eBooks

Von Aldianer bis Zauselquote

2007
978-3-8233-7351-3
Gunter Narr Verlag 
Lothar Lemnitzer

Besitzen Sie Skikes? Haben Sie heute schon gemabbert? Sind Sie ein Fan von Knut, dem Problemlösungsbär? Neue Wörter begegnen uns überall, sie fallen auf und stellen uns oft vor Rätsel. Warum das so ist, wie neue Wörter entstehen und warum wir sie brauchen, das erklärt Lothar Lemnitzer unterhaltsam und doch wissenschaftlich. Der Autor stellt in diesem Buch die hundert schönsten Neuschöpfungen des Jahres vor, die er zusammen mit vielen anderen Wörtern in seiner Wortwarte gesammelt hat. Er zeigt, dass trotz der vielen Neuigkeiten, die oft aus dem angelsächsischen Bereich stammen, die deutsche Sprache nicht vom Untergang bedroht ist und erklärt, warum wir uns trotzdem noch verstehen. Das Buch ist ein Muss für Sprachfreunde, Sprachskeptiker und alle, die sprachlich auf der Höhe der Zeit sein wollen.

Von Aldianer bis Zauselquote Lothar Lemnitzer Von Aldianer bis Zauselquote Neue deutsche Wörter Wo sie herkommen und wofür wir sie brauchen Mit einem Vorwort von Jürgen Jonas Gunter Narr Verlag Tübingen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. © 2007 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-mail: info@narr.de Umschlaggestaltung: Uli Gleis, Tübingen Druck und Bindung: Kessler Druck + Medien, Bobingen Printed in Germany ISBN 978-3-8233-6351-4 5 Inhalt Wenn Goethe mit Lemnitzer wrxlt - von Jürgen Jonas ...................................................7 Einleitung.....................................................................13 Wörterverzeichnis ........................................................15 Was sind neue Wörter? ................................................66 Warum werden neue Wörter gebildet? .........................72 Wie werden neue Wörter gebildet? ..............................78 Wird die englische die deutsche Sprache verdrängen? ........................................................94 Was ist und was macht die Wortwarte? .....................100 Kleines Glossar sprachwissenschaftlicher Fachwörter........................................................108 7 Wenn Goethe mit Lemnitzer wrxlt A word is dead, when it is said Some say - I say it just begins to live That day Emily Dickinson Hat Goethe wirklich gesagt, der Worte seien nun „genug gewrxlt“? Hat er tatsächlich die „Dauer im Wrxl“ zum Prinzip erhoben? Ist es literaturhistorisch korrekt, dass er eines Morgens beim Gartengewandel zu seinem lieben Eckermann bemerkte: „Das Wetter, lieber Eckermann, wird wohl in den nächsten Jahren weiter wrxlhaft bleiben.“ Manch ollem Goelehrten hätte da vor Aufregung der in den Schreibtisch eingewachsene Bart gebebt. Sollte er etwas übersehen haben? Immerhin scheint bei Goethe, dem Zauberwrxling, durchaus alles möglich bzw. nicht ganz unmöglich. Sogar das „Wrxln“, das auf den ersten Blick allerdings rätselhaft erscheint. Weshalb der große Lichtenberg meinte: „Die wahre Bedeutung eines Wortes in unserer Muttersprache zu verstehen, bringen wir gewiß oft viele Jahre hin“. Zweifelsfrei scheint allerdings festzustehen, dass Goethe in den Jahren zwischen 1749 und 1832 an keinem einzigen Tag „gemabbert“ hat. Nicht eine Minute (siehe: Goethes Leben von Tag zu Tag, Zürich, seit 1982 in bisher acht Bänden). Goethe wusste weiß Gott viel, doch nicht, was „Mabbern“ ist, das „Mabbern“, wie wir es heutzutage kennen, wenn wir’s kennen. Lemnitzer hätte es ihm sagen können, allerdings nur bei einigen erheblichen Hin-und-Her-Verschiebungen auf der Zeitschiene. „Mabbern“, teilt Lemnitzer mit, bezeichne das „Versenden von Kurznachrichten“. Dieser Vorgang war an sich dem Dichter gar nicht fremd. Frau von Stein zum Beispiel wird sich erheblich gefreut haben an den (erhaltenen) 1 700 Briefbotschaften, die oft blitzhaft Herz und Hirn ihres Anflammerers entströmten, darunter viele Kurzbillettlein, die sie gleichwohl im Innern berührten. Jedoch kratzte „das Megatherium der Menschheit“ (E. Friedell) 8 sie mit der Feder aufs Papier. Ganz im Gegensatz zu Lemnitzer, der als „Mabberer“ die Computer-Maus beklickt. Lemnitzer und Goethe? Was hat der Tübinger Computerlinguist Lothar Lemnitzer mit dem weimaranischen Sentenzen-Serenissimus zu tun? Ist der Begründer der „Wortwarte“, in deren Fangnetzen neu auftauchende Wörter hängen bleiben, nicht eher Pippi Langstrumpf an die Seite zu stellen? Wie sie als „Sachensucher“ tätig ist, geht Lemnitzer als „Wortsucher“ umher. Wer Wörter aufspüren will, braucht bei Goethe natürlich nicht lange Schatzgräber zu spielen. Er hat ohne weiteres Preziosenprägungen wie „Schlingschlangschlodi“ oder „Schnudelbutz“ ausgehaust, in seinem herrlichen Stück von „Hans Wursts Hochzeit“. Stammt nicht auch das Wort „Weltliteratur“ von ihm? Seinerzeit neu und strahlend schön und auch in unseren Tagen noch sinnvoll anwendbar, wenn auch zu häufig von unbedarften Marketingkreativdirektoren simplem Bestseller-Bockmist auf den dürren Leib geschrieben. Gegen Fremdwörter übrigens hatte der „größte deutsche Dichter“ wenig einzuwenden. „Performance“ etwa glitt ihm selbstverständlich von den Lippen. Oder „nojos“. Auch „Sodezz“. Oder gar „Skwal“, das bei ihm Schmutz, Unflat bedeutet. Gewiss, auch Goethe hatte es nicht leicht mit den Wörtern. „Die Zahlen“, ließ er einfließen, „sind wie unsere armen Worte nur Versuche, die Erscheinungen zu fassen und auszudrücken, ewig unerreichende Annäherungen“. Dennoch wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, auch nur eines der 50 000 Wörter, über die er vermutlich verfügen durfte, für immer vor die Tür zu weisen, obwohl er manchem mit Skepsis gegenüberstand. Wäre er nicht inzwischen leider verstorben, würde er diese Zahl sicher verdoppelt haben. Mindestens. Denn schrieb nicht etwa Novalis an einer Stelle seines Heinrich von O. mit goetheschem Recht: „Es muß noch viele Worte geben, die ich nicht weiß; wüsste ich mehr, so könnte ich viel besser alles begreifen.“ Ach, „es gibt so viele Wörter; und alle bedeuten etwas.“ So stöhnt leise Leonora Carrington, bezeichnenderweise schon auf Seite 34 ihres hübschen Buches „Das Hörrohr“ (sic! ). Das Wort „Modewort“ ist seit 1777 nachgewiesen, „verhunzdeutschen“ findet sich schon bei Lichtenberg. Hölderlin machte uns mit „heilignüchtern“, „heischerschluchzend“ und der Formel „den Hein- 9 rich singen“ bekannt. Und schuf auch „Pallaksch, pallaksch“, was bei ihm, so ein Ohrenzeuge, einfach „ja“ zu bedeuten schien. Von dem Wort „Killalisumeno“ gar nicht zu reden, das er einmal als seinen Nachnamen ausgab, worauf es sich später unter den Ausdeutern als ein eigenes Forschungsgebiet etablierte. „Worte ohne Sinn und Hosen ohne Lenden kommen nicht weit“. Heißt es zwar im Sprichwort. Aber stimmt das wirklich? Elias Canetti hat in der „Provinz des Menschen“ aufnotiert: „Es gibt keine gewaltigen Worte mehr. Man sagt manchmal ‚Gott‘, bloß um ein Wort auszusprechen, das einmal gewaltig war.“ Die augenverklappte Elle Driver, Rivalin der Schwarzen Mamba, tritt ihm in Q. Tarantinos „Kill Bill“ bei: „Gigantisch ist eins meiner Lieblingswörter, und dabei kann man es nur ganz selten anwenden.“ Es wäre gigantisch, wie Fernando Pessoa sagen zu können: „Ich mache gerne Worte. Worte sind für mich berührbare Leiber, sichtbare Sirenen, verkörperte Sinnlichkeit.“ Wem steht nicht ein entsprechendes Bild vor Augen, wenn er ein topaktuelles Wort wie „Testosteronbrutalo“ zur Kenntnis nimmt? Das klingt (siehe „-minator“) direktemang schwarzeneggisch, wie das Bodybuildl von Austrokalifornien. Oder net? Was genau tut ein „Mentaliban“? Welches Rollback steckt hinter der „Schäublone“? Was für eine Sorte Kinder zeugt der „Flachvater“? Denkbar wäre auch das Wort „Flachvatermörder“, wenn man eine Verbindung von hypermodern und uraltväterlich herstellen wollte. Ja, so viele Wörter sind „je und je“ (H. Hesse) noch machbar, belachbar und benutzbar. Lemnitzer lässt die „Aldianer“ antreten und gibt der harryrowohltschen „Zauselquote“ Gewicht und Bedeutung. Dem Klassikaner hätte im Angesicht der „Wortwarte“-Fundstücke das Lämmerschwänzchen vor lauterem Vergnügen trefflich gewackelt. Verwendete er selber doch vorahnend Wörter wie „Aldermann“ und „zaselig“, wovon das eine einen Mann mit Erfahrung meint, das andere des Maiskolbens Fasern beschreibt. Christiane Vulpius hat natürlich das Speiseeis und den Sardellensalat, die ihr Goethe- Gatte beide so liebend gern verputzte, niemals in einer Supermarktkette eingekauft. Eine TV-Begegnung zwischen Geheimrat G. und Zausel R. hätte aber saftig Quote in die Sendeanstalt- Scheuer gefahren. 10 Der „Kunstgreis“ (H. Heine) hat uns Werke und Worte noch und noch geschenkt. „Die Leiden des jungen Wrxlers“ gehören nicht dazu, die Literaturgeschichte muss nicht umgeschrieben werden. Auch Gustav Wustmann kannte das „Wrxln“ nicht. Der Verfasser der „Sprachdummheiten“ stemmte sich vehement gegen die Verwendung von Wörtern, die ihm nicht in den Kram passten. Fast alles, was der Sprachkritiker Wustmann zurückwies, hat sich in der Sprachlandschaft niedergelassen. Als wenn es den Mann Wustmann gar nicht gegeben hätte. Er erkannte am Ende bedrückt: „Mein Buch hat doch eigentlich wenig bewirkt“. Auch „Wrxl“ hätte er selbstredend seinem Verdikt unterworfen, ohne auch nur ein kümmerliches Ersatzangebot bereitzustellen. „Freiheitsniederschmetterling“ wollte Hoffmann von Fallersleben für „Reaktionär“ verpflichtend machen, das Konversationslexikon sollte laut Eduard Engel „Frag mich was“ heißen. Soll die „Boulette“ nur als „Fleischklopsbratling“ erhältlich sein und „der Event“ oder „das Event“ künftig „Hingeher“ benannt sein. D. E. Zimmer meint: „Darum wirkt so viele Sprachkritik auf sublime Weise lächerlich; weil sie Neues bekämpft, nur weil es nicht das Alte ist.“ Wo es am saubersten zu sein scheint, dort, das wissen Adorno-Leser, „regiert insgeheim die Fäkalie.“ Wo sie mit dem harten Sprachreinigungs-Besen anrücken, dort dominiert die Lappalie. Lemnitzer sagt zu Recht, die Sprecher der Sprache werden sich „einen feuchten Kehricht“ um Verbote kümmern. Lemnitzer ist kein Purist. Natürlich nicht. Purismus nenne „man das Bestreben, eine Sprache ganz rein, ohne Beymischung von Wörtern aus andern Sprachen zu schreiben“. So ausgeführt in der riesenhaften „Oeconomischen Encyclopädie, oder allgemeines System der Land= Haus= und Staats= Wirthschaft“ von Johann Georg Krünitz, die 1773 zu erscheinen begann. Weiter: „Weil die Puristen ihren Eifer nicht selten zu übertreiben pflegen, verbindet man mit beyden gewöhnlich einen höhnenden Nebenbegriff.“ Auch Goethe donnerte vom Olympierthron herunter: „Ich verfluche alle negativen Purismen, daß man ein Wort nicht brauchen soll, in welchem eine andere Sprache Vieles oder Zarteres gefasst hat.“ Er gebrauchte Zeit seines Lebens frohgemut Wörter wie „Boulingreen“, das wir als „bowling green“ kennen. Auch „Guerilla“ oder „Commérage“ für Klatsch. Und so weiter. 11 Ein Mann wie Eduard Engel, der einst eine Bestseller-Rübe wie die „Deutsche Stilkunst“ aus dem deutschen Blutboden zog, ließ dennoch unverdrutzt sein erzenes Schwert wider die Fremdstämmischkeit herniedersausen, denn „gegen brandige Wunden wie die Fremdwörter“ hülfe nur „das glühende Eisen des Zorns“, gegen den „Gesichter schneidenden Veitstanz des preziösen Geschnörkels“ nur „der derbe Prügel“ und gegen „die Affenschande des französelnden Gebildeten“ nur „der Höllenstein beißenden Hohns“. Die „Reinheit“ hat es nie gegeben, nicht einmal, wenn man Jahrhunderte zurückschaut. Lemnitzer gleicht Zhou Enlai, dem ehemaligen rotchinesischen Außenminister, der einmal, auf Staatsbesuch in Frankreich weilend, sein fernöstlich-unergründliches Lächeln lächelte, als er die Frage eines Journalisten, wie man die Auswirkungen der Französischen Revolution einzuschätzen habe, mit der weisen Antwort bedachte, dafür sei es durchaus noch zu früh. Die Haltbarkeitsdaten neuer Wörter vermag Lemnitzer nicht vorherzusagen. „Stellen Sie Ihre Frage in 200 Jahren noch mal“, bescheidet er Neugierige, die wissen wollen, ob und wie lange Wörter mit „Migrationshintergrund“ sich niedersetzen werden, solche etwa auf „deukisch“, der Mischung aus deutsch und türkisch. „Wrxl“ ist nichtdeukisch. Ausschließlich Lemnitzer gebührt das Verdienst, das Wort „Wrxl“ als verwendbar aus dem Brodeltopf der Sprache gezogen und großzügig zum Dauergebrauch freigegeben zu haben. Unentgeltlich und sogar ohne Verpflichtung, ihm eine bestimmte Bedeutung anzumessen. In seinen Vorträgen streut er es unter die Leute. Wie mit der Gabe umzugehen sei, überlässt er dem Publikum. Hier wiederum gilt: „Richtungsweisend im Gewühl bleibt allein das Sprachgefühl“ (B. Engelmann). Man kann also über Lothar Lemnitzer so viele Worte machen, wie man will: Er ist ein großzügiger Mann. Das Wort „Wrxl“ findet sich in den Abenteuern von Asterix und Obelix. Wo genau, teilt Lemnitzer nicht mit. Leuchtet es als Sprechblase über Obelixens Verlegenheit, als dieser der schönen Falbala in einem Asterix-Comic ein Blumensträußlein überreichen will? Dann wäre es vielleicht so zu übersetzen: „mit einem Blumenstrauß in der Hand zum Beispiel vor der angebeteten Schönen stehen und vor Verlegenheit nicht ein noch aus wissen, 12 weshalb über dem Helm auf dem desorientierten Schädel die Sprechblase ‚Wrxl! ‘ erscheint.“ Deshalb sollten jugendliche Liebhaber es nutzen, Floristinnen, Gärtner, Zimmerpflanzenbesitzer es kennen. Doch wie gesagt, die „Wrxl“-Gedanken sind frei. Deshalb ist das „Wrxln“ allen Menschen anheimgestellt. Wie formuliert es der wahrscheinlich unsterbliche Goethe in seinem ebensolchen „Faust 1“: „Nun sind wir schon wieder an der Grenze unseres Wrxls, da wo euch Menschen der Sinn überschnappt“. Die ehrengeachtete Leserin und der wohlgeformte Leser mögen sich nun mit Lemnitzer artig vom „Aldianer“ bis zur „Zauselquote“ bewegen. Man lasse es gehörig überschnappen. Nehren, im August 2007 Jürgen Jonas 13 Einleitung Haben Sie heute schon gemabbert oder mit Ihren Freunden geskypt? Verbringen Sie Ihren Urlaub auf Skikes? Wenn Sie jetzt ins Grübeln kommen und sich fragen, was das alles bedeutet, dann sind Sie hier richtig. Im Wörterverzeichnis dieses Buches werden diese und viele weitere Wortschöpfungen des Jahres 2007 erklärt. Neue Dinge wollen benannt werden, und so entstehen täglich neue Wörter, die uns immer wieder vor Rätsel stellen. Es dauert einige Zeit, bis diese Wörter in den Rechtschreibduden aufgenommen werden. Dieses Buch hilft Ihnen schon heute, viele der Rätsel zu lösen. Es ist ein Produkt meiner „Wortwarte“, in der ich seit dem Jahr 2000 neue Wörter sammle und beschreibe. Weitere Informationen zur Wortwarte (www.wortwarte.de) finden Sie im zweiten Teil dieses Buchs. Wenn Sie, nachdem Sie die neuen Wörter des Jahres 2007 kennen gelernt haben, mehr über neue Wörter erfahren wollen, z. B. warum wir sie brauchen und wo sie herkommen, dann sollten Sie auch den zweiten Teil dieses Buches lesen. Dort zeige ich unter anderem, dass es der deutschen Sprache trotz des großen Einflusses des Englischen gut geht und dass viele der Wörter, die aus dem Englischen übernommen werden, dem Sprachausbau dienen und nur selten deutsche Wörter mit ähnlicher Bedeutung verdrängen. Ich erkläre ausführlich, wie neue Wörter gebildet werden. Wenn Sie diesen Teil gelesen haben, werden Sie selber in der Lage sein, neue Wörter zu bilden, die die Aufmerksamkeit Ihrer Leser oder Zuhörer erregen. Probieren Sie’s aus! An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die mir bei der Entstehung dieses Buches geholfen haben. Viele Anregungen zu diesem Text gaben mir: Irmgard Barz, Hendrik Cyrus, Piklu Gupta, Andrea Lemnitzer, Paul Scheipers, Markus Wulle, Heike Zinsmeister. Jürgen Freudl hat mich wie immer schonungslos auf jeden noch so kleinen Fehler und jede Ungenauigkeit hingewiesen. Ihm gebührt hierfür mein besonderer Dank. Außerdem möchte ich mich bei den Journalistinnen und Journalisten bedanken, die indirekt viel Material zu diesem Buch beigesteuert haben. 14 Alle Fehler sollten Sie natürlich ausschließlich mir anlasten. Ich freue mich, wenn Sie mir Ihre Meinung zu diesem Buch mitteilen, mich auf vielleicht noch vorhandene Fehler aufmerksam machen oder mir ein neues Wort zusenden. Schicken Sie einfach eine E-Mail an lothar@lemnitzer.de! Mössingen, im August 2007 Lothar Lemnitzer 15 Wörterverzeichnis In diesem Wörterverzeichnis, das ca. 100 Einträge umfasst, beschreibe ich überwiegend die neuen Wörter des Jahres 2007. Ich habe hierfür die übliche alphabetische Anordnung gewählt. Wo es inhaltliche Zusammenhänge zwischen zwei Wörtern gibt, deren Einträge weit auseinander stehen, verweist ein Pfeil ( ) von dem einen auf das andere Stichwort. In den meisten Einträgen wird ein einzelnes Wort beschrieben. Es gibt aber auch Einträge, z. B. zu Wortbildungselementen, in denen ich auf mehrere Wörter eingehe. Nicht alle dieser Wörter stammen aus dem Jahr 2007, ich denke aber, dass Sie die meisten von Ihnen als neu oder originell empfinden werden. In den Artikeln, die mehrere Wörter beschreiben, sind diese Wörter durch eine blaue Farbe hervorgehoben. Auf Originalbelege aus Zeitungen habe ich bewusst verzichtet. Sie können diese bei den entsprechenden Artikeln in der Wortwarte finden. Auch sprachwissenschaftliches Fachvokabular habe ich weitgehend vermieden. Wenn Sie dennoch hier und da über ein solches Wort stolpern, dann können Sie dessen Bedeutung im Glossar am Ende des Buchs (S. 108ff.) nachschlagen. In den Artikeln habe ich viele Webadressen genannt. Dort finden Sie weitere Informationen zu den Dingen und Sachverhalten, die ich in den Artikeln beschreibe. Und nun wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen! <a> Abschiebebeobachter, der Der Abschiebebeobachter, der am Flughafen Düsseldorf seinen Dienst tut, schaut den Behörden beim Abschieben von illegal nach Deutschland eingewanderten Menschen auf die Finger. Er ist nicht berechtigt, die behördlichen Beschlüsse anzuzweifeln. Seine Aufgabe ist es lediglich, zu überprüfen, dass der Umgang mit den Abschüblingen so verläuft, dass diese zumindest während 16 dieses staatlichen Aktes ihre Würde bewahren. Wenn er Fehler oder Ruppigkeiten der ausführenden Organe bemerkt, dann meldet er dies dem Innenministerium von Nordrhein-Westfalen. Der Abschiebebeobachter ist also Auge und Ohr, vielleicht noch Mund, nicht aber Arm der Abschüblinge. Leider gibt es diesen Posten bisher nur an einem Flughafen in Europa, unsere Gesellschaft bräuchte mehr davon. -affin, Wortbildungselement Die Bedeutung dieses Wortbildungselements zu bestimmen ist nicht ganz einfach. Es ist aus dem Lateinischen entlehnt und bedeutet WESENSVERWANDT . Dieses Wort haben sich u.a. die Marktforscher angeeignet. Bei denen bezeichnet das Wort ein Maß dafür, wie groß der Anteil einer Zielgruppe an allen Nutzern eines Mediums ist. Danach ist eine Fernsehsendung, die von 90 Prozent der 14bis 49-jährigen konsumiert wird, stark zielgruppenaffin , wenn tatsächlich diese Zielgruppe angesprochen werden soll. Wenn man aber die Zusammensetzungen mit „-affin“ als letztem Wortbestandteil betrachtet, dann passt auch diese Bedeutung nicht wirklich gut. Wer chartsaffin ist, wird bevorzugt die Musik aus den Charts hören, wer netzaffin ist, sich öfter als durchschnittlich im Internet bzw. World Wide Web bewegen, wer aktienaffin ist, dazu neigen, seine Ersparnisse in Aktien zu investieren. Ein mit „-affin“ gebildetes Wort charakterisiert also Personen, die für etwas eine besondere Neigung haben oder ein großes Interesse aufbringen. Das macht diese Personen natürlich zu einem beliebten und begehrten Objekt der einschlägigen Werbung. Aldianer, Aldianerin, der, die Mit dem Zusatz „-(i)aner“ werden die Mitglieder einer Gruppe bezeichnet. Diese Menschen zeichnen sich durch ein verbindendes Merkmal aus, z. B. durch ihre Zugehörigkeit zu einem Volk oder einer ethnischen Gruppe („Brasilianer“, „Indianer“), zu einer Glaubensgemeinschaft („Presbyterianer“, „Lutheraner“) oder durch den Ort ihrer Herkunft („Insulaner“, „Marsianer“). In letzter Zeit sind weitere Gruppen in das Licht der Öffentlichkeit getreten. Zu diesen gehören: die Aldianer , deren hervorstechendes 17 Merkmal der Glaube an den Konsum, aber gut und günstig, sein dürfte, und die Wikianer , deren gemeinsames Credo das freie Wissen für alle ist. Die Agfarianer haben bzw. hatten eine gemeinsame Identität als Mitarbeiter der in Konkurs gegangenen Agfa- Werke. Die Seehoferianer und Chiracianer sind Anhänger von Politikern und werden zusammen mit diesen eher früher als später verschwinden. Auch den Knutianern ist keine große Zukunft beschieden. Das Objekt ihrer Verehrung wandelt sich gerade vom knuddligen Problemlösungsbären zu einem egoistischen, fress- und paarungsgierigen, also ganz gewöhnlichen Eisbären. Keine guten Eigenschaften für ein Kultobjekt. Auch in Zukunft wird sicher noch manche andere Gruppierung entstehen, die durch das Etikett „-(i)aner“ ihre Identität erhält. Algenwein, der Dieses Wort dürfte es eigentlich nicht geben. Das Ordnungsamt Kiel ist dagegen und kann sich dabei auf strenge Richtlinien der EU berufen. Kieler Wissenschaftlern war es gelungen, aus fermentierten Algen ein Gesöff mit 14 Prozent Alkohol herzustellen. Der Geschmack dieses Getränks wird als würzig und frisch bezeichnet. Die Erfinder, und anschließend die Presse, die über diese Erfindung berichtete, nannten dieses Getränk Algenwein. Laut EU-Recht aber dürfen sich nur alkoholische Flüssigkeiten, die aus dem Saft von Trauben gewonnen werden, Wein nennen. Für Beerenweine gelten strikt kontrollierte Sonderregelungen, für den Algenwein wird keine Ausnahme gemacht. Das Getränk wird jetzt als Algen-Aperitif mit Sherry-Note vermarktet. Das klingt weit weniger gut als das griffige „Algenwein“. Das Wort wird in der Wortwarte bleiben, allen EU-Bestimmungen und Ordnungsamt-Verordnungen zum Trotz. Ich weiß leider nicht, wie Algenwein schmeckt, und kann Ihnen das Getränk auch nicht guten Gewissens empfehlen. Ich hoffe jedoch, dass mir das Engagement für das Wort eines Tages durch eine großzügige Kostprobe entgolten wird. 18 Alterungsanzug, der Wir alle werden älter, ob wir das nun wahrhaben wollen oder nicht. Eine der unangenehmeren Folgen ist, dass unsere Gelenke steifer werden, selbst wenn wir täglich etwas gegen diesen Verschleißprozess tun. Bald werden wir nicht mehr nach einer Party auf dem Fußboden unserer Gastgeber übernachten wollen. Oder uns zu dritt auf die Hinterbank eines Kleinwagens quetschen. Wenn das einmal notwendig sein sollte, dann sind wir froh, wenn wir ohne die Hilfe anderer wieder hoch und aus dem Auto heraus kommen. Manche Dinge im Auto werden schwerer erreichbar für uns und schwerer zu bedienen, weil uns der weite Bewegungsradius abhanden gekommen ist. Damit sich auch junge und biegsame Autoingenieure vorstellen können, wo die Tücken des Alterns liegen, und altersgerechte Autos gestalten, werden sie in einen Alterungsanzug gesteckt, der ihre Beweglichkeit künstlich einschränkt. Dies könnte eine kleine Kostprobe darauf sein, was auch unsere jungen Ingenieure eines nicht allzu fernen Tages erwartet. Insofern ist der Alterungsanzug ein Beitrag zum Dialog der Generationen und es bleibt zu wünschen, dass nicht nur Autoingenieure ihn anprobieren. Anschlagskarte, die Die Berliner Firma Tripsbytips hat eine Karte von Berlin ins Netz gestellt, auf der Brandanschläge auf Autos markiert sind. Diese Anschlagskarte findet man auf der Seite www.brennendeautos.de. Sie basiert auf Google Maps, für jeden Standort ist ein pfeilartiges Symbol angebracht. Klickt man auf dieses Symbol, dann erhält man weitere Informationen zum Autotyp und zum Datum des Anschlags. Die Daten, auf der diese Karte basiert, stammen von der Berliner Polizei. Die Autoren dieser Karte bezeichnen dies als ein Spiel bzw. Nebenprodukt ihrer Arbeit mit Google Maps. Man kann nur ahnen, welche Möglichkeiten sich hier für das Geomarketing auftun, wenn man solche Karten auf andere Verbrechen erweitert, z. B. auf Einbrüche. 