwei Ausdrücke x und y in einer Sprache L als denotativ synonym gelten und y bezüglich seiner möglichen Kontexte markiert ist, dann können die beiden Ausdrücke nur dann füreinander ersetzt werden, wenn der Ersetzungskontext der Markierung von y entspricht. Im Fall von Junge und Knabe bedeutet dies, dass sie nur in einem als ‘gehoben’ (oder poetisch) ausgezeichneten Kontext füreinander ersetzbar sind. Die Bedingung der Austauschbarkeit salva veritate muss also um die Bedingung der Austauschbarkeit ‘salva oratione’’ erweitert werden. Außerdem gilt die Bedingung, dass die Ausdrücke und die Kontexte aus ein und derselben Sprache bzw. aus ein und demselben Subsystem einer Sprache stammen müssen, das heißt für unseren Fall von Knabe und Junge: die beiden Ausdrücke gelten nicht als Synonyme, wenn Knabe dem ostbaierischen Subsystem und Junge dem Standardsubsystem des Deutschen zugeordnet wird. Synonymie und Synonymik 155 Als Zwischenbilanz der Diskussion über den Synonymiebegriff im Rahmen der strukturalistischen Semantik können wir Folgendes festhalten: Zwei Ausdrücke x und y sind synonym genau dann, wenn: x und y aus demselben Sprach(sub)system stammen; x und y Ausdrücke derselben syntaktischen Kategorie darstellen; x und y dieselbe denotative Bedeutung haben; es Kontexte gibt, in denen die beiden Ausdrücke salva veritate und salva oratione ausgetauscht werden können. Unsere Zwischenbilanz beruht auf der stillschweigenden Voraussetzung der Unterscheidbarkeit von denotativer und konnotativer Bedeutung, und diese sollten wir nun doch nochmal näher unter die Lupe nehmen, nachdem auch die Lyonssche Argumentation nicht besonders überzeugend zu sein schien. Bereits 1738 schrieb der Abbe de Pons, ein französischer Synonymiker des 18. Jahrhunderts: „Ainsi done, le phenomene synonymique correspond ä la possibilite de points de vue differents, de conceptualisations multiples ä propos d’un meme denotatum: e’est, en demiere instance, la stabilite du referent qui fonde le noyau semantique commun, tandis que la diversite des points de vue sur ce rererent donne naissance aux differences semantiques secondaires.“ (zit. nach Fuchs 1980, S. 11) Der Abbe de Pons spricht von „unterschiedlichen Sichtweisen“, „unterschiedlichen Konzeptualisierungen“ ein und desselben Denotats. Gehören diese zur denotativen oder konnotativen Bedeutung? Im Deutschen gibt es für das Denotat GESICHT die Ausdrücke Antlitz, Gesicht, Visage, Fresse. Antlitz und Gesicht unterscheiden sich durch die Markierung von Antlitz bezüglich eines gehobenen/ poetischen Stilregisters; mit beiden Ausdrücken wird aber immer dieselbe Menge von Elementen bezeichnet, d.h. Antlitz und Gesicht sind koextensional. Mit den Ausdrücken Visage und Fresse kann grundsätzlich jedes Element, das unter die Menge aller Gesichter fällt, bezeichnet werden; insofern wären Gesicht, Visage, Fresse ebenfalls koextensional. Andererseits gibt es aber eine klar angebbare Verwendungsbedingung für den Ausdruck Visage an Stelle von Gesicht, die darin besteht, dass ein Sprecher, der den Ausdruck gebraucht, immer eine negative Wertung des Denotats zum Ausdruck bringt. Die Wertungskomponente ist für das Deutsche konventionalisiert; durch sie werden sprecherabhängige Extensionen festgelegt. Kaempfert (1984) weist daraufhin, dass das Verhältnis von Inhalt (Intension) und Umfang (Extension) vorwiegend mit Blick auf solche Gegenstände bestimmt wird, über deren Merkmale (die sprachlich als Inhaltskomponenten gefasst sind) hinsichtlich ihres Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins Übereinstimmung in einer Sprachgemeinschaft besteht: „Was einen Baum von einem Strauch unterscheidet, läßt sich (eine Grauzone zugestanden) all- 156 Gisela Harras gemeinverbindlich angeben, und ebenso steht es mit gehen und laufen, klug und gerissen (Kaempfert 1984, S. 71). Im Unterschied dazu sind die Extensionen von Ausdrücken wie Visage, Fresse oder Köter in einer Sprachgemeinschaft nicht allgemeinverbindlich festgelegt: Sie sind Funktionen von Relationen zwischen Sprechern und jeweiligen Referenten (Gegenständen) und als solche innerhalb einer Sprachgemeinschaft konventionalisiert. Kaempfert spricht von „Denotaten mit pragmatischer Komponente oder sprecherabhängigen Denotaten“ (Kaempfert 1984, S. 71). Nach dieser Auffassung wäre die konventionalisierte Einstellung <negative Bewertung> als pragmatische Komponente eng mit der denotativen Bedeutung verknüpft. Eine andere Auffassung vertreten Viehweger et al. (1977), die von „konnotativen Potenzen“ der Wörter sprechen und diese von der denotativen Bedeutung mit folgendem Kriterium abgrenzen: „Als Kriterium dafür, daß ein zu unterscheidender Aspekt eines sprachlichen Zeichens zur (denotativen) Bedeutung des Zeichens zu rechnen ist, soll die Tatsache gelten, daß sich der Aspekt in bezug auf das betreffende Zeichen in einem sprachlichen Ausdruck formulieren läßt, der in bezug auf die abgebildete Erscheinung der Realität verifiziert werden kann.“ (Viehweger et al. 1977, S. 101 f.) Schippan stimmt dieser Unterscheidung mit dem Argument zu, dass Konnotationen „nicht durch das Bezeichnete hervorgerufen werden, sondern Abbildelemente der Faktoren sprachlichen Handelns und damit auch Ausdruck sozialer Normen der Sprachverwendung sind“ (Schippan 1992, S. 160). Problematisch an dieser Auffassung ist, dass mit ihr der Unterschied zwischen Kontexteigenschaften wie Stilregisterzugehörigkeit und konventionalisierten sprecherabhängigen Wertungen nicht erfasst wird, obwohl die beiden Aspekte unterschiedliche Kriterien für die Substituierbarkeit zweier Ausdrücke, die als synonym gelten sollen, liefern: Die Markierung eines bestimmten Stilregisters bestimmt die Wahl der Kontexte, und die mit einem Ausdruck konventional verbundene Sprecherwertung bestimmt die jeweiligen (sprecherabhängigen) Extensionen. Es ist daher sinnvoll, zu den beiden .va/ va-Restriktionen verhüte und oratione eine dritte hinzuzufügen, die salva extensione genannt werden soll, so dass unser erweitertes Fazit aus der strukturalistischen Diskussion das folgende ist: Zwei Ausdrücke x und y sind synonym genau dann, wenn: x und y aus demselben Sprach(sub)system stammen; x und y Ausdrücke derselben syntaktischen Kategorie darstellen; x und y dieselbe denotative Bedeutung haben es Kontexte gibt, in denen die beiden Ausdrücke salva veritate, salva oratione und salva extensione ausgetauscht werden können. Synonymie und Synonymik 157 Ein weiterer Gesichtspunkt der strukturalistischen Auffassung von Synonymie als systembezogener Eigenschaft von zwei oder mehr Ausdrücken ist die Berücksichtigung von paradigmatischen lexikalischen Strukturen (vgl. Gabka 1967; Berejan 1971; Geckeier 1971; Mignot 1972; Flamizet 1975; Sommerfeldt 1975; Heger 1976; Kameneckaite-Straznas 1979; Baidinger 1980; Pogonowski 1981; Odell 1984; Batteux 2000). Synonymie liegt nach Baidinger (1980) nur dann vor, wenn es eine hierarchische konzeptuelle Struktur gibt (bzw. sich eine solche konstruieren lässt), in der einem Oberbegriff mehrere Unterbegriffe zugeordnet sind, die ihn enthalten. Sind die Unterbegriffe durch Ausdrücke derselben syntaktischen Kategorie lexikalisiert, so sind diese synonym wie z.B. se souvenir und se rappeier als Ausdrücke, die den Oberbegriff SICH ERINNERN lexikalisieren. Synonymie ist ein operationaler Begriff einer onomasiologisch ausgerichteten Analyse, die die Relation Begriff - Bezeichnung(en) untersucht. Unter dem semasiologischem Aspekt der Relation Bezeichnungj - Bezeichnungj ist Synonymie nicht operationalisierbar oder, wie es Heger (1976) formuliert: „Synonymie liegt dort vor, wo zwei oder mehr Signeme [Ausdrücke des Status einer lexikalischen Einheit, G.H.] ein und dasselbe Noem [ein und denselben Begriff, G.H.] bezeichnen und untereinander symbolfunktional in freier Distribution und somit symptomund/ oder signalfunktional in Opposition stehen.“ (Heger 1976,5.67) Bei der paradigmatischen Analyse von Synonymie wird immer davon ausgegangen, dass die sprachlichen Ausdrücke nur unter dem Aspekt ihrer Zugehörigkeit zu einem jeweiligen Paradigma als Synonyme zu gelten haben. Sommerfeldt (1975, S. 170) spricht von „Synonymie lexikalisch-semantischer Varianten eines Wortes“, Mignot (1972, S. 19) von „expressions monosemes“, Berejan (1971, S. 130) von Synonymie des „sens isole dans le plan paradigmatique“. Für den Begriff INTENSIVE FORTBEWEGUNG AUF BEINEN AUF EIN ZIEL HIN z.B. lässt sich die folgende Synonymengruppe ermitteln (vgl. Sommerfeldt 1975, S. 172): {rennen, stürmen, stürzen, rasen, sausen, fegen, pesen, wetzen, spritzen, eilen, jagen). Es ist klar, dass die einzelnen Ausdrücke dieser Gruppe nur jeweils in einer Lesart zueinander synonym sind. Damit stellt sich aber die folgende Frage: Ist Synonymie eine Relation zwischen sprachlichen Ausdrücken (wie bisher angenommen) oder ist Synonymie eine Relation zwischen Lesarten bzw. Bedeutungen von Ausdrücken? Auf dieses Problem werde ich im nächsten Abschnitt (vgl. 3.) ausführlich eingehen. Vorher möchte ich aber noch auf eine andere fundamentale (semiotische) Voraussetzung der Bestimmungsmöglichkeit zweier oder mehrerer Ausdrücke als synonym zueinander eingehen. Pogonowski (1981) bestimmt zwei Ausdrücke als synonym, wenn sie ununterscheidbar sind hinsichtlich Eigenschaften, die mit einem bestimmten Ausdruck S; einer formalen Sprache L angebbar sind. Odell (1984) macht die Bestimmbarkeit zweier Ausdrücke als Synonyme ebenfalls abhängig von der 158 Gisela Harras Möglichkeit einer „Metaphrase“ für die betreffenden Ausdrücke in einem Satzkontext S. Seine Synonymiedefmition lautet (vgl. S. 119): Ein Ausdruck ei in S] ist synonym mit e 2 in S 2 genau dann, wenn: (1) es ein Wort oder eine Phrase (eine Metaphrase) sowohl für ei in Si als auch für e 2 in S 2 gibt; (2) es keine Metaphrase g gibt, die eine Metaphrase von ei in Si, aber nicht von e 2 in S 2 ist; (3) weder Si noch S 2 abweichend ist. Metaphrasen sind also Ausdrücke, die für andere Ausdrücke in einem gegebenen Satz substituierbar sind, ohne dass ein semantisch abweichender Satz oder andere Wahrheitsbedingungen erzeugt würden. Abgesehen davon, dass hinter solchen Bestimmungen besonders bei Pogonowski wegen der Einführung einer formalen Sprache das Quinesche Problem der Begründbarkeit für die Möglichkeit solcher Ersetzungen lauert, wird durch sie deutlich, dass Synonymie überhaupt erst auf dem Hintergrund der Paraphrasierbarkeit von Ausdrücken durch andere, von ihnen verschiedene, Ausdrücke zutage tritt. Dies gilt nun auch für die Synonymieauffassung der strukturellen Semantik: In jedem Fall muss eine Paraphrase sei es als Deskription eines Begriffs (bei der onomasiologischen Analyse) oder als Merkmalsanalyse in Form von Semen oder Bedeutungspostulaten geliefert werden, um zwei oder mehr Ausdrücke als Synonyme zu identifizieren (vgl. auch Leonard 1967). Dies hinwiederum würde bedeuten, dass Ausdrücke, für die sich keine Paraphrasen finden lassen, auch keine Synonyme haben oder genauer: dass man für solche Ausdrücke keine Synonyme ermitteln kann. Kandidaten dafür wären wohl die sog. ‘semantischen Primitive’ (im Sinn von Wierzbicka 1972), soweit ihre kommentarsprachliche Verwendung mit dem usuellen Sprachgebrauch übereinstimmt. Für MÄNNLICH dürfte es in der Tat schwer fallen, eine Paraphrase ohne den Ausdruck Mann zu finden, für WEIBLICH jedoch ließe sich leicht eine Paraphrase finden, die nicht auf den zu paraphrasierenden Ausdruck zurückgreift, von ‘Primitiven’ wie MENSCH, VERURSACHEN (CAUSE) oder ORT (PLACE) ganz zu schweigen. Wir können also von wenigen Ausnahmen abgesehen davon ausgehen, dass die Möglichkeit der Paraphrasierung von Ausdrücken durch andere, von ihnen verschiedene, Ausdrücke eine wohl universale wesentliche Eigenschaft natürlicher Sprachen darstellt, die der Semiotiker Peirce „unendliche Semiose“ genannt hat. Synonymie und Synonymik 159 3. Polysemie und Synonymie 3.1 Synonymie als logische Bedingung der Polysemie Wir waren bereits im vorhergehenden Abschnitt auf die Frage gestoßen, ob Synonymie eine Relation zwischen zwei (oder mehr) sprachlichen Ausdrücken oder zwischen Bedeutungen von zwei (oder mehr) sprachlichen Ausdrücken darstellt. Dieses Problem verlangt besonders deshalb nach einer Lösung, weil sehr viele (wenn nicht die meisten) lexikalischen Ausdrücke einer Sprache mehr als eine Bedeutung haben. Bekanntlich wird zwischen Fällen von Homonymie und Polysemie unterschieden. Homonym ist ein Ausdruck dann, wenn er zwei distinkte und aus synchronischer Sicht miteinander unverbundene Bedeutungen hat (vgl. dazu Ci 1987; Pustejovsky 1995); die klassischen deutschen Beispiele sind Bank und Schloss. Polysem ist ein Ausdruck dann, wenn er zwei miteinander verbundene Bedeutungen hat, die durch systematische Alternationen beschrieben werden können (vgl. Pustejovsky 1995, S. 31ff.) wie z.B.: Count/ Mass-Alternation: Lamm, Rind Container/ Inhalt-Altemation: Flasche, Glas Figur/ Grund-Altemation: Tür, Fenster Produkt/ Produzent-Alternation: Zeitung Prozess/ Resultat-Alternation: Prüfung, Behauptung Ort/ Bevölkerung-Alternation: Stadt, Berlin Aus der Unterscheidung zwischen Homonymie und Polysemie ergeben sich Konsequenzen für die Beziehung zwischen Form, lexikalischer Einheit (Lexem) und Bedeutung: Eine Form kann ein Lexem oder mehrere Lexeme (Homonymie) repräsentieren. Ein Lexem kann eine oder mehrere Bedeutungen haben (Polysemie). Daraus ergibt sich eine Hierarchie von drei Ebenen: Form, Lexem und Bedeutung. Davon ausgehend kann man drei Ebenen der Synonymie konstruieren (vgl. Sparck Jones 1986; Ci 1987; de Jonge 1993): Form-Synonymie: Synonymie zwischen zwei Formen Lexem-Synonymie: Synonymie zwischen zwei Lexemen Bedeutungs-Synonymie: Synonymie zwischen zwei Bedeutungen Form-Synonymie ist allerdings dann ein unsinniges Konstrukt, wenn eine der betreffenden Formen homonym ist; Lexem-Synonymie ist unsinnig, wenn eines der betreffenden Lexeme polysem ist. Zwei Formen als Ganze können nur dann synonym sein, wenn sie weder homonym noch polysem sind, und zwei Lexeme als Ganze nur dann, wenn sie nicht polysem sind. Aus diesen 160 Gisela Harras Restriktionen scheint zu folgen, dass es nur sinnvoll ist, von Synonymie auf der Ebene der Bedeutung zu sprechen. Bereits Ullmann (1967) und v.a. Nida (1975) betrachten Synonymie als Relation zwischen einzelnen Bedeutungen (Lesarten) von Wörtern: „ln most discussions of meaning, synonyms are treated as though the terms overlap, while in reality what is involved is the overlapping of particular meanings of such terms. When one says that peace and tranquillity are synonyms, what is really meant is that one of the meanings of peace, involving physical and/ or psychological state of calm, overlaps the meaning of tranquillity, also involving physical and/ or psychological state of calm. One is not at this point discussing the meaning ofpeace as absence of war or cessation of hostilities. This distinction becomes clear when one compares the common expression peace conference with the nonoccuring expression *tranquillity conference.“ (Nida 1975, S. 98) Abraham/ Kiefer (1966) vereinen in ihrer Synonymie-Definition Lexem- und Bedeutungs-Synonymie, wobei sie von der (problematischen) Annahme ausgehen, dass jedem lexikalischen Ausdruck ein Baumgraph („tree“) zugeordnet werden kann, dessen Struktur und semantische Merkmaletikettierung („label“) die Bedeutung des Ausdrucks definieren: Lexem-Synonymie wird als „full synonymy“ und Bedeutungssynonymie als „/ -ways synonymy“ bestimmt: „(i) We say that between two words W, and W 2 , a full synonymy holds if, and only if, their trees have exactly the same branching structure (i.e. the same paths) and exactly the same labels on the corresponding nodes. (ii) We say that between two words W, and W 2 , an / -ways synonymy holds if, and only if, they have in their tree graphs / paths in common.“ (Abraham/ Kiefer 1966, S. 33) Ähnlich - und ebenfalls auf dem Hintergrund der generativen Semantik unterscheidet Katz (1972) zwischen einfacher (Lesart-)Synonymie und voller Synonymie: „A constituent Ci is synonymous with another constituent Cj just in case they have a reading in common. A constituent Ci is fully synonymous with Cj just in case the set of readings assigned to Ci is identical to the set of readings assigned to Cj“ (Katz 1972, S. 48) Diese beiden Synonymie-Definitionen auf dem Hintergrund generativer Semantikauffassungen machen zweierlei deutlich: (i) Die Feststellung der synonymischen Beziehung zwischen zwei Ausdrücken ist ganz offensichtlich abhängig von der Feststellung des Vorliegens oder Nicht-Vorliegens von Polysemie der betreffenden Ausdrücke. Synonymie und Synonymik 161 (ii) Damit stellt sich das Problem, entscheiden zu müssen, wie viele Bedeutungen (Lesarten) ein gegebener Ausdruck hat. Nehmen wir die folgenden Beispiele: (1) Anton öffnete die Weinflasche (2) Anton öffnete die Tür seines Wagens (3) Anton öffnete die Waschmaschine In den Sätzen wird mit öffnen jeweils ein unterschiedlicher Prozess bezeichnet; in (3) kann öffnen heißen ‘die Lade öffnen’ als auch ‘die Maschine aufschrauben’. Trotz dieser (konzeptuellen) Unterschiede würden wir öffnen nicht als polysem betrachten wollen, sondern als kontextuell variabel bezüglich seiner jeweiligen aktuellen Äußerungsbedeutungen (vgl. dazu auch Harras 2000). Betrachten wir noch die folgenden Beispiele: (4) Er hat ein echtes/ wahres Interesse an Kunst (5) Ist das echte/ ? wahre Seide oder Nylon? (6) Echte/ wahre Freundschaft darf nicht wanken (7) Sie rauchten echtes/ ? wahres Haschisch Die Beispiele zeigen die doppelte Schwierigkeit, einmal verschiedene Bedeutungen bzw. Lesarten von echt und wahr zu bestimmen und andererseits die einzelnen Vorkommen der Wörter in ihren jeweiligen Kontexten einzelnen Lesarten zuzuordnen. Bevor wir aber darüber keine Klarheit haben, können wir auch keine Synonymiebeziehungen zwischen wahr und echt feststellen. Das Dilemma, das sich angesichts der Beispiele (4) bis (7) auftut, ist offenbar folgendes: Da wir nicht in der Lage sind, die einzelnen Lesarten von echt und wahr durch andere Ausdrücke zu paraphrasieren, können wir auch keine Aussagen machen über die synonymischen Beziehungen, in denen sie selbst stehen. Mit dieser Diagnose ist eine grundsätzliche Abhängigkeit der Polysemie von der Synonymie impliziert. Wenn wir keine synonymen Ausdrücke für die Lesarten eines Wortes finden, können wir noch nicht einmal Kontextäquivalente, geschweige denn Synonyme, ermitteln. Der Begriff der Polysemie setzt die Möglichkeit der lexikalischen Definition (im schwachen Sinn als Paraphrasierung) voraus. Auf dieses Phänomen waren wir schon im vorhergehenden Absatz gestoßen. Die Abhängigkeit der Polysemie von Synonymie kann nun in einem schwachen und in einem starken Sinn postuliert werden (vgl. auch Ci 1987): in einem schwachen Sinn kann man sagen, dass der Begriff der Polysemie als semantische Differenz deren Gegenteil, semantische Äquivalenz, 162 Gisela Harras voraussetzt. Der Begriff der semantischen Äquivalenz ist unabhängig von der lexikalischen Struktur einer bestimmten Sprache; in einem starken Sinn kann man die Abhängigkeit der Polysemie von dem Vorliegen lexikalischer Synonymie in einer bestimmten Sprache fordern. Im ersten Fall ist die Abhängigkeit ausschließlich eine Sache der begrifflichen oder logischen Notwendigkeit, im zweiten Fall eine Sache der lexikalischen Struktur einer bestimmten Sprache. Es ist nun leicht einzusehen, dass der Begriff der Polysemie den der semantischen Äquivalenz impliziert: Wenn man sagt, dass ein lexikalischer Ausdruck polysem ist, d.h. zwei Bedeutungen oder Lesarten hat, dann ist damit auch gesagt, dass der Ausdruck zwei unterschiedliche lexikalische Definitionen hat, und diese Definitionen sind notwendigerweise semantisch äquivalent mit den beiden Bedeutungen des Ausdrucks. Der Begriff der Polysemie enthält also die Möglichkeit der unterschiedlichen lexikalischen Definition und folglich auch den Begriff der semantischen Äquivalenz. Umgekehrt - und hier liegt die Begründung für die Praxis der Substitution von synonymischen Ausdrücken zur Ermittlung von Polysemie kann man aus der Tatsache, dass ein lexikalischer Ausdruck zwei lexikalische Definitionen hat, die semantisch nicht äquivalent sind, folgern, dass der Ausdruck zwei Bedeutungen hat. Problematisch wird es allerdings, wenn man fordert, dass die lexikalische Definition aus einem einfachen Lexem derselben Sprache bestehen müsse. Weinreich (1966) fordert in Anlehnung an Kurylowicz: „A more elaborate solution, suggested by Kurylowicz, could be stated as follows: a dictionary entry W will be shown to have subpaths (submeanings), Wj and W 2 , if and only if, there is in the language a subpath Z" of some entry Z which is synonymous with W, and is not synonymous with W 2 . According to Kurylowicz, the notions of polysemy (path branching) and synonymy are complementary, and neither is theoretically tenable without the other.