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Magische Sprachverwendung in vulgärlateinischen Fluchtafeln (defixiones)

2008
978-3-8233-7436-7
Gunter Narr Verlag 
Amina Kropp

"Fluchtafeln" (lt. defixiones) sind Primärzeugnisse eines in der griechisch-römischen Antike weitverbreiteten Schadenzauberrituals. Nach ihrer Beschriftung wurden die dünnen Bleilamellen manipuliert und an "magischen" Orten, z.B. Gräbern oder Brunnen verborgen. Aufgrund ihrer Entstehungsumstände halten die Zaubertexte eine historische Äußerung in unmittelbarer Rede fest. Lohnenswert ist daher nicht nur eine Untersuchung des verwendeten "Vulgärlateins", vielmehr erlaubt gerade die pragmalinguistische Perspektivierung der defixiones Aussagen über Reichweite und Machtpotential des rituell geäußerten Wortes: Die Zauberformeln versprechen eine Auswirkung auf eine andere Person in absentia. Hierbei kann die Mitwirkung eines übernatürlichen Kommunikationspartners mitgedacht sein, daneben reflektiert sich aber auch die Vorstellung von der unmittelbaren Selbstwirksamkeit des Wortes, das die gewünschten Effekte "automatisch" hervorbringt. Damit läuft "magische" Sprachverwendung den gängigen Konzepten von Sprache zuwider und macht ihre Neusichtung notwendig. Die Analyse dieser Aspekte erfolgte auf der Grundlage eines elektronischen Corpus aller bekannten lateinischen defixiones, die neu gesichtet und z.T. ediert wurden.

Magische Sprachverwendung in vulgärlateinischen Fluchtafeln (defixiones) 089108 ScriptO. 135 - Kropp: 089108 ScriptO. 135 - Kropp Titelei 25.08.2008 8: 25 Uhr Seite 1 135 Reihe A: Altertumswissenschaftliche Reihe, Band 39 Herausgegeben von Paul Goetsch und Wolfgang Raible 089108 ScriptO. 135 - Kropp: 089108 ScriptO. 135 - Kropp Titelei 25.08.2008 8: 25 Uhr Seite 2 Amina Kropp Magische Sprachverwendung in vulgärlateinischen Fluchtafeln (defixiones) Gunter Narr Verlag Tübingen 089108 ScriptO. 135 - Kropp: 089108 ScriptO. 135 - Kropp Titelei 25.08.2008 8: 25 Uhr Seite 3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0940-0303 ISBN 978-3-8233-6436-8 089108 ScriptO. 135 - Kropp: 089108 ScriptO. 135 - Kropp Titelei 25.08.2008 8: 25 Uhr Seite 4 Perché gli uomini offendono o per paura o per odio. (Machiavelli, Il Principe VII) 6 An der Entstehung und dem Abschluß dieser Arbeit haben viele Anteil, denen ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen möchte. Herrn Professor Wolfgang Raible danke ich für seine Bereitschaft, mich trotz der widrigen Umstände als Doktorandin angenommen zu haben, sowie für seine wissenschaftliche Betreuung, die mich nicht nur über viele Klippen getragen, sondern mir gleichzeitig auch viel Freiraum bei der Bearbeitung des Themas gelassen hat. Mein Dank gilt weiter Herrn Professor Kai Brodersen, der mir bei allen Fragen stets mit Rat und Tat zur Seite stand und den Fortgang der Arbeit mit Engagement und Zuspruch gefördert hat. Zu großem Dank verpflichtet bin ich auch Herrn Professor Jürgen Blänsdorf, der meine Arbeit mit anhaltendem regem Interesse begleitet hat, sowie Herrn Professor Andreas Wagner, der durch seine stetige Dialogbereitschaft maßgeblich zum Gelingen der Dissertation beigetragen hat. Ein Dank geht auch an Herrn Professor József Herman, der diese Arbeit nicht nur durch seine Schriften, sondern über seinen Tod hinaus auch durch sein persönliches Engagement geprägt hat. Dankbar bin ich ferner Herrn Professor Angelos Chaniotis, dessen beständige Förderung die Realisierung dieser Arbeit mitermöglicht hat. Weiter danke ich Herrn Dr. Jochen Walter, der bei der Durchsicht der Arbeit vor der Rolle des Momos nicht zurückgescheut ist. Für die umfangreichen Lese- und Korrekturarbeiten, die bei der Erstellung des Manuskripts anfielen, sei Frau Dorothee Köppel, Frau Marion Süfling und Herrn Dr. Stephen Dörr herzlich gedankt. Danken möchte ich auch dem Initiator dieser Arbeit, Herrn Professor Hubert Petersmann, der trotz seines plötzlichen und unerwarteten Todes im Januar 2001 stets geistiger Vater und Mentor geblieben ist. Seine Gelehrsamkeit, Begeisterungsfähigkeit und Menschlichkeit sind mir unvergessen. Der Graduiertenförderung des Landes Baden-Württemberg danke ich für das mir gewährte Stipendium und den regen interdisziplinären Ideenaustausch im Rahmen des Graduiertenkollegs „Dynamik von Substandardvarietäten“. Mein herzlicher Dank gebührt abschließend meinem Lebensgefährten, Herrn Dr. Hannes Köppel, der vom ersten bis zum letzten Tag mit uneingeschränkter Unterstützung, unermüdlicher Hilfsbereitschaft, anhaltender Motivation und beruhigendem Verständnis Entstehung und Fortgang der Arbeit begleitet und befördert hat. Ohne ihn wäre diese Arbeit nicht entstanden, ihm ist diese Arbeit gewidmet. Heidelberg, im August 2008 7 INHALTSVERZEICHNIS A. ANALYSE: „WENN WORTE TÖTEN KÖNNEN…“ ....................... 17 I. Einleitung ..................................................................................................... 19 I.1 Forschungsgegenstand und -interesse ....................................... 19 I.2 Theoretische Grundlagen .................................................................. 19 I.3 Fragestellung und methodische Vorüberlegungen ............. 21 I.4 Ziel und Arbeitshypothese ............................................................... 21 I.5 Aufarbeitung und Präsentation des Arbeitsmaterials ....... 24 I.6 Gliederung der Arbeit ........................................................................ 24 II. Die defixionum tabellae: Einführung und Gegenstandssicherung ....................................................................... 26 II.1 Vorbemerkung: Problematik des Begriffes ‘Magie’ ............ 26 II.2 Forschungsgeschichte und -lage ................................................... 29 II.2.1 Texteditionen, Bibliographien ..................................................... 29 II.2.2 Anthologien, Kompendien, Sekundärliteratur ...................... 33 II.2.3 Spezialstudien: Sprache, Schrift, Ritual .................................... 35 II.2.4 Stand der Forschung ...................................................................... 36 II.3 Terminologie ........................................................................................... 37 II.3.1 Antike Namenvielfalt ..................................................................... 38 II.3.2 Moderne Fachtermini .................................................................... 42 II.4 Der außersprachliche Kontext ........................................................ 43 II.4.1 Aus diachroner Sicht: Ursprung und Verbreitung ............... 43 II.4.1.1 Außerhalb des griechisch-römischen Kulturkreises ................ 43 II.4.1.2 Griechenland................................................................................. 45 II.4.1.3 Römisches Reich ........................................................................... 45 II.4.2 Unter soziokulturellen Aspekten: Verortung und Stellenwert ‘aggressiver’ Magie im Licht antiker Zeugnisse .......... 46 II.4.2.1 Gesetzeslage .................................................................................. 46 II.4.2.2 Magieprozesse .............................................................................. 50 II.4.2.3 ‘Zauberpersonal’........................................................................... 52 II.4.2.4 ‘Magische’ Kopiervorlagen ......................................................... 55 II.4.2.5 Zielpersonen ................................................................................. 57 II.4.2.6 Reflexionen in der Literatur: Fachliteratur und Dichtung ...... 58 II.4.2.7 Epigraphische Zeugnisse............................................................. 66 8 III. Die Ritualform defixio ........................................................................ 67 III.1 Der Begriff ‘Ritual’ ............................................................................ 67 III.1.1 Begriffsentstehung und -problematik ..................................... 67 III.1.2 Eine aktuelle Arbeitsdefinition .................................................. 70 III.1.3 Soziale Relevanz durch öffentliche Performanz .................. 73 III.2 Das Ritualszenario in den Ritualpräskripten ...................... 75 III.2.1 Das Ritual als Produktionskontext der Zaubertafeln ......... 75 III.2.2 Zubereitung und Ausführung einer defixio (PGM V 304-369) ............................................................................ 75 III.2.3 Die defixio als ‘Ich’-Ritual: Das Fehlen der sozialen Dimension ........................................................................................ 78 III.3 Struktur und Semantik der Ritualhandlung ........................ 80 III.3.1 Die tabellae defixionum als Ritualelement: Antike Verwendung und ritualspezifische Semantik von Blei ..... 80 III.3.2 Die rituelle Verschriftung: Die Zauberinschrift ................... 82 III.3.2.1 … als negatives und positives Kommunikationsmedium..... 82 III.3.2.2 … als Konservierungs- und Kodierungsmedium ................... 83 III.3.3 Die rituellen Manipulationen als metaphorische Handlungen: Paralysierung und Aggression ....................... 84 III.3.3.1 Das ‘Niederschreiben’ des Namens.......................................... 85 III.3.3.2 Die Manipulation der ‘Fluchtafel’............................................. 86 III.3.4 Opfertiere und ‘Zauberstoff’ ...................................................... 87 III.3.5 Die rituelle Funktion des Ablageortes .................................... 88 III.3.5.1 Wiederkehrende Fundkontexte ................................................ 88 III.3.5.2 ‘Magische’ Verbergung und Ausgrenzung, Analogiekontext und Kontaktaufnahme ................................. 89 III.3.5.3 Die rituelle Deposition als metaphorische Handlung: Übergabe und Angleichung ...................................................... 90 III.3.5.4 Die Übermittlung einer Botschaft ............................................. 93 III.3.5.5 Der Kontakt zum Opfer ............................................................. 93 III.3.6 Die numinosen Mächte des Rituals .......................................... 94 III.3.6.1 Katachthonische Gottheiten....................................................... 94 III.3.6.2 Nicht-katachthonische Gottheiten ............................................ 97 III.3.6.3 Faktoren der Götterwahl............................................................ 98 III.3.6.4 Sonderbezeichnungen, Götterkataloge, Epitheta.................. 101 III.4 Die defixio — eine Ritualform sui generis .............................. 103 III.4.1 Die Bezeichnung ‘Fluchtafel’ ................................................... 103 III.4.2 Das Konzept des antiken Fluches auf der Grundlage der Quellen .................................................................................... 104 III.4.2.1 Der ‘Präventivfluch’ in der antiken Rechtsprechung: Gesetzgebung und Vertragsrecht ........................................... 105 III.4.2.2 Der ‘Reaktivfluch’ als Sanktionsmaßnahme in öffentlichem und privatem Kontext ....................................... 107 III.4.2.3 Der Fluch als literarisches Motiv in Mythologie und Dichtung............................................................................. 108 9 III.4.3 Fluch vs. defixio: Gemeinsamkeiten und Unterschiede .... 111 III.4.3.1 Äußerungskontext und soziale Funktion .............................. 111 III.4.3.2 Das lexiko-grammatikalische Inventar .................................. 113 III.4.3.3 Zwischen Fluch und defixio: die ‘Gebete für Gerechtigkeit’ ............................................................................ 119 IV. Die lateinischen defixiones im Lichte der historischen Pragmatik ........................................................... 122 IV.1 Grundlagen der historischen Sprechakt-Analyse .......... 122 IV.1.1 Die ‘pragmatische’ Dimension des sprachlichen Zeichens und die Grundfunktionen von Sprache ............. 122 IV.1.2 Die ‘Performativität’ sprachlicher Äußerungen ................. 124 IV.1.2.1 J. L. Austin: ‘performativ’ vs. ‘konstativ’ und die Theorie der Sprechakte ...................................................... 124 IV.1.2.2 J. R. Searle: Die Weiterentwicklung der Sprechakttheorie .. 127 IV.1.3 Sprachpragmatische Perspektivierung historischer Sprachzeugnisse ........................................................................... 132 IV.2 Die Formulae defigendi als sprachliche Handlungseinheit .................................................................................................... 134 IV.2.1 Eine Arbeitsdefinition des Sprachgebildes ‘Formel’ ......... 134 IV.2.2 Die Formulae defigendi aus der Perspektive der Sprechakttheorie ........................................................................... 137 IV.2.2.1 Die Einbettung in den rituellen Kontext................................ 137 IV.2.2.2 Die Verschriftung unmittelbarer Rede................................... 137 IV.2.2.3 Monologizität und Senderzentriertheit.................................. 138 IV.2.2.4 Explizite und direkte Realisierungsformen........................... 139 IV.2.3 Die Grundelemente der Formulae defigendi ...................... 139 IV.2.3.1 Die Angaben zum defixus......................................................... 140 IV.2.3.2 Zauberworte und -zeichen ...................................................... 140 IV.2.3.3 Die Götternamen....................................................................... 142 IV.2.3.4 Die Verba defigendi.................................................................. 142 IV.2.4 Aufdeckung und Typisierung des Handlungsgehalts der Formulae defigendi .............................................................. 142 IV.2.4.1 Die Signalisierung des Handlungsgehalts............................. 143 IV.2.4.2 Die Kriterien der Typisierung ................................................. 144 IV.3 Die Grundtypen der lateinischen Verwünschungsformeln und ihr Handlungsgehalt .......................................... 144 IV.3.1 Die ‘Manipulationsformel’ ........................................................ 145 IV.3.2 Die ‘Übergabeformel’ ................................................................. 146 IV.3.2.1 Explizit performative Formeln................................................ 147 IV.3.2.2 ‘Verdeckte’ Performative ......................................................... 148 IV.3.2.3 Die Einbindung des Empfängers ............................................ 149 IV.3.3 Die ‘Aufforderungsformel’ ....................................................... 149 IV.3.3.1 Explizit performative Formeln................................................ 150 IV.3.3.2 ‘Verdeckte’ Performative ......................................................... 151 IV.3.3.3 Imperativische Ausdrücke ...................................................... 151 10 IV.3.3.4 Der Wunschsatz ........................................................................ 152 IV.3.3.5 Die ‘Löseklausel’ ....................................................................... 153 IV.3.4 Die ‘Fluchformel’ ......................................................................... 155 IV.3.5 Sonderfälle ..................................................................................... 155 IV.3.5.1 Explizit performative Formeln in der 3. Person.................... 155 IV.3.5.2 Die direkte Adressierung des defixus oder einer weiteren Person ......................................................................... 156 IV.3.5.3 Vollzugsausdrücke in einem Vergangenheitstempus .......... 157 IV.3.5.4 Die ‘Kontaminationsformeln’.................................................. 158 IV.3.6 Die Kombinatorik der Grundformeln ................................... 159 IV.4 Formeln und Strukturen mit subsidiärer Funktion ........ 160 IV.4.1 Die Stützformeln mit Handlungsgehalt ............................... 160 IV.4.1.1 Die ‘Anrufungsformel’ ............................................................. 160 IV.4.1.2 Die ‘Beschwörungsformel’ ...................................................... 161 IV.4.1.3 Die ‘Klageformel’ ...................................................................... 163 IV.4.1.4 Die ‘Gelübdeformel’ ................................................................. 164 IV.4.1.5 Die ‘Drohformel’ ....................................................................... 165 IV.4.1.6 Die ‘Warnformel’ ...................................................................... 166 IV.4.2 Sprachliche Strategien zur Sicherung von Aufnahmebereitschaft, Vollständigkeit und Unmißverständlichkeit .. 167 IV.4.2.1 Listen und Kataloge.................................................................. 167 IV.4.2.2 Wortiterationen und Synonymenhäufungen ........................ 168 IV.4.2.3 quem-peperit-Ausdruck und andere identifikatorische Angaben...................................................... 170 IV.4.2.4 ‘all-inclusive-formulas’ und vergleichbare Verfahren zum Ausgleich von Informationslücken ............................... 172 IV.4.2.5 Feststehende Glossarausdrücke und ‘metasprachliche Determinanten’ .......................................................................... 173 IV.4.2.6 Analogien................................................................................... 174 IV.4.2.7 Honorifica .................................................................................. 176 IV.4.3 Der ‘Durchsetzungsmodus’ ...................................................... 176 IV.5 Der Inhalt der ‘bösen Wünsche’ ............................................... 179 IV.5.1 Die Prozeß-defixiones ................................................................... 180 IV.5.2 Die ‘agonistischen’ defixiones .................................................... 181 IV.5.2.1 … in sportlichem Kontext ........................................................ 181 IV.5.2.2 … in anderen Kontexten .......................................................... 183 IV.5.3 Die erotischen ‘Herbeiführungs’-defixiones .......................... 184 IV.5.4 Die ‘Gebete für Gerechtigkeit’ ................................................. 186 V. Funktionsweise und Aktionsradius ‘magischen’ Sprechens im defixio-Ritual ......................................................... 190 V.1 Das magische Ritual als Kommunikationsraum .............. 190 V.1.1 ‘Rituelle’ Kommunikation ......................................................... 190 V.1.2 Vertikal vs. horizontal: Die zwei Ebenen ‘ritueller’ Kommunikation ............................................................................ 191 11 V.2 Die ‘göttereinbindenden’ Formeltypen ................................ 193 V.2.1 Die kommunikativen Dimensionen des ‘Ich’-Rituals ....... 193 V.2.1.1 Das ‘Ich’-Ritual als primär vertikal ausgerichteter Kommunikationsakt .................................................................. 193 V.2.1.2 Das erweiterte Ritualszenario als mehrfach adressierter Kommunikationsakt.................................................................. 194 V.2.2 Die Sprache als Kommunikationsmedium mit dem Numinosen ............................................................................ 196 V.2.3 Die schriftlich vermittelte Kommunikation: der ‘Unterweltsbrief’ .................................................................... 197 V.3 Der ‘götterlose’ Formeltyp ............................................................ 200 V.3.1 Von der Ein-Verb-Formel zum komplexen Text ................. 200 V.3.2 Die Existenz ‘götterloser’ Formeln ........................................... 201 V.3.2.1 … im antiken Kontext................................................................ 201 V.3.2.2 … im modernen Kontext ........................................................... 203 V.3.3 Die ‘Selbstwirksamkeit’ der Sprache.................................. 204 V.3.3.1 Die vis carminum im Spiegel antiker literarischer Zeugnisse ............................................................. 204 V.3.3.2 Mala lingua und fascinum: Antike Erklärungen für wirkmächtige Äußerungen...................................................... 207 V.3.3.3 ‘Worte sind Pfeile’: Belege und Deutungsansätze ethnologischer Studien ............................................................. 210 V.4 Die Klassifizierung der Formulae defigendi ....................... 214 V.4.1 Die ‘göttereinbindenden’ Formeltypen ................................... 214 V.4.1.1 Die ‘Aufforderungsformel’ als direktive Äußerung .............. 214 V.4.1.2 Die ‘Übergabeformel’ als deklarative Äußerung mit direktiver Komponente ...................................................... 215 V.4.1.3 Die ‘subsidiären’ Formeln als illokutiv mehrdimensionale Äußerungen........................................................ 216 V.4.2 Der ‘götterlose’ Formeltyp ........................................................ 216 V.4.2.1 Die ‘Manipulationsformel’ als deklarative Äußerung? ........ 217 V.4.2.2 Ziel vs. Ergebnis der sprachlichen Handlung ....................... 217 V.4.2.3 Der Handlungscharakter der ‘Manipulationsformel’ .......... 218 V.4.2.4 Die Art der sprachlich geschaffenen Tatsachen .................... 219 V.4.3 Die Sprechaktklasse der Transformativa .............................. 221 V.4.3.1 Das Fehlen des Adressaten ...................................................... 221 V.4.3.2 Die Verba defigendi als Vollzugsverben................................ 223 V.4.3.3 Die ‘Weltzustandsveränderung’ ............................................. 224 V.4.3.4 Die transformative Illokution .................................................. 226 VI. Zusammenfassung und Ausblick ............................................ 230 12 B. CORPUSETABLIERUNG: AUFBEREITUNG UND SPRACHLICHE ANALYSE DER ZAUBERINSCHRIFTEN ................ 241 I. Das Corpus der defixionum tabellae ...................................... 243 I.1 Die Inschriftengattung defixio ...................................................... 243 I.1.1 Die Entzifferung der Zauberinschriften ................................. 243 I.1.2 Die Paläographie der Ritzschrift ............................................... 243 I.1.2.1 Die verwendeten Schrifttypen .................................................. 244 I.1.2.2 Datierung und Autorenschaft ................................................... 245 I.2 Die Aufarbeitung der epigraphischen Daten ...................... 245 I.2.1 Die elektronische Datenbank als Arbeitsinstrument .......... 246 I.2.1.1 Das Konzept der elektronischen Datenbank ........................... 246 I.2.1.2 Die Auswahl der Inschriften für eine linguistische Studie.... 246 I.2.1.3 Vorbereitung und Eintragung der Inschriften ........................ 248 I.2.1.4 Das Datenblatt-Layout ............................................................... 248 I.2.2 Ein Text - zwei Umschriften: TEXT 1 und TEXT 2 ............. 250 I.2.2.1 Text 1: Das philologische Markierungssystem ....................... 250 I.2.2.2 Text 2: Der ‘Lesetext’ .................................................................. 252 II. Die sprachliche Analyse der lateinischen defixiones ..................................................................................................... 253 II.1 Die Variationsbreite des Lateins auf den defixionum tabellae ............................................................................... 253 II.1.1 Das defixio-Ritual als außerlinguistischer Rahmen ............ 253 II.1.1.1 Die ‘Mündlichkeit’ der Zaubertexte........................................ 253 II.1.1.2 Der Rückgriff auf funktional verwandte Textformen........... 254 II.1.2 Schichtzugehörigkeit und geographische Lokalisierung ................................................................................. 