19 Apothekenbier, das Wird Alkohol nun verschreibungspflichtig? Hoffentlich nicht, aber schon jetzt gibt es das erste Bier in der Apotheke. Noch nicht in ganz Deutschland, aber immerhin im Saarland, das hier als Testmarkt herhalten muss. Dieses Getränk trägt den Namen „Karla“ und wird dem Wellness-Sortiment zugeordnet. Karla wird auch als Gesundheitsbier bezeichnet, wahrscheinlich weil es unter anderem Melisse und Sojaextrakte enthält. Das klingt für mich nicht wirklich lecker. Dieses Bier zu trinken ist wahrscheinlich so gesund wie das Rauchen von Light-Zigaretten. Ich würde gerne einen Selbstversuch machen, aber meine Apothekerin hat mich nur verständnislos angeblickt, als ich danach fragte. Sie führt dieses Getränk nicht und wird das wohl in Zukunft auch nicht tun. Alkohol gibt es bei ihr nur in Form von Franzbranntwein. Prost! <b> Banking / Banker, das / der Der Begriff des Banking (gesprochen „Bänking“) hat sich mittlerweile für elektronische Bankgeschäfte durchgesetzt. Neben der Aussprache macht die Endung „-ing“ deutlich, dass es sich um ein Lehnwort aus dem Englischen handelt. Wahrscheinlich wird dieser Begriff auf die elektronisch abgewickelten privaten Bankgeschäfte, auch als Homebanking oder Online-Banking bezeichnet, beschränkt bleiben. Als Wortbestandteil ist es jedenfalls nicht sehr produktiv. Die Wortwarte verzeichnet noch das Transaktionsbanking und das Assurbanking. Letzteres bezeichnet den Verkauf von Bankprodukten über Agenturen. Diese beiden Begriffe dürften aber nur den Fachleuten bekannt sein. Etwas anders sieht es mit dem Wort Banker aus. Dieser Ausdruck scheint die Begriffe „Bankier“ und „Bankangestellte“ mittlerweile verdrängt zu haben. Auch hier scheint eher die englische Aussprache „Bänker“ in Gebrauch zu sein. Das Wort „Banker“ ist wesentlich stärker an der Wortbildung beteiligt als „Banking“. Dabei können sich Probleme bei der Deutung zusammengesetzter Wörter ergeben. Was ist ein Bundesbanker ? Ein Banker, der für eine föderale Institution arbeitet, z. B. in Deutschland oder Amerika? Oder ein 20 Angestellter der Bundesbank in Frankfurt? Im letzteren Fall müsste das Wort auf gut deutsch „Banker“ ausgesprochen werden, da es eine Ableitung von Bundesbank ist. Bastard-Pop, der Als „Bastard“ wurde bereits im frühen Mittelalter das Kind eines Adligen bezeichnet, das aus einer illegitimen Beziehung stammte und dem deshalb der Stand und der Besitz des Vaters entzogen wurden. Mit diesem Wort wird seit diesen Zeiten aber auch etwas Unechtes oder Vermischtes bezeichnet. Heute kann jeder, adlig oder nicht, musikalische Bastards zeugen. Man mische zusammen, was nicht zusammen gehört - zum Beispiel die Beatles und die Beastie Boys. Das gibt dann die Beastles. Einige sprechen hier schon von einem neuen Musikgenre. Man könnte auch von einem Doppel-Plagiat sprechen oder von Mashup. Nicht auszuschließen ist, dass der Bastard schöner wird als seine Eltern. Bedjumping, das Das Bedjumping gehört zu den eher skurrilen Formen des Zeitvertreibs, dessen Popularität sich vor allem auf die Bildung einer globalen Community über das World Wide Web gründet. Wie das Wort verrät, hüpft man dabei auf der Matratze eines Bettes und filmt sich dabei oder lässt sich filmen. Bedjumping kann man sicher am besten auf dem Hotelbett, als eine Abwechslung bei ansonsten langweiligen Urlauben und Dienstreisen, betreiben. Die Idee kommt aus Kanada, ebenso wie die sehr anschauliche Website www.bedjump.com . Sie brauchen eine möglichst weiche Unterlage, eine Kamera und eine Website, auf der Sie das Ergebnis schließlich veröffentlichen können. Das Ganze funktioniert zur Not auch ohne Kamera - aber bitte das Bett nicht weglassen. Belästigungsmelder, der Eine amerikanische Kinokette hat notorischen Kinosaalstörern den Kampf angesagt. Zuschauer, die sich von Plaudertaschen und Popcornweitwerfern gestört fühlen, können heimlich den Knopf einer Elektropetze betätigen und damit einen echten Sheriff herbeiholen. Der sorgt für Ruhe und Ordnung im Saal. Es soll sich zunächst um einen Test handeln. Große Chancen gebe ich diesem elektronischen Denunziator nicht. Zu groß dürfte die Versuchung 21 sein, das Gerät zu missbrauchen, um für ein bisschen zusätzliche Stimmung im Saal zu sorgen, wenn der Film mal wieder zu langweilig ist. Betty, Eigenname Betty verspricht, einen Traum wahrzumachen. Das Einweg- Berieselungs-Medium Fernsehen soll zum Zweiwegemedium werden und den Dialog mit dem Zuschauer in Echtzeit ermöglichen. Das Medium des Gesprächs zwischen Fernsehen und Zuschauer soll die Fernbedienung sein - und die Fernbedienung der Zukunft hört auf den Namen „Betty“. Wie der Name dieses Teils wirkt auch das Design der Website des Anbieters, als stamme sie aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts (http: / / www.bettytv.de/ de/ betty/ home/ index.php). Das Einzige, was man mit dieser Wunderschalte anfangen kann, ist, sich bei einigen Kommerzkanälen an Gewinnspielen zu beteiligen. Interneterfahrene Zuschauer träumen heute aber anders als die Konsumenten vor vierzig Jahren. Darum, so munkelt man, ist Betty bisher ein echter Flop. Aber, wer weiß, vielleicht entwickelt sie noch ungeahnte Talente, wenn sie in die Pubertät kommt. Blinkerbox, die Der Blinker eines Autos kann, mehr oder weniger virtuos, dazu verwendet werden, anderen Autofahrern etwas mitzuteilen. Meist sind dies unschöne Sachen, die man wahrscheinlich von Angesicht zu Angesicht so nicht äußern würde. Außerdem sind bei nur zwei Blinkleuchten die Möglichkeiten der Artikulation doch eher begrenzt. Aber jetzt gibt es Abhilfe. Der 39-jährige Erfinder Matthias Frey hat eine Blinkerbox entwickelt, mit der so komplexe Aussagen wie „ich finde dich sympathisch“ durch einen Tastendruck abgerufen werden können. Die Blinkerbox setzt das Ganze in Blinkerzeichen um. Wie wäre es mit einem geblinkten „mein Auto hat Standheizung“? Der Neid Ihrer frierenden Staugenossen wäre Ihnen sicher - wenn sie die Botschaft verstünden. Noch gibt es kein allgemein anerkanntes Wörterbuch der Blinkersprache - man würde sich eines wünschen. 22 BodMod, das Piercing, Arschgeweih und andere Tattoos sind die weithin sichtbaren Zeichen einer mehr oder weniger kunstvollen Gestaltung des eigenen Körpers, vor allem seiner äußeren Hülle. Die Botschaft, die mit diesen Zeichen vermittelt wird, ist die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Subkultur. Body Modification - kurz BodMod -, auch Körpertuning genannt, hat das Milieu verräucherter Hafenkneipen und billiger Tattoo-Studios in Bahnhofsnähe verlassen und ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Neben den weithin sichtbaren Formen wie Lippenpiercing wird heute auch zu subtileren und weniger gut sichtbaren Formen des Körpertunings wie z. B. Implantaten gegriffen. Unklar ist, ob auch das in Sportlerkreisen so beliebte Doping ( Eigenblutdoping) zum Körpertuning gehört oder nicht. Bot, der Unter einem Bot versteht man ein Computerprogramm, das weitgehend autonom einfache, klar umgrenzte Routineaufgaben erledigt. Eine typische Aufgabe für einen Bot ist es, regelmäßig den aktuellen Kurs einer Aktie abzufragen und aus diesen Daten auf Wunsch eine Kauf- oder Verkaufsempfehlung abzuleiten. Die Wortwarte besteht unter anderem aus einem Bot, der in der Nacht die Webangebote von bestimmten Zeitungen besucht und von dort Textdateien herunterlädt, damit diese weiterverarbeitet werden können. Auch Rechner, die von Hackern gekapert wurden, können als Bots fungieren. Sie werden zu Botnetzen zusammengeschlossen und für wenig ehrenwerte Aufgaben wie das massenhafte Versenden von Spam-Mails oder Bot-Attacken auf Webserver missbraucht. Bot wird aber auch als Kurzform für Roboter gebraucht. Das Wort Roboter für technische Androiden verdanken wir dem tschechischen Autor Karel apek. Im Gegensatz zu Computerprogrammen können Roboter sich bewegen und mit ihrer dinglichen Umwelt interagieren. An der Universität Freiburg wurde kürzlich eine als InsBot bezeichnete künstliche Schabe entwickelt. Dieser Roboter soll mit anderen Schaben in Kontakt treten und sie so beeinflussen, dass sich diese leichter fangen lassen, was schon ganz gut klappt, wie die Schöpfer dieses Wesens berichten. In Südkorea wurde ein Chairbot genannter 23 Stuhl mit menschenähnlichen Beinen entwickelt. Dieser Stuhl kann von demjenigen, der darauf sitzt, durch einen Joystick kontrolliert werden und trägt ihn in jede beliebige Richtung. Er scheint direkt der Phantasie eines Science-Fiction-Autors aus den 1980er Jahren entsprungen zu sein. Ob dieser Stuhl, den man sich unter http: / / x-caliber.blogspot.com/ 2007/ 06/ get-ready-for-robotchair-chairbot.html ansehen kann, wirklich bequem oder praktisch ist, darf bezweifelt werden. Bundestrojaner, der Unser aller Sicherheit scheint durch terroristische Umtriebe gefährdet. Weil diese heutzutage vor allem über das Internet koordiniert werden, möchte man den Lauschangriff auf den PC ausweiten. Eine Software, die in Informatikerkreisen liebevoll Bundestrojaner genannt wird (das Holzpferd der Griechen lässt grüßen), soll die Festplatten der PCs Verdächtiger ausspähen. Dafür müssen die Trojaner aber erstmal auf den PC dieser vermeintlichen Bösewichter gelangen. Man setzt anscheinend darauf, dass diese so naiv sind, den Trojaner selbst auf den Rechner zu holen. So naiv sind aber heute nur noch Anfänger. Wer wirklich Böses vom Kaliber eines terroristischen Anschlags im Schilde führt und hierfür das Internet nutzt, kennt sich mit moderner Datentechnik, Hackerangriffen u.s.w. sicher bestens aus. Dass eine solche Spähaktion nur uninteressanten Datenmüll naiver Benutzer zu Tage fördert, ist abzusehen. Vielleicht ist ja das eine oder andere illegal heruntergeladene Musikstück darunter. Die ganz großen Dinger werden auch den Hackern und Spähern des Innenministers entgehen. Mittlerweile hat man zugegeben, dass es ohne direkten Zugriff auf den Rechner des potenziellen Terroristen, wobei die Wohnungstür klassisch mit dem Dietrich oder Nachschlüssel geöffnet wird, gar nicht geht. <c> Cobranding, das Cobranding ist die Zusammenarbeit der Eigner etablierter Marken zur gemeinsamen Vermarktung ihrer Produkte. Das Wort „Branding“ ist aus dem Englischen enlehnt und dort von 24 „Brand“ abgeleitet. Wer jetzt an Cowboys denkt, die im Wilden Westen mit dem Brenneisen das Zeichen der Besitzer auf Kuhhäute brannten, liegt damit gar nicht so falsch. „Brand“ bezeichnete ursprünglich die Markierung, die mit dem Brandeisen auf allen möglichen Waren angebracht wurde, um den Eigner der Ware oder auch deren Qualität zu kennzeichnen. Das Cobranding muss man sich wahrscheinlich so vorstellen, dass in der Werbung für Zahnbürsten der Firma X (ich will hier keine Werbung machen) die Zahnpasta der Firma Y empfohlen wird. Das Image der Zahnbürste überträgt sich damit auch auf die Zahnpasta. Community, die Eine Community ist eine Gemeinschaft von Leuten mit gleichen Interessen oder Vorlieben. Nun gibt es allerdings im Deutschen schon gut eingebürgerte Wörter, die ebenfalls Gruppen Gleichgesinnter bezeichnen - etwa „Gemeinde“ und „Szene“. Die Frage ist daher: Brauchen wir das Wort „Community“ überhaupt? Die Antwort auf diese Frage findet man, wenn man ein paar neue Zusammensetzungen mit diesen Wörtern betrachtet. Danach handelt es sich bei einer Community um eine Gruppe, die sich hauptsächlich im virtuellen Raum des World Wide Web ( Onlinecommunity ) und über gemeinsame Interessen vor allem im Freizeitbereich konstituiert ( Fotocommunity, Spielecommunity, Autorencommunity ). Bei der Gemeinde handelt es sich eher um eine Gruppe, die sich über ihren Glauben oder über ihre gemeinsame Anhängerschaft vor allem im Bereich des Sports definiert ( Fußballgemeinde, Dartgemeinde ). Die Szene wiederum verfügt über ein Wissen oder Können, das nicht jedem zugänglich ist ( Heilpraktikerszene ). Die Antwort auf unsere eingangs gestellte Frage lautet also: Das Wort Community trägt zum Sprachausbau bei, indem es neben andere Wörter tritt, die Gruppen bezeichnen. Es hat eine ähnliche, aber eben nicht die gleiche Bedeutung wie „Gemeinde“ oder „Szene“ und wird diese Wörter nicht verdrängen, sondern sie in sinnvoller Weise ergänzen. 25 Crowdsourcing, das Das Wort „Crowdsourcing“ wurde in Analogie zu „Outsourcing“ gebildet. Mit Letzterem wird die Verlagerung von Entwicklungs- und Produktionsprozessen nach außen, nach den Maßgaben der Kostenminimierung für die Herstellung eines Produktes, bezeichnet. Beim Crowdsourcing nun werden Aufgaben nicht an andere Unternehmen, sondern an die Masse der Konsumenten delegiert. Wenn man etwa nach Installation eines neuen Betriebssystems auf dem Rechner und ersten Schritten den ersten Fehlerbericht verschickt; wenn auf den Fotos vom Megaevent, die man ins Netz stellt, auch Werbung für Coca-Cola gemacht wird, weil man die Bandenwerbung nicht rausretuschieren kann; wenn man durch kritische Beiträge in Diskussionsforen das Image einer Marke mitgestaltet - dann wird man eher unfreiwillig zum Mitspieler im großen Spiel des Crowdsourcing. Man wird indirekt zum Mitarbeiter eines multimedialen Konzerns, einer Werbeagentur oder beteiligt sich an einer PR-Kampagne. Natürlich wird man für diese Mitarbeit nicht bezahlt. Ob sich das eines Tages ändern wird, das hängt von uns allen ab. <d> Debranding, das Einige technische Produkte kommen mit markentypischen Voreinstellungen daher, die vom Hersteller oder Vertreiber des Produkts, nicht aber vom Konsumenten erwünscht sind. Der harmloseste und am weitesten verbreitete Fall ist, dass ein Computer mit einem voreingestellten Betriebssystem ausgeliefert wird. Die meisten Benutzer werden damit zufrieden sein, sie sind aber auch an dieses Betriebssystem gebunden. Tückischer sind Handys, bei denen die Rufnummern bestimmter, mit den Herstellern verbandelter Telekommunikationsdienste voreingestellt sind. Diese Dienste sind durch einen Knopfdruck erreichbar, andere, konkurrierende Dienste nicht. Die Wahlfreiheit der Benutzers wird dadurch auf subtile Weise eingeschränkt. Als „Debranding“ wird die aktive Veränderung dieser Voreinstellung bezeichnet. Deshalb ist es ein Teil des mündigen Umgangs mit den technischen Produkten, die uns gebrandet erreichen, diese zu debranden . 26 deukisch, Adjektiv Dieses Wort ist eine originelle Mischung aus „deutsch“ und „türkisch“ - Sprachwissenschaftler sagen Kontamination dazu. Bereits in der Form des Wortes wird die Verschmelzung beider Kulturen deutlich. Die Erfinderinnen dieses Wortes sind bekannt, was bei neuen Wörtern selten ist: Aylin Selcuk und Lamia Özal. Die beiden in Berlin lebenden Türkinnen benennen damit eine Identität zwischen, oder besser: in beiden Ländern und Kulturen. Das Wort ist ein Bekenntnis zur Integration und als solches verdient es weite Verbreitung. Downhill, das Es geht bergab. Nein, die Rede ist nicht von unserer Wirtschaft oder Sprache, sondern von Fahrrädern oder auch Skateboards. Downhill gehört zu den Trendsportarten. Man benötigt ein speziell getuntes Fahrrad oder Skateboard, einen gestählten Körper, höchste Konzentration und eiserne Nerven, wenn man diesen Sport betreiben möchte. Es gilt, die Balance zu wahren zwischen höchstmöglicher Geschwindigkeit und dem finalen Sturz, zu dem es natürlich nicht kommen soll. Ein bisschen ähnelt dieser Sport dem Skifahren ohne Schnee. Spätestens bei der Tour de France geht es dann aber wieder bergauf. <e> e-,E-, Wortbildungselement Das „e“ oder „E“ steht als Kurzwort für elektronisch . Es wird an den nächsten Teil eines Begriffs meist durch einen Bindestrich angeschlossen, so wie bei E-Mail . Dies entspricht der normgerechten Schreibweise. Auffälliger ist es allemal, dem kleinen „e“ ohne zwischengeschalteten Bindestrich den Großbuchstaben des angehängten Wortteils folgen zu lassen. Dies ist der Fall bei eLearning . So die „offizielle“ Schreibweise des Wortes in Dokumenten der EU. Die gemischte Groß- und Kleinschreibung hat sich aber auch bei einer Reihe anderer Wörter durchgesetzt: eBook oder eBuch, eBanking, eBürgerdienst und eWirt. Mit letzterem wird ein Webdienst bezeichnet, der unter www.ewirt.de erreichbar ist und über den man Restaurants finden und Platzreservierungen durchführen 27 kann. Das dürfte ganz nach dem Geschmack des gestressten Managers sein, der jeden Tag sein eBier oder auch echtes Bier in einer anderen Stadt trinken möchte. Schlimmstenfalls muss unser Manager sich an der Minibar im Hotelzimmer verlustieren. Aber bitte ohne zu schummeln. Für die Kontrolle sorgt E-Fridge. Dieser elektronische Minibar-Beobachter schreibt ein Getränk auf die Hotelrechnung, wenn die Flasche mehr als 30 Sekunden nicht am Platz steht. Ein weiteres Wunderwerk effizienter Datenverarbeitung. Eduventure, das Der Wortanfang Eduwurde dem englischen Wort „education“ entrissen und steht nun für Bildung oder Ausbildung. Er wird mit anderen, meist ebenfalls aus dem Englischen entlehnten Wortteilen und Wörtern verbunden. Man kennt das Edutainment , eine spielerische oder unterhaltende Form der Wissensvermittlung. Unter der neuen Wortschöpfung Eduventure , bei der „education“ und „adventure“ kombiniert werden, versteht man Forschung und Entwicklung von Lernmaterialien, bei denen Wissensinhalte über die Form des Abenteuerspiels transportiert und vermittelt werden. An der Universität Koblenz-Landau zum Beispiel werden Eduventure-Rollenspiele zur Aneignung von Geschichts- und Kulturwissen konzipiert und erprobt. Nicht alle Wissensinhalte eignen sich als Thema von Abenteuerspielen, aber wo sich dies anbietet, tun sich faszinierende Möglichkeiten für spannendes und motivierendes Lernen auf. Ehrensenf, Eigenname Bei Ehrensenf handelt es sich nicht um eine kulinarische Spezialität für Prominente. Dieses Wort entstand durch eine äußerst seltene und exotische Art der Wortbildung. Die Buchstaben des Ursprungswortes „Fernsehen“ wurden neu zusammengesetzt. Dieses aus einigen Buchstabenrätseln bekannte Wortspiel führt zu einem geheimnisvoll klingenden Namen. Ehrensenf ist eine TV-Sendung, die ausschließlich im Internet verbreitet wird (www.ehrensenf.de). Von Mai 2006 bis zum Juni 2007 kommentierte die Moderatorin und Alleinunterhalterin Katrin Bauerfeind aus dem Schwabenland, das ja für seine humorige Bevölkerung 28 bekannt ist, Skurrilitäten aus dem Internet. Bauerfeind ist nunmehr von den virtuellen in die realen Medien aufgestiegen und wird dort die Sendung „Polylux“ moderieren. Ehrensenf ist ein avancierter Vertreter des Video-Blogs ( Vlog). Eigenblutdoping, das Das Doping ist in letzter Zeit zu einem beherrschenden Thema vor allem im Radsport geworden. Das Zuführen von körperfremden Stoffen zum Zwecke der Leistungssteigerung ist sicher eine verwerfliche Sache, weil sie über kurz oder lang dem Körper schadet. Was ist aber mit dem Zuführen von Stoffen, die der Körper selbst produziert hat? So wird z. B. Blut abgezapft und vom Körper in ausreichendem Maße nachproduziert. Vor dem Wettkampf genehmigt man sich eine zusätzliche Portion dieser Flüssigkeit. Das regt den Stoffwechsel an. Hier handelt es sich um eine Grauzone des Körpertunings ( BodMod) - es sei denn, man findet alle Wege zur Leistungssteigerung außer hartem Training verwerflich. Unfair ist es sicher, wenn gedopte und ungedopte Sportler an den gleichen Wettkämpfen teilnehmen. Vielleicht sollte man über Wettkämpfe für gedopte Sportler nachdenken, eine Art „Dopolympiade“. Elite-Kita, die Leben und Karriere unserer Sprösslinge entscheiden sich bekanntlich in den ersten Lebensjahren. Da kann es schon entscheidend sein, ob man, wenn man schon nicht zu Hause vom eigenen Kindermädchen umsorgt wird, sich mit Kindern mit Migrationshintergrund oder wenigstens mit seinesgleichen abgeben muss. Ein solcher Umgang wird die Kinder weltoffener und toleranter machen. Was genau aber das Elitäre an der Elite-Kita ist, wissen wahrscheinlich nur die, die eine solche Einrichtung betreiben. Elite ist jedenfalls wieder in und macht sich auch als Label für einen ordinären Kindergarten gut. Ich wäre jedenfalls lieber daheim geblieben damals und hätte mein eigenes Kindermädchen gequält - gut, dass es nicht soweit gekommen ist. 29 -esk, Wortbildungselement Diese Nachsilbe wird bevorzugt an Personennamen angehängt. Das so gebildete Wort bezeichnet etwas Charakteristisches und nicht immer positiv Bewertetes einer Person oder Situation. All diese Bildungen wird man als Analogien zu „kafkaesk“ betrachten können. Das Wort „kafkaesk“ wird für Situationen verwendet, die derart sind, dass sie die Vorlage für eine von Franz Kafkas Erzählungen hätten bilden können. Wenn man regelmäßig die Nachrichten verfolgt, kann man sich denken, welches Verhalten trappatoniesk ist und welches lafontainesk . Bei tarantinoesk wird es schon schwieriger, selbst für Mitglieder der Community. In einem Forum zu Tarantino äußert sich ein Filmfan jedenfalls so: „... aber tarantinoesk ist so ein Adjektiv, das sich, glaube ich, mittlerweile etwas von seinem Namensgeber entfernt hat. Eigentlich weiß niemand so recht, was damit gemeint ist (am wenigsten Tarantino selbst); man weiß halt nur, dass es etwas mit Pulp Fiction und Coolness und coolen Dialogen zu tun hat.“ Es ist eine Eigenart „esk“-er Wörter, das Gemeinte in der Schwebe zu lassen und einen weiten Deutungsspielraum zu schaffen. Es besteht deshalb die Gefahr des Missverständnisses, nämlich immer dann, wenn nicht klar ist, was das Charakteristische ist, auf das Bezug genommen wird. Eye-Gazing-Party, die Singles auf Partnersuche, das ist ein boomender Markt und damit ein einträgliches Geschäft. Wie bringt man Gruppen von Partnersuchenden unterschiedlichen oder auch gleichen Geschlechts zusammen, auf dass sich die Richtigen finden? Für Leute mit viel Zeit bietet sich die Kontaktanzeige an, mit sich anschließendem Kennenlernen. Oder das Koch-Dating , bei dem reihum ein Gastgeber sechs ihm bis dahin unbekannte Gäste bekocht - Liebe geht durch den Magen. Für Eiligere haben findige Leute das Speed- Dating erfunden, da reicht es gerade mal zum Sich-Vorstellen, bevor die Partner gewechselt werden. Ein Problem jedoch bleibt auch hier: Was teile ich meinem Gegenüber in der knapp bemessenen Zeit mit? Dieses Problem löst nun die Eye-Gazing-Party auf ihre Weise. Dort wird nur getanzt, und es werden mehr oder 30 weniger tiefe Blicke ausgetauscht. Können diese Augen lügen? Wahrscheinlich nicht, aber weiß ich, was sie mir sagen wollen? <f> -finder, Wortbildungselement Dieses Wortbildungselement bezeichnet etwas, das uns beim Suchen hilft. In der virtuellen Welt ist dies ein Dienst, etwa eine spezialisierte Suchmaschine, die uns die Recherche bestimmter Informationen in den unendlichen Weiten des Internets erleichtert. Der Preisfinder ermittelt hoffentlich den günstigsten Preis für eine Ware, der Restaurantfinder führt uns zu den Gaststätten in einer bestimmten Gegend. Der Ausdruck -finder stellt dabei optimistisch das Ziel der Suche in den Vordergrund. Ob das den Tatsachen entspricht, das muss jeder Benutzer selbst heraus finden . Mit dem Wort „Finder“ werden aber auch Geräte bezeichnet, die etwas Gesuchtes orten können. Der Lärmfinder spürt Lärmquellen auf und der Schlüsselfinder die zum x-ten Mal verlegten Schlüssel. Neuerdings gibt es auch den Kidsfinder , mit dem man seinen Nachwuchs orten können soll, der sich ja oftmals selbst verlegt. Bedingung für das erfolgreiche Finden der Kinder ist aber, dass man auf derselben Wellenlänge liegt, und da fangen die Probleme an, die auch kein Finder für uns lösen kann. Flachvater, der Ich komme nun zu einem ernsten Thema. Das Wort „Flachvater“ bezeichnet nicht einen geistig eher bescheiden ausgestatteten Familienmenschen. Der Flachvater soll eine Folge der Kriege kompensieren, in die auch wir Deutsche inzwischen wieder immer öfter hineingezogen werden. Papa ist Soldat und eines Tages nicht mehr da, weil er in einem dieser Kriege kämpfen oder helfen muss, vielleicht für lange Zeit. In den USA hat man einen Ersatz für das fehlende Familienmitglied gefunden. „Flat Daddy“ (oder auch „Flat Mommy“) heißt dort der Behelf, bei dem Fotos der oberen Hälfte der Eltern oder Ehepartner in Lebensgröße auf Schaumstoff geprägt werden. Das Ganze kann man, wenn man US-Bürger ist, bei der Nationalgarde bestellen, für nicht mehr als 2 Dollar Eigenbeitrag, inklusive Schulung im Umgang mit diesem 31 stummen Gesellen. Je nach außenpolitischem Kurs unserer Regierung wird es den Flachvater vielleicht ja auch bald bei der Bundeswehr geben. Ich bekenne mich allerdings vorbehaltlos zu einem Dasein in Dreidimensionalität. Fladding, das Haben Sie auch Angst vor Spinnen? Sie waren beim Therapeuten, der Ihnen eine vorsichtige Annäherung an das Objekt Ihres Ekels empfohlen hat? Ihr Therapeut hatte gerade keine Sammlung von Spinnen zur Hand, mit der er Ihnen hätte helfen können? Kein Problem, jetzt gibt es Fladding. Virtuelle Realität und ein Datenhelm machen es möglich, dass Sie sich jetzt ganz allmählich an eine Welt voller Spinnen gewöhnen können. Flugangst besiegt man ja auch am besten im Simulator, da kann man jederzeit aussteigen, beim echten Flugzeug leider nicht. Also, wenn Ihnen das haarige achtbeinige Biest mal zu nahe kommt: Helm ab! Flatrate, die „Wird die Flatrate den Pauschalpreis verdrängen? “, fragen sich besorgte Sprecher. Die Antwort kann hier gegeben werden, wenn man sich die Zusammensetzungen ansieht, die mit den Wortbildungselementen Flatrate- und Pauschalentstanden sind. Von Flatrate war bisher nur die Rede im Zusammenhang mit Tarifen, vor allem im Bereich der Telekommunikation. Vor kurzem ging das Wort Flatrateparty durch die Presse. Auf einer Flatrateparty kann man für einen Festpreis so viel trinken, wie man möchte - was zum Flatratesaufen animiert. Von Pauschalist auch im Hinblick auf Tarife die Rede, insofern gibt es hier eine Konkurrenz zwischen den beiden Wortbildungselementen. Pauschalwird aber immer noch häufiger mit Bezug auf Reisen gebraucht. Hier ist wohl All-inclusive der große Konkurrent, und es ist offen, was sich letztlich im Sprachgebrauch durchsetzen wird. Flatrateparty / Flatratesaufen, die / das Spätestens seit ein 16-jähriger nach angeblich 50 Tequilas ins Saufkoma fiel und einige Tage später starb, ist das Flatratesaufen, auch Komasaufen genannt, in Verruf geraten. Das „drink-asmuch-as-you-can“ erfordert Selbstdisziplin, ansonsten bleiben eine Menge Gehirnzellen auf der Strecke. Im Extremfall können 32 Flatratepartys also tödlich enden, und so sind sie wohl, wie schon die Alcopops, in das Blickfeld der Politik geraten. Einige Kommunen planen, diese Art der Verköstigung zu verbieten. Aber keine politische Maßnahme kann den Menschen vor sich selbst schützen, und wer sich selbst umbringen möchte, der wird immer einen Weg finden. Politischer Aktionismus wird am generellen Zustand einer Jugend, deren Perspektiven nur bis zum nächsten Besäufnis reichen, nichts ändern. -fon, -fonie, Wortbildungselemente Früher war es einfach mit dem Telefonieren. Man sprach in die Muschel, die Geräusche wurden kodiert, zum gewünschten Empfänger transportiert und vor dessen Ohren wieder in Sprachsignale übersetzt. Die heutige Welt der Telekommunikation ist wesentlich komplizierter. Über die entsprechenden Geräte können nicht mehr nur Sprachsignale, sondern Textdaten, Fotos und bewegte Bilder transportiert werden. Dadurch differenziert sich der Vorgang aus in die klassische Sprachtelefonie, die Bildtelefonie und die Videotelefonie. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Anbietern dieser Dienste. Nur wenige haben es dabei in den deutschen Wortschatz geschafft, wie der Kaffeeröster Tchibo, der das Tchibofonieren populär machte. Schließlich muss man noch verschiedene Wege der Telekommunikation unterscheiden. Das traditionelle Telekommunikationsnetz hat vom Internet Konkurrenz erhalten, denn auch Sprachdaten sind Daten, und für deren Übertragung ist das Internet bestens geeignet. So hat der Übertragungsweg „Voice over IP“ als voipen Eingang in die Sprache der Telekommunikation gefunden, und die diesen Übertragungsweg nutzende Software der Firma Skype hat das Skypen bekannt gemacht. Es gibt viele Wege, über große Distanzen hinweg miteinander zu reden oder auch nur Daten auszutauschen - ob sie zum Ziel führen, das hängt letztendlich von den Beteiligten und ihren Absichten ab. 33 Freegan, der Das Wort Freegan, das wie die so bezeichnete Gruppierung aus den USA stammt, setzt sich aus „Free“ (frei) und „Vegan“ (Veganer) zusammen. Die Freegan-Bewegung sorgt in vielen Städten der USA und vielleicht bald auch bei uns für Gesprächsstoff. Die Ideologie und Praxis der Freeganer ist der komplette Verzicht auf Konsum. Viele Freeganer ernähren sich von Lebensmittelresten in Mülltonnen und nennen sich „dumpster divers“ (Mülltonnentaucher). Initiator der Bewegung ist Adam Weissman, Tierschützer und Anti-Kapitalist aus Hackensack in New Jersey. Eine Website haben die Freeganer auch (www.freegan.info), der Verzicht erstreckt sich also nicht auf das World Wide Web. <g> Ganzkörperlifting, das Wenn man zu dick ist, dann sollte man abnehmen. Das steigert nicht nur das eigene Wohlbefinden, es wird auch von der Umwelt positiv aufgenommen und die Krankenkassen freuen sich ob des gesunkenen Krankheitsrisikos. Wenn man sehr viel abnimmt, sagen wir so um die 100 Kilogramm, dann kann es aber passieren, dass einem das eigene Hautkleid nicht mehr passt. Es wirft Falten. Was bei textilen Kleidern durchaus gewollt ist, sieht bei der Haut nicht so gut aus, denken viele Extremabnehmer. Sie suchen eine Lösung beim Ganzkörperlifting. Dabei wird versucht, die Haut der neuen Form des Körpers anzupassen. Man sollte nun möglichst nicht wieder zunehmen ( BodMod). -gate, Wortbildungselement Diese Wortendung ist eigentlich gar keine, sondern das Ergebnis einer Analogiebildung. Quelle dafür ist das Wort „Watergate“, ein Lehnwort aus dem Englischen. Eigentlich heißt so ein Washingtoner Hotel, dessen Name zum Symbol für den größten politischen Skandal in der Geschichte der USA wurde. Durch Analogiebildung wurde nun der Bestandteil -gate mit der Bedeutung ( POLITISCHER ) S KANDAL in vielen weiteren Zusammensetzungen verwendet. Deren Erstglied steuert den Gegenstand des 34 neuen politischen Skandals bei. In letzter Zeit wurde über die folgenden „gates“ berichtet: Teletubbiegate , die Affäre um die Entfernung der angeblich homosexuellen Teletubbies aus dem polnischen Fernsehprogramm; Spygate , die absichtliche Enttarnung einer Spionin durch einen hohen Regierungsangestellten in den USA; Isargate , die politischen Kämpfe um die Nachfolge Stoibers in der Münchner Staatskanzlei. Die Bildung neuer Wörter nach diesem Muster ist so sicher wie die Prognose, dass es auch in Zukunft politische Skandale geben wird. Geomarketing, das Bei dieser Form des Marketings spielen die räumlichen Strukturen und die Verteilung der potenziellen Kunden in diesen Arealen eine entscheidende Rolle. Städte werden je nach Konsumverhalten und Schuldenstand in attraktive Werbezonen und Verliererviertel aufgeteilt. Die Grundlage hierfür sind geografische und personenbezogene Daten. Wenn man diese Daten zusammenführt, was zunehmend geschieht, dann kann man stadtviertelgenau planen, wo ein neuer Billigladen ( Harddiscounter) einziehen sollte und wo die Edelboutique. In immer feinerem Raster werden die Gewinnervon den Verliererbezirken getrennt, und es erfordert eine stetige Aufmerksamkeit und hohe Mobilität, um immer dort zu sein, wo die Gewinner leben. Geräuschoptimierung, die Die meisten technischen Geräte machen Geräusche, wenn man sie betreibt. Meistens stören diese, sie können aber auch Botschaften vermitteln. Welcher stolze Besitzer eines Oberklassewagens hört nicht gern das satte, aber nicht zu laute Klatschen der Wagentür, wenn er sie ins Schloss fallen lässt. Das Sirren der Düsentriebwerke eines Flugzeugs belebt die frohe Urlaubserwartung, beim Ploppen des Henkelverschlusses an der Bierflasche wirft der erfahrene Biertrinker schon mal die Stoffwechselmaschine an. Wen wundert es da, dass es Ingenieurbüros gibt, die die unvermeidbaren Geräusche so optimieren, dass sie zum Image des Produkts passen. Hierfür werden die verantwortlichen Bauteile bzw. Komponenten wie Kompressoren, Ventilatoren oder Motoren im Akustiklabor vermessen und auf störende Geräusche hin analy- 35 siert. Nach dieser Geräuschanalyse erarbeitet man Optimierungsvorschläge, die das Image des geräuschverursachenden Produkts und unsere akustische Wahrnehmung in Betracht ziehen. Damit Sie sich auch in Zukunft am Wohlklang Ihrer Limousine oder Bierflasche erfreuen können. Geschmackspartner, der Ein Ziel der sogenannten sozialen oder auch Communitybildenden Websites ist es, Mitglieder mit ähnlichen Interessen zusammenzubringen. Vielleicht haben Sie auch schon mal bei Amazon ein Buch gesucht und zusätzlich Bücher präsentiert bekommen, für die sich diejenigen interessierten, die sich das von ihnen gesuchte Buch ebenfalls angesehen haben? Diese Erkenntnis basiert auf der umfassenden Auswertung der Suchdaten ( Klick) aller Amazon-Kunden. Andere Seiten wie LastFM.com gehen weiter. Auf dieser Seite meldet man sich an und kann seinen cineastischen Geschmack preisgeben, indem man Filme bewertet. Entspricht das Geschmacksprofil, das nach dem dreißigsten bewerteten Film erstellt wird, dem Profil eines anderen Benutzers, dann wird man auf diesen als möglichen Geschmackspartner hingewiesen. Hier wird nach dem Sprichwort „Gleich und gleich gesellt sich gern“ verfahren. Ich würde gern mal eine Community-Plattform kennenlernen, auf der „Gegensätze ziehen sich an“ das Motto ist. Das fände ich spannender. Gewinnwarnung, die Gewinnwarnungen kennt man von der Börse, und da sind sie leider auch nichts Neues. Wenn mal wieder ein Ober-Dax kleinlaut verkündet, dass die Gewinne vermutlich geringer ausfallen als erhofft, dann ist Vorsicht geboten beim Handel mit seinen Aktien. Eine weitere, neuere Art der Gewinnwarnung möchte ich hier dem geneigten Leser mit auf den Weg geben. Es geht um dubiose Preisausschreiben oder unaufgefordert zugeschickte sogenannte Gewinne wie Traumreisen in den sonnigen Süden. Die Nebenkosten sind hier meist höher als die gesamte Tour, hätte man sie nur im Reisebüro oder Internet gebucht. Ich kann Ihnen nur empfehlen, es in diesem Fall beim Träumen zu belassen. Da stimmt wenigstens das Preis-Leistungs-Verhältnis. 36 gruscheln, Verb Gegruschelt wird auf der Website StudiVZ und nur dort. Diese Website gehört zu den sozialen Diensten im Web, die Leute mit gemeinsamen Interessen zusammenführt, in diesem Fall Studenten - ehemalige Studenten und Dozenten dürfen aber auch mitmachen. Wenn man auf dieser Seite Kontakt mit jemandem aufnimmt, dann wird der- oder diejenige gegruschelt. Eigentlich passiert beim Gruscheln gar nichts, so sagt man. Was die Phantasie anregt, ist das Wort, das wohl eine Zusammenziehung aus den Wörtern „grüßen“ und „kuscheln“ ist. Eine leichte sexuelle Komponente schwingt also mit. Immerhin bin ich bereits bei zwei Vorträgen zur Wortwarte von Studenten angesprochen worden, ob ich auch dieses Wort schon hätte. Schon deshalb gehört es hierher. Wer erleben möchte, was beim Gruscheln alles passieren kann, möge sich bei StudiVZ anmelden und es selbst ausprobieren. Ich fürchte, ich selbst bin zu alt dafür. Gullyversum, das Die Sammelleidenschaft kann sich auf viele Dinge beziehen. Meist sind dies leichte und handliche Dinge wie zum Beispiel Briefmarken, Streichholzschächtelchen oder Wörter. Bei Gullydeckeln ist alles anders. Diese sind ein typisches Beispiel für ein schweres und unbewegliches Objekt und es würde schnell auffallen, wenn sie nicht mehr an Ort und Stelle wären. Und doch eignen sie sich durch ihre Aufdrucke in individueller Gestaltung dazu, gesammelt zu werden. Gullydeckel passen allerdings in kein Album. Deshalb macht man Fotos von ihnen, um zu beweisen, dass man dort gewesen ist. Wenn genug Fotos zusammenkommen, wie auf der Website von Hans-Georg Pfister (http: / / www.gulliversum.de), dann wird daraus das Gullyversum. Mit dem Wortteil -versum wird ein allumfassender Anspruch ausgedrückt, wie im Wort „Universum“, das hierfür als Muster diente. Es geht also um nicht weniger als um alle Gullydeckel der Welt. 37 <h> Harddiscounter, der Die Steigerung von Discounter ist Harddiscounter. Während sich Discounter durch ein kleines Warenangebot auf kleinem Raum und geringen Service auszeichnen, tun dies Harddiscounter durch ein sehr kleines Warenangebot auf sehr kleinem Raum. Auf Service wird konsequenterweise ganz verzichtet. Ein typischer Harddiscounter ist Lidl. Es ist vor allem hart, für einen solchen Arbeitgeber zu arbeiten, wie man hört. Hooligandamm, Eigenname Hooligandamm ist ein angesichts der harten Tage des G8-Gipfels von Heiligendamm geprägtes, durch die Klangähnlichkeit motiviertes Wortspiel, das auf jeden Fall der Mehrheit der friedlichen Demonstranten unrecht tut. Aber die friedliche Mehrheit fällt halt nicht auf und ist auch selten für originelle Wortschöpfungen gut. <i> i-, Wortbildungselement Bei immer mehr Produkten steht ein „i“ vor dem Namen. Woher kommt dieses „i“? Die ersten „i“-Wörter kamen aus Japan. iMode bezeichnet einen dort populären Datendienst für mobile Endgeräte. Im Japanischen gibt es zahlreiche Wörter, die als „i“ (im Deutschen: „ai“) ausgesprochen werden, darunter das Wort für Liebe. Vielleicht hat das dazu beigetragen, dass dieses i- Tüpfelchen vor dem Wort erst in den USA, dann bei uns populär wurde. Vor allem die Computer- und Unterhaltungsindustrie setzt auf das „i“. Im Reich der Firma Apple entstand zunächst ein tragbares Musikabspielgerät mit dem Namen iPod. Apple kümmerte sich auch um die Inhalte, nämlich um die Musikkonserven, die auf diesen Geräten abgespielt werden wollen. Diese vertreibt man jetzt unter dem Namen iTunes. Auf Hardwareseite wird seit kurzem ein Handy mit dem Namen iPhone vertrieben. Für den iPod gibt es außerdem eine Reihe neckischer Zusätze, teils von Apple selbst, teils von findigen Geschäftsleuten entwickelt ( 38 iVibrator). Angesichts des Erfolges all dieser Produkte spricht man heute bewundernd vom iWunder oder auch verächtlich von iKapitalismus . Mittlerweile werden auch Produkte nach diesem Muster benannt, die mit dem Charme der Spielzeuge von Apple aber auch gar nichts zu tun haben, wie die Geldverwaltungssoftware iCash . Das „i“ passt aber sicher auch hier. Es geht um die Liebe zum Geld, und die währt ewig. -ical, Wortbildungselement Musicals haben eine lange Tradition. Bereits im Namen klingen die großen Zeiten des Broadway an. Das Musical verbindet schauspielerische Darbietung, nicht immer von hoher Qualität, mit Gesang und Musik. Sprachlich verbinden sich hier das englische Wort „music“ und die Nachsilbe „-al“ zu etwas, was dem deutschen Wort „musikalisch“ ähnelt. Die Bedeutungen sind freilich verschieden. Jedenfalls hat sich das -ical irgendwann selbstständig gemacht und steht nun allein für eine schauspielerisch-musikalische Darbietung. Es verbindet sich mit Wörtern oder Wortteilen, die etwas über den Inhalt dieser Vorstellung aussagen. Die musikalische Aufbereitung der Kinowelt Hollywoods wird unter dem Namen Movical angepriesen, Leben und Kampf zweier Diven als Operettical . Eine Inszenierung des Wilhelm-Tell-Stoffes schrumpft zum Armbrustical und eine besonders schlechte Darbietung nennt man Trashical . -isierung, Wortbildungselement Wörter, die mit dieser Endung daherkommen, bezeichnen oft nichts Gutes. Es geht um eine Veränderung, aber um eine, die von dem, der das Wort benutzt, äußerst skeptisch oder negativ gesehen wird. Bei einigen dieser Wörter wird die Art der Veränderung durch einen prominenten Namen bezeichnet. So ist den meisten Medienkonsumenten sicher klar, wer und was gemeint ist, wenn man von der Bohlenisierung der deutschen Sprache spricht. Der Fußballfan verfolgt mit Schaudern die Blatterisierung der FIFA, der Musikfan mit Geschmack die immer stärkere Karlmoikisierung der Musikszene. Auch kritisch bewertete Ereignisse müssen für diese sprachlichen Trendskizzen herhalten, wenn etwa von der Biennalisierung der Kunst, der Godesbergisierung der 39 Politik, der Schariarisierung des deutschen Rechts oder der Irakisierung von Ländern wie Afghanistan die Rede ist. Das Reizvolle an diesen Bildungen ist, dass sie vieles im Vagen lassen. Die genaue Bedeutung des Trends ist unklar, und wer ein solches Wort hört oder benutzt, kann alle seine Abneigungen und Befürchtungen dort hineinlegen oder wiederfinden. iVibrator, der Ich habe an anderer Stelle ( i-) bereits einige iGeräte vorgestellt. Das neueste Gerät scheint mir aber einen eigenen Artikel wert. Es handelt sich, wie der Name schon sagt, um einen Vibrator. Dieser setzt die Töne des iPod in Vibrationen um, die man durch andere Körperorgane empfangen und hoffentlich genießen kann. Zweifellos ist dieses Gerät ein weiterer Schritt in Richtung des multimodalen, gesamtkörperlichen Musikgenusses, auch wenn dieses Erlebnis einem Teil der Bevölkerung nicht nur aus finanziellen Gründen verwehrt bleiben wird. Sollte Ihre Sitznachbarin in der U-Bahn merkwürdige Geräusche machen, die an eine berühmte Filmszene aus „Harry und Sally“ erinnern, dann schauen Sie doch mal unauffällig, ob sie verdrahtet ist, und, wenn ja, wo die Drähte überall hinführen. Denn eine drahtlose Signalübertragung ist hier nicht möglich. Und wenn Sie jetzt beim Lesen Lust bekommen haben auf mehr, dann schauen Sie sich doch mal auf der Website http: / / www.ohmibod.com/ nach diesem neckischen iPod- AcSEXoire um. <k> Kid / Kind, das Am Wortpaar „Kind / Kid“ artikulieren sich oft die Sorgen der Hüter und Pfleger der deutschen Sprache, dass das Deutsche durch das Englische bedroht ist. Wird das Wort „Kid“ das schöne deutsche Wort „Kind“ verdrängen und ersetzen, da beide doch das Gleiche meinen? Bereits die Annahme, dass beide das Gleiche bedeuten bzw. dass sie gleich verwendet werden, scheint mir falsch zu sein. Weder im Englischen, wo es neben „kid“ noch „child“ gibt, noch im Deutschen bedeuten die Wörter exakt dasselbe. Dass dies so ist und wo die Unterschiede liegen, sieht man, 40 wenn man einen Blick auf die Zusammensetzungen wirft, die mit „Kind“ bzw. „Kid“ als Grundwort gebildet werden. Unter den neuen Wörtern, die ich seit dem Jahr 2000 erfasst habe, befinden sich knapp 30 mit „Kid“ als Grundwort. Dies sind zum einen Wörter, mit denen Kinder und Jugendliche bezeichnet werden, die durch unangenehme Eigenschaften auffallen: Chaoskid, Klaukid, Trashkid . Zum anderen sind dies Kinder, die über ihre Herkunft oder Gruppe identifiziert werden oder sich selbst identifizieren: Kleinstadtkid, Kapstadtkid, Punkkid . Dem stehen etwa 400 Wörter mit „Kind“ als Grundwort gegenüber. Diese Wörter sind durchweg stilistisch neutral und bezeichnen Kinder in allgemeiner, neutraler Weise. Es gibt natürlich Überschneidungen. So wird das durch die Fussball-WM 2006 bekannt gewordene Einlaufkind gelegentlich auch Einlaufkid genannt. Wie man aber sehen kann, ist in der deutschen Sprache durchaus für beide Wörter Platz. Klick, der „Klick“ ist ein lautmalerisches Wort. Es ist durch Umformung - Sprachwissenschaftler sprechen hier von Rückbildung - aus dem Verb „klicken“ entstanden. Man hört das kurze knackende Geräusch der Maustaste, die man drücken muss, damit der Computer etwas macht. Typischerweise löst der Klick, wenn man sich auf einer Webseite befindet, den Sprung auf eine andere Webseite aus. Dieser Wechsel ist das Objekt der Begierde beim Marketing. Die Frage lautet: Wie bekomme ich den potenziellen Kunden auf meine Webseite, und, wenn er da ist, was macht er da eigentlich? Ersteres wird durch das Anlegen von Verknüpfungen, die von anderen Webseiten auf die eigene Webpräsenz führen, erreicht. Ob dies erfolgreich war, ist einfach zu erkennen: man braucht nur zu messen, von wo der Benutzer sich auf die eigene Seite durchgeklickt hat. Das Durchklicken bringt Geld für die Besitzer der Webseiten, von denen aus der Benutzer auf die Zielseite gelangt. Dies lädt ein zum Klickbetrug : Der Weg zur Zielseite wird durch ein Programm angesteuert, das den Klick eines echten Benutzers nur simuliert. Das bringt leicht verdientes Geld für den Besitzer der Ausgangsseite. Hat sich aber ein echter Kunde auf die eigene Website verirrt, dann kann man über den Klickpfad 41 („Clickstream“) dessen Weg auf der Website verfolgen. So bekommt man heraus, welche Seiten einer Website nur schlecht oder gar nicht gefunden werden. Das Klicken als ein relativ neues Verhalten setzt bei den Marketingexperten forscherische Energien frei. Im Übrigen wird die deutsche Schreibweise (mit „K“) wesentlich öfter verwendet als die englische Schreibweise (mit „C“), jedenfalls in den deutschen Medien. Die englische Schreibweise taucht meist im Zusammenhang mit Firmennamen und Produktnamen auf. <l> Lifecast, der Wenn man unberechtigterweise in das Visier von Geheimdiensten und Terroristenjägern gerät, dann hat man zwei Chancen: Man kann so lange wie möglich versuchen, dem langen Arm dieser Institutionen auszuweichen. Oder man kann, wie Hasan Elahi, die Flucht nach vorne antreten. Elahi hat sein Leben zu einer Show gemacht, die 24 Stunden am Tag läuft und angeblich oft von mehreren Tausend Menschen betrachtet wird. Man sieht die Welt aus der Perspektive von Elahis Kopf, auf dem eine Webcam angebracht ist. Diese Webcam sendet ihre Bilder ohne Pause ins Web, wo man sie auf der Seite http: / / trackingtransience.net/ ansehen kann. Elahis Leben ist dadurch zum dauerhaften Lifecast geworden. Die Privatsphäre ist somit auf vielleicht wenige Zentimeter toten Winkel reduziert. Das dient aber auch dem Selbstschutz. Viele Menschen würden es mitbekommen, wenn der lange Arm des Staates Elahi doch noch zu fassen bekäme. <m> mabbern, Verb Heute schon gemabbert? Mabber (www.mabber.com) ist eine neue Plattform für das Versenden von Kurznachrichten, die den Empfänger zeitnah erreichen. Mabber verbindet dabei die Welten der Computer und der mobilen Endgeräte. Man kann also von überall aus und überall hin Nachrichten schicken (mabbern). Man kann sich außerdem in Echtzeit unterhalten (chatten). Mab- 42 ber erweitert unsere Möglichkeiten, überall und jederzeit zu plaudern und sich mitzuteilen. Man ist aber auch immer erreichbar. Das ist die Kehrseite der ubiquitären Kommunikation. Mashup, der „Mashup“ ist ein englisches Wort und lässt sich mit Mischung oder Vermanschung übersetzen. In der Musik wird damit die Vermischung von Musikstücken bezeichnet ( Bastard-Pop). Das Wort hat aber im Zusammenhang mit dem sogenannten Web 2.0 ( Tagcloud) eine neue, allgemeinere Bedeutung erhalten. Hier bezeichnet es die nahtlose Verknüpfung von Daten mehrerer Quellen. Aus dieser Kombination kann und soll Information entstehen, die auch wirtschaftlich interessant ist ( Geomarketing). Es birgt zudem politischen Sprengstoff, wenn mit Hilfe von Google Maps Immobilienpreise, Kriminalitätsraten, Sterblichkeitsraten, Gesundheitsstatistiken, Kaufkraft etc. auf geografisch verortbare Gruppen angewendet werden können. Für den Einzelnen, der so als zu einer Gruppe mit bestimmten Eigenschaften zugehörig markiert ist, ohne dies zu wissen, kann dies viele unangenehme Überraschungen bedeuten, z. B. wenn er sein Haus verkaufen oder eine Versicherung abschließen möchte. Insofern ist diese Spielart des Mashups, im Gegensatz zur Musik, durchaus kritisch zu sehen. Als mündige Bürger sollten wir darauf achten, was mit unseren Daten geschieht. McZahn, Eigenname Als Douglas Coupland in seinem Roman „Generation X“ das Wort „McJob“ erfand, meinte er damit eine langweilige und schlecht bezahlte Arbeit. Es ist offensichtlich, dass die Verhältnisse bei einer großen, weltweit agierenden Fastfood-Kette bei dieser Wortprägung Pate standen. Die andere Seite dieser Form des Wirtschaftens besteht aber darin, dass Dienstleistungen, die normiert und in großem Stil angeboten werden, preisgünstiger und damit für mehr Kunden erschwinglich werden. Auf diesen zweiten Aspekt der McDonalds-Ökonomie spielt „McZahn“ an: dieses Wort ist der Name einer Krefelder Zahnarztpraxis, die ein neues Geschäftsmodell entwickelt hat. Normierte Zahnbehandlungen werden zu einem Preis angeboten, der deutlich unter den 43 Tarifen klassischer Dentisten liegt. Hinzu kommt der günstigere Preis für Zahnersatz. Es ist ein gutes Zeichen, wenn die Ärztelobby aufschreit und ihre Pfründe in Gefahr wähnt. Über die Arbeitsbedingungen bei McZahn ist mir bisher noch nichts Negatives zu Ohren gekommen. Mehrgenerationenhaus, das Das Mehrgenerationenhaus repräsentiert wie kaum etwas anderes den Versuch der Bundesregierung, das zusammenzuführen, was schon immer zusammengehörte: Junge, Ältere und die Generation dazwischen. Überall im Land sollen Zentren entstehen, in denen sich diese Gruppen treffen, gegenseitig unterstützen und ihre Schwächen und Stärken kennenlernen sollen. Dort können sie schon mal für den kommenden Verteilungskampf üben, oder, im günstigeren Fall, Toleranz und Verständnis füreinander entwickeln und die guten Seiten aneinander entdecken. Vielleicht sind die Alten ja gar nicht so verbohrt, die Jungen nicht immer nur frech und vorlaut? Als Symbol für das Mehrgenerationenhaus steht das Modell eines Gebäudes, das sich aus sechzehn Puzzleteilen zusammensetzt - passend für eine Gesellschaft im Umbruch. Wenn Sie an diesem gesellschaftlichen Experiment teilnehmen wollen, dann erfahren Sie mehr darüber unter http: / / www.mehrgenerationenhaeuser.de/ , und auch, ob es bereits ein Zentrum in Ihrer Nähe gibt. Mentaliban, der Die Taliban haben zu Recht in der westlichen Welt einen schlechten Ruf. Ihr Handeln ist gekennzeichnet durch äußerste Härte anderen, aber auch sich selbst gegenüber. Da liegt es nahe, Sportler, die hart zu sich selbst, aber auch gegenüber den Konkurrenten sind, in die Nähe dieser religiösen Kämpfer zu rücken. Und da es sich beim Laufen auch um eine mentale Leistung handelt, werden die, die eisenhart ihre Runden drehen, neuerdings auch „Mentaliban“ genannt. Man kommt ihnen am besten nicht in die Quere. 