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Zur Bedeutung der Namenkunde für die Romanistik

2008
978-3-8233-7407-7
Gunter Narr Verlag 
Wolfgang Dahmen
Günter Holtus
Johannes Kramer
Michael Metzeltin
Wolfgang Schweickard
Otto Winkelmann

Der 22. Band der Reihe "Romanistisches Kolloquium" ist dem Thema Namenkunde gewidmet - in der Frühzeit der Romanistik selbstverständlicher Bestandteil des Faches, heute in eine Nische am äußersten Fachrand verbannt. Ziel ist es, den Faden , der onomastische Ansätze mit anderen Aktivitäten der romanistischen Sprachwissenschaften verbindet, wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken und deutlich zu machen, dass Namenkunde einen unverzichtbaren Bestandteil einer als Gesamtheit aufgefassten Romanistik darstellt. Die beiträge illustrieren durchweg den Bezug, den namenkundliche Studien zu benachbarten wissenschaftlichen Disziplinen haben können: die Literaturwissenschaft , die Fachsprachenkunde, die Ethnologie, die historische Germanistik, die Zeitgeschichte, die Alte und Mittelalterliche Geschichte, die Siedlungsgeschichte, die Botanik, die Paläographie, die Phonetik, die historische Grammatik, die Dialektologie und die Wortgeschichte kommen zu Wort - der interdisziplinäre Charakter der Onomastik, eine der Voraussetzungen für eine zukunftsorientierte Disziplin, kommt so in hervorragendem Maße zum Ausdruck.

Wolfgang Dahmen / Günter Holtus / Johannes Kramer / Michael Metzeltin / Wolfgang Schweickard / Otto Winkelmann (Hrsg.) Zur Bedeutung der Namenkunde für die Romanistik Romanistisches Kolloquium XXII Gunter Narr Verlag Tübingen Zur Bedeutung der Namenkunde für die Romanistik Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 512 T B L Gunter Narr Verlag Tübingen Zur Bedeutung der Namenkunde für die Romanistik Romanistisches Kolloquium XXII Wolfgang Dahmen / Günter Holtus / Johannes Kramer / Michael Metzeltin / Wolfgang Schweickard / Otto Winkelmann (Hrsg.) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. © 2008 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Druck und Bindung: Laupp + Göbel, Nehren Printed in Germany ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-6407-8 Inhalt Einleitung ...................................................................................................VII Andrea Brendler und Silvio Brendler, Romanistische Namenforschung jenseits des „Phantoms Namenforschung“ ........................ 1 Werner Forner, Rocinante über „nombres altos y significativos“ in aktuellen Diskurswelten .................................................................... 13 Giorgio Marrapodi, Namenkunde außerhalb der Namenkunde ................ 59 Isolde Hausner, Namenforschung als Teildisziplin der Sprachwissenschaften - Entwicklungen und Tendenzen in der germanistischen Namenforschung .................................................... 69 Wolfgang Haubrichs, Hybridität und Integration. Vom Siegeszug und Untergang des germanischen Personennamensystems in der Romania .................................................................................. 87 Johannes Kramer, Geschichte, Politik und Namengebung: Alto Adige (1810/ 1906) und Südtirol (1839/ 1918)...................... 141 Thomas Lindner, Die Salzburger Romania - Aufschlusswert der Toponymie ....................................................................................... 157 Carli Tomaschett, Orts- und Flurnamen und Siedlungsgeschichtliche Erkenntnisse ............................................................. 167 Julia Kuhn, Die lokale Flora als toponomastisches Benennungsmotiv. Eine Untersuchung am Beispiel von Toponymen des Schweizer Kantons St. Gallen ......................................................... 177 Wulf Müller, Sinn und Zweck der Toponomastik (Beispiele aus der Suisse Romande).............................................................................. 199 Max Pfister, Toponomastik und Dialektologie .......................................... 213 Martina Pitz, L’amuïssement des voyelles finales en proto-français. Indices chronologiques fournis par la toponymie d’époque mérovingienne ................................................................................. 229 Lidia Becker, Frühmittelalterliche Personennamen als Zeugen für die Herausbildung der iberoromanischen Sprachen .................. 255 Einleitung Am 23. und 24. Juni 2006 fand an der Universität Trier das XXII. Romanistische Kolloquium statt, das der Bedeutung der Namenkunde für die Romanistik gewidmet war. Dreizehn der Vorträge, die in den Rahmen dieser Zusammenkunft gehören, sind hier veröffentlicht. Von Anfang an hat sich das „Romanistische Kolloquium“ darum bemüht, Gebiete, die zeitweise in der deutschen Romanistiklandschaft wenig oder gar keine Beachtung fanden, wieder der Aufmerksamkeit zuzuführen und sie zugleich den jungen Mitgliedern unserer wissenschaftlichen Gemeinschaft „schmackhaft“ zu machen. Im ersten Einladungsbrief an die ins Auge gefassten Vortragenden des XXII. Kolloquiums wurde darauf verwiesen, dass in der Frühzeit der Romanistik die Namenkunde ein ganz selbstverständlicher Bestandteil des Faches war, und sie fehlte als Kapitel in keiner Einführung in die Romanistik. Heute ist das bekanntlich ganz anders, und es gibt sicherlich viele, die ein Studium eines romanistischen Faches mit gutem oder sehr gutem Erfolg absolviert haben, aber das Wort Onomastik dabei niemals gehört haben, geschweige denn wissen, welche Erkenntnisziele und Methoden dort ihren Platz haben könnten. Dass das so ist, ist zu einem nicht geringen Teil auf das Konto der etablierten Romanistik zu setzen, die die Namenkunde in eine Nische am äußersten Fachrand verbannt hat, eine Spezialistendomäne ohne viel Berührung mit den restlichen Aktivitäten der Linguistik. Freilich muss man auch zugeben, dass die Onomastik sich dort, weit ab von aktuellen Diskussionen und methodischen Neuerungen, recht gemütlich eingerichtet hat, und mit ein bisschen Bosheit kann man sagen, dass man es den (wenigen) onomastischen Arbeiten, die noch in der Romanistik erscheinen, vielfach nicht so recht ansehen kann, ob sie nun 1906 oder 2006 entstanden sind, wenn man einmal davon absieht, dass jetzt Kollege Computer die lästige Rechenarbeit und einen Teil der Materialsammlung übernommen hat. Ungelöste Probleme gibt es in der Onomastik zuhauf, und die wenigen Spezialistinnen und Spezialisten, die die Romanistik in den deutschsprachigen Ländern noch aufweist, haben daran genug zu arbeiten, ohne sich des zunehmenden Abstandes zu anderen Zweigen unseres Faches bewusst zu werden - nur: Wenn man sich nach einer hervorragenden namenkundlichen Dissertation auf eine der ausgeschriebenen Nachwuchsstellen in der romanistischen Sprachwissenschaft bewirbt, wird Einleitung VIII man schnell feststellen, dass man mit den tollsten Qualifikationsschriften onomastischen Inhalts im Rücken kaum eine Chance hat, eine bescheidene Mitarbeiterstelle am Romanischen Seminar einer deutschen Universität erringen zu können. Dass Onomastik - wie auch Phonetik, Syntax, Texttheorie, Medienkunde oder Dialektologie - nur ein Teilgebiet der Romanistik ist, wird sowohl vom Mainstream der Romanistik als auch von den Namenfachleuten weitestgehend verdrängt. Ziel des XXIII. Romanistischen Kolloquiums war es, den Faden, der onomastische Ansätze mit anderen Aktivitäten der romanistischen Sprachwissenschaften verbinden kann, wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken und deutlich zu machen, dass Namenkunde einen unverzichtbaren Bestandteil einer als Gesamtheit aufgefassten Romanistik darstellt. Die Beiträge des Bandes illustrieren durchweg den Bezug, den namenkundliche Studien zu benachbarten wissenschaftlichen Disziplinen haben können: Die Literaturwissenschaft, die Fachsprachenkunde, die Ethnologie, die historische Germanistik, die Zeitgeschichte, die Alte und Mittelalterliche Geschichte, die Siedlungsgeschichte, die Botanik, die Paläographie, die Phonetik, die historische Grammatik, die Dialektologie und die Wortgeschichte kommen zu Worte - der interdisziplinäre Charakter der Onomastik, eine der Voraussetzungen für an zukunftsorientierte Disziplin, kommt so in hervorragendem Maße zum Ausdruck. Im ersten Beitrag mit dem Titel „Romanistische Namenforschung jenseits des ‚Phantoms Namenforschung’“ versuchen Andrea und Silvio Brendler die Ausgangsposition des Kolloquiums zu bestimmen. Zunächst wird auf den Unterschied zwischen der vor allem in der historischen Sprachwissenschaft verankerten Namen(be)nutzung und der Namen- (er)forschung mit neuen, bisher wenig berücksichtigten Themenbereichen hingewiesen. Befreit vom subjektiven Zugang zum Fach - beide Autoren sind keine hauptberuflichen Romanisten - vergleichen Andrea und Silvio Brendler die Forschungslage der Onomastik in verschiedenen Philologien; der Vergleich fällt nicht zugunsten der Romanistik aus. Zum Schluss wünschen sich die Verfasser „eine Modifikation der Gewichtung der Betätigungsfelder der romanistischen Namenforschung“, vor allem ein Interesse der Disziplin am gesellschaftlichen Leben „im Sinne deren Fortbestandes“. Werner Forner („Rocinante. Über „nombres altos y significativos“ in aktuellen Diskurswelten“) verknüpft literarische und fachsprachliche Interessen: Auf philologische Kommentare zu den einzelnen „sprechenden“ Personen- oder auch Tiernamen in Cervantes’ Don Quijote wie Quijote, Dulcinea, Rocinante etc. folgen Überlegungen zu den Nominations- Einleitung IX techniken in aktuellen Diskursformen. Unter „Namen“ werden hier sowohl Eigennamen als auch nomina communia verstanden. Der Namenschöpfung von Cervantes wird die Wortschöpfung in gegenwärtigen Fachsprachen an die Seite gestellt. Aus dem Beitrag geht hervor, dass Eigennamen auf der Ebene der Semantik sowie der Wortbildung in vielen Hinsichten nur künstlich von appellativischen Termini zu trennen sind. Insbesondere Produktnamen kommen den Fachtermini sehr nahe. Gegenstand der Untersuchung „Namenkunde außerhalb der Namenkunde“ von Giorgio Marrapodi sind volkstümliche Eigennamensysteme am Beispiel der Gegend Orbasco in Zentralligurien. Anhand der Auswertung mehrerer Ortsnamen zeigt der Autor, wie unterschiedlich schriftlichamtliche und mundartlich-volkstümliche Benennungsmechanismen sein können: Beispielsweise kann ein Bach mit nur einem Namen auf Landkarten mehrere motivierte Namen in der mundartlichen Gemeinschaft aufweisen. Dabei stützt er sich auf Erkenntnisse aus der Ethnologie, Anthropologie und Volkskunde, denn die erwähnten Disziplinen können „zur Neuorientierung der onomastischen Forschungs-arbeit beitragen“. Einen Ausblick auf die Lage der Namenforschung in einer anderen Philologie, nämlich der Germanistik (in Österreich), liefert Isolde Hausner („Namenforschung als Teildisziplin der Sprachwissenschaften - Entwicklungen und Tendenzen in der germanistischen Namenforschung“). Auf eine Übersicht der Geschichte der österreichischen Namenforschung folgt eine Darstellung der laufenden namenkundlichen Projekte an den Universitäten Wien, Innsbruck, Salzburg und Klagenfurt. Der wichtigste Unterschied zwischen einer „muttersprachlichen“ (innerhalb der Germanistik in Österreich) und einer „fremdsprachlichen“ (im Rahmen der Romanistik in deutschsprachigen Ländern) Namenforschung ist offensichtlich: Die erstere ist institutionalisiert und kann eine rege Tätigkeit entfalten, die letztere führt im Vergleich dazu ein Schattendasein. Wolfgang Haubrichs untersucht in der Arbeit „Hybridität und Integration. Vom Siegeszug und Untergang des germanischen Personennamensystems in der Romania“ Stadien der Integration germanischer Namen in der frühmittelalterlichen Romania, vor allem in Gallien und Italien. Im 4.-5. Jh. verliehen Germanen aus der Oberschicht ihren Kindern häufig griechisch-lateinische und christliche Namen oder sie nahmen Elemente des römischen tria nomina-Systems an, vgl. als eine Art Rangprädikat Flavius bei ostgotischen und langobardischen Königen Italiens. Seit dem Anfang des 6. Jh. werden Fälle der Benennung mit germanischen Namen in romanischen Familien registriert. Im 7. Jh. nahmen Doppelnamen zu, wobei der eine Name romanisch und der andere ger- Einleitung X manisch war. Eine weitere Ebene der gegenseitigen Annäherung zweier Namensysteme stellen die romanisch-germanischen Hybridnamen dar. Infolge des Prozesses der zunehmenden onomastischen Germanisierung Galliens ist bereits im 7. Jh. „die Entscheidung zugunsten des germanischen Namensystems … endgültig gefallen“. Es folgt ein Vergleich des numerischen Verhältnisses ‚romanische vs. germanische Personennamen‘ in unterschiedlichen romanischen Sprachräumen und einige Grundregeln der phonetisch-phonologischen Integration germanischer Namen in romanische Sprachen. Abschließend weist der Autor auf die Bedeutung der Namengeschichte für die Kulturgeschichte hin. Johannes Kramer befasst sich im Beitrag „Geschichte, Politik und Namengebung: Alto Adige (1810/ 1906) und Südtirol (1839/ 1918)“ mit der Verbindung zwischen der Namengebung und den politischen Umwälzungen in Südtirol im 20. Jh. Es werden die Etymologie sowie die Wort- und Bedeutungsgeschichte des Namens Südtirol und dessen heutiger italienischer Entsprechung Alto Adige beleuchtet. Die beiden Namen- Komposita, dessen Grundwörter Adige und Südtirol eine über zweitausend Jahre alte Tradition aufweisen, bekamen ihre aktuelle Bedeutung in der ersten Hälfte des 20. Jh. infolge der irredentistischen Bewegung (Alto Adige, 1906) und des Untergangs des Habsburgerreiches am Ende des Ersten Weltkrieges (SÜdtirol, 1918). Eine Bemerkung zur Zufälligkeit der Erstdatierungen in der Namen- und Wortgeschichte rundet die Untersuchung ab, die die zeitgeschichtliche Relevanz von Namenneuschöpfungen betrifft. Im Aufsatz „Die Salzburger Romania - Aufschlusswert der Toponymie“ weist Thomas Lindner auf die Unterscheidung zwischen Namenmaterial und appellativem Wortschatz und den damit verbundenen „doppelt schweren“ Status der Namenforschung hin. Bei der Interpretation von Toponymen müssen beispielsweise Erkenntnisse nichtlinguistischer Disziplinen wie der Siedlungsgeschichte oder Archäologie miteinbezogen werden. Es folgt eine historischetymologische Darstellung der Salzburger Toponymie unter besonderer Berücksichtigung der Salzburger Romania. Neben bekannten Etymologien werden noch unerkannte romanische Namen im Salzburger Material (Krispl und möglicherweise Fager) angeführt. Im Anschluss an den Beitrag von Thomas Lindner lenkt Carli Tomaschett („Orts- und Flurnamen und siedlungsgeschichtliche Erkenntnisse“) die Aufmerksamkeit auf die Aussagekraft von Orts- und Flurnamen in Bezug auf die landwirtschaftlichen Betriebsstufen am Beispiel der Gemeinde Trun im Kanton Graubünden in der Schweiz. Der traditionell für Einleitung XI Trun charakteristische dreistufige Landwirtschaftsbetrieb, bestehend aus Tal-, Maiensäss- und Alpwirtschaft, äußert sich beispielsweise in den als Namenbestandteile figurierenden Bezeichnungen acla „Gadenstatt“, cuolm „Maiensäss“ und alp „Alp“. Laut Carli Tomaschett sollte die Onomastik künftig „viel enger als bisher interdisziplinär arbeiten“ und die eigenen Forschungsergebnisse mit jenen anderer Disziplinen wie der Geschichte und der Archäologie vergleichen. Es folgt ein Appell, der Namenkunde im romanistischen Curriculum einen festen Platz einzuräumen, da onomastische Untersuchungen Studierende „dazu ‚zwingen‘, genau zu arbeiten“. Die Arbeit „Die lokale Flora als toponomastisches Benennungsmotiv. Eine Untersuchung am Beispiel von Toponymen des Schweizer Kantons St. Gallen“ von Julia Kuhn folgt der Tradition des St. Galler Namenbuches (Romanistische Reihe). Nach einer methodischen Einführung und einer geographischen Darstellung der untersuchten Gegend werden die lokalen Toponyme, welche auf Pflanzenbezeichnungen zurückgehen, samt der Dokumentation und der bisherigen Deutungsvorschläge behandelt. Im nächsten, ebenfalls toponomastischen Beitrag „Sinn und Zweck der Toponomastik (Beispiele aus der Suisse romande)“ bietet Wulf Müller eine neue Etymologie des Ortsnamens Tramelan im Berner Jura in der Schweiz an. Hierbei wird die Vorgehensweise der historischen Toponomastik exemplifiziert, die aus folgenden Elementen besteht: alte Belege, Arbeit im Archiv, Paläographie, volkstümliche Aussprache, Berücksichtigung der historischen Grammatik, Realprobe. Am Beispiel des Ortsnamens Üchtland wird ferner die Bedeutung der alten Hydronymie für die toponomastische Interpretation hervorgehoben. Schließlich fordert der Autor eine stärkere Orientierung der romanistischen Toponomastik „an der fortschrittlicheren Germanistik“ auf. Die Untersuchung „Toponomastik und Dialektologie“ von Max Pfister ist den Ortsnamen des deutsch-romanischen Grenzraumes der Franche-Comté gewidmet. Der Autor liefert Beispiele für Reliktappellative in Ortsnamen, lautlich archaische Wortformen und die volksetymologische Umgestaltung von Toponymen. Die Auseinandersetzung mit dem Ursprung mehrerer Ortsnamen verschafft einen Überblick über die Methoden der historischen Ortsnamenforschung und der Etymologie im Allgemeinen. So ist z. B. die lückenlose Dokumentation eines Ortsnamens eine notwendige Voraussetzung für seine korrekte Interpretation. Einzelne, gewöhlich die frühesten Belege können ausschlaggebend sein, wie im Fall Einleitung XII des Ortsnamens Bulle. Es wird auf die neuere Sekundärliteratur für die Toponymie der Franche Comté hingewiesen. Martina Pitz setzt sich in der Arbeit „L’amuïssement des voyelles finales en proto-français. Indices chronologiques fournis par la toponymie d’époque mérovingienne“ mit einem Desideratum der germanistischromanistischen Sprachkontaktforschung, und zwar der Entwicklung der fränkischen stimmlosen dentalen Konsonanten im Galloromanischen, auseinander. Als Sprachmaterial dienen ihr die zahlreichen Ortsnamen der nördlichen Galloromania der Merowingerzeit, die mit einem Personennamen germanischer Etymologie auf -d und mit dem Suffix - IACUM gebildet sind. Hierbei wird die Bedeutung des Namenmaterials für die historische Sprachkontaktforschung hervorgehoben. Im Fall einer Fragestellung, die primär von Germanisten untersucht wurde, bringt die Auswertung aus der romanistischen Perspektive wichtige methodische Einschränkungen mit sich. Die Untersuchung beleuchtet gleichzeitig die Chronologie der Verstummung der auslautenden Vokale im Galloromanischen. Lidia Becker geht in ihrem Beitrag „Frühmittelalterliche Personennamen als Zeugen für die Herausbildung der iberoromanischen Sprachen“ einleitend auf die Geschichte und den eher randständigen Stellenwert der romanistischen Namenforschung seit den Anfängen der Romanistik ein. Angesichts der „ungewöhnlichen Themenvielfalt“ der heutigen Forschung wird sich diese Situation in absehbarer Zukunft wohl kaum ändern. Im Hauptteil wird die Bedeutung der mittelalterlichen Personennamen für die iberoromanische Sprachgeschichte in den Bereichen der Graphematik, Lautlehre, Morphologie, Wortbildung, Lexikologie und Etymologie an mehreren Beispielen verdeutlicht. Am Schluss werden Erstbelege von modernen iberoromanischen Lexemen im mittelalterlichen Personennamenschatz angeführt. Die Drucklegung dieses Bandes wäre ohne den umsichtigen Einsatz von Frau Lidia Becker nicht möglich gewesen; sie hat auch wesentlichen Anteil an der Erstellung der Einleitung. Es sei schließlich bemerkt, dass auf eine umfassende formelle Vereinheitlichung der Beiträge, z. B. im Hinblick auf die alte / neue Rechtschreibung und auf Zitiersysteme, verzichtet wurde. Die Herausgeber Andrea Brendler und Silvio Brendler Romanistische Namenforschung jenseits des „Phantoms Namenforschung“ In der Einladung zum XXII. Romanistischen Kolloquium, das unter dem Thema „Zur Bedeutung der Namenkunde für die Romanistik“ stand, heißt es: „in der Frühzeit der Romanistik war die Namenkunde ganz selbstverständlicher Bestandteil des Faches [...]. Heute ist das bekanntlich ganz anders, und es gibt sicherlich viele, die ein Studium eines romanistischen Faches mit gutem oder sehr gutem Erfolg absolviert haben, die niemals das Wort Onomastik gehört haben, geschweige denn wissen, welche Erkenntnisziele und Methoden dort ihren Platz haben könnten.“ Die Veranstalter weisen in der Einladung des weiteren darauf hin, worauf es ihnen folglich ankommt, und zwar auf „eine Positionsbestimmung der Onomastik innerhalb der Romanistik“ und auf „den Versuch [...], die Namenkunde wieder in den Fachzusammenhang einzubauen und ein Abdriften in die ‚splendid isolation‘ der Unerheblichkeit zu verhindern, nicht wahrgenommen vom Rest des Faches und den Rest des Faches nicht wahrnehmend.“ Nun sind diese Feststellungen auch auf andere Philologien mutatis mutandis übertragbar, weshalb es uns daher als sehr wahrscheinlich erscheint, daß die Ursache für die geschilderte Situation in der Natur der Namenforschung, wie sie traditionell vorwiegend praktiziert wird, und die Ursache hierfür wiederum im Wesen der Namen zu suchen ist. Letzteres wird ganz entscheidend von der gesellschaftlichen Hauptfunktion der Namen, der Identifizierung von als Individuen aufgefaßten Objekten (Orten, Lebewesen, Dingen), bedingt. Mit anderen Worten: „Die Notwendigkeit der Namen [...] ist die Notwendigkeit, unsere Sprache nicht nur allgemein, sondern auch an einzelnen Punkten mit der Realität zu verknüpfen.“ 1 Diese Konkretheit der onymischen Benennung, einzelne Individuen in unterschiedlichsten Kontexten mit jeweils einem Namen über zum Teil sehr lange Zeiträume sprachlich zu fassen, erklärt das Interesse diverser Disziplinen an Namen. So etwa das der Archäologie 1 Johannes Brandl: Die Notwendigkeit der Namen. Über das Benennen von Einzeldingen und die Relevanz seiner historisch-kausalen Grundlagen für den Aufbau einer allgemeinen Theorie der Bedeutung. (Dissertationen der Karl-Franzens-Universität Graz 73) Graz: dbv-Verlag 1987, S. 5. Andrea Brendler und Silvio Brendler 2 oder Siedlungsgeschichte, aber auch das der historischen Sprachwissenschaft, welche in der - für die romanistische Namenforschung „besseren“ - Frühzeit auch das Gesicht der Romanistik prägte. Insbesondere dien(t)en Namen als frühe Quellen zur Rekonstruktion des historischen Wortschatzes (Reduzierung der Namen auf Etyma 2 ). Mit der zunehmenden Abwendung innerhalb der Sprachwissenschaft von der Diachronie bei gleichzeitiger Hinwendung zur Synchronie und der damit verbundenen Herausbildung der modernen Linguistik nahm auch das Interesse an den Namen und folglich der Namenforschung im allgemeinen ganz erheblich ab. Obwohl historisch ausgerichtete onomastische Arbeiten weiterhin regelmäßig erschienen und bis heute erscheinen, führte die Interessenverlagerung in der Linguistik auch zu einer solchen innerhalb der Romanistik und somit zur Marginalisierung der Namenforschung innerhalb derselben. Wenn man nun bedenkt, daß sich die Namenforschung traditionell primär über die Ausbeutung der Namen zu ganz unterschiedlichen Zwecken im Dienste diverser Disziplinen konstituiert („Namenforschung als Hilfswissenschaft“, 3 „utilitaristischer Gesichtspunkt“ 4 ), dann nimmt es nicht wunder, daß das Nachlassen oder Fehlen eines breiten Interesses an der Nutzung der Namen die Namenforschung innerhalb der betreffenden Disziplin zur Randerscheinung macht und diese wegen der Abhängigkeit von den Interessen anderer Disziplinen leicht schwächen kann. Dieter Kremer bringt dieses Kernproblem der traditionellen Namenforschung mit der folgenden Feststellung auf den Punkt: „Es gibt keine Namenforschung; es gibt verschiedene Wissenschaftszweige, die sich der Namen für ihre jeweiligen Zwecke bedienen.“ 5 An anderer Stelle 2 Vgl. z.B. Wilhelm F. H. Nicolaisen: „Names Reduced to Words? Purpose and Scope of a Dictionary of Scottish Place Names“. In: Dietrich Strauss / Horst W. Drescher (Hg.): Scottish Language and Literature, Medieval and Renaissance. Fourth International Conference 1984 - Proceedings. (Scottish Studies. Publications of the Scottish Studies Centre of the Johannes Gutenberg Universität Mainz in Germersheim 4) Frankfurt am Main: Lang 1986, S. 47-54. 3 Siehe z.B. Hans Walther: Die Namenforschung als historische Hilfswissenschaft. Eigennamen als Geschichtsquelle. (Studienmaterialien für die Aus- und Weiterbildung von Archivaren 1) Potsdam: Staatliche Archivverwaltung der DDR 1990. 4 Rudolf Šrámek: „Die Kategorie des Allgemeinen in der Namenforschung“. Übersetzt von W. Wenzel. In: Ernst Eichler / Elke Sass / Hans Walther (Hg.): XV. Internationaler Kongreß für Namenforschung, 13.-17. August 1984. Der Eigenname in Sprache und Gesellschaft I. Verhandlungen im Plenum. Leipzig: Karl-Marx-Universität 1985, S. 152- 167, hier S. 155. 5 Dieter Kremer: „Übernamen und Wortgeschichte“. In: Beiträge zur Namenforschung. Neue Folge 12, 1977, S. 125-144, hier S. 125, Anm. 1. Romanistische Namenforschung jenseits des „Phantoms Namenforschung“ 3 spricht er daher auch vom „Phantom Namenforschung“. 6 Daß dieses Kernproblem aber auch eine Stärke der Namenforschung darstellt, kommt in dem auf die Namenforschung angewandten Begriff der Brükkenwissenschaft, 7 die also Brücken zwischen den Disziplinen schlägt, 8 zum Ausdruck. Wiederum an anderer Stelle kennzeichnet Dieter Kremer die „Namenforschung als interdisziplinäre Disziplin par excellence“, wobei er freilich einschränken muß, daß sie „in der (deutschen) Romanistik kein selbständiges Arbeitsgebiet“ ist, „sie wird gelegentlich, bisher nicht systematisch, im Bereich der Dialektologie und (historischen) Wortforschung berücksichtigt.“ 9 Neben den traditionellen Nutznießern des Zeugniswertes der Namen, wie zum Beispiel der historischen Lexikologie / Lexikographie, Dialektologie, Archäologie und Siedlungsgeschichte, sind es in jüngerer Zeit beispielsweise die Humangenetik, die Familien(zugehörigkeits)namen 10 als Mittel zur Bestimmung des Inzuchtkoeffizienten menschlicher Populationen 11 sowie zur Ermittlung der ethni- 6 Dieter Kremer: „Sprachhistorische Betrachtungen zur Entstehung der romanischen Familiennamen“. In: Rudolf Schützeichel / Alfred Wendehorst (Hg.): Erlanger Familiennamen-Colloquium. Referate des 7. Interdisziplinären Colloquiums des Zentralinstituts. (Schriften des Zentralinstituts für Fränkische Landeskunde und Allgemeine Regionalforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg 26) Neustadt an der Aisch: Degener 1985, S. 67-91, hier S. 67. 7 Siehe z.B. Joseph Schnetz: Flurnamenkunde. 1. Aufl. (Bayerische Heimatforschung 5) München: Verlag Bayerische Heimatforschung 1952, S. 8, sowie Hans Walther: „Namenforschung als Gesellschaftswissenschaft“. In: Autorenkollektiv: Namenforschung heute. Ihre Ergebnisse und Aufgaben in der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin: Akademie-Verlag 1971, S. 42-50, hier S. 44, und Rudolf Šrámek: „Zur Variabilität der Eigennamen“. In: Volkmar Lehmann / Ludger Udolph (Hg.): Normen, Namen und Tendenzen in der Slavia. Festschrift für Karl Gutschmidt zum 65. Geburtstag. (Slavolinguistica 3) München: Sagner, 2004, S. 121-127. 8 Siehe Silvio Brendler: „Brückenschlagen. Von einer zukunftsträchtigen Stärke der Namenforschung“. In: Andrea Brendler / Silvio Brendler (Hg.): Namenforschung morgen. Ideen, Perspektiven, Visionen. Hamburg: Baar 2005, S. 23-31. 9 Dieter Kremer: „Spanisch. Anthroponomastik“. In: Günter Holtus / Michael Metzeltin / Christian Schmitt (Hg.): Lexikon der romanistischen Linguistik (LRL), Band VI,1: Aragonesisch / Navarresisch, Spanisch, Asturianisch / Leonesisch. Tübingen: Niemeyer 1992, S. 457-474, hier S. 458. 10 Zum Terminus „Familienzugehörigkeitsname“ siehe z.B. Silvio Brendler: „Klassifikation der Namen“. In: Andrea Brendler / Silvio Brendler (Hg.): Namenarten und ihre Erforschung. Ein Lehrbuch für das Studium der Onomastik. (Lehr- und Handbücher zur Onomastik 1) Hamburg: Baar 2004, S. 69-92, hier S. 39-40. 11 Siehe z.B. James F. Crow / Arthur P. Mange: „Measurement of Inbreeding from the Frequency of Marriages between Persons of the Same Surname“. In: Eugenics Quarterly 12, 1965, S. 199-203, und Malcolm T. Smith: „Isonymy Analysis. The Potential Andrea Brendler und Silvio Brendler 4 schen Zusammensetzung solcher Populationen 12 einsetzt, oder die Neuropsychologie, welche die namenspezifischen Erscheinungen der Aphasie zur Erkundung der kognitiven Mechanismen der Sprachfähigkeit und deren Störungen untersucht, um letztlich geeignete Sprachtherapien zur Verfügung stellen zu können. 13 Der Katalog der (Be-)Nutzungsmöglichkeiten der Namen - zu welchem Zweck auch immer - ließe sich problemlos fortsetzen und wird auch für die zukünftige interdisziplinäre Forschung im Kontakt mit der Namenforschung 14 eine zentrale Rolle spielen. Die Frage, die sich nun stellt und der wir uns im folgenden annehmen, lautet, ob eine über die Namen(be)nutzung, also Dieter Kremers „Phantom Namenforschung“, hinausgehende und diese zumindest ergänzende Beschäftigung mit Namen innerhalb der Romanistik möglich ist. Im Prinzip sollte eine Namen(er)forschung auch in der Romanistik möglich sein, jedoch hängt ein solches Herangehen sehr stark von den Interessen und Zielen der die Romanistik tragenden Wissenschaftler ab. Sind diese bereits onomastisch tätig, etwa im Dienste der historischen Lexikologie / Lexikographie (zum Beispiel im europäischen Forschungsprojekt Patronymica Romanica), so läßt sich schon durch eine stärkere Hinwendung zu den Namen selbst, die man ja eigentlich vor allem wegen des ihnen zugrundeliegenden Sprachmaterials seziert, ein erster Schritt in Richtung Namenforschung jenseits des besagten Phantoms machen. Die Beschäftigung mit Namen um der Namen willen würde den Namen als sprachlichen Gebilden und damit der Namenforschung einen legitimen Platz in der Linguistik verschaffen und die traditionelle Namen(be)nutzung darüber hinaus deren Relevanz für die Kulturstudien, Literaturwissenschaft und andere Bereiche absichern. Eine solche Namen(er)forschung ruft unweigerlich die moderne Systemtheorie, die Textologie / for Application of Quantitative Analysis of Surname Distributions to Problems in Historical Research“. In: Malcolm Smith (Hg.): Human Biology and History. (Society for the Study of Human Biology Series 42) London: Taylor & Francis 2002, S. 112- 133. 12 Uta-Dorothee Immel / Michael Klintschar: „Molekulargenetische Methoden im genealogischen Kontext. Neue Perspektiven für Namenforscher“. In: Andrea Brendler / Silvio Brendler (Hg.): Namenforschung morgen. Ideen, Perspektiven, Visionen. Hamburg: Baar 2005, S. 97-105. 13 Siehe z.B. Goodglass Harold / Arthur Wingfield (Hg.): Anomia. Neuroanatomical and Cognitive Correlates. (Foundations of Neuropsychology. A Series of Textbooks, Monographs, and Treatises) San Diego: Academic Press 1997. 14 Vgl. Peter Anreiter: „Ein Wunschgedanke. Die tiefere interdisziplinäre Verankerung der Onomastik“. In: Andrea Brendler / Silvio Brendler (Hg.): Namenforschung morgen. Ideen, Perspektiven, Visionen. Hamburg: Baar 2005, S. 13-21, hier S. 13. Romanistische Namenforschung jenseits des „Phantoms Namenforschung“ 5 Textlinguistik und die Pragmatik auf den Plan. Sie bietet aber auch Raum für die angewandte Sprachwissenschaft. Zunächst zur Systemtheorie: 15 Von „Namensystemen“ verschiedener Art (Ortsnamensystem / toponymisches System, Personennamensystem / anthroponymisches System und dergleichen) wird bekanntlich in der Namenforschung, insbesondere in der strukturalistisch geprägten, seit längerem gesprochen. Hierbei wird jedoch der Terminus „System“ entweder in einem nicht systemtheoretischen und „lockeren“, das heißt lediglich auf eine gewisse strukturierte Komplexität verweisenden Sinne bemüht, oder aber man spricht von „Namensystem“ und meint im Grunde das Wortbildungssystem der Namen. Ersteres ist in der Namenforschung generell verbreitet, 16 letzteres besonders in der slawistischen. 17 Der einzige uns bekannte Ansatz, der tatsächlich die Namen und nicht etwa deren Komponenten systemtheoretisch zu ergründen versucht, ist der des Germanisten Volker Kohlheim aus den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, 18 den wir als „Nomematik“ 19 bezeichnen. Zentrale Einheiten der Nomematik sind die Nomeme als Systemeinheiten und die Allonome als Realisierungen eines jeweils bestimmten Nomems. Hilfreich erweist sich die funktionale Identität als das Kriterium, nach dem sich 15 Zu berücksichtigen sind die Entwicklungen der modernen Systemtheorie, wie sie etwa zusammengefaßt sind in Gabriel Altmann / Walter A. Koch (Hg.): Systems. New Paradigms for the Human Sciences. Berlin: de Gruyter 1998. 16 Siehe z.B. Ángel Iglesias: „Système onomastique et reflet social dans le domaine espagnol“. In: Nouvelle revue d’onomastique 10, 1987, S. 152-170. 17 Siehe z.B. Jana Bartůňková / Rudolf Šrámek (Hg.): Onymische Systeme. Zusammenfassungen der Beiträge an der III. Tschechischen Onomastischen Konferenz und an dem V. Seminar „Onomastik und Schule“ (12.-14.1.1993 in Hradec Králové). Hradec Králové: Gaudeamus 1993. 18 Volker Kohlheim: Regensburger Rufnamen des 13. und 14. Jahrhunderts. Linguistische und sozio-onomastische Untersuchungen zu Struktur und Motivik spätmittelalterlicher Anthroponymie. (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte. Neue Folge 19) Wiesbaden: Steiner 1977, S. 523-524. Kürzliche Vorstellungen des (indessen nicht wesentlich weiter entwickelten) Ansatzes sind z.B. Volker Kohlheim: „Nomem und Allonom“. In: Österreichische Namenforschung 29: 1/ 2 [für 2001], 2002, S. 147-154, sowie Volker Kohlheim: „Nomem und Allonom. Die Feststellumg [sic] onymischer Identitäten in Vergangenheit und Gegenwart“. In: Eva Brylla et al. (Hg.): Proceedings of the 21st International Congress of Onomastic Sciences, Uppsala, 19-24 August 2002. Band 1. Uppsala: Språkoch folkminnesinstitutet 2005, S. 207-217, und Volker Kohlheim / Karlheinz Hengst: „Personennamen, Ortsnamen und linguistische Theorie“. In: Namenkundliche Informationen 85/ 86, 2004, S. 17-31. 19 Ausführlich dazu in Silvio Brendler: Nomematik. Identitätstheoretische Grundlagen der Namenforschung (insbesondere der Namengeschichte, Namenlexikographie, Namengeographie und Namenstatistik). Hamburg: Baar 2008. Andrea Brendler und Silvio Brendler 6 verschiedene Allonome einem Nomem zuordnen lassen. Hierdurch können zweifelsfrei identifizierte, jedoch nicht ohne weiteres in ein sprachhistorisches Kontinuum passende Namenbelege als Allonome eines Nomems identifiziert werden. Schwächen der Kohlheimschen Nomematik bilden die Festlegung der funktionalen Identität als einziges Zuordnungskriterium von Allonomen zu Nomemen und die Modellierung ausschließlich synchroner Systeme, die dem dynamischen Charakter von Sprache nicht gerecht werden. Kohlheims Nomematik - soviel sei noch angemerkt - blieb bisher beinahe völlig unbeachtet, da der Titel seiner Arbeit, die das Konzept der Nomematik vorstellt, nicht im geringsten auf den Systemgedanken hinweist und weil Kohlheim damals sein Konzept nicht durch Zeitschriftenartikel größeren Kreisen von potentiellen Interessenten bekannt gemacht hat. Die strukturalistische Namenforschung jener Zeit hätte sich sicherlich mit der Nomematik zumindest kritisch auseinandergesetzt. 20 Es stellt sich nun die Frage, wozu wir überhaupt systemtheoretische Betrachtungen in der Namenforschung benötigen. An dieser Stelle begnügen wir uns mit zwei, wie wir denken aber sehr stichhaltigen Argumenten. Erstens ermöglicht die Untersuchung von Namensystemen die Reduktion von Komplexität in einem solchen Maße, wie das für wissenschaftliche Erklärungen unabdingbar ist, wobei gleichzeitig eine unzusammenhängende Isolierung von gewonnenen Einsichten durch das Hineinstellen in den Systemzusammenhang unterbleibt. Zweitens liefert die Systemtheorie ein wichtiges Werkzeug für eine interdisziplinäre, über traditionelle Kooperationspartner hinausgehende Zusammenarbeit. Verbunden mit einer angemessenen Formalisierung dürften somit auch die Voraussetzungen für Computersimulationen geschaffen werden, welche der Namenforschung, auch der romanistischen, ganz neue Möglichkeiten eröffneten. Man wird sich hierfür natürlich der quantitativen Linguistik 21 zuwenden müssen. Als nächstes zur Textologie / Textlinguistik: Menschliches Handeln geht einher mit verbaler und nonverbaler Kommunikation. Verbale Kom- 20 Eine kritische Auseinandersetzung mit der traditionellen Nomematik und zugleich eine revidierte Nomematik liefert Silvio Brendler: Nomematik. Identitätstheoretische Grundlagen der Namenforschung (insbesondere der Namengeschichte, Namenlexikographie, Namengeographie und Namenstatistik). Hamburg: Baar 2008. 21 Siehe z.B. Reinhard Köhler / Gabriel Altmann / Rajmund G. Piotrowski (Hg.): Quantitative Linguistik. Ein internationales Handbuch. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 27) Berlin: de Gruyter 2005. Romanistische Namenforschung jenseits des „Phantoms Namenforschung“ 7 munikation, die wir im folgenden lediglich als „Kommunikation“ bezeichnen, vollzieht sich in mündlich oder schriftlich formulierten Texten, die Namen enthalten können. Produzenten und - in geringerem Maße - Rezipienten von Texten bestimmen beispielsweise, ob Namen verwendet werden, welche Namen verwendet werden, wie diese Namen verwendet werden. Wie Textproduzenten letztlich sprachlich handeln, hängt von ihren Absichten (= Intentionen) und Fähigkeiten (= Kompetenzen) ab. Diese werden ganz wesentlich durch die aus ihren Lebenserfahrungen (zum Beispiel Bildung, Weltanschauung, ökonomische Verhältnisse) hervorgegangenen aktuellen Persönlichkeiten und ihre aktuelle Einstellung zum jeweiligen Kommunikationsgegenstand (einschließlich der durch Namen bezeichneten Objekte) gesteuert. Aus den Absichten und Fähigkeiten der Textproduzenten ergibt sich auch das Ausmaß, in welchem sie die Textrezipienten bei der Textproduktion in Betracht ziehen. Textproduzenten, die sich der Möglichkeit des teilweisen oder vollständigen Ausbleibens des erhofften kommunikativen Erfolgs bewußt sind, dürften sich auch bei der (Nicht-)Verwendung von Namen in ihren Texten um eine Berücksichtigung des anzunehmenden Namenwissens der Textrezipienten und deren kommunikativen Erwartungen bemühen. Auf diese Weise gewinnen Textrezipienten über die Textproduzenten Einfluß auf die Textproduktion. Sowohl Textproduzenten als auch - wenngleich in geringerem Maße - Textrezipienten haben also von der Namenforschung unbedingt zu registrierenden und zu thematisierenden Einfluß auf Namen in Texten. 22 Wenn sich Kommunikation, wie bereits festgestellt, in Texten vollzieht, dann sind im Rahmen der Namenforschung diese entscheidenden Bezugspunkte (also die Texte) zu den Namen in Beziehung zu setzen. Es handelt sich hierbei um eine Wechselbeziehung, welche die Namen aus der Blickrichtung von den Texten zu den Namen als textsensitiven Einheiten und aus der Blickrichtung von den Namen zu den Texten als textkonstitutiven Einheiten erkennen läßt. Als textsensitive Einheiten sind Namen von den grammatischen Mitteln abhängig, die in den Texten „den 22 Siehe zur Thematik Textologie / Textlinguistik z.B. Hartwig Kalverkämper: „Textgrammatik und Textsemantik der Eigennamen“. In: Ernst Eichler et al. (Hg.): Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik. Band 1. Berlin: de Gruyter (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 11.1) 1995, S. 440-447, und Dietlind Krüger: „Textlinguistische Methoden der Namenforschung“. In: Andrea Brendler / Silvio Brendler (Hg.): Namenarten und ihre Erforschung. Ein Lehrbuch für das Studium der Onomastik. (Lehr- und Handbücher zur Onomastik 1) Hamburg: Baar 2004, S. 123-152. Andrea Brendler und Silvio Brendler 8 proprialen Status signalisieren und garantieren“. 23 Die Beziehung von den Texten zu den Namen charakterisiert sich demzufolge als determinativ. Namen als textkonstitutive Einheiten bringen grammatische Leistungen in die Textproduktion ein, weshalb die Beziehung von den Namen zu den Texten funktional ist. — Texte, ganz gleich, ob schriftlich oder mündlich produziert, haben konstitutive Eigenschaften, die deren Textualität ausmachen. Namen als textsensitive wie auch textkonstitutive Einheiten sind durch diese Eigenschaften direkt betroffen. Die Romanistik hat ja bekanntlich auf dem Gebiet der Textologie / Textlinguistik wichtige Arbeiten vorzuweisen, einschließlich solcher, die sich speziell den Namen widmen. 24 Letzteres geschieht natürlich insgesamt noch viel zu wenig und wenn, dann meist an modernen Texten. Dabei sind Untersuchungen älterer Texte nicht weniger aufschlußreich. So erfahren wir von dem Historiker Reinhard Härtel, der Namen in hoch- und spätmittelalterlichen Texten unterschiedlicher Textsorten untersucht hat: „Ich bekenne [...], daß ich von der Fülle der textsortenbedingten Einflüsse auf den Namengebrauch selbst überrascht gewesen bin, und dabei bin ich weit davon entfernt anzunehmen, [...] auch nur eine gewisse Vollständigkeit der Phänomene erreicht zu haben.“ 25 Mit dem Namengebrauch kommen wir schließlich zur Pragmatik, welche die Mechanismen der Konkretisierung und Realisierung der Namensysteme betrifft und somit das Bindeglied zwischen Systemtheorie und Textologie / Textlinguistik darstellt. Sie berücksichtigt in besonderem Maße den außersprachlichen Kontext. 26 Jeglicher Namengebrauch vollzieht sich bekanntlich an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit durch bestimmte Sprachteilhaber. Letztere sollten wir sicherlich noch stärker als bisher ins Visier nehmen, wobei die systema- 23 Hartwig Kalverkämper: „Textgrammatik und Textsemantik der Eigennamen“. In: Ernst Eichler et al. (Hg.): Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik. Band 1. Berlin: de Gruyter (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 11.1) 1995, S. 440-447, hier S. 442. 24 Z.B. Hartwig Kalverkämper: Textlinguistik der Eigennamen. Stuttgart: Klett-Cotta 1978. 25 Reinhard Härtel: „Namen und Personenbezeichnungen in differenten Textsorten“. In: Dieter Geuenich / Wolfgang Haubrichs / Jörg Jarnut (Hg.): Nomen et gens. Zur historischen Aussagekraft frühmittelalterlicher Personennamen. (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 16) Berlin: de Gruyter 1997, S. 226- 241, hier S. 241. 26 Vgl. hiermit den gesellschaftlich-kommunikativen Kontext bei Robert Mrózek: „Das onymische System und seine Subsysteme (anhand der slawischen Sprachen)“. In: Namenkundliche Informationen 79/ 80, 2001, S. 13-36, hier S. 15. Romanistische Namenforschung jenseits des „Phantoms Namenforschung“ 9 tische Befragung sowohl von Namengebern als auch Namenverwendern (Analogie-)Schlüsse für Zeiten zuläßt, für die keine Befragungen mehr möglich sind (ein derartiges Projekt im Bereich der literarischen Onomastik ist Interviste a scrittori italiani 27 ). Die Pragmatik bringt uns somit zurück ins gesellschaftliche Leben, in dem wir Namen gebrauchen. Abschließend möchten wir noch auf einige Möglichkeiten einer angewandten Namenforschung hinweisen. Eine solche dürfte in absehbarer Zukunft gute Entwicklungschancen innerhalb der Namenforschung haben, da wir davon ausgehen können, daß noch stärker als in der Vergangenheit Studenten Wissen (gemeint sind hier vor allem berufsqualifizierende Kenntnisse) erwerben möchten, mit dem sie sich außerhalb der Universität bewerben und bestehen können. Zu nennen wäre hier die Popularisierung onomastischen Wissens, die derzeit größtenteils von interessierten Laien in ganz unterschiedlicher Qualität betrieben wird, wie die zahlreichen zum Teil in Richtung Plagiat tendierenden populären Namenbücher und vor allem Internetpräsentationen zeigen. Dem Interesse der Öffentlichkeit ist also mit wissenschaftlich fundierten populärwissenschaftlichen Angeboten, wie Publikationen und Veranstaltungen, aber auch Beratung, zu begegnen. Um ein weiteres angewandtes Betätigungsfeld handelt es sich beim Übersetzen, wo Namen - und zwar sowohl solche literarischer als auch anderer Texte - nicht selten gewisse Probleme bereiten und Hilfestellungen für Übersetzer erarbeitet werden könnten. Die Fachsprachenforschung stellt wiederum einer Fachsprachenonomastik relevante Forschungsaufgaben, da bislang die Namen kaum beachtet und hauptsächlich deonymische Termini, aber eben nicht Namen in der Fachkommunikation untersucht wurden. 28 Ein Mindest- 27 Siehe z.B. Andrea Brendler: „Interviste a scrittori italiani. Versuch einer unmittelbaren literarischen Onomastik“. In: Eva Brylla et al. (Hg.): Proceedings of the 21st International Congress of Onomastic Sciences, Uppsala, 19-24 August 2002. Band 1. Uppsala: Språkoch folkminnesinstitutet 2005, S. 380-388, und Andrea Brendler: „Fondamenti di una onomastica letteraria immediata“. In: Nouvelle revue d’onomastique 45/ 46 [für 2005/ 2006], 2006, S. 155-160. 28 Siehe z.B. die Beiträge in Rosemarie Gläser (Hg.): Eigenname und Terminus. Beiträge zur Fachsprachenonomastik. (Namenkundliche Informationen. Beiheft 9) Leipzig: Karl- Marx-Universität Leipzig 1986, und in Rosemarie Gläser (Hg.): Eigennamen in der Fachkommunikation. (Leipziger Fachsprachenstudien 12) Frankfurt am Main: Lang 1996. Zur Kritik dieses Verständnisses von Fachsprachenonomastik siehe Silvio Brendler: „Namengebung und Namengebrauch chinesischer Angestellter in der englischsprachigen Kommunikation in einem Unternehmen mit multikultureller Belegschaft. Einige Beobachtungen zur Verwendung inoffizieller Personennamen“. In: Beiträge zur Namenforschung. Neue Folge 37, 2002, S. 45-59, hier S. 47. Erste Vorschläge Andrea Brendler und Silvio Brendler 10 maß an Aufmerksamkeit sollten wir auch dem Namenrecht entgegenbringen, da namenrechtliche Regelungen in verschiedenen Bereichen des Lebens eine Rolle spielen. Nicht vergessen sollten wir in diesem Zusammenhang die Sprachpolitik, innerhalb derer die Namenpolitik gerade in mehrsprachigen Gebieten (man denke nur an Südtirol) oder in Zeiten politischer Umbrüche (zum Beispiel in Rumänien nach 1989) eine herausragende Stellung einnimmt. Zu guter Letzt seien die nationale und internationale Namenstandardisierung sowie die Namenplanung wenigstens noch erwähnt. Wir hatten bereits darauf hingewiesen, daß das Nachlassen oder Fehlen eines breiten Interesses an der Nutzung der Namen die Namenforschung innerhalb der betreffenden Disziplin zur Randerscheinung macht und diese wegen der Abhängigkeit von den Interessen anderer Disziplinen leicht schwächen kann. Nun betraf diese Feststellung das sogenannte „Phantom Namenforschung“. Schauen wir uns in anderen Philologien, etwa der Germanistik und Slawistik, um, wo Namensystemforschung (Systemonomastik), Textologie / Textlinguistik der Eigennamen (Textonomastik) und Namenpragmatik (Pragmaonomastik) sowie angewandte Namenforschung (applikative Onomastik) wenigstens in Ansätzen und zum Teil mit gewissem Erfolg versucht werden - man gewinnt hier eben auch Wissenschaftler, die weniger an der historischen Sprachwissenschaft interessiert sind, jedoch im Bereich der Namen- (er)forschung ein Betätigungsfeld sehen -, fällt bei ähnlich wie in der Romanistik gelagerten Problemen dennoch auf, daß man sich der Verdrängung oder dem Abgleiten auch mit Hilfe von Arbeiten, die sich jenseits der Namen(be)nutzung einordnen, energisch erwehrt. 29 für eine fachsprachenonomastische Behandlung von Namen in Fachtexten bzw. innerhalb der Fachkommunikation liegen vor mit Karlheinz Hengst: „Fachsprachliche kommunikationslinguistische Aspekte in der Anthroponomastik“. In: Lena Peterson et al. (Hg.): Studia Onomastica. Festskrift till Thorsten Andersson den 23 februari 1989. Stockholm: Almqvist & Wiksell 1989, S. 153-160, sowie Karlheinz Hengst: „Eigennamen und Oralität - eine sozioonomastische Betrachtung“. In: Namenkundliche Informationen 74, 1998, S. 39-42. 29 Siehe z.B. Rudolf Kleinöder: Konfessionelle Namengebung in der Oberpfalz von der Reformation bis zur Gegenwart. (Europäische Hochschulschriften. Reihe XXI. Linguistik 165) Frankfurt am Main: Lang 1996, sowie Hartmut E. H. Lenk: Personennamen im Vergleich. Die Gebrauchsformen von Anthroponymen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Finnland. (Germanistische Linguistik. Monographien 9) Hildesheim: Olms 2002. Thematisch (jedoch nicht qualitativ) vergleichbare romanistische Beiträge sind z.B. Diana E. Gonzalez: Studien zur Vornamenwahl in Bahía Blanca (Argentinien) mit vergleichenden Bemerkungen zur Vornamenwahl in Göttingen. Göttingen (Phil. Romanistische Namenforschung jenseits des „Phantoms Namenforschung“ 11 Wie deutlich geworden sein dürfte, gibt es eine Namenforschung jenseits der reinen Namen(be)nutzung. Sie wird hier und da auch praktiziert. Insgesamt würden wir gern mehr von der Namen(er)forschung neben der altbewährten Namen(be)nutzung sehen wollen. Unsere Vorschläge zur (stärkeren) Berücksichtigung vernachlässigter Bereiche der Namenforschung beanspruchten keine Originalität. Uns kommt es vielmehr auf eine Modifikation der Gewichtung der Betätigungsfelder der romanistischen Namenforschung an. Im Sinne deren Fortbestandes wird sie sich unseres Erachtens mehr ins gesellschaftliche Leben einmischen müssen. Diss.) 1989, sowie Ute Hafner: Namengebung und Namenverhalten im Spanien der 70er Jahre. (Patronymica Romanica 21) Tübingen: Niemeyer 2004. Werner Forner Rocinante. Über „nombres altos y significativos“ in aktuellen Diskurswelten 0 Einleitung (1) Rocinante, nombre, a su parecer, alto, sonoro y significativo de lo que había sido cuando fue rocín, antes de lo que ahora era, que era antes y primero de todos los rocines del mundo. DQ I-1, p. 63, Z.111-113. Don Quijote evaluiert hier den neuen Namen seines Kleppers. Diesen Namen hat er soeben kreiert. Anlass für diesen sprachlichen Schöpfungsakt ist die vollständige Umkehrung, die er für sein Leben beschlossen hat, gewissermaßen eine Wiedergeburt: „mudar estado, la nueva orden, el nuevo ejercicio“, wie der Autor betont. Wir stehen hier an der Grenze zwischen zwei Welten, die von unserem Romanhelden entgegengesetzt bewertet werden: Die Ritterwelt, die ihn erwartet, hat einen ‚edlen‘ Status, die banale Alltagswelt, die er verlässt, hat diesen Status nicht. Es sind zwei deutlich divergente Statuswelten; die Dinge, die die beiden Statuswelten konstituieren, sind zwar identisch (in ontologisch-pragmatischer Sicht), aber sie werden unterschiedlich gesehen, sie erhalten einen Ritter-Status: Windmühlen werden Riesen, eine einfache Bäuerin wird zur Edeldame etc. - der Roman lebt von dieser Antithese zwischen den beiden Statuswelten. Der neue Status der Dinge - meint Herr Quijote - müsse sich auch im Namen der Dinge widerspiegeln. Neue Namen müssen her, diese sollen die Ritterwelt evozieren („significativo“ in (1)), und sie sollen die hohe („alto“, s.o.) Wertschätzung dieses Status konnotieren. Dieses Nominationsprogramm findet unser Held in seinen Namenskreationen perfekt realisiert. Wir werden uns fragen, welche Namensbestandteile zu welcher konnotativen Wirkung fähig sind; dies soll zunächst in Bezug auf einige Namen unseres Romans geschehen. Statuswelten, die in Benennungen konnotiert sind - sie sind nicht auf unseren Roman beschränkt: Jede Epoche hat ihre subkutanen Sozialillusionen, die den Sprechern als solche ebenso wenig bewusst sind wie unserem Romanhelden. Wie kann man sie aber dann entdecken? Kann man Werner Forner 14 Konnotationen aus der „linguistischen Rumpelkammer“ (Dieckmann 1981) herauslösen und begrifflich fassen? Welche sprachlichen Handlungen vollzieht der Sprecher, um eine positive / negative Wertung („alto“) zum Ausdruck zu bringen? Welche inhaltlichen Elemente gehen in die Benennung ein bzw. welche nicht („significativo“)? In welchem Verhältnis stehen nominative zu syntaktischen Kategorien? Diese Fragen zu konnotativen und denotativen Nominationstechniken in aktuellen Sprach-Welten sollen uns ab § 3 beschäftigen. Gegenüber aktuellen Sprach-Welten bietet der Roman einen enormen epistemologischen Vorteil: Cervantes platziert den Leser außerhalb der ilusión: Der illusionäre Charakter der Ritterwelt braucht nicht mühsam entdeckt zu werden. Deshalb lohnt es sich, die genannten Fragen zunächst in der Roman-Welt zu erproben. 1 Rocinante Die erwähnte Metamorphose unseres Romanhelden, die uns Cervantes zu Beginn des Romans erleben lässt, ist gewissermaßen eine Wiedergeburt; diese erfordert traditionell einen neuen Namen: Der bekehrte Saulus änderte seinen Namen in Paulus; die Wiedergeburt in Christo, also die Taufe, ist mit einer wegweisenden Namensgebung verknüpft; bei Eintritt ins Klosterleben wird aus analogen Gründen ein neuer, programmatischer Name gewählt; politische Kehrtwendungen, die auf sich halten, lassen Raum und Zeit neu erstehen (neue Ortsnamen, neue Monatsnamen, Neubeginn der Zeitrechnung), u.s.w. Diese sehr allgemeine Logik nimmt unser Held auch für seine eigene „nueva orden“ in Anspruch: Er geht - wie der ironische Autor ausdrücklich betont - diese Aufgabe gewissenhaft und systematisch an: Er erstellt zunächst einen Bedarfsplan 1 , und für die Ausführung des Plans verwendet er viel sprachschöpferisches Talent und viel Zeit 2 . Ein durchaus professionelles Vorgehen, so wie es die Kreativen einer Werbefirma heute machen. 1 „que declarase quién había sido antes (…) y lo que era entonces“ (Z. 105s.). Analoges Programm für den Namen der Dame s. Z. 144s. - die Zeilenangaben beziehen sich auf die kritische Edition von Gaos (1987). 2 „en su memoria e imaginación“ (Z. 110), Symbol der „creación artistica“, wie der Kommentar von V. Gaos (1987) betont; „Cuatro días se le pasaron …; después de muchos nombres que formó, borró y quitó, añadió y tornó a hacer …, al fin le vino a llamar R.“ (Z. 102; 109-111). Ähnlich viel Zeit und Phantasie verwendet er auf die Kreation des eigenen Namens (s. Z. 115). Rocinante 15 Als Evaluationskriterien für den neuen Namen Rocinante nennt unser Romanheld in der zitierten Passage (1) einerseits die stilistische („alto“) und die klangliche („sonoro“) Wirkung, andererseits die Durchsichtigkeit 3 des Namens („significativo de …“): denn dieser Name lasse den aktuellen edlen Status und zugleich den vorausgehenden miserablen Zustand des Tieres erkennen. Auch der Name Dulcinea del Toboso erhält dieselbe Evaluation, mit einer zusätzlichen Qualifikation: dieser Name sei „peregrino“: (2) nombre, a su parecer, músico y peregrino y significativo (Z. 146) Der Name Dulcinea drückt also Distanz aus. Distanz ist wichtig, denn die Liebe ist umso reiner und mächtiger, je größer die Distanz ist, die sie überwinden muss (z.B. die Distanz bis Tripolis oder bis ins Paradiso). Unser Held kennt also drei Evaluationskriterien: (3) Nominative Evaluationskriterien von Herrn Quijote a die Zuordnung zu einem „hohen“ Sprachstil („alto“, event. incl. „sonoro, músico“) b die Durchsichtigkeit („significativo“); c die Fremdheit („peregrino“). Diese Kriterien 4 verleihen dem Namen offenbar einen besonders ‚edlen‘ Status. Sie werden freilich von Quijote intuitiv verwendet („a su parecer“). Als Linguisten müssen wir uns fragen: Wie kommt der Sprach-Nutzer zu dieser Intuition? Diese wertende Intuition kann nur durch die verwendeten sprachlichen Elemente erzeugt sein; daher lautet die Frage: Welche sprachlichen Elemente des Namens besitzen warum diese Statuserzeugende Potenz? Zur Entdeckung des Arsenals der „sprachlichen Elemente“ und deren Bedeutung sowie auch deren Gebrauchswert steht dem Linguisten die Wortbildungslehre zur Verfügung (4-a). Die Einzelbedeutung eines „sprachlichen Elements“ ist vom Kontext determiniert: Wir benötigen daher den Rekurs auf Texte, z.B. auf Definitionen, oder Kommentare (4- 3 Dieser Begriff für morphologisch motivierte Sinnkonstitution findet sich u.a. bei: Wandruszka (1958), Ullmann (1959: 88ss: „transparency“), Gauger (1971-a,), Ernst (1981), Thiele (1992: 10). Im vorliegenden Aufsatz geht es weniger um morphologisch vermittelte Konstitution von Denotaten, sondern um eine konnotative („alto, sonoro, músico“) Einordnung, die durch die Wortform suggeriert ist. 4 Es handelt sich offenbar um strukturelle Kriterien; bei diesem Typ von Kriterien werden wir auch im Folgenden bleiben. Die Valorisation kann natürlich auch mit ‘materiellen’ (lexikalisch / morphemisch / graphisch) Mitteln erfolgen. Eine schöne Beispielserie (Produktnamen) bietet Platen (1997: 63-68) (z.B. Gourmet als Katzenfutter-Name). Werner Forner 16 b). Hinzu kommen, je nach spezifischem Kommunikationsverhalten, interaktive Bezüge, z.B. intertextuelle / intermediale Daten (4-c) - diese sind gerade in parodistischen Werken wie dem Don Quijote wichtig. (4) Heuristik a Wortbildungslehre b Texte (Definitionen, Kommentare, …) c intermediale Bezüge d gesellschaftliche Praktiken Wie kommt nun der Sprachnutzer Quijote zu seiner positiven Einschätzung des Namens Rocinante? Das Distanz-Kriterium (s.o. 3-c) entfällt dort. Die Wortbildungslehre (s. 4-a) gibt uns eine einfache Antwort, und der zitierte Kommentar (s. 4-b) von Don Quijote scheint diese Analyse zu bestätigen: Ad (a,b) Die Durchsichtigkeit ergibt sich bei Rocinante daraus, dass der erste Namensbestandteil, rocin, „Klepper“, als nomen commune bestens eingeführt ist und offensichtlich den „alten, miserablen Zustand“ beinhaltet. Träger des neuen, exzellenten Zustandes muss daher der zweite Namensbestandteil -ante sein. / +a+nte/ ist heute ein Suffix, das verbale Basen einerseits in Nomina agentis (Typ cantante), andererseits in Nomina instrumenti oder in Abstracta oder in Wirkungsadjektive überführt (z.B.: calmante, agravante) 5 . Die zuletzt genannte Gruppe ist deutlich in theoretisch-wissenschaftlichen Bereichen angesiedelt, Rainer (1993: 616s.) nennt Medizin, Chemie, Kosmetik, Abstrakta. Diese wissenschaftssprachliche Funktion ist nicht neu, sie galt auch im 16./ 17. Jh.; sie könnte durchaus die ‚veredelnde‘ Wirkung des Suffixes bei rocinante erklären. So weit die Analyse auf der Basis der Wortbildungslehre und der Kommentare (4-a und 4-b). Ad (c) Nun ist sowohl der Roman als auch dessen Figuren parodistisch gedacht, sie stehen also ausdrücklich in intertextuellem Zusammenhang mit verschiedenen literarischen Genera: in erster Linie natürlich mit der Ritterliteratur, auch mit der pikaresken Tradition und der Schäferliteratur, ferner mit der goliardischen und karnavalesken Tradition in Folklore und Literatur. Es ist nicht falsch anzunehmen, dass die Ritterwelt unserem Romanhelden und dem intendierten zeitgenössischen Leser um einiges näher steht als die Nomina instrumenti der zeitgenössischen Naturwissenschaften. 5 In der aktuellen politischen Sprache hat das Suffix (als Nomen und als Adjektiv, auch in Verbindung: / +iθ+ante/ ) eine Renaissance erlebt, s. Becker (2003: 54-60). Rocinante 17 Für Herrn Quijote - aber auch für seinen Leser - ist / +ante/ ein Ritter- Suffix: Wir finden es in: caballero andante. Dies (auch ohne caballero) ist der zentrale terminus technicus der Ritterwelt; andante meint nicht etwa „reisend“: Nicht-ritterliche Reisende sind nämlich nicht „andantes“, sondern „caminantes“. / +ante/ als Rittersuffix kommt in vielen Ritternamen vor: Z.B. bei drei Rittern, die Don Quijote im 20. Kapitel überbieten möchte: (5) Yo soy, …, quien ha de resucitar los de la Tabla Redonda, …, y el que ha de poner en olvido los Platires, los Tablantes, Olivantes y Tirantes, …, con toda la caterva de los famosos caballeros andantes del pasado tiempo, … (DQ 382 / Z. 34ss.) Weitere Gestalten der Ritterwelt werden von Don Quijote selbst genannt: Sacripante, Bradamante, Agramante, Bustamante, ferner der gigante Morgante. / +ante/ hatte sich schon vor Cervantes zum Rittersuffix emanzipiert; so sehr, dass es andere Suffixe substituieren konnte: Der oben zitierte Tablante geht zurück auf den Riesen Taulat des okzitanischen Jaufré, also mit einem Bestandteil -at statt -ante; und Carlomagno, der große emperador, verliert in Ritterromanen das Suffix / +ador/ des Titels (auch in DQ I,5- Z23) und wird zu el emperante 6 . Die Bedeutung „Ritterwelt“ vermittelt andante auch losgelöst von caballero: Cfr.: „doncella andante“; „arzobispos andantes“, sogar „escrituras andantes“ 7 . Die Verbindung / X + andante/ bedeutet also „irrender Ritter“ ganz unabhängig von / X/ . Dies zeigt: / +ante/ war ein Rittersuffix wie / +ix/ ein Asterix-Suffix ist. Dass / +ante/ darüber hinaus auch ein ‚gelehrtes‘ Suffix war (s.o. Punkt (a)), ist von diesem Befund unberührt. Das Rittersuffix / +ante/ hat eine besondere Macht: Es gliedert den miserablen Klepper gewissermaßen in die Ritterwelt ein; der Klepper wird selbst zum „caballero andante“, wie Sancho Panza später sagen wird: (6) (über Rocinante: ) …, siendo él tambien caballero andante. (DQ I,15, p. 301/ Z.182-3) Sanchos Kommentar zum Namen Rocinante ist für die angekündigte textuelle Analyse ebenso wichtig wie der Kommentar von Quijote in (1). Die Durchsichtigkeit des Namens Rocinante ergibt sich für Sancho nicht nur aus jedem der beiden Elemente des Namens, aus rocin+ und +ante, und aus deren gegensätzlicher lexikalischer Semantik (billig vs. edel). Die Durch- 6 S. Gaos (1987: 119 und 313). Neben den ritterlichen Namen spielt / +ante/ auch im ritterlichen Wortschatz eine Rolle: Unser Held ist ein „flamante aventurero“ und ein „amante“, der alles nach „voluntad e talante“ seiner Dame macht, und der mit einem „sabio nigromante“ befreundet ist. 7 In: DQ I,26: pp. 537, 535; I,47: p. 897. Werner Forner 18 sichtigkeit ergibt sich darüber hinaus aus der Tatsache, dass wir zwischen den beiden Segmenten des Namens eine semanto-syntaktische Relation etablieren, so als ob sie Prädikate wären 8 . Sancho Panza versteht den Namen als Prädikation zum Namensträger X, also als Relation zwischen einer (ritterlichen) Handlung („ser + andante“) und dem Agens zu dieser Handlung („el“ als Subjekt) (s.u. (7-b)). Don Quijote hatte (s.o. Zitat (1)) zusätzlich noch eine weitere Prädikation postuliert („das Tier IST-EIN rocin“) und eine adverbiale Beziehung zwischen den beiden Prädikationen: (7) Textstruktur zum Namen Rocinante a IST rocin RELATION a ~ b (vorher ~ nachher) b IST andante Ad (d) Nicht weniger wichtig als der Rekurs auf mediale Welten (insbesondere auf den chevaleresken Kosmos) ist die Welt der scherzhaften Interaktionen. Es gehörte zu den gesellschaftlichen Usancen der Zeit, Durchsichtigkeit zu erzeugen und diskursiv oder praktisch zu nutzen. Zu dem Zweck wurden Namen oder Wörter relativ beliebig in bedeutsame Bestandteile zerlegt, oft in bloß spielerischer Absicht, aber auch als analytisches Mittel, um so zu einer „ursprünglichen“ Bedeutung zu gelangen 9 . Cervantes selbst hat viele derartige Sprachspielereien in seinen Roman eingebaut 10 . Die Rückführung von Wörtern oder Namen auf ihren „Ur- 8 Die Prädikation ist - in einer langen sprachphilosophischen Tradition, die seit der Antike über die Scholastik bis Port-Royal reicht - diejenige mentale Operation, die die Dinge nicht bloß perzipiert, sondern sie einander zuordnet. Prototypisches Ausdrucksmittel für Dinge sind Nomina, für die Zuordnung (Prädikation, „affirmatio“) das Verb (= d vox significans affirmationem alicuius attributi, Grammaire Générale et Raisonnée I). Die Kopula (ESSE) drückt Prädikation in reiner Form aus, bei den übrigen Verben ist diese wesentliche Funktion verknüpft mit akzidentellen Ausschnitten aus dem Attributum. Diese Verknüpfung lässt sich analytisch dissoziieren zu ESSE + partizipiale Form des Verbs, z.B. das cartesische „cogito“ ist äquivalent mit analytischem cogitans sum (daher der Schluss: „ergo sum“! ). So ist auch „X es andante“ die analytische Äquivalenz zu einem Verb. Cfr. z.B. Donzé (1971: 27-34). 9 Gelehrter Vorgänger dieser Spielereien waren Platons Kratylos und die etymologisierenden Origines des Isidor von Sevilla, sie wurden perpetuiert in populären literarischen Erzeugnissen, wie den Autos / Mysterienspielen / Fastnachtsspielen oder auch der Commedia dell’Arte (Reyre 1980: 15-23). 10 Die Sprachspielereien, Benennungsscherze, indirekten Verweise im Don Quijote wurden von Rosenblat (1978: 168-205) gesammelt. Rocinante 19 sprung“ galt aber auch bei Gelehrten 11 als wichtiges Mittel, denn schließlich liege der „Ursprung“ besonders dicht an der Wahrheit 12 ; er kann daher für diagnostische Zwecke (sogar bisweilen für mantische Zwecke 13 ) instrumentalisiert werden: So schaffte es Pontus de Tyard, Bischof von Châlon, in seinem Traktat von 1605 De recta nominum impositione, die Persönlichkeit von Rabelais aus dessen Namen herzuleiten: Dieser sei aus zwei hebräischen Wörtern zusammengesetzt, nämlich aus: rab + lez („Meister + Scherz“) 14 ; in der Pícara Justina trägt Enríquez diesen Namen, weil er reich wurde („se ENRIQUECió“), und Manrique, weil er dabei noch mehr Erfolg hatte (MAs RICO) - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Vor diesem - unkritisch-etymologisierenden - Hintergrund kann das Suffix / +ante/ mit weiteren Bedeutungen ausgestattet werden, die mit / +ante/ als Suffix gar nichts zu tun haben: ante(s) hat im Spanischen, wie Quijote selbst im Eingangszitat suggeriert, zwei Bedeutungen: „früher“ („antes de lo que ahora era“) und „bester“ („antes y primero“). Das ergibt eine doppelte Wesensbeschreibung: 1. „früher war es ein rocin“; und 2. „es ist besser als alle anderen (Pferde von früheren Rittern)“. Diese dritte Lesart ergibt sich aus der kulturellen Praxis der Zeit, aus einer „lecture ludique“ 15 , 11 Dante (und die mittelalterliche Philologie) übernimmt Isidors ‘Etymologie’ von nobilis als non+vilis und verwendet es in De vulgari eloquentia in diesem für ursprünglich gehaltenen Sinn. Rund 30 Jahre vorher hatte Jakob von Varazze sein monumentales Werk über Heiligenviten (Legenda Aurea) fertiggestellt, deren Kenntnis schnell zu europäischem Gemeingut werden sollte. Zahlreiche Viten beginnen mit einer Analyse und biographischen Rechtfertigung des jeweiligen Namens, z.B. „Lucia dicitur a luce“; das Licht wird anschließend durch drei physikalische Merkmale definiert, um deren analogische Wirksamkeit dann in der Vita nachzuweisen, in der Form eines logischen Schlusses. Für Vincentius werden gleich drei Namensdeutungen angeboten: „vitium incendens“, „vincens incendia“, „victoriam tenens“, die alle biographisch gerechtfertigt werden (cfr. z.B. Nickel 2005: 50, 140). Der Name fungiert als Kausalinstanz für das Benannte (s. folg. Anm.); zu dem Zweck wird er ‚durchsichtig‘ gemacht. 12 „Nam dum videris unde ortum est nomen citius vim ejus intelleges“, meinte Isidor; und - näher an Cervantes -schreibt Fray Luis de León im Traktat De los nombres de Cristo über den Namen: „Es como imagen de la cosa“ (zitiert nach Reire 1980: 18, 20). 13 Rabelais mokiert sich im Quart Livre … du bon Pantagruel über die Praktiken der Onomantie (Reire 1980: 19, dort weitere Belege). 14 s. Reyre (1980: 17). Das Buch enthält anregende Interpretationen aller Namen unseres Romans. 15 Die „lecture ludique“ wird von Reyre (1980: 23) zu Recht postuliert. Die Deutung Rocinante = N+Präposition/ Adverb (die auch z.B. Álvarez-Altman 1980: 289 nennt) ergibt nur Sinn im Rahmen dieser „ludischen“ gesellschaftlichen Praxis. Als literarische Strategie hat sie Tradition: Guilhém IX, der erste uns bekannte Troubadour, Werner Forner 20 die sowohl für den Namen-Schöpfer Quijote, als auch für seine zeitgenössischen Leser plausibel ist, so wie heute das bretonische Römerlager Petibonum für jeden französischen Asterixleser eine klare, wenn auch unphilologische Bedeutung trägt. Diese dritte Lesart von Rocinante gliedert sich an die beiden zuvor diskutierten, philologischen Lesarten (gelehrtes Suffix, ‚Rittersuffix‘) an und funktioniert nur auf dieser Basis 16 . Die ludische Verwendung phonetischer Anklänge rechtfertigt auch die Vermutung, dass Cervantes hier seinen eigenen Namen einbringen wollte. Alle Namen im Roman sind nach diesen „ludischen“ Kriterien überformt. Durchsichtig ist auch die Kreation Dulcinea aufgrund der - poetischen 17 - Basis / dulθe+/ . Die nachfolgende Sequenz / +ea, +inea/ ist kein spanisches Morphem; sie erzeugt daher den zitierten Fremdheitseffekt. Als poetisches Namenssuffix ist / +ea/ allerdings verbreitet 18 . Der Name Quijote schließlich ist natürlich die anagrammatische Verformung der Namensvarianten Quesada oder Quixada oder Quixano. Quesada oder Quixada evozieren peinliche Assoziationen, die nicht so recht medienwirksam sein können: Quesada ist laut Covarrubias ein Karnevalsgebäck aus Käse; dieser Name platziert also unseren seriösen Hidalgo in eine unseriöse, karnevaleske Szenerie. Quixada bedeutet Kinnbacke und ist als Beiname ebenso geläufig wie deutsch Schnauz oder französisch Machu. Man könnte es ebenso als Quexada „Jammerei“ interpretieren. Auch der auslautende Bestandteil / +ada/ ist wenig schmeichelhaft: Das Suffix / +ada/ kennzeichnet meist etwas Negatives und ruft dementsprechend negative Assoziationen bezüglich der Basis hervor: Will man heute ein lächerliches Verhalten à la Don Quijote ausdrücken, so muss dieses Suffix herhalten 19 : una quijotada. Quixano hingegen ist deutbar als nutzte diese ludische Durchsichtigkeit, cfr. Camproux (1970: 160-172); weitere Hinweise s. Curtius (1969, Anhang XIV). 