“ (Weinreich 1966, S. 412) Die Forderung der Abhängigkeit der Polysemie von lexikalischer Synonymie scheint bei Weinreich in erster Linie in der Maßnahme zur Vermeidung unendlicher Polysemien begründet zu sein. Dennoch ist sie unangemessen, wie man leicht - und mit hinlänglich bekannten Beispielen zeigen kann. Wenn man die Ambiguität eines Satzes auf die semantischen Eigenschaften eines in ihm vorkommenden lexikalischen Ausdrucks zurückführen kann, dann würde niemand bezweifeln, dass der Ausdruck mindestens zwei verschiedene Bedeutungen hat. Dies ist im folgenden Satz der Fall: (8) Antons Auffassungen passen nicht in diese Schule Synonymie und Synonymik 163 Die Ambiguität von (8) rührt daher, dass dem Ausdruck Schule mindestens zwei Interpretationen zugeordnet werden können: einmal ‘Institution zur Ausbildung von Kindern und Jugendlichen’ und zum andern ‘Gruppe von Anhängern bestimmter Lehrmeinungen, Prinzipien oder Methoden’. Für keine dieser Bedeutungen lässt sich im Deutschen ein lexikalisches Synonym finden. Die Weinreichsche Auffassung der Bedingung des Vorliegens lexikalischer Synonymie würde uns in diesem Fall dazu zwingen anzunehmen, dass Schule in (8) nur eine Bedeutung haben kann, was offensichtlich falsch ist, d.h.: Lexikalische Synonymie ist keine notwendige Bedingung für Polysemie. Das Vorliegen lexikalischer Synonymie ist andererseits auch keine hinreichende Bedingung für Polysemie. Nehmen wir die folgenden Beispiele: (9) Diese Behandlungsmethode hat die Heilungsschancen für Krebserkrankungen beträchtlich erhöht (10) Der Finanzminister hat die Erbschaftssteuer erhöht Wir können im Deutschen leicht einen lexikalischen Ausdruck, z.B. verbessern, finden, der semantisch äquivalent mit erhöhen in (9), aber nicht in (10) ist. Dies würde, wenn man Weinreich folgte, bedeuten, dass erhöhen in den beiden Sätzen verschiedene Bedeutungen habe, und dies würde, ganz gegen Weinreichs Motivation, zu einer Inflation von Bedeutungen und damit zu'' ungerechtfertigten Überanalysen führen, erhöhen hat nicht zwei Bedeutungen in (9) und (10), sondern eine Bedeutung, die zwei kontextabhängige Interpretationen fordert, von denen eine zufälligerweise mit verbessern semantisch äquivalent ist. Das Vorliegen dieser semantischen Äquivalenz ist kontextabhängig, und kontextabhängige Äquivalenz würde als Kriterium für Polysemie zur ungerechtfertigten Vermehrung von Bedeutungen führen. Es ergibt sich also das Fazit, dass Polysemie nur in einem schwachen Sinn von Synonymie abhängig ist, insofern als semantische Differenz semantische Äquivalenz logisch voraussetzt. Allerdings ist mit dieser Schlussfolgerung keinerlei Lösung des Problems der Polysemie gegeben. 3.2 Das Problem der Polysemie: ein lexikographisches Beispiel Im DUDEN werden für das Verb sagen (die Redewendungen habe ich nicht berücksichtigt) die folgenden Bedeutungen verzeichnet (vgl. DUDEN: Großes Wörterbuch der deutschen Sprache, 1998): 164 Gisela Harras a (Wörter, Sätze o.A.) artikulieren, aussprechen b(e/ n Wort, eine Wendung ol.) im Sprachgebrauch haben, beim Sprechen benutzen, gebrauchen c auf eine bestimmte Weise, mit einem bestimmten Wort, Namen bezeichnen d auf eine bestimmte Weise, mit einer bestimmten Anrede anreden a (Worte, Äußerungen) anjmdn. richten b mündlich zu verstehen geben, mitteilen c (veraltet) von etw. erzählen, berichten d vorschreiben, befehlen a (Gedanken, Inhalte) mit Worten vermitteln, zum Ausdruck bringen, aussagen b Intimä J bemerken, feststellen c etw. als Tatsache hinstellen, behaupten i als Argument o.A. anführen, Vorbringen e als Meinung vertreten, als Einstellung haben (u. kundtun) f(ugs.)annehmen, glauben etw. (auf eine bestimmte Weise) in Worte fassen, formulieren a zum Inhalt haben b als Schluss zulassen, besagen, heißen Abb. 2 Synonymie und Synonymik 165 Als typische Kontexte für die einzelnen Bedeutungen 1-5 und deren jeweilige Unterbedeutungen werden die folgenden angegeben: für 1 a: (i) ja, nein, guten Abend sagen (ii) du sollst nicht immer „Mist“ sagen (iii) etw. laut, leise, deutlich sagen für 1 b: (i) wer sagt heute noch „Beding“? (ii) sagst du „Rotkohl“ oder „Rotkraut“? für 1 c: (i) zu einem Fotoapparat kann man auch „Kamera“ sagen (ii) wie kann man noch dazu sagen? für 1 d: (i) du sollst nicht immer „Dicke“ zu deiner kleinen Schwester sagen (ii) du kannst ruhig du zu mir sagen für 2 a: (i) ich habe das nicht zu dir gesagt (ii) jmdm. tröstende Worte sagen (iii) jmdm. auf Wiedersehen sagen {sich von jmdm. verabschieden) für 2 b: (i) das hättet ihr mir doch sagen müssen (ii) sag ihm aber nichts (iii) ich wollte euch sagen, dass ich morgen nicht mitkommen kann für 2 c: (i) von Heldentaten singen und sagen für 2 d: (i) du hast mir gar nichts zu sagen (ii) von ihm lasse ich mir nichts sagen für 3 a: (i) das will ich damit nicht sagen (ii) damit soll nichts gesagt sein (iii) das soll damit nicht gesagt sein {so meine ich es nicht) für 3 b: (i) möchtest du noch etwas dazu sagen? (ii) dazu ließe sich noch manches sagen (iii) zusammenfassend kann man wohl sagen: es war ein Erfolg für 3 c: (i) ich sage nicht, dass er es mit Absicht getan hat (ii) das lässt sich ohne Übertreibung sagen (iii) das kann jeder sagen {behaupten) für 3 d: (i) du kannst sagen, was du willst, du wirst mich nicht überzeugen (ii) dagegen ist nichts zu sagen {einzuwenden) (iii) darauf hat er nichts mehr gesagt, wusste er nichts mehr zu sagen {hatte er kein Gegenargument mehr) 166 Gisela Harras für 3 e: (i) es gibt aber auch Experten, die etwas ganz anderes, das Gegenteil sagen (ii) was sagt denn dein Vater dazu, dass du schon rauchst? (iii) was werden die Leute sagen, wenn du diesen Mann heiratest? für 3 f: (i) was sagst du? wird es ein Gewitter geben? (ii) ich würde sagen, das kostet mindestens 200 Mark für 4: (i) das hast du gut gesagt (ii) so kann man es auch sagen (iii) sag es auf englisch für 5 a: (i) was sagt denn der Mietvertrag (ii) das Gesetz sagt (eindeutig), dass ... für 5 b: (i) das sagt doch immerhin, dass er es gewusst haben muss (ii) das sagt nicht viel (iii) damit ist nichts gesagt (das bedeutet nichts) Angesichts dieser Vielfalt von 5 Bedeutungen und 16 Unterbedeutungen stellt sich natürlich die Frage nach den Kriterien für eine solche Einteilung. Leider findet man in den Einführungstexten darauf keinerlei Hinweis. Es heißt dort bloß lakonisch: „Hauptaugenmerk des „Großen Wörterbuchs der deutschen Sprache“ (1998) gilt der exakten Bestimmung ihrer semantischen Vielfalt. Auf der Basis umfangreicher Korpora wurden dabei die Bedeutungsnuancen bis ins Detail analysiert und — sofern durch aussagekräftige Frequenzbefunde gerechtfertigt sind (? ) im Wörterbuch dargestellt“ (DU- DEN, Großes Wb., S. 36). Weiter unten heißt es: „Auf Definitionen wird nur dort verzichtet, wo sich eine Bedeutung durch einfache Nennung eines Synonyms (eines bedeutungsgleichen Worts) angeben lässt. Dies setzt natürlich voraus, dass das angeführte Synonym selbst auch als Stichwort erscheint und als solches eine ausführliche Bedeutungsangabe hat.“ (DUDEN, ebd., S. 38.) Welche Kriterien lassen sich nun aus der Anordnung des Wörterbuchartikels sagen rekonstruieren. Prima facie sind es m.E. die folgenden semantischsyntaktischen Aspekte: (1) das Kriterium des Äußems sprachlicher Einheiten unterschiedlicher Komplexität: Bedeutung la, 1b, 1c; (2) das Kriterium des Äußerns sprachlicher Einheiten als propositionale Gehalte: Bedeutung 3a, 3b, 3c, 3d, 3e, 3f, 4; (3) das Kriterium des adressatenbezogenen Äußems: Bedeutung Id, 2a, 2b, 2c, 2d (2b, 2c, 2d kombiniert mit Kriterium (2)); Synonymie und Synonymik 167 (4) das Kriterium der semantischen Rolle des externen Arguments als Äußerungsprodukt oder sonst einem Symptom und nicht als Agens: Bedeutung 5a, 5b. Insgesamt haben wir also die folgende Bedeutungsdifferenzierung: Abb. 3 Etwas anders notiert, ergeben sich relativ zu den semantisch-syntaktischen Gesichtspunkten die folgenden Bedeutungsgruppierungen: 168 Gisela Harras I II III IV V {5a, 5b} {la, 1b, 1c} {Id, 2a} {3a, 3b, 3c, 3d, 3e, 3f, 4} {2b, 2c, 2d} Abb. 4 Dieser Befund deckt sich im Übrigen mit Ergebnissen lexikologischer Analysen, denen zufolge sagen als allgemeines verbum dicendi die Kern- oder prototypische Bedeutung ‘propositional spezifiziert sich äußern’ (entspricht Gruppe IV in der Duden-Anordnung) hat (vgl. z.B. Winkler 1986; Harras 1996). Die genannten vier semantisch-syntaktischen Aspekte ergeben fünf Gruppen von Bedeutungen, innerhalb derer jeweils mehrere Subbedeutungen ausdifferenziert sind. Es stellt sich jetzt natürlich die Frage, nach welchen Kriterien oder unter welchen Aspekten diese etabliert sind. Wenn wir uns die angegebenen typischen Kontexte etwas näher anschauen, können wir zwei miteinander kombinierte Aspekte in Betracht ziehen: durch bestimmte Kontexte indizierte Bedeutungen, das Vorliegen lexikalischer Synonyme für solche kontextindizierten Bedeutungen Synonymie und Synonymik 169 Diese beiden Aspekte spielen eine Rolle bei der Etablierung der gesamten Gruppe 4 der DUDEN-Anordnung: etwas auf eine bestimmte Weise in Worte fassen, formulieren. Die entsprechenden Kontextbeispiele sind: (4) (i) das hast du gut gesagt (ii) so kann man es auch sagen (iii) sag es auf englisch Es ist zumindest fragwürdig, ob das Vorkommen von Modaladverbien wie gut, so bzw. auf englisch in bestimmten Kontexten die Etablierung einer eigenen Lesart rechtfertigt, zumal die Paraphrasenkonstituente „auf eine bestimmte Weise“ immer durch einen adverbialen Ausdruck im Kontext vertreten sein muss. M.E. wäre es adäquater und ökonomischer dazu, diese Lesart als kontextabhängig zu behandeln, unter Gruppe 3 zu subsummieren und dort durch Beispiele zu illustrieren. Die gleiche Problematik trifft auf die Separierung der Subbedeutung 2d: vorschreiben, befehlen zu. Die entsprechenden Kontexte sind: (2d) (i) du hast mir gar nichts zu sagen (ii) von ihm lasse ich mir nichts sagen Die Tatsache, dass in diesen Kontexten sagen durch die lexikalischen Ausdrücke vorschreiben, befehlen unter Beachtung aller sa/ va-Restriktionen ersetzbar ist, ist noch lange kein Indiz für das Vorliegen einer besonderen Lesart von sagen. Die Ersetzbarkeit ist ausschließlich kontextuell begründet und gilt nur für die komplexen Ausdrücke (Jemandem) etwas/ nichts zu sagen haben, sich von jemandem etwas/ nichts sagen lassen Sagen gehört neben reden, sprechen und (sich) äußern zu den semantisch unspezifischen verba dicendi, mit dem in seiner prototypischen Bedeutung auf Situationen des monologisch perspektivierten und propositional spezifizierten Äußerns Bezug genommen wird, wobei es für die Art und Weise des propositionalen Gehalts keinerlei Restriktionen gibt. Insofern impliziert jedes spezifischere Sprechaktverb das unspezifische sagen (vgl. Miller/ Johnson- Laird 1976; Winkler in diesem Band), und umgekehrt kann mit sagen zusammen mit entsprechenden Komplementsätzen, die spezifische propositionale Gehalte ausdrücken, auf bestimmte Sprechakte Bezug genommen werden, vgl.: (1) Der Oberst sagte (zu) dem Gefreiten, er solle sofort zur Registratur gehen 170 Gisela Harras (la) Der Oberst befahl dem Gefreiten, sofort zur Registratur zu gehen (2) Er sagte seinem Onkel, dass er ganz bestimmt käme (2a) Er teilte/ versprach seinem Onkel (mit), dass er ganz bestimmt käme (3) Anton sagte, dass er es getan habe (3 a) Anton gab zu, dass er es getan habe (4) Anton sagte, sie könnten es ja zusammen versuchen (4a) Anton schlug vor, es zusammen zu versuchen usw. Diese Beispiele, die sich leicht vermehren ließen, zeigen, dass die Separierung von Unterbedeutung 2d sowie die gesamte Differenzierung der Gruppe 3 in der DUDEN-Anordnung fragwürdig sind, wobei innerhalb dieser Gruppe die Separierung von Unterbedeutung 3f (ugs.) annehmen, glauben m.E. in einer anderen Weise zu rechtfertigen oder zu plausibilisieren wäre als die Lesarten 3a-3e: 3f steht zu 3c etw. als Tatsache hinstellen, behaupten im Verhältnis der Metonymie. Mit sagen wird in der Lesart 3c auf assertive Sprechakte Bezug genommen. Zu deren Bedingungen gehört, dass der Sprecher das, was er sagt, auch für wahr hält, glaubt. Die Korruptheit von Sätzen wie: (5) *Es regnet, aber ich glaube es nicht (6) *Ich sage, dass es regnet, aber ich glaube es nicht illustriert das bekannte Mooresche Paradox. Auf die Semantik des Verbs sagen bezogen, heißt dies, dass SPRECHER HÄLT FÜR WAHR, DASS P (P steht für Proposition) eine semantische Komponente darstellt, und die Verwendung von sagen in der Fokussierung dieser Komponente ist metonymisch zur assertiven Lesart. Es wäre also konsequenter, 3f als Unterbedeutung von 3c anzuführen und als metonymisch zu kennzeichnen. Unsere Analyse des Wörterbuchartikels sagen hat zwar ergeben, dass man leicht begründete Argumente finden kann, um die Anzahl der Lesarten sowie deren Unterbedeutungen zu reduzieren. Allerdings haben wir damit für das generelle Problem der Polysemie keine Lösung und auf die spezifische Frage: Wieviele Bedeutungen und wieviele Synonyme? keine Antwort gefunden. Traditionellerweise wird in der Semantik zwischen kontrastiven und komplementären Bedeutungen unterschieden (vgl. Weinreich 1966; Lyons 1977; Ci 1987). Kontrastive Bedeutungen sind solche, die auf der Basis lexikalischer Almbiguität in Sätzen ermittelt werden, sie unterscheiden sich durch Synonymie und Synonymik 171 ihre jeweiligen semantischen Gehalte (Sememe); komplementäre Bedeutungen, deren Sememe gleich sind, werden durch unterschiedliche Kontexte erzeugt. Ci (1987) hat den folgenden Vorschlag zur Ermittlung von komplementären Bedeutungen gemacht: „It seems to me that (a) when, in the encoding process, the semantic acceptability of a lexeme in one context cannot be infallibly inferred from the semantic acceptability of the lexeme in another context, nor vice versa, or (b) when.in the decoding process, the meaning of a lexeme as it is used in one context cannot be infallibly inferred from the meaning of the lexeme as it is used in another context, nor vice versa, such lack of semantic inferability in the encoding and decoding process must be accounted for by recognizing polysemy. When x and y are not semantically inferable from each other, we cannot deny that they are semantically different to a significant degree. Thus, the fact of semantic non-inferability calls for an explanation in terms of polysemy, which is in turn justified by the semantic difference that the fact of semantic non-inferability reveals.” (Ci 1987, S. 328f.) Ci räumt allerdings ein, dass die Urteile zu jeweiligen Inferenzen von (semantischen) Vorurteilen bestimmt sein können, und dass andererseits ideale „unschuldige“ Informanten nicht leicht zu finden sind und in jedem Fall das Urteil von spezifischen Umständen wie Intelligenz, sozialem Umfeld, Fantasie und sprachlicher Erfahrung abhängig ist. Für die Ermittlung von unterschiedlichen Bedeutungen des Verbs sagen scheint weder das Kriterium der lexikalischen Disambiguierung noch das der Inferenz besonders tauglich. Ein Satz wie: (7) Anton sagte, dass der derzeitige Finanzminister der einzig wirklich kompetente Politiker sei ist nicht ambig, sondern unspezifisch bezüglich einer bestimmten Situation des Sagens. Im Unterschied zum Fall lexikalischer Ambiguität, in dem eine eindeutig bestimmbare Menge (mit mindestens zwei Elementen) von Bedeutungen ermittelt werden kann, können für (7) je nach sprachlichem und situativem Kontext beliebig viele Bedeutungen ermittelt und durch lexikalische Synonyme paraphrasiert werden, vgl.: (7a) Anton bemerkte, dass ... (7b) Anton stellte fest, dass (7c) Anton betonte, dass (7d) Anton hob hervor, dass ... (7e) Anton behauptete, dass (71) Anton gab zu, dass (7g) Anton wandte ein, dass ... usw. 172 Gisela Harras Wir hatten bereits am Beispiel von Sätzen mit dem lexikalischen Ausdruck erhöhen gesehen, dass das Vorliegen eines Synonyms keine hinreichende Bedingung für Polysemie darstellt. Dasselbe gilt für das unspezifische Verb sagen in einer Vielzahl von möglichen Kontexten. Der Inferenztest für das Vorliegen komplementärer Bedeutungen ist deswegen wenig tauglich, weil sagen als zweiwertiges Verb ein obligatorisches direktes Objekt erfordert, so dass für alle Vorkommen von sagen jeweils lediglich inferiert werden kann, dass etwas sprachlich geäußert wurde. Insofern ist der Inferenztest einfach zu schwach, und uns bleibt nur die Analyse nach den semantisch-syntaktischen Aspekten ±AGENS, ±propositionaler GE- HALT, ±ADRESSAT. Dass diese Aspekte geeignet sind, unterschiedliche Lesarten zu ermitteln, ist bereits gezeigt worden. Auf die Frage, inwieweit sie geeignet sind, lexikalische Synonyme zu ermitteln, soll im Folgenden noch kurz eingegangen werden. Der Aspekt ±AGENS separiert in der Minus-Ausprägung in Kombination mit der Ausprägung +PROPOSITIONALER GEHALT eine Bedeutung, die durch die lexikalischen Synonyme bedeuten, heißen als semantische Äquivalente paraphrasiert werden kann und in unserer Gruppierung I, 5b, in der DUDEN- Anordnung 5b entspricht, vgl.: 5b (i) das sagt doch immerhin, dass er es gewusst haben muss das bedeutet/ heißt doch immerhin, dass er es gewusst haben muss (ii) das sagt nicht viel das bedeutet/ heißt nicht viel (iii) dass er gekommen ist, sagt doch, dass er uns mag dass er gekommen ist, bedeutet/ heißt doch, dass er uns mag (Flinzufügung dieses Beispiels von mir) Allerdings gibt es für die Substituierbarkeit von sagen durch bedeuten/ heißen die Restriktion, dass der Subjektausdruck nicht auf einen bestimmten Text(ausschnitt) referieren darf, und dies ist offenbar das Kriterium für die Separierung von Bedeutung 5a in der DUDEN-Anordnung mit der lexikalischen Paraphrase zum Inhalt haben, vgl.: 5a (i) was sagt denn der Mietvertrag? *was bedeutet/ heißt denn der Mietvertrag? (ii) das Gesetz sagt (eindeutig), dass ... *das Gesetz bedeutet/ heißt eindeutig, dass ... Synonymie und Synonymik 173 (iii) dieses Kapitel sagt, dass es ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Polysemie und Synonymie gibt dieses Kapitel bedeutet/ heißt, dass es ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Polysemie und Synonymie gibt (Hinzuftigung dieses Beispiels von mir) Die Kombination der Aspektausprägungen +AGENS, -PROPOSITIONALER GE- HALT, -ADRESSAT ergibt in unserer Zusammenstellung Lesart II, in der DU- DEN-Anordnung {la, 1b, 1c} mit den lexikalischen Paraphrasen: für la: {Wörter, Sätze o.A.) artikulieren, aussprechen für 1b: {ein Wort, eine Wendung o.A.) im Sprachgebrauch haben, beim Sprechen benutzen, gebrauchen für 1c: aufeine bestimmte Weise, mit einem bestimmten Wort bezeichnen Für die entsprechenden Kontexte lassen sich nur in einem Fall lexikalische Synonyme finden, die in der Paraphrasierung enthalten sind, vgl.: la (i) ja, nein, guten Abend sagen *ja, nein, guten Abend artikulieren/ aussprechen (ii) du sollst nicht immer „Mist“ sagen *du sollst nicht immer „Mist” artikulieren/ aussprechen (iii) etw. laut, leise, deutlich sagen etw. laut, leise, deutlich artikulieren/ aussprechen Ib (i) wer sagt heute noch „Beding“ ’wer gebraucht/ benutzt heute noch „Beding“ (ii) sagst du „Rotkohl“ oder „Rotkraut“? * gebrauchst/ benutzt du „Rotkohl“ oder „Rotkraut“? 