44 Migrationshintergrund, der Dieses hässliche, nicht zu Unrecht nach Bürokratie klingende Wort hat sich in letzter Zeit von einem unter Bevölkerungsstatistikern üblichen Fachbegriff zu einem politischen Schlagwort gewandelt. Es wurde erstmals 2005 als Datenkategorie im Mikrozensus, also der Bevölkerungsstatistik, verwendet. Über Menschen mit Migrationshintergrund erfährt man dank Mikrozensus und Presse mehr, als man eigentlich wissen möchte. So werden in mitunter unlauterer Absicht Ausländer und Bürger, die selbst oder deren Eltern nicht in Deutschland geboren wurden, wieder einmal aus der Masse der scheinbar Gleichen herausgehoben. Als Rheinländer, der erst wenige Jahre in Schwaben lebt, möchte auch ich für mich den Status eines Menschen mit Migrationshintergrund reklamieren. Aber das wird durch keine Statistik erfasst. -minator, Wortbildungselement Seit den seligen Zeiten des „Terminators“ Arnold Schwarzenegger wird dieser Name mit rücksichtsloser Entschlossenheit im Kampf um die (vermeintlich) gute Sache verbunden. Diese Bedeutung ging auch auf die Kurzform „-minator“ über, die sich mit anderen Wortteilen verbinden lässt, wenn man jemandem ähnliche Entschlossenheit zuschreiben möchte wie einst Arnold. So wurde Hans Eichel lange Zeit als Sparminator bezeichnet, bis dieser Ruf unter Bergen von Neuschulden verschwand. Wofür diejenigen, die sich in Webforen den Benutzernamen Sperminator geben, rücksichtslos kämpfen, ist mir unklar. Es ist aber wahrscheinlich keine gute Sache. Im Herbst 2006 wurde ein Sportsfreund, der sich weltrekordverdächtig 49 Strohhalme ins Großmaul schob, als Rohrminator bezeichnet. Auch diesen Kampf, sich selbst rücksichtslos den Mund zu stopfen, halte ich letzten Endes für aussichtslos. Minisode, die Manche behaupten, dass eine Ausgabe der „Bild“-Zeitung, auf das Wahre und Wesentliche reduziert, auf eine Briefmarke passe. Was für Zeitungen gilt, trifft erst recht auf die bewegten Bilder zu. So ist zum Beispiel kaum ein Filmchen auf YouTube länger als drei Minuten, und schon das stellt unsere Geduld gelegentlich 45 auf eine harte Probe. Nun möchte Sony die Episoden von „Drei Engel für Charly“, der „Bild“-Zeitung unter den Fernsehserien, auf nicht mehr als drei Minuten eindampfen. Das Ganze soll Minisode genannt werden und auf einer Webseite namens „Minisode Networks“ erscheinen. Für viele Serienfreaks wird damit ein Traum wahr: Endlich muss man keine Folge verpassen und hat trotzdem noch Zeit für das Wesentliche, zum Beispiel die Lektüre dieses Buchs. Mir fallen noch einige Fernsehserien, vor allem Dailysoaps, ein, die sich ohne großen Gehaltsverlust auf eine Minute eindampfen ließen. Mix / Mischung, der / die Bei „Mix“ hat man es mit einem, allerdings etablierten, Anglizismus zu tun, der das Zeug hat, das deutsche Pendant „Mischung“ weitgehend zu verdrängen. Der Sonne-Wolken-Mix ist eben kürzer als die Mischung aus Sonne und Wolken. In einer Hinsicht freilich kommt der Mix gegen die Mischung nicht an: Wie alle Substantive, die auf „-ung“ enden, kann mit „Mischung“ sowohl der Prozess als auch das Ergebnis des Mischens ausgedrückt werden: die Mischung der Farben ist dem Meister hier besonders gut gelungen. Dafür ist das Wort Mix nicht geeignet. Moniceiver / Naviceiver, der Haben Sie Lust auf Fernsehen im Auto? Das geht jetzt ganz einfach. Man braucht nur zwei Antennen oder eine Satellitenschüssel auf dem Dach, einen Tuner und einen Bildschirm, um das empfangene Signal anzuzeigen. Ein Moniceiver ist ein Allzweckmonitor, mit dem man das Fernsehsignal darstellen, aber auch DVDs abspielen kann. Dazu eignet sich auch das Display eines Navigationssystems. Dann hat man einen Naviceiver . Aber vielleicht fallen Ihnen ja noch andere Dinge ein, die Sie im Auto machen wollen als ausgerechnet fernsehen? Mückensauger, der Mücken gehören zu den weltweit verbreiteten Plagen. In einigen Regionen ist das nächtliche Summen dieser Tierchen einfach nur lästig und das Jucken der gestochenen Hautpartien unangenehm. In anderen Regionen können sie gefährliche, wenn nicht gar töd- 46 liche Krankheiten übertragen. Kurzum, man wäre sie gerne los. Mit traditionellen Mitteln, etwa dem Mückennetz, versuchte man, diese Plagegeister aus dem eigenen Wirkungs- und Schlafbereich auszugrenzen. Campingurlauber wissen, dass das nicht immer funktioniert. Regensburger Forscher um die Biologin Ulla Kröckel haben nun einen Mückensauger entwickelt. Mücken werden hier mit menschlichen Körpergerüchen angelockt und, wenn sie sich der Falle zu weit nähern, von einem Ventilator eingesaugt. Das Gerät soll erstaunlich gut funktionieren und gewann bereits Preise der Weltbank und der Bill-und-Melinda- Gates-Stiftung. Es soll demnächst in Massenproduktion gehen und damit für viele erschwinglich werden. Manchen wird es einen ruhigen Schlaf sichern, anderen vielleicht das Leben retten. Geschieht den Blutsaugern auch recht, wenn sie selbst eingesaugt werden. Musicovery, Eigenname Bisher war das Radio eine eindimensionale Angelegenheit mit den typischen Eigenschaften des Massenmediums. Auf der einen Seite befindet sich der Sender, der Tag und Nacht „die größten Hits aller Zeiten“ spielt, rauf und runter, mit einem großen Archiv, aus dem per Zufallsgenerator ausgewählt wird. Auf der anderen Seite stehen die vielen Zuhörer, die beim Spülen oder im Auto auf das gerade Gebotene und nichts anderes festgelegt sind. Auch dieses Schema wird nun vom Internet durchbrochen, genauer gesagt von der Website www.musicovery.com. „Musicovery“ ist eine Zusammenziehung von „Music“ und „Discovery“. Die Zuhörer können hier die Musikkonserven nach ihrem Geschmack und nach ihrer momentanen Stimmung aussuchen. Man kann ein Genre und eine Stimmung wählen und erhält ein grafisch ansprechend gestaltetes Netz von Musiktiteln, die auf die gewünschten Kriterien, z. B. Klassik, düster, passen und irgendwie einander ähnlich sind - über die Form der Ähnlichkeit und darüber, wer diese wie bestimmt, wird nichts gesagt. Die Qualität der Übertragung ist bei kostenlosem Gebrauch gerade noch akzeptabel, sie wird besser, wenn man sich registriert und monatlich etwa 2 Euro entrichtet. Der Service ist also nichts für den musikalischen Feinschmecker, er ist wegen der Kategorisierung und Ver- 47 knüpfung sehr vieler Musikstücke aber bestens geeignet zum Rumstöbern. Und was ist das World Wide Web schließlich anderes als eine große Stöberkiste? <n> Newsplex, der Der Newsplex ist das Ergebnis des Versuchs von Zeitungsverlagen, ihre redaktionellen Beiträge über mehrere Kanäle möglichst gleichzeitig zu verbreiten: über die Printausgabe, die man am Kiosk erstehen kann, über das Zeitungsportal im World Wide Web und über Dienste für mobile Endgeräte, also vor allem Handys. Die Kunst besteht darin, den Mehrwert des jeweiligen Mediums oder Informationskanals zu nutzen: die Flexibilität des Handys, die multimedialen Möglichkeiten und die Verknüpfung von Nachrichten untereinander im World Wide Web, das Zusammenspiel von Bild und Text im gedruckten Medium. Dies alles sollte möglichst aus einer Quelle gespeist werden. Wie das funktionieren kann, wird im Web unter www.newsplex.org gezeigt. Das Wort ist eine Zusammenziehung aus News, neudeutsch für Nachrichten, und (kom)plex. Komplex ist die gleichzeitige Verbreitung des Neuen über mehrere Medien auf alle Fälle. Nullerjahre, die (Plural) Diese Dekade neigt sich dem Ende zu, und sie wird höchstwahrscheinlich unbenannt bleiben. Der Lexikograph Dieter Herberg hat schon zu Beginn des Jahrzehnts die drohende Lücke erkannt und gleich einige Vorschläge gemacht: „Die nulliger/ nulligen Jahre, die Nullerjahre, die Nuller, die Einzigerjahre, die Einerjahre, die Vorzehner, die ersten Zehner, die Deziger, die hunderter Jahre“. Mir gefällt der Ausdruck „Nullerjahre“ am besten, deshalb habe ich ihn hier aufgenommen. Die Diskussion um die Benennung dieser Dekade zeigt vor allem eines: Man kann Wörter nicht am Reißbrett entwerfen ( technosexuell). Sie müssen aus der Mitte der Sprachgemeinschaft kommen oder zumindest von dieser akzeptiert werden. Ein ähnlich trauriges Schicksal erlitt einst sitt , ein Wort, das die lexikalische Lücke für den Zustand des Nicht-mehr-durstig-Seins füllen sollte. Sprachplaner 48 sollten sich diese Beispiele zu Herzen nehmen. Es besteht wahrscheinlich noch kein Bedarf, über diese Dekade als Ganzes zu reden. Noch sind die Nullerjahre nicht vorüber. <o> Overshoot Day, der Die Menschheit lebt über ihre Verhältnisse. Dies trifft besonders auf unsere Nutzung natürlicher Ressourcen zu. Das Wort „Nachhaltigkeit“ ist oft ein reines Lippenbekenntnis und durch inflationären Gebrauch zur bedeutungsleeren Worthülse geworden. Unser aller Lebenswandel jedenfalls kann sich zu einer globalen Katastrophe auswachsen. Daran sollen wir durch den Overshoot Day erinnert werden. Dies ist der Tag des Jahres, an dem die Menschen alles verbraucht haben, was eine sich selbst erhaltende Natur erst bis zum Ende eines Jahres liefern kann - vom Getreide bis zum Platz für unseren Müll. Im Jahr 2006 fiel dieser Tag auf den 9. Oktober. Unseren aktuellen Kontostand hinsichtlich unseres Verbrauchs von natürlichen Ressourcen kann man jederzeit beim Global Footprint Network abfragen: ( http: / / www.footprintnetwork.org/ fn_sub.php? content =overshoot) Wir müssen unseren Lebensstil wohl radikal ändern ( Freegan) oder den Computer und das Licht ausschalten bis zum Ende des Jahres! Also gut, zum Lesen dieses Buchs dürfen Sie eine Energiesparlampe verwenden. <p> -pack, Wortbildungselement Mit dem Wort „Pack“ bezeichete man früher Leute, deren Sozialverhalten man nicht besonders hoch einschätzte. Heute begegnet einem dieses Wort immer häufiger auch im Supermarkt. Schon lange findet man es in der Zusammensetzung Sixpack, aber auch, wenn man Milch und Fruchtsaft bevorzugt, beim Tetrapack. Vermehrt aber ersetzt es die Wörter „Packung“, z. B. wenn vom Literpack, dem Kühlpack oder dem Akkupack die Rede ist, und „Paket“, z. B. beim Valuepack , das in meiner Jugend 49 noch „Wertpaket“ hieß. Ich bin mir sicher, dass wir in Zukunft noch mehr Zusammensetzungen mit -pack sehen werden. So könnte man eine Zeitung oder ein Buch als „Gedankenpack“ bezeichnen. Passiv-, Wortbildungselement Die Debatte um rauchfreie Zonen, vor allem in der Gastronomie, hat ihm wieder Oberwasser gegeben, dem Passivraucher. Passivraucher zahlen letztlich die gesundheitliche Zeche, die bei den Rauchern aufläuft, ohne dass sie am Vergnügen des Rauchens, wenn es denn eines ist, teilhaben können. Die Raucher aber wehren sich. Sie beklagen sich über die ständig an Flatulenz leidenden Zeitgenossen, die in einer Tour die nun nur vermeintlich durch den Rauchverzicht frischer gewordene Luft verpesten. Über gesundheitliche Schäden des Passivfurzens ist allerdings noch nichts bekannt. Ähnlich ist es mit dem Passivschnarchen. Es mindert lediglich die Lebensqualität, nicht dessen durchschnittliche Dauer. Pastafari, die (Plural) Nicht nur in den USA, auch in Deutschland macht sich der Kreationismus breit. Er soll sogar an den Schulen gelehrt werden, jedenfalls wenn es nach dem hessischen Bildungsministerium geht. Der Kreationismus versteht sich als christliches Gegenprogramm zur Evolutionslehre und möchte die Schöpfungsmythen der Bibel zu wissenschaftlichen Leitbildern machen. Zum Glück gibt es da noch die Pastafari. Die Anhänger dieser Privatreligion zeigen, dass man mit Argumenten, die so schlüssig sind wie diejenigen der Kreationisten, nachweisen kann, dass die Welt von einem fliegenden Spaghettimonster erschaffen wurde. Der ernste Kern dieser „Religion“ ist, einen empirisch begründeten Gegenbeweis einzufordern. Dieser ist aber nicht zu erbringen und wurde trotz horrender Summen, die auf diesen Beweis ausgesetzt wurden, bisher nicht erbracht. Der Glaubensinhalt dieser Privatreligion ist genauso wenig zu widerlegen wie das Credo der kreationistischen Lehre - damit haben sich beide Lehren wissenschaftlich disqualifiziert und haben als Unterrichtsstoff in Schulen nichts zu suchen. 50 -pedia, Wortbildungselement Am Anfang stand die Enzyklopädie, was übersetzt „Kreis des Wissens“ heißt. Die Enzyklopädie stellte bis vor kurzem ein gewaltiges editorisches Unterfangen einiger weniger mutiger Herausgeber dar. Vor nicht allzu langer Zeit, wenn man es in den Dimensionen der Erscheinungszyklen von Enzyklopädien misst, entstand eine Softwareplattform für das kollektive Erstellen von Texten, genannt „wiki wiki“. Das ist hawaiianisch und bedeutet SCHNELL . Bald wurde dieses Werkzeug auch zur kollektiven Entwicklung einer Enzyklopädie verwendet, zunächst für das Englische, dann auch für viele andere Sprachen. Der Name dieser Enzyklopädie setzt sich aus dem Namen der Softwareplattform und dem Namen des Produkts zusammen, wobei das US-amerikanische Wort „encyclopedia“ als Vorlage diente. Das Projekt erreichte eine ungeahnte Popularität. Ungezählte Beiträger haben mittlerweile mehrere Hunderttausend Artikel zur deutschen Wikipedia beigesteuert (de.wikipedia.org). In Sachen Verlässlichkeit ringt die Wikipedia mit den großen kommerziellen Enzyklopädien, in Sachen Aktualität schlägt es diese um Längen. Mittlerweile hat sich der Wortteil „-pedia“ selbstständig gemacht und bezeichnet allgemein Projekte mit dem Anspruch, den „Kreis des Wissens“ in einem bestimmten Fachgebiet abzuschreiten. Die Kamelopedia ist eine „im Stil von Wikipedia gehaltene humoristische Enzyklopädie“ mit immerhin über 10 000 Einträgen. Die Uncyclopedia pflegt einen satirischen Blick auf die Welt des Wissens. Die deutsche Seite wartet mit etwas über 300 Einträgen auf. Die Ökopedia ist ein Wörterbuch der österreichischen Ökologiepolitik, schreitet also einen relativ kleinen Wissenskreis ab. Die Nintendopedia sammelt Informationen über die Spielewelt dieses japanischen Konzerns, die deutsche Version ( www.nintendopedia.de ) kommt gruftig-hässlich daher. Placeopedia schließlich ist eine Internet-Anwendung bzw. Informationsquelle, die Satellitenfotos von Google Maps mit Artikeln der Wikipedia verbindet. Es handelt sich hierbei also um einen typischen Mashup. In den kommenden Jahren werden sicher noch mehr „pedias“ entstehen. Wenn das Buch im nächsten Jahr fortgesetzt wird, wovon ich ausgehe, dann halte ich Sie in jedem Fall auf dem Laufenden. 51 Power-, Wortbildungselement Das Wort „Power“ mit „Energie“ gleichzusetzen ist unangemessen. Sicher steht einem ein Energiebündel vor dem geistigen Auge, wenn man das Wort Powerfrau hört. Das Wort hat aber eine weitaus reichere Bedeutung, wie man an einigen Komposita sehen kann. So verhilft das Powernapping vielleicht zu neuer Energie, ist aber selbst eine ziemlich energiearme Angelegenheit. Der Powerseller ist ein Vielverkäufer, über seine Energie sagt das wenig aus. Am ehesten gibt das Wort „Leistung“ diesen Bedeutungsaspekt wieder. Power ist eben mehr, als man denkt. Problemlösungsbär , der Im Jahr 2006 beherrschte Bruno alias JJ1, der Problembär, die Szene und die Medien. Aus schlechtem Hause und mit Migrationshintergrund hatte er das Zeug für die romantische Verklärung als Held oder Schurke - je nachdem, auf welcher Seite des Law-and-Order-Zaunes man stand. Das Jahr 2007 wird von Knut beherrscht, ebenfalls ein Bär. Er vertritt allerdings die vom Auftauwetter bedrohte Spezies der Eisbären und tauchte jung und knuddelig in den Medien auf. Ein Segen für den Zoo, der ihn beheimatet. Und wie sich in den letzten Monaten alles in Deutschland aufhellte, so auch unser Verhältnis zum Bären, den die Medien zum Problemlösungsbären erkoren. Profcasting / Podcampus, das / der Immer häufiger gibt es was auf die Ohren. Viele Radiosender bieten mittlerweile Sendungen als Podcast an - zum Runterladen, Mitnehmen und Unterwegshören ( Unterwegsradio). Die Produktion von Podcasts muss aber keinesfalls den großen Medienproduzenten überlassen bleiben. Jeder, der etwas zu sagen hat und eine dafür geeignete Stimme besitzt, kann mit vertretbarem Aufwand einen Podcast produzieren. An der Universität gibt es zum Beispiel immer häufiger die neuesten Mitteilungen des Professors zum Seminar oder den zu lösenden Übungsaufgaben als Podcast. Damit kann man sich die Wartezeit an der Bushaltestelle verkürzen. Diese Darbietungsform professoraler Verkündungen wird Profcasting genannt. Wenn sich diese Form der Wissensvermittlung universitätsweit durchsetzt, wie in Hamburg, dann wird 52 auch schon vom Podcampus gesprochen. Das Angebot des Podcampus (http: / / www.podcampus.de/ ) kann über einen Newsreader abonniert werden. Das Ganze hat leider eher den Charme einer Vorlesung: Man kann es halt nur passiv konsumieren. Es gibt aber doch einen Vorteil gegenüber der traditionellen Vorlesung: Man kann unauffällig den Aus-Knopf drücken oder auf gute Musik umschalten. <q> Qualmraum, der Die Debatte um Rauchverbote hat nun auch den Stammtisch erreicht: als Thema hitziger Diskussionen, die weiterhin in der vertrauten Umgebung der Kneipe geführt werden. Diese soll ja, wenn es nach der EU geht, in Zukunft rauchfrei bleiben. Dem deutschen Stammtisch wird sein ureigenstes Medium, der Qualm zum Atmen, genommen. Da hilft nur der Umzug in den Qualmraum, den einige Gaststätten als Asyl für Unbelehrbare einrichten wollen. <r> Regifting, das Nicht immer bringt der Weihnachtsmann die Dinge, die man sich gewünscht hat oder die man brauchen könnte. Man möchte ein Geschenk los werden, weil es einen möglicherweise noch lange an eine unglücklich verlaufene Beziehung erinnert. Wie immer kommt eine Lösung des Problems, die mehr Stil hat als der Gang zur Mülltonne, aus dem Land der pragmatisch denkenden Menschen, den USA. Sie wird dort Regifting genannt. Regifting, also die Weitergabe von Geschenken, will gelernt sein, aber wenn man einige Regeln beachtet (und zum Beispiel das Geschenk nicht aus Versehen an die Schwester der Verflossenen weiterreicht), bringt es vielerlei Nutzen. Das Geschenk landet so vielleicht bei jemandem, der sich wirklich darüber freut. Und das ist nun tatsächlich etwas Gutes. Die wichtigsten Regeln beim Regifting findet man unter: http: / / www.usnews.com/ usnews/ biztech/ articles/ 061122/ 22regift.htm. 53 <s> Schäublone, die Der G8-Gipfel in Heiligendamm ist leider von z.T. gewalttätigen Protesten begleitet worden ( Hooligandamm). Die für den Schutz der Staatsgäste Verantwortlichen neigten ihrerseits zur Überreaktion, allen voran der oberste Sicherheits-Verantwortliche Wolfgang Schäuble. Man erinnert sich noch, wenn auch ungern, an Zäune, Grenzkontrollen und Geruchstests. Die Folgen von Heiligendamm könnten aber auch im Fortschreiben einer rigideren staatlichen Überwachungspolitik im Namen der inneren Sicherheit liegen ( Bundestrojaner). In jeder Wohnung könnte schließlich ein Terrorist lauern oder ein Anschlag vorbereitet werden. Wie jeder Innenminister vor ihm möchte auch Schäuble die selbstgemachte Hysterie dazu nutzen, um die Gesetze zu verschärfen und die Freiheitsrechte der Bürger in Deutschland einzuschränken. Dafür hat er die Schäublone verdient. Die Schäublone ist eine sprachspielerische Veränderung des Wortes „Schablone“ - der Name unseres Innenministers lädt dazu ein. Die Schäublone, auch Stasi 2.0 genannt, ist ein Symbol, das man, z. B. als T-Shirt, am eigenen Leib tragen kann. Sie bringt deutlich zum Ausdruck, was man von Schäubles Tun und Treiben im Namen der Freiheit hält. -show, Wortbildungselement Die Quote ist der Fetisch des Fernsehens. Sie garantiert Werbeeinnahmen und damit das wirtschaftliche Überleben der Sender. Die Quote ist deshalb das treibende Element für Innovationen besonders bei den Sendern, die nicht aus Steuergeldern finanziert werden. Ein wichtiges Element der Innovation sind Formate, die entwickelt, getetestet und dem quotenbringenden Publikum nach der Methode von Versuch und Irrtum vorgesetzt werden. Dieses ständige Neu-Formatieren führt zu manchen Stilblüten und Geschmacksverirrungen. So sollen sich Arbeitssuchende in Arbeitslosenshows selbst erniedrigen, dicke Kinder werden in Abspeckshows vorgeführt, ihr Abnehmerfolg genauestens vermessen. Die letzte TV-Geschmacklosigkeit erreichte uns aus den Niederlanden. Drei Kandidaten konnten sich um die Niere einer schwer- 54 kranken Frau bewerben. Die Show wurde gesendet, allerdings mit einer interessanten Pointe. Das Ganze war ein abgekartetes Spiel. Die Entwickler dieses Formats haben den Trend zu immer gröberen Geschmacklosigkeiten im Fernsehen geschickt dazu genutzt, um auf ein schwieriges gesellschaftliches Thema, die Organspende, hinzuweisen. In dieser Hinsicht war diese Nierenshow auch in Deutschland ein Erfolg. Die besten Shows sind aber immer noch die, deren Format das Leben entwickelt. So wartete der Radsport in diesem Sommer mit einer tränenreichen Moralinshow um das Thema Doping auf. Die Helden dieses Spektakels, das diesmal leider auf wahren Begebenheiten beruht, werden uns wahrscheinlich länger in Erinnerung bleiben als so manches Showformat aus den Produktionsstudios. Skikes, die (Plural) Skikes sind eine Mischung aus Inlineskates und Mountainbike. Sie kommen nur in Paaren vor. Erfunden hat sie Meister Eder (http: / / www.erfinderseite.skike.at/ ). Das Wort ist aus „Skates“ und „Bike“ zusammengesetzt. Skikes sind Rollschuhe, die aber einige der Federungseigenschaften von (Mountain-)Bikes haben, z. B. luftgepolsterte Profilreifen unter der Sohle. Das ist gut für den Rücken und für die Knie. Wer seinem Körper doch mal etwas mehr Stress zumuten möchte, kann abseits der gepflasterten Pisten losziehen und über Stock und Stein heizen. Auch in dieser Hinsicht ähneln Skikes dem Mountainbike. Wenn Sie passionierter Rollschuhfahrer sind, werden Ihre Gelenke Ihnen den zusätzlichen Komfort, den Skikes bieten, danken. Speedflying, das Der Winter 2006/ 2007 war entschieden zu lau und deshalb für Wintersportler nicht besonders erfreulich. Dennoch hat er für die Wagemutigeren einen neuen Trendsport gebracht, das Speedflying. Der Sport kommt aus Frankreich, wo es hohe Berge gibt, auf die es selbst in diesem Winter ausreichend geschneit hat. Speedflyer tragen Skier an den Füßen und einen Schirm auf dem Rücken. Die Skier werden für den Bodenkontakt benötigt, der Schirm für die erhebenden Momente. Wenn man wissen möchte, wie Martin Schmitt sich gelegentlich fühlt, ohne eine Schanze 55 besteigen zu müssen, dann ist man bei diesem Sport richtig. Ich bleibe lieber auf meinem ganzjährig schneefreien Sofa sitzen, klappe mein Notebook auf und genieße die schönen Fotos und Filme, die aktive Speedflyer z. B. bei YouTube hinterlassen haben. Speicherbakterium, das Japanischen Forschern ist es jüngst gelungen, Daten in die Gensequenzen von Bakterien zu enkodieren. Sie kodierten Einsteins berühmte Relativitätsformel und ihr Entstehungsjahr. Da die Tierchen praktisch ewig leben, werden diese Daten nun auch immer verfügbar sein. Einige Fragen scheinen nicht nur mir noch ungelöst zu sein. Was ist, wenn diese Wesen mutieren und damit ihre Gensequenzen verändern? Wäre das nicht ähnlich katastrophal wie die Begegnung einer Festplatte mit einem Magneten? Angeblich kann dieses Problem dadurch gelöst werden, dass die Daten mehrfach gespeichert werden, so dass die Wahrscheinlichkeit, die richtigen Daten zu lesen, sich erhöht. Andere weitergehende Fragen drängen sich auf: Wie sollen die Daten gelesen werden? Wird die Information über die Abfolge der Daten mitkodiert? Welches Tierchen muss man also zuerst lesen? Werden die Bakterien in Bakterienfarmen gehalten, vergleichbar den großen Legebatterien? Wer soll die Daten lesen? Welche Informationen sind wichtig genug, um für Millionen von Jahren gespeichert zu werden? Die amerikanische Verfassung? Dokumente von aussterbenden menschlichen Sprachen? Die Reden Edmund Stoibers? Und eine letzte Frage: Wie viele Bakterien braucht es, um dieses Buch zu speichern? Splog, der Der Splog (= Spam-Blog) pervertiert die ehrenwerte Initiative vieler Blogger und Betreiber von Blog-Plattformen, ihre Meinung zu allen möglichen Dingen des Lebens einer hoffentlich interessierten Öffentlichkeit kundzutun und so eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Splogs sind „Texte“, deren einzige Funktion es ist, auf Websites von Online-Casinos, Viagra-Anbietern, Parfümproduzenten ( technosexuell) u.s.w. zu verlinken, um damit diese Seiten in der Gunst der Suchmaschinen zu heben. Die Such- 56 maschinen schaffen durch ihre Rankingverfahen für Webseiten damit eine Öffentlichkeit, die sich außer ein paar geschäftstüchtigen Dunkelmännern so niemand gewünscht hat. Die einzige Chance gegen diese Blopaganda haben ehrliche Nutzer nur, wenn sie weiterhin möglichst viele Blogs mit Inhalten und Kommentaren von hoher Qualität schaffen. Spoofcard, Eigenname Wird es ernst oder nicht? Wenn man sich weigert, am Ende eines netten Abends seine Handynummer rauszurücken, ist dies das sichere Ende, nicht nur dieses Abends. Wenn sich aber der nette Abend im Rückblick als weniger reizend herausstellt, wäre die Handynummer in die falschen Hände geraten. Aus diesem Dilemma will die Spoofcard befreien. Freundlich bittet man um die Handynummer der neuen Bekanntschaft und verspricht: „Ich ruf' dich an, dann hast du meine Nummer.“ Wenn man die neue Bekanntschaft nun anruft oder ihr eine SMS schickt, dann tauscht die Spoofcard die eigene Handynummer gegen eine beliebige andere Nummer aus, die es natürlich nicht gibt. Diese falsche Nummer erscheint auf dem Display des Empfängerhandys. Falls die Abendbekanntschaft am nächsten Morgen immer noch im rosigen Licht erscheint, dann kann man die Spoofcard umgehen und die richtige Nummer rausrücken. Als Partylöwe kann man sich diese Freiheit doch etwas kosten lassen, oder? Wie bitte? Meine Handynummer? Ich rufe Sie an! -spotting, Wortbildungselement Das Spotting hat sich seit seit dem Erscheinen des Films „Trainspotting“ zu einer vielbeachteten Beschäftigung entwickelt. Man kann es mit einem deutschen Wort als „Auflauern“ bezeichnen. Geduldig wartet der Spotter , bis das Objekt der Sehbegierde vor dem Auge oder Fernglas auftaucht. Züge sind längst nicht das einzige Objekt der Begierde. Der Schiffsspotter lauert Schiffen auf, der Reg-Spotter sammelt Flugzeuge mit bestimmten Registriernummern - wobei das Sammeln darin besteht, dass man das Objekt gesehen hat. Fotos als Belege sind nicht notwendig ( Gullyversum). Cloudspotter halten nach bestimmten Wolkenformationen Ausschau, wobei man nie weiß, wann so eine Samm- 57 lung komplett ist. Manche bezeichnen das Spotting als bizarre Form der Sammelleidenschaft, andere als gepflegte Form des Nichstuns. In-die-Wolken-Gucken eben. <t> Tagcloud, die Wir leben in einer schönen, neuen virtuellen Welt, die man Web 2.0 nennt. Niemand weiß, was das Web 2.0 eigentlich ist. Dies ist eines der wichtigen Merkmale dieser neuen Welt - es gibt kein allwissendes Zentrum. Stattdessen organisiert eine unsichtbare Hand das begriffliche Chaos und sorgt für Orientierung. Das Mittel hierfür sind die Begriffswolken oder Tagclouds, z. B. bei del.icio.us oder flickr.com. Sie aggregieren das millionenfache Bemühen der Benutzer, Ressourcen zu ordnen und zu benennen ( Crowdsourcing). Ob die Weisheit der Massen ausreicht, um das Web 2.0 zu organisieren, wird die Zukunft zeigen. Die Voraussetzungen dafür sind so gut wie nie. -tainment, Wortbildungselement Das Entertainment ist die hohe Kunst der Unterhaltung, jedenfalls im englischen Sprachraum. Auch in Deutschland kennt man den Entertainer. Nun wird der Wortteil „-tainment“ als Teil für das Ganze, Unterhaltung eben, verwendet. Neue Bestimmungswörter zeigen an, um welche Form der Unterhaltung es sich handelt. Edutainment verbindet Bildung mit Unterhaltung, Historytainment präsentiert historische Fakten und Sachverhalte auf kurzweilige Art. Dass auch die Politik unterhaltend sein kann, lassen die Wörter Polittainment und Debattainment erahnen. Wie vergnüglich dagegen das Lafontainment ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Hier kommt man dem Krisotainment schon verdächtig nah. Dieses Buch möchte aber auf jeden Fall durch Lexitainment zu Ihrer Unterhaltung beitragen. Denken Sie mal drüber nach, mit etwas Glück wird Denkotainment draus. 