255 II.1.3 Vom Latein zum Romanischen ................................................ 255 II.2 Einschluß und Präsentation der sprachlichen Daten ..... 256 II.3 Graphemik und Phonetik ............................................................. 256 II.3.1 Vokale .............................................................................................. 257 II.3.1.1 Einfache Vokale, Hiate.............................................................. 257 II.3.1.2 Diphthonge ................................................................................ 259 II.3.1.3 Synkope, Apokope .................................................................... 259 II.3.1.4 Prothese, Epenthese .................................................................. 260 II.3.2 Konsonanten .................................................................................. 260 II.3.2.1 Einfache Konsonanten im Wortanlaut und -inneren ........... 260 II.3.2.2 Einfache Konsonanten im Wortauslaut.................................. 262 II.3.2.3 Konsonantengruppen ............................................................... 263 II.4 Morphologie ....................................................................................... 264 13 II.4.1 Die Genera ...................................................................................... 264 II.4.1.1 Der Verlust der Neutra ............................................................. 264 II.4.1.2 Abweichende Genera................................................................ 265 II.4.2 Die Nominalflexion ..................................................................... 265 II.4.2.1 Die 1. Deklination...................................................................... 265 II.4.2.2 Die 2. Deklination...................................................................... 266 II.4.2.3 Die 3. Deklination...................................................................... 267 II.4.2.4 Die 4. Deklination...................................................................... 268 II.4.2.5 Die 5. Deklination...................................................................... 268 II.4.3 Die Pronominalflexion ............................................................... 268 II.4.3.1 Personalpronomina und Possessiva ....................................... 268 II.4.3.2 Demonstrativ-, Intensiv-, Identitätspronomina..................... 269 II.4.3.3 Relativ- und Interrogativpronomina ...................................... 270 II.4.4 Die Komparation .......................................................................... 271 II.4.4.1 Komparativ ................................................................................ 271 II.4.4.2 Superlativ ................................................................................... 271 II.4.5 Die Verbalflexion ........................................................................ 271 II.4.5.1 Konjugationswechsel ................................................................ 272 II.4.5.2 Imperativ .................................................................................... 272 II.4.5.3 Futur I ......................................................................................... 273 II.4.5.4 Passivbildungen ........................................................................ 273 II.4.5.5 Finite Perfektformen ................................................................. 274 II.4.5.6 Partizip Perfekt Passiv .............................................................. 275 II.5 Syntax ..................................................................................................... 275 II.5.1 Abweichungen in Kongruenz und Kasusverwendung ... 275 II.5.1.1 Kongruenzfehler........................................................................ 276 II.5.1.2 Präpositionale Markierung ...................................................... 276 II.5.1.3 Kasusgebrauch........................................................................... 278 II.5.2 Syntaktische Strukturen ............................................................. 280 II.5.2.1 Koordinierende Konjunktionen............................................... 280 II.5.2.2 Subordinierende Konjunktionen ............................................. 281 II.5.2.3 Die Negation .............................................................................. 283 II.5.2.4 Satzwertige Konstruktionen mit infiniten Verbformen........ 284 II.5.3 Der Modusgebrauch ................................................................... 285 II.5.3.1 Der Konjunktiv im Hauptsatz ................................................. 285 II.5.3.2 Der Modusgebrauch im Nebensatz: die Formen auf -erit .... 285 II.6 Wortschatz ........................................................................................... 287 II.6.1 ‘Konservative’ Elemente ............................................................ 287 II.6.1.1 Verben......................................................................................... 287 II.6.1.2 Nomina ....................................................................................... 288 II.6.2 Lexikalischer Ersatz ..................................................................... 289 II.6.2.1 Verben......................................................................................... 289 II.6.2.2 Nomina ....................................................................................... 290 II.6.3 Semantische Neuerungen .......................................................... 290 II.6.3.1 Verben......................................................................................... 290 II.6.3.2 Das semantische Spektrum der mit depräfigierten Verben......................................................................................... 291 II.6.3.3 Nomina ....................................................................................... 292 14 II.6.4 Formale Neuerungen .................................................................. 293 II.6.4.1 Affixlose Bildungen .................................................................. 293 II.6.4.2 Präfixbildungen ......................................................................... 293 II.6.4.3 Suffixbildungen: Verben .......................................................... 294 II.6.4.4 Suffixbildungen: Nomina ......................................................... 295 II.6.4.5 Diminutiva ................................................................................. 297 II.6.4.6 Parasynthetika ........................................................................... 297 II.6.4.7 Komposition............................................................................... 298 II.6.4.8 Adverbbildungen ...................................................................... 298 II.6.4.9 Referenzlose Buchstabenkombinationen ............................... 298 II.6.5 Fremdsprachliche Einflüsse ...................................................... 298 C. ANHANG ................................................................................................ 301 I. Bibliographie ........................................................................................... 303 I.1 Primärliteratur und Quellen ....................................................... 303 I.2 Sekundärliteratur, Handbücher, Nachschlagewerke ..... 304 I.3 Abkürzungen ...................................................................................... 325 II. Abbildungen ............................................................................................ 328 A. ANALYSE: „WENN WORTE TÖTEN KÖNNEN…“ 19 I. Einleitung I.1 Forschungsgegenstand und -interesse Bei den ‘Fluchtafeln’ (gr. kat-desmoi ; lt. defixionum tabellae bzw. defixiones) handelt es sich um Kleinstinschriften aus der griechisch-römischen (Spät)antike (ca. 6. Jh. v. Chr. - 5. Jh. n. Chr.), die Bestandteil und Produkt eines über tausend Jahre praktizierten Schaden- und Zwangzauberrituals sind. Als aussagekräftige Primärzeugnisse lassen sie unmittelbare Rückschlüsse auf Struktur und Ablauf der Zauberhandlung zu. So sind Parallelen zu Formen ‘schwarzer Sympathiemagie’ erkennbar, wie sie in verschiedenen Kulturkreisen auch gegenwärtig noch praktiziert werden. Das zentrale Element ist jedoch nicht das bildliche Substitut des Opfers, etwa in Form einer Puppe; vielmehr bestehen die ‘Fluchtafeln’ gewöhnlich aus dünnen Bleilamellen, die mit Zaubertexten beschrieben, daraufhin durchbohrt (oder auf andere Weise manipuliert) und anschließend an speziellen, als ‘magisch’ empfundenen Depositionsorten verborgen werden. Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind die auf den defixionum tabellae angebrachten Texte in lateinischer Sprache; die Untersuchung dieser Verwünschungen zielt dabei auf die ihnen zugeschriebene ‘schwarzmagische’ Macht und letztlich auf das Verständnis ‘magischen’ 1 Sprechens. Für dieses Forschungsinteresse besitzen die ‘Fluchtafeln’ insofern einen hohen Erkenntniswert, als es sich bei Formulierungen wie z.B. ‘ich durchbohre sie, damit sie zugrunde gehen’ (defigo illos, ut per eant) (dfx 1.7.4⁄1) 2 um schriftlich fixierte Äußerungen in unmittelbarer Rede, d.h. um die wortgetreuen Abbildungen einer historischen Sprechsituation handelt. Die privilegierte Ausgangslage für die o.g. Fragestellung besteht aber nicht nur darin, daß der Originalwortlaut der Verwünschungen in den Zauberinschriften unmittelbar festgehalten wurde, sondern auch in der Tatsache, daß die besonderen Artikulationsbedingungen durch ‘Zauberrezepte’, literarische Reflexionen u.a. rekonstruierbar sind. I.2 Theoretische Grundlagen Magischen Handlungen und Worten sind Studien aus unterschiedlichen Fachgebieten gewidmet. So charakterisiert etwa der Ethnologe und Ritualforscher S. J. Tambiah praktizierte Magie folgendermaßen: „Magische Akte, die sich gewöhnlich aus verbalen Äußerungen und dem Manipulieren (manipulation) von Gegenständen zusammensetzen, sind ‘performative’ 1 Zum Begriff ‘Magie’ s. A: II.1. 2 Zu Aufarbeitung und Präsentation des Textmaterials s. A: I.5. 20 Akte […].“ 3 Aufgrund ihrer „schöpferische[n] Bedeutung“ 4 nehmen ‘magische Akte’ Einfluß auf die Wirklichkeit, entwickeln und modifizieren sie und besitzen demzufolge einen unmittelbar realitätsgestaltenden Handlungscharakter; dieses kreative Potential eignet konkreten ‘magischen’ Operationen wie ‘magischen’ Worten gleichermaßen. Der Fokus vorliegender Untersuchung liegt auf besagter ‘Performativität’ 5 verbaler Ritualelemente; als theoretischer Bezugsrahmen und Ausgangspunkt wird ihr die von J. L. Austin und J. R. Searle entwickelte ‘Sprechakttheorie’ zugrundegelegt, die den ‘performativen’ Charakter menschlicher Äußerungen in die wissenschaftliche Sprachbetrachtung integriert hat: Sprache ist nicht mehr allein als regelhaftes, auf die Repräsentation von Wirklichkeit angelegtes Zeichensystem zu verstehen und anhand isolierter Phänomene zu beschreiben; vielmehr tritt der Gebrauch von Sprache, determiniert von situationsspezifischen Regeln und Bedingungen, und ihre Stellung als menschliches Handlungsinstrument in den Vordergrund. Für die Untersuchung der auf den defixionum tabellae festgehaltenen Verwünschungen besitzt die Sprechakttheorie einen hohen Erkenntniswert und stellt ein effizientes Analyseinstrumentarium und eine theoretisch-begriffliche Grundlage bereit: Im Rahmen der sprechakttheoretischen Sprachbetrachtung werden sprachliche Äußerungen als Äquivalent zu non-verbalen menschlichen Handlungen gesehen, die speziellen Artikulationsbedingungen unterliegen. In die Überlegungen einbezogen werden folglich der Äußerungskontext sowie die Relationen zwischen sprachlichen Strukturen und den situativen Gegebenheiten des Sprachgebrauchs. Dieser Ansatz fokussiert auch die der Sprechhandlung zugrundeliegende Intention und damit den Zweck der Äußerung, die nicht nur als Handlungsprodukt, sondern auch als privilegiertes Handlungsinstrument wahrgenommen wird. Eine Äußerung fungiert demgemäß als adäquates Mittel, in einer bestimmten Situation ein bestimmtes übergeordnetes Ziel zu erreichen. Jede Äußerung weist folglich einen spezifischen Handlungswert auf, dessen Bestimmung wiederum die Grundlage für eine systematische Klassifikation einzelner sprachlicher Handlungen und Handlungstypen bildet. Mit der spezifischen Handlungsbedeutung einer Äußerung erfaßt die ‘Sprechakttheorie’ zugleich die subjektive Intention des Sprechenden und den zweckrationalen Aspekt der verbalen Handlung. Auch die Ausführung des defixio-Rituals, das neben manuellen Handlungen eben auch verbale Elemente umfaßt, stellt eine intentionale, zweckgerichtete Handlung dar: Ziel der defixio ist die aggressive Einflußnahme, d.h. die Bewirkung konkreter Veränderungen in der Lebenswelt eines Dritten; diese intendierte Aggression 3 Tambiah 1978, 259. 4 Ebd. 5 Vgl. hierzu Austin 1962, 6: „The name [d.h. ‘performative’] is derived, of course, from ‘perform’, the usual verb with the noun ‘action’.“ 21 wird jedoch ohne direkte Kontaktaufnahme, allein mittels einer magischen Operation realisiert. Diese für den Schadenzauber typische Konstellation legt folglich die Annahme nahe, daß den magischen Worten der defixiones, wie magischen Akten im allgemeinen, ein unmittelbar realitätsverändernder Handlungswert zuzusprechen ist. I.3 Fragestellung und methodische Vorüberlegungen Die vorliegende Studie geht im Sinne der ‘Sprechakttheorie’ von dem Handlungscharakter sprachlicher Äußerungen aus. Im Rahmen der Textanalyse sollen auf dieser Grundlage vornehmlich zwei Aspekte der auf den defixionum tabellae konservierten Zaubertexte untersucht werden: Zunächst sind ihre unterschiedlichen Handlungsbedeutungen zu erfassen und zu klassifizieren; hierauf aufbauend sind ferner Funktionsweise und Aktionsradius des ‘magischen’ Sprachgebrauchs näher zu beleuchten. Eine handlungstheoretische Analyse antiker Verwünschungstexte kann nicht allein auf sprachlicher Ebene erfolgen: Da allein das Welt- und Selbstbild der Akteure Rückschlüsse auf die Besonderheit von Sprachverwendung und -konzeption erlauben, ist zugleich die Betrachtung des Makrokontextes, d.h. die Rückverortung der Texte in Entstehungssituation und lebensweltlichen Zusammenhang erforderlich. Der gewählte Ansatz gebietet folglich die sorgfältige Aufarbeitung sowohl der zu untersuchenden Texte als auch des außerlinguistischen Kontextes. Dies gilt um so mehr, als die Sprachverwendung aus einer historischen Perspektive heraus betrachtet wird, aufgrund derer sich naturgemäß nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine (kultur)räumliche Distanz ergibt. Die profunde Kenntnis der teilweise schwer zugänglichen Texte setzt ihre sprachliche Aufarbeitung und inhaltliche Explikation voraus; zu diesem Zweck werden Untersuchungen sowohl auf den verschiedenen Ebenen der Sprachstruktur als auch im Hinblick auf das lexikalischsemantische Inventar der Texte vorgenommen. Die sprechakttheoretische Untersuchung und Kategorisierung geht unmittelbar von dem Sprachgebilde ‘Formel’ aus; eingeschlossen und auf ihre Funktion im Handlungszusammenhang untersucht werden überdies auch verschiedene andere rekurrente Sprachstrukturen. Die Bewertung des Handlungsgehalts der jeweiligen Formel erfolgt ebenfalls nicht allein auf Textebene, sondern wird im ständigen Abgleich mit den zugehörigen außerlinguistischen Daten des Mikrokontextes, d.h. der aktuellen rituellen Situation, geführt. I.4 Ziel und Arbeitshypothese Für die lateinischsprachigen defixiones steht eine eingehende sprechakttheoretisch fundierte Untersuchung noch aus. Dies hängt nicht zuletzt mit 22 der ungewöhnlichen Kombination von Forschungsgegenstand und theoretisch-methodischem Analyseansatz zusammen: Zum einen betrifft dies die grundsätzliche Akzentlegung auf die in lateinischer Sprache abgefaßten Zauberinschriften, die in den zumeist hellenozentrischen Studien nur akzessorisch behandelt worden sind; zum anderen gilt dies auch für die Konzeption des Untersuchungsgegenstandes ‘Fluchtafel’, der nicht als epigraphisches Zeugnis oder als religionswissenschaftliche Quelle, sondern primär in seiner Eigenschaft als Sprachdokument betrachtet wird. 6 Der linguistischen Studie zum ‘magischen’ Sprachgebrauch der lateinischen ‘Fluchtafeln’ wird ein handlungstheoretischer Ansatz im Sinne der von J. L. Austin und J. R. Searle ausgearbeiteten ‘Sprechakttheorie’ zugrundegelegt. Dies bedeutet, daß der spezielle Handlungswert der in den lateinischen defixionum tabellae dokumentierten Sprachverwendung und damit insbesondere der Intentionalitätsaspekt und die Perspektive des ‘Sprechenden’ in den Mittelpunkt der Analyse gestellt wird. Mit anderen Worten: Welche sprachlichen Handlungen vollzieht der Ausführende einer defixio? Welche Auffassung von Sprache spiegelt sich in einer derartigen Verwendung? Die Beantwortung dieser Fragen stellt sich als ausgesprochen aufschlußreich dar, um so mehr als es sich bei den ‘Fluchtafeln’ um rituell eingebundene sprachliche Äußerungen handelt, die, im Verbund mit non-verbalen Handlungen, auf die Aggression eines anderen Menschen ausgerichtet sind und damit dezidiert für die Veränderung von Wirklichkeit eingesetzt werden. Wie bereits einleitend dargestellt, besitzen die ‘Formeln’ auf den defixionum tabellae einen unmittelbar realitätsschaffenden und -gestaltenden Handlungscharakter. Dies kann um so mehr angenommen werden, als die intendierte Aggression weder in der Öffentlichkeit noch unmittelbar an der Zielperson vollzogen wird. Diese heimliche und private Ausführung des Schaden- und Zwangzaubers in deutlichem Kontrast zu den bisher von sprechakttheoretischen bzw. handlungsorientierten Untersuchungen in den Blick genommenen Äußerungsbedingungen menschlicher Kommunikation. Angesichts dieser Zeugnisse für die dem isoliert geäußerten Zauberwort zugeschriebenen Macht ist davon auszugehen, daß Funktionsweise und Aktionsradius ‘magischen’ Sprechens von der auf modernen Sprachzeugnissen fußenden Sprechakttheorie und hieraus entwickelten handlungstheoretischen Ansätzen nicht adäquat abgebildet werden. Dies zeigt sich bereits an der von J. L. Austin vorgenommenen Einordnung von ‘verfluchen’ und ‘verwünschen’ zu den Vollzugsverben ‘konduktiver’, d.h. Einstellung bekundender Äußerungen (und die hieraus resultierende 6 Die „Grundtypen der Struktur der Fluchformeln“ werden bereits von Kagarow (1929) beschrieben; diese Einteilung wird von Faraone (1991) wiederaufgenommen und leicht modifiziert (s. A: IV.2.3). 23 Gleichsetzung mit ‘mißbilligen’ und ‘bereuen’ o.ä.). 7 Damit muß zugleich die Eingliederung der ‘Fluchformeln’ in eine der von J. R. Searle etablierten illokutiven Klassen in Frage gestellt werden. 8 Der begrenzte Horizont der klassischen Sprechakttheorie, die von der ausschließlichen Betrachtung des modernen, alltäglichen Sprachgebrauchs ausgeht, erlaubt folglich keine vorbehaltlose Übertragung linguistischer Erkenntnisse auf die Sprachverwendung im Rahmen von (antiken) Zauberritualen. Folglich können auch nicht alle bisher in diesem epistemologischen Rahmen getätigten Aussagen als universell gültig gewertet werden. Wie bereits angedeutet, handelt es sich bei den lateinischsprachigen defixiones um Texte, die für eine systematische sprachpragmatische Analyse bislang nicht in Betracht gezogen wurden. Diese Aussparung dürfte nicht zuletzt auf mangelnde Vergleichsmöglichkeit zu modernen Textformen und der Notwendigkeit der Einarbeitung in soziokulturelle, religiöse etc. Gegebenheiten einer antiken Gesellschaft zurückzuführen sein. Linguistische Überlegungen zu ‘magischer’ Sprachverwendung wurden ansatzweise in ethnologische Studien zu ‘magischem’ Denken und Sprechen integriert, wie sie etwa in der Tradition von B. Malinowksi von S. J. Tambiah oder A. B. Weiner für die Inselvölker von Papua Neuguinea vorgelegt wurden. 9 Der Wert der Sprechaktanalyse besteht darin, daß sie keine Beschreibungsmodelle an die Hand gibt, deren Erklärungsleistung auf spezifische Merkmale einer historische Einzelsprache oder eines einzelnen Sprachdokuments beschränkt sind; vielmehr postuliert sie die universale Gültigkeit ihrer Aussagen. 10 Damit versteht sich auch eine pragmalinguistisch ausgerichtete Untersuchung der defixionum tabellae als Beitrag zu einem allgemeinen Verständnis der Funktionsweise ‘magischen’ Sprechens. Geht man zudem noch davon aus, daß magische Praktiken nicht nur in der Antike, 7 Austin 1998, 178-180, bes. 179. Hierzu auch Cherubim, der eine Veränderung hinsichtlich Verwendung und Situationstyp des Verbums ‘fluchen’ auf „die zunehmende Säkularisation des gesellschaftlichen und privaten Lebens in der Neuzeit“ (1980, 13) zurückführt. Damit einher geht auch eine Umgestaltung des „formalsyntaktischen Gebrauch[s]“ (ebd.). Zur Kritik an Austin und Searle vgl. die Studie zur Entwicklung des engl. curse von Culpeper/ Semino (2000, 97-116, bes. 105-107); ebd., 103: „Today, to curse mostly refers to the expression of anger or frustration, which may or may not be directed against another person.“ 8 Searle und Vanderveken (1985, 209) setzen den Sprechhandlungstyp curse ‘verfluchen’ mit der Überantwortung bzw. Übergabe an einen Gott gleich und ordnen ihn den declaratives zu. 9 s. A: V.3.3.3. Bisweilen werden in diesem Kontext allerdings zentrale Fachtermini wie z.B. ‘performativ’ inflationär und meistens im Sinne von Austins vorläufiger Unterscheidung ‘konstativ’ vs. ‘performativ’ verwendet (z.B. Deremetz 1994, 148; Versnel 2002, 146; Rappaport 2003, 295). 10 Vgl. hierzu Searle 1971, 12-13: „Die ‘Daten’ der Sprachphilosophie stammen gewöhnlich aus den natürlichen menschlichen Sprachen, aber viele der Schlüsse […] müßten […] für jede Sprache gelten […]. In diesem Sinne geht es nicht um einzelne Sprachen […], sondern um die Sprache.“ 24 sondern auch gegenwärtig in zahlreichen Kulturkreisen zum Alltagsgeschehen gehören und im Repertoire moderner Sprachen ebenfalls Reminiszenzen an magischen Sprachgebrauch nachweisbar sind, können damit auch bisher nicht beachtete Aspekte sprachlich realisierter Handlungen aufgearbeitet und die bestehenden Konzepte von Sprache revidiert bzw. erweitert werden. I.5 Aufarbeitung und Präsentation des Arbeitsmaterials Als Arbeitsgrundlage wurde ein Corpus aller verfügbaren defixionum tabellae in lateinischer Sprache zusammengestellt und in eine elektronische Datenbank (FileMaker Pro) eingegeben: Jede Inschrift wurde als gesondertes Datenblatt erfaßt, das neben zwei Transkriptionsvarianten (originaler und rekonstruierter Text) auch außertextuelle Informationen sowie bibliographische Angaben bereithält. Zu diesem Zweck wurden die Inschriften im Bedarfsfall neu gelesen bzw. ediert. Im Rahmen der Arbeit werden die Zauberinschriften als Primärtexte kursiv und in ‘normalisierter’ (d.h. nach den Kriterien der Standardsprache vereinheitlichten) Orthographie wiedergegeben, gefolgt von einer Übersetzung in einfachen Anführungszeichen. Soweit nicht den jeweiligen Editionen entnommen, wurden diese Übersetzungen vor mir möglichst textnah vorgenommen. Der Verweis auf das Textcorpus erfolgt ausschließlich über die in der Datenbank zugeteilte laufende Nummer (z.B. dfx 1.4.2⁄3). I.6 Gliederung der Arbeit Die Arbeit gliedert sich in zwei Großbereiche: 1. Gegenstandssicherung und Analyse (Kapitel A: II. - V.). 