1 c (i) zu einem Fotoapparat kann man auch „Kamera“ sagen ? (ii) wie kann man noch dazu sagen? 7wie kann man das noch nennen? Es zeigt sich also, dass nur im Fall von la (iii) lexikalische Synonyme vorliegen, die man wohl noch um äußern ergänzen könnte, wobei die Substituierbarkeit durch die Kontextelemente der Adverbialausdrücke laut, leise, deutlich ermöglicht wird und man sich fragen kann, ob in diesen Fällen nicht eher Phrasen als lexikalische Ausdrücke durch einander ersetzbar sind. 174 Gisela Harras Die Kombination der Aspektausprägungen +AGENS, -PROPOSITONALER GE- HALT, +ADRESSAT ergibt in unserer Gruppierung Lesart III, in der DUDEN- Anordnung {Id, 2a}mit den lexikalischen Paraphrasen: für Id: jmdn. aufeine bestimmte Weise, mit einer bestimmten Anrede anreden für 2a: (Worte, Äußerungen) anjemanden richten Nur in einem Fall der Kontexte lässt sich ein lexikalisches Synonym finden, vgl.: 1 d (i) du sollst nicht immer „Dicke“ zu deiner kleinen Schwester sagen du sollst deine Schwester nicht immer „Dicke“ nennen du sollst deine kleine Schwester nicht immer mit „Dicke“ anreden (ii) du kannst ruhig du zu mir sagen 9 2a (i) ich habe das nicht zu dir gesagt ? (ii) jmdm. ein paar tröstende Worte sagen jmdm. ein paar tröstende Worte spenden (iii) jmdm. auf Wiedersehen sagen sich von jmdm. verabschieden Die Ersetzungsmöglichkeit in den beiden letzten Fälle kann in zwei Weisen begründet werden: einmal: spenden bzw. verabschieden sind als reine Kontextäquivalente von sagen zu betrachten, da sie nur in diesem ganz speziellen Kontext substituierbar sind; zum andern: die Substituierbarkeit bezieht sich nicht auf die lexikalischen Ausdrücke, sondern auf die Phrasen tröstende Worte sagen, auf Wiedersehen sagen-, es handelt sich also gar nicht um lexikalische Synonymie. Die Kombination der Aspekte +AGENS, +PROPOSITIONALER GEHALT, -ADRESSAT ergibt in unserer Gruppierung Lesart IV, die prototypische oder Kembedeutung von sagen, in der DUDEN-Anordnung {3a, 3b, 3c, 3d, 3e, 3f, 4}. Wir hatten bereits die Fragwürdigkeit dieser Unterteilung diskutiert, so dass wir uns hier auf das Fazit beschränken können: Die jeweils substituierbaren Ausdrücke sind entweder Kontextäquivalente in Abhängkeit von spezifischen propositionalen Gehalten, phrasale Synonyme wie im Fall von sagen Synonymie und Synonymik 175 + Modalverb {wollen, sollen) oder metonymische Verwendungen von sagen im Sinn von für wahr halten, glauben, annehmen. Die Kombination +AGENS, +PROPOSITIONALER GEHALT, +ADRESSAT ergibt in unserer Gruppierung Lesart V, in der DUDEN-Anordnung {2b, 2c, 2d}. Hier gilt dasselbe wie für Lesart IV, wobei Subbedeutung 2c ‘erzählen, berichten’ in dem Kontext von etwas sagen in der Tat veraltet ist und die Substituierbarkeit von vorschreiben, befehlen auf die Phrasen etwas/ nichts zu sagen haben, sich von jemandem etwas/ nichts sagen lassen beschränkt ist. Wenn wir jetzt Bilanz ziehen, müssen wir sagen, dass es lediglich Kontextäquivalente in Abhängigkeit von spezifischen propositionalen Gehalten sowie phrasale Synonyme, aber keine echten lexikalischen Synonyme von sagen gibt. Innerhalb der Gruppe der phrasalen Synonyme könnte man noch zwei Untergruppen unterscheiden: (1) die Gruppe der festen Phrasen, für die keinerlei Variationsmöglichkeiten bestehen, wie etwas/ nichts zu sagen haben', sich etwas/ nichts von jemandem sagen lassen mit der zusätzlichen Restriktion, dass das direkte Objekt immer durch ein Indefinitpronomen vertreten sein muss; (2) die Gruppe der bedingt festen Phrasen, für die beschränkte Variationsmöglichkeiten bestehen, wie etwas {in einer bestimmten artikulatorischen Weise) sagen als Synonym von aussprechen, formulieren mit den alternativen Möglichkeiten von Modifikatoren wie laut, leise, deutlich, undeutlich, gepresst usw. und etwas {in einer bestimmten inhaltlichen Angemessenheit) sagen als Synonym von formulieren, ausdrücken mit den alternativen Möglichkeiten von Modifikatoren wie gut, vorzüglich, klar {und deutlich) usw. Bedingte Variationsmöglichkeit besteht auch für eine Lesart, die im DUDEN fehlt, nämlich ein Wort sagen, drei Worte sagen, ganze Sätze sagen als Synonym von sprechen in der habituellen Lesart. Das vorläufige Fazit, das wir aus der Diskussion der meist strukturalistisch orientierten Konzeptionen und der Betrachtung des praktischen Beispiels aus der Lexikographie ziehen können, ist das folgende: Lexikalische Synonymie als völlige Bedeutungsgleichheit zweier (oder mehrerer) Wörter ist in natürlichen Sprachen äußerst selten. Es lassen sich, wenn man einmal von speziellen Fachsprachen absieht, kaum zwei Wörter finden, die in allen möglichen Kontexten salva verdate durch einander ersetzbar sind. Lexikalische Synonymie als partielle Bedeutungsgleichheit (denotativ/ kognitiv gleich konnotativ/ emotiv verschieden) ist in natürlichen Sprachen häufiger. Die Substituierbarkeit der entsprechenden Ausdrücke unterliegt den zusätzlichen Restriktionen salva oratione und salva exten- 176 Gisela Harras sione, d.h. es gibt nur bestimmte Kontextklassen, in denen Austauschbarkeit möglich ist. Polysemie setzt Synonymie voraus: Semantische Äquivalenz ist eine logische Bedingung für Polysemie. Die Ausdrückbarkeit der semantischen Äquivalenz durch ein lexikalisches Synonym ist damit nicht gefordert. Synonymie ist eine semantische Relation zwischen bestimmten Lesarten lexikalischer Ausdrücke. Ihre mögliche Ersetzbarkeit ist auf jeweils bestimmte lesartenspezifische Kontexte beschränkt. Kontextäquivalenz als kontext- und situationsabhängige Bedeutungsgleichheit zweier Ausdrücke ist von Sprechern natürlicher Sprachen jederzeit herstellbar. Angesichts dieses Fazits erhebt sich die Frage, warum wir uns nicht schon früher um Bedingungen für Kontextäquivalenz gekümmert haben. Bisher waren sie im Wesentlichen als völlig beliebige ad-hoc-Erscheinungen behandelt worden, so dass schließlich wie in Gaugers nicht-synonymischen Kontexten alles mit allem ‘synonym’ sein kann (vgl. Gauger 1972; Lutzeier 1995). Was wir also brauchen, ist ein Kriterium zur Einschränkung einer solchen Beliebigkeit. 4. Synonymie als Kontextäquivalenz mit semantischem Fundament 4.1 Synonym/ synonym in nicht-sprachwissenschaftlicher Redeweise Kontextäquivalente in ein und demselben Kontext kommen so haben wir bereits gesehen in der Rede nicht vor. Wir können empirisch nicht nachweisen, welche Ersetzungsprozedur ein Sprecher eventuell vorgenommen hat. Deswegen soll im Folgenden von einer Hilfskonstruktion Gebrauch gemacht werden: Es sollen nicht-sprachwissenschaftliche Sätze betrachtet werden, mit denen behauptet wird, dass zwei Ausdrücke miteinander synonym sind, d.h. Sätze der Form: x ist Synonym von/ für y x ist synonym mit y Diese Betrachtung kann allerdings lediglich einen heuristischen Stellenwert haben. Es soll zunächst der Frage nachgegangen werden, in welcher Weise solche Sätze als informative Sätze interpretierbar sind und ob man aus dieser Interpretation etwas lernen kann, was für eine Theorie der Kontextäquivalenz nutzbar sein könnte. Hier die Sätze: Synonymie und Synonymik 177 (1) Silicon Valley ist ein Synonym für Spitzentechnologie. (Zeit, 21.6.1985,8.32) (2) Da ich in dieser Unfähigkeit einen Defekt sehe meine Stellung zur Hofferei bei Bloch keimen Sie ja da ist Hoffnung ein Synonym für Feigheit ist die Affinität zwischen Beckett und mir in der Tat unbestreitbar. (Zeit, 22.3.1987, S. 65) (3) Bei Broder läuft der Antisemitismus-Begriff beständig Gefahr, zu einem Synonym für alle israelkritischen Einstellungen zu werden. (Süddeutsche Zeitung, 11.10.1995, S. 14) (4) Für die Kritiker ist die Gentechnologie ein Synonym für menschliche Hybris. (Spiegel, 15.10.1993, S. 93) (5) Bier ist ein Synonym für deutsche Lebensart und heitere Geselligkeit. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.2.1995, S. 22) (6) Für Adorno ist Dichtung synonym mit Kreativität, (tageszeitung, 30.11.1988, S. 11) (7) Hierzulande ist es normal, daß die Wirtschaft synonym ist mit Kriminalität, (tageszeitung, 11.4.1989, S. 9) (8) Das Urlaubsziel ist heutzutage synonym mit der Reise dorthin. (Berliner Zeitung, 17.7.1999, S. III) (9) Die Branche steht für das Neue schlechthin: „com“ und „e-“ und sind synonym mit Zukunft. (Berliner Zeitung 6.3.2000,8.2) Keiner der jeweils mit dem Relator Synonym .../ synonym ... verknüpften Argumentausdrücke erfüllt die Bedingung der denotativen/ kognitiven Äquivalenz, vgl.: Silicon Valley - Spitzentechnologie Hoffnung - Feigheit Antisemitismus israelkritische Einstellungen Gentechnologie menschliche Hybris Bier deutsche Lebensart, heitere Geselligkeit Dichtung - Kreativität Wirtschaft - Kriminalität Urlaubsziel - Reise com, e-, @ - Zukunft Trotz der semantischen Verschiedenheit der Ausdrücke, die als in der Relation der Synonymie stehend behauptet werden, sind die Sätze (1) bis (9) unabhängig von ihren Paraphrasemöglichkeiten vollständig und einheitlich interpretierbar. Wir verstehen sie, weil wir das, was die Ausdrücke bezeichnen, eben nicht in ihrem Kontrast zueinander, sondern bezüglich dessen, was 178 Gisela Harras sie voneinander ununterscheidbar macht, interpretieren. Wir konstruieren ein ununterscheidbares Drittes wie z.B. ‘Chipherstellung’, ‘Passivität’, ‘Vermessenheit’, ‘Talentiertheit’, ‘verbrecherische Geschäfte’, ‘Bewegung’, ‘elektronische Kommunikation’. Unter diesen Gesichtspunkten sind die jeweiligen Ausdrücke semantisch äquivalent. Wir können bezüglich der nicht-sprachwissenschaftlichen Verwendungsweise von Synonym .../ synonym ... also Folgendes Festhalten: - Die jeweiligen Argumentausdrücke x und y sind bedeutungsverschieden. Unter einem Aspekt sind x und y kommunikativ gleich, d.h. sie können verwendet werden, um die je unterschiedlichen Gegenstände/ Sachverhalte, die x und y standardmäßig bezeichnen, hinsichtlich einer bestimmten Prädikation als ununterscheidbar zu charakterisieren. Unter der Bedingung ihrer kommunikativen Gleichheit könnte ein Sprecher (einer bestimmten Gruppe) in einem geeigneten Kontext statt des Ausdrucks x auch Ausdruck y verwenden. - Als Voraussetzung für die Austauschbarkeit der Ausdrücke x und y gilt, dass der jeweilige Sprachverwender die Ununterscheidbarkeit von x und y hinsichtlich einer bestimmten Eigenschaft, einer bestimmten Prädikation, kennen muss. Er muss einen entsprechenden Satz der Form: x ist y (unter dem Aspekt A) für wahr halten. 4.2 Gebrauchsinitiierende Synonymenfestlegungen als Bedingung für systematische Kontextäquivalenz Die Bedingungen für die Gleichsetzung der beiden Argumentausdrücke sind in den nicht-sprachwissenschaftlichen Kontexten (1) bis (9) allesamt rein adhocistisch. Für eine realistische Theorie der Synonymie als systematische Kontextäquivalenz brauchen wir Gleichsetzungen, bzw. besser Gleichsetzungsbehauptungen, für die gerechtfertigte Gründe angebbar sind. Ähnliche Überlegungen finden sich bereits bei Naess, der Synonymie wie folgt bestimmt (vgl. Naess 1951): Synonymie ist eine Beziehung zwischen zwei Wörtern einer Sprache. Die Relation ist eine der Identität, aber nur eine Identität in einer bestimmten Hinsicht unter anderen. Es gibt keine Grade der Striktheit der geforderten Identität. Synonymie und Synonymik 179 Der identische Aspekt ist einer der Bedeutung, speziell derjenige Aspekt der Bedeutung, der als kognitiv (denotativ) charakterisiert werden kann. Zwei Ausdrücke müssen nicht notwendigerweise immer für alle Sprecher der Sprache L in der Relation der Synonymie stehen, und sie müssen dies auch nicht immer für jeden einzelnen Sprecher. Identität ist keine hinreichende Bedingung für Synonymie. Zwei lexikalische Ausdrücke x und y können unter der Voraussetzung der Gültigkeit einer Gleichsetzungsbehauptung (x ist y) als Synonyme verwendet werden (vgl. dazu Fischer 1973; Bickmann 1978; Schim 1980; Harras 1996). Sätze, mit denen zwei Ausdrücke x und y als synonym verwendbar begründet werden, nenne ich, eine grundlegende Idee von Bickmann (1978) aufgreifend, gebrauchsinitiierende Synonymenfestlegungen. Beispiele dafür sind Sätze wie die folgenden: (1) Sir Walter Scott ist der Autor von Waverley (2) Berlin ist die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland (3) (Ein) Haus ist dasselbe wie (ein) Gebäude (4) Sprechen ist Reden (5) Revolution ist Umsturz Solche Sätze haben die Struktur ‘a = b’; mit ihnen wird die kommunikative Gleichheit der beiden Ausdrücke a und b behauptet. In den Beispielen sind die Argumentausdrücke a und b gebraucht und die Sätze primär-kommunikativ oder anders: objektsprachlich. Sie sind ihrer Form nach keine linguistischen Charakterisierungen im Sinne Searles. Mit (1) und (2) wird ein außersprachlicher Sachverhalt behauptet, der aufgrund unseres Weltwissens verifizierbar ist. Als Argumentausdrücke der Behauptungen stehen Eigennamen bzw. definite Kennzeichnungen. Die Sätze (3) bis (5) dagegen enthalten als Argumentausdrücke Gattungsbezeichnungen bzw. Klassenprädikate. (3) bis (5) könnten auch metakommunikativ, d.h. mit erwähnten statt gebrauchten Argumentausdrücken, formuliert werden. Zu deren Verifikation müsste nun zweifelsfrei sprachliches, semantisches Wissen herangezogen werden, jedenfalls dann, wenn wie vorgesehen die Sätze als deskriptive und nicht als präskriptive Sätze aufgefasst werden sollen. Daraus nun aber abzuleiten, dass die primär-kommunikativ formulierten Sätze (3) und (5) aufgrund von einer anderen Art von Weltwissen verifizierbar seien als deren metakommunikative Formulierungen, wäre voreilig, denn am Inhalt der Sätze hat sich ja nichts geändert, und das heißt auch, dass beide Arten von Sätzen aufgrund derselben Wissensinhalte verifizierbar sind. Trotzdem bleibt natürlich der Statusunterschied zwischen den Sätzen (1) und (2) einerseits und (3) bis (5) andererseits. Deshalb soll unterschieden werden zwischen: 180 Gisela Harras a) Identitätssätzen wie (1) und (2) und b) Gleichheitsbehauptungen wie (3) bis (5). Zusammengefasst werden sie beide unter dem Etikett ‘Gleichsetzungen’: gebrauchsinitiierende Synonymenfestlegungen Abb. 5 Die Argumentausdrücke von Identitätssätzen und Gleichheitsbehauptungen bezeichnen Unterschiedliches, das bezüglich eines Bestimmten als gleich, als ununterscheidbar charakterisiert ist. Der den Ausdrücken a und b gemeinsame Aspekt muss weniger speziell sein als die Aspekte ihrer Verschiedenheit. Der Ausdruck a bezeichnet den Gegenstand/ Sachverhalt A nur insofern, als er von dem mit b bezeichneten Gegenstand/ Sachverhalt B ununterscheidbar ist. Das durch a und b gemeinsam Bezeichnete wird mit C notiert. Jeder Identitätssatz und jede Gleichheitsbehauptung setzt die Geltung der folgenden Prädikationen voraus: PI: a ist ein C-bestimmtes P2: b ist ein C-bestimmtes Der jeweilige Satz ist wahr, wenn die Elemente, die C bestimmen, identisch sind, wenn also A und B dasselbe C-bestimmte sind, vgl.: (6) Revolution ist Umsturz a = Revolution b = Umsturz PI: Revolution ist gewaltsame Veränderung politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse P2: Umsturz ist gewaltsame Veränderung politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse C a ,b (gewaltsame Veränderung politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse) a ,b Synonymie und Synonymik 181 Mit Gleichheitsbehauptungen wird die Ersetzbarkeit zweier Ausdrücke begründet: sie sind gebrauchsinitiierende Synonymenfestlegungen. Wenn nun mit solchen Sätzen jeweils ein ganz bestimmter Aspekt der Verwendung der Ausdrücke a und b festgelegt wird, so sind a und b nur unter diesem festgelegten Aspekt als Synonyme verwendbar, und das heißt füreinander ersetzbar. Dies bedeutet auch, dass die entsprechenden Kontexte auf diesen Aspekt hin zugeschnitten sein müssen. Wir haben also außer den Restriktionen salva veritate, salva oratione, salva extensione noch eine vierte Restriktion zu beachten, die man salva adaequatione (semantica) nennen könnte. Damit kommen wir zu dem folgenden endgültigen Fazit: Zwei lexikalische Ausdrücke werden durch gebrauchsinitiierende Festlegungen als synonym verwendbar festgelegt. Gebrauchsinitiierende Festlegungen stellen Identitätssätze und Gleichheitsbehauptungen dar, die durch die Angabe einer gemeinsamen Eigenschaft der durch die beiden Argumentausdrücke bezeichneten Gegenstände/ Sachverhalte begründet sind. Die gemeinsame Eigenschaft ist im Fall von Gleichheitsbehauptungen auf einen semantischen Aspekt abbildbar. Dieser kann auf die Bezugsregeln der jeweiligen Ausdrücke oder auf Ausprägungseigenschaften der semantischen Eigenschaften der Ausdrücke relativ zu einem komplexen Konzept (wie z.B. SCHULE) rekurrieren. Die als gleich festgelegten lexikalischen Ausdrücke sind in Kontextklassen, die der Restriktion salva adaequatione semantica unterliegen, salva veritate, salva oratione und salva extensione austauschbar. Die Frage, ob Synonymie eine Eigenschaft des Lexikons einer Sprache, also eine Systemeigenschaft, oder eine Eigenschaft der individuellen Sprachverwendung ist, kann damit folgendermaßen beantwortet werden: Zwei Ausdrücke sind dann als Synonyme füreinander disponiert, wenn sie einen semantischen Aspekt gemeinsam haben; dieser ist eine Eigenschaft des Lexikons einer Sprache. Füreinander ersetzbar sind die Ausdrücke dann, wenn der Kontext, in dem sie ersetzt werden sollen, genau auf diesen semantischen Aspekt zugeschnitten ist, und dies ist eine Sache der je individuellen Sprachverwendung. Mit dieser realistischen Bestimmung wird also Synonymie einerseits als Kontextäquivalenz, andererseits als semantische Disposition charakterisiert, was vom Standpunkt der lexikalischen Semantik her gesehen unbefriedigend erscheinen mag. Eine bessere Lösung ist wie auch Lang (1995) eingesteht nicht möglich: „Synonymie ist wie ein Brei mit Schlieren, in dem die Ordnung der Wörter versinkt, Antonymie hingegen ist wie ein Diamant, durch den wir die Ordnung der Wörter in scharfer Facettierung erblicken können“ (Lang 1995, S. 95). 182 Gisela Harras 5. Das Darstellungsformat einer distinktiven Synonymik Meine eher theoretisch geleiteten Überlegungen zur Synonymie möchte ich im letzten Abschnitt dieses Beitrags mit der Frage nach praktischen lexikographischen Umsetzungsmöglichkeiten beschließen. Ich werde mich dabei exemplarisch auf ein Beispiel aus ESKA beschränken (ausführlicher dazu: Winkler in diesem Band) und mich im Wesentlichen auf darstellungstechnische und benutzerorientierte Aspekte konzentrieren. 