58 Tankballing, das Das Tankballing kommt wie viele skurrile Arten der Freizeitbetätigung ( -spotting) aus England. In der Grafschaft Leicestershire müssen ausgediente Panzer der britischen Armee für die Kriegsspiele von Erwachsenen, die Kinder geblieben sind, herhalten. Damit das Kriegsspielen nicht zu gefährlich wird, beschießt man sich mit Tischtennisbällen, die mit Farbe gefüllt sind. Am Ende der Schlacht zählt der Schiedsrichter die Farbkleckse auf den Panzern und ermittelt so Sieger und Verlierer. Beide bleiben nur unversehrt, wenn sie sich vorsehen. Denn selbst mit Farbe gefüllte Tischtennisbälle können bei 300 Stundenkilometern eine ziemliche Durchschlagskraft entwickeln. Das Tankballing ist also irgendwo zwischen dem blutigen Ernst und den Ballerspielen in der virtuellen Welt anzusiedeln. Wenn es denn der Aggressionsabfuhr dient, ist dagegen sicher nichts einzuwenden. technosexuell, Adjektiv „Technosexuell“ ist ein Kunstwort, das in einer Werbeagentur geboren wurde. Es soll angeblich eine Identität bei Computerfreaks stiften, die als Zielgruppe eines neuen Parfüms von Calvin Klein herhalten müssen. Das neue Adjektiv technosexuell, das wohl aus den Wörtern technophil und metrosexuell (dies bezeichnet einen extravaganten Lebensstil heterosexueller Männer) zusammengebastelt wurde, ist sogar markenrechtlich geschützt. Es dürfte also eigentlich gar nicht hier auftauchen ( Algenwein). Die Computerfreaks, die sich nicht zur Zielgruppe degradieren lassen wollen, haben mittlerweile zurückgeschlagen und die Werbeagentur, die das alles inszeniert und lanciert hat, mit Schadensersatzklagen überzogen. Zielgruppen lassen sich eben nicht am Reißbrett entwerfen, ein Lebensgefühl ist keine Duftmarke, die sich in ein Parfüm verwandeln ließe. Telebrille, die Eine japanische Firma hat ein Fernsehgerät entwickelt, das sich in eine Brille integrieren lässt. Das schnittige Teil nennt sich Teleglass T3-F oder, griffiger, Telebrille. Der Fernseher ist zwei Zentimeter groß und wiegt etwa 35 Gramm. Das Gerät könnte diejenigen von Ihnen interessieren, die, zwischen Arbeitsplatz und 59 Wohnung pendelnd, einen nicht unerheblichen Teil des Tages in Zügen oder U-Bahnen verbringen. Wenn es sich wirklich durchsetzt, dann werden Sie in Zukunft nicht nur viel mehr Brillenträger in der U-Bahn antreffen, diese werden hoffentlich auch viel glücklicher dreinblicken - sofern man das durch die Gläser dieser Brillen überhaupt sehen kann. Ich wünsche dieser Erfindung einen durchschlagenden Erfolg und den Benutzern ein nicht allzu niveauloses Programm. -tool, Wortbildungselement Wie viele Lehnwörter, die ich hier beschrieben habe, tritt der Anglizismus „Tool“ in Konkurrenz zu einem deutschen Wort, nämlich zu „Werkzeug“. Wieder einmal lautet die bange Frage: „Ist für beide Platz im deutschen Wortschatz? “ Sowohl „Tool“ als auch „Werkzeug“ verbinden sich nahezu gleich häufig mit anderen Wörtern, deutscher und englischer Herkunft, zu neuen Fügungen. Wenn man die Ergebnisse näher betrachtet, dann haben die Zusammensetzungen, die mit „-tool“ gebildet werden, überwiegend einen Bezug zum Computer. Beispiele hierfür sind Ködertool für Software, mit der unbedarfte Benutzer dazu gebracht werden sollen, Dinge zu tun, die für sie schädlich sind. Oder das allseits bekannte Buchungstool , über das Buchungen online getätigt werden können. Einige Zusammensetzungen mit „-werkzeug“ bezeichnen Dinge, die mit Computern zu tun haben, z. B. Webwerkzeug . Es überwiegt bei ihnen aber der Bezug zur realen Welt. Toomas, Eigenname Toomas ist ein Shoppingroboter, der in einem „toom“-Baumarkt seine Dienste tut. Dieses niedliche Wesen, das einen mit funktionslosen Augen ansieht, weist verzweifelten Kunden den Weg zum gesuchten Produkt oder stellt den Kontakt zu einem Experten her. Mehr kann es nicht. Aber wenn man bedenkt, dass 90 Prozent der Kundenfragen nach dem Standort eines bestimmten Produkts gehen, dann ist dies schon eine ganze Menge. Moderne Roboter beschränken sich eben auf das Wesentliche. 60 Touchcouchtisch, der Bill Gates und Microsoft haben die Fenster auf unseren Rechner gebracht, eine Oberfläche, auf der sich Daten und Prozesse mit der Maus bewegen und starten lassen. Dies war vor gut zwanzig Jahren eine Sensation, wenn man nicht bereits damals Nutzer von Computern der Firma Apple war. Anders ausgedrückt: Microsoft hat der Masse der Benutzer diese Art der Rechnerbedienung nahe gebracht. Nun macht dieses Unternehmen einen neuen, beeindruckenden Schritt im Bereich der Rechnerbedienung. Der Computer wird in einen Tisch integriert, die Tischoberfläche ist der Bildschirm. Alle Bedienelemente sind mit den Fingern steuerbar, was attraktiv ist, wenn man auf diese Weise keine längeren Briefe oder Bücher schreiben möchte. Die neue Oberfläche nennt sich „Surface“, und wenn man mag, kann man sie sich unter http: / / www.microsoft.com/ surface/ ansehen. Bei dem zu erwartenden Einstiegspreis werden solche Tische sicher eher etwas für Cafés der Oberklasse, mit betuchter, computeraffiner Kundschaft, sein. Wenn diese Technologie aber nur halb so stark unser Leben durchdringt wie einst die Fenster, dann werden wir vielleicht bald alle Touchcouchtische im Wohnzimmer stehen haben. Fragt sich, wo man dann noch das Bier und die Chips abstellen kann. Twitter / twittern / Tweet, der / Verb / der „Twitter“ heißt Zwitschern. Anhaltendes und lautes Zwitschern ist den Vögeln ein inneres Bedürfnis, besonders zur Paarungszeit. Der Ton wird ziellos in der Luft verbreitet, sicher in der Hoffnung, dass ein paarungsbereites Männchen oder Weibchen ihn hört, die Botschaft versteht und zum glücklichen Ende der Vögel- Love-Story beiträgt. Was diese Tiere können, das können wir schon lange. Unser Medium ist der Computer, die Schallwellen sind Bits und Bytes, die Botschaft wird ebenso ziellos gesendet wie das Gezwitscher unserer gefiederten Mitkreaturen. Wer in den Chor einstimmen möchte, der kann seine Botschaften über www.twitter.com verbreiten, oder über die deutsche Welle www.frazr.com/ de. Beim Twittern teilt man per Web, im Blog oder auch via Handy seinen Freunden bzw. der ganzen Welt mit, womit man sich momentan beschäftigt, und wahrscheinlich auch, 61 ob man gerade paarungsbereit ist. Vielleicht gibt es irgendwo dort draußen ein menschliches Wesen, das diese Botschaft hört und versteht. Sie muss aber kurz sein, diese Botschaft. Ein Tweet, so heißt der einzelne Zwitscherer, darf nicht mehr umfassen als 150 Zeichen. Ich danke all meinen Lesern, die meinem Zwitschern nun schon so lange gefolgt sind, tschilp tschilp! <u> ubiquitär, Adjektiv „Ubiquitär“ ist ein neues Zauberwort der Informations- und Kommunikationstechnik. Mittels leichter und leistungsfähiger mobiler Endgeräte, die über das Internet den Zugang zu allen großen Informationsquellen ermöglichen, ist man überall dort, wo man geht und steht, bestens informiert: über das nächste Restaurant mit thailändischer Küche oder darüber, wie viel Verspätung der Zug, den man nehmen wollte, hat, und welche Fahrtalternativen es gibt. Die Kehrseite dieser allerörtlichen Informiertheit ist die allerörtliche Erreichbarkeit - für Familie, Kunden oder Kollegen. Und, Hand aufs Herz, manchmal möchte man es doch gar nicht so genau wissen, oder? Unterwegsradio, das Das Radio wird flexibel und mobil. Zum einen gibt es, und das schon länger, tragbare Radiogeräte, mit denen sich der Lokalsender in einigermaßen akzeptabler Qualität empfangen lässt. Solche Teile gehören zur Gruppe der Unterwegs-Audioprodukte (Walkman etc.), haben aber den Nachteil, dass man sich zu einer bestimmten Zeit das anhören muss, was der Lokalsender dann gerade anbietet. Viele Radiostationen sind nun dabei, dem Unterwegsradio mittels Podcasts eine neue Dimension zu geben. Der Hörer soll zeitsouverän werden. Man lädt die Aufnahme seiner Lieblingssendung oder einer, die man verpasst hat, herunter, packt die Datei auf einen MP3-Player und kann diese nun zu jeder Zeit beim Joggen oder in der U-Bahn hören. Aber bitte nicht die richtige Station verpassen! 62 <v> Vlog / vloggen, der / Verb Blogs gibt es über alles und jedes. Vielleicht sind Sie ja auch stolzer Besitzer Ihren eigenen Blogs, mit dem Sie Ihr Wissen oder Ihre Meinung zum Weltgeschehen kostenlos unter die Leute bringen. Möglicherweise haben die Leute, die Sie erreichen möchten, aber wenig Lust, einen weiteren Blog zu lesen. Für manche Themen, z. B. Nachrichten, Musik und Anleitungen aller Art, sind bewegte Bilder außerdem viel besser geeignet als bloßer Text. Mit etwas technischem Know-how können Sie Ihre Botschaften in Videos verpacken. Diese nennt man Videoblogs oder kurz Vlogs. Ein exzellentes, professionell gemachtes Beispiel eines Vlogs ist Ehrensenf. An diesem Maßstab sollte man sich messen lassen, wenn man einen eigenen Vlog plant und nicht nur Langeweile in neuer Form verbreiten möchte. <w> Warkitting, das Der Kampf um Ihren Computer ist längst in vollem Gang. Hacker attackieren ihn tagtäglich auf allen freien Ports, um ihn zu erobern und in ihr Botnet ( Bot) zu übernehmen. Sie wissen sich hoffentlich gegen diese Attacken zu wappnen, wenn nicht, dann empfehle ich dringend einen Besuch der Website des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik ( www.bsi.de ). Leider sind die Angreifer uns schon wieder einen Schritt voraus. Die neueste Methode heißt Warkitting oder WAP Jacking und zielt auf den Router - das ist der Kasten, der Ihren Rechner mit dem Internet verbindet. Wie Sie sich gegen diese Attacken wehren können? Dies ist leider nicht das richtige Buch, um diese Frage zu beantworten. Ein ausführlicher Blick ins Handbuch des Routers oder auf die o.g. Website hilft Ihnen hoffentlich weiter. Die von den Providern geförderte Ansicht, man müsse das Gerät nur anschließen, erzeugt ein Gefühl von trügerischer Sicherheit. Wenn Sie zu wenig wachsam sind, kann das schnell auf Ihre Kosten gehen. Der Feind ruht nicht. 63 W-Commerce, der Wenn „W“ vor der Tür steht, nehmen auch die W-Wörter in der Wortwarte stark zu, zum Beispiel W-Commerce. Diese Erfindung der Unternehmensberatung Fittkau und Maaß bringt das Wesentliche am Weihnachtsfest, jedenfalls aus Sicht der Wirtschaft, auf den Punkt. Das Wort gesellt sich zu E-Commerce (elektronischer Handel) und M-Commerce (Handel über mobile Endgeräte), ist in seiner Verwendung aber zum Glück saisonal begrenzt. Die Studie, aus der dieses Wort stammt, stellt fest, dass immer mehr Menschen ihre Weihnachtsgeschenke auf elektronischem Weg oder über mobile Endgeräte bestellen. W-Entertainment , also zum Beispiel das Stöbern in virtuellen Adventskalendern, und W-Communication , das Versenden virtueller Weihnachtskarten, seien dagegen Nebensache. Echte Schokolade schmeckt eben besser, und Oma freut sich auch mehr, wenn man in Fleisch und Blut vor ihr steht. Diesmal vielleicht mit einem kleinen Geschenk aus dem Webshop? <y> Yobizz, Eigenname Ich habe Yobizz nicht nur hier aufgenommen, um die Lücke beim Buchstaben „y“ aufzufüllen. Yobizz steht für einen Trend, den man „Computerunterstützung bei der Berufswahl“ nennen könnte. Angebote wie dieses wären dazu geeignet, den Service der Bundesagentur für Arbeit zu ergänzen. Würde es akzeptiert, dann säßen in Zukunft halbwegs informierte Schulabgänger den Beratern der Agentur(en) gegenüber, was diese durchaus zu schätzen wüssten. Yobizz ist ein Beitrag zweier Schüler zu einem Wettbewerb der Rotary-Clubs Kleve, Emmerich, Geldern und Kleve- Moyland zum Thema Berufswahl per Internet. Leider merkt man der Seite diesen Status noch an. Man wird aufgefordert, seinen Traumjob zu nennen. Zu allen meinen Traumjobs gibt es leider keinen Eintrag. Ich bleibe uninformiert. Also fülle ich den Interessentest aus. Dieser ist dilettantisch gemacht, als Ergebnis wird mir, der ich seit zig Jahren Sprachwissenschaftler und auf der linken Gehirnhälfte eher unterentwickelt bin, eine Ausbildung zum Diplomdesigner empfohlen. Wo, bitte, geht es zur Bundesagentur für Arbeit? 64 <z> Zahnbörse, die Die Zahnbörse sollte laut von allen Krankenkassen begrüßt werden. Es handelt sich dabei um eine Art „Ebay“ für Zahnärzte. Jeder Patient, der eine umfangreichere Gebiss-Sanierung mit Zahnersatz benötigt, kann die Kosten, die sein momentaner Dentist für bestimmte, im Heil- und Kostenplan genannte Leistungen berechnen würde, in der Zahnbörse eintragen. Jeder seiner Fachkollegen, der der Zahnbörse beitritt, kann für die angegebenen Leistungen ein günstigeres Angebot abgeben. Dieses wird dem Kunden mitgeteilt. Der kann nun zum billigeren Zahnarzt wechseln. Die Berufsverbände der Kassenärzte protestieren natürlich gegen das Preisdumping. Kein Wunder, denn hier wird das in Deutschland traditionell eher schlechte Preis-Leistungs-Verhältnis sichtbar und eine echte Konkurrenz entsteht - eine ungewohnte Situation für Deutschlands Mediziner (www.2te-ZahnarztMeinung.de). Zauselquote, die Harry Rowohlt, Oberzausel der Nation, äußerte bei der Verleihung eines Satirepreises: „Mit der Verleihung an mich ist jetzt die Zauselquote erreicht. Den nächsten Satirepreis kann eine komische Dame erhalten“ - und führte damit ein schönes, selbstironisches Wort in die deutsche Sprache ein, mit dem er zugleich die um sich greifende Quotengeilheit der Medien auf die Schippe nahm. Rowohlt trägt ja selbst zur Erhöhung der Zauselquote in den öffentlich-rechtlichen Fernsehprogrammen bei: durch seine gelegentlichen, immer wieder gern gesehenen Gastauftritte in der „Lindenstraße“. zeitsouverän, Adjektiv Das Wörterbuch beschreibt den Souverän als jemanden, der die Hoheitsrechte ausübt. Wenn man also zeitsouverän handelt, dann übt man das Hoheitsrecht über die eigene Zeit aus. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Wenn man aber an all die Verpflichtungen und Zwänge denkt, denen man unterliegt, angefangen bei der Arbeit, ist es das keineswegs. Und selbst die Freizeit richtet man oft nach den Angeboten der Massenmedien aus: Wann tritt U2 auf, wann läuft der neue „Tatort“? Gerade die 65 Medien üben mehr als gebührlich Hoheitsrechte über unsere Zeit aus. Zeitsouveränität muss also erkämpft werden. Dies wird in beschränktem Maße möglich durch Aufnahmen, die sich auf mobile Geräte übertragen und dort abspielen lassen ( Profcasting, Unterwegsradio). Inwiefern man wirklich zum Souverän über die eigene Zeit wird oder ob sich der Griff der Massenmedien auf unsere Zeit und Aufmerksamkeit nur verlagert, das soll dahingestellt bleiben. Wer mehr zum Thema Zeitsouveränität wissen und lernen möchte, sei hiermit auf die Website http: / / www.aya-partner.de/ eingeladen. Jederzeit! 66 Was sind neue Wörter? Neue Wörter sind Wörter, die zu einem bestimmten Zeitpunkt neu gebildet und verwendet werden. Sie haben einen Ursprung, d.h. es gibt jemanden, der ein neues Wort kreiert und zum ersten Mal verwendet. Dieser Jemand ist aber fast nie bekannt. Das meiste, was wir den Tag über so sagen, wird nämlich nicht aufgezeichnet. Wenn ein Wort also z. B. in einer Zeitung auftaucht und man es als neu wahrnimmt, dann bedeutet das nicht, dass es die allererste Verwendung dieses Wortes ist. Oftmals ist dies so, ich kann es aber nicht beweisen. Neue Wörter werden von denen, die sie gebrauchen, wie von denen, die sie lesen oder hören, als neu empfunden. Es gibt eine Reihe von sprachlichen Mitteln, mit denen man anzeigen kann, dass man Abstand hält zu dem neuen Geschöpf und es noch nicht als Teil der eigenen Sprache empfindet: Die sogenannte Quadratwurzellösung ist mit Deutschland nicht zu machen. Das Infotainment, wie man dazu auf neudeutsch sagt .... Man hört jetzt viel vom „ Problemlösungsbären “ , aber wessen Probleme löst der eigentlich? Auch der Bindestrich kann als ein subtiles Zeichen der Distanz verwendet werden. Es ist ein kleiner, aber feiner Unterschied, ob man „Musik-Download“ oder „Musikdownload“ schreibt. Mit der ersten Variante kann man zeigen, dass man einen gewissen Abstand zwischen dem aktuellen „Download“ und dem scheinbar urdeutschen „Musik“ empfindet. Das Wort „Musik“ wurde allerdings schon vor einiger Zeit aus dem Griechischen in die deutsche Sprache übernommen. Natürlich wird nicht jeder Bindestrich zu diesem Zweck verwendet. Neue Wörter werden zunächst als fremd wahrgenommen. Sie werden mitunter eher zögerlich, oft auch gar nicht weiterbenutzt. Dann bleiben sie einmalig verwendete Gelegenheitsbildungen. Andere Wörter finden ihren Platz im allgemeinen Sprachgebrauch, werden in Wörterbüchern verzeichnet und nach 67 einiger Zeit nicht mehr als neu wahrgenommen. Man denke nur an die Wörter „Maus“, womit seit über 30 Jahren ein Teil des Computers bezeichnet wird, oder „Bundesrat“, eine Institution, die in der jungen Bundesrepublik geschaffen wurde. Nicht jedes Wort, das von vielen Sprechern als neu empfunden wird, ist wirklich neu. Es mag bei einigen Sprechern schon lange in Gebrauch sein. Warum wird es dennoch als neu empfunden? Man muss sich den Wortschatz einer Sprache als eine Vielzahl von Teilbereichen vorstellen, in etwa so wie in der folgenden Abbildung: Im Zentrum stehen die allgemeinsprachlichen Wörter. Diese bilden den Kern des Wortschatzes. Jeder Sprecher des Deutschen weiß, was „Tisch“ oder „Löffel“ bedeutet. Daneben gibt es die Dialekte des Deutschen mit ihren regionalsprachlichen Wörtern. In Norddeutschland weiß (fast) niemand, was „Grumbiere“ sind - nämlich Kartoffeln -, im Süden Deutschlands niemand, dass mit „Büdchen“ ein Kiosk gemeint ist. Darüber, was das Wort „Bühne“ bezeichnet, gehen die Meinungen zwischen Süddeutschen und Norddeutschen auseinander. Für diese ist es nur eine Einrichtung im Theater, für jene auch der Dachboden eines Hauses. Ein anderer Bereich, der zum Wortschatz des Deutschen beiträgt, ist der der Gruppensprachen. Die bekanntesten Gruppensprachen sind die Jugendsprache, die Ganovensprache und die Soldatensprache. Vor hundert Jahren hatte auch die Studentensprache noch mehr Eigenheiten als heute. Dazu kommt eine brei- 68 te Palette von Fachsprachen. Die meisten Berufe und Wissenschaften haben ihren eigenen Wortschatz. Untereinander verstehen sich Juristen, Ärzte, Informatiker u.s.w. damit meist problemlos, der fachliche Laie kann sich nur wundern. So wird sich ein schwäbischer Arzt in verschiedenen sprachlichen Bereichen bewegen. Mit seinen Patienten spricht er Schwäbisch, mit seinen norddeutschen Verwandten Hochdeutsch. Mit seinen Kollegen spricht er „Medizin“. Er wird aber möglicherweise nicht viel verstehen, wenn er seiner Tochter zuhört, wie diese sich mit ihren Freundinnen z. B. über den neuesten Harry-Potter-Roman oder über die gerade angesagteste Boygroup unterhält. Wörter können aus den Fachsprachen in die Allgemeinsprache gelangen - aber auch der umgekehrte Weg ist möglich. So wurde das Wort „Gruppe“ in die Fachsprache der Mathematik und die Fachsprache der Soziologie übernommen, natürlich jeweils mit einer anderen bzw. spezielleren Bedeutung als das Wort, das man kennt. Hier ist aber nur der Fall von Interesse, dass ein Fachwort zu einem allgemeiner verwendeten und weiter verbreiteten Wort wird. Wörter aus einer Fachsprache oder Gruppensprache werden dann zum Allgemeingut, wenn die Sache, die dieses Wort bezeichnet, auf einmal von allgemeinem Interesse ist. Dies hat viel mit der Arbeit der Presse zu tun. Journalisten greifen Themen auf, die bisher vor allem einen Kreis von Fachleuten interessierten, und machen mit diesen Themen die entsprechenden Wörter populär. Beispiele hierfür sind der „Identitätsdiebstahl“ - womit das Entwenden und Missbrauchen von persönlichen Daten wie Name und Geburtsdatum bezeichnet wird -, die Lungenkrankheit „Sars“ oder alle möglichen Entwicklungen und Produkte aus der „Nano“-Welt. Eine besondere Rolle als Gebersprache, also als Sprache, aus der das Deutsche Wörter „entleiht“, spielt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Englische. Ich werde an anderer Stelle (s. S. 94ff.) ausführlicher auf die Rolle des Englischen eingehen und vor allem auf Bedenken, dass das Deutsche von der englischen Sprache verdrängt wird. Neue Wörter, egal ob sie nun wirklich neu sind oder nur neu in der Allgemeinsprache verwendet werden, bereichern unsere Ausdrucksmöglichkeiten. Mit ihnen wird unser Wortschatz ausgebaut. Nur in wenigen Fällen wird ein fest eingebürgertes von 69 einem neuen Wort verdrängt. Meist ist dies die Folge einer bewussten Sprachplanung. So wurden im letzten Jahrhundert die im Bahnwesen gebräuchlichen französischen Wörter wie „Perron“ durch deutsche Wörter ersetzt. Die französischen Wörter sind schon lange nicht mehr in Gebrauch - außer natürlich in Frankreich -, sie sind von ihren deutschen Pendants verdrängt worden, mit Ausnahme von „Waggon“. Es gibt auch andere, nicht geplante Fälle von Verdrängung. So weiß heute wahrscheinlich nur noch die ältere Generation, was ein „Backfisch“ ist. Die Jüngeren sagen „Teenager“. Die Bedeutung beider Wörter ist allerdings nicht genau gleich. Dem Wort „Teenager“ fehlt der Hinweis auf die fehlende Reife der bezeichneten Person, dem Wort „Backfisch“ der Bezug auf das Alter. Wie ich jedoch bei den Worterläuterungen ( Community, Kid/ Kind, -tool) gezeigt habe, geben neue Wörter, die scheinbar die gleiche Bedeutung haben wie bereits bestehende, uns Sprechern die Möglichkeit, feinere Bedeutungsnuancen auszudrücken. So kann man den Eindruck eines computertechnisch Versierten vermitteln, wenn man von „Tools“ statt von „Werkzeugen“ redet, oder seine Abneigung gegen pseudoenglische Wortschöpfungen dadurch kundtun, dass man von „Mobiltelefonen“ statt von „Handys“ spricht. Es wird ein Platz geschaffen für das neue Wort im Gebäude der Sprache. Wir Sprecher sollten diese Möglichkeit nutzen, sonst wird über kurz oder lang eines der beiden Wörter wieder aus dem Sprachgebrauch verschwinden, wahrscheinlich eher das neue Wort. Nicht jedes neue Wort, das Eingang in die Sprache findet, erscheint in einer neuen Form. Es kommt auch häufig vor, dass ein bereits gebräuchliches Wort eine neue Bedeutung erhält. Meist steht diese dann in irgendeinem Zusammenhang mit den bisherigen Bedeutungen dieses Wortes. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Wort „Maus“. Als in den 1960er Jahren Douglas Engelbart ein Gerät erfand, mit dem ein Zeiger auf dem Computerbildschirm gesteuert werden konnte, nannte man dieses Gerät bald „Maus“. Die Wahl dieses Namens wurde sicher durch die Form des Gerätes nahe gelegt, die damals wie heute noch an eine „richtige“ Maus erinnert. Ein aktuelleres Beispiel für eine Neubedeutung ist das Wort „Freund“ als Bezeichnung für jemanden, den man in 70 die „Freundesliste“ (oder „Buddylist“) eines Messenger oder vergleichbaren Kommunikationswerkzeugs aufnimmt. Diese Art von Freundschaft ist viel lockerer (und virtueller) als das, was man tradionellerweise unter dem Wort „Freund“ versteht. Das letzte Beispiel lässt die Schwierigkeiten erahnen, die mit dem Erkennen einer neuen Bedeutung verbunden sind. Eine solche entsteht durch den Gebrauch eines Wortes, der sich vielleicht nur unwesentlich von bisherigen Verwendungen unterscheidet. Nach und nach tritt die neue Bedeutung klarer hervor. Irgendwann wird diese neue Bedeutung dann in den Wörterbüchern registriert. Man hat es also sowohl mit „echten“ Neuwörtern als auch mit Neubedeutungen zu tun. Liebhaber und Pfleger der deutschen Sprache kritisieren an neuen Wörtern immer wieder zweierlei: 1) neue Wörter seien unverständlich und 2) neue Wörter seien hässlich. Den ebenfalls oft gehörten Einwand, dass neue Wörter überflüssig seien, habe ich hoffentlich durch das Wörterverzeichnis im ersten Teil dieses Buches entkräften können. Wenn man ein Wort nicht versteht, dann liegt dies nicht unbedingt an diesem selbst. Man ist vielleicht geneigt, dem Wort die Schuld daran zu geben, dass einem die Bedeutung unbekannt ist. Dies gilt um so mehr, wenn einem schon die Form dieses Wortes seltsam oder unvertraut erscheint, wie bei „Skike“ oder „Freegan“ - Erläuterungen zur Bedeutung beider Wörter finden Sie übrigens im Wörterverzeichnis. Was aber ist mit dem Wort „Identitätsdiebstahl“? Dieses Wort sieht doch einigermaßen vertraut aus. Dennoch weiß außer Internetexperten bei der Polizei, Juristen und denjenigen, die Opfer eines solchen Deliktes geworden sind, kaum jemand, was es besagt. Normalerweise wendet man sich, wenn man die Bedeutung eines Wortes nicht kennt, Rat suchend an ein Wörterbuch. Aber leider sind neue Wörter dort noch nicht verzeichnet. Vielleicht ist das eine weitere Ursache für das Unbehagen, das neue Wörter uns bereiten. Der andere Vorwurf, der neuen Wörtern hin und wieder gemacht wird, ist, dass sie nicht schön seien. Die Feststellung, dass ein Wort schön ist oder nicht, setzt voraus, dass man weiß oder spürt, was Schönheit ist. Ich glaube kaum, dass jemals Einigkeit darüber erzielt werden kann, was ein schönes Wort ist - sieht 71 man einmal von dem Wort „Habseligkeiten“ ab, auf das die Mehrheit der Sprachfreunde bei einem Wettbewerb zum „schönsten deutschen Wort“ sich einigen konnte. Als unschön empfunden werden wahrscheinlich Wörter, die einen unangenehmen Klang haben, „Happyologie“ zum Beispiel. Unschön dürften auch Wörter erscheinen, die sich aufgrund ihrer Form gegen ihre Aufnahme in das heimische Sprachsystem sperren, wie „downloaden“ - heißt es „gedownloaded“ oder „downgeloaded“, schreibt man „downgeloadet“, also wie man es im Deutschen spricht, oder „downgeloaded“? Schön sind natürlich diejenigen Wörter, die einen Reichtum an Assoziationen freisetzen, wie das Wort „Habseligkeiten“. Aber hier beginnt bereits das Reich der Poesie. Ich will auch nicht ausschließen, dass das eine oder andere Wort in meiner Wortliste poetische Qualitäten hat. Als Beispiel seien hier nur der „Problemlösungsbär“ oder der „Flachvater“ genannt. Wenn Sie eine Antwort auf die Frage haben, was ein Wort zu einem schönen Wort macht, dann lassen Sie es mich bitte wissen! Schreiben Sie eine E-Mail an lothar@lemnitzer.de. 72 Warum werden neue Wörter gebildet? Der Wortschatz ist der wandlungsfähigste Teil einer Sprache. Eine Verschiebung im Lautsystem haben wir in den letzten paar hundert Jahren nicht mehr erlebt. Sprachwissenschaftler sprechen im Deutschen von der ersten und zweiten Lautverschiebung. Die erste Lautverschiebung hat wahrscheinlich im ersten vorchristlichen Jahrhundert stattgefunden, die zweite im sechsten und siebten Jahrhundert n. Chr. Diese Lautverschiebungen sind uns Sprechern nur bewusst, wenn wir neben der Hochsprache einen Dialekt sprechen. In den niederdeutschen Dialekten, entlang einer Grenze, die nördlich von Düsseldorf verläuft, verwendet man in den Dialekten keinen „pf“-Laut. Man spricht also „Appel“ statt „Apfel“ u.s.w. Die gegenwärtigen Sprecher des Deutschen können ziemlich sicher sein, keine Lautverschiebung mehr zu erleben. Bei der Grammatik kann man sich da nicht so sicher sein. So wird z. B. zur Zeit das Wort „weil“ verstärkt auch zur Verbindung zweier Hauptsätze verwendet. Man sagt also nun häufiger neben Ich muss zum Aldi, weil es da gerade Computer gibt, auch Ich muss zum Aldi, weil da gibt es gerade Computer. Diese Funktion war früher dem Wort „denn“ vorbehalten. Man findet diese zweite Art der Verwendung von „weil“ noch überwiegend in der gesprochenen Sprache, es ist aber durchaus möglich, dass sie sich auch in der geschriebenen Sprache als korrekte Verwendung durchsetzt. Eine Tendenz in der Wortbildung geht dahin, manche Endungen einfach wegzulassen, also „kicher“ statt „ich kichere“ oder „kichern“ zu sagen oder zu schreiben. Diese Tendenz findet man heute überwiegend in der Sprache der Chats, die der gesprochenen Sprache näher steht als der geschriebenen Sprache. In unserem Dasein als aktive Sprecher, das im günstigsten Fall siebzig bis neunzig Jahre währt, werden wir vielleicht eine Handvoll solcher Veränderungen erleben. 