16 Es ist daher nicht angemessen, dass die Cervantesforschung diese Basis außer Acht lässt. 17 DULCIS (und sinnverwandte Wörter wie MEL) ist seit Vergil ein Schlüsselbegriff in der bukolischen Dichtung, im Petrarkismus, in den marianischen Lauden („Dama dulce“), s. Iventosh (1964: 68-74). Covarrubias erklärt den Namen Aldonza als Artikel + DULCE. Reyre (1980: 68) nennt ein bei französischen Dorffesten verwendetes Musikinstrument namens doulzaine, das in Spanien unter dem Namen dulzaina bekannt war - der zitierte Kommentar „nombre … músico“ erhält dadurch eine besonders konkrete Bedeutung. 18 R. Lapesa (zitiert in Rosenblat 1978: 172) nennt ferner: Florisea, Arbolea, Cariclea, Febea. Das Suffix suggeriert eine Seelenverwandtschaft mit Dorotea. 19 Z.B. meint „francesada“ den Spanienfeldzug Napoleons. „Cuando la historia no toma en serio un suceso, lo bautiza con un nombre terminado en -ada: carlistada, sargentada, vicalva- Rocinante 21 „qui es sano“, es wird am Anfang und Ende verwendet, um so die Romanhandlung selbst als „ungesund“ zu kennzeichnen. Die Verbesserung durch den Kunstnamen Quijote, die unser Held sich ja attestiert, ist schwer zu deuten, denn nur das Suffix ist verändert: / + ɔ te/ fungiert im heutigen Spanisch meist als Augmentativ mit einer „significación peyorativa o jocosa“ 20 . Man kann vermuten, dass für Quijote / + ɔ te/ vor allem ein ‚Rittersuffix‘ ist, wie in Lanzarote, Camilote 21 , oder mit anderer Flexionsendung: Carloto, der in der Ritterliteratur als Sohn Karls des Großen figuriert (Gaos 1987: 117, n.6-b). Für unseren Helden ist diese Ritterfunktion sicher vorrangig; während seine Zeitgenossen die „significación jocosa“ präferierten, z.B. Dorotea, als sie den Namen zu „Don Gigote“ („Herr Lammkeule“, in I-30) verballhornt 22 . Quijote war - wie wir seit Nebrijas dictionarium wissen - die Fachbezeichnung für den Oberschenkelschutz der Rüstung (aus frz. cuissot). Diese Bedeutung macht also die Oberschenkel unseres Helden - mit ihrer Nähe zum Ort der Scham - zu seinem Hauptwerkzeug. Sie ist daher für die „lecture ludique“ in doppeltem Sinne geeignet: Sie stellt unseren Helden in Opposition zu seinen zwei Idealen: einerseits zu seinem Attribut „el más casto enamorado“, andererseits zu seinem Vorbild Lanzarote, dessen Lebenswerk - wie der Name ausweist der Kampf mit der Lanze war 23 . Der o.g. Spottname der schönen Dorotea passt übrigens zu dieser Interpretation besonders gut. rada, …“ (Cela), zit. nach Rainer (1993: 388); dort zahlreiche weitere Belege für die Konnotionen: Dummheit, Gemeinheit, Betrug, vulgäres oder kindisches Verhalten, Unseriosität, etc.; Belege zur despektierlichen Benennung im aktuellen politischen Bereich s. Becker (2003: 101-103). Daneben kann es aber u.a. auch als „Schlagsuffix“ fungieren oder ein Volumen kennzeichnen: pedrada, brazada (s. ib. pp. 387-391 und Gauger 1971-b: 30-40). Bei Alamela Pérez (1999: 108) heißt eine von 8 Funktionen „acción mala“. Das negativ konnotierte / +ada/ wird von Lüdtke (1978: 367) der familiären Sprache zugeordnet. 20 Miranda (1994: 116s.) und Rainer (1993: 649s.). González Olle (1962: 163) diagnostizierte für das mittelalterliche Spanisch sogar eine pejorative Funktion. Im mexikanischen Spanisch hat sich die augmentative Bedeutung verallgemeinert (Rainer, ib.). In der Trivialkanzone in DQ I-26 spielt der Autor mit 6 Reimwörtern auf Quijote. 21 cfr. Kommentar von Gaos (1987: 64), mit weiteren trouvailles zum Namen. 22 Man könnte die anagrammatische Mutation noch zu einem Don Quizote (zote „dumm“) fortsetzen. 23 „Par un renversement carnevalesque, ce n’est plus le bras du héros portant la lance qui est évoqué (Lanzarote), mais la cuisse portant cuissot (Quijote). La chute de l’image qui du haut corporel passe dans le bas corporel, est le ressort de la parodie.“ (Reyre 1980: 125). Werner Forner 22 Wenn es zutrifft, dass die „lecture ludique“ für unseren Roman die richtige Attitude ist, dann ist diese letztgenannte Interpretation des Namens treffend. Unser Held ist dann - ohne dies selbst zu merken - mit seinem Versuch, durch seine Umbenennung eine Wertsteigerung für sich zu erreichen, gescheitert. 2 Benennung und Status Ich möchte nicht länger bei diesem historischen Beispiel aus der Literatur verweilen, sondern überleiten zu wertsteigernden Nominationstechniken in aktuellen Diskursformen. Die Namens-Kreationen von Herrn Quesada lehren uns folgendes: Namen bezeichnen nicht nur einen Referent, sondern sie können darüber hinaus Bedeutung haben (‚sprechende‘ Namen): Sie können einerseits dem Referent konnotativ einen Status zuordnen; sie können andererseits Prädikationen beinhalten. Solche ‚sprechende‘ Namen gehen über die für Eigennamen charakteristische Unikalreferenz hinaus: Sie bezeichnen nicht in allen möglichen Welten dasselbe Objekt 24 , sondern dasselbe Objekt besitzt zwei unterschiedliche Namen in Abhängigkeit von der Welt, der es jeweils konnotativ zugeordnet wird oder zugeordnet werden soll. Wir haben folglich Minimalpaare, die eine konnotative Opposition nachweisen; eine Opposition zwischen einem untergeordneten Status und einem übergeordneten Status: (8) Minimalpaare: Quesada / Quijote, Aldonza / Dulcinea, rocin / Rocinante Mit der konnotativen Potenz gehen diese Benennungen über die semantische Funktion von Eigennamen hinaus; denn sie bezeichnen ein Individuum in einer konnotierten Klasse von Individuen: In denotativer Hinsicht sind sie Eigennamen, aber in konnotativer Hinsicht sind sie Appellativa. Wenn wir uns also nach dem konnotierten Status eines Namens fragen, ist die Unterscheidung zwischen Eigennamen und Nomen commune nicht pertinent. Die moderne Diskurswelt kennt andere Statusunterscheidungen als Herr Quijote. Wie kann man ermitteln, welche Unterscheidungen in aktuellen Diskursen relevant sind? 24 Unikalreferenz als Definition des Eigennamens, cfr. z.B. Kripke (1971). Rocinante 23 Man kann einerseits pragmatisch vorgehen (a), andererseits linguistisch, und dann entweder (b) die in der Sprache wahrnehmbaren Unterscheidungen verbuchen oder (c) die Semiotik der Namen untersuchen. (9) Analysemethoden: a pragmatisch: Unterscheidungen in der ‚Welt‘ b linguistisch I: Unterscheidungen in der ‚sprachlichen Oberfläche‘ (Frequenzen, Minimalpaare) c linguistisch II: Semiotik der textuellen Informationen, die im Namen komprimiert sind. (a) Pragmatisch würde man vielleicht die private von der fachlichberuflichen Welt unterscheiden, innerhalb der fachlichen Welt würde man wissenschaftliche von praktischen Fertigkeiten unterscheiden, innerhalb der Wissenschaft würde man vermutlich die ‚exakten‘ Wissenschaften hervorheben. (10) Pragmatische Segmentierung in ‚Welten‘ private Tätigkeiten fachlichberufliche praktische wissenschaftliche ‚exaktwissenschaftliche‘ Für diese Reihe würde man vermutlich eine aufsteigende Wertung prognostizieren. Man könnte dann die sprachlichen Realisierungen in diese pragmatische Kasuistik eingliedern. Vorteil: Das Vorgehen funktioniert immer; selbst dann, wenn die pragmatische Kasuistik nichts mit den sprachlichen Unterscheidungen zu tun haben sollte. Nachteil: Das Verfahren erschafft Diskurswelten, die im Diskurs u.U. gar keine Rolle spielen. (b) Umgekehrt kann man die sprachlichen Unterscheidungen ermitteln: Wir erwarten einerseits unterschiedliche Frequenzen der diversen Benennungstechniken in Abhängigkeit von pragmatischen Parametern; andererseits erwarten wir an der sprachlichen Oberfläche Minimalpaare (wie die in (8)), die die eine oder die andere dieser pragmatischen Unterscheidungen nachweisen. (c) Eine semiotische Analyse müsste die Namen segmentieren - z.B. in rocin- und -ante - und die semantischen Zusammenhänge zwischen den Segmenten ermitteln - z.B. -ante = (edle / ritterliche) Tätigkeit; rocin- = agens zu dieser Tätigkeit. Beweisbar sind diese Zusammenhänge nur vor dem Hintergrund bedeutungs-identischer Texte, die diese Zusammenhänge explizit machen. Solche Texte sind z.B. Kommentare - wie die zitierten Kommentare von Don Quijote und von Sancho (s.o. (1) und (5)) zum Namen Rocinante. Bedeutungs-identische Texte par excellence sind Definitionen. Was in der Benennung - in der „sprechenden“ Benennung, Werner Forner 24 Namensteil 1 Namensteil 2 roθin +ante Text Prädikaton* versteht sich - zusammenfließt, sind also nicht nur die zwei (oder mehr) Konstituenten des Namens, sondern zusätzlich der äquivalente Text, also (bei unserem Beispiel Rocinante) nicht nur rocinplus -ante, sondern auch die Textstruktur (s.o. 7): (11) Triadische Heuristik * ‚gelehrt‘ sein oder Ritter sein Diese methodischen Überlegungen bestimmen das Programm des nachfolgenden Textes: - Zunächst (§3) werde ich mit Hilfe von „Minimalpaaren“ die Abgrenzung in distinkte Diskurswelten nachweisen (wie in (9-b) postuliert): Wir werden so eine neutrale und eine ‚edle‘ Diskurswelt entdecken. - Auf die ‚edle‘ Diskurswelt werde ich mich ab §4 beschränken: Wir werden zunächst die „durchsichtigen“ Benennungstechniken ermitteln; danach (§5) soll wie in (9-c) angekündigt die „Durchsichtigkeit“ mit Hilfe zugeordneter Texte grammatisch expliziert werden. 3 Zwei Diskurswelten 3.1 Die Minimalpaare Viele Termini kombinieren folgende zwei Komponenten: Handlung plus deren Gegenstand. Auf diese semantische Struktur werde ich mich hier zunächst beschränken. Beispiel: Rocinante 25 (12) Struktur: „Handlung“ (H) plus „Gegenstand der Handlung“ (X) a sacacorchos, cortabolsas = H + „X“ b flebótomo, iridéctomo (nomen actionis: -tomía) =„X“+ H c Analyse: Referent+ Name = Instrument / Agens + Prädikat (= Handlung mit Gegenstand) = Subjekt + Verb mit nominaler Ergänzung (= V + „X“) Zur Erläuterung: sacacorchos ist das Werkzeug, das dazu dient, den Korken [aus der Flasche] zu ziehen; cortabolsas ist der Dieb, der [den Menschen] Taschen stiehlt. Dieser Benennungstyp bezeichnet - „exogen“ - den gegenständlichen oder persönlichen Handlungsträger (Instrument oder Agens), also genau die Relationen, die in der propositionalen Entsprechung durch das Subjekt ausgefüllt würden; „endogen“ bezeichnet dieser Benennungstyp eine Handlung und ihren Gegenstand, also genau das, was in der Proposition durch das Verb plus dessen Objekt ausgedrückt würde (s. 12-c). Es ist deutlich: Diese „sprechenden“ Namen sind gewissermaßen eine Projektion der Proposition, also der Kombination aus Subjekt und Prädikat: Der Name selbst ist das Prädikat, das Benannte ist das Subjekt. Wir brauchen also für diese Namen das Rad nicht neu zu erfinden: Es reicht eine Projektionstheorie bzw. eine Transformationstheorie, und die ist lange vor Chomsky erfunden. Wenn transformationelle Ansätze im Laufe der wechselnden wissenschaftlichen Moden „obsolet“ 25 geworden sind, so ist das kein Grund, auf den explikativen Wert dieser Entsprechung zu verzichten. Für eine analoge 26 Verbindung aus den beiden Komponenten „Handlung“ plus „Gegenstand der Handlung“ steht noch eine zweite Bildungsweise zur Verfügung (12-b), die allerdings nicht spanischen Wortschatz, sondern antikes lexikalisches Material verwendet. Um bei der Handlung „schneiden / herausnehmen“ zu bleiben: Das Griechische stellt hierfür das Verb (ek)temnein bzw. den davon abgeleiteten Stamm -(ek)tom- 25 Die transformalistische „Herleitung ist durch die Entwicklung der generativen Grammatik seit den frühen 70er Jahren obsolet geworden“ (Rainer 1993: 275). Transformationalistische Ansätze existierten übrigens lange vor der „Transformationsgrammatik“: Friedrich Schmitthenner legte 1826 eine „Ursprachlehre“ vor, in der er für die Wortbildung dieselben Strukturen wie in der Proposition ermittelte (cfr. Brekle 1970: 37ss.); für Darmesteter (1875: 4) ist die Wortzusammensetzung - damals natürlich als historischer Prozess - eine Kurzform des Satzes (s.u. Ende § 6). 26 „C’est la même structure syntaxique de phrase qui donne naissance à pèse-vin et à misogyne selon la motivation du locuteur contemporain.“ (Guilbert 1975: 223) Werner Forner 26 zur Verfügung. „X-tomo“ bzw. „X-ectomo“ ist dann das Gerät oder der Mensch, der an X schneidet bzw. X entfernt. So wie ein cortabolsas jemand ist, der [ X = Handtaschen ] entfernt. Die semantische Struktur ist bei den beiden Bildungstypen (12a / 12b) identisch, divergent ist die Bildungsweise, u.a. die Abfolge der Konstituenten 27 . Der erste Typ heißt Verb- Ergänzungs-Kompositum (V-E-Kompositum), der zweite heißt Konfigierung (französisch: „confixation“, s.u.). Derartige Dubletten sind nicht ganz selten, es lassen sich sogar solche finden, bei denen nicht nur die Handlung, sondern auch die Ergänzungen „X“ semantisch gleich sind: (13) V-E- Komposita Konfigierung Übersetzung a pesaácidos acidímetro „Säuremesser / Azidometer“ b pesaleche galactómetro „Milchwaage / Galaktometer“ c cuentapasos podómetro „Schrittmesser / Podometer“ d matahombres homicida (Käfer) / „Totschläger“ (jur.) e comepiojo (argent.) …-ófago 28 / insectívoro „Gottesanbe- terin / insektenfressend“ f comegente antropófago „Fresssack / Menschenfresser“ g portalámpara fósforo (-ífero) „Lampenfuß / Phosphor“ quebranta piedras litotricia „Steinbrecher / Litotripsie“ (urolog.) h (que contiene / lleva oleo) oleífero (adj.) / ölhaltig (que hace dormir) soporífero / -ífico / Schlafmittel (que quita la fiebre) febrífugo / fiebersenkendes Mittel (que crea la fiebre) febrígeno (pirógeno) / fiebererzeugend Das Schema (13) zeigt die inhaltlichen Entsprechungen der beiden Konstrukte: In (13-a/ b) z.B. entspricht „pesa-X“ dem „X-metro“; bei (13-a) ist „X“ identisch (Stamm acidin beiden Fällen), bei (13-b) ist nur die Ausdrucksseite von „X“ zwei unterschiedlichen Sprachen entnommen („X“ = 27 Die „unromanische“ Determinationsrichtung ist - neben bloß xenophobischen Argumenten - der Topos, der (jedenfalls in Frankreich) die dort übliche Sprach-Kulturschelte gegen die formation savante immer wieder genährt hat: Cfr. z.B. Darmesteter (1877: 169; 246 ss), Etiemble (1966: 113 ss), weitere Beispiele s. Guiraud (1978: 78s). 28 „Das adjektivische Suffix -ófago „x-fressend“ ist auf die zoologische Fachsprache beschränkt“ (Rainer 1993: 624). Zu -í+voro s. ib., 590. Rocinante 27 „Milch“ = leche vs. galakt-). Dieses Aufbauschema gilt auch für die nachfolgenden Beispiele. Die Beispiele in (13-h) hingegen weichen insofern ab, als diese semantischen Konstellationen als Namen zwar durch Konfigierung, nicht aber durch V-E-Komposition gebildet werden können (lleva-, haz-, creaals Erstglied 29 von V-E-Komposita ist nicht belegt, quitaals Erstglied ist zwar frequent, aber zufällig in Verbindung mit fiebre nicht nachweisbar). Vor dem Hintergrund der weitgehenden Analogie der beiden Bildungstypen fallen die Abweichungen besonders auf: Abweichend ist bei der Konfigierung - wie schon gesagt - die Bildungsweise: Kombiniert werden nicht Lexem plus Affix, es handelt sich also nicht um Derivation; es handelt sich auch nicht um Komposition, denn dort gilt einerseits (im Romanischen) die umgekehrte Determinationsrichtung, andererseits weichen die Wortkörper materiell ab (antikes Wortmaterial). Die Konstituenten sind durch einen Fugenvokal (-i-, -o-) verbunden. Diese Unterschiede sind bestens bekannt. Sie rechtfertigen eine eigene Wortbildungskategorie, eben die „Konfigierung“, um den Terminus von Kocourek 1982 30 zu übernehmen. Über diese Unterschiede in der Bildungsweise hinaus haben Konfigierungen terminogene und konnotationssteuernde Potenz (s.u. 3.2). Dies motiviert zusätzlich die Abgrenzung einer eigenständigen Wortbildungskategorie. Das wird in einigen Wortbildungslehren auch so gehandhabt 31 , aber längst nicht in allen 32 . 29 Zwar wird die Produktivität der V-E-Komposita, besonders in tradionellen und aktuellen Fachsprachen, allgemein hervorgehoben (z.B. Bustos Gisbert 1980: 231; gute Analyse ib. 231-307, Liste ib. 419-450); aber beliebig anwendbar ist dieses Konstrukt offenbar nicht. hazals Erstglied gibt es nur in hazmerreir (wörtl.: „mach-michlachen“), aber das ist eine andere Struktur. 30 Der Terminus wurde von Martinet (1960) kreiert, von Kocourek (1982: 94,108ss.) auf die Fachwortanalyse angewandt; frz. Linguisten sprechen häufig von recomposition oder von interfixation. Definition in Hoppe et al. (1987: 443-4): positionsvariabel (initial, intern, terminal) plus frei kombinierbar (mit Lexem, Konfix, Affix) - hinzu kommen die o.g. konnotative und terminogene Kraft. Gerade diese Eigenschaften lassen die Erweiterung, die der Begriff Konfix in der neueren Germanistik (z.B. Fleischer 1995, Grimm 1997: 277ss.; Donalies 2005: 21-23) erfährt, als nicht wünschenswert erscheinen: „Konfixe“ sind dort zusätzlich auch z.B. „Schwieger-“, „zimper-“ u.ä. 31 U. Wandruszka (1976: 106-109) begründet ausführlich die Notwendigkeit einer eigenständigen Kategorie; er spricht (ähnlich wie Höfler 1972) von „Bildungen nach neulateinischem Muster“; Schwarze (1988: 539) nennt sie „synthetische Wörter“. Französische Termini, s. vorige Anm., ferner: „composition savante“ oder „composition allogène“ (Guilbert 1975: 224). Tekavčić (1980: 160ss.) nennt die Konfixe „EFS“ = „elementi formativi scientifici“, Scalise (1984: 185-191) „semiparole“. Einige (u.a. Werner Forner 28 3.2 Die konnotierte Statusunterscheidung Zu diesen abweichenden Merkmalen, die hinreichend bekannt sind, kommt ein weiterer Faktor hinzu, der uns hier interessieren soll: Abweichend ist nicht nur die ‚Anatomie‘ dieses Wortbildungstyps; abweichend ist auch dessen Verwendung: Frequent ist die Konfigierung in bestimmten Wissenschaften, in anderen Wissenschaften oder Fächern ist sie selten. Der Unterschied in der Verwendung liegt nicht etwa an der Dichotomie „Gemeinsprache“ / „Fachsprache“, denn auch die V-E-Komposita sind für ‚fachliche‘ Benennungen ausgesprochen beliebt 33 . Der Unterschied in der Verwendung liegt auch nicht etwa in der Beschränkung auf bestimmte fachliche Bereiche: Die Namen in (13-e) betreffen beide denselben zoologischen Bereich; die in (13-a) betreffen beide den Bereich der Chemie, der mit Säuren befasst ist. Es sind offensichtlich nicht die Grenzen zwischen den Fächern oder den fachlichen Bereichen, die den Unterschied ausmachen; erst recht nicht die Grenzen zwischen Fach und Nicht-Fach. Es geht hier, meine ich, überhaupt nicht um Grenzen pragmatischer Art (s.o. (10)) zwischen Gegenständen oder Handlungen; sondern es geht um die Grenze zwischen zwei Einstellungen zu einem gegebenen Fachgebiet. So wie zwischen rocin und Rocinante kein veterinär-medizinisch feststellbarer Unterschied besteht: Dort liegt der Unterschied in der Statusein- Bauer 1988: 38, Thornton et al. 1997: 40, 47) präferieren „neoclassical compounds“ / „composizione neoclassica“. 32 Viele Linguisten ordnen die Konfixe den Prä- und Suffixen zu (z.B. Rainer 1993, im Anschluss an Siegel 1974 u.a., widerlegt von Scalise 1984 l.c.); andere grenzen sie ab als „Präfixoïde / Suffixoïde“ (Migliorini 1963: 9-60, und viele andere, z.B. Nord 1983) oder als „Pseudosuffixe“; andere unterscheiden historisch zwischen ursprünglich lexematischen vs. morphemischen Konfixen (z.B. kephalovs. hyper-); wieder andere behandeln sie nur widerwillig, da sie als „fertige Bildungen“ (Wunderli 1989: 91) verwendet werden (was nicht stimmt, denn sie stehen für okkasionelle Bildungen zur Verfügung, s.u. § 6.2). Zum Terminus Affixoïd s. den kritischen Forschungsbericht von Schmidt (1987). Das Fehlen einer Konfigierungs-Schublade ist nicht ganz unschuldig, es verhindert Diagnosen: Die Konfigierung ist - spanisch und international - ein stark expandierendes Wortbildungsverfahren (s.u. § 6.2). Ohne diese Kategorie müsste diese Expansion ad hoc als Reihe singulärer Phänomene beschrieben werden. 33 V-E-Komposita bezeichnen vor allem Vögel und Insekten (Bustos Gisbert 1980: 285- 292) oder praktische Instrumente wie sacacorchos (ib.: 296-302). Bei Haushaltsgeräten ist deren Frequenz im Spanischen mit 3% ähnlich wie die der Derivate auf -dor/ -dora, aber erheblich niedriger als alternative zweigliedrige Kompositionstypen (N+N- Komposita 8%, N+Adj-Komposita 15 %, N+prepN-Komposita 15 %), ganz zu schweigen von dreibis sechs-gliedrigen Komposita (zusammen ca. 50 %), s. Herwartz (2002: 322). Rocinante 29 stellung des Don Quijote: Don Quijote unterscheidet zwischen einer als minderwertig eingeschätzten (realen) Welt und dem deutlich besser bewerteten Status des engaño. Relativ analog entsprechen die Oppositionsglieder in (13) zwei Statuseinschätzungen zum fachlichen Handeln; einmal fachliches Handeln, das praktische Ziele bedient, zum anderen fachliches Handeln, das theoretisch orientiert ist. Für die theoretisch orientierte Fachlichkeit 34 ist die Konfigierung zuständig, während die referenzidentischen V-E-Komposita vom Theoriestatus ausgeschlossen sind. Beispiel für eine theoretische Ambition: die Klassifikation. Eine zoologische Klassifikation kann z.B. anhand der Ernährung erfolgen. Die zitierten konfigierenden Namen (in 13-e: auf ívoro, -ófago) meinen zoologische Klassen, die sich durch den Typ der Nahrungsaufnahme unterscheiden. Die V-E-Entsprechung hingegen, comepiojo, meint nicht eine zoologische Klasse, sondern ein Tierchen, das sich (kurioserweise) von Flöhen ernährt. Ein pesaleche ist vielleicht dasselbe Gerät (vielleicht auch nicht) wie ein galactómetro; aber das galactómetro unterstellt gewissermaßen wissenschaftliche Zwecke. Oxígeno („Sauerstoff“) benennt das Resultat einer chemischen Analyse; es ist der Name für „O 2 “, und nicht für das, was wir tagaus-tagein einatmen. Einen ähnlich theoriefernen Status wie die V-E-Komposita haben auch die romanischen Nominalkomposita vom Typ coche-cama 35 . Diese Unterscheidung in zwei Benennungstypen erschafft die Segmentierung in zwei „Welten“; nicht in zwei Welten von Gegenständen oder Handlungen, nicht in zwei Pragmata, sondern eine Segmentierung in zwei Einstellungen, in zwei in unserer Vorstellung wirksame Statuswelten. Die Grenze zwischen den beiden Statuswelten koinzidiert nicht mit einer der pragmatischen Abgrenzungen. Das zeigt ein Vergleich der beiden Schemata (14) vs. (10). (14) Benennung und Segmentierung in ‚Welten‘ (I) 34 Begriffe aus theorieorientierten Wissenschaften können als Hilfsmittel in praktische Fächer übernommen werden. Mit den Begriffen werden (natürlich) deren Namen überführt: Schraubenkopf-Formen z.B. haben nichts Theoriegebundenes, aber es sind geometrische Formen und die Namen werden - im Französischen - aus der Geometrie übernommen (vis à tête hexagonale „Sechskantschraube“). Derselbe Transfer (aus Physik, Mathematik, Geometrie) erklärt z.B. die Entstehung der Terminologie der frühen Luftfahrt (Guilbert 1965). 35 Analyse s. Bustos Gisbert (1980: 182-231, Liste ib.: 409-418); Cartagena / Gauger (1989: 94ss); Rainer (1993: 246-261). Zur Frequenz s. vorige Anm. Werner Forner 30 Statuswelt 1: praktisch orientierte Handlungen (alltägliche-fachlichewissenschaftliche) Statuswelt 2: theoretisch orientierte Handlungen (fachliche, wissenschaftliche etc.) Verb-Ergänzungs-Komposita ([romanische] Nominal-Komposition) Konfigierung (u.a.) Wir können jetzt zurückkommen auf das eingangs gestellte Problem: Welche sprachlichen Faktoren bedingen die Trennung in zwei „Statuswelten“? Es ist offensichtlich nicht die referentielle Zuordnung der Einzelglieder, denn die ist bei beiden Benennungstypen identisch. Sondern Ursache kann nur das Konstrukt selbst sein, die „Konfigierung“ mit ihrer eigenwilligen Abfolge der Formanten, und mit ihrem fremden Wortmaterial. Dafür spricht übrigens auch folgende Beobachtung: Das Konstrukt Konfigierung kann dekonstruiert werden, indem die nicht-initialen Elemente apokopiert werden, z.B. frz. cardio statt cardiologue. Bei dieser Dekonstruktion geht mit dem Konstruktionsverlust zugleich auch - wie Delaplace 36 kürzlich für das Französische beobachtet hat - die konnotative Potenz des Konstrukts verloren. Die Konfigierung verweist also nicht nur auf eine Referenz, sondern sie schafft zusätzlich eine Konnotation, sie besitzt eine fachliche Funktion. Die Funktion ist weniger an den Gegenstand gebunden als an einen Anspruch: Ein Sprecher, der seinen Gegenstand zu Unrecht in die theorieorientierte Statuswelt einordnet, wird sich - zu Unrecht, aber folgerichtig - der Konfigierung bedienen. Der Hörer wird diesen Gegenstand aufgrund der gehörten Konfigierung in die theorieorientierte Statuswelt einordnen. Die Wahl der Benennung hat also orientierenden Charakter. Sie kann daher strategisch eingesetzt werden. Derartige Manipulationen passieren tatsächlich (z.B. in Werbetexten, s.u. § 6-b). 36 Delaplace (2004: 127s.): „Les mots de ce type [sc.: savant] se caractérisent par des constituants et des structures particulières associées à leur valeur savante; il est donc plausible que les locuteurs, percevant au moins cette valeur et la considérant … comme inutile …, préfèrent la gommer en faisant disparaître certaines marques morphologiques.“ Diese konnotativ neutralen Reststücke werden im Französischen gern durch Suffigierung mit Argot-spezifischen Suffixen stilistisch umgepolt, z.B. dico (<dictionnaire) (ib. 130ss.). Rocinante 31 4 Nombres peregrinos Wie würde das Urteil von Don Quijote zu den Konfigierungen lauten? Z.B. zu galactómetro im Gegensatz zu pesaleche? Vermutlich wäre seine Antwort: „Es nombre, a mi parecer, peregrino y significativo“ (s.o. 2). 4.1 Theoriestatus und Konfigierung „Nombre peregrino“ - bei der Dame erzeugt der distante Name (wie oben gesehen) die gewünschte Distanz. Aber wozu diese „peregrine“ Lautgestalt bei wissenschaftlichen Termini? Benötigt der theorieorientierte Eros beim Wissenschaftler dieselbe ehrfürchtige Distanz wie beim Ritter die Verehrung der Dame? Wirkt der unmittelbare Kontakt zum wissenschaftlich untersuchten Gegenstand ‚entweihend‘? Nun, als die französischen Aufklärer sich an die Arbeit machten, diese Benennungstechnik auszubauen und fest in den neuen wissenschaftlichen Nomenklaturen zu etablieren (wo viele schon seit der Antike gebräuchlich waren), hatten sie tatsächlich das ausdrückliche Ziel, den hautnahen Kontakt zu vermeiden, sprich: die Spezifizität der jeweiligen nationalen Muttersprachen auszuschließen, denn Wissenschaft ist ja gerade Nationen-unspezifisch, universal. So kam es, dass insbesondere in der Chemie antike Wortstämme aus dem Bestand des Griechischen oder Lateinischen wie aus einem Steinbruch entnommen wurden, oder auch aus bestehenden Termini neu herausgelöst wurden. „peregrino“ meint hier diesen Zugriff auf fremde lexikalische Steinbrüche. Diese fremden Bruchstücke wurden einerseits semantisch neu aufgeladen, z.B. mit Chemie-relevanten Inhalten. Sie wurden andererseits neu kombiniert; und zwar wurden sie so kombiniert, dass die neue sprachliche Verbindung des Namens analog war zu der neuen chemischen Verbindung, oder sogar modellhaft für noch nicht nachgewiesene chemische Verbindungen. Die wissenschaftliche Benennung als Abbild und zugleich als Anweisung für das Benannte - das meint hier (zunächst) der Begriff „significativo“. Genau dies war im französischen 18. Jh. der ehrgeizige Plan von Condillac, Lavoisier und anderen gewesen: Die Sprache zu einer „analytischen Methode“ auszubauen, zu einer „méthode de nommer plutôt qu’une nomenclature“ 37 . Diese neuen Leistungen einer neuen Wissen- 37 Lavoisier, p. 163 in der Edition von Baum (1992). Analyse der konfigierenden Nominationstechnik s. Forner (1997: 77-86); zur Texttheorie von Condillac s. Kaehlbrandt (1998). Beretta (1999: 2563) berichtet, dass mit den mechanischen Mitteln dieser Nominationstechnik mehr als 300.000 Namen von noch unbekannten anorganischen Werner Forner 32 schaftssprache waren mit den historisch gewachsenen Sprachen allein nicht zu erreichen. Der Zugriff auf peregrine Elemente war daher notwendig. Für weniger ehrgeizige Ziele stehen die hausgemachten Nominationstechniken zur Verfügung: Die semantische Struktur «Handlung plus Objekt der Handlung», auf die ich mich ja hier beschränken wollte, wird durch weitere Dubletten bedient: (15) V-E-Komposita Derivate / Syntagmen Übersetzung a abrelatas abridor de latas „Dosenöffner“ b cortacesped cortadora (de cesped) „Rasenmäher“ c guardacabras cabrero „Ziegenhirt“ d trotacalles = persona callejera (DRAE) „Gassenbummler“ Die Äquivalente der mittleren Spalte zeigen verschiedene Bildungstypen: syntagmatische Verbindungen („N de N“) und Derivate (hier: für Handlungsträger): Die Derivate kennzeichnen Handlungsträger unterschiedlicher Art: Das Feminimum / +dora/ kennzeichnet eine Maschine, das Maskulinum nicht. Das Suffix / +ero/ kennzeichnet u.a. Berufe, ist dann allerdings auf ‚niedere‘ Berufe eingeschränkt, in Opposition zum Suffix / +ista/ 38 . Es ist deutlich - diese weiteren Unterteilungen sind den einzelnen Suffixen anzulasten - es handelt sich um lexikalische Unterschiede. Die Derivation als Bildungstyp ist nicht auf bestimmte Bereiche eingeschränkt; ein conocedor kann in beiden Statuswelten angesiedelt sein. Die Derivation ist also als Konstruktionstyp nicht statussensibel: Differenzierend sind bei der Derivation die einzelnen Suffixe. Darin unterscheidet sich die Derivation von der Konfigierung; denn der Konstruktionstyp Konfigierung hat qua Amtes die Potenz, die o.g. Status-Konnotationen auszulösen. Wir können also das obige Schema der konnotierten Statuswelten (s. 14) erweitern um zwei hausgemachte Nominationstypen, die gegenüber dieser Status-Unterscheidung insensibel sind: Verbindungen kreiert werden konnten, deren reale Existenz erst viel später experimentell nachgewiesen wurde. 38 „Zeitungen werden vom periodista geschrieben, vom periodiquero verteilt“, schreibt Rainer (1993: 486s.), dort viele Parallelen. Listen mit weiteren Nomina agentis / instrumenti-Derivaten s. ib. pp. 216-218. Zum enormen Expansionspotential von -ista/ -ístico s. Nord (1983: 90-110, 165-169, 504s.) und Becker (2003: 66-77). Rocinante 33 (16) Benennung und Segmentierung in ‚Welten‘ (II) Statuswelt 1: praktisch orientierte Handlungen Statuswelt 2: theoretisch orientierte Handlungen Verb-Ergänzungs-Komposita Nominalkomposita Konfigierung (u.a.) Derivation syntagmatische Verbindungen 4.2 Theoriestatus und Relationsadjektiv Zu den edlen bzw. adelnden Nominationstechniken gehört noch ein weiterer Typ; das ist die Verbindung aus Nomen plus Relationsadjektiv 39 . Diese Verbindung ist grundsätzlich rückführbar auf eine syntagmatische Verbindung aus Head-Noun plus Nominalattribut (s.u. 17). Dabei reproduziert die adjektivische Realisierung die Bedeutung des Nominalattributs. Voraussetzung für diese Verwandlung ist, dass das lexikalische Reservoir ein gleichbedeutendes Adjektiv bereithält. Beispiele: (17) N + Relationsadj. N + Nominalattribut Übersetzung a crisis petrolera crisis del petróleo (Lang: 89) „Erdölkrise“ b propiedad petrolera propiedad del petróleo „Eigentum an Erdöl“ c cotización obrera cotización de los obreros „Arbeitnehmerbeitrag“ d información obrera información de los obreros „Arbeitermitteilung(en) e solidaridad obrera solidaridad entre los obreros „Arbeitersolidarität“ Relationsadjektive sind Nomina in adjektivischer Gestalt: Sie ‚können‘ nicht das, was Adjektive ‚können‘ (sie sind nicht prädikatsfähig, sie sind nicht graduierbar etc.). Lexikalisch bedienen sie sich traditionell meist aus dem peregrinen Steinbruch. Aber nicht dies soll hier thematisiert werden, sondern ihr Platz im Konzert der Nominationstechniken. Die Austauschbarkeit der Relationsadjektive mit den entsprechenden Nominalattributen ist bei den Beispielen in (17) gegeben, ohne dass die Bedeutung auf referentieller Ebene verletzt würde. Auf stilistischer Ebene hingegen besteht nicht Äquivalenz: Die Verwendung des Relationsadjektivs setzt einen fachlichen Diskurs (also fachliche Gesprächspartner / Inhalte / Situation), oder eine fachliche Intention voraus; die Konstruk- 39 Einen knappen Forschungsüberblick zum Relationsadjektiv (insbesondere zur germanistischen Forschung) bietet jetzt Frevel (2006: 136-139). Holzer (1996: 11-13) beklagt zu Recht den Rückstand der hispanistischen Forschung zum Relationsadjektiv vor 1993. Aber dieser „neue“ Bildungstyp war schon Lenz (1925: 151s.) bekannt. Nach 1993 u.a.: Bosque (1993), Demonte (1999), Frevel (2002). Werner Forner 34 tionen mit Nominalattribut haben diese Voraussetzung nicht, sind aber auch nicht aus dem fachlichen Diskurs verbannt. Wir haben also wiederum zwei „Welten“, diesmal eine mit fachlicher Funktion und eine zweite, die gegenüber dieser Funktion „neutral“ ist. (18) Benennung und Segmentierung in ‚Welten‘ (III) Statuswelt A: neutral Statuswelt B: fachliche Funktion Nomen + Relationsadjektiv syntagmatische Verbindungen Diese Unterscheidungen sind wohlgemerkt nicht primär referentiell, sondern funktional: Sie werden dort eingesetzt, wo der Sprecher die jeweilige Statuswelt repräsentiert sieht oder sehen möchte. Ein banales Gespräch über Benzinpreise kann durch Verwendung des Relationsadjektivs („crisis petrolera“) zu einem ‚fachlich‘ scheinenden Diskurs hochgeschminkt werden. Die Verwendung des relationsadjektivischen Konstrukts durch einen Schwätzer falsifiziert nicht etwa die hier postulierte Statusunterscheidung: Signalisiert werden Statuswelten, nicht reale Welten. Dies erschwert die Heuristik. Dennoch dürfen wir erwarten, dass einerseits der ‚edle‘ Status bei ‚edlen‘ Realien frequenter ist als bei banalen Realien; und dass andererseits die „Schminke“ (die persuasive Funktion) bei (fachlich oder theoretisch) banalen Texten auch an anderen Indizien ablesbar ist. Werbetexte z.B. sind programmatisch persuasiv und verströmen gern den persuasiven Duft von Wissenschaftlichkeit. Es stehen also zwei Verifikationsmöglichkeiten zur Verfügung, eine ‚reale‘ und eine ‚funktionale‘. Dieser doppelte Nachweis ist zum Französischen erbracht (Wilde 1994). Im Spanischen dürften die Verhältnisse nicht anders liegen 40 . Die Verwendung der beiden (mehr oder weniger) peregrinen Konstrukte, des Relationsadjektivs und der Konfigierung, gehorcht also zwei Statusunterscheidungen. Diese zwei Statusunterscheidungen signalisieren zwei unterschiedliche Grade von Fachlichkeit. Das ergibt eine Dreiteilung der fachlichen Statuswelt (die die reale Welt nicht notwendig abbildet): Eine neutrale Welt, in der die reale Fachlichkeit entweder fehlt oder nicht 40 Zur Produktonomastik stehen zwar jetzt zwei gute Frequenzanalysen zur Verfügung: zu spanischen Haushaltsgeräten Herwartz (2002), zu italienischen Lebensmitteln Zilg (2006). Beide Arbeiten zählen nach Kriterien (Wortarten; morphologische Kategorien), die von der hier behandelten nominativen Fragestellung divergieren. In beiden Sparten / Sprachen erweist sich die „Komposition“ als besonders fruchtbar; das liegt daran, dass praktisch alle nicht-affigierten Bildungen in dieses Paket gepackt sind, auch „Nomen+Adjektiv“, wobei zwischen qualifizierenden und Relations-Adjektiven leider nicht unterschieden wird. Rocinante 35 durch den Benennungstyp signalisiert ist; eine als fachlich markierte Welt (aus fachlichen oder auch nicht-fachlichen realen Gegenständen); und eine als fachlich plus theoriegebunden markierte Welt (aus fachlichen oder auch nicht-fachlichen realen Gegenständen). (19) -a Benennung und Segmentierung in ‚Welten‘ (IV) Status A: neutral Status B: fachlich N+Relationsadjektiv Status 1 Praxis Status 2 Theorie (V-E-)Komposita Konfigierung syntagmatische Verbindungen Welt 1 Welt 2 Welt 3 Die nicht-neutralen Statuswelten in (19-a) sind Welten, die durch die Nominationstechniken signalisiert sind. Durch „nombres altos y sonoros y peregrinos“, würde Herr Quijote vielleicht sagen. Neben Techniken der (fachlichen) Nomination gibt es auch Techniken der (fachlichen) Deskription 41 . Diese verleihen der Textgestalt ein fachliches outfit. 41 Es handelt sich um vier Vertextungstypen, die fachsprachliche von literarischer Elaboration abgrenzen: Adverbiale Relationen werden tendenziell nicht durch eine Konjunktion (+Satz), sondern durch ein Relationsverb (i.d.R. mit zwei Nominalisierungen) ausgedrückt (1), Identitätsrelationen werden häufig durch Nominaleinbettung ausgedrückt (2), nominale und verbale Konstituenten werden gern durch ein funktionales Element analytisch gedoppelt (3), adnominale Nomina werden wenn möglich adjektiviert (4). (Zu Mechanik - Funktion - Frequenz s. Forner 1998; 2007; Wilde 1994). Für die Verwandlung in Relationsadjektive ist wichtig festzuhalten, dass der Input - adnominale Nomina (N+N) - weitgehend durch die vorgeordneten Prozesse geliefert wird: Sowohl die Nominalisierung (2), als auch die Analytismen (3), erzeugen die Verbindung N+N. Beispiele: Die Konjunktur entwickelt sich > die Entwicklung der Konjunktur > die Konjunkturentwicklung bzw. die konjunkturelle Entwicklung; Anfang > [Phase des Anfangs] > anfängliche Phase. Derivate („Entwicklung“) und Funktionsnomina („Phase“) - „diese Substantive kommen in Kombination mit Relationsadjektiven ungleich häufiger vor“ (Frevel 2006: 143s.) und zwar innerhalb eines kleinen deutschen Korpus von 265 Fällen 190 mal (ib.). (Analoges cfr. Frevel 2002: 176ss, Frevel / Knobloch 2006: 161: „nominaler dummy“.) Liegt das an der Semantik (Abstrakta, „nennschwache dummies“) oder ist der eigentliche Grund nicht die syntaktische derivationelle Vorgeschichte? Werner Forner 36 (19) -b Deskription und Segmentierung in ‚Welten‘ Status A: neutral Status B: fachlich (unmarkiert) vier „fachsprachliche“ Umstrukturierungen: FS 1 Relationsverb FS 2 Nominaleinbettung FS 3 Analytismus (verbal; nominal) FS 4 Relationsadjektiv Welt 1 Welt 2 = 3 Die nominative Abgrenzung der Fachlichkeit (Welt 2+3 in Opposition zu Welt 1) finden wir demnach auf der textuellen Ebene wieder. Die Theorie- Bindung hingegen (Welt 3 in 19-a, in Opposition zu Welt 1+2) kann nur durch die Benennung markiert werden. 5 Nombres significativos So viel zu den nombres altos in heutigen Diskursen. Wie wir gesehen haben, gibt es zwei ‚edle‘/ ‚adelnde‘ Nominationstechniken: die Konfigierung und das Relationsadjektiv. Wie steht es mit deren modus significandi? Betrachten wir zunächst das Relationsadjektiv. 5.1 Polysemie Ein erster Schritt der semantischen Analyse ist schon getan: Die zitierten Beispiele (s.o. 17) mit den Relationsadjektiven obrero, petrolero sind referentiell äquivalent mit den adnominalen Nomina trabajador bzw. petróleo. Diese sind meist genitivisch angeschlossen. Nun ist der Genitiv keine gute Referenz, denn er ist selbst ein polysemes Konstrukt: Er kann, wie wir seit der Antike wissen, als Spiegelung nominaler Funktionen einer Proposition interpretiert werden, insbesondere als Spiegelung des Subjekts oder des Objekts. Auf die o.g. Beispiele ist diese transformationelle Analyse leicht anwendbar: Rocinante 37 (20) Valenzgebundene Relationen N + Relationsadj. V + Argument Satzteil Kasus-Rolle a crisis petrolera el petróleo está en crisis Subjekt Objective b propiedad petrolera (alguién) posee petróleo Objekt Objective c cotización obrera los trabajadores cotizan Subjekt Agens d información obrera (alguién) informa a los trabajadores Objekt Patiens e Solidaridad obrera los obreros están solida- rios con/ entre los obreros. Präp.N Experiencer Derartige Rückführungen auf propositionale Argumentstrukturen lassen sich verallgemeinern: ALLE denkbaren nominalen Funktionen der Proposition sind adjektivierbar. Das gilt nicht nur für die valenzgebundenen Funktionen (s.o. 20), sondern auch für freie Ergänzungen: (21) Valenzungebundene Relationen N + Relationsadj. Proposition Übersetzung juerga nocturna (la gente) se juerguea durante la noche „Nachtschwärmerei“ Basis können sogar zwei nominale Funktionen eines Satzes sein, unter Ausschaltung des Verbs (z.B. Subjekt + Zeitangabe, s.u. 22). Das ausgeschaltete Verb wird vom Hörer sinngemäß mit verstanden. (22) Relationen zu ungenanntem Verb N + Relationsadj. Proposition Übersetzung mariposa nocturna mariposa (que actúa) durante la noche „Nachtfalter“ Versuchen wir nun, diese Funktionen in eine verbzentrierte Syntax einzuordnen! In einem Dependenz-Stemma (s.u. 23) sind die Beispiele alle vertikal abhängig, und zwar entweder: - (Typ 20) vom Verb (f 1 - f 3 ), oder - (Typ 21) vom Anfangssymbol „S“ (f 4 ). Das veranschaulicht die vertikale Leiste in der rechten Hälfte von Schema (23). Bei diesem vertikalen Typ bleibt die syntaktische Dependenz erhalten, aber die Art der Dependenz ist nicht markiert 42 . Dritte Alternative: - Der Typ (22) repräsentiert eine horizontale Konfiguration aus zweien der nominalen Funktionen (z.B. f 1 + f 4 , in 22) unter Auslassung des Basis- Verbs. Im Schema (23, rechts) entspricht das der horizontalen Leiste. 42 Das entspricht der klassischen transformationellen Analyse, cfr. z.B. Wandruszka 1972, Bartning 1980. Werner Forner 38 (23) Der Verzicht auf das Basis-Verb in (22) bedeutet zweierlei: Zum einen ist der Dependenzrahmen dort nicht formal definiert. Zum andern fehlt die Verbsemantik (±dynamisch; ±statisch). Der Hörer muss also aufgrund des Kontextes entscheiden, ob die Relation zwischen mariposa und noche (s.o. 22) - bzw. im Deutschen zwischen Nacht und Falter - durch ein Handlungsverb definiert ist, oder durch ein Ereignisverb, oder durch ein Zustandsverb (machen bzw. geschehen bzw. sein / vorhanden sein / haben). Ich komme auf dieses Problem zurück. Zusammenfassend lässt sich zunächst festhalten: Unsere relationsadjektivischen Konstrukte {N+Rel-Adj} spiegeln die propositionale Gestalt, indem sie entweder die vertikale Dependenz reproduzieren, oder eine horizontale Konfiguration aus zwei nominalen Funktionen abbilden. Das Relationsadjektiv ist demnach der Schmelztiegel für alle Funktionen des Satzes. Für den Verlust von Oppositionen, die an anderer Stelle des Sprachsystems präsent sind, hält der klassische Strukturalismus den wunderbaren Begriff Neutralisation bereit. Das Relationsadjektiv ist der Neutralisator aller satzsyntaktischen Oppositionen 43 . Die Eigenschaft als Neutralisator macht das Relationsadjektiv zu einem unsicheren Gesellen, noch unsicherer als es der Genitiv ist: Man sieht es 43 Dazu gehören auch die nominal-syntaktischen Oppositionen (Numerus, Genus, Phorik). Zur Rolle der Artikelverteilung (generisch vs. phorisch) bei der Adjektivierung im Spanischen s. Holzer (1996: 73-117); zur Determination der Basen im Deutschen s. Schäublin (1972: 128s.). f 1 f 2 f 4 V x S f n + f o Proposition N+Relationsadjektiv Subj Obj. Adv.B. f 3 N x + f n PräpN Rocinante 39 dem Relationsadjektiv nicht an, welche der vier Funktionen (f 1 -f 4 , in 23) und welche der beiden Typen von Relationsadjektiv (vertikal oder horizontal, in 23) gemeint ist (bzw. welcher Verbtyp zu ergänzen ist). Die drei Beispiele mit dem Adjektiv obrero (s.o. 20-c,d,e) weisen ein und demselben Adjektiv 44 drei unterschiedliche Funktionen zu; andere Funktionszuweisungen sind je nach weiterem Kontext denkbar: Die cotización obrera könnte auch die Zuweisung eines Dritten zugunsten der obreros sein; mit einer información obrera könnten andere durch die Arbeiter informiert werden; und natürlich könnte z.B. der Heilige Vater sich mit der Arbeiterklasse solidarisch erklären (solidaridad obrera und solidaridad papal), oder eben umgekehrt. Bei der mariposa nocturna (22) - oder völlig analog bei dem deutschen Kompositum Nachtfalter - verstehen wir ein Handlungsverb mit (aktiv sein); beim Zitronenfalter ist das anders (Zustandsverb: ähnlich sein), ganz abgesehen von einem unüblichen, aber denkbaren bigotten Händefalter (nominale Form des Verbs falten). Diese deutschen Beispiele suggerieren übrigens, dass bei der Komposition die genannten Determinationsmechanismen in analoger Weise neutralisiert sind 45 . Dies lässt sich nachweisen, aber hier mag der Hinweis genügen. Relationsadjektive - und analog die Komposition - sind extrem polysem. Der Lexikograph tut sich schwer mit solchen vieldeutigen Konstrukten, denn er muss ja die Bedeutung z.B. von obrero vermitteln. Lexikographische Standardlösungen (s. 24) sind entweder die Gleichsetzung mit den polyvalenten Konkurrenzbildungen (dem Genitiv oder der Wortzusammensetzung), oder mit einem vagen Verb wie z.B. betreffen. 44 Rainer (1993: 226) weist für (unterschiedene) Adjektive mit ein und demselben Suffix (-al) neun Interpretationen nach (die sich übrigens leicht auf propositionale Relationen reduzieren ließen). Er übernimmt die verbreitete Meinung, dass Relationsadjektive „eine sehr allgemeine Bedeutung haben, etwa ‘x betreffend’, oder ‘der mit x zu tun hat’ …“. 45 Einziger Unterschied: Hinzu kommt bei der Nominalkomposition eine weitere, die kopulative Funktion. Diese Analyse gilt auch für die ‘romanische’ Komposition: Forner (2000a: 178s.), z.B. „steak-frites“. Werner Forner 40 (24) Vieldeutigkeit: Lexikographische Beschreibungen obrero „de los obreros (3)“ Seco (1999) „Arbeiter-“ Slaby-Grossmann (1975) „que trabaja“ (! ) DRAE, DEM „trabajador, inclinado a trabajar“ (! ) DUE petrolero „perteneciente o relativo al petróleo“ DEM, DRAE „de [del] petróleo“ DUE Diese lexikographische Sicht hat in den vergangenen drei Jahrzehnten auch die Mehrzahl der Syntaktiker übernommen. Die lexikographische Definition ist richtig, wenn man die Gesamtheit aller Verwendungen in Betracht ziehen muss (müsste); denn das Relationsverb besitzt ja tatsächlich die skizzierte mehrdimensionale Vieldeutigkeit. Innerhalb des jeweiligen Textes hingegen ist dieses Konstrukt i.d.R. eindeutig: Und zwar hat es jeweils eine der aufgrund der propositionalen Basis (oder Basen) vorhersagbaren Bedeutungen. Es ist dann entweder Subjekt oder Objekt, entweder Agens oder Patiens oder Ortsangabe etc. Es hat dann nicht etwa eine Bedeutung, die in der Mitte zwischen Subjekt und Objekt, oder zwischen Orts- und Material-Angabe schwankt, oder sowohl Agens als auch Patiens ist: Es hat nie eine „vage“ Bedeutung, auch wenn man das immer wieder liest 46 , sondern es hat in jedem Einzelfall eine präzise Bedeutung: 46 „Vage“, „flou“ ist seit Ende der 70er Jahre die fast generelle Explikationsformel. Grund für diese faux-fuyants ist eine seltsame Phobie vor syntaktischer Polysemie. So schließt Noailly (1990: 98) eine korrekte Analyse der französischen Nominalkomposita mit folgendem Résümée ab: „…il est impossible de décider quelle paraphrase - les transformationnalistes diraient «quelle structure sous-jacente» est la meilleure, plusieurs venant simultanément à l’esprit avec autant de vraisemblance. Le flou, ou si l’on préfère, le vague sont partout.“ Bei amor Dei können wir seit der Antike nicht entscheiden, „quelle paraphrase … est la meilleure“ - wo ist da das Problem? - Dieselbe Polysemie-Angst findet sich häufig, in Spanien z.B. bei Bustos Gisbert (1986: 12 ss.), Manteca (1987: 335 ss.), González Ollé y Casado (91: 104), Almela Pérez (1999: 124 ss.). Cartagena / Gauger (1989: 123) diagnostizieren eine „sehr allgemeine Beziehung“. - Proposition und Komposition sind in der Tat heteromorph, diese Beobachtung ist korrekt. Aber z.B. Lautbestand vs. Phonemsystem einer Sprache (etisch vs. emisch) sind es auch! Sollen wir die Phonologie abschaffen, weil wir dem deutschen Wort [ra: t] nicht anmerken, ob es ein „Rad“ oder ein „Rat“ ist? Für die ersehnte Eindeutigkeit sorgt in beiden Fällen i.A. der Zusammenhang: Die [germanische] Nominalkomposition sei, so Rainer (1993: 246), „oft nur vage als «ein N2 das etwas mit N1 zu tun hat» charakterisiert“, und „die verschiedenen Wortschatzbedeutungen [müssten] als Folge pragmatischer Schlüsse angesehen werden.“ Für die Bedeutung im Einzelfall hätte es gereicht, einen Blick auf den Kontext zu werfen! Für eine Liste möglicher Paraphrasen, auch im Sprachvergleich, s. Cartagena / Gauger (1989: 86 ss. bzw. 96 ss., 100ss). Rocinante 41 Es meint z.B. den Täter, obwohl diese Funktion formal nicht signalisiert ist, in einem anderen Fall das Opfer, auch wenn diese Funktion ausdrucksseitig nicht in Erscheinung tritt. Genauso wie der Auslaut von Fahrrad phonologisch ein / d/ ist, obwohl die Stimmhaftigkeit auf der Ausdrucksebene nicht präsent ist. Eine zusätzliche semantische Kategorie vom Typ „betreffen“ 47 ist ein unnötiges Konstrukt, das sogar falsche Vorhersagen macht. Es ist letztlich auch Falschmünzerei, denn es ist gar nicht EINE Kategorie, sondern ein Behälter, in dem die unterschiedlichsten Typen von „betreffen“ entsorgt werden. Deren Typologie kann je nach Fragestellung, Ziel oder gusto sehr umfangreich ausfallen 48 . Verantwortlich für das korrekte Verständnis ist der Kontext: - Einerseits der enge Kontext, soll heißen der Kontext innerhalb der nominalen Konstituente: Bei mariposa nocturna - das ja kein nominalisiertes Verb enthält - sind die „vertikalen“ Relationen zwar nicht durch ein Basis-Verb diktiert, aber die Bedeutung des Adjektivs legt einen Zeitbezug nahe und schließt ein Zustandsverb als zu ergänzendes Basis-Verb aus. - Andererseits der weitere Kontext: Der Gewerkschaftsvertrag regelt die Beitragspflicht seiner Mitglieder; dies ist der Kontext, der das Adjektiv in cotización obrera definiert, und zwar zugunsten der Agensfunktion, und gegen alternative Interpretationen. - So wie die Kommentare von Don Quijote und Sancho Panza die gemeinte Bedeutung von Rocinante bestimmten. Der Kontext ist also wesentlicher Bestandteil der Kodierung unserer Nominalsyntagmen: Der Kontext selektiert die gemeinte (präzise) Bedeutung und verwirft die nicht gemeinten (ebenfalls präzisen) Bedeutungen. Die Funktion des Kontextes besteht nicht etwa darin, eine vage Bedeutung 47 „A betrifft B“ ist die transformationalistische Definition des Relationsadjektivs bei U. Wandruszka (1972: 105); er selbst empfand diese Paraphrase als „fragwürdig“. Eine Kategorie „Assoziation“ (cfr. Giegerich 2005) ist es nicht weniger. 48 Ortner (1997, und früher) legt - wie andere auch - eine Typologie der Relationen vor, die zwischen den Bestandteilen der Nominalkomposition bestehen sollen; er findet 123 Relationen! Bei identischen Kriterien lässt sich dieselbe Typologie auf Satzebene wiederfinden. Andere Typologien rechtfertigen sich durch ihre jeweiligen Ziele: Normierbarkeit (terminographische Ansätze), oder Übersetzungsstrategien, oder kognitionspsychologische Kasuistiken. Die Sache ist unübersichtlich. Einen guten Überblick bietet jetzt Oster (2005: 23-97). Frau Oster entwickelt in kontrastiver, translatorischer (Spanisch-Deutsch) und terminologischer Perspektive ein eigenes, komplexes System, das die diversen Ansatztypen berücksichtigt, aber die syntaktische Basis erkennen lässt. Werner Forner 42 präzise zu gestalten; sondern die Gesamtmenge möglicher präziser Bedeutungen ist durch das Konstrukt vorgegeben. Das Nominalsyntagma stellt sozusagen die Essenz des gemeinten Zusammenhangs dar: Es verkürzt die Fülle von deskriptiven Daten auf wenige Elemente, die geeignet sind, diese Fülle in Erinnerung zu rufen. Das ist der Grund, warum das Syntagma {Nomen + Relationsadjektiv} als Name für die Zusammenhänge geeignet ist, die im Kontext deskriptiv vermittelt werden. Das ist die Definition von Nomination 49 . Dieser enge Zusammenhang zwischen deskriptiver und nominativer Funktion, zwischen Namen und Kontext, ist für die fachliche Kommunikation besonders wichtig. Die fachliche Kommunikation kennt eine spezielle Textsorte, die dem fachlichen Namen SEINEN Kontext zuweist; das ist die Definition. Erst durch die Definition werden Termini eindeutig. Die Termini selbst besitzen keinerlei Qualifikation für eine eindeutige Bestimmung ihres Gegenstandes 50 . 5.2 Onomasiologischer Approach Es liegt daher nahe, die Richtung der Fragestellung umzukehren: Bislang sind wir vom Namen ausgegangen und haben nach dem „thing meant“ gefragt. Fragen wir uns doch mal umgekehrt (onomasiologisch) nach dem Weg vom Gemeinten zum Namen, bzw. von der Beschreibung zur Benennung! Welchen Namen könnte man dem folgenden Zusammenhang geben? (25) a Son conjeturados, en la cuenca Colorado, YACIMIENTOS DE PETRÓLEO . b Es preciso EXPLORAR (la cuenca para encontrar)-los. c Energía de la Nación le CONCEDIÓ a la empresa Petrobas DOS ÁREAS para hacerlo. d La resolución fue firmada por … Die Textstruktur (25) ist konstituiert durch AEQUI-Relationen, diese sind durch PROformen (hier fett) signalisiert, die das jeweils zuvor Gesagte aufgreifen. In fachsprachlichem Stil würde derselbe Zusammenhang durch rekursive Nominaleinbettung ausgedrückt. Bei dieser Umformung 49 MLS, s.v.: „Sprachl. Handlung, durch die ein Sprecher einem Hörer den von ihm gemeinten Gegenstand (thing meant) verfügbar macht.“ Die erste Anwendung der Nominationstheorie auf spanische Nominalsyntagmen ist Frevel (2002); die Arbeit enthält auch einen kurzen Abriss der Nominationsforschung (pp. 29-35). 50 Die angebliche Eindeutigkeit von Fachsprache / Fachtermini gehört zu den am weitesten verbreiteten Vorurteilen über Fachsprache, verbreitet auch von der einschlägigen Literatur. Analyse und Korrektur s. Forner (2000b, bes. 348-354). Rocinante 43 werden die durch Kapitälchen markierten Ausdrücke erhalten bleiben. Das ergibt folgende Reihe: (25’) a yacimientos petroleros / petrolíferos b exploración de (a) c concesión de dos áreas para (b) d … … … … + fué firmada por … (26) La concesión de dos áreas para la exploración de los yacimientos petroleros N A de N 1 para N 2 de N 3 R°Adj. Diese erbastelte Textgestalt (Zeile 1 in (26)) schließt das Relationsadjektiv an eine nominale Reihe an, die hinter dem Anfangsnomen („N A “) und vor dem Relationsadjektiv („R°Adj.“) drei Zwischennomina („N 1 , N 2 , N 3 “) enthält. Diese Konfiguration ist mehr mechanisch als authentisch. Denn in jeder Zwischenstufe würde das Zwischennomen getilgt: (b) würde eher: „La exploración petrolera“, als: „La exploración de los yacimientos petroleros“ lauten. Das Endergebnis kann entsprechend lauten: (26’) La concesión petrolera (26’) ist als Name einer Adjudikation ebenso geeignet, wie (26) ungeeignet ist. Namen werden gern als Titel verwendet. (26’) ist (wie der Zufall so spielt! ) der Titel eines Artikels in El Pais (19-II-06): (27) Una controvertida concesión petrolera (=Überschrift) En el 2004, Energía le concedió dos áreas de exploración a la empresa Petrobras. (= Untertitel) El 12 de noviembre de 2004, (…) la secretaría de Energía de la Nación le adjudicó dos áreas para la exploración petrolera de la cuenca Colorado Marina (ubicada en el mar Argentino, a la altura de Mar del Plata) a la empresa Petrobas Energia S.A. La resolución fue firmada por… 51 Der Text illustriert den Übergang von Deskription zu Nomination, so wie er in (25) experimentell modellisiert wurde. (25-26) illustriert die Grammatik des Relationsadjektivs. Diese besteht aus zwei Regeln: 51 www.clarin.com/ diario/ 2006/ 02/ 19/ elpais/ p-01601.htm. Werner Forner 44 (28) Grammatik der Adjektivierung: a Ein adnominales Nomen N X kann zu dem entsprechenden Adjektiv A X transformiert werden (sofern das lexikalische Reservoir der Sprache über A X verfügt) (z.B. 25-a 25’-a). b Zwischennomina (N 1 , N 2 , …) können vor Relationsadjektiven getilgt werden (sofern sie durch den engeren oder weiteren Kontext restituierbar sind) (z.B: 26 26’). Die Regel (28-a) ist schuld an den zuvor (§ 5.1) diskutierten Typen von Polysemie: Diese ergaben sich aus dem Determinationsgeflecht der zugrundeliegenden Proposition. Die Regel (28-b) von der Tilgung des Zwischennomens fügt diesem Chaos noch einen weiteren Unsicherheitsfaktor hinzu, nämlich die lexikalische Semantik eines getilgten Zwischennomens: Das Relationsadjektiv impliziert die Tilgung eines Zwischennomens; es kann daher mehr bedeuten, als es bedeutet. Dieser semantische Mehrwert des Relationsadjektivs gegenüber ‚seinem‘ Nomen ist also nicht etwa eine lexikalische Eigenschaft des Relationsadjektivs, die mit dem zugehörigen Nomen semantisch kontrastiert. Wenn es so wäre, müsste der semantische Mehrwert durch ein Merkmal - wieder mal „betreffen“! (oder auch „typisch für“: Wandruzska 1972: 137) - gekennzeichnet werden; damit wäre die semantische Äquivalenz zwischen Basis und Derivat nicht gegeben, die Derivationsregel (28-a) wäre widerlegt. Hier liegt die explikative Relevanz der Tilgung des Zwischennomens (Regel 28-b): Mit dieser Regel ist die transformationelle Lösung rehabilitiert. Diese Tilgungsregel ist nicht etwa eine ad-hoc-Explikation: Sie ist bei einem Großteil der relationsadjektivischen Konstrukte erkennbar, und - sofern man den weiteren Kontext einbeziehen mag - nachweisbar. Erkennbar ist diese Regel auch bei den eingangs (s.o. 20) zitierten Beispielen mit petrolero bzw. obrero: Ist eine crisis petrolera eine Krise des Erdöls? oder eine Krise der Erdölindustrie? oder der Erdölproduktion? oder des Absatzes? Und bei „propiedad petrolera“ ist zwar Eigentum an Erdöl nicht ausgeschlossen, aber es könnte auch das Eigentum an Erdöl verarbeitenden Industrien gemeint sein. Entsprechend könnte obrero die Arbeiterklasse eher als einzelne Arbeiter evozieren 52 . Dies sind Zwischennomina, die leicht (nämlich metonymisch) aus dem engeren Kontext (und einem Minimum an Weltkenntnis) restituierbar sind. In anderen Fällen führt erst der weitere Kontext zu einem eindeutigen Verständnis. Beispiele liefert das 52 Bei zweigliedrigen Institutionenbezeichnungen ist die Ellipse jedes der beiden Glieder regelmäßig: „los últimos resultados madridistas“, „los jugadores realistas“ - beides sind Adjektivierungen des F.C. Real Madrid (aus Nord 1983: 94). Analog: comunitário und europeo meinen (i.A.) die Comunidad Economica Europea (vor 1992) etc. Rocinante 45 Internet zuhauf, wenn man das betr. Relationsadjektiv als Suchbegriff eingibt. Man stößt z.B. auf: „circuito petrolero“. Dieser Name steht für eine touristische Maßnahme in Feuerland, wie der nachfolgende Text zeigt. (29) El circuito petrolero En el recorrido se muestran las distintas fases de la ACTIVIDAD . El circuito intenta valorar la TRADICIÓN petrolera que posee Comodoro Rivadavia. La ciudad evolucionó en torno a la EXPLOTACIÓN del petróleo. Es por este motivo que es declarada „Capital Nacional del Petróleo“. (…) (29’) El circuito (de N 1 de N 2 , …) del petroleo (Die Kandidaten für die Zwischennomina (de N 1 de N 2 , …) sind als Kapitälchen gedruckt.) 5.3 Generalisierung Die für die Relationsadjektive nachgewiesene transformative Syntax ist nicht auf diese beschränkt. Betrachten wir zunächst die Konfixe: Die in (13) zitierten Konfixe (s. 30-a) haben die Struktur {Verb + Objekt}, auch andere Verbvalenzen sind nachweisbar: Diese entsprechen also dem vertikalen Typ der Relationsadjektive. (30-b) hingegen entspricht dem horizontalen Typ, bei dem eine der vier grundlegenden Verbsemantiken mitgemeint ist. (30) a [ N + V ]: acidímetro; acupuntura (N = Obj.; Instrument) b [ N 1 + N 2 ]: atmósfera (N 2 ES [consiste en] N 1 ), aerogastria (en N 2 HAY N 1 ), cinocéfalo (N 2 ES como N 1 ), miocardio (N 2 TIENE N 2 ), Die propositionale Basisstruktur der Relationsadjektive gilt also auch für diese ‚gelehrten‘ Zusammensetzungen 53 . Nur nebenbei sei erwähnt, dass zu einer Wortbildungstypologie der Konfigierung weitere Typen gehören: Auch adjektivische Elemente können beteiligt sein (31-a), ferner Präfixe / Suffixe (31-b), auch fachspezifische Suffixe (31-c), die Initialposition können Quantoren einnehmen (31d). Schließlich kann die Konfigierung - im Gegensatz zum Relationsadjektiv, aber wie die N+N-Komposita - auch eine ‚sowohl-als auch‘-Relation 53 Die Rückführung der romanischen Komposition (auch der ‘gelehrten’) auf syntaktische Mechanismen geschah in Frankreich durch Benveniste (z.B. 1967: 15): „La composition nominale est une micro-syntaxe, chaque type de composé est à étudier comme la transformation d’un type d’énoncé syntaxique libre.“ Dann durch Guilbert (u.a. 1975: 229-231). Werner Forner 46 bedeuten (31-e). Die Konfigierung ist nicht auf zwei Elemente eingeschränkt (31-f). (31) a [ Adj + N 2 ]: bradicardia, taquicardia (N 2 ES Adj) b [ Prä-/ Suffix + N ]: anarquía, antífrasis, mesolítico c [ fachspezif. Suff. ]: -oma, -osis, -itis, -ona / ´-ico, -oso , hept-ano, et-eno d [ Quantor + N ]: monómero, tetrámero, polímero, homopolímero, pantiatra. e [ kopulativ ]: androginía, un fisicoquímico, … f [ alles ]: crista intertrocantérica 54 Alle diese Bildungsweisen sind natürlich auch auf Relationsadjektive übertragbar: Es genügt, ein Adjektivsuffix anzuhängen. Die Umkehrung gilt nicht immer: Nicht jedes Relationsadjektiv besitzt ein Konfix als Basis, cfr. nocturno~noche. Von der Wortbildung zurück zur Syntax: Wie das Relationsadjektiv ist auch die Konfigierung eine Spiegelung der propositionalen Funktionen; das haben die Beispiele in (30) gezeigt. Auch die Tilgung des Zwischennomens ist nicht auf das Relationsadjektiv beschränkt: Während z.B. die Photographie eine Technik benennt, die mit Hilfe des Lichts (griech. Stamm phot-) Bilder erstellt (griech. Stamm graph-), also eine Determination zwischen den beiden im Terminus genannten antiken Bestandteilen beinhaltet, gilt dasselbe nicht für Photokopie, denn Photokopie ist nicht ein Kopieren mit Hilfe von Licht, sondern mit Hilfe der Photographie. Photokopie ist also zu analysieren als Photo+graphie+kopie, mit Tilgung des Zwischennomens. (32) Tilgung des Zwischennomens fotografía (= foto + grafía) ~ fotocopia (= foto GRAFIA + copia) (ebenso: ) televisión ~ telespectador, automóvil ~ autopista, neología ~ neofobía, radiodifusión ~ radiotelevisión (radio- = d ondas hertzianas), radioactivo ~ radiocarbono (= d „Carbono radioactivo“, DEA s.v.) 55 Die Tilgung des Zwischennomens gilt auch bei der ‚germanischen‘ Komposition (Nomen + Nomen, s. (33-a)): 54 Kante am oberen Femur zwischen Trochanter minor und Trochanter maior. 55 Weitere Beispiele zu radios. DEA s.v., Kocourek 1982: 110 s, der m.W. als erster auf diese „mots abrégés“ bei der Bildung von Konfixen hinweist. Rocinante 47 (33) a Pfeffernüsse statt Pfeffer KUCHEN nüsse, Fernamt statt Fern MELDE amt b Schupo statt Schu TZ po LIZIST , Krad statt Kr AFTR ad etc. In der germanistischen Literatur wird das Phänomen als „Klammerform“ bezeichnet, phonetisch motiviert und den „Kurzwörtern“ (Schupo statt Schutzpolizist, s. 33-b) zugeordnet 56 . Ich halte die Erscheinungen in (33-a) vs. (33-b) für divergent, bei (a) halte ich die syntaktische Explikation für richtiger. Wir finden also in drei unterschiedlichen Nominationstechniken identische Regeln - Regeln, die die Herleitung des Namens aus der Proposition erklärend beschreiben. Das ist gar nicht verwunderlich, denn die übrigen Nominationstypen sind auch verkürzte Propositionen; nur der Weg ist dort kürzer, die Hinweise auf die propositionale Basis zahlreicher, der Zusammenhang ‚durchsichtiger‘. Neu ist diese Erkenntnis übrigens nicht: Vor 130 Jahren hatte der französische Linguist Arsène Darmesteter (1875: 4) diesen transformativen Zusammenhang auf die folgende Formel gebracht: „Un mot composé est une proposition en raccourcie.“ Und für Bally (1965 [1932]) ist das Relationsadjektiv ein Beispiel für „le passage d’une syntaxe de rection à une syntaxe d’accord par voie de transposition“. 6 Ausblick Die „Kürzung der Proposition“, die „Übertragung der Rektion in den Bereich der Kongruenz“, die, wie gezeigt, schon früh als Benennungsstrategie diagnostiziert wurde, hat Fortüne gemacht. Die Komposition, auch die mit gelehrtem Wortmaterial, auch die mit dem Relationsadjektiv verknüpfte, sie haben sich nicht nur in ihrer eigentlichen Domäne durchgesetzt, nämlich bei der Benennung fachlicher Dinge in einer gegebenen Einzelsprache, sondern sie tendieren zur Ausweitung auf Nachbarbereiche: - Einerseits Ausweitung von der fachlichen Nomination auf fachliche Deskription (s.u. (6.1)); dieser Typ von Verallgemeinerung ist seit einem Jahrhundert vollzogen; 56 S. z.B. Homberger 2000: 248, 293: „Klammerform, Reduktionsform eines zusammengesetzten, meist dreigliedrigen Wortes, bei dem die mittlere Komponente zur Erleichterung der Aussprache weggelassen wird.“ - cfr. MLS, s.v.: „Klammerform, Kurzwort, das aus dem Anfang und Ende eines komplexen Ausdrucks gebildet ist, z.B. Motel aus Motorhotel (…)“. Cartagena / Gauger (1989: 92) analysieren richtig: „… das erste Kompositionsglied [muss man] als Repräsentant einer Zusammensetzung betrachten“. Werner Forner 48 - andererseits (6.2) Überschreitung der Grenze des fachlichen Status: Der ‚Duft‘ von Fachlichkeit wird gern auch in fachfremden Diskursen verströmt; und drittens - (6.3) Überschreitung der Sprachgrenze: Neue Verwendungen und neue Bildungsweisen des Relationsadjektivs im Deutschen, bzw. der Determinativ-Komposition in romanischen Sprachen, erklären sich als Konvergenzerscheinungen. 6.1 Das stilistische Schisma Die zitierten Texte (s.o. Texte (27) und (29)) und deren „Kürzungen“ zu Namen bzw. Titeln zeigen, wie eng die beiden Sprechakte - Deskription und Nomination - verwandt sind. Es liegt daher nahe, dass die Grammatik des einen die Grammatik des anderen inspiriert. Diese Angleichung ist tatsächlich erfolgt. Die deskriptive Funktion von Fachlichkeit war bis Anfang des 20.Jh. von der Kunstprosa strukturell nicht unterschieden, zumindest nicht in französischen wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbüchern (Kaehlbrandt 1987). Im 20. Jh. hingegen zeigt die französische Diskurslandschaft eine scharfe Trennung zwischen fachlicher und narrativer Funktion (Wilde 1994). Wegbereiter war im 19. Jh. eine doppelte Emanzipation: Die Kunstprosa hatte sich als Kunstform emanzipiert, der fachliche Diskurs emanzipierte sich von ‚künstlerischen‘ Ambitionen. Erst die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert brachte eine Spaltung der Elaboration (Forner 2006: 1917): Vier Strukturtypen, die nicht neu waren, aber die bislang als Merkmale für Elaboration fungiert hatten, wurden funktional umgewidmet zu Merkmalen für fachsprachliche Elaboration, in Opposition zu alternativen Elaborationstypen: Diese Merkmale werden seitdem vom fachlichen Diskurs gesucht und vom literarischen Diskurs gemieden. Es handelt sich um die vier fachsprachlichen Strukturtypen, die oben (§ 4.2, Anm. 41) aufgezählt wurden; sie hängen alle eng zusammen mit den Techniken, die seit der Antike charakteristisch für fachliche Nomination waren. Die Filiation, die die vier - modernen - Techniken fachlicher Deskription als Übernahme aus den alten fachlichen Nominationstechniken wertet, ist daher plausibel. Die neuen Text- und Benennungsformen waren ungewohnt und daher gewöhnungsbedürftig: Die zahlreichen Klagen von Puristen - in Frankreich, Italien und auch Spanien - insbesondere gegen die „grécomanie“ (d.h. Konfigierung) und gegen die „adjectivite“, diese „maladie du Rocinante 49 siècle“ 57 , müssen wohl als Nachwehen des stilistischen Schismas verstanden werden. 