5.1 Die grundlegende Perspektive: von den Begriffen zu den Wörtern (Distinktive) Synonymiken werden i.A. zu den onomasiologischen Wörterbuchtypen gezählt. Diese sind, wie Reichmann in seinem Handbuchartikel in HSK (1990) zusammenfasst, durch zwei obligatorische Positionen gekennzeichnet: „ln der ersten Position steht immer ein (selten mehrere) Zeichen, das (die) als Repräsentation eines Begriffes zu interpretieren ist (sind). Verkürzt kann man deshalb sagen: ln der ersten Position steht ein Begriff, in der zweiten Position stehen ein oder mehrere dem Ausgangszeichen (dem Begriff) zugeordnete Ausdrücke.“ (Reichmann 1990, S. 1057) Zur Repräsentation von Begriffen wird in den onomasiologischen Wörterbüchern fast ausschließlich die Lexik derjenigen Sprache benutzt, die beschrieben werden soll, d.h. aus der auch die Ausdrücke der zweiten Position des Wörterbuchs stammen. Im Fall, dass die erste Position durch einen lexikalischen Ausdruck repräsentiert ist, wird dann auch von Lemmata oder Stichwörtern gesprochen, eine Redeweise, die geeignet ist, den Unterschied zwischen onomasiologischen und semasiologischen Wörterbüchern zu verwischen. Um eine solche Unschärfe zu vermeiden, ist für ESKA ein anderer Weg gewählt worden: Ausgangspunkt sind weder lexikalische Ausdrücke noch Paraphrasen in ihrer Eigenschaft als lexikalische Definitionen, sondern Repräsentationen konzeptueller Schemata, die als Bezugs- oder Rekurssituationstypen modelliert sind. Die einzelnen Komponenten der konzeptuellen Schemata sind durch Induktion aus der Analyse der kategorialen Aspekte von Kommunikationsverben gewonnen. Diejenigen kategorialen Aspekte, die insgesamt einen bestimmten Rekurssituationstyp konstituieren, sind die folgenden: (1) der Aspekt der Eigenschaft des propositionalen Gehalts als Zustand, Ereignis oder Handlung, und im letzten Fall der Aspekt des Handlungsträgers; Synonymie und Synonymik 183 (2) der Aspekt der propositionalen Einstellung des Sprechers, seine Einstellung zu der jeweils ausgedrückten Proposition als epistemische, voluntative oder evaluative Einstellung; (3) der Aspekt der intentionalen Einstellung des Sprechers, der Sprecherabsicht bezüglich einer Hörerreaktion als epistemische, intentionale oder evaluative Einstellung; (4) der Aspekt von sprecherseitigen Vorannahmen bezüglich des Zustands der Welt, speziell der Einstellungen des Hörers. Dieser Aspekt fällt unter das Etikett ‘Interaktionswelt aus der Sicht des Sprechers’. Insgesamt ergeben sich für einen Rekurssituationstyp die folgenden generellen Ausprägungsmöglichkeiten: REKURSSI TUAT ONSTYP T steht fur institutionelle Tatsache Abb. 6 184 Gisela Harras Für die Kombination der Aspektausprägungen: (1) propositionaler Gehalt: unbestimmt (2) propositionale Einstellung (S): S kennt p (3) intentionale Einstellung (S): S will: H kennt p (4) Interaktionswelt (S): p ist nicht erwartbar & El kennt p nicht ergibt sich dann die folgende Verbmenge: propositionaler Gehalt: unbestimmt propositionale Einstellung (S): S kennt p intentionale Einstellung (S): S will: H kennt p Interaktionswelt (S): p nicht erwartbar & H kennt p nicht Abb. 7 mitteilen berichten informieren benachrichtgen erzählen (dass) sagen (dass) (vermeiden anvertrauen V J Die einzelnen Verben dieser Menge, die hier nur angedeutet ist, sind bezüglich der aufgeführten Aspektausprägungen gleich, anders gesagt: sie können unter diesem Gesichtspunkt, und nur unter diesem, in dafür geeigneten nichtsynonymischen Kontexten füreinander ersetzt werden. Andererseits sind die Verben semantisch verschieden. In ESKA wird diese Verschiedenheit in doppelter Weise demonstriert: einmal durch einen Lexikoneintrag, in dem die folgenden Informationstypen enthalten sind: (a) die Argumentstruktur der Verben; (b) die Bedeutung einmal als allgemeine lexikographische Paraphrase und zum andern als spezielle Konfiguration der konzeptuellen Komponenten; (c) die speziellen semantischen, syntaktischen und pragmatischen Verwendungsbedingungen; (d) Antonyme; (e) Möglichkeit des performativen Gebrauchs; (f) Beispiele und Belege; zum andern ist in den einzelnen Lexikoneinträgen jeweils ein ausführlicher Synonymenkommentar enthalten, in dem Kontexttypen vorgeführt Synonymie und Synonymik 185 werden und die Ersetzbarkeit der Ausdrücke durchgespielt wird. Hier erfährt man zum Beispiel, dass benachrichtigen nur in speziellen Kontexten durch mitteilen oder informieren ersetzt werden kann, dass melden einen institutionellen Kontext verlangt usw. ESKA bietet als heuristisches Arbeitsinstrument, zur systematischen Datenauswertung sowie als lexikographisches Nachschlagewerk drei unterschiedliche Zugriffsmöglichkeiten: (1) der Zugriff von ausgewählten Aspektausprägungen, konzeptuellen Konfigurationen, zu speziellen Rekurssituationstypen (dieser Zugriff ist bereits illustriert worden); (2) der Zugriff von speziellen Rekurssituationstypen bzw. den entsprechenden Klassenbezeichnungen wie Repräsentative (mit Untertypen wie Repr.assert, Repr.inform, Repr.reakt.) oder Direktive (mit entsprechenden Untertypen wie Dir.aufforder., Dir.frag., Dir.prüf. usw.) zu den entsprechenden konzeptuellen Konfigurationen; (3) der Zugriff von einzelnen lexikalischen Ausdrücken oder Lemmata zu ihren speziellen Rekurssituationstypen und von dort zu den konzeptuellen Konfigurationen. Die Wege des Zugriffs sind im folgenden Schema nochmals dargestellt: Abb. 8 186 Gisela Harras 5.2 Vom Nutzen einer distinktiven Synonymik Uber den Nutzen distinktiver Synonymenwörterbücher wird kontrovers diskutiert (vgl. z.B. Kühn 1979; 1985; Müller 1965; Hausmann 1986, 1990; Püschel 1986; Wiegand 1994). Unstrittig scheint zu sein, dass der Nutzen kumulativer Synonymiken gering einzuschätzen und deren Wesen oder besser Unwesen als normative Sprachhüter zu kritisieren ist (vgl. Kühn 1985; Püschel 1986). Hausmann hält eine erklärende oder distinktive Synonymik nur dann für nützlich und sinnvoll, wenn die folgenden Ansprüche erfüllt sind: „1. Basis der Synonymenscheidung muß der Vergleich der Wörter im Kontext sein. 2. Der Wörterbuchartikel muß den Kembereich üblicher Kontexte für jedes Synonym vorfuhren und in jeden Kontext eintragen, welche anderen Synonyme möglich sind. Intensitätsunterschiede können mit Pfeil nach oben bzw. Pfeil nach unten markiert werden. 3. Dem so gestalteten Kontextteil des Wörterbuchartikels folgt ein kommentierender Teil, in dem die Oppositionen und Nuancen semantischer und pragmatischer Art vermittelt werden, die sich aus dem Kontextteil ergeben. Hier wird explizit gemacht, was der Kontextteil vorführt.“ (Hausmann 1986, S. 240f.) Diese Forderungen sind durch den Synonymenkommentar und die detaillierten Lexikoneinträge von ESKA erfüllt. Trotzdem stellt sich immer noch die Frage, wer außer dem interessierten Linguisten zu welchem Zweck und mit welchem Nutzen ein distinktives Synonymenwörterbuch, sei es als Printmedium oder als Datenbank, benutzt. Reichmann bestimmt die Benutzungsanforderungen an den onomasiologischen Wörterbuchtyp in dem genannten Handbuchartikel global so: „... das onomasiologische Wörterbuch hat mit allen seinen Typen die Funktion, dem Nachschlagenden Hilfestellung bei der Produktion einzelner Texte zu geben, sowie ihm ausgehend vom Begriff (bzw. einem den Begriff repräsentierenden Zeichen) eine den einzelnen Textproduktionsprozeß transzendierende Schulung zu vermitteln.“ (Reichmann 1990, S. 1063) Diese Forderung wird durch acht Einzelforderungen näher präzisiert (vgl. Reichmann 1990, S. 1063/ 4): (1) Wortfmdungshilfe, vorwiegend beim Formulieren von Texten, auch z.B. bei der Lösung von Kreuzworträtseln, bei Wortspielen aller Art; (2) Hilfe bei der Findung von Synonymen oder partiellen Synonymen zu verfügbaren Wörtern, vor allem zum Zweck stilistischer Variation (Vermeidung von Wortwiederholungen), zum Zweck der Nuancierung, der Synonymie und Synonymik 187 Spezifizierung und Bewertung des Gesagten, jeweils anlässlich des Formulierens von Texten; (3) Vermittlung von Entscheidungshilfen für die normativ richtige oder (je nach Zweck) von der Norm abweichende Verwendung von (partiellen) Synonymen, die als lexikalische Einheiten verfügbar, in einzelnen ihrer Eigenschaften aber nicht sicher bekannt sind; (4) Vermittlung des Handlungsrahmens (des frames) oder einzelner seiner Teile, in dem ein bestimmtes Zeichen regelhaft verwendet wird; (5) Vermittlung von Komplexen von Handlungsrahmen, letztlich des gesamten Weltaufbaus, in dem sich der Sprecher kognitiv zu orientieren und dieser Orientierung gemäß sprachlich zu handeln hat; (6) Vermehrung des für einen bestimmten Ausgangsbegriff beherrschten Wortschatzes, wie sie auf niederer Anspruchsstufe in den (oft kumulativen) Wortfeldübungen des Sprachunterrichts erstrebt wird; (7) In Anschluss an Eberhard/ Maaß/ Gruber Schulung des Scharfsinns des gebildeten Teils der Nation, des logischen Unterscheidungsvermögens (im Englischen dafür oft: „sharpening the sense of logics“), insbesondere durch klare Distinktionen von partiellen Synonymen; (8) Bereitstellung des Ausgangsmaterials für begriffsgeschichtliche, soziologische Untersuchungen aller Art, darunter für Wortfelduntersuchungen innerhalb der Einzelsprache und sprachinterne und sprachexterne Wortvergleiche, ferner für die Kultur- und Einflussforschung wie für die Universalienforschung. Der Katalog ist eindrucksvoll. Wie lassen sich die einzelnen Forderungen rechtfertigen und wie in einer Synonymik wie ESKA erfüllen? Abschließend will ich auf diese Fragen noch etwas näher eingehen, wobei sich herausstellen wird, dass einige der Forderungen auf unklaren Voraussetzungen beruhen: Zu (1): Wortfmdungshilfe. Die Formulierung von Reichmann ist insofern präzisionsbedürftig, als kein Situationstyp angegeben wird, für den die Hilfe benötigt wird. Denkbar ist eigentlich bloß dieser: Der Formulierende hat bereits einen (Mini)text verfasst, von dem ausgehend er nach spezielleren oder allgemeineren sprachlichen Ausdrücken sucht. Mit ESKA steht dem Benutzer die Möglichkeit eines Zugriffs von einzelnen Wörtern, Lemmata, auf spezielle Rekurssituationstypen und die ihnen zugeordneten lexikalischen Ausdrücke als mögliche Synonyme zur Verfügung wie auch die Möglichkeit des Zugriffs ausgehend von den konzeptuellen Konfigurationen, auf die Menge der sie lexikalisierenden Verben. Dass ein nicht-linguistischer Benutzer den letzten Zugang wählt, ist allerdings ziemlich unwahrscheinlich! 188 Gisela Harras Zu (2): Hilfe bei der Findung von Synonymen. Wenn man davon ausgeht, dass die Basis für die Suche nach Wörtern immer schon eine sprachliche Form sein muss, dann unterscheidet sich dieser Benutzungstyp nicht wesentlich von dem ersten. Man könnte zwei Situationstypen unterscheiden, in denen die Hilfe benötigt wird: Ein bereits hingeschriebenes Wort passt dem Formulierer nicht; er sucht ein „passenderes“ oder „treffenderes“. Welches das aus der Liste der im Wörterbuch angebotenen Möglichkeiten ist, muss er für sich selbst entscheiden, wobei detaillierte lexikalische Beschreibungen nur eine bedingte Hilfe darstellen: „Treffende Ausdrücke“ als solche sind nicht zu finden, da ‘treffend’, ‘passend’, ‘angemessen’ Eigenschaften je individueller Sprachverwendungssituationen sind. Der Formulierende sucht zu einem bereits hingeschriebenem Wort ein semantisch ähnliches, ein „sinnverwandtes Wort“, um seinen Text in wortvariierender Weise kohärent zu formulieren. Zu (3): Vermittlung von Entscheidungshilfen. Zunächst irritiert hier die Redeweise von der „richtigen oder abweichenden Verwendung von Synonymen“, wobei weniger der normative Anklang der Formulierung gemeint ist als die absolute Charakterisierung von Wörtern als Synonyme; besser ist nach allem, was wir über Synonymie wissen, der Hinweis auf die Möglichkeit, die Ausdrücke synonym, d.h. als Kontextäquivalente zu verwenden. Die Redeweise von der ‘richtigen’ und der ‘abweichenden’ Verwendung ist irreführend; eindeutiger wäre es, von standardmäßigen oder usuellen und nicht standardmäßigen oder nicht-usuellen Kontexten zu sprechen. In ESKA ist die semantische Information der einzelnen Wörter in den Lexikoneinträgen sowie für die Möglichkeit ihrer synonymischen Verwendung im Synonymenkommentar verfügbar. Zu (4) und (5): Vermittlung von Handlungsrahmen (frames). In den Formulierungen von Reichmann wird nicht klar, auf welche Arten von Wissen sich diese beziehen sollen: auf sprachliches oder sonstiges Welt- oder enzyklopädisches Wissen. In ESKA sind die semantischen Informationen auf konzeptuelle Schemata abbildbar, die pragmatischen Informationen der Sprachverwendung in den einzelnen Lexikoneinträgen sowie in den Synonymenkommentaren verfügbar. Zu (6) und (7): Kompetenzerweiterung. Diese Anforderungen sind vermutlich wenig realistisch, da ihre Erfüllung auch bedeuten würde, dass ein Benutzer das Wörterbuch nicht nur zum punktuellen Nachschlagen, sondern auch zur längeren Lektüre verwendet, was mir in einer Informationsgesellschaft wie der unsrigen zunehmend idealistisch erscheint. Synonymie und Synonymik 189 Zu (8): Ausgangsmaterial für weitere linguistische oder andere kulturwissenschaftliche Untersuchungen. Von besonderem Interesse für die linguistische Auswertung der Daten von ESKA dürfte der heuristische Wert der zur Verfügung stehenden Auswahl von konzeptuellen Komponenten zur Auffindung von lexikalischen Ausdrücken, die diese lexikalisieren, sein. Damit kann man auch der spannenden Frage nachgehen: Welche Kombinationen sind im Deutschen lexikalisiert und welche (warum) nicht? (Vgl. Harras 1994; Harras 1995). Der Beitrag von Proost in diesem Band ist dieser Fragestellung gewidmet. Die Diskussion der Problematik der Synonymie einerseits und der Darstellungskomponente der Synonymik andererseits führt zu dem Schluss, dass auch distinktive Synonymiken dem Benutzer nur Hinweise auf Möglichkeiten der Formulierung liefern können; die Entscheidungsgewalt über die Angemessenheit und Ästhetik des sprachlichen Ausdrucks liegt allein beim jeweiligen Sprecher! Literatur: Agricola, Erhard (1957): Fakultative sprachliche Formen. 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Damit wird ein Beispiel dafür gegeben, wie sich in der Theorie gewonnene Einsichten (die z.T. in diesem Band formuliert wurden) in der praktischen Anwendung umsetzen lassen. Die in dem Projekt „Erklärende Synonymik kommunikativer Ausdrücke des Deutschen“ (im Folgenden kurz: ESKA) behandelten sprachlichen Ausdrücke umfassen hauptsächlich Sprechaktverben wie mitteilen, informieren, behaupten, anvertrauen, auffordern, fragen, bitten, befehlen, versprechen, schwören, drohen, beklagen, jammern, loben sowie sagen, reden, sprechen, brüllen, flüstern, telefonieren u.v.a. Ich benutze hier die Termini ‘Sprechaktverben’ und ‘Kommunikationsverben’ in gleicher Weise und ohne Unterschied, um die genannten kommunikativen Ausdrücke zu beschreiben. Ihre Verwendung ist in diesem Falle nicht mit weiter gehenden theoretischen Annahmen verbunden. 1. Ziele und Zweck der Darstellung ESKA soll eine multifunktionale Darstellung hauptsächlich semantischer Eigenschaften einer bestimmten Gruppe von Verben sein. Für diese Darstellung wurde ein begriffliches Gerüst entwickelt, das unterschiedlichste Informationen und Informationsarten enthält und auch ganz verschiedene Zugangs- und Abfragemöglichkeiten erlaubt. Die in einer Datenbank gesammelten Informationen umfassen syntaktische Daten zu den einzelnen Verben, semantische Daten unterschiedlicher Komplexität, die sich sowohl auf einzelne Verben wie auch auf ganze Gruppen von Verben beziehen können, und auch Informationen aus dem pragmatischen Bereich. Das begriffliche Gerüst, von dem bereits die Rede war und das in den nächsten Abschnitten im Einzelnen beschrieben werden soll, bildet die Grundlage für die Darstellung sowohl von abgestuften Bedeutungsverwandtschaften und -gegensätzen, als auch von syntaktischen und semantischen Kombinationsmöglichkeiten sowie von weiteren lexikalischen Eigenschaften der behandelten Kommunikationsverben. In ihm sind die Kategorien und Parameter enthalten, die für eine solche 196 Edeltraud Winkler Darstellung notwendig und geeignet erscheinen. Den Kern der Beschreibung bilden die semantischen Daten der Verben, die einen sehr unterschiedlichen Abstraktheitsgrad aufweisen. Ihre Palette reicht von eher konzeptuell-semantischen Aspekten, wie sie sich auf den oberen Hierarchiestufen der Beschreibung finden lassen, bis hin zu gebrauchssemantischen und pragmatischen Gesichtspunkten, die bei der Ausdifferenzierung der einzelnen Verben in den Lexikoneinträgen eine Rolle spielen. Die verschiedenen in ESKA vorzufmdenden Informationen sind in systematischer Weise miteinander verbunden und können getrennt abgefragt werden, oder aber man kann sie bei der Abfrage zu größeren inhaltlichen Komplexen zusammenfassen. 2. Analysekategorien und -parameter für die Ordnung und Beschreibung von Sprechaktverben das begriffliche Gerüst Bei der Betrachtung von Sprechakt- oder Kommunikationsverben wird man zunächst feststellen, dass diese Verben im Wesentlichen zwei Hauptfunktionen erfüllen: Sie dienen zum einen der Übertragung von Informationen im weitesten Sinne sowie dem Ausdruck von Emotionen, Einstellungen und Bewertungen, und zum anderen wird mit den Sätzen, in denen solche Verben Vorkommen, Bezug auf andere sprachliche Äußerungen genommen. Der zweite Punkt bedarf allerdings einer Ergänzung. Die Bezugnahme erfolgt nicht allein auf sprachliche Äußerungen, sondern auf die gesamte Situation, in der die Äußerungen stattgefunden haben. Wir sprechen daher von einer Bezugs- oder Rekurssituation. Die Situation, in der das Kommunikationsverb aktuell verwendet wird, ist die Diskurssituation. Zur Illustration dessen seien an dieser Stelle beispielhaft einige typische Kontexte und Situationen genannt, in denen Sprechaktverben Verwendung finden. (1) Ich musste dreimal nach dem Weg fragen, ehe ich das Haus gefunden hatte. (2) Paul hat versprochen, mir das Buch morgen zurückzugeben. (3) Carla will ihm noch sagen, was sie herausgefunden hat. (4) Die Lehrerin hat Max für sein Verhalten getadelt. (5) Wir haben lange über dieses Problem diskutiert, konnten uns aber nicht auf eine Lösung einigen. Die Situationen, in denen Sätze wie die eben genannten geäußert werden, sind in der ESKA zugrunde liegenden Theorie also die Diskurssituationen; die Situationen, auf die diese Sätze Bezug nehmen (einschließlich der dort gemachten sprachlichen Äußerungen) bilden die Rekurssituationen. Und genau diese Rekurssituationen werden mit dem in der Diskurssituation verwendeten Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 197 Kommunikationsverb beschrieben. In den folgenden Abschnitten sollen Typen von Rekurssituationen und das in ihnen verwendete Beschreibungsinstrumentarium im Einzelnen dargestellt werden. 