73 Eine andere Sache ist die Rechtschreibung. Sie ist eher das Ergebnis eines geplanten Eingriffs als eines mehr oder weniger spontanen, von den Sprechern ausgehenden Sprachwandels. Man hat dies gerade an der letzten Rechtschreibreform gesehen, die zwar von leidenschaftlichen gesellschaftlichen Diskussionen begleitet wurde, aber dennoch das Ergebnis von Planung und staatlicher Verordnung ist. Es sind aber auch im Bereich der Schreibung Prozesse spontanen Sprachwandels möglich. So könnte es sein, dass unter dem Einfluss des Englischen der -Laut, wie etwa in „Schau“, eines Tages „sh“ statt wie bisher „sch“ geschrieben wird. Ich halte dies allerdings für wenig wahrscheinlich. Wenn man einmal von der Rechtschreibung absieht, werden wir Sprecher des Deutschen eher selten Zeuge der oben beschriebenen Prozesse des Sprachwandels. Dagegen sind wir schon als durchschnittliche Zeitungsleser täglich neuen Wörtern ausgesetzt. Von den gängigen Wörterbüchern erscheint alle paar Jahre eine neue Auflage, weil diese nur so mit dem raschen Wandel im Wortschatz Schritt halten können. Woran liegt das? Zum einen ist der Wortschatz von allen Ebenen der Sprache am stärksten an die außersprachliche Welt geknüpft. Wörter folgen daher am unmittelbarsten dem Wandel der Dinge und Sachverhalte, die benannt werden wollen. Zweitens nimmt man die Neuigkeit von Wörtern viel stärker wahr als die Neuigkeit von Sätzen oder gar Texten. Tatsächlich gibt es sehr wenige Sätze, die einander gleichen. Sieht man einmal von Standardformeln wie „Guten Tag! “, „Immer mit der Ruhe! “ oder „Nun mach schon! “ ab, dann ist jeder Satz neu. Es gibt aber keine Satzbücher, sondern Wörterbücher. Wörter und Wortteile sind die Grundbausteine, aus denen zusammengesetzte Wörter, Satzteile und Sätze gebildet werden. Die Bedeutung ist zuallererst an das Wort geknüpft. Wenn man etwas nicht versteht, dann schaut man zunächst einmal im Wörterbuch nach. Es wird hier also in erster Linie von Wörtern und ihrer Bezeichnungsfunktion die Rede sein. Wie ich später zeigen werde, gibt es außer dem Ziel, ein Ding oder einen Sachverhalt zu benennen, noch andere Gründe, ein bestimmtes Wort zu verwenden. Zunächst möchte ich jedoch die Bezeichnungsfunktion der Wörter beschreiben. 74 Viele Bereiche unseres Lebens halten ständig Neuigkeiten für uns bereit. Dies gilt heute besonders für das Internet bzw. das World Wide Web (im Folgenden kurz „WWW“). Das Internet war Anfang der 1990er Jahre nur wenigen Experten bekannt. Heute durchdringt es oder bestimmt das Leben von vielen Menschen. Eine Menge Wörter „rund ums Internet“ sind aus der Fachsprache der Informatiker in unsere Alltagssprache eingedrungen, z. B. „Dateitransfer“ und „Hochladen“, andere sind im Rahmen der Verbreitung des Internets bzw. des WWW entstanden. So ist der Identitätsdiebstahl eine kriminelle Handlung, die erst infolge der starken Ausbreitung des WWW aufgekommen ist. Entsprechend neu ist das Wort, das diesen Sachverhalt bezeichnet. Viele technische Errungenschaften erfordern neue Benennungen, die sich durchsetzen, wenn das dazugehörige Ding über längere Zeit hinweg zum Alltag der Menschen gehört. Andere Wörter verabschieden sich aus dem Wortschatz, wenn die damit bezeichneten Dinge für längere Zeit im Leben der Sprecher keine Rolle mehr spielen. Mit dem Verschwinden des Tonbands, das in den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts durch andere Tonträger ersetzt wurde, werden einige Wörter in Vergessenheit geraten: „Tonkopf“, „Bandsalat“, „umspulen“ etc. Eine Ursache für das Entstehen neuer Wörter ist also die Notwendigkeit, neue Dinge oder Sachverhalte zu benennen. Im Wörterverzeichnis finden sich einige Beispiele dafür. Der Umstand, dass neue Dinge entstehen und benannt werden wollen, ist für eine andere Art von Neuwörtern verantwortlich, die hier „nachträgliche Differenzierung“ genannt werden soll. Jahrelang war das Telefon mit Wählscheibe das Standardtelefon. Es genügte also, „Telefon“ zu sagen, um bei den Zuhörern das Bild eines Geräts mit Wählscheibe hervorzurufen. Dann kamen die Telefone mit Tasten. Seitdem bestand die Notwendigkeit, vom Wählscheibentelefon zu sprechen oder vom Tastentelefon, um das gewünschte Bild hervorzurufen. Ähnlich erging es den Kameras, bei denen man heute von Digital- und Analogkameras redet. Mit dem Aufkommen des Webradios spricht man von eben dem - „Webradio“. Der über Luftwellen vermittelte Rundfunk ist immer noch „das Radio“. Es scheint also, dass das komplexere Wort zunächst für das Neue benötigt 75 wird, um es sprachlich angemessen darstellen zu können. Erst wenn das Neue zur Norm wird, besteht der nachträgliche Bedarf zur Präzisierung auch für das Alte. Irgendwann verschwindet die alte Technologie und mit ihr der Name. Das Wort „Wählscheibentelefon“ wird man heute auf die Liste der bedrohten Wörter (http: / / www.bedrohte-woerter.de/ ) setzen müssen, das Wort „Analogkamera“ noch nicht. Nicht alle neuen Wörter aber beziehen sich auf neue Dinge oder Sachverhalte. Häufig möchte man eine besondere Seite an einer Sache betonen. Diese wird mit der bisherigen Benennung, wenn es denn schon eine gibt, nicht ausreichend getroffen. Hier beginnt das Feld der sprachlichen Kreativität. Ein schönes Beispiel ist das Wort „Mondscheintarif“, das einen Tarif bezeichnet, bei dem das Telefonieren zu abendlicher und nächtlicher Stunde billiger wird. Der Reiz dieses Wortes liegt darin, dass die nächtliche Stunde durch den poetischen Mondschein heraufbeschworen wird. Eines meiner Lieblingswörter ist die von Friedrich Merz in die Diskussion gebrachte „Bierdeckelsteuer“. Das Wort bezeichnet die Vision einer Steuererklärung, die so einfach ist, dass sie auf einen Bierdeckel passt. Hier wird mit einem Wort eine Gesinnung, nämlich der Wunsch nach einfachen Steuererklärungen, auf den Punkt gebracht. Leider sind solche Wörter selten. Es handelt sich oft um Einfälle sprachkreativer Menschen, von denen es immerhin noch einige gibt. Diese Wörter gehören außerdem meistens zu den Gelegenheitsbildungen, die nicht den Weg ins Wörterbuch schaffen. Der „Mondscheintarif“ findet sich allerdings im Rechtschreibduden, obwohl es die Sache, die er bezeichnet, seit 1980 nicht mehr gibt. Beurteilen Sie selbst die sprachliche Kreativität, die zu den Wörtern im Wörterverzeichnis geführt hat! Sprache kann auch dazu verwendet werden, um eine Gruppenidentität zu stiften und andere auszugrenzen. Dies ist besonders auffällig bei der sog. Jugendsprache. Ich habe mir bei den Recherchen zu diesem Buch zwei Wörterbücher der Jugendsprache angesehen. Abgesehen davon, dass ich nicht weiß, ob die dort verzeichneten Wörter wirklich von Jugendlichen verwendet werden - ich vertraue hier den Autoren -, ist mir fast keines der dort verzeichneten Wörter bekannt, jedenfalls nicht in der Bedeutung, 76 in der Jugendliche sie angeblich verwenden. Haben Sie sich schon mal an den Kopf gefasst, weil Sie von einer Werbung kein Wort verstanden haben? Mir geht es z. B. so mit der Werbung für Klingeltöne und Handyspiele, die man gelegentlich auf der Rückseite der Fernsehzeitung findet. Ist dem so, dann wissen Sie immerhin, dass Sie nicht zur Zielgruppe dieser Werbung gehören. Es wäre jedenfalls verkehrt, der Sprache bzw. den beteiligten Wörtern die Schuld zu geben, dass man nichts versteht. Das Bedürfnis, andere auszugrenzen oder anzugeben, ist sicher die Ursache für etliche Wörter und Sprüche, die von vielen als Ärgernis empfunden werden. Ich möchte mich da nicht ausnehmen. Der Spruch „Feel the difference“ ist inhaltsleer. Mit ihm soll, eventuell zusammen mit einem begleitenden Bild, ein Lebensgefühl hervorgerufen oder erzeugt werden. Aus meiner Sicht gehört das Wort „Happyologie“ zu dieser Kategorie. In angeberischer und pseudowissenschaftlicher Manier wird hier ein einfaches menschliches Bedürfnis, das Streben nach Glück, mit einer Worthülse bezeichnet. Ein weiteres Motiv für die Bildung neuer Wörter ist der sparsame Umgang mit Sprache. Das Deutsche eignet sich besonders gut dazu, komplexe Sachverhalte in einem einzigen Wort zusammenzufassen. Ich habe dies bereits an einigen Beispielen, z. B. „Mondscheintarif“, gezeigt. Die meisten spontan gebildeten Zusammensetzungen sind allerdings weniger poetisch als langweilig. So kann etwa der Aufkauf eines Fußballspielers durch einen bestimmten Fußballverein als „BVB-Transfer“ bezeichnet werden, oder als „VfB-Transfer“ oder „HSV-Transfer“. Die überwiegende Zahl der Wörter, die ich täglich bei der Erstellung der Wortwarte-Sammlung betrachte, ist von diesem Kaliber. Sie erfüllen ein momentanes Mitteilungsbedürfnis, können meist ohne Schwierigkeiten verstanden werden, haben aber kaum eine Chance über den Tag hinaus. Selten wird eines von ihnen in ein Wörterbuch aufgenommen. Ich habe Ihnen vier gute Gründe, neue Wörter zu bilden, genannt. Über die so zustande gekommenen Wörter können wir zusammenfassend Folgendes sagen: 77 Wörter, die neue Dinge oder Sachverhalte beschreiben, sind notwendig und werden so lange gebraucht, wie es diese Dinge und Sachverhalte gibt, z. B. „Skikes“. Dementsprechend werden sie ihren Weg ins Wörterbuch finden. Sie werden meist als neu empfunden, so wie die Sache, die sie bezeichnen. Oft geht es darum, mit neuen Wörtern bestimmte Dinge und Sachverhalte, vor allem Erscheinungen des Zeitgeistes, in einem neuen Licht erscheinen zu lassen, z. B. „deukisch“. Vor allem die Wörter, die häufiger verwendet werden, finden Eingang in die Wörterbücher. Wörter, die ein bestimmtes Lebensgefühl oder eine Gruppenzugehörigkeit ausdrücken - z. B. „technosexuell“ -, werden ebenfalls als neu empfunden und stellen oft ein Ärgernis für diejenigen dar, die durch diese Wörter ausgegrenzt werden. Allgemeinsprachliche Wörterbücher nehmen diese nur auf, wenn sie eine weitere Verbreitung, über die Gruppe der ursprünglichen Verwender hinaus, finden. Der Rechtschreibduden etwa führt die (ehemals? ) jugendsprachliche Bedeutung des Wortes „krass“ auf. Es gibt eine Vielzahl von Spezialwörterbüchern, die die Sprache dieser Gruppen, vor allem die Jugendsprache, und ihre Wörter auflisten. Die meisten dieser Werke genügen allerdings nicht den Ansprüchen, die man an Wörterbücher stellen sollte. Platzsparende Wörter für den kurzzeitigen Gebrauch sind häufig Gelegenheitsbildungen. Ein Beispiel hierfür ist „Unterwegsradio“. Viele davon werden nicht als neu wahrgenommen. Die meisten von ihnen sind leicht verständlich, es besteht deshalb keine Notwendigkeit, sie in Wörterbücher aufzunehmen. In der Wortliste dieses Buches finden sich vor allem Wörter der ersten beiden Gruppen. 78 Wie werden neue Wörter gebildet? Man kann ohne Übertreibung sagen, dass täglich neue Wörter gebildet werden. Seit September 2000 habe ich ca. 25 000 neue Wörter in der Wortwarte (s. unten, S. 100ff.) gesammelt, das sind im Durchschnitt zwölf Wörter pro Tag. Und das ist nur die Spitze des Wörterbergs. Es sind nur die interessantesten Neubildungen des Tages, die es in die Wortwarte schaffen. Noch weniger neue Wörter finden ihren Weg in die Neuauflagen der großen Wörterbücher. Immerhin wurden in die 23. Auflage des Rechtschreibdudens laut Angaben des Verlags etwa 5 000 neue Wörter aufgenommen. Die Aufnahme in die Wörterbücher des Duden-Verlags kann als eine Art Ritterschlag für ein neues deutsches Wort angesehen werden - nur den wenigsten wird diese Ehre zuteil. Einem Gegenstand oder Sachverhalt wird ein Wort zugeordnet, das dieses bezeichnet, und diese Zuordnung wird im Wörterbuch festgeschrieben. So wird man vielleicht bald im Duden nachschlagen können, was eine Flatrateparty ist. Im Wörterverzeichnis dieses Buches können Sie es schon jetzt. Hin und wieder werden mehrere Wörter für das gleiche Ding bzw. den gleichen Sachverhalt gebildet. Man spricht dann von Synonymen. So wurden die Schuhe mit Rollen darunter, auf denen sich viele sportlich gesinnte Jugendliche und Erwachsene fortbewegen, eine Zeitlang sowohl „Rollerblades“ als auch „Inlineskates“ genannt. Der zweite Ausdruck hat sich mittlerweile durchgesetzt. Als Kurzform für Inlineskate(s) hat sich „Inliner“ etabliert. Alle drei Formen findet man auch heute noch im Rechtschreibduden. Es ist in erster Linie der Kreativität der Sprecher einer Sprache zu verdanken, dass täglich neue Wörter entstehen. Vielleicht kommt auch noch Bequemlichkeit hinzu. Es ist für beide, den Schreiber wie auch die Leser, einfacher, ein einziges, zusammengesetztes Wort zu verwenden als seine Umschreibung. Das Wort „Flatrateparty“ kommt gerade recht, wenn man über eine Art von Party, auf der man für einen vorher festgelegten Preis unbegrenzt viel Alkohol bekommt, reden oder schreiben möchte. Sprache ist ein sehr elastisches Werkzeug, das es Sprechern erlaubt, nahezu nach Belieben neue Wörter zu bilden. Man kann 79 den Wortschatz einer Sprache als einen großen Baukasten betrachten. Aus einer begrenzten Menge von Bausteinen kann eine unbegrenzte Zahl neuer Wörter gebildet werden. Allerdings kommt wie bei den Baukästen, mit denen man als Kind spielt, z. B. Lego oder Fischertechnik, nicht immer etwas Sinnvolles dabei heraus. wenn man Beliebiges mit Beliebigem zusammensteckt. Man muss bei der Herstellung neuer Wörter einige Regeln beachten. Man kann diese Regeln aber auch brechen. Es wird später gezeigt, wozu das führt. Zunächst will ich die Elemente dieses Baukastens vorstellen. Es werden außerdem die wichtigsten Regeln erläutert, die man beachten muss, wenn man sich aus diesem Baukasten bedient, um neue Wörter zu bilden. Der Bereich der Sprachwissenschaft, der sich mit der Entstehung neuer und der Analyse bestehender Wörter beschäftigt, wird denn auch Wortbildung genannt. Die meisten Wörter, die wir, die Sprecher des Deutschen, verwenden, sind zusammengesetzt. Man sieht nicht immer auf den ersten Blick, welches die Elemente sind, aus denen ein Wort besteht. Man erkennt die Bausteine aber dadurch, dass sie in sehr vielen Wörtern vorkommen. Um die immer wiederkehrenden Bestandteile von Wörtern zu beschreiben, habe ich ein besonders langes Wort als Beispiel gewählt: „Unvereinbarkeitsregelung“. Eine Unvereinbarkeitsregelung kann verstanden werden als eine Richtlinie, in der festgelegt wird, dass bestimmte Dinge oder Sachverhalte nicht miteinander vereinbar sind. Tatsächlich wird in der Schweiz dieses Wort für ein Gesetz verwendet, das die Unvereinbarkeit eines Parlamentsmandats mit anderen Ämtern regelt. Der Grundstock in unserem Baukasten besteht aus den Wortstämmen. Sie bilden den Kern aller Wörter und ihrer Bedeutungen. Andere Wortbestandteile werden um den Kern herum gruppiert. Den Vorgang des Zusammensetzens nennt man Derivation, wenn ein Wortstamm und ein Affix (s. S. 80ff.) kombiniert werden, und Komposition, wenn zwei Wortstämme verbunden werden. Jedes Wort besteht aus mindestens einem Wortstamm. Viele Wortstämme können alleine vollständige Wörter bilden (z. B. „Ding, Regel“). Andere benötigen lediglich eine 80 Endung als Ergänzung (seh > seh-en). Der Wortstamm „ein“ findet sich z. B. in den folgenden Wörtern: einig vereinbaren Einigkeit Vereinigung uneins Unvereinbarkeit Verein Unser Beispielwort „Unvereinbarkeitsregelung“ hat zwei Wortstämme. Die Bedeutung des Stammes „ein“ kann man als ZU- SAMMEN EINE EINHEIT BILDEND beschreiben. Der zweite Stamm ist „regel“, was eine VERBINDLICH GELTENDE R ICHTLINIE bezeichnet. Alle weiteren Elemente werden um den Wortstamm bzw. die Wortstämme herum gruppiert. Die Elemente, die unmittelbar um den Stamm herum angeordnet werden, nennt man Affixe (= das Angehängte, Angeheftete). Affixe können vor dem Wortstamm stehen, dann nennt man sie Präfixe. Werden Sie an den Stamm angehängt, dann heißen sie Suffixe. Während die Anzahl der Wortstämme sehr groß ist und im Deutschen in die Tausende geht, ist die Anzahl der Affixe gering. Es handelt sich dabei lediglich um ein paar Dutzend Elemente. Wird ein Affix an einen Wortstamm angehängt, so verändert sich dadurch dessen Bedeutung. Dafür kann man Regeln finden. Schauen wir uns einige der Affixe unseres Beispielwortes näher an: „ung“: Dieses Suffix steht am Schluss des Wortes. Es macht das mit dem Wortstamm Bezeichnete zu einem Prozess oder zum Ergebnis dieses Prozesses. Dies trifft auch für unser Beispiel zu. „Regelung“ kann den Vorgang des Regelns oder dessen Ergebnis bezeichnen, wie die folgenden beiden Sätze zeigen: Die Regelung des Flugverkehrs ist eine hoheitliche Aufgabe. Diese Regelung tritt mir ihrer Veröffentlichung in Kraft. 81 „keit“: Dieses Suffix steht am Schluss des Teilworts „Unvereinbarkeit“. Es bewirkt, dass eine Eigenschaft zu einem Ding oder Sachverhalt wird, z. B. „sauber“ > „Sauberkeit“. „bar“: Dieses Suffix macht aus einer durch ein Verb ausgedrückten Handlung eine Eigenschaft. Die generelle Bedeutung von „Xbar“ ist KANN GE X T WERDEN , wobei X für das jeweilige Verb steht, z. B. „vererbbar“ = kann vererbt werden; „essbar“ = kann gegessen werden. „ver“: Das Präfix „ver“ hat die unterschiedlichsten Bedeutungen. In unserem Beispielwort drückt es einen Prozess aus: „vereinen“ = die Einheit wird hergestellt. Ein ähnliches Wort ist „verbinden“. „un“: Dieses Präfix verkehrt die Bedeutung des Wortstammes oder Worts, dem es vorangestellt wird, in ihr Gegenteil. Damit habe ich die Affixe beschrieben, die den beiden Stämmen des Beispielwortes hinzugefügt werden, und dargestellt, in welcher Weise diese Affixe die Bedeutung des Wortteils, an den sie angehängt werden, verändern. Für die Affixe gilt Folgendes: Es gibt nur eine relativ kleine Zahl von ihnen. Einige habe ich oben vorgestellt. Ihre Bedeutung besteht darin, dass sie den Wortteil, an den sie angehängt werden, in immer wieder der gleichen Weise verändern. Es können mehrere Affixe mit einem Wortstamm verbunden werden. Der erste Teil des Beispielworts etwa besteht aus einem Wortstamm mit vier Affixen: „Unvereinbarkeit“. Einige Affixe werden dem Stamm vorangestellt, einige Affixe werden angehängt. Es gibt im Deutschen kein Affix, das an beiden Positionen verwendet werden könnte. Einige Affixe, nämlich die Suffixe, können die Wortklasse des Wortes, an das sie angehängt werden, verändern. Das Suffix „bar“ macht aus dem Wortteil „verein(en)“, das ohne dieses Affix ein Verb wäre, ein Adjektiv. Das Affix „keit“ macht aus einem Adjektiv ein Substantiv. 82 Die meisten Suffixe können nur mit Wortstämmen oder Wörtern bestimmter Wortklassen kombiniert werden. Das Suffix „bar“ kann nur mit Verben verbunden werden, das Suffix „keit“ lediglich mit Adjektiven. Gegen diese Regel verstößt das aus der Werbung bekannte Wort „unkaputtbar“. Hier wird das Suffix „bar“ mit einem Adjektiv („kaputt“) verbunden, was an sich nicht regelgerecht ist. Dieser Verstoß sichert dem Wort eine gewisse Aufmerksamkeit - man stutzt beim Lesen und ahnt, dass da etwas nicht ganz richtig ist. Die Reihenfolge, in der mehrere Affixe angeordnet werden können, ist nicht beliebig, sondern festgelegt. Das Wort *Unvereinkeitbar ist danach falsch. Dies gilt vor allem für die Suffixe. Bei den Präfixen sind die Regeln nicht so streng. So ist bei vielen Wörtern die Reihenfolge unserer Beispielpräfixe umgedreht: „verunstalten“, „veruntreuen“, „verunsichern“ etc. Bisher wurde das Beispielwort immer in zwei Teile getrennt: „Unvereinbarkeit“ und „regelung“. Beide Teile bestehen aus einem Wortstamm („ein“, „regel“) und Suffixen, die an diesen Stamm angehängt, bzw. Präfixen, die dem Stamm vorangestellt werden. Die Teile können unabhängig voneinander verwendet werden wie in dem folgenden Satz: Die Regelung über die Unvereinbarkeit von Beamtentätigkeit und Nebentätigkeiten ist erneut gelockert worden. Das Zusammenfügen von unabhängigen Wörtern wird, wie gesagt, Komposition genannt. Das Ergebnis der Komposition nennt man Kompositum. Die Komposition ist das mit Abstand häufigste Mittel, neue Wörter zu bilden. Zusammengesetzt werden können einfache Wortstämme (z. B. „Seh+hilfe“) oder durch Affixe modifizierte Wortstämme („Ruh+ig+stell+ung“). Nahezu jedes Wort lässt sich mit jedem Wort verbinden, und dieser Vorgang kann beliebig oft wiederholt werden. Das Deutsche ist berühmt bzw. bei denen, die diese Sprache lernen wollen, berüchtigt für seine Kompositionsfähigkeit (z. B. „Touchcouchtisch“). Besonders komplexe Wörter, die ich in der Wortwarte gesammelt 83 habe, sind: „Amtsarztbesuchssituation“, „Telekommunikationsvorratsdatenspeicherung“. Es bleibt das „s“, das zwischen den beiden Teilwörtern steht und das bisher noch nicht erklärt wurde. Dieses „s“ gehört zu der Gruppe der Fugenelemente. Ein Fugenelement kann zwischen zwei Teilwörter eines Kompositums treten. Der Grund, warum Fugenelemente zwischen die Teile eines Kompositums eingeschoben werden, ist vermutlich, dass die Aussprache erleichtert wird. Es ist aber schwer, vorauszusagen, welches Fugenelement zwischen die Kompositumsteile tritt. Das häufigste Fugenelement ist das -s-. Häufiger verwendet werden auch das -e- („Tagewerk“) und das -(e)n- („Kohlenofen“). Zwischen den Elementen der Komposita, die wir bisher betrachtet haben, besteht eine hierarchische Beziehung. Das wichtigere Element, das am Ende einer Fügung steht, wird Grundwort genannt. Der Teil, der davor steht, heißt Bestimmungswort. Die „Unvereinbarkeitsregelung“ ist danach eine Art von Regelung, nämlich die über die Unvereinbarkeit (von etwas). Auch die anderen oben genannten Wortungetüme lassen sich auf diese Weise beschreiben: Eine Telekommunikationsvorratsdatenspeicherung ist eine „Speicherung“ von „Daten“. Diese geschieht auf „Vorrat“ und betrifft die „Telekommunikation“. Mit „Amtsarztbesuchssituation“ wird ein Besuch beim Amtsarzt als typische Situation beschrieben. Man sieht an diesem Beispiel, dass auch ein Kompositum, hier „Arztbesuch“, als Teil eines noch komplexeren Kompositums verwendet werden kann. Manchmal kommt es dabei zu Wörtern, die sich auf mehr als eine Weise zerlegen lassen. So kann eine Hoforchestermusik eine Musik für ein Hoforchester sein oder eine Orchestermusik, die bei Hofe gespielt wurde oder wird. Eine besondere Form der Komposition sind Reihungen. Hier gibt es keine hierarchischen Beziehungen zwischen den Elementen. Alle Elemente sind gleichwertig und wie auf einer Perlenkette aufgereiht. Eine solche Reihung kann man sich wie eine Folge unabhängiger Wörter, die durch „und“ verbunden werden, vorstellen. So ist eine schwarz-rot-goldene Fahne schwarz, rot und gold. Eine „soziokulturelle“ Frage wird sowohl unter sozialen als auch unter kulturellen Aspekten betrachtet. In einer weiteren 84 Spielart der Reihung werden Wörter aneinandergefügt, die einen vollständigen Satz ergeben. Ein Beispiel hierfür aus der Wortwarte ist „Gottseiesgetrommeltundgepfiffen“, ein weiteres „Fürmeine-Zukunft-sehe-ich-lila-Sonnenbrille“. Man sieht, dass die Möglichkeiten, neue Wörter zu bilden, schier unbegrenzt sind. Des Weiteren sei noch die Konversion als ein Mittel, neue Wörter zu bilden, erwähnt. Bei der Konversion wird lediglich die Wortklasse eines Wortes geändert, ohne dass diesem etwas hinzugefügt wird. Typische Konversionen sind: Der Wechsel vom Verb zum Substantiv: „denken“ > „das Denken“. Diese Konversion ist bei jedem Verb möglich. Eine besondere Form der Konversion ist der Wechsel vom Verb zum Substantiv bei gleichzeitigem Wegfall der Flexionsendung: „klicken“ > „der Klick“. Es bleibt lediglich der Verbstamm übrig. Dies nennt man auch Rückbildung. Der Wechsel vom Substantiv zum Verb: „Fax“ > „faxen“. Diese Art der Konversion ist wesentlich seltener. Der Wechsel vom Adjektiv zum Substantiv: „rot“ > „das Rot“, „die Röte“. Diese Konversion ist ebenfalls für alle Adjektive möglich. Der Wechsel vom Substantiv zum Adjektiv bzw. Adverb: „Gold“ > „gold“, wie in: „Uns geht’s ja noch gold.