2. Corpusetablierung und sprachliche Untersuchung (Kapitel B: I. u. II.). Die einführende Gegenstandssicherung (A: II.) enthält neben dem Forschungsstand eine möglichst umfassende Darstellung der Ritualform defixio in ihrem historischen und soziokulturellen Kontext: Einleitend wird ein Überblick über die antike und moderne Terminologie gegeben. Hieran schließt sich die kontextuelle Situierung der ‘Fluchtafeln’ an, die durch Aufarbeitung und Präsentation von Quellenmaterial wie z.B. literarischen und epigraphischen Textzeugnissen vorgenommen wird; in einem gesonderten Abschnitt erfolgt die Abgrenzung der ‘Fluchtafel’ von der typologisch verwandten Verfluchung. Die anschließende Analyse gilt den unmittelbaren rituellen Rahmenbedingungen als Produktionskontext der Zaubertexte (A: III.): Hierfür werden Struktur und Semantik der Ritualhandlung näher beleuchtet, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Isolation des rituell Agierenden gelegt wird. Eingeleitet und gestützt werden diese Betrachtungen durch aktuelle theoretische Überlegungen zum Ritu- 25 alkonzept und die Überprüfung seiner Anwendbarkeit auf antike Gegebenheiten. Die folgenden Kapitel (A: IV. u. V.) bilden den zentralen Teil der Arbeit, der sich, auf der Grundlage aller vorangegangenen Arbeitsschritte, mit den lexiko-grammatikalischen Strukturen sowie der pragmatischen Verortung der Verwünschungstexte befaßt: Vorangestellt werden theoretische Grundlagen und methodische Vorüberlegungen, die auf das zentrale Untersuchungsinteresse der Arbeit, das Funktionieren ‘magischen’ Sprechens, ausgerichtet sind. Die sich anschließende empirische Analyse erfolgt anhand ausgewählter Formeln und Strukturen. Untersuchung und Klassifikation der sprachlichen Verwünschungshandlungen werden dabei in zwei Richtungen ausdifferenziert: Zum einen wird der von ‘göttereinbindenden’ Äußerungen eröffnete Kommunikationsraum ausgeleuchtet; zum anderen die zentrale Frage nach der unmittelbaren Selbstwirksamkeit ‘magischen’ Sprechens gestellt. Neben den defixiones werden hierfür auch andere antike Zeugnisse sowie Belege aus der ethnographisch-soziologischen Literatur herangezogen. Den Kernpunkt der Untersuchung bildet die im Sinne der ‘Sprechakttheorie’ vorgenommene Klassifikation der als selbstwirksam eingestuften ‘Verwünschungsformeln’. Das erste Kapitel in Teil B ist den paläographischen und epigraphischen Daten gewidmet; in diesem Zusammenhang werden auch Anlage und Aufbau des elektronischen Datencorpus vorgestellt. Die im folgenden Kapitel (B: II.) vorgenommene sprachliche Analyse der Zauberinschriften bildet die Grundlage für die in die Datenbank eingetragenen Transkriptionen. Diese anhand von Phänomenen aus den Bereichen Lautstand, Morphologie, Morphosyntax und Lexikon erstellte Grammatik zur Sprache der defixiones soll die dargebotenen Lesungen transparent machen und den Zugang zu den möglicherweise wenig vertrauten ‘vulgärlateinischen’ Inschriften erleichtern. Zugleich kann sie auch exemplarisch Einblicke in die an diesen Primärquellen ablesbaren Sprachwandelprozesse geben; ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Entwicklungsgang des Lateins zu den romanischen Sprachen. 26 II. Die defixionum tabellae: Einführung und Gegenstandssicherung II.1 Vorbemerkung: Problematik des Begriffes ‘Magie’ Die nachfolgende Einführung versteht sich als Gegenstandssicherung und weniger als Beitrag zur theoretischen Grundlegung des Konzepts ‘(antike) Magie’. Dieser Themenkomplex ist spätestens seit der Rezeption von J. G. Frazers Monographie The Golden Bough (1890) innerhalb der unterschiedlichsten kulturwissenschaftlichen Fachbereiche zum Gegenstand einer kontroversen Diskussion geworden, die insbesondere um die Dichotomie Magie vs. Religion (bzw. vs. Wissenschaft) und bisweilen bis zur Aufgabe bzw. Gleichsetzung der Konzepte und Kategorien geführt wurde. 11 In der aktuellen Altertumsforschung schlägt sich die Reaktion auf die traditionelle Theoriedebatte in einer großen Zahl ausführlicher Studien zur Magie in der griechisch-römischen Antike nieder, ohne jedoch die grundsätzlichen Probleme ausräumen zu können. 12 Die begriffliche Heterogenität und die zu Dogmen verhärteten Standpunkte lassen sich auf unterschiedliche Ansätze zurückführen, die den Betrachtungen zur antiken Magie als einem wissenschaftlich aufzuarbeitenden Thema zugrunde liegen. In der Fachliteratur ist dabei ein Wandel von etischer (d.h. kulturexterner) zu emischer (d.h. kulturinterner) Perspektive feststellbar. So haben emische Untersuchungen zum Ziel, die Innensicht des Phänomens ‘antike Magie’ wiederzugeben, vornehmlich abgeleitet von antiken Zeugnissen und Nachrichten, aus denen sich die Verwendung zentraler Begriffe wie ‘Magie’ oder ‘Magier’ etc. und der zugehörige Kontext rekonstruieren lassen. Rein formal gesehen können sich offiziellen Kulthandlungen, wie z.B. Opfer und Gebet, und magische Praktiken entsprechen. Als kulturinternes Abgrenzungskriterium zwischen antiker Religion und Magie gilt das Verhältnis zwischen Mensch und Gottheit, so wie es z.B. aus den Schriften Platons hervorgeht, in denen die mangelnde Religiosität der Magier ange- 11 Vgl. hierzu z.B. den Artikel von Smith (1995), der für eine Aufgabe des belasteten Konzepts von Magie plädiert und dafür u.a. die Positionen von Frazer und Tylor darlegt. Zur Debatte im antiken Kontext vgl. auch Gager 1992, 24f. 12 Einen ersten Überblick mit grundlegender und weiterführender Literatur gibt etwa Brashear 1995, 3446f. Speziell für das antike Griechenland und Rom vgl. auch Graf 1996, 24-57; Bremmer 1998; Gordon 1999a; Bremmer 1999; Braarvig 1999, 21-31; Dickie 2001, 1-17; 18-46; 124-141; Hoffman 2002; Iles Johnston 2004; Lotz 2005, 23-48; Fowler 2005; Stratton 2007, 4-24; Rives (in Vorbereitung). Zu erwähnen sind auch die Beiträge im Sammelband Magie und Religion 1978. Als aktuelle, umfassende Bibliographie zum Thema ‘Magie’ sei ferner Brillet/ Moreau 2000 genannt. 27 prangert wird: Im Gegensatz zum religiösen Menschen vertrauten diese nicht auf Wohlwollen und Vollkommenheit des Göttlichen, sondern leugneten, schmähten oder mißbrauchten die Götter. 13 Die negative Bewertung magischer Operationen ist somit bereits in den antiken Quellen angelegt. Antik bezeugt ist auch der ‘Götterzwang’, der noch von J. G. Frazer als grundlegendes Kriterium zur Trennung von Magie und Religion herausgestellt wird (s. auch A: V.2.2). 14 Zugleich ist jedoch davon auszugehen, daß einerseits das antike Konzept von Magie, für das bereits in Griechenland mit mage ! a ‘Zauberei’, gohte ! a ‘Hexerei’ u.a. verschiedene Bezeichnungen existieren, 15 nicht als starre Kategorie faßbar wird, andererseits antiker und moderner Terminus in ihrer Semantik nicht deckungsgleich sind. Eine kulturinterne Perspektivierung kann zudem nicht auf universell gültige Erklärungsinhalte angelegt sein. Damit birgt sie die Gefahr einer isolierten Betrachtung, wodurch jede Vergleichsmöglichkeit mit anderen Zeiten und Kulturen, auf die gerade typologische Studien aufbauen, zunichte gemacht wird. Die traditionelle etische, meist kontrastive Herangehensweise blickt hingegen von außen auf den Untersuchungsgegenstand und strebt nach möglichst objektiven und allgemeingültigen Normen und Definitionen. Aufgrund der zeitlichen und (kultur)räumlichen Distanz liegen ihre Grenzen dabei in der Identität des Betrachters und seinem kulturhistorischen, sozialen etc. Hintergrund. So steht etwa eine ‘aufgeklärte’, rationale Sichtweise dem Verständnis magischer Phänomene häufig im Wege und führt vielmehr zu den bekannten (ab)wertenden Beurteilungen von Magie z.B. als ‘pervertierter Religion’, ‘primitiver Wissenschaft’. 16 Beiden Betrachtungsweisen eignen neben unbestreitbaren Vorteilen erhebliche Risiken: Während die etische Betrachtungsweise, die bewußt oder unbewußt die Distanz des Außenstehenden wahrt, ein analytisches Instrument für Theoriebildung und Konzeptualisierung bereitstellt, versucht der emische Ansatz, auf der Basis antiker Quellen, Wahrnehmung und Beurteilung des Phänomens aus der internen Perspektive zu rekonstruie- 13 Vgl. hierzu auch Graf (1996, 24-29), der sich mit der griechischen Begriffswelt auseinandersetzt. Zur negativen Bewertung von Wandermagiern, die von Tür zu Tür gehen und ihre Dienste in Form von ‘Zauberformeln’ ( §pagvga›w ) und ‘Behexungen’ ( katad°smoiw ) anbieten, vgl. auch Plat. rep. 364C. Zu diesen und ähnlichen Textstellen bei Platon vgl. Audollent 1904, CXVII; Björck 1938, 117; Eitrem 1941, 51-53; Preisendanz 1972, 3f.; Watson 1991, 196, Anm. 16; 204; Ogden 1999, 5; Graf 2002, 97-100; Stratton 2007, 45f. 14 Vgl. Frazer 1968, 70-87, bes. 74-78. Hierzu z.B. auch Mauss/ Hubert (1966, 13), die dieses Abgrenzungskriterium für unzureichend halten. Vgl. ebenso Zeininger 1978, 144f.; Graf 1996, 29; 198-203. 15 Vgl. z.B. Bernand 1991, 44-48; Graf 1996, 24-29; Stratton 2007, 26-30. 16 Vgl. die Zusammenfassung der Standpunkte bei Smith 1995. Zur grundsätzlichen Problematik des Konzeptes ‘Religion’ vgl. z.B. Ehlich 1997, 337-341; Bremmer 1998, 10-14; Rüpke 2001a, 20f.; Stolz 2001, 11-34. 28 ren. Der Gefahr der ethnozentrischen Projektion mit all ihren sehr allgemeinen und mitunter entkontextualisierten oder anachronistischen Theorien stehen somit kulturspezifische Kleinstkonstrukte gegenüber, die zwingend einem Bedeutungswandel unterliegen und auch kontrastive Studien erschweren. Diese Kontroverse ist jedoch keineswegs auf die Antike beschränkt, sondern setzt sich etwa auch im Hinblick auf christliche Religionen in modernen westlichen Gesellschaften fort. 17 Die vorliegende Arbeit strebt die Synthese von Quellenauswertung und theoretischem Überbau an. Hierfür sollen die Ergebnisse, die sich durch die sprachwissenschaftliche Untersuchung der ‘Fluchtafeln’ ergeben, in einen größeren theoretischen Zusammenhang gestellt werden, ohne von ihrem spezifischen Entstehungs- und Verwendungskontext zu abstrahieren. Die vorwiegend analytische Aufarbeitung dieser Texte kann wiederum Interdependenzen zwischen ‘magischen’ und ‘religiösen’ Glaubenssystemen aufdecken, die sich gegenseitig speisen und gemeinsame Denk- und Handlungsmuster aufweisen. Neben den formalen Entsprechungen sei etwa auch das die Beziehung zwischen Mensch und Gottheit kennzeichnende Prinzip der ‘Reziprozität’ (do, ut des ‘ich gebe, damit du gibst’) genannt, das nicht nur religiöse Handlungen im Götterkult determiniert, sondern auch in den defixionum tabellae seinen Niederschlag findet (s. z.B. A: IV.4.1.4). Die Verwendung des Terminus ‘Magie’ erfolgt bewußt und im Einklang mit C. A. Hoffman, demzufolge mit jeder Magiedefinition, trotz ihrer Arbitrarität, dem Forscher ein Werkzeug an die Hand gegeben wird, das „provide[s] us with the means to analyze what we find interesting about the materials we consider.“ 18 Die Konzeptualisierung von ‘Magie’ schließt sich dabei an den wertneutralen und auf der Auswertung antiker Quellen fußenden Kategorien von F. Graf an: ‘Magie’ ist in diesem Sinne zu verstehen als eine reich dokumentierte Tradition von Handlungen, deren Ausübung an praktischen Zielen ausgerichtet ist und auch geschäftsmäßig betrieben werden kann. Ihre Ausübung basiert in vielen Fällen auf dem Kontakt zu numinosen Mächten, untersteht aber keinem bestimmten offiziellen Kult und wird nicht öffentlich praktiziert. 19 Im Gegensatz zu F. Grafs Auslegung ist jedoch der agierende Personenkreis deutlich weiter zu fassen: Wie von M. W. Dickie kürzlich anhand von antikem Quellenmate- 17 Z.B. in Bezug auf die den Sakramenten der römisch-katholischen Kirche zugeschriebene Heilswirkung ex opere operato. Vgl. hierzu etwa Ratschow 1991, 690: „Der Vollzug dieser Riten ex opere operato begründet ihre Bezeichnung als magisch oder als Magie.“ 18 Hoffman 2002, 194. 19 Vgl. z.B. die von Mauss/ Hubert (1966, 16) formulierte vorläufige Definition magischer Rituale als „tout rite qui ne fait pas partie d’un culte organisé, rite privé, secret, mystérieux et tendant comme limite vers le rite prohibé.“ Diese Definition erfolgt dabei explizit nicht nach formalen, sondern nach kontextuellen Kriterien. Vgl. auch aktuell Lambert 2004, bes. 74-78. 29 rial ausgearbeitet und dargelegt wurde, 20 sind Ausübung und Überlieferung magischer Praktiken in der Antike nicht allein Angelegenheit eines esoterischen Kreises von Spezialisten, sondern auch in weiten Teilen der Bevölkerung anzutreffen (s. A: II.4.2.3). Einen weiteren Bezugspunkt stellt das von der pragmalinguistischen Theorie geprägte Magieverständnis des Ethnologen und Ritualforschers S. J. Tambiah dar, das durch die Arbeiten von F. Graf, C. A. Faraone, D. Ogden u.a. Eingang in die Diskussion um antike Magie gefunden hat und dort fruchtbar gemacht wurde. Dieser Ansatz, der sich insbesondere mit Handlungsdimension und -kontext magischer Rituale auseinandersetzt, legt das Augenmerk auf die sprachliche Komponente als konstitutiven Bestandteil des magischen Aktes, der als „performativer Akt“ 21 zu deuten ist. II.2 Forschungsgeschichte und -lage Von den publizierten ca. 1600 Zaubertafeln sind knapp zwei Drittel mit griechischen, nur etwa 600 mit lateinischen Texten beschriftet (s. auch B: I.2). Die Erforschung der defix iones ist daher überwiegend altertumswissenschaftlich (epigraphisch, archäologisch, religionswissenschaftlich oder soziokulturell) ausgerichtet; vorgelegt wurden Corpora sowie Überblicks- oder Einzelstudien. Die nachfolgenden Ausführungen zum Forschungsstand beziehen sich auf grundlegende Veröffentlichungen, mit Hauptaugenmerk auf der wissenschaftlichen Aufarbeitung der lateinischsprachigen Täfelchen. Besonders berücksichtigt werden dabei die in der vorliegenden Arbeit ausgewerteten bzw. in die Datenbank aufgenommenen Textsammlungen. II.2.1 Texteditionen, Bibliographien Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Fluchtafeln dürfte bis auf den Kanoniker Nicolo Ignarra in Neapel zurückgehen, der von einer 1755 in Bruttium gefundenen Erzplatte (Aud. 212) 1796 einige Zeilen veröffentlichte. 22 Wenngleich sich bald herausstellt, daß die vermeintliche ‘Fluchtafel’ keine ist, wird so das Studium dieser Kleinstinschriften eingeläutet. Mit der Publikation dreier attischer Tafeln entsteht im Jahr 1813 die erste Monographie 20 Vgl. Dickie 2001, 20f.; 26. Einschränkend ist jedoch zu bemerken, daß literarische Quellen nicht vorbehaltlos als Zeugnisse der antiken Realität zu werten sind, da etwa wiederkehrende, an die Lesererwartung gekoppelte exotische Stereotype, misogyne Überzeichnungen o.ä. zu erwarten sind, die bei Aus- und Bewertung des Inhalts berücksichtigt werden müssen. Zu der Darstellung der „wicked women“ in der römischen Literatur vgl. bes. Stratton 2007, 71-96 (Zitat S. 73). 21 Vgl. Tambiah 1978, 259 (s. A: I.2). 22 Preisendanz 1930, 119 (die Abkürzung Aud. bezieht sich auf das Standardwerk von Audollent 1904). Hierzu auch Gager 1992, 30, Anm. 3. 30 zu den defixionum tabellae, 23 der in kurzen Zeitabständen weitere Untersuchungen zu kleineren Zusammenstellungen griechischsprachiger defixiones folgen. Die systematische Erforschung der ‘Fluchtafeln’ setzt um die Wende zum 20. Jahrhundert mit zwei umfangreichen Corpora ein: Der von R. Wünsch 1897 herausgegebene Appendix zu den Inscriptiones Atticae, der über 200 aus dem gräkophonen Sprachraum stammende Täfelchen umfaßt, enthält in der Praefatio eine Liste lateinischer ‘Fluchtafeln’. 24 Fortgeführt und ergänzt werden die Studien zu den griechisch- und lateinischsprachigen defixiones u.a. durch die vom selben Autor 1898 veröffentlichte Sammlung Sethianische Ve rfluchungstafeln aus Rom sowie durch die Abhandlung „Neue Fluchtafeln“ aus dem Jahr 1900. 25 Die Aufschlüsselung der Inschriften wird von einem philologischen und onomastischen Kommentar begleitet und durch bibliographische Angaben, Erläuterungen zu den Fundumständen sowie dem soziokulturellen und religionswissenschaftlichen Kontext ergänzt. Die erste umfassende eigenständige Sammlung und Bearbeitung der defixionum tabellae erscheint 1904 mit der Dissertation A. Audollents (Defixionum Tabellae). 26 Sie enthält 305 Tafeln, davon 113 in lateinischer Sprache, und fußt u.a. auf den von R. Wünsch besorgten Texteditionen. In der Tradition des Corpus Inscriptionum Latinarum stellt das (ausschließlich auf Latein abgefaßte) Werk eine nach den römischen Provinzen geordnete Zusammenstellung des epigraphischen Materials dar; die Präsentation erschöpft sich in der diplomatischen Umschrift auf der Grundlage eines uneinheitlichen und nicht explizierten Klammersystems. Defixionum Tabellae (DT) enthält keine Abbildungen der Inschriften, sondern nur vereinzelte Abzeichnungen, denen allein optische Gestaltung und Organisation der Texte zu entnehmen sind. Eine Überprüfung der Lesungen ist daher vielfach nicht möglich. Die bescheidenen philologischen Kommentare und paläographischen Lesehilfen, die jeweils im Apparat festgehalten sind, beruhen nicht immer auf Autopsie, sondern wurden aus vorangehenden Einzeleditionen übernommen. Daneben bietet A. Audollents Monographie jedoch ein ausführliches Prooemium zum Untersuchungsgegenstand; in den detaillierten Indice s sind u.a. onomastische, paläographische und sprachliche Phänomene festgehalten. Aufgeführt werden auch verschiedene „formulae defigendi“ bzw. „devotoriae“, 27 die überwiegend nach Tempus- und Modusverwendung klassifiziert sind. 23 Åkerblad 1813. 24 Wünsch 1897, XXV-XXIX (28 defixiones; die ex-votos aus Amélie-les-Bains). 25 Wünsch 1898; ders. 1900. 26 Audollent 1904. Zu den von Audollent ausgewerteten Editionen s. auch den „Index Librorum“ (Audollent 1904, VII-XVI). 27 Audollent 1904, LXXIVf.; 474-498. 31 Die größte Beeinträchtigung des wissenschaftlichen Gesamtwerts der Defixionum Tabellae liegt in der paläographisch-editorischen Aufarbeitung der Inschriften und dem Mangel an Transparenz, der die Forschungsergebnisse einer Verifikation und Korrektur entzieht. 28 Obwohl die Lesungen heute zum größten Teil als veraltet gelten dürfen, sind sie seither nur partiell überarbeitet oder mit Lesungen von Neufunden abgeglichen worden. 29 Da konkurrierende wissenschaftliche Arbeiten fehlen, bildet die Dissertation A. Audollents allerdings nach wie vor den unumgänglichen Ausgangspunkt für die Bearbeitung und weitere Beschäftigung mit diesem Textmaterial (s. auch B: I.2). Als erste umfangreichere Ergänzung zu dem von A. Audollent herausgegebenen Corpus kann die 1920 von M. Besnier publizierte Zusammenstellung gelten, die 61 im Zeitraum von 1904 bis 1914 edierte lateinischsprachige ‘Fluchtafeln’ in einfacher Textumschrift umfaßt. 30 Diese Arbeit stellt eine Kompilation fremder Forschungsergebnisse dar, die weder einer Überprüfung unterzogen noch transparent gemacht werden. Neben einigen bibliographischen Hinweisen zu Kommentaren und Anthologien finden sich keine weiteren Informationen zu Forschungssituation oder Kontext. Die in den darauffolgenden Jahrzehnten anwachsende Zahl neupublizierter Funde in beiden Sprachen wird von K. Preisendanz in zwei nach geographischen Kriterien geordneten Bibliographien (1930; 1935) verzeichnet. 31 Zusätzlich wird ein Überblick über den forschungsgeschichtlichen Hintergrund, maßgebende Editionen und spezielle Sachstudien gegeben, wobei auch Publikationen zu Amuletten und anderem ‘Zaubergerät’ aufgenommen sind. Über 30 Jahre später liefert E. García Ruiz (1968) eine Zusammenstellung von defixiones, die ausdrücklich nicht in DT erscheinen. 32 An die Bibliographie, die 100 lateinischsprachige Tafeln umfaßt, schließt sich eine philologische Untersuchung an. Im Jahr 1969 wird „[e]ine Übersicht über lateinische Fluchtafeln, die sich nicht bei Audollent und Besnier finden“ 33 von H. Solin publiziert, im Anhang zur editio princep s einer defixio aus Ostia. Aufgelistet und geographisch sortiert sind 48 lateinischsprachige Täfelchen, die „nach 1914 publiziert oder aus irgendeinem Grunde in den 28 Vgl. hierzu etwa Solin 1995, 569f.; 576; Bartoletti 1990, bes. 10. 29 Bereits 1905 publiziert R. Wünsch im Corpus Inscriptionum Latinarum eine Aufstellung der Kreuznacher Tafeln, wobei er nicht auf Audollents Monographie Bezug nimmt, vgl. CIL 13, 2, 1, 7550-7555 (DT 94 - 102 = dfx 5.1.4⁄1 - 5.1.4⁄9). Neulesungen wurden verschiedentlich auch von Solin in den Analecta Epigraphica vorgelegt, eine Zusammenstellung findet sich in: Analecta Epigraphica 1970-1997. Roma 1999, 52f.; 60; 77-79; 127f.; 289-292; 297-301; 315-319. 30 Besnier 1920. 31 Preisendanz 1930; 1933. 32 García Ruiz 1967. 33 Solin 1968, 23. 32 genannten Sammlungen nicht aufgenommen worden sind“. 34 Da diese offenbar unabhängig voneinander entstandenen Sammlungen das seit M. Besniers Publikation (1914) hinzugekommene Material bearbeiten, ergeben sich zahlreiche Doppelnachweise. 1988 erscheint R. S. O. Tomlins Monographie zu den 1979 und 1980 im britischen Bath (Aquae Sulis) gefundenen ‘Fluchtafeln’ in lateinischer Sprache. Die Arbeit zeichnet sich durch eine instruktive Einführung in den Untersuchungsgegenstand, zahlreiche Abbildungen bzw. Abzeichnungen und detaillierte Einzeltextkommentare aus. 35 Ein Novum sind vor allem die durchgängig gebotenen Übersetzungen ins Englische sowie die ausführlichen Apparate. Die beigefügten tabellarischen abecedaria der Buchstabenformen, die die Ausführungen zu den paläographischen Besonderheiten Britanniens ergänzen, gewährleisten die Überprüfbarkeit von Transkriptionen und Lesungen. Nach diesem Vorbild wurde im Jahre 1993 ein Teil der defixiones aus dem britischen Uley von A. Woodward und P. Leach herausgegeben, die Gesamtpublikation dieser Funde steht noch aus. 36 Die editiones principes der britischen Neufunde, die in Darstellung und Aufarbeitung des Inschriftenmaterials denselben Richtlinien wie die o.g. Monographien verpflichtet sind, können der im Jahresabstand erscheinenden Zeitschrift Britannia entnommen werden. 37 Das 2002 von P.-Y. Lambert publizierte Recueil de s Inscriptions Gauloise s hält eine bibliographische Liste zu den kürzlich in Frankreich gefundenen lateinischen defixiones bereit. 38 Die Gesamtherausgabe der Funde aus dem Mainzer Magna-Mater-Heiligtum obliegt J. Blänsdorf und wird voraussichtlich 2008 als Defixionum Tabellae Mainz (DTM) publiziert. 39 Zu den griechischsprachigen defixiones nach A. Audollents Monographie liegen verschiedene sorgfältig dokumentierte Primäreditionen von D. R. Jordan vor, die das Inschriftenmaterial durch kontextuelle Informationen und Einzelkommentare erläutern; 40 diese weitaus umfangreichere Fundmenge ist vom selben Herausgeber in zwei umfangreichen Bibliographien zusammengetragen. 41 Als aktuelle Studien seien die zwei Monographien zu den bereits edierten defixiones aus Sizilien und den Neufunden aus Attica von Maria López Jimeno genannt, deren Schwerpunkt auf der 34 Ebd. Die angekündigte editorische Arbeit harrt der vom Autor angekündigten Überprüfung und Vervollständigung. 35 Tomlin 1988. 36 Woodward/ Leach 1993. 37 Vgl. hierzu auch Tomlin 2004, 11. 38 Lambert 2002, 246. 39 Vgl. hierzu den vorläufigen Grabungsbericht Witteyer 2003; ders. 2004. Elf Tafeln wurden bereits vorab publiziert und sind in die Datenbank aufgenommen (dfx 5.1.5⁄2 - dfx 5.1.5⁄12). 40 Z.B. Jordan 1985b; ders. 1988; ders. 1999. 41 Jordan 1985a; ders. 2000. 33 Untersuchung sprachlicher Phänomene und struktureller Textelemente liegt. 42 II.2.2 Anthologien, Kompendien, Sekundärliteratur Neben den primären Texteditionen existieren zahlreiche Sammlungen unterschiedlicher thematischer Ausrichtung, die auch der disparaten Publikationssituation entgegenwirken. Als Vertreter einer besonderen epigraphischen Gattung bzw. als nicht-literarische Quellentexte werden die defixiones in verschiedene spezielle Corpora und Anthologien aufgenommen. Ein eigenes Kapitel ist ihnen z.B. in den Inscriptiones Latinae libera e rei publicae 43 sowie in der sprachhistorisch orientierten Textauswahl Du latin aux langues romanes gewidmet. 44 Sprachsystematische Betrachtungen wie Grammatiken des Spätlateins, aber auch Sprachgeschichten stützen sich auf diese Sprachdokumente, da sie gerade für die Erforschung des nicht-literarischen Sprachgebrauchs sowie der Dia-Varietäten des Lateins eine wichtige Grundlage bilden. 