2.1 Rekurssituationstypen und ihr konzeptuell-semantisches Inventar Die Redeweise von Diskurs- und Rekurssituation geht auf Barwise/ Perry (1987) zurück. Einerseits soll dadurch die Tatsache betont werden, dass auf die Gesamtsituation Bezug genommen wird, in die eine oder mehrere Äußerung(en) eingebettet ist (sind). Und auch die aktuelle Äußerung findet ja innerhalb eines situationalen Rahmens statt, eben innerhalb der Diskurssituation. Andererseits sollen die Beschränkungen auf ganz spezifische Situationen und auf die singuläre Äußerung vermieden werden, die teilweise mit Termini wie Original- und Wiedergabeäußerung verbunden sind. Wenn man von solchen Beschränkungen einmal absieht, kann man aber durchaus Parallelen zwischen diesen beiden Terminologien hersteilen. Die Diskurssituation entspricht der Situation, in der die Wiedergabeäußerung produziert wird, und entsprechend ist die Rekurssituation diejenige Situation, in der die Originaläußerung stattfand. In unserem Zusammenhang kommt es ganz wesentlich auf die Rekurssituation an, denn auf ihre Charakteristika wird Bezug genommen, sie erfahrt durch den Diskurssprecher eine Einschätzung und Wertung, die sich letztendlich in der Wahl des von ihm benutzten Kommunikationsverbs niederschlägt. Deshalb soll die Rekurssituation genauer beschrieben und analysiert werden; es wird versucht, charakteristische Typen von Rekurssituationen zu bestimmen und die für sie einschlägigen Parameter anzugeben. Zunächst wird dabei eine Unterscheidung zwischen einem allgemeinen und verschiedenen speziellen Rekurssituationstypen vorgenommen. 2.1.1 Der allgemeine Rekurssituationstyp Dieser Typ beinhaltet die allgemeinen Situationsparameter, die für alle Kommunikationsverben Gültigkeit besitzen. Er stellt den gemeinsamen, invarianten Kern der Bedeutung aller Kommunikations- oder Sprechaktverben dar. Man kann sich leicht klar machen, welche Parameter der allgemeine Rekurssituationstyp enthalten muss. Da es sich um Kommunikationsverben handelt, muss es einen Sprecher S geben, der sich mit einer sprachlichen Äußerung Sa an einen Hörer H wendet. Die sprachliche Äußerung besitzt im Regelfall einen propositionalen Gehalt P (ausgedrückt in der Schreibweise Sa(P)), und der Sprecher hat eine bestimmte Einstellung zu dieser Äußerung. Darunter sind im allgemeinen Rekurssituationstyp sowohl propositionale als auch intentionale Sprechereinstellungen sowie auch verschiedene Arten von 198 Edeltraud Winkler Vorannahmen des Sprechers zusammengefasst. Eine Differenzierung dieser Einstellungstypen erfolgt erst später. Mit allen Sprechaktverben wird also auf einen Situationstyp Bezug genommen, der durch die vier genannten Kategorien, Parameter oder Rollen nämlich Sprecher, Hörer, Äußerung sowie Sprechereinstellungen bestimmt ist. Dadurch wird ein gemeinsamer Bedeutungskem für diesen Wortschatzausschnitt gewonnen, der als klassenkonstitutives Merkmal angesehen werden kann. Eine solche Bedeutungsinvariante bildet den Rahmen, innerhalb dessen einzelne der vier Parameter moduliert und weiter spezifiziert werden, so dass sich Subklassifizierungen vornehmen lassen. Zu weiteren Ansätzen, gemeinsame Bedeutungsgesichtspunkte von Kommunikationsverben zu beschreiben, vgl. u.a. Lehmann (1976), Rolland (1969), Miller/ Johnson-Laird (1976), Dirven/ Goossens/ Putseys/ Vorlat (1982), Winkler (1987, 1988) und Winkler (in diesem Band). Mit den gleichen kategorialen Aspekten, in denen sie übereinstimmen, können die Sprechaktverben nun auch voneinander differenziert werden. Diese Ausdifferenzierung erfolgt zum einen durch Teilaspekte der einzelnen Kategorien (indem der propositionale Gehalt der Äußerung genauer charakterisiert wird) bzw. über eine feinere Aufgliederung der Kategorien selbst (indem bei den Einstellungen unterschieden wird zwischen propositionaler Sprechereinstellung, intentionaler Sprechereinstellung und Vorannahmen aus Sprechersicht). Die Sprecher- und die Hörerrolle kommen als differenzierende Parameter nicht in Frage, da ihre Belegung oder Nicht-Belegung bzw. die Realisierung durch unterschiedliche syntaktische Kategorien nicht zu distinktiven Unterscheidungen der Verben führt. Außerdem sind die Variationsmöglichkeiten gerade bei diesen beiden Rollen nicht sehr groß. Die semantische Ausdifferenzierung der Sprechaktverben geht nun in verschiedenen Stufen vor sich; zunächst erhalten die einzelnen Kategorien oder Parameter in den speziellen Rekurssituationstypen unterschiedliche Wertebelegungen, die sich wiederum von den Wertebelegungen in ihren Subtypen unterscheiden. Für die minimale Unterscheidung der einzelnen Verben innerhalb eines Typs oder Subtyps spielen dann letztlich auch gebrauchssemantische Gesichtspunkte eine Rolle, dazu weiter unten. Ein weiterer Punkt, der an dieser Stelle bereits klar wird, ist die Tatsache, dass die Analyse der Kommunikationsverben in ESKA konsequent aus der Sprecherperspektive erfolgt (was bei anderen Analysen nicht unbedingt der Fall ist). Ein Sprecher nimmt mit einem Satz, der ein Kommunikationsverb enthält, Bezug auf eine andere sprachliche Äußerung; er ordnet diese ein und bewertet sie in bestimmter Weise, was sich letztendlich in seiner Verbwahl äußert. Daraus kann der Analysierende schließen, dass der Sprecher mit seiner Äußerung bestimmte Einstellungen und Annahmen verbindet, die unterschiedliche Aspekte der gesamten Äußerungssituation betreffen können. Be- Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 199 schrieben werden die Kommunikationsverben also letztendlich aus der Sprecherperspektive. Kommen wir aber nun zur Differenzierung einzelner Gruppen von Sprechaktverben innerhalb der speziellen Rekurssituationstypen. 2.1.2 Die speziellen Rekurssituationstypen In den speziellen Rekurssituationstypen können durch unterschiedliche Wertebelegung der differenzierenden Parameter bedeutungsähnliche Gruppen von Sprechaktverben zusammengefasst werden. Der erste differenzierende Parameter ist der propositionale Gehalt der Äußerung. Er kann in vier verschiedenen Hinsichten ausgeprägt sein: im Hinblick auf die Art des propositionalen Gehalts, im Hinblick auf den Geschehenstyp, auf den sich der propositionale Gehalt bezieht, hinsichtlich seines Zeitbezugs und seines Rollenbezugs. Letzteres ist allerdings nur dann von Bedeutung, wenn der propositionale Gehalt auf eine Handlung bezogen ist. Der propositionale Gehalt kann von zweierlei Art sein, einmal kann er als Fragegehalt und einmal als Mitteilungsgehalt auftreten, wobei sich der Fragegehalt vom Mitteilungsgehalt grundsätzlich dadurch unterscheidet, dass er in irgendeiner Weise spezifizierungsbedürftig ist. Der Geschehenstyp, der mit dem propositionalen Gehalt zum Ausdruck gebracht wird, kann ein Zustand, ein Ereignis oder eine Handlung sein. Allerdings kann nur zwischen Zuständen und Ereignissen auf der einen Seite und Handlungen auf der anderen Seite signifikant unterschieden werden. Was den Zeitbezug angeht, so kann mit dem propositionalen Gehalt einer Äußerung auf Vergangenes, Gegenwärtiges oder Zukünftiges Bezug genommen werden. Wird eine Handlung (die auch eine sprachliche sein kann) bezeichnet, dann kann es auch noch Unterschiede bezüglich des Handlungsträgers geben. Das wird in ESKA durch den Parameter „Rollenbezug“ ausgedrückt. Der Träger der Handlung kann entweder der Sprecher oder der Hörer sein, es können Sprecher & Hörer gemeinsam sein, oder es handelt sich um Dritte ohne Beteiligung von Sprecher und Hörer. Eine Ausdifferenzierung und Spezifizierung des Parameters „Propositionaler Gehalt“ durch Belegung mit unterschiedlichen Werten führt also zu dem in Abb. 1 dargestellten Ergebnis: 200 Edeltraud Winkler Abb. 1 In den speziellen Rekurssituationstypen werden nun die mit der Äußerung verbundenen Sprechereinstellungen, die im allgemeinen Rekurssituationstyp noch als ein Komplex angesehen werden, weiter differenziert und spezifiziert. Es werden zunächst drei große Gruppen von Sprechereinstellungen unterschieden. Das sind zum einen propositionale Einstellungen, die der Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 201 Sprecher in Bezug auf die von ihm geäußerte Proposition hat. Sie sind zu trennen von den intentionalen Sprechereinstellungen, die die Absichten des Sprechers zum Ausdruck bringen. Die dritte große Gruppe von Sprechereinstellungen sind die Vorannahmen, die der Sprecher jeweils mit seiner Äußerung verbindet. In diese Gruppe gehören teilweise Präsuppositionen im logischen Sinne, aber auch viele Annahmen aus dem pragmatischen oder gebrauchssemantischen Bereich. Es kommen Welt- und enzyklopädisches Wissen ins Spiel, ebenso wie Normen, Regeln und Konventionen gesellschaftlicher und sozialer Art. Schon allein auf Grund der Vielfalt möglicher Annahmen ist klar, dass in diesem Bereich stets mehrere Sprecherannahmen zu finden sein werden. Aber auch propositionale und intentionale Sprechereinstellungen sind nicht immer so klar auf eine einzelne festzulegen. Es kann sein, dass der Sprecher mehrere Absichten mit seiner Äußerung verbindet bzw. ein Bündel von Einstellungen zum propositionalen Gehalt der Äußerung hat. Beispielsweise kann er etwas für wahr halten und gleichzeitig gut oder schlecht finden. Und der Sprecher kann z.B. das Ziel verfolgen, dass der Hörer etwas für wahr halten soll und gleichzeitig erreichen wollen, dass der Hörer im Gefolge dieser Erkenntnis etwas Bestimmtes tut oder unterlässt. Aus diesen Gründen ist in den speziellen Rekurssituationstypen jeweils eine Eintragung für eine primäre und eine sekundäre propositionale bzw. intentionale Sprechereinstellung vorgesehen, falls eine solche Differenzierung erforderlich wird. Als zweiten differenzierenden Parameter betrachten wir die propositionale Sprechereinstellung. Hier lassen sich verschiedene Arten von propositionalen Einstellungen bestimmen, die jeweils mit unterschiedlichen Werten belegt werden können. Es gibt epistemische, voluntative, ordinative, evaluative und emotive Sprechereinstellungen. Im Einzelnen ergeben sich für die Parameter die folgenden Werteverteilungen: epistemische Sprechereinstellungen: S hält für wahr: P ordinative Sprechereinstellung: evaluative Sprechereinstellungen: voluntative Sprechereinstellungen: S hält für wahr: nicht P S hält nicht für wahr: P S hält nicht für wahr: nicht P S hält für wahr: P ist ergänzbar S will: P S will: nicht P S findet: P S findet: P gut S findet: P schlecht emotive Sprechereinstellungen: S empfindet: Freude wegen P S empfindet: Leid wegen P S empfindet: Ärger wegen P 202 Edeltraud Winkler Beispiele für Verben mit epistemischer Sprechereinstellung, bei denen es um die Bewertung des Wahrheitsgehaltes einer Äußerung durch den Sprecher geht, wären etwa behaupten, mitteilen, informieren, lügen, fragen u.a. Zu den Verben mit voluntativer Sprechereinstellung gehören beispielsweise bitten, auffordern, befehlen, verbieten, warnen. Durch sie wird zum Ausdruck gebracht, was der Sprecher will oder auch nicht will. Verben mit ordinativer Sprechereinstellung wären beurteilen oder klassifizieren, eine Einstellung, bei der es dem Sprecher um die Einordnung eines bestimmten Sachverhalts (in ein bestehendes System), also um dessen Kategorisierung geht. Eine evaluative, positiv oder negativ wertende Sprechereinstellung wird beispielsweise ausgedrückt durch loben, rühmen, tadeln, kritisieren. Emotive Sprechereinstellungen schließlich, in denen die Gefühle des Sprechers zum Ausdruck kommen, finden ihren Niederschlag in Verben wie jubeln, jammern, klagen, schimpfen. Wir haben uns hier auf drei auch in der Emotionspsychologie als grundlegend angesehene Emotionen - Freude, Leid und Ärger beschränkt. Die Verben, die zum speziellen Rekurssituationstyp der Deklarativa gehören, wie z.B. taufen oder freisprechen, besitzen keine propositionale Sprechereinstellung, da diese für die Handlung ohne Belang ist. Der Sprecher schafft (oft als Vertreter einer Institution im Rahmen eines rituellen Aktes) lediglich eine neue Tatsache in der Welt, seine Einstellung dazu spielt keine Rolle. Der dritte differenzierende Parameter ist die intentionale Sprechereinstellung, die Sprecherabsicht. Sprecherabsichten werden generell mit dem Prädikat „wollen“ notiert. Auch hier lassen sich wieder verschiedene Arten von intentionalen Sprechereinstellungen unterscheiden. Die Sprecherabsicht kann sich einmal auf die Handlung beziehen, die der Hörer ausführen soll, zum anderen kann sie epistemische, ordinative und evaluative Einstellungen betreffen, die beim Hörer erzeugt werden sollen. Emotive Einstellungen kann man nicht allein durch sprachliches Handeln bei anderen erzeugen. Für ihr Zustandekommen sind immer mehrere Faktoren verantwortlich, die meist von so komplexer Natur sind, dass sprachliche Äußerungen dabei lediglich einen Baustein bilden können. Insgesamt ergibt sich damit für die intentionalen Sprechereinstellungen folgendes Bild: handlungsbezogene Sprecherintentionen: S will: H tut P / tut P nicht S will: H tut P nicht S will: H tut R epistemische Sprecherintentionen: S will: H hält für wahr: P S will: H hält für wahr: nicht P S will: H hält nicht für wahr: P S will: H hält nicht für wahr: nicht P S will: H kennt: P S will: H kennt nicht: P Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 203 ordinative Sprecherintention: S will: H findet: P evaluative Sprecherintentionen: S will: H findet: P gut S will: H findet: P schlecht Die in der Übersicht verwendete Redeweise von handlungsbezogenen, epistemischen usw. Sprecherintentionen ist natürlich verkürzt und meint immer Sprecherintentionen, die sich auf Hörerhandlungen beziehen bzw, auf die entsprechenden Einstellungen, die der Sprecher beim Hörer zu erzeugen beabsichtigt. Verben, die sich auf vom Sprecher gewünschte Hörerhandlungen beziehen, sind u.a. auffordern, bitten, fragen, verbieten. Verben, die Bezug auf epistemische Einstellungen nehmen, die beim Hörer erzeugt werden sollen, sind beispielsweise mitteilen, informieren, bekräftigen, bestreiten, verschweigen. Wenn beim Hörer evaluative Einstellungen erzeugt werden sollen, sind Verben wie loben oder tadeln geeignet. Der vierte differenzierende Parameter ist durch bestimmte Vorannahmen geprägt, die der Sprecher macht. Hier ist, wie bereits erwähnt, die Variationsbreite der Parameter und Werte besonders groß, da auch situative und gesellschaftlich-normative Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Bei diesem Parameter wären sicher auch übereinzelsprachlich die größten Unterschiede zu erwarten, vor allem, wenn man Sprachen aus anderen Kulturkreisen betrachtet. Trotz dieser Vielfalt lassen sich einige Gruppen von Vorannahmen herausfiltern. Es gibt Vorannahmen des Sprechers, die die Erwartbarkeit der Proposition (bzw. des in ihr beschriebenen Ereignisses oder der Handlung) betreffen bzw. die Interessenlage von Sprecher und Hörer, die Einstellungen des Hörers, seine Fähigkeiten sowie darüber hinaus noch spezielle situative Vorannahmen, die sich auf Dinge wie die Positionierung der Äußerung innerhalb der Situation, die Rollenspezifik, die Institutionenspezifik u.Ä. beziehen. An dieser Stelle wiederum eine Übersicht über die verschiedenen Vorannahmen, die der Sprecher machen kann (die aber aus den oben genannten Gründen natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann): Erwartbarkeit von P: erwartbar: P erwartbar: nicht P nicht erwartbar: P nicht erwartbar: nicht P Interessenlage von S und H: itn Interesse von S: P im Interesse von S: nicht P nicht im Interesse von S: P nicht im Interesse von S: nicht P im Interesse von H: P im Interesse von H: nicht P nicht im Interesse von H: P nicht im Interesse von H: nicht P 204 Edeltraud Winkler Einstellungen von H: Fähigkeiten von H: Positionierung der Äußerung: Rollenspezifik: Institutionenspezifik: H hält für wahr: P H hält für wahr: nicht P H hält nicht für wahr: P H hält nicht für wahr: nicht P H kennt: P H kennt nicht: P H findet: P H findet: P gut H findet: P schlecht H ist in der Lage zu P H ist in der Lage zu R initial reaktiv re-reaktiv quantitativ-sequenziell privat öffentlich/ institutionell vertraut Kirche Justiz universitärer Bereich militärischer Bereich Beispiele für Verben, bei denen die Erwartbarkeit von P aus Sprechersicht eine Rolle spielt, sind warnen, raten, ermahnen, auffordern. Die Interessenlage von Sprecher und Hörer ist bei Verben wie bitten, auffordern, verbieten, erlauben, versprechen, warnen ein zentrales Kriterium. Angenommene Hörereinstellungen werden relevant bei Verben wie beispielsweise behaupten, insistieren, bestreiten, informieren, fragen, auffordern, bitten. Die Positionierung der Äußerung ist unterschiedlich bei fragen, antworten, bestehen auf, diskutieren, sich unterhalten. Verben wie sagen, verlautbaren, ernennen, anvertrauen unterscheiden sich in ihrer Rollenspezifik. Hinsichtlich der Institutionenspezifik sind taufen, predigen, verurteilen, anklagen, konsultieren, examinieren, befehlen, kommandieren unterschiedlich festgelegt. Zu allen hier genannten Parametern ist zu sagen, dass jeweils nur die gängigen, häufig anzutreffenden Wertebelegungen aufgeführt wurden. Sie sind im System von ESKA auch vordefiniert. Darüber hinaus können die Parameter in einzelnen Fällen natürlich auch mit anderen Werten belegt sein. Diese können jederzeit an den entsprechenden Stellen eingetragen werden. So lassen sich auch sehr spezifische Rekurssituationstypen und Subtypen adäquat beschreiben. Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 205 Der besseren Anschaulichkeit wegen soll an dieser Stelle ein Beispiel dafür gegeben werden, wie die Belegung der einzelnen semantischen Parameter mit bestimmten Werten in den speziellen Rekurssituationstypen aussehen kann. Es wurde hierfür ein Untertyp der Direktiva ausgewählt, und zwar diejenigen Verben, die dem Ausdruck von Verboten dienen. Sie bilden einen speziellen Typ von Aufforderungen, für den die folgenden semantischen Parameter konstitutiv sind: (6) propositionaler Gehalt: Mitteilungsgehalt: P Geschehenstyp: Handlung Zeitbezug: zukünftig oder gegenwärtig Rollenbezug: Hörer propositionale Sprechereinstellung: primär: S will: nicht P sekundär: S findet: P schlecht intentionale Sprechereinstellung: primär: S will: H tut P nicht sekundär: Vorannahmen des Sprechers: primär: sekundär: Positionierung: Rollenspezifik: Institutionenspezifik: nicht erwartbar: nicht P H ist in der Lage zu nicht P initial bzw. reaktiv privat oder institutionell keine Zu diesem speziellen Rekurssituationstyp gehören dann Verben wie abschlagen, abweisen, unterbinden, untersagen, verbieten, sich etwas verbitten, verwehren, verweigern. Sie alle sind durch die oben genannten semantischen Merkmale gekennzeichnet, enthalten aber darüber hinaus noch weitere spezifische Bedeutungsgesichtspunkte, die es ermöglichen, sie untereinander zu differenzieren. Letztere finden dann im Lexikoneintrag zu dem jeweiligen Verb ihren Niederschlag. 