“. Diese Art der Konversion ist ebenfalls selten. Das Hauptmotiv für die Konversion ist die Anpassung eines Wortes an den jeweiligen Satzkontext, wie in dem folgenden Beispiel: Das Rauchen ist auf dem gesamten Gelände verboten. Hier soll das Verb „rauchen“ die Stelle und Funktion eines Substantivs übernehmen. Dafür ist die Umwandlung des Verbs in ein Substantiv ohne weitere Änderungen notwendig. Es kommt allerdings vor, dass einige substantivierte Verben oder Adjektive mit der Zeit und häufigerem Gebrauch selbstständig werden und Bedeutungen erhalten, die dem zugrundeliegenden Verb oder Adjektiv nicht eigen sind, wie in dem folgenden Beispiel: Dieses Buch leistet einen Beitrag zum zeitgenössischen politischen Denken. 85 Hier ist „Denken“ in etwa gleichbedeutend mit Philosophie. Sie haben nun die Grundbausteine der Wortbildung und einige Regeln für die Bildung komplexer Wörter aus diesen Grundbausteinen kennen gelernt. Bevor es weitergeht, möchte ich Ihnen zeigen, wie Sie das bisher Gelernte anwenden können, um neue Wörter zu bilden. Die folgende Wortbildungskette beginnt mit einem einfachen Wort: „Ampel“. Dieses Wort durchläuft hier einige Wortbildungsprozesse: Der einfachste Vorgang besteht darin, diesen Wortstamm mit anderen Wortstämmen und Wörtern zu verbinden: „Bedarf+s+ampel“, „Ampel+koalition“. Der Wortstamm kann aber auch die Basis sein für eine Konversion. Es entsteht das Verb „ampeln“. Durch Voranstellen des Präfixes „be-“ wird daraus „beampeln“ mit der Bedeutung MIT A MPELN VERSEHEN . So kann z. B. eine Kreuzung oder eine Straße beampelt werden. Dementsprechend kann eine Kreuzung oder Straße „beampelbar“ sein oder nicht. In letzterem Falle ist sie „unbeampelbar“. Die (Un-)Beampelbarkeit einer Kreuzung oder Straße kann zum Gegenstand einer „Beampelbarkeitsdiskussion“ im Gemeinderat oder Verkehrsministerium werden. Letzteres gibt schließlich eine „Beampelbarkeitsrichtlinie“ heraus, in der Kriterien festgelegt werden, nach denen Straßen, Kreuzungen etc. als besser oder schlechter beampelbar eingestuft werden. Als Bürger wundert man sich schließlich, warum einige Straßen der Stadt „zugeampelt“ werden, wohingegen sich andere Straßen und Kreuzungen als „ampelresistent“ oder eben unbeampelbar erweisen. Das Ganze klingt zugegebenermaßen etwas bürokratisch. Vielleicht ist es gerade deshalb wirklichkeitsnah. Schlagen Sie einfach mal im Wörterbuch, bei Google oder Wikipedia nach, wie viele dieser Wörter tatsächlich in Gebrauch sind. Auf jeden Fall haben Sie nun das Rüstzeug, um selbst sprachschöpferisch tätig zu wer- 86 den. Ob die Produkte Ihrer Kreativität wohlgeformt oder gar schön sind, müssen andere entscheiden. Im Folgenden werde ich einige Wortelemente und Wortbildungsprozesse beschreiben, die seltener sind oder nicht zum Standard gehören, sich aber dennoch oder gerade deshalb besonders gut für die Bildung neuer Wörter eignen. Neben den Wortstämmen und den Affixen steht die Gruppe der Affixoide. Diese sind wortfähig, teilen diese Eigenschaft also mit den Stämmen, wie das folgende Beispiel mit „mäßig“, einem typischen Affixoid, zeigt: Die Leistungen der deutschen Spieler im Tennis waren wieder mal eher mäßig. Sie sind aber auch reihenbildend, wie die Wörter „elvismäßig“, „faszinationsmäßig, „lesemäßig“, alles im Übrigen Neuwörter des Jahres 2007, zeigen, und verändern in einheitlicher Weise die Bedeutung des Wortstammes. So lässt sich das obige Beispiele neudeutsch umformulieren: Leistungsmäßig waren die deutschen Tennisspieler wieder mal nicht auf der Höhe. Affixoide zeichnet aus, dass ihre eigentliche Bedeutung verloren geht, wenn sie in dieser Funktion verwendet werden, dass sie sich also „bedeutungsmäßig“ unterscheiden, je nachdem, ob das Wort als Stamm oder als Affixoid verwendet wird. So kann die Bedeutung des Wortes „mäßig“ als IN EHER GERINGEM M ASS umschrieben werden, die des Affixoides „mäßig“ kann mit WAS X BE- TRIFFT wiedergegeben werden, wobei „X“ sich auf den jeweiligen Wortstamm bezieht. Eine ähnliche reihenbildende Funktion hat in den letzten Jahren das Wort „technisch“ angenommen, wie in dem folgenden Beispiel: Ich weiß allerdings aus eigener Erfahrung dass es nicht so leicht ist, jemanden gefühlstechnisch loszulassen. Dieser Bedeutungswandel unterscheidet Affixoide auch von Wortstämmen, die oft als letztes Glied in Komposita verwendet werden und so ebenfalls reihenbildend wirken. Ein Beispiel ist „Politik“, das in Komposita wie „Außenpolitik“, „Umweltpoli- 87 tik, „Geldpolitik“ vorkommt, hier aber durchaus die gleiche Bedeutung hat wie das allein stehende Wort. Es gibt nicht viele Affixoide in der deutschen Sprache. Die Lehrbücher zur Wortbildung führen einige Dutzend Beispiele an, z. B. „affin“. Besonders Adjektive und Adverbien können die Funktion von Affixoiden annehmen. Die Möglichkeit, selbstständige Wörter in reihenbildende Wortteile umzuwandeln, wird besonders gern von Jugendlichen genutzt, z. B. „end-“ in Wörtern wie „endgeil“. Einige der auf diese Art gebildeten Wörter, die man der Jugendsprache zurechnen muss, verschwinden nach einiger Zeit wieder aus dem Sprachgebrauch - wenn die Jugendlichen, die sie aufbrachten, älter werden -, einige etablieren sich in der Alltagssprache und werden schließlich ins Wörterbuch aufgenommen. Als weiteres Wortbildungselement haben die Sprachwissenschaftler das Konfix ausgemacht. Auch das Konfix nimmt eine Zwischenstellung zwischen den Affixen und den Wortstämmen ein. Im Gegensatz zu den Affixoiden weisen Konfixe eine eigene, klar bestimmbare Bedeutung auf. Sie können aber keine selbstständigen Wörter bilden, sondern benötigen zu ihrer Vervollständigung als Wort mindestens ein echtes Affix oder einen weiteren Wortstamm. Konfixe sind meist aus anderen Sprachen entlehnt, in denen andere Gesetze der Wortbildung gelten. Klassische Beispiele für Konfixe sind „bio, geo, hypo, therm“. Wie bei echten Wortstämmen können sie im Verbund mit einem Affix ein vollständiges Wort bilden, z. B. Hypo+therm+ie. Ein relativ junges, aus dem Englischen übernommenes Konfix ist „Cyber“. In der Wortwarte habe ich in den letzten Jahren über 700 Neuwörter gesammelt, die mit diesem Konfix gebildet wurden. Auch das Konfix „bio“ gehört in diesem Sinne zu den sehr produktiven Elementen für den Sprachausbau, d.h., dass es sehr häufig verwendet wird, um neue Wörter zu bilden. Die Affixoide und Konfixe fügen sich in die bereits beschriebenen Wortbildungsprozesse nahtlos ein, sie können hierbei als Wortstämme oder als Affixe verwendet werden. Im Wörterverzeichnis finden Sie weitere Beispiele hierfür. Neben den oben beschriebenen Prozessen der Wortbildung, die den größten Beitrag zum Ausbau des deutschen Wortschatzes 88 leisten, gibt es einige Möglichkeiten der Wortbildung, die seltener verwendet werden, aber gerade bei der Bildung von Neuwörtern wichtig sind. Ihre Anwendung erfordert von den Sprechern mehr Kreativität als bei den üblichen Prozessen, dafür fallen diese Wortschöpfungen aber auch mehr auf. Besonders in der Pressesprache und in der Werbesprache ist die Konstruktion auffälliger Wörter ein wichtiges Ziel. Die Form der Botschaft ist hier ebenso wichtig, wenn nicht gar wichtiger, als ihr Inhalt. Einer dieser Prozesse wird in der Wortbildungslehre Kontamination oder Kreuzwortbildung genannt. Die Kreuzwortbildung ist mit der Komposition verwandt, bei der zwei Wortstämme zusammengefügt werden. Es fallen aber einige Buchstaben am Ende des Erstglieds und einige Buchstaben am Anfang des Zweitglieds weg. Auf diese Weise entsteht eine Vielzahl neuer Wörter, und es ist nicht immer einfach, diese wieder zu entflechten. Ein bekanntes Beispiel ist „Brunch“, das aus den Bestandteilen „Breakfast“ und „Lunch“ gebildet wurde. Die Zusammenziehung wird hier obendrein durch die Bedeutung des Wortes unterstützt: Das Frühstück geht nahtlos in das Mittagessen über. Ähnlich ist es bei dem Neuwort „Skikes“, das im Wörterverzeichnis ausführlicher beschrieben ist. Das mit diesem Wort beschriebene Sportgerät verhält sich zum Teil wie Skates, zum Teil wie ein Bike. Die Stellen, an denen die Bestandteile einer Kontamination abgeschnitten werden, sind willkürlich und haben nicht unbedingt etwas mit der Zerlegung des Wortes in seine Teile zu tun. Der Wohlklang bzw. die Sprechbarkeit des neuen Wortes gibt hier den Ausschlag. Es kann eben nicht „Breaknch“ heißen, und auch „Skatebike“ würde, wiewohl aussprechbar, den Mischcharakter des neuen Sportgeräts nicht so gut wiedergeben. Ein weiterer regulärer, aber seltener Wortbildungsprozess ist die Bildung von Kurzwörtern. Dieses Verfahren verläuft gegensätzlich zur Tendenz der Wortbildung, aus kurzen Segmenten längere Wörter zu schaffen. Die Kurzwortbildung hat aber eine sprachökonomische Funktion. Wenn etwa ein sehr langes Kompositum häufig verwendet wird, dann wäre es sehr aufwändig für den Schreiber, immer diese Langform zu verwenden. Dies würde außerdem die Aufmerksamkeit der Leser sehr strapazieren. So liest man fast nur „CDU“ und „SPD“, und eben nicht „Christ- 89 lich-Demokratische Union“ und „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“. Kurzwörter treten neben die Langformen, sie ersetzen diese nicht. Es kann aber sein, dass diese mit der Zeit aus dem Sprachgebrauch und damit aus dem Bewusstsein der Sprachgemeinschaft verschwinden. Wer weiß heute schon noch, wofür ARD, BSE und LSD stehen, nämlich „Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands“, „Bovine Spongiform Encephalopathy“ und „Lysergsäure-Diäthylamid“? Der übermäßige Gebrauch von Abkürzungen kann allerdings dazu führen, dass die Texte für Außenstehende, die mit den Kürzeln nicht vertraut sind, unverständlich werden. Sie können nachvollziehen, was hier gemeint ist, wenn Sie ein durchschnittliches Behördenschreiben oder einen Fachtext aus der Chemie oder Molekularbiologie zu lesen - und zu verstehen! - versuchen. Folgende Typen von Kurzwörtern können unterschieden werden: Abkürzungen, die wie ein Wort ausgesprochen werden („Nato“, „Sars“). Kurzwörter, die als Folge der Buchstaben, aus denen sie bestehen, ausgesprochen werden („SPD“ - „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“, „MGH“ - „Mehrgenerationenhaus“). Wörter dieser beiden Gruppen werden auch Akronyme genannt. Abkürzungen, die aus den Anfangsteilen der Wörter, aus denen die Langform zusammengesetzt ist, gebildet wurden („Kripo“ < „Kriminalpolizei“, „Soko“ < „Sonderkommission“). Kopfwörter, die nur aus den Anfangsbuchstaben der Langform bestehen („Limo“ < „Limonade“, „Schoko“ < „Schokolade“). Schwanzwörter, die nur aus den Endbuchstaben der Langform bestehen („Bus“ < „Omnibus“, „Rad“ < „Fahrrad“). Klammerwörter, bei denen der Mittelteil der Langform entfällt („Apfelblüte“ < „Apfelbaumblüte“). 90 Rumpfwörter, bei denen nur der Mittelteil der Langform erhalten bleibt („Lisa“ < „Elisabeth“; „Fax“ < „Telefaxgerät“). Initialwörter. Hier bleibt von der Langform nur der erste Buchstabe übrig. Initialwörter treten fast ausschließlich als Bestandteil zusammengesetzter Wörter auf („S-Bahn“, „E- Mail“). Kurzwörter können generell wieder Bestandteil von Wortbildungsprozessen werden. Sie bilden mit anderen Wortstämmen Komposita („SPD-Chef“, „Deospray“) und können, wenn auch etwas seltener, mit Affixen kombiniert werden („Wessi“ - Westdeutscher, „Ösi“ - Österreicher, „SPD-lich“). Dies macht sie für die Neuwortbildung erst interessant. Im Wörterverzeichnis finden Sie einige Beispiele für aktuelle Sprachschöpfungen, bei denen Kurzwörter verwendet wurden (z. B. Eduventure). Bis hierhin wurden die regulären Prozesse der Wortbildung beschrieben. Bei diesen Vorgängen werden die bekannten Bestandteile - Wortstämme, Affixe, Affixoide, Konfixe - verwendet und regelgeleitet zusammengesetzt. Diese Regeln sind Ihnen, wenn Sie das Deutsche ausreichend gut beherrschen, bewusst. Das heißt nicht, dass alle Sprecher diese Regeln auch wirklich benennen könnten. Man kann dies wahrscheinlich nur, wenn man Lehrer oder Sprachwissenschaftler ist. Dennoch stellt sich sicher bei den meisten von uns Sprechern des Deutschen Unbehagen ein, wenn wir das Wort *unkaputtbar hören, und ein deutliches Gefühl von Falschheit bei Formen wie *gehig oder *Machkeit. Der Stern, der vor diesen Wörtern steht, zeigt an, dass diese nicht nach den Regeln der deutschen Sprache geformt wurden. Wie man bei dem Wort „unkaputtbar“ sieht, können gezielte Regelverstöße zum Spiel mit der Sprache gehören, das vor allem in der Werbung gespielt wird. Das oberste Ziel ist es hier, Aufmerksamkeit zu erregen, und das ist mit der Wortschöpfung „unkaputtbar“ sicher gelungen. Kann man hinsichtlich der Bildung von deutschen Wörtern noch davon ausgehen, dass die Bestandteile und Regeln den meisten Sprechern geläufig sind, so ist dies bei Lehnwörtern aus anderen Sprachen nicht der Fall. Wie ist das mit dem Wort „koma- 91 tös“? Wurde es aus „koma“ und „tös“ oder aus „komat“ und „ös“ gebildet? Vielen ist möglicherweise das Element „ös“ durch andere Wörter wie „porös“ oder „offiziös“ bekannt, ebenso das Wort „Koma“, aber woher kommt dann das „t“? Ist es ein Fugenelement, vergleichbar dem „s“ in dem deutschen Wort „Arbeit+s+amt“? Ein anderes Beispiel: Ist das Wort „Watergate“, das zum Etikett für einen politischen Skandal wurde, aus den Bestandteilen „water“ und „gate“ zusammengesetzt? Beide Teile sind englische Wortstämme mit den Bedeutungen W ASSER und T OR . Aber handelt es sich nicht eigentlich um einen Eigennamen, verbietet sich hier also die Zerlegung? Die Unsicherheit auf diesem Gebiet und damit verbundene Fehlanalysen führen zur nicht von Regeln bestimmten Analogiebildung als weiterem Quell der Bildung von Neuwörtern. Bei der Analogiebildung spielen nicht Bestandteile und Regeln eine Rolle, sondern Muster. Diese Muster werden durch Austausch von Elementen verändert, wobei diese Elemente keinesfalls echte sprachliche Einheiten, also Wortstämme oder Affixe, sein müssen. So ist das etwa bei dem Wort „Watergate“: Das Element „-gate“ wurde zu einem Muster mit der Bedeutung ( POLITISCHER ) S KANDAL , das in vielen weiteren Zusammensetzungen auftaucht. Das Erstglied dieser neuen Komposita bezeichnet den Gegenstand des gerade aktuellen politischen Skandals. In letzter Zeit wurden die folgenden „gates“ in der Presse verhandelt: „Teletubbiegate“, die Affäre um die Entfernung der angeblich homosexuellen Teletubbies aus dem polnischen Fernsehprogramm. „Spygate“, die absichtliche Enttarnung einer Spionin durch einen hohen Regierungsangestellten in den USA. „Isargate“, die politischen Kämpfe um die Nachfolge Stoibers in der Staatskanzlei in München. „Bedgate“: Auf einem transatlantischen Flug schlief der britische Außenminister Straw im einzigen Bett im Flugzeug, während die US-amerikanische Außenministerin Rice auf dem Boden nächtigen musste. Die diplomatische Ungalanterie wurde von der Presse zu einem Skandal hochstilisiert. 92 Sprachkritiker und Sprachpfleger werden sich über viele Wörter, die durch Analogiebildung entstehen, mokieren. In gewisser Weise haben sie damit recht. Diese Wörter sind illegal oder bestenfalls halblegal und zeugen oft vom sprachlichen Unwissen derer, die diese Wörter erschaffen und in Umlauf bringen. Diejenigen aber, die diese Wörter dann tatsächlich benutzen, haben zwei Argumente auf ihrer Seite. Erstens fallen die so gebildeten Wörter auf, sind aber keineswegs unverständlich, wenn man mit dem ursprünglichen Muster vertraut ist. Zweitens dienen sie der sprachlichen Ökonomie. Wie man anhand der obigen Erläuterungen zu den neuesten politischen oder gesellschaftlichen Skandalen sehen kann, ist die Umschreibung wesentlich länger, sie kostet also viel mehr Papier als die griffige, wenn auch wortbildungsmäßig falsche Formel. Angesichts dieser Verhältnisse in der Grauzone der Wortbildung schließe ich mich hier dem verzweifelten Ausruf des Sprachwissenschaftlers Hans Jürgen Heringer an: „Gebt endlich die Wortbildung frei! “. Mit einem bekannten Werbespruch kann man die Position vieler, die mit der deutschen Sprache umgehen, auch wie folgt ausdrücken: Die Freiheit nehm’ ich mir! Zum Abschluss dieses Kapitels möchte ich noch auf das Verhältnis zwischen deutschen und nicht-deutschen Wortbildungsmitteln eingehen. Zu allen Zeiten hat die deutsche Sprache Stämme und auch Affixe aus anderen Sprachen übernommen. Eine reiche Quelle in früheren Zeiten waren das Lateinische und das Griechische. Nur die wenigsten werden heute noch wissen, dass etwa die Wörter „Nase“ und „Fenster“ aus dem Lateinischen stammen. Wissenschaftler sprechen bei dieser Art des sprachlichen Austauschs von Entlehnung. Dabei wurden und werden alle Arten von Wortbildungselementen entlehnt: Wortstämme: Beispiele aus dem Lateinischen wurden bereits genannt. Aus dem Französischen stammt z. B. „Salon“, aus dem Polnischen „Rabauke“, aus dem Japanischen „Sudoku“, aus dem Jiddischen „Maloche“. Die wichtigste Gebersprache ist heute natürlich das Englische, es seien hier als Beispiele nur „Kid“ und „Computer“ erwähnt. Viele weitere Beispiele finden Sie im Wörterverzeichnis. 93 Affixe: aus dem Griechischen stammt das Präfix „Anti“ (wie in „Antihaltung“), aus dem Lateinischen das Suffix „ier(en)“ (wie in „kombinieren“). Aus dem Französischen wurde das Suffix „age“ („Bagage“) übernommen, aus dem Englischen das Suffix „ing“ („Ranking“). Einige dieser Affixe sind gleichbedeutend mit deutschen Affixen. So stehen neben dem deutschen Präfix „un“, das die Negation des Wortstamms bewirkt, die lateinischen Präfixe „ir“ (wie in „irregulär“), „im“ („impotent“), „in“ („inkompetent“) und „il“ („illegal“). Konfixe: Es wurde weiter oben gezeigt, dass die Lehnwörter das Feld der Konfixe beherrschen. Das aus dem Englischen übernommene Konfix „Cyber“ (wie in „Cyberwar“, „Cyberkriminalität“) ist heute sehr produktiv. Zum Verhältnis von deutschen und nicht-deutschen Wortbildungselementen, das sich anschaulich als der Prozess der Einbürgerung der nicht-deutschen Elemente in das Deutsche beschreiben lässt, kann man Folgendes feststellen: Die Wortstämme werden dadurch in das Deutsche integriert, dass Sprecher sie mit zunehmender Bekanntheit dieser Stämme in die üblichen Wortbildungsprozesse, also Komposition, Derivation und Konversion, einbeziehen. Betrachten wir das Beispiel des geläufigen Lehnworts „Computer“. Mit ihm können Komposita gebildet werden, auch mit deutschen Bestandteilen („Heimcomputer“, „Großcomputer“), es kann in ein Verb umgewandelt werden („computern“) und es können Affixe und Affixoide angehängt werden („computerhaft“), ohne dass dies auffällt. Entlehnte Affixe werden wesentlich zögerlicher in das eigene Sprachsystem übernommen. Sie bleiben zumeist bei Stämmen, die der gleichen Sprache entlehnt sind. So findet man kompon+ieren oder mark+ieren, nicht aber *seh+ieren oder *geh+ieren. Ähnliches gilt für Affixe, die aus dem Englischen übernommen wurden. Es gibt Handl+ing oder Rank+ing, nicht aber *Geh+ing oder *Reinig+ing. Affixe sind viel stärker in das Regelsystem einer Sprache eingebunden als Wortstämme. Wenn man ein Affix als solches entlehnen wollte, dann müsste man auch die Regeln und Beschränkungen bei ihrer Verbindung mit Stämmen übernehmen. Da ist es allemal leichter, komplette Wörter aus der Gebersprache zu entlehnen. 94 Wird die englische die deutsche Sprache verdrängen? Der Dortmunder „Verein Deutsche Sprache e.V“ hat es sich zum Ziel gesetzt, das Deutsche als eigenständige Kultur- und Wissenschaftssprache zu erhalten und vor dem Verdrängen durch das Englische zu schützen ( www.vds-ev.de ). Laut Selbstdarstellung hat der Verein, der vor zehn Jahren gegründet wurde, mittlerweile über 30 000 Mitglieder. Man kann daran nicht nur sehen, dass der Verein gute Öffentlichkeitsarbeit betreibt, sondern auch, dass die Sorge vor dem Einfluss des Englischen nicht die Sorge einiger weniger ist, sondern mittlerweile weit verbreitet. Wir wollen in diesem Abschnitt betrachten, was an dieser „Verdrängungsthese“ dran ist. Die Wörter der deutschen Sprache, wie die Wörter jeder natürlichen Sprache, werden unterschiedlich oft verwendet. Das Wort „der“ ist das mit Abstand am häufigsten benutzte deutsche Wort, gefolgt von „die“, „das“ und „und“. Es gibt wenige Wörter, die sehr oft verwendet werden. Diese machen den größten Teil aller Texte und Äußerungen aus. Verschiedene Untersuchungen von Sprachstatistikern an großen Textmengen haben gezeigt, dass die häufigsten 130 bis 150 Wörter die Hälfte aller Texte bilden. Diese Wörter sind meist kurz und fast alle sind Funktionswörter, die keine eigene Bedeutung haben, sondern helfen, die logischen und grammatischen Verhältnisse zwischen den bedeutungstragenden Elementen in Sätzen herzustellen (z. B. „und“, „er“, „dann“). Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Hunderttausende von Wörtern, die selbst in sehr großen Textsammlungen von mehreren hundert Millionen Wörtern nur selten, etwa einbis dreimal, vorkommen. Die Häufigkeitsverteilung der Wörter in Texten wird von den Fachleuten Frequenzspektrum genannt. Dem Frequenzspektrum kann man eine Auffälligkeitsskala entgegensetzen. Die am häufigsten verwendeten Wörter sind die unauffälligsten. Es fällt einem schwer zu sagen, ob in einem Satz, den man gerade geäußert hat, die Wörter „der“ oder „und“ vorkamen. Das ist auch gut so, denn unsere Aufmerksamkeit sollte 95 nicht von diesen Wörtern in Anspruch genommen werden. Sie sollen unauffällig ihren Dienst tun. Am unteren Ende des Spektrums sammeln sich die auffälligen Wörter. Sie sind oft sehr lang, vor allem im Deutschen. In ihnen können die Bedeutungen ganzer Sätze zusammengefasst werden. Und viele dieser Wörter kommen uns Sprechern fremd oder unvertraut vor. Kein Wunder - die meisten dieser Wörter hört oder sieht man ja zum ersten Mal. Wo in diesem Spektrum stehen nun die Lehnwörter aus dem Englischen? Um dies herauszufinden, habe ich eine nach der Vorkommenshäufigkeit sortierte Wortliste einer 130 000 Millionen Wörter umfassenden Textsammlung untersucht. Die Wortliste enthält gut 1,3 Millionen verschiedene Wörter. Natürlich habe ich nicht alle diese Wörter betrachtet, sondern nur die 1 000 häufigsten. Diese machen immerhin bereits gut drei Viertel aller Texte aus. In dieser Liste befinden sich die folgenden Anglizismen: „USA“ auf Platz 227, „Interview“ auf Platz 733, „New York“ auf Platz 837. Unter diesen Wörtern ist neben zwei Eigennamen ein einziger echter Anglizismus, also ein Wort, das aus dem Englischen entlehnt wurde. Weit oben, wenn auch nicht unter den häufigsten tausend Wörtern, findet man die Lehnwörter „Sport“, „Boot“ und „Halbzeit“. Alle drei Wörter nimmt man kaum als Anglizismen wahr. Um diese an der großen, aber aus den 1980er und 1990er Jahren stammenden Wortliste gemachten Beobachtungen zu überprüfen, habe ich die komplette Wortwarte-Wortliste eines Tages untersucht, also alle Wörter der Texte, die an diesem Stichtag heruntergeladen wurden. Die Texte umfassen etwas mehr als eine Millionen Wörter. Sie enthalten, da es sich um Webseiten handelt, neben redaktionellen Artikeln auch Navigationselemente sowie Werbung. Dies erklärt das häufige Vorkommen einiger der Anglizismen in diesen Daten. Unter den 500 häufigsten Wörtern fand ich 25 Anglizismen, darunter „Sport“ (Platz 82), „online“ (88), „Newsletter“ (107), „Service“ (121), „News“ (138), „Internet“ (158), „Shop“ (164), „Job“ (202) und, als erstes Verb, „relaxen“ (253). Man sieht auch, dass sich Anglizismen bei den Webangeboten stärker durchgesetzt haben als in den Printangeboten. Wie sieht das bei den Wörtern aus, die sich in der Wortwarte befinden? Diese Wörter sind neu und daher bei der Durchsicht 96 der Wortlisten aufgefallen. Sie ragten aus der Vielzahl langweiliger Komposita heraus. Wie hoch ist der Anteil von Lehnwörtern und Lehnwortteilen an diesen Wörtern? Um das zu prüfen, habe ich eine Stichprobe von 100 zufällig ausgewählten Wörtern hinsichtlich ihrer deutschen und nicht-deutschen Anteile untersucht. Die Wörter dieser Stichprobe verteilen sich wie folgt: 25 rein deutsche Wörter, 10 rein englische Lehnwörter (z. B. „Twelvepack“), 6 Lehnwörter, die nicht aus dem Englischen stammen (z. B. „Oszillosoph“), 18 Mischformen von englischen und deutschen Wortbestandteilen (z. B. „Abdruckscan“), 36 Mischformen aus deutschen Elementen und Bestandteilen, die aus anderen Sprachen, nicht aber aus dem Englischen entlehnt wurden (z. B. „Humorpflege“), 5 Mischformen aus englischen Elementen und Bestandteilen, die aus anderen Sprachen entlehnt wurden (z. B. „Exitstrategie“). Auch mit diesen Wortwarte-Daten lässt sich die These vom übergroßen Einfluss des Englischen auf das Deutsche nicht belegen. Selbst bei diesen auffälligen Neuwörtern beträgt der Anteil