45 Mit dem Aufkommen der ersten Texteditionen und -kommentare seit Beginn des 20. Jahrhunderts widmen sich verschiedene Studien den Zaubertafeln, wobei dem umfangreicheren griechischen Material deutlich der Vorzug gegeben wird. 46 Einträge zu den defixiones finden sich auch in verschiedenen Lexika zur antiken Lebenswelt und zu volkstümlichen Glaubensvorstellungen. 47 Als grundlegende Einführung in den Gegenstand ist der 1972 erschienene Artikel von K. Preisendanz hervorzuheben, der die Traditionslinie dieser magischen Praxis von ihren Ursprüngen bis in christliche Zeit nachzeichnet. 48 Ende der 1980er Jahre nimmt das Interesse an diesen Quellendokumenten deutlich zu. Diese neueren Veröffentlichungen, in deren Mittelpunkt erneut die griechischen ‘Fluchtafeln’ stehen, legen dabei den Akzent insbesondere auf soziokulturelle oder religionswissenschaftliche Aspekte. So 42 López Jimeno 1991; ders. 1999. Vgl. insbesondere auch die Darstellung des Forschungsstandes in López Jimeno 1991, 8-10. 43 Degrassi 1957-1963 (Bd. II, 1963, 319-326, Nr. 1144-1150); ebenso z.B. Dessau 1892- 1916 (Bd. II.2, Nr. 8746-8757); Diehl 1909, 82 (Nr. 799-802); ders. 1910 (Nr. 850-863); Maxfield 1995, 134-137 (Nr. 265-268). Als Einträge finden sich die defixiones z.T. auch in den online verfügbaren elektronischen Corpusversionen, z.B. in der Epigraphischen Datenbank Heidelberg (EDH). 44 Iliescu/ Slusanski 1991, bes. 43-47 („C. Tabellae defixionum“). Ebenso z.B. Diaz y Diaz 1962, 73-78. („Tabellae defixionum“). 45 Z.B. Tagliavini 1964, 171f.; Väänänen 1981, 16. In Kiesler (2006) werden die defixiones erstaunlicherweise nicht erwähnt. 46 Vgl. etwa Wünsch 1912; Hopfner 1938; Bonner 1950, bes. 103-122 („VIII. Aggressive Magic“). 47 Vgl. z.B. Kuhnert 1901; Ziebarth 1940. Daneben auch Aly 1929/ 30. 48 Vgl. Preisendanz 1972. Zu erwähnen ist auch der Eintrag im Dizionario epigrafico (= Cesano 1910). 34 setzt sich C. A. Faraone mit der besonderen ‘agonistischen’ Gesellschaftsstruktur im frühen Griechenland als Entstehungshintergrund für die Zauberinschriften auseinander, 49 während H. S. Versnel die Verbindung zwischen Sühneinschriften, Rachegebeten und den defixiones herausarbeitet. 50 1992 publiziert J. G. Gager eine Auswahl bereits edierter ‘Fluchtafeln’ , in der die lateinischen defixiones gegenüber den griechischsprachigen ebenfalls deutlich unterrepräsentiert sind. Die Vorzüge dieser Anthologie liegen in der Bereitstellung von Paralleldokumenten, z.T. auch aus anderen Kulturräumen, und den reichhaltigen Literaturangaben. Allerdings beschränkt sich der Autor bei der Präsentation der Zauberinschriften auf eine Übersetzung ins Englische, ohne die Originaltexte vorzulegen. 51 Ein gesondertes Kapitel zu „Defixionen und Zauberpuppen“ 52 findet sich auch in F. Grafs Monographie Gottesnähe und Schadenzauber (1996), einer „überarbeitete[n], erweiterte[n] und […] verbesserte[n] Fassung“ 53 der französischen Originalausgabe aus dem Jahre 1994. Neben den Texten und Formeln der defixiones finden auch der rituelle Hintergrund und das Verhältnis zwischen applizierter und präskriptiver Magie besondere Berücksichtigung. Allerdings basieren nahezu alle Erkenntnisse auf der Untersuchung griechischer Quellen. 1999 trägt D. Ogden die neuesten Forschungsergebnisse zu den ‘curse tablets’ im Rahmen einer Magiegeschichte Europas zusammen. Aufgegriffen werden auch aktuelle Fragestellungen, z.B. nach dem Geschlecht der Akteure, und verschiedene Aspekte des Entstehungskontextes. Als „Sourcebook“ zur antiken Magie versteht sich auch die 2003 erschienene Monographie desselben Autors. Die Kapitel „Curses“ bzw. „Erotic Magic“ halten neben einer stichwortartigen Einführung u.a. einige defixiones (in englischer Übersetzung) mit kurzem Kommentar bereit. Parallelmaterial wird ebenfalls vorgestellt und besprochen. 54 Daneben existieren zahlreiche neuere Artikel und Monographien zu Magie und Hexenwesen in der griechisch-römischen Antike, in denen die ‘Fluchtafeln’ als Quellendokumente aufgenommen und ausgewertet sind; 55 auch die meisten dieser Arbeiten sind stark hellenozentrisch ausgerichtet. Den vielfältigsten Beziehungen inhaltlicher und formaler Natur zu angrenzenden Gebieten tragen verschiedene Spezialstudien Rechnung, die etwa die Gemeinsamkeiten mit dem römischem Rechtsformular oder der grie- 49 Vgl. Faraone 1991. 50 Vgl. Versnel 1987; ders. 1991. 51 Gager 1992. Vgl. auch die Einschätzung von Brodersen 2001a, 59, Anm. 4: „nicht immer zuverlässig“. 52 Graf 1996, bes. 108-157 (Kap. 5: „Defixionen und Zauberpuppen. Aspekte des Schadenzaubers“). 53 Ebd., 7. 54 Ogden 1999; ders. 2002, 210-244. 55 Tupet 1976; ders. 1986; Luck 1990; Bernand 1991; Dickie 2001. 35 chischen Fluchdichtung zum Gegenstand haben. 56 Eine neue Arbeit, die sowohl griechisches als auch lateinisches Material einbezieht, setzt den Schwerpunkt auf die Verwendung der defixiones im Rahmen des antiken Sports. 57 II.2.3 Spezialstudien: Sprache, Schrift, Ritual Verschiedene Abhandlungen wenden sich der Sprache der defixiones zu. Bereits 1908 widmet der Philologe M. Niedermann ausgewählten sprachlichen Phänomenen einen kurzen Artikel und legt somit den Grundstein für die sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Quellenmaterial. 58 1912 folgt die knappe sprachliche Beschreibung der im selben Jahr herausgegebenen „Johns Hopkins Tabellae Defixionum“ 59 aus Rom (dfx 1.4.4⁄8 - 1.4.4⁄12), einer Serie von fünf sehr komplex aufgebauten und nahezu identischen Zauberinschriften. Auf die philologische Untersuchung der defixiones ist auch die 1918 erschienene Dissertation M. Jeannerets La Langue des Tablettes d ’Exéc ration latines angelegt. 60 Die Untersuchungsgrundlage bilden 103 der 113 lateinischsprachigen Zauberinschriften aus A. Audollents Corpus, erweitert um 22 Exemplare aus fünf verschiedenen Publikationen; die Texte werden dem Leser allerdings nicht zur Verfügung gestellt. Diese Studie setzt sich mit den morphologischen, phonetischen und syntaktischen Besonderheiten sowie dem Lexikon der lateinischen ‘Fluchtafeln’ auseinander, wobei sie auf eine Sammlung sprachlicher Fakten beschränkt bleibt. Die 1968 erschienene „Sprachstudie“ von E. García Ruiz, die von einer umfangreichen Bibliographie ergänzt wird, orientiert sich explizit an der philologischen Arbeitsweise M. Jeannerets. 61 Auf die Sprache der defixiones aus Bath konzentriert sich ein im Jahre 1992 erschienener Artikel von J. N. Adams, dem die Arbeit von R. S. O. Tomlin zugrundeliegt. Tafel für Tafel werden die Lesungen besprochen und z.T. revidiert. 62 Das 2003 von demselben Autor verfaßte Werk zu Zweisprachigkeit und Sprachkontakt im Römischen Reich hebt insbesondere auf die kontextuellen Bedingungen des ‘code-switching’ ab; die Funktion von Sprach- und Schriftwechsel im Ritual wird u.a. anhand zweispra- 56 Huvelin 1901; Watson 1991, bes. 194-216 (Kap. 4: „The Hellenistic éra ! and the defixiones“). 57 Tremel 2004. 58 Niedermann 1908. 59 Vendryes 1912. Die Zählung bezieht sich auf die laufende Nummer der in die Datenbank aufgenommenen Täfelchen (s. auch B: I.2). 60 Jeanneret 1916/ 17 bzw. 1918. 61 Vgl. García Ruiz 1967, 55: „This paper complements M. Jeanneret’s study on the ta bellae.“ 62 Adams 1992. 36 chiger defixiones analysiert. 63 In seiner 2007 erschienenen Monographie The regional diversification of Latin 200 BC - AD 600 werden die Fluchtafeln wiederum als Zeugnisse zur Erforschung der „regional varieties of Latin“ 64 herangezogen. Im Jahre 1929 legt E. Kagarow die erste primär textbasierte Studie zum griechischen Inschriftenmaterial vor. Im Rahmen der Analyse bestimmt er die festen Elemente und Stilmittel der Texte, ferner isoliert und beschreibt er 18 verschiedene „Grundtypen der Struktur der Fluchformeln“. Neben einer kurzen Einführung, in der sich der Autor insbesondere mit der Psychologie des Fluches und seiner Stellung im antiken Griechenland auseinandersetzt, bietet seine Abhandlung auch ein Kapitel zur formalen Entwicklungsgeschichte der Fluchformeln. 1991 greift C. A. Faraone den Ansatz E. Kagarows zu den „Grundtypen“ der Verfluchungsformeln wieder auf, wobei er das Formelinventar von 18 auf vier elementare „styles“ 65 zurückführt und in Anlehnung an den ‘performativen’ Ansatz von J. L. Austin z.T. neu definiert. Zu den paläographischen Besonderheiten der defixiones legt Guglielmo Bartoletti 1990 eine gesonderte Studie vor, die insbesondere den Entwicklungslinien der auf den Bleilamellen verwendeten Schrifttypen gewidmet ist. 66 Der 1938 von G. Björck publizierte Kommentar zu einem christlichen Fluchtext auf Papyrus enthält einen aufschlußreichen Exkurs zur defix io, in dem auch die Problematik bestimmter Formeltypen behandelt wird. 67 Die Arbeit gibt nicht nur kommentiertes Quellenmaterial an die Hand, sondern setzt sich im Gegensatz zu vielen Parallelstudien insbesondere mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden im außersprachlichen Kontext von defixio, öffentlichem Fluch und dem sogenannten ‘Rachegebet’ auseinander. In aktuellen Studien gehen etwa F. Graf und K. Brodersen der komplexen Interaktion zwischen Mensch und Gottheit im Rahmen des defixio- Rituals auf den Grund, indem sie sich mit kommunikativen Prozessen von religiösen und magischen Operationen auseinandersetzen. 68 II.2.4 Stand der Forschung Insgesamt gesehen stellt sich der aktuelle Forschungsstand, insbesondere im Hinblick auf die lateinischsprachigen Täfelchen, als uneinheitlich, unübersichtlich und vielfach überholt dar: Auf der einen Seite erweist sich im Falle der frühesten Funde die Qualität der publizierten Lesungen als prob- 63 Ders. 2003, 43-47. 64 Ders. 2007, 4. 65 Faraone 1991, 10 (s. auch A: IV.2.3). 66 Bartoletti 1990. 67 Björck 1938, bes. 112-138 („Zweiter Exkurs: Zu den Defixionstafel und den Sühninschriften“). 68 Graf 1997; Brodersen 2001b. 37 lematisch, Überprüfungen der editiones principes sind die Ausnahme. Die Zahl sorgfältiger Arbeiten nimmt allerdings, nicht zuletzt dank des gewachsenen Forschungsinteresses und einer verfeinerten Methodik, deutlich zu. Auf der anderen Seite stellt sich das Problem der weiten Streuung an unterschiedlichen Publikationsorten: Für Neufunde existiert kein zentrales, regelmäßig aktualisiertes Erfassungsinstrument, statt dessen finden sich Editionen, Besprechungen oder Notizen vielfach in Ausgrabungsberichten, Museumskatalogen oder Spezialzeitschriften mit meist archäologischer Ausrichtung. Mit den dargelegten Qualitätsunterschieden der Texteditionen gehen auch Mängel und Schwächen der Sekundärliteratur bzw. weiterführender Studien einher, da zahlreiche Ergebnisse mangels Alternative teilweise auf veralteten oder korrekturbedürftigen Lesungen basieren. Ferner sind Publikationen zu den griechischen Zauberinschriften deutlich in der Überzahl. Dieses unausgewogene Verhältnis zeigt sich etwa auch daran, daß die lateinischen ‘Fluchtafeln’ nie den Gegenstand einer profunden textgebundenen Untersuchung bilden und auch keine entsprechenden Arbeiten linguistischer oder ritualtheoretischer Natur vorliegen. Letztlich ist auch die genaue Zahl der bekannten lateinischsprachigen Dokumente strittig, zumal vereinzelte Publikationen nicht beachtet oder rezipiert bzw. Doppelnennungen nicht immer konsequent herausgefiltert wurden; selbst die Année Épigraphique ist hier lückenhaft. Nach H. Solin gibt es aktuell mehr als 400 (bearbeitete) lateinische Täfelchen, 69 D. Ogden spricht von „a subtotal of over 500“. 70 Nach Auswertung sämtlicher zugänglicher bibliographischer Angaben oder vergleichbarer Hinweise ergibt sich ein Gesamtbestand von 579 Inschriften in lateinischer Sprache, die in der Forschungsliteratur unter der Bezeichnung defixio subsumiert werden (s. auch B: I.2). Vor diesem Hintergrund erwiesen sich Zusammenstellung und Aufbereitung aller verfügbaren Publikationen zu den lateinischen defixiones als dringend notwendig; ein eingehend kommentiertes Corpus a ll e r tabellae defixionum als Ausgangspunkt für weitergehende und vertiefende Untersuchungen bleibt jedoch ein dringendes Desiderat der Forschung. 71 II.3 Terminologie Es existieren verschiedene antike und moderne Termini für die bisher als defixio oder ‘Fluchtafel’ bezeichnete Zauberform. 72 Diese Vielfalt, in der sich der Blick auf den einen Gegenstand aus unterschiedlichen Perspekti- 69 Vgl. Solin 1995, 570. 70 Ogden 1999, 4. 71 Vgl. hierzu auch die Einschätzung von Brodersen (2001a, 60f.). 72 Zur antiken Terminologie vgl. z.B. Cesano 1910, 1565; Bernand 1991, 75-77; Pocetti 1995, 265f.; Ogden 1999, 5 (mit weiterer Literatur). 38 ven spiegelt, kann über einige wesentliche Aspekte der Zauberhandlung Aufschluß geben. In einem ersten Schritt hin zu einer Gesamtdarstellung sollen die verwendeten Begriffe genauer betrachtet sowie ihre Verbindung zu den zentralen Elementen der Zaubertexte kurz dargelegt werden. II.3.1 Antike Namenvielfalt Das griechische Substantiv kat-desmow , wörtlich ‘Fest’-, ‘Hinabbindung’, wird etwa von Platon verwendet und kann als zeitgenössische Bezeichnung der magischen Praxis gelten. 73 Dem Terminus liegt die Verbform kata-d°v ‘ich binde hinab’ zugrunde, die bereits in den frühesten ‘Fluchtafeln’ aus dem 6. und 5. vorchristlichen Jahrhundert begegnet. In der Literatur findet sich die Wortfamilie um kat-desmow auch mit der allgemeinen Bedeutung ‘Verzauberung’, ‘Verwünschung’. Auf den lateinischen Inschriften tritt die Verwandtschaft mit dem griechischen Formelinventar an den entsprechenden Verbformen ligo ‘ich binde’ und ihren präfigierten, intensivierenden Derivata, insbesondere alligo und obligo, zutage. Semantisch angrenzende Bezeichnungen finden sich insbesondere auch in entsprechenden selbstreferentiellen Überschriften (spät)antiker Ritualpräskripte: 74 Im Hinblick auf die terminologieprägende Handlung des ‘Hinabbindens’ ist neben kat-desmow möglicherweise auch kay-mmata 75 nachweisbar ; eher selten erscheint der Terminus kat-yema 76 ‘Hinabweihung’, in dem sich ein anderer Handlungswert der magischen Operation reflektiert. Je nach Anwendungsmotivation und -situation begegnen auch zusammengesetzte Formen wie z.B. filtrokat-desmow 77 ‘Liebes-Bindezauber’, ‘Liebes-Zwang’. Die hemmende und bezwingende Wirkweise der benannten Zauberhandlung läßt sich besonders gut an Spezialtermini fassen, die einen bestimmten Aspekt der Zauberwirkung fokussieren, wie z.B. fimvtikÒn ‘Knebelzauber’, ÍpotaktikÒn ‘Unterjochungszauber’, k-toxow ‘Festhaltezauber’. 78 In der vielfältigen Terminologie spiegeln sich nicht 73 Plat. rep. 364C; vgl. hierzu auch Preisendanz 1972, 1-3 (s. auch A: II.1). 74 Dabei handelt es sich hauptsächlich um die sogenannten Papyri Graecae Magicae (PGM), eine Sammlung griechischsprachiger Zauberrezepte (s. auch A: III.2.2). Vergleichbare lateinischsprachige Corpora sind nicht auf uns gekommen. 75 Vgl. PGM III 279 (diese Textstelle ist fragmentarisch). 76 Dabei handelt es sich um die Eigenbezeichnung auf einer griechischen Zaubertafel aus Zypern (DT 22, 24). Hierzu auch Gager 1992, 132-136, Nr. 45. 77 PGM IV 297. Zur Terminologie des Liebeszaubers vgl. auch Winkler 1991, bes. 231f.; Faraone 1999b, 28 (s. auch A: IV.5.3). 78 Alle drei Bezeichnungen finden sich in PGM VII 396f. Zu dieser Zauberform im Verhältnis zu den defixiones vgl. auch Hopfner 1938, 135; 137. Neben der metaphorischen Manipulation von Schreibtäfelchen existieren zahlreiche andere magische Verfahren mit dem Ziel der Hemmung und Behinderung, die etwa nur aus einer Opferhandlung oder einem Gebet bestehen. 39 zuletzt die breit gefächerten Einsatzmöglichkeiten der magischen Handlung wider. Nicht vor dem 6. nachchristlichen Jahrhundert belegt ist hingegen der in der Forschungsliteratur geläufige Terminus technicus, das lateinische defixio, das sich von defig er e ‘durchbohren’, ‘festbannen’ ableitet. 79 In den Glossen des Philoxenos wird defixio als Überbegriff für verschiedene magische Praktiken ausgewiesen; 80 gestützt wird diese Semantik etwa durch die pseudo-paulinischen Sentenzen aus dem 3. Jahrhundert. 81 Ob es sich bei dem Terminus tatsächlich um eine genuin selbstreferentielle Bezeichnung handelt, ist aufgrund der Quellenlage jedoch nicht zu entscheiden: In den Zaubertafeln selbst erscheint das Nomen defixio nicht, das zugehörige defig er e hingegen ist als zentraler Formelbestandteil gut nachweisbar. 82 Ferner erscheint das Verb defig er e auch außerhalb von Zauberformularen und -inschriften, z.B. in der kaiserzeitlichen Literatur, wo es vielfach im übertragenen Sinne von ‘verwünschen’ verwendet wird. 83 Beide Termini, das griechische kat-desmow wie auch das lateinische defixio, heben nicht nur auf die gewünschte Lähmung und Behinderung des Zielindividuums ab, sondern referieren insbesondere auf die tatsächliche Manipulation eines Objekts, meist des Schreibtäfelchens, das zeichenhaften Wert besitzt. Obwohl diese Manipulationsart auch für die griechischen kat-desmoi nachweisbar ist, 84 prägt der Vorgang der ‘Durchbohrung’ inte- 79 Vgl. ThlL 5.1, 356, 82f. 80 defixiones: nekuomant ! ai, kat-desmow ‘Totenbeschwörungen’, ‘Bindezauber’ (Glossaria Latina II, 166, Nr. 169), vgl. z.B. Kuhnert 1901, 2377; Önnerfors 1993, 159, Anm. 6. Zur Bewertung dieser recht umstrittenen Quelle vgl. Ogden 1999, 5 (mit Verweis auf LSJ s.v., ii.40). 81 Vgl. Paul.sent. 5,23,15: qui sacra impia nocturnave, ut quem obcantarent defigerent obligarent, fecerint faciendave curaverint, aut cruci affiguntur aut bestiis obiciuntur ‘Wer frevlerische nächtliche Opfer durchführt oder durchführen läßt, um jemanden zu verhexen, zu binden, zu verzaubern, soll ans Kreuz geschlagen oder den Zirkustieren vorgeworfen werden’ (Übersetzung nach Graf 1996, 226, Anm. 124). Zu den pseudopaulinischen Sentenzen sehr ausführlich Liebs 1993, 28-109; ders. 1997. Vgl. ebenso Rives 2003, 328-334; Lotz 2005, 78 (s. auch A: II.4.2.1). 82 Auf einer Tafel aus Bath (dfx 3.2⁄3) findet sich die kryptische Buchstabenfolge ABC- DEFX. Hierbei handelt es sich um ein ‘magisches’ Alphabet, das von dem Herausgeber Tomlin (1988, 108, Nr. 1) als ABCDEFiXio interpretiert wird. Hierzu auch Ogden 1999, 48f. Das Verb defigere wird hingegen insgesamt auf 16 Täfelchen verwendet (s. auch A: IV.2.3). 83 Einen ersten Eindruck vermitteln ThlL 5.1, 342, 31-44; Forcellini 2, 607f. 84 Aufgrund des archäologischen Befundes kann nicht klar entschieden werden, ob diejenigen Täfelchen, die keine Nagelspuren o.ä. aufweisen, vielleicht mit organischen Materialien festgebunden wurden, so wie es auch in einigen Zauberanleitungen gefordert wird (z.B. PGM V 344; VII 452f.). Hierzu stellt bereits Münsterberg (1905, 724) in seiner Rezension der Defixionum Tabellae fest, daß es sich bei der metaphorischen Umwicklung der Bleitafel wohl nicht um einen alten Brauch gehandelt haben kann. Dieser Behauptung steht aber z.B. die wahrscheinlich älteste lateinischsprachige defixio aus Pompeji (dfx 1.5.4⁄1) entgegen. Dabei handelt es sich ein von einem Bleiband zusammengehaltenes Dyptichon. 40 ressanterweise nur Terminologie und Formelinventar der lateinischen Zaubertafeln. Bereits im archaischen Rom besitzt das Eintreiben von spitzen Gegenständen als metaphorische Handlung einen besonderen Stellenwert: Das Einschlagen von Nägeln dient etwa der ‘Festbannung’ von Seuchen. 85 Ebenso berichtet der Dichter Horaz von dem clavus trabalis, 86 dem ‘Balkennagel’, mit dem die dira Neces sitas, 87 die ‘grausige Göttin der Notwendigkeit’, das Schicksal niet- und nagelfest macht und damit für seine unabänderliche Verbindlichkeit sorgt (s. auch A: III.3.6). Die Vorstellung, eine Krankheit durch ihre ‘Defigierung’ bezwingen zu können, liegt auch dem Rezept zur Heilung epileptischer Anfälle zugrunde, das durch Plinius d. Ä. überliefert ist. 88 Die metaphorische Handlung der ‘Durchbohrung’, die für die Bannung von Unheil und Gefahr eingesetzt wird, ist folglich nicht auf den Schadenzauber beschränkt, sondern in unterschiedlichen Lebensbereichen nachweisbar. In den o.g. zentralen Bezeichnungen reflektieren sich zwei grundlegend unterschiedlich gedachte Wirkweisen der Zauberhandlung: Der magischen Operation des ‘Bindens’ steht, zumindest potentiell, die des ‘Lösens’ gegenüber. 89 Die Durchbohrung stellt indessen per se eine invasive, nicht umkehrbare Handlung dar und geht insofern über eine punktuelle Immobilisierung des Opfers hinaus, als sie zugleich auf das Zufügen einer physischen Verletzung verweist. 90 Gerade in späteren Jahrhunderten differenziert sich die Zauberform dementsprechend in zwei entgegengesetzte Richtungen aus: Auf der einen Seite kommt der Irreversibilität der magischen Handlung eine zunehmende Bedeutung zu, was sich im rekurrenten Schädigungs- und Tötungswunsch der kaiserzeitlichen defixiones unter Gladiatoren, Wagenlenkern u.ä. dokumentiert. Auf der anderen Seite weisen die sogenannten ‘Gebete für Gerechtigkeit’, eine Sonderform unter den 85 Zum Einschlagen eines Nagels in die Cella Iovis, das mit der Bannung der Pest in Verbindung steht, vgl. Liv. 7,3,3. Zur Funktion des ‘Saecularnagels’ vgl. Wissowa 1912, 126; 288; 430; Latte 1960, 154; Flach 1994, 45-49. Im Zusammenhang mit dem Schadenzauber vgl. auch Blümner 1899b, 482; Kuhnert 1901, 2374f.; Cesano 1910, 1558; 1562; Preisendanz 1972, 19. 86 Vgl. Hor. carm. 1,35,18. 87 Hor. carm. 1,35,18; 3,24,6. Interessanterweise findet sich die Nennung der Schicksalsgöttin Necessitas, die als Ananke ( ÉAn-gkh) in den Zauberpapyri eine große Rolle spielt, auch auf den lateinischen Täfelchen, z.B. dfx 11.2.1⁄24; 11.1.1⁄26. Zu Ananke auch Wünsch 1898, 94-96; Kuhnert 1901, 2374; Cesano 1910, 1562; Kagarow 1929, 10f.; Watson 1991, 195 (s. hierzu auch A: III.3.6.3). 88 Vgl. Plin. nat. 28,63 (s. auch A: V.3.2.1). 89 Vgl. z.B. die Anleitungen PGM XII 160-178. Hierzu auch Michel 1954; Eitrem 1954. Auch Münsterberg (1905, 724) weist darauf, daß das griechische de›n ‘binden’ ursprünglich im medizinischen Sinne für eine Lähmung verwendet wird, die sich etwa infolge von Weingenuß, insbesondere für Gliedmaßen und Zunge, einstellen kann. 90 Vgl. z.B. Gager (1992, 30, Anm. 1), der Jordan zitiert: „Defixio […] may well refer to a different kind of operation […] from what katadesmos refers to.“ 41 Zauberinschriften, bisweilen ‘Löseklauseln’ auf, die von der Aufhebbarkeit der magischen Wirkung zeugen. Wie bereits im Zusammenhang mit dem griechischen Eigennamen kat-yema ‘Hinabweihung’ angesprochen, kann durch synonym verwendete Bezeichnungen für die magische Operation ein zusätzlicher Aspekt der Zauberhandlung expliziert sein (s.o.). Im Lateinischen trifft dies insbesondere auf den Begriff devotio zu: 91 Im Rahmen der ‘Feindesweihe’ (devotio hostium) 92 wird das feindliche Heer den Mächten der Unterwelt zur Vernichtung überlassen; bei der devotio ducis handelt es sich um eine öffentliche Selbstweihe, die der Feldherr zu Beginn eines Kampfes vollziehen kann, um den Sieg seines Heers sicherzustellen. 93 Das zugehörige Verbum devover e findet sich auf den defixionum tabellae als rekurrentes Formelelement wieder, was nicht zuletzt die Bedeutung der Götterweihung im Rahmen der magischen Operation anzeigen kann (s. auch A: IV.3.2). Je nach Kontext nehmen die Termini verschiedene Bedeutungen an. So findet sich devotio in der frühen Kaiserzeit, im Zusammenhang mit der Verehrung des Gottkaisers, als Ausdruck für verschiedene Arten des Selbstopfers zum Wohl des Princeps; 94 im Sinne von ‘Ehrerbietung gegenüber Gott’ erscheint die Bezeichnung etwa in christlichen Schriften. 