3. Hierarchischer Aufbau von ESKA Die Informationen, die in ESKA enthalten sind, sind in hierarchischer Weise geordnet. Dabei kann man mehrere Hierarchieebenen und -stränge voneinander unterscheiden. Die oberste Ebene umfasst logischerweise alle Verben und die zu ihnen gehörenden Informationen. Sie wird repräsentiert durch den allgemeinen Rekurssituationstyp, der den gemeinsamen Bedeutungskem, die 206 Edeltraud Winkler Bedeutungsinvariante aller Verben darstellt. Diese Invariante besagt lediglich, dass es jemanden gibt, der eine Zeichenkette produziert, jemand anderen, an den diese Zeichenkette gerichtet ist und der sie empfängt, und dass der Produzent der Zeichenkette im Regelfall auch bestimmte Einstellungen zu der von ihm gemachten Äußerung hat. Einzelne dieser Komponenten werden dann, wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, jeweils näher bestimmt. Eine solche Spezifizierung erlaubt die Zusammenfassung der Verben zu Gruppen, die gemeinsame semantische Merkmale und Eigenschaften besitzen, die also bedeutungsverwandte Kommunikationsverben umfassen. Dies sind die speziellen Rekurssituationstypen. In ESKA werden zunächst acht grundlegende Typen unterschieden, die sich im Wesentlichen an Klassifikationen anlehnen, wie sie aus der Sprechakttheorie hervorgegangen sind (vgl. dazu u.a. Austin 1962, Searle 1969, Ballmer/ Brennenstuhl 1981, Searle/ Vanderveken 1985, Vanderveken 1990/ 1991, Ulkan 1992 und Vanparys 1996). Daraus ergeben sich dann solche Typen wie die Repräsentativa, die Direktiva, die Kommissiva, die Deklarativa und die Expressiva. Darüber hinaus gibt es noch allgemeine, modale und mediale verba dicendi, die sich nur in bestimmter Hinsicht in diesen Hierarchiestrang einordnen lassen und in gewisser Weise quer dazu liegen. (Vgl. dazu genauer weiter unten.) Verfolgen wir zunächst diese eine hierarchische Darstellungsmöglichkeit für die Kommunikationsverben. Die speziellen Rekurssituationstypen sind gekennzeichnet durch bestimmte Wertebelegungen der einzelnen Parameter, die für alle Verben dieses Typs gleich sind. In einem weiteren Schritt lassen sich dann wiederum Untertypen von diesen speziellen Rekurssituationstypen bestimmen, die sich in mindestens einer Parameterbelegung sowohl von den ihnen übergeordneten Typen als auch voneinander unterscheiden. Den einzelnen Untertypen können jeweils separate Verbmengen zugeordnet werden, die sich in ihren grundlegenden semantischen Eigenschaften, die durch die Wertebelegungen der einzelnen Parameter bestimmt werden, gleichen. Auf der untersten Hierarchiestufe werden die spezifischen Bedeutungsgesichtspunkte herauskristallisiert und beschrieben, durch die sich die zu einem Untertyp gehörenden Verben voneinander unterscheiden. Auf Grund der hier beschriebenen hierarchischen Beziehungen ist es so, dass ein Verb im Regelfall durch alle Verben der ihm übergeordneten speziellen Rekurssituationstypen in einem dafür geeigneten Kontext ersetzbar ist (vgl. dazu näher Harras in diesem Band). Darüber hinaus ist es meist noch zu einem oder mehreren Verben seines Typs synonym. Es ergibt sich also zunächst folgendes Bild: Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 207 Abb. 2 Die oberste Hierarchiestufe bildet mithin der allgemeine Rekurssituationstyp, der Eigenschaften und Kategorien enthält, die auch in den anderen, spezielleren Typen auftreten. Auf einer zweiten Hierarchiestufe folgt eine Anzahl spezieller Rekurssituationstypen, die untereinander gleichrangig sind. Ihnen untergeordnet können noch mehrere Hierarchiestufen folgen, die jeweils einen oder mehrere gleichrangige Untertypen der speziellen Rekurssituationstypen enthalten. Ein untergeordneter Typ besitzt alle Bedeutungsmerkmale des ihm übergeordneten Typs, enthält darüber hinaus aber noch mindestens ein weiteres, spezielleres Merkmal. Die Subtypen einer Hierarchiestufe sind untereinander gleichrangig und zeichnen sich durch unterschiedliche spezielle Merkmale aus. Die einzelnen speziellen Rekurssituationstypen können also unterschiedlich komplex gegliedert sein. Der spezielle Rekurssituationstyp der Direktiva beispielsweise setzt sich aus den folgenden Untertypen zusammen: 208 Edeltraud Winkler Abb. 3 Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 209 Sehen wir uns abschließend noch die Typen der allgemeinen, modalen und medialen Kommunikationsverben an, die sich teilweise anders verhalten als die anderen bereits genannten Typen. Modale und mediale Verben gliedern sich ebenso in verschiedene Untertypen auf wie die oben beschriebenen Verben. Die allgemeinen verba dicendi haben keine weiteren Untertypen, zu ihnen gehören nur die Verben sagen, reden, sprechen und äußern mit ihren verschiedenen Lesarten. Diese vier Verben zeichnen sich vornehmlich durch die im allgemeinen Rekurssituationstyp enthaltenen Gesichtspunkte der Bedeutung aus, darüber hinaus verhalten sie sich in Bezug auf fast alle Parameter unbestimmt. Das hat seinen Grund darin, dass diese Verben in ganz unterschiedlichen Situationen verwendet werden können und dass man die allgemeinen Kommunikationsverben fast immer für speziellere einsetzen kann. Am variabelsten ist in dieser Hinsicht sagen, gefolgt von äußern. Reden und sprechen sind in ihren Verwendungsbedingungen etwas eingeschränkter. (Zu sagen, seinen semantischen Besonderheiten und Lesarten, vgl. Harras in diesem Band und 1996.) So gesehen ordnen sich die allgemeinen verba dicendi nicht in den hierarchischen Aufbau der anderen Typen ein, sondern bilden gewissermaßen die oberste Ebene, auf deren Inventar alle darunter liegenden Ebenen zurückgreifen können. Etwas anders verhält es sich mit den modalen und medialen Kommunikationsverben. Das sind Gruppen von Verben, bei denen entweder der Äußerungsmodus oder das Medium, in dem die Äußerung erfolgt, einen zentralen Gesichtspunkt darstellen. Mit Hilfe solcher Verben kann man einerseits Sprechakte ganz unterschiedlicher Art beschreiben, d.h. sie sind ähnlich universell verwendbar wie die allgemeinen Kommunikationsverben. Man kann beispielsweise eine Frage, eine Mitteilung, eine Aufforderung usw. flüstern, schreien oder telefonisch bzw. per e-mail übermitteln. Dabei betonen die Verben aber jeweils einen ganz bestimmten, eher formalen Aspekt der Bedeutung, der mit dem Inhalt des Gesagten gar nichts oder nur sekundär zu tun hat. Welcher Art der mit modalen oder medialen Verben beschriebene Sprechakt ist, hängt nicht von der Bedeutung des Verbs ab, sondern von dem propositionalen Gehalt, auf den mit dem Verb Bezug genommen wird. Durch die Verbbedeutung wird ein anderer Aspekt hervorgehoben, nämlich die Art und Weise der Äußerung oder der Kanal, über den sie erfolgt. Dadurch tritt der Inhalt der Äußerung gewissermaßen in den Hintergrund, die formalen Aspekte der Äußerung sind in der gegebenen Diskurssituation das primär Mitteilenswerte. Somit lassen sich auch diese beiden Typen von Verben nicht ohne weiteres in die oben beschriebene Hierarchie einordnen. Sie sind einerseits allgemeiner als andere Kommunikationsverben und müssten demzufolge auf einer höheren Hierarchieebene angeordnet sein, andererseits sind sie spezieller als diese, weil sie einzelne Äußerungsaspekte in den Vordergrund stellen und müssten ihnen hierarchisch untergeordnet sein. In diesem Sinne 210 Edeltraud Winkler liegen sie quer zu der oben beschriebenen hierarchischen Ordnung und wären als Ergebnis einer Kreuzklassifikation zu beschreiben. 4. Aufbau eines Lexikoneintrages innerhalb von ESKA Der Lexikoneintrag eines einzelnen Verbs bildet die unterste Hierarchiestufe im Rahmen von ESKA, auf der die minimalen distinktiven Bedeutungsunterschiede der Verben, aber auch die abgestuften Grade ihrer Bedeutungsverwandtschaften systematisch erfasst und dargestellt werden. Der Lexikoneintrag ist in mehrere Abschnitte untergliedert, die aber in dem beschriebenen Sinne nicht streng hierarchisch geordnet sind. Die Felder, aus denen sich ein Lexikoneintrag zusammensetzt, stehen eher gleichrangig nebeneinander. Die meisten dieser Felder sind noch weiter untergliedert, wobei die in ihnen enthaltenen Informationen dann wiederum als gleichrangig aufzufassen sind. Grundsätzlich umfasst ein Lexikoneintrag acht verschiedene Felder, nämlich die syntaktische Umgebung des Verbs, seine Bedeutung, seine Verwendungsspezifik, die Feldzugehörigkeit (sie entspricht einer Standortbestimmung innerhalb des hierarchischen Aufbaus von ESKA), die Angabe der möglichen Synonyme des Verbs, seine Antonyme, einen (die Synonymiebeziehungen betreffenden) Kommentar sowie eine Anzahl von Belegen. Aufbau und interne Strukturierung der einzelnen Felder sollen im Folgenden genauer beschrieben werden. Am Ende einer solchen Beschreibung wird jeweils für ein konkretes Verb beispielhaft angegeben, wie dieses Feld im Lexikoneintrag aussehen könnte. 4.1 Syntaktische Umgebung Das Feld „Syntaktische Umgebung“ gliedert sich in vier verschiedene Arten von Informationen auf. An erster Stelle steht eine allgemeinsprachliche Umschreibung für die syntaktische Umgebung des Verbs. Sie enthält die möglichen Argumente des Verbs (Fakultativität wird hier bereits durch Klammerung gekennzeichnet) einschließlich des externen Arguments (des Subjekts) in ihrer tatsächlichen Reihenfolge. Diesen Informationen folgt die Angabe des vereinfachten Subkategorisierungsmerkmals des jeweiligen Verbs, die naturgemäß und wie üblich nicht in allgemeinsprachlicher Form dargestellt wird. An dieser Stelle werden die möglichen Realisierungen der einzelnen Argumente eines Verbs durch unterschiedliche syntaktische Kategorien aufgeführt. Die Darstellung erfolgt in Nebensatzreihenfolge, was verschiedene Vorteile mit sich bringt. Man hat dadurch zunächst einmal die Möglichkeit, das Subjekt in der Darstellung wegzulassen, da das externe Argument in dieser Darstellungsweise immer an Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 211 erster Stelle stehen würde. Eine solche Reduktion erscheint gerechtfertigt, da das Subjekt in Bezug auf die behandelten Verben keine interessanten Gesichtspunkte bietet, sowohl im Hinblick darauf, dass es in (fast) jedem Fall die Sprecherrolle thematisiert, als auch hinsichtlich seiner syntaktischen Realisierungsmöglichkeiten. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass nach Weglassung des Subjekts die Angabe eines Merkmals „Reflexiv“ (wenn es denn vorhanden ist) automatisch immer an die erste Position im Subkategorisierungsmerkmal rückt, und die Darstellung der Verben dadurch sehr einheitlich gestaltet werden kann. Die Komplemente des Verbs erscheinen in einer ziemlich festen Reihenfolge, nämlich zuerst der Hörer und dann der propositionale Gehalt, ein Platzhalter für das Verblemma steht stets am Ende des Subkategorisierungsmerkmals. Bei den Komplementen werden die möglichen Alternativen ihrer formalen syntaktischen Realisierung aufgeführt; sie sind durch Schrägstriche voneinander abgetrennt. Die Markierung von Fakultativität und Obligatheit erfolgt auf die gleiche Weise wie bereits in der allgemeinsprachlichen Umschreibung. Bei den Nominalphrasen werden die entsprechenden Kasus mit angegeben. Wenn mehrere Kasus möglich sind, erfolgen auch bei den Präpositionalphrasen Kasusangaben. Weiterhin wird aufgeführt, ob finite Satzergänzungen (SE) oder Infmitivergänzungen (Inf) möglich sind und natürlich auch, ob Korrelate (Korr) wie es, darüber, davon bzw. substantivische Einbettungsstützen (NP, gegebenenfalls auch PP) wie etwa die Tatsache, dass ... oder die Frage, ob ... auftreten können. Ein weiterer Block von Informationen gibt Auskunft über zusätzliche syntaktische Eigenschaften in Form von Merkmalen. Diese haben allerdings einen anderen Status als die Argumente, die im Subkategorisierungsmerkmal enthalten sind. Hierher gehören beispielsweise Informationen über die Passivfähigkeit der Verben, und zwar unter Berücksichtigung der verschiedenen Passivformen. Weiterhin wird angegeben, ob die Verben die direkte Rede zulassen. Allerdings bleibt diese Angabe beschränkt auf die Fälle, in denen die direkte Rede entweder obligatorisch oder unmöglich ist. Denn alles andere ist der Normalfall und bietet keine für die Verben distinktiven Informationen. Als viertes und letztes sind noch weitere Angaben zu finden, die sich von Fall zu Fall als notwendig erweisen können, sich aber nicht in die vorher genannten drei Gruppen von Informationen einordnen lassen. Das betrifft beispielsweise die Belegung unterschiedlicher Argumente des Verbs mit gleichartigen Konstituenten; in solchen Fällen wird angegeben, auf welche Rolle sie jeweils bezogen sind. Besonders außergewöhnliche Reihenfolgen der Konstituenten werden an dieser Stelle ebenso notiert wie eine Liste der am häufigsten vorkommenden Satzeinleitungselemente bei finiten Satzergänzungen. Können bei Präpositionalphrasen mehrere Präpositionen Vorkommen, die möglicherweise unterschiedliche Kasus regieren, wird an diesem Punkt eine Aufsplittung vorgenommen, die folgendermaßen aussehen könnte: PP = über 212 Edeltraud Winkler NP<Akk> / von NP<Dat>. Das bedeutet, dass eines der Argumente des Verbs in Form einer Präpositionalphrase realisiert wird, die unterschiedliche Präpositionen enthalten kann, wie das z.B. bei über etwas berichten / von etwas berichten der Fall ist. Da beide Präpositionen verschiedene Kasus regieren, macht sich eine genauere Unterscheidung notwendig. Weitere, bei Bedarf erforderliche Informationen können jederzeit aufgenommen werden. (7) Syntaktische Umgebung für das Verb sich erkundigen-, jemand erkundigt sich (bei jemandem) (nach/ wegen/ über etwas/ jemanden) + Refl. (PP 1) (PP2) / (SE) / (PPKorrSE) / (PPSE) — - Passiv PP1 = H PP2 = P PP2 = nach NP<Dat> / wegen NP<Gen> / über NP<Akk> Die fakultativen Argumente können sowohl einzeln als auch beide gleichzeitig weggelassen werden. Wenn eine finite Satzergänzung (SE) auftritt, so wird sie entweder durch ob oder verschiedene w-Wörter eingeleitet. 4.2 Bedeutung Das Feld „Bedeutung“ ist nur zweifach gegliedert. Es enthält zum einen eine lexikographische Paraphrase der Verbbedeutung in Form einer Wortgruppe. Ihr folgt eine ausführliche Bedeutungsbeschreibung. Diese detaillierte Beschreibung nimmt explizit Bezug auf die in den Rekurssituationstypen vorkommenden Parameter und ihre Wertebelegungen. Über die Bedeutungselemente hinaus, die durch den jeweiligen Rekurssituationstyp bestimmt sind, sollen an dieser Stelle aber auch die ganz spezifischen Bedeutungsbestandteile des einzelnen Verbs notiert werden, so dass bereits hier die Differenzierungen innerhalb eines Typs ablesbar sind. Die letztgenannten Bedeutungsgesichtspunkte sind häufig bezogen auf die spezifischen Gebrauchsbedingungen des Verbs, enthalten dabei aber durchaus systematische Aspekte. Vertiefend werden solche pragmatischen und gebrauchssemantischen Gesichtspunkte dann noch im Feld „Verwendungsspezifik“ behandelt. Hat ein Verb noch eine weitere Lesart, die in einem anderen Rekurssituationstyp beschrieben ist, so wird hier lediglich darauf verwiesen, eine detaillierte Beschreibung dieser Lesart erfolgt dann dort. Auch auf mögliche Lesarten außerhalb des kommunikativen Rahmens wird hingewiesen. Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 213 (8) Bedeutung für das Verb anordnen etwas (amtlich) verfügen; verbindlich über bestimmte Handlungen Unterstellter entscheiden Ein Sprecher S wendet sich mit einer sprachlichen Äußerung Sa(P) an einen Hörer H, um zu bewirken, dass der Hörer eine in der Äußerung genannte Handlung ausführt oder unterlässt. Der Sprecher geht dabei von der Annahme aus, dass der Hörer dazu auch in der Lage ist. Sprecher und Hörer stehen in einem meist vertraglich (z.B. institutionell oder betrieblich) oder auch staatlich geregelten Unterordnungsverhältnis, welches durchaus zeitlich begrenzt sein kann. Das bedeutet, dass der Sprecher dem Hörer gegenüber weisungsbefugt ist. Außerhalb eines solchen Unterordnungsverhältnisses können keine Anordnungen erteilt werden. Eine besondere Lesart von anordnen betrifft den medizinischen Bereich, hier wird es im Sinne von verordnen verwendet. Entsprechende Belege sind in diesem Lexikoneintrag zu finden. 4.3 Verwendungsspezifik In diesem Feld werden die Gebrauchsbedingungen der Verben im Einzelnen beschrieben. Das geschieht in sieben Unterpunkten, die zum Teil eher pragmatisch orientiert sind. Der besseren Übersichtlichkeit wegen wird hier gleich nach jedem dieser Punkte ein Beispiel eingefügt - und zwar jeweils für das Verb drohen. Der erste Unterpunkt, der bei jedem Verb obligatorisch ausgefüllt sein muss, enthält eine ausführliche und spezifizierte Beschreibung der möglichen Verwendungssituationen des beschriebenen Verbs. Hier werden die Gebrauchsbedingungen des Verbs im Einzelnen dargestellt. Dieser Punkt bildet eine wichtige Ergänzung zur Bedeutungsbeschreibung im vorangegangenen Feld, denn er beschreibt die dort schon erwähnten gebrauchssemantischen und pragmatischen Gesichtspunkte der Bedeutung eines Verbs im Einzelnen und ermöglicht es, die Verben eines Typs auf dieser Ebene voneinander abzugrenzen. (9) Die Situationen, auf die mit drohen Bezug genommen wird, sind dadurch gekennzeichnet, dass der Sprecher dem Hörer sehr nachdrücklich etwas für ihn Negatives ankündigt, falls bestimmte Bedingungen nicht erfüllt sind. Häufig geschieht das in einem entsprechenden Tonfall und ist mit drohenden und einschüchtemden Gesten verbunden. Der Sprecher ist in der Lage, bestimmte Sanktionen anzukündigen und im Bedarfsfälle auch durchzusetzen, was dem Hörer bekannt ist. Dadurch wird der Hörer unter Druck gesetzt und ein dem Spre- 214 Edeltraud Winkler eher genehmes Verhalten erzwungen. Beugt sich der Hörer dem Druck des Sprechers nicht, muss er damit rechnen, dass dieser seine Drohung wahr macht und ihm Schaden zufügt. Im zweiten Punkt werden semantische und semantisch-syntaktische Besonderheiten notiert, die sich oft auf den gesamten Rekurssituationstyp beziehen, z.B. bestimmte Restriktionen für die Thematisierung von Sprecher, Hörer oder propositionalem Gehalt. (10) Sowohl die Hörerrolle als auch P werden bei diesem Verb fakultativ thematisiert. Eines der beiden Argumente ist jedoch in der Regel belegt. In den wenigen Fällen, wo dies nicht der Fall ist, steht meist noch ein Satzadverb o.Ä., wie z.B. in Er hat offen gedroht. Vgl. dazu auch die Belege ... Der dritte Punkt erfasst lediglich syntaktische Besonderheiten, wie die präferierte Verwendung bestimmter Realisierungsformen für die einzelnen Argumentrollen oder auch die Präferenz von passivischen Konstruktionen u.Ä. (11) P wird präferent in Form von Präpositionalphrasen oder Infinitivkonstruktionen, die auch mit Korrelat auftreten können, realisiert. Wenn Satzergänzungen verkommen, handelt es sich in der Regel um Sätze in Hauptsatzform, also mit Verbzweitstellung. Beim gleichzeitigen Auftreten von Korrelaten können es auch durch dass eingeleitete Sätze sein. In einem vierten Punkt werden die usuellen Modifikatoren und Kollokationen aufgeführt, mit denen ein Verb auftreten kann, zumindest die am häufigsten vorkommenden. Treten verschiedene Modifikatoren auf, so wird versucht, diese in Gruppen zu ordnen, je nachdem, welchen Gesichtspunkt der Verb- oder Satzbedeutung sie modifizieren. (12) Des Öfteren treten Modifikatoren auf, die die Art und Weise der Drohung näher charakterisieren, wie z.B. offen, massiv, im Zorn, nachdrücklich, gefährlich, schelmisch, mit der Faust, mit erhobenem Zeigefinger o.Ä. Modifikatoren können sich auch auf die Häufigkeit der Drohung beziehen, wie z.B. immer wieder, mehrfach oder wiederholt. Der fünfte Punkt betrifft eine Einordnung der Verben in stilistische Register (allerdings nicht nach einem strengen Inventar), sofern sie nicht zur neutralen normalsprachlichen Stilebene gehören. Zu diesem Punkt sind für drohen demzufolge keine Angaben vorhanden, da es der normalen standardsprachlichen Stilschicht angehört. Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 215 Im sechsten Punkt erfolgt die Einordnung in regionale Register, allerdings nur innerhalb eines sehr groben Rasters, wenn beispielsweise zwischen nord- und süddeutsch unterschieden wird. Eine feinere Unterscheidung ist in diesem Punkt auch nicht nötig, da auf die Aufnahme von Dialektausdrücken und reinen Regionalismen weitgehend verzichtet wurde, ebenso wie auf die Aufnahme von Fachwortschatz und Soziolekten. Auch hier gibt es für drohen keine Angaben. Dieser Punkt ist grundsätzlich kaum belegt, weil die meisten der Verben, für die eine solche Angabe wichtig wäre, ohnehin nicht in ESKA aufgenommen wurden, da ja die lexikalischen Einheiten der Standardsprache im Vordergrund stehen sollen. Als siebenter und letzter Punkt wird angegeben, ob ein Verb explizit performativ verwendet werden kann oder nicht. Eine solche Angabe könnte z.B. für weiter gehende sprachwissenschaftliche Untersuchungen zu performativen Verben von Interesse sein. (13) In bestimmten Kontexten kann das Verb auch explizit perfor- Selbstverständlich müssen nicht bei jedem Verb alle sieben Punkte ausgefüllt sein, wie wir ja bereits für drohen gesehen haben. Es werden jeweils nur die Aspekte eingetragen, die für das Verb von Bedeutung sind bzw. die überhaupt vorhanden sind (wie z.B. Modifikatoren oder regionale Einordnung). 