6.2 Der fachliche Stallgeruch Fachlichkeit und die entsprechende Sprachfunktion sind Prestige- Funktionen; sie besitzen veredelnde Potenz und werden daher gern für Bereiche genutzt, die zu Fachlichkeit in einem eher marginalen oder in gar keinem Verhältnis stehen. Dass dies so ist, ist lange bekannt, z.B. Fluck (1976, Kap. 8) berichtet darüber. Es wird meist als „Einfluss“ auf das Konstrukt „Gemeinsprache“ missgedeutet - „Gemeinsprache“, weil ja der fachliche Anlass nicht gegeben ist - und nicht als Ausdruck einer fachlichen Funktion, die ja nicht ontologisch abhängig ist vom fachlichen Charakter des Referent: Die zitierten vier Strategien der Deskription sind fachsprachliche, nicht fachliche Prozesse. Wenn schon realiter kein fachlicher Anlass für eine fachsprachliche Sprachform besteht, so besteht doch Aussicht, dass die fachsprachliche Form eine fachliche Wirkung, eine Aufwertung, erzielt. Fachsprache ist daher besonders geeignet, ein elitäres Publikum zu selegieren (als Marketingstrategie), oder persuasive Funktionen zu übernehmen. Die Ausweitung des funktionalen Geltungsbereichs ist übrigens im franko- und italophonen Bereich deutlicher als im Bereich der spanischen oder englischen Sprache. - Die klassische Linke wählte - insbesondere in Italien - den Fachstil 58 für ihre Botschaften an Arbeiter und Bauern; diese nahmen die Botschaften zwar nicht mit Verständnis, wohl aber mit Ehrfurcht auf. 57 Le Bidois 1964: 7s, Etiemble 1966: 7, und viele andere. Im hispanophonen Bereich beklagt schon Lenz (1925: 152), gefolgt von vielen, das Ausufern der Relationsadjektive bei den „diaristas“. Darüber hinaus anathemisiert Lenz diese Formen selbst in geradezu fundamentalistischer Weise: Er glaubt, das Wesen der Wortarten zu kennen: Substantiv = „substancia“, Adjektiv = „cualidad“. Diese „logische“ Bestimmung der Wortarten werde durch die relationsadjektivischen Konstrukte invertiert. Als Beispiel wählt er einen „Nominal-Analytismus“ (Fachsprachliche Struktur 3, s.o. § 4.2, (19-b) und Anm. 41): „La red ferrocarrilera es un conjunto de ferrocarriles que forman una red; la substancia (ferrocarriles) se expresa por el adjetivo, la cualidad (forma semejante a una red), por el substantivo. La forma grammatical ha invadido terrenos que lógicamente no le corresponden.“ (ib.) - Die Analyse ist richtig, aber sie definiert den Analytismus, nicht das Relationsadjektiv! 58 Auf Italienisch: „sinistrese“. Cfr. die parodistische Kritik von Violo (1977: 40) an der Sprache von Potere Operaio: „… presenta difficoltà di decodifica che rasentano l’incomprensibilità totale“. Werner Forner 50 - ‚Seriöse‘ Tageszeitungen (Le Monde, Il Corriere) adoptieren diesen Stil (noch) in Frankreich und Italien, aber nicht in Spanien 59 oder England. - Der Guide Michelin informierte gebildete Touristen im 20. Jh. in Fachstil, dann wechselte das Marketing, die Farbe des Einbands und die Sprachform. - Die meisten Werbebranchen, besonders die Kosmetikwerbung, spicken ihre Botschaften (sowohl im deskriptiven als auch im nominativen Bereich) oft derartig intensiv mit fachsprachlichen Duftnoten, dass die Informationsvermittlung völlig überschminkt oder sogar kaschiert ist. - Für die Merkmale der Nomination ist dieselbe Logik unübersehbar: Ein guter Name ist die beste Werbung. Das gilt auch für die Produktnamen diverser Branchen: Konfigierung ist hier eine besonders beliebte Technik 60 . - Fachliche Metaphern sind häufig; medizinische Bildspender sind besonders beliebt (Schmitt 1988: 118, für französische Wirtschaftstexte). Der Bildspender importiert (natürlich) die fachtypischen Wortbildungselemente in den fachfremden Bereich: Das medizinische Suffix -itis / -ite ist für Krankheitsmetaphern in unseren Sprachen usuell geworden 61 . - Das Konfigierungsschema hat sich längst geöffnet für Hybridbildungen aus antikem plus modernem (heute oft englischem) Stamm, zunächst durchaus in naturwissenschaftlichen Bereichen, dann auch in anderen Diskurswelten, besonders deutlich im politisch-sozialen Wortschatz des 59 El Pais folgt zwar programmatisch dem Modell Le Monde, aber die Wahl der Sprachvariante (Fachsprache) folgt nicht dem französischen Vorbild, obwohl diese Variante dem Spanischen in anderen als journalistischen Bereichen durchaus nicht fremd ist. 60 Schmidt (1987: 101) empfiehlt, „sich von der grassierenden Affixoïdomanie nicht anstecken zu lassen“. Für die Produktonomastik (Italienisch) hat Zilg (2006: 113-118) „werbesprachliche Affixoïde“ gesammelt, die den Konfixen nahe stehen, z.B. actimel, ortoghiotto, cottotoast. Zur Bildung französischer Produktnamen finden sich in van Hoorebeck (1997: 73ss.; 91ss.) Listen von Konfixen und von (Konfix-analogen) „motséléments“. Es sind Konfixe, die stark reihenbildend sind, also sich zu einem Paradigma emanzipieren und daher allgemein verfügbar werden (Guilbert 1975: 235 ss.). In Frankreich gehört das Wörter-Schmieden seit Rabelais zum literarischen Handwerk: Wir finden z.B. aberrifique (aberrant + horrifique, B. Perret), sarcastifleur (sarcastique + persifleur, B.Vian), bavricaner (baver + ricaner, R.Queneau) etc. Guilbert (1975: 248) weist darauf hin, dass diese ‘Kunstformen’ das Modell Konfigierung reproduzieren. 61 So usuell, dass es in der Suffixliste des Grand Robert als eigene Verwendung zitiert wird: „-ite (…). Ce suffixe médical est parfois employé pour désigner des habitudes, des manies, que l’on compare plaisamment à des maladies. Ex. adjectivite (…).“ Zu metaphorischem -itis im Italienischen s. Schweickard (1993), im Französischen Fabellini (2003). Rocinante 51 20. Jh. 62 . Diese Tendenz zu fachfremden Verwendungen hat sich in modernen Zeiten zwar verstärkt, aber neu ist sie nicht: Auch Darmesteter (1877: 247) hat sie schon beschrieben: „(…) il n’est petit négociant, petit fabricant qui ne combine ces éléments de quelque façon originale qui brave audacieusement et les lois du grec et celles du français.“ Expansiv ist seit den 50er Jahren auch das Relationsadjektiv 63 . 6.3 Der fachsprachliche Sprachbund Variationsabhängige Kontrastivik sollte differenziell argumentieren: Wie unterscheidet sich Sprachstil 1 von Sprachstil 2 in Sprache A und wie in Sprache B? Die strukturellen Stil-Unterschiede zwischen zwei Sprachen können schwanken zwischen Identität und Divergenz. Strukturelle Unterschiede zwischen spanischer (romanischer) und deutscher Fachsprache (in Kontrast zum jeweiligen Neutralstil) scheinen auf den ersten Blick inexistent zu sein: Die vier deskriptiven fachsprachlichen Prozesse markieren den Fachstil in allen hier betrachteten Sprachen. Die Stildifferenzen sind strukturell identisch. Das gilt erst recht für die nominativen Techniken, die ja antikes Erbe sind. Fachsprache ist ein europäischer Sprachbund. Von diesem generellen Befund sind ein paar Abstriche zu machen. Diese betreffen gerade die hier behandelten Strukturen; weniger die Kon- 62 Cfr. Becker (2003), der für das Spanische nachweist, wie in diesem Diskursuniversum gerade gelehrte Bestandteile als Prä- und Suffixe „ein enormes Wortschöpfungspotential“ (p. 126) entwickelten und funktional zu „typischen Markern“ (ib.), bzw. zu „en vogue-Morphemen“ (p. 198) dieser Domäne mutierten und den Diskurs auf der diaphasischen Bewertungsskala hoben. Auch Zusammensetzungen nach dem konfigierenden Bauplan (mit Fugenvokal) sind häufig, z.B. „medidas jurídicolegislativas“ (ib. p. 248). Auch im Korpus von Nord (1983: 503) ist „Politik und Gesellschaft“ mit erheblichem Abstand der neologismusfreudigste Bereich. Die Neologismen sind ganz überwiegend Konfixe (bei Nord „Prä-/ Suffixoide“) oder ‘gelehrte’ Suffixe. Frau Nord weist auch nach (u.a. p. 501), dass dies eine internationale Tendenz ist. Das bestätigt die frühe Erhebung zum Französischen von Dubois et alii (1960), zum Italienischen Iacobini / Thornton (1993). Als Grund für diese Expansion ist aber m.E. ein Bezeichnungsnotstand (Nord) oder strukturelle Gründe (Iacobini / Thornton) nicht hinreichend: Die deutliche Konzentration auf ‘veredelnde’ Techniken erklärt sich auch oder eher aus dem Willen, das Produkt zu ‘veredeln’. Das illustrieren auch die success-stories von einzelnen Affixen; z.B. frz. mini-, -omanie, ographe/ -ologue/ -ologiste, -orama, s. Peytard (1973), Höfler (1972), Schmitt (1996) und v. Hoorebeck (1997: 81,101), resp. C. Schmitt (1996b) spricht von „Euromorphemen“, Germanisten von „Intermorphemen“; Bibliographie s. Habermann / Kirkness (1966). 63 Dokumentation für Spanisch s. Nord (1983: 320-390), Becker (2003: 208-252) (bei beiden im Kapitel „Komposition“). Zur puristischen Kritik s.o. Anm. 54. Werner Forner 52 figierung (diese ist in unseren Sprachen strukturell identisch, und die oben (6.2) beschriebene Tendenz zur „Duft-Übertragung“ läuft in unseren Sprachen parallel), wohl aber die Determinativkomposita (N+N) und die relationsadjektivischen Konstrukte (N+R): - Die N+N-Komposition kennt in den germanischen Sprachen (Deutsch, Englisch) keine Restriktionen, in den romanischen Sprachen hingegen ist sie sowohl lexikalisch als auch bezüglich der Verwendung eingeschränkt. Sofern Kontakteinfluss besteht, erwarten wir für die romanischen Sprachen eine Generalisierung in beiden Bereichen. Diese Generalisierung vollzieht sich ante oculos 64 . - Die Relationsadjektive sind umgekehrt im Deutschen traditionell restringiert: Sie sind im Deutschen von der deskriptiven Funktion ausgeschlossen; und sie sind (waren) beschränkt auf exaktwissenschaftliche / naturwissenschaftliche Terminologien. Gibt es eine Tendenz zur Generalisierung in diesen Bereichen? Das ist nicht selbstverständlich, denn die Funktion des Relationsadjektivs ist im Deutschen - im Gegensatz zum Romanischen - immer ersetzbar durch die Nominalkomposition. Nun, die Germanisten beobachten seit den 60er Jahren eine „Flut“ dieses „hoch-expansiven“ Konstrukts. Diese Expansion füllt nicht nur die genannten ‚Defizite‘ des Deutschen, sondern gehorcht auch der (§ 6.2) skizzierten variationellen Expansion; diese Tendenz teilt das Deutsche zeitgleich mit den romanischen Nachbarn (s.o. Anm. 54). Die Expansion betrifft u.a. das lexikalische Material, die syntaktische Funktion und die diaphasische Variation: In beiden Sprachgruppen werden „zunehmend auch native Basen“ für Relationsadjektive verwendet. Völlig unerwartet ist, dass qualitative Adjektive zunehmend relationsadjektivische Funktion erhalten, „ihre Präsenz in der öffentlichen Sprache ist hochgradig expansiv“, sie fungieren darüber hinaus zunehmend „als adverbiale Modifikatoren anderer Adjektive“ 65 . 64 Zum Französischen s. Forner (2000a): Der „Wartesaal“ heißt espace attente (N+N) oder salle d’attente (N+de+N): Die Nominalkomposition ist lexikalisch eingeschränkt. Ein été paix (N+N) sei in einer seriösen Zeitung undenkbar, schreibt Noailly (1990: 77): (N+N) ist also im Französischen nicht stilneutral, während ein Friedenssommer dies im Deutschen ist. Im Spanischen liegen die Verhältnisse nicht anders als im Französischen. Die deutliche Zunahme der Nominalkomposita (kopulative und determinative) im Spanischen ist dokumentiert (neben weiteren Kompositionstypen) in Nord (1983: 320-390) und in Becker (2003: 208-252). 65 Alle Zitate des Abschnitts aus Frevel / Knobloch (2006: 153 s.); der Aufsatz bietet eine gute Dokumentation plus Forschungsüberblick zu den expansiven Tendenzen des Relationsadjektivs im Deutschen. Rocinante 53 Alle diese Grenzüberschreitungen sind Früchte des Kontakts und des Prestiges der expandierenden Konstrukte: Kontakt - zwischen Fachleuten und Laien, und vor allem Kontakt zwischen Fachleuten unterschiedlicher Sprachen - hat es immer und in jüngster Zeit verstärkt gegeben. Die aufwertende Wirkung der hier behandelten Konstrukte, die ja Thema des Aufsatzes war, ist der Motor der Expansion; der Kontakt ist das Vehikel, das eine gleichmäßige, sogar zeitgleiche Verteilung der expansiven Tendenzen ermöglicht. 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Ein weiteres Problem kommt dazu: Was ich im Bereich Namenkunde irgendwie übergreifend betrachten kann, hat leider stricto sensu wenig mit Namenkunde im klassischen Sinn und noch weniger mit der romanistischen Linguistik zu tun. Die Namenkunde selbst ist für zahlreiche Linguisten sogar keine echte sprachwissenschaftliche Disziplin, d.h. sie liegt außerhalb oder bestenfalls am Rand der Sprachwissenschaft. 1 Skeptische Kollegen zu überzeugen, dass Namenkunde zur Linguistik gehört, ist weder mein Ziel noch mein Wunsch. Tatsache ist, dass man sich in einigen Bereichen der onomastischen Forschung oft an andere nichtonomastische Disziplinen wenden sollte: das bedeutet Namenkunde ohne Namenkunde bzw. außerhalb der Namenkunde, worauf der Titel meines Vortrags anspielt. Schwerpunkt sind Eigennamensysteme volkstümlichen Ursprungs und rein mundartlicher Natur. 2 Einem Wissenschaftler mit einer gewissen Kenntnis des Dialektes fällt sofort auf, wie unterschiedlich mundartlichvolkstümliche und schriftlich-amtliche Eigennamensysteme in Italien sind: Die amtlichen Familiennamen - teilweise auch die Vornamen - sind 1 «À tort ou à raison, en tant que domaine de la linguistique, elle [l’onomastique] n’a guère plus de crédit que la philologie, la grammaire ou la dialectologie et, commes elles, se voit en général bannie au rang inférieur des sciences du langage […] L’onomastique est une discipline étroite, vieilliée ou dépassée» (Grimaud 1990: 5); «L’onomastique est souvent définie comme une science auxiliaire, comme si elle n’avait pas d’object d’étude propre» (Swiggers 1991: 5); «Non sempre vi è unanimità di giudizio nel considerare la toponomastica una materia linguistica (per qualcuno sarebbe „una disciplina anche linguistica“ assegnando un ruolo non primario all’analisi formale, fatto che non possiamo condividere)» (Marcato 1993: 469). 2 Obwohl das Thema im Allgemeinen betrachtet wird, habe ich mich in diesem Artikel besonders auf eine Gegend in Zentralligurien, die „Orbasco“ genannt wird, bezogen. Giorgio Marrapodi 60 in volkstümlich-mundartlichen Gemeinschaften durch andere Namenkategorien ersetzt (Spitznamen, Kosenamen bzw. Hypochorismen, Beinamen, Allonyme…), die in amtlichen Systemen hingegen überhaupt keine Rolle spielen. Im Gegensatz zur Mehrheit der amtlichen Ortsnamen sind volkstümliche Ortsnamen meistens transparent und in einem gewissen Sinn bedeutungstragend. 3 Sogar die Anzahl der Namen für das gleiche geographische Element kann variieren: Ein Bach mit nur einem Namen auf Landkarten kann mehrere Namen in der mundartlichen Gemeinschaft haben (wie Massimo Angelini 1998 gezeigt hat). Die Ca dal Vaticano in Preonzo (Tessin) hat insgesamt sogar 9 unterschiedliche Namen (zusätzlich zu Ca dal Vaticano auch al Palázz, la Ca dal Pép, la Ca dal Netalín, la Ca dal Cechín, la Ca dala Maria, la Ca dal Bastián, la Ca dal’Arcángela, la Ca dal Matis). 4 Warum ein Bach und ein Haus in einem mundartlichen System sechs oder neun Namen und gleichzeitig in einem Schriftsystem nur einen Namen haben kann, ist eine spannende Frage, weil es nicht 3 «La maggior parte dei toponimi - come spesso accade con la microtoponomastica sono trasparenti» (Mastrelli-Anzilotti 1998: 539); vgl. auch Marrapodi 2006: 35-36. 4 Cfr. RTT 1995. Namenkunde außerhalb der Namenkunde 61 nur um Namen, sondern um den Begriff ‚Bach‘ und ‚Haus‘ selbst geht; und wenn es um Begriffe geht, dann geht es um Weltanschauung, Kultur und allgemeines Wissen einer Gemeinschaft. Drei Fragen seien gestellt wie z.B.: „Wie viele Namen hat Johannes Kramer? “, „Wie nennt man Trier an Fronleichnam? “ und „Wie heißt der Fluß in Cochem, welcher in Bernkastel Mosel genannt wird? “. Solche Fragen klingen für von der Schrift geprägte Menschen wie uns wahrscheinlich sehr poetisch, sind jedoch im Grunde sinnlos. In mundartlichen Systemen sind sie aber offensichtlich sinnvoll und nicht unbedeutend (sonst hätten wir nicht sechs Namen für einen Fluss oder neun für ein Haus). Deshalb muss man damit wissenschaftlich umgehen, wenn man sich mit volkstümlichen Eigennamensystemen beschäftigt. Selbstverständlich werden weder Antworten noch Analysemethoden in der „schriftlichen“ Namenkunde gefunden, wo solche Fragen für sinnlos gehalten werden. Deswegen ist man gezwungen, sich an andere Disziplinen zu wenden, in denen solche Fragen für sinnvoll und relevant gehalten werden, d.h. Ethnologie, Anthropologie und Volkskunde (dadurch erklärt sich noch einmal das Paradox „Namenkunde außerhalb der Namenkunde“). Die genannten Disziplinen können der Namenkunde mindestens in drei Arten zuträglich sein: Sie können Informationen zur Verbesserung etymologischer Deutung von Eigennamen bieten. Sie können Parameter zur Erklärung der Gestaltung von Sprachphänomenen bieten. Ethno-anthropologische Begriffe können zur Neuorientierung der onomastischen Forschungsarbeit beitragen. 1.1 Bric du luvu ‚Wolfsberg‘ Ortsnamen volkstümlichen Ursprungs lassen sich in den meisten Fällen sehr einfach etymologisieren, weil die Appellative, von denen sie abgeleitet sind, in dem Dialekt noch lebendig sind. 5 Der Ortsname bric du luvu, ein Berg im Orbasco, kommt von luvu ‚Wolf‘, welches vom lateinischen LUPU ( M ) abstammt. Ortsnamen solcher Art sind normalerweise durch die vermutete Anwesenheit des Tieres motiviert. Solch eine einfache Erklärung kann im Fall anderer Tiernamen zufriedenstellend sein, es ist aber fraglich, ob sie für den Wolf mit seiner reichen symbolischen Bedeutung genügt. Es sei hier nur kurz erwähnt, dass es im Dialekt dieser Gegend 5 «Molti toponimi riflettono voci dialettali ricorrenti» (Mastrelli-Anzilotti 1998: 540). Giorgio Marrapodi 62 Tiernamen gibt, die entweder im Singular oder im Plural, aber in der Regel nur mit bestimmtem Artikel stehen. Man kann hören: „Pass auf. Dort gibt es die Nattern oder Pass auf, dort gibt es die Natter“, aber selten „Pass auf, dort gibt es eine Natter“. Wolf sollte in der Regel im Plural stehen. Wenn er im Singular in einem Sprechakt zu finden ist, dann könnte das Wort einen symbolischen Wert haben, d.h. es geht nicht um eine reelle, sondern um eine imaginäre Anwesenheit des Wolfs. Volkskundliche Fachliteratur kann ein neues Licht auf dieses Problem werfen, wie z.B. der monumentale Sammelband von Paul Sébillot Le folk-lore de France, in dem man liest: « On trouve, dans beaucoup de localités, le carrefour du loup: ces bêtes s’y rassemblent à certaines époques de l‘année, pour s’entretenir de leurs affaires, se raconter leurs exploits ou tramer de nouvelles scélératesses» (Sébillot 1904-07: III, 27). Infolgedessen habe ich überprüft, wie viele Wegkreuzungen es in der Gegend des bric du luvu gibt. Mit der Zahl 12 befinden sich dort die meisten Wegkreuzungen im Orbasco. Vielleicht ist es nur ein Zufall, vielleicht aber auch nicht. 1.2. Lüscettu ‚die kleine Tür‘ Manchmal kann ein Ortsname mit klarem Etymon, aber undeutlicher Motivation, nur im Zusammenhang mit angrenzenden Ortsnamen gedeutet werden. Infolgedessen bilden sich Mikrosysteme von Ortsnamen mit starkem Sinnzusammenhang. Dazu noch ein Beispiel aus dem Orbasco: Die Etymologie von lüscettu ist klar (‚die kleine Tür‘ oder ‚das kleine Tor‘), die Motivation aber nicht. Es ist nicht der Fall wie im Bregagliatal Namenkunde außerhalb der Namenkunde 63 (Tessin), wo eine geographische Beschaffenheit das Sottoporta (‚unter dem Tor‘) von dem Sopraporta (‚ober dem Tor‘) deutlich trennt. In lüscettu gibt es keine solche Beschaffenheit; oder anders formuliert wenn es überhaupt eine Tür gibt, dann ist sie in den Köpfen der Einheimischen (es gibt nämlich unsichtbare Grenzen, die stärker als jede Mauer sind). Man könnte dennoch zweifeln, ob das Etymon ‚Tür‘ richtig ist. Der Zusammenhang mit den angrenzenden Ortsnamen ist entscheidend. Eine Tür kann gleichzeitig ein Eingang und ein Ausgang bzw. ein Durchgang sein. Was gibt es JENSEITS dieser Tür? Es gibt einen Ort, cagnun-ni (d.h. ‚große Hunde‘), durch den ein Bach, der rian der misareri (d.h. Bach des Miserere), fließt. Was verbindet eine kleine Tür mit großen Hunden und dem Psalm 50 (besser bekannt als Miserere)? Das Miserere ist, wie der Psalm 129, das sogenannte De Profundis, das typische Trauergebet. Die Menschen des DIESSEITS begleiten damit die Seelen der Toten in das JENSEITS. Und die großen Hunde? Könnten sie als Zeichen des JENSEITS gelten? Der Hund als Wächter des Eingangs zur Hölle oder als symbolische Figur des Teufels ist sehr verbreitet in Traditionen der ganzen Welt: Es seien hier nur der Zerberus in der griechischen Mythologie, Mephisto als schwarzer Pudel in Goethes Faust, die Jinn der muslimischen Tradition (d.h. Dämonen, die in menschlichem oder hündischem Aussehen je nach Tages- oder Jahreszeit erscheinen können), die Hunde in der Malerei von Hieronymus Bosch und die drei unterirdischen riesigen Hunde in dem Märchen von Andersen Das Feuerzeug erwähnt. Die Motivation von lüscettu wird dann klar: Es war der Eingang zum Jenseits, zur Welt der Toten, oder, genauer ausgedrückt, zu einem der Totenorte in dieser Gegend. Die mit dem Suffix -ettu gebildete Verkleinerungsform beweist außerdem, dass eine Verbindung mit dem Evangelium entsteht, 6 in dem über eine enge Tür gesprochen wird. Solche Orte „der Toten“ oder „des Jenseits“ sind kein Einzelfall in der Namenkunde: Im Orbasco gibt es einen anderen Bach der „Unterwelt“, rian di danaj, übersetzt „Bach der Verdammten“, der auch rian du luvu ‚Bach des Wolfs‘ genannt wird: wieder eine symbolische Anwesenheit des Wolfs. 7 Dass die Hunde im Fall von cagnun-ni als dämonische Figur zu verstehen sind, könnte ein Ortsname in Bellaria an der Adriaküste in der Nähe von Rimini (500 km von Ligurien ent- 6 Vgl. Matthäus 7, 13; Lukas 13, 24. 7 Dazu seien noch weitere Ortsnamen aus derselben Gegend erwähnt: anme (‚die Seele’), rocca du diavu (‚Teufelstein’), rocca dri strie (‚Hexenstein’). Giorgio Marrapodi 64 fernt) bestätigen: Eine Gemeinschaft von Fischern in der Gegend benutzt den Namen Cagnona (wieder ‚großer Hund‘), um das unbekannte Land außerhalb des von ihnen besiedelten Territoriums zu bezeichnen: 8 Dort sollten sich die ruhelosen Seelen der im Meer verstorbenen Fischer befinden. Der Name Cagnona wurde von den Fischern selbst dadurch motiviert, dass ein riesiger Hund mit großen leuchtenden Augen dort zu sehen sein sollte: wieder ein JENSEITS mit dem Eigennamen ‚großer Hund‘. 2.1. Ethnologische Parameter zur Erklärung der Gestaltung von Sprachphänomenen: Ortsnamengebung und Zusammengehörigkeit Eine relevante Anzahl von Ortsnamen im Orbasco stammt von Personennamen ab. Dieser Bezeichnungsprozess kann mehrere Funktionen in dem System erfüllen (darunter den Besitz eines Grundstücks bezeichnen) und zu mehreren unterschiedlichen Ortsnamenstrukturen führen, worunter sich die Ortsnamen gruppieren lassen. Zwei von diesen Gruppen sind von besonderem Interesse: I. Simplizia - Ortsnamen mit morphologischer Struktur [-i = Maskulin + Plural]: bardotti, binèj, burchin-ni, cudin-ni, grillétti... II. Simplizia - Ortsnamen mit morphologischer Struktur [-a = Feminin + Singular]: ambruxin-na, (ciaz-za) badan-na, beltrama, dunda, marénca, marun-na, rumana, tascèra, turscia,.. Es ist zu bemerken, dass jede Struktur für eine Kategorie von Personennamen steht: Dem maskulin Plural entsprechen Spitznamen, dem feminin Singular Familiennamen (ambruxin-na → Ambrosini; (ciaz-za) badana → Badano; beltrama → Beltrame; dunda → Dondo; marénca → Marenco; marun-na → Marrone; rumana → Romano; tascèra → Tassara; turscia → Tursi). Es geht aber nicht nur um Sprachstrukturen und Kategorien von Eigennamen, sondern auch um „Kategorien“ von Menschen: Während die Spitznamen auf einen einheimischen Landbesitzer hinweisen (nur Einheimische haben das Recht auf einen Spitznamen), weisen die Familiennamen auf einen fremden Landbesitzer hin (d.h. Menschen aus anderen Gemeinschaften bzw. Gegenden sowohl aus Ligurien als auch aus dem Piemont). Einheimische und Fremde sind dennoch durch verschiedene Strukturen in den Ortsnamen gekennzeichnet. Ein morphologisches bzw. in der Flexion liegendes Phänomen drückt ein soziales Phänomen aus, 8 Cfr. Nanni 1985: 71-72. Namenkunde außerhalb der Namenkunde 65 d.h. Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit von Menschen zu der Gemeinschaft. 9 2.2. Ethnologische Parameter zur Erklärung der Gestaltung von Sprachphänomenen: Ortsnamengebung und Besitztum Können die sozialen Formen des Besitztums die sprachlichen Formen der Ortsnamen beeinflussen? Jede Gemeinschaft entwickelt eine Konzeption von Besitztum, die von wirtschaftlichen Prozessen abhängt. Wenn wir die Gemeinschaft der Schäfer in Bastélica (Korsika) 10 mit der der Holzfäller im Orbasco vergleichen, merken wir, dass die Besitzgüter unterschiedlich sind. Für die Schäfer in Bastélica ist es wichtig, ein großes Haus mit Scheunen zu besitzen: Je größer das Haus ist, desto größer kann die Herde sein. Nur dadurch kann die ökonomische Lage der Familie gesichert werden. Das hat zur Folge, dass das Haus bei Familienzuwachs entweder durch Neubau oder durch den Kauf von Nebengebäuden vergrößert wird: Ein Mitglied verlässt die Familie in der Regel nicht. Es bilden sich so immer größere mit dem Spitznamen der Familie bezeichnete Wohneinheiten, deren Teile mit den verschiedenen Spitznamen der Familienmitglieder benannt werden. Land zu besitzen ist unnötig, da die Weiden als gemeinsames Gut gehandelt werden. Infolgedessen findet man keine Personennamen in Ortsnamen, die die Beschaffenheiten des Territoriums außerhalb des Dorfes bezeichnen. Im Orbasco ist das anders: Dort ist es am wichtigsten, Wald zu besitzen. Wer keinen Wald besitzt, ist gezwungen, als Wanderarbeiter zu arbeiten: Gruppen von Männern aus diesem Gebiet waren oft in anderen Regionen (vor allem in der Toscana und in Kalabrien) oder sogar in anderen Ländern (Frankreich) als Holzfäller sehr gefragt. Die Möglichkeit für einen Mann, seine Wanderungen zu beenden und sich wieder am Heimatort anzusiedeln, ergab sich nur durch den Kauf von Wald. Als Waldbesitzer konnte man auch ein Haus kaufen und eine Familie gründen. Im Orbasco konnte ein Mensch daher gleichzeitig zwei Güter besitzen: den Wald und das Haus. Sein Name (oder ein von seinem Namen abgeleitetes Element) konnte also auch in zwei verschiedenen Ortsnamen vorkommen. Die zwei Güter werden mit vier unterschiedlichen Ortsnamenstrukturen bezeichnet: 9 Vgl. Marrapodi 2006: 52-54. 10 Vgl. Martin-Gistucci 1971. Giorgio Marrapodi 66 o Simplizium: Übername des Besitzers + [Plural] (z.B.: I ci chin-ni) o Kompositum: Appellativ + di [Gen.] + Übername des Besitzers [Plural] (z.B.: tajà di cichin-ni) das Haus: o Simplizium: da (‚bei‘) + Übername des Besitzers/ des Einwohners + [Singular] (z.B: da cichinu) o Kompositum: ca (= ‚casa‘) + di [Gen] + Übername des Besitzers/ des Einwohners [Singular] (z.B: ca d’cichinu) Jedem Typ von Besitzgut entspricht eine sprachliche Struktur, was den Sprechern bewusst ist. Noch eine Bemerkung: Der Name des Besitzers in Waldeigennamen wird durch die Flexionsklasse Plural geändert. Das hat auch eine soziale und kulturelle Bedeutung: sobald ein Mensch einen Wald kauft, wird sein Name im Bezug auf den Wald im Plural, d.h. als Eigenname für die ganze Familie, benutzt. Die Familie existiert dank des Waldes, dieser sollte in der Regel nicht weiterverkauft werden, weil er die Existenzgrundlage der Familie bildet; und da die Familie eine „Pluralität“ ist, steht der Eigenname des Waldes auch im Plural. 11 2.3. Adaptierung von ethno-anthropologischen Begriffen zur Neuorientierung der Forschungsarbeit: Grenzen, die sich bewegen Auf den dritten Punkt bezieht sich beispielsweise der von der Ethnologin Jackie Assayag begründete Begriff „geometria molle“ 12 . Die Forscherin wollte damit die Beweglichkeit von Grenzen in einigen indischen Dörfern in der Region Karnataka bezeichnen: Je nach Jahreszeit und dem vermuteten Einfluss der verschiedenen Gottheiten auf das Leben der Gemeinschaft verändert sich der Lebensraum, und die Grenzen werden neu definiert. Solche Gegebenheiten sind keine exotische Eigenart, man findet sie auch in Europa. Rossana Monti, eine andere Ethnologin (die übrigens normalerweise als Polizeiinspektorin arbeitet) hat eine ähnliche Situation in Casoni, einem Dorf zwischen Genua und Piacenza, gefunden. 13 In normalen Jahreszeiten besteht das Dorf aus acht Siedlungseinheiten, aber es werden fünf in der Zeit der Käseherstellung und nur zwei im Fall von besonderen Festlichkeiten (Karneval, Fronleichnam…): Man kann zweifellos von beweglichen Grenzen sprechen. Nur für den letzten Fall gibt Ros- 11 Vgl. Marrapodi 2006: 93-94. 12 Ich erwähne ihn auf Italienisch, ins Deutsche könnte er mit „weiche Raumgliederung” übersetzt werden. 13 Vgl. Angelini/ Monti 2001: 141-42. Das Land bzw. der Wald: Namenkunde außerhalb der Namenkunde 67 sana Monti Ortsnamen an: Die zwei Siedlungseinheiten heißen während der entsprechenden Zeit ca’ da basso und ca’ da alto (d.h. Niederhausen und Oberhausen). Solche Entdeckungen führen zu Fragen, die von entscheidender Bedeutung für die Namenforschung sind: Wenn der Raum sich verändert, ändern sich dann auch die Bezeichnungen bzw. die Ortsnamen? Können Ortsnamen und Personennamen zeit- und umstandsbedingt sein? Wie organisiert sich die Gemeinschaft in den entsprechenden Siedlungsgruppen? Behalten die Einheimischen ihre Personennamen oder bekommen sie neue Bezeichnungen je nach Neugruppierung der Siedlungen? 14 Auch die drei „merkwürdigen“ Fragen zu Anfang („Wie viele Namen hat Johannes Kramer? “, „Wie nennt man Trier an Fronleichnam? “, „Wie heißt der Fluß in Cochem, welcher in Bernkastel Mosel genannt wird? “) werden sinvoll, wenn man die Perspektive ändert: Ob Trier einen besonderen Namen an Fronleichnam hat, ist fraglich, Casoni jedoch hat einen bzw. zwei (ca‘ da basso/ ca‘ da alto). Ob die Mosel zwei unterschiedliche Namen in Bernkastel und in Cochem hat, ist ebenfalls fraglich, der Bach Chiesanuova hat aber sechs unterschiedliche Namen. Ob Johannes Kramer weitere Namen hat, weiß ich nicht, 15 es ist aber bekannt, dass eine Person in mundartlichen Gemeinschaften mehrere Namen (Spitznamen, Kosenamen, Beinamen…) haben kann. Was anhand dieser Beispiele deutlich wird, ist die Notwendigkeit, sich als Forscher auch in den erwähnten Disziplinen umzusehen: Landschaftsanthropologie, Kulturgeographie und ähnliche Wissen-schaften sind im Fall von volkstümlichen Eigennamensystemen von äußerster Wichtigkeit, da in diesen Systemen besondere Phänomene zu finden sind, die in den amtlichen Eigennamensystemen nicht existieren. Man muss einfach davon ausgehen, dass volkstümliche und amtliche Eigennamensysteme nicht zwei Seiten derselben Münze, sondern zwei verschiedene Münzen mit ähnlichen Seiten sind. 14 Diese Fragen müssen im Fall Casoni leider ohne Antwort bleiben: Eine Datensammlung der Eigennamen ist nicht mehr möglich; ein Amateur ohne die richtige Ausbildung hat schon die übrig gebliebenen Einwohner interviewt. Wie die Ethnologen in diesem Fall sagen, ist die Quelle der Daten „verschmutzt”. Daher ist eine neue Umfrage auf der Basis solcher Kriterien in Casoni nicht mehr möglich. In anderen noch nicht erforschten Gegenden könnten diese allerdings neue Perspektiven eröffnen. 15 Und ich sollte es auch besser nicht erfahren: Geheimhaltung ist in Eigennamensystemen eine universell geltende Regel zur Gewährleistung friedlicher sozialer Beziehungen. Giorgio Marrapodi 68 Bibliographie Angelini, Massimo: „Sguardo locale e cartografia nel Levante ligure tra i secoli XVIII e XX. Nota sui nomi delle acque“. In: Rivista Italiana di Onomastica 4/ 2, 1998, S. 449-58. Angelini, Massimo / Monti, Rossana: Luoghi, linguaggi e forma della comunità. Millesimo: Comunità Montana Alta Val Bormida 2001, S. 133-44. Grimaud, Michel: „Les onomastiques. Champs, méthodes et perspectives“. In: Nouvelle Revue d’Onomastique 15/ 16, 1990, S. 5-23. Marcato, Carla: „Problemi di dialettologia storica dell’Italia settentrionale sulla base della toponomastica“. In: Actas do XIX Congreso Internacional de Lingüistica e Filoloxía Románicas, Santiago de Compostela 1989, Band 4. A Coruña: Fundación Pedro Barrié de la Maza 1993, S. 469-78. Marrapodi, Giorgio: Teoria e prassi dei sistemi onimici popolari: la comunità orbasca (Appennino Ligure centrale) e i suoi nomi propri. Roma: SER 2006. Martin-Gistucci, A. G.: „Surnoms de famille dans le village corse de Bastélica“. In: Revue Internationale d’Onomastique 23/ 1, 1971, S. 105-21; ib. 23/ 2, 1971, S. 31-47. 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Isolde Hausner Namenforschung als Teildisziplin der Sprachwissenschaften - Entwicklungen und Tendenzen in der germanistischen Namenforschung Österreichs 1 Österreichische Namenforschung Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sowie die Universität Wien (Institut für Germanistik) können auf eine gute Tradition auf dem Gebiet der germanistischen Namenforschung und auf zahlreiche Publikationen ihrer Mitglieder in diesem Fachbereich sowohl in der Vergangenheit als auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt verweisen. Dazu hat bereits Peter Wiesinger im HSK-Band „Namenforschung“ ausführlich berichtet. 1 Dass es immer schon Versuche gegeben hat, über die etymologische Erklärung eines Namens zum Motiv und zu den Ursprüngen der Namengebung vorzustoßen, beweisen uns etwa die mittelalterlichen Zeugnisse, z.B. für den Namen des Stiftes Göttweig: um 1130 C 12.JhII (V Altmanni S. 102) dux Gothorum … Mars autem lingua eorum dicitur Wich; ergo a Gothis et Wich mons vocatur Gotewich, non ut vulgus dicitur Kotewich (V Altmanni S. 102). 2 1.1 Namenforschung seit den 50er Jahren: hilfswissenschaftlichsiedlungsgeschichtliche Ausrichtung Man kann die Fortschritte in der Methodik einer anfangs zum überwiegenden Teil historisch-linguistisch ausgerichteten Onomastik an den einzelnen Forscherpersönlichkeiten verfolgen. Seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wird an der Germanistik der Universität Wien Namenfor- 1 Peter Wiesinger: „Namenforschung in Österreich“. In: Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Hg. von Hugo Steger und Herbert Ernst Wiegand, Band 11.1: Namenforschung. Name studies. Les noms propres. Ein internationales Handbuch zur Onomastik. Hg. von Ernst Eichler, Gerold Hilty, Heinrich Löffler, Hugo Steger, Ladislav Zgusta. 1. Teilband, S. 140-147. Berlin / New York: Walter de Gruyter 1995. 2 In Wirklichkeit liegt der slaw. Personenname *Chotoviki (zum slaw. Personennamenstamm *Chot-) zu Grunde; die mundartliche Lautung khedw-e zeigt eindeutig, dass der Name nichts mit den Goten zu tun hat. Isolde Hausner 70 schung in großem Umfang sowohl in der Lehre als auch in der Praxis mit der Vergabe von namenkundlichen Dissertationen betrieben. Unter Eberhard Kranzmayers Leitung wurden in den etwa zwei Jahrzehnten 1950 bis 1970 insgesamt ca. 60 namenkundliche Disserta-tionen verfasst, wobei vorwiegend die Bundesländer Niederösterreich, Oberösterreich und Burgenland bearbeitet wurden. Die Arbeiten umfassen ein breites Spektrum an Namenklassen: Bereits damals wurden neben siedlungsgeschichtlichen auch pflanzenphysiologische und sagengebundene Namenthemen vergeben 3 und die Funktion der Namen im jeweiligen Namensystem behandelt. Kranzmayer selbst hat das „Burgenländische Siedlungsnamenbuch“ (zusammen mit Karl Bürger) 4 und das „Ortsnamenbuch von Kärnten“ 5 bearbeitet, die beide über das Namenregister hinaus umfangreiche linguistische Studien zu den Kontaktphänomenen und den daraus erschließbaren Siedlungsabläufen enthalten. Mit seinen weit ausgreifenden Forschungen hat er eine „namenkundliche Schule“ aufgebaut, die schließlich 1969 in der Errichtung einer namenkundlichen Arbeitsstelle zur Neuerarbeitung des „Förstemann - Landesstelle Österreich“ in der neu benannten Kommission für Mundartkunde und Namenforschung (heute: Zentrum Sprachwissenschaften, Film- und Tondokumentation, Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika) in der ÖAW führte. 3 Helmut Fielhauer: Die mythischen Grundlagen der sagengebundenen Höhlennamen in Österreich. Phil. Diss. Wien 1962. (Druck: Sagengebundene Höhlennamen in Österreich. Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift „Die Höhle“ Nr 12. Hg. vom Verein für Höhlenkunde in Wien. Wien 1969.) - Ursula Tamussino: Die mundartlichen Namen der in Niederösterreich einheimischen Gewürzpflanzen unter Berücksichtigung ihrer Kulturgeschichte sowie ihrer Stellung in Volksaberglauben und Volksbrauch. Phil. Diss. Wien 1961. - Dietlinde Widlak: Alpine Heilpflanzen, ihr Wesen und ihre Namen. Phil. Diss. Wien 1961. 4 Burgenländisches Siedlungsnamenbuch. Von Eberhard Kranzmayer und Karl Bürger. Burgenländische Forschungen. Hg. vom Landesarchiv und Landesmuseum, Heft 36. Eisenstadt 1957. 5 Ortsnamenbuch von Kärnten von Eberhard Kranzmayer. I. Teil: Die Siedlungsgeschichte Kärntens von der Urzeit bis zur Gegenwart im Spiegel der Namen. Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie, geleitet von Gotbert Moro. Hg. v. Geschichtsverein für Kärnten, 50. Band. Klagenfurt 1956. II. Teil: Alphabetisches Kärntner Siedlungsnamenbuch (mit den amtlichen und den mundartlichen Formen, den ältesten und wichtigsten urkundlichen Belegen, der Etymologie und mit Zusammenstellungen der Grundwörter und Suffixe). Gleichzeitig Sachweiser zum I. Teil. Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie, geleitet von Gotbert Moro. Hg. vom Geschichtsverein für Kärnten, 51. Band. Klagenfurt 1958. Namenforschung als Teildisziplin der Sprachwissenschaften 71 1.2 Institutionalisierte Namenforschung Man kann daher heute von einer institutionalisierten Namenforschung in der ÖAW sprechen, der einzigen Institution in Österreich, in der wissenschaftliche Onomastik betrieben wird, wenngleich auch die personelle Ausstattung hinter den zu bearbeitenden nationalen Namendesiderata zurücksteht (ich verweise nur auf die vielen Desiderata der österreichischen Namenforschung, sei es die Flurnamenforschung oder eine moderne Familiennamenforschung oder die Erarbeitung moderner Ortsnamenbücher für einzelne Bundesländer etc.). Das Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika hat heute folgende Projekte in Bearbeitung: - Altdeutsches Namenbuch. Die Überlieferung der Ortsnamen in Österreich und Südtirol von den Anfängen bis 1200 (ANB). 6 - Projekt ALPKULTUR 7 , - Osttiroler Siedlungsnamenbuch 8 Die namenkundliche Arbeitsstelle des Instituts ist darüber hinaus für die mehr praxisorientierte Namenstandardisierung österreichischer geographischer Namen zuständig: Am Institut ist die Arbeitsgemeinschaft für Kartographische Ortsnamenkunde (AKO) angesiedelt, die für den Bund als Koordinationsstelle aller in Österreich mit geographischen Namen befassten Bundes- und Landesdienststellen fungiert (siehe Abbildung 1). Die Vorsitzende der AKO ist Mitglied im Ständigen Ausschuss für Geographische Namen (StAGN, Frankfurt am Main) und vertritt das Land in den internationalen Gremien der United Nations Group of Experts on Geographical Names (UNGEGN). Sie koordiniert ein homogenisiertes Namengut in der amtlichen Österreichischen Karte 1: 50000 (und den Nachfolgemaßstäben), im Ortsverzeichnis, das im Zuge der alle 10 Jahre stattfindenden Volkszählungen von der Statistik Austria herausgegeben wird und im Flächenverzeichnis der österreichischen Flussgebiete. 9 Die AKO erarbeitet zusammen mit dem StAGN Empfehlungen für den 6 Hg. vom Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika (vormals Kommission für Mundartkunde und Namenforschung). Wien 1989ff. 7 ALPKULTUR - Kulturhistorische Namendokumentation im Alpenraum: Die Alm- und Bergnamen in Osttirol. (Beginn 2004, Ende 2007). 8 Kooperation mit der Universität Innsbruck, Abteilung Sprachwissenschaft (Univ.- Prof. Dr. Peter Anreiter) am Institut für Sprachen und Literaturen. Beginn: 2005. 9 Hg. von der Abteilung Wasserhaushalt (Hydrographisches Zentralbüro) im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. Isolde Hausner 72 deutschsprachigen Raum, so z.B. „Die Auswirkungen der Rechtschreibreform auf die Schreibung geographischer Namen“. 10 Abb. 1 In der Nachfolge Kranzmayers werden an der Universität Wien, „Institut für Germanistik“, von Peter Wiesinger und seinen Schülern Peter Ernst und Hermann Scheuringer in unregelmäßigen Abständen namenkundliche Vorlesungen und Übungen abgehalten; unter Wiesingers Leitung steht das Großprojekt „Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich“, das in 11 Bänden gegliedert nach Politischen Bezirken, veröffentlicht wird und von dem derzeit 7 Bände erschienen sind. 11 10 S. http: / / 141.74.33.52/ stagn/ Downloads/ tabid/ 63/ Default.aspx. 11 Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich. Band 1: Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Braunau am Inn (Südliches Innviertel). Von Elisabeth Bertol-Raffin und Peter Wiesinger. Wien 1989. - Band 2: Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Ried im Innkreis (Mittleres Innviertel). Von Elisabeth Bertol-Raffin und Peter Wiesinger. Wien 1991. - Band 3: Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Schärding (Nördliches Innviertel). Von Peter Wiesinger und Richard Reutner. Wien 1994. - Band 4: Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Vöcklabruck (Südliches Hausruckviertel). Von Richard Reutner, Helen Bito und Peter Wiesinger. Wien 1997. - Band 6: Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Gmunden (Südwestliches Traunviertel). Von Richard Reutner und Peter Wiesinger. Wien 1999. - Namenforschung als Teildisziplin der Sprachwissenschaften 73 In Ermangelung eines eigenen Lehrstuhles für Namenforschung gibt es an der Universität Wien (und an keiner der österreichischen Universitäten) auch keinen „Aufbaukurs“ Onomastik, der eine Einführung in die theoretischen und methodischen Grundlagen der Onomastik, oder etwa kontaktlinguistische Untersuchungen in einem interdisziplinären Umfeld anbieten würde. Der interdisziplinäre Bezug ist heutzutage nicht nur mit Romanisten, Slawisten, Sprachwissenschaftlern, Archäologen, Historikern und Ethnologen herzustellen, sondern auch auf die Disziplinen der Geographie (GIS Systeme), Geologie und Biologie auszuweiten. An der Universität Wien wird vom Institut für Geographie und Regionalforschung in einem zweijährigen Intervall die Vorlesung „Geographische Namenkunde“ (Mag. Dr. Roman Stani-Fertl) abgehalten, die sich regen Zustroms auch aus fachfernen Disziplinen erfreut. Diese Vorlesung zielt auf die allgemeinen Erfordernisse bei der Kartenbeschriftung ab, wie Erfassung der standardisierten Form eines Namens, Zuständigkeiten für die Namenvergabe in Österreich, nationale und internationale Standardisierung etc. und geht nicht auf Fragen der linguistischen Onomastik, wie z. B. Etymologie, die Funktion der Toponyme, Motive der Namengebung etc. ein. 1.3 Weitere Standorte der österreichischen Namenforschung Ein zweiter solider Standort der „Onomastik“ mit langer Tradition befindet sich an der Universität Innsbruck am „Institut für Sprachen und Kulturen, Abteilung Sprachwissenschaft“ und bis vor kurzem am „Institut für Romanistik“ 12 , mit besonderem Bezug auf die Toponyme aus den romanischen Sprachen und auf vorrömische Substrate. Aber auch hier gibt es keinen eigenen Lehrstuhl für Onomastik, obwohl gerade in den westlichen Bundesländern ausreichend Material für die romanistische, vorrömische und Kontaktonomastik vorhanden ist. Hier ist vor allem Guntram Plangg, Emeritus am Institut für Romanistik (Schüler von Alwin Kuhn) zu nennen. Er ist Leiter des „Tiroler Namenbuches“ und Verfasser zahlreicher Abhandlungen zu speziellen Namenetymologien, zu roma- Band 7: Die Ortsnamen der Politischen Bezirke Kirchdorf an der Krems, Steyr-Land und Steyr-Stadt (Südöstliches Traunviertel). Von Karl Hohensinner, Richard Reutner und Peter Wiesinger. Wien 2001. - Band 10: Die Ortsnamen des Politischen Bezirkes Urfahr- Umgebung (Mittleres Mühlviertel). Von Karl Hohensinner und Peter Wiesinger. Wien 2006. - Band 11: Die Ortsnamen der Politischen Bezirke Perg und Freistadt. Von Karl Hohensinner und Peter Wiesinger. Wien 2003. 12 Bis zur Emeritierung von Univ.-Prof. Dr. Guntram Plangg. Isolde Hausner 74 nisch-germanischen Interferenzen, zu Familiennamen und zu Vorarlberger Orts- und Familiennamen. Sein großes Wissen auf diesem Gebiet lässt noch zahlreiche einschlägige Publikationen erwarten. Peter Anreiter bietet im Rahmen der „Abteilung Sprachwissenschaft“ (des „Instituts für Sprachen und Literaturen“) regelmäßig namenkundliche Vorlesungen sowohl zu den Grundlagen der Onomastik 13 als auch zu speziellen Themenbereichen an; jährlich stattfindende praktische Übungen im Rahmen der Feldforschung gehören ebenfalls zu seinem Angebot. Der Altmeister der Tiroler Namenforschung, Karl Finsterwalder (†), hat uns ein überaus reiches und umfassendes Schrifttum zu den Namen seines Bundeslandes hinterlassen, das in der dreibändigen Ausgabe der „Tiroler Ortsnamenkunde“ publiziert wurde 14 , die ein sehr gutes Fundament für ein Tiroler Ortsnamenbuch darstellen könnte. Darüber hinaus hat Finsterwalder in seinem Buch „Tiroler Familiennamenkunde“ 15 die Tiroler Familiennamen unter Heranziehung der historischen Belege erforscht. In Salzburg erschien im Jahre 1982 in der Bearbeitung von Ingo Reiffenstein und Leopold Ziller das Salzburger Ortsnamenbuch 16 , das von Franz Hörburger erarbeitet wurde. Leopold Ziller ist der Autor des Buches „Die Salzburger Familiennamen“ 17 , in dem er unter Aufarbeitung 13 Siehe dazu auch: Peter Anreiter: Zur Methodik der Namendeutung. Mit Beispielen aus dem Tiroler Raum. Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Im Auftrag der Innsbrucker Gesellschaft zur Pflege der Geisteswissenschaften herausgegeben von Wolfgang Meid. Sonderheft 101, Innsbruck 1997. 14 Karl Finsterwalder: Tiroler Ortsnamenkunde. Gesammelte Aufsätze und Arbeiten. Hg. von Hermann M. Ölberg und Nikolaus Grass. Band 1: Gesamttirol oder mehrere Landesteile betreffende Arbeiten. Forschungen zur Rechts- und Kulturgeschichte XV. Hg. von Nikolaus Grass. Schlern-Schriften 285. Hg. von Franz Huter. Innsbruck 1990. - Band 2: Einzelne Landesteile betreffende Arbeiten. Inntal und Zillertal. Forschungen zur Rechts- und Kulturgeschichte XVI. Hg. von Nikolaus Grass. Schlern-Schriften 286. Hg. von Franz Huter. Innsbruck 1990. - Band 3: Einzelne Landesteile betreffende Arbeiten. Südtirol und Außerfern. Nachträge. Register. Forschungen zur Rechts- und Kulturgeschichte XVII. Hg. von Nikolaus Grass. Schlern-Schriften 287. Hg. von Franz Huter. Innsbruck 1995. 15 Karl Finsterwalder: Tiroler Familiennamenkunde. Sprach- und Kulturgeschichte von Personen-, Familien- und Hofnamen. Mit einem Namenlexikon. Schlern-Schriften 284. Innsbruck 1994. 16 Franz Hörburger: Salzburger Ortsnamenbuch. Unter Mitwirkung von Stefan Adamski, Norbert Heger und Manfred Straberger bearbeitet von Ingo Reiffenstein und Leopold Ziller. Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, 9. Ergänzungsband. Hg. von der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde. Salzburg 1982. 17 Leopold Ziller: Die Salzburger Familiennamen. Ihre Entstehung, Herkunft und Bedeutung. Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, 11. Ergänzungsband. Hg. von der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde. Salzburg 1986. Namenforschung als Teildisziplin der Sprachwissenschaften 75 der historischen Quellen Bedeutung und Herkunft der Salzburger Familiennamen analysiert; in seinem zweiten namenkundlichen Werk, dem „Aberseer Namenbuch“ 18 , behandelt er die Flur-, Haus- und Familiennamen des Gerichtsbezirkes Sankt Gilgen, angereichert mit historischen Belegen und einer knappen linguistischen Analyse. Beide Werke zeichnet überdies eine genaue Kenntnis des topographischen Umfeldes und der historischen Zusammenhänge aus. Thomas Lindner hat als Vorsitzender der Salzburger Ortsnamenkommission gemeinsam mit Manfred Sellner eine noch nicht im Handel erhältliche CD mit den wichtigsten Salzburger Ortsnamen gestaltet 19 , die sowohl eine Auswahl an historischen Belegen, als auch die Etymologie und die Aussprache des jeweiligen Ortsnamens enthalten, gesprochen von einem ortsansässigen Einwohner. Ein weiteres Zentrum der Onomastik befindet sich an der Universität Klagenfurt am „Institut für Sprachwissenschaft und Computerlinguistik“: Heinz-Dieter Pohl nennt selbst als einen seiner wissenschaftlichen Schwerpunkte die Namenforschung, die er auch in großem Umfang betreibt. 20 Er befasst sich vor allem mit Bergnamen im alpinen Raum, mit den slawischen Ortsnamen Österreichs und mit Fragen des deutschslawischen Sprachkontakts. Er zeichnet als Herausgeber der jährlich erscheinenden Zeitschrift „Österreichische Namenforschung“ der Gesellschaft für Namenforschung und ist einer der Organisatoren der jährlich unter dem Titel „Namenkundliches Symposium Kals am Großglockner“ stattfindenden wissenschaftlichen Tagungen. Eine Namenart, die noch nicht allzu lange in der Onomastik Fuß gefasst hat, sind die Ergonyme: An der Wirtschaftsuniversität Wien (Romanistik) wird dieser Zweig der Ergonymik 21 und der Produktonomastik als Lehrangebot von der Innsbrucker Wissenschaftlerin Julia Kuhn eingebracht. Sie hat im Jahre 2005 einem Workshop den Titel „Wirtschaft, Kommunikation und Sprache“ gegeben und ist damit auch methodisch genau in die so genannte „neue“ Namenforschung vorgestoßen, in der 18 Leopold Ziller: Aberseer Namenbuch. Flur-, Haus- und Familiennamen des Gerichtsbezirkes St. Gilgen. Hg. als Festschrift zur 75-Jahr-Feier der Raiffeisenkasse St. Gilgen- Fuschl-Strobl 1977. Hg. und verlegt durch die Raiffeisenkasse St. Gilgen, Fuschl und Strobl 1977. 19 Manfred Sellner / Thomas Lindner: Institutsprojekt „Salzburger Ortsnamen multimedial präsentiert“. Universität Salzburg, Fachbereich Linguistik und Salzburger Ortsnamenkommission (SONK). 20 S. dazu seine Homepage: http: / / www.uni-klu.ac.at/ groups/ spw/ oenf/ . 21 Ergonyme = vom Menschen verfertigte materielle und geistige Objekte (Objektnamen, Firmennamen, Produktnamen). Isolde Hausner 76 die Funktionalität der Namen in den verschiedensten Bereichen in den Vordergrund gerückt ist. 22 1.4 Familiennamenforschung Stiefkind der österreichischen Namenforschung ist die Familiennamenforschung: mit Ausnahme von Tirol und Salzburg gibt es für keines der Bundesländer ein umfassendes Familiennamenbuch, ganz abgesehen von einem österreichweiten Familiennamenbuch, wie es etwa für Deutschland mit dem Duden-Band „Familiennamen“ 23 vorhanden ist. Das österreichische Familiennameninventar unterscheidet sich deutlich von dem Deutschlands, sieht man von den massenhaft vorkommenden Namen wie Meier, Müller etc. ab. Ein besonderer Fall ist Ostösterreich mit dem Wiener Raum, der infolge der Migrationsströme vergangener Jahrhunderte, insbesondere aus der Zeit der Monarchie, und neuerdings seit den Sechzigerjahren mit dem Zuzug von Gastarbeitern aus dem südosteuropäischen Raum und aus der Türkei eine Spezifik von Familiennamen aufzuweisen hat, wie sie sonst kaum im deutschsprachigen Raum anzutreffen ist. Selbst in einem einzigen Familiennamen kann ein kleines Stück Kulturgeschichte verborgen sein, wie z.B. im Familiennamen Murlasits 24 : es handelt sich um einen sehr seltenen Familiennamen, der in Ostösterreich, mit deutlichem Schwerpunkt im Burgenland anzutreffen ist. Im Lexikon der kroatischen Familiennamen gibt es den Familiennamen Murljačić, der eine Variante sein könnte, dem liegt lautgesetzlich Murlak (Variante Morlak) zugrunde. Die Morlaken (it. Morlacco) waren im Mittelalter eine viehzüchtende, romanischsprachige Bevölkerung in den Bergen des Hinterlandes der kroatischen Küste (< griech. mavro „schwarz“ [vgl. Maure, Mohr] + vlah [vgl. welsch, walch]) am Fuße des Velebitgebirges. Die Habsburger wiederum heuerten Morlaken für das Militär an, da sie als tapfer und kampfestüchtig galten. 25 Der Name Murlačić ist in dieser Form heute in Kroatien nicht belegt, was auch für die kroatischen Dialekte des Burgenlandes gilt. 22 Auch 2007 findet zu diesem Thema ein internationales Symposium an der Wirtschaftsuniversität Wien statt: Names in the Economy 2. Where business strategies meet onomastics. 14-16 June 2007. 23 Familiennamen. Herkunft und Bedeutung von 20 000 Nachnamen. Bearbeitet von Rosa und Volker Kohlheim. Mannheim / Leipzig / Wien / Zürich: Dudenverlag 2005. 24 Die Auskünfte über diesen Namen verdanke ich Herrn em. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Neweklowsky, Institut für Slawistik der Universität Wien. 25 S. http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Maurowalachen, eingesehen am 16. 7. 2007. Namenforschung als Teildisziplin der Sprachwissenschaften 77 Eine Initiative „Österreichische Familiennamen“ wurde vom Zeitungsverlag „Die Ganze Woche“ mit unserem Institut im Spätherbst 2004 ins Leben gerufen. Im Rahmen dieser Initiative trafen etwa 48 000 Familiennamen-Anfragen (inklusive der Variantenschreibungen und identischen Mehrfach-Schreibungen) ein und wurden in einer Datenbank registriert. Leider wurde die finanzielle Abdeckung nur für ein halbes Jahr gewährt, sodass derzeit noch ein Großteil der Namen der Bearbeitung harrt. 2 Methoden der Namenforschung Der Kärntner Germanist Primus Lessiak (1878-1937) eröffnete mit seinen Forderungen, die bei der Entlehnung von Wörtern und Namen von einer Sprache in die andere zum Tragen kommen, eine neue Qualität der wissenschaftlichen Onomastik: Er nannte dazu den Lautwandel und den damit zusammenhängenden Lautersatz, wies auf die Bedeutung der Doppelnamen (z.B. slawisch-deutsch) hin, forderte die Einbeziehung der urkundlichen Formen und deren richtige Datierung, die Heranziehung der mundartlichen Lautungen und hob schließlich den Wert der Lokal- oder Realprobe hervor. 2.1 Lautsubstitutionen / Substitutionsgesetze Sein Schüler Eberhard Kranzmayer entwickelte die Methode der Lautsubstitutionen / Substitutionsgesetze 26 in seinem Sinne weiter, erweiterte sie über die slawisch-deutsche Kontaktzone hinaus auf die Kontakte zum Romanischen und Magyarischen und stellte eine gesetzmäßige Zeitabfolge der Eindeutschung von Namen auf. Heute ist diese wissenschaftliche Methode unumstritten, sie gehört zum Rüstzeug sprachwissenschaftlicher Analysen von Namen. Kranzmayer war es auch, der mit der siedlungsgeschichtlichen Auswertung seiner auf sprachwissenschaftlicher Basis gefundenen Ergebnisse die Brücke von der Onomastik zur Geschichtswissenschaft schlug und so den Blick für eine interdisziplinäre Arbeitsweise in der Namenforschung erweiterte. Damit war die Schnittstelle zur Siedlungsgeschichte hergestellt, und mit dieser Methode wurden in all den letzten Jahrzehnten wertvolle Erkenntnisse zur siedlungs- 26 S. Eberhard Kranzmayer: Historische Lautgeographie des gesamtbairischen Dialektraumes, mit 27 Laut- und 4 Hilfskarten in besonderer Mappe. Österreichische Akademie der Wissenschaften. Wien 1956, S.11 f. Isolde Hausner 78 geschichtlichen Erforschung unseres Landes hergestellt. Ich erinnere hier nur an die Diskussion der 50er Jahre über den Namen Wien, über dessen Etymologie ein erbitterter Gelehrtenstreit geführt wurde 27 und der erst 1982 mit der ausführlichen Darstellung Wiesingers 28 zum Abschluss gebracht werden konnte: Er stellte auf Grund der Lautentwicklung eindeutig fest, dass der Name Wien nicht über slawische Vermittlung ins Bairische gelangt sein konnte, sondern entweder über ein romanisches Idiom (das könnte eine keltorom. Restbevölkerung gewesen sein) oder über das Langobardische (germanische Langobardenreste). Es erschienen in diesen Jahrzehnten viele ortsnamenkundliche Publikationen, die die Kontaktphänomene und die Übernahmezeiten Slawisch- Bairisch / Romanisch-Bairisch aufarbeiteten. Die Namen-forschung fungiert(e) über viele Jahrzehnte als Hilfsdisziplin der Geschichtswissenschaften. 2.2 Quellenkritik So ist es auch erklärbar, dass von Seiten der Germanistik die Methode der Quellenkritik in die Onomastik eingebracht wurde (der Name Rudolf Schützeichel ist eng damit verbunden 29 ). Sie gilt neben den Substitutionsgesetzen als zweite wichtige Säule der wissenschaftlichen Namenforschung: Es geht dabei um die genauen Datierungen der historischen Belege, die unter Einbeziehung der historischen Sekundärliteratur präzisiert bzw. berichtigt werden: Bei den Fälschungen sollen die Abfassungs- und Bezugszeiten ausgewiesen werden, ebenso bei der kopialen Überlieferung, bei Randvermerken etc. Es soll die Überlieferungsart (Kopie, Transsumpt, Insert, Randvermerk, Druck) und die Art der Quelle (Papst-, Kaiserurkunden, Tradition etc.) gekennzeichnet werden, um im ersten Fall 27 Eberhard Kranzmayer: „Herkunft und Geschichte der Namen Wiens. Gedanken zu den namenkundlichen Exkursen Oettingers «Das Werden Wiens»“. In: Unsere Heimat, Jg. 23 (1952), S. 67-73. 28 Peter Wiesinger: „Probleme der bairischen Frühzeit in Niederösterreich aus namenkundlicher Sicht“. In: Die Bayern und ihre Nachbarn. Teil 1. Österreichische Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse, Denkschriften, 179. Band. Wien 1985, S. 321-373. Wiesinger geht von einer idg. Wurzel * ṷ eidhu- / ṷ idhu „Baum, Holz, Wald“ - 5.Jh. kelt. *Vēdinia > Vēdnia > frühahd. *Wênnia, ahd. *Wienna, - oder: germ. *Wēdinja > *Wēdinnja > *Wēdnia >*Wēnnia aus. 29 Rudolf Schützeichel: „Die Bedeutung der Quellenkritik für die Namenforschung“. In: Beiträge zur Namenforschung, Band 13 (1962), S. 227-234. Namenforschung als Teildisziplin der Sprachwissenschaften 79 den zeitlichen Rahmen der Schreibung festzulegen 30 und im zweiten Fall einen Hinweis auf etwaige (oft grobe) Verschreibungen, wie sie in den päpstlichen und kaiserlichen Kanzleien häufig auftreten, zu geben; gerade bei Papst- oder Kaiserurkunden ist aber auch mit gleichsam „standardisierten“ Namenschreibungen zu rechnen, da regionale Besonderheiten einer überregionalen Orthographie angepasst wurden. Die Quellensigle sollte so gefasst sein, dass sie einen Hinweis zur Provenienz enthält. 2.3 Dialektologie Die Einbeziehung der Dialektologie wird besonders in der „Wiener namenkundlichen Schule“ 31 gepflegt, da hier Namenforschung in Personalunion mit der Dialektologie („Wörterbuchkanzlei“ 32 ) gelehrt wurde und wird. In vielen Zweifelsfällen hat es sich als unabdingbar erwiesen, eine nicht eindeutige oder sogar scheinbar eindeutige Etymologie mit Hilfe der mundartlichen Lautung abzustützen bzw. überhaupt erst erstellen zu können: Ich erinnere an das eingangs zitierte Göttweig, dessen mundartliche Lautung khedw-e eindeutig auf einen slawischen Personennamen mit dem Element *Chothinweist. In Namen ist oftmals ein appellativischer Wortschatz gespeichert, der sonst nur in der Mundart erhalten ist: z.B. Dichtenkogel (Berg in den Hohen Tauern an der Grenze der Bundesländer Salzburg und [Ost]Tirol), dem das Adj. -diehecht, in der Komposition drei-, vier-, „-zinkig“ zu Grunde liegt; es ist belegt für das Defereggental und Osttirol (als Ableitung von mundartlichem dieh „Oberschenkel bei Mensch und Tier“), in übertragener Bedeutung wird mit dīh in der Mundart des Defereggentales die 30 Beispiele dazu sind: Taufers / Túres (ANB S. 229f.): F 13.JhM <1140> de Taufers - 1136 de Tufers (Die Fälschung zeigt den Lautstand des 13.Jh. mit bereits erfolgter nhd. Diphthongierung des u>au). Bozen / Bolzano (ANB S. 138ff.): 1024-41 in Pozana - 1024-41 C 12.JhI Pozen (Die Schreibung in der Kopie des 12.Jh. weist bereits Abschwächung des Suffixes auf). Hafling / Avelengo (ANB S. 479): 1186 P Haueningen - 1189 C 19.Jh. Heueningen (ib. Nr 450) (Die kopiale Überlieferung weist den Sekundärumlaut aus, der in der etwa gleichzeitigen Originalurkunde noch nicht aufscheint.) 31 In diesem Zusammenhang sei besonders auf die Arbeiten von Walter Steinhauser, Eberhard Kranzmayer, Maria Hornung und Peter Wiesinger verwiesen. 32 Heute: Zentrum Sprachwissenschaften, Bild- und Tondokumentation: Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Isolde Hausner 80 Abb. 2 Namenforschung als Teildisziplin der Sprachwissenschaften 81 „Zinke einer Gabel“ bezeichnet. 33 Das Orthofoto zeigt anschaulich den zinkigen Kamm, der zum Dichtenkogel hinaufführt. 2.4 Interdisziplinarität Eine weitere Errungenschaft der modernen Namenforschung ist die Interdisziplinarität, und zwar im weitesten Sinne: Sie bezieht sich sowohl auf die Disziplinen der Sprachwissenschaft als auch auf die Geographie, Geologie, Botanik, Geschichte und Volkskunde. Für das Projekt „Altdeutsches Namenbuch. Die Überlieferung der Ortsnamen in Österreich und Südtirol von den Anfängen bis 1200“ (ANB) wurde erstmals eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Experten der Romanistik, Slawistik, Sprachwissenschaft und Germanistik zur Erarbeitung der slawischen, romanischen, deutschen, vorrömischen und vordeutschen Etymologien zusammengestellt. Beispielhaft seien hier einige romanische und vorrömische Etyma für Geländeformationen aus dem Namenschatz Südtirols (Prov. Bozen) genannt: Wir stoßen hier auf ein äußerst variantenreiches und teilweise recht altertümliches Inventar an solchen Bezeichnungen, die schließlich nur aus der Fachdisziplin heraus erklärt werden können: Einsattelungen, Mulden, Senken werden mit romanisch VANNUS „Futterschwinge“ bezeichnet: Fanesalpe, Große, Kleine / Alpe Fánes piccola, grande östlich des Gadertales (1002-04 petra Uanna 34 ). CUNA in der Bedeutung „Wiege“ liegt im Flurnamen Gsell, Außer-, Inner- (974 C 12.JhA alpes … Cunisello, gebildet mit dem Diminutivsuffix - ICELLA 35 ) vor und im Bergnamen Gsellknoten, südwestlich von Sexten gelegen. FUSTIS + INUS „Brunnentrog“ ist das Etymon des Berg- und Almnamens Stin im Valser Tal nördlich Brixen (1184-um 89 montem … Vistîn 36 ). Nach J. Kramer, EWD 3 (1990, S. 256) ist dieses Wort auf das Zentralladinische beschränkt. Der Ortsname Gummer / San Valentino in Campo im Eggental südöstlich von Bozen (um 1189 Gumbre 37 ) geht auf ein gallorom. CUMBA „Tal, Schlucht, auch: Einsattelung im Gelände“ zurück. In den Ortsnamen Graun / Corona 33 S. Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich, hg. vom Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika (vormals Kommission für Mundartkunde und Namenforschung). Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien 1963ff., Band 5, Sp. 48f. u. 49f. 34 ANB S. 343. 35 ANB S. 459. 36 ANB S. 1045. 37 ANB S. 461. Isolde Hausner 82 in der Gem. Kurtatsch an der Weinstraße (um 855/ 64-um 1022/ 55 C 1191 Corone, 1191 Transs 13.Jh. Curoni 38 ) und Graun in Vinschgau / Curon Venosta (1160-90 C 1365 Curun 39 ) steckt romanisch COR Ō NA „Krone, Kranz, Felsterrasse“, mit rätoromanischer Tonerhöhung o>û und neuhochdeutscher Diphthongierung. Vorrömisch nava „Senke“ liegt dem Ortsnamen Natz / Naz nördlich Brixen (um 1075-90 Novzas 40 ) zu Grunde. 41 Ein vorrom. Appellativum CÁRRA „Stein, Fels“ liegt im Ortnamen Garn / Caerna (1184-um 89 Cerne 42 ) in der Gem. Feldthurns südlich von Brixen vor. Die Interdisziplinarität hat sich aber gerade in den letzten Jahren beträchtlich erweitert in Bezug auf erweiterte Darstellungsmethoden der Ergebnisse und neue Erkenntnisse: Aus der Disziplin der Geographie sind mit der Verfügbarkeit digitaler Kartendaten neue Techniken in die Namenforschung eingeflossen: Zum Standard moderner namenkundlicher Publikationen gehören professionell hergestellte Karten in Form von Computer-Landkarten, auf denen die Ergebnisse der Forschungen anschaulich dargestellt werden. Allerdings sind die Kosten der Datenbeschaffung nicht zu unterschätzen. Eine relativ neue Entwicklung ist die Verwendung des GIS in der Namenforschung: Im Projekt ALPKULTUR (Kulturhistorische Namendokumentation im Alpenraum: Die Berg- und Almnamen in Osttirol) arbeiten wir mit räumlichen Basisdaten (kartographisches Modell, Höhenmodell, Orthophotos und Sonneneinstrahldauer) und einer geographischen Namendatenbank, in der die historischen und linguistischen Daten (Etymon, mundartliche Lautung [in Schrift und Ton]), Bilder, Literatur (Sagen, Sekundärliteratur) gespeichert und mit verschiedensten Abfragemöglichkeiten ausgestattet sind. Durch die Verschneidung der beiden Datenpools können die Ergebnisse als Text und Bild dargestellt werden, wie sie mit den herkömmlichen Mitteln nicht erstellt werden könnten: D.h. es können die einzelnen Sprachschichten in den Alm- und Bergnamen und deren Verbreitung dargestellt werden, einzelne Lexeme (Alpenwörter) nach Sprachen und deren Vorkommen herausgefiltert, und damit auch die frühen und rezenten Wirtschaftsformen, natürlichen Gegebenheiten (Pflanzenwuchs etc.) 38 ANB S. 442. 39 ANB S. 442. 40 ANB S. 780: eventuell kann hier aber auch rom. NĀVIS „Gefäß, Mulde“ vorliegen (vgl. EWD 5, 31). 41 Das deutsche Pendant dazu wäre etwa im Ortsnamen Hafling / Avelengo (1186 P Haueningen) vorhanden, das sich zu ahd. havan „Gefäß, Topf; Einsattelung“ stellt. 42 ANB S. 398. Namenforschung als Teildisziplin der Sprachwissenschaften 83 verglichen werden, es können statistische Untersuchungen zur Häufigkeitsberechnung der Almen in Jahrhundertschritten dargestellt werden (und dann im interdisziplinären Kontext mit den demographischen Entwicklungen überdeckt werden), es kann die Entwicklung des Alpentourismus an Hand der Zunahme der Benennung von Bergen dargestellt werden etc. Allgemein zusammengefasst: Der Mensch und seine Umwelt, seine Kultur, seine Wirtschaftsformen, die Siedlungsschichten, Sozialstrukturen, Brauchtum, Sagen, Mythen, Volksfrömmigkeit, all dies kann in der modernen Namenforschung mit Hilfe der neuen Medien als Gesamtbild gestaltet werden. Anhang Eine wichtige Methode zur Verifizierung einer Etymologie ist die Realprobe, die mit Hilfe der räumlichen Basisdaten sehr gut simuliert werden kann: Als Beispiel sei die Daberalm gebracht, die in der Abbildung der Hangneigung ein klares Bild ergibt. Etymologisch liegt slaw. *dъbrь „Klamm, Schlucht“ zu Grunde, das in Osttirol vielmals in Namen belegt ist; wie auf dem Orthophoto ersichtlich, handelt es sich um einen Lagenamen, ausgehend vom Dabertal. Weitere Osttiroler Berg- und Almnamen mit diesem Etymon sind: Daber Kögele, Daberegg (1774 Taber Eck B.), Dabernigalm, Dabernitzhöhe, Dabernitzkogel (1836 Tabernizer Kegel), Dabernitzturm, Daberspitze (18.Jh. Täber Wand). Die Ausdehnung bzw. Größe einer Alm, sonn- und schattseitige Hänge sind ebenfalls auf dem Orthophoto sehr gut erkennbar: Urkundlich: 1627 Ascher Oxwißen ½ tag (TLA, Kat. 119/ 1b, fol 16r, Ght. Anras); 1775 eine Wiese in Ascherberg Sonnseithen Moß genannt (TLA, Kat. 117/ 3, fol. 286´); 1780 auf der Ascher Sonn- und Schattseitigen Gemeinde Alpen zu 4 Ochsen und 15 Schaf, auch am Rainpichl zu 2 Gais das Grasrecht (TLA, Kat. 119/ 8, Gemeinden Ght. Anras). Isolde Hausner 84 Abb. 3 Namenforschung als Teildisziplin der Sprachwissenschaften 85 Abb. 4: Die Verbreitung der Namen mit Daber- Isolde Hausner 86 Abb. 5 43 43 Die Abb. 2 bis 5 wurden von Gerhard Rampl, Mitarbeiter am Projekt ALPKULTUR, erstellt. Wolfgang Haubrichs Hybridität und Integration. Vom Siegeszug und Untergang des germanischen Personennamensystems in der Romania In der Begegnung des Imperium Romanum mit den germanischen gentes der Spätantike haben sich auch dort, wo diese Völker wie die Wisigoten, Burgunden, Franken und Langobarden auf Reichsboden neue ‚Staaten‘ errichten konnten, durchweg römische Traditionen durchgesetzt, außer vielleicht im Recht der Völker (‚Volksrechte‘), in der Agrarwirtschaft, im Jagd- und Kriegswesen, kenntlich auch in Sprachen, die wie Langobardisch und Fränkisch in längerem Kontakt mit dem Latein oder bald schon Romanisch der Provinzen des Reiches standen, an zahlreichen Lehnwörtern, die in die romanischen Nachfolgesprachen einflossen. 1 „Transformation of the Roman World“. 2 Nur auf einem Gebiete kam es in den Kernregionen der neuen regna zu einem überwältigenden Sieg der gentilen Traditionen, nämlich im Personennamensystem, wo das altererbte römisch-lateinische System und seine provinzialen Adaptationen nahezu vollständig abgelöst wurden, um Jahrhunderte später und zweifellos verwandelt in einem neuen romanischen Namensystem aufzugehen. 3 Diese Transformation und Ablösung des römisch-lateinischen Namensystems kann nicht ausreichend mit dem Begriff ‚Mode‘ beschrieben werden, denn Namen sind sowohl in der gentilen wie auch in der römischen Welt nicht nur Instrumente der Identifizierung von Personen, sondern auch Ausdruck der Identität und Mentalität von Familien und Gruppen gewesen 4 - man denke nur an eine so eindrucksvolle Reihenbil- 1 Zu den langobardischen Lehnwörtern im Italoromanischen vgl. LEI Germanismi I, 1- 4, 2000-2007; Pfister 1981/ 82; Pfister 2004; Morlicchio 1998; 2002; 2004; 2007; Molinari 1995; Haubrichs 1998, 106-112; 2005, 67f.; Vòllono 2005. Für die fränkischen Lehnwörter im Galloromanischen vgl. FEW, Bände 16-17 (1959-66); Haubrichs / Pfister [im Druck]. 2 Ian Wood (Hg.): Transformation of the Roman World, 14 Bände. 1997-2003; Wood 1999; 2006; Delogu 1999; Noble 1999; Pohl 1999. Vgl. kritisch dazu Ward-Perkins 2007, 182. 3 Zum römischen Namensystem vgl. Cameron 1985; Kajanto 1990; 1997; Mitterauer 1993, 68-85; Solway 1994; Rix 1995; Castritius 1997; Solin 2002 [Lit.]. Zum germanischen Namensystem vgl. Bach 1958; Greule 1996; Sonderegger 1997 [Lit.]. 