95 Die semantische Konvergenz der Termini devotio und defixio dokumentiert sich auch in ihrer literarischen Verwendung: In der Augusteischen Dichtung, in der nachklassischen Geschichtsschreibung, in spätantiken medizinischen Traktaten etc. werden beide Nomina und ihre zugehörigen Wortfamilien nahezu gleichbedeutend im Sinne von ‘Verwünschung’ oder ‘Verzauberung’ verwendet. Verschiedene andere Eigenbezeichnungen erscheinen nur auf einer speziellen Ausprägung der Zauberinschriften, den sogenannten ‘Gebeten für Gerechtigkeit’, wieder und zeigen somit auch deren Sonderstatus an (s. auch A: II.4.3.3). Hierzu zählen z.B. donatio ‘Gabe’ sowie commonitorium 91 Bereits Audollent (1904, XXXVI-LXI) moniert die unsaubere Trennung von defixio und devotio. Hierzu auch Önnerfors 1993, 159, Anm. 6; Pocetti 1995, 265f.; Graf 1996, 116f. 92 Versnel (1976, 366) in Abgrenzung zur devotio ducis. 93 Die zuverlässigste Referenzquelle bildet der Bericht des Livius (8,6,10; 10,28,13) über die devotio der Decier. Zur devotio (ducis) vgl. auch Wissowa 1903; ders. 1912, 383-385; Winkler/ Stuiber 1957, 849-852; Speyer 1969, 1210f.; Versnel 1976; Rüpke 2001b, 117f.; 164; Graf 2005a, 262-264. Das Konzept der devotio ist bis heute in der Fachliteratur unterschiedlich weit gefaßt. 94 Vgl. Winkler/ Stuiber 1957, 853-858. 95 Z.B. Lact. inst. 5,22,17 (vgl. hierzu z.B. Winkler/ Stuiber 1957, 858). Mit dieser Bedeutung begegnet der Begriff möglicherweise auch auf einem Täfelchen aus Uley (dfx 3.22⁄2): ‘mögen sie nicht eher Gesundheit erhalten, als sie […] dem Gott (Mercur) die Ehrerbietung, die er selbst von ihnen verlangt hat, dargebracht haben’ (ut nec ante sanitatem habeant, nisi repraesentaverint […] deo devotionem, quam ipse ab his expostulaverit). Eine wahrscheinlichere Interpretation stammt von Versnel (1987, 21; 1991, 88), der devotio im Sinne von ‘Weihegeschenk’ o.ä. deutet. 42 bzw. petitio ‘Klage’. 96 Anders als etwa die Bezeichnung defixio nehmen diese Termini nicht Bezug auf die rituelle Handlung, sondern reflektieren das besondere Verhältnis des Zaubernden zu den involvierten numinosen Mächten. II.3.2 Moderne Fachtermini Auch die moderne Fachliteratur bietet je nach Perspektivierung verschiedene mehr oder weniger spezifische Termini für die Zauberform: Als geläufiger Ausdruck begegnet ‘Binde’- oder ‘Bannzauber’ (engl. ‘binding spell’), der auf das griechische kat-desmow zurückgeht. 97 Daneben wird oftmals die Bezeichnung ‘Schadenzauber’ verwendet; 98 unter diesem allgemeinen Überbegriff werden allerdings verschiedene in Wirkweise und Zweck voneinander abweichende magische Praktiken subsumiert. Weniger auf das Resultat als auf den Vorgang der aggressiven Einflußnahme verweist der von Th. Hopfner geprägte Terminus „Angriffszauber“: 99 Aufgenommen und näher bestimmt wird dieses Konzept von C. Bonner: Unter dem entsprechenden englischen Titel ‘aggressive magic’ figurieren magische Handlungen gegen eine andere Person, die folgendermaßen charakterisiert werden: [Their] attitude to the operator, whether friendly or unfriendly, is virtually ignored. The operator aims to control the will and the acts of this other person; the control may be exercised in a harmful way, but it is not necessarily ‘black magic’. 100 Aggression und Schädigung sind folglich weder Ausdruck von Abneigung und Feindschaft noch das letztliche Ziel der defix io, vielmehr dient der ‘Angriff’ gegen das Opfer als Mittel der Erfolgs- und Vorteilssicherung. Dies erklärt auch den Einsatz von defixiones in Herzensangelegenheiten. So spricht z.B. J. J. Winkler in Bezug auf den Liebeszauber von einem „in- 96 Zu den selbsteferentiellen Bezeichnungen vgl. auch Tomlin 1988, 59; 120; Versnel 1991, 87; Woodward/ Leach 1993, 121 (s. auch B: II.6.4.4). 97 Der Zusammenhang von ‘binden’ und verzaubern zeigt sich auch sprachlich in den verschiedensten Kulturkreisen. Vgl. hierzu etwa Aly 1927; Kagarow 1929, 25-27 (mit zahlreichen Beispielen). Dabei steht der negativen, hemmenden die positive, vereinende Bindung gegenüber. Unter dem Begriff ‘Binde- oder Bannzauber’ werden folglich die verschiedensten magischen Operationen subsumiert, vgl. etwa Eitrem 1954, 380: „Das Binden […] gehört zu den ältesten, wichtigsten u. überall verbreiteten magischen Handlungen […].“ Für den hethitischen Kulturraum vgl. z.B. auch Haas (1987-1990, 2345f.), wo das ‘Binden’ mit negativem Zauber gleichgesetzt ist. 98 Vgl. z.B. Aly (1929/ 30, 184), der die defixio als „Schadenzauber […], der durch Bilder oder durch Schrift verübt werden konnte“ beschreibt; ebenso Beth 1936. 99 Hopfner 1938, 135. 100 Bonner 1950, 103. Dieser Aspekt wird auch von Versnel (1991, 62) und Faraone (1991, 3f.) deutlich herausgestellt. 43 strumental view of erotic torments“, die als „inducement to action rather than ends in themselves“ 101 bewertet werden. Da das Opfer bei der Zauberhandlung nicht anwesend ist, begegnet ferner auch die Bezeichnung ‘Fernzauber’. 102 Eine eigene Problematik weist der in der Forschungsdiskussion gebräuchliche Terminus ‘Fluchtafel’ (engl. ‘curse tablet’) auf, da er eine Gleichsetzung von öffentlicher Verfluchung und privatem Schadenzauber impliziert. Moderne Bezeichnungen, die ähnlich dem lateinischen defixio auf die manuelle Ritualhandlung Bezug nehmen, existieren nicht, weshalb defixio regelmäßig als Terminus technicus beibehalten wird. Dies gilt auch für andere Elemente der Wortfamilie. So bezeichnet defigens den Ausführenden der defixio, defixus das anvisierte Opfer. II.4 Der außersprachliche Kontext II.4.1 Aus diachroner Sicht: Ursprung und Verbreitung II.4.1.1 Außerhalb des griechisch-römischen Kulturkreises Wie Funddichte und -verteilung zeigen können, ist die Tradition der defixio im gesamten Mittelmeerraum der Antike fest verwurzelt. Umstritten sind jedoch Ursprung und Herkunft. So geht F. Graf bei der Entwicklung der defixio nicht nur von einem Zusammenspiel religiöser und sprachlicher Elemente verschiedenster, sich wechselseitig beeinflussender Kulturen aus, sondern sieht diachrone Beziehungen insbesondere zur assyrobabylonischen Welt, deren Glaubensvorstellungen auch auf das hellenistische Griechenland ausstrahlen. 103 Für Mesopotamien kann die Existenz von Schadenzauberpraktiken aus zwei indirekten Quellen abgeleitet werden, die zugleich auf einen weitverbreiteten Glauben an ihre Wirksamkeit und Gefährlichkeit schließen lassen: Die assyrischen Zauberbücher, eine Kompilation von magischen Anleitungen aus dem 1. Jahrtausend v. Chr., enthalten neben Liebeszaubern und Divinationen auch universale Abwehr- und Gegenmittel, die Hilfe bei Verwünschung und Verzauberung versprechen. Dieselbe Angst vor Behexung äußert sich ferner auch in den Gesetzeswerken, nach denen die Ausübung des Schadenzaubers als Kapitaldelikt gilt und somit den schwersten Vergehen gegen die Gesellschaft, wie z.B. vorsätzlicher Tötung, gleichgestellt ist. Gerichtsprotokolle, die Fälle von Schadenzauber sowie die Manipulation oder Ablage von Zauberpuppen festhalten, bekunden zudem, daß magische Handlungen als soziale Realität akzeptiert werden. 104 101 Winkler 1991, 232. 102 Vgl. z.B. Beth 1930. Ein Beispiel aus 16. Jh. gibt Daxelmüller (2001, 246). 103 Vgl. Bernand 1991, 48-54; Graf 1996, 12; 154-157. 104 Vgl. z.B. Ebeling 1949; Abusch 1974; Bottéro 1987-1990; Haas 1987-1990, 240; Reiner 1987; Abusch 1999; Daxelmüller 2001, 21-23; 26f.; 50-52; Abusch 2002. 44 Die verschiedenen Bewältigungs- und Eindämmungsmaßnahmen geben allein die Perspektive der Geschädigten wieder, wodurch die Existenz des Schadenzaubers nur als Reflex, nicht als Praxis faßbar ist. Das Fehlen entsprechender archäologischer Funde führt F. Graf darauf zurück, daß die babylonische Gesellschaft nur passiv Kenntnis von schädigenden Zauberhandlungen besitzt, da, aufgrund der drohenden Sanktionen, dem Einzelnen eine aktive Ausübung unmöglich ist und demzufolge auf eine Kaste von professionellem Zauberpersonal projiziert werden muß. Anders als in der streng hierarchisierten, aber wenig agonistisch ausgerichteten assyrobabylonischen Gesellschaft fallen diese aggressiven „Ritualszenarien“ 105 im liberaleren Griechenland auf fruchtbaren Boden und werden dort in die Tat umgesetzt. Bei diesem Ritual- und Kulturtransfer innerhalb der Einheit des „vorderasiatisch-europäischen Raumes“ 106 spielen die von Platon bezeugten Wanderpriester eine entscheidende Rolle. Die bipolare, auf den speziellen Gesellschaftsstrukturen beruhende Gegenüberstellung von Mesopotamien und Griechenland ist jedoch nicht in allen Punkten plausibel. Zweifellos lassen sich zahlreiche Übereinstimmungen in Anwendungsbereich und Struktur feststellen: In beiden Fällen kommt die magische Operation zur Bewältigung von alltäglichen Nöten und Krisen wie amourösen oder beruflichen Problemen zum Einsatz. Gemeinsamkeiten bestehen z.B. auch im Hinblick auf die Ablagemodalitäten oder die sprachlich realisierte ‘Bindung’ der Zielperson. 107 Sowohl bei den präskriptiv festgehaltenen Zauberhandlungen assyrischer Handbücher als auch bei der applizierten Zauberform defixio handelt es sich letztlich um universelle Bewältigungsstrategien von großer Spannbreite, die mit naheliegenden metaphorischen Handlungen ausgeführt werden. Demgemäß führt etwa D. Ogden Entstehung und Verbreitung des Schadenzaubers auf ein interkulturelles Zusammenspiel, eine „magical koiné“ 108 im Mittelmeerraum, zurück, die von wanderndem Zauberpersonal mitgetragen wird. Dabei schreibt er gerade dem assyro-babylonischen Brauch, Statuetten von Feinden oder feindlichen Mächten herzustellen und zu zerstören, großen Einfluß auf die hellenistische defix io zu, verweist aber auf offensichtliche Parallelen aus angrenzenden Gebieten wie Ägypten oder Palästina. Trotz Ähnlichkeit und Vorzeitigkeit vergleichbarer Zauberhandlungen besteht 105 Graf 1996, 157. Zum Begriff ‘Ritual’ s. A: III.1. 106 Ehlich (1997, 340) spricht von einer auch an der Quellenlage faßbaren Kontinuität im „vorderorientalisch-europäischen Raum“. 107 Die Ablage in Gräbern ist auch beschrieben in Ma qlû II 182; IV 14; IV 27-30; in Brunnen: IV 38. Beides findet sich z.B. in PGM V 346f. Vgl. hierzu auch Graf 1996, 155. Der ‘Bindezauber’ erscheint z.B. in Ma qlû IV 9. Einführend zur Ritualanleitung Ma qlû vgl. z.B. Abusch 1974; ders. 1987-1990; ders. 2002, bes. 1-4. 108 Ogden 1999, 79. Ähnlich bereits Gager (1992, 26f.), der die Kulturen des Nahen Ostens und Ägyptens als „background“ (27) für den griechisch-römischen ‘Bindezauber’ bezeichnet. 45 für ihn keine Notwendigkeit, die defixio als bloßes Importprodukt zu begreifen. II.4.1.2 Griechenland Einen Schritt weiter geht C. A. Faraone, der aufgrund der Quellenlage die defixio als ein isoliertes Phänomen des griechisch-römischen Kulturraumes begreift und ihren Ursprung allein in der genuin griechischen Tradition sieht. 109 Tatsächlich stammen die frühesten Funde, die in das späte 6. Jahrhundert v. Chr. datiert werden, aus der griechischen Kolonie Selinunt auf Sizilien; den nächsten großen Fundkomplex bilden die kat-desmoi aus dem Athen des 5. vorchristlichen Jahrhunderts. 110 Von Kontinuität und Verbreitung der Zauberform in Griechenland zeugt auch die große Anzahl an ‘Fluchtafeln’: Von insgesamt ca. 1600 Zauberinschriften, die sich auf einen knapp tausendjährigen Zeitraum verteilen, sind mehr als zwei Drittel (ca. 1000 Stück) in griechischer Sprache abgefaßt. 111 II.4.1.3 Römisches Reich Ausgehend von der Magna Graecia (Süditalien und Sizilien) faßt diese magische Praxis auch auf der übrigen Apenninenhalbinsel Fuß, wobei ihre Sprache zunächst das Griechische bleibt. 112 Die wohl älteste lateinischsprachige ‘Fluchtafel’ (dfx 1.5.4⁄1) stammt aus einem samnitisch-römischen Grab bei Pompeji und wird in das 2. Jahrhundert v. Chr. datiert. 113 Auf diesen Zeitpunkt fällt auch der einzige bezeugte Prozeß auf der Rechtsgrundlage des Zwölftafelgesetzes, das bereits seit dem 5. Jh. v. Chr. ‘böse Gesänge’ (mala carmina) unter Strafe stellt (s. auch A: II.4.2.6). Die 21 in vorchristliche Zeit zu datierenden Zauberinschriften in lateinischer Sprache bleiben zunächst, mit Ausnahme eines Täfelchens aus Achaien, auf Italien (12) und Hispanien (8) begrenzt (s. C: II., Abb. 1). Etwa ab dem 1./ 2. nachchristlichen Jahrhundert verbreitet sich diese Zauberpraxis, möglicherweise durch römische Händler, Legionäre, Kolonisten oder auch durch Wandermagier, weit über das Ursprungsgebiet hinaus. Angesichts der Fülle materieller Funde aus den verschiedenen Provinzen des Römischen Reiches ist ein bedeutender Anstieg mit dem Prinzipat anzunehmen. Ein reges magisches Treiben wird auch durch die seit der julisch- 109 Faraone (1991, 3) spricht von einer „uniquely Greek form of cursing“. 110 Zu Sizilien: López Jimeno 1991. Zu Attika: Wünsch 1897; López Jimeno 1999. 111 Die Zahlenangabe von Tomlin (1988, 59) wird durch Faraone (1991, 3) und Ogden (1999, 3f.; 2002, 210) bestätigt. Eine kommentierte Gesamtedition steht noch aus. Zu neueren Veröffentlichungen vgl. Jordan 1985a; ders. 2000. Die Dokumentationslage der griechischen Täfelchen ist aufgrund der zahlreichen Neufunde weitaus unübersichtlicher. 112 Vgl. hierzu Preisendanz 1972, 18f. (mit Belegstellen). 113 Zur Zählung s. B: I.2. 46 claudischen Epoche zunehmend repressive Rechtslage sowie durch zahlreiche Magieprozesse bezeugt. Die auffällige Häufung von defixiones aus Germanien ist dabei größtenteils auf den Fundkomplex aus dem Heiligtum der Mater Magna in Mainz zurückzuführen (34 von 49). Gegenüber einer vergleichsweise konstanten Verteilung in den ersten beiden Jahrhunderten sind ab dem 2./ 3. Jh. n. Chr. deutliche Ballungsbewegungen zu erkennen, die sich von den ursprünglichen Verbreitungsgebieten entfernen und insbesondere die Provinz Britannien (150) betreffen. Die Konzentration der Funde verdankt sich auch in diesem Fall Sammeldepositionen in Tempeln und Kultstätten. Hierzu zählen vornehmlich die heilige Quelle in Aquae Sulis (Bath), die der eponymen Göttin Sulis geweiht ist, sowie das Merkurheiligtum in Uley. Einen ähnlichen Schwerpunkt bilden in der Provinz Afrika (66) die antiken nordafrikanischen Metropolen Hadrumetum (33) und Carthago (32). Auch in dieser Region lassen sich größere Ansammlungen in wenigen Ablagestätten, z.B. in einer römischen Nekropole bei Hadrumetum, ausmachen. Der Anzahl der Funde nach zu urteilen, dürfte der Zeitraum vom 2. bis zum 4. Jh. n. Chr. den Höhepunkt der magischen Praxis gebildet haben. Ab dem 4. nachchristlichen Jahrhundert gehen, parallel zu dem definitiven Siegeszug des Christentums im römischen Staat, die Zeugnisse für die Ausübung des Schadenzaubers stark zurück. Ein Zentrum bleiben in dieser Zeit weiterhin die Tempelkomplexe von Bath und Uley (mit insgesamt 56 von 89 Fundstücken), daneben finden sich noch Häufungen in anderen Randgebieten des Römischen Reiches. Die spätesten, in das 4./ 5. Jh. n. Chr. datierten Inschriften stammen aus den nördlichen gallischen Provinzen, vornehmlich aus dem Amphitheater des antiken Trier (14 von 16). II.4.2 Unter soziokulturellen Aspekten: Verortung und Stellenwert ‘aggressiver’ Magie im Licht antiker Zeugnisse II.4.2.1 Gesetzeslage Die Ausführung des Schadenzaubers geht im Verborgenen und unter strenger Geheimhaltung vor sich. Die defixio stellt keine offizielle, öffentlich ausgeführte Aktivität dar, sondern ist durch ihr aggressives, antisoziales Element am Rande der Legalität anzusiedeln (s. auch A: III.3). Dies spiegelt sich z.B. in dem Bestreben der Agierenden, Geheimhaltung und Anonymität zu wahren. Da der Schadenzauber zum Tode führen kann, folglich den Einzelnen wie das Kollektiv bedroht und überdies kaum kontrollier- und nachweisbar ist, wird er in Rom von Anfang an geahndet: 114 Bereits ab dem 5. Jh. v. Chr. verbietet das Zwölftafelgesetz (duodecim tabulae), das zumindest in formeller Hinsicht nie aufgehoben wird, gemein- 114 Zur Gesetzeslage in Griechenland vgl. etwa Gager 1992, 23f.; Gordon 1999a, 244-252; Stratton 2007, 64-69. Zur Beurteilung von Magie in Griechenland, auch anhand literarischer Beispiele, vgl. Stratton 2007, 39-69. 47 schaftsschädliche magische Praktiken ausdrücklich und stellt sie unter Strafe: Tafel VIII enthält Bestimmungen gegen ‘böse Gesänge’ (mala carmina). 115 Daneben finden sich ebendort die elementaren Rechtsgrundsätze einer archaischen Agrargesellschaft, deren primäres Anliegen im Schutz der Erträge von Feldern und Bäumen besteht. 116 Trotz aller Probleme und Gefahren, die die Quellenlage birgt, legt gerade Fragment 8,8a die Existenz eines Zauberliedes nahe, das die Macht besitzen soll, das Erntegut aus einem fremden Feld „herauszusingen“. Ergänzt wird dieser Passus durch einen Vers aus den Eklogen des Vergil, aus dem hervorgeht, daß magische Handlungen dazu eingesetzt werden können, ‘Ernteerträge anderswohin zu überführen’ (alio […] traducere mes si s), mitunter eben auf das eigene Feld. 117 Durch seine Aufnahme in diesen Teil des Gesetzeswerkes wird der Schadenzauber auf eine Stufe mit der heimlichen Aberntung und Vernichtung fremden Getreides gestellt. Dabei handelt es sich um ein Vergehen, das nach Ausweis von Plinius d. Ä. mit dem Tode bestraft wird und mitunter schwerer wiegen kann als Mord. 118 Die einzige überlieferte Anklage, die auf der Rechtsgrundlage des Zwölftafelgesetzes erhoben wird, fällt in das frühe 2. Jahrhundert v. Chr. und endet mit einem spektakulären Freispruch. Repression und Bestrafung magischer Handlungen werden in den nachfolgenden Jahrhunderten von staatlicher Seite konsequent fortgeführt 115 Der Kenntnis des Wortlautes liegt nicht die originale Bronzeinschrift zugrunde, sondern allein Zitate und Paraphrasen von Autoren ab dem 1. Jh. v. Chr. So entstammt Fragment 8,1a (qui malum carmen incantassit) dem enzyklopädischen Werk des älteren Plinius (vgl. Plin. nat. 28,17), der das malum carmen als Zauberspruch auffaßt, während es von Cicero nach Ausweis von Augustin (civ. 2,9) als Schmähgedicht gedeutet wird, vgl. Tupet 1986, 2592-2601; Flach 1994, 165; 171f.; 186; Dulckeit/ Schwarz/ Waldstein 1995, 67; Gordon 1999a, 253f.; Liebs 1999, 217; Dickie 2001, 142f.; Rives 2002, bes. 279-288. Allgemein verfassungs- und rechtsgeschichtlich zum Zwölftafelgesetz vgl. Flach 1994, 39f.; 109-207; Dulckeit/ Schwarz/ Waldstein 1995, 54- 59; Liebs 1999, 20-26. 116 Vgl. die zwei Fragmente der Tafel 8: Der Wortlaut von 8,8a (qui fruges excantassit) und 8,8b (neve alienam segetem pelleris) ist durch antike Autoren bezeugt (8a: Plin. nat. 28,17; 8b: Serv. ecl. 8,99). Eher skeptisch äußern sich z.B. Seneca (nat. 4,7,2f.) und Apul. (apol. 47,3). Hierzu z.B. Tupet 1986, 2610-2617; Flach 1994; 171; 186; Dulckeit/ Schwarz/ Waldstein 1995, 67; Gordon 1999a, 253f.; Liebs 1999, 198f.; Rives 2002, bes. 273-279; Lotz 2005, 68-72. Vergleichbare magische Praktiken, die im Ruf stehen, das Getreidefeld eines Mitmenschen zu schädigen, werden z.B. noch im 8. Jahrhundert auf der Grundlage der Lex Baiuvariorum geahndet, vgl. hierzu Daxelmüller 2001, 102- 108. 117 Vgl. Verg. ecl. 8,99 und den zugehörigen Kommentar des Servius: traducere messes: magicis quibusdam artibus hoc fiebat, unde est in XII ta bulis: NEVE ALIENAM SEGETEM PELLERIS. 118 Das nächtliche Mähen fremden Getreides gilt als Kapitalverbrechen, das bei Erwachsenen mit der Todesstrafe, bei Jugendlichen mindestens mit Schlägen geahndet wird, vgl. Plin. nat. 18,12. Hierzu z.B. Flach 1994, 39; 171f. 48 und kodifiziert: 119 Im Jahre 81 v. Chr. werden die duodecim tabulae durch das Sullanische „Dolchmänner- und Giftmischergesetz“ ergänzt: Dem „unerklärlichen, plötzlichen Todesfall“ 120 wird der „sichtbare Tod durch Waffeneinwirkung“ 121 gegenüberstellt. Mit der lex Cornelia de sicariis et veneficiis steht nun dieselbe Strafe auf Brandstiftung, Meuchelmord und ‘Giftmischerei’ (veneficium), heimtückische, im Verborgenen verübte Verbrechen. Letzterer Tatbestand kommt nach antiker Auffassung der Ausführung des Schadenzaubers gleich, da veneficium „jede Aktion [bedeutet], die einen plötzlichen und unerwarteten Tod zur Folge hat, sei es durch Gift, sei es durch andere heimliche Mittel.“ 122 Ergänzt wird das Sullanische Gesetz, auf dessen Grundlage später auch der Prozeß gegen den nordafrikanischen Schriftsteller Apuleius geführt werden wird, durch verschiedene Senatsbeschlüsse, die sich gegen die Verabreichung bestimmter Pharmaka und gegen „bösartige Kulthandlungen“ 123 richten. Hierauf nehmen auch die spätkaiserzeitlichen pseudo-paulinischen Sentenzen Bezug (s.u.). Etwa zeitgleich setzt eine strengere Gesetzgebung gegen Hellseher und Zukunftsdeuter ein. Nachdem es bereits im 2. und 1. vorchristlichen Jahrhundert zu Ausweisungen von Astrologen, Magiern und anderem Zauberpersonal aus Rom und Italien kommt, ergeht im Jahre 11 n. Chr. ein erstes Edikt gegen Wahrsager, welches, von Augustus auf Anraten des Maecenas erlassen, das juristische Fundament für die spätere Strafverfolgung magischen Handelns legt. 124 Hierzu zählt u.a. die systematische Vernichtung von Weissagungen, unter denen sich möglicherweise auch Zaubertexte befinden. 125 Augustus’ Nachfolger Tiberius weitet die Bestimmungen auf die haruspices, die ‘Opferschauer’, aus; 126 erstmalig läßt er zu Beginn seiner Amtszeit 119 Zur Strafverfolgung von Magiern u.a. vgl. Mommsen 1899, 639-643. Sehr ausführlich Dickie 2001, 142-161 (Kap. 6: „Constraints on Magicians in the late roman republic and under the empire)“, bes. 154; Lotz 2005, 68-96, bes. die Übersichten 69; 80f. 120 Graf 1996, 47. 121 Ebd. Vgl. Dig. 48,8,3,2 (Marcian, Institutiones XIV): hominis necandi causa. Hierzu z.B. Graf 1996, 40-48; Liebs 1997, 146f.; Dickie 2001, 145-152; Lotz 2005, 73-75. Zum Stellenwert der Digestae, einem Kompilationsprodukt aus verschiedenen (jeweils im Titel angegebenen) Juristenschriften, innerhalb der Rechtsliteratur vgl. z.B. Liebs 1999, 97- 100; Dulckeit/ Schwarz/ Waldstein 1995, 313-315. 122 Graf 1996, 46. Vgl. auch Dickie (2001, 145), der von veneficium als „highly ambiguous term“ spricht. Ebenso Flach 1994, 184; Gordon 1999a, 255f.; Rives 2003, 327. 123 Dig. 48,8,13 (Modestin, Pandectae XII): mala sacrifica. Zur Gesetzgebung gegen Magie u.ä. vgl. Mommsen 1899, 635-643; Liebs 1993, 202f.; ders. 1997, 147; Lotz 2005, 75f. 124 Vgl. Cass. Dio 56,25,5. Vgl. hierzu z.B. Luck 1962, 73, Anm. 71; ders. 1990, 59; Liebs 1997, 147; Dickie 2001, 154f. 125 Vgl. Suet. Aug. 31,1. Die Vernichtung von Zauberschriften ist durch Livius (25,1,6-12) auch für das 3. Jh. v. Chr. bezeugt. Zur Vernichtung von Zauberbüchern vgl. z.B. Tupet 1976, 199; Betz 1986, xli. Für den Gesamtkontext der Büchervernichtung vgl. auch z.B. Speyer 1981, 54f.; 59f.; 64; 69-71; 74. 126 Der Grund für diese Maßnahme ist der Prozeß gegen Marcus Scribonius Libo Drusus, der sich aufgrund einer Weissagung Hoffnungen auf den Kaiserthron machte. 49 (16 n. Chr.) auch 45 Magier und 85 Magierinnen hinrichten. 127 Diese strenge Handhabung gilt jedoch nicht nur in Rom, sondern erstreckt sich auch auf die Provinzen, wie z.B. ein Rundschreiben des Präfekten Q. Aemilius Saturninus aus dem Jahre 199 n. Chr. für Ägypten bestätigen kann, welches Divination auf der Grundlage „übermenschlichen Wissens“ 128 mit der Todesstrafe ahndet. Bezeugt wird diese Praxis auch von Ulpian (170-223), der in seinen juristischen Schriften über die Gesetzeslage in den Provinzen den severischen Usus rechtfertigt, für einheimische Astrologen und Seher die Verbannung, für Ausländer sogar die Todesstrafe zu veranschlagen. 