4.4 Feldzugehörigkeit Dieses Feld ist rein formal zu verstehen. Hier wird lediglich die hierarchische Struktur der speziellen Rekurssituationstypen noch einmal dargestellt und innerhalb dieser Struktur das Namenskürzel des Typs aufgelöst, zu dem das Verb gehört. Dadurch soll klar werden, an welchem Platz in der Hierarchie das entsprechende Verb steht. Beispielsweise gehört das Verb abfragen zum speziellen Rekurssituationstyp Dir.frag.prüf. Dieses wird nun aufgelöst als: (14) spezieller Rekurssituationstyp: Direktive mativ verwendet werden. Untertyp: Untertyp: Fragen Prüfungsfragen 4.5 Mögliche Synonyme Das Feld „Mögliche Synonyme“ muss im Zusammenhang gesehen werden mit dem weiter unten folgenden Feld „Kommentar“, das eine nähere Erläuterung zu dem Synonymenfeld darstellt. Die Aufzählung und Beschreibung der 216 Edeltraud Winkler Synonyme zu den einzelnen Kommunikationsverben ist vor dem Hintergrund einer Auffassung zu verstehen, die Synonymie als eine Beziehung zwischen zwei Ausdrücken mit ihren jeweiligen Lesarten begreift. Synonymie kann nicht auf Ausdrücke mit gleicher Argumentstruktur begrenzt werden. Da Synonymie in dem hier betrachteten Paradigma als graduelle Eigenschaft der Verwendung von Verben betrachtet wird, ist in diesem Feld zwischen Synonymen im schwachen und im starken Sinn unterschieden worden. In beiden Fällen geht es um die Ersetzbarkeit der Verben bzw. ihrer Lesarten durch die entsprechenden Äquivalente in den jeweils dafür geeigneten Kontexten. (Genaueres zu der hier vertretenen Synonymieauffassung bei Harras (1996) und in diesem Band. Dort werden auch andere theoretische Ansätze zur Synonymie vorgestellt.) Schwach oder stark synonym zueinander sind Verben jeweils unter einem oder mehreren bestimmten Gesichtspunkten. Für die schwache Synonymie sind das die typkonstituierenden Bedeutungsgesichtspunkte des oder der jeweils übergeordneten Rekurssituationstypen. D.h., alle Verben dieser übergeordneten Typen sind im Prinzip schwach synonym zum beschriebenen Verb. Die maßgeblichen Bedeutungsgesichtspunkte werden an dieser Stelle allerdings nicht aufgeführt, dafür ist der „Kommentar“ vorgesehen. Im Feld „Mögliche Synonyme“ werden nur die entsprechenden Verben aufgelistet bzw. die Gruppen der betreffenden Verben namhaft gemacht. Unter den Synonymen im starken Sinn werden die Verben aufgezählt, die unter Einbeziehung weiterer, speziellerer Bedeutungsgesichtspunkte für das beschriebene Verb einsetzbar sind. Eine genauere Beschreibung und Erläuterung dieser Gesichtspunkte erfolgt wiederum im Feld „Kommentar“. Gemeinsam mit den starken Synonymen werden auch Funktionsverbgefüge und Phraseologismen bis hin zu Idiomen genannt, die in den entsprechenden Kontexten ebenfalls stark synonym zum beschriebenen Verb sind. Diese werden allerdings nur aufgeführt und nicht in eigenen Lexikoneinträgen beschrieben. (15) Mögliche Synonyme für das Verb sich erkundigen im schwachen Sinn: alle Verben, die zum speziellen Rekurssituationstyp ‘Fragen’ gehören im starken Sinn: fragen (nach), sich informieren, anfragen, erfragen, befragen, nachfragen, herumfragen, ermitteln, eruieren (wissen wollen), (Erkundigungen einziehen), (Fragen stellen), (um Auskunft bitten), (ein Anliegen haben), (Informationen erbitten), (Auskunft einholen) A ujbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 217 4.6 Antonyme In diesem Feld erfolgt eine Aufzählung der vorhandenen Antonyme zu dem beschriebenen Verb. Antonymie soll hierbei nicht auf Phänomene beschränkt bleiben, bei denen eine Negation involviert ist, sondern auch darüber hinausgehende Gegensatzrelationen beinhalten. Die unterschiedlichen Aspekte für die einzelnen Antonyme bzw. Arten von Antonymen (wenn sie sich denn unterscheiden lassen) werden jeweils angegeben. U.a. können folgende Arten von Antonymen auftreten: kontradiktorische Antonyme (die aber fast nicht vorhanden sind), wie z.B. reden schweigen konträre Antonyme, wie z.B. loben tadeln sequenzielle Antonyme, wie z.B. bejahen verneinen - Antonyme, die bestimmte Präsuppositionen erfordern, wie z.B. annehmen zurückweisen - Antonyme, die einen Perspektivenwechsel ausdrücken, wie z.B. antworten, Antwort geben - Antwort erhalten - Antonyme, die einen Autoritätsgegensatz beinhalten, wie z.B. erlauben verbieten. Einige Gruppen von Antonymen könnte man unter mehrere der hier angegebenen Arten von Antonymen subsumieren; beispielsweise gibt es Antonyme, die eine mögliche Sprecherreaktion bzw. -handlung betreffen, aber auch solche, die sich auf Hörerreaktionen und -handlungen beziehen. Solche Antonyme können aber außerdem entweder einen Autoritätsgegensatz beinhalten oder einen Perspektivenwechsel im weiteren Sinne ausdrücken oder sequenziell sein usw., manchmal auch mehreres gleichzeitig. (16) Antonyme für das Verb anordnen die Hörerreaktion betreffend (positiv): nachkommen, ausführen, befolgen die Hörerreaktion betreffend (negativ): sich weigern, sich widersetzen, widersprechen konträre Antonyme: verbieten, untersagen (wobei auch angeordnet werden kann, etwas nicht zu tun) 218 Edeltraud Winkler 4.7 Kommentar Bei dem Feld „Kommentar“ handelt es sich genau genommen um einen Synonymenkommentar. Hier werden die einzelnen Aspekte der unterschiedlichen synonymischen Beziehungen gesondert dargestellt, wie das bereits oben erwähnt wurde. Die Beschreibung der typkonstituierenden Bedeutungsgesichtspunkte, die ausschlaggebend für schwach synonymische Beziehungen zwischen den Verben sind, orientiert sich an den für die Rekurssituationstypen maßgeblichen Parametern und den Werten, mit denen sie belegt sind. Die spezifischen Bedeutungsgesichtspunkte, die für eine starke Synonymiebeziehung verantwortlich sind, werden im Anschluss daran näher erläutert. Dadurch soll deutlich gemacht werden, welche Bedeutungsgemeinsamkeiten starke Synonyme über die Typzugehörigkeit hinaus haben müssen und welche Verwendungssituationen und Kontexte für sie charakteristisch sind. Abstufungen im Stärkegrad der einzelnen Synonyme werden allerdings nicht mehr vorgenommen (Kriterien hierfür sind auch schwierig festzulegen), wichtig ist nur die Unterscheidung zwischen schwachen und starken Synonymen. Es werden Beispiele in entsprechenden Kontexten gegeben, anhand deren die Ersetzungsmöglichkeiten vorgeführt werden und auch konkret nachprüfbar sind. (17) Kommentar für das Verb löchern Schwach synonym zu löchern in dem Sinne, dass jemand von einem Hörer eine Auskunft haben will, sind alle Verben des Rekurssituationstyps ‘Fragen’. In Kontexten, in denen es nur auf diesen typkonstituierenden Bedeutungsaspekt ankommt und die keine weiter gehenden Bedeutungsspezifizierungen erfordern, kann löchern durch jedes andere Verb des Typs ersetzt werden. Starke Synonymiebeziehungen werden durch das Hinzuziehen zusätzlicher, spezieller Bedeutungsgesichtspunkte konstituiert. Ein markantes Kennzeichen dafür ist das ständige Wiederholen von Fragen; dabei kann entweder dieselbe Frage repetiert werden, oder aber es werden stets neue, weiterführende Fragen gestellt. Auf alle Fälle ist die Art des Fragens drängend und insistierend, so dass der Hörer sich schnell belästigt fühlt. Dem Sprecher muss dabei nicht klar sein, dass er den Hörer stört und ihm auf die Nerven geht, indem er unablässig weiterfragt. Denn häufig sind es Kinder, die die Erwachsenen mit ihren Fragen löchern. Zieht man den Aspekt der hartnäckigen Wiederholung und den negativen perlokutiven Effekt mit heran, sind Verben wie ausfragen, bedrängen, drängeln, drängen, Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 219 bestürmen, quengeln, aufjmdn. einstürmen und aushorchen stark synonym zu löchern. Vgl. die folgenden Beispiele: Er löcherte sie Er bedrängte sie Er bestürmte sie Er quengelte sie Er stürmte Er drängte sie Er drängelte (sie) Er fragte sie Er horchte sie ständig mit seinen Fragen, ständig mit seinen Fragen, ständig mit seinen Fragen, ständig mit seinen Fragen, ständig mit seinen Fragen auf sie ein. ständig (mit seinen Fragen), ständig (mit seinen Fragen), ständig aus. ständig aus. Bei drängen, drängeln, ausfragen und aushorchen kann das Instrument, mit dem das geschieht die Fragen nicht oder kaum genannt werden. Diese Verben haben entweder nur ein Objekt, oder sie verlangen die Nennung des Gegenstandes der Frage, was in mehr oder weniger expliziter Form geschehen kann. Vgl. z.B.: Er fragte sie ständig nach dem Gespräch mit Peter aus. Er fragte sie ständig danach aus, was Peter in dem Gespräch über den Vorfall am Sonntag gesagt hatte. Diese Art der Synonymdarstellung hat gegenüber herkömmlichen Synonymwörterbüchern, die in der Regel nur eine Aufzählung von Wörtern bieten, die oft ungeordnet nebeneinander stehen, erhebliche Vorteile. Sie zeigt zum einen, in welchem Maße die Verben gegenseitig ersetzbar sind, und zum anderen, in welchen Kontexten und Situationen ein Verb für das andere einsetzbar ist, so dass u.U. auch Bedeutungsunterschiede berücksichtigt werden können, deren Vorhandensein noch nicht konstitutiv für eine eigene Lesart ist. So können auch Kontextäquivalenzen von Ausdrücken dargestellt werden. Das Vorgehen in ESKA kann damit zu einem großen Teil den Anforderungen gerecht werden, die Hausmann (1986) an eine sinnvolle distinktive oder erklärende Synonymik stellt. Er ist der Meinung, dass man Synonyme nur auf der Grundlage eines Vergleichs der Wörter im Kontext voneinander separieren kann, wobei eine Reihe üblicher Kontexte vorgeführt werden muss, in die die jeweiligen Synonyme eingetragen werden. Darüber hinaus fordert er einen kommentierenden Teil, in dem „die Oppositionen und Nuancen semantischer und pragmatischer Art“ expliziert werden. Das wird in ESKA durch die beiden Felder „Mögliche Synonyme“ und „Kommentar“ gemeinsam geleistet. Durch dieses differenzierte und ausführliche Vorgehen wird auch derjenige, der sich über die feinen semantischen Unterschiede und die Gebrauchsbedingungen der einzelnen Verben nicht ganz im Klaren ist, in die Lage versetzt, das für seinen Fall richtige und angemessene Synonym auszuwählen, zumindest werden ihm wichtige Entscheidungshilfen angeboten. Bei herkömmlichen 220 Edeltraud Winkler Synonymwörterbüchern ist das oftmals nicht so, denn mitunter sind selbst die verschiedenen Bedeutungen und Lesarten der Wörter nicht klar voneinander abgegrenzt. Daher ist die hier geschilderte ausführlichere Darstellung der synonymischen Beziehungen von Ausdrücken m.E. ganz besonders für Deutschlemende sehr hilfreich. 4.8 Belege Dieses Feld enthält Belegsätze für Vorkommensweisen des beschriebenen Verbs. Sie stammen hauptsächlich aus den im IDS vorhandenen Korpora, können u.U. aber auch durch Hörbelege ergänzt werden. Die Belege werden in der Variante der Rechtschreibung wiedergegeben, in der sie in den Korpora auftreten. Das bedeutet, dass die meisten Belege in der alten Rechtschreibung erscheinen. Auch Verweise auf sie an anderen Stellen eines Lexikoneintrags sind nach den Regeln der alten Rechtschreibung verfasst. So kann es also Vorkommen, dass in einem Text alte und neue Rechtschreibung nebeneinander stehen. Die Belege werden unter bestimmten Gesichtspunkten ausgewählt und in bestimmter Weise geordnet. Sie sollten die Bedeutung des beschriebenen Verbs in ihrer ganzen Breite sowie eventuell vorhandene Bedeutungsnuancen beschreiben und charakteristische Verwendungskontexte und -Situationen illustrieren. Des Weiteren sollen alle Möglichkeiten der syntaktischen Realisierung von Argumenten belegt werden, einschließlich solcher zusätzlichen Merkmale wie ‘Passiv’ oder ‘direkte Rede’. Auch die Weglassbarkeit von Argumenten sollte dargestellt werden. Beispiele für die angegebenen Modifikatoren und Kollokationen müssen enthalten sein. Angeordnet werden die Belege in der Regel unter dem Gesichtspunkt ihrer Argumentrealisierungen, und zwar angefangen von den einfacheren syntaktischen Konstruktionen hin zu den komplexeren Satzstrukturen. Entweder in der Reihenfolge oder in der Zahl der Belege drückt sich auch die Häufigkeit bestimmter Konstruktionen aus. Alle anderen Aspekte und Eigenschaften lassen sich meist diesem Ordnungsgesichtspunkt unterordnen. So können beispielsweise Modifikatoren in unterschiedlich komplexen Sätzen auftreten, die Verwendungskontexte und -Situationen können unabhängig von der syntaktischen Komplexität variieren usw. (18) Belege für das Verb unterweisen Immer noch geduldig unterwies ihn Achim. (WDG),3985 Sie unterweist den Unerfahrenen, der sich poetisch betätigen will. (MK1/ WSP.00000),230 Auftiau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 221 Bisher habe die Akademie in Kursen in zahlreichen Städten der Bundesrepublik über 7000 Ärzte unterwiesen. (H87/ JM6.30043),21 Die Lehrlinge wurden von ihrem Meister unterwiesen . (WDG),3985 Auch medizinisch unterweist sie ihn, lehrt ihn Krankheiten, wie Brustentzündung, Blutentzündung und Luftentzündung. (THM/ AME.09166),631 Am Ende letzten Jahres waren dem Landgericht 221 Referendare zugeteilt, so daß die Richterinnen und Richter die jungen Leute oft nur gruppenweise unterweisen konnten. (H85/ FM1.10450),15 Burenkommandos unterweisen Zulus im Umgang mit modernen Waffen. (S94/ H09.01035),168 Vier Wochen werden die Ingenieure und die eine Ingenieurin in modernster Fertigungstechnik unterwiesen. (MMM/ 104.07441) In der Leichenhalle werden die Lehrlinge in "würdevoller Raumgestaltung" unterwiesen, ein Pfarrer bringt ihnen tröstende Worte für Hinterbliebene bei. (S94/ H28.03341),65 Im Rahmenprogramm konnten sich die Besucher von Joseph Bill in der Kunst des Töpferns unterweisen lassen. (MMM/ 106.24676) Er hat mich genau unterwiesen, wie ich es tun sollte. (WDG),3985 Er unterwies die Kinder, wie sie sich verhalten sollten. (Duden,DWB),2712 An dieser Stelle wurden aus Platzgründen nicht alle im Lexikoneintrag aufgeführten Belege angegeben. Wenn sehr lange Belege um für den Erklärungszusammenhang unwichtige Passagen gekürzt wurden, so ist dies durch markiert. In den Kürzeln, die sich nach jedem Beleg finden, ist die Quellenangabe verschlüsselt. Eine Auflösung dieser Kürzel wird hier nicht vorgenommen, sie ist im Internet unter http: / / www.ids-mannheim.de/ kt/ cosmas.html oder http: / / corpora.ids-mannheim.de/ ~cosmas/ ZU linden. 222 Edeltraud Winkler 4.9 Beispiel: Lexikoneintrag des Verbs befehlen Im folgenden Abschnitt soll einmal ein vollständiger Lexikoneintrag für ein Verb vorgestellt werden, damit man sich ein besseres Bild von der Darstellung lexikalischer Einheiten im Rahmen von ESKA machen kann. Es handelt sich um das Verb befehlen, das zum speziellen Rekurssituationstyp der Direktiva gehört. Dort ist es beim Untertyp der ‘Aufforderungen’ angesiedelt, und zwar ist es das namensgebende Verb des wiederum noch spezifischeren Untertyps der Verben des Befehlens (Dir.aufford.befehl). Dieser Rekurssituationstyp ist dadurch gekennzeichnet, dass es im propositionalen Gehalt der Äußerung um eine zukünftige Hörerhandlung geht, deren Eintreten im Interesse des Sprechers liegt. Das heißt, der Sprecher möchte, dass der Hörer etwas Bestimmtes tut oder unterlässt, wobei die Situation durch ein Unterordnungsverhältnis des Hörers unter den Sprecher gekennzeichnet ist, das vorrangig auf den militärischen Bereich bezogen ist. Die Befehlsäußerung ist im Regelfall initial, d.h. sie leitet eine Gesprächssequenz ein. Der Sprecher geht bei den Verben dieses Typs davon aus, dass der Hörer in der Lage ist, die von ihm geforderte Handlung auszuführen, und dass die Handlung ohne seine Aufforderung nicht ausgeftihrt werden würde. Der Lexikoneintrag für das Verb befehlen sieht nun wie folgt aus: Syntaktische Umgebung: jemand befiehlt (jemandem) etwas (NP<Dat>) NP<Akk> / Inf / SE / NPKorrSE — (+ Passiv) (+ unpersönliches Passiv) Wenn eine finite Satzergänzung SE vorhanden ist, wird sie in der Regel mit dass/ daß (je nach Vorkommen in den Belegen) eingeleitet. Bedeutung: etwas anordnen; jemanden (per Befugnis) verbindlich auffordern, etwas Bestimmtes zu tun Der Sprecher S wendet sich mit einer sprachlichen Äußerung Sa(P) an einen Hörer H, um zu bewirken, dass dieser eine bestimmte, in der Äußerung genannte Handlung ausführt oder unterlässt. Der Sprecher hat die Befugnis, solche bindenden Aufforderungen auszusprechen, im militärischen Bereich besitzt er die Befehlsgewalt. Für den Fall der Nichtbefolgung seines Befehls kann er Sanktionen androhen und diese auf Grund seiner Stellung auch durchsetzen. Der Hörer ist wegen seiner untergeordneten Position dazu ver- Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 223 pflichtet, den Befehl auszuführen. Das Verb wird primär im militärischen Bereich verwendet, kann aber auch in anderen Situationen gebraucht werden, in denen entweder Sprecher und Hörer in einem ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen oder in denen der Sprecher seine Aufforderung in einer Weise vorbringt, die dem militärischen Gebrauch vergleichbar ist. Verwendungsspezifik: 1. Die Situationen, auf die mit befehlen Bezug genommen wird, sind dadurch gekennzeichnet, dass der Sprecher die Befehlsgewalt über den Hörer besitzt und dieser auf Grund seiner Stellung verpflichtet ist, den Befehl auszuführen. Ansonsten muss er mit Sanktionen rechnen. Zumeist handelt es sich um Situationen, die im militärischen bzw. paramilitärischen Bereich angesiedelt sind. Hier sind die gegenseitigen Abhängigkeiten auf der Grundlage der Dienstränge eindeutig festgelegt, und es gibt darüber hinaus festgeschriebene Verhaltensnormen, nach denen sich sowohl Sprecher als auch Hörer zu richten haben. Wird das Verb außerhalb dieses streng geregelten Verwendungskontextes benutzt, müssen die Situationen zumindest in einigen wesentlichen Punkten denen im militärischen Bereich ähneln. Das kann zum einen das Unterordnungsverhältnis, also die Befugnis betreffen, Befehle zu erteilen, und zum anderen auf die Art und Weise der Äußerung, insbesondere deren Ton, bezogen sein. In allen Fällen erteilt häufig ein Sprecher mehreren Hörem Befehle. 2. Die Hörerrolle wird bei diesem Verb fakultativ thematisiert. Die Sprecherrolle kann auch durch ein ‘abstraktes’ oder ‘kollektives’ Subjekt besetzt sein, wie z.B. der Staat, die Polizei o.Ä. 3. Zur Realisierung von P werden überwiegend Nominalphrasen und Infinitivergänzungen verwendet. Sie geben am ehesten das Kurze und Prägnante eines Befehls wieder. Die direkte Rede sowie passivische Konstruktionen kommen relativ häufig vor. 4. Modifikatoren treten nur in Verwendungen außerhalb des militärischen Bereichs auf, und auch da nur gelegentlich. Sie charakterisieren dann meistens die Art und Weise des Befehlens näher, wie z.B. streng, ärgerlich, wütend. 7. Das Verb kann auch explizit performativ verwendet werden. 