4 Haubrichs 2004; Götz / Haubrichs 2005. Wolfgang Haubrichs 88 dung in imperatorischer Familie, wie sie Constans, Constantius, Constantinus, Constantia bieten, in der sich der gesellschaftliche und zugleich militärische Wert der constantia mentis abbildet, 5 die auf dem Gebiete der römischen Städtegründungen zu Namen wie Constanza (Rumänien), Coutances (Frankreich), Konstanz (Deutschland) usw. führte. Dieser große Prozess der onomastischen „transformation of the Roman world“ lässt sich in sechs Stadien beschreiben. I. Latinisation germanischer Familien Zunächst einmal sieht es ganz und gar nicht so aus, als ob die Germania im Namensystem die Oberhand gewänne. Als im 4. und 5. Jahrhundert Germanen verschiedenster gentiler Herkunft einflussreiche Positionen im römischen Heer und Staat, z. T. in Kaisernähe gewannen, da haben sie sich auf unterschiedliche Weise der imperialen Kultur assimiliert, darunter auch onomastisch. Eine Methode war die völlige onomastische Assimilation, Verähnlichung durch die Annahme lateinischer und graekolateinischer Namen in der Generation der Kinder. Dies lässt sich ausgezeichnet an der Person des mächtigen magister utriusque militiae Stilico (393-408) demonstrieren, der selbst Sohn eines Wandalen und einer Römerin war, aber mit germanischem Namen benannt worden war. 6 Sein Vater war Kommandeur 5 Vgl. zu Konstantins Familie und Dynastie Piepenbrink 2 2007; Herrmann-Otto 2007; Brandt 2007. Zur Zunahme der Suffixbildungen in der Spätantike vgl. Kajanto 1997, 106f. Diese ist wesentlich in der auch in Konstantins Familie sichtbar werdenden Variation zentraler Begriffe und Namenelemente begründet. Vgl. z. B. für das 4. Jh. den keineswegs vereinzelten Fall des Petronius Probianus mit Sohn Petronius Probinus, Enkel Sextus Claudius Petronius Probus und Urenkel Anicius Probus und Anicius Petronius Probus, wobei das Gentilicium der Anicier aus der Familie der Mutter stammt (Heinzelmann 1977, 23). 6 Zu Stilico vgl. PLRE I, 853-858; Stein 1928, 347-387; 1942, 414ff.; Mazzarino 1942; Nischer-Falkenhof 1947; Demougeot 1951, 129-142; Demougeot 1979, II, 128ff., 173ff.; Stroheker 1965; Killerich / Torp 1989; Demandt 1980, 619f., 1 1989, 138-144; Warland 1994; Ward-Perkins 2007, 34. Ein Verwandter Stilicos, Bathanarius, wohl Wandale und comes Africae von 401-408, trägt ebenfalls einen germanischen Namen (Reichert 1987, 126; PLRE II 221). Im 4. Jahrhundert gibt es auch einige Germanen im römischen Heeresdienst, die durch ihren rein lateinischen Namen anzeigen, dass sie akkulturationswillig waren: so bereits a. 272 unter Aurelian ein Pompeianus dux cognomento Francus (Demandt 1989, 268); so auch der General Bonitus, ein Franke, unter Konstantin (PLRE I, 163); Flavius Ursus, Konsul a. 338 (PLRE I, 989), der Franke Silvanus, Sohn des Bonitus, Heermeister a. 352-355, institutione Romana satis cultus et pa- Hybridität und Integration 89 einer Reitertruppe des Kaisers Valens (364-378), wobei es interessant ist, dass Stilico einen westgermanisch formierten Kurznamen auf -o trug. 7 Stilico wurde der erste Reichsfeldherr und wichtigste Staatsmann unter Theodosius I. (378-395) und war mit einer Nichte des Kaisers vermählt, der ihm bei seinem Tode die Sorge für die Kaisersöhne Honorius und Arcadius übertrug. Die Bindungen wurden noch verstärkt durch die Verheiratung seiner explizit christlich benannten Tochter Maria 397/ 98 (nach deren Tod 408 der Schwester Aemilia Materna Thermantia) mit dem Westkaiser Honorius (395-423). Auch der Sohn Eucherius (aus Eucharios ‚der Angenehme, Freigebige‘) trug einen „nom de bon augure“, der christlich interpretierbar war. Es mag bei der Motivation mitgespielt haben, dass Stilicos Förderer Theodosius zu seinem theophoren Namen durch eine Vision der Eltern kam. Wie fragil trotz naher verwandtschaftlicher Bindung und trotz der onomastischen Akkulturation dennoch die Stellung eines solchen imperialen Germanen blieb, zeigt die schnelle Katastrophe des Jahres a. 408. Nach dem Einbruch von Wandalen, Alanen, Sueben nach Gallien 406/ 07 und den Drohungen des wisigotischen Königs Alarich mit einer neuen Invasion Italiens kam es zu einer antigermanischen tiens (PLRE I, 840f.); sogar der kaiserliche Usurpator Flavius Magnus Magnentius (a. 350-353) war teils britannischer, teils germanischer Abstammung (mit Brüdern Decentius und Desiderius und Gattin Justina: PLRE I, 532). Der Alamannenkönig Vadomar, von Kaiser Julian gefangen, wechselte a. 361/ 66 als kommandierender dux im Orient seinen Namen zum bedeutungsvollen PHOENICES (PLRE I, 928). Dazu kommen der Bucinobanten-König Macrianus (PLRE I, 527f.), der Alamanne Latinus als General des Kaisers Constantius a. 351 (PLRE I, 496; Demougeot 1979, 103), weitere alemannische Könige mit Namen Urius und Ursicinus (PLRE I, 986), alle a. 359 genannt, dann jener Königssohn, der vor 357 seinen angestammten Namen Agenarichus (PLRE I, 824) aufgrund der Verehrung des Vaters für den hellenistischägyptischen Gott Serapis in Serapion änderte (vgl. Demandt, 1989, 419; Demandt 2007, 146; Waas 1965, 94, 104, 123ff.; Geuenich 1997, 42ff). Hier haben wir es mit Personen multipler Identität zu tun. Personen germanischer Abstammung mit romanischer Namengebung finden wir auch später noch: so trägt Papst Bonifatius II. (530- 532), Sohn des gotischen Generals Sigisvultus, einen romanischen Namen (Barnish 1988, 127); hierher Stavilis, Sohn der Benedicta und des Benignus, legem vivens Gothorum a. 769 im Gebiet von Brescia (CDL II, Nr. 228). Hier ist nur noch die Rechtstradition bewahrt, die Romanisierung der Familie liegt schon weiter zurück. 7 Schönfeld 1911, 209-211: „Der Vandale, der zum wirklichen Herrscher des weströmischen Reiches geworden war, wollte seine barbarische Herkunft vergessen machen und hat daher gerne mitgeholfen, seinen Namen zu latinisieren“. Dieses Verhalten ist kein Einzelfall. Vgl. Reichert I, 1987, 618-626; Francovich Onesti 2002, 172f. Zum Namen Stilico gibt es nur die wohl westgermanische Parallele eines Handwerkers Isteleco (mit vulgärlat. Vokalvorschlag) auf einem Mosaik in Mienne- Maroué (Nordfrankreich), 5. Jh. Wolfgang Haubrichs 90 Reaktion am Kaiserhof zu Ravenna. Stilico wurde abgesetzt, des Zusammenspiels mit dem Gegner verdächtigt und schließlich wie sein Sohn hingerichtet, die Familie also regelrecht vernichtet. Das integrative Streben des mächtigen Heermeisters lässt sich an einer kunstvollen onomastischen Komposition aus dem Besitz seiner Tochter demonstrieren. Das Objekt, eine goldene Schmuckkapsel, wurde 1544 in einem Porphyrsarkophag bei Sankt Peter im Vatikan gefunden, der die Gebeine der mit dem Kaiser verheirateten Maria barg. Die der Begrabenen beigegebene Schmuckkapsel muss aus den Tagen des noch guten Einverständnisses stammen, denn sie dokumentiert in zwei einander komplementären Schriftkunstwerken die Familien des Kaisers und des magister militum und zwar deutlich aus der Perspektive des Letzteren. 8 Die beiden figuralen Kompositionen ergeben je ein komplexes Christogramm, ein aus einem Kreuz erwachsendes nomen sacrum XP, d. h. griechisch ΧΡ[ιστός] und enthalten zugleich im Zentrum das Kreuz als Staurogramm, das zweifellos ebenfalls als X plus P, als Chi-Rho, als nomen sacrum des Salvator, zu interpretieren ist. 9 Es ist unverkennbar, dass die Komposition Kreuz und Christus sein will und ihren Mittelpunkt im Erlöser und im Symbol der Erlösung sucht. Die Querachse des Kreuzes erhält jeweils den Segenswunsch VIVATIS, der aus der Figur heraus sicherlich mit in Christo zu ergänzen ist. Die weiteren Achsen enthalten Namen, die Längsachsen des Kreuzes dabei jeweils die Bezugsperson der onomastisch-genealogischen Figur. Dies ist zunächst (links) der im Vokativ angesprochene HONORI, der Name des Kaisers. Die zugehörigen X- Achsen werden von den Namen der Schwiegereltern STELICHO (hier mit 8 Dessau 1954, I, 177f., Nr. 800. Vgl. Nischer-Falkenhof 1947, 81f.; Haubrichs 2006, 19f. 9 Vgl. Wischmeyer 1979. Hybridität und Integration 91 vulgärlateinischer Senkung des [i] > [e]) und SERHNA (Serena) gebildet. Der Name der Gattin MARIA bildet die Schleife des P. Die zweite figura (rechts) ist ganz auf die Familie des STELICHO ausgerichtet, dessen Name die Längsachse des Kreuzes besetzt. Die zugehörigen X-Achsen werden dann von den Namen seiner Tochter THERMANTIA und seines im Vokativ aufgerufenen Sohnes EVCHERI gebildet. Der Name seiner Gattin SERENA formt die Schleife des christologischen P. Die beiden figurae sind also völlig analog gestaltet. Sie akzentuieren die Verwandtschaft des Stilico mit Kaiser Honorius und gründen sie, über die Gräben der verschiedenen Ethnien hinweg, in Christus. Zugleich bezeugen sie den entschiedenen onomastischen Akkulturationswillen der Heermeisterfamilie, der eigentlich einem Identitätswechsel gleichkommt. Ein zweiter Typus spätantiker onomastischer Akkulturation ergibt sich als Amalgamat von germanischer und lateinischer Namentradition. Dafür ebenfalls ein Beispiel: Um 470 regierte die civitas von Trier, vermutlich aber sogar die gesamte römische Provinz Belgica Prima (mit den Gebieten von Metz, Verdun, Toul) ein comes Arbogast, Arvagast. 10 Er verfügte über eine gute klassische Bildung, wandte sich an den Bischof Sidonius Apollinaris von Clermont mit theologischen Fragen; dieser rühmte ihn wegen seines von Barbarismen freien Lateins. 11 Bischof Auspicius von Toul wiederum rühmte seine Bildung und hielt ihn sogar für geeignet, ein Bischofsamt zu übernehmen. 12 Man hält es für wahrscheinlich, dass er mit dem Ende des 5. Jahrhunderts aufscheinenden Bischof Arbogast von Chartres identisch ist. Für die Beharrungskraft des Namen zeugt auch das Vorkommen eines Arbogast in der Straßburger Bischofsliste um a. 600. 13 Die Bildung des Trierer Arbogast, seine Stellung in der römischen Provinzialverwaltung, auch der Name seines Vaters Arigius zeigen wohl die Romanisierung seiner Familie an. Doch ist er zugleich verwandt mit dem den gleichen gut fränkischen Namen tragenden Arvagastes comes, einem heidnischen Franken, der a. 394 inschriftlich in Köln bezeugt ist und unter Kaiser Valentinian II. (383-392) der erste Heermeister des Westens wurde, seinen Kaiser ermordete, den Rhetor Eugenius zum Westkaiser erhob und 10 PLRE II, 128f.; Ewig 1954, 56ff.; Zotz 1980; Heinzelmann 1982, 558; Anton 1987, 50- 59; Heinen / Anton / Weber 2003, 109ff. 11 Sidonius Apollinaris, Epistulae IV, 17, MGH AA VII, 68. Vgl. Ward-Perkins 2007, 91, 213, Anm. 33. 12 Epistula Auspicii episcopi ecclesiae Tullensis, hg. v. K. Strecker, MGH Poetae, IV, 2, 614- 617. 13 Zu Arbogast v. Straßburg (ARBOASTIS EPS) vgl. Duchesne III, 171. Vgl. Haubrichs [im Druck b], Nr. 11-15: dort auch zur „fränkischen“ Qualität der Namen auf -gast. Wolfgang Haubrichs 92 im Bunde mit Senatskreisen die heidnische Restauration betrieb, um schließlich in einer Art Glaubenskrieg zwischen Heidentum und Christentum Theodosius I. zu unterliegen und Selbstmord zu begehen. 14 Doch wurde der bedeutsame germanisch-fränkische Name in der Familie beibehalten, das soziale Prestige des Eponymen war trotz seines Scheiterns nicht vergessen. Ein weiterer Typus onomastischer Akkulturation, der seiner Tradition nach schon in die Phase der Romanisierung des keltischen Galliens und anderer Provinzen zurückging, bestand in der vollständigen oder unvollständigen Adaptation des römischen Systems der tria nomina, d. h. der aus praenomen, gentilicium (zur Angabe der gens, der Familiengruppe dienend) und des cognomen zusammengesetzten komplexen lateinischen Namen. Von langfristiger Bedeutung und quasi ein Rangprädikat wurde dabei das Gentilicium der mit Vespasianus (49-79) und Titus (79-81) beginnenden flavischen Dynastie. Viele der späteren germanischen (und nicht nur der germanischen) Adligen, die in der römischen Militärverwaltung während des 4. und 5. Jahrhunderts aufstiegen, aber auch noch die ostgotischen und langobardischen Könige Italiens nahmen dieses Namenelement an. 15 Einige Beispiele seien näher erläutert: 1) Flavius Baudo comes († vor 392), geschrieben meistens Bauto, war nach dem in Trier geborenen Ambrosius von Mailand (374-397) Transrhenanus genere, also vermutlich Franke, magister militum un- 14 PLRE I, 95-97; Stein 1928, 325f.; Demougeot 1951, 129ff., 139ff.; 1979, II, 125ff.; Stroheker 1965, 21ff.; Waas 1971, 70ff.; Demandt 1980, 619, 629, 633; 1989, 134-136; Heinzelmann 1982, 570. 15 Vgl. Wolfram 2005, 164; Jarnut, 1982, 39f.; Möcsy 1964; Keenan 1973, 33-43; 1983; Bagnall / Cameron / Schwartz / Worp 1987, 36-40; Castritius 1997, 35 [mit Lit.]. Zur Benutzung von Flavius als Indiz der eigenen Romanität vgl. noch den wohl germanischen Heermeister Flavius Ursus, Konsul des Jahres 338, ferner den Heermeister Flavius Salia (mit ostgerm. Namen), Konsul des Jahres 348 (Demandt 2007, 146). Auf einer Inschrift des 4./ 5. Jhs. aus Concordia bei Aquileia findet sich Flavius Hariso magister primus de numero Erulorum seniorum (CIL V Nr. 8750; Reichert 1987, 420): auf einer des beginnenden 5. Jhs. aus demselben Ort Flavius Fandigilus protector (CIL V Nr. 8747; Reichert 1987, 266; Mazzoleni 1976, 169). Es sei noch hingewiesen auf Flavius Arintheus, magister equitum a. 363, auf Flavius Marcaridus, tribunus militum († 394/ 95) in Concordia, auf Flavius Rumoridus, magister praesentalis a. 384, Konsul a. 403 (Waas 1971, 73, 92, 103). Es ist sicherlich kein Zufall, dass sich Flaviauch unter jenen Elementen findet, mit denen in Gallien und Italien Hybridnamen (z.B. Flavardus) gebildet wurden (Haubrichs 2004, 182, 187, 198). Anders als Teile der neueren Forschung halte ich Flavius für einen Namenbestandteil, was nicht ausschließt, dass darin eine Rang- und Ehrenbezeichnung römischer Tradition zugleich steckt. Hybridität und Integration 93 ter den Kaisern Gratian (375-383), Theodosius I. (378-395) und Valentinian II. (383-392), a. 385 auch consul, Schwager des mit seiner Tochter (mit dem griechisch-christlichen Namen Aelia Eudoxia) verheirateten Kaisers Arcadius (395-408), des Bruders des Westkaisers Honorius, 16 trägt seinen germanischen Namen, der so viel wie ‚Gebieter‘ bedeutet, als diakritischen zweiten Bestandteil, quasi als cognomen oder supernomen. 2) Flavius Ricimeres († 472), Sohn eines Suebenfürsten und einer Tochter des wisigotischen Königs Vallia, verheiratet mit Alipia, einer Tochter des weströmischen Kaisers Anthemius (467-472), vir illustrissimus, a. 456 magister utriusque militiae, patricius und a. 459 consul, eine Art „Kaisermacher“ in der Endphase des weströmischen Reiches, der 456 Kaiser Avitus zur Abdankung zwang, 457 seinen Favoriten Maiorianus auf den Thron erhob, ihn aber 461 beseitigte, Libius Severus zum Kaiser ernannte, der 465 starb, dann den von Ostrom eingesetzten Anthemius anerkannte, den er 472 tötete, um Olybrius zu erheben, 17 trägt seinen germanischen Namen, der so viel wie ‚als Mächtiger (oder König) bekannt‘ bedeutet, als diakritischen zweiten Bestandteil (cognomen oder supernomen). 3) Flavius Merobaudes Trever († 387), aus Trier gebürtiger und in Trier begrabener Franke, magister militum praesentalis unter Valentinian I. (364-375), ist von großem Einfluss unter Gratian (375- 383), wirkt bei der Erhebung Valentinians II. (383-392) zum Kaiser mit, ist consul a. 377 und a. 383, wird vom Gegenkaiser Maximus in den Selbstmord getrieben; trägt seinen germanischen Namen, der so viel wie ‚berühmter Gebieter‘ bedeutet, als diakritischen zweiten Bestandteil (cognomen oder supernomen). 18 Den 16 PLRE I, 159f.; Reichert 1987, 129-131. Demougeot 1951, 124f.; 1979, II, 121ff.; Musset 1965, 121ff.; Stroheker 1965, 11; Waas 1971, 77ff.; Wirth 1980, 1692; Demandt 1980, 629; Shaw 1999, 149ff. 17 PLRE II, 942-945; Reichert 1987, 567-570; Ensslin 1942, 420-424; Papini 1959, 95, 107ff., 151f.; Stroheker 1965, 11-13; Waas 1971, 101ff.; Heinzelmann 1982, 680f.; Castritius 1984, 13ff.; Demandt 1980, 625; 1989, 171-175. Zu notieren ist, dass sein Neffe (mütterlicherseits) Gundobad, der spätere Burgundenkönig (PLRE II, 524f.; Reichert 1987, 398f.), sein Nachfolger als Heermeister wurde. Panini 1959, 120 charakterisiert Ricimeres gar als „un germano romanizzato“. 18 PLRE I, 598f.; Stroheker 1965, 11f.; Waas 1971, 93ff.; Demougeot 1979, II, 375; Heinzelmann 1982, 652; Demandt 1989, 153. Zusätzlich zu den im Folgenden genannten frühmittelalterlichen oder noch spätantiken Trägern des Namen sei noch auf die Trierer Grabinschrift des Knaben Merobaudis aufmerksam gemacht. Vgl. Herrmann- Wolfgang Haubrichs 94 wohl aus der Tradition seiner Familie stammenden Namen trugen vom 4. bis 6. Jahrhundert noch weitere Personen, z. B. a. 384 Merobaudes dux Aegyptii, 19 dann Merobaudes, Taxiarch (hoher Offizier) unter Kaiser Valens (364-378), 20 ferner Merobaudes … vir clarissimus (Grabstein aus Brianza, Gallia Cisalpina); 21 später erscheinen Merobaudes praeceptor in Rom, Autor und Empfänger eines Briefes des Ennodius († 523); 22 Merobaudes vor a. 537 katholischer Märtyrer im nordafrikanischen Wandalenreich; 23 im 6. Jahrhundert ein Merobaudes als clericus in Poitiers bei Gregor von Tours († 593/ 95). 24 Dazu kommt noch der in römischer Tradition stehende Dichter und vir spectabilis, comes sacri consistorii (a. 435-± 450) Flavius Merobaudes, Schwiegersohn und Nachfolger des magister utriusque militiae Asturius: stilo et gladio pariter exercuit 25 . Gerade die letzten Beispiele zeigen, dass der Name seinerseits zum Traditionsnamen in der frankoromanischen und sogar römischen Gesellschaft werden konnte. 4) Flavius Valila qui et Theodovius, Gote, magister militum 471/ 76, Kirchenstifter, durch Bücherbesitz und Testament als lateinisch Gebildeter ausgewiesen, lebte, versehen mit einem sonst nur der senatorischen Schicht des römischen Adels vorbehaltenen Sitz im Colosseum, nach dem Untergang des weströmischen Reichs auf seinen Landgütern bei Tivoli (Latium); in einer Schenkungsurkunde von a. 471 heißt er Flavius Valila qui et Theodovius, vir clarissimus et illustris; 26 hat zwei germanische Namen, nämlich Valila (‚der Erwählte‘, mit hypokoristischem Suffix zu germ. *wala- ‚Wahl‘) und Theodo-vius < *Theoda-wīhaz ‚Volks-kämpfer‘, wobei Otto 2007, 189. Nicht gesichert ist dagegen die (auf Konjektur beruhende) Trierer Grabinschrift eines angeblichen [Flavius Mero]baudes (Vetter 1960). 19 Reichert 1987, 505. Vgl. PLRE I, 598; Waas 1965, 116. 20 Reichert 1987, 505. 21 CIL V Nr. 5641. 22 Ennodius, Epistulae, MGH AA VII, 294. Vgl. PLRE II, 756. 23 CIL VIII Nr. 27545. 24 Gregor von Tours, Liber de virtutibus S. Martini VI, 15, MGH SS rer. Mer. I, 2, 163. 25 PLRE II, 756-758; Heinzelmann 1982, 652; Reichert 1987, 504f.; Gruber 1992. Mit ihm wird - aber nicht ganz sicher - ein Merobaudes patricius identifiziert, der im späten 5. Jh. Güter an ein Kloster in Mantenay-sur-Seine gegeben haben soll. 26 PLRE II, 1147; Reichert 1987, 752; Castritius 1972; 1984, 13-16; Barnish 1988, 127f.; De Francesco 2004, 95ff. Im Stiftergedicht für seine Eigenkirche San Andrea in Rom wird er nur Valila genannt. Hybridität und Integration 95 diese im Zusammenhang des Gesamtnamen wohl wie Cognomen und Supernomen 27 funktionierten. Die nobilitierende und romanisierende Wirkung des Teilnamen Flavius, der auch in den konstantinischen, valentinianischen und theodosianischen Dynastien seinen festen Platz hatte, zeigt sich noch im frühen 7. Jahrhundert deutlich an Flavia, der Gattin des den ultrajuranischen Dukat (Westschweiz) beherrschenden fränkischen dux Waldelenus, von der die zeitgenössische ‚Vita Columbani‘ sagt, sie sei „nach ihrem Namen, ihrer Herkunft und ihrer Klugheit adlig“ gewesen. 28 II. Germanische Personennamen in romanischen Familien Seit dem Beginn des 6. Jahrhunderts, d. h. seit der Konsolidierung gentiler regna auf römischem Reichsboden kehrt sich die Integrationsrichtung um. 29 Dieser Prozess bedarf im Einzelnen noch sorgfältiger und regional differenzierter Erforschung, doch lassen sich zumindest für Gallien die Anfänge und Grundlinien bestimmen. 30 27 Vgl. zu den supernomina im spätantiken römischen Namensystem Kajanto 1966; Solin 2002, 14-17. Freilich gibt es auch eine bereits römische Tradition des Doppelnamen; dazu vgl. Anm. 50. 28 Jonas von Bobbio, Vita Columbani, c. 14, MGH SS rer. Mer. IV, 79f. Den lang erbetenen ersten Sohn des Paares taufte Columbanus selbst und gab ihm den sprechenden Namen Donatus. Er wurde später Bischof von Besançon. Den zweiten Sohn nannte man in Variation des Vaternamen Chramne-lenus. Er wurde des Vaters Nachfolger als dux (Fredegar IV, 78: ex genere Romano). 29 Eine Ausnahme bildet das bairische Sprachgebiet nördlich der Donau, wo besonders im Raum der Salzach- und Innromania um Salzburg, der oberösterreichischen Seen und westlich bis zum Chiemsee romanische Personennamen ins Bairisch-Althochdeutsche integriert wurden. Vgl. dazu mit weiterer Lit. Haubrichs 2006e, 415-429 samt Anhang 451-465. Für den Rhein- und Moselraum stehen Forschungen über die Integration lateinisch-romanischer Personennamen ins Althochdeutsche weitgehend aus. 30 Dieser Prozess ist Gegenstand des Saarbrücker Forschungsprojekts „Onomastik und Akkulturation. Die Entwicklung der Namengebung, ihrer Semantik und Motivation in der Begegnung von Christentum, Imperium und barbarischen gentes zwischen Spätantike und frühem Mittelalter (4.-8. Jahrhundert)“ im Rahmen des DFG- Schwerpunktprogramms 1173 <Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter>. Die Problematik der ‚Germanisierung’ der Namengebung im frühen Mittelalter ist sporadisch immer wieder angesprochen, aber nie systematisch untersucht worden. Vgl. stellvertretend für neue Ansätze im Bereich der Philologie Pitz 2006, besonders 253f.; für die Geschichtswissenschaft wegweisend die Be- Wolfgang Haubrichs 96 Ein frühes, aber signifikantes Beispiel bietet die Vorfahrenschaft des Bischofs Gregor von Tours (573-594/ 95). Dieser mit vollem römischen Namen Georgius Florentius Gregorius heißende, aus altem senatorischem Adel stammende Prälat verfügte über eine Stammtafel, die er uns stolz ausbreitet, in der es - mit einer gleich zu besprechenden Ausnahme - nur romanische Namen gab. 31 Sein eigener Name folgt nur äußerlich noch dem römischen System der tria nomina. In Wahrheit handelt es sich um Nachbenennungen, wie sie auch schon in den römischen Dynastien des 4./ 5. Jahrhunderts, aber auch sonstwo in der römischen Oberschicht sichtbar wurden. Längst war auch die römische Gesellschaft auf dem Wege zur Einnamigkeit, in der ein häufig programmatisch gemeintes supernomen oder signum die Rolle des Rufnamen übernahm, so dass sich hier die gentilen Gesellschaften und die römische Welt begegneten. Bezeichnend ist, dass die memoria Gregors für seine Vorfahren nur diese Rufnamen aufbewahrte. Den ersten Namen merkungen von Ward-Perkins 2007, 82-93 zum Zusammenhang von Identität, Sprache und Namengebung. 31 Buchner 1977, IX; Stroheker 1948, Nr. 183, Abb. auf S. 239; Heinzelmann 1994, 19f. Der Versuch von Heinzelmann (ähnlich Grahn-Hoek 2003), die Motivation für den Namen Gundulf in einer burgundischen Liaison in der Elterngeneration des Florentinus zu finden, hat keinerlei Basis in den Quellen, ist chronologisch schwierig und hat als Ausgangspunkt die Annahme, dass Namenwahl stets durch Verwandtschaft und nicht etwa durch Akkulturationsbedürfnisse bedingt wären. Dies aber ist eine petitio principii. Hybridität und Integration 97 trug der Bischof von Tours nun nach einem Großvater, dem Senator Georgius 32 aus der Auvergne; der zweite, fast wie ein gentilicium wirkende Name reproduziert den Namen des ebenfalls auvergnatischen Vaters Florentius; der dritte Name leitet sich aus der Familie der Mutter Armentaria ab, die selbst nach ihrer Großmutter benannt war: Deren Gatte, comes in Autun und 506/ 07-539 Bischof in Langres im regnum der Burgunder, hieß Gregorius. Dieser graecolateinische Name, der soviel wie ‚der Wachsame’ bedeutete, zugleich aber an bedeutende Kirchenlehrer wie Gregor von Nyssa oder Gregor von Nazianz erinnerte, 33 erfüllte aber auch - wie der Name seines Bruders Petrus († 574), der Diakon in Langres wurde - die Funktion eines bedeutungsvollen supernomen. Man war also in der Familie des Gregor von Tours an die Motiviertheit von Namen gewöhnt. Nun war es in der Linie seiner Mutter zu Beginn des 6. Jahrhunderts zu einem merkwürdigen Vorfall gekommen. 34 Der aus vornehmem romanischem Geschlecht stammende Florentinus, dessen Bruder mit programmatischem Namen Sacerdos Bischof von Lyon († 552) werden sollte, war ca. 513 zum Bischof von Genf gewählt worden. Da passierte der Gattin Artemia des electus das ‚Missgeschick‘, schwanger zu werden. Die Aspirationen des Prätendenten auf das Amt des episcopus waren damit gescheitert. Dem bald geborenen Sohn gab das Ehepaar in bewusster Reflektion, von der Gregor (Liber vitae patrum 8, 1) berichtet, in Anklang an künftig erwartete victoria den Namen Nicetius (zu griech. niké ‚Sieg‘). Nicetius wurde a. 552 der Nachfolger seines Onkels als Bischof von Lyon. Einem anderen Sohn, den ihm Artemia gebar, gab man den germanischen Namen Gundulf-us < *Gun ō-wulf-, was so viel heißt wie ‚Kampf-Wolf‘ (komponiert aus germ. *gun ō- ‚Kampf‘ und *wulfa-z ‚Wolf‘). Es war und blieb der einzige germanische Personenname in der genealogia Gregors von Tours. Warum gab das Paar Florentinus und Artemia in einer romanischen Familie des frühen 6. Jahrhunderts dem anderen Sohn (sicherlich bewusst) einen germanischen Namen, von dessen Bedeutung er durch bur- 32 Stroheker 1948 Nr. 175f.; PLRE III, 513f.; Heinzelmann 1983, 615; Heinzelmann 1994, 13. Der Senator dürfte bereits nach dem kappadokischen, auch in Gallien seit der Spätantike hochverehrten Heiligen benannt worden sein. Vgl. zum frühen Kult des hl. Georg Haubrichs 1979, 203ff.; 1984. 33 Stroheker 1948 Nr. 182; PLRE II, 179f.; Heinzelmann 1983, 563; Heinzelmann 1994, 17f. Der Zeitgenosse Venantius Fortunatus (Carmen V, 3, 9f.) gab jedoch auch eine lateinische ‚Etymologie’: nomine Gregorius, pastor in urbe gregis. 34 Vgl. zum Folgenden neben der Anm. 31 angezeigten Literatur auch Stroheker 1948, Nr. 161; PLRE III, 488; Coville 1928, 330; Favrod 1997, 482; Grahn-Hoek 2003. Wolfgang Haubrichs 98 gundische Freunde am Hofe gewusst haben wird, durch Sprecher des Burgundischen, die ihm auch die korrekte Komposition eines germanischen Namen vermitteln konnten? Ein Blick auf die Namengebung der burgundischen Königsfamilie der Gibichungen mag Aufschluss geben. 35 Sie kennt als wichtigstes Namenelement das Element *gun ō ‚Kampf‘: Namen wie die der a. 517 im burgundischen Rechtsbuch (‚Liber Constitutionum‘) zitierten Vorzeitkönige Gundo-mar und Gunda-har (samt ihrer in Versionen der Sage vom ‚Burgundenuntergang‘ genannten Schwester Gund-run), Namen der Könige des Rhônereiches wie Gundo-wech, mehrfach Gundo-bad, Gunde-gīsil und der vermutlichen Königstochter Gundtheuca, verheiratet mit dem merowingischen König Chlodomer (511-524), belegen dies. 36 Für die Wahl eines gund-Namen für den Sohn einer romanischen Oberschichten-Familie des burgundischen regnum gibt es zu dieser Zeit nur die Erklärung der gewollten onomastischen ‚Ansippung‘. Gundulf hat übrigens später, nach dem Zusammenbruch des Burgunderreichs a. 534, Karriere am merowingischen Königshof gemacht und ist noch a. 581 als domesticus und dux Childeberts II. belegt. 37 Es sei auch noch erwähnt, dass in der burgundischen Grafenliste von a. 517 auch ein Gunde-mundus und ein Gunde-ulfus erscheinen, letzterer präsent auch in der Zeugenliste der verfälschten Urkunde von a. 515 (? ) für St. Maurice d’Agaune. 38 Es gibt einen zweiten, nahezu gleichzeitigen, etwa um 500 zu datierenden Fall onomastischer Akkulturation im Burgundenreich, der freilich nicht so gut dokumentiert ist wie der vorhergehende. Nach der ‚Vita S. Domitiani‘ hatten der im Lyonnais zu verortende dux Latinus und seine Gattin Syagria einen Sohn namens Gondo-badus (‚Kampf-Krieger‘), komponiert mit dem vornehmlich in ostgermanischen Sprachen als Personennamen-Grundwort benutzten germ. *badwō (ae. beadu) ‚Kampf, Streit‘. 39 Dieser Spross einer romanischen Oberschichtfamilie wurde also nach dem a. 472/ 73 als patricius und als Neffe des magister militum Rikimer genannten Gundobad bzw. nach dem gleichnamigen und vermutlich mit 35 Vgl. hierzu die Übersichtstafel bei Kaiser 2004, 265. 36 Demnächst zu den einzelnen Namen Haubrichs [im Druck d]. 37 Gregor v. Tours, Historia Francorum VI, 11, MGH SS rer. Mer. I, 1, 281. 38 Reymond 1925, 6, 35ff.; Theurillat 1954, 57ff.; 81f. 39 Vita S. Domitiani, c. 15f., AASS Iuli I, 53. Vgl. Heinzelmann 1983, 619; Mathisen 1993, 135. Hybridität und Integration 99 dem patricius identischen burgundischen König Gundo-bad (476/ 77? -516) benannt. 40 Es ist übrigens zu betonen, dass in beiden Fällen verwandtschaftliche Bindungen, Einheiraten usw. die Namenmotivation nicht erkennbar beeinflusst haben. Das connubium wird freilich später eine große Rolle bei der Durchsetzung des germanischen Namensystems in der Romania spielen, wobei allerdings erneut die Frage offenbleibt, warum die onomastische Integration in dieser Richtung verlief. Für die Beantwortung dieser Frage geben freilich die nicht durch parentela provozierten germanischen Namen in romanischen Familien die stärkeren Hinweise. Freilich ist ebenso unabweisbar, dass abseits der über die germanische Militäraristokratie und die politisch motivierte onomastische Ansippung romanischer Oberschichtfamilien eingewanderten germanischen Namen zu diesem Zeitpunkt ein germanischer Personenname im 6. Jahrhundert durchweg noch die Zugehörigkeit zu einer germanischen gens signalisierte. Im Jahre 517 fand zu Epaone ein burgundisches Reichskonzil unter Teilnahme aller zum regnum gehörigen Diözesen statt. Alle Teilnehmer - und das gilt auch noch für die späteren burgundischen Synoden des 6. Jahrhunderts - trugen romanische Namen. 41 Die natürlichste Erklärung für diesen Umstand ist, dass Episkopat und Klerus zu dieser Zeit noch von der über Bildung verfügenden romanischen Oberschicht beherrscht wurden. Zum gleichen Jahr 517, in der burgundischen Rechtssammlung des ‚Liber constitutionum‘ des Königs Sigismund, besitzen wir eine wertvolle Liste der im burgundischen regnum agierenden und den Gesetzestext subskribierenden comites: 42 Agaunum a. 515 (? ) 1 Abcaris 2 Aunemundi 3 Unnani 4 Hildeulfi 5 Hildegerni 40 Vgl. Kaiser 2004, 52ff. Wahrscheinlich darf man auch für Theudericus, den Sohn des bretonischen comes Bodicus a. 577, onomastische Ansippung an das merowingische Königshaus annehmen - Theuderich (511-533) hieß ein Sohn Chlodwigs: Gregor v. Tours, Hist. Francorum V, 16, MGH SS rer. Mer. I, 1, 214. 41 Gaudemet / Badevant 1989, 108ff.; Haubrichs [im Druck c]; vgl. Gaudemet 1963. 42 von Salis 1892, 29ff.; vgl. Baesecke 1939, 247f. Wolfgang Haubrichs 100 6 Usgildi 7 Uualiste 8 Aunemundi 9 Andahari 10 Angathei 11 Auderici 12 Aunemundi 13 Uueliemeris 14 Conigiscli 15 Uuiliemeris 16 Coniarici 17 Uualaharii 18 Siggonis 19 Fredemundi Fredemundus comes 20 Uuenaharii 21 Uulfiae 22 Sigisuuldi 23 Suniae 24 Gundeulfi Gundeulfus comes 25 Gundemundi 26 Offonis 27 Uuidemeris Videmarus comes 28 Uuadamiris 29 Silvani 30 Fastile 31 Gome Von 31 Grafen des Burgunderreiches tragen 29 germanische Personennamen, einer einen romanischen (Nr. 29 Silvanus) 43 , ein weiterer (Nr. 1 Abcares) gehört wohl einer Schicht an, die weder als germanisch noch als romanisch zu klassifizieren ist. 44 Man kann diesen Befund im Vergleich mit der Synodalliste von Epaone nicht anders interpretieren denn als Zeichen der Germanizität der weltliche Funktionen tragenden Oberschicht des burgundischen regnum. Die Mehrzahl der Grafennamen ist lautlich bzw. nach der Lexik der Namenelemente ostgermanisch, doch gibt es auch mindestens zwei der Lautform nach westgermanische Namen (Nr. 43 Silvanus könnte natürlich dennoch germanischer Herkunft sein; man denke an den fränkischen magister militum Silvanus von 352/ 55 (vgl. o. Anm. 6). 44 Reichert 1987, 7 hält den Namen wenigstens für „möglich germanisch“. Hybridität und Integration 101 18 Siggo, Nr. 26 Offo), die z. B. den eindeutig westgermanischen, im Bereich der Franche-Comté bzw. östlich Dijon siedelnden Gruppen von (C)Hamaven bzw. Hattuariern angehören könnten, die ihre Spuren in den Landschaftsnamen Amou und Atuyer hinterlassen haben. 45 III. Integrationsprozesse und ihre Indikatoren Beide Namensysteme, das lateinisch-romanische und das germanische, trafen sich in der Spätantike im Prinzip der grundsätzlichen Einnamigkeit. Wie an der Genealogie Gregors von Tours zu sehen war, baute sich das komplexe römische Namensystem bis zum 6. Jahrhundert auf der Grundlage der oft christlich oder allgemein ethisch programmatischen supernomina und signa zur Einnamigkeit ab. 46 Gregor hat formal drei Namen, aber in Wahrheit ist es eine Serie von drei Einzelnamen, ansonsten memoriert er für seine Familie stets nur einen Namen. Das germanische Namensystem kannte nur die Einnamigkeit - entweder bithematische (zweistämmige) Namen vom Typ Gun ō-badwa-z ‚Kampf-Krieger‘, also Kompositionen, oder monothematische (einstämmige, mit Suffixen abgeleitete) Namen vom Typ Fast-ila, a. 517 comes in Burgund (zu germ. fastu- ‚fest, hart‘) -, die anfangs durchweg eine Bedeutungskomponente besaßen. 47 Eine onomastische Reaktion der sich allmählich mischenden Gesellschaften war die Vergabe von Doppelnamen, einen romanischen und einen germanischen. So hieß Ostrogotho, Tochter Theoderichs des Großen (493-526) und einer Konkubine, die spätere Gattin des Burgundenkönigs Sigismund, auch Areagnis, 48 d. h. Ariadne nach der Helferin des Theseus bei seinem siegreichen Kampf gegen den stierköpfigen, menschenfressenden Minotaurus im Labyrinth, der dem Christentum als Typus des Teufels galt. 49 In der burgundischen Namengebung lässt sich die Praxis auch nachweisen. 50 45 Vgl. Chaume 1931, II, 3, 895ff., 1244ff.; Haubrichs 2004a; 2006b; [im Druck e]. 46 Vgl. o. Anm. 3 mit Lit.; Heinzelmann 1977; Barnish 1988, 148f.; Mitterauer 1993, 83ff.; ferner für die Lande zwischen Maas und Rhein und das bairische Gebiet südlich der Donau (Raetia secunda, Noricum) Listen bei Gauthier 1975; Haubrichs 1998b, 385- 396; 2006e, 451-465. 47 Vgl. zur Bedeutsamkeit früher germ. Namen Schramm 1957; Haubrichs 2004b; 2005. 48 Reichert 1987, 538; Kaiser 2004, 58. 49 Vgl. Haubrichs 1980; Kern 1982; Tiemann 1992. 50 Möglicherweise liegen die Wurzeln der Doppelnamen schon in der Spätantike, etwa im Bereich der Namen-signa wie Volusianus signo Lampadius, spätes 4. Jh. (Cameron Wolfgang Haubrichs 102 In der Anfang des 7. Jahrhunderts entstandenen ‚Vita S. Treverii‘ tritt um a. 602 eine Grundbesitzerin nomine Epiphania sive Emenone, eine illustris sanctimonalis aus dem nordöstlich Lyon im „pays de Dombes“ gelegenen Saint Trevier-sur-Moignans (Dép. Ain) in Erscheinung, 51 die neben dem am christlichen Erscheinungsfest (6. Januar) orientierten romanischen Namen noch den burgundischen Namen Emeno < *Emmino (mit Assimilation [rm] > [mm] zu germ. *ermana- ‚allumfassend, groß, erhaben‘), der sich mit dem fem. Suffix -o (n-Deklination) eindeutig als ostgermanisch zu erkennen gibt. 52 Das „pays de Dombes“ gibt sich durch zahlreiche spezifische Siedlungsnamen als frühe burgundische Siedlungsinsel zu erkennen. 53 In der bedeutenden Kapitale und Königsresidenz Vienne (Isère), die stets zutiefst romanisch geprägt blieb, 54 erscheint a. ± 543 urkundlich eine Remila filia vocabulo Eu-genia, Nonne und später Äbtissin in Saint-André. Sie ist Tochter eines Paares namens Ansemundus und Ansleuba, die typisch germanische Namen tragen, während die Tochter sowohl einen romanischen, eigentlich graecolateinischen Namen mit dem Sinn ‚die Wohlgeborene‘ als auch einen formal westgermanischen Namen (mit fem. -a, n- Deklination) trägt. Remila, mit vulgärlat. Senkung [i] > [e] < *Rimila, stellt sich zu germ. *rim-, Kurzform zu *rimis- (vgl. got. rimis n. ‚Ruhe, Stille‘, fehlt in anderen germ. Sprachen). Dieser Stamm kommt - sowohl in Langals auch Kurzform - ebenso ostgermanisch wie auch westgermanisch vor, jedoch für die Zeit bis 700 mit auffälliger Häufung in ostgermanischen Sprachen. 55 Das christliche supernomen Eu-genia hat dagegen seine Parallele in dem graecolateinischen Namen Eu-bona der Tante (Vaterschwester), einem hendiadioynartigen Hybridnamen aus gr. eu- und 1985, 172) oder zweisprachiger Doppelungen wie Gundeberga qui et Nonnica a. 570 (Kajanto 1966, 27), auch Übersetzungen wie Hermes qui et Mercurius (Solin 1990, 29ff.; 2002, 14f.). Im burgundischen Bereich gibt es mehrere Fälle solcher ‚Doppelnamen’, z.B. der des Calomniosi cognomento Aegylanis, a. 585 Heerführer König Gunthrams in der Provence (Gregor v. Tours, Hist. Franc. VIII, 30, MGH SS rer. Mer. I, 396), a. 601/ 02 auch Aegyla patricius (Fredegar IV, 21, MGH SS rer. Mer. II, 129). Vgl. zur Entwicklung der Doppelnamen noch Geuenich 1978; Mitterauer 1993, 83ff.; Trapp 2006. 51 Vita S. Treverii III, 12, AA SS Jan. II, 399. Vgl. Haubrichs [im Druck f]. 52 Braune / Heidermanns 2004, § 111f. Vgl. Haubrichs 2003, 230f.; 2006 e, 296f. 53 Vgl. Haubrichs [im Druck f]. 54 Vgl. das Gefälle zwischen weit überwiegenden romanischen PN in Vienne und Lyon und weit überwiegenden germanischen (burgundischen) PN in den vici des Umlandes für die Inschriften bei Haubrichs [im Druck c]. 55 Haubrichs 2003, 230f. Hybridität und Integration 103 lat. bonus, jeweils ‚gut‘ bedeutend. 56 Die Romanität der Familie dürfte also zumindest väterlicherseits bis in die Generation der Großeltern zurückreichen. Diese romano-germanischen Doppelnamen erscheinen im 8./ 9. Jahrhundert auch in der Mischgesellschaft Ostbayerns: 57 8. Jh. Sedulius sive Ilarlih (Niederaltaich) 8. Jh. Paulus sive Reidgaer (Niederaltaich) 8. Jh. Vito sive Walloth (Niederaltaich) a. 820/ 21 Magantia seu Cundwiha (Regensburg) Bei günstiger Überlieferung lassen sich gelegentlich auch die onomastischen Folgen einer Verbindung mit einem Träger oder einer Trägerin eines germanischen Personennamen ausmessen. Wieder wird man mit regional verschiedenen Typen von Verhalten rechnen müssen: Für das späte 6. Jahrhundert überliefert die Vita des Bischofs Desiderius von Cahors (630-655) einen solchen Fall. Salvius, aus dem Gebiet von Albi und wohl senatorischer Abkunft, heiratete etliche Jahre vor 590 eine Herchenefreda < *Erkana-frida- (in romanisierter Schreibform mit unechter h-Prothese und vulgärlateinischer Senkung von [i] > [e] zu westgerm. *erkana- ‚echt, edel‘ + fri ū- ‚Friede‘) mit germanischem Namen, dessen Erstelement stark in fränkische bzw. angelsächsische Zusammenhänge, also auf jeden Fall nach Norden weist. 58 Sie stammt von parentes honestissimi ab und zeichnet sich apud Gallicanas familias prae ceteris gratia generositatis aus; 59 man darf an adlige Abstammung denken. Das Paar hat 3 Söhne und 2 Töchter: Siagrius, Rusticus, Desiderius, Avita und Selina. Der Sohn Siagrius, der wiederum die mit germano-romanischem Hybridnamen gerüstete illustrissima puella Albige indigena nomine Berto-lena heiratet, wird comes von Albi und praefectus von Marseille. Rusticus wird ca. 623/ 24 Bischof von Albi, sein Bruder Desiderius folgt ihm nach seiner Ermordung auf den Bischofsstuhl im Jahr 630. Festzuhalten bleibt, dass keines der Kinder trotz der respektablen Abkunft der Mutter einen germanischen Namen trägt. Man hat deshalb wohl zu Recht auf „ein römisch- 56 Zu Parallelen in der lateinischen Onomastik, den semantisch aufgeladenen „noms de bon augure“ vgl. Gauthier 1975, 82 ff.. 57 Haubrichs 2006e, 428. 58 A. Schorr, in: Goetz / Haubrichs 2005, 138ff. 59 St. Patzold, in Goetz / Haubrichs 2005, 141ff. Wolfgang Haubrichs 104 senatorisches Adelsbewusstsein“ der Familie geschlossen, 60 das vorrangig blieb. Es gilt auch festzuhalten, dass wir mit dieser Familie onomastische Verhaltensweisen Aquitaniens, des Südens fassen, die man nicht ohne weiteres auf den fränkischen Zentralraum des 6./ 7. Jahrhunderts übertragen darf. Hier und in dieser Schicht gelten zu diesem Zeitpunkt noch ähnliche mores, wie sie im 4./ 5. Jahrhundert bei der Assimilation der Familie des Stilicho sichtbar wurden. Das sah im Burgundenreich schon etwas anders aus. Schon oben war die um 540 fassbare, onomastisch gemischte Familie des Ansemundus von Vienne, seiner Schwester Eubona, seiner Gattin Ansleuba und der Tochter mit dem Doppelnamen Remila Eugenia anzusprechen. Dies ist kein Einzelfall: in Lyon trifft man um die Mitte des 7. Jahrhunderts den Bischof Aunemund(us) < *Awjan-munda- ‚Hüter des Heils‘ mit eindeutig germanischem und in der gens Burgundionum seit dem 5. Jh. mehrfach belegtem Namen, nach seinem Epitaph nobilis, dessen Eltern Sigo (westgerm. Namenform; vgl. oben den comes Siggo von a. 517) und Petronia (romanische Ableitung zu Petrus) heißen, der aber nach seinen ‚Acta‘ eindeutig natione tamen Romanus bezeichnet wird, d. h. aber auch, dass in der Formulierung der Quelle (tamen) noch das Bewusstsein durchschimmert, dass ein etymologisch germanischer Personenname eigentlich Germanizität des Trägers signalisiert. 61 Bei romanischen Familien des fränkischen Nordens lässt sich aber auch der Vorgang der onomastischen Germanisierung beobachten: Ein adliges Paar romanischer Abstammung aus Ivoy (Carignan, F, Ardennes) mit Namen Gaudentius und Austatiola haben einen Sohn, dem sie den germanischen Namen Gauge-ricus (frz. Géry), romanisiert < *Gawja-rīka- ‚Herrscher im Gau‘ geben und der später Bischof von Cambrai (ca. 586- 625) wurde. 62 Doch zeigt sich auch hier eine Art hybrider romanischer Kontinuität: Das Erstelement Gaugedes germanischen Personennamen ist um 700 lautlich nahezu gleich mit der Basis des Vaternamen, vlat. 60 Ebd. 142. Die ‚Vita S. Treverii’ (AA SS Januar II, 33-35) kennt um 610 einen wohl analogen Fall aus Lyon: Vigofredus, verheiratet mit Marcella, hat eine Tochter, die romanisch Gallinia benannt wurde. Vgl. Haubrichs [im Druck f]. 61 Vgl. Coville 1928, 366ff.; Descombes 1985, 735; Amory 1993; 1994; ferner: Chartae Latinae Antiquiores XIII, Nr. 558. 62 St. Patzold, in: Goetz / Haubrichs 2005, 152ff. Vgl. zur ‚doppelten Interpretation’ von Namen Haubrichs 2004b, 101; 2004c, 193f. Ein weiterer interessanter Fall des 6. Jhs. bietet sich mit Medardus < *Meda-hard-, Bischof des Vermandois, Sohn des Nectardus (mit rom. germ. Hybridnamen) de forte Francorum genere und Protagia ... Romana (Heinzelmann 1982, 651). Hybridität und Integration 105 gaudiu- > *gauia > *jauia > afrz. joie ‚Freude‘, 63 so dass man von einer doppelten Interpretation sprechen kann, welche auch die Anknüpfung an die Generation der Eltern ermöglichte. Es existierten jedoch auch Regionen und gentes, in denen selbst auf romanischem Boden die Germanizität der Namenbildung recht lange beibehalten wurde. Gut kann man das im regnum der Langobarden beobachten, wo die Oberschicht den Verwandtschaft und Identität einer genealogia anzeigenden Gesetzen germanischer Namengebung bis ins 8. Jahrhundert konservativ folgte. Ein instruktives Beispiel liefert der Stammbaum der sog. ‚bairischen‘ Dynastie langobardischer Könige: 64 Diese aus Baiern kommende und sich letztlich auf das bedeutsame Geschlecht der Agilolfinger 65 zurückführende Dynastie etablierte sich Ende 63 Vgl. Wolf / Hupka 1981, § 72, 140b; A. Schorr / Ch. Jochum-Godglück, in: Goetz / Haubrichs 2005, 148f. 64 Haubrichs, 2004b, 104f.; Haubrichs 2005, 87f. Vgl. auch die leider im onomastischen Bereich oft unzuverlässige bis schiefe Arbeit von Scardigli 2005, 468f. 65 Jarnut 1982, 55-65; Haubrichs, 2004b, 105 mit Anm. 64 [Lit.]; 2006c, 62 Anm. 11. Wolfgang Haubrichs 106 des 6. Jahrhunderts in Italien und gewann 653 das Königtum, mit Haripert, dem Sohn des dux Gundoald von Asti († 612). Gundoald wiederum war Sohn des als dux, aber auch als rex Baioariorum bezeichneten Gari-wald (so in fränkischen Quellen), Gari-bald. Während in der Familie der Schwester Gundoalds, Theodolinda und in der durch matrimonium verbundenen Familie des dux Grimoald von Benevent das ‚bairische‘ Erbe der Namen auf *-walda ‚Herrscher‘ mittels der typisch germanischen Sitte der Variation von Generation zu Generation (in Gari-wald, Gund-(o)ald, Adal-oald) und die ebenso typische Bindung der Namen im Stabreim auf g (Gariwald, Gundoald, Gundiperga) weiter gepflegt werden, vollzieht der dux von Asti offensichtlich einen Wechsel des Namenbrauchs auch durch Variation -, dem man Bewusstheit unterstellen muss. Die Namen weisen nun das Namenelement *-berhta- (langobardisch -pert) ‚glänzend, berühmt‘ auf, vorwiegend als Zweitelement: 2 x Hari-pert ‚im Heer berühmt‘ Gode-pert ‚bei Gott berühmt‘ 2x Ragin-pert ‚im Rat berühmt‘ Cuni-pert ‚in der Sippe berühmt‘ 66 Luit-pert ‚im Volk berühmt‘ Gun(d)pert ‚im Kampf berühmt‘ Einmal erscheint auch die Konversion der Namenelemente: 67 Perct-, Perht-hari ‚berühmter Heerkrieger‘, was die Intentionalität des onomastischen Brauchtumswechsels nur unterstreicht, dessen Folgen sich mehr als ein Jahrhundert lang fassen lassen. Signalisiert der Wechsel der onomastischen mores etwa den Versuch, eine neue, eine langobardische Identität der ‚bairischen‘ Dynastie aufzubauen? 68 Germanischer Namenbrauch wird im langobardischen Adel bis ans Ende des regnum a. 774 und wohl auch bis zum Ende der langobardischen 66 König Cuni-pert hat seinen Namen selbst auf Münzen und offiziellen Inschriften bedeutungsvoll in Cuninc-pert ‚als König berühmt‘ transferiert und seine Tochter Cuninc-perga ‚Berge, Schutz des Königs‘ benannt. Vgl. Haubrichs 2005, 92 Nr. 16f.; auch Scardigli 2005, 468ff. (mit teilweise schiefer bzw. irriger Erklärung). 67 Haubrichs 2004b, 105 mit Anm. 65. 68 Vgl. Haubrichs 2004b, 104f.; 2005, 87f. Hybridität und Integration 107 Sprache geübt. Noch in der Familie des letzten langobardischen Königs Desiderius ist dies so: 69 Die Familie ist schon stark von romanischem Namengut (Verissimus, Desiderius, Desiderata, Domnolus < *dom[i]nus plus Diminutivsuffix) bestimmt, und doch lässt sich zunächst einmal - über die Grenze der Sprachen hinweg - die Verwendung der germanischen Stabreimbindung (auf d) beobachten, dann aber auch die Tradierung des bei den Langobarden beliebten Namenelements *-gīs 70 in Are-chis, Adhel-gis, und schließlich die eindeutige Rezeption des aus der Familie der Gattin des Königs Ansa (und ihrer cognata Ans-ilda) kommenden Namenelements *ansu- (hier wohl in verchristlichtem Sinne bereits als Ausdruck des ‚Heiligen‘ oder auch des ‚Heroischen‘) 71 im Namen der Tochter Ansil-berga (hier mit Stammerweiterung), 72 dazu die Variation des femininen Zweitelements berga ‚Berge, Schützerin‘ bei Liut-berga. 69 Haubrichs, 2005, 91. Eine ähnliche Mischnamengebung hat die mit ‚senatorischen’ Namen gerüstete Familie des Albinus und seiner Kinder Liceria und Senator, der letztere verheiratet mit Theode-linda (a. 714), wobei die Eltern ihre Tochter Sinde-linda einem Kloster in Pavia übergeben, samt Verwandtem Burnenghus und dessen Tochter Ade-linda, Kirchenstiftern in Pavia und Piacenza (CDL I, Nr. 18; Barnish 1988, 154f.). 70 Haubrichs, 2005, 85. 71 Jordanes, Getica, MGH AA V, 76. So nannte man proceres suos [der Goten], quorum quasi fortuna vincebant, non puros homines, sed semideos id est Ansis … Bei der Aufzählung ihrer Namen heißen sie heroes. Vgl. Kuhn 1973. 72 Vgl. Haubrichs 1997; 2005, 91ff. Wolfgang Haubrichs 108 IV. Semantische Annäherung und Hybridität Es ist schon gesagt worden: Das frühe Mittelalter ist ein Zeitalter der Einnamigkeit, bei den germanischen gentes ohnehin und zunehmend auch bei den Romanen in der Italia und der Gallia, die immer häufiger nur noch oft Heil verheißende, christliche Werte signalisierende, christliche Heilsträger nachahmende cognomina tragen: 73 Adeodatus, Sperandeo, Theodulus ‚Gottesknecht‘, Deodonatus, Quodvultdeus, (Venantius) Fortunatus, Felix, Dulcissimus, Anastasius ‚der Auferstandene‘, Paschasius ‚der Österliche‘, Dominicus ‚der zum Herrn Gehörige‘, Ferrocinctus ‚der (als Asket) mit Eisen Umgürtete‘, aber auch Martinus, Laurentius, Petrus etc. nach bekannten Heiligen. Gewiss ist die primäre Funktion eines Namen die der Identifizierung eines Individuums in einer Gruppe, doch zeigen schon die Tendenzen der romanischen Namengebung, die sich vom antik-römischen System abwendet, dass der Name als Identitätsträger einer Person sich zunehmend auch Aspekten der Bedeutung öffnete. 74 Diese Aspekte konnten von Namen u. a. deshalb aktualisiert werden, weil sie aus Wörtern der Gemeinsprache (Appellativen) gemacht sind, so dass, wenn diese Bildungsweise noch semantisch durchsichtig war, die Bedeutung der Appellative den Namen zu motivieren vermochte und für die Kommunikationsgemeinschaft sogar ,sprechend‘ werden lassen konnte: z. B. eben Adeodatus ‚der von Gott Gegebene‘. In der Katakombe von Monteverde findet sich eine jüdische Inschrift des 3. Jahrhunderts mit einem Wortspiel: Benedicte Maria vere benedicte, matri et nutrici … Heikki Solin hat 1986 gezeigt, wie sich in diesem Wortspiel mit sprechendem Personennamen der gleitende Übergang zwischen Appellativ und Name vollzieht. 75 Dass Benedictus wie andere spätlateinische ,Wunschnamen‘ appellativisch empfunden wurde, zeigt auch, dass sich daran keine Suffixbildungen (etwa auf -inus, -olus, -osus etc.) knüpften. In den germanischen Namensystemen spielen die ,Kampftiere‘, vor allem *wulfa- ‚Wolf‘, *ebur- ‚Eber‘, *bero- ‚Bär‘, *arn- ‚Adler‘, *hrabna- ‚Rabe‘ eine große Rolle. 76 Es handelt sich zweifellos um eine onomastische Konsequenz der adligen Kriegergesellschaft. Man nimmt geradezu eine in diese Namen einprogrammierte Identifizierung der Krieger mit dem aggressiven Tier an: *Wulfa-harja- ‚Wolfskrieger‘, *Wulfa-ganga- ‚der als Wolf 73 Vgl. Bergh 1941, 188ff.; Gauthier 1975, 84ff.; Mitterauer 1993, 86ff.; Kajanto 1997, 108ff.; Haubrichs 2004b, 85f.; Soulet 2005, 334ff. 74 Vgl. Haubrichs 2004b, 85 Anm. 1 [Lit.]; ferner o. Anm. 5. 75 Solin 1986; vgl. Haubrichs 1975; 1995; 2004 b, 87 mit Anm. 11. 76 Vgl. Schramm 1957, 77-83; Beck 1986. Hybridität und Integration 109 geht‘. Nun hat man auch festgestellt, dass seit der Spätantike auch im romanischen Bereich Namen wie Ursus, Lupus, Aper, Leo und ihre Ableitungen zunehmen. 77 Wie diese semantische Annäherung der Namensysteme auf der Grundlage ähnlicher gesellschaftlicher Bedingungen auch in einer merowingischen Familie der Führungsschicht sich konkret ausformuliert, zeigt das Beispiel des Lupus, a. ±581 dux der Champagne mit seinen Söhnen Magn-ulfus < *Magan-wulfa- ‚Macht-Wolf‘ (hybrid auch als mit magno ‚groß‘ zusammengesetzt interpretierbar) und Rom-ulfus < *Hrōma-wulfa- ‚Ruhm-Wolf‘ (hybrid auch als mit Roma ‚Rom‘ zusammengesetzt interpretierbar). 78 Eine zweite Ebene der Annäherung, ja der Interferenz zwischen germanischen und romanischen Namensystemen wird - übrigens bei verschiedenen gentes zu verschiedenen Zeiten - mit den Hybridnamen erreicht. 79 Sie entstehen in zwei morphologischen Erscheinungsformen, einmal in Übereinstimmung mit germanischen Bauprinzipien (etwa der Komposition) zum anderen in Übereinstimmung mit romanischer Bildungsweise (etwa mit romanischen Suffixen). Wenden wir uns zunächst den romano-germanischen Hybridnamen, Zusammensetzungen aus einem romanischen Erstglied und einem germanischen Zweitglied zu. Sie erscheinen, von der Loiregegend ausgehend, in der Galloromania seit dem 6. Jahrhundert. Man kann diese Tendenz gut an zwei Beispielen aus dem Bereich der ,Kampftiere‘ aufweisen: 80 rom. urso- ‚Bär‘ in PN wie Ursus, Ursio, Ursinus, Ursicinus, Ursula etc.: a) Urse-bertus, Isle-Barbe, Lyon, Mönchsliste unter Bischof Leidrad von Lyon (MGH Libri Confraternitatum II 367) < *berhta- ‚glänzend, berühmt‘; b) Urso-berthus, 2. H. 7./ 8. Jh., Censuale, Abtei St. Martin, Tours < *berhta-; c) Ursi-mano (Obliquus), Ste. Croix, Meaux, Mönchsliste unter Bischof Wolfram, a. 757-769 (MGH Libri Confraternitatum II 274) < *-man, das fast suffixgleich gebraucht wird; 77 Vgl. Gauthier 1975, 89f.; Jochum-Godglück [im Druck a]; [im Druck b]. 78 Gregor v. Tours, Hist. Francorum X, 19, MGH SS rer. Mer. I, 510-513. Auch Venantius Fortunatus verwendet gegenüber Bischof Magnerich von Trier (a. ± 568) den Anklang an magnus (MGH Epp. Mer. I, 3, Nr. 14, 128f.): … bone Magnerice … Nominis auspicium magne canende tuo … . 79 Vgl. Francovich Onesti 2004; Haubrichs 2004c. 80 Haubrichs 2004c, 189, 191. Wolfgang Haubrichs 110 d) VRSO-MERI, Münzmeister zu Rodez unter Childebert II. (575-595) < *-mærja- ‚berühmt‘; e) Urse-ram, Hornbach (Pfalz, ZW), Mönchsliste unter Abt Wirundus, 8. Jh. (MGH Libri Confraternitatum II 344) < *Ursu-hrabna- (zu germ. *hrabna- ‚Rabe‘); f) Urso-mund[us], 2. H. 7./ 8. Jh., Censuale, Abtei St. Martin, Tours < *-munda- ‚Beschützer, Herrscher‘; g) Urs-ulfus, ein caecus [ … ] ex Turonica civitate de pago trans Ligerim, a. 574/ 75 (Gregor v. Tours, De virtutibus S. Martini II, c. 13, MGH Scriptores rerum Merovingicarum I 613) < *Urso-wulfa-; h) VRS-VLFO, 6./ 7. Jh., Münzmeister tätig in der Diözese Limoges zu BRECIACO (Bersac, Hte. Vienne) und FERRUCIACO (St. Étienne de Fursac, Creuse). rom. *lupo- ‚Wolf‘ in PN wie Lupus, Lupinus etc. a) Lobo-bertus, 2. H. 7./ 8. Jh., Censuale, Abtei St. Martin, Tours < *-berhta- ‚glänzend, berühmt‘; b) Lopa-charus, Bischof von Embrun, a. 614 < *Lupo-harja- ‚Wolfs-krieger‘ (mit rom. Lautersatz [k], geschrieben <ch>, für germ. [x]; c) LOBO-SINDVS, 6./ 7. Jh., Münzmeister in königlichen Diensten < *swin a- ‚kräftig‘; d) Lup-oaldo (Obliquus), Konzil von Reims a. 624/ 25 unter überwiegend südfranzösischen Bischöfen auch Lupoaldo Magonciacensi (Mainz? ) < *-walda- ‚Herrscher‘ e) Lop-olf, Salzburg, 8. Jh. (Verbrüderungsbuch) < *Lupo-wulfa-. Hybridität und Integration 111 Wolfgang Haubrichs 112 Die Karte der Hybridnamen in der Gallia zeigt, dass sie am frühesten, im 6. und 7. Jahrhundert, im aquitanischen Bereich, im Rhône-Raum und in der Trierer Region, also in Zentren der erhaltenen Romanität aufscheinen. 81 Sie dürfen also als Zeichen der Auseinandersetzung romanischer Sprecher mit dem germanischen Namensystem gewertet werden. Es ist vielleicht sogar zu fragen, ob sie nicht sogar als Anzeichen eines sich auflösenden germanischen Namensystems und des Aussterbens germanischer Sprache(n) in den betreffenden Regionen genommen werden müssen. Dafür spricht auch der Befund in der langobardischen Italia, wo die romano-germanischen Hybridnamen erst im 8. Jahrhundert, in der letzten Phase des langobardischen regnum und der langobardischen Sprache, 82 erscheinen. Es lassen sich ungefähr 19 aus romanischen Personennamen abgelöste Elemente benennen: 83 1) *Aur(o)- < Aureolus etc. ab a. 720 2) *Bon(i)- < Bonifatius ab a. 713/ 14 3) *Clar(i) < Clarissimus etc. a. 768/ 74 4) *Dav(i) < David a. 773 5) *Domn(i) < Domnulus etc. a. 761 6) *Dulci- < Dulcissimus etc. ab a. 761 7) *Firm(i) < Firmatus etc. a. 772 8) *Flavi- < Flavius a. 750 9) *Flori- < Florinus etc. ab a. 720 10) *Fusc- < Fuscolus ‚der Dunkle‘ a. 769 11) *Luci- < Lucius ab a. 715 12) *Luni- < Luniatus etc. a. 760 13) *Lup(i) < Lupus ab a. 752 14) *Naz(i)- < Nazarius a. 745 15) *Petron(a)- < Petronius a. 742 Spoleto Petrona-xildus < *-gild- 16) *Plac(e)- < Placidus etc. a. 721/ 44 17) *Rond(i)zu lat. rotundus ab a. 769 18) *Silv(e) < Silvanus etc. ab a. 718/ 58 19) *Urs(i)- < Ursus etc. a. 772 81 Haubrichs 2004c, 195. 82 Vgl. zur Lebensdauer des Langobardischen Haubrichs 2005, 70-72; [im Druck a]. 83 Haubrichs 2004c, 182f. Vgl. auch Hinweise bei Wickham 1981, 68-70. Hybridität und Integration 113 Die Grundwörter der Namenkomposition sind - nach der Häufigkeit geordnet - westgerm. *-berht- ‚glänzend‘ (25), *-wald- ‚Herrscher‘ (11), *-gis- ‚Pfeil‘ (9), *-berga ‚Berge, Schutz‘ fem. (4), *frid- ‚Friedenswahrer‘ (4), *-hari ‚Heerkrieger‘ (4), *-brand- ‚Schwert‘ (3), *-rich- ‚mächtig‘ (3), *-funs- ‚rasch‘ (2), *-mund- ‚Schutz‘ (2), *-rād- ‚Rat‘ (2), *-swinda- ‚Kraft‘ fem. (2), *-gauz- ‚Gote‘ (1), *-geld- ‚Vergelter‘ (1), *-gunda- ‚Kampf‘ fem. (1), *-hard- ‚fest, stark‘ (1), *-thewa- ‚Diener‘ (1), *-thrudi- ‚Stärke‘ fem. (1), *-wulf- ‚Wolf‘ (1) Diese typisch germanischen Kompositionen sind, da in ihnen wie in allen germanischen Zusammensetzungen determinativer Natur das Grundwort entscheidet, das stets germanisch ist, langobardische Bildungen und zeigen die Stärke des langobardischen Sprachgefühls und die Akkulturation an die Romanen zugleich. Es war eben im 8. Jahrhundert gerade noch möglich, dass romanische Namenelemente in das germanische Namensystem aufgenommen wurden. 84 In gewissem Gegensatz dazu, aber grundsätzlich ebenfalls aus sprachlichen Kontaktsituationen erwachsen, stehen die germano-romanischen Hybridnamen, in denen von germanischen Namenelementen mit einem romanischen Suffix nach romanischem Muster neue Namen gebildet wurden. So verbreiten sich - im Einzelnen noch nicht genügend erforscht - seit dem 6. Jahrhundert aus dem Süden des Frankenreichs und Aquitanien kommend Namen mit dem Suffix -lenus, -linus wie Walda-lenus (zu *walda- ‚Herrscher‘) oder Chramne-lenus (zu *hrabna- ‚Rabe‘). 85 Das Suffix ist vermutlich entstanden aus ‚falscher‘, aus mangelndem germanischem Sprachgefühl entstandener Abtrennung germanischer Namenstämme, die auf [-l] enden, z. B. Wandal-inus > Wanda-linus. Später wurde das so neu gewonnene Suffix auf andere germanische und romanische Namenelemente angewandt, z. B. bei Draco-lenus zu lat. draco ‚Drache‘. Denken ließe sich die Entstehung des Suffixes auch aus ursprünglich romanischer Doppelsuffigierung mit -ulus, -olus und -inus, -enus bei romanischen Namen. In der langobardischen Italia war das Suffix -ulus, -olus in Unter- und Mittelschichten gut verbreitet, 86 jedoch erst seit dem 8. Jahrhundert, wo es 84 Arcamone 1997, 174f. Vgl. auch Morlicchio 1990, 111ff.; Francovich Onesti 2004, 206ff. Die dort genannten, vor das 8. Jh zurückgehenden Hybridnamen können alle auch aus dem Langobardischen erklärt werden. 85 Vgl. Haubrichs 2000b, 107, 127 [mit Lit.]; 2002, 15 mit Anm. 97. 86 Francovich Onesti 2000. Das Suffix begegnet auch im Süden Galliens recht häufig. Ein Beispiel, das bisher nicht richtig analysiert wurde, findet sich für das 7. Jh. in Lyon inschriftlich: Magencola, Tochter des Gaudentinus, ist nicht mit einem dubiosen Wolfgang Haubrichs 114 natürlich an romanische Namen wie Lupus, a. 761 Lop-ulo antritt, aber auch schnell an Namen germanischer Provenienz wie a. 730 in Siena bei Alfred-ulo, Gad-ulo, Mirang-ulo, Franc-ulo, 87 oder wie a. 752 in Sovana Arnifrid mit dem supernomen [ … ] Arn-ucci-olu, bei dem das hypokoristische Suffix -uccio zum Erstelement Arn- ‚Adler‘ hinzukommt. 88 Man sieht auch, dass der offizielle Name eine gut germanisch-langobardische Prägung ist, während das supernomen romanisch gebildet ist. Andere romanische Suffixe herrschen in anderen Regionen, so das (ursprünglich superlativische) Suffix -is(si)ma in Lothringen (etwa Remiremont), 8./ 9. Jahrhundert Theud-isma, Leud-isma etc.; 89 ebenso in der Ilede-France (etwa Saint-Germain-des-Prés) im frühen 9. Jahrhundert Aderisma, Agled-r-isma, Erment-isma etc. 90 V. Quantitäten der Rezeption germanischer Namen Eine wichtige Vorfrage bei der Interpretation der Durchsetzung germanischer Namen in der Romania ist die Frage nach dem ‚Wieviel‘. Zu welcher Zeit zeigen sich in welchen Regionen welche Quantitäten von germanischen Personennamen? Für die quellenarme Merowingerzeit (6./ 7. Jh.) wird wohl einmal die Datenbank des ‚Nomen et gens‘-Projekts diese Frage beantworten können. Doch sind wir auch jetzt im Besitz von einigermaßen statistisch relevanten Quellen, z. B. der Bischofslisten der Gal- Suffix *-cola zu segmentieren, sondern als germ. Maginc + rom. Suffix -ula, -ola. Die graphische Wiedergabe von germ. [g] als <c> im Suffix -ing begegnet häufig auch im Polipticum von Saint-Victor in Marseille (a. 814). Vgl. Descombes / Reynaud 1978, 290f. Nr. 3. 87 CDL I Nr. 50 (a. 730 Siena). 88 CDL I Nr. 104 (a. 752 Sovana). Vgl. auch das Heer von -ulo-Namen in CDL II, Nr. 154 a. 761 Lucca. Die ‚Passio SS. Victoris et Ursi‘, auf Genf bezüglich, enthält eine wohl auf Genfer Lokalüberlieferung zurückgehende hypokoristische, mit germ. Suffix -iso und rom. Suffix -ulus zugleich operierende Namenform Gundisolus für einen der burgundischen Könige auf Gund-, vermutlich Gundo-bad († 516). Vgl. Lütolf 1871, 174. 89 Förstemann 1900, 1416, 1033; vgl. Haubrichs 2000 b, 107 [mit Lit.]. Weitere Suffixe finden sich z. B. zahlreich in den Nonnenlisten der Abtei Remiremont des 8./ 9. Jhs., z. B. -imia, wohl < -isma (Ger-imia, Bald-imia), -atia (Wolf-azia), -ivia (Bib-ivia, Dom-ivia), -ispa (Eb-ispe, Deod-ispa), -genia (Ebre-genia, Uulfi-genia), aus Namen wie Eu-genia abgetrennt etc.: Vgl: Hlawitschka / Schmid / Tellenbach 1970, 78-80. 90 Hägermann 1993, Register. Hybridität und Integration 115 lia, die freilich aussagekräftig nur für die Oberschicht des Merowingerreiches sind: 91 AIX Franco a. 561/ 575 Riez -- Fréjus -- Gap Birico a. 876 Sisteron -- Antibes -- EMBRUN Lopacharus a. 614 Digne Bobo (? ) a. 650 abgesetzt Senez -- Glandève -- Vence Lieutadus a. 868 Thorame -- Castellane -- Cimiez -- Nizza -- NARBONNE Argebaudus a. 673 Toulouse Magnulfus a. 585 Béziers Vulfegarius a. ± 788 Nîmes Ranimirus vor 680 Lodève Ansemundus a. 683 Uzès Arimandus a. ± 788 [Arisitum] Mondericus a. ± 570 Agde Wilesindus a. 673 Maguelonne Gumildus a. 673 Carcassonne Willerannus a. 883 Elne Ilitaricus a. 673 VIENNE Sindulphus a. ± 627 Valence Ragnoaldus a. 581 91 Duchesne 1907-1915. Vgl. auch zur Zusammensetzung des gallischen und fränkischen Episkopats Wieruszowski 1922; Kajanto 1973. Dass Bischofssitze nach der Etablierung der gentilen regna zu Machtzentren der romanischen Aristokratie werden, betonen Prinz 1973; Heinzelmann 1976; 1988; Gillard 1979; Pietri 1981, 417-425; 1986; Barnish 1988, 138ff.; Mathisen 1993, 90ff. Vgl. zu älteren Arbeiten zur onomastischen Germanisierung der Gallia Bergh 1941, 185f. Wolfgang Haubrichs 116 Genf Cariatto a. 584 Grenoble Boso 7. Jh. 2. H. Die Vulfinus nach 788 Viviers Ardulphus 8. Jh. Maurienne Walchunus a. 726 TARENTAISE Baudomeris a. 650 Sion Leudemundus a. 613/ 614 Aosta Ratbornus a. 876 ARLES Wolbertus a. 683 Vaison -- Saint-Paul Berto a. 650 Orange -- Avignon Hilduinus a. 860 Cavaillon -- Carpentras -- Marseille Ivo a. 781 Toulon -- BOURGES Austregisilus a. 614 Auvergne Garivaldus nach 660 Rodez Faraldus a. 883 Albi Dido a. 590/ 604 Cahors Beto a. 673/ 675 Limoges Erchenobertus nach 632 Gévaudan Fredaldus a. 820/ 840 Velay Druct-anus a. 820/ 840 BORDEAUX Bertechramnus a. 577 Agen Flav-ardus a. 614 Angoulême Sicmundus nach 667 Saintes Audoberhtus a. 614 Poitiers Maroveus a. 590 Périgueux Ermenomaris a. 673/ 675 EAUZE Leodomundus a. 614 Auch Drac-oaldus a. 616 Dax Oltherius a. 898 Lectoure Boso-lenus a. 673/ 675 Hybridität und Integration 117 Comminges Sesemundus a. 673/ 675 Couserans Franco-linus (? ) a. ± 787 Béarn -- -- Aire Philibaudus a. ± 640 Bazas Gudualdus a. 614 Bigorre -- -- Oloron -- -- LYON Gandericus a. 637/ 638 Autun Ragnebertus a. 660 Langres Modvaldus a. 627 Chalon Hucbertus a. 779 Macon Gundulfus um 800 (? ) ROUEN Gildaredus a. 511 Bayeux Leudovaldus a. 581 Avranches Leodovaldus a. 576 Evreux Erminulfus a. 614 Séez Leodobaudis a. 567 Lisieux Theudobaudis a. 538 Coutances Romacharius vor 573 TOURS Bald-inus nach 539 Le Mans Batechisilus a. 585 Rennes Haimvaldus a. 614 Angers Baudigyselus vor 581 Nantes Haico a. 688/ 689 SENS Hildegarius a. 632 Chartres Chaletricus a. 567 Auxerre Droctoaldus vor 533 Troyes Modegisilus vor 637/ 638 Orléans Ricomerus a. 573 Paris Ragnemodus a. 585 Meaux Medovechus a. 549 Nevers Gislebertus (? ) nach 552 TRIER Magnericus a. 585 Metz Agiulfus a. 601 Toul Trasericus Ende 6. Jh. Wolfgang Haubrichs 118 Verdun Agericus a. 584/ 587 REIMS Romulfus a. 591 Soissons Bandaridus vor 589 Chalons Teutmodus vor 580 Noyon Alomerus vor 561 Arras Vedulfus vor 584 Senlis Mallulfus a. 584 Beauvais Bertegisilus (? ) 6. Jh. Amiens Berachundus a. 614 Térouanne Audmundus (? ) Anf. 7. Jh. Laon Genobaudis a. 549 MAINZ Sigimundus a. 589 Worms Berhtulfus a. 614 Speyer Hildericus a. 614 Strassburg Arbogastes um 600 KÖLN Eberegisilus a. 590 Maastricht Monulfus 6. Jh. Utrecht -- -- BESANÇON Abbo (? ) spätes 7. Jh. Belley Ansemundus a. 722 Avenches Chilmegisilus a. 668 Basel Ragnacharius 1. H. 7. Jh. Die vorstehende Tabelle enthält jeweils die erstauftretenden germanischen Personennamen in gallischen Bischofslisten. In den südlichsten Kirchenprovinzen kennen nur die Metropolitansitze Aix (Franco a. 561/ 75), Embrun (Lopacharus a. 614) und Arles (Wolbertus a. 683) Bischöfe mit etymologisch germanischen Personennamen vor Ende des 7. Jahrhunderts. Ausnahmen sind die in den burgundischen Einflußbereich gehörigen Bischöfe Berto (a. 650) von Saint-Paul-Trois-Châteaux und Bobo (a. 650) von Digne, beide freilich mit westgermanischen (wohl fränkischen) Namen, der letzte in Konkurrenz mit einem Agapius (beide a. 650 abgesetzt). Anders stellt sich die zunächst wisigotisch geprägte, septimanische Kirchenprovinz Narbonne dar, wo sich auch typisch ostgermanisch-wisigotische Personennamen mit Rami-mirus von Nîmes, Hybridität und Integration 119 Wile-sindus von Agde und Gum-ildus von Maguelonne im 7. Jahrhundert finden. Zumeist begegnen hier germanische Personennamen erst seit 673, nur im ehemals gotischen Zentralort Toulouse erscheint ein Magnulfus a. 585 (wohl fränkischer Herkunft, da nach Gregor von Tours in die Affaire des Thronprätendenten Gundowald verstrickt). Der a. ± 570 von König Sigibert von Austrasien in der unter fränkischem Einfluss neu errichteten Diözese Arisitum eingesetzte Mondericus ist ein für sich sprechender Sonderfall. Differenzierter sind die aquitanischen Provinzen Bourges, Bordeaux und Eauze zu betrachten. Durchweg - wiederum die südlichsten Bischofssitze und die Auvergne ausgenommen - erscheinen erste germanische Namen im 7. Jahrhundert, voran gehen nur die wichtigsten Bischofssitze, der Metropolitansitz Bordeaux a. 577 mit dem aus merowingischem Hochadel stammenden Bertechramnus 92 und Poitiers a. 590 mit Maroveus. Auch in den beiden anderen Provinzen gehen die Metropolitansitze Bourges und Eauze voran. Die ersten germanischen Namen erscheinen mit Austregisilus und Leodomundus auf dem Konzil von Paris a. 614, der tatsächliche Wechsel könnte um 600 eingetreten sein. Für Kernburgund mit seinen schon oben besprochenen rein romanisch dominierten Bischofsreihen des 6. Jahrhunderts kommen die ersten germanischen Personennamen erst im 7. Jahrhundert, a. 627 Modvaldus von Langres (im Norden), a. 637/ 38 Gandericus von Lyon, noch in der 1. Hälfte des Jahrhunderts Ragnacharius von Basel in der Provinz Besançon. Dies gilt auch für die südlicheren Kirchenprovinzen, nämlich Tarentaise mit a. 613/ 14 Leudemundus in Sion / Sitten beim Königskloster Saint-Maurice und Baudomeris a. 650 am Metropolitansitz, und Vienne mit a. ± 627 Sindulphus am Hauptort. Doch erscheint in der alten burgundischen Königsresidenz Genf ein (freilich bereits stark romanisierter) Cariatto a. 584, spatharius des Königs Gunthram, im strategisch wichtigen Valence an der Rhône a. 581 ein Ragnoaldus. Ganz anders stehen die Dinge im Norden, im fränkischen Kernbereich. In den Kirchenprovinzen Rouen und Sens geht Rouen selbst weit voran mit a. 511 Gildaredus; es folgen vor 580 noch Droctoaldus von Auxerre (vor a. 533), Theudobaudis von Lisieux (a. 538), Medovechus von Meaux (a. 549), Chaletricus von Chartres (a. 567), Leodobaudis von Séez (a. 567), Gislebertus von Nevers (nach a. 552), Romacharius von Coutances (vor a. 573), Ricomerus von Orléans (a. 573), Leodovaldus von Avranches (a. 576). 92 Weidemann 1986. Vgl. zu den onomastisch abwegigen Identifizierungsmethoden der ansonsten verdienstvollen Arbeit Haubrichs 2000a, 43-45. Wolfgang Haubrichs 120 An den Rändern, zur Loire hin sieht es schon etwas anders aus, germanische Personennamen erscheinen später: immerhin geht der Metropolitansitz Tours mit Baldinus (nach a. 539) voraus, es folgt noch vor 581 Baudigyselus von Angers. Auch die beiden belgischen und germanischen Provinzen folgen mit Abstand, ausgenommen die dem fränkischen Zentrum nahen nördlichen Bischofssitze von Laon mit Gennobaudis (a. 549) und Noyon mit Alomerus (vor a. 561), vielleicht auch Beauvais mit Bertegisilus (6. Jh.). Erst dann folgen in der Champagne Teutmodus von Chalons (vor a. 580), Vedulfus von Arras (vor a. 584), Mallulfus von Senlis (a. 584), Bandaridus von Soissons (vor a. 589), Romulfus von Reims (a. 591). In der Belgica Prima geht der Metropolitansitz Trier mit Magnericus (a. 585) voraus, 93 es folgen kurz darauf Agericus von Verdun (a. 584/ 87), Trasericus von Toul (Ende 6. Jh.) und Agiulfus von Metz (a. 601). Die beiden Germaniae folgen, soweit überhaupt die Bischofssitze restauriert waren, im unmittelbaren Anschluss, Mainz mit Sigimundus a. 589, Köln mit Eberegisilus a. 590, in Maastricht wohl noch im 6. Jahrhundert Monulfus, in Straßburg um 600 Arbogastes mit typisch fränkischem Namen, schließlich dürften auch die auf dem Pariser Konzil von 614 erstmals erscheinenden Bischöfe Berhtulfus von Worms und Hildericus von Speyer ihr Amt etwas früher angetreten haben. 