129 Auf eine Verschärfung der Rechtspraxis verweisen auch die in der Tradition Ulpians stehenden pseudo-paulinischen Sentenzen vom Ende des 3. Jahrhunderts, in denen u.a. die Herstellung eines poculum 130 (‘Zaubertrank’) und das Abhalten bzw. Veranlassen von sacra impia nocturnave 131 (‘bösartige nächtliche Kulthandlungen’) aufgenommen sind (s.o.). An die zwölf kaiserlichen Edikte vergleichbaren Inhalts ergehen allein im Laufe des 4. nachchristlichen Jahrhunderts: Nach Konstantin I., für dessen Regierungszeit die erste christlich geprägte Gesetzgebung zu Magie bezeugt ist, setzt sich die Unterdrückung magischer Praktiken durch christliche Kaiser (z.B. Constantius II., Valentinianus I., Valens, Theodosius I. und II., s.u.) in beiden Teilen des römischen Reiches fort. 132 Schließlich werden die ursprünglich getrennt geahndeten Deliktgruppen Schadenzauber und Zukunftsdeutung ab dem 5. Jahrhundert n. Chr. zu einem einzigen Straftatbestand zusammengefaßt und auf das härteste bestraft: In dieser juristischen Tradition veranschlagen die christlichen Gesetzeswerke, der Codex Theodosianus (publiziert 438 n. Chr. unter Kaiser Theodosius II., s.o.) und der Codex Iustinianus (publiziert 529-534 n. Chr. unter Kaiser Justinian I.), für magische Handlungen jeder Art die Höchststrafe, wie etwa Kreuzigung, Verbrennung oder die Hinrichtung durch wilde Tiere; 133 ebenso werden Die hierauf ergehenden zahlreichen Senatsbeschlüsse gegen mathematici und magi werden von Tacitus (z.B. ann. 2,27-32) als gerechtfertigt, aber erfolglos bezeichnet. Zur Ausweisung von Astrologen und Magiern aus Italien vgl. z.B. Suet. Tib. 36; Cass. Dio 57,15,8. Hierzu z.B. Graf 1996, 52f.; 79; Liebs 1997, 149; Dickie 2001, 193f.; 198-201. 127 Vgl. Dickie 2001, 154; 175; 192f. 128 P. Yale Inv. 299, 7 (nach Rea 1977, 153: „beyond human ken“). Hierzu z.B. Ritner 1995, 3355-3358. Ebenso Luck 1990, 59; Graf 1996, 62; Lotz 2005, 77. Zum Vorgehen gegen Magier in den römischen Provinzen vgl. Dickie 2001, 157f. 129 Vgl. Ulp. de officio proconsulis VII. 130 Paul.sent. 5,23,14: abortionis aut amatorium poculum. Vgl. auch Dig. 48,8,7 (Marcian, Institutiones XIV): venena: ad sanandum, ad occidendum, amatoria. Unter Todestrafe gestellt sind dabei nicht Herstellung und Verabreichung, sondern die Todesfolge. 131 Paul.sent. 5,23,15. Vgl. auch Dig. 48,8,13 (Modestin, Pandectae XII): mala sacrifica. 132 Vgl. Liebs 1997, 155f.; Flint 1999, 321f.; Dickie 2001, 251-272, bes. 255-257; Lotz 2005, 111-115; 120-122. 133 Vgl. Cod. Theod. 9,16 bzw. Cod. Iust. 9,18, vgl. Wünsch 1898, 68; Cesano 1910, 1559f. (mit zahlreichen weiteren Belegen); Luck 1990, 60; Liebs 1997, 148; Daxelmüller 2001, 78-80. Zu Inhalt und Sprache sehr ausführlich auch Lotz 2005, 97-183. Allgemein zu 50 Inquisitionen und Bücherverbrennungen angeordnet und durchgeführt. 134 Die scharfe Ablehnung von Zauberwerkzeug, die sich auch auf Amulette erstreckt, wird gerade aus den Schriften der Kirchenväter und den Konzilbeschlüssen ersichtlich. 135 In den nachfolgenden Jahrhunderten steht die Christliche Kirche dem Staat bei der Kriminalisierung und „Dämonisierung“ 136 des Zauberwesens tatkräftig zur Seite; der unverbrüchliche Glaube an die Kraft von Zaubermitteln, auch in christlichen Kreisen, ist aber weiterhin nicht zuletzt an Heiligenviten, patristischen Schriften und den Kanones abzulesen. II.4.2.2 Magieprozesse Komplementär zur Tradition der Gesetzgebung tritt die Angst vor aggressiver Zauberei auch in zahlreichen Magieanklagen als soziale Realität zutage. So bringt im Jahre 191 v. Chr. die Anklage gegen den Freigelassenen C. Furius Chresimus den ersten und einzigen dokumentierten Prozeß auf der Grundlage des Zwölftafelgesetzes ins Rollen. 137 Selbst wenn dieses Verfahren, wie viele danach, sehr wahrscheinlich eher auf eine (wirtschafts)politische Motivation schließen läßt, so spiegelt er doch wider, wie sehr der Schadenzauber als Bedrohung für das soziale Gefüge und folglich als straf- und prozeßwürdig empfunden wird (s.u.). Unter der verschärften Gesetzgebung der frühen Kaiserzeit lautet bei fünf von zehn durch den Historiker Tacitus (56-118) aufgezeichneten Prozessen die Anklage auf Schadenzauber, dessen Opfer, wie im Falle des jüngeren Germanicus, durchaus auch der Princeps oder Familienangehörige sein können. 138 Ebenso häufig findet sich der Tatbestand der Zauberei auch ohne machtpolitischen Hintergrund. Ebensowenig richten sich die Anschuldigungen ausschließlich gegen professionelles Zauberpersonal; der Kreis der diesen Rechtskodizes, von denen fast nichts erhalten ist, vgl. z.B. Liebs 1999, 86; 96f.; Dulckeit/ Schwarz/ Waldstein 1995, 305f.; 308-313. 134 Vgl. Speyer 1981, 136f.; Dickie 2001, 254f.; 262f. 135 Speziell zur Proskription von Amuletten vgl. z.B. Eckstein/ Waszink 1950, 407f.; Gager 1992, 260f.; Schmitz 1993, 67f. 136 Vgl. Flint 1999, 277 („demonisation of magic“). Vgl. hierzu auch Gager 1992, 261f.; Daxelmüller 2001, 74-94; Dickie 2001, 257-281; Lotz 2005, 194-201; 241-248. Zum Verhältnis von Magie und frühem Christentum vgl. auch Aune 1980; Velázquez 2001; Stratton 2007, 107-141. 137 Vgl. Plin. nat. 18,41-43. Zu Magieprozessen vgl. z.B. Hopfner 1928, 384f.; Graf 1996, 58-61; Liebs 1997, 149-158; Gordon 1999a, 253f.; Dickie 2001, 143-152; Lotz 2005, 71f. 138 Vgl. Tac. ann. 2,69 (magisches Komplott des Cnaeus Calpurnius Piso und seiner Frau gegen Julius Caesar Germanicus). Hierzu bes. auch Eck 1997. Ebenso Tac. ann. 4,52 (Anklage der Claudia Pulchra, Cousine der Agrippina, wegen Giftmischerei und devotiones gegen den Princeps); Tac. ann. 12,65 (Anklage der Domitia Lepida wegen devotiones gegen die coniux principis). Zu Magieanklagen speziell gegen Frauen vgl. auch Stratton 2007, 99-105. 51 Angeklagten umfaßt Mitglieder sozial niedriger Schichten wie Personen von hohem gesellschaftlichem Ansehen. 139 Hinter dem Prozeß gegen den Schriftsteller und Philosophen Apuleius (125-170) sind ebenfalls nicht allein ‘magische’ Gründe zu vermuten: Im Jahre 158/ 159 n. Chr. muß er vor Gericht erscheinen und wird schließlich angeklagt, die wohlhabende Aemiliana Pudentilla, Angehörige der Oberschicht der nordafrikanischen Stadt Oea (Tripolis) mit Hilfe eines Liebeszaubers aus dem Gift des lepos marinus und anderer Seetiere zur Heirat bewogen zu haben. Das Wissen um die Zubereitung eines solchen Trankes weist ihn als Kenner der Zauberkunst und folglich als Magier aus. Tatsächlich ist das Verfahren Teil der lokalen wirtschaftlich motivierten Heiratspolitik: Bereits vor der Eheschließung ist der gebildete Neuankömmling den örtlichen Großgrundbesitzern, die es auf die reichhaltige Mitgift der Pudentilla abgesehen haben, ein Dorn im Auge. Der Freispruch ist nicht zuletzt auf die glänzende Verteidigungsrede des Dichters selbst zurückzuführen, die in überarbeiteter Fassung vorliegt und zahlreiche kostbare Informationen über die Einstellung der Gesellschaft zu praktizierter Magie, insbesondere zu aggressiv-magischen Operationen, enthält. 140 Im übernächsten Jahrhundert stellt der Historiker Ammianus Marcellinus (330-395) den wertvollsten Zeugen für die Zunahme von Magieanklagen dar, die geradezu in einer Prozeßhysterie gipfeln. Ausführlich gibt sein Geschichtswerk Auskunft über die Unzahl von Verfahren unter den christlichen Kaisern Constantius II. und Valens (s.o.), die nicht selten mit Verbannung oder Tod des Angeklagten enden. 141 Schadenzauber gegen die Herrscherfamilie, Liebeszauber im Privaten und Wahrsagerei werden in beiden Hälften des Reiches mit derselben Schärfe geahndet. Dabei kommen viele Gerichtsverfahren, die auf der Basis fadenscheiniger Argumente und haltloser Denunziationen geführt werden, oftmals auch durch die Fälschung von Beweismaterial zum gewünschten Abschluß. Gesetzesvorschriften und Gerichtspraxis lassen auf den Glauben an Existenz und Effizienz magischer Operationen in weiten Teilen der römi- 139 Tac. ann. 4,22 (Anklage der Numantia auf der Grundlage der Lex Cornelia wegen Verzauberung des Ehemannes). Dabei steht der private Hausgebrauch neben der Konsultierung von magischem Fachpersonal: Vgl. Tac. ann. 16,30-31 (Geldbeschaffung der Servilia, um magische Operationen gegen die Prozeßgegner ihres Vaters Barea Soranus zu bezahlen). Hierzu z.B. auch Tupet 1976, 199-203; Graf 1996, 52; Dickie 2001, 198-201; Lotz 2005, 78. 140 Die Verteidigung des Apuleius ist in einer revidierten Version als Apologia oder De magia erhalten ist. Hierzu Abt 1908; Eitrem 1941, 77; Luck 1990, 31f.; 138-144; ders. 1999, 138-140; Rüpke 2001b, 169; Dickie 2001, 147-149; Graf 2002, 93-95; Rives 2003, 322-328. 141 Ammianus Marcellinus (19,12; 28,1; 29,2) berichtet von Verleumdungskampagnen, u.a. auch gegen Senatoren wegen Giftmischerei, die mit zahlreichen Hinrichtungen enden. Vgl. hierzu Liebs 1997, 152-154; Dickie 2001, 253-257; Lotz 2005, 123-125. Zu Magievorwürfen und -prozessen in der Spätantike vgl. insbesondere Lotz 2005, 218- 232. 52 schen Bevölkerung schließen: Die vordergründig auf Magievorwürfen basierenden Gerichtsverfahren können zwar durchaus einer gesellschafts- und machtpolitischen Motivation entspringen, 142 ohne die kollektive Furcht vor aggressiver Bezauberung wären sie jedoch weder denknoch durchführbar; vielmehr müßten die juristischen Maßnahmen gegen das Zauberwesen sowie ihre praktische Umsetzung ohne eine Gesellschaft als Trägerin entsprechender Vorstellungen und Überzeugungen als sinnlos und wahnhaft erscheinen. Die negative Bewertung des Zauberwesens durch die römische Gesellschaft drückt sich schließlich nicht nur in offiziellen Prozessen, sondern auch in spontanen Übergriffen gegen Verdächtige aus. 143 Die Gefahr der Verzauberung erscheint allgegenwärtig, was z.B. von Plinius d. Ä. direkt mit dem Ausspruch „Es gibt in der Tat niemanden, der nicht fürchtet, durch furchtbare Verwünschungen gebannt zu werden“ 144 bezeugt wird. Nicht zuletzt konstatiert selbst Cicero, allerdings mit einem unverkennbar ironischen Unterton, daß sein Gegenpart vor Gericht, C. Scribonius Curio, die plötzliche Gedächtnislücke während einer Verhandlung den cantiones einer gewissen Titinia zuschreibt. 145 II.4.2.3 ‘Zauberpersonal’ Parallel zu den ersten Zeugnissen für die magische Praxis defixio im Römischen Reich (2. bzw. 1. Jh. v. Chr.) finden sich keine Nachrichten über Wandermagier. 146 Spätestens jedoch mit dem 1. nachchristlichen Jahrhundert zeigt sich an Ausweitung und Verschärfung der Strafverfolgung, daß die Tätigkeit von zumeist fremden Astrologen und Magiern nicht mehr allein als zunehmende Bedrohung für die soziale Ordnung empfunden wird, sondern zugleich auch eine große Anziehungskraft ausübt. 147 Gleichzeitig weisen auch literarische Reflexionen und epigraphische Zeugnisse den Schadenzauber als ein Phänomen aus, das allen Schichten und Berufsgruppen der römischen Gesellschaft vertraut ist. 142 Zu dieser Bewertung der Magieanklagen vgl. z.B. Graf 1996, 79f.; Lotz 2005, 86-96. 143 Vgl. hierzu z.B. Dickie 2001, 142: „[T]here were spontaneous actions on the part of the populace to drive out a known or suspected magician who was felt to be a threat to the well-being of the community.“ 144 Plin. nat. 28,19. Hierzu z.B. Bäumer 1984, 97; Tupet 1986, 2596; Önnerfors 1993, 169f.; Rüpke 2001b, 167 (s. auch A: II.4.2.6). 145 Vgl. Cic. Brut. 217. Hierzu z.B. Tupet 1986, 2668-2675; Gager 1992, 120; Graf 1996, 56f. 146 Vgl. Graf 1996, 48: „Zwar kannte auch Rom wandernde religiöse Spezialisten, doch scheinen sie sich allein auf die Divination beschränkt zu haben.“ Die veränderte Situation in Rom legt Dickie (2001, 168-178) dar. Ganz im Gegensatz hierzu steht die Aussage für Griechenland durch Plat. rep. 364C: „Bettler und Wahrsager kommen zu den Türen der Reichen.“ Hierzu auch Björck 1938, 117; Gager 1992, 249; Graf 1996, 25- 29; 87; Dickie 2001, 62f. Zur Magie als Gegenstand der griechischen Historiographie und Philosophie vgl. auch Bernand 1991, 185-231. 147 Für die Astrologie wird dies z.B. dargestellt bei Lotz 2005, 82f. 53 Die Frage nach dem Verfasser der individuellen Zauberinschrift läßt sich aus der historischen Distanz nicht mehr zufriedenstellend beantworten; bereits in der älteren Forschungsliteratur finden sich hierzu divergente Aussagen. 148 Ebenso werden Produktionsprozeß und -bedingungen der defixionum tabellae auch aktuell noch kontrovers diskutiert. 149 Grundsätzlich läßt sich feststellen, daß die Beschaffung von Zubehör und Ingredienzien— üblicherweise ein Stück Blei und ein Schreibgriffel — sowie die Anfertigung der tabella kein Problem dargestellt haben dürften (s. auch A: III.3.1). Ebenso bestechen die frühesten defixiones, im Gegensatz zu den Zauberinschriften aus dem kaiserzeitlichen Nordafrika, durch ihre Einfachheit: Ein oder mehrere Eigennamen sowie wiederkehrende, leicht reproduzierbare Formeln sind die grundlegenden Elemente einer defixio und stellen auch für die private Ausübung kein Hindernis dar, zumal die Verwünschung „wie das Gebet […] allen Adressanten zur Verfügung [steht].“ 150 Für Schadenzaubertexte wie z.B. ‘all diese Menschen binde ich den Unterweltsgöttern hinab’ (hos homines omnes infe ris deis deligo) oder ‘so soll er nicht antworten können’ (sic non possit respondere) sind Fach- 148 Vgl. z.B. Wünsch 1898, 72: „[D]ie Anfertigung einer solchen Tafel [war] nichts Schwieriges, sondern konnte von jedem Manne vorgenommen werden“; ebenso stellt er für eine bestimmte Anzahl von Tafeln fest, daß sie „offenbar von e i n e r ungeübten Hand herrühren [und] man ganz den Eindruck [erhält], als ob diese Tafeln von einem Wagenlenker selbst verfertigt seien, der sich die Ausgaben für die Vermittlung eines Zauberers sparen wollte […]“ (76). Hieraus werde schließlich ersichtlich, „daß die Anschauungen des Zauberers auch den Wagenlenkern selbst bekannt waren […]“ (ebd.). Ebenso Blümner 1899b, 482 (zu den attischen defixiones): „Die Schreibenden scheinen meist dieselben Personen zu sein, von denen die Verfluchung ausging, nicht hierzu Beauftragte.“ Anders Audollent (1904, XLV), der aber hauptsächlich komplizierte ‘synkretistische’ Texte zur Untermauerung seiner These heranzieht. 149 So stuft Jordan (1985b, 210) z.B. die griechischen Täfelchen von der Agora als Resultat professioneller Magieausübung ein, was aber nicht zuletzt mit eben diesem besonderen Fundort zusammenhängen dürfte. Ebenso Graf (1997, 126f.), der sich explizit der Meinung Audollents anschließt und ausschließlich von professionell angefertigten defixiones ausgeht. Allerdings beziehen sich seine Analysen auf komplexe ‘synkretistische’ Texte, ferner sind auch die angeführten literarischen Beispiele (z.B. Hieron., Vita S. Hilarionis 12) insofern nicht aussagekräftig, als sie dem Befund für die lateinischsprachigen defixiones widersprechen. Zu demselben Schluß kommt Tremel (2004, 54f.), dessen Untersuchung jedoch vornehmlich auf nordafrikanisches Material abgestellt ist. Eine entgegengesetzte Position vertritt z.B. Tomlin (1988), der trotz räumlicher Einheit hinter dem Fundkomplex von Bath „not the work of professional scribes“ (85f.) sieht, sondern „a mixture of professional and amateur scribes“ (100); ebenso Gager 1992, 5; 20; Brodersen 2001a, 62. Dies gilt auch für den Mainzer Fundkomplex, vgl. den Kommentar von Blänsdorf (2005, 12) zu dfx 5.1.5⁄2 - dfx 5.1.5⁄12: „I conclude that many of the texts were conceived and inscribed not by professional sorcerers or their scribes, but by the authors of the curses, the defigentes, themselves.“ 150 Vorwort zu Brodersen 2001b, 8. 54 wissen oder spezielle Formularkenntnisse nicht erforderlich. 151 Ebensowenig dürfte die rituelle Operation im Vordergrund gestanden haben. Diese originäre Schlichtheit der defixio erklärt sich möglicherweise durch die typologische Nähe zum ‘bösen Blick’ (fascinum) bzw. dem ‘bösen Gesang’ (malum carmen). Dabei handelt es sich um die Ausübung schädlicher Kräfte, die jeden betreffen kann und nicht in einem rituellen Kontext verankert ist (s. auch A: V.3.3). In einigen Fällen zeigt auch die paläographische Untersuchung die Aktivität eines Laien an: Ein ungeübter und ungelenker Schriftduktus verweist nicht nur auf die mangelnde Schreibvertrautheit des Verfassers, sondern schließt auch die Mitwirkung eines professionellen Magiers nahezu aus. Ferner ist die große Varianz und Individualität an Handschriften auffällig, wie sie sich insbesondere im Fall größerer Fundkomplexe manifestiert (s. B: I.1.2). Gestützt wird die Aussagekraft der Paläographie durch die sprachlichen Daten, die sowohl eine große Entfernung zur ‘klassischen’ Sprache als auch die Vielfalt der sprachlichen Stile und Register bezeugen können (s. B: II.1). Weitere Aussagen auf der Grundlage der Verbreitung von Lese- und Schreibkenntnissen in der Antike können kaum getroffen werden, der Alphabetisierungsgrad der römischen Gesellschaft ist aber gerade in der jüngeren Forschungsliteratur zu gering eingeschätzt worden. 152 Zugleich sprechen verschiedene Befunde aber für die Beteiligung von Fachpersonal bei der Herstellung und insbesondere bei der Beschriftung der Bleilamellen: Aufgrund des Zusammenspiels von althergebrachten Techniken mit Traditionen aus den unterschiedlichsten, meist orientalischen Kulturkreisen entwickelt sich die Ausführung einer defixio im Laufe der Zeit zu einer komplexen Angelegenheit, welche die Konsultierung oder Einschaltung eines Fachmannes notwendig machen kann. Ein ‘synkretistisches‘ 153 Schadenzauberritual zeichnet sich nicht nur durch komplizierte magische Anweisungen und Formulare, sondern auch durch eine vielschichtige Dämonologie aus (II.6.1.2). Seine Ausführung kann die Hilfe eines professionellen Magiers erfordern, der mit den entsprechenden Kenntnissen die Täfelchen gegen ein Entgelt beschriftet und die zugehörige Ritualhandlung vollzieht (s.u.). 151 Hierzu z.B. Brodersen 2001a, 68: „Wie beim Gebet bedurfte es für die Erstellung des Textes zumindest in jener [klassischen und nachklassischen] Zeit keiner besonderen Kodierung, keines hochspezialisierten Formulars.“ 152 Eine minimalistische Position vertritt Harris, vgl. Harris 1983; ders. 1989 (für Rom bes. Teil 3). Als Reaktion auf Harris’ These ist der Aufsatzband Literacy in the roman world (Beard 1991) erschienen, der das Bild komplementiert und differenzierter darstellt. Sehr aufschlußreich ist auch der Aufsatz von Ingemark (2000-2001), der die weithin akzeptierte negative Meinung von Harris anhand der Fallstudie über die Provinz Britannien widerlegt. Zu seinen wichtigsten Zeugnissen zählen die defixiones aus Bath und Uley. Zur Geschichte des Begriffpaares litteratus - illiteratus von der Antike bis zum Mittelalter vgl. Grundmann 1958. 153 Vgl. hierzu Preisendanz 1972, 4; 11-18. 55 Neben den verschiedenen Zeugnissen für Existenz und Aktivität von Magiern können die ‘Fluchtafeln’ selbst über die Mitwirkung von Spezialisten unmittelbar Auskunft geben: Hierfür sprechen Textlänge und -komplexität sowie eine aufwendige Gestaltung, die Zauberworte und -zeichnungen umfassen kann (s. auch A: IV.2.3.2). In seltenen Fällen finden sich auch explizite Hinweise auf Herkunft oder Entstehungsmodalitäten, z.B. mit der Angabe ‘aus einer Zauberwerkstatt’ (ex officina magica). Eine professionelle Produktion bezeugen ferner auch Serienfunde, wie sie insbesondere für den nordafrikanischen Raum typisch, aber vereinzelt etwa auch in Rom anzutreffen sind. 154 Wie bereits mehrfach angeklungen, konzentrieren sich die Hinweise auf eine Beteiligung von magischem Personal klar auf die Provinzen Nordafrikas. Dieses Spezifikum ist in Zusammenhang mit dem Entstehungszeitpunkt der Täfelchen (2./ 3. Jh. n. Chr.) zu sehen, in dem sich ausgearbeitete und komplexe Zauberinschriften gegenüber der einfachen Ausführung durchsetzen (s. auch A: V.3.1). II.4.2.4 ‘Magische’ Kopiervorlagen Für die Erstellung umfangreicher oder komplizierter Texte kann auf ‘magische’ Kopiervorlagen zurückgegriffen werden, die z.B. in Form von Handbüchern vorliegen. Hierauf lassen wiederkehrende Formelelemente sowie typische Abschreibefehler, wie das Überspringen von Zeilen, und nachträgliche Korrekturen schließen. 155 Ferner dokumentiert sich die Nutzung von Vorbildern auch durch die fälschliche Übernahme des Anleitungstextes. So findet sich auf einem Täfelchen aus dem Quellheiligtum von Aqua e Sulis (Bath) etwa die Wendung ‘das beschriebene Blatt ist abgeschrieben worden’ (charta picta persc ripta), 156 die keinen Bezug zum Inhalt der Verwünschung aufweist, sondern einen Bestandteil des ‘Zauberrezeptes’ darstellt. In einer defixio aus Trier dokumentiert sich der unbeholfene Umgang mit den Anweisungen durch die direkte Übernahme des Musterformulars, d.h. durch die fehlenden Anpassungen an den individuellen Text: Im Rahmen der Anrufung wurde der Name der betreffenden Gottheit nicht eingefügt, sondern statt dessen der Stellvertreterausdruck nomen ‘Name’ von der Vorlage abgeschrieben: ‘Gute, heilige NAME, fromme NAME […]’ 154 Eine Serienproduktion sind die fünf aus Rom stammenden sogenannten „Johns Hopkins Tabellae Defixionum“ (s. auch A: II.2.3). 155 In dfx 11.1.1⁄28, wahrscheinlich von einem Muster übernommen, rutscht der Schreiber in die falsche Zeile und muß nochmals neu ansetzen. Vgl. hierzu z.B. Gager 1996, 50, Nr. 3; Jordan 2000, 25, Nr. 92 („Evidence of use of formulary“); Nr. 93 („follow formula at PGM IV 336-406“). Sehr interessant ist auch das Ostrakon in Suppl. Mag. II, 43-46, Nr. 58, bes. Zeile 1f., da fälschlicherweise der Titel des Rezeptes mit der eigentlichen Formel abgeschrieben wurde. 156 dfx 3.2⁄8. Zu dieser Formel vgl. auch Tomlin 1988, 119. 56 (Bona sancta NOMEN pia NOMEN […]). 157 Zu beobachten sind auch von der Syntax losgelöste Satzteile, meist feste Wendungen, die ohne Rücksicht auf das Textumfeld eingesetzt werden: ‘Ich übergebe ob Frau oder Mann, ob Sklave oder Freier, ob Junge oder Mädchen’ (Dono si mulie r si baro, si se rvus si liber, si puer si puella). 158 Diese Lapsus sprechen jedoch nicht allein für den verbreiteten Gebrauch von Anleitungen und Formularien; vielmehr zeugen sie von unprofessionellen und folglich fehlerbehafteten Kopiervorgängen. Vor diesem Hintergrund erscheint auch eine exklusive Nutzung der Anweisungen durch ein kleines Fachpublikum recht unwahrscheinlich. Die meisten Zauberrezepte beschreiben den Ritualablauf Schritt für Schritt: Regelmäßig aufgeführt sind die zu verwendenden Formeln und Zauberworte, auffällig ist dabei die Rekurrenz der adverbialen Bestimmung ‘nach Belieben’ ( koinÒn ), die auf die Möglichkeit der individuellen Ausformulierung verweist. 159 Bisweilen finden sich sogar Angaben zur optischen Anordnung des Textes und selbst die Beschaffungsmodalitäten der Ingredienzien können thematisiert sein. 160 In einem der zahlreichen magischen Papyri wird die Schlichtheit von Ausführung und Schreibmaterial sogar explizit als Vorzug der aufgeführten Zauberhandlung herausgestellt; 161 für einen professionellen Magier wäre ein solches Urteil kaum notwendig und wenig schmeichelhaft gewesen. Auch in den Ritualpräskripten enthaltene Warnungen wie „wahre dich selbst, nicht getroffen zu werden“ 162 sind für einen Spezialisten selbstverständlich und wären überflüssig, würden sie sich nicht an einen Laien richten. Nicht zuletzt enthalten die Sammlungen durchaus harmlose Mittel gegen Gebrechen wie Migräne und Fieber, die auf den „Hausgebrauch“ 163 der Anweisungen schließen lassen. Für die 157 dfx 4.1.3⁄15. Möglicherweise auch in dfx 2.2.2⁄1: Der Eigenname Luxia folgt dem Platzhalter NOMEN im Nominativ statt im Genetiv (s. auch B: II.5.1.3). 158 dfx 3.2⁄36. Ebenso die beiden zweisprachigen Tafeln dfx 11.1.1⁄27 und dfx 11.1.1⁄28, die sich die festen Wendungen aus demselben magischen Formular teilen. Zu diesen ‘all-inclusive-formulas’ s. auch A: IV.4.2.4. 159 Vgl. hierzu z.B. den Kommentar in Suppl. Mag. zu Nr. 95, Zeile 7 (mit weiteren Belegen). 160 Wie andere Anleitungen liefert etwa PGM XXXVI 1-34 neben der Zutatenliste („Nimm eine bleierne Platte“) auch das Layout für die Formel mit. Die Herkunft des Bleis suggerieren etwa PGM VII 397 („Blei vom Rohr einer Kaltwasserleitung“); 431 („bleierne Platte von einer Kaltwasserleitung“). Für weitere Belege vgl. z.B. Ogden 1999, 12. 161 Vgl. PGM IV 2109-2111: „dieser Zauber […], der in aller Leichtigkeit nur das Gerät als Beihelfer betrachtet“. 162 Vgl. PGM XXXVI 75f.; PGM IV 2627-2630: „Versieh dich aber vor allem mit einem Schutzmittel und geht nicht nachlässig an die Praktik; sonst zürnt die Göttin [Selênê].“ 163 Vgl. Versnel 2002, 143: „Generally, our charms do not presuppose a magician’s help. They are instructions for domestic use ‘Hausmittel’ […].