reiner Anglizismen nur 10 Prozent, insgesamt sind an 33 Wörtern Bestandteile aus dem Englischen beteiligt. Viel bedeutsamer aber sind die Wortbestandteile, die aus anderen Sprachen als dem Englischen entlehnt wurden, vor allem natürlich aus dem Lateinischen. Letztere sind an 47 Prozent der Neuwörter beteiligt. Und immerhin ein Viertel der Neuwörter besteht ausschließlich aus deutschem Baustoff. Ich denke, dass diese Zahlen keinen Anlass zur Sorge geben. Im Wörterverzeichnis wird an mehreren Beispielen gezeigt, dass dort, wo sich ein englisches Synonym zu einem deutschen Wort gesellt (z. B. „Kid“ / „Kind“), diese Wörter eine unterschiedliche Funktion bzw. Bedeutung haben. Man kann also eher von einem Sprachausbau, von einer Bereicherung des Vokabulars sprechen als von einer Verdrängung. Es soll nicht geleugnet werden, dass es einige deutsche Wörter gegen konkurrierende Lehn- 97 wörter schwer haben. Im Wörterverzeichnis habe ich dies an den Paaren „Mix / Mischung“ und „Tool / Werkzeug“ gezeigt. Es handelt sich hierbei allerdings um Ausnahmen. Ein weiteres Indiz für die Stabilität der deutschen Sprache ist die Tatsache, dass viele Lehnwörter aus dem Englischen nach einiger Zeit der Anpassung häufig deutsch ausgesprochen werden (Download als „Daunlot“ mit hartem Auslaut). Sie werden an das Flexionssystem der deutschen Sprache angepasst („relaxen / relaxt“, „downloadbar“) und erhalten, wenn es sich um Substantive handelt, ein festes grammatisches Geschlecht („die Toolbar“, „der Job“). Das trägt dazu bei, dass nach einiger Zeit diese Wörter „heimisch“ werden, d.h. immer mehr Sprechern vertraut vorkommen. Wer weiß heute noch, dass das Wort „Boot“ aus dem Englischen stammt und das Wort „Halbzeit“ eine Lehnübersetzung ist? Noch ein Beleg für die Stabilität der deutschen Sprache - für die, die immer noch nicht überzeugt sind: Lehnwörter aus dem Englischen, wie auch aus jeder anderen Sprache, werden entweder als Ganzes übernommen (z. B. das komplexe Wort „Rank+ing“) oder mit einem deutschen Affix versehen („download+bar“, englisch „download+able“). Auch die Kombination ursprünglich englischer Wortstämme mit deutschen Wortstämmen ist häufig zu beobachten. Es ist aber nicht möglich, englische Affixe mit deutschen Stämmen zu verbinden. Macht man dies, dann entstehen eher humoristische Effekte („Luftholing“). Ich hoffe, in diesem Abschnitt gezeigt zu haben, dass das Deutsche als Sprache keineswegs in Gefahr ist, vom Englischen oder von irgendeiner anderen Sprache verdrängt zu werden. Damit will ich nicht leugnen, dass es einige Sprecher oder auch Institutionen etwas übertreiben mit ihrer Anbiederung an das Englische, das dabei wohl als Leitsprache verstanden wird. Dies ist sicher manchmal peinlich und es ist nützlich, hin und wieder auf eine solche Geisteshaltung kritisch hinzuweisen. Es ist aber so, dass die Personen(kreise), die sich derart im Englischen versuchen, dies aus unterschiedlichen Motiven tun. Wissenschaftler wollen, dass ihre Forschungen international zur Kenntnis genommen werden. Werbeleute wollen mit „coolen“ englischen Wörtern und Sprüchen bestimmte Zielgruppen ansprechen - was, 98 wie man weiß, gelegentlich ganz schön schief gehen kann. Man denke nur an den Werbespruch „Come in and find out“ einer Ladenkette für Kosmetikprodukte, der von Teilen der Zielgruppe als Aufforderung verstanden wurde, das Geschäft möglichst schnell wieder zu verlassen. Manager betrachten ihren Umgang mit dem Englischen als Teil der Globalisierung ihrer Arbeit und ihres Unternehmens. Alle aber sind des Deutschen mächtig und haben für ihre Gespräche z. B. im Freundes- und Familienkreis mit dem Deutschen ein geeignetes Instrument, um sich wirklich verständlich zu machen. So wird z. B. in der Tübinger Universitätszeitung „attempto“, Heft 22/ 2007, ein Unternehmensberater interviewt. Dieser wird vorgestellt als Mitglied des Executive Committee von Roland Berger Strategy Consultants und in dieser Funktion zuständig für Human Resources. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler leitet zudem vom Standort München aus das weltweite Kompetenzzentrum Financial Services der Strategieberatung. Wenn man da nichts versteht, ist das nicht verwunderlich. Es ist eher erstaunlich, dass eine Universitätszeitung ein solches Kauderwelsch verwendet. Interessant ist aber, dass der so Vorgestellte in seinen Antworten fast keinen einzigen Anglizismus verwendet. Man sieht auch hier den Unterschied zwischen Fassade und Inhalt. Eine häufige Reaktion auf Anglizismen ist, entsprechende deutsche Wörter zu finden, die Anglizismen also einzudeutschen. Das Eindeutschen hat eine lange Tradition. Sie lässt sich bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen, als illustre Vereine und Sprachgesellschaften den Kampf gegen Latinismen und Gallizismen (das sind Entlehnungen aus dem Französischen), später auch gegen Anglizismen führten. Zu den erfolgreichen Eindeutschungen gehören: „Feingefühl“ für „Delikatesse“, „Hochschule“ für „Universität“, „Stelldichein“ für „Rendezvous“, „Schreckensherrschaft“ für „Diktatur“ oder „Zerrbild“ für „Karikatur“. Zu den Eindeutschungen, die bald wieder in der Versenkung verschwanden, gehören „Haarkräusler“ für „Friseur“, „Scheidekunst“ für „Chemie“, „Lotterbett“ für „Sofa“, „Zitterweh“ für „Fieber“, „Schalksernst“ für „Ironie“ oder „Schweißlöcher“ für „Poren“. Die Grenze zwischen gelungener Eindeutschung und 99 peinlichem Missgriff scheint fließend zu sein. Alle diese Beispiele stammen übrigens von ein und demselben Worterfinder, dem Lexikographen Joachim Heinrich Campe. Die „Aktion lebendiges Deutsch“ (http: / / www. aktionlebendigesdeutsch.de) führt in regelmäßigen Abständen einen Wettbewerb durch. Man kann dort für einen Anglizismus ein deutsches Wort vorschlagen. Im Archiv finden sich z. B. folgende Eindeutschungen: „Airbag“ > „Prallkissen“, „Event“ > „Hingeher“; „Fastfood“ > „Eilmampf“. Wie ich gezeigt habe, kennt die Geschichte des Deutschen Eindeutschungen, die sich durchgesetzt haben, ebenso wie Eindeutschungen, die nie die Büros der Sprachpfleger verlassen haben. Ähnlich wird es auch den Eindeutschungsvorschlägen der „Aktion lebendiges Deutsch“ gehen. Diese Wörter sind letztendlich auch Neuwörter. Einige werden von der Sprachgemeinschaft aufgenommen und ihren Weg in die Wörterbücher schaffen. Andere werden Gelegenheitsbildungen bleiben. Mein Tipp ist, dass es das Wort „Eilmampf“ nicht schaffen wird. 100 Was ist und was macht die Wortwarte? In der Wortwarte sammle und beschreibe ich seit dem Jahr 2000 neue Wörter. Es handelt sich also um eine Art von Wörterbuch. Wörterbücher, die ausschließlich Wörter aufnehmen, die neu sind, bezeichnet man als Neologismenwörterbücher. In der deutschen Wörterbuchtradition gibt es erstaunlich wenige Neologismenwörterbücher, im Vergleich etwa zum Englischen und Französischen, wo man sich schon immer ausführlicher mit neuen Wörtern beschäftigt hat. Woran das liegt, ist unklar. Ich will Ihnen zunächst einen Überblick über andere Neologismenwörterbücher und Sammlungen neuer Wörter, die nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen sind, geben. Das älteste der hier vorgestellten Neologismenwörterbücher stammt von Alfred Heberth und hat den Titel Neue Wörter. Neologismen in der deutschen Sprache seit 1945. Es umfasst zwei Bände, die 1977 und 1982 erschienen sind. Heberths Arbeit stellt ein solides Neologismenwörterbuch dar, hat allerdings eine wenig ansprechende äußere Form. Die Arbeit von Gertrude Harlass und Heinz Vater mit dem Titel Zum aktuellen deutschen Wortschatz, erschienen 1974, ist der erste Versuch, auf der Basis einer großen Textsammlung neue Wörter zu erfassen, zu klassifizieren und zu beschreiben. Den Autoren geht es darum, allgemeine, bei der Erweiterung des Wortbestandes wirksame Tendenzen aufzuzeigen. Das geschieht in der hier genannten Veröffentlichung sowohl durch die Darstellung von Wortbildungsmustern als auch durch die ausgiebige Auflistung von Beispielen für jeden Neologismus- und Wortbildungstyp. Dabei ist es unvermeidbar, dass auch viele Gelegenheitsbildungen berücksichtigt werden - Wörter, die dem heutigen Leser geradezu exotisch erscheinen, z. B. „Schwedenliege“. Das einzige größere Spezialwörterbuch von Neologismen ist die am Institut für Deutsche Sprache entstandene Sammlung Neuer Wortschatz. Neologismen der 90er Jahre, die von Dieter Herberg, Michael Kinne und Doris Steffens herausgegeben wurde und 2004 erschien. Gegenstand des Wörterbuchs sind die Neuwörter und Neubedeutungen, die in den 1990er Jahren in der 101 deutschen Allgemeinsprache aufgekommen sind, sich darin ausgebreitet haben und schließlich als sprachliche Norm allgemein akzeptiert wurden, wie man in der Einleitung zu diesem Buch lesen kann. Das Erscheinungsjahr des Wörterbuchs, 2004, deutet an, dass die Autoren zwar zeitlich relativ nah an ihrem Beschreibungsgegenstand sind, aber doch weit genug entfernt, um den Prozess der Etablierung dieser Wörter aus der Rückschau bewerten zu können. Als Primärquelle des Werks diente ein Teil des am Institut für Deutsche Sprache angesiedelten Textkorpus, das Texte des untersuchten Zeitraums umfasst. Dazu kam eine Wortkartei mit ca. 10 000 Einträgen. Etwa 700 Neologismen wurden aus diesen Quellen ausgewählt und bearbeitet, wobei Belege aus dem Textkorpus die Grundlage für die Darstellung zahlreicher Angaben in den Wortartikeln bilden, z. B. zu Flexion (Beugung), zu Wortbildungsmustern und zu typischen Verwendungsweisen. Die Arbeiten des Neologismusprojekts am Institut für Deutsche Sprache werden kontinuierlich fortgeführt, neuere Ergebnisse werden über das Wörterbuchportal eLexiko (www.elexiko.de) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seit einigen Jahren erscheint beim Verlag der „Süddeutschen Zeitung“ einmal jährlich ein Heft des sz-Magazins, in dem die Schlüsselwörter des vergangenen Jahres vorgestellt werden. Die Wortartikel sind alphabetisch geordnet. Das ist aber fast schon die einzige Gemeinsamkeit mit einem Wörterbuch. Es werden ca. 100 Stichwörter in einer für Lexika typischen Weise beschrieben. Mit dem Sachverstand der SZ-Redaktion wird über die Schlüsselwörter ein Porträt des beschriebenen Jahres gegeben. Sprachliche Informationen, insbesondere zur Sprachnorm hinsichtlich Schreibung, Aussprache, Genus etc., den sprachlichen Bereichen also, bei denen am ehesten ein lexikalisches Informationsbedürfnis zu erwarten ist, fehlen dagegen. Mittlerweile ist eine Sammlung dieser Hefte in Form eines Buchs erschienen. Ich möchte noch auf eine jüngere Veröffentlichung hinweisen, die sich neuen Wörtern widmet. Das Buch heißt „Arschgeweih. Das wahre Lexikon der Gegenwart.“ Es wurde von Oliver Kuhn, Alexandra Reinwarth und Axel Fröhlich verfasst und ist 2006 bei Ullstein erschienen. Die Qualität dieses Buchs genügt 102 allerdings keinesfalls den Ansprüchen, die man an ein solches Werk stellen darf. Kommen wir nun zur Wortwarte. Der Ursprung der Wortwarte liegt in meinen Arbeiten bei der Entwicklung zweisprachiger Wörterbücher sowie bei der Digitalisierung und Herausgabe von Wörterbüchern anderer Verlage auf CD-ROM. Immer stellte sich dabei die Frage nach der Aktualität des Wortschatzes. Es war leider nicht möglich, wie der Duden-Verlag es tut, eine Gruppe von professionellen Lesern zu beschäftigen, die neue Wörter mit Belegstellen als Ergebnisse ihrer Lektüre liefern. Jacob Grimms Stoßseufzer, anlässlich seiner Arbeiten am berühmten „Deutschen Wörterbuch“: „wie wenn tagelang feine, dichte Flocken vom himmel nieder fallen, bald die ganze gegend in unermeßlichem Schnee zugedeckt liegt, werde ich von der masse aus allen ecken und ritzen auf mich andringender wörter gleichsam eingeschneit“, konnte da nur Neid erwecken. Am Seminar für Sprachwissenschaft der Universität Tübingen wurde zu Anfang dieses Jahrzehnts in Zusammenarbeit mit der Universität Stuttgart und dem Institut für Deutsche Sprache in Mannheim ein deutsches Referenzkorpus aufgebaut. Ein Korpus ist eine große Sammlung digital verfügbarer Texte. Die meisten dieser Sammlungen bestehen aus Zeitungstexten und aus Texten, die man aus dem World Wide Web beziehen kann. Der Anspruch eines Referenzkorpus ist es, eine Sprache so umfassend und genau wie möglich zu dokumentieren. In unserem Fall ging es natürlich um die deutsche Sprache. Man bot mir an, die Suche nach neuen Wörtern vor dem Hintergrund des durch dieses Korpus erschlossenen Sprachgebrauchs der 1980er und 1990er Jahre zu entwickeln. Ein Gutteil der technischen Arbeiten wurde von meinem Kollegen Tylman Ule geleistet, der auch den Tübinger Teil der Entwicklungsarbeiten am deutschen Referenzkorpus leitete. Die so entstandene Wortwarte ist eine tagesaktuelle Sammlung neuer Wörter. Diese Einträge der Wortwarte sind im WWW frei verfügbar. Darüber hinaus gibt es einige Hintergrunddaten, die vor allem für die linguistische Forschung interessant sein dürften. Ich möchte im Folgenden kurz erklären, wie ich an die Daten komme, aus der die tagesaktuelle Wortwarte-Lieferung entsteht. 103 Täglich - genauer gesagt: nächtlich - werden die Texte mehrerer Tageszeitungen - Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel, Rheinische Post, Financial Times Deutschland, Handelsblatt - und zweier Wochenzeitungen - Die Zeit, Der Spiegel - sowie von heise.de und perlentaucher.de heruntergeladen. Die Auswahl gerade dieser Quellen wurde von den Zielen geleitet, neben allgemeinsprachlichen journalistischen Produkten auch fachsprachliche Quellen zu verwenden, die sich aber an ein breiteres Publikum wenden. Außerdem sollten die gewählten Zeitungen und Zeitschriften einen ausreichend großen Bekanntheits- und Verbreitungsgrad haben. Die gesammelten Dateien werden im nächsten Schritt bereinigt, etwa durch das Streichen von Steuerzeichen. Die eigentlichen Texte werden anschließend in Wörter zerlegt. Auf diese Weise sammle ich pro Tag zwischen 1 und 3 Millionen Wörter, das ergibt seit dem ersten Erscheinen der Wortwarte rund 1,8 Milliarden Wörter. Die tagesaktuell gewonnenen Wörter werden mit den Wörtern, die im Referenzkorpus vorkommen, abgeglichen, alles schon Bekannte wird entfernt. Die Wörter, die dann noch übrig bleiben, werden in einer Liste gespeichert. Zusätzlich werden die Belegstellen für all diese neuen Wörter gesammelt. Da die Urheberrechtsansprüche der Zeitungen eine längere Speicherung der Texte nicht zulassen, lösche ich anschließend die Originaldaten. Viele Online-Zeitungen bieten ihre Texte, wenn sie älter als eine Woche sind, zum Verkauf an. Diesem legitimen Gewinnstreben der Zeitungsverlage möchte ich nicht im Weg stehen. Die erste Liste bildet die Grundlage der täglichen Auswahl interessanter Neuwörter. Sie umfasst täglich zwischen 1 000 und 2 000 Wörter. Darin sind viele Rechtschreibfehler - etwa zehn Prozent -, Eigennamen und belanglose Gelegenheitsbildungen enthalten. Die Auswahl der interessanten Neuschöpfungen aus dieser Liste ist der intellektuelle und auch subjektive Teil der Arbeit. Die ausgesuchten Wörter, dies sind im Durchschnitt pro Tag 15, werden lexikografisch beschrieben und mit mindestens einem Beleg aus der zweiten Liste verbunden. Die fertige Tageslieferung wird auf die Website übertragen. Dort können Sie sie lesen. 104 Die Homepage des Projekts (www.wortwarte.de, s. Abbildung auf S. 105) enthält in der Navigationsleiste Verweise zur neuesten Wortliste sowie zum RSS-Feed, über den die Wortwarte abonniert werden kann. Ein RSS-Feed ist eine Seite, die von sog. Newsreadern gelesen wird. Wenn Sie auf Ihrem PC oder Ihrem Handy einen Newsreader installiert haben und die Adresse der Wortwarte eingeben, dann erhalten Sie die Liste mit neuen Wörtern, sobald sie auf die Website hochgeladen wurde. Zu jedem neuen Wort können Sie den Artikel aufrufen. Auf der Website finden Sie außerdem Hintergrundinformationen und neue Nachrichten zum Projekt. Das Wortwarte-Archiv ist zum einen thematisch und zum anderen nach Jahr und Tag geordnet. Zusätzlich gibt es eine komplette, alphabetisch geordnete Wortliste. Von dieser Seite aus wird auch auf einige Webtagebücher verwiesen, die sich mit Sprache und vor allem mit neuen Wörtern befassen. Die folgende Abbildung zeigt eine Tageslieferung neuer Wörter sowie die Navigationsleiste. 105 106 Eine Tageslieferung der Wortwarte (s. die Abbildung auf S. 105) enthält im Kopf die Liste der beschriebenen Wörter, darunter die einzelnen Wortartikel. Ein Wortartikel (im unteren Teil der Abbildung ist der Artikel zum Stichwort „Alterungsanzug“ abgebildet) enthält die folgenden Informationen: Das Stichwort in seiner Grundform, wie es auch im Wörterbuch angegeben wird, die Wortart und bei Substantiven das Genus. Bei Substantiven die Flexion, repräsentiert durch die aus anderen Wörterbüchern bekannten Eckformen Genitiv Singular und Nominativ Plural. Das thematische Feld; viele neue Wörter wurden und werden in bestimmten thematischen Bereichen geprägt. Als besonders ergiebig erweisen sich dabei Informationstechnologie und Telekommunikation, Biotechnologie, Verkehr und Wirtschaft. Im thematischen Gebiet „Gesellschaft“ werden gesellschaftliche Trends und Zeiterscheinungen gesammelt. Der Bereich Politik und Administration umfasst viele Gesetze. Dann gibt es noch Kunst und Mode. Bei allen Wörtern, die sich nicht in ein Themengebiet einordnen lassen, wird kein thematisches Feld angegeben. Sie werden in die Rubrik „Allgemein“ eingeordnet. Einen Link zu einer Google-Abfrage mit dem Lemma als Suchwort. Klickt man auf dieses Feld, dann wird eine Suchanfrage für dieses Wort gestartet. Dies ist interessant, wenn man mehr Belege als nur den in der Wortwarte dargebotenen sehen möchte. Einen Link zur Wikipedia. Vor allem von den älteren Wörtern sind viele bereits in der Wikipedia beschrieben. Einen Beleg. Innerhalb des Belegs ist das Stichwort farblich hervorgehoben. Die Quelle des Belegs als Verweis auf den Zeitungsartikel, aus dem dieser Beleg stammt. In der Wortwarte werden nur Wörter registriert, die auch eine neue Form haben. Neubedeutungen bereits existierender Wörter werden nicht erfasst. Dies liegt an der Methode der Datenerhe- 107 bung. Alle Wörter, die im Referenzkorpus verzeichnet sind, werden aus den Wortwarte-Listen entfernt. Das Erkennen neuer Bedeutungen ist eine intellektuelle Leistung, die durch dieses halbautomatische Auswahlverfahren nicht geleistet werden kann. Das Auswahlverfahren ist „bedeutungsblind“. Neue Wörter werden auf jeden Fall aufgenommen, wenn sie neue Gegenstände oder Sachverhalte bezeichnen (z. B. „Cyberkriminalität“, „Navigationshandy“). Dies trifft auch dann zu, wenn ein Wort schon länger in einer Fachsprache bekannt war und dort etwas bezeichnet, was in das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit gerät. Viele der Wörter, die die Wortwarte verzeichnet, sind Gelegenheitsbildungen, die es wohl kaum in ein etabliertes Wörterbuch schaffen werden. Dies ist notwendigerweise so, da sich bei einem Wort in der Phase seiner Entstehung nicht entscheiden lässt, ob es sich im Sprachgebrauch durchsetzen wird oder nicht. Der Name „Wortwarte“ wurde in Analogie zur Wetterwarte gewählt, weil Ziele und Arbeitsweisen mit den Zielen einer Wetterwarte vergleichbar sind. Die Wetterwarte sammelt täglich Daten und Beobachtungen zum Klima. Die Wortwarte sammelt täglich Daten zum Wortschatz der deutschen Sprache. Klimaforscher können aus diesen täglich, wenn nicht noch öfter, erhobenen Daten Langzeitbeobachtungen, Schlüsse und Prognosen zur Klimaentwicklung ableiten. Ich hoffe, dass es Sprachwissenschaftlern möglich sein wird, aus den Tag für Tag gesammelten Daten Schlüsse auf Langzeitentwicklungen des deutschen Wortschatzes zu ziehen. Die Informationen, die auf der Webseite der Wortwarte zu finden sind, bilden nur die Spitze des Datenbergs. Eine weit größere Zahl an Daten kann den Sprachwissenschaftlern zur Verfügung gestellt werden, die z. B. neue Tendenzen der Wortbildung erforschen wollen. Insofern ist die tagesaktuelle Lieferung neuer Wörter auf der Wortwarte-Website mit dem Wetterbericht vergleichbar. Auch dieser präsentiert die Daten, die für ein größeres Publikum interessant sind. Ein Unterschied zwischen Wetterwarte und Wortwarte soll allerdings noch erwähnt werden. Ich habe nicht vor, aus den heute gesammelten Beobachtungen die Wörter von morgen vorherzusagen. 108 Kleines Glossar sprachwissenschaftlicher Fachwörter Im Folgenden werden die sprachwissenschaftlichen Fachbegriffe, die im Text verwendet wurden, definiert. Natürlich kann und will dieses kleine Glossar kein linguistisches Fachwörterbuch ersetzen. Affix: Als Affix bezeichnet man ein Wortelement. das man einem Wortstamm oder Wort anhängt oder diesem voranstellt, um daraus ein neues Wort zu bilden. „ung“ und „ver“ sind häufig verwendete Affixe. Affixoid: Ein Affixoid ist ein Wortelement, das sowohl als eigenständiges Wort als auch als Affix verwendet wird, „mäßig“ ist ein Beispiel für ein Affixoid. Akronym: Ein Akronym ist ein Abkürzungswort, das aus den Anfangsbuchstaben der Wörter zusammengesetzt wurde, für die die Abkürzung steht, z. B. „CDU“, das für Christlich- Demokratische Union steht. Analogiebildung: Eine Analogiebildung ist eine Wortbildung, die nicht auf grammatischen Regeln beruht, sondern in Analogie zu bestehenden Wörtern entsteht, z. B. „Grusical“ nach dem Muster von „Musical“. Anglizismus: Ein Anglizismus ist ein Lehnwort aus dem Englischen, z. B. „Sport“. Bestimmungswort: Das Bestimmungswort in einem Kompositum ist der Teil eines Wortes, der die Bedeutung des Grundworts genauer bestimmt. Im Deutschen ist häufig der erste Teil des Kompositums das Bestimmungswort, z. B. „Finalteilnehmer“. Derivation: Als Derivation (Ableitung) wird die Zusammensetzung von einem Wortstamm und einem Affix zu einem größeren Wort bezeichnet, z. B. „Aldi-aner“. Entlehnung: Als Entlehnung wird ein Wort bezeichnet, das aus einer Sprache in eine andere Sprache übernommen und in diese eingebürgert wurde, z. B. „Speedflying“. Flexion: Als Flexion wird die Anpassung eines Wortes an die Umgebung im Satz bezeichnet, also z. B. die Markierung eines 109 Substantivs als Genitiv- oder Pluralform, z. B. „das Wort“ > „des Wortes“ (etwa in: „die Form des Wortes bestimmen“), „die Wörter“ (bspw. in: „die Wörter sind ganz neu“) Frequenzspektrum: Als Frequenzspektrum wird der Bereich der Verteilungshäufigkeiten von Wörtern in Texten bezeichnet. Fugenelement: Das Fugenelement ist ein Wortelement, das bei Komposita zwischen zwei Wortteile treten kann, wie z. B. in „Arbeit+s+amt“. Funktionswort: Ein Funktionswort ist ein Wort, das keine eigene Bedeutung hat, sondern eine Funktion im Satz wahrnimmt, z. B. das Wort „und“. Grundform: Die Grundform eines Wortes ist dessen ungebeugte Form. Bei den Substantiven ist dies der Nominativ Singular (z. B. „Topf“, „Haus“), bei den Verben die Infinitivform („gehen“, „singen“). Grundwort: Das Grundwort in einem Kompositum ist der Teil des Wortes, der die Bedeutung des Kompositums bestimmt. Im Deutschen ist häufig der letzte Teil des Kompositums das Grundwort, z. B. „Finalteilnehmer“. Komposition: Als Komposition wird die Zusammensetzung von Wortstämmen und Wörtern zu größeren Wörtern bezeichnet. Kompositum: Ein Kompositum ist ein Wort, das aus mehreren Wortstämmen oder Wörtern zusammengesetzt ist, z. B. „Zauselquote“. Konfix: Ein Konfix ist ein Wortteil, der in Komposita als Wortstamm verwendet werden kann, aber anders als die eigentlichen Wortstämme nicht alleine wortfähig ist, z. B. „bio“. Kontamination / Kreuzwortbildung: Die Kontamination ist die Zusammenziehung von zwei Wortstämmen oder Wörtern zu einem neuen Wort, wobei Teile beider Wortstämme weggelassen werden. Ein Beispiel ist das Wort Splog, das aus den Wörtern „Spam“ und „Blog“ gebildet wurde. Konversion: Die Konversion ist ein Wortbildungsprozess, bei dem das Wort nur die Wortart, nicht aber seine Form verändert. Das Substantiv „Denken“ ist eine Konversion des Verbs „denken“. Korpus: s. Textkorpus 110 Kurzwort: Ein Kurzwort ist ein Wort, das aus einem längeren Wort durch Abschneiden eines Teils entsteht. Zum Beispiel ist „Limo“ ein Kurzwort zu „Limonade“. Präfix: Ein Präfix ist ein Affix, das dem Wortstamm vorangestellt wird. „un“ und „ver“ sind häufig verwendete Präfixe. Referenzkorpus: Ein Referenzkorpus ist eine umfangreiche Textsammlung einer Sprache. Diese Sammlung sollte möglichst repräsentativ für diese Sprache sein. Statistische Untersuchungen zu dieser Sprache sollten sich auf dieses Korpus beziehen. Rückbildung: Eine Rückbildung ist die Bildung eines einfacheren Wortes aus einem anderen, komplexeren Wort. Das Substantiv „Klick“ ist eine Rückbildung aus dem Verb „klicken“. Suffix: Ein Suffix ist ein Affix, das dem Wortstamm angehängt wird. „bar“, „ung“ und „keit“ sind häufig verwendete Suffixe. Synonyme: Zwei Wörter mit gleicher Bedeutung, z. B. „Apfelsine“ und „Orange“, sind Synonyme. Textkorpus: Ein Textkorpus ist eine große Sammlung von Texten. Textkorpora werden für sprachwissenschaftliche Untersuchungen verwendet. Wortbildung: Die Wortbildung ist der Vorgang, bei dem aus Wörtern und Wortteilen neue, komplexe Wörter entstehen, z. B. „un“, „ver“, „ein“, bar“, „keit“ > „Unvereinbarkeit“. wortfähig: Ein Wortelement ist wortfähig, wenn es ohne die Hilfe anderer Wortelemente ein Wort bilden kann. Der Wortstamm „Sand“ ist wortfähig, das Affix „ig“ ist nicht wortfähig. Wortstamm: Ein Wortstamm bildet den bedeutungsbestimmenden Kern eines Wortes, z. B. „ein“, „Ding“.