94 Das Ergebnis ist, dass die germanischen Namen im Bereich jener Familien, die Bischöfe stellen, im Zentrum des Frankenreiches, im Gebiet von Seine und Marne, am frühesten, ab a. 511 auftreten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Familien noch ein vorwiegend fränkisches Bewusstsein pflegten, zu dem auch fränkisch-germanische Namen gehörten. In die stärker romanisch geprägten Gegenden an der Loire, in Burgund und Aquitanien und die vor allem um Trier und Mainz nach der erhaltenen Inschriftenkultur ebenfalls noch stark romanisch geprägten Rhein- und Mosellande 95 diffundieren germanische Namen erst später. Diese werden zum Teil von Franken getragen worden sein, doch wird man auch an die Adaptation des im Zentrum dichten germanischen Namenbrauchs durch Romanen und an Mischfamilien denken müssen. Ungeachtet dieser verschiedenen Möglichkeiten der Ausbreitung der ger- 93 Vgl. Anton 1987, 138-142; Anton 1996, 22-43; F. Pfeiffer, in: Heinen / Anton / Weber 2003, 211-218. 94 Vgl. Jürgensmeier 1997, 16; Schottky / Bönnen 1998; Andermann 1995. 95 Vgl. zu den Inschriften Boppert 1971; Gauthier 1975; Fuchs 1991; 2006; Monsees 2000; Nikitsch 2004; Schmitz 1997; 2001; Handley 2000; 2001; 2003; Haubrichs 2006d [Lit.]. Hybridität und Integration 121 manischen Namen ist diese selbst doch eine Funktion der politischen Dominanz der Franken und ihrer Herrschaftszentren. Es ist dabei bezeichnend, dass sich im zweiten germanischen regnum der Gallia, in Burgund, auch dort, wo die Bischofslisten erst spät germanische Namen erkennen lassen, diese nicht das aus den weltlichen Führungsschichten bekannte ostgermanisch-burgundische Gepräge aufweisen. 96 Dass die Germanisierung des Namensystems ein gleitender Prozess war und nicht eine kurzfristige Umstellung, lässt sich erneut (wenn auch vorläufig) an den Bischofslisten studieren, z. B. an der von Trier. 97 Da folgt dem Magnericus von a. 585 zunächst ein weiterer germanischer Name, Gundericus; danach aber ein geogener romanischer Name mit Sabaudus (‚der Savoyer‘), dann (a. 626/ 27 belegt) wieder ein Bischof mit fränkisch-germanischem Namen, Modualdus (mit Schwester Severa), 98 danach Numerianus (646/ 47-? ). Er ist der letzte Bischof, der einen romanischen Namen trägt; danach folgen die dem mächtigen fränkischen Adelsverband der Widonen zugehörigen Basin (vor 698-705), Liutwin (705-721/ 22) und Milo (721/ 22-762), weiterhin nur noch Bischöfe mit eindeutig germanischen Namen. Gerade an der Trierer Familie senatorischer Abkunft des Numerianus lässt sich der onomastische Übergang fassen. Die Vita des Bruders Germanus, des Gründers von Münster-Granfelden bzw. Moutier- Grandval (CH), berichtet nicht nur von der intensiven Bildung der Familie und Kontakten zu den monastischen Reformzentren Remiremont und Luxeuil, sondern auch die Namen der männlichen Mitglieder (leider nur über 2 Generationen). Demnach hatte der Vater den Namen Optardus, die Söhne hießen Germanus, Numerianus und Optamarus. 99 Zwei klassische romanische Namen stehen neben zwei die ältere und jüngere Generation durch Variation verbindenden Hybridnamen, die vermutlich an die lexikalische Basis von Optatus ‚der Erwünschte‘, einen auch christlich rezipierten Heilsnamen, einen „nom de bon augure“ anknüpfen, in der Kombination mit den germanischen Elementen *hardu- ‚hart, stark‘ und 96 Dagegen spricht der Name des Bischofs Trasericus von Toul (Ende 6. Jh.) dafür, dass er aus dem ostgermanischen Bereich kommt, da alle sonstigen Personen, die einen Namen mit þrasa ‚Streit‘ tragen, bis zum Ende des 7. Jhs. aus ostgerm. gentes stammen. Vgl. Reichert 1987, 699-701, 713f. 97 Vgl. Hans-Hubert Anton, Friedrich Pfeiffer und Thomas Bauer, in: Heinen / Anton / Weber 2003, 119-282. 98 Heinen / Anton / Weber 2003, 218, 222ff. Da der Name der Schwester romanisch ist, kann man jedoch auch für Modoalds Familie romanischen Ursprung vermuten. 99 Vgl. Anton 1996, 46-48, 64-66; Th. Bauer, in: Heinen / Anton / Weber 2003, 231ff. Wolfgang Haubrichs 122 *mærja, fränkisch māri- ‚berühmt‘. 100 Wie auch immer man diese Kompositionen zu deuten hätte, sie zeigen doch eine der großen Familien römischer Tradition im Trierer Lande mitten im Umbruch. Die Entscheidung zugunsten des germanischen Namensystems ist also - zumindest im fränkischen Raum - im siebten Jahrhundert endgültig gefallen. Die zunehmende onomastische Germanisierung der Gallia spiegelt sich auch in statistisch auswertbaren Quellen des 8. und 9. Jahrhunderts. Zum Beispiel zeigen die aus der Reichenau und St. Gallen überlieferten Mönchslisten, das der Anteil der romanischen bzw. nichtgermanischen Personennamen im 8. Jahrhundert in der Ile de France auf 13-17%, im romanophonen Lothringen auf ca. 10-22 %, im sonstigen Nord- und Ostfrankreich auf 20-22% sinkt. 101 So deutlich zeichnet sich der Trend in anderen Landschaften nicht ab. Immerhin zeigt aber das Langobardenreich in Italien bis 774 ein Übergewicht der germanischen Namen. Bei ca. 3400 dem ‚Codice Diplomatico Longobardo‘ entnommenen Personen ergeben sich folgende Zahlen: 102 100 Onomastisch wäre auch die Annahme eines Lautersatzes rom. [pt] für [ft] möglich, wie wohl in einigen ostgermanischen Namen des 6. Jhs. wahrscheinlich zu machen (Schönfeld 1965, 178). Doch ist zumindest im Bewusstsein der trierischmoselromanischen Bevölkerung des 7. Jhs. sicher mit der Interpretation des Elements im Anklang an optare zu rechnen. 101 Vgl. zu den Zahlen die entsprechenden Mönchslisten in den Verbrüderungsbüchern von Reichenau und St. Gallen: MGH Libri Confraterniatum. Für die Ile de France haben wir Rebais (16,9% rom. PN), Ste. Croix in Meaux (13,2%), die Kanoniker von Paris (15,7%), Saint-Germain-des Prés (17,9%; für das frühe 9. Jh. 13,2%), Saint-Denis im frühen 9. Jh. (13,2%), ganz anders das Frauenkloster Faremoutiers (5,3%). Im romanophonen Lothringen finden wir die Listen von Saint-Mihiel an der Maas (22,2%), vogesennah Senones (19,0%), Moyenmoutier (18,2%), östlich Metz Buxbrunno-Longeville (15,4%), aber im Metzer Bischofskloster Gorze nur 9,7% (Metz, Liste der fratres Mitte 9. Jh. 9,7%). In den sonstigen ost- und nordfranzösischen Listen steigt der Prozentsatz wieder an: Jumièges nördlich Rouen (19,5%), in Burgund Flavigny (21,0%) und Bèze um 830 (21,2%), noch südlicher Isle-Barbe in Lyon (28,3%). Die zentrale Funktion der Metropolen Neustriens (Paris) und Austrasiens (Metz) in der onomastischen Germanisierung wird in diesen Zahlen deutlich. 102 CDL Band I; II; III; IV, 1; V. Germanische Personennamen: 56 % Romanische Personennamen: 32 % Germ.-rom. Hybridnamen: 9 % Rom.-germ. Hybridnamen: 3 % Hybridität und Integration 123 Umgekehrt gibt es noch mindestens bis ins 9. Jahrhundert, aber vermutlich auch darüber hinaus, Relikträume mit hohem, ja weit überwiegendem romanischem Namenanteil, so die Raetoromania, also der innere Bereich der Provinz Raetia Prima, wobei in St. Galler Urkunden vor allem Vorarlberg (Walengau) stark hervortritt: 103 1. H. 9. Jh. 111 rom. : 36 germ. PN = 3,08 : 1 2. H. 9. Jh. 65 rom. : 19 germ. PN = 3,42 : 1 Nahezu ohne germanische Personennamen stellt sich das byzantinische Italien dar. 104 Mit starkem Übergewicht (bis ca. 60 %) der romanischen Personennamen ist - ohne dass hier schon abgeschlossene Forschungen vorliegen - in der Provence und Aquitanien zu rechnen, wie sich ja auch schon an den Bischofslisten zeigte und am ‚Polipticum Wadaldi‘ aus Saint-Victor in Marseille von 814 erneut zeigt. 105 Starke Inseln romanischer Personennamen bis ins 9. Jahrhundert hinein konservieren der Salzburger Raum und Tirol (übrigens mit einem beachtlichen Anteil graecolateinischer Namen), 106 dort, wo sich auch zahlreiche Walchenorte (Walchensee, Traunwalchen, Seewalchen, Walsee usw.) finden. In Südtirol, vor allem in Sterzing, dem alten Vipitenum, und Innichen gibt es auch im 9. Jahrhundert noch deutlich sprachlich-onomastisch separierte Grundbesitzergruppen. 107 Aus Passau ist eine Urkunde, vielleicht des 7. Jahr- 103 Erhart / Kleindinst 2004, 100f. Vgl. Huber 1986 für die gesamträtoromanische Anthroponymie. Zur Sprache der lateinischen Urkunden der Rätoromania vgl. Planta 1920/ 25; Erhart / Kleindinst 2004, 71ff. 104 Brown 1984. 105 Zu den für Land und Zentralort sehr unterschiedlichen Verteilungen rom. und germ. PN im regnum der Burgunden, in den Regionen von Vienne und Lyon vgl. Souchet 2005, 334ff.; Haubrichs [im Druck f]. Im Polipticum Wadaldi aus Saint- Victor in Marseille ergeben sich bei über 800 PN folgende Zahlen: rom. PN 57,0%, germ. PN (oft schon stark romanisiert) 37,2%, germano-rom. Hybridnamen (Typ Teud-isia) 1,8%, romano-germ. Hybridnamen (Typ Boni-pert) 2,9%, unbestimmt 1,1%. Quelle: Guérard 1857, II 633-654. Die oben gegebenen Zahlen beruhen auf eigener Auszählung. Sie unterscheiden sich nur unwesentlich von den bei Bergh 1941, 184f. gegebenen Zahlen (53% rom. PN). Dort wird jedoch auch gezeigt, dass der Anteil germ. PN bei Männern bedeutsam höher ist (43,3% : 33,5%) als bei Frauen, woraus wohl eine spezifische kulturelle Korrelation germ. PN zu spezifisch maskulinen Werten einer Kriegergesellschaft abzuleiten ist. Vgl. demnächst Bourin, Anthroponymie [im Druck]. 106 Schwarz 1970; Haubrichs 2006 [Baiern], 415-429; Heitmeier 2005, 254-262. 107 Bitterauf 1905, Nr. 550: Urkunde a. 827 des Quarti[nus] nationis Noricorum et Pregnariorum [der Breonen oder *Breon-(v)arii]. Wolfgang Haubrichs 124 hunderts, überliefert, die sich möglicherweise auf einen Ort (in vico Fonalvae) im angrenzenden Romanengebiet Oberösterreichs und Salzburgs bezieht: 108 [Invocatio, Datum … escripsi ego Q u a r t i n u s rogitus a M a i o r a n o , D o m i n i c o et D o m i n i c a n t e . Constat eos vindidisse runcum in vico … confinante da una parte … da alia parte … Praecium placitum atque finitum …] quantum praecium vinditoris ad emtoris de presente acceperunt et rememoratum runcum tradiderunt emptori demenio (wohl dominio) in perpetui possidendi. Emptor fidem querit, vinditoris (soll heißen vinditores) fide spondiderunt et sic dixerunt: sed (= si quis) de proximis aut de extraneis personis contra hunc strumentum refregare voluerit, tunc se spondiderunt vinditores emptori dupla pecunia esse reddituri et pagina vero strumenti in suam permaneat firmitatem stipulatione interposita. Actum in vico F o n a l v a e die consule et testes de presente rogaverunt. Signum manus M a i r a n i , D o m n i c i et D o m i n i c a n t e s , que strumentum fecerunt. Signum manus F l o r i t i praepositi testes. Sign[um] manus V i g i l i milites testes. Ego Q u a r t i n u s qui escripsi. Die Urkunde ist durchzogen von romanisch gefärbtem Latein: die vulgärlateinische Senkung [i] > [e] in testes, milites, Dominicantes < -is (Gen.), refregare < -fricare, dazu Umkehrschreibung vinditoris < -es (Nom. Pl.); [e] > [i] vor Nasal + Konsonant: vindidisse, vinditoris < vend-; Sonorisierung von intervokalischem [k] > [g] in refregare < -fricare; Vokalvorschlag vor [sk] in escripsi < scripsi; 3x strumentum < in-strumentum (analog ital. strumento); Synkope in Domnici (Zeugenreihe) statt Dominici und Mairani (Zeugenreihe) statt Maiorani. Dieser Befund ist vermutlich auch mit alpenromanischen Entwicklungen des frühen Mittelalters zu vereinbaren. Damit stimmt überein, dass der Ortsname Fonalva < *Font(e) alba mit [b] > [v] bei alba und dem Schwund von [t] in font engste frühe Parallelen in der Raetoromania aufweist. 109 VI. Phonetisch-phonologische Integration germanischer Namen in romanische Sprachen Es kann hier natürlich nicht darum gehen, sämtliche Phänomene der Integration der germanischen Namen in die romanischen Sprachen nachzuzeichnen, Phänomene eines Integrationsprozesses, der unmittelbar mit 108 Heuwieser 1930, Nr. 1; Erhart / Kleindinst 2004, 36ff. Vgl. Erkens [im Druck]. 109 Vgl. Haubrichs 2006e. Für wichtige Auskünfte danke ich meinem romanistischen Kollegen und Freund Max Pfister (Saarbrücken). Hybridität und Integration 125 der Begegnung beider Namensysteme beginnt und mit der völligen Integration in die Systeme der Zielsprachen endet. Hier kann es nur um das Aufzeigen einiger Grundlinien und zwar vorwiegend der frühen Zeit, bis etwa zum 8./ 9. Jahrhundert, die von langsam verebbender Bilingualität geprägt ist, gehen. Sie seien - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - listenmäßig zusammengestellt. 1) Auf der Grundlage des vulgärlateinischen Verstummens von [h] kommt es zu Unsicherheiten im Umgang mit germ. [h] im Anlaut. Neben Lautersatzprozessen (vgl. Nr. 3) kommt es zur h- Aphaerese und auch zu hyperkorrekter (unetymologischer) h- Prothese: h-Aphaerese: Königsname 749-756 Aistulf < lgb. Haistulf (so auch ahd. in nordalpiner Überlieferung) < *Haifst-wulfa (zu germ. *haifsti- ‚Streit, Anstrengung‘). 110 h-Prothese: a. 590-629/ 30 Albi Herchene-freda < *Erk(a)na-frida. 111 2) Verstummen auslautender Konsonanten vor Pause wie in Deusdedi < Deusdedit a. 715 führt zu hyperkorrekten Schreibungen wie 8. Jh. Rotharit statt Rot-hari. 112 3) Lautersatzprozesse: a) [hl, hr, hn] > [cl, cr, cn] seit 4. Jahrhundert: Hlud-wig > Chlodovechus a. 589, Chlodovei (Gen.) a. 643 (frz. Clovis); 113 Croco (Dat.), Alamannorum rex a. 393 < Hroc-; 114 Chrodeber[tu]s, Inschrift Mainz 6./ 7. Jh. (CIL XIII Nr. 7559); Chnodomarius < *Hnuda-mari- 4. Jh. kop.; 115 b) [hl, hr] > [fl, fr] wie in zahlreichen frz. Lehnwörtern (z. B. *hlanka- > flanc): Flodarius, wisigotisch a. ±690 < *Hluda-hari-; 116 110 Vgl. z.B. CDL I Nr. 97 (a. 750): Aistolfo rige mit rom. h-Apharese; Nr. 100 (a. 750): domno nostro Astolf ... rege mit rom. Lautersatz [a] für [ai]; CDL III Nr. 28 (a. 756): Flavius Haistulf ... rex (Königsurkunde); III 290 Nr. 3 (a. 801) Haistulfus rex Langobardorum. In Rechtstexten begegnet auch die sekundäre Schreibung Ahistulf-, in der die Zweigipfligkeit des langobardischen Diphtongs mittels des hiatustrennenden diakritischen <h> für Romanen festgehalten wird. 111 Vgl. Anm. 58. 112 Vgl. CDL I Nr. 20, S. 84 (a. 715): Deusdedi presbiter. König Rotharit (mit verstummtem -t) statt Rothari im 'Edictus Rothari' MGH LL IV (1868). Vgl. Haubrichs 2005, 81; Francovich Onesti 1999, 203, 230. 113 Reichert 1987, 204f.; Haubrichs 1998a, 114. 114 Reichert 1987, 227. 115 Ch. Jochum-Godglück / A. Schorr, in: Götz / Haubrichs 1005, 163ff. - - - - - Wolfgang Haubrichs 126 Flodegarius < *Hluda-gair- 9. Jh. Anfang; 117 Flutsuinda … filia Flothario regis Francorum (also Chlothars I.) Ende 7. Jh. Italien; 118 Chlodwigsschwester Albofledis < -flaeda ‚schön‘, in Umkehrschreibung Albo-chledis 119 Framhildis < *Hram-hild- 9. Jh. Anfang 120 c) [ht] > [ct, gt]: - Dructacharius < *Druhta-harja- 7. Jh. ? Mainz (CIL XIII Nr. 7203); 121 - Droctarius < *Druhta-harja-, a. 545 Ivrea (CIL V Nr. 6813); 122 - Droctelindis < *Druhti-lindis 9. Jh. Anfang; 123 - Drogtla < *Druht-ila 9. Jh. Anfang; 124 - Aigttheus < *Aiht-thewa- Worms 5./ 6. Jh.; 125 d) Diphthong [ai] > [a]: - Garivaldum, var. Gaireuualdum (Akk.) < westgerm. *Gaira-waldaa. 555 Quelle a. 589; 126 - Garulfus < westgerm. *Gaira-wulfa- Anfang 9. Jh.; 127 - Astulfus, Langobardenkönig a. 749-756 < (H)Aistulf-; 128 e) Diphthong [éu, éo] > [e] (vgl. *theudisk- > ital. tedesco) - Detibaldus < *Theuda-balda- 6./ 7. Jh. Windisch (CH); 129 - Tetricus < *Theuda-rīka- 1. Viertel 9. Jh. (Walahfrid, De imagine Tetrici); 130 - THEDVLBVS < *Theuda-wulfa- , Münzmeister um 600/ 20, Soulas, Gde. Sandillon (F, Loiret); 131 116 Reichert 1987, 272. 117 Vgl. z.B. Hägermann 1993, IX/ 181, S. 76; XXI/ 5, 34, S. 166, 170; XXII 21, 50, S. 180, 182 etc. Vgl. Haubrichs 1998a, 114f. 118 Origo gentis Langobardorum, c. 5, ed. Bracciotti 1998, 113. 119 MGH Epp. Mer. I Nr. 1 (a. 486? kop. 9. Jh.). Vgl. Reichert 1987, 33f.; Haubrichs 1998a, 114f. 120 Hägermann 1993, XIII/ 1, S. 104. 121 Reichert 1987, S. 240. 122 Reichert 1987, S. 239. 123 Hägermann 1933, VIII/ 19, S. 54. 124 Hägermann 1993, XIII/ 86, S. 115. 125 Vgl. Haubrichs 2004d. 126 Reichert 1987, S. 309. 127 Hägermann 1993, IX/ 180, S. 76. 128 Vgl. o. Anm. 110. 129 Corpus Inscriptionum Medii Aevi Helvetiae III, Nr. 6. 130 Walahfrid Stabo, De imagine Tetrici, MGH Poetae II, 370-378. 131 Felder 2003, 450. - - - - Hybridität und Integration 127 - THEDEBERTVS < *Theuda-berhta, Münze des Königs Theudebert I. (534-548); 132 f) [w] > [gu, qu, g] (wie z. B. im Lehnwort frz. guerre < afrk. *werra ‚Streit, Wirre‘): - Quintrio < Wintrio bei Fredegar a. 658/ 60, kop. s. VII ex./ VIII in. (MGH SS rer. Mer. II 127, 16); 133 - Quolenus < *Wolenus bei Fredegar a. 658/ 60, kop. s. VII ex./ VIII in. (MGH SS rer. Mer. II, 128, 5); 134 - Qualderada neben Uualderata < *Walderada a. 756; 135 - Guiliarit < *Wilja-rida. 533 Capua (CIL X Nr. 4497); 136 - Guidrigildum (Akk.) < *Widrigilda. 590 wisigot.; 137 - Gulfrigus < *Wulfarīka- Anfang 9. Jh.; 138 - Quolfvinus < *Wulfawinia. 744 Raetoromania; 139 4) Intervokalischer g-Schwund: - Agiulfus, var. Aiulfus, 6. Jh. Diakon in Tours; 140 - Aiberga < *Agi-berga 6. Jh. ? Bingen; 141 - Einhardus, Ainardus zu a. 806 (Quelle a. ± 829) < *Agin-, *Eginhard-; 142 - Agio, var. Aio 7. Jh., kop. 11. Jh.; 143 5) Vokalvorschlag vor [st, sk], der alt ist, aber vielleicht doch regional zu differenzieren: - Estarculfus < *Stark-wulfaa. 818 Raetoromania; 144 - Escalconi < Skalko a. 718 Weißenburg / Wissembourg (F, Bas- Rhin), 145 . 6) Erleichterung der Dreikonsonanz, oft auch ein Zeugnis für die Auflösung der Kompositionsfuge in germanischen Namen in romanischer Rezeption: 146 132 Felder 2003, 394. 133 Vgl. Haubrichs / Pfister 1989, 29. 134 Ebd. 135 CDL I, Nr. 123. 136 Reichert 1987, S. 393. 137 Reichert 1987, S. 776. 138 Hägermann 1993, XX/ 10, S. 161. 139 Wartmann 1863, I, Nr. 8 140 Reichert 1987, S. 16. 141 Ebd. 142 Annales regni Francorum hg. F. Kurze 1895, 121 zu a. 806. 143 Origo gentis Langobardorum, c. 1, ed. Bracciotti 1998, 105. 144 Erhard / Kleindinst 2004, Nr. 12, 25, 55. 145 Glöckner / Doll 1979, Nr. 227. Vgl. Haubrichs / Pfister 1989, 34-37. Wolfgang Haubrichs 128 - Balfred < *Bald-fridu-, a. 818 Raetoromania; 147 7) Intervokalisch [b] > [v] als Indikator der Auflösung der Kompositionsgrenze germanischer Personennamen: - Flodevertus < Flodebert- < germ. *Hluda-berhta Anfang 9. Jh.; 148 - Wineverga < Wineberga < *Wini-berga, Anfang 9. Jh.; 149 8) Weitere Indikatoren der Auflösung der Kompositionsgrenze, z. B. Palatalisierung und Assibilierung über die Fuge hinweg: - Lancinda Deo sacrata < *Lantsinda < *Land-swinda-, Trierer Inschrift 1. H. 8. Jh. 150 (? ), mit Graphie <ci> für das Palatalisierungsergebnis [tsi], zugleich ein Zeugnis des Vollzugs romanischen Lautwandels in der Moselromania; 151 9) Generierung neuer Namenelemente (durch falsche Abtrennung) als Konsequenz der Auflösung der Kompositionsgrenzen: 152 germ. *Agila- ewa- > Agil-theus > Agle- > Acle-drudis; bei d-Anlaut des Namenzweitelements neu interpretiert als Acled-, führt z. B. zu Acledulfus (< *-wulfa- ), zu Acledildis (< *-hildis); Acledramnus (< *-(h)ramn-); weiter analogisch mit -isma-Suffix > Acled-r-isma germ. *Ansu- ewa- > Anse-deus > Ansed-, analogisch weiter zu Ansed-onius, Ansed-ramnus; - Acledramnus, Ansedramnus > -dramnus, analogisch weiter zu Ursedramnus etc.; germ. *Ermina- ewa- > Ermen-teus; bzw. Ermen-trudis > Erment-, analogisch weiter zu Erment-elmus (< *-helma-), Erment-ildis (< *-hildis); mit rom. Suffixen Erment-aria, Erment-isma, mit germ. Lehnsuffix auch Erment-inga. germ. *Ragin- ewa- > Ragen-teus; bzw. Ragen-trudis > Ragent-, analogisch weiter zu Ragent-elmus (< *-helma-), Ragent-ildis (< *-hildis), Ragent-landus (< *-landa-); mit rom. Suffix weiter zu Ragent-isma etc. 146 Vgl. Wolf / Hupka, 1981, 102. 147 Erhard / Kleindienst, 2004, Nr. 12, 13, 17 etc.. 148 Hägermann 1993, XXII/ 18, S. 180; XXIV/ 78, S. 198. 149 Hägermann 1993, XIII/ 2, S. 105; XXII/ 55, S. 183. 150 Fuchs 2006, 32ff. Nr. 19. 151 Vgl. Buchmüller-Pfaff 1990, 680ff. 152 Vgl. zu den folgenden aus dem Polyptychon von Saint-Germain-des-Prés entnommenen Beispielen Hägermann 1993, Register; weiteres bei Förstemann 1900, 27ff., 120ff., 473ff., 1221ff. Grundlegend zur Deutung des Phänomens ist nach Vorgang von Auguste Longnon - Wagner 1989. Hybridität und Integration 129 Die Auflösung der Kompositionsgrenze bithematischer germanischer Personennamen signalisiert den Zusammenbruch des übernommenen Namensystems, auch wenn immerhin die Idee der Komposition als Bauprinzip noch eine Zeitlang beibehalten wird. So kann die hier erst begonnene genaue Analyse der in romanischen Regionen, in romanischer Sprachwelt auffindbaren germanischen Personennamen nicht nur zur Dokumentation der frühen Geschichte romanischen Lautwandels beitragen, sondern ist selbst kulturelles Zeugnis für die Integration der germanischen Superstrate in die Romania. Namengeschichte ist Kulturgeschichte. 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Chr., Polybios 2, 14, 8) und entweder dem Keltischen (*alpis ‚Bergweide, Alm‘) oder einer noch früheren vorindogermanischen Sprachschicht (*alb- ‚Höhenfestung‘) zuzuschreiben (LEI 2, 221). Der Name Dolomiten hingegen ist jung, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich vom Gestein, das seit 1799 zu Ehren des französischen Geologen Déodat de Gratet de Dolomieu Dolomit genannt wurde, auf die aus disem Gestein bestehende Gebirgsgruppe übertragen (Kühebacher 2000 [= 3], 44). Manchmal sind auch Namensteile alt, mit ihnen gebildete Zusammensetzungen hingegen sind neu: Baden und Württemberg sind alte deutsche Landesnamen, seit dem 12. Jahrhundert belegt, aber der Bindestrichname Baden-Württemberg wurde erst 1952 dem aus den beiden alten Ländern zusammengefügten neuen Bundesland gegeben (Duden-Namen 1993, 47). Um einen derartigen Fall, genauer gesagt um die Frage, wann der deutsche Name Südtirol und wann der italienische Name Alto Adige als Bezeichnung für das deutschsprachige Land 1 zwischen dem Brennerpass und der Salurner Klause geprägt wurde, soll es im Folgenden gehen 2 . 1 Im Folgenden wird auf die ladinischen Täler nicht explizit eingegangen, denn sie spielen für die Herausbildung des Landesnamens keine Rolle. Sie wurden jedenfalls nie zu Welschtirol gerechnet und - abgesehen von Sprach- und Bevölkerungsstatistiken - immer mit dem deutschsprachigen Tirol zusammengenommen. Die nach 1923 erfolgte Aufteilung auf drei italienische Provinzen fällt nicht mehr in den Themenbereich des vorliegenden Beitrages. 2 Ich greife hier auf einige Gegebenheiten zurück, die bereits Gegenstand eines früheren Aufsatzes von mir waren (Kramer 1999), der seinerseits eine Replik auf einen Beitrag von Carlo Alberto Mastrelli (1999) war. Auch bei Christian Kollmann (2003) findet sich interessantes Material, aber die Beschränkungen, denen ein Zeitungsarti- Johannes Kramer 142 Zwei alte Namen: Tirol und Athesis / Adige / Etsch Es kann keinen Zweifel daran geben, dass das jeweilige Grundwort der Namen Südtirol und Alto Adige sehr alt ist. Tyrol ist 1191 zum ersten Male belegt, Tirol 1226, im lateinischen Gewande tritt 1182 de Tirale auf (Kühebacher 1991 [= 1], 471; weitere Daten AAA 62, 1968, 190), und sogar in Dantes Divina Commedia findet man Tiralli (Inferno 20, 63; geschrieben vor 1321). Zugrunde liegt keltisch tir = lat. terra (LEW 2, 673), ergänzt um das Zugehörigkeitssuffix -alis; das nordtirolische Zirl, das auf das lateinische Teriolis aus der spätantiken Notitia Dignitatum (35, 11, 22, 31) zurückgeht, gehört ebenfalls in diesen Zusammenhang. Wir haben es bei Tirol also mit einem keltischen, mithin vorlateinischen, Namen zu tun, der folglich zur Römerzeit vorhanden gewesen sein muss und nur zufällig in den lateinischen Quellen nicht erwähnt wird. Anders sieht es beim Namen der Etsch aus: Das lateinische At(h)esis ist seit dem 1. Jh. v. Chr. (Vergil Aeneis 9, 677; Livius epitome 68) üppig belegt (ThLL II 1023, 1-30), und der griechische Schriftsteller Strabon (4, 207) nennt daneben einen Atagis (zum komplizierten Verhältnis beider Wasserläufe und ihrer Namen vgl. Kühebacher 1995 [= 2], 61 und 66). Die darauf zurückgehende italienische Form Adige ist seit 1357 belegt (DI 1, 14), Dante hat zu Anfang des 14. Jahrhunderts noch Adice (Inferno 12, 5; Purgatorio 16, 115; Paradiso 9, 44). Eine befriedigende Erklärung des sicher vorindogermanischen Namens wurde bislang nicht gefunden; die an sich nicht unwahrscheinliche Annäherung an den Namen der griechischen Göttin Athene hilft nicht wirklich weiter, denn auch dieser Name ist unerklärt. Jedenfalls stoßen wir hier auf die ältesten europäischen Sprachschichten überhaupt. Damit ist zunächst die Ausgangsposition geklärt: Das jeweilige Basiselement sowohl des Namens Südtirol als auch des Namens Alto Adige ist jedenfalls über zweitausend Jahre alt; wir haben es also so gesehen in beiden Fällen mit einem alten Namen zu tun. Völlig anders sieht es aber mit den Zusammenfügungen aus. Ich beginne mit der Wortgeschichte von Alto Adige, weil sie einfacher und besser aufgearbeitet ist als die von Südtirol. kel selbstverständlich unterworfen ist (Kurzformulierungen, keine Belege, keine Anmerkungen), würden eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den dort geäußerten Auffassungen zu einem unfairen Unterfangen machen; sie soll daher hier unterbleiben. Geschichte, Politik und Namengebung 143 Das Dipartimento dell’Alto Adige Von seiner Form her ist Alto Adige ein typischer Département-Name von der Art, wie sie im revolutionären Frankreich 1790 eingeführt wurden, um die neuen, am Schreibtisch entworfenen Verwaltungseinheiten zu bezeichnen, die die gewachsenen Regionen aufbrechen sollten. Die Départements heißen meist nach geographischen Gegebenheiten wie Bergen oder Flüssen, wobei ein Flussname, zwei Flussnamen oder Ober- und Unterlauf eines Flusses beliebt sind. So besteht Lothringen aus den Départements Vosges, Meuse, Moselle, Meurthe-et-Moselle, und die beiden Départements Haut-Rhin und Bas-Rhin bilden das Elsass. Dieses Schema wurde auf die nach französischem Vorbild organisierten Satellitenstaaten übertragen, die im letzten Jahrzehnt des 18. und im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts entstanden. Das am 18. März 1805 ausgerufene Königreich Italien (Regno d’Italia), zu dessen König sich Napoleon persönlich krönen ließ und das vom Vizekönig Eugène de Beauharnais, seinem Stiefsohn, geführt wurde 3 , wurde dementsprechend in Dipartimenti eingeteilt. Wir finden beispielsweise ein Dipartimento Piave und ein Dipartimento Adda, es gibt Alto Po und Basso Po und, was uns hier besonders interessiert, ein Dipartimento dell’Adige mit der Hauptstadt Verona; dieses grenzte im Norden an das Königreich Bayern, dessen südlichster Bezirk seit 1805 der Etschkreis (italienisch Circolo dell’Adige) war, der das gesamte Trentino und den Raum Bozen (Überetsch und Unterland) umfasste. Nach heutigen Begriffen umfasste das Dipartimento dell’Adige des Regno d’Italia also im Wesentlichen die Provinz Verona. Bayern wurde von Napoleon 1810 für sein - in französischen Augen - klägliches Versagen bei der Niederschlagung des Aufstandes unter Andreas Hofer u.a. durch territoriale Verluste bestraft: Der Etschkreis fiel ans Königreich Italien und wurde unter dem Namen Dipartimento dell’Alto Adige (so benannt im Unterschied zum südlich sich anschließenden Dipartimento dell’Adige) in dessen Verwaltungsstruktur eingegliedert. Das entsprechende Dekret ist im Bollettino delle leggi del Regno d’Italia des Jahres 1811 als Nr. 45 abgedruckt. Die Grenze zwischen dem Innkreis des Königreichs Bayern und dem Dipartimento dell’Alto Adige des Königreichs Italien verlief ziemlich genau von Osten nach Westen, wobei sie die Etsch bei Lana und den Eisack bei Waidbruck durchschnitt, so dass also der ganze 3 Eugène de Beauharnais (1781-1824) war mit der bayerischen Prinzessin Augusta- Amalia verheiratet und lebte nach Napoleons Niederlage bei Waterloo als hoch geachteter Exilant in München. Johannes Kramer 144 Vintschgau, Meran und das Burggrafenamt, der Oberlauf des Eisack mit Klausen, Brixen und Sterzing sowie das Pustertal (außer Toblach, das wie Buchenstein und Ampezzo zum italienischen Dipartimento del Piave gehörte, und außer Innichen, das zu den Illyrischen Provinzen Frankreichs geschlagen worden war) zu Bayern gehörte. Die folgende Nachzeichnung einer Karte (F-10) aus dem Tirol-Atlas (in: Geschichte des Landes Tirol 1986 [= 2], 538) vermittelt eine ungefähre Vorstellung: Geschichte, Politik und Namengebung 145 Es bleibt also festzuhalten: Im Zuge der napoleonischen Umgestaltungen nach dem Ende des Andreas-Hofer-Aufstandes wurde am 10. Juni 1810 der alte Etschkreis von Bayern abgetrennt und Italien angegliedert, wobei ihm der Name Dipartimento dell’Alto Adige gegeben wurde. Eine territoriale Übereinstimmung mit dem, was man heute auf Italienisch als Alto Adige bezeichnet, besteht nicht. Die Namensform entstand also 1810, die heutige Bedeutung aber wurde dem Namen erst fast ein Jahrhundert später beigegeben. Alto Adige und Alto Trentino im 19. Jahrhundert In den Kreisen derjenigen, die von der Errichtung eines italienischen Nationalstaates anstelle der meist fremd bestimmten Kleinstaaterei träumten, blieb das kurzlebige Regno d’Italia, obwohl es ja nichts anderes als ein französischer Satellitenstaat war, ein beliebter Punkt der historischen Rückbeziehung, weil man dort zumindest die Illusion einer Eigenstaatlichkeit festmachen konnte. So erklärt es sich, dass auch die von 1805 bis 1814 gängige Terminologie am Leben erhalten wurde, und so geriet auch Alto Adige nie völlig in Vergessenheit; wenn man es gebrauchte, dann allerdings immer als Synonym für den seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts immer mehr in den Vordergrund drängenden Namen Trentino, der seinerseits Tirolo Italiano (Schneller 1865) ersetzen sollte. Noch 1848 hatte man sich an die Trentiner als „bravi Italiani Tirolesi“ gerichtet, um zum Aufstand gegen „il giogo dell’Austria“ aufzurufen (Freiberg 1990 [2], 22, Z. 9). Nur vor dem Hintergrund, dass Alto Adige als synonym von Trentino verstanden wurde, erklärt sich beispielsweise Alto Adige als Titel der national-liberalen Zeitung von Trient, deren Verbreitungsgebiet kaum über die Grenzen der Stadt hinausreichte (Battisti 1940, 667). Wollte man in irredentistischen Kreisen das deutschsprachige Tirol südlich des Brenner benennen, so bediente man sich gerne des Terminus Alto Trentino (manchmal auch Trentino superiore, Freiberg 1990 [1], 83). Ettore Tolomei sprach beispielsweise 1890, in einem seiner ersten Artikel überhaupt, von den „valli tedesche dell’Alto Trentino“ (Freiberg 1990 [2], 27, Z. 31; vgl. auch Framke 1987, 54-55). Johannes Kramer 146 1906: Ettore Tolomei erfindet eine neue Bedeutung für Alto Adige Ettore Tolomei war es dann aber, der dem Namen Alto Adige eine neue Bedeutung gab und ihn an die Stelle von Alto Trentino setzte. Als er 1906 eine Zeitschrift gründete, deren Ziel die Veröffentlichung von Beiträgen zu „quella vasta regione situata a settentrione del Trentino proprio, di qua però delle Alpi, e avente per centro Bolzano“ (AAA 1, 1906, 5 = Freiberg 1990 [2], 28, Z. 4-5) sein sollte, wählte er den programmatischen Titel Archivio per l’Alto Adige. Ettore Tolomei war sich darüber im Klaren, dass er einem existierenden Namen eine völlig neue Bedeutung beilegte (vgl. Freiberg 1990 [1], 126-127): Schon 1906 betonte er diese Tatsache (AAA 1, 156), 1932 wiederholte er seinen Anspruch auf Prägung des Namens (AAA 27, 484), und auch in seinen in hohem Alter geschriebenen Memorie di vita ist der Stolz auf die Namensprägung unüberhörbar (z.B. 1948, 562); er liebt es allerdings immer, darauf hinzuweisen, dass der Name geografisch zu verstehen sei und nicht etwa eine Weiterführung der alten Dipartimento-Bezeichnung darstelle (AAA 27, 1932, 484). Zumindest was die Namensbedeutung anbelangt, war Ettore Tolomei wirklich „l’uomo che inventò l’Alto Adige“(Ferrandi 1986). Die italienische Öffentlichkeit nahm Tolomeis Namenprägung im Allgemeinen begierig auf, passte sie doch nur zu gut in die Atmosphäre des aufgeheizten Nationalismus am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Spätestens 1910 hatte man überall im Königreich Italien den neuen Namen akzeptiert (AAA 27, 1932, 484). Als Italien nach dem Ersten Weltkrieg Südtirol besetzte, richtete sich der Militärgouverneur Guglielmo Pecori- Grimaldi in seinem ersten Manifest vom 18. November 1918 ganz selbstverständlich „Alla popolazione dell’Alto Adige“, in der deutschen Fassung „An die Bevölkerung des Alto Adige“ (Faksimile bei Freiberg 1, 122). Zu Beginn der faschistischen Periode wurde Alto Adige (vorgeschriebene deutsche Übersetzung: Oberetsch) zur einzig zulässigen amtlichen Benennung des Landes (Dekret der Präfektur Trient vom 8. August 1923, Freiberg 1990 [2], 276). Lediglich im Trentino tat man sich schwer, vom geläufigeren Alto Trentino, an das man sich gewöhnt hatte, Abschied zu nehmen. In der Zeit vor dem Präfekturdekret vom 8. August 1923 wurde die Namengebung in der regionalen Presse kontrovers diskutiert, und besonders die Trienter Zeitungen Il Popolo und Libertà machten sich für Alto Trentino stark (AAA 18, 1923, 906). Offiziell war die Namengebung dann seit dem August 1923 entschieden, aber eine Sache offiziell zu akzeptieren und sie sich wirklich Geschichte, Politik und Namengebung 147 zu eigen zu machen sind bekanntlich zwei Dinge. Man kann das interessanterweise an der Person von Benito Mussolini exemplifizieren, der ja bekanntlich vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges längere Zeit in Trient publizistisch und politisch aktiv gewesen und daher an den regionalen Sprachgebrauch gewohnt war. Mussolini war, wie Ettore Tolomei nicht müde wurde zu betonen, unter den ersten gewesen, die den neuen Namen Alto Adige akzeptiert hatten, aber in Fleisch und Blut war ihm die Umbenennung von Alto Trentino zu Alto Adige offensichtlich nicht übergegangen. Als er am 6. Februar 1926 seine berüchtigte Rede zu Südtirol als Antwort auf eine Kritik an der italienischen Südtirolpolitik, die der bayerische Ministerpräsident am Vortage geäußert hatte, hielt, verwendete er anfänglich, in einem noch eher ruhigen und referierenden Abschnitt, den Namen Alto Adige (Freiberg 1990 [2], 346, Z. 28; 40; 347, Z. 27); im erregten Mittelteil ließ er dann seinen Emotionen freien Lauf und verwendete ausschließlich den altvertrauten Namen Alto Trentino (Freiberg 1990 [2], 347, Z. 33; 36; 39; 40). Nach diesem Ausbruch kehrte der Duce dann, in ruhigeren Gewässern der Rede angekommen, wieder zu Alto Adige zurück (Freiberg 1990 [2], 348, Z. 34; 43). Zusammenfassung der Wort- und Bedeutungsgeschichte von Alto Adige Rekapitulieren wir! Der Name Alto Adige, der von 1810 bis 1814 für das italienische Dipartimento, das nach heutigen Begriffen das gesamte Trentino und den südlichsten Teil Südtirols (einschließlich Bozen) umfasste, gegolten hatte, wurde 1906 von Ettore Tolomei mit einer neuen Bedeutung versehen und für das verwendet, was man heute unter Südtirol versteht. Wir haben es also mit einer Namensprägung von 1810 und einer Bedeutung von 1906 zu tun: Alto Adige (1810/ 1906) also. Zumindest in groben Zügen ist dieser Sachverhalt seit langem bekannt und auch der Südtiroler Öffentlichkeit geläufig. Wohl jeder Bewohner der Provinz Bozen, ob italienischer oder deutscher Muttersprache, würde genauso selbstverständlich, wie er Alto Adige als einen künstlich geprägten jungen Namen einschätzt, Südtirol für einen altehrwürdigen und natürlich geschichtlich gewachsenen Namen halten. Vor den harten Fakten der sprachlichen Belege hat diese communis opinio freilich keinen Bestand: Sowohl formal wie semantisch ist Südtirol jünger als Alto Adige. Johannes Kramer 148 Lockere Syntagmen und feste Kompositionen beim deutschen Namengut Natürlich kann man im Deutschen spontan bei Ländernamen durch Vorsetzen von Himmelsrichtungen eine Binnendifferenzierung vornehmen: Norddeutschland, Süddeutschland, Westdeutschland, Ostdeutschland. Jeder Sprecher des Deutschen kann das grundsätzlich bei jedem Ländernamen machen, und wohl niemand nähme an einer Formulierung Anstoß, die beispielsweise einen Westvintschgau und einen Ostvintschgau unterscheiden würde, obwohl man das normalerweise nicht sagt. Anders zu beurteilen sind Bildungen dieser Art, die nicht ad-hoc-Formulierungen sind, sondern als feste Namen auftreten: Nordfriesland, Westfriesland, Ostfriesland, Südafrika, Südwestafrika, Westindien, Ostindien, Nordvietnam, Südvietnam. Der Unterschied zwischen beiden Fällen kann durch eine Ersetzungsprobe gemacht werden: Statt Norddeutschland kann man ohne Bedeutungsänderung das nördliche Deutschland sagen, aber Südafrika ist etwas anderes als das südliche Afrika, und Westindien (in Mittelamerika) ist schon gar nicht das westliche Indien (in Südasien), ebensowenig wie Ostfriesland und das östliche Friesland gleichbedeutend sind. Im ersten Falle, also beim Typ Norddeutschland, haben wir es mit einem lockeren Syntagma zu tun, im zweiten Fall, also beim Typ Ostfriesland, mit einem festen Kompositum. Meistens geht das lockere Syntagma dem festen Kompositum gleicher Bildungsart historisch voran: Südafrika war zunächst einfach gleichbedeutend mit dem Ausdruck das südliche Afrika, aber als im Laufe des 19. Jahrhunderts staatliche Strukturen am Kap der Guten Hoffnung entstanden, wurde Südafrika zu einem zusammengesetzten Namen, der nur noch den entsprechenden Staat meint; und niemand würde eine missverständliche Formulierung wählen wie „Luanda liegt in Südafrika“, obwohl Luanda natürlich im südlichen Afrika oder auch im Süden Afrikas liegt. Auf Südtirol angewendet müssen wir also unterscheiden zwischen dem lockeren Syntagma, das prinzipiell immer möglich war und bei dem Erstbeleg also eine gewisse Zufälligkeit innewohnt, und dem ersten Auftreten als festes Kompositum, bei dem das Erstbelegdatum eine weitaus größere Aussagekraft hat; und natürlich muss sowohl beim Syntagma wie beim Kompositum Südtirol darauf geachtet werden, was jeweils darunter zu verstehen ist. Geschichte, Politik und Namengebung 149 Das lockere Syntagma Südtirol Der Erstbeleg für das lockere Syntagma ist nach unserem derzeitigen Kenntnisstand erstaunlich spät. Wir finden ihn im ersten Band der statistisch-topographischen Landesbeschreibung Tirol und Vorarlberg, den Johann Jakob Staffler im Jahre 1839 in Innsbruck veröffentlichte. Dort heißt es wörtlich (S. 99-100): Hat man den langen und gewaltigen Bergrücken des Brenners im Auge, der die Wasserscheide nicht unbeträchtlicher Flüsse enthält, der, von Westen nach Osten ziehend, das Land in zwei große Hälften theilt: so nennt man ohne weitere Rücksicht jene, die diesem nördlich liegt, „Nordtirol“, und das jenseits gelegene Gebieth „Südtirol“. Hier ist überdeutlich, dass wir es nicht einfach mit fixen, ein für allemal geprägten Landesnamen zu tun haben, sondern mit Augenblicksbildungen, die als Synonyme für „nördliches Tirol“ und „südliches Tirol“ dienen; unter letzterem ist natürlich nicht nur das deutschsprachige Tirol südlich des Brenner zu verstehen, sondern auch das italienischsprachige Tirol, also das Trentino. Das lockere Syntagma tritt im Laufe des 19. Jahrhunderts immer einmal wieder als geografische Bezeichnung für Tirol südlich des Brenner auf (z.B. Baedeker 1846, 100; Kellner 1884), aber die vorherrschende Verwendung war das spätestens seit der Jahrhundertmitte nicht mehr. Das feste Kompositum Südtirol als Synonym von Welschtirol = Trentino Als festes Kompositum finden wir Südtirol seit 1848 als Synonym zu Welschtirol (Wälschtyrol), also nach unserem Sprachgebrauch in der Bedeutung Trentino. In den schwierigen Verhandlungen der Frankfurter Nationalversammlung über die Einbeziehung oder Nichteinbeziehung des Trentino in das zu gründende deutsche Reich wurden Welschtirol, Südtirol, südtirolische Kreise synonym verwendet, und interessanterweise kommt sogar nordtirolischer Kreis im Sinne von „deutschsprachiges Tirol“ vor, also nach heutiger Terminologie Nord-, Ost- und Südtirol zusammen (Fontana 1986, 732; auch in der Karikatur, die ib. 720 abgedruckt ist, meint Südtyrol das Trentino und Nordtirol das ganze übrige Tirol). Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges blieb es dabei, dass Südtirol, als festes Kompositum gebraucht, ausschließlich das Trentino bezeichnete; die italienische Entsprechung war Tirolo italiano (Schneller 1865). Dass das feste Komposi- Johannes Kramer 150 tum Südtirol ausschließlich das italienischsprachige Trentino und nie das deutschsprachige Gebiet zwischen Brenner und Salurner Klause bezeichnete, kann man an einigen Titeln von Büchern sehen, die Dialekten gewidmet sind, die im Trentino gesprochen werden, von Christian Schnellers Romanischen Volksmundarten in Südtirol (1870) über Alfred Bass’ Deutsche Sprachinseln in Südtirol und Oberitalien (1901; deutsche Sprachinseln in Südtirol im heutigen Sinne kann es per definitionem nicht geben) bis zu Karl von Ettmayers Lombardisch-Ladinischem aus Südtirol (1902/ 1995). Und als im Kriegsjahr 1917 ein Buch Zur künftigen Gestaltung Südtirols von Edgar Meyer in Graz herauskam, ging es natürlich nur darum, wie nach dem österreichisch-ungarischen Endsieg der nationalen Unzuverlässigkeit der Trentiner begegnet werden könnte. Die Anzahl der Belege ist erdrückend: Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Kompositum Südtirol von 1848 bis 1918 einfach ein Synonym von Welschtirol war und also das Trentino bezeichnete. Mir ist kein Beleg aus dieser Epoche bekannt, in dem alleiniges Südtirol nur den deutschsprachigen Raum südlich des Brenner mit Ausschluss des Trentino bezeichnen würde; es gibt, wie oben gezeigt, lediglich einige sporadische Stellen in geografischen Werken, in der das Syntagma Südtirol für Tirol südlich des Brenner vorkommt. Herbst 1918: Deutsch-Österreich, Deutsch-Tirol, Deutsch- Südtirol, Südtirol Die Bedeutungsverschiebung, die dem Kompositum Südtirol seine moderne Bedeutung verschaffte, hängt mit den politischen Umwälzungen im Herbst 1918 zusammen, also mit dem Untergang des Habsburgerreiches am Ende des Ersten Weltkrieges. Als sich abzeichnete, dass der Vielvölkerstaat Österreich keine Zukunft haben würde, weil seine Auflösung in Nationalstaaten unvermeidlich war, begann eine unerwartete Karriere der Bezeichnung Deutsch-Österreich, die 1915 zum ersten Male in der Publizistik im Titel einer in Leipzig gedruckten Broschüre aufgetaucht war, deren Ziel es war, einen engeren wirtschaftlichen Zusammenschluss zwischen Deutschland und Österreich zu propagieren: Denkschrift aus Deutsch-Österreich (Sutter 1980, 319). Am 21. Oktober 1918 konstituierte sich in Wien die Provisorische Deutsch-österreichische Nationalversammlung, und die Eröffnungsrede endete mit einem enthusiatischen „Heil Deutschösterreich“ (Sutter 1980, 339). Als am 30. Oktober das neue kleine Österreich ausgerufen wurde, wählte man bewusst den Namen Deutschöster- Geschichte, Politik und Namengebung 151 reich, denn „man wollte damit einerseits die Kontinuität zum alten Staat Österreich und die Verantwortlichkeit für dessen Politik bestreiten, andererseits ein offenkundiges Bekenntnis zur Anschlußbewegung an Deutschland ablegen“ (Pinzer 1993, 50); nicht zuletzt deswegen wurde die Führung dieses Namens von den Alliierten im Friedensvertrag von Saint- Germain untersagt. Die Entwicklungen in Innsbruck und Bozen sind vor dem Hintergrund dieser österreichischen Ereignisse zu sehen. Spätestens seit der Trentiner Abgeordnete Enrico Conci am 24. August 1918 im Reichsrat erklärt hatte, dass die italienischsprachigen Bürger des alten Österreichs sich dem neuen Österreich nicht mehr als zugehörig betrachten könnten (Pinzer 1993, 46), war klar, dass das Trentino für das zukünftige Tirol verloren sein würde. Die Tiroler Nationalversammlung, die sich am 26. Oktober 1918 in Innsbruck konstituierte, konnte also nicht mehr als Vertretung des italienischsprachigen Landesteiles auftreten, und dieser Tatsache trägt die Selbstdefinition Rechnung: „Die heute hier tagenden d e u t s c h t i r o l i s c h e n Landtags- und Reichstagsabgeordneten erklären sich als Tiroler Nationalversammlung“ (Pinzer 1993, 51). Zu diesem Zeitpunkt war die Abtrennung der Gebiete südlich des Brenner noch nicht geschehen, wenn sie sich auch am Horizont abzeichnete; noch reichte also Deutschtirol, denn noch konnte man sich der Illusion hingeben, für ein neues Tirol nördlich und südlich des Brenner planen zu können. Aber bekanntlich überschlugen sich die Ereignisse: „Die Südfront begann sich aufzulösen, und rund 500.000 Mann der X. und XI. Armee strömten weitgehend ungeordnet acht Tage lang über den Brenner und den Reschen von Süden nach Norden“ (Pinzer 1993, 70). Sofort nach dem Waffenstillstand vom 4. November 1918 rückten etwa 400 italienische Soldaten in Meran ein, und ein Bozner Bürgerausschuss ersuchte aus Furcht vor den Disziplinlosigkeiten der abrückenden Reste der österreichischen Armee das am Mendelpass stehende italienische Militär „um regelrechten Schutz vor den zurückflutenden zuchtlosen Truppenteilen“ (Parteli 1993, 4); eine italienische Militärpatrouille kam in Bozen am 6. November an, am 7. November wurde die Stadt regelrecht von den Italienern besetzt, die am 10. November den Brenner und am 11. November Toblach erreichten. In der zweiten Hälfte des November marschierten italienische Truppen auch in Nordtirol ein und besetzten Innsbruck, von wo sie erst 1920 wieder abzogen (Riedmann 1988, 778). Von Anfang November 1918 an war jeder Kontakt über den Brenner hinweg unmöglich geworden, und so gründete man in Bozen schon am 4. November einen Johannes Kramer 152 „Provisorischen Nationalrat für Deutsch-Südtirol“ - als Teilorgan des Tiroler Nationalrates gedacht - unter dem Vorsitz von Julius Perathoner. Das erste „Amtsblatt des Nationalrates für Deutsch-Südtirol“ trägt das Datum vom 17. November 1918, und es ist auffällig, dass zwar ohne Umschweif von Nordtirol die Rede ist, aber peinlich darauf geachtet wird, immer Deutsch-Südtirol zu sagen (Faksimile bei Parteli 1988, 9-11): Mit Ermächtigung der legalen Regierung von Tirol, das ist der Tiroler Nationalrat in Innsbruck, hat am 4. November l. Js. der provisorische Nationalrat für Deutsch-Südtirol mit dem Sitze in Bozen die volle Regierungsgewalt übernommen. Sobald die Verhältnisse es gestatten, wird diese Regierung auf den durch Neuwahlen gebildeten Tiroler Nationalrat übergehen; bis dahin bleibt für Nordtirol der prov. Nationalrat, und für Deutsch-Südtirol der prov. Nationalrat für Deutsch-Südtirol als oberste Regierungsbehörde in Tätigkeit. Natürlich ist Deutsch-Südtirol als Abklatsch von Deutsch-Österreich entstanden; erste Belege tauchen sporadisch während des Ersten Weltkriegs auf, und pikanterweise führt Ettore Tolomei Deutsch-Süd-Tirol als Quasi- Synonym zu seinem Alto Adige an (1916, 144). Der Ausdruck Deutsch- Südtirol hatte aber wenig Chancen auf allgemeine Akzeptanz, solange noch generell das Trentino gemeint war, wenn man Südtirol sagte. Aber die Erinnerung daran verlor nach dem Ende des Weltkrieges schnell an Bedeutung; „der italienische Teil von Tirol ist verloren“, gab sogar der Deutschnationale Eduard Erler schon am 21. November zu (Haas 1993, 102), und auch Welschtirol sagte niemand mehr. Alles lief darauf hinaus, dass das Namenpaar Nordtirol - Südtirol von ausreichender Klarheit schien. Freilich wurde im offiziellen Sprachgebrauch Deutsch-Südtirol aufrechterhalten, solange der „Provisorische Nationalrat für Deutsch- Südtirol“ noch existierte; aber als die italienischen Besatzungsbehörden ihn am 19. Januar 1919 ohne viel Federlesens als nicht existent erklärten, da er „weder von der österreichischen Regierung noch vom italienischen Kommando eingesetzt oder bestätigt worden ist“ (20. Jh. in Südtirol 2000 [2], 18), waren auch die Tage des umständlichen Ausdruckes gezählt, und Südtirol konnte an die Stelle von Deutsch-Südtirol treten. Der erste für die Öffentlichkeit bestimmte Beleg für Südtirol als Kurzform von Deutsch- Südtirol liegt im Memorandum der Bürgermeister aller deutsch- und ladinischsprachigen Gemeinden an Präsident Wilson vor 4 . Im Text wird noch 4 Der Nationalrat für Deutsch-Südtirol hat „am 16. November 1918 einen sehr eindrucksvollen Akt der Verzweiflung gesetzt, indem er die Unteilbare Republik Südtirol proklamierte“ und den Beschluss darüber an Präsident Wilson in New York telegraphierte (Parteli 1988, 13). Ob Unteilbare Republik Südtirol wirklich als Name geplant war, ob die Kurzform Südtirol lediglich den Zwängen zur telegraph-geeigneten Kür- Geschichte, Politik und Namengebung 153 stets Deutsch-Südtirol gesagt, und die Datierung lautet „Deutsch-Südtirol, im Februar 1919“, aber die Überschrift lautet „Die Südtiroler Gemeinden an Wilson im Februar 1919“, und unterzeichnet haben neben Dr. Julius Perathoner, Bürgermeister von Bozen, und Josef Gemaßner, Bürgermeister von Meran, „sämtliche übrigen Bürgermeister von Südtirol“ (Faksimile bei Parteli 1988, 43). Die Kurzform Südtirol setzte sich schnell durch: Schon im Sommer des Jahres 1919 gebrauchte niemand mehr das komplizierte Deutsch-Südtirol, nachdem auch Deutsch-Österreich von der Bühne hatte verschwinden müssen; an das verflossene Südtirol = Welschtirol wollte sich sowieso niemand mehr erinnern. Die politische Katastrophe, die das Ende des Ersten Weltkrieges für das alte Tirol bedeutete, führte also letztlich dazu, dass im Deutschen der Name Südtirol, der noch bis kurz vor Kriegsende das Trentino bezeichnet hatte, frei wurde, um das deutschsprachige Land zwischen Brenner und Salurner Klause (einschließlich Gröden und Gadertal) zu bezeichnen. Angesichts der Anteilnahme der österreichischen und deutschen, besonders bayerischen Öffentlichkeit am Schicksal des unter italienische Herrschaft gekommenen deutschsprachigen Landes südlich des Brenner setzte sich Südtirol im ganzen deutschen Sprachraum sehr schnell durch, nicht zuletzt deshalb, weil es keine konkurrierende griffige Bezeichnung gab. Schon Ende 1919 ist der Name in seiner neuen Bedeutung allgemein bekannt: Als Karl von Grabmayr 1919 im Berliner Verlag Ullstein ein Buch unter dem Titel Süd-Tirol herausbrachte, war der Untertitel „Land und Leute vom Brenner bis zur Salurner Klause“ schon eher schmückendes Beiwerk als notwendige Klarstellung. Die Fährnisse um die staatliche Zulassung und Offizialisierung des Namens sind nicht mehr Gegenstand dieser Abhandlung. Alto Adige und Südtirol: vom Trentino zum Land zwischen Brenner und Salurn Es gilt, ein Fazit zu ziehen. Ein gewisser Parallelismus in der Geschichte der beiden Namen Alto Adige und Südtirol ist nicht zu übersehen: In beiden Fällen handelt es sich um Kompositionen, die in der ersten Hälfte des ze zuzuschreiben ist, muss hier offen bleiben, aber wie dem auch sei, Öffentlichkeitswirkung hat das „gänzlich utopische Vorhaben“ (20. Jh. in Südtirol 2000 [2], 18) sowieso angesichts der italienischen Unterbindung aller auf Unabhängigkeit von Italien gerichteten Pläne nicht entfalten können. Johannes Kramer 154 19. Jh. ins Licht der Geschichte treten, wobei der jeweilige Hauptbestandteil ein altehrwürdiger Name ist, Adige ‚Etsch‘ und Tirol. Bei beiden Kompositionen erfolgt zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Bedeutungsverschiebung: Nachdem sowohl Alto Adige als auch Südtirol während des 19. Jahrhunderts das Trentino bezeichnet hatten, ist seit 1906 bzw. 1918 das Land zwischen Salurn und Brenner der Bezugsrahmen. Freilich sind auch Unterschiede nicht zu übersehen: Im Falle von Alto Adige könnte man von einer aggressiven Bedeutungsveränderung sprechen, die bewusst zu Wege gebracht wurde, um politische Ziele zu erreichen; bei Südtirol haben wir es mit einer Bedeutungsveränderung zu tun, die durch die Änderung äußerer (politischer) Gegebenheiten zu Stande kam, wobei die Zeitgenossen die Bedeutungsverschiebungen nur unbewusst erlebten, aber nicht selbst betrieben - eine durch Veränderung des politischen Umfelds herbeigeführte schleichende Bedeutungsveränderung ohne treibende Individuen. Eine Schlussbemerkung: Wer immer sich mit Namen- oder Wortgeschichte beschäftigt, sollte sich in Bescheidenheit üben. Erstbelege sind bei aller Sorgfalt, die man bei der Suche aufbringt, Zufallsfunde und Glückstreffer, und gar nicht so selten fördert die Lektüre eines abgelegenen alten Buches oder das Studium einer verstaubten Urkunde eine Vordatierung zu Tage. So würde ich mich nicht wundern, wenn für das Syntagma Südtirol ein Beleg vor 1839 auftauchte 5, und Südtirol ist als Kurzform statt Deutsch-Südtirol (das man sich seit der Prägung der Formel Deutsch- Österreich im Jahre 1915 vorstellen könnte) während des ganzen ersten Weltkrieges vorstellbar, wenn auch wegen der Konkurrenz zu Südtirol = Trentino auf keinen Fall häufig. Jeder einschlägige Hinweis wäre mehr als willkommen. Bibliografie AAA = Archivio per l’Alto Adige. Gleno 1906 ff. 5 Christian Kollmann weist darauf hin, dass „1762 auf einer Landkarte von Joseph von Spergs ein Teil Tirols abgebildet“ ist, der „sich Tyrolis pars Meridionalis nennt und im Nordwesten bis Schlanders und im Nordosten bis Ampezzo“ reicht. Angeblich kommt Südtirol als „eine sporadische und unpolitische Beschreibung für das südliche Tirol“ in den Reden Andreas Hofers vor; ich habe bei einer allerdings keineswegs exhaustiven Suche keine einschlägige Stelle gefunden, aber es ist, wie gesagt, gut möglich, dass Belege zu Tage treten. Geschichte, Politik und Namengebung 155 Baedeker, Carl: Handbuch für Reisende in Deutschland und dem österreichischen Kaiserstaate. Coblenz 1846. Battisti, Carlo: „La terza edizione del Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige e il problema toponomastico“. In: AAA 35, 1940, S. 661-681. DI = Schweickard, Wolfgang: Deonomasticum Italicum, Vol. I. Tübingen: Niemeyer 2002. Duden-Namen = Berger, Dieter: Duden. Geographische Namen in Deutschland, Mannheim / Leipzig / Wien / Zürich: Duden 1993. Ettmayer, Karl von: „Lombardisch-Ladinisches aus Südtirol. Ein Beitrag zum oberitalienischen Vokalismus“. In: Romanische Forschungen 13, 1902, S. 321-673 (kommentierte Neuausgabe von Hans Goebl, S. 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Thomas Lindner Die Salzburger Romania - Aufschlußwert der Toponymie 1 Theoretische und methodische Vorbemerkungen „Namenkunde ist doppelt schwer“, hat einmal Günter Neumann in seinem namenkundlichen Seminar am damaligen Institut für Sprachwissenschaft - jetzt Fachbereich Linguistik - der Universität Salzburg gesagt, und er hatte völlig recht damit. Die Aufgabe der Toponomastik ist es, Ortsnamen im weitesten Sinne mit wissenschaftlicher Methode und Systematik in einen sprach-geschichtlichen Zusammenhang zu bringen, ihre Etymologie aufzuzeigen und ihren Bezeichnungstyp zu motivieren. Dadurch wird eine geschichtliche Entwicklung und Kontinuität (oder in manchen Fällen auch Diskontinuität) vor Augen geführt, welche erst durch ihre Bewußtwerdung und Erläuterung einen tieferen Einblick in gegenwärtige Strukturen und Bezüge gewährt. Die sprachwissenschaftliche Interpretation von Toponymen ist wie kaum eine andere linguistische Disziplin von außersprachlichen Faktoren historischer, archäologischer und soziokultureller Natur abhängig, im Gegenzug freilich kann sie oftmals Licht in die ansonsten verdunkelte Historie bringen, so daß hier erst ein interdisziplinäres Vorgehen und Zusammenwirken eine endgültige Klärung der Verhältnisse herbeiführen kann. Es kommt noch hinzu, daß die Herkunft von Eigennamen - seien es nun, um bei den Hauptkategorien zu bleiben, Personennamen oder Ortsnamen - bekanntlich vor allem beim nichtlinguistischen Publikum auf großes Interesse stößt, und hier bleibt es auch nur allzu oft bei unhaltbaren Spekulationen. Daher bedarf es methodisch fundierter und sprachwissenschaftlich exakter Argumentation, um zu seriösen Ergebnissen zu gelangen. Warum aber ist Namenkunde nun „doppelt schwer“? Eine begriffliche Unterscheidung des Namenmaterials vom appellativischen Wortschatz hat von folgenden Prämissen auszugehen. Onyme haben zumeist keine eigentliche Bedeutung mehr aufzuweisen, die man mit dem Appellativwortschatz einer Sprache assoziieren könnte. Ihr Lautkörper mutet oft fremdartig an und kann an kein geläufiges Wort angeschlossen werden, ob nun die dem Namen zugrunde liegende Wortwurzel im Laufe der Sprachentwicklung verlorengegangen ist und Thomas Lindner 158 sich nur im Namenmaterial erhalten konnte, oder ob es sich um eine fremde Sprache handelt, aus der der Eigenname übernommen wurde. Ein Name kann andererseits auch völlig problemlos sein und mit vorhandenem Wortgut leicht identifiziert werden; doch auch hier wird diese etymologische Transparenz nicht die erste, intuitive Vorstellung vom Namensträger sein, es fehlt also auch diesem Namenstyp die aktuelle semantische Motiviertheit und denotative Funktion. Wenn der synchrone Sprecher etwa in einer alltäglichen Gesprächssituation den Namen Salzburg verwendet - ein Kompositum, das von der Gesamtstruktur wie der Bedeutung seiner Einzelteile völlig durchsichtig ist -, wird der Bedeutungsinhalt ‚Salz‘ bzw. ‚Burg / Stadt an der Salzach‘ nicht die primäre Vorstellung von der Stadt Salzburg sein, es sei denn, man reflektiert metasprachlich - etwa in Form eines historischen oder wortgeschichtlichen Diskurses - über den Namen. Bei einem romanischen Toponym hingegen wie z.B. Vigaun im Süden der Stadt Salzburg - wir kommen darauf noch zu sprechen - erübrigt sich dieser Gedankengang. Als Schlußfolgerung ergibt sich also: Onyme erfüllen im wesentlichen eine lediglich identifizierende und individualisierende Funktion und stellen somit prinzipiell austauschbare Etiketten ihrer Träger dar; sie haben ungeachtet ihres zur Zeit der Prägung durchaus vorhandenen Benennungsmotivs aus heutiger Sicht keine vordergründige bedeutungsmäßige Relevanz und sind somit arbiträr geworden. Dieser Desemantisierungsprozeß ist natürlich graduell und nicht abrupt verlaufen; entweder wurden schon unverstandene Namen übernommen, oder die eigenen Namen haben sich infolge von Lautwandel o.ä. im Laufe der Zeit „abgenützt“, weil ja nicht mehr das Denotat, sondern die Referierbarkeit im Vordergrund stand. Der eben skizzierten Tendenz steht freilich ein Grundbedürfnis der Sprecher gegenüber, dem opak gewordenen Wortmaterial gewissermaßen im nachhinein Bedeutung abzugewinnen - man kann dies sowohl im appellativischen wie auch proprialen Wortschatz beobachten. Daher rühren dann die volksetymologischen (Um-)Deutungen, die mit der eigentlichen Herkunft, der Etymologie des Namens nichts mehr zu tun haben. Man kann somit den prekären, quasi „doppelt schweren“ Status der Namenforschung folgendermaßen auf den Punkt bringen: Wenn das zusätzliche Korrektiv der Bedeutungsseite fehlt und zuvor erschlossen werden muß, wird oftmals erst das Umfeld der historischen, siedlungsgeschichtlichen und archäologischen Erkenntnisse weiterhelfen; auch die geographischen Gegebenheiten, mithin die Realprobe, müssen bei der Analyse miteinbezogen werden. Umgekehrt sind es aber nicht selten die Die Salzburger Romania - Aufschlußwert der Toponymie 159 sprachlichen Fakten, die verdunkelte historische Gegebenheiten zu erhellen vermögen. Darauf erst kann sich eine auf Wissenschaftlichkeit Anspruch erhebende Namenforschung gründen. 2 Die Salzburger Toponymie „Die ältesten Ortsnamen sind stets die ältesten Sprachdenkmäler des Landes. Sie sind durchaus bodenständig. [...] Sie sind, wenn man es so sagen darf, das autochthonste Gefüge unter den ältesten Geschichtsquellen“. So hat in den 1950er Jahren Eberhard Kranzmayer in seinem Aufsatz über die Salzburger Ortsnamen den besonderen Aufschlußwert der Namen im allgemeinen wie auch im speziellen Salzburg-Bezug trefflich charakterisiert (Kranzmayer 1957: 1f.). Ihre zunächst noch vorwissenschaftliche Erforschung weist eine etwa 150jährige Geschichte auf. August Prinzinger d.Ä. und Franz Valentin Zillner befaßten sich bereits in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts mit der Thematik, zwanzig Jahre später hat dann der Historiker Ludwig Steub sehr phantasievolle und daher oft unhaltbare Namendeutungen geliefert (z.B. hat er Baderluck aus einem romanischen ponte de l’oca ‚Gänsebrücke‘ herleiten wollen), was den Sprachwissenschaftler Theodor von Grienberger zu scharfen Polemiken herausforderte. Obwohl dieser die wissenschaftliche Erforschung der Salzburger Ortsnamen eingeleitet hatte, blieb es auch bei ihm oft bei fragwürdigen Resultaten (z.B. Raúris aus romanisch *rurése [aqua] ‚in der Ebene fließende [Ache]‘, Wallersee vom Waller u.ä., Grienberger 1886 passim). In den fünfziger Jahren des 20. Jhs. trat vor allem die Wiener Namenkundliche Schule unter der Ägide des schon zitierten Eberhard Kranzmayer hervor und beeinflußte die etymologische Erforschung der österreichischen Ortsnamen nachhaltig, wie übrigens auch die Innsbrucker Schule unter Karl Finsterwalder und die Grazer Schule unter Wilhelm Brandenstein. Diese mosaikhaften und sporadischen Bemühungen wurden Anfang der 1970er Jahre von Franz Hörburger systematisch zusammengefaßt, allerdings erschien sein monographisch und nicht in lexikonartiger Form aufgebautes Salzburger Ortsnamenbuch erst postum im Jahr 1982 in der Endredaktion durch Ingo Reiffenstein und Leopold Ziller. Seit den achtziger und neunziger Jahren beschäftigen sich Ingo Reiffenstein und der Referent intensiv mit der Salzburger Toponymie. Die Salzburger Toponyme - und darunter sind ja Ortsnamen im weiteren Sinne, also eigentliche Ortsnamen, Hofnamen, Flur-, Geländena- Thomas Lindner 160 men, aber auch Gewässernamen, Flußnamen, Bergnamen zu verstehen - lassen sich am besten im Rahmen siedlungsgeschichtlicher Klassifikation erörtern. Und hier gilt es, einen wichtigen namenkundlichen Grundsatz vorauszuschicken. Es ist bei einem derart archaischen und heterogenen Material wie den Ortsnamen ja von vornherein anzunehmen, daß sich darunter in erhöhtem Ausmaß Relikte aus viel älteren, längst überschichteten Sprachen erhalten haben. Dieses „toponomastische Konstanzprinzip“ besagt, daß Ortsnamen im allgemeinen auch bei mehreren Sprachwechseln übernommen und bestenfalls adaptiert oder volksetymologich umgestaltet, kaum jedoch mit den Mitteln der aktuellen Sprache neu geschaffen werden. Daraus folgt, daß die Namen also in der Regel auf die Gründer der jeweiligen Ortschaften oder, allgemeiner formuliert, auf die Erstbenenner topographischer Zustände zurückgehen; in besonderer Weise gilt dies für größere Gewässer als Orientierungshilfen und Transportwege in alter Zeit. Es ergibt sich nun, chronologisch angeordnet, folgende sprachliche Stratifikation: A. Vorrömische, d.h. (a) keltische Ortsnamen aus der Hallstattzeit (von ca. 800-500 v. Chr.) und der La-Tène-Zeit (von 500-15 v. Chr.) oder (b) noch ältere, der indogermanisch-alteuropäischen Grundsprache (im zweiten vorchristlichen Jahrtausend) zuzuschreibende Namen. Noch bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts hat man diese letzteren Namen gerne als illyrisch apostrophiert, weil man geglaubt hat, die Illyr(i)er seien als Vorgänger der Kelten über ganz Europa verbreitet gewesen. Das hat sich freilich als falsch erwiesen: Es hat in Mitteleuropa niemals Illyrer gegeben (ausführlich dazu Lindner 2002a mit weiterführender Literatur). Diese Erkenntnis ist für den Namenforscher zwar mittlerweile eine Binsenweisheit geworden, die einstige Illyriomanie scheint aber in populärwissenschaftlichen Geschichts-darstellungen - gefiltert zwar, aber doch - immer noch herumzugeistern. Gewissermaßen als Reaktion darauf bescheidet man sich im wissenschaftlichen Diskurs heutzutage zumeist mit dem wenig aussagekräftigen Etikett „voreinzelsprachlich“. Doch bietet sich gerade hier das von Hans Krahe entwickelte und seinen Schülern verfeinerte Konzept der Alteuropäischen Hydronymie an: Bei oft über ganz Europa - Mittel- und Südeuropa, die britischen Inseln sowie Osteuropa und Baltikum - verbreiteten Gewässernamen ist zurecht mit sehr hohem Alter zu rechnen. In Lindner 2002a: 12 findet sich eine kritische Würdigung des Terminus Alteuropäisch und seiner heutigen indogermanistischen Relevanz. Als Sukus bleibt, daß auf dieser spätindogermanischen Folie sich die meisten derar- Die Salzburger Romania - Aufschlußwert der Toponymie 161 tigen Namen, typischerweise Hydronyme, im Rahmen indogermanistischer Argumentation gut absicherbaren Deutungen zuführen lassen. B. Die römisch-romanische Schicht, auf die ich gleich zu sprechen kommen werde. C. Germanisch-bairische (deutsche) Ortsnamen, die als dominantes Stratum die Hauptmasse unserer Ortsnamen ausmachen, durch die Besiedelung der Baiern ca. seit dem 6. nachchristlichen Jahrhundert, und D. Slavische Ortsnamen, die vor allem im Süden des Bundeslandes Salzburg - im Ennspongau und im Lungau - anzutreffen sind, im Grenzgebiet, wo es in der Zeit des Frühmittelalters zu ausgeprägten ethnischen Überschneidungen gekommen war. 3 Romanische Toponyme in Salzburg: die Salzburger Romania Nun aber zu den romanischen Ortsnamen im Rahmen der Salzburger Toponymie, die auf die lateinsprachige, von Gamillscheg so genannte alpenromanische Bevölkerung zurückgehen. Diese Alpenromanen haben sich ja im Salzburger Gebiet - und insbesondere im Salzburger Becken südlich der Stadt Salzburg bis etwa zum Paß Lueg (eben in der sog. „Salzburger Romania“) - als recht diffuse Siedlungsschicht bis weit über das 8. Jh. n. Chr., in Rückzugslagen wie der Almbewirtschaftung bis ins 11. Jahrhundert gehalten. Es ist bemerkenswert, daß die Salzburger Romania außerlinguistisch nach dem 8. Jahrhundert und insbesondere bis ins 11. Jahrhundert kaum mehr nachweisbar ist und hier nur das sprachliche Material mit den unten besprochenen Laut- und Substitutionsregeln eine recht genaue Landkarte der romanischen Besiedlung erstellen läßt; das geht sogar soweit, daß eine Ortsnamensgrenze zwischen romanischen und bairischen Toponymen etwa auf der Höhe der Stadt Salzburg feststellbar ist, südlich Romania, nördlich, im Flachgau, Germania. Ich verweise hier grundsätzlich wie auch im Detail, auch zur Frage eines mutmaßlichen willentlichen Kontinuitätsbruchs zwischen Germania und Romania, auf den Überblick in Hörburger 1982: 33ff. (vorher schon 1967: 1ff.) sowie auf die Beiträge von Reiffenstein 1991, 1996 und 2004. Thomas Lindner 162 Als für romanische Namen archetypische Beispiele seien Gamp, Vigaun und Kuchl kurz besprochen, wodurch wichtige romanische Lauteigentümlichkeiten und sich daraus ergebende Probleme bei der Übernahme ins Althochdeutsche besonders augenfällig werden. Gamp (Erstbeleg ca. 790: villula Campus) läßt sich auf romanisch campo (lat. campus) ‚freies Feld‘ zurückführen, wobei die Substitution von cdurch gden Schluß nahelegt, daß der romanische Lenis-Verschlußlaut / k/ (geschrieben <c>) nicht der althochdeutschen Fortis entsprach und die Eindeutschung des Namens erst nach der zweiten Lautverschiebung, also nach dem 8. Jh. erfolgt ist. Auch bei Vigaun ist dies zu beobachten; der Name rührt wohl von einem romanischen *vicóne ‚Großdorf‘ her (zu lat. vicus ‚Dorf‘); eine entsprechende Formation mit dem Augmentativsuffix -óne dürfte auch Lidaun (bei Faistenau) als *litóne ‚Großufer, große Leite‘ (vgl. lat. litus, ital. lido) sein, lautlich analog zu Vigaun mit west- und damit alpenromanischer intervokalischer Lenierung sowie nasaler Hebung von -óne zu -ún und anschließender spätmittelhochdeutscher Diphthon-gierung. Im übrigen ist die für das Germanische untypische Endbetonung zumeist ein Indiz für romanische Herkunft. Man darf darüber hinaus annehmen, daß die Erstnennung in der Notitia Arnonis, ad Fuginas, eine Verschreibung (graphische Metathese) für *Figúnas darstellt, was weitere urkundliche Schreibungen (vgl. in den Breves Notitiae: ad Vigûn) bzw. das heutige Resultat Vigaun nahelegen. Kuchl, auf keltolateinisch cucullus ‚Kapuze, geogr.: Kuppe‘ zurückgehend (erste Belege: Tabula Peutingeriana: Cuculle; Eugipp: castellum Cucullis, Not. Arn.: ad Cucullas; erstmals bairisch in den Brev. Not.: ad Chuchil), durchlief indes die hochdeutsche Lautverschiebung, was auf eine sehr frühe Übernahme, noch vor 700, schließen läßt. Bezeichnenderweise ist eine Ableitung von Kuchl, nämlich die Gugi- (-e-)lan-Alm (Not. Arn.: alpis Cucullana), aufgrund ihrer lautlichen Gestalt erst viel später, jedenfalls nach erfolgter Lautverschiebung, eingedeutscht worden, was nicht wundernimmt, da diese romanische Lautgestalt (Gugilán) auch auf die langandauernde Präsenz der Romanen vor allem im Bereich der Rückzugsgebiete der Almwirtschaft weist. Auch die Walchen-Namen zeigen diese romanische Präsenz nach der bairischen Landnahme indirekt. Der althochdeutsche Name uualach bedeutete ‚Romane‘ und kommt letztlich von den Volcae, die ursprünglich ein gallischer Stamm waren, deren Ethnonym aber aus fremder Sicht später auf benachbarte Völker übertragen wurde. Archetypisch ist Wals; in seiner ursprünglichen urkundlichen Gestalt Uualachouuis (8./ 9. Jh.) ist der Name altbairisch und lässt sich analysieren als ahd. uualachô (Genitiv Pl. von uualach) und ahd. uuîs ‚Dorf‘ (vgl. got. weihs, weiters Weichbild; lat. Die Salzburger Romania - Aufschlußwert der Toponymie 163 vicus). Das romanische Pendant vicus Romaniscus, möglicherweise eine getreue Übersetzung des altbairischen Namens, läßt keinen Zweifel an einer ‚romanischen Siedlung, Siedlung der Welschen‘ aufkommen. Wenn dazu noch bei einem Seewalchen ein Bayerham in unmittelbarer Nachbarschaft am Ufer des Wallersees liegt, ersieht man auch hieraus sehr schön die Koexistenz beider Ethnien. (Nebenbei bemerkt, dürfte auch Wallerin Wallersee nicht auf den Fisch Waller, sondern auf ein romanisches Etymon zurückzuführen sein; s. dazu Reiffenstein 2004: 466f.) Die Walchen-Namen gehen - entlang der Römerstraße von Iuvavum nach Lauriacum - bis ins Oberösterreichische, wie etwa Straßwalchen im äußersten nordöstlichen Flachgau und auch Walchen bei Frankenmart sowie Seewalchen am Attersee zeigen. (Man beachte auch etliche Walchen-Orte, etwa Traunwalchen, bei Traunstein an der alten Römerstraße nach Augsburg.) Weitere Namen seien angeführt: Grödig im Bereich der engeren Salzburger Romania mit seinem urkundlichen Erstbeleg Crethica (8. Jh.) erinnert an ein alpenromanisches Wort (friaul. cret) mit der Bedeutung ‚Fels, Felsspalte eines Berges‘, eine Benennung, die den Untersberg im Auge hatte und somit auch der Realprobe standhält. Diese Ansicht stützt sich auf die Bedeutung von lat. crepitare ‚platzen, rissig werden‘ und seine rückläufige Ableitung vlat. *crépita > cretta ‚Riß, Spalte‘. Andere, auch keltische Deutungen dieses Namens sind m.E. weniger stringent (vgl. Lindner 2002b: 548). Es ist klar, daß die Frequenz romanischer Namen im Süden und Südwesten des Bundeslandes, vor allem gegen Tirol hin, zunimmt. Ein Beispiel dafür ist Fusch (urkundlich ca. 963: Uuska als Bezeichnung der Fuscher Ache). Der Name geht auf lat. fuscus ‚trüb, dunkel‘ zurück und ist durch die Farbe des Gewässers motiviert (fusca aqua; vgl. aus onomasiologischer Sicht das deutsche Schwarzach im Pongau). Nebenbei bemerkt, ist Fuschl (im Salzkammergut) damit nicht verwandt (also etwa ein Deminutiv von fuscus), sondern aus auch urkundlich belegtem splat.