“ Ein gutes Beispiel für die Bandbreite magischer Anleitungen ist das große Formular in PGM VII. 57 Durchlässigkeit in der Überlieferungstradition von Ritualvorlagen spricht auch die vielfach sehr detailgenaue Kenntnis, die etwa antike Dichter und Gelehrte von magischen Handlungen und den verwendeten Formeln hatten. Um ein absolut exklusives Geheimwissen hat es sich bei dem Zauberwesen wohl nie gehandelt. 164 Schließlich kann man auch davon ausgehen, daß die uns heute vorliegenden Ritualbücher nur ein Bruchteil der ursprünglich im Umlauf befindlichen Menge darstellen, da ab der Kaiserzeit Zauberbücher systematisch vernichtet werden. II.4.2.5 Zielpersonen Mit Ausnahme der ‘Gebete für Gerechtigkeit’ beziehen sich die in den defixionum tabellae genannten Personennamen regelmäßig auf die Opfer der Verwünschung, da der defigens aus verschiedenen Gründen anonym bleibt. Betrachtet man die Namen der Zielpersonen unter geschlechts- und gesellschaftsbezogenen Gesichtspunkten, so sind folgende allgemeine Tendenzen abzulesen (s. auch A: IV.2.3.1): Männliche Eigennamen erscheinen deutlich in der Überzahl; allein im Liebeszauber sind die Opfer überwiegend Frauen. 165 Auch die gesellschaftliche Herkunft ergibt sich in vielen Fällen unmittelbar aus der onomastischen Untersuchung: Viele Personennamen bestehen aus einem einzigen cognomen und weisen den Namensträger als Nichtbürger aus. Ein expliziter Hinweis auf diesen Status, wie z.B. der Zusatz ‘Sklave’ (servus), ist ebenfalls keine Seltenheit. 166 Dieser Befund korreliert mit dem Milieu, auf das die Schadenzaubertexte referieren: Zahlreiche Täfelchen dokumentieren Rivalitäten unter Gladiatoren oder Wagenlenkern, die sich aus den unteren Bevölkerungsschichten rekrutieren. Eine grundsätzliche Beschränkung auf diese sozialen Schichten ist bei den Opfernamen jedoch nicht erkennbar: Neben den Namen von Sklaven und Freigelassenen erscheinen auch die den römischen Bürger benennen- 164 Vgl. z.B. Graf 1996, 11: „Sie [d.h. die Zaubertexte u.ä.] waren nicht eigentlich geheim — jedenfalls wußte man in der antiken Gesellschaft von ihrer Existenz […].“ Ebenso Tupet (1976, 229) zu den Kenntnissen Vergils: „Virgile portait aux rites magiques un intérêt indéniable, et […] il en avait une connaissance sérieuse.“ 165 Dieser Befund wird sowohl von den ‘Rezepten’ der Zauberpapyri als auch den griechischen Comparanda bestätigt. Hierzu z.B. die Untersuchung von Winkler 1991, 227f.; 240, Anm. 74 (mit zahlreichen Belegstellen); Ogden 1999, 36 (mit Beispielen für „homosexual curses“). Eine andere Schlußfolgerung zieht Dickie (2000), der von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen defigentes im Liebeszauber ausgeht. Zur ‘gender’-Problematik vgl. auch Ogden 1999, 35 (mit weiterer Literatur); 60-67 („Gender“); Faraone 1999a; ders. 1999b, 132-175 (Kap. 4). Zum Themenfeld Magie, Macht, Alterität und Geschlecht sei insbesondere auf Stratton (2007) hingewiesen, die die engen Verbindungen nicht nur für Griechenland und Rom, sondern auch für den frühchristlichen und jüdischen Bereich nachzeichnet. 166 So z.B. in dfx 7.1⁄1; dfx 5.1.4⁄10; dfx 2.2.3⁄3. Zum römischen Namensystem s. auch A: IV.4.2.3. 58 den tria nomina. Mitunter weist der Gentilname den Benannten sogar als Angehörigen einer namhaften gens aus, wie etwa im Falle des Marcu s Heius Calidus, dem Mitglied einer „angesehene[n] campanische[n] Famili[e]“. 167 Höchsten Kreisen sind auch die Zielpersonen auf drei ähnlich lautenden Prozeß-defixiones aus dem antiken Emporiae (Ampurias) zuzuordnen, deren Abfassungszeit in das 1. nachchristliche Jahrhundert fällt: Nicht nur die Prozeßparteien, sondern auch die gerichtlichen Instanzen sind in die Verwünschung aufgenommen. Mit genauer Amtsbezeichnung aufgelistet erscheinen mindestens drei Beamte im Dienst des Imperators, die als höchste Autorität der Provinz auch mit Aufgaben der Gerichtsbarkeit betraut sind: ‘Maturus, der Prokurator des Augustus, […] Titus Aurelius Fulvus, der Legat des Augustus, Rufus, der Legat des Augustus’ (Maturus, procurator Augusti, […] Titus Aurelius Fulvus, legatus Augusti, Rufus, legatus Augusti). 168 II.4.2.6 Reflexionen in der Literatur: Fachliteratur und Dichtung Wie bereits angedeutet, werden Verbreitung und Kontinuität der magischen Praktiken nicht nur durch die Fundlage der Zauberinschriften selbst unmittelbar dokumentiert, sondern sind auch von anderen Zeugnissen und Quellen ableitbar: Neben Gesetzestexten und Gerichtsprozessen, die von der Relevanz des Zauberwesens in der antiken römischen Gesellschaft zeugen, legen zahlreiche literarische Belege eine allgemeine Kenntnis und Vertrautheit mit magischen Techniken, sowohl auf Autorenals auch auf Publikumsseite, nahe. 169 Zudem erlauben diese Texte auch Rückschlüsse auf Elemente und Struktur magischer Rituale und können folglich dazu beitragen, Überlieferungslücken zum Kontext der defixiones zu schließen. 170 (a) Fachliteratur Mit Heil- und Abwehrstoffen sowie magischen, meist iatromagischen Praktiken beschäftigen sich verschiedene antike Universalgelehrte. 171 Die frü- 167 Vgl. die Kommentare zu dfx 1.5.3⁄2 von Wünsch (1900, 239) und Mancini (1894, 124): „La gente Heia […] famiglia ricca e primaria.“ 168 dfx 2.1.1⁄2. Zu dfx 2.1.1⁄2 - 2.1.1⁄4 vgl. bes. den Kommentar von Mayer/ Rodà (1991, 159-163, Nr. 172-174). Die Aussage ‘meine Widersacher sollen nicht ungerechterweise eingreifen’ (adversari mei inique ne intersint) (dfx 2.1.1⁄4) scheint auf ein noch bevorstehendes Verfahren hinzuweisen. Zu den historisch identifizierbaren Personen zählen u.a. Marius Maturus, erwähnt in den Historien des Tacitus, sowie der Legat Titus Aurelius Fulvus. Vgl. hierzu Alföldy 1969, 19-21. 169 Zur Magie in der griechischen Literatur vgl. z.B. Tupet 1976, 107-164; Bernand 1991, 159-282. 170 Vgl. z.B. Tupet 1976, 3-103. 171 Vgl. hierzu Ilberg 1971, 315f.; Tupet 1986, 2592-2601; Önnerförs 1991, 5-12; ders. 1993; Boscherini 1993, bes. 732f.; 750f. Allgemein zu verschiedenen Aspekten des (spät)antiken Heil- und Schutzzaubers vgl. auch Stemplinger 1922, 75-94; Rothschuh 1978; 59 hesten Schriften zu prophylaktisch oder pharmazeutisch ausgeübtem Heilzauber stammen von Cato maior und Varro, die älteste Überlieferung einer Zauberformel aus dem römischen Bereich geht dabei auf Catos de agricultura zurück. In diesem praktischen Leitfaden für den Landbau finden sich an verschiedenen Stellen Zaubersprüche magisch-medizinischen Charakters, die hauptsächlich für die Heilung von Frakturen und Luxationen vorgesehen sind. Seine Lehrschrift, ein „Schatzkästlein des guten Rates für Landwirte“, 172 ist vor allem auf die Umsetzbarkeit von Ratschlägen und Instruktionen ausgerichtet: Empfohlene Maßnahmen sind genau beschrieben, Sprüche und Formeln werden gewissenhaft, notfalls sogar in zwei Varianten, wiedergegeben, um sie nicht ihrer Effektivität zu berauben. Catos Werk, das dem Leser und Anwender ein reiches Inventar an carmina zur Verfügung stellt, basiert einerseits auf dem Studium griechischer Medizinbücher, andererseits aber auch auf der eigenen landwirtschaftlichen Erfahrung. Als Garant für die Wirksamkeit der zitierten Formeln fungiert Cato selbst, dessen Autorität wohl kaum ein Zeitgenosse angezweifelt haben dürfte. Auch Varro führt im ersten Buch seines Lehrwerkes über die Landwirtschaft eine alte Anweisung gegen schmerzende Gichtfüße mit zugehörigem carmen auf. An seine heilende Wirkung scheint er allerdings nicht mehr mit derselben ernsthaften Überzeugung wie sein Vorgänger zu glauben. 173 Vielmehr positioniert sich Varro auch in anderen Schriften, „trotz seiner verständnisvollen Würdigung alles Volkstümlichen, als Gegner solchen Zaubers“. 174 Aus naturwissenschaftlichem Interesse setzt sich der kaiserzeitliche Lexikograph Plinius d. Ä. in den Büchern 20 bis 32 seiner Naturalis Historia mit Zauberhandlungen und -sprüchen auseinander. 175 Im Mittelpunkt steht dabei weniger die praktische Anwendung von Zauberformeln und begleitenden Maßnahmen als vielmehr die geschichtliche Aufarbeitung magischen Denkens und Handelns sowie die kritische wissenschaftliche Reflexion über Ursachen und Gründe für die Wirksamkeit magischer Praktiken. Aus dieser Perspektive behandelt er in Buch 28 (Paragraphen 10 bis 29) auch die in der Volksmeinung verankerte Einstellung zu der ‘Macht der Furley 1993; Palmieri 2003; Gaide 2003c. Die iatromagischen Zaubersprüche sind gesammelt bei Heim 1892; Önnerfors 1988; ders. 1991. Önnerfors (1993) stellt einen Anhang mit „Ergänzungen aus dem lateinischen Bereich zu R. Heims ‘Incantamenta magica Graeca Latina’ (1892)“ (206) zur Verfügung. Aktuelle Bibliographien wurden von Sabbah (1987) und Fischer (2000) zusammengestellt. 172 Thielscher 1963, 16. Zur „Wunderheilung“ bei Cato vgl. ebd., 384-392 (Zitat S. 384). 173 Vgl. Varro (rust. 1,2,27), wo er Stolo, eine der beiden Hauptfiguren ‘lächelnd’ (subridens) eine Heilzauberformel und das entsprechende Ritual wiedergeben läßt. 174 Ilberg 1971, 315f. 175 Inhaltsübersicht (nach Büchern): 20-27: Medizin mit pflanzlichen Heilmitteln (Pharmazie); 28: Heilmittel aus menschlichen Stoffen (auch Sprache); 29-32: Heilmittel aus dem Tierreich. Hierin eingefügt sind die Geschichte der antiken Medizin (29,1-28) sowie eine Magiegeschichte (30,1-20). 60 Zaubersprüche’ (vis carminum): 176 Viele allgemein anerkannte Beispiele für die Wirkkraft der menschlichen Rede stammen aus dem kultischen Bereich, wo der Mensch etwa ‘Beschwörungen’ und ‘Gebete’ (precationes; prece s) 177 einsetzt, um mit numinosen Mächten zu interagieren. Daneben führt er andere, z.T. historisch überlieferte Belege für die mächtige Wirkung des Wortes außerhalb des römischen Kultes an; mit Bezug auf den ‘bösen Gesang’ bzw. ‘bösen Spruch’ (malum carmen), 178 findet dabei auch der Wortlaut des Zwölftafelgesetzes Eingang in sein Werk. Seine Abhandlung enthält eine „fulminante Polemik“ 179 gegen jegliche Form des Magieglaubens (die Macht des Wortes im religiös-kultischen Bereich wird nicht in Frage gestellt), im Zusammenhang mit dem weitverbreiteten Glauben an die Wirksamkeit menschlicher Worte manifestiert sich zugleich aber Plinius’ ambivalentes Verhältnis zur Magie: Die von Cato und Varro angeführten Heilzauberpraktiken werden zwar aufgenommen, Sprüche und Formeln jedoch nie oder zumindest nie wörtlich wiedergegeben. Erklären läßt sich sein Umgang mit den Quellen durch die Einschätzung, auch die schriftliche Wiedergabe könne die den Zaubersprüchen inhärente Macht aktivieren. 180 Insbesondere im Hinblick auf das schädliche Potential menschlicher Worte muß Plinius schließlich feststellen: ‘Es gibt in der Tat niemanden, der nicht fürchtet, durch furchtbare Verwünschungen gebannt zu werden’ (Defigi quidem diri s precationibus nemo non metuit). 181 Durch ihre Allgemeinverbindlichkeit kommt die Aussage dabei dem Eingeständnis der eigenen Furcht, die ganz offenkundig im Widerspruch zur gebotenen Skepsis des Wissenschaftlers steht, gleich. Aus der reichhaltigen Dokumentation des Plinius, der als der fleißigste antike Überlieferer römischer Zauberformeln und magischer Praktiken gelten kann, speisen sich in den folgenden Jahrhunderten zwei medizinische Rezeptsammlungen für Laien: Im 4. Jahrhundert das anonyme Kompendium Medicina Plinii, aus dem insbesondere der gallische Arzt Marcellus Empiricus (um 400) schöpft, und etwa 200 Jahre später die Physica Plinii. 182 Auch in der Folge reißt die Kette der Belege nicht ab: In zahlreichen human- und veterinärmedizinischen Traktaten, insbesondere wenn 176 Die Erörterung setzt 28,10 mit der Frage ein, ‘ob Worte und Zauberformeln etwas vermögen’ (polleatne aliquid verba et incantamenta carminum). Vgl. hierzu z.B. Köves- Zulauf 1972, 21-34; Tupet 1986, 2596; Bäumer 1984. Die Arbeit von Köves-Zulauf (1972) setzt sich anhand exemplarischer philologischer Analysen umfassend mit der „Funktion des Wortes in der römischen Religion“ (17) im Geschichtswerk des Plinius auseinander. 177 Vgl. Plin. nat. 28,10; 13. 178 Plin. nat. 28,18. 179 Vgl. Önnerfors 1991, 8 mit Bezug auf Plin. nat. 30,1ff. 180 Vgl. z.B. Plin. nat. 17,267 (serio non auserim). Hierzu Bäumer 1984, 97; Önnerfors 1991, 8f.; ders. 1993, 158; 168-170. 181 Plin. nat. 28,19. s. auch A: II.4.2.2. 182 Vgl. Önnerfors 1985. 61 sie nicht ausschließlich an ein Fachpublikum gerichtet sind, spiegeln sich Platz und Stellenwert magischer Vorstellungen und Praktiken wider. 183 Der Glaube an die Wirkung magischer Handlungen und Worte zeigt sich einerseits unmittelbar an dem ihnen im Alltag zugeschriebenen praktischen Wert, andererseits aber auch an den wissenschaftlichen Abhandlungen, die diesem Phänomen aufgrund eben seiner sozialen Relevanz gewidmet sind. Nicht zuletzt zeigen iatromagische Antidotarien und Rezeptarien auch strukturelle und semantische Ähnlichkeiten zwischen Heil- und Schadenzauberpraktiken auf: Beide Verfahren setzen sich in den meisten Fällen aus einem Formelteil und einer parallelen manuellen Handlung zusammen (s. auch A: V.3.2.1). (b) Dichtung Bezüge zur Magie lassen sich ebenso in der römischen Dichtung ausmachen. 184 Magische Operationen, meist Spielarten des Liebeszaubers, begegnen in den Werken des Vergil und Horaz; Erwerb und Verlust der Liebe durch magisches Wirken stellen auch ein beliebtes Motiv der elegischen Poesie dar (s.u.). 185 In seiner achten Ekloge läßt Vergil den Sänger Alphesiboeus in aller Ausführlichkeit das Gesamtszenario eines Liebeszaubers wiedergeben: 186 Die namentlich nicht genannte Frau vollzieht gemeinsam mit ihrer Sklavin Amaryllis ein magisches Ritual, das ihren untreuen Liebhaber wieder aus der Stadt zurückholen soll. Ausgeführt wird die ‘Bindung’ des untreuen Mannes dabei durch die Knüpfung von ‘Liebesbanden’ (Vene ris vincula), mit einer aus den drei magischen Farben Schwarz, Weiß und Rot gedreh- 183 Als wichtigste Schriften wären neben der Medicina Plinii und der Physica Plinii z.B. zu nennen: Celsus, De medicina; Quintus Serenus, Liber medicinalis; Pseudo-Antonius Musa, De herba uettonica; Pseudo-Apuleius, Herbarius; Theodorus Pricianus, Euporista; Sextus Placitus, Liber Medicinae ex animalibus. Vgl. hierzu z.B. die Zusammenstellung bei Rothschuh 1978, 11. Die Texte sind z.B. gesammelt als Corpus Medicorum Latinorum. Speziell zu den Marcellischen Formeln vgl. z.B. Grimm 1865 a u. b; Önnerfors 1993, bes. 166f.; zu den Formeln der Physica Plinii z.B. Önnerfors 1985; ders. 1993, 214. Die Rezeption der Plinischen Schriften über die Spätantike hinaus behandeln z.B. Rothschuh 1978, 16f.; Jankrift 2005, 28. Zur antiken Medizin vgl. auch die Aufsatzsammlung hg. v. Flashar 1971. 184 Vgl. hierzu Audollent 1904, CXVIII-CXX; Cesano 1910, 1558-1561; 1566f.; Stemplinger 1922, 65-75 (mit verschiedenen mittelalterlichen und neuzeitlichen Belegen); Hopfner 1928, 375f.; Eitrem 1941, 59-77; Luck 1962; Tupet 1976, bes. 223-417; Gager 1992, 250- 257. Zu den Hexengestalten der griechsich-römischen Antike vgl. den Überblick bei Aigner 1987; Luck 1999; Ogden 2002, 78-101; 102-114; 115-145; Stratton 2007, 47-62; 79-96. Speziell zum Fluch in der griechisch-römischen Dichtung vgl. auch Watson 1991. 185 Zum Liebeszauber in der griechischen Dichtung vgl. etwa Dickie 2000; Watson 1991. 186 Verg. ecl. 8,64-109. Das Gedicht ist deutlich von Theokrits zweitem Eidyllion inspiriert: Aus Eifersucht greift die junge Frau Simaitha, die selbst keine Hexe ist, auf eine magische Handlung zurück. Hierzu z.B. Luck 1962, 6-15; ders. 1999, 120; 121. 62 ten Schnur, sowie durch den zugehörigen Zauberspruch: ‘Knüpf’ in drei Knoten die drei verschiedenen Farben zusammen, Amaryllis, knüpfe sie nur, Amaryllis, und sprich: ‘Ich knüpfe Liebesbanden’“ (Necte tribus nodi s ternos, Amarylli, colores, necte Amarylli, modo et ‘Veneri s ’ dic ‘vincula necto’). 187 In dieser Formel erscheint die manuelle Anfertigung des Knotens in die Sprache transponiert, eine auffällige Übereinstimmung mit dem Formular der defixiones. 188 Auch die übrigen wörtlich wiedergegebenen carmina weisen Parallelen zu den Formulierungen auf, wie sie auf zahlreichen (Liebes-)defixiones und in den entsprechenden Anleitungen der Zauberpapyri begegnen: Neben imperativischen Formulierungen, die sich an göttliche Mächte richten, sind dies insbesondere Vergleiche und sprachlich vollzogene Überantwortungen. 189 Der Schluß des Gedichtes enthält zudem eine Anspielung auf das Zwölftafelgesetz, die dem Glauben an die Ausübung des Flurschadenzaubers implizit Rechnung trägt. 190 Auch eine Episode der Aeneis greift die Thematik des Liebeszaubers auf: 191 Mit der Errichtung eines Scheiterhaufens aus den zurückgelassenen Waffen und Kleidungsstücken des treulosen Aeneas trifft die Karthagerin Dido, Hauptfigur des römischen Nationalepos, allerdings keine Vorkehrungen für die Ausführung eines magischen Rituals, vielmehr tarnt die verlassene Geliebte ihren Freitod. Im Zusammenhang mit Liebesleid und -kummer enthält ferner auch das pseudo-vergilische Gedicht Ciri s Anspielungen auf magische Praktiken. Aus verzweifelter Liebe zu Minos, dem Belagerer ihrer Heimatstadt Megara, greift auch die Königstochter Scylla auf eine defixio gegen ihren Vater Nisus zurück, um ihn zu einer Einigung mit dem Feind zu bewegen. 192 Bei Horaz findet sich das Zaubermotiv ebenfalls literarisch umgesetzt: Aus einer ironisch-abschätzigen Distanz heraus, unterstrichen durch eine große Lust am grausigen und grausamen Detail, beschreibt er in seinen Epoden und Satiren das wilde Treiben der römischen Hexen, die aus- 187 Verg. ecl. 8,77f. Zur Magie der Farben vgl. z.B. Seligmann 2,1910, 242-259. 188 Statt nectere ‘flechten’ findet sich auf den Täfelchen üblicherweise ligare ‘binden’ etc. 189 Als Imperativ z.B. Verg. ecl. 8,76: ‘führt aus der Stadt nach Hause herbei, meine Zaubersprüche, führt Daphnis herbei’ (ducite ab urbe domum, mea carmina, ducite Daphnin), vergleichbar z.B. mit PGM IV 1916: „führe zu mir die NN“. Als Vergleichsformel z.B. Verg. ecl. 8,80f.: ‘wie dieser Lehm hart und dieses Wachs flüssig wird […] so auch Daphnis durch unsere Liebe’ (limus ut hic durescit, et haec ut cera liquescit […] sic nostro Daphnis amore). Als sprachliche Überantwortung z.B. Verg. ecl. 8,91-93: ‘[seine Kleidungsstücke], Erde, überantworte ich dir’ ([exuvias], Terra, tibi mando). Zum Handlungsgehalt der Formeln s. auch A: IV.3. 190 Vgl. Verg. ecl. 8,99 (eines der drei Beispiele für die Künste des Zauberers Moeris): satas alio vidi traducere messis; ebenso Tib. 1,8,19: cantus vicinis fruges traducit ab agris. Hierzu Eitrem 1941, 60; Luck 1962, 52; 58. 191 Vgl. Verg. Aen. 4,489-692. Hierzu z.B. Tupet 1976, 232-266; Kraggerud 1999; Rives 2003, 313f. 192 Vgl. Appendix Vergiliana Ciris 369-377. Hierzu z.B. Eitrem 1941, 61f. 63 nahmslos alle alt, unansehnlich und eher lächerlich als furchterregend erscheinen. 193 Die Wechselwirkung von Liebe und Magie ist auch Thema der Elegie. So läßt Properz das lyrische Ich bekennen, trotz aller ablehnenden Skepsis, auf magische Künste vertrauen zu wollen, um die Liebe einer Frau zu gewinnen. 194 Tibulls ausführliche und genaue Schilderungen legen sogar die Vermutung nahe, der Dichter habe selbst an magischen Zeremonien teilgenommen. 195 In seinen Amores macht Ovid explizit eine defixio für das körperliche Versagen beim Liebesdienst verantwortlich, obwohl er nach eigener Aussage kaum an die Wirksamkeit von Magie in Liebesdingen glaubt. 196 Durchführung und Zubehör des magischen Rituals sind auch diesem Dichter nicht fremd, wie aus den detailreichen Mutmaßungen des durch seine schwache Liebesleistung verunsicherten Liebhabers ersichtlich ist. Im Geiste sieht er die potenzvernichtende magische Operation der Hexe vor sich: Zu ihren Zauberutensilien zählt neben ‘Zauberspruch und -kraut’ (carmen et herba) 197 auch eine rotgefärbte Wachstafel mit dem Namen des Opfers, in die eine Nadel gestoßen wird. Diesen Vermutungen des Mannes schließt sich prompt die Replik der enttäuschten Frau an, die ebenfalls magische Ursachen hinter der schlechten körperlichen Verfassung des Liebsten vermutet: Naheliegender als die „Defigierung“ einer Tafel erscheint ihr die Manipulation einer Wollpuppe. Auf dieselbe magische Handlung deutet auch eine parallele Stelle in den Heroidenbrief en, in denen die Zauberin Medea mit dem Eintreiben von Nägeln in eine Wachspuppe einen ‘Fernzauber’ vollzieht. 198 Ebenso aufschlußreich für die literarische Umsetzung verbaler wie non-verbaler Ritualelemente ist die Ausführung einer magischen Operation, die Ovid in seinen Fasti beschreibt: Im Rahmen der Feralia am 21. Februar, dem durch düstere Kulthandlungen geprägten Abschlußfest der neuntägigen Totenfeiern, unterweist eine zauberkundige alte Frau einen Kreis junger Mädchen in der Kunst des Zungen-‘Bindezaubers’, mit dem böse und verleum- 193 Vgl. Hor. epod. 5: Fluch des Knaben, der von Canidia und ihren Hexen zur Herstellung eines Liebestrankes geopfert wird; diese Episode ist stark ironisch verzerrt. Ebenso Hor. sat. 1,8: Die Statue des Gottes Priap verjagt auf unanständige Weise die beiden Hexen, die in den esquilinischen Gärten ihr Unwesen treiben; Hor. epod. 17: Palinodie auf Hor. epod. 5 und Hor. sat. 1,8, in denen der Dichter zum Schein die Macht der Hexe Canidia anerkennt. 194 Vgl. Prop. 1,1,19-24. Hierzu Luck 1962, 37f. 195 Vgl. Tib. 1,2,39-64. Hierzu Luck 1962, 44-47; Stratton 2007, 85f. 196 Vgl. Ov. am. 3,7,27-36. Für Ovid ist der Dichter der wahre Magier vgl. z.B. Ov. rem. 249-252. 197 Ov. am 3,7,28. Zur Auswirkung des Schadenzaubers auf die männliche Potenz auch Prop. 4,5,17f. (vgl. hierzu Luck 1962, 36f.); Tib. 1,5,39-44 (vgl. hierzu Luck 1962, 49f.). 198 Vgl. Ov. epist. 6,91f. Hier finden sich Anklänge an den „Großen Pariser Zauberpapyrus“ (PGM IV 296-466), s. auch A: III.3.4. Zu Medea als Hexengestalt vgl. Ov. met. 7,179-293 (vgl. hierzu Luck 1962, 61-63; Stratton 2007, 87f.). Wachs- und Wollpuppe begegnen auch bei Hor. sat. 1,8,30-32. 64 derische Zungen mundtot gemacht werden sollen. Zu den zahlreichen rituellen Handlungen, die mit der Lähmung der Zunge zu assoziieren sind, zählt auch die Umwindung von dunklem Blei mit einem Band. Der Knebelzauber ist damit erfolgreich ausgeführt, was auch aus dem indirekt wiedergegebenen Zauberspruch ‘feindselige Zungen und die Münder der Feinde haben wir hiermit gebannt’ (hostiles linguas inimicaque vinximus ora) 199 ersichtlich ist. Bezüge zu den defixiones ergeben sich nicht nur durch den Ritualtext — direkt könnte die Formel etwa lauten: ‘feindselige Zungen und die Münder der Feinde bannen wir hiermit’ (hostiles linguas inimicaque vincimus ora) — sondern auch über den Einbezug der Göttin Tacita (s. auch A: III.6.1; IV.3.1). Auch der nachklassische Dichter und Philosoph Apuleius, der selbst der Zauberei angeklagt wird, nimmt die Magie in sein Werk auf. Der Roman Metamorphosen ist von der Hexenthematik durchzogen. So läßt der Autor einen gewissen Aristomenes auf der Reise in das Hexenland Thessalien seinen Weggefährten über das schändliche Treiben der Schankwirtin Meroe Auskunft geben: Die Frau versteht sich nicht nur auf den Liebeszauber — sein Freund Sokrates war selbst jahrelang ihr Opfer —, sie weiß sich auch in anderen Lebenssituationen meisterlich zu helfen: Kein Konkurrent ist ihr gewachsen und niemand kann erfolgreich gegen sie vor Gericht ziehen. 200 Im weiteren Verlauf des Romans werden die Erzählungen des Protagonisten Lucius wiedergegeben, der die Ehefrau seines Gastgebers, Pamphile, eine stadtbekannte Hexe, bei ihrem magischen Treiben beobachtet. Hierbei spielen neben ‘beschrifteten Metallplättchen’ (lammina e litteratae) 201 verschiedene andere Utensilien menschlicher Herkunft eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zur Fachschriftstellerei, die einer gewissen wissenschaftlichen Neutralität und Objektivität verpflichtet ist, spiegelt die literarische Gestaltung viel stärker Einstellungen und Bewertungen des jeweiligen Autors wider. Wie etwa im Falle von Horazens Spottgedichten zielt die Beschäftigung mit Magie in der Literatur einerseits darauf ab, den Aberglauben in der Gesellschaft anzuprangern und diejenigen bloßzustellen, die offen oder versteckt von der Wirksamkeit magischer Praktiken überzeugt sind. Andererseits, vor allem in der Liebesdichtung, dient dieses Motiv als Folie für die eigene Tätigkeit, deren Effizienz dem magischen Treiben um nichts nachsteht. 