224 Edeltraud Winkler Feldzugehörigkeit: Dir.aufford.befehl - Rekurssituationstyp Direktive Untertyp Aufforderungen Untertyp Befehle Mögliche Synonyme: im schwachen Sinn: alle Verben der speziellen Rekurssituationstypen, die Dir.aufford beinhalten im starken Sinn: gebieten, anordnen, kommandieren, verfügen, beordern, anweisen {Befehle geben/ erteilen), {Order erteilen! geben), {Anweisungen! Aufträge geben! erteilen), {Verfügungen treffen), {Auflagen erteilen) Antonyme: konträre Antonyme: verbieten, untersagen die Hörerreaktion betreffend (positiv): befolgen, gehorchen, nachkommen, ausführen, durchführen die Hörerreaktion betreffend (negativ): verweigern, sich widersetzen, sich weigern, widersprechen einen Perspektivenwechsel ausdrückend: dienen Kommentar: Schwach synonym zu befehlen sind im Prinzip alle Verben, die Rekurssituationstypen angehören, die Dir.aufford enthalten. Und zwar sind sie synonym unter dem diese Typen konstituierenden Bedeutungsgesichtspunkt, dass es einen Sprecher S gibt, der sich mit einer sprachlichen Äußerung an einen Hörer H wendet, um zu bewirken, dass dieser eine bestimmte Handlung ausführt oder gegebenenfalls auch unterlässt. In Kontexten, die keine weiter gehende Bedeutungsspezifizierung erforderlich machen, ist befehlen durch jedes andere Verb dieser Typen ersetzbar. Für eine starke Synonymiebeziehung muss es noch weitere Bedeutungsgemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Verben geben. Das heißt im Falle von befehlen, dass es sich um eine sehr strenge Form der Aufforderung handelt, die für den Hörer absolut bindend ist. In den hauptsächlichen Verwendungssituationen, nämlich im militärischen Bereich, besteht ein fest geregeltes Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Sprecher und Hörer. Schon allein das verpflichtet den Hörer, dem Befehl Folge zu leisten. Wird das Verb Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 225 in anderen Situationen gebraucht, so müssen diese mit den militärischen Verwendungssituationen in wenigstens einer Hinsicht vergleichbar sein. Das heißt, es muss entweder ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Sprecher und Hörer bestehen, oder die Aufforderung muss im typischen Befehlston vorgetragen werden bzw. das ganze Benehmen des Sprechers entspricht dem eines Kommandeurs o.Ä. Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet, sind Verben wie gebieten, anordnen, kommandieren, verfügen, beordern oder anweisen stark synonym zu befehlen. Vgl. die folgenden Beispiele: Er befahl ihnen, Er gebot ihnen, Er ordnete an, Er kommandierte, Er verfügte, Erbeorderte sie. Er wies sie an, ihm unverzüglich zu folgen. ihm unverzüglich zu folgen. ihm unverzüglich zu folgen. sie sollten ihm unverzüglich folgen. dass sie ihm unverzüglich folgen sollten. ihm unverzüglich zu folgen. ihm unverzüglich zu folgen. Bei verfügen ist eher die finite als die infinite Satzergänzung üblich. Kommandieren und beordern werden sehr häufig mit lokalen Präpositionalphrasen gebraucht. Verwendet man die Verben in solchen Kontexten, sind die Sätze vollkommen in Ordnung. Darüber hinaus kann bei kommandieren in der Regel immer nur ein Argument realisiert werden, entweder der Hörer oder P. Wenn beordern nicht mit lokaler Präpositionalphrase vorkommt, sind eher passivische Konstruktionen gebräuchlich. Wandelt man den mit ‘? ’ versehenen Satz mit beordern in einen Passivsatz um, gewinnt er an Akzeptabilität. Vgl.: Sie wurden beordert, ihm unverzüglich zu folgen. Vgl. im Folgenden Verwendungskontexte mit lokalen Ergänzungen für kommandieren und beordern: Er hat ihnen befohlen, sich zu einer anderen Abteilung zu begeben. Er hat sie zu einer anderen Abteilung befohlen. Er hat sie zu einer anderen Abteilung kommandiert. Er hat sie zu einer anderen Abteilung beordert. Belege'. 1. „Komm her! “ befahl er. (Brockhaus,DWB),554 2. Und wenig später befahl der Kommandant: „Nimm deine Sachen und komm mit.“ (S93/ H39.04782),230 3. Der Führer des Mobilen Einsatzkommandos befiehlt: „Alle hinlegen! “ (S94/ H39.04682),18 226 Edeltraud Winkler 4. Die Uniformierten befehlen Gegenangriffe auf kroatische Stellungen. (S93/ H36.04384),162 5. Ein französischer General befiehlt während des Ersten Weltkriegs einen aussichtslosen Angriff. (MMM/ 106.19428) 6. Der amerikanische Offizier, er war sicherlich ein ehemaliger Deutscher, befahl mir, sofort das Hemd auszuziehen. (MMM/ 104.02011) 7. Nach zwei Stunden Wartezeit kam ein weiterer KGB-Offizier herein und befahl mir, ihm zu folgen. (S93/ H10.01105),182 8. Zum eigentlichen Zapfenstreich befiehlt der Bataillonskommandeur wieder „Stillgestanden“. (MMM/ 911.43427) 9. Er habe befohlen, „keinen gezielten Schuß abzugeben“. (WKD/ ndl.02003),3 10. Früh um 5 Uhr stand da zu lesen: „Der Kaiser befiehlt Mobilmachung.“ (MMM/ 908.27310) 11. Nachdem den Polizisten der Rückzug befohlen wird, zieht die Demonstration friedlich zur Hafenstraße.(H87/ QZ5. 50002) , 9 12. Der Staat befiehlt zu feiern, obwohl es seinen Bürgern mehr nach Heulen zumute ist. (MMM/ 910.37001) 13. Kein Minister kann einen Richter absetzen, kein Abgeordneter, keine staatliche Stelle kann einem Richter befehlen, wie er zu urteilen hat. (H85/ QA1.05578) 14. Gorbatschow hat wohl einer Operation zugestimmt, aber gewiß nicht befohlen, daß gemordet wird. (S93/ H06.00620),158 15. Der amerikanische Präsident hätte dann noch etwa 20 bis 30 Minuten Zeit, darüber zu entscheiden, ob er einen atomaren Gegenschlag befehlen soll. (H85/ IZ1.16065),66 16. Im Wald wurde den Juden befohlen, ein Massengrab auszuheben. (S93/ H30.03620) , 106 17. Es wurden weitere Untersuchungen befohlen. (S94/ H20. 02377),138 18. Wer befehlen kann, findet die, welche gehorchen müssen: ich denke zum Beispiel an Napoleon und Bismarck. (IHM/ AM4.01042),365 19. Wer befehlen will, muß erst gehorchen lernen. (Duden, DUB),219 20. Der Graf befahl sogleich, daß alles in seiner Gegenwart zur möglichsten Bequemlichkeit der Gäste geordnet werden solle. (GOE/ AGM.00000),161 21. Der Hofrat drang durch die Doppeltür, indem er seinem Begleiter zu warten befahl. (THM/ AMZ.00000),426 22. Du hast mir gar nichts zu befehlen! (Brockhaus, DWB) , 554 23. Heute bilden sich ja alle ein, sie könnten befehlen. (H85/ QZ1.16692),57 Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 227 24. Er befahl mir strengstes Stillschweigen. (Duden,DWB),320 25. Beate Castan (26) wollte ihrem dreijährigen Sohn nicht nur etwas befehlen. (H87/ UM5.11462),3 26. Wer sich nicht gern befehlen läßt, dem fällt es auch schwer, anderen zu befehlen. (IKO/ ZI2.62405),44 27. Er war neulich „völlig geschockt“, als ein 35 Jahre alter türkischer Nachbar seiner Frau plötzlich befahl, ein Kopftuch zu tragen. (S93/ H23.02676),22 28. Sie packte einen der Angreifer und befahl ihm, die Beute wieder herauszugeben. (MMM/ 411.09930) 29. „Stell dich hinten an wie alle anderen“, wird mir ärgerlich befohlen. (S93/ H50.06167),148 30. „Los, Uschi“, befahl Fridolin, „du mußt uns jetzt in Schweine verwandeln! “ (MMM/ 907.24369) 5. Vorteile und Möglichkeiten der Verbdarstellung in ESKA Die in ESKA verfügbaren Informationen sind in einer Datenbank abgelegt. Eine solche Struktur ist bekanntermaßen sehr variabel und bietet daher einige Vorteile, unter anderem viele verschiedene Möglichkeiten der Datenabfrage. Dadurch können die Informationen unterschiedlich gebündelt und strukturiert werden. Der jeweilige Nutzer kann sich gezielt die Daten heraussuchen, die er benötigt. So ist es auch möglich, ganz unterschiedliche Nutzerkreise anzusprechen, von Deutschlemenden über sprachlich interessierte Schreiber und Sprecher mit eher praktischen Interessen bis hin zu Linguisten mit einem eher theoretisch ausgerichteten Erkenntnisinteresse. Auf der einen Seite kann man systematische Informationen über die relevanten kognitiven und semantischen Strukturen erhalten, die dem Gebrauch von Kommunikationsverben zugrunde liegen. Im Zusammenhang mit solchen Informationen können Tendenzen der Lexikalisierung von Kommunikationskonzepten sowie lexikalische Lücken aufgezeigt werden (zu diesen Themenkreisen, vgl. Proost in diesem Band). Auf der anderen Seite kann man sich aber auch sehr detaillierte und ausgewählte Informationen zu einzelnen Verben zusammenstellen, beispielsweise zu ihren spezifischen Gebrauchsbedingungen oder zum Grad ihrer Bedeutungsverwandtschaft und damit zu ihrer möglichen Verwendung als Synonyme oder auch als Kontextäquivalente. Auf diese Weise wird die hier zusammengestellte Datenbank ein wirklich multifunktionales Informationssystem, das zu ganz unterschiedlichen Zwecken genutzt werden kann. Der Terminus „Wörterbuch“ scheint dafür etwas zu eng gefasst zu sein, jedenfalls im herkömmlichen Sinne. Denn der Benutzer navigiert innerhalb der Datenbank und kann sich über die verschiedenen Abfragemöglichkeiten sein ganz persönliches, auf seine speziellen Bedürfnisse zugeschnittenes Wörterbuch zusammenstellen. 228 Edeltraud Winkler Literatur Austin, John L. (1962): How to Do Things with Words. Oxford. Ballmer, Thomas T./ Brennenstuhl, Waltraud (1981): Speech Act Classification. (= Springer Series in Language and Communication 8). Berlin/ Heidelberg/ New York. Barwise, Jon/ Perry, John (1987): Situationen und Einstellungen. (= Studienbuch Grundlagen der Kommunikation). Berlin/ New York. Dirven, Rene/ Goossens, Louis/ Putseys, Yvan/ Vorlat, Emma (1982): The Scene of Linguistic Action and its Perspectivization by Speak, Talk, Say and Tell. (= Pragmatics & Beyond 111: 6). Amsterdam/ Philadelphia. Harras, Gisela(1996): sprechen, reden, sagen - Polysemie und Synonymie. In: Harras, Gisela/ Bierwisch, Manfred (Hg.): Wenn die Semantik arbeitet: Klaus Baumgärtner zum 65. Geburtstag. Tübingen. S. 191-216. Harras, Gisela (1998): Tendenzen der Lexikalisierung kommunikativer Konzepte. Antrag an die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Harras, Gisela (in diesem Band): Synonymie und Synonymik. Harras, Gisela/ Winkler, Edeltraud (1994): A Model for Describing Speech Act Verbs. The Semantic Base of a Polyfunctional Dictionary. In: Martin, Willy/ Meijs, Willem/ Moerland, Margreet/ ten Pas, Elsemiek/ van Sterkenburg, Piet/ Vossen, Piek (Hg.): Euralex 1994. Proceedings. Amsterdam. S. 440-448. Hausmann, Franz Josef (1986): Für und Wider einer distinktiven Synonymik des Deutschen. In: Weiss, Walter/ Wiegand, Herbert Emst/ Reis, Marga (Hg.): Textlinguistik contra Stilistik? / Wortschatz und Wörterbuch/ Grammatische oder pragmatische Organisation von Rede? (= Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses Göttingen 1985. Bd.3). Tübingen. S. 237-241. Lehmann, Dorothea (1976): Untersuchungen zur Bezeichnung der Sprechaktreferenz im Englischen. (= Forum linguisticum 8). Bem/ Frankfurt a.M./ MUnchen. Miller, George A./ Johnson-Laird, Philip N. (1976): Language and Perception. Cambridge, Mass. Proost, Kristel (in diesem Band): Zum Lexikalisierungsraum kommunikativer Konzepte. Rolland, Maria Theresia (1969): Zur Inhaltbestimmung der Sprachverben. Bonn. Searle, John R. (1969): Speech Acts. Cambridge. Searle, John R./ Vanderveken, Daniel (1985): Foundations of Illocutionary Logic. Cambridge. Ulkan, Maria (1992): Zur Klassifikation von Sprechakten. (= Linguistische Arbeiten 174). Tübingen. Vanderveken, Daniel (1990/ 1991): Meaning and Speech Acts. (2 Bde.). Bd.l: Principles of Language Use. Bd. 2: Formal Semantics of Success and Satisfaction. Cambridge. Vanparys, Johan (1996): Categories and Complements of Illocutionary Verbs in a Cognitive Perspective. (= Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwissenschaft 26). Frankfurt a.M./ Berlin/ Bem/ New York/ Paris/ Wien. Winkler, Edeltraud (1987): Syntaktische und semantische Eigenschaften von verba dicendi. (Diss. masch.). Berlin. Aufbau und Gliederung einer Synonymik deutscher Sprechaktverben 229 Winkler, Edeltraud (1988): Syntaktische und semantische Eigenschaften von verba dicendi und ihre Bedeutung bei der Behandlung des Satzmodus. In: Linguistische Studien, Reihe A, 177,8.216-253. Winkler, Edeltraud (in diesem Band): Möglichkeiten der semantischen Dekomposition von Kommunikationsverben. (I) mades Arbeitspapiere und Materialien zur deutschen Sprache herausgegeben vom Institut für Deutsche Sprache 2000 erschienen: Sprachhistorie(n). Hartmut Schmidt zum 65. Geburtstag. Herausgegeben von Dieter Herberg und Elke Tellenbach. 2000. ISBN 3-922641-51-2 (DM 49,50) Diese Festschrift versammelt die folgenden Beiträge zu Aspekten der Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung und Kodifizierung: Dieter Herberg: Laudatio ■ Gisela Harras: (Sprach)Geschichte erzählen • Manfred Bierwisch: Sprachgeschichte in der Wende • Wolfgang Ulrich Wurzel: Verläuft Sprachgeschichte gezielt? • Ulrike Haß-Zumkehr: „Moderne Linguistik“ versus „traditionelle Sprachwissenschaft“ - Wörter, die Geschichte machen • Joachim Dückert: Abenteuer. Zur Neubearbeitung des Deutschen Wörterbuchs (= DWB) • Joachim Schildt: Entwicklungstendenzen im verbalen Bereich bei der Herausbildung der neuhochdeutschen Standardsprache • Oda Vietze: Die sprachliche Leistung historischer Gartenbau-Texte • Heidrun Kämper: Europa-Formeln der frühen Nachkriegszeit • Klaus- Dieter Ludwig: Archaisierung und Archaismenlexikographie • Gerhard Stickel: Englisch- Amerikanisches in der heutigen deutschen Lexik und was die Leute davon halten ■ Hartmut Schmidt: Liste wissenschaftlicher Publikationen. Hoppe, Gabriele: Aspekte von Entlehnung und Lehn-Wortbildung am Beispiel -(o)thek. ISBN 3-922641-74-1 (Buch, 357 S., DM 82,-) ISBN 3-922641-75-X (CD-ROM, DM 59,-) (Hypertext-Version des Buches mit Verweisen und Volltext-Suchmöglichkeit) (Siehe auch: Hoppe, Gabriele: Herausbildung und Integration des Submusters ETHNIKA + -(p)phonel-(o)phonie im Französischen und Stellung des analogen Musters im Lehn-Wortbildungssystem des Deutschen. 1998. ISBN 3-922641-44-X (Papier, DM 27,-); ISBN 3-922641-47-4 (Diskette, DM 15,-)) In Bezug auf die bisher in „amades“ und beim Gunter Narr Verlag erschienenen Bände zur Lehn-Wortbildung schreibt Peter v. Polenz: „Die übersichtlich angeordneten, sorgfältigen Materialdokumentationen und Untersuchungen gehen weit über die Erwartungen hinaus, die ich seinerzeit beim Engagement für dieses früher vernachlässigte oder ignorierte lohnende Forschungsgebiet hatte. Wenn künftig noch mehr so gründliche LWB-Untersuchungen vorliegen werden, wäre eine vergleichende Studie über die verschiedenen Arten und Wirkungsweisen von „Leitwörtem“ oder „Ausgangsmustem“ in der Lehnwortbildung (Ex-Jesuit, Diskothek, Internationale, Transport,...) sehr interessant.“ Speziell zu dem -(o)fJze^-Band führt er aus: „Ziemlich neu war mir z.B. die erstaunliche neueste Expansion der -(o)t/ zei-LWB nach dem „Leitwort“ Diskothek, auch in der DDR. Was „fortschreitende Banalisierung“ und „Absinken des Musters in die Verwendungsbeliebigkeit“ genannt wird, könnte sprachsozialgeschichtlich auch als Popularisierung oder Demotisierung (U.Maas) erklärt werden (um den pejorativen Ausdruck Vulgarisierung zu vermeiden). Wie bei weiten Bereichen entlehnter Lexik zeigt sich hier der Übergang von bildungsbürgerlichen Routinen zu allgemeinsprachlichem Gebrauch, also ein semantisch-syntaktischer Integrationsvorgang, vergleichbar öffentlichkeitssprachlichen Bedeutungsveränderungen wie dem heute allgemeinen Gebrauch von Alternativen für mehrere zur Wahl stehende Möglichkeiten (statt des nur binären Gebrauchs in strenger Wissenschaftssprache der humanistischen Tradition), oder wie der ‘wilden’ Weiterentwicklung vieler französischer Lehnwörter in deutschen Dialekten. Aber es steckt auch wohl mehr dahinter als der soziolinguistische Weg des ‘Absinkens’ oder der ‘Verwilderung’: Vielleicht zeigt sich darin eine teilweise Verschiebung der gesamtgesellschaftlichen Kommunikationskultur von traditionellen Orts- und Mittel-Begriffen des schreibsprachlichen und wissenschaftlich-technischen Bereichs (Bücher, Karteikarten, Bilder, Arzneien, Edelsteine, usw.) hin zur akustischen und non-verbalen Kommunikation (Tonträger, subkulturelle Geselligkeit).“ Bausch, Karl-Heinz: Wandel im gesprochenen Deutsch. Zum diachronen Vergleich von Korpora gesprochener Sprache am Beispiel des Rhein-Neckar-Raums. 2000. ISBN 3-922641-52-0 (152 S„ DM 58,-) Ausgangsbasis für diese Studie bilden eigens durchgefuhrte Neuerhebungen zusammen mit den dialektalen Tonaufnahmen des Zwirner-Archivs aus den Fünfzigerjahren sowie den hochsprachlichen Tonaufhahmen des Pfeffer-Archivs aus dem Anfang der Sechzigerjahre und das diesen Aufhahmeaktionen zu Grunde liegende Erhebungskonzept. Am Beispiel jener Aufnahmen aus dem Rhein-Neckar-Raum wird untersucht, wie man ausgehend von den überlieferten Gesprächsaufnahmen eine geeignete Neuerhebung konzipieren könnte, über die der Wandel der gesprochenen Alltagssprache in einem Abstand von vier Jahrzehnten diachron untersucht werden kann. Demnächst erscheinen: Fleischer, Holm: Wandlungen im Sprachgebrauch - Referenz und Pragmatik der Pronomen in ostdeutschen Zeitungskommentaren. Am Beispiel der Leipziger Volkszeitung vor, während und nach der „Wende“. ISBN 3-922641-54-7 (ca. 200 S., DM 65,-) (Erscheint Frühjahr 2001, Vorbestellung bereits jetzt möglich) Die Studie leistet einen Beitrag zur Erforschung des Zusammenhangs von Sprachgebrauchswandel und gesellschaftlichen Veränderungen. Untersuchungsgegenstand sind nicht primär sprachliche Einheiten. Gleichzeitig leistet die Studie damit einen Beitrag zur Beschreibung von Referenz und Pragmatik der behandelten Pronomen wir, ich, man, unser sowie mein und liefert damit auch neue Methoden für die Untersuchung nicht lexikalischnominativer Sprachphänomene. Nicht zuletzt trägt die Studie auch zur Gewinnung von Erkennmissen über das Textschema „Zeitungskommentar“ bei. Germanistik und Deutschunterricht in 16 Ländern. Berichte aus dem Internationalen Wissenschaftlichen Rat des IDS 1998-1999. Herausgegeben vom Institut für Deutsche Sprache. ISBN 3-922641-55-5 (ca. 70 S., DM 19,-) (Erscheint Frühjahr 2001, Vorbestellung bereits jetzt möglich) Bestellungen über den Buchhandel oder direkt bei: amades, c/ o Institut für Deutsche Sprache, Postfach 10 16 21, 68016 Mannheim WWW: ht tp: / / www. araade s . de Der Wortschatzausschnitt kommunikativer Ausdrücke ist in den letzten 20 Jahren in der lexikalischen Semantik kaum systematisch bearbeitet worden. Dies ist umso erstaunlicher, als dieser Bereich einen nicht unbeträchtlichen Bestandteil des Verbwortschatzes aller indoeuropäischen Sprachen ausmacht: Eine grobe Zählung, bei der auch komplexe lexikalische Einheiten wie Funktionsverbgefüge, Phraseologismen und Idiome berücksichtigt wurden, ergab für das Deutsche ca. 5000 lexikalische Einheiten. Die Vernachlässigung von kommunikativen Ausdrücken ist aber auch aus qualitativen Gründen unverständlich; schließlich sind sie der Indikator für die Konzeptualisierung des kommunikativen Verhaltens innerhalb einer Sprach- und Kulturgemeinschaft. Mit dem vorliegenden Band soll versucht werden, diese semantische Lücke zumindest ansatzweise zu füllen. Unter dem Ausdruck “konzeptuelle Ordnung” im Untertitel dieses Bandes werden sowohl kognitive Schemata (wie Kommunikations- oder Ereigniskonzepte) als auch kategoriale Aspekte verstanden, die aus einer induktiven Analyse von Kommunikationsverben gewonnen und für eine systematische Analyse nutzbar gemacht wurden. Der Ausdruck “semantische Repräsentation” im Untertitel nimmt einmal Bezug auf den Aspekt der Abbildung konzeptueller Strukturen auf das Lexikon und zum andern auf den eher praktischen Gesichtspunkt der lexikologischen und lexikographischen Darstellung. ISBN 3-8233-5154-0