-rom. lacusculus ‚kleiner See‘ herzuleiten. Ich möchte mit zwei Beispielen schließen und damit zeigen, daß sich noch unerkannte romanische Namen im Salzburger Material finden lassen und daß man auch in diesem Bereich noch zu neuen oder alternativen Erkenntnissen gelangen kann. In Hörburger 1982: 147 wird für das heutige Oikonym Krispl eine germanische Herkunft erwogen, indem von mhd. kruspel ‚Knorpel‘ ausgegangen und somit eine ursprüngliche Bergbzw. Geländebezeichnung (‚knorriges Baumwerk‘) angenommen wird. Aufgrund der eindeutigen Formulierungen der frühen Belege (zunächst 1350: sub monte dicto Chrispel) empfiehlt es sich auch, von einem Bergnamen Thomas Lindner 164 auszugehen und davon den Siedlungsnamen abzuleiten. Dieser „Transfer“ ist allgemein gut bezeugt und bedarf keiner weiteren Rechtfertigung; der Personenname Crispinus bleibt daher hier besser aus dem Spiel. Doch kommen wir zu einer zweiten Deutungsmöglichkeit, diesmal aus dem Fundus romanischen Etymolo-gisierens. In seiner kleinen Schrift Über romanische Ortsnamen in Salzburg schlägt Theodor von Grienberger (1886: 15) vor, von einem romanischen crispulo (monte), d.h. lat. crispulus (mons) auszugehen, wobei das Stammwort crispulus sich auf die Vegetation des Berges beziehe. Ich meine, daß das romanische Umfeld und die Semantik schon für diese Vermutung sprechen können. Crispulus ist bereits spätlateinisch belegt, und die figürliche Bezeichnung ‚kraus‘ für Vegetation läßt sich zumindest für die Basis crispus und crispāns antiklateinisch nachweisen (z.B. folium crispum, buxus crispans, media pars arborum crispior). Das Deminutiv hat im Spätlateinischen aufgrund affektiver Faktoren gewuchert (vgl. weitere Bezeichnungen aus der Salzburger Romania: lacusculus > Fuschl, monticulus > Múntigl, alpicula > Alpígl bzw. eingedeutet Alpbichl etc.), die Vegetation des Berges wäre auch in diesem Fall namenstiftend gewesen. (Zu den lautlichen Komplikationen vgl. Lindner 1995: 108.) Die Standardmeinung zur Herkunft des Almnamens Fager bezieht sich auf ahd. fagar, mhd. vager ‚schön, prächtig‘, woraus sich eine Gesamtbedeutung wie ‚Schönalm‘ ergibt, was auf eine bevorzugte Lage abziele (so Hörburger 1982: 131). Eine solche Benennung ist sowohl von der Menge ähnlicher Namen wie auch von der Realprobe her nicht unplausibel. Nichtsdestoweniger könnte man sich auch eine andere Etymologie, zumindest für die Elsbethner Fager, vorstellen. Bedenkt man, daß das Gebiet um die Fageralm reichlich bewaldet ist (v.a. Laub- und Mischwald) und daß die frühen Belege nicht als Komposita (Fageralm o.ä.) aufscheinen, sondern lediglich Uagara (1141), Vager (1320) lauten, ergibt sich zwangsläufig auch eine Assoziation an lat. fāgus ‚Buche‘. Dazu kommt, daß Almen, wie schon ausgeführt, im allgemeinen Rückzugsgebiete der in unserem Gebiet bis in das Hochmittelalter ansässigen Romanen waren (vgl. Gugilan-, Alpigl- / Alpbichl-Alm). Im späten Vulgärlatein, v.a. in protoromanischer Zeit wurde die Pluralendung s-stämmiger Neutra (Typ corpora) auch auf die geläufigen o- Nomina übertragen. Dies findet sich in ziemlich produktiver, wuchernder Weise in mittelalterlichen Urkunden Italiens, zum Teil hat sich dieser Bildetyp noch bis in die Gegenwart in mittel- und süditalienischen Dialekten erhalten; die Analogie war dermaßen stark, daß auch germanische Etyma in diese Pluralbildung involviert waren (vgl. lat.-rom.: tectora ‚Dä- Die Salzburger Romania - Aufschlußwert der Toponymie 165 cher‘, campora ‚Felder‘, vicora(s) ‚Dörfer‘, ortora(s) ‚Gärten‘, luogora ‚Gegenden‘ usw.; germ.: burgora ‚Burgen‘, waldora ‚Wälder‘). Gerade Bezeichnungen für Lokalitäten begegnen recht häufig: locora, campora, ortora, bustora ‚Gebüsche‘, pratora ‚Wiesen‘, waldora u.v.a. (vgl. HGIS II,57ff.). Zieht man diese in frühromanischer Zeit geläufige Pluralbildung in Betracht, so ergibt sich für die ersten Belege von Fager folgende Interpretationsmöglichkeit: Uagara ist ein protorom. kollektiver Plural *fágora ‚Buchen(-hain)‘ (mit mhd. Graphie <u/ v> für f-, vgl. Mettke 1993: 90, und Assimilation des mittleren Vokals). Es ist zudem denkbar und wahrscheinlich, daß bei der Übernahme ins Deutsche automatisch das Adjektiv vager ‚prächtig‘ eingedeutet wurde. So konnte der Name späterhin auch leicht mit deutschen Zusätzen verdeutlicht bzw. weitergebildet werden (z.B. Fagerreit). 1 4 Bibliographie Grienberger, Theodor von: Ueber romanische Ortsnamen in Salzburg. Salzburg 1886. HGIS = Rohlfs, Gerhard: Historische Grammatik der italienischen Sprache, Band 2. Bern 1949. Hörburger, Franz: „Die romanischen und vorrömischen Ortsnamen des Landes Salzburg“. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 107, 1967, S. 1-48. Hörburger, Franz: Salzburger Ortsnamenbuch (bearb. von Ingo Reiffenstein und Leopold Ziller). Salzburg 1982. Kranzmayer, Eberhard: „Die Ergebnisse der neuesten österreichischen Ortsnamenkunde und das Land Salzburg“. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 97, 1957, S. 1-16. 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Thomas Lindner 166 Mettke, Heinz: Mittelhochdeutsche Grammatik. Tübingen 7 1993. Reiffenstein, Ingo: „Vom Sprachgrenzland zum Binnenland. Romanen, Baiern und Slawen im frühmittelalterlichen Salzburg“. In: Zeitschrift für Literatur und Linguistik 21, H. 83, 1991, S. 40-64. Reiffenstein, Ingo: „Namen im Sprachaustausch: Romanische Relikte im Salzburger Becken“. In: HSK 11.2 [Namenforschung] 1996, S. 997-1006. Reiffenstein, Ingo: „Romanische Orts- und Flurnamen im Salzburger Flachgau“. In: Krisch, Thomas / Lindner, Thomas / Müller, Ulrich (Hgg.): Analecta homini universali dicata (FS Panagl; SAG 421), Band 1. Stuttgart 2004, S. 461-471. Reitzenstein, Wolf-Armin Frhr. v.: „Siedlungsnamen, Flurnamen und Lehennamen im Land Berchtesgaden“. In: Brugger, Walter / Dopsch, Heinz / Kramml, Peter F. (Hgg.): Geschichte von Berchtesgaden, Band I. Berchtesgaden 1991, S. 85- 152. Carli Tomaschett Orts- und Flurnamen und siedlungsgeschichtliche Erkenntnisse 1 Landnahmeprozesse im Spiegel von Orts- und Flurnamen 1.1 Allgemeines Landnahmeprozesse lassen sich auch in Flurnamenlandschaften nachweisen. Für diesen Nachweis wurde in der Untersuchung über die Orts- und Flurnamen der Gemeinde Trun in der Surselva im Kanton Graubünden in der Schweiz die Methode der Ersterwähnung der einzelnen Orts- und Flurnamen angewandt. Dieses Vorgehen ist nur dann möglich und sinnvoll, wenn für das Untersuchungsgebiet viel und zeitlich möglichst weit zurückreichendes Quellenmaterial vorhanden ist. Vor voreiligen Schlüssen soll aber auch bei der Methode der Ersterwähnung von vornherein gewarnt werden. So wäre es natürlich viel zu einfach, behaupten zu wollen, die erste urkundliche Erwähnung einer Örtlichkeit sei zeitlich identisch mit der Inanspruchnahme und Nutzung durch die Siedler. Im einzelnen Fall können selbstverständlich der Zeitpunkt der Inanspruchnahme einer Örtlichkeit durch die Siedler und der Zeitpunkt der Ersterwähnung derselben Örtlichkeit in einem Dokument weit auseinander liegen. Die Methode erlaubt aber, ab dem Zeitpunkt, von dem an Dokumente regelmässig vorliegen, den zeitlichen und räumlichen Verlauf eines Landnahmeprozesses in seinen Hauptzügen nachzuweisen. Auch soll an dieser Stelle nicht vergessen werden, dass Landnahmeprozesse, zumindest in gebirgigen und unwirtlichen Gegenden, nicht streng linear verlaufen, sondern dass immer wieder Gebietsteile urbarisiert, eine Zeitlang genutzt und dann wiederum sich selbst überlassen werden. 1.2 Die Gemeinde Trun (Graubünden/ Schweiz) als Beispiel Für das Gebiet der Gemeinde Trun, gelegen etwa auf halbem Wege zwischen der ersten Stadt am Rhein, Ilanz, und dem Klosterdorf Disentis, wurden zum Nachweis des Landnahmeprozesses für den Zeitraum von 1400-1900 Karten erstellt mit allen in den einzelnen Jahrhunderten erstmals erwähnten Orts- und Flurnamen. Für den Zeitraum vor 1400 Carli Tomaschett 168 Orts- und Flurnamen und siedlungsgeschichtliche Erkenntnisse 169 eignet sich für das Trunser Gebiet die Methode der Ersterwähnung von Flurnamen nicht, da bis zum 15. Jahrhundert urkundliche Belege nur spärlich vorliegen. Die erstellten Karten erlauben folgende Schlüsse. 1.2.1 Siedlungsbild im 15. Jahrhundert (Karte 1) Im 15. Jahrhundert war das Talbecken bereits gut besiedelt, und es lassen sich mit Trun und Zignau (dt. Ringgenberg) zwei Hauptsiedlungszentren feststellen. Von Zignau aus bebaute man das Land vorwiegend auf der Westseite des Dorfes und zwar bis auf eine Höhe von 1100 m ü. M. Am linksrheinischen Hang, mit dem Dorf Trun als Siedlungszentrum, war die Urbarisierung auf dem Gebiet zwischen dem Hof Cumadé und dem Val Farbertg erfolgt, wobei die obere Grenze auf etwa 1300 m ü. M. lag. Die beiden Hauptsiedlungszentren mit dem zugehörigen Siedlungsgebiet waren deutlich voneinander getrennt durch den Verlauf des Rheins, der sich damals über die Ebene südlich vom Dorfe Trun verästelte und dem entlang sich ein weiter Erlenwald ausbreitete. Schliesslich werden im 15. Jahrhundert auch die Maiensässgruppe Barcuns und die beiden Alpen Nadels und Punteglias erwähnt, womit sich der dreistufige Landwirtschaftsbetrieb, bestehend aus Tal-, Maiensäss- und Alpwirtschaft, für diesen Zeitabschnitt belegen lässt. Die Siedler des Trunser Beckens waren also in ihrem Landnahmeprozess bis in Gebiete auf über 2000 m ü. M. vorgestossen. 1.2.2 Landgewinn bei Zignau im 16. Jahrhundert (Karte 1) Im 16. Jahrhundert lässt sich eine Intensivierung der Siedlungstätigkeit am Hang südöstlich von Zignau feststellen. 1.2.3 Ausbau des Siedlungsraumes im 17. und 18. Jahrhundert (Karte 2) In seinen Hauptlinien war der Trunser Siedlungsraum Ende des 16. Jahrhunderts bereits urbarisiert. Für das 17. und 18. Jahrhundert lassen sich in der Neugewinnung von Kulturland folgende vier Tendenzen feststellen. Erweiterung an den Aussenseiten: In der Ebene westlich von Campliun, am Hang zwischen Flutginas und Prau Liung, östlich vom Weiler Tiraun und südlich von Zignau. Ausbau innerhalb des Siedlungsraumes: An den Hängen unterhalb der Turmburg Casti da Cartatscha, im Gebiet westlich von Caltgadira und um den Weiler Cartatscha herum. Carli Tomaschett 170 Orts- und Flurnamen und siedlungsgeschichtliche Erkenntnisse 171 Ausdehnung des Wirtschaftsraumes in höheren Regionen: Am Hang von Munt, im Wald oberhalb der Maiensässgruppe Barcuns, in der Alp Nadels und in Criedi. Erste Landnahme dem Rhein entlang: Die auffallendste Erscheinung in der Kulturlandgewinnung im 17. Jahrhundert ist die erste Landnahme dem bisher gemiedenen Rhein entlang. Für die Ebene südlich vom Dorfe Trun ist das Gut Compogna belegt, nördlich vom Weiler Lumneins wurde das Land genannt Sorts bewirtschaftet. Im 18. Jahrhundert sucht man neues Kulturland häufig in der Nähe des Rheins. Das beweist die Konzentration von Flurnamen in dessen Nähe. - Auf der linken Rheinseite: Runcaglia, Ogna, Sorts sowie das Gebiet zwischen Mangur und Ruinas. - Auf der rechten Rheinseite: Der Landstrich zwischen Plaun Rensch und Rodunda. Die wachsende Bevölkerungszahl trieb die Menschen auf ihrer Landsuche offensichtlich in bisher bewusst nicht beanspruchte Geländepartien. Dass eine Landgewinnung dem Rhein entlang auch Massnahmen verlangte, um die neuen Anbauflächen vor dem Übergriff des Wassers zu schützen, versteht sich. Ein Dokument aus dem Jahre 1620 besagt denn auch, dass in den vorangegangenen Jahren in der Ebene südlich von Trun zum Schutze des dortigen Kulturlandes und insbesondere auch zum Schutze der Kirche Sogn Martin Wuhren erstellt worden seien. 1.2.4 Sehr intensive Nutzung im 19. Jahrhundert Im 19. Jahrhundert wird der Trunser Siedlungsraum sehr intensiv beansprucht. Die Landnahme wird nach allen Seiten fortgesetzt, und auch von der Lage und der Bodenqualität her ungünstige Orte sind als Kulturland willkommen (z.B. Cuolm dil Fontana und Cuolm dalla Val im Val Zavragia sowie Cuolm Andriu nordöstlich des Weilers Lumneins; heute sind die genannten Maiensässe mit Wald überwachsen). Immer wieder wird die Gemeinde um die Gewährung von Weidepartien und Rodungsbewilligungen ersucht. Die Landwirtschaft beansprucht den Boden sehr stark. Man nutzt die Hänge von zuunterst bis in die höchsten Regionen. Auf die beiden Alpen Nadels werden neben dem Rindvieh auch Schweine, Pferde und Geissen getrieben. Dort, sowie auf der anderen Talseite in Punteglias, werden zudem Erze abgebaut mit den damit verbundenen negativen Folgen für den Wald. Carli Tomaschett 172 2 Örtlichkeitsbenennungen und landwirtschaftliche Betriebsstufen In Gegenden mit dezentralisierter Landwirtschaft und gestreuten Ökonomiegebäuden, zu denen auch die Surselva im Kanton Graubünden in der Schweiz zumindest bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts gehörte, spiegeln sich die Betriebsstufen in der Regel recht gut auch in der Namenlandschaft wider. Bei der Deutung des vom Namengut einer Gegend oder Gemeinde dargebotenen Bildes gilt es natürlich, behutsam vorzugehen. Bevor die eigentliche Interpretationsarbeit beginnen kann, müssen die Begriffsinhalte der die betreffenden Orts- und Flurnamen bildenden Wörter bekannt sein bzw. erschlossen werden können. So hat z.B. das Wort cuolm im Surselvischen, dem rätoromanischen Idiom der Surselva, die Bedeutungen «Maiensäss», «Berg», «Bergübergang» und «hochgelegene Alpweide». Als Beispiel für die Aussagekraft von Orts- und Flurnamen betreffend die landwirtschaftlichen Betriebsstufen soll nun das Gebiet der Gemeinde Trun ein bisschen näher angeschaut werden. Der für Trun seit dem 15. Jahrhundert nachweisbare dreistufige Landwirtschaftsbetrieb, bestehend aus Tal-, Maiensäss- und Alpwirtschaft, äussert sich in der dortigen Namenlandschaft in den häufigen, meistens als Namenbestandteile figurierenden Bezeichnungen acla «Gadenstatt» bzw. clavau, eigentlich mit der Bedeutung «Stallscheune», oft aber in Benennungen von Gadenstätten zum Namen geworden, weiter in cuolm «Maiensäss» und alp «Alp» (vgl. Karte 3). Hierbei fällt auf, dass zwei heutige Maiensässgruppen in der Übergangszone zwischen Tal- und Maiensässwirtschaft einen mit acla gebildeten Namen aufweisen, nämlich Acla Martin und Acla Plauna am rechtsrheinischen Hang. Vom Namen her müssten sie folglich früher als Gadenstatt bewirtschaftet worden sein. Während bei Acla Martin bereits in der ersten bekannten urkundlichen Erwähnung von einem Maiensäss die Rede ist (1695 auf dem Meyesess Acla Martin genant), heisst es für Acla Plauna im 15. Jahrhundert «ab der gadenstatt Agla plona genant». Die Änderung der Nutzungsform ist in einem Fall für das Jahr 1785 belegt, als die Gemeinde ersucht wird: de schar far cuolm ord la Accla de accla Plauna, die Gadenstatt Acla Plauna in ein Maiensäss umwandeln zu lassen. Und in einem Kaufprotokoll aus dem Jahre 1860 heisst es dann auch: tochen si tier il cuolm de L‘aclapleuna, bis hinauf zum Maiensäss Aclaplauna. Dass die Änderung der Nutzungsform von der Gemeinde genehmigt werden musste, ist dahingehend zu verstehen, dass ein solcher Wechsel auch bestimmte Rechte der Allgemeinheit aufheben bzw. der Besitzer damit Orts- und Flurnamen und siedlungsgeschichtliche Erkenntnisse 173 Carli Tomaschett 174 gewisse Rechte erwerben konnte. Bei der Änderung von Talin Maiensässwirtschaft konnte Land von der Gemeinatzung ausgenommen werden, und in Einzelfällen mochten dadurch auch Vorweiderechte auf einer Alp, sogenannte Mairechte, erlangt werden. Mehr Fragen als die zwei obgenannten Beispiele wirft der Name Acla Su auf für eine ehemalige Maiensässgruppe, die sich gerade unterhalb der heutigen Alpgebäude von Nadels Dadens befand auf einer Höhe von rund 1950 m ü. M. Es sei hier lediglich vermerkt, dass gemäss mündlicher Überlieferung Nadels Dadens früher eine ganzjährige Wohnstätte gewesen sein soll. Schöne Beispiele, wie Benennungen von Örtlichkeiten auch die Betriebsstufe kennzeichnen, sind die beiden Namen Cuolm Andriu und Cuolm dallas Ruinas für zwei ehemalige Maiensässe im östlichen Talgrund der Gemeinde Trun. Die so bezeichneten Geländeabschnitte liegen, wie das in der Nähe befindliche Dorf Zignau, auf einer Höhe von rund 850 m ü. M., und man würde sie auf Grund ihrer Lage sicherlich der Tal- und nicht der Maiensässwirtschaft zuordnen. Die Aussage der Namen kann übrigens auch mit Mitteilungen von Gewährspersonen untermauert werden. Zu ergänzen ist noch, dass den Bezeichnungen Cuolm, Cuolmet und Alp dil Cuolm das Wort cuolm in der Bedeutung «hochgelegene Alpweide» zugrunde liegt. 3 Interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig Um zu möglichst sicheren Ergebnissen zu gelangen, sollte die Onomastik künftig noch viel enger als bisher interdisziplinär arbeiten, ihre Ergebnisse also stets auch mit jenen anderer Disziplinen, etwa der Geschichte, der Archäologie usw., vergleichen. Es sollte mehr miteinander als nebeneinander bzw. aneinander vorbei geforscht werden. Gefordert sind da auch die Universitäten, die vermehrt interdisziplinäre Seminare durchführen sollten. Decken sich die Ergebnisse verschiedener Disziplinen, so ist auch die Wahrscheinlichkeit, zu einem richtigen Ergebnis gelangt zu sein, um ein Vielfaches grösser. Angeführt sei hier ein Beispiel aus der Namenlandschaft der Gemeinde Trun. In der erwähnten Gemeinde heissen zwei aneinandergrenzende Alpen Nadels. Es wird zwischen Nadels Davon «Vordernadels» und Nadels Dadens «Hinternadels» unterschieden. Das Rätische Namenbuch lässt die Deutung des Namens offen. Laut unseren Ergebnissen leitet sich der Name Nadels von gallisch * NAUDA Orts- und Flurnamen und siedlungsgeschichtliche Erkenntnisse 175 «sumpfiges Gelände» her. Ziehen wir die Archäologie zu Rate. Ausgrabungen beweisen, dass früher in Teilen Nordbündens Kelten lebten. Auch auf dem Gebiet der Gemeinde Trun wurde ein keltisches Gräberfeld entdeckt. Somit sind in der surselvischen Namenlandschaft Überbleibsel gallischen Sprachguts möglich. Auch dem Namen der Trunser Nachbargemeinde Breil / Brigels liegt ein gallisches Etymon zugrunde. Ausgangspunkt des Namens ist das gallische Wort BRIG ( A ) «Berg, Hügel». In der Gemeinde Brigels befindet sich auch das Dorf Dardin, dessen Name sich von gallisch ARE DÚNON «bei der Burg» herleitet. Die beiden Alpen Nadels sind reich an Sümpfen und wurden auch zur Aufnahme ins Inventar der schützenswerten Moorgebiete der Schweiz vorgeschlagen. Der Widerstand der Bauern verhinderte diese Aufnahme. Lautlich und auch betreffend Vereinbarkeit mit den vorliegenden urkundlichen Formen bietet eine Herleitung des Namens Nadels von gallisch * NAUDA «sumpfiges Gelände» keine Schwierigkeiten. Betreffend die Deutung des Namens Nadels ergänzen sich also die Ergebnisse der Sprachwissenschaft, der Geschichte, der Archäologie und der Realbefunde. Die vorgeschlagene Deutung des Namens Nadels hat somit eine recht hohe Wahrscheinlichkeit, richtig zu sein. 4 Die Onomastik im Curriculum der romanistischen Fächer Die Onomastik sollte in einem künftigen Curriculum der romanistischen Fächer unbedingt einen festen Platz haben. Denn sie stellt einen Studienzweig dar, der die Studierenden dazu «zwingt», genau zu arbeiten. Entscheidet man sich oder erhält man die Aufgabe, eine bestimmte Namenlandschaft zu untersuchen, so sind die Namen vorgegeben. Man kann in der Regel nicht auswählen, nicht ausweichen, man muss sich auch mit den «unbequemen» und unklaren Namen auseinandersetzen. Bei Monographien über einzelne Dialekte und Dorfmundarten wird man manchmal das Gefühl nicht los, dass die schwierigen Fälle einfach umgangen werden. Oder dass die Monographien lediglich die analogen Fälle einer anderen Monographie behandeln. Der Sprachschatz einer Region oder eines Dorfes wird auf diese Weise oft recht unvollständig erfasst, und schwierigen Fällen wird nur allzuoft ausgewichen. So etwas ist in einer Arbeit über Orts- und Flurnamen viel seltener möglich. Der Name lautet, wie er eben lautet, und man ist gezwungen, sich mit ihm auseinanderzusetzen und nach einer möglichen Erklärung zu suchen, bzw. vorgeschla- Carli Tomaschett 176 gene Deutungen zu untermauern oder abzulehnen. Onomastische Untersuchungen erlauben in der Regel eben kein Ausweichen. Zudem leben in den Orts- und Flurnamen einer Region oftmals Wörter einer untergegangenen Sprache weiter. Auch mit diesem wichtigen Aspekt der Sprachforschung sollten alle Studenten und Studentinnen der Romanistik in ihrem Studium konfrontiert werden. 5 Bibliographie Rätisches Namenbuch, Band 1: Materialien, von R. v. Planta und A. Schorta. (Romanica Helvetica 8) Zürich 1939 (2. um einen Nachtrag erweiterte Auflage, Bern 1979); Band 2: Etymologien, bearb. und hg. von A. Schorta. (Romanica Helvetica 63) Bern 1964 (2. Auflage, Bern 1985); Band 3: Die Personennamen Graubündens. Mit Ausblicken auf Nachbargebiete, bearb. und hg. von K. Huber. (Romanica Helvetica 101) Bern 1986. Schorta, A.: Wie der Berg zu seinem Namen kam. Kleines Rätisches Namenbuch mit zweieinhalbtausend geographischen Namen Graubündens. Chur und Bottmingen / Basel 1991 (2. korrigierte Neuauflage). Tomaschett, C.: Die Orts- und Flurnamen der Gemeinde Trun. Mit einem siedlungsgeschichtlichen Überblick. (Romanica Rætica 7) Trun 1991. Tomaschett, C.: „Orts- und Flurnamen als Zeugen bäuerlicher Siedlungen“. In: Jahrbuch 1995 der Historischen Gesellschaft von Graubünden. Chur 1996, S. 239- 256. Tomaschett, C.: „Landnahme, Bodennutzung und Bodenbesitz im Spiegel von Orts- und Flurnamen“. In: Bodeneigentum und Landschaftsentwicklung. Chur 1997, S. 35-53. Tomaschett, C.: „Ein Streifzug durch die Namenlandschaft der Surselva“. In: Bündner Kalender 2000. Chur 1999, S. 65-70. Julia Kuhn Die lokale Flora als toponomastisches Benennungsmotiv. Eine Untersuchung am Beispiel von Toponymen des Schweizer Kantons St. Gallen 1. Einleitung 1.1. Allgemeines In der folgenden Präsentation werden exemplarisch Namen dargestellt, deren Benennungsmotiv jeweils im Bereich der Vegetation liegt. Bevor die ausgewählten Namen dargestellt werden, sollen die theoretischen Grundlagen der Arbeitsweise des Rahmens vorgestellt werden, in den diese Untersuchung eingebettet ist,: 1 Das gesamte Namenmaterial wird gemeindeweise erfasst, die Urkundenformen werden nach Möglichkeit vollständig erhoben und die lokale Ausspracheform angeführt. In einem zweiten Schritt werden die gemeindeweise erfassten Namen zusammengestellt und großräumig ausgewertet. Die einzelnen Namenartikel sind gegliedert und bestehen aus Artikelkopf, den urkundlichen Belegen 2 , der Wertung der urkundlichen Belege, die 1 Diese Arbeit folgt der Tradition des St. Galler Namenbuchs, Romanistische Reihe. Mit der Publikation der ersten vier Bände des St. Galler Namenbuchs, romanistische Reihe, erstellt von Hans Stricker und Valentin Vincenz, ist die Erfassung und Erforschung des artr. Namenguts des Bezirks Werdenberg und im angrenzenden Gebiet bis zur ehemaligen Sprachgrenze am Hirschensprung abgeschlossen. In Band 5 sind die romanischen Namen von Vilters und Wangs zusammengestellt, Lucie Bolliger Ruiz bearbeitete in ihrer Lizentiatsarbeit (publiziert in VRom.) die Namen von Sargans. Ich selbst habe die romanischen Namen zweier weiterer Sarganserländer Gemeinden, Walenstadt und Quarten, bearbeitet. In der romanistischen Reihe des St. Galler Namenbuchs werden Namen untersucht, die sicher oder wahrscheinlich vordeutschen Ursprungs sind bzw. Namen, die deutschen Ursprungs sind, in früheren Deutungen jedoch romanisch erklärt wurden, die bisher der deutschen Sprache zugeordnet wurden, aber aufgrund meiner Untersuchungen vordeutsch sind. Des weiteren romanisch-deutsche Lehnwörter wie Tschingel, Grista u.a., und zwar auch dann, wenn die Benennung der Flur sekundär nach dem Lehnwort und nicht direkt nach dem romanischen Appellativ erfolgte. 2 Für die Schreibweise in den urkundlichen Belegen gilt: Die in den Belegen und den modernen Formen häufige Schreibung -enfür ə im Zwischenton und im Auslaut, wurde, wo sie hyperkorrekt ist, durch a oder e ersetzt. Bei gesprochenem f in Julia Kuhn 178 die Erschließung der Ausgangsform für die Deutung beinhalten sollte, der Wiedergabe der bisherigen Deutungen, deren Besprechung und schließlich der eigenen Deutung, wobei hier die Unterscheidung von sicheren (Deutung), vorläufigen (Deutungsvorschlag) und lediglich versuchten (Zur Deutung) Deutungen getroffen wird. Ein Namenartikel umfasst verschiedene Komponenten: Der Artikelkopf besteht aus der Angabe des Namens, der phonetischen Transkription 3 unter Anführung der verwendeten Artikel und Präpositionen, der Beschreibung des Topos, der Angabe der Koordinaten sowie der Höhe. Die Schreibweise des Namens ist (in der Tradition des St. Galler Namenbuches) stark an der lokalen Aussprache orientiert. Dies kann zu Abweichungen von Schreibweisen in (Flurnamen)Karten und Listen führen, die durch volksetymologische Vorstellungen beeinflusst sein können. Diese Orientierung an der Ausspracheform des Namens ist nicht immer unproblematisch (cf. Stricker (Grabs IX)). Für die Dokumentation mittels urkundlicher Belege, werden alle uns bekannten Belege in chronologischer Reihenfolge angeführt. Der Zeitraum der erfassten Formen erstreckt sich vom frühesten Auftreten des Namens in Urkunden bis zu den Belegen aus dem Helvetischen Kataster (1801/ 2). Die urkundlichen Formen werden jeweils unter Angabe des Erscheinungsjahres, der Form des Namens sowie der Angabe des notwendigen Kontexts angeführt. Auf die Reihe der urkundlichen Formen folgt deren Wertung, im Zuge derer eine möglichst frühe Lautung der Namenform erschlossen werden soll. Fremdnamen fiel die Entscheidung zwischen v oder f generell zugunsten des letzteren aus. Agglutinierte Präpositionen gelten als längst integrierte Namenteile. Für k wird im allgemeinen g und nicht c geschrieben, št und šp werden als schp und scht transliteriert, rš als rsch, tz für ts wird stets zu z vereinfacht. Doppelvokale und Doppelkonsonanten werden nach Möglichkeit vermieden. Bei nur urkundlich belegten Namen wird vom jüngsten unkorrumpierten Belegstadium ausgehend eine Schreibform gebildet. 3 Die phonetische Transkription folgt wie im St. Galler Namenbuch, dem System des SDS (cf. R. Hotzenköcherle, Einführung in den Sprachatlas der deutschen Schweiz, Bern 1962, Band B, S. 79-95). Im Anschluß an die transkribierte Namenform wird ein allfällig verwendeter Artikel sowie Präpositionen angeführt. Hochgestellte Lautzeichen bedeuten reduzierte Artikulation, mit Ausnahme von Okklusiva im Nexus mit Nasal, hier bedeutet die Hochstellung implosive Aussprache (Bsp.: [tn]) bzw. direkten Übergang von der velaren Verschlussstellung zum Nasal (Bsp.: [km]). Die lokale Flora als toponomastisches Benennungsmotiv 179 Hierfür müssen alemannische und romanische Lautveränderungen schichtweise abgehoben werden. Die beiden lautlichen Schichtungen resultieren aus der zunächst romanischen Besiedlung des Gebietes und dem späteren Hinzuzug von Alemannen. Die alemannische Besiedlung führte zur Verdeutschung des ursprünglich romanischsprachigen Gebietes. In der Reihe der urkundlichen Belege müssen offensichtliche Fehlschreibungen und volksetymologische Einflüsse ausgeschieden werden. So wird eine frühe Form des Namens erschlossen, die als Ausgangspunkt für die Deutung dient. 4 Nach der Übersicht über die urkundlichen Belege und deren Wertung werden die bisherigen Deutungen und Deutungsversuche angeführt. Es werden dabei (der Vollständigkeit halber alle, auch noch so dilettantischen) Deutungsversuche angeführt und besprochen. Unwissenschaftliches Vorgehen, Flüchtigkeiten sowie sachliche und sprachliche Irrtümer, die Fehldeutungen zugrunde liegen, werden nach Möglichkeit aufgezeigt. Die Richtigkeit von Deutungen wird festgestellt. Im Anschluss folgt ein Abschnitt, in dem es um die Deutung geht. Nicht immer kann eine einzige, gesicherte Deutung gegeben werden: Es können mehrere Deutungsvorschläge koexistieren, wobei aufgrund lautlicher oder sachlicher Kriterien keine der Deutungen ausgeschlossen werden kann. In diesem Fall wird der Abschnitt als „Deutungsvorschlag“ betitelt. Ist eine lautlich und sachlich haltbare Deutung nicht möglich, werden die Überlegungen angeführt, die zu einer Deutung beitragen und wesentliche Hinweise geben können. Zur Absicherung eines Namens trägt die Einbettung in die großräumige Namenlandschaft Unterrätien-Graubünden bei, und so wurden nach Möglichkeit ähnliche Namen (etwa zum selben Etymon, mit ähnlicher oder gleicher Lautung) vergleichend angeführt. Als Quellen dienten dabei v.a. das RN 2, die fünf bisher publizierten Bände des St. Galler Namenbuchs, Bolliger-Ruiz 190-1991, Camenisch 1962, Jutz 1955. Nach Möglichkeit wird die Übersetzung eines Namens gegeben. Ist eine gesicherte Deutung oder sind Deutungsvorschläge möglich, wird das erschlossene Etymon, sein Vorkommen im RN 2 und im REW 5 , sowie die heutigen appellativischen Reflexe im Rtr. Graubündens ange- 4 Stehen bei einem Namen keine urkundlichen Belege zur Verfügung, muss die Namenform selbst gewertet werden. Diese Wertung ist allerdings weniger abgesichert und daher problematischer. 5 Die Darstellungsweise Etymon, Übersetzung, lebendige appellativische Reflexe im Rätoromanischen sowie deren Übersetzung orientiert sich am RN 2, auf das REW wird in der Regel verwiesen. Julia Kuhn 180 führt. Allfällige artr. Zwischenformen, die erschlossen wurden, sind durch * gekennzeichnet. 6 1.2. Zum sprachlichen Hintergrund des Untersuchungsraums Der Untersuchungsraum umfasst die beiden politischen Gemeinden Walenstadt und Quarten. Sprachlich war dieser Raum romanisches Gebiet, das im 14. Jh. durch von Norden her eindringende Alemannen sukzessive verdeutscht wurde. Die alten romanischen Toponyme wurden von den alemannischen Neuankömmlingen übernommen und beibehalten. Der Kanton St. Gallen, der früher (räto)romanischsprachiges Gebiet war, ist heute deutschsprachig. Der Raum Walenstadt und Quarten wurde ab dem 14. Jh. sukzessive von Norden her durch Alemannen verdeutscht. Die alten romanischen Orts- und Flurnamen wurden von den alemannischen Neuankömmlingen zu einem großen Teil übernommen und überliefert. Sie sind somit Sprachdenkmäler der einstigen lokalen Romanität. 1.3. Der Walensee und seine Ufer Der Walensee stellt die Verlängerung eines bei Sargans vom Rheintal abzweigenden Tals dar. 4/ 5 seiner Fläche liegen auf St. Galler Gebiet, und damit auf dem Gebiet der Gemeinden Walenstadt und Quarten, 1/ 5 gehört zum Kanton Glarus. Der See ist 15,6 km lang und bis zu 2 km breit. Die Ufer im Norden und Süden sind sehr unterschiedlich. Während sich im Norden zwischen Weesen und Walenstadt die steilen Felsen der Churfirstenkette ohne Taleinschnitt erheben, deren kahle Jura- und Kreidewände zumeist direkt in den See abfallen, besteht das Ufergelände im Süden des Walensees aus flachem Strand und nur an manchen Stellen, wie bei Murg oder dem Bommerstein, aus steilem Felsufer. Dieses sanfte 6 Besondere Zeichen: typisierte Mundartform, vereinfachte, phonematische Transkription; [] Mundartform in genauer phonetischer Transkription; [ nach Vokal: in freier Stellung; ] nach Vokal: in gedeckter Stellung; → steht vor behandelten Namen und verweist auf den entsprechenden Namenartikel; ~ vor Jahreszahl: ungefähre Zeitangabe; ~ im phonetischen Teil: steht für die Namensform; e: Doppelpunkt nach Vokal: Vokallänge; * vor Jahreszahl: das Dokument ist kopiert, die Belegform mit Vorsicht zu bewerten; * bei Etymon oder sonst historischer Lautform: die Form ist lediglich erschlossen. x kontaminiert (vermischt) mit; > wird zu, < entsteht aus; + zwischen Etyma: verbunden mit; vor Namenform: historisch, nicht mehr lebende, abgegangene Form; ? bei Jahreszahl: Datierung nicht gesichert; ? bei Belegform: Lesung unsicher. Die lokale Flora als toponomastisches Benennungsmotiv 181 Südufer besteht aus hügelig ansteigenden Wiesen, Weiden und Terrassen, die bis weit hinauf besiedelt sind. Dieses unterschiedliche Erscheinungsbild der beiden Ufer hat geologische Ursachen: Im Gebiet um den Walensee treffen vier Decken aufeinander. Im Norden bildet die Säntis-Decke (bestehend aus Kreide und Eozän) die Gipfelregion der Churfirsten aus. Am Süd-Absturz der Churfirstenkette baut die aus Juraschichten bestehende Mürtschendecke hohe Felstürme auf und greift aufs Südufer über, wo sie den Kerenzer Berg mit seinen steil zum See abfallenden Jura- und Kreidewänden bildet. Am Ostende des Sees tritt die Axendecke, bestehend aus Dogger und Malm auf, die die Unterlage des Walenstadterbergs bildet und die hügelige Landschaft am Südufer des Sees zwischen Unterterzen und Walenstadt aufbaut. Am Südufer bei Murg erscheint als vierte Decke die Glarnerdecke, die aus Verrucanokonglomerat besteht und das Gestein des Murgtales typisch rot färbt. Der wichtigste Zufluß des Walensees in unserem Untersuchungsraum ist die Seez, die 1,3 km vor ihrer Mündung in den See bei Walenstadt in einem kanalisierten Bett fließt. Ansonsten gibt es nur seitens des Südufers nennenswerte Zuflüsse, wie etwa den Murgbach, im Norden des Sees finden sich nur kleine in die Churfirsten eingeschnittene Wasserrinnen, in erster Linie Runsen, die nur zeitweise Wasser führen. 2. Namenteil Es soll nun der eigentliche Namenteil folgen, in dem gezeigt wird, dass ein Benennungsmotiv von Toponymen in der Flora, der Vegetation liegen kann, wie dies im untersuchten Gebiet an den folgenden Beispielen, die in der Folge detailliert dargestellt werden, deutlich wird: Gamilon, Gela, Golrina, Pardella, Schrina, Tros und Zerfina. 2.1. GAMILON [g A m I ld, dr ~, uf ~, fom ~, B ~], Heimet in einer Waldlichtung auf einer Terrasse, am steilen Hang nördlich von Berschis. 500 m ü. M. 744, 89 - 219, 27. ° Belege 1769 Camilon („gut C. genannt“) PfA Berschis, U, Nr. 9 Julia Kuhn 182 1801 Gamilon („klein G.“) HK Berschis, Nr. 323, Nr. 325 °Wertung Die beiden Belege lassen auf eine Ausspracheform * g milgn schließen. °Bisherige Erwähnung Götzinger 1891, 86: Gamelun Walenstadt, Grundbuchreg., Bl. 4: Camilon Mat. Wildhaber: Gamilon °Deutungsvorschläge a) Griech. CAUMA ‚Sonnenhitze‘ (REW 1779; RN2, 87), rtr. choma (E), cauma (S) ‚Mittagsrast des Viehs auf der Weide; Ort, wo gerastet wird‘, [bzw. das Verb ca(u)mar (S), chamar (E) ‚Mittagsrast halten; lagern von Vieh während der Mittagshitze‘ (DRG 3, 206)] abgeleitet auf - ELLU (- ILE ) + - ONE . Für Graubünden sind zahlreiche Suffixableitungen zum selben Etymon belegt, nicht jedoch auf - ELLU + - ONE . In Unterrätien reflektieren Gamidaur Wangs (Vincenz 1992b, 75), Gamadürer Sax (Vincenz 1992a, 87), ev. Cumaden Wangs (Vincenz 1992b, 48) und Hoch Gamatsch Mels (Camenisch 1962, 42) dieses Etymon. Die Benennung der Flur als Rastplatz ist gut möglich. b) Lat. CAMOMILLA (REW 1553; FEW 2, 148; DRG 3, 225), rtr. chaminella (E), camella (S) (DRG 3, 224) ‘Kamille’ 7 + - ONE . Die Pflanze Matricaria chamomilla kommt im Alvier-Churfirsten-Gebiet von Weesen bis Sargans vor und ist besonders im Bereich menschlicher Siedlungen und in Rebbergen anzutreffen. Nach dem möglichen Vorkommen der Pflanze ist die Benennung der Flur als ‚Ort, wo Kamillen wachsen‘ denkbar. 7 Die Endung - ILLA des Etymons hat sich in Bünden an das Suffix - ELA angepaßt (DRG 3, 225 vgl. dazu DRG 1, 658; op.cit. 2, 789). In E 8-9 und S ist die deutsche Form Kamille durchgedrungen (cf. ID 3, 256). Die lokale Flora als toponomastisches Benennungsmotiv 183 2.1.1. GAMILONWALD [g A m I low G ld, dr ~, B m ~, u s ə m ~], Wald um und über → Gamilon, nördl. von Berschis. 600 - 450 m ü. M. Koordinaten: 744/ 745 - 219 ° Bisherige Erwähnung Mat. Wildhaber: Gamilonwald Walenstadt Grundbuchreg., Bl. 4: Camilonwald °Deutung → Gamilon + dt. Wald ‚mit Bäumen dicht überwachsener Geländeabschnitt‘ (ID 15, 1467ff.; Stricker et al. 1999 Band 5, 572; Jutz, Vorarlb. Wb. 2, 1516), ahd. wald, mhd. walt, wald m.. 2.2. GELA [g c l I , B m ~], zwei Wiesen und zwei Ställe nördl. von Berschis, zwischen dem Schuttkegel von Gurbs und der steilen Waldhalde bei Gasellis. Unmerklich ansteigend. Früher Wingert. Pt. 449. Koordinaten: 744, 650 - 219, 700. ° Belege 1601 Gellen OBA Berschis, Uk, Nr. 22 1769 Gehlen PfA Berschis, U, II. Teil: Spend 1782 geelen („gut g. [stößt unten] an ... Rüthi“) PfA Berschis, U, Nr. 8, V. Teil 1782 g. geelen PfA Berschis, U, Nr. 8, V. Teil 1801 Gehlen HK Berschis, Nr. 102 °Wertung der Belege Die in den urkundlichen Belegen reflektierten Formen geben ein einheitliches Bild und lassen im Wesentlichen auf eine der heutigen Namenform ähnliche artr. Ausspracheform schließen. Evtl. deutet der Beleg von 1601 auf kürzere Aussprache des Tonvokals hin. Auszugehen ist für die Deutung von einer Form * g c l I . Julia Kuhn 184 °Bisherige Erwähnung Mat.Wildhaber: Gela Walenstadt °Deutungsvorschläge a) * CALIA ‚Staude‘ (RN 2, 62; REW 1771; DRG 3, 11) 8 , rtr. chaglia (Eo.), caglia (S) ‚Staude‘, bei Bifrun cheglia. Lautlich zum gleichen Resultat führt * CALIA in Malans beim Flurnamen Gela longa < * CALIA + LONGA (RN 2, 63). Die Entwicklung des Tonvokals lat. ALJ > alem. äl ist regelmäßig (vgl. Stricker 1974, 297) 9 . Auch macht die Übernahme von romanischem mouilliertem l durch den entpalatalisierten Lateral l im Dt. keine Schwierigkeiten. *Caglia war nicht nur in Bünden ein sehr produktives Etymon zur Bildung von Toponymen (vgl.: RN 2, 62), sondern ist auch in Unterrätien mehrfach anzutreffen. 10 b) Auch der Ansatz von lat. RUNCARE ‚jäten‘ (REW 7444; RN 2, 292), rtr. runcar ‚roden, reuten‘, Subst. runc ‚Reute‘, IB ronch ‚Neubruch, Wein- 8 Im DRG, 3, 13 heißt es hierzu: „G. J. Ascoli (AGI 7, 518) hat caglia als Kollektivum zu cagl aus lat. CATULUS erklärt. Ihm schließen sich an Lutta, Bergün §213 b (mit Begründung des Lautlichen); Grisch Surmeir 57. Die Ableitung von caglia aus koll. CA- TULA ist lautlich einwandfrei (siehe oben CATULU > cagl, ferner VETULA > veglia [...]). In semantischer Hinsicht muß jedoch eingewendet werden, daß zwischen cagl ‚Keim‘ und caglia ‚Strauch‘ (im Vordergrund stehen da beim Bauern die seine Wiesen einengenden Sträucher) ein so gewaltiger Unterschied besteht, daß sich für letzteres das Kollektivum von ‚Keim‘ keineswegs aufdrängt. Auffällig ist auch die Tatsache, daß CATULUS in der Bed. ‚Strauch‘, soviel wir sehen, südlich des Alpenkamms nirgends zu finden ist und daß auch ein Kollektivum CATULA ‚Keimlinge‘ usw. zu fehlen scheint. Die Möglichkeit, daß sich in caglia ein altes vorröm. Alpenwort erhalten hat, ist somit durchaus gegeben.“ 9 Andere mögliche Resultate von lat. A LJ sind im Alemannischen unseres Untersuchungsgebiets neben äl(y) noch aly und äyl. 10 Vgl.: Figgalina Wangs (Vincenz 1992b, 54), Gallamura Vilters (Vincenz 1992b, 71), Fergeilis Wartau (Stricker 1981, 57), Galein und Galeina Wartau (Stricker 1981, 120), Afageia Gams (Vincenz 1992a, 1), Iggalätscha (Vincenz 1992a, 38), Eggilina Frümsen (Vincenz 1992a, 79), Geia Lienz (Vincenz 1992a, 137), Geia Rüthi (Vincenz 1992a, 162), Gellier Buchserberg (Vincenz 1983a, 60), Mongolit evtl. Buchserberg (Vincenz 1983a, 81), Gamgeien unbekannt (Vincenz 1983a, 198), Geienberg Sevelen (Vincenz 1983a, 205), Inggalstram Sevelen (Vincenz 1983a, 236), Gällen Mels (Camenisch 1962, 72), Cällen Flums (Camenisch 1962, 72), Geilen Boden Walenstadterberg (Camenisch 1962, 72), Gallamura Bad Ragaz und Vilters (Camenisch 1962, 72). Die lokale Flora als toponomastisches Benennungsmotiv 185 berg‘ + - ALIA 11 , woraus artr. ru ŋ ká l > runkäl kann nicht ausgeschlossen werden. Die Entwicklung zur heutigen Namenform mit Aphärese der Anlautsilbe und Apokope des -a ist lautgerecht. Andere unterrätische Namen, die ebenfalls eine - ALIA -Ableitung dieses Etymons reflektieren, sind Regella Wartau (Stricker 1981, 377), Rugell (Vincenz 1992a, 149), Runggellen Mols, Gäll Mols / Unterterzen. Es fällt auf, daß all diese Reflexe einen kurzen Tonvokal enthalten, während Gela langes c zeigt. Auf ursprüngliche Kürze kann der älteste Beleg von 1601 hinweisen. Ob es sich in diesem Fall um nach dem Sprachwechsel erfolgte nhd. Dehnung in offener Tonsilbe handeln kann, kann von germanistischer Seite besser beurteilt werden. Auffällig ist, daß keine der urkundlichen Formen einen Anhaltspunkt für ursprünglich vorhandenes, anlautendes rugibt. 2.3. GOLRINA [k A l(d)r G n I , dr ~, B n ~ ufi], drei Güter im Sattel zwischen dem Hügelrücken von St. Jörgen und Brügen. Südöstl. von Berschis. Pt. 510. Koordinaten: 745,2 - 218,6. ° Belege 1769 Gallrinen („gut G. genannt [stößt hinten an] [...] ganschiner“) PfA Berschis, U, Nr. 16, III. Teil: Kirche 1769 Gallerinen PfA Berschis, U, Nr. 18, II. Teil: Spend 1801 Gallrinen HK Berschis, Nr. 37 °Wertung der Belege und der heutigen Namenform Die Belege geben ein weitgehend einheitliches Bild und reflektieren eine Form * g A l ( ə ) rín I . Das epenthetische -d-, das die heutige Ausspracheform einiger Gewährsleute sowie die in den Mat. Wildhaber verzeichnete Form enthält, scheint unetymologisch zu sein und kann durch Ablenkung durch dt. Gold erklärt werden. °Bisherige Erwähnung Mat. Wildhaber: Goldrina Walenstadt °Deutung Lat. CORYLUS > COLURUS ‚Haselstaude‘ (REW 2271; FEW 2, 1240; RN 2, 109), rtr. coller ‚Haselstaude‘ + - INA mit synkopierter Zwischentonsilbe. 11 Zum Palatalumlaut des Tonvokals vgl.: Gäll. Julia Kuhn 186 Diese Diminutivableitung zu lat. CORYLUS ist auch in Bünden gut belegt. So (RN 2, 109) Chresta colarina urk. 1735 Cumbel, Cresta Cullarina Vella, Clurina Vrin, Ladir, Cularoina Vaz, Clurings urk. 1820 Cunter, Collarinas urk. 1810 Alvagni, Cularina Filisur, Cularina Schiers, Collerinis, Colerina urk. 1448, Gullerina urk. 1438 Untervaz, Cularina Ramosch, Clurin Scuol, Cuvel Culerin Ftan, Cularinas Ardez. In Unterrätien kann Gellier Buchserberg (Vincenz 1983a, 60) und Guler Sargans (Bolliger 1990-1991, 201) zu diesem Etymon zu stellen sein. Die lautliche Entwicklung der Namenform ist regelmäßig. Das Benennungsmotiv ‚kleine Haselstaude‘ kann durchaus zur Flur passen. 2.4. PARDELLA [p I rd d l I , ~, B ~, B ~, fo ~], Wiese mit Baumgarten in der Ebene südl. von Berschis. 435 m ü. M. Koordinaten: 744, 430 - 218, 880. ° Belege 1550 Bardälen („di under wisen [grenzt] [...] an B. an galbs an Brämenyur“) AKPf, Cod. 42 a, S. 16 1570-74 Bardellen („vnderwysen am [WalenstadterBerg grenzt unten] [...] an B. an [...] galps Bämen Jür“) AKPf, I&Oe II, F. 13 r 1769 pardellen PfA Berschis, U, Nr. 19 1769 pardellen („gondrellen Ackher [grenzt unten] [...] an p.“) PfA Berschis, U, Nr.14 1769 pardellen PfA Berschis, U, Nr. 3 1801 Pardellen HK Berschis, Nr. 36 °Wertung Die urkundlichen Formen reflektieren einheitlich eine artr. Ausspracheform * p rd D ll I , von der für die Deutung auszugehen ist. Die lokale Flora als toponomastisches Benennungsmotiv 187 °Bisherige Erwähnung Materialien Wildhaber: Pradella Walenstadt Walenstadt Grundbuchreg.Bl. 4: Pradella °Deutung Lat. PRATUM ‚Wiese‘ (REW 6732; RN 2, 266), rtr. pra (E), prau (S), + - ELLA 12 (als kollektive Verkleinerungsform) 13 . Der Typ Pardel(l)a (vereinzelt auch Pardiela) ‚Wiesli‘ ist häufig. Nicht nur in Deutschbünden (cf. die zahlreichen Formen im RN 2, 270), sondern auch in Unterrätien, im St. Galler Oberland sind die Belege zahlreich, so Pardell Buchs (Vincenz 1983a, 97), Pardiel Buchs (Vincenz 1983a, 92), Pardiel I-II Wartau (Stricker 1981, 309 f.), Pardella, Pardela und Pardela Wartau (Stricker 1981, 307 f.), Pardiel Ragaz (Götzinger 1891, 37) und in Vorarlberg Bardella Nenzing (Tiefenthaler 1968, 29), in Liechtenstein Bardella Schaan (Ospelt, ON 81; Stricker et al. 1999 Band 2, 469 14 ). Auch in Tirol ist der Name ausgesprochen häufig. 15 2.4.1. PARDELLENHALDE [pOrd F l I h D ld I , d ~, B dr ~, B d ~], schöne, regelmäßig ansteigende Weidhalde zwischen den zerklüfteten Eggen, auf Gastilon an der Walenstadter Grenze. Hier war früher ein kleines Senntenn. 1700 - 1750 m ü. M. Koordinaten: 748, 220 - 218, 780. °Deutung Zum ersten Namenbestandteil → Pardella + (schw)dt. Halde, Halte f., Dim. Halteli, Hältli ‚Abdachung, Abhang eines Hügels, Berges; Berglehne‘; ahd. halda, zum Adj. halda ‚geneigt‘, mhd. halde f. ‚Bergabhang‘ (UNB 2, 146; ID 2, 1174 f.; Zinsli 1946, 323; UMWb 228 und 229). 12 Zum Suffix - ELLU vgl. Stricker 1974, 267 f. 13 So auch schon bei Stricker 1981, 308. 14 Zu unterrätischen Namen, die auf das Etymon PRATUM zurückzuführen sind, cf. auch Stricker et al. 1999 Band 5, 408. 15 Cf. DTA I, Nr. 40, 150, 386, 708, 966, 1093, 1233, 1264, 2080, 2239, 2449, 2450, 2453, 2577, 2578, 2870, 3032, 4263, 4280, 4456, 4806 < PRATUM + - ELLU ; DTA V, 1 nr. 527, 1187, 1188: Pardell usw.; Finsterwalder 1990ff., 767: Pardells Hammersbach Südtirol; Finsterwalder 1990ff., 197: Pardell Klausen Südtirol; Finsterwalder 1990ff., 645: Pordell Rodeneck Südtirol; Finsterwalder 1990ff., 685: Pardell, Padell und Pardoll-Anger Rum. Schmid 1974, 65: Pardell Landeck. Julia Kuhn 188 2.5. SCHRINA [(alp) S r G n I , d ~, U f d ə r ~, U f d ~], Alp am Walenstadterberg, in einer beinahe kesselartigen Lage, am Fuß von Felsköpfen (das Obersäß befindet sich über den Felsköpfen). Umfaßt auch die westl. gelegene Egg, sehr mäßig ansteigend. In der Mulde weiter ebener Boden, auf dem Hütten stehen. 1360 m ü. M. Koordinaten: 737/ 738 - 222,7. ° Belege 1515 Erschrinen („Staffelgnossen zu E.“) OBA Walenstadt, Uk Abt. Schwaldis 1712 Erschrinen („Stöß alp Ihn E. [gelegen]“) OBA Walenstadt, Uk, Abt. Schwaldis 1746 schriner alp („gegen der s.“) OBA Walenstadt, Uk Nr. 24 v, Buch Nr. 10 1749 Alp Schrinen OBA Walenstadt, Uk Nr. 37 v, Buch Nr. 10 1801 Schrinen HK Walenstadt, Nr. 1066 °Wertung Die Belege geben ein nicht uneinheitliches Bild. Die urk. Formen von 1515 und 1712 reflektieren * er S r G n I , anlautendes er- ist in den Belegen von 1746 und später gefallen. Für die Deutung ist von einer artr. Aussprachform * er S r G n I auszugehen. °Bisherige Deutungen Vincenz 1983b, 166: Schrina Walenstadt < lat. ACEREUS op. cit, 240 N: Schrina Walenstadt < lat. ACER , dazu vlat. Adj. ACEREUS , rtr. ascher (E), ischi (S) + -INA Vincenz, Sarganserland, 25: Schrina Walenstadt < lat. ACER + - INA Hilty u.a., Churf.führer, 220: Schrina < lat. acerina ‚Ahornbestand‘ Götzinger 1891, 90: Schrinenalp Walenstadt Die lokale Flora als toponomastisches Benennungsmotiv 189 Mat. Wildhaber: Schrina Walenstadt Walenstadt Grundbuchreg. 1: Alp Schrina °Besprechung der vorgeschlagenen Deutungen Der von Hilty und Vincenz vorgeschlagenen Deutung ist zuzustimmen. °Deutung Lat. ACER ‚Ahorn‘ (REW 91; RN 2, 3 f.), rtr. ascher (E), ischi (S) + - INA . So kann von einem artr. * a Sə rín ausgegangen werden, aus dem durch Aphärese des Anlautvokals und Schwund des zwischentonigen Reduktionsvokals die heutige Namenform entstehen konnte. In der Belegreihe ist die Aphärese des Anlautvokals erst ab dem urk. Beleg von 1746 zu beobachten. Zuvor reflektiertes anlautendes Erweist unetymologischen Einschub des Liquids -rauf, eine Erscheinung, die in der Vortonsilbe nicht unüblich ist. 16 2.6. TROS [trc s, ts~, B nts ~, B m ~, us ə m ~], Stelle, wo die Trosbodenhütte steht, zwischen → Trosbode und → Trosweid, auf der Alp Malun (= Berschner Alp), auf der Tros [= Alpenerlen] wachsen. Pt. 1402. Koordinaten: 747, 120 - 220, 450. °Deutung Vorröm. DRAUSA ‚Alpenerle’ (REW 2767 a; RN 2, 130; DRG 5, 430 f.; FEW 3, 157; AIS 3, 582) 17 , rtr. dros(sa) (Eo.), draus(sa) (S). 18 Wort und Pflanze sind über weite Gegenden des Alpengebietes vom frankoprov. bis zum süddeutschen Raum verbreitet (zur Wortgeschichte cf. DRG 5, 431 und FEW 3, 157) 19 . So sind in Graubündner Flurnamen zahlreiche Reflexe des Appellativs anzutreffen: Drúsatscha Davos (Schorta u.a. 1937, 42), sowie weitere Beispiele bei Kübler (ON, 106) und im RN (2, 130). Im Kanton St. 16 Vgl. Vincenz 1992b, 21. 17 Zum Appellativ vgl. Hubschmied 1938, S. 91 f. 18 Für den Liechtensteiner Namen Tros Mauren schließt Stricker (et al. 1999 Band 3, 511 f.) vorröm. DRAUSA aufgrund der geringen Meereshöhe als Etymon aus. Hier soll (auch aufgrund der Belegform „bey der Roos“) von mda. Ros f. ‚Hanfröste‘ ausgegangen werden. 19 Zum Namentyp Tros cf. auch Stricker et al. 1999 Band 5, 547. Julia Kuhn 190 Gallen finden sich Reflexe wie Tros I + II Grabs (Stricker 1974, 252), Tros Wartau (Stricker 1981, 433) und Tros Sevelen (Vincenz 1983a, 311). Tros, Trosslä ist als Reliktwort auch im bergschweizerdeutschen Appellativwortschatz heimisch 20 . So kann der Name nicht mit Sicherheit als vordeutsch gelten, sondern die Flur kann auch sekundär durch Alemannen mit dem appellativischen Reliktwort benannt worden sein. 2.6.1. TROSBODE [trc sbg d I , d ə r ~, U f ə m ~, f B m ~ h I r], Weide unter der Hütte in → Tros bis zum Bächlein, auf der Alp Malun gelegen. 1420 m ü. M. Koordinaten: 747, 040 - 220, 380. °Bisherige Erwähnung Mat. Wildhaber: Trosboden Walenstadt Walenstadt Grundbuchreg. Bl 3: Trosboden °Deutung Der Name ist ein Kompositum aus → Tros + dt. Boden < ahd. bodam, mhd. bodem ‚ebenes Geländestück in sonst abfallendem Gebiet‘, weniger häufig auch ‚Talgrund, -boden‘ (UNB 1, 483; ID 14, 1020 ff.; Zinsli, Grund 313; UMWb 76). Dieser Name ist kein Einzelfall, so finden sich auch Troboden Rüthi (Vincenz, Gams 176) und Trosboden Wangs (Vincenz, Vilters 209) im Kanton St. Gallen und Drosboda Tamins (Kübler, ON. 106) in Graubünden. 2.6.2. TROSBODERUS [trh sbc d ə r n s, d ~, B d ə r ~, d m r d ~], Runs vor → Trosbode auf der Alp Malun. Auch Schwammruns genannt. Diese Runs verbindet die Alp Malun und die Simmelslochruns. 1650 - 1370 m ü. M. Koordinaten: 747, 400 - 220, 330. °Bisherige Erwähnung Mat. Wildhaber: Trosbodenruns Walenstadt Walenstadt Grundbuchreg. Bl. 3: Trosbodenruns 20 So schwdt. Tros n. ‚Alpen-, Grünerle‘ (ID 14, 1417 ff. und UNB 3, 748) sowie schwdt. Drosle f. ‚Alpen-, Grünerle‘ (ID 14, 1319 und UNB 1, 806). Die lokale Flora als toponomastisches Benennungsmotiv 191 °Deutung Der Name ist ein Kompositum aus → Tros + dt. Boden < ahd. bodam, mhd. bodem ‚ebenes Geländestück in sonst abfallendem Gebiet‘, weniger häufig auch ‚Talgrund, -boden‘ (UNB 1, 483; ID 14, 1020 ff. Zinsli, Grund 313; UMWb 76) + schwdt. Runs(e) f., m., mit n-Schwund und Ersatzdehnung Ruus(s), Dim. Ruus(s)li, in älterer Sprache vereinzelt Runst ‚Rinne (bes. für Wildbach), Runse; Stelle am steilen Berghang, wo sich bei starkem Regen oder Schneeschmelze ein Wildbach zu bilden pflegt‘; (ID 6, 1142 ff.; bes. 1146 und 1148 f.; Zinsli, Grund 335; UNB 2, 1164). 2.6.3. TROSRAI [trh sr O i, d ə r ~, B m ~, B ~], Rain (Weide) neben dem Traierrüsli auf der Alp Malun. 1470 m ü. M. Koordinaten: 747, 340 - 220, 630. °Deutung Der Name ist ein Kompositum aus → Tros + schwdt. Rain m. ‚(größerer oder kleinerer) Abhang‘; ahd./ mhd. rein ‚Abhang‘ (nur im Oberdeutschen), sonst ‚unbebauter Grenzstreifen zwischen zwei Äckern; Grenzfurche‘ (ID 6, 979ff.; Zinsli, Grund 332; UNB 2, 1019). 2.6.4. TROSWALD [trh sw G ld, d ə r ~, B m ~, B ~, U s ə m ~], Wald neben der → Trosweid beim Traierrüsli, ob der Alp Malun. Der Wald ist jeweils nach der danebenliegenden Weide bezeichnet, woraus sich von unten nach oben die Namen: Troswald, Burstwald und Nutzwald ergeben. 1520 m ü. M. Koordinaten: 747, 190 - 220, 700. °Deutung Der Name ist ein Kompositum aus → Tros + dt. Wald, das in Namen wie als Appellativ meist ‚größere und kleinere Komplexe mit mehr oder weniger dichtem Bestand von Nadel- und Laubholz‘, in Namen aber auch ehemals bewaldete, heute abgeholzte Stellen bezeichnen kann (UNB 3, 809). 2.6.5. TROSWEID [trh s wáid, d ~, U f d ə r ~, f U d ə r ~ h I r], Weide über dem → Trosboden auf der Alp Malun. 1490 m ü. M. Koordinaten: 747, 290 - 220, 660. Julia Kuhn 192 °Bisherige Erwähnung Mat. Wildhaber: Trosweid Walenstadt Walenstadt Grundbuchreg. Bl. 3: Trosweid °Deutung Es handelt sich um ein Kompositum aus → Tros + dt. Weid(e) ‚Weideplatz für Vieh auf der Talwiese oder in der Alpe; Gras-, Futterland für Vieh; Weideanteil (d.h. Recht, eine bestimmte Anzahl Vieh auf die Alpe zu treiben)‘ (Jutz, Vorarlb. Wb. 2, 1563; ID 15, 499 ff.; Stricker et al. 1999 Band 5, 583), ahd. weida, mhd. weid(e) f.. 2.6.6. TRÖSLI [trr sl i , ə s ~, B nts ~, B m ~, U s ə m ~], Wildheuplatz an der Halde über Plätz, nord-östl. von Lüsis. 1540 m ü. M. Koordinaten: 744, 440 - 222, 870. °Deutung Ein nach deutschem Muster gebildetes Diminutiv zu → Tros. 2.7. ZERFINA 21 [ts E rf n n I , d ə r ~], zwei Güter südöstl. über Berschis, schöner Boden in einer Einsattelung zwischen einer steilen Berghalde und einer vorgelagerten Egg. 700 m ü. M. Koordinaten: 745, 960 - 218, 520. °Belege 1772 Servinen („S. [stößt vorne] an Gersax“) PfA Berschis, U 1801 Servinen HK Berschis, Nr. 99 °Wertung der Belege Die Belege geben ein einheitliches Bild und lassen auf eine artr. Ausspracheform * serfín schließen. 21 Dazu auch die deutschen Kompositanamen: Zerfinaberg, Zerfinaris. Die lokale Flora als toponomastisches Benennungsmotiv 193 °Bisherige Erwähnung Mat. Wildhaber: Zervina Walenstadt Grundbuchreg. Bl. 4: Zervina °Deutungsvorschläge a) Lat. SUPER ‚über‘ (REW 8456; RN 2, 3319), rtr. sur(a) ‚oben, oberhalb, über‘ als Präposition (wie hier) allg. sur + lat. RUINA ‚Einsturz‘ (REW 7431; RN 2, 291; Huonder 1900, 500; Kübler 1926, 1332), rtr. ruina ‚Rüfe, Ruine‘ (E), ‚Ruine‘ (S). Reflexe zum Etymon RUINA sind im gesamten artr. Gebiet gut belegt. Die Kürzung durch Aphärese trat dabei in Fina Sevelen (Vincenz 1983a, 186) und Fina Wartau (Stricker 1981, 99), in Fina Triesen, urk. 1507 Rufinen, Fina Schaan auf; sowie für Vorarlberg in Fina Frastanz (urk. * rafína ) (Tiefenthaler 1968, 94). 22 Die im Vergleich der heutigen Namenform * tserfina mit den urkundlichen Formen * serfina sowie dem Etymon zu beobachtende Affrizierung ist in ihrer Entwicklung von lat. S > ts kein Einzelfall. 23 In der schwachen Position des Vortonvokals überrascht die Entwicklung von lat. U zur alem. Transliteration > e nicht. Es kann angenommen werden, daß die Entwicklung von lat. SUPER RUINAM über * surruina durch Apokope der Zwischentonsilbe und Abschwächung des Vortonvokals zum Reduktionsvokal > * (t)servina verlaufen ist. Der Reduktionsvokal konnte in der Folge mit e verschriftet werden. b) Lat. SILVA ‚Wald‘ (REW 7920; RN 2, 314), rtr. selva ‚Wald‘ (nur mehr literarisch, sonst god (E), uaul (S), in Italienischbünden selva ‚privater Kastanienwald‘) + - INA . Dabei muß Liquidwechsel von l zu r eingetreten sein. Der auch in der Belegreihe zu beobachtende Anlautwechsel zw. s und z ist nicht ungewöhnlich und auch in Bünden wechseln Flurnamen, die SILVA reflektieren, im Anlaut zwischen den beiden Frikativen, so z.B. Selwa Tujetsch vs. Zelva Fideris, Zerfalta Peist, Zalwein Stierva (RN 2, 314). Die Entwicklung von lat. SILVA > Zerfläßt sich auch in Bünden am Beispiel von Zerfalta Peist < SILVA + ALTA (RN 2, 314) beobachten. 22 Andere Beispiele für RUINA -Reflexe in den Namen im Kanton St. Gallen sind Rafina Grabs (Stricker 1974, 219), Rafinagalfa Grabs (Stricker 1974, 220), Galfina Wartau (Stricker 1981, 121). 23 So ist die Affrizierung auch am Beispiel von Zerlun Wartau (Stricker 1981, 446) < lat. * SERRULA + - ONE oder * SILIA + - ONE oder Zellis Wartau (Stricker 1981, 444) < gall. * SILIA u.a. zu beobachten. Julia Kuhn 194 3. Conclusio Die zusammengestellten Namen illustrieren, wie und welche lokale Vegetation namengebend für die Toponyme gewesen sein kann. So im Falle des Namens Gamilon die Kamille, im Falle von Gela ganz allgemein staudenartiger Bewuchs, bei Golrina ist die Haselstaude als Motiv anzusetzen, bei Pardella eine Wiese, bei Schrina Ahorn, im Falle von Tros die Alpenerle und bei Zerfina kann Wald das Benennungsmotiv gewesen sein. Jede der genannten Pflanzen bzw. Vegetationsformen ist im Untersuchungsgebiet auch heute noch anzutreffen, wenn freilich Veränderungen im Bewuchs der konkreten, untersuchten Fluren nicht auszuschließen sind, und ein Name dementsprechend lediglich Hinweis auf den ehemaligen Bewuchs der Flur zur Zeit der Namengebung darstellen kann. 4. Bibliographie AIS = Jaberg, K. / Jud, J.: Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz. Zofingen 1928 ff. Bolliger-Ruiz, L.: „Die romanischen Orts- und Flurnamen von Sargans“. In: Vox Romanica 49/ 50, 1990-1991, S. 166 - 270. Camenisch, W.: Beiträge zur alträtoromanischen Lautlehre auf Grund romanischer Orts- und Flurnamen im Sarganserland. Zürich 1962. Churf.führer = Churfirstenführer. Führer durch das Speer-, Churfirsten- und Alviergebiet. Hg. von der Sektion UTO SAC Zürich. Zürich 2 1983. [Mit Beiträgen von E. Egli, W. Nabholz, G. Hilty, S. Sonderegger und H. Stricker]. DRG = Dicziunari Rumantsch Grischun. Cuoira 1939 ff. DTA = Battisti, C.: Dizionario Toponomastico Atesino. 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Teil: Ewiges Licht (1782) 5. Teil: Wachs (1782). Alle Teile beginnen wieder mit neuer Numerierung. PfA Berschis, Uk: Urkunden, unter anderem auch solche der Ortsgemeinden Tscherlach und Berschis. PfA Berschis, Zs: Akten des Kirchen- und Schulguts- Verwaltungsrates in Tscherlach 1641-1845. Archiv der Ortsgemeinde Berschis OBA Berschis, Uk: Urkunden Staatsarchiv St. Gallen HK: Helvetischer Kataster 1801/ 02: Die Bände des in den Jahren 1801 und 1802 für den ganzen Distrikt Mels (= Sarganserland) angefertigten Helvetischen Katasters gliedern sich folgendermaßen: Vättis, Valens (mit Vasön), Pfägers, Bad Ragaz, Vilters, Wangs, Sargans, Mels, Weisstannen, Flums, Berschis, Tscherlach, Walenstadt (mit Walenstadtberg), Quarten (auch mit Mols, Oberterzen, Murg, Quinten). Kodices AKPf, Cod. 42 a: Erneuerung von Pfäferser Gerechtigkeiten, Lehen, usw., 1550/ 51, Cod. fab. 42 a. Ungebunden. Diese Blätter stellen eigentlich ein Urbar aus der Mitte des 16. Jh.s dar. Irrtümlicherweise sind einige Bestandteile dieses Urbars in andere Bände eingebunden worden. So sind auf Pf bezügliche Blätter in Cod. 40, f. 157-158 zu finden. Unsorgfältige Schrift. Einzelne Rödel Fabaria: Iuridica et Oeconomica, Schachteln I und II: AKPf, I&Oe I: Fabaria: Iuridica et Oeconomica, Schachtel I (-1500) enthält unter anderem: Zinsrodel über die einzelnen der Kammer des Abtes von Pfäfers zustehenden Höfe, 1129; Pfäfeser Zinsrodel der Colonien von Ragaz, ca. 1260; Spend Rodel von Mels, ca. 1260/ 70; Pfäfeser Hofrodel von Quarten, Abschriften von ca. 1300 und ca. 1400 des im Liber viventium, p. 80 ca. 1295 eingetragenen Hofrodels; Güter des Niklaus von Puwix zu Ragatz vor 1329; Hofrodel des Gotteshauses Pfäfers, ca. 1340/ 50; Frühmesszinse der Frühmesse Pfäfers, 1390 und später; Liste verschiedener spezieller Zinse (Käse, Wein, Korn) von 1394; Rodel über Recht und Gerechtigkeit in Quarten, Ende 14. Jh.; Kundschaft um die Huben in Ragaz, ca. 1400; Urbar der Aecker, die nach Sargans zehentpflichtig sind, 1. Hälfte 15. Jh.; Rodel der Zinse und Gülten von Freudenberg, 1462. In einer Kopie von 1724; Rodel St. Lienhard in Ragaz, ca. 1500. AKPf, I&Oe II: Fabaria: Iuridica et Oeconomica, Schachtel II (1501-1579) enthält unter anderem Custory Wax-Zins, 1533; Dess freyen fürstlichen Gotteshauss Pfeuers recht vnd gerechtigkeit zu Melss betreffendt, 1550. Kopie des 18. Jh.s.; Die lokale Flora als toponomastisches Benennungsmotiv 197 Flumser Greplanger Zinsen. Enthält Zinse und Zehenten aus Wl, Mo, Wlb, nebenbei auch solche aus Ts, Me, Ot, Ut, Mu, Qi. Archiv der Ortsgemeinde Walenstadt OBA Walenstadt, UK: Urkunden verschiedenen Datums. Nicht sicher: Urkunden. Für die Urkunden vor 1532 wird nach den Nummern des bis dahin bestehenden Urkundenverzeichnisses zitiert, später nach den Nummern der Briefumschläge und Schachteln, in denen sich die Urkunden befinden. Eine Kartonmappe, genannt Faszikel E, enthält 90 Nummern Papier-Urkunden zwischen 1700 und 1795. Wulf Müller Sinn und Zweck der Toponomastik (Beispiele aus der Suisse romande) In der letzten Nummer der Zeitschrift Onoma bemühte sich ein Spezialist der Indianersprachen, den Flussnamen Wisconsin zu klären 1 . Seine Methode ist bemerkenswert. Er kennt nicht nur die Phonetik des Miami- Indianischen sowie die Wanderungen dieses Volkes im 17. Jahrhundert, sondern weist auch paläographisch den Weg von der älteren Form Miskonsing zu der Falschlesung Ouisconsing nach. Nur in den Archiven der Jesuiten von Vanves / Frankreich und von Québec dagegen ist die ursprüngliche Form Meskousing verzeichnet, welche man als Miami meesko-hsin-gi „rot liegen“ + Endung interpretieren darf, also „es liegt rot“. Der Verfasser zeigt noch, dass die Europäer oft das Schluss-i der Indianer nicht hören konnten und es also nicht notierten und dass Verben in den dortigen Ortsnamen nicht selten sind. Auch die Realprobe kommt mit dem Nachweis roten Sandsteins, durch den sich der Fluss an einer wichtigen Stelle bricht, nicht zu kurz. Wir haben somit auch hier - in Amerika - alle wichtigen Elemente der Namenforschung vereinigt: alte Belege, Arbeit im Archiv, Paläographie, volkstümliche Aussprache, Berücksichtigung der historischen Grammatik, Realprobe. Allerdings müssen je nach Fall einzelne dieser Elemente manchmal stärker, manchmal schwächer gewichtet werden. Gar nicht genug kann man hingegen den Wert der alten Belege betonen, die man aus einer tadellosen Urkundenausgabe oder dann direkt aus dem Archiv bezieht. * Die Industriestadt Tramelan im Berner Jura weist durchgehend historische Schreibungen auf -an auf, meist mit einem grafischen -s versehen (seit 1297 Tramelans). Auf diesen Belegen bauen wir eine Erklärung auf. Der Name erscheint uns klar aus drei Elementen zusammengesetzt: 1° der Bachname la Trame, welcher Tramelan durchfliesst bzw. seit der Überschwemmung 1910 in Röhren unterquert; 2° die feminine Verkleinerungssilbe -elle; 3° das ebenfalls weibliche frankoprovenzalische Gewäs- 1 McCafferty 2003. Wulf Müller 200 sernamensuffix -an aus lateinisch -anem, ursprünglich ein Akkusativmorphem. Tramelan bedeutete demnach zunächst „die kleine Trame“ und bezeichnete offenbar einen Nebenbach der Trame in Tramelan. Die frankoprovenzalische Aussprache auf -an ist bis heute im Hochfranzösischen erhalten, obwohl sich im Spätmittelalter die Dialektgrenze nach Süden verschob und durch diesen Vorgang Tramelan in den Sprachbereich der Franche-Comté zu liegen kam. So wurde das Suffix -an uminterpretiert. Der Nasal an ist im Franc-Comtois nämlich das lautgerechte Ergebnis der lateinischen Präposition in, aber auch der Ortsnamenendung -ingos. Das Toponym hat sich also in der Endung radikal umorientiert, was man zunächst an der Dialektform der dortigen Gegend sieht, welche über an zu -ò (offen) oder -o (geschlossen) wurde. Dieses -o ist somit das regelmässige Ergebnis von lateinisch in und von germanisch -ingos und hat mit dem ursprünglichen lateinisch-frankoprovenzalischen an nichts mehr zu tun. Die moderne Dialektaussprache tramlò u. ä. ist übrigens seit 1330 Tremelox belegt, allerdings nur abschriftlich 2 . Auf dieser Neuinterpretation -ingos beruht auch die deutsche Übersetzung Tremlingen / Tramlingen (ab 1310), zahlreich belegt und bis heute bekannt. Sie entstand vermutlich in der bischöflichen Kanzlei in Basel, doch müsste auch die Rolle der Stadt Biel genauer untersucht werden. Die späte Übersetzung Tremlingen hat nun praktisch die gesamte wissenschaftliche Forschung fehlgeleitet 3 . Unsere Gewässernamentheorie versuchen wir, auf zwei Wegen zu erhärten. Zunächst sei die frankoprovenzalische Stadt Freiburg erwähnt, wo 1379 in einem Steuerrodel der Bewohner Estevinon de Tramelan verzeichnet ist: -an kann in Freiburg nur auf lateinisch a + n zurückgehen; -an in Tramelan ist also ursprünglich, was in einer frankoprovenzalischen Region nicht verwundern kann 4 . Sodann kommt die Realprobe hinzu. Die vermutete Geländeformation muss mit Sicherheit in der Nähe des ältesten Ortskerns gesucht werden. 2 Da alle drei Abschriften Tremelox aufweisen, wird auch das verschwundene Original diese Form enthalten haben (Abschriften 1596, 1598 und gegen 1600 in den Archives de l’ancien évêché de Bâle in Pruntrut, B 207 / 15). 3 Aebischer 1925, 261-262. Muret 1926, 171-173. Hubschmied 1939, 217. Sonderegger 1963, 40. Aebischer 1966, 366. Sonderegger 1966-1967, 244-245. Greule 1973, 165. Besse 1997, 273. Kristol 2005, 879-880. - Die richtige Lösung wurde allerdings ins Auge gefasst und gleich wieder fallen gelassen von Aebischer 1925, 240, 261-262. 4 Zimmerli 1895, 99. Wir haben die Schreibung des Personennamens im Staatsarchiv Freiburg überprüft und leicht verbessert (Estevinon statt Estevinen). Sinn und Zweck der Toponomastik (Beispiele aus der Suisse romande) 201 Der weitgehende Verlust der örtlichen Traditionen durch die Industrialisierung erschwerte uns zunächst die Identifizierung dieses alten Dorfkerns, doch halfen ein paar ältere Einwohner und das Vorhandensein von einigen wenigen traditionellen Bauernhausformen. Die spärlich existierende Lokalliteratur wies in dieselbe Richtung. Ausschlaggebend war aber ein Aquarell von 1815/ 1819, welches oberhalb des alten Ortskerns überaus deutlich eine Quellmulde zeigt 5 . Dadurch ermutigt, wagten wir einen vierten Besuch in Tramelan (nach drei fruchtlosen) und stiessen an der bezeichneten Stelle auf ein sehr deutliches Tälchen, das heute allerdings von einer Eisenbahnlinie unten und einer Quartierstrasse oben durchschnitten wird. Ein Entwässerungsgraben im Talgrund stellt den letzten Rest des einstigen Bächleins dar. Bei unseren annähernd zehnjährigen Überlegungen zu Tramelan haben wir somit zwei Elementen eine überdurchschnittlich starke Bedeutung beigemessen, nämlich der beständigen Schreibung Tramelan(s) sowie der Realprobe. Dass darüberhinaus eine Reihe vertrackter Probleme übrig bleibt, sei nicht verschwiegen. Vom regelmässig zitierten Beleg 1325 Trimellingen braucht man nicht zu reden, denn dieser Name haftet an einer Flur im weit entfernten Delsberg / Delémont. Auch das ab und zu erscheinende Trömlingen (z. B. 1489 6 ) lässt sich als hyperkorrekte Rundung von Tremlingen entlarven. Dagegen wurde Ihnen bisher der erste Beleg 1179 Trameleins vorenthalten. Wagen wir uns an seine Deutung! Es gilt zunächst festzuhalten, dass wir eine von einem jurassischen Kleriker gefälschte Papsturkunde vor uns haben, die man auf 1179 oder 1180 datieren kann 7 . Ein solches Original - und sei es nur eine originale Fälschung! - ist uns wegen der Ortskenntnis des Fälschers von eminenter Wichtigkeit 8 . Der Kleriker schreibt die vier -ingos-Namen der Urkunde mit -ens oder -ench, mit Sicherheit -in gesprochen: Voens, Lamboens, Runens, Ulvench. Zunächst hatte er auch Tramelens gewählt, dann aber zwischen e und n über der Zeile ein i nachgetragen. Offensichtlich wollte er verhindern, dass man Tramele i ns als -ingos-Namen betrachtet und ausspricht. Dies tritt aber nur dann ans Licht, wenn man das Original der Fälschung im Archiv von Pruntrut / Porrentruy einsieht. 5 Frêne 1993, 175. 6 Stouff 1890, 130. So noch im 19. Jahrhundert: Kully 2003, 72. 7 Rebetez 1999, 238. Vgl. noch Rebetez 2002, 20-21. 8 Die Urkunde wurde von Trouillat 1852, 363 ediert, allerdings auf 1178 datiert. Wulf Müller 202 Wir halten die zitierte Schreibung -e i nfür den nasalierten Diphthong -ei-, der im 12. Jahrhundert in den parlers d‘oïl dieses Stadium aus lateinisch a + n erreicht hatte 9 . Der Schreiber war demnach mit dem literarischen Französisch seiner Zeit in Kontakt gekommen. Die Umorientierung von -anem zu -ingos/ -ingen war übrigens nicht die einzige. In den Patois des Kantons Jura (nördlich von Tramelan) gilt die Aussprache tramla oder trèmla, dessen -a auf dem Diminutivsuffix lateinisch -ittu (= französisch -et) beruht. Hier hat sich die Endung schon ziemlich weit vom urspünglichen -an entfernt, zum ersten Mal belegt im 15. Jahrhundert als Tramolat / Tramelat, auf der Rückseite zweier Urkunden des 14. Jahrhunderts 10 . In der jurassischen Gemeinde Les Bois stellte man gar zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein langes -a fest 11 , welches man als lat. -alis typisieren kann. Noch eine weitere Veränderung kam aus dem Norden, nämlich die Palatalisierung von a > è, zuerst 1319 bezeugt als Tremelanz / Tremelans und noch 1541 als Tremoullans 12 . Hier geht es eigentlich nicht so sehr um ein örtliches Dialekt-Charakteristikum, sondern um massiven Kulturdruck des riesigen ostfranzösischen Palatalisierungsgebiets, der sich von Zeit zu Zeit auch im Berner Jura schriftlich durchsetzte, so schon in einer Urkunde von 1301 aus dem südlichen St. Immertal 13 . Wahrscheinlich stammt das deutsche -evon Tremlingen aus einer derart palatalisierten Form des Romanischen. Auch diese Bewegung hat eine Verunsicherung ausgelöst, welche sich durch eine Rückwärtsbewegung in Richtung Velar auszeichnete. So schreibt man 1343 und 1345 Tromelans, wohl eine reine Schreibform, wie man sie noch öfter im Jura findet 14 . Vgl. für gabelle „eine Art Steuer“ die mittelalterlichen jurassischen Belege gaibelle (= gè-) und gaubelle (= go-) 15 . 9 Rheinfelder 4 1968, 85-87. 10 Urkunden von 1343 und 1345 im Stadtarchiv Bern, gedruckt in den Fontes rerum bernensium VI, 799 und VII, 107 ohne Hinweis auf die Rückenaufschriften. Der nächste Beleg Trammolat erscheint erst wieder 1609 (Archives de l’ancien évêché de Bâle, A 112/ 102). 11 Notizheft 70 (S. 15) von Ernest Muret, aufbewahrt am Glossaire des patois de la Suisse romande in Neuenburg. 12 Schüle - Scheurer - Marzys 2002, 82, 83, und Archives de l’ancien évêché de Bâle, B 133/ 10. 13 Marzys 1994, 145. 14 S. Anm. 10. 15 Glossaire des patois de la Suisse romande, VIII, S. 3-4. Sinn und Zweck der Toponomastik (Beispiele aus der Suisse romande) 203 * Nun ist es an der Zeit, ein paar Schlussfolgerungen allgemeinerer Art zu ziehen. Wie bei der Deutung des amerikanischen Wisconsin bleiben auch beim bernischen Tramelan die methodischen Anforderungen mehr oder weniger gleich. Ohne ausführliche Belegliste geht es nicht. Wir haben sie aus dem jurassischen und dem bernischen Urkundenbuch bezogen und sie grossenteils in den Archiven von Pruntrut und Bern überprüft. Die Kenntnis der Sprachgeschichte erlaubte eine erste lauthistorische Einordnung der historischen Zeugnisse. Aber nur dank der traditionellen Dialektologie kommt man zu weiteren Einsichten. Nicht verachten sollte man ferner die einheimische Bücherproduktion auch der bescheidensten Art. Nur durch sie stiessen wir schliesslich auf das entscheidende Aquarell, das erst die Realprobe ermöglichte. Die Befragung der örtlichen Bewohner hat sich dagegen in unserem Fall als unergiebig herausgestellt. Der wichtigste Punkt ist wohl die unbedingte Notwendigkeit der Dialektologie. Die Dissertation von Martina Pitz 16 hat dies deutlich genug gezeigt. Gibt man das eine auf - die Dialektologie -, muss man auch das andere aufgeben - die Toponomastik -, so wie etwa ein Mittelalterforscher auch nicht ohne Kenntnis des Lateins arbeiten kann. * Um die Mitte des 20. Jahrhunderts fand - von Deutschland ausgehend - eine toponomastische Revolution statt, nämlich die Entdeckung des prähistorischen Gewässernamensystems durch Hans Krahe 17 und andere. Sie wurde von der deutschen Romanistik mehr oder weniger verschlafen, und in Frankreich ist man aus diesem ach so wohltuenden Schlaf immer noch nicht erwacht. Um so erstaunlicher, als man in der Frankophonie über solche Relikte geradezu stolpert. Etwa in der Suisse romande bilden sie regelrechte Netze. So gibt es nicht nur die Areuse von Boudry, sondern weitere fünf, abgeleitet von der indogermanischen Wurzel *or- „sich erheben, sich bewegen“ + Suffix -osa. Noch eindrücklicher gestaltet sich die Gruppe von zehn Gerone-Bächen aus keltisch juris „Bergwald“ + Suffix -ona, besonders gut vertreten im Waadtland mit Ausläufern bis in die peripheren Kantone Genf, Wallis und Berner Jura 18 . 16 Pitz 1997. 17 Krahe 1964. 18 Müller 2002, 83-86. Wulf Müller 204 Im Idealfall bilden so die alten Hydronyme der Suisse romande ein Geflecht. Sogar die isoliert erscheinende Zihl / la Thielle hat bei genauerem Hinsehen Parallelen im Waadtländer und Walliser Chablais, also im Tal der Rhône kurz vor deren Einmündung in den Genfer See 19 . Immerhin zwei Vertreter von Mosa (vgl. Mosel, Maas) finden sich am Neuenburger See, der winzige Mouson im Norden und der Mujon im Süden. Gelegentlich muss man aber geographisch weiter ausgreifen. Ohne die österreichische Forschung hätten wir die Regionsbezeichnung Üchtland nicht klären können. In einem zweisprachigen Gebiet wie Freiburg im Üchtland hat man die historischen Zeugnisse in einen deutschen und einen romanischen Zweig zu scheiden. Nach Überprüfung der veralteten Quellendrucke in den Staatsarchiven von Freiburg und Bern ergab sich folgendes Bild: Romanisch Deutsch Endung oft latinisiert Endung z. T. latinisiert 1001/ 1003 in Otolanda 1082 Ohtlannden 1001/ 1025 terram in Otholanda 1250 in O u htenlanden apud Rechthalton 1. H. 12. Jh. Otholanda 1264 in Ohtilandin um 1266 in Ostelanden 1268 Oihtelanden 1275 Oetlandia 1271 Ohtelandon 1281 Hoystellanda 1275 Ohtilandia 1285 Hoystellanda 1275 Ohtelandia 1289 Oethelandia 1289 O e htelandia 1293 de Friborc en Estellande 1301 in O e chtlannden 1294 Hostelandia 1308 O u chtelandia 1294/ 1295 Hosterlandia 1308 O e chtlandie (Gen.) 1300 Othlandia 1311 von Berne in O e chtland 1319 Oetlandie (Gen.) usw. 1324 Fribor en Ostalanda 1326 Fribor in Ostelanda 1331 Oethlanden 1337 Othelandie (Gen.) dann ausgestorben 19 Müller 1998, 19. Sinn und Zweck der Toponomastik (Beispiele aus der Suisse romande) 205 Die deutschen Formen haben einhellig ein -hzwischen o- und -t-, ab 1301 oft -chgeschrieben. Seit 1289 ist der Umlaut als O e - = öbezeichnet 20 . Das -h-, als -chzu sprechen, entstand durch die deutsche Lautverschiebung im 7.-8. Jahrhundert aus romanisch -k-. Wir kommen so auf *Okti-landa, dessen -iden deutschen Umlaut bewirkte. Obwohl aber für Öim Mittelalter zahlreiche Belege vorhanden sind, ist gerade diese Variante im Deutschen ausgestorben. Weniger gut bezeugt - nämlich nur dreimal - stellt sich die deutsche Form O u dar 21 , als Uozu sprechen. Ab 1340 erscheint die klassische mittelhochdeutsche Verschriftung U o -, welche die Aussprache Uobestätigt. Nach der historischen Grammatik des Deutschen müssen wir von einem langen oausgehen, das zu uodiphthongiert und dann regelmässig zu üepalatalisiert wird. Üechtland ist denn auch die heutige, geläufige alemannische Sprechform. Die romanischen Formen des 11. und 12. Jahrhunderts weisen den etwas rätselhaften Typ Otolanda auf. Erst bei den späteren Belegen wie 1275 Oetlandia, als wèzu sprechen, erkennt man den Dipthong wè-, der aus o + j lautgerecht entstand und dem wie im Deutschen o + k zugrundeliegt 22 . Dieser Diphthong wird 1281 und 1285 nach altfranzösischer Art -oygeschrieben. Er verliert sein erstes Element in 1293 Estellande; vgl. franswè, dann fransè. Das aufdringliche -svor -that keinerlei Lautwert. Beide Serien führen demnach auf *Okto-landa bzw. auf dessen Nebenform *Okti-landa als Zusammensetzung mit keltisch *landa „Heideland, Buschland“. Es brauchte eine Weile, bis wir als Parallelbildung Octodurus erkannten, den keltischen Namen des heutigen Martigny im Wallis, eine Zusammensetzung mit durus „Talenge, Engstelle“ 23 . Eine keltische Nebenform auf -i findet sich auch für Cambodunum, nämlich *Cambidunum > Kempten. Nun kommt die Gretchenfrage: Was ist *okto-? Zweifellos ein Gewässername, der auch in der salzburgischen Oichten vorliegt, im 11. Jahrhundert als Ogata bezeugt, welche auf romanisch *Okata zurückgeht. Zwischenvokalisches -kwird romanisch -g-, zwischenvokalisches -twird romanisch -d-, das aber erwartungsgemäss im 9. Jahrhundert im Deutschen wieder zu -tzurückverschoben wurde. Nun endlich können wir 20 O mit übergesetztem e. 21 O mit übergesetztem u. Zu den beiden oben aufgeführten Belegen (1250 und 1308) kommt noch das späte Friburgi O u chtlandie von 1444. 22 Rheinfelder 4 1968, 228-232. 23 Müller 2004. Wulf Müller 206 *Okto-landa und Octodurus korrekt deuten als *Okata-, in der Komposition synkopiert zu *Okta-, in Zusammensetzung lautgerecht Octo-. Am einfachsten wird man dieses Octoan indogermanisch *oku- „schnell“ mit langem oanschliessen (+ t-Suffix), zumal die Oichten in ihrem Unterlauf und insbesondere bei ihrer Mündung in die Salzach ein schnell fliessendes Gewässer ist. Wir erlauben uns also, die österreichischen Deutungsvorschläge zu rektifizieren. Manchmal wird dort ein indogermanisches -gangesetzt, welches in Wirklichkeit erst im Romanischen aus zwischenvokalischem -kentstand 24 . Ein anderer Vorschlag betrifft die Vereinfachung des keltischen Labiovelars k w in k-, die damals aber noch nicht stattgefunden hatte. Das dazu zitierte baltische Vergleichsmaterial gehört zu *ak w a „Wasser“ und kann *oknicht stützen 25 . Schliesslich sollte man die Fliessgeschwindigkeit im Mündungsbereich beachten, denn von dort geht im allgemeinen die Namengebung aus. Üchtland und Octodurus enthalten demnach einen heute verschwundenen Gewässernamen, der einerseits einen Abschnitt der Saane bezeichnete, andererseits die Dranse bei Martigny oder einen ihrer Seitenarme. * Welches Bild kann man sich von der Zukunft der romanistischen Toponomastik machen? Welche Forderungen sollte man stellen? Es wird wohl unumgänglich sein, sich in der Methode stärker an der fortschrittlicheren Germanistik zu orientieren, z. B. in der Aufarbeitung der Quellen, im Einschluss der geschichtlichen Landeskunde, in der besseren Berücksichtigung der Hydronymie und - das gilt vor allem für die Schweiz - im grundsätzlichen Misstrauen gegen veraltete Editionen. Z. T. sind diese Prinzipien bereits in den bemerkenswerten Dissertationen der Saarbrücker Schule verwirklicht 26 . Auch in Frankreich haben sich schon erfreuliche Dinge abgespielt, wenn auch nicht in der hoffnungslos provinziellen Société française d‘onomastique 27 . Jean-Pierre Chambon hat die dortige Forschung auf einsame Höhen getrieben, etwa durch seine zahlreichen Neudatierungen der Entstehungszeit von Toponymen und durch seine Berücksichtigung grammatischer Phänomene wie der Einführung des Artikels 28 . Auch die Wallonisten haben sich nie von den z. T. absurden Spekulationen gewisser Franzosen blenden lassen und sind deshalb zu sehr soli- 24 Lindner 2002, 547. 25 Wiesinger 1980, 265-266. Wiesinger 1990, 270. 26 Buchmüller-Pfaff 1990. Besse 1997. Pitz 1997. Puhl 1999. 27 Unter der neuen Leitung zeichnet sich nun eine entscheidende Besserung ab. 28 Z. B. Chambon 2005. Sinn und Zweck der Toponomastik (Beispiele aus der Suisse romande) 207 den neuen Forschungsergebnissen gelangt, z. B. zur Lösung des jahrzehntealten Chèvremont-Problems durch Marie-Guy Boutier 29 . Wenn man sich Chambon sowie die Schulen von Lüttich und von Saarbrücken zum Vorbild nimmt, braucht man um die Zukunft der romanischen Ortsnamenkunde keine Angst zu haben. Tramelan Bemerkenswerte Belege in fett 1179 Tramele i ns 1297 (cop. 1414) Tramelans 1310 Tremlingen 1319 Tremelans, Tremelanz 1330 (cop. 1596, 1598 und gegen 1600) Tremelox 1341 Heynricus Tremelani 1342 de Tremilingo 1343 Tromelans 1345 Tromelans 1348 Tremlingen 1348 Tremilingen 1350 Tremlingen 14. Jh. Tramilan 1358 (cop. 1414) Tremolans 1379 Estevinon de Tramelan 1380 Tremolan 1384 (cop. 15. Jh. und 1515) Tremmelein, cop. Anf. 16. Jh. Tremolin 1393 (cop. 1465) Tra e mellan Ende 14. Jh. Tromolans 1403 devar Tramelan, Tramlingen 1403 (cop. 1414) Tramelan 1407 Tramolans 1441 Tramolant 15. Jh. Tramolat, Tramelat (Rückenaufschriften auf zwei verschiedenen Urkunden) 15. Jh. Tremolans 1454 Tremlingen 1470 Tramillant, Tramellam 1479 Tremlingen 1480 Tremolans 29 Boutier 2004. Wulf Müller 208 1489 Trömlingen 1498 Tramolans 1523 Tramolans 1536 Tramolans 1541 Tremoullans 1557 Tramollans 1609 Trammolat streichen: 1334 Tramelis (auf Falte! ) und 1325 Trimellingen samt 1600 Trimlingen (Flur in Delémont! ) Bibliographie A. Quellenkunde Daucourt, Arthur: Dictionnaire historique des paroisses de l’ancien évêché de Bâle, Band 7. Pruntrut: Imprimerie du Jura 1907. Fontes rerum bernensium, 11 Bände. Bern: Dalp / Stämpfli 1877-1956. Hausner, Isolde / Schuster, Elisabeth: Altdeutsches Namenbuch. 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Grundlage jeder sprachlichen Auswertung ist eine mehr oder weniger lückenlose Dokumentation seit Bestehen der jeweiligen Siedlung. 1. Nehmen wir als Ausgangspunkt den Ortsnamen Bulle (Levier, Doubs) Bulle (Le): a.950 Ad Stabulos (Co) - 1092, 1140 Bul (Co) - 1140 Bul (Nèg) - 1263 Boule (Nèg, Co) - 1266 de Boulle (Co) - 1308 Boule (Co) - 1309 Bule (Co, Nèg) - 1329 Bulle (Nèg, Co) - 1629 Bule (Co) Nèg (15299): Bulle, Doubs; Bul, 1140, Boule, 1263, Bule, 1309, Bulle, 1329 (DCD); = peut-être NP germ. Bodilus (NPAG, I, 60a) + -a; autre expl.: DR. Nègre geht von einem Personennamen Bodilus aus. Er kannte aber vermutlich den Erstbeleg ad Stabulos nicht (950). Die Aphärese von Sta und die Geminierung von -llsind nicht problemlos. Man könnte vermuten, dass Bulle in der Franche Comté vielleicht den gleichen Ursprung hat wie das homonyme schweizerische Bulle im Kanton Freiburg. Da wir seit einem Jahr über das gute Lexikon der schweiz. Gemeindenamen (LSG) verfügen, herausgegeben von Andres Kristol, ist es nahe liegend, die entsprechenden Angaben zu vergleichen. Bulle FR (La Gruyère) fr. [byl, byl: ], fp. [a ˈ bylo] Attestations historiques (sélection) 860 [cop.] de Butulo ... ad Butulo CartLaus 212 867-68 Teutlandus presbyter de villa Butulum CartLaus 213 900 ad Butulum CartLaus 215 1144-1230 Bullum ... Bullo CartLaus 470 1162 Radulfus maior de Bolla CartHauter 349 Max Pfister 214 1178 ante portam monasterii de Bollo CartHauter 268 1235 mercati de Boullo CartLaus 41 Exonyme allemand: Boll [b ɔ l: ]. Selon une communication de Wulf Müller, Bútulo > Bulle remonte probablement à un étymon prélatin (celtique? ), car il s’agit à l’origine d’un proparoxyton. Son sens reste incertain. fc Hypotheses Jaccard (1906: 58) propose d’expliquer Bulle par un diminutif *butulum, du bas latin butum „but, bout, bute“. Muret (GPSR doc) pense à un nom de personne d’origine germanique tel que Potilus, Bodilo (Förstemann I,322). Pour Aebischer (1976: 85), butulum représente le diminutif de but, du germanique *but „souche, billot“ qui aurait pris le sens de „petite éminence servant de cible“. Le mot se serait appliqué au petit monticule, à peine visible aujourd’hui, sur lequel a été érigée l’église paroissiale. Besse (1997: 78) envisage un étymon prélatin *bola „terrain marécageux“. Discussion Aucune hypothèse étymologique avancée jusqu’à ce jour n’est satisfaisante. La proposition de Besse est sans fondement linguistique aucun: il est impossible que *bola aboutisse à Bútulo; or, cette dernière forme, bien attestée, est incontestablement à l’origine des formes plus récentes qui maintiennent le -o final comme voyelle d’appui après la syncope du -uposttonique (Bútulo > *Butlo > Bullo). Wulf Müller, der Spezialist für westschweizerische ON, geht vermutlich zu Recht von einem vorlateinischen (keltischen) Etymon aus, vielleicht Butulus. Wenn wir die drei ältesten Belege aus dem 9. Jh. nicht berücksichtigen, wird offensichtlich, dass für das französische Bulle jede Hypothese illusorisch wird. Auch der Ursprung des schweizerischen Bulle bleibt unsicher. Jedenfalls kennt auch die einheimische Bevölkerung den Ursprung nicht, weist doch das Gemeindewappen, der Bulle, auf eine Sekundärmotivation hin. 2. Vennes Vennes (PIV): 1092 Vinnis (Nèg) - 1092 Vinnis capelle sancte (Co) - 1134 Vinnis (Co) - 1139 Vinnes (Nèg, Co) - 1139 apud Vinnas (Nèg, Ros) - 1148 Capellam de Vennes (Co) - XII e s. Toponomastik und Dialektologie 215 Venes (Co) - XIII e s. K. Capella de Vinnes (Po) - 1249 Vengnes (Co) - 1267 Vignes (Co) - 1327 Le Vaud de Venes (Co) - 1614 Vaynes (Co) - 1667 Vennesle-Bourg (Co) Nèg (24918): Vennes, Doubs, Vinnis, 1092, Vinnes, 1139, (DCD), apud Vinnas, 1139 (DR); = pl. de oïl venne „haie, clôture, palissade, buisson“ (LAF); autre expl.: DR. Auch wenn wir bei diesem Ortsnamen bis auf das gallische Substrat zurückgehen müssen, befinden wir uns doch auf sicherem Boden. Bereits Nègre hat den Zusammenhang mit venne ‚Zaun‘ gesehen. Man könnte höchstens noch gallolat. venna ‚Fischreuse‘ FEW 14, 248 ergänzen und angeben, dass dieses Appellativum in zwei räumlich verschiedenen Bedeutungen weiterlebt: in Ostfrankreich als Fischreuse ‚engin de pêche‘, im frpr. als ‚Lebhag‘. Auch wenn unser Beleg aus Pierrefontaine-les-Varans, aus dem dép. Doubs, d.h. heute nicht mehr frpr. Gebiet stammt, so ist wahrscheinlich die frpr. Bedeutung ‚Lebhag‘ anzunehmen, da Jud bereits 1939 in den Mélanges Pope vermutet hat, dass der ursprüngliche Grenzverlauf zwischen francoprovençal und franc-comtois weiter nördlich (unter Einschluss der nördlichen Franche-Comté) verlief, entsprechend der Diözesangrenze (Bistum Toul / Bistum Basel). Auch im Fall von Vennes besitzen wir ein schweizerisches Parallelbeispiel Tavannes bei Moutier mit drei Belegen aus dem 9. und 10. Jahrhundert. Tavannes BE (Moutier) fr. [tavan], fc. [t ɔˈvɔn] Attestations historiques (sélection) 866 Tehisvenna DiplLothar 431 884 Tehisvenna DiplKaroliIII 173 968 [env.] cum villa Thesvenna DiplRudolf 166 1146 [env.] ecclesiam de Tasveno AAEB (mül) 1181 [env.] Nogerus miles de Tasuenna Trouillat II 22 1242 Waltherus de Tassevenna Trouillat I 559 1248 Johannes de Tasvenne Trouillat I 573 1254 in parrochia de Taffennes Trouillat I 614 1259 apud Tasvanne FRB II 481 1262 Waltherus milites de Tasvanna Trouillat II 126 1274 sita in parrochia de Tasfenne FRB III 105 1285 Richardus de Tasvannes FRB III 397 Max Pfister 216 venna (gallolt.) fischreuse 1. Ahain. venne f. „engin de pêche“ (1437, NphM 50, 143), nfr. „retranchement construit dans une rivière pour fermer le passage aux poissons“ (1636, Mon 942), vanne (1636, Mon 942; Corn 1694; seit Enc 1765), ostwallon. vène Gdg; Giv. ard. id. b. Adomb. venna „haie“ (hap. 14 jh., Puitspelu), Schweiz id., Ain vęna (p 913, 924), Viriat „haie vive“, Vers. v ẹ nna, Juj. vèna „haie“, Dombes vęna, v ´ ə na, Villefr. venna, van-na, Villié véne, Couzon venna, venne, Anth. v ´ ə na, Cr. vena. ALF 1592; ALLy 453. - Ablt. Viriat v ẹ nu m. „bâton d’une clôture“. - Zuss. Auv. avanau „clôture, fermeture“. Vers. pęrsvęn f. „fauvette“. Jud hat R 47, 486 das im mlt. Galliens vom 7.-10. jh. begegnende VENNA für das gall. in anspruch genommen und es mit „treillage ou palissade servant à arrêter et à prendre le poisson“ definiert. Diese eigentliche bed. (oben 1) ist im galloroman. erst verhältnismässig spät belegt. Früher tauchen übertragungen auf, zunächst auf „schleuse, besonders in einem mühlgraben“ (2 a), und, beschränkt auf das frpr., auf den „lebhag“ (b). Dass ein und dasselbe wort „schleuse“ und „hag“ bezeichnet, ist auch sonstwo üblich, Schmitt 19. - ML 9201; Ortsnamen Gröhler 2, 229. - Reinhard (FEW 14, 248). Zum gleichen semantischen Bereich wie venne‚ Zaun‘ gehört auch 3. Cize Cize (Cham): Ersterwähnung 1200 (Rou); o.J. Sysa, Cise (Rou); 1286 Sise (Pro) - 1374 Sise (Rob) - 1400 Sise (Rob) Nèg (10219): Cize, Ain; Sicia, 1184, Sice, v. 1350, Size, 1563 (DR); = NP rom. Sisius (OTL) + -a; autre expl.: NLA (10220): Cize, Jura; = idem; autre expl.: NLI (2) 140. Nègre sieht in diesem Ortsnamen den Eigennamen Sisius. Phonetisch setzt der Wechsel c/ s ein ursprüngliches c voraus. Vermutlich geht die Form auf lat. *caesa ‚Hecke‘ zurück, ein im FEW verzeichnetes Reliktwort aus dem frpr. und okzitanischen Sprachraum. caesa *hecke 1. Frcomt. sise „haie taillée“, St-Claude cîsa „haie“, neuch. sise „haie vive; palissade“, Aigle, St-Maurice sīza „haie vive“, Vd’lll. s ǫ yza, Genf sīz ə „haie“, sav. sīza, Semine, Magl. šiza, Bugey cisa Leduc 31, Valr. Innimont, TFrO. sīza, voir size, Romans siso; Agen cizo „rangée de pierres; assises de pierre“; Genf siza „rangée de touffes d’herbe que laisse après soi le faucheur“. ALF 1592. Toponomastik und Dialektologie 217 Im gallorom. ist CAESA von den part. der komposita von CAEDERE beeinflusst worden, vor allem von CONCIDERE . Daher ist es zu * CISA umgestaltet worden (FEW 2, 38). 4. Cognières Cognières (Mbo): o.J. Coignieres apud Montem Bosonem (HS) - 1144 Coogneyres (HS, Ros, Nèg) - 1246 Coygniéres (Nèg) - 1246 Coygnieres (HS) - 1283, 1324 Coignieres (HS) - 1428 Coingnieres (HS) - fin du XIV e s. Capellanus de Cugnieres (Po) - XV e s. Ecclesia de Congnieres (Po). Cognières ist heute als Appellativum nur noch im okzitanischen Raum und in der Dauphiné belegt, ebenfalls ein Reliktwort wie *caesa/ *cisa mit arealtypischer Verbreitung. Tav (159): Cognières (canton de Montbozon) En 1144, Coogneyres; l’étymologie traditionnelle, contestée par le NDC, est très vraisemblable: il s’agit de * COTONEARIAS „lieux plantés de cognassiers“; la première attestation nous permet de retrouver la trace des deux voyelles (autrefois séparées par une consonne dentale qui s’est amuïe avant l’An Mil). cydōnĕum quitte Aveyr. coudougnèyro f., castr. id., LotG. Gers kuduñęro, Agen coudounèro „cognassier planté comme borne sur les limites d’un terrain“, Toulouse coudougnèro „id.; borne“; mdauph. kudun´ ęyro „plantation, haie de cognassiers“ (FEW 2, 160s.). 5. Maîche Maîche (Ma): en 1168 Maches (Tav, Nèg) - 1168, 1177 Maches (Co) - 1245 Maches (Co) - 1304 Mesche (Co, Nèg) - fin du XIV e s. Capellanus de Maches (Po) - XV e s. Ecclesia de Maches (Po) - 1432 Maiches (Nèg, Co) - 1700 Mesches (Co) - 1790 Maîche (Co). Taverdet schreibt dazu: Maîche n’a pas encore trouvé de solution pleinement satisfaisante; Dauzat avait proposé l’ancien français mache „meule de foin“; puis „butte“ (de mataxa); en 1168 Maches. Nègre hat dazu aber bereits die richtige Lösung gesehen: Nèg (24582): Maîche, Doubs; Maches, 1168, Mesche, 1304, Maiches, 1432 (DCD); = peut-être oïl maîche „chanvre femelle“ (FEW VI(1), 427a), que la tradition appelle „mâle“; autre expl.: DR. Auch FEW 6, 427 bestätigt, dass es sich wiederum um ein vorwiegend okzit./ frprov./ ostfr. Reliktwort handelt. Max Pfister 218 masculus 5. Weibliche Hanfplanze. - Apr. mascle m. „chanvre femelle“ (Avignon 1370), afrcomt. id. (Jura 15. jh., MémJura 1901, 278), Tournus mâle Robert-Juret 48, Bligny-sur-Ouche id. V 22, Moselle mäl, Gruey, Urim. bress. St-Amé māl, frcomt. Plancher macle, Ajoie maîche [m ˉ ę ʽ h ə ], Sancey mache, GrCombe malu, mākl, fourg. maicq’llou [mękłu], Mesnay mâkiou, Vaudioux maicliou, Blon. måhło, Ollon må ϑə , sav. mâcllo [makło], Mignov. mękyu, Fav. malu, Vaux måtyo, Vers. ma ʽ hł ə , Ruff. måkł, TFr. makło, makyo, Pramollo makl į AIS 1483, aveyr. masclo f., Vinz. makły ə , -å. - Ablt. Verdch. malère „tige de chanvre mâle“ (FEW 6/ 1, 427). Von Wartburg begründet auch, weshalb ausgerechnet die weibliche Hanfpflanze mit masculus bezeichnet wird: Die tatsache, dass die weibliche hanfplanze, die den samen trägt, als die männliche bezeichnet wird (oben 5), beruht darauf, dass sie kräftiger ist als die männliche. Sie wird stehen gelassen, wenn die männlichen pflanzen kurz nach der blüte herausgerissen werden, und gibt eine gröbere faser. Die belege stammen vorwiegend aus dem Südosten, wo die hanfkultur seit dem altertum bekannt ist (Hehn 191; Gerig 7); vgl. noch engad. maschel und für die oberitalienischen mundarten AIS 1493. Aus dem latein Galliens ist das wort früh in die angrenzenden deutschen mundarten gedrungen: schweizd. maschele, südd. mäschel, els. maschel, bad. maschtel ZdMda 1933, 321. Diese Interpretation wird bestätigt durch das 1996 von Waser betreute Luzerner Namenbuch: Mäschel Der Name Mäschelgraben oder Mäschelbach steht möglicherweise im Zusammenhang mit schwzdt. Mäschel, Meschel m. ‚weiblicher Hanf, die groben, starken Hanfstengel, im Gegensatz zum Fimmel, den kurzen Hanfstengeln‘. Das Wort entspricht lat. masculus ‚männlich‘, da der längere Hanf als männlich galt, während der kürzere Fimmel, entlehnt aus lat. fēmella ‚Weibchen‘, als weiblich galt (Id. IV 502, I 826; Kluge, unter Fimmelhanf). 6. Nozeray Gelegentlich ist ein Toponym auch für lautliche Probleme von Bedeutung, z.B. Nozeroy (No): 1262 Noiseroi (Ros) - 1262 Noiseroi (Tav) - XV e s. Capitulum de Nosereto (Po). In diesem vereinzelten Fall kennen wir - dank der grundlegenden Dissertation von Colette Dondaine - auch die Aussprache (p. 259): Nozeroy (de NUCARIU + - ETUM ) se dit n ṓ zray. Toponomastik und Dialektologie 219 Zur Form Nozeroy schreibt Taverdet: Le noyer: c’est sans doute le noyer (peut-être aussi le noisetier) qu’on retrouve dans Nozeroy (39); du roman nucarium, avec le suffixe collectif -etum; ce type est bien groupé dans la région francoprovençale. La forme d’oïl apparaît dans les Noroy de la Haute-Saône. Bei Nozeroy handelt es sich aber nicht um die frpr. Form. Diese lautet norea, cf. Cheseaux-Noréaz VD (Yverdon) fr. [ ʃə zo n ɔʀ e ː a], fp. [ts ɛ zo n ɔˈ ria] Attestations historiques (sélection) Noréaz: 1177 Petronille de Nolraia 1219 Cono de Nueraia Nozeroy muss verglichen werden mit nojeraie bei Olivier de Serres, mit saint. nougeraie, dauph. nudzar´ ẹ do (FEW 7, 225), d.h. mit Formen, die in einem Übergangsgebiet zwischen Okzitanisch und Französisch zu *nugar sonorisiert und auf dieser Stufe palatalisiert worden sind. Dies ist heute nur in der Saintonge und in der Dauphiné nachweisbar. Unser Toponym im Dép. Jura muss auch zu dieser Übergangszone gezählt werden, cfr. LSG s.v. Cheseaux-Noréaz: Noréaz „lieu planté de noyers“ correspond au latin populaire *nucārĭus „noyer“, dérivé par le suffixe collectif féminin latin -ēta qui s’applique généralement aux plantes croissant en abondance à un endroit (Jaccard 1906: 309s; Aebischer 1976: 165; Bossard/ Chavan 2 1990: 158). Dans la tradition scripturaire romande, le -z final est un signe purement graphique, indiquant un -a final atone. afr. noeroie f. „lieu planté de noyers“ (1268-1361), noueroie (1307), mfr. noueraie (poit. 1392), noirie (Nevers 1558), nojeraie Ol de Serres, noieraie Mon 1636, noiraie Mon 1636, noyeraie (Cotgr 1611; Lar 1922-1932), ChefB. saint. nougeraie, centr. n ô raie, daupha. nudzar´ ẹ do, wald. nouvaréa Rol, nouréa Rol, Alais nougarèdo, Ytrac (FEW 7, 225). 7. Chaffois Chaffois (Pon): a.1050 Caffeiaco (Nèg, Co) - XII e s. Chaid Fail (Nèg, Co) - XIII e s. Chaphai, Chaphay (Nèg, Co) - XIII e s. K. Ecclesia de Chaphai, Chaphay (Po) - 1250 Chafoy (Nèg, Co) - 1258 Chaffoi (Co) - 1275 Chafois (Co) - 1275 Ecclesia de Chafois (Po) - 1289, fin XVI e s., XV e s. Chaffoy (Co) - fin du XIV e s. Capellanus de Chaffoy (Po) - XV e s. Ecclesia de Chaffoy (Po). Taverdet ist in diesem Falle beizupflichten: Max Pfister 220 De même que Chaffois qui est de la même famille qu’échafaud (*catafalicum), terme qui a désigné et qui désigne encore dans certaines régions le grenier à foin. Ein Vergleich mit FEW 2, 486b zeigt, dass bereits im 14. Jh. die lokale Form chaufat (JPriorat) lautete, Montbel. tchafa ‚lucarne de grenier‘. Möglicherweise sind -ois/ -oi/ -ai hyperkorrekte Graphien für a, da sich ´ ẹ > ei > a entwickelte, cfr. etála ‚étoile‘, avá ‚avoir‘ (Lobeck 168s.), ma ‚mois‘ (ib. 169s). *catafalicum gerüst I.1. Afr. chaafaut „estrade, échafaudage“ BenSMaure, afr. mfr. chaffaut (Gdf; TL; Mant; Dex), afrcomt. chaufat JPriorat, mfr. chaffal StAdrien, chauffaut (ang. 15. jh. - 1628), apr. cadafalc (Rn; Meyer Doc), cadefalc PassProv, Minot chaifaud, Nuits chaf ô , Seignelay, argonn. Chaussin chafaud, PtNoir chaf ô , SDT. saf ō, Aix chafau P, mars. chaffaut A, Cantal cadafalc. In speziellen bed. - Mfr. chauffaut „échafaudage sur lequel on joue une pièce“ (Loire-gegend, berr. 1529-1545), chafault Amyot. - IndreL šafo „fenil“. Vend ô me chaffaut „plancher volant établi au-dessus des écuries, avec des pièces de bois brut et des perches, sur lequel on entasse le fourrage“, Blois châfaud „plancher établi dans une grange“, gatin. chafaud „grenier à fourrage“, Loiret šă fọ „fenil“, Cher š āfọ , Sanc. chafaud, Nièvre châfaud „echafaud de perches placées en travers des poutres de la grange“ (RTrP 3,435; 7,173), verdch. chafaud „grenier audessus de la grange“, Chablis chaffaud, Ligny „grenier à fourrage“, HMarne šafo „fenil“, Vouth. châvau „grenier établi sommairement au-dessus du grenier principal“, chauvâ. Metz, Isle, Payh. šęfō „grenier à gerbes“, Urim. chôfouô „grenier à gerbes, a foin“, Belf. tchéfâ „grenier à gerbes“, Courfaivre tschef ā ARom 2,215, neuch. chinfaud ALF 550, ALF Suppl 259, 269; Hunz 4,129. Montbel. tchafa „lucarne de grenier“ (FEW 2, 486b). 8. Quinzemène Cademène (Qui): 1340 Quinzemène (Nèg, Co) - 1448 Quedemène (Co, Nèg) - 1589 Cademenne (Nèg, Co) - 1593 Cadememes (Co) - 1603 Cadamenne (Co) Condamine (LIS-N): 1295 Condamine, Comdamine (Pro). Ein schönes Beispiel für die volksetymologische Umgestaltung von Ortsnamen ist Quinzemène (Quinze émines ‚15-Scheffel‘). Taverdet interpretiert Cademène richtig mit Condamine: Toponomastik und Dialektologie 221 Condamine (du bas-latin condominium) est une grande terre exploitée par le seigneur (parfois par plusieurs seigneurs); le type est fréquent dans la toponymie de la région francoprovençale; mais il apparaît rarement comme nom de commune; même origine dans Cademène; Commenailles et Communailles. Die Dialektformen aus der Franche Comté fehlen im FEW: *condomĭnĭum gemeinsame herrschaft Abress. condamina f. „terre affranchie de charges“ (13. jh., RPh 1,56), apr. id. (seit. 12. jh., Rn; R 20,79; Brunel; MeyerDoc; Pans), Mâcon condemine „terre arable“, Schweiz condemina f. pl. „prairie appartenant au seigneur“, hdauph. condamine „terres fertiles“, mdauph. kũdamína, bdauph. escoundamino, Hér. aveyr. kũndamina „bonne terre réservée dans un domaine“, Péz. coundamino, Aude kũndamino ALFSuppl 217 p 748, 768, 785, 793. Der ausdruck * CONDOMINIUM (aus CON + DOMINIUM ) entstammt der terminologie der feudalverfassung. Im mlt. erscheint er in formen wie condamina, condemina usw., die wohl aus dem plur. hervorgegangen sind. Der ausdruck lebt in der südhälfte des gallorom. und im kat. Die bed. ist meist „von feudallasten freies stück land“. Im kat. (conomina, coromina) entwickelt sich die bed. weiter zu „halbinsel an einem fluss“, wozu BCat 3,48. Ferner hierher Murcia condomina „acequia“. In ortsnamen findet sich das wort bis Belfort (s. Vautherin), ferner Longnon 601; Gröhler 2,361; Vinc 327; Zimmerli 3,5; BGl 11,78; RF 34,534. - ML 2124a (FWE 2/ 2, 1022-1023). Sie sind aber detailliert aufgeführt in der Dissertation von Billy 125: Principalement à l’intérieur de la zone sise entre la Tille et le Doubs, on relève les toponymes Quinze émines (Côte-d’Or, Jura), Quinzemaine (Haute-Saône). Le plus ancien témoignage de cette forme concerne le quartier de Besançon appelé Casamène: Cundamina (c. 1040) Quendemene (1287) Quinzeamene (1251) Quenzamene (1301) Quinzemenne (1351) Casamene (1251) Quazamene (1319) Casamenne (1351) Quazemene (1402) Casamenne (1486) Parallèlement, on peut évoquer les attestations du nom de commune Cademène (Doubs): Quinzemène (1340) Quedemène (1448) Cademenne (1589) Max Pfister 222 L’évolution phonétique peut être aisément retracée grâce à ces attestations anciennes: [õd] > [ĩd] > [ĩz] > *[ ɛ z] > [az]: Casamène > [ ɛ d] > [ad]: Cademène 9. Badevel weist eine typische Lauterscheinung der Franche Comté auf: -ille > -elle: Badevel (Èt): 1335 Badevel (Co) - 1340 Fesches-Badevel (Co) - fin XIV e s. Bauldevel (Nèg) - 1427 Bauldevez (Nèg) - 1494-1676 Badevelle (Co). Nègre interpretiert diesen Ortsnamen richtig: Nèg (17215): Badevel, Doubs; Bauldevel, fin XIV e s., Bauldevez, 1427 (RIO 1965, 292) = NP germ. Baldo, Baudo (NPAG, I, 59b) + villa. Auch Colette Dondaine (1972, 274) erwähnt: vèl ‚ville‘ in (aller) - vèl = ‚en visite‘. Dies wird auch bestätigt von FEW 14, 450a: Bourn. aller - vęl ‚aller passer une partie de la journée chez un voisin pour causer tout en travaillant‘, bern. en vèlle ‚en visité (de jour)‘. 2. Dorf. - a. Fr. ville champestre „village“ (13. jh. - D’Aubigné, Gdf; Li; Beaum Cout; Lac), vile (13. jh.), ville „village entourant un château“ Guill Dole, „petite paroisse“ (1551, Goub), awallon. viell „village“ (1584, DialBelg 11, 153), alütt. ville (16. jh., BTDial 30, 273), adauph. vila Dev, arouerg. vila (12. jh., BrunelS), abearn. bièle, Ste-Sabine valle „village qu’on habite“, velle, Belm. vil „village“, Pierrec. v ęˉ l, Aj. vèlle, Hérém. įla „village d’Hérémence“, Ala vila „hameau“ AIS 818, Abond. vęlya „agglomération où se trouve la mairie“, Gresse vyę´lo „cheflieu de la commune“, Queyr. viéro, Bruis viera „village“, piema. villa „fraction de commune“ MV, Pral ví ə lo AGI 11, 333, Ostana villa „village“; Bourn. aller - vęl „aller passer une partie de la journée chez un voisin pour causer tout en travaillant“, bern. en vèlle „en visite (de jour)“ (FEW 14, 450a). 10. Glère Glère (SH): 1148 Glières (Co) - 1233 Gliers (Co) - 1275 Glaie (Co) - 1282 Glires (Co) - 1294 Gleris (Co) - fin du XIV e s. Capellanus de Glieres (Po) - XV e s. Ecclesia de Gleres (Po) - 1686 Glères (Co) - 1750 Glère (Co). Nègre kennt nur die gasc. Entsprechung: glère ‚gravier‘. Nèg (23861): La Glère (Port de), col com. Bagnères de Luchon, H. Garonne; = gasc. glère „gravier“. FEW 4, 149b belegt auch die typische frpr. Verbreitung: glarea kies I. Mfr. glaire „gravier“ (Froissart; Paris 1553; Garb 1487 - Pom 1671), gruy. ł ẹ´rə „grève recouverte de cailloux“, bagn. lir ə „terrain inculte autrefois recouvert par un glacier“, Valtourn. gł ẹə „gravier“ RLomb 44, 826, sav. gllires pl. „allu- Toponomastik und Dialektologie 223 vions, terrains caillouteux et broussailleux dans le lit d’une rivière“, Chamonix łīr ə „gravier“ Kübler 30, Aussois dy ęˉ ra, Thônes glière „terrain rocailleux, sablonneux“, Vaux dyéri „gravier de rivière“, Villard-de-Lans gl ẹ ´ro „banc de gravier“, Guardia łåra AGl 11, 385, Roaschia džęra RF 23, 526, lim. glaira, bearn. glèro, Ferrère glèra, Caut. glère. Lt. GLAREA fehlt nur im rumän., vgl. campid. džara, logud. yara, it. ghiaia „kies“, emil. lomb. džęra, ven. jara RDR 6, 192 n 2, piem. geira, vses. giara, gen. gèa, Bergün gl ęˉ ra „geröll“, frl. gleria Z 35, 528, kat. arag. glera BCat 24, 171, sp. llera MPidal 105, Santander lera MélNicole 383, pg. leira. Es lebt in ortsnamen auch in heute deutschen gebieten nördl. der Alpen, z. b. Glaris, Glar (schwäbisch, Fischer 3, 668). Fürs gallorom. oben I; es ist hier allerdings nur noch in randgebieten bezeugt. Originalbelege finden sich für das 14. Jh. in den DLSR I G LÈRE , Doubs, arr. de Montbéliard, cant. de Saint-Hippolyte, Gleire, 66, dos; Gleres, 203, 33; Gleyre, 59, 19; Gleyres, 28, 1, 15, 17; 59, 20, 22; 66, 1; Glieres, 7, 1 → G UILLAUME DE G., P ERRIN LE CHARRETIER . - Curé → N ICOLE . Saint-Hyppolite, südlich von Montbéliard, befindet sich heute außerhalb des frpr. Sprachgebietes. 11. La Loye Loye, La (Mb): XIII e s. K. Ecclesia de Nova Loya (Po) - 1275 D. de Loia, Ecclesia de la Loie (Po) - 1275 P. de Loia (Po) - fin du XIV e s. Loya (Po) - XV e s. Ecclesia de Lova (Po) Vieille-Loye, La (Mb): XI e s. Vetus Loia (Ros, Nèg) - 1147 Vieille-Loye (Rou). Die Interpretation bei Nègre ist zutreffend: Nèg (25829): Louye, Eure; Loia, XII e s. (NCE), Loya, 1239 (DR); = prob. oïl loie „galerie, hangar, avant-grange“ (FEW, XVI, 448a); autre expl.: DR. (25830): Loye, Cher; Loya, 1207 (DR); = idem. La Loye, Jura; = idem; autres expl.: NLJ, DR. und wird auch vom FEW 16, 448a bestätigt: anfrk. laubja laube Alothr. loie „galerie en bois le long des remparts ou au-dessus d’une rue“ (Metz 13.-14. jh.), awaadt. loye (1386), Belm. l ọˉ y „tribune à l’église“, Bar. l ǫˉ y, Châten. loûe „hangar; abri en avant de la grange“, Montbél. loê „avant-grange“, GrCombe lūy „balcon“, fourg. louayès pl. „tribune au fond de l’eglise“, Réclère ẹ ˉ l ọˉ „galerie a l’église“ ArchVolksk 7, 82, Delémont ẹ lo „galerie“, Diesse el œ․ ˉ ̣ y TablGl 173, neuch. élouyes „galerie en bois des maisons rustiques“, Domp. lū ʹ y ə „tribune à l’église“, Blon. lū ʹ y ę „galerie du chalet“, Ollon lūy ə , Rougemont id. Ust 103, Vionn. Vd’Ill. id., Hérém. „balcon“, Montana luyi „galerie en bois de- Max Pfister 224 vant la maison“, aost. louye, Cogne luy ə Volkst 13, 294, Abond. luy ə , Vaux lau „passage couvert entre 2 maisons“. Bezeichnend die Anmerkung 10, dass es sich um ein areal beschränktes Reliktwort für Lothringen und das frpr. Sprachgebiet handelt. Die alemannische Entsprechung ist Laupen bei Bern, 1166ca., in frpr. Form belegt: Hendricus de Loyes. Das Gemeindewappen bezeugt, dass zum Zeitpunkt der Wappenwahl der Ursprung ‚Blatt, Laubzweig‘ noch transparent war. Laupen BE (Laupen) [ ˈ loup ə ] Historische Belege (in Auswahl) 1013-16 [Kop.] actum Logis castello DiplRudolf, 268 1029 Actum Logis DiplRudolf, 294 1133 Hupoldi de L ǒǒpa FRB I, 405 1166 [ca.] Hendricus de Loyes FRB I, 450 1223 Ulricus de Lopis FRB II, 42 1253 comitem de Loupen ... castrum L ǒ ǒ pen FRB II, 364 1255 datum apud Loupun FRB II, 392 1255 Graseburg et Lopen FRB II, 404 1264 castra Laupun et Grasiburg FRB II, 590 1291 castra de Loves et ... FRB II, 520 12. Mièges Mièges (No): 885 Media (Nèg) - XIII e s. K. Ecclesia de Meges (Po) - 1275 Ecclesia de Meges (Po) - 1275 D. de Meges (Po) - fin du XIV e s. Meges (Po) - XV e s. Prior de Mieges (Po) - XV e s. Ecclesia de Mieges (Po) mĕdĭus in der mitte befindlich; halb I.1. In der mitte befindlich. - a. Afr. mi (f. mie, mige, mege) adj. „qui se trouve au milieu“ (seit Roland), mege (ca. 1300), mige (1396-1410), apr. meg; rouchi mi chés rues „dans les rues“, poit. dans mi „au milieu de“; Barc. sias pa miéi „vous dites des choses incroyables; vous n’y êtes plus du tout“. Substantiviert. - Afr. mi m. „juste milieu (entre deux extrêmes)“ BrunLat, mfr. my AncPoés 4, 194, au mi de „au milieu de“ (hap. 14. jh.; 1583), par le my de corps „par le milieu du corps“ (1527), lütt. mé-l’-coir „milieu du corps“ (1845, Gdg); apr. mieg „milieu (d’une poésie)“ (ca. 1350), miec „milieu“ (1335, Pans)), miech (1366, Pans) ... Afr. mée f. „milieu“ Wace, apr. mieja (ca. 1270), Metz mi, Lyon miê [myé], Rive de Gier mé, St-MauriceE. mya HerzogTexte; apr. miega „mitoyenneté“ (1333, Toponomastik und Dialektologie 225 RFortLaur 303, 304), Bessans mīå „ligne de délimitation tracée par les bornes [bw ẹ´ nes]“; Corr. Lot mèdzo „pellicule ligneuse qui sépare les quatre cuisses de la noix“ RlFl 4, 50; St-Pierre mejo „cloison“; Ste-Marie my ẹ´ y ẹ s pl. „les poutres, etc., qui séparent les bêtes (en général groupées par deux) et forment ainsi des compartiments“ Schmitt 24, Louron m ẹ´ y ẹ s (FEW 6, 629). Wie auch die latinisierte Form Media zeigt, handelt es sich um die frpr. und okzitanische Variante von media ‚in der Mitte gelegen‘. FEW 6, 629 belegt die diphthongische Form e + Palatal für das Altokzitanische. Die Autoren des DT s.v. Vernamiège VS (Hérens) schreiben: „L’élément -miège est l’aboutissement francoprovençal de l’adj. latin féminin media ‚au milieu, moyen‘“. Schlussfolgerungen Dieses Dutzend Beispiele könnte allein für die Franche Comté verdoppelt werden. Es zeigen sich aber einige Konstanten, die für unsere Thematik von Bedeutung sind: 1) Ohne eine gesicherte historische Dokumentation ist eine sprachliche Auswertung nicht möglich (Beispiel Bulle). 2) Für den Vergleich der Ortsnamenform mit der dialektalen Appellativform ist das FEW grundlegend: Vennes < venna; Cize < *caesa; Cognières < *cotonearias; Maîche < masculus; Nozeray < *nucarius; Chaffois < *catafalicum; Quinzemène < *condomina; Badevel < villa; Glère < glarea; La Loye < germ. laubja; Mièges < media. 3) Für an die Schweiz angrenzende Gebiete kann über schweizerische Parallelformen das neue „Lexikon der schweizerischen Gemeindenamen“ wertvolle Angaben liefern: Bulle, Nozeray → Noréaz; La Loye → Laupen; Miège → Vernamiège. 4) Ortsnamen enthalten häufig areallinguistisch interessante Reliktappellative, die Angaben liefern über die ursprüngliche Verbreitung eines Sprachgebietes. In unserem Fall können wir eine Erweiterung des Frankoprov. im Mittelalter voraussetzen für folgende Wörter: venne, cise, cognière, maîche, glère, loie und miège. 5) Toponyma liefern lautlich archaische Formen: Coogneyres, Nozeroy, Chaffois. 6) Sekundärmotivationen (Volksetymologien) zeigen, zu welchem Zeitpunkt die Durchsichtigkeit einer Namengebung verloren gegangen ist: Bulle, Quinze émines. Max Pfister 226 Bibliographie Aebischer, P.: Les noms de lieux du canton de Fribourg (partie française). Fribourg 1976. Beaurepaire, F. de: Les noms des communes et anciennes paroisses de l’Eure. Paris 1981 (= NCE). Besse, M.: Namenpaare an der Sprachgrenze. Eine lautchronologische Untersuchung zu zweisprachigen Ortsnamen im Norden und Süden der deutsch-französischen Sprachgrenze. Tübingen 1997. Billy, P.-H.: La «condamine», institution agro-segneuriale. Étude onomastique. Tübingen 1977. Bosshard, M. / Chavan, J.-P.: Nos lieux-dits. Toponymie romane. Lausanne 2 1990 ( 1 1986). 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S’il est vrai que la perspective synchronique prend clairement en compte les multiples formes de contact linguistique et le potentiel innovant qui en résulte, comme en témoignent, parmi bien d’autres, les manuels connus de Goebl / Nelde 1997 et d’Auer / Wei 2007, il reste encore très difficile, dans une approche diachronique, de prouver de façon concluante l’effet de l’interférence et l’interaction concrète de deux systèmes linguistiques sur le plan phonétique, morphologique ou syntactique. Ce constat vaut aussi pour les nombreux cas où le bilinguisme de certains espaces ou de groupes de population déterminés est clairement attesté par des sources historiques. Néanmoins, c’est aussi - je dirais même surtout - l’approche épistémologique insuffisante qui explique que les études poursuivant ce type d’objectifs soient encore trop souvent considérées comme des mirages, car il ne fait aucun doute que sur de nombreux plans, une approche résolument menée dans l’optique du contact des langues reste encore à développer. Il s’agira en fait d’analyser les corrélations éventuelles entre les différentes langues touchées par ce contact linguistique selon la perspective individuelle de chaque système concerné, afin de donner une certaine transparence à d’éventuelles contingences réciproques. Il convient d’établir une méthodologie rigoureuse permettant, éventuellement avec l’apport de données et d’argumentaires extérieurs au champ de la linguistique, d’identifier de façon précise ce qui peut être rattaché, pour quelle période et pourquoi, à tel ou tel système linguistique. Les plus grandes avancées en linguistique gallo-romane dues à l’onomastique de contact concernent certains faits phonétiques majeurs d’époque mérovingienne et carolingienne comme les sonorisations des occlusives sourdes intervocaliques (Pfister 1992), les palatalisations des gutturales devant e, i ou ou le traitement de t devant (Pfister 1987), qui Martina Pitz 230 ont pu être datés de façon plus précise grâce à la méthode de la chronologie phonétique relative, en analysant le comportement des noms prégermaniques à l’égard de tel ou tel fait phonétique du vieux haut allemand (Sonderegger 1983; Haubrichs 1986; Kleiber / Pfister 1992, etc.). Curieusement, ce furent surtout les linguistes germanistes, habitués à déceler les faibles traces des langues germaniques anciennes à travers les noms propres ou les emprunts lexicaux transmis par les sources latines, qui, en tentant de reconstituer la genèse de l’ancien francique et du vieux haut allemand, ont eu recours à la toponymie des zones de contact romano-germaniques et ont ainsi abouti à des résultats bénéficiant aussi, voire surtout, aux romanistes. Il en va de même pour les réflexions suivantes car elles sont aussi parties d’un questionnement de germaniste, à savoir le traitement des occlusives, et notamment des dentales, en ancien francique, véritable serpent de mer de la linguistique diachronique de l’allemand. Le traitement des dentales dans les emprunts du gallo-roman à l’ancien francique intéresse les germanistes pour trois raisons: 1° Il s’agit de déterminer si ces emprunts contiennent des reflets de la seconde mutation consonantique car le problème épineux de la classification linguistique du francique occidental, disparu au plus tard au X e siècle, ne saurait être résolu sans réponse concluante à cette question (Pitz 2006a, p. 4-7). 2° Il s’agit de savoir de quelle façon on traita, dans ces emprunts, les spirantes dentales sourdes propres aux anciennes langues germaniques et que les populations gallo-romanes ne connaissaient pas. On note généralement qu’il y a eu substitution par l’occlusive correspondante (Gamillscheg 1970², p. 382s.; Kaufmann 1965, p. 53s.). 3° On s’intéresse au traitement des dentales de l’ancien francique par rapport aux syncopes romanes (Zink 2006 6 , p. 38s.; Banniard 1997, p. 50s.) qui, dans les thèmes anthroponymiques de type proparoxytonique, aboutit à une assimilation de la dentale en question à la consonne suivante après la chute de la voyelle: *aþala- > *al-,*maþala- > *mal-, etc. (Kaufmann 1965, p. 210s.; Pitz 1997, p. 803s.). Trois autres questions d’importance capitale pour une bonne appréciation de ces emprunts n’ont cependant jamais fait l’objet d’études approfondies: L’amuïssement des voyelles finales en proto-français 231 1° Il manque un examen détaillé, mené dans une approche comparatiste selon les méthodologies actuelles de la linguistique germanoromane, des théories d’Ernst Gamillscheg (1970², p. 368-376) visant à expliquer le maintien de la dentale intervocalique dans certains mots d’origine francique - contraire aux règles phonétiques de l’ancien français où la disparition complète de ces dentales vers le XI e siècle, au plus tard, ne fait pas de doute (Zink 2006 6 , p. 64) - par l’effet de la restructuration du système vocalique latin dans les langues romanes (cf. Lausberg 1969, §§ 96 et 163; Banniard 1997, p. 44). Selon Gamillscheg, ce bouleversement aurait pu entraîner une gémination, puis une réduction secondaire de la dentale francique en question sous l’effet de la simplification des géminées en proto-français (Zink 2006 6 , p. 153s.), mais cette théorie est jugée d’un œil critique par certains romanistes en raison de problèmes phonétiques et chronologiques (Brosman 1999, p. 265-278). 2° Il manque une analyse systématique du traitement des dentales post-consonantiques d’origine francique en gallo-roman pour lesquelles on s’est contenté d’observations ponctuelles. Ainsi, on note par exemple une chute fréquente de la dentale francique placée après une nasale, comme dans les thèmes anthroponymiques *lan a-, évoluant vers *lan- (Morlet 1968, p. 156 Lanfredus, Langaudus, Lanhard, etc.), ou * ran a-, évoluant vers *bran- (Morlet 1968, p. 61 Brannoinus, Branniardis, etc.). Le phénomène est particulièrement bien attesté dans le polyptyque de l’abbaye Saint-Rémy de Reims datant du milieu du IX e siècle (avec des rajouts datant des X e et XI e siècles) mais conservé sous forme de copie du XVIII e siècle (Devroey 1984, p. XXII-XXV). Roth (1917, p. 79) y constate la disparition de la dentale finale du premier thème des anthroponymes germaniques devant toutes les consonnes autres que r. En se référant à Kralik (1913, p. 14), les spécialistes attribuent cette assimilation nd > nn à une influence romane (cf. Gamillscheg 1970², p. 398; Gysseling 1965, p. 53; Neusz 1978, p. 147; Haubrichs 1992, p. 55, etc.) car la chute de t ou d en position médiane dans un groupe intérieur de trois consonnes est régulière en ancien français devant toutes les consonnes autres que r, s, ∫ et (Rheinfelder 1976, § 638). Ce serait donc sous l’effet de l’analogie que cette évolution tout à fait normale pour le premier élément d’anthroponymes bithématiques dans un contexte roman se serait aussi étendue au second thème, comme l’attestent les formes Arlannus [< *-landus], Arbrannus [< *-brandus], Berlannus [< *-landus], etc., citées par Morlet (1968, p. 26, 41, 52). Or, un examen détaillé de cette question fait apparaître que dans le premier élément de mots composés ou d’anthroponymes bithématiques, la chute de la dentale après une nasale se produit déjà assez fréquemment Martina Pitz 232 en ancien francique (Franck / Schützeichel 1971, § 128) et en ancien saxon (Gallée / Tiefenbach 1993, § 278). Que le vha. *hantscuoh « gant » soit rendu par ansco dans une source émanant du francique occidental (Haubrichs / Pfister 1989, p. 38) 1 et que le vha. gundfano « bannière de guerre » (Schützeichel 1995 5 , p. 155) aboutisse à gonfanon dans la chanson de Roland (FEW XVI 102), n’a donc rien de surprenant puisque le phénomène, qui existait déjà sous forme de tendance dans la langue source, a dû être considérablement renforcé, avec l’établissement du contact des langues romano-germanique, par le parallélisme de l’évolution proto-française. En revanche, l’évolution de -landus vers -lannus ou de -brandus vers -brannus dans le second thème, pourtant bien documentée par Haubrichs / Pfister 1989, p. 40 d’après les matériaux rassemblés par Morlet 1968, paraît plus difficile à expliquer. En ancien francique, une telle assimilation ne semble possible que lorsque le groupe nd était, à l’origine, suivi d’un autre n, comme c’est le cas pour le germ. *hun -n-o « centarius » (Kluge 1926, § 21) > vha. hunno (Schützeichel 1995 5 , p. 172), conservé dans le toponyme Honnacre (Pas-de-Calais: < *Hunden-akkar «champ du hunno », cf. Gamillscheg 1970², p. 398), ou pour le frq. *hun injō, *hunninjō > wall. honine «chenille» (FEW XVI 265), formé par des Francs bilingues du Nord- Est de la Gaule sur le modèle du lat. CANICULA « chenille » et adopté ensuite par leurs voisins romans. Dans nos anthroponymes, l’assimilation nd > nn doit donc être propre à l’ancien français, comme Fouché (1966², p. 782) l’avait déjà supposé pour le lexème germ. * ran az « blade of a sword » (Orel 2003, p. 54) > afr. bran « lame de l’épée », pour lequel les anciennes formes (FEW XV 244b) conservent pourtant majoritairement la dentale finale, du moins sur le plan graphique. Néanmoins, la véritable motivation de ce phénomène reste, pour l’heure, inexpliquée 2 ; l’apparition de variantes avec ou sans assimilation ne paraît répondre à aucune règle et les dimensions chronologiques et l’aire d’extension de ces formes n’ont pas été définies avec certitude. Selon Beckmann (1963, p. 318s.) et Haubrichs / Pfister (1989, p. 39), les formes en -lannus et -brannus attestées avant l’an Mil seraient limitées au domaine occitan, à la Bourgogne et au Nord-Est de la Galloromania et ni le Nord-Ouest, ni la région parisienne n’en auraient fourni des attestations assurées. Cette affirmation doit cependant être nuancée car le polyptyque de Saint-Germain-des-Prés, datant des années 825-828 et conservé sous forme originale, livre, entre autres, la forme Aclemandus < -mannus (< germ. *man-ø- « homme »: 1 Le mot n’est attesté que par les Pariser Gespräche, cf. Schützeichel 1995 5 , p. 159. 2 Selon Fouché, elle serait « propre à la langue vulgaire ». L’amuïssement des voyelles finales en proto-français 233 Bammesberger 1990, p. 201; cf. Hägermann 1993, p. 9), prouvant ainsi, pour ainsi dire par ricochet, qu’une assimilation du groupe final nd > nn du second thème était bien possible au début du IX e siècle en Île-de- France. 3° Mais à côté de ce problème auquel je tenterai de répondre dans une autre étude, c’est surtout une analyse complète des issues des dentales franciques sonores à la finale après leur intégration en gallo-roman qui fait cruellement défaut. Dès le premier abord, on constate en effet une juxtaposition entre, d’une part, des formes maintenant la consonne sonore sans la moindre modification et, d’autre part, des formes dans lesquelles un assourdissement est perceptible, sans que la moindre règle régissant ces différentes évolutions ne semble se dégager. Cette double évolution est particulièrement visible quand les emprunts en question produisent ensuite des dérivés gallo-romans. Ainsi, pour ne citer que cet exemple, le germ. * ar az, m. « enclosure, yard, dwelling, land » (Orel 2003, p. 126) conserve son -d dans le dérivé fr. jardin (FEW XVI, 18b) et dans le mlat. gardinium transmis par le polyptyque de Saint-Rémy de Reims déjà mentionné (Roth 1917, p. 49), alors que les variantes romanisées de la forme composée frq. *bī-gard « enclos », transmise par de nombreux noms de lieux (Gamillscheg 1970², p. 105), connaissent à la fois des formes en -d (mlat. bigardium) et en -t (mlat. bigartium, cf. FEW XVI 21a). Des graphies similaires en <t> se retrouvent d’ailleurs aussi en assez grande quantité dans des mots et les noms propres d’origine germanique en latin carolingien: alote, Fulrato, etc. Elles y précèdent pour ainsi dire toujours la désinence latine, ce qui correspond à une position où le d d’origine latine n’apparaît quasiment jamais comme <t> (Pei 1932, p. 91; Vielliard 1927, p. 55). C’est précisément de ce troisième desideratum, que Paul Brosman (1999, p. 6s.) a clairement pointé du doigt il y a quelques années, qu’il sera question ici. Brosman voyait dans les emprunts présentant cette évolution de d vers t des reflets de la mutation de d en t du vieux haut allemand, fait linguistique qui n’intervint pourtant pas avant le VIII e siècle et ne concernait que l’aire de l’allemand supérieur et du francique oriental (Braune / Reiffenstein 2004 15 , § 86s.). Il considérait donc ces formes comme de précieux indices plaidant en faveur de son hypothèse personnelle selon laquelle le francique occidental ne serait pas seulement une extension de l’ancien bas francique vers le sud, comme pouvaient le penser Gamillscheg ou Wartburg, puisque des traces de la mutation des occlusives sourdes - et donc du francique rhénan -, voire même de la mutation des Martina Pitz 234 occlusives sonores - donc du francique oriental - apparaîtraient aussi dans les emprunts lexicaux. Mais Brosman (1999, p. 138) lui-même évoque aussi la possibilité d’un simple assourdissement lié à la position de la dentale en fin de mot: « d presumably devoiced after becoming final ». Délibérément, il évite pourtant de répondre à la question de savoir si les vraies raisons de ce devoicing sont à chercher dans la langue source ou dans la langue réceptrice car il a dû être parfaitement conscient que cette possibilité d’assourdissement des dentales sonores en position finale s’offrait tout aussi bien en gallo-roman qu’en ancien francique. Du moins comme usage scripturaire, l’emploi d’un <t> à la place de -d en position finale se rencontre aussi très souvent dans la langue latine dès l’Antiquité classique, y compris et surtout dans les prépositions, les conjonctions et les pronoms, donc dans des lexèmes hautement fréquents (Grandgent / Moll 1928, p. 119; Vielliard 1927, p. 55; Stotz 1996, § 199.6). La cause la plus plausible de cet assourdissement, qui s’est peut-être aussi imposé dans certains registres de la langue parlée, se situe sans doute dans l’assmilation phonétique à une consonne initiale sourde du mot suivant (Bonioli 1962, p. 89-92). En ancien français, les dentales sonores s’assourdissaient également dès qu’elles tombaient en position finale absolue (Zink 2006 6 , p. 76s.) mais pour tous ces cas, on n’a pas pu s’accorder définitivement pour savoir si la graphie <t>, qui finit par s’imposer, constituait effectivement une occlusive ou s’il pouvait s’agir d’une spirante sourde, comme le pensait, entre autres, Ferdinand Brunot 3 . Ce phénomène est également bien connu des germanistes car il se rencontre dans le moyen haut allemand classique où on constate une alternance régulière entre les consonnes sonores en médiale et les sourdes en finale (tac - tages « jour », etc.: Paul 2007 25 § L 72). Il est communément admis que l’imposition générale de ce principe s’est effectuée durant la période de transition du vieux haut allemand vers le moyen haut allemand, c’est-à-dire peu après l’an Mil 4 . Néanmoins, sur le plan purement scripturaire, la graphie <t> pour -d final était aussi relativement fréquente en vieux haut allemand, et pas seulement dans l’aire de l’allemand supérieur où elle peut s’expliquer par l’évolution régulière de d > t dans le cadre de la seconde mutation consonantique. Le Ludwigslied, chant en 3 Cf. Rheinfelder 1976 5 , § 780: « Es ist nicht zu entscheiden, ob mit dem Zeichen -t, das am Ende der afrz. Wörter steht, wirklich ein Verschlußlaut t oder der Reibelaut þ gemeint ist ». 4 Cf. Paul 2007 25 , p. 132: « Es handelt sich nur bedingt um einen mhd. Lautwandel […]. (-þ >) -d > -t erfolgte schon in spätahd. Zeit, da die ältesten fmhd. Quellen bereits <-t> aufweisen ». L’amuïssement des voyelles finales en proto-français 235 francique occidental de la fin du IX e siècle fixé sur le parchemin par le même scribe, forcément bilingue, à qui nous devons également la Cantilène de Sainte-Eulalie, comporte 23 -t contre 7 -d (Herweg 2002, p. 67; Franck / Schützeichel 1971 § 90; Schatz 1927 § 183). Pour la traduction en vieux haut allemand des extraits d’Isidore de Séville, où les dentales assourdies sont particulièrement fréquentes, Klaus Matzel (1970, p. 181) parle d’un « t assourdi à la finale » et Herbert Penzl (1975, p. 84) d’une « sorte d’assourdissement en fin de monème » 5 . En ancien bas francique, on constate également un assourdissement précoce des consonnes finales qui est pour ainsi dire toujours accompli dans le texte littéraire le plus connu rédigé dans ce dialecte, à savoir le psautier du X e siècle (van Helten 1969², § 52; Goossens 1974, p. 66). Pour le vieux saxon, des exemples similaires peuvent être recensés (Gallée / Tiefenbach 1993³, § 272; Odwarka 1982). Sur la base de ces données, Arend Mihm (2004, p. 144s.) a récemment postulé, pour les variétés septentrionales de l’ancien francique, l’existence de consonnes assourdies dès la période du vieux haut allemand. Il en a été tenu compte dans la nouvelle édition de la Althochdeutsche Grammatik de Wilhelm Braune (Braune / Reiffenstein 2004 15 ) où un nouveau paragraphe (§ 103a) résumant les débats sur cette question a été rajouté. Dans le même ordre d’idées, la toute nouvelle édition de la Mittelhochdeutsche Grammatik de Hermann Paul (2007 25 ) précise désormais que les assourdissements en fin de monème ne remontent pas tous à la même époque et peuvent avoir des origines variées 6 . Néanmoins, cette question donne encore lieu à de vives controverses parmi les spécialistes 7 . Si l’on tente d’élucider cette question dans la perspective d’une linguistique de contact germano-romane, des indices pertinents peuvent être fournis par les toponymes relativement nombreux de la Galloromania septentrionale qui combinent le suffixe - IACUM - d’origine antique mais fréquemment employé jusqu’au haut moyen âge - avec un nom de personne germanique comportant un <d> final. Abordons d’abord l’occlusive sonore d à la finale d’un nom de personne d’origine latine combiné avec - IACUM . D’une manière générale, lors du passage du latin tardif vers le proto-français, on constate une double évolution de cette consonne placée devant la semi-voyelle (Richter 1934, § 61s.; Rheinfelder 1976 5 , § 5 Cf. aussi, à une époque bien antérieure, Behaghel 1928 5 , p. 354 (« schon in althochdeutscher Zeit »), ainsi que Vaught 1977, p. 183, qui parle d’une « systematic and widespread occurrence of ‘Auslautverhärtung’ in Old High German ». 6 Paul 2007 25 , p. 131: « Die sich so ergebenden Inlaut-Auslaut-Alternanzen sind jedoch unterschiedlichen Alters und Ursprungs ». 7 Cf., p.ex., Braune / Reiffenstein 2004 15 , p. 106: « Ablehnend Klein [brieflich] ». Martina Pitz 236 493). Dans certains cas, on observe une chute de la dentale, provoquée par la fusion du yod avec la consonne qui le précède. En guise d’exemple, on pourra citer le toponyme lorrain Jouy (→ annexe, n° 1), de * GAUDIACUM (Buchmüller-Pfaff 1990, p. 527), forgé sur le cognomen latin Gaudius (Solin / Salomies 1988, p. 337). La graphie <g> attestée en 795 (Gaugiaco) représente ici une étape intermédiaire durant laquelle l’ancienne occlusive a dû se maintenir sous forme de spirante avant de s’amuïr complètement (Stotz 1996 § 196). Une graphie identique nous a d’ailleurs été transmise dans un document original datant des années 820, à savoir le polyptyque de Saint-Germain-des-Prés, pour un lieu du même nom en Île-de-France (in Gaugiaco; Hägermann 1993, p. 3), ainsi que, pour les années 770 et 877, mais cette fois sous forme de copie, pour le toponyme meusien Jouy-sousles-Côtes (Buchmüller-Pfaff 1990, p. 263), ainsi que pour Gooik en Belgique (Besse 1997, p. 608), dérivant également d’un ancien * GAUDIACUM . Dans d’autres cas, la dentale s’est maintenue et l’on aboutit à la formation d’une affriquée palatale sonore qui sera ultérieurement réduite en fricative: d > d > , comme dans frq. *wa -ja- (> mlat. wadius, wadia: de Sousa- Costa 1993, p. 177) > fr. gage (FEW XVII 441-447). Le fait qu’il n’existe - à ma connaissance - aucun exemple assuré renfermant cette seconde possibilité d’évolution de la dentale parmi les nombreux noms en - IACUM forgés sur des anthroponymes d’origine latine ou celte 8 , alors que ce mode d’intégration a été choisi pour de nombreux emprunts lexicaux d’origine francique (cf. Meyer-Lübke 1972², I, p. 431), plaide nettement en faveur d’un déroulement par étapes chronologiques successives de ces deux évolutions même si cela a parfois été mis en doute 9 . Le même constat vaut aussi pour -nd- + : d’une part, une assimilation précoce de la dentale au yod qui la suit avec une évolution consécutive analogue à celle d’un n simple d’origine latine placé devant yod, comme dans VERECUNDIA > fr. vergogne ou dans BURGUNDIA > Bourgogne où « le yod s’est combiné avec la nasale pour la mouiller » (Bourciez 1982 7 , § 148), et d’autre part la formation d’une affriquée qui sera ultérieurement simplifiée, comme dans les toponymes Angy (n° 2), 769 Andiaco, ou Nangis 8 Comme Besse 1997, p. 610-612, l’avait déjà souligné, l’étymologie des toponymes pour lesquels cette éventualité a été prise en considération, ne peut généralement pas être posée avec certitude car les noms en question peuvent aussi renfermer un anthroponyme en -tius au lieu d’une forme en -dius. 9 Cf., p.ex., Richter 1934, § 61; Gamillscheg 1970², p. 152: « -djdürfte im Vulgärlateinischen eine doppelte Entwicklung erfahren haben [...]. Gelegentlich stehen beide Entwicklungsformen bei dem gleichen Wort nebeneinander, ohne daß eindeutig die Gründe für diese Doppelentwicklung nachzuweisen sind ». L’amuïssement des voyelles finales en proto-français 237 (n° 3). Si l’on tient compte de l’absence d’exemples assurés pour la deuxième solution, à savoir la formation de l’affriquée, dans des toponymes en - IACUM forgés sur des anthroponymes d’origine celtique ou latine, on se voit donc contraint, pour des cas comme Angy et Nangis où l’on aurait tendance à hésiter entre deux solutions étymologiques, à savoir, d’une part, les anthroponymes pré-germaniques Andius (Solin / Salomies 1988, p. 15) et Nanidius (Solin/ Salomies 1988, p. 125) et, d’autre part, les anthroponymes germaniques Ando (Förstemann 1900², col. 102) et Nando (Förstemann 1900², col. 1149; Morlet 1968, p. 172a), de se prononcer en faveur du nom germanique. Ce fut d’ailleurs la solution proposée par Vincent (1937, § 397), Dauzat et Rostaing (1983², p. 489) ou Morlet (1985, p. 487), solution justifiée par ailleurs par la grande fréquence des éléments germaniques en question. Ces deux possibilités d’évolution romanes de -d- + se reflètent aussi dans les noms en - IACUM forgés sur des anthroponymes germaniques se terminant par -d, la solution avec chute de la dentale, apparemment plus ancienne, y semblant néanmoins nettement plus rare que celle de la formation avec affriquée, sans doute plus récente. Pour des raisons d’ordre méthodologique, je me suis limitée ici à l’examen des seuls toponymes contenant des anthroponymes germaniques de type bithématique car ces derniers se distinguent bien plus clairement des formations contenant des noms de personnes latins ou celtes que les anthroponymes germaniques monothématiques ou hypocoristiques. Dans le corpus ainsi constitué, dont la liste proposée en annexe ne reprend qu’une petite sélection d’exemples qui ne saurait en aucun cas être exhaustive, un seul cas relativement sûr se présente pour la chute du -dpostvocalique devant , à savoir Charbuy (n° 4), attesté vers 700 (cop. XII e s.) comme Carbaugiacus, avec la même évolution de l’occlusive vers la spirante que pour Gaugiaco cité plus haut. Le nom de personne que renferme ce toponyme peut sans doute être identifié, avec substitution phonétique du [h] francique par [k] à l’initiale (Gamillscheg 1970², p. 384s.), comme le germ. *Hari-bōd (cf. Förstemann 1900², col. 767 Harbod), car le thème celtique *caron’est pour ainsi dire jamais employé comme premier élément 10 . En revanche, l’affriquée sonore - ou plutôt la spirante sonore qui en dérive - est bien mieux attestée comme issue de noms de personne germaniques en -d- + . En raison de la fréquence des anthroponymes germaniques renfermant un l suivi d’une dentale, de nombreux exemples de cette évolution avec une finale en -ldpeuvent être évoqués: n° 7 Berelgies (< * BEROALDIACAS ), n° 8 10 Quelques rares exemples sont rassemblés par Delamarre 2007, p. 58s. Martina Pitz 238 Blaugies (< * BLADOALDIACAS ), n° 18 Remaugies (< * ROMOALDIACAS ), etc., tous avec la graphie <g> qui révèle la présence d’une spirante sonore. Il en va de même pour les nombreux anthroponymes germaniques renfermant le groupe -rd- 11 , comme l’atteste le n° 31 Habergy, qui correspond à un ancien * HARIWARDIACAS , où le maintien du -d final dans le nom de personne germanique est confirmé par le doublet allemand Hewerdingen, 1302 (orig.) Heverdingin. Or, on s’est aperçu depuis longtemps qu’un certain nombre de formations toponymiques en - IACUM contenant des noms de personnes germaniques avec -d final ne suivaient ni l’une, ni l’autre de ces évolutions régulières décrites plus haut. Elles n’aboutissent donc ni à la chute de la dentale par assimilation précoce au yod initial du suffixe, ni à la formation d’une spirante sonore comme issue régulière de l’ancienne affriquée. Ces toponymes contenant des anthroponymes germaniques avec -d final postvocalique ou avec -d précédé d’une liquide présentent, au contraire, une apico-alvéolaire, telle qu’on la trouve aujourd’hui dans les exemples n° 6 Onrezi (< * HUNIRADIACU ), n° 9 Faucousis (< * FULKOALDIACAS ), n° 14 et 15 Landouzy (< * LANDOALDIACAS ), n° 16 Moranzy (< * MAURO - ALDIACAS ), n° 19 Rousies et n° 20 Rosée (< *( H ) RODOALDIACAS ), n° 21 Somzée (< * SUNIWALDIACAS ), etc. Pour les anthroponymes se terminant par -ndou -rd-, une sifflante sourde s peut éventuellement apparaître, comme on la trouve dans les exemples n° 29 Samoussy (< * SALMUNDIACU ), n° 32 Thouarcé (< * THEUDHARDIACU ), etc. Quelquefois, on y trouve aussi la consonne sonore correspondante, comme dans les exemples n° 24 Aumontzey et n° 28 Montzéville (remontant à * ADALMUNDIACU et * ADALMUNDIACA VILLA ), n° 25 Halanzy (< * HOLDLANDIACAS ) ou n° 30 Varmonzey (< * WARMUNDIACAS ). Pour de nombreux noms, les sources semblent mentionner côte à côte tantôt une évolution régulière, tantôt une évolution particulière. C’est notamment le cas pour le n° 10 Grougis, de * GAIROALDIACAS : 1132 Gerolgies, 1165 Gerolgiis, etc. Les graphies en <g> représentent ici la spirante sonore, tout à fait régulière en ancien français, mais ces formes sont doublées par d’autres, telles que 1157 Gerolzies, 1220 (orig.) Grouzies, etc., dont la graphie <z> représente plutôt une affriquée dentale. Les choses se présentent de façon tout à fait similaire pour les exemples n° 13 José, n° 17 Ramouzies, n° 23 Thieusies, etc. 11 Rheinfelder 1976 5 , § 512, met l’accent sur le fait qu’après la vibrante r, seule l’évolution d > d > est attestée, y compris pour des lexèmes latins: HORDEU > *ordjo > afr. ord e. L’amuïssement des voyelles finales en proto-français 239 Ce fait a souvent donné lieu à des interprétations hasardeuses. Au sujet des premières mentions de Hilbesheim (n° 5), forgé sur le nom de personne Hildibōd (Förstemann 1900², col. 825 Hildebod), et de son doublet gallo-roman, attesté en 763 sous la forme in fine Hilbodiaga - donc avec maintien du -d final de l’anthroponyme, alors qu’une forme parallèle mentionnée en 713 comme Cilbociaga marca semble recéler une affriquée dentale sourde -, Fritz Langenbeck se dit surpris de la présence d’une graphie <c> alors qu’on s’attendrait à rencontrer un -d-. Selon lui, ce <c> pourrait traduire un ancien génitif allemand; on aurait alors affaire à une formation due à un locuteur roman qui ignorait pour ainsi dire tout des langues germaniques 12 . Pour sa part, Maria Besse (1997, p. 609) évoque l’éventualité d’une « Assibilierung » de d devant analogue aux évolutions bien connues de t suivi de et en conclut un peu hâtivement que « le problème de la palatalisation de d devant yod n’est peut-être pas tout à fait résolu » 13 . Une autre approche a été tentée par Monika Buchmüller- Pfaff qui postule un assourdissement de la dentale finale devant provoquant ensuite une palatalisation de cette dernière sous l’influence du gallo-roman 14 . A priori, elle considère donc que la position de la dentale devant yod, due à l’entrée en fonction de l’anthroponyme germanique comme premier élément d’un nom de lieu gallo-roman, constitue la condition sine qua non de l’apparition de l’assourdissement - postulat qui ne peut pas être fondé selon une perspective de romaniste. Peut-être songe-telle ici à un fait phonétique propre à toutes les langues germaniques appartenant à la branche du westique, à savoir la gémination des consonnes suivies de (Braune / Reiffenstein 2004 15 , § 96; Paul 2007 25 , § L 68), phénomène qui aurait pu, sous certaines conditions, aboutir à un assourdissement. Mais cette argumentation repose sur une erreur méthodologique majeure car la formation d’un toponyme authentiquement roman ne peut en aucun cas provenir de locuteurs francs, qu’ils soient bilingues ou non. Il semble donc impossible de postuler une intervention directe 12 Cf. Langenbeck 1967, I, p. 86: « [Auffällig ist] das -cvor der Endung -iaca, wo man ein -derwarten müsste [...]. Man möchte in diesem -cdie Wiedergabe des nicht verstandenen deutschen Genitivs ds (< des) [...] vermuten, doch ist das höchst fraglich. Das wäre dann die Bildung durch einen Romanen, der nur wenig oder gar kein Germanisch verstand ». 13 Cf. Besse 1997, p. 611: « Das Problem der Assibilierung von d scheint [...] noch nicht vollständig gelöst zu sein». 14 Cf. Buchmüller-Pfaff 1990, p. 222: « Verhärtung des auslautenden Dentals vor [j] und in der Folge unter romanischem Einfluss Assibilierung ». Martina Pitz 240 des lois phonétiques du francique lors de la formation d’un toponyme gallo-roman. Or, s’il ne paraît pas envisageable, selon une perspective de romaniste, d’expliquer l’assourdissement de la dentale par le yod du suffixe qui le suit, il faut en conclure que cet assourdissement est apparu avant que le nom de personne germanique ne devienne un élément constitutif du nom de lieu roman. A partir de cette hypothèse, pour un examen général du problème, il convient - à mon avis - de respecter les prémisses méthodologiques suivantes: 1° Il est généralement impossible de savoir si l’éponyme du lieu désigné par le toponyme est d’origine franque ou romane. 2° De ce fait, l’assourdissement des dentales peut être considéré soit comme un reflet d’une évolution linguistique purement francique, antérieure à l’emprunt de l’anthroponyme par les Galloromans, soit comme le fruit d’une évolution romane que cet anthroponyme ne subit qu’après son passage dans la langue romane. 3° La création de toponymes suivant des modes de formation lexicale purement romans et contenant des noms de personne germaniques empruntés par les populations galloromanes est l’œuvre de Galloromans et suit donc des lois phonétiques romanes. 4° Le yod du suffixe ne pouvant pas être à l’origine d’un assourdissement de la consonne qui le précède, il convient d’examiner s’il est possible, dans une perspective de romaniste, d’avancer d’autres arguments plaidant en faveur d’une telle évolution. 5° Ce n’est qu’après avoir déterminé l’absence de toute possibilité de ce genre dans le cadre de l’évolution du latin tardif vers le proto-français que l’on pourra prendre en compte l’hypothèse d’un assourdissement dans la langue source, à savoir l’ancien francique. Or, du point de vue de la langue romane, il n’existe qu’un argument unique, mais de poids, susceptible d’expliquer de tels phénomènes, à savoir l’amuïssement des voyelles finales, un fait phonétique majeur qui n’a cependant pu être daté jusqu’à présent que de façon approximative pour le nord-est de la Galloromania. Un terminus ante quem très sûr est représenté par les Serments de Strasbourg car ils témoignent en faveur de l’achèvement de ce processus linguistique (Fouché 1969², p. 501). Le polyptyque de l’abbaye de Saint-Germain-des-Prés, près de Paris, conservé comme pièce originale des années 820, contient également toute une série d’attestations toponymiques sûres révélant que les voyelles finales L’amuïssement des voyelles finales en proto-français 241 s’étaient déjà complètement amuïes vers 800. Nous avons ainsi des formes comme Andrig villa, Flogil villa, Biscon cella, Disboth villa, de Canpo Rembalt, etc. (Hägermann 1993, p. 37, 60, 78, 191, 208), dont certaines témoignent aussi de l’évolution de la dentale francique vers l’occlusive sourde. Concernant l’ancienne désinence -o de nos anthroponymes au cas oblique, les manuels se prononcent en faveur d’un maintien jusqu’au VII e siècle (Lausberg 1969, p. 205; Zink 2006 6 , p. 43; Bourciez 1982 7 , § 13: « jusqu’à la fin du VII e siècle »; Gamillscheg 1970², p. 379: « im Verlauf des 7. Jahrhunderts, vielleicht auch schon in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts »; Wolf / Hupka 1981 § 49: « 7./ 8. Jahrhundert »). Mes propres travaux sur les voyelles de liaison des toponymes romans d’époque mérovingienne n’attestent la chute de ce type de voyelle dans un document original qu’à partir de 762: Sigoltmarca (Pitz 1997, p. 681), alors que les témoignages remontent un peu plus loin en arrière pour la chute de -e où la première mention originale date de 692: Baddan curte (Pitz 2002a, p. 432). Il paraît aussi probable que la chute de la voyelle finale qui, comme le précise Zink (2006 6 , p. 43), « dépend de quatre facteurs: le timbre de la voyelle, l’entourage consonantique, la présence ou non d’un hiatus, l’accentuation primitive du mot », ne se soit pas produite à la même époque après tous les types de consonnes, mais cette hypothèse est difficile à vérifier en utilisant les sources écrites contemporaines, exclusivement rédigées en latin. L’amuïssement se serait d’abord produit après les liquides et les nasales, alors que les voyelles se seraient maintenues plus longtemps après les occlusives (Meyer-Lübke 1913², § 115). Par ailleurs, il semble aussi assuré qu’à la suite de cette évolution, un assourdissement des consonnes, désormais en position finale, se soit produit. Mais, là encore, peu de témoignages antérieurs à 842 peuvent le confirmer. Dans les chartes latines, la progression de la graphie <t> pour -d final ne devient clairement perceptible qu’à partir de la seconde moitié du VIII e siècle (Grandgent / Moll 1928, p. 119). À la suite de ces évolutions, nos noms de personnes germaniques à -d final empruntés par des populations gallo-romanes ont dû subir un assourdissement de cette consonne finale, du moins lorsqu’ils était utilisés au cas régime. Les toponymes en - IACUM d’époque mérovingienne étant précisément forgés sur des anthroponymes au cas régime, comme le montrent les nombreux exemples remontant à des étymons comme * ACCONIACU , * BATTONIACAS , * HUNONIACA , etc. (Buchmüller-Pfaff 1990, p. 68, 84, 241, etc.), ils connurent alors une palatalisation de t devant , dès qu’ils rentraient comme premiers éléments dans un toponyme en - IACUM . Ils développèrent donc une affriquée sourde dont témoignent les nom- Martina Pitz 242 breuses graphies en <c> (Stotz 1996, § 182), tout comme certaines graphies précoces en <s> que l’on voit apparaître de temps en temps dans notre matériel (Stotz 1996, § 183). Après une consonne, cette affriquée finira par se réduire à une apico-alvéolaire sourde: lat. INFANTIA > fr. enfance, lat. FORTIA > fr. force, etc. (Zink 2006 6 , p. 97; Vielliard 1927, p. 61s.). En revanche, après une voyelle, elle évolue vers une affriquée sonore, puis vers une apico-alvéolaire sonore: lat. RATIONEM > fr. raison, lat. POTIONEM > fr. poison, etc. (Zink 2006 6 , p. 97). Sur ce point, d placé après un l se développe d’ailleurs exactement de la même façon que d placé après une voyelle. On peut en conclure que la vocalisation de l antéconsonantique (Zink 2006 6 , p. 130; Chambon / Greub 2000, p. 157s.) est apparue avant la formation de cette affriquée sonore. Comme je tenterai de le démontrer dans une autre étude, cette remarque implique des conséquences chronologiques et phonétiques importantes car les parlers du nord-est connaissent souvent, à la place de la vocalisation de l antéconsonantique, un amuïssement pur et simple de cette consonne, phénomène pour lequel plusieurs étapes intermédiaires ont été postulées sans qu’il n’ait pour autant été possible d’établir des fourchettes chronologiques précises (Remacle 1992, p. 38s.; Stark 1965, p. 76s.). D’une manière générale, ces observations prouvent évidemment que les palatalisations, phénomènes principaux de la restructuration consonantique en proto-roman (Banniard 1997, p. 52s.), étaient encore en cours durant la période mérovingienne, comme Monika Buchmüller-Pfaff (1990, p. 525) l’avait déjà remarqué fort justement. Elles fournissent même une preuve particulièrement concluante pour la datation tardive de ces palatalisations dans le nord-est de la Galloromania, puisque notre argumentaire s’appuie exclusivement sur l’histoire interne des variétés romanes parlées dans ces régions, sans passer par une comparaison avec la chronologie phonétique du vieux haut allemand. Mais par ailleurs, nos observations fournissent surtout des indices chronologiques importants relatifs aux processus d’amuïssement des voyelles finales pour le nord et l’est de la Galloromania. Pour les toponymes en - IACUM forgés sur des anthroponymes germaniques dont le second thème se termine par -d, les attestations les plus anciennes témoignant d’un assourdissement de la dentale finale dont j’ai pu avoir connaissance datent des années 712 et 713 et concernent les localités lorraines de Hilbesheim (n° 5) et de Guéblange (n° 12). Dans ces deux cas, les attestations précoces et d’une grande richesse dans leurs variétés (Gebolciagus à côté de uilla Geboaldo, uuilari Geboaldo, etc.) révèlent que ces toponymes, en tant que tels, n’étaient pas encore très solidement fixés autour de l’an 700. La fondation de l’habitat correspon- L’amuïssement des voyelles finales en proto-français 243 dant ne devait donc guère remonter à plus d’une génération ce qui nous amène, pour l’examen des faits phonétiques décelables dans ces formes, aux dernières décennies du VII e siècle. Par ailleurs, selon les analyses prosopographiques de Wolfgang Haubrichs (1983), les éponymes de ces deux localités peuvent être clairement rattachés à l’aristocratie austrasienne; il s’agissait donc de Francs. La forme initiale de leurs noms, antérieure à l’emprunt par les Galloromans, contenait sans aucun doute une dentale sonore. On ne le constate pas seulement à travers l’examen des doublets allemands des toponymes: 1200 (orig.) Geueldingen, 1225 (orig.) Gebeldingen, X e s. Hilbodingen, etc., mais aussi à travers un emprunt postérieur du toponyme francique par l’ancien français, à savoir 1255 (orig.) Gaboudanges. Cet emprunt doit également remonter à une période assez reculée car il atteste la vocalisation de l préconsonantique. Ce n’est qu’au cours du Moyen Âge tardif qu’à l’imitation de formes scripturaires empruntées à l’allemand supérieur se propageront des graphies en <t>, mais ces dernières ne sont absolument pas appuyées par les dialectes locaux. Dans ces deux toponymes lorrains qui désignent tous les deux des habitats qu’on est en droit de faire remonter à la fin du VII e siècle pour des raisons typologiques (variation des déterminés) et historiques (prosopographie des éponymes), des attestations renfermant des dentales assourdies existent en parallèle à d’autres dans lesquelles l’occlusive sonore originelle a été conservée. Ces deux noms fixent donc la datation de la chute de la voyelle finale romane vers la fin du VII e siècle, tout comme les nombreuses séries de toponymes de notre corpus où les mentions avec une dentale sonore et celles avec une dentale assourdie s’équilibrent et prennent le dessus à tour de rôle. Finalement, les conclusions suivantes résultent de cet examen: 1° Le traitement des noms de personnes germaniques à -d final entrant comme premiers éléments dans les toponymes romans en - IACUM , apparemment contraire aux règles établies, peut être expliqué sans difficulté selon une perspective de romaniste. On ne trouve aucune preuve concluante d’un précoce assourdissement en fin de monème dans le système linguistique originel. Ceci signifie qu’il n’est pas non plus possible de recourir à des emprunts lexicaux du gallo-roman au francique montrant, à la finale, un t secondaire dérivé de d pour postuler un éventuel assourdissement en fin de monème dans la langue source. 2° L’existence, côte à côte, de mentions avec maintien de la dentale sonore et de mentions avec une dentale assourdie livre d’importants indices Martina Pitz 244 chronologiques concernant la chute des voyelles finales en proto-français au singulier du cas oblique des masculins de la deuxième déclinaison latine 15 , que ce matériel permet de faire remonter à la seconde moitié du VII e siècle. Un examen exhaustif de ce type de noms incluant aussi les régions pour lesquelles la documentation toponymique est à l’heure actuelle trop lacunaire pour pouvoir réaliser ce genre d’études, permettrait sans doute de proposer une fourchette chronologique encore plus différenciée et d’examiner la progression du phénomène dans différentes zones. 3° Au moment où les voyelles finales s’amuïrent en proto-français dans le nord-est de la Galloromania, la palatalisation de t devant yod était encore pleinement en cours dans ces régions périphériques, ce qui confirme fortement la datation tardive de ce fait phonétique proposée par Max Pfister (1987). 4° Dans la mesure où elles étaient soumises à cette palatalisation, les consonnes finales de l’ancien français dues à cette chute des voyelles finales sont à considérer comme des occlusives sourdes. L’hypothèse ancienne qui en faisait d’abord des spirantes, ne semble plus envisageable. Dans ce cas précis, l’analyse de certains toponymes hybrides d’époque mérovingienne, menée dans la perspective d’une linguistique de contact, a donc produit des résultats intéressants pour la linguistique galloromane, alors que les bénéfices objectifs pour l’histoire de l’ancien francique restent relativement minces. Et pourtant: si l’on prend en compte l’éventualité d’interférences linguistiques dans un contexte bilingue, le fait que les variétés proto-françaises ne possédaient plus de consonnes sonores à la finale à partir du VIII e siècle, pourrait avoir contribué à ce qu’un assourdissement plus ou moins systématique des occlusives finales s’impose aussi, du moins sur le plan scripturaire, dans un texte attribué à un rédacteur bilingue comme le Ludwigslied. Il ne me semble pas impossible non plus qu’un tel usage se soit répandu dans certains milieux bilingues des zones frontalières se retrouvant en situation d’interférence et d’alternance codique permanente. Pour en revenir au fameux paragraphe 103a de la nouvelle grammaire du vieux haut allemand, on pourrait donc admettre sans difficulté que des tendances à l’assourdissement des consonnes finales aient pu être développées volontairement dans certains milieux sociaux comme élément distinctif d’un certain niveau de 15 Les anthroponymes germaniques à déclinaison forte avaient pour ainsi dire tous été intégrés dans cette deuxième déclinaison latine, cf. Sonderegger 1961, p. 256s. L’amuïssement des voyelles finales en proto-français 245 langue. Mais de telles affirmations n’entrent pas dans le domaine des changements systémiques de la langue car elles relèvent de changements de normes linguistiques et - pour citer Kipling - ceci est une autre histoire qui ne peut être développée ici. Bibliographie Auer, Peter / Wei, Li (dir.): Handbook of Multilingualism and Multilingual Communication. Berlin / New York 2007. Bammesberger, Alfred: Die Morphologie des urgermanischen Nomens. Heidelberg 1990. 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Andiaco; ±1140 de Angeio; ±1150 Angi; 1157 Angi; 1186 Angiaco; 1207 Angiacum, NP germ. Ando (Förstemann 1900², col. 102). Cf. Gysseling 1960, p. 58; Lambert 1982, p. 10; Morlet 1985, p. 20. 3) Nangis (Yonne, F): 1272 (orig.) Naingi; ±1350 (cop. XV e s.) Nangis; 1369 (cop.) de Nangiaco. NP germ. Nando (Förstemann 1900², col. 1149; Morlet 1968, p. 172a). Cf. Pitz 2006b, p. 253. III. Anthroponymes germaniques de type bithématique avec -d final a) Voyelle + -d 4) Charbuy (Yonne, F): ±700 (cop. XII e s.) Carbaugiacus; 1200 (cop.) apud Charbuiam; 1209 (orig.) apud Charbuiam; 1223 (orig.) de Charbuiaco; 1281 (orig.) Charbui; 1369/ 70 (cop.) Charbuyaco; ±1500 (orig.) Charbuyacum. NP Har(i)-bōd (*harja- + * au a-, Förstemann 1900², col. 767 Harbod). Cf. Pitz 2006b, p. 254. 5) Hilbesheim (Moselle, F): 713/ 14 (cop. IX e s.) Cilbociaga 16 marca; 763 (cop. Ixe s.) in fine Hilbodiaga; 10 e / 12 e s. (cop. XVIII e s.) Hilbodingen; 1260 (orig.) Hilbotesheim; 1316 (orig.) Hilbechem; 1427 (orig.) Hilbetscheim; 1451 (orig.) Hilbetzheim; 1630 (orig.) Heilbeiseheim. NP Hild(i)bōd (*hilđi- + * auđa-, Förstemann 1900², col. 825). Cf. Pitz 2002b, p. 266 n° 21. 6) Onrezi, Gde. Bouilly (Marne, F): XI e s. Hunrezeium; 1236 Ouresi; 1238 Unresi; 1255 Onreseyum. NP Hūn(i)rād (*hūni- + *rē 1 da-, Förstemann 1900², col. 934). Cf. Morlet 1985, p. 375a. 16 Avec substitution de l’initiale hpar k suite à l’emprunt de l’anthroponyme germanique par des locuteurs romans; cf. PITZ 1997, p. 796. L’amuïssement des voyelles finales en proto-français 251 b) Voyelle + -ld 7) Berelgies, non identifié, près d’Elincourt (Nord, F): 1104 (orig.) Berelgeias; 1154 (orig.) Berelgies. NP Beroald (* era- + *walđa-, Förstemann 1900², col. 265; Morlet 1968, p. 52b). Cf. Gysseling 1960, p. 123. 8) Blaugies (Mons, B): 1018 (cop. ±1185) Blelgeias; 1096 faux. ±1185 Bleugies; 1110 (cop. XV e s.) Bleelgiis; 1119 (orig.) Blelgeis; 1142 (cop. XVII e s.) Bleugiis; 1197 (orig.) Bliagiis. NP *Bladoald (<blad->, variante romanisée de *balþa-, + *walđa-). Cf. Gysseling 1960, p. 150. 9) Faucousis, Gde. Monceau-le-Neuf (Aisne, F): 1143 (cop.) Fulchozyes; 1144 (cop.) Folcozies; 1145 (cop.) Folcouzies; 1145 (cop.) Foucouzies; 1161 (cop.) Foulcozies; 1167 (cop.) Folchozie; 1172 (cop.) Fulchozies; 1172 Fulchosiis; 1208 Foukousies; 1213 Foucozies; 1235 Foukosis; 1415 Foukauzis. NP Fulkoald (*fulka- + *walđa-, Förstemann 1900², col. 557; Morlet 1968, p. 95b). Cf. Malsy 1999, p. 390. 10) Grougis (Aisne, F): 1132 (cop.) Gerolgies; 1157 Gerolzies; 1165 (cop.) Gerolgiis; 1194 (cop.) Greugies; 1197 Greugiis; 1200 (cop.) Gerosis; 1220 Grouzies; 1413 Grougiz. NP Gairoald (* aiza- + *walđa-, Förstemann 1900², col. 585; Morlet 1968, p. 100b). Cf. Malsy 1999, p. 464. 11) Grugies (Aisne, F): 1064/ 69 Garelziagas; 1116 (cop.) Garelgies; 1126 Gerelgiacas; 1170 (cop.) Gerolgies; 1179 Gerelgiacas; 1341 Greugies. NP Gairoald (* aiza- + *walđa-). Cf. Malsy 1999, p. 465. 12) Guéblange (Moselle, F): 712 (cop. IX e s.) Gebolciagus; 712 (cop. IX e s.) in uilla Geboaldo super fluuiolo Eblica; 712 (cop. IX e s.) in ipsa uuilari Geboaldo; ±1200 (orig.) Geueldingen; 1225 (orig.) Gebeldingen; 1255 (orig.) Gaboudanges; 1297 (orig.) Gaboudanges; 1339 (orig.) Gebeldingen; 1343 (orig.) Gebeldingen; 1382 (orig.) Gebildingen; 1408 (orig.) Gebeldinger dal; 1444 (orig.) Gebeldingen. NP Gēboald (* ē ō- + *wal a-, Förstemann 1900², col. 635; Morlet 1968, p. 108b). Cf. Pitz 2002b, p. 263 n° 9. 13) José, Gde. Battice (Verviers, B): 779 (cop. ±1191) Angelgiacas; 844 (cop. ±1191) Angelgiagas; XI e s. (cop. ±1191) Engelzeies. NP *Angoald (*anga- + *walđa-). Cf. Gysseling 1960, p. 544. 14) Landouzy-la-Cour (Aisne, F): 1162 (cop.) Landuziis; 1170 (cop.) Landozies; 1179 (cop.) Landuzies; 1198 (cop.) Landozies; 1239 Landousies; 1250 (cop.) Landousis; XV e s. Landouzis. NP Landoald (*landa- + *walđa-, Förstemann 1900², col. 1010; Morlet 1968, p. 157a). Cf. Malsy 1999, p. 520. 15) Landouzy-la-Ville (Aisne, F): 1135 (cop.) uillam Landoceium; 1181 Landuzies; 1362 (cop.) Landouzis. NP Landoald (*landa- + *walđa-). Cf. Malsy 1999, p. 520. Martina Pitz 252 16) Moranzy, Gde. Agnicourt-et-Séchelles (Aisne, F): 1129 (cop.) Morelzis; 1131 Morolsys; 1173 Morolzi; ±1175 (cop.) Morelzis; 1184 Morolzi; 1309 Morosies; 1362 (cop.) Morensis; 1411 Morensis. NP Mauroald (*maura- + *walđa-, Förstemann 1900², col. 1118). Cf. Malsy 2000, p. 170s. 17) Ramouzies (Nord, F): 965 (faux ±1185) Ramulgeias; 1103 (cop. XIII e s.) Ramulgiis; 1112 (cop. XIII e s.) Ramulgies; 1114 (cop. XIII e s.) Ramulgies; 1125 (cop. XIIIe s.) Ramulgies; 1128 (orig.) Ramulzies; 1131 (orig.) Ramulzeiis; 1136/ 67 (orig.) Ramulgiis; 1136/ 67 (orig.) Ramolgies; 1180 (orig.) Ramolzies; 1193 (orig.) Ramolzies. NP *Ramnoald (*hra (a)na- + *walđa-, cf. Förstemann 1900², col. 873). Cf. Gysseling 1960, p. 823. 18) Remaugies (Somme, F): 1301 Rumaugies; 1334 Remaugies. NP Romoald (*hrōma- + *walđa-, Förstemann 1900², col. 884; Morlet 1968, p. 191b). Cf. Morlet 1985, p. 436a. 19) Rousies (Nord, F): X e s. (orig.) Roelceias; 1186 (orig.) Rozies; 1272 (orig.) Rosies. NP (H)rōdoald (*hrōþa + *walđa-, Förstemann 1900², col. 916; Morlet 1968, p. 138b). Cf. Gysseling 1960, 866; Morlet 1985, p. 368b. 20) Rosée (Philippeville, B): 1028/ 45 (cop. XIIe s.) Rolceias; XIIe s. (orig.) Rozeis; ±1160 (cop. XIII e s.) Roseis; 1178 (cop. XIII e s.) Rozeis. NP (H)rōdoald (*hrōþa- + *walđa-). Cf. Gysseling 1960, p. 861. 21) Somzée (Namur, B): 868 Sumulceias; 1184 (cop.) Summezeis, < *Sunoaldiacas. NP Sunnoald (*sunja- + *walđa-, Morlet 1968, . 204a). Cf. Gysseling 1960, p. 926. 22) Thiaucourt (Meurthe-et-Moselle, F): 815 (cop. XII e s.) in fine Teodalciaga; 1056 (cop.) in Tedaldi curte; 1095 (cop.) Tealdi curte; ±1105 (cop.) apud Theoldicurtem; 1134 (faux) Theautcurt; 1138 (orig.) Tiaucurt; 1272 (orig.) Thiacort; 1275 (orig.) Tiaucourt. NP Theudoald (*þeuđō- + *walđa-, Morlet 1968, p. 70a). Cf. Buchmüller-Pfaff 1990, p. 461. 23) Thieusies (Soignies, B): 1119 (cop. ±1250) Tielgies, var. Tiosies, var. Tiolsies; 1147 (cop. VII e s.) Theolgies; ±1175 (orig.) Tiulgiis; ±1194 (cop.) Theozies. NP Theudoald (*þeuđō- + *walđa-). Cf. Gysseling 1960, p. 961. c) Voyelle + -nd 24) Aumontzey (Vosges, F): 1393 (cop.) Amonzei; 1594 (cop.) Aumonzey. NP Adalmund > Almund (*aþala- + *walda-, Morlet 1968, p. 33). Cf. Buchmüller-Pfaff 1990, p. 70. 25) Halanzy (Messancy, B): 893 (cop. 1222) Holonzeias; 1175 (cop.) Holenzei; 1185 (cop.) Holenzei; ±1200 (cop.) Holenzei; 1226 (cop.) de Holenzeio; 1281 (cop.) Haillancey; 1292 (cop.) Halenzei. NP *Holdland (*hulþa- + *landa-). Cf. Buchmüller-Pfaff 1990, p. 239. L’amuïssement des voyelles finales en proto-français 253 26) Helmunciaga, lieu non identifié dans la région de Gorze (Moselle / Meurthe-et-Moselle, F): 815 (cop. XII e s.) in fine Helmunciaga. NP Hildimund (*hildi- + *mundu-, Förstemann 1900², col. 833). Cf. Buchmüller- Pfaff 1990, p. 245. 27) Lamontzée (Huy, B): 1178 (orig.) Alemonzees. NP *Alamund (*ala- + *mundu-). Cf. Gysseling 1960, p. 589. 28) Montzéville (Meuse, F): 940 (cop.) Amouzei villa; 951/ 52 (cop.) in Amonzei villa; 959 (cop.) Amonzei villa; 980 (cop.) Amonzei villa; 1015 (cop.) Amonzei villam; 1031 (cop.) Amonzei villam; 1046/ 52 (cop.) Amonzeia villa; 1053 (cop.) in villa Amonzeia; 1060 (cop.) Amunzei villa; ±1125 (orig.) Amonzei uilla; XIII e s. (orig.) Mouseiville; ±1300 (orig.) Aumonzeiville; ±1600 (orig.) Montzevilla. NP Adalmond > Almund (*aþala- + *mundu-, Förstemann 1900², col. 87; Morlet 1968, p. 33). Cf. Buchmüller-Pfaff 1990, p. 359s. 29) Samoussy (Aisne, F): 765 (cop.) Salmontiagum; 769 (orig.) Salmunciago; 771 (cop.) Salmonciaco; 774 Salmunciaco; 830 Salmonciaco; 841 Salmonciacum; 846 Salmontiaco; 867 Salmuntiaco; 1115 Salmuncei; 1117/ 18 Salmonceii; 1131 Salmuncei; 1397 Saumoucy; 1404 Samoucy; 1499 Saulmoucy. NP *Salmund (*sala- + *mundu-). Cf. Malsy 2001, p. 459; Menke 1980, p. 259. 30) Varmonzey (Vosges, F): 1292 (cop.) Warmonzeys; 1390 Vermonsey; 1594 Varmenzey. NP Warmund (*wara- + *mundu-, Förstemann 1900², col. 1536; Morlet 1968, p. 218). Cf. Buchmüller-Pfaff 1990, p. 483. d) Voyelle + -rd 31) Habergy/ Hewerdingen (Messancy, B): XIII e s. (cop.) Habergei; 1293 (orig.) Haubergy; 1296 (orig.) Habergy; 1302 (orig.) Heverdingin; 1310 (orig.) Heiuirdingin; 1317 (orig.). Heverdingen. NP Hariward (*harja- + *warda-, Förstemann 1900², col. 781; Morlet 1968, p. 127). Cf. Buchmüller-Pfaff 1990, p. 236. 32) Thouarcé (Maine-et-Loire, F): XI e s. Toarciacus; 1073/ 80 Toarciaco; 1080/ 1100 Toarcii; 1095/ 1100 Toarce. NP Theudhard (*þeudō- + *hardu-, Förstemann 1900², p. 1432; Morlet 1968, p. 68). Cf. Morlet 1985, p. 284b. Lidia Becker Frühmittelalterliche Personennamen als Zeugen für die Herausbildung der iberoromanischen Sprachen 1. Am Anfang meines Vortrags möchte ich gleich die im Rahmen unserer Tagung wichtige Frage des Stellenwerts der Namenforschung innerhalb der Romanistik aufgreifen. In der Einladung zum XXII. Romanistischen Kolloquium bringt Johannes Kramer zur Sprache, dass die Namenkunde in der Frühzeit der Romanistik „ganz selbstverständlicher Bestandteil des Faches“ war, und dass die heutige „etablierte Romanistik“ „die Namenkunde in eine Nische am äußersten Fachrand verbannt hat“. Ein Einblick in die Geschichte des Faches zeigt, dass Wilhelm Meyer-Lübke als erster Romanist in systematischer Weise namenkundliche Fragestellungen behandelt hat. In seiner im Jahr 1901 erschienenen „Einführung in das Studium der Romanischen Sprachwissenschaft“ widmet er ein Kapitel der „Ortsnamenforschung“, in der 2. neubearbeiteten Auflage (1909) erscheint ein erweitertes Kapitel „Namenforschung“ mit den Unterkapiteln „Personennamen“ und „Ortsnamen“. Die Untersuchung der Geschichte der Namen sah Meyer-Lübke (1909, 222) als „eine der wichtigsten Aufgaben der paläontologischen Forschung“. Ferner beschäftigten sich Meyer- Lübkes Schüler Joseph M. Piel und andere Romanisten und Spezialisten in einzelnen romanischen Sprachen wie Ramón Menéndez Pidal, Bruno Migliorini, Carlo Tagliavini, Gerhard Rohlfs schwerpunktmäßig mit der Herkunft der romanischen Personen- und Ortsnamen. Wohl nur Piel läßt sich als Namenforscher bezeichnen, denn die onomastischen Publikationen anderer Sprachwissenschaftler gehören nicht zu ihren bedeutendsten Werken. Personen- und Ortsnamen waren schon immer ein Forschungsinteresse nur weniger Romanisten, überwiegend Sprachhistoriker, ohne einen festen Platz im Kanon des Faches einzunehmen. Die Namenforschung wird weder in den romanistischen Lehrbüchern von Vidos, Tagliavini, Lausberg, Monteverdi, Bourciez, Iordan / Manoliu, Posner, Renzi noch in den historischen Grammatiken oder Sprachgeschichten von Meyer-Lübke, Nunes, Menéndez Pidal, Lapesa, Lloyd, Penny, Moll, Badia i Margarit, von Wartburg, Brunot / Bruneau, Nyrop, Wagner, Rohlfs, Migliorini, Rosetti, Densuşianu, Cano getrennt behandelt (Cano / Kremer 2001, 868). Die Namenkunde wird erstmals auf der gleichen Ebene wie Phonologie, Morphologie, Phraseologie, Lexikologie, Lidia Becker 256 Semantik und Syntax im methodologisch-systemlinguistischen Teil des vor wenigen Jahren herausgegebenen romanistischen Nachschlagewerkes Lexikon der Romanistischen Linguistik (Band I.1) besprochen. In den 80-er und 90-er Jahren wäre das groß angelegte europäische Projekt Patronymica Romanica unter der Leitung des Trierer Romanisten und Namenforschers, Schülers von Joseph M. Piel, Dieter Kremer besonders hervorzuheben, vgl. Kremer 1997. Die Frage nach dem Stellenwert der Namenkunde in der Romanistik des 21. Jh. soll aus der Sicht des gesamten romanistischen Panoramas beantwortet werden. Gibt es heute überhaupt noch die etablierte Romanistik im Gegensatz zu Randgebieten? Die heutige Forschung weist bekanntlich eine ungewöhnliche Themenvielfalt auf. Die Äußerung des Präsidenten des Mediävistenverbandes Hans-Werner Goetz, dass die heutige Mediävistik (wie die gesamte Geschichtswissenschaft) keine Grenzen mehr kenne, was auf der einen Seite „eine chancenreiche Öffnung gegenüber neuen Fragen“ und auf der anderen Seite eine „Orientierungslosigkeit“ bedinge (Goetz 1999, 14; id. 2000, 13; id. 2003, 12-13), trifft nach meiner Meinung gleichermaßen auf die Romanistik zu. Einige Stichworte aus den Titeln der angenommenen und laufenden Dissertationen und Habilitationsschriften im Romanistischen Jahrbuch zwischen den Jahren 1999 und 2004, zunächst aus der Literaturwissenschaft, mögen diesen Eindruck bestätigen: neben traditionellen Editionen älterer Texte, Untersuchungen bestimmter literarischer Gattungen und einzelner Autoren findet man Themen wie Prozesse sexueller Identität, Multipersonalität, Filmisches Schreiben, Rezeption der Photographie, Kulturtransfer, Religionspolitik, Kolonialismusliteratur, Zeitschriftenpresse, Opernlibretti, Exilliteratur, Kinder- und Jugendliteratur, Faschismus und Literatur, Medienwechsel, Multikulturalismus, Popkultur, Großstadtliteratur, Pornographie in der Literatur, Erinnerungskultur usw. Sprachwissenschaft: neben traditionell ausgerichteten Untersuchungen in Morphologie, Syntax, Lexikologie, Pragmatik, Semantik, Soziolinguistik usw. erscheinen Themen wie Marketingsprachen, Sprache und Medialität, Rededarstellung, sprachliche Fremdheiten, innerbetriebliche Kommunikation, Jugendsprache, Alltagssprache, Sprache und Internet, Sprache und Migration, Sprache und Globalisierung, Sprachentwicklung usw. Im Bereich Didaktik finden sich Themen wie interkultureller Spracherwerb, Grammatiklernen am Computer, Relevanz der Altersvariable beim Fremdsprachenerwerb, berufliches Selbstverständnis von Fremdsprachenlehrern usw. Weitere Themen sind beispielsweise die Kulturgeschichte des Flamenco, Formierung der Historiographie, Nationalismus und Fußball in Medien, Romanistik in der DDR usw. Neben der klassischen Thematik Frühmittelalterliche Personennamen 257 lassen sich neue Trends wie z.B. die zunehmende Hinwendung zur Neuen Welt, Genderstudies, Fachtexte, Sprache und Wirtschaft, interkulturelle Aspekte, Wandel / Wechsel / Dynamik der Sprache, Massenmedien herauskristallisieren. Ganz konform mit den Beobachtungen des Mediävisten Goetz über sein Fach 1 gewinnt man den Eindruck, dass in der heutigen Romanistik Untersuchungen über alle vorstellbaren und unvorstellbaren Aspekte möglich sind, ohne dass die traditionellen Forschungsrichtungen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen würden. Ein prägnantes Beispiel: Die Beschäftigung mit den früheren Epochen der romanischen Sprach- und Literaturgeschichte galt und gilt heute immer noch nach dem Trägheitsgesetz als eine der zentralen Aufgaben der Romanistik. Jedoch kann am deutlichsten der Liste der Habilitationsschriften und Dissertationen im Romanistischen Jahrbuch entnommen werden, dass der romanistische Nachwuchs schon seit einiger Zeit mit wenigen Ausnahmen den diachronischen Fragestellungen den Rücken gekehrt hat 2 . Mein Fazit ist, dass der Namenforschung innerhalb dieser bunten Themenpalette verhältnismäßig doch genug Aufmerksamkeit geschenkt wird und dass sie keinesfalls vom Aussterben bedroht ist. In den letzten Jahren sind mehrere onomastischen Fragestellungen gewidmete Doktorarbeiten erschienen. Neue Trends in der internationalen Namenkunde wie Marken- und Produktnamen haben auch die Romanistik erreicht: ein Zeichen der Vitalität der romanistischen Namenforschung. Man kann davon ausgehen, dass an den Universitäten, wo die Namenkunde schwerpunktmäßig von den wenigen Spezialisten vertreten wird, onomastische Veranstaltungen stattfinden werden. Mehr ist, wie es mir scheint, nicht in Sicht und wäre in der heutigen Situation nicht anders zu erwarten. 2. Und nun möchte ich aus der Sicht einer sehr spezialisierten Teildisziplin „romanistische historische Personennamenforschung“ von ihrer Bedeutung für einige Aspekte der romanischen Sprachgeschichte berichten. Der vorliegende Beitrag basiert auf dem Material meiner Doktorarbeit mit dem Titel „Hispano-romanisches Namenbuch. Untersuchung der 1 „Eine Vielfalt neuerer Fragen, Ansätze und Perspektiven ist neben die - meist durchaus noch vitalen - traditionellen Ausrichtungen getreten, ohne dass man eine Richtung als bestimmend bezeichnen könnte.“ (Goetz 1999, 14). 2 Das im Jahr 2005 ins Leben gerufene Netzwerk Mittelalter und Renaissance in der Romania (http: / / www-alt.uni-trier.de/ uni/ fb2/ romanistik/ mittelalter, zuletzt eingesehen am 29.02.2008) mit einer geschichtswissenschaftlichen Sektion sollte die unterrepräsentierte Thematik unter den jungen Kollegen fördern. Lidia Becker 258 Personennamen vorrömischer, griechischer und lateinisch-romanischer Etymologie auf der Iberischen Halbinsel im Mittelalter“, die im Jahr 2007 abgeschlossen wurde 3 . In meiner Arbeit wurden ausschließlich den heutigen Vornamen entsprechende Personennamen berücksichtigt. Im 10. Jh. aufkommende und erst seit dem 11.-12. Jh. regelmäßig belegte Zweitnamen blieben außer Betracht, s. dazu die Sammlung der hispanischen cognomina von Dieter Kremer (1970-1982). Alle folgenden Beispiele der Personennamen überwiegend lateinisch-romanischer Herkunft stammen aus dem iberoromanischen Sprachraum, viele allgemeine Schlussfolgerungen sind aber auch für die Ortsnamen und für die Gallo- und Italoromania relevant. Bekanntlich setzt die schriftliche Überlieferung in iberoromanischen Sprachen im 13. Jh. ein. Für viele Romanisten, vor allem für die Literaturwissenschaftler, markiert dieses Ereignis den Ausgangspunkt der romanistischen Untersuchungen. Sprachhistoriker haben jedoch früh das Potential der reichen frühmittelalterlichen diplomatischen Überlieferung in Mittellatein für die Untersuchung der Herausbildung der romanischen Sprachen erkannt. Menéndez Pidals Werk „Orígenes del Español“ (1926) geht von den Zeugnissen des Altspanischen in den bis zum 11. Jh. verfassten Urkunden aus. Zuletzt begründet Roger Wright (1982) seine viel diskutierten Untersuchungen des „late Latin“ als lediglich der geschriebenen Form des „early Romance“ aus dem Material der frühmittelalterlichen diplomatischen Überlieferung. Für die Romanisten sind die von des Lateins unzureichend mächtigen Schreibern verfassten Urkunden in sogenanntem „latín arromanzado“ von großem Interesse (Bustos Tovar 2004, 279 4 ). Im lateinischen Kontext kommt den Orts- und Personennamen, die keine lateinische Tradition aufweisen können oder trotz einer bestehenden lateinischen Tradition in der romanischen Form wiedergegeben werden, eine besondere Rolle zu 5 . Die Suche nach Romanismen 3 Die Dissertation erscheint voraussichtlich Ende 2008 im Niemeyer Verlag (Tübingen) in der Schriftenreihe Patronymica Romanica. 4 „Esta base documental constituye un precioso testimonio de la situación lingüística en los siglos oscuros.“ „Estos rasgos de la oralidad no son sólo fonografemáticos, sino, con mayor abundancia, también morfológicos y sintácticos (confusiones en las terminaciones verbales, empleo inadecuado de las desinencias casuales, pérdida del valor funcional de los casos, etc.).“ (ib. 280). 5 „Pronunciación innovadora y grafía conservadora ocasionarían sin duda una constante tensión manifestable en dos vertientes. Una de ellas se nos escapa casi totalmente y consistiría en las posibles vacilaciones en la forma de lectura de determinadas palabras, especialmente si eran ajenas a la lengua hablada y muy especialmente si, además de ello, eran poco corrientes. La otra que sí podemos percibir en los tex- Frühmittelalterliche Personennamen 259 wird dadurch erleichtert, dass Personennamen im Text und in Aufzählungen von Zeugen am Ende jeder Urkunde in relativ großer Zahl und im Fall verbreiteter Namen wiederholt erscheinen. Es ist möglich, in kurzer Zeit eine repräsentative Datenbank zu erstellen. Es sei an dieser Stelle bemerkt, dass in meiner Dissertation der Personennamenschatz des gesamten christlichen Nordens einschließlich des Nordostens behandelt wurde. Auch auf der Ebene des Personennamenschatzes beweist sich das Altkatalanische als eine „lengua-puente“ zwischen Ibero- und Galloromania und zugleich als eine eigenständige Sprache: Ein Teil der Personennamen weist einen unverkennbar iberoromanischen Charakter auf (lateinisch-romanische Asinarius, Maior m., Sancius,-a, Senior f.; vorrömische oder dunkle Enneco, Eximino, Garcia; gotische Emmo f., Galindus, Gondesalva f., Froila,-o, Chintila,-o, Recaredus, Sinderedus, Witiza), ein anderer Teil ist für die Galloromania typisch (lateinisches Pontius; westgermanische Arnaldus, Berengarius, Bernardus, Geraldus, Guillelmus, Ugo(ne), Raimundus, Richardus). Eine weitere Schicht bilden die nur im Nordosten der Iberischen Halbinsel vorkommenden Personennamen (lateinisch-romanische Borrellus, Motio(ne), Nevolendus,-a; vorrömische oder dunkle Endalecus, Madaxus, Malaniecus, Mascaro(ne), Scluva). Die Personennamen gotischer Herkunft, ein gemeinsames Spracherbe des westgotischen Hispanien, wurden im Nordosten im 11.- 12. Jh. weiter getragen, die Namen westgermanischer Etymologie, Zeugen des westfränkischen Einflusses in der Hispanischen Mark, stiegen gleichzeitig zu den beliebtesten auf. Im Folgenden werde ich den Erkenntniswert der frühmittelalterlichen Personennamen für verschiedene romanistische Teildisziplinen wie historische Graphematik, Lautgeschichte, historische Morphologie, historische Wortbildung, historische Lexikologie und Lexikographie an konkreten Beispielen beleuchten. 3. Menéndez Pidal hat in seinen „Orígenes“ §§ 2-10 mehrere Personennamen als Beispiele für eine Untersuchung der graphischen Darstellungen bestimmter romanischer Laute genommen. Graphien des Namens Eximino, heute Jimeno, vermutlich vorrömischer Herkunft dienen Menéndez Pidal beispielsweise für die Argumentation bezüglich des palatalen Konsonanten [š] im Anlaut. Die Graphie <x>, Ergebnis der fonetischen tos, surgiría a la hora de escribir, sobre todo cuando: Se trate de un nombre proprio o topónimo totalmente ajeno a la tradición escrita latina.“ (Puentes Romay 1995, 620- 621). Lidia Becker 260 Entwicklung von lateinischem <x> [ks] zu [š] im Romanischen (Eximino, Xemeno, Ximeno) ist seit dem 12. Jh. die häufigste. Die im 11. Jh. geläufige Graphie <sc> hat sich von etymologisch begründeten Fällen wie miscieret in den Glosas Silenses von lateinischem MISCĒRE ‚mischen‘ auf weitere Lexeme verbreitet (Scemeno, Escemeno). Der Laut [š] konnte außerdem durch einfaches <s> oder geminiertes <ss> wiedergegeben werden (Semeno, Essemen). Selten sind die Schreibungen <is> und <sç> anzutreffen: Eisemeno a.1085 (PMHDiplomata), Sçimeno a.1063 (Oña). Relativ spät, in der zweiten Hälfte des 12. Jh., wird die Schreibung <ch> aus Frankreich entlehnt: Chemena a.1175 (Campó), Diego Chemenez a.1182 (Gumiel de Izán, Burgos). 4. Wichtige Ergebnisse bringt die Beschäftigung mit frühmittelalterlichen Personennamen im Bereich der Lautgeschichte. Ich werde von den banalen lautlichen Phänomenen wie dem prothetischen Vokal evor den Konsonantengruppen S + Konsonant, schon seit dem 3. Jh. n. Chr. im Lateinischen bezeugt (Gil 2004, 155-156), von der Sonorisierung intervokalischer Konsonanten, der Palatalisierung von Konsonanten vor dem Halbvokal [j], dem Liquidentausch, der Diphthongierung von betontem kurzem O und kurzem E im Altspanischen, dem Schwund des intervokalischen N und L im Altportugiesischen usw. absehen und statt dessen auf einige seltenere Erscheinungen eingehen. 4.1. Die Formen Embram / Embrane (terra que fuit de Embram a.1047 CDSahagún 2, 171) und Embraheme (a.930 CDCatedralLeón 1, 142) des alttestamentarischen Namens Abraham im Nordwesten stellen anscheinend Beispiele einer Epenthese -mbr- < -branalogisch zu -mbr- < -mrdar, vgl. die Entwicklung Ambrino < *Amrino < Amorino (a.936 CDSahagún 1, 70) und Nembrel < *Memrellus < *Memorellus (a.943(or.) CDCatedralLeón 1, 242) sowie Flambla < Flamla < F LAMMULA ([a.997? ] CartStMillán(Ubieto) 122). Der umgekehrte Vorgang -mor- < -mr- < -mbrliegt im Fall Amoroze < Amroze < Ambrosius (a.948 CDCatedralLeón 1, 289) vor. 4.2. Die Formen Lain / Lagin von lateinischem F LAVINUS in Kastilien (Erstbelege a.873(or.) CartStMillán(Ubieto) 28, a.952 ib. 76), Vorläufer der heutigen spanischen Familiennamen Laín und Laínez, weisen abweichende Entwicklung der anlautenden Konsonantengruppe F L auf. Regelmäßig wird Konsonant + L im Anlaut zu [ł] im Kastilischen palatalisiert (Lausberg 1967 [2], 20). Der lautliche Vorgang findet eine Entsprechung im Wortschatz: lacio < FLACCIDU ( M ) ‚welk, schlapp, schlotterig‘ (Meyer-Lübke Frühmittelalterliche Personennamen 261 1917 [2], 46), jedoch ist lacio laut Penny (1991, 63) eine spätere Form von llacio. Die Lösung ist vielleicht im Baskischen zu suchen, wo keine Konsonantengruppe im Anlaut geduldet wird. In Entlehnungen aus dem Lateinischen in das Baskische ist der erste Konsonant ausgefallen: lama < FLAMMA , lau < PLANU ( M ) (Michelena 1974, 192). 4.3. Ungewöhnlich ist die Palatalisierung von S vor I in Adenarii / Accenar / Azenar < A SINARIUS im Nordwesten (a.931(or.) CDCatedralLeón 1, 149, a.976 CDCatedralOviedo 117, a.970 CDSahagún 1, 302), die ansonsten im Rumänischen und in Einzelfällen im Italienischen und Spanischen vorkommt, vgl. spanisches vejiga < altspanisches vexiga < VESĪCA ‚Blase‘ (Lausberg 1967 [2], 38). 4.4. Der Personenname Eustochia griechischer Herkunft ist im Nordosten im 10. Jh. mit Graphien Astucia / Estucia / Stucia / Estudia / Studia bezeugt (a.928 RAC 135, a.981(or.) DiplCatedralVic 398, a.937 DiplBarcelona 1, 211, a.976(or.) DiplCatedralVic 366, a.988 RAC 135). Vgl. den Beleg Pladidia a.987 DiplBarcelona 1, 375 des Frauennamens P LACIDIA sowie Sufficia / Suffidia a.979 ArchCondalBarcelona nº184 des Frauennamens S UFFI- CIA ebenfalls im Nordosten. Die Konsonanten C und D vor den Vokalen E / I in der intervokalischen Position haben sich im Katalanischen wie im Provenzalischen identisch entwickelt, und zwar verschwinden sie nach der Zwischenstufe <z/ s> [z]. Der Wechsel der Graphien <d> und <z> ist im Altkatalanischen bezeugt, z.B. fadia für *fazia < FACEBAT , plader für *plazer < PLACERE usw. (Moll 1952, 112; 114; Badia i Margarit 1981, 187- 189). Die erwähnten Beispiele der Personennamen können als Erstbelege dieses lautlichen Phänomens gelten. 5. Nun möchte ich zum Bereich der historischen Morfologie und Wortbildung übergehen. Schon der lateinische Personennamenschatz weist mehrere Beispiele der volkstümlichen Deklination und Konjugation bestimmter lateinischer Lexeme auf, die im iberoromanischen Wortschatz fortgesetzt werden. 5.1. Die Cognomina P ALUMBUS , P ALUMBA auf christlichen Inschriften (Kajanto 1965, 331) stellen Erstbelege der volkstümlichen Formen PALUMBUS m. und PALUMBA f. von klassischem PALUMBĒS / PALUMBIS , - IS m./ f. ‚die große Holztaube, Ringeltaube‘ (Georges 2, 1452) dar. P ALUMBUS m. wird in der portugiesischen generischen Bezeichnung pombo, PALUMBA f. in spanischem und altkatalanischem paloma fortgesetzt. Lidia Becker 262 5.2. Die Form PASSARUS des klassisch lateinischen Lexems PASSER , - ERIS m. ‚der Sperling‘, das schon im Lateinischen eine volkstümliche Nebenform PASSAR hatte (Georges 2, 1500), mit Deklinationswechsel von der konsonantischen zur o-Deklination ist bereits als Cognomen belegt (P ASSER / P ASSAR , P ASSERUS / P ASSARUS , - A (Kajanto 1965, 331)). Diese Form liegt spanischem pájaro und portugiesischem pássaro ‚Vogel‘, ‚Distelfink‘ (REW n°6268) zugrunde. 5.3. Das weibliche Cognomen T URTURA (Kajanto 1965, 332) entspricht mit Sicherheit einer im Lateinischen nicht belegten volkstümlichen Form der Vogelbezeichnung TURTUR , - TURIS m./ f. ‚Turteltaube‘ (Georges 2, 3267). Auf diese volkstümliche Form gehen spanisches tórtola und katalanisches tórtora in derselben Bedeutung zurück. Ich komme zu den mittelalterlichen Personennamen zurück. 5.4. Im iberoromanischen Personennamenschatz scheint lateinischer Vokativ überlebt zu haben, vgl. die bekannten Beispiele Lope und Vicente mit -e im Auslaut. Der Vokativ lebt also nicht nur in sardischen Personennamen fort, wie zuletzt Wolf (2004, 333) vermutet hat. 5.5. Die Form Costavulus / Custavulo neben Costabiles im Nordosten (a.909 ArchCondalBarcelona n°25) wird an die o-Deklination angepasst, vgl. ebenso Stabulo, eine Variante von S TABILIS (a. 919(or.) DiplCatedralVic 80), Duravulo von Durabilis (a.966(or.) DiplCatedralVic 315), Miravulo von Mirabilis (a. 926(or.) DiplCatedralVic 104) im Nordosten, Rebellus von Rebellis im Nordwesten (a.937 CDCatedralLeón 1, 194) und Nordosten (a.891(or.) DiplCatedralVic 16). Diese Anpassung erklärt sich wahrscheinlich durch die fehlenden Lateinkenntnisse der Schreiber, die die romanischen Formen *Costable, *(E)stable, *Durable, *Mirable, Rebel mit der „universalen“ latinisierenden Endung - US versehen haben. 5.6. Mehrere Namen wurden von den Schreibern griechisch dekliniert, z.B. griechische Personennamen Aeneas, Aenetis im Nordosten im 9. Jh. (Erstbeleg Iniati a.845 RAC 261), Agnes, Agnetis im Nordosten im 12. Jh. (Erstbeleg Agneti a.1142 CartStCugat 3, 126). Laut Migliorini (1970, 1) hat sich der Deklinationswechsel von der griechischen Deklination Hagne, Hagnes / Agne, Agnes zu Agnes, Agnetis in den ersten Jh. n. Chr. analogisch zu Hermes, Hermetis vollzogen. Weitere Beispiele der griechischen Deklination im Mittelalter sind Eles, Eletis dunkler Herkunft im 10. Jh. im Frühmittelalterliche Personennamen 263 Nordosten (Erstbeleg Eles / Elete a.876(879) DocCuixà 265) und Ero, Erotis im Nordwesten im 10.-11. Jh. (Erstbeleg Munnio Eroti a.905 DiplPeríodoAstur 2, 304) Der letzte Personenname ist dunklen, möglicherweise gotischen Ursprungs (Piel / Kremer 1976, 119). Vermutlich liegt ein Beispiel der gelehrten Anpassung an die griechische Deklination vor, wohl unter dem Einfluss des griechischen Personennamens Eros, Erotis ( ῎ Ερως, -ωτος) (Perin 1, 551). 5.7. Der zuerst im Jahr 903 im Nordosten belegte Personenname Vendutus (Benduto a.903 RAC 557, Uenduto a.935(or.) DiplBarcelona 1, 209, in terra de Uendudo a.937 ib. 1, 211, Uendutus a.950 ib. 1, 235, Venduto (ss.) a.998(or.) ib. 1, 559, qui fuit de Vendutus a.1007 CartStCugat 2, 56) entspricht dem Partizip Perfekt des katalanischen Verbs vendre mit dem Partizip Perfekt venut, venuda von lateinischem VENDERE , VENDITUM 3. Deklination ‚verkaufen‘. Schon im ausgehenden 10. Jh. ist der Name in der heutigen Form des Partizips Venud a.997 RAC 557 bezeugt. Auch im Nordwesten erscheint der Name in der Form Vendutus (Vendute ts. ss. a.958 CDSahagún 1, 199, Uilla Uenduti a.1037 CDSahagún 2, 107). Einmal ist im Nordosten die Namensform Venditus bezeugt (condam Uendito a.997 DiplBarcelona 1, 549): Es liegt ein frühes Beispiel der Schwankung -udo/ -ido in den Partzipienendungen der Verben der 3. Deklination vor. 5.8. Der Moment der Umdeutung der im mittelalterlichen Personennamenschatz geläufigen konsonantischen Deklination -o, -one zum Diminutivsuffix -on, -ona im Katalanischen scheint greifbar zu sein: Im 10.-11. Jh. ist Petrone neben zahlreichen anderen konsonantisch deklinierten Namen häufig belegt, im 12. Jh. erscheint der Frauenname Peirona ([Frau von Rotlando] a.1155(or.) DiplPoblet nº177). Im Frauennamen dürfte -on die Funktion eines Suffixes angenommen haben. Auch im Französischen findet die Umdeutung der konsonantischen Deklination zum Diminutivsuffix -on statt (Meyer-Lübke 1966, 119-20). 5.9. Viele Suffixe, insbesondere Diminutive, erscheinen erstmals regelmäßig im Personennamenschatz. Schon im Lateinischen kommt beispielsweise das Diminutivsuffix - ITTUS ausschließlich in Frauennamen wie B O- NITTA , D OMNITTA , G ALLITTA , I ULITTA , I ULIANETA , L IVILITTA , N ONNITA , P OLLITTA vor (Kajanto 1965, 129). Das typisch katalanische Diminutivsuffix -et, -eta von oben erwähntem - ITTUS mit kurzem I (Moll 1952, 288-289) war schon im Personennamenschatz des 10. Jh. geläufig: Blanchetus, Brunetus, Falchetus, Iohannettus, Lobetus. Lidia Becker 264 6. Nun möchte ich mich der Teildisziplin historische Lexikologie und Lexikographie zuwenden, die von den onomastischen Untersuchungen besonders profitiert. Personennamen konnten im Mittelalter aus dem alltäglichen Wortschatz geschaffen werden, Erstbelege delexikalischer Personennamen sind gleichzeitig die frühesten Zeugnisse der entsprechenden romanischen Lexeme. Den Erkenntniswert der historischen Namenforschung für die Wortschatzgeschichte hat Joseph M. Piel bei der zusammen mit Harri Meier geplanten Bearbeitung des Romanischen Etymologischen Wörterbuches von Meyer-Lübke hervorgehoben. Laut Piel (1961, 223) war es unter anderem notwendig, „faire une place plus large aux noms de lieux et de personnes, surtout quand ils sont seuls à attester la survivance d’un mot latin dans le lexique roman ancien“. Selbstverständlich konnte nicht jedes Wort zu einem Personennamen werden: Die meisten mittelalterlichen Personennamen sind Substantive und Adjektive, im iberoromanischen Personennamenschatz sind bestimmte semantische Gruppen wie Farbbezeichnungen, Berufsbezeichnungen, Tierbezeichnungen oder Ethnonyme gut vertreten. Mittelalterliche Personennamen können über die Besonderheiten des hispanischen Lateins Aufschluss geben: 6.1. Die Struktur der Personennamen Nevolentia und Nevolendus,-a im Nordosten (terra de Neuolencia a.994(or.) DiplBarcelona 1, 484, Nenbolendes a.867 RAC 411, Nevolendus presbiter ss. 915(or.) CartStCugat 1, 12, Nonbolenda a.867 RAC 411) weist unverkennbar das Gerundivum * NEVOLENDUS , - A und das Partizip Praesens * NEVOLENS des Verbs * NE VOLŌ , * NEVELLE > * NOVOLŌ , der vorklassischen Form von NŌLŌ ‚nicht wollen‘ (LEW 2, 829; Georges 2, 1179-1180), auf, so bei Plautus NEVOLT , NEVELLES , vgl. NESCIŌ , NEQUEŌ usw. Das Gegenstück zu Nevolendus ist der ebenfalls im Nordosten belegte Name Volendus (Volemdus a.883 RAC 564, Uolendo a.913(or.) Kremer BNF 9, 37). Vermutlich wurde in Hispanien die archaische Form des alltäglichen lateinischen Verbs verwendet: Die Personennamen stellen ein wichtiges Indiz für den archaischen Charakter des hispanischen Lateins dar. Die folgenden alphabetisch geordneten Beispiele bereichern unsere Kenntnisse des untergegangenen mittelalterlichen Wortschatzes: 6.2. Der Frauenname Espetosa / Spetosa im Nordosten (Erstbeleg Spotosa a.916 RAC 506) geht vermutlich auf das nicht belegte romanische Adjektiv *aspectosus von ASPECTUS ‚das Gesicht, Erscheinen, der Anblick, das Frühmittelalterliche Personennamen 265 Ansehen, Aussehen‘ (Georges 1, 620-621) zurück. Vgl. etwa das Adjektiv ASPECTĀBILIS ‚sehenswert‘ (Georges 1, 620). 6.3. Das altkatalanische Adjektiv baig bezeichnete eine Pferdefarbe ‚hellrot‘ von lateinischem BADIUS ‚kastanienbraun‘ (GMLC 1, 2145, Erstbeleg a.981; DCVB 2, 212, Erstbeleg a.1193). Der entsprechende Personenname brachte vermutlich einen besonderen Haarfarbton zum Ausdruck (Erstbeleg Baio a.904 RAC 156). Vgl. auch spanisches bayo und portugiesisches baio ‚hellbraun‘. 6.4. Der im Nordwesten belegte Frauenname Composita / Conposta (Erstbeleg Conposta a.980 PMHDiplomata 78) stammt vom gleichlautenden Adjektiv, das im klassischen Latein die Bedeutung ‚wohlgestellt, wohlgeordnet, wohl eingerichtet‘ hatte (Georges 1, 1364-1365). Im Fall des Frauennamens und der Ableitung mit dem Diminutivsuffix - ELLUS compostellus,-a in Ortsnamen (vgl. Valle Conposita a.947 CartStMillán(Ubieto) 59 und Santiago de Compostela) hat David (1957, zitiert nach Piel 1989, 30) die Bedeutung ‚gracieuse, bien bâtie‘ vermutet. Belege des Lexems: alia vinea de Seror conposita in VII solidos comparata a.970 CDSahagún 1, 308, strata ab antiquisque fuit fundata et ibidem arcisterium conpositum et templum dedicatum mire magnitudinis ornatum a.971 CDSahagún 1, 312, arua uniuersis pomorum cum fructibus composita a.994 CDCelanova 3, 38, casullas III es una tiraze uerde alias dulceris bene compositas a.1008 PMHDiplomata 124. 6.5. DCVB 7, 386 führt den katalanischen Nachnamen Messeguer (Erstbeleg als Lexem 1311, als Personenname fratri suo Messeger a.1160(or.) CartStCugat 3, 202) auf *messicarius ‚guarda de les messes‘ (‚Feldhüter‘) zurück, vgl. die Belege als Beiname bei Kremer (1980, 190, A.372). 6.6. Die lateinischen Cognomina P ISIN ( N ) US , P ITINNUS , P USINNUNS ,- A , auch wiedergegeben als P IDZINNA (christliche Inschrift), P USENA mit Ableitungen P USIN ( N ) ICUS ,- A , P USIN ( N ) IO , P USINNIUS , P ITINNINA (P ITZINNINA auf einer christlichen Inschrift) (Kajanto 1965, 299) stammen von den gleichlautenden Adjektiven, die im volkstümlichen Latein anstelle von klassischem PARVUS ‚klein‘ (Georges 2, 1495-1498) verwendet wurden. Die Form P USINNUS ,- A erklärt sich wahrscheinlich durch eine Andeutung von PUSILLUS ‚sehr klein, winzig‘ (Kajanto ib.). Eine Reihe von Lexemen wie spanisches pequeño, portugiesisches pequeno, altsardisches pikinnu, italienisches piccolo, piccino, französisches petit usw. gehen auf mindestens drei Lidia Becker 266 Stämme im volkstümlichen Latein [pik-], [pitz-] und [pit-] zurück (DCECH 4, 484). Im Nordosten hat der Stamm [pitz-] mindestens bis in das 10. Jh. bestanden, vgl. den Personennamen Pezino a.950 RAC 434. Pecetinus ss. a.898(or.) DiplCatedralVic 24 ist möglicherweise eine Kreuzung zwischen [pitzinus] und [pititus] > katalanisches petit, -ita. Die Belege Pecinu a.1199(or.) CDCarboeiro 548 und sorore Pecena a.994 PMHDiplomata 104, ereditate de Uimara et de Peccenna [a.1013? ] PMHDiplomata 136 sowie die Ableitung mit dem Suffix - ĪNUS als Übername (Zuleiman Peccenini conf. a.959 CDCatedralLeón 2, 86) im Nordwesten sind vermutlich mit [k] zu lesen. 6.7. Der in Navarra und im Nordosten bezeugte Personenname Romeu / Rumeu / Rumeus (Erstbeleg Romeo a.888 RAC 466) stammt vom Lexem romaeus ‚Pilger‘ von griechischem ρωμα ῖ ος ‚romanisch‘, einer auf die westlichen Pilger im Heiligen Land bezogenen Bezeichnung (DCECH 5, 58-59; DECat 7, 412). Das mittelalterliche Lexem hatte wohl eine engere Bedeutung ‚Rom-Pilger‘ (Kremer 1981/ 1982, 80). 6.8. Im mittelalterlichen Personennamenschatz des Nordwestens der Iberischen Halbinsel wird die Wortform auf σαμβ- / sambder Wochentagsbezeichnung sabbatum > sp./ port. sábado (DCECH 5, 102, Erstbeleg a.1124; DELP 5, 129 Erstbeleg 13. Jh.) fortgesetzt (Sambati ts. a.943 CDCelanova 2, 36, Sanbati ts. a.953 CDCelanova 2, 82, Sambato ss. a.960 CDSahagún 1, 221, Sanbati Alvitis a.983 PMHDiplomata 87, Didaco Sambatiz [a.1044- 1047] TumboCelanova 337 usw.). Die Wortform auf sambgeht auf eine volkstümliche Aussprache im Syrischen und Griechischen zurück und ist auch in einem auf Latein verfassten Papyrus als SAMBATHA belegt (Stotz 2002 [1], 605-606). Diese Lautung ist in das Balkanlateinische (rumänisches sâmbătă) eingedrungen und ist zu den Westgermanen (deutsches Samstag < althochdeutsches Sambaztag) und nach Nordfrankreich (französisches samedi) gelangt (FWE 11, 2-5; Stotz ib.). 6.9. Die altkatalanische Farbbezeichnung saur / sor in der Bedeutung etwa ‚rotgelb‘ (im altprovenzalischen saur, im altfranzösischen sor), laut Coromines (DECat 8, 77-78, Erstbeleg 11. Jh.) möglicherweise germanischen Ursprungs, erscheint als Personenname im ausgehenden 9. Jh. (Saurus presbiter a.878(879) DocCuixà 266). 6.10. Der Berufsbezeichnung Scoparius ‚der Auskehrer‘ (Georges 2, 2537) im Namenschatz des Nordwestens (termino de Scopario a.919 CDSahagún Frühmittelalterliche Personennamen 267 1, 45) scheint im Nordosten Scupiliarius (in terra Scupiliario a.909(or.) ArchCondalBarcelona nº23) zu entsprechen (Du Cange 7, 376, scupiliae / scobillae = scoba). 6.11. Der mehrmals im Nordosten in der Form Stradarius / Estradario / Stradero / Stradeiro / Strader belegte Personenname (Erstbeleg Stratario a.901 RAC 510) leitet sich von lateinischem ( VIA ) STRATA ‚Landstrasse‘ ab, möglicherweise mit der ursprünglichen Bedeutung ‚Obdachloser‘ oder ‚Wanderer‘. Der Personenname ist auch im mittelalt. Frankreich und in Rätien im 9.-10. Jh. mehrmals bezeugt (Huber 1986, 54). 6.12. Der im Nordwesten und im Nordosten bezeugte Personenname Viatarius (Erstbelege Biadaire ts. ss. a.921(or.) CDCatedralLeón 1, 89, Viatarius a.845 RAC 558) leitet sich vermutlich von lateinischem VIA ‚Weg, Straße‘ ab, parallell zu den Bildungen viator, viaticarius (Du Cange 8, 307- 308), etwa in der Bedeutung ‚Pilger‘ oder gleichbedeutend mit Stratarius (Kremer 1969-1972, 245). Dank dem frühmittelalterlichen onymischen Material können etymologische Probleme gelöst werden: 6.13. Die Personennamen auf Aurund- / Orondim Nordwesten und Nordosten der Iberischen Halbinsel (Vidisclo Orondoniz [a.923] CDCelanova 1, 84, termino de Orondone a.963 CDCatedralLeón 2, 151, Aurundina a.962 DiplBarcelona 1, 259, Aurondena a.965 ib. 1, 279, Aurundina a.968 ib. 1, 290, Aurundina a.975 ib. 1, 312, Aurundina femina a.986 ib. 1, 358, Orunduninos a.895 RAC 426, Orondomina a.954 RAC 426, Aurondonina a.960(or.) DiplCatedralVic 275) sind wohl zur lateinischen Bezeichnung für Schwalbe HI- RUNDO ,- INIS f. (ThLL 6.3, 2828-30) zu stellen. ThLL ib. bezeugt HARUNDO etwa in der Appendix Probi als eine Variante von HIRUNDO , die durch Andeutung von HARUNDO ,- INIS f. ‚Schilf‘ (ThLL 6.3, 2540-4) erklärt wird. Unter Ableitungen ist HIRUNDININUS belegt. Das Lexem HIRUNDO erfährt in romanischen Sprachen ein vielfältiges Schicksal, vgl. der lateinischen Form am nächsten stehendes italienisches rondine (GDLI 17, 82), mittel- und neufranzösisches hirondelle (altfran-zösisches aronde, arondelle) (FEW 4, 437) und katalanisches oronella / orenella (DCVB 8, 55-56) mit dem Suffix - ELLUS , spanisches golondrina, Diminutiv von *golondre < *olondre < *erondre (sic! ) (DCECH 3, 164-166), portugiesisches andorinha (Lorenzo 1968, 20, Erstbeleg 16. Jh.) vermutlich unter dem Einfluss des Verbs andar mit dem Suffix - ĪNUS (DELP 1, 249). Für die romanischen Sprachen der Iberischen Halbinsel muss man auf der Basis der gleichstämmigen Perso- Lidia Becker 268 nennamen die für den Nordwesten und Nordosten gemeinsame Ausgangsform HARUNDO , vermutlich im Mittelalter als harundo, -onis dekliniert, voraussetzen. Laut Wartburg (FEW ib.) war im mittelalterlichen Nordfrankreich feminisiertes *harunda, im Süden *hirunda die Normalform. Die provenzalische Form hirondelle hat erst im 16.-17. Jh. altes aronde verdrängt (FEW ib.). Abweichend ist die Entwicklung zu au-/ oim Anlaut. Wartburg (FEW ib.) vermutet einen Einfluss von AURUM bei französischem aronde, altprovenzalischem aronda und besonders bei katalanischem aurendola, aulendra, oreneta. Die umständliche Etymologie von Coromines *olondre < *erondre < HIRUNDO dürfte demnach ruhigen Gewissens durch *olondre < *orondre < *aurundo(ne) < HARUNDO ersetzt werden. 6.14. Die lateinische Bezeichnung für ‚Kaufmann‘ lautete MERCĀTOR , - ŌRIS (Georges 2, 885) > altspanisch mercador (REW n°5515b), sie ist auch als Cognomen bezeugt (Kajanto 1965, 321). Laut Coromines (DCECH 4, 48; DECat 5, 604) und Kremer (1976/ 1977, 262) wurde spanisches mercadero (Erstbeleg a.1115 in DCECH 4, 48) aus dem Katalanischen entlehnt. Jedoch sprechen die Belege des Personennamens Mercatarius im 10. Jh. in León (Mercatarius a.936 CDCatedralLeón 1, 172, Mercatario ss. [filio meo Maurellus] a.942 ib. 1, 229, Mercadarius a.964 ib. 2, 164, Mercadarius ss. a.964 ib. 2, 165) für eine bodenständige Tradition des gleichlautenden Lexems im Spanischen. 6.15. Der für den Nordosten typische Männername *Muttione (Mocon a.916 RAC 407, turre de Mozone a.956(or.) DiplBarcelona 1, 243, Mocione ss. a.982(or.) DiplCatedralVic 408, terra qui fuit de Motione a.992 DiplBarcelona 1, 453) und ein mit BONUS zusammengesetzter Frauenname *Bonamuttia (Bonamoza ss. a.941(or.) DiplCatedralVic 168, terra de Bonamucia a.962(or.) DiplCatedralVic 288, Garsindis que vocant Bonamotia a.987 CartStCugat 1, 162) stammen vom roman. Lexem *muttius, -a ‚Bursche; Mädchen‘ (kat. mosso, -a, sp./ port. mozo, -a) (FEW 6.3, 301-303). Coromines (DECat 5, 810-811) vermutet im Fall von kat. mosso, -a eine Entlehnung aus dem Spanischen 6 , jedoch ist eine solche Deutung angesichts der vielen frühen Belege der Personennamen von *muttius im Nordosten wenig plausibel. 6 „Ja en aquell temps venien a servir a Catalunya moltes xicotes i donzelles aragoneses (i fins de més a Ponent i sovint hi trobaven marit), cosa que explica l’antiga penetració del mot en català i la seva consolidació, car això també s’esdevenia amb nois i homes joves. [...] El masculí no es troba fins més tard i no tan densament a l’Edat Mitjana, però, també es consolidà ja en el S. XV.“ (Coromines ib.). Frühmittelalterliche Personennamen 269 Im mittelalterlichen Personennamenschatz findet sich eine Reihe der Erstbelege von modernen iberoromanischen Lexemen. In den folgenden Beispielen werde ich die etymologischen Erklärungen weglassen, sie werden in meiner Dissertation aufgeführt: Erstbeleg als Personenname Entsprechung im iberoromanischen Wortschatz Erstbeleg des entsprechenden Lexems in etymologischen und historischen Wörterbüchern 6.16. Baroncellus cogn. Aluinus a.860 Dipl- PeríodoAstur 1, 302, Baron ts. a.967 PMH- Diplomata 60, Baro a.854 RAC 162 sp. varón, port. var-o ‚Mann‘ DCECH 1, 514-5 in der Bedeutung ‚hombre noble‘ Ende des 11. Jh.; DELP 5, 376 13. Jh.; GMLC 1, 238 a.1044. Wohl von dieser Bedeutung oder etwa von einfachem ‚Mann‘ müsste man im Fall der Personennamen ausgehen. 6.17. Pruneto a.898 RAC 439 kat. bru, bruna ‚braun‘ DECat 2, 283 a.1077; DCVB 2, 688 Llull; GMLC 1, 298 11. Jh. 6.18. Cometali ss. 867 DocPallars 317 sp. condal, kat. comtal ‚zum Fürst gehörig‘ DECat 2, 860 a.995; GMLC 1, 560 a.945. 6.19. Compagno a.929 RAC 208 kat. company, -anya ‚der Genosse, Gefährte, Kamerad‘ DECat 6, 151-2 als Personenname a.970; DCVB 3, 329 a.1418; GMLC 1, 594 als Personenname a.970. Coromines hat offenbar in unsystematischer Weise frühmittelalterliche Personennamen bei den Erstbelegen berücksichtigt. 6.20. Diligato abbate a.859 DocPallars 313, Delgada a.967 CDCelanova 2, 151 sp./ port. delgado, altkat. delgat, -ada ‚schlank‘ DCECH 2, 439-40 a.1034; DELP 2, 296 a.1253; DECat 3, 58 Llull; DCVB 4, 101 Llull. 6.21. Smerado a.915(or.) DiplCatedralVic 65 sp. esmerado, kat. esmerat, -ada ‚sorgfältig, tadellos; gewissenhaft; gepflegt‘ Laut DECat 3, 600 und DCVB 5, 361 ein „castellanisme“ und laut DCECH 4, 56 „más bien semicultismo“ (Erstbeleg in Cantar de mio Cid) war anschei- Lidia Becker 270 nend im Mittelalter im Nordosten ein geläufiges Lexem. 6.22. Falconi / Falcon cf. a.909 DiplPeríodoAstur 2, 376, Falco a.961 RAC 288, Falconi a.972 RAC 288 sp. halcón, port. falc-o, kat. falcó ‚Falke‘ DCECH 3, 307 als Personenname a. 924; DCVB 5, 706-8 Llull. 6.23. Macana ss. [Frau von Melantus] a.911(or.) Dipl- CatedralVic 51, Macanella / Macanella ss. a.938(or.) DiplCatedralVic 156-7 sp. manzana, port. maç-, kat. maçana ‚Apfel‘ DECat 5, 341-2 als Ortsname a.1297; DCVB 7, 99 a.1409; OnomCat 5, 115-8, Erstbeleg des eindeutigen Frauennamens Macanella a.1117 CartStCugat als ‚nom d’una masia‘. 6.24. item dimisit a Pages a.1086 CartStCugat 2, 388 kat. pagès,-a ‚Dorfbewohner‘ DECat 6, 165-9 Llull; DCVB 8, 112-3 13. Jh. 6.25. Pelegrina a.982 Dipl- Barcelona 1, 343 sp./ port. peregrino, kat. pelegrí, -ina ‚Pilger‘, ursprünglich ‚Santiago- Pilger‘ (Kremer 1980, 80) DECat 6, 395 Llull; DCVB 8, 396-7 kat. Text. 6.26. Petitus a.913(or.) Kremer BNF 9, 39 kat. petit, -ita ‚klein‘ DECat 6, 488-91 12. Jh.; DCVB 8, 532-3 Llull. 6.27. Pedrero (ss.) 983(or.) CartStCugat 1, 128 kat. pedrer ‚Steinmetz‘, im Mittelalter wahrscheinlich in der Bedeutung ‚Maurer‘ DCVB 8, 369-70 kat. Text. 6.28. tibi Berenguarius et ad uxori tue Pocha a.1173(or.) DiplPoblet nº472 kat. poc, poca ‚wenig‘, das altkat. Adjektiv pauc / poch sowie altprov. pauc konnten die Bedeutung ‚klein‘ annehmen (DECat 6, 629; Kremer 1974/ 1975, 161). DECat 6, 629 als Übername Maria Pocha a.1250; DCVB 8, 688 Llull. 6.29. tibi Guilelmo de Villagrassa et uxori tue Puculula a.1159(s.13) Dipl- Poblet n º207, Puculul ss. a.1169(s.13) DiplPoblet nº348 kat. poculull ‚klein‘ DECat 6, 631 Llull; DCVB 8, 691 Llull. 6.30. terra de Precioso / de kat. preciós, -osa ‚ko- DECat 6, 807 Llull; DCVB Frühmittelalterliche Personennamen 271 similiter Precioso a.932(or.) DiplCatedralVic 135 stbar‘ 8, 818 kat. Text. 6.31. Saberosa femina ss. a.902(or.) DiplCatedralVic 30 sp. sabroso, kat. saborós, -osa ‚schmackhaft‘ DECat 6, 558-9 Llull; DCVB 9, 647 Llull. 6.32. Tortorella a.845 Doc- Pallars 292 kat. tórtora ‚Turteltaube‘ DECat 8, 636-9 a.1262; DCVB 10, 388-9 a.1262. Urkundensammlungen ArchCondalBarcelona = Udina i Martorell, Federico: El Archivo Condal de Barcelona (segles IX-X). Estudio crítico de sus fondos. (Publicaciones de la Sección de Barcelona 15) Barcelona: Consejo Superior de Investigaciones Científicas 1951. CartStCugat = Rius i Serra, José: Cartulario de Sant Cugat del Vallés, 3 Bände. Barcelona: Consejo Superior de Investigaciones Científicas 1945-1947. CartStMillán(Ubieto) = Ubieto Arteta, Antonio: Cartulario de San Millán de la Cogolla (759-1076). (Textos medievales 48) Valencia: Anubar Ediciones 1976. CDCarboeiro = Lucas Álvarez, Manuel: „La colección diplomática del Monasterio de San Lorenzo de Carboeiro“. In: Compostellanum 2, 1957, S. 549-573; 3, 1958, S. 228-308, 549-638. CDCatedralLeón 1 = Sáez, Emilio: Colección documental del Archivo de la Catedral de León (775-1230), Band 1 (775-952). 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