202 199 Ov. fast. 2,581. Zur Textstelle (Ov. fast. 2,571-582) vgl. z.B. den Kommentar von Bömer 1958, 30-31; 126; ebenso Wissowa 1912, 235; Kagarow 1929, 15f. Interessant ist dabei, daß sich statt des üblichen defigere oder obligare eine Form des Synonyms vincire findet. Zur Verbindung zwischen den Toten und den Mund-Toten, wie sie auch von zahlreichen Täfelchen nahegelegt wird, vgl. Buriss 1931, 70. 200 Vgl. Apul. met. 1,9. Hierzu z.B. Stratton 2007, 91f. 201 Vgl. Apul. met. 3,17,3 (laminis litteratis). 202 Vgl. Prop. 1,10,15-18. Der gleiche Topos findet sich auch bei Ov. rem. 249-252. Hierzu auch Luck 1962, 44; 59. 65 Literarische Quellen können nur als indirekter Anhaltspunkt für die Rekonstruktion magischer Rituale dienen, denn das subtile Spiel mit der Lesererwartung bringt zwangsläufig bestimmte exotische Stereotype bzw. die ironische Brechung und Verzerrung des Motivs mit sich. Dies ist etwa bei der Darstellung eines Menschenopfers in der fünften Epode des Horaz der Fall, wo die überzeichnete Schilderung zum allgemeinen Ton gehört. Nicht zuletzt müssen z.B. auch misogyne Tendenzen in der römischen Literatur, die nahezu ausnahmslos Hexen und Zauberinnen kennt, immer mitgedacht werden. 203 Dennoch erlaubt die Auswertung literarischer Werke und ihr Abgleich mit anderen Zeugnissen, wie etwa den griechischen Zauberpapyri oder entsprechenden archäologischen Funden, Einblicke in die Ausführung magischer Operationen der Antike: Zu den wiederkehrenden literarisch beschriebenen Bestandteilen sind Handhabung und Manipulation ritueller Objekte wie Bindung, Durchbohrung und Verbrennung zu rechnen, so wie sie auch in den Ritualbüchern und dem archäologischen Befund faßbar werden. Auch das magische Inventar scheint mit den Zauberanleitungen zu kongruieren: Zu den typischen Bestandteilen zählen bestimmte Zaubertexte, die durch Gegenstände wie den vieldeutigen Kreisel (turbo), 204 zauberwirksame exotische Kräuter und Puppen ergänzt werden. Typisch für den ‘Angriffszauber’ ist auch die Verwendung von ‘Zauberstoff’, meist Haare, Nägel oder persönliche Gegenstände des Opfers. 205 Die markanteste Parallele zu den defixiones bildet aber der Gebrauch von Blei und durchbohrten Tafeln mit dem Namen der Zielperson. Detailreichtum und -vielfalt reflektieren nicht nur das subtile literarische Spiel mit dem Glauben an die Macht magischer Praktiken, sie verdeutlichen vielmehr, wie geläufig Dichter und Leser die Ausführung von Zauberritualen gewesen sein muß. Nicht zuletzt aufgrund des gemeinsamen soziokulturellen Hintergrunds korrespondieren Erfahrung und Kenntnisse der Autoren mit dem Kontextwissen auf Publikumsseite. Die enge Verbindung von Magie und Liebe stellt einen beliebten literarischen Topos in der Elegie dar und spiegelt zugleich auch gesellschaftliche Gegebenheiten wider: Im Notfall auf einen Liebeszauber zu rekurrieren, mag 203 Vgl. die Aussage von Ogden 2002, 78: „Female sorcerers, or ‘witches’, are far more prominent than their male counterparts in mainstream classical literature, which is not to say that women were more inclined than men to turn to sorcery in reality.“ Ebenso die nach Geschlechtern aufgeteilte Zusammenstellung des Zauberpersonals bei Dickie 2000, 577-580. 204 Zur Rolle des Rhombus bzw. Iynx, so wie ihn Horaz in Epode 5 bzw. Properz 3,6,25- 30; 2,28B,35-38 beschreiben, vgl. Luck 1962, 30f.; 40f.; Tupet 1976, 50-55. Einen einführenden Überblick gibt Ogden 2002, 240-242. Interessant ist auch hier wieder die Ambivalenz magischer Utensilien, die sowohl für den Liebesals auch für den Schadenzauber verwendet werden können. 205 So setzt die junge Frau, die Vergil in seiner achten Ekloge beschreibt, ‘Kleidungsstücke’ (exuviae) (vgl. Verg. ecl. 8,91) des treulosen Mannes für ihren Liebeszauber ein und auch Dido stattet ihren Scheiterhaufen mit Besitzstücken des Aeneas aus (vgl. Verg. Aen. 4,507). 66 dem damaligen Leser als eine nicht ganz abwegige Lösung erschienen sein. Die Verarbeitung des Motivs ‘Magie’ in der römischen Literatur kann folglich die große Vertrautheit mit der Ausführung von Zauberritualen illustrieren, deren Existenz und Wirkpotential für die damalige Gesellschaft außer Frage steht. II.4.2.7 Epigraphische Zeugnisse Die Existenz des Schadenzaubers wird als soziale Realität auch in zwei Steininschriften greifbar, für den privaten Bereich wie auch für eine politische Gemeinschaft und ihre offiziellen Vertreter: 206 Auf einem Epitaph aus Nordafrika wird die verstorbene Person als ‘ von Zaubersprüchen verwünscht’ (carminibus defixa) beschrieben; 207 ein unerwarteter und unerklärlicher Tod wird folglich „als Resultat von Schadenzauber“ 208 dargestellt. Die andere Inschrift beinhaltet eine Danksagung an Jupiter für die Aufdeckung und Unschädlichmachung einer defixio gegen einige Dekurionen. 209 Beide Steininschriften können als Parallelen zur le x Cornelia gesehen werden, die alle unerklärlichen und nicht nachweisbaren Todesfälle unter dieselbe Strafe stellt. Sie sind bezeichnend für ein Weltbild, in dem Gesundheit und Leben als prekär angesehen werden und „böse Magie am Werk [sein muß], wenn jemand krank wird und ohne Gewaltsamkeit stirbt“. 210 206 Vgl. hierzu z.B. Audollent 1904, CXXI; Luck 1990, 109f.; Gager 1992, 21 („defixio as a social fact“). 207 CIL 8, 2756. Hierzu Björck 1938, 31, Nr. 16; Tomlin 1988, 60, Anm. 7; Gager 1992, 246, Nr. 136 (mit weiterer Literatur). 208 Graf 1996, 47. 209 CIL 11, 2, 4639: defixa […] nomina. Hierzu Gager 1992, 245f., Nr. 135 (mit weiterer Literatur); Ogden 2002, 217; Marco Simón (in Vorbereitung). 210 Söderblom 1942, 31. 67 III. Die Ritualform defixio Der Untersuchung des speziellen Entstehungs- und Verwendungskontextes der defixionum tabellae soll die vielzitierte Definition des Altertumswissenschaftlers D. R. Jordan vorangestellt werden: DEFIXIONES, more commonly known as curse tablets, are inscribed pieces of lead, usually in the form of small, thin sheets, intended to influence, by supernatural means, the actions or welfare of persons or animals against their will. 211 Defixiones sind jedoch weitaus mehr als „beschriebene Bleistücke“. Wie zu zeigen sein wird, stellen die Tafeln das heute noch manifeste Resultat einer Handlung dar, die als ‘rituell’ zu bezeichnen ist und für deren Ausführung genaue Anleitungen existiert haben. Gerade für eine linguistische Untersuchung der in den defixiones dokumentierten Sprachverwendung ist es unumgänglich, nicht nur die Zaubertexte zu analysieren, sondern auch ihren Entstehungskontext, der unmittelbar Einfluß auf Textstruktur und -funktion besitzt, näher zu beleuchten. Als heuristische Grundlage ermöglicht der Begriff ‘Ritual’, die Produktionsbedingungen der defixiones zu erfassen und darzustellen, insbesondere in Abgrenzung zu anderen, alltäglichen Verschriftungsprozessen, wie etwa dem Abfassen von Briefen oder der Anfertigung von Gebrauchsinschriften. Im Gegensatz zum Magiebegriff gestattet dieser konzeptuelle Rahmen auch eine wertneutrale Darstellung. Ferner erfordert er keine Zuordnung zu einem bestimmten realweltlichen (religiös, magisch, juristisch etc.) Bereich, sondern erlaubt gegebenenfalls eine getrennte Erörterung. III.1 Der Begriff ‘Ritual’ III.1.1 Begriffsentstehung und -problematik Das Bedeutungsspektrum des Ritualkonzeptes ist mit seiner Begriffsgeschichte verbunden: 212 Der Ausdruck ‘Ritual’ geht zurück auf das lateinische Substantiv ritus, das im (weitesten) Sinne von ‘Gebrauch’, ‘Sitte’ verwendet werden kann, etwas spezieller auch der modernen Bedeutung 211 Jordan 1985a, 151. 212 Zur Begriffs- und Theoriegeschichte vgl. einführend z.B. Leach 1968; Bell 1992, 13-66; Lang 1998; Belliger/ Krieger 2003b; Michaels 2003a; Stausberg 2004. Für den altertumswissenschaftlichen Kontext vgl. z.B. auch Bremmer 1998, 14-24; Rüpke 2001b, 87-118; Bendlin 2001a; ders. 2001b; Graf 2005c. Eine ausführliche Zusammenstellung aus sprachwissenschaftlichem Forschungsinteresse bieten z.B. Werlen 1984, 21-80; Rauch 1992, 13-38. Hingewiesen sei fernen auf die Publikationen im Rahmen des SFB 619 „Ritualdynamik“ der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (online einsehbar unter: www.ritualdynamik.uni-hd.de). 68 ‘Religionsbrauch’, ‘Zeremonie’ entspricht. 213 In der Antike ist er jedoch nicht als übergeordnetes theoretisches Konzept faßbar. Stattdessen finden sich individuelle Bezeichnungen für eine Vielfalt von „gottesdienstlichen Handlungen“, 214 wie etwa die rituelle Opferung; als kultischer Handlungskomplex sind sie jeweils an einen bestimmten wiederkehrenden Anlaß gebunden und unter Beachtung einer „Menge peinlicher und vielfach sich durchkreuzender“ 215 festgeschriebener Regeln und Vorschriften auszuführen. Gebrauch und Etablierung des Begriffes im wissenschaftlichen Diskurs setzen um die Wende zum 20. Jahrhundert mit der Frage nach Ursprung und sozialer Bedeutung von Glaubenssystemen und deren konstitutiven Elementen ein. ‘Ritual’ wird nicht mehr allein als Präskript, als festgeschriebenes Regelwerk verstanden, sondern auch auf rituelle Verhaltensweisen als symbolische, vom Individuum unabhängige Handlungen bezogen. Parallel dazu wird das Wort ‘Ritus’, das zunächst nur den kleinsten Bestandteil rituellen Handelns bezeichnet, teilweise als Synonym für ‘Ritual’, teilweise auf den religiösen Bereich beschränkt gebraucht. Mit dem neu erwachten Forschungsinteresse der 1960er Jahre, das sich von einer rein religionswissenschaftlichen zu einer verstärkt ethnologischen bzw. soziologischen Ausrichtung wandelt, geht eine Dynamik des Ritualkonzeptes einher. Dabei tritt der zuvor dominierende historisch-vergleichende Ansatz in den Hintergrund und mit ihm die Frage nach dem vieldebattierten Verhältnis von ‘Ritual’ und ‘Mythos’ (dieser auf die Tradition von Mythen und Glaubenslehren verweisende Komplementärbegriff gilt entweder als „secondary“, 216 als nachträgliche Aitiologie bzw. Exegese, oder aber als Voraussetzung für die Konstitution der rituellen Aktion). Im Gegenzug werden rituelle Handlungskomplexe, insbesondere aufgrund einer zunehmend positiven Konnotation des Konzepts, nicht mehr nur in ‘primitiven’ Kulturen, sondern auch in modernen industrialisierten Gesellschaften aufgespürt und hinsichtlich ihrer Wechselwirkung mit den umgebenden sozialen Strukturen analysiert. Neben der religiösen Sphäre wird somit der 213 Dies zeigen z.B. Forcellini 4, 150; Walde/ Hofmann 2, 1954, 437. Vgl. z.B. Cic. leg. (Buch 2: Sakralgesetze), wo ritus regelmäßig im Zusammenhang mit von alters her bewährten religiösen Einrichtungen und Bräuchen verwendet wird. Hierzu vgl. z.B. auch Merguet 1997, 639. 214 Vgl. hierzu etwa Wissowa 1912, insbesondere den dritten Teil (380-566): „Die Formen der Götterverehrung“. Im Inhaltsverzeichnis findet sich ‘Ritual’ als Stichwort nicht, Wissowa spricht aber im Zusammenhang mit magischen Operationen von „allerhand rituellen Akten“ (409), bei der Beschreibung der Opferhandlung auch von „Ritualvorschriften“ (413). Ansonsten begegnet der Terminus kaum. 215 Wissowa 1912, 413. 216 Robertson Smith 1889, 19. Im Rahmen seiner evolutionistischen Theorie zum Ursprung der Religion erklärt Robertson Smith anhand des Opferrituals die Vorgängigkeit des Rituals vor dem Mythos. Verschiedene Schulen gründen u.a. auf seinen Ansätzen, z.B. die sogenannte ‘Myth-and-ritual-school’. Hierzu z.B. Bell 1997, 5-8; Bremmer 1998, 16f.; Stolz 2001, 84-90; Stausberg 2004, 32-34. 69 Alltag zu einem privilegierten Objekt der modernen Ritualforschung, wobei Rituale immer stärker als „säkulare Rituale“ 217 mit gesellschaftsrelevanter Funktion zu verstehen sind. Die ersten Untersuchungen zu Ritualen sind intellektualistisch-evolutionistisch orientiert und werden im Kontext der anthropologischen Religionsforschung von E. B. Tylor, W. Robertson Smith und J. G. Frazer vorgelegt (s. auch A: II.1). 218 diesen Pionierleistungen stehen seit den religionssoziologischen Arbeiten N. D. Fustel de Coulanges (1864) und É. Durkheims (1912) zahlreiche moderne Ritualstudien unterschiedlicher Ausrichtung gegenüber. Die meisten funktionalistischen Deutungen, die auf Nutzen und Zweck rituellen Handelns abheben, weisen eine psychologische bzw. soziologische Komponente auf, deuten Rituale in ihrer Funktion als Ersatzhandlung und angstreduzierendes Mittel bzw. als Strategien, die zur Steuerung der Interaktion zwischen Mensch und Gesellschaft eingesetzt werden. Im Vordergrund formalistisch-strukturalistischer Ritualtheorien stehen Untersuchungen zur Ritualtechnik sowie die Rolle von Wort- und Körpersprache sowie Symbolen. 219 Mit der sogenannten ‘performativen Wende‘ 220 der Kulturwissenschaften werden Rituale in ihrem sozialen Kontext als besondere Kommunikationsform bzw. als „Drama“ 221 verstanden, das zur Integration des Einzelnen in gesellschaftliche Strukturen dient. Divergierende Lehrmeinungen und Theoriegebäude sowie ein wachsender ‘Begriffsdschungel’ resultieren folglich zum einen aus der beschränkten Anzahl von Termini für eine große Masse von Konzepten und Untersuchungsgegenständen; 222 zum anderen ergibt sich die zunehmende 217 Stausberg 2004, 42. Vgl. hierzu auch Belliger/ Krieger 2003a, 7-9. 218 Vgl. hierzu z.B. Leach 1968, 521-523; Bell 1997, 4-9; 46-52; Stolz 2001, 192-195. 219 Zu Theorien, die auf soziale Funktion bzw. Struktur von Ritualen abheben, vgl. Leach 1968, 522f.; Bell 1997, 23-60 (Kap. 2: „Ritual and Society“). Speziell zum funktionalistischen Ansatz Malinowskis vgl. z.B. auch Stolz 2001, 24-30. 220 Vgl. hierzu z.B. die Überblicksdarstellung bei Pfister 2004 (mit weiterer Literatur); ebenso Bell 1997, 72-76; Dücker 2004b, 223. Mit dem ‘performativen’ Aspekt von Ritualen hat sich z.B. Tambiah (z.B. 1979 bzw. 2003) auseinandergesetzt. Zum Begriff der ‘Performativität’ vgl. auch die Darstellungen bei Bell 1997, 159-164; Snoek 2003; Belliger/ Krieger 2003a, 9-17. Zum Verhältnis von Ritualtext und -performanz sowie zu den unterschiedlichen rituellen Texthandlungsklassen vgl. auch Dücker 2004a. 221 Mit dem Begriff ‘soziales Drama’ wendet sich Turner gegen die strukturfunktionalistische Sichtweise von Gesellschaften als geschlossenen Systemen und deutet sie statt dessen als ein dynamisches Gebilde, das u.a. rituelle Strategien zur Bewältigung der in ihm auftretenden Widersprüche ausbildet. Bereits in seiner ersten Studie zum Sozialleben der Ndembu (1957) erkennt er ‘dramatische’ Handlungselemente bei der Konfliktbewältigung. Hierzu einführend z.B. Bell 1997, 39-42; Stausberg 2004, 34-36. 222 Dem stark ausgeweiteten Gebrauch tragen nicht zuletzt zahlreiche Neologismen Rechnung, in denen das Lexem ‘Ritual’ als zweiter Wortbestandteil auf verschiedenen Sinnebenen determiniert wird. Beispielhaft angeführt seien ‘Frauen’-Rituale, ‘Interaktions’-Rituale, ‘Krisen’-Rituale sowie, insbesondere aus linguistischer Perspektive, ‘Konversations’-Rituale und ‘Begrüßungs’-Rituale. Diskutiert werden Genese und Gebrauch dieser Begriffe z.B. bei Michaels 2003a, 4; ders. 2003b, 25; Dücker 2004b. 70 Problematik des Begriffes aus der Heterogenität der theoretischen Ansätze, die in der fächerübergreifenden Diskurstradition begründet liegt: Ausgehend von der vergleichenden Religionswissenschaft wird der Begriff auch in anderen Fachbereichen als Analyseinstrument rezipiert, etwa in der Psychologie für die Beschreibung von Neurosen und Zwangshandlungen, in der Ethologie für die Darstellung von parallelen Verhaltensmustern bei Tieren und Menschen und vor allem in der Soziologie als besondere Kategorie zwischenmenschlichen Handelns. 223 Daneben findet er auch in andere Kulturwissenschaften Eingang, wo er den jeweiligen Untersuchungsinteressen, -theorien und -methoden angepaßt wird. 224 Der Umfang des Forschungsfeldes macht die Aufhebung von Fächergrenzen sinnvoll und notwendig, zugleich bergen konzeptuelle Vielfalt und Polyvalenz sowie die Heterogenität der als Ritual identifizierten Handlungen aber die Gefahr einer inflationären Überdehnung des Ritualbegriffes. 225 III.1.2 Eine aktuelle Arbeitsdefinition Die meiner Arbeit zugrundegelegte Begriffsbestimmung von ‘Ritual’ orientiert sich zunächst am Handbuch der religionswi ss enschaftlichen Grundbegriff e. Danach sind Rituale „Handlungen, die zu bestimmten Gelegenheiten in gleicher Weise vollzogen werden, deren Ablauf durch Tradition oder Vorschrift festgelegt ist.“ 226 Verwendet werden dazu körperliche Ausdrucksformen wie Gesten und Worte sowie eigens für den Anlaß angefertigte oder bereitgestellte Gegenstände. Ein ‘Ritual’ stellt sich damit als anlaßgebundener Handlungskomplex dar, der bestimmten äußeren Kriterien genügen muß. Dazu zählen insbesondere Regelabhängigkeit sowie Formalität und Invariabilität in Ausführung und Inventar, was wiederum in traditionell überlieferten normativen Präskripten kodifiziert sein kann. 227 In seiner äußeren Struktur ist ein Ritual folglich mit der Inszenierung eines Theaterstückes vergleichbar: Sein 223 Als Vertreter der psychologischen Richtung seien genannt: Sigmund Freud, Erik Erikson u. Carl Jung; ethologische Ansätze wurden z.B. verfolgt von Julian Huxley und Konrad Lorenz. Hierzu z.B. Bell 1997, 30-33; Lang 1998, 453-457; Stausberg 2004, 44f. 224 Die Notwendigkeit einer trans- und interdisziplinären Erforschung heben insbesondere Belliger/ Krieger (2003a, 8) hervor: „[E]s wird zunehmend auch anerkannt, dass das Phänomen Ritual ausschliesslich interdisziplinär angegangen werden kann.“ Zu dem neuen interdisziplinären Forschungszweig der ‘ritual studies’ vgl. auch Stausberg 2004, 29f. Speziell zum Ritualbegriff in der Sprachwissenschaft vgl. auch Rauch 1992, 25-37. 225 Vgl. z.B. Michaels 2003b, bes. 25-27; 34; Dücker 2004b. 226 Lang 1998, 443. Allerdings grenzt Lang den Begriff auf „religiöse Handlungen“ ein. 227 Diese Merkmale decken sich weitgehend mit den von Bell (1997, 138-155) aufgeführten Kriterien für Handlungen, die sie vorsichtigerweise als „ritual-like“ (138) bezeichnet: „Formalism“, „Traditionalism“, „Invariance“, „Rule-Governance“. Vgl. auch Michaels 2001, 29; 34; ders. 2003a, 7 („Förmlichkeit“); ders. 2003b, 33f. („Form“); Rappaport 2003, 191. 71 Aufbau ist in feste räumliche und zeitliche Abläufe strukturiert und an rekurrente, wiedererkennbare Bestandteile gebunden, die jederzeit nachgeahmt und reproduziert werden können. 228 In ihrem Handlungscharakter kommen sich verbale und non-verbale Ritualelemente gleich. 229 Vielfach findet überdies eine Transposition der konkreten Ritualhandlung in die Sprache statt; diese ‘performativen Formeln’ können dabei die rituelle Operation ersetzen (s. auch A: III.3.3). 230 Realisierung und Sichtbarmachung der Handlung sind vielfach plurimedial und synästhetisch angelegt. Da rituelle Aktionen ferner nicht an zweckrationalen Kriterien ausgerichtet sind, können sie in ihrer Ästhetik nicht den jeweiligen Bedürfnissen und Umständen angepaßt werden; vielmehr ist es diese konstante Form und nicht eine rational analysierbare Bedeutung, die Erfolg und Effizienz garantiert. Die Wirkung von Ritualen fällt mit dem korrekten Vollzug zusammen und kann nicht mehr ohne weiteres rückgängig gemacht werden. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, daß die Ritualwirkung nur mittels eines Gegenrituals aufzuheben ist. 231 Trotz seiner regelgebundenen Förmlichkeit ist jedes Ritual in der Aktualisierung der zugehörigen Vorschriften, d.h. in seiner ‘performance’, wiederum als Unikat zu verstehen. Als kreative Tätigkeit unterliegt rituelles Handeln somit stetigen Dynamisierungs- und Wandelprozessen, die in neuen oder veränderten Normierungen und Regelsystemen ihren Niederschlag finden können. Ergänzend läßt sich nach dem „polythetischen Ansatz“ 232 des Heidelberger Indologen Axel Michaels eine weitere ‘innere’, reflexive, also auf den Ausführenden bezogene Komponente hinzufügen: Da nahezu jede rituelle Handlung auch in einem ‘gewöhnlichen’ Kontext vorkommen kann, muß sie, um sich etwa von bloßer Routine oder ritualähnlichen Vorgängen etc. abzugrenzen, in dem Bewußtsein vollzogen werden, ‘bedeutsam’ und aus dem Alltäglichen ausgesondert zu sein. 233 Vielfach wird die Grenze zur Alltagswelt auch nach außen mit ritualisierten Eröffnungs- und Schlußsignalen markiert, das Ritual stellt folglich einen gerahmten Prozeß dar. 234 Als alltagstranszendente Erfahrung setzt das Ritual seine Akteure in 228 Entsprechende Bedingungen und Regeln des Ritualvollzugs sowie die Struktur der Akte sind bereits formuliert bei Mauss/ Hubert 1966, 37-53. 229 Vgl. hierzu z.B. Mauss/ Hubert (1966, 43-53), die eine Aufteilung in „rites manuels“ (43) und „rites oraux“ (47) vornehmen, und diesbezüglich feststellen: „Paroles et actes s’équivalent absolument“ (50). 230 Vgl. hierzu Mauss/ Hubert 1966, 50: „Ainsi, le charme oral précise, complète le rite manuel qu’il peut supplanter.“ 231 Vgl. z.B. Malinowski (1978, 101), der im Hinblick auf Melanesische Magie feststellt, daß „es zu jedem einzelnen magischen Akt den entsprechenden Gegenakt gibt, der […] die Wirkung des ersteren völlig aufheben kann.“ Ebenso Michaels 2001, 35. 232 Michaels 2003a, 9. 233 Vgl. ders. 2001, 36-38; ders. 2003a, 7f.; ders. 2003b, 33f. 234 Zu dem Begriff ‘Framing’ bzw. ‘Rahmung’ vgl. Bell 1997, 74; 160f.; Michaels 2003a, 7f.; ders. 2003b, 33. 72 Bezug zu einer übergeordneten kosmischen Weltordnung, die als existent angenommen und zugleich mit dem Ritualvollzug rekonstituiert wird. Dabei erhalten die „eigens für den Anlass angefertigten oder bereitgestellten Gegenstände“ (s.o.) auch erst ihre „Qualifikation“ 235 und damit den Status ritueller Objekte mit symbolischer Kraft (und verbleiben z.B. nicht einfache Kochutensilien). Der Zeichencharakter ist indes nicht auf die verwendeten Ritualgegenstände beschränkt, sondern erstreckt sich auf die gesamte Handlung, die etwa als metaphorisches Verfahren im Rahmen des Rituals referentielle Funktion erhält. 236 Im Zusammenhang mit der Einstellung der Akteure stellt sich auch die Frage nach Sinn und Zweck der Ritualhandlung. Tatsächlich ist in vielen Fällen für den außenstehenden Betrachter eine auf ein übergeordnetes Ziel ausgerichtete Handlungsintention nicht erkennbar und auch den Ausführenden selbst erscheinen Zielsetzung und Bedeutung des eigenen Handelns bisweilen nicht (mehr) durchschaubar oder zumindest polyvalent. Da Auswahl und Ablauf des Rituals nicht individuell vorgenommen werden, sondern durch die konstitutiven Regeln tradierter Handlungsmuster vorbestimmt sind, kann sich seine Bedeutung dem Verständnis der einzelnen Beteiligten ganz oder teilweise entziehen. Dies besagt jedoch nicht, daß rituelles Handeln nicht zielgerichtet oder zweckbezogen sei. 237 Rituale werden nicht aufgrund ihrer kognitiv erfaßbaren Bedeutung ausgeführt, sondern, wie es z.B. bei Opfer- oder Heilungsritualen der Fall ist, aufgrund des ihnen zugeschriebenen Wirkpotentials, das mit den Bedürfnissen des Ausführenden korreliert. 238 Ist der Ritualvollzug nicht unmittelbar auf die Erlangung eines gewünschten Resultats ausgerichtet, so kann das Ziel der rituellen Handlung dennoch etwa in der pflichtgemäßen Einhaltung bestimmter Verhaltensformen bestehen oder in dem Bestreben begründet sein, auf bestimmte wiederkehrende oder voraussehbare Ereignisse angemessen zu reagieren. 239 Hingewiesen sei auf die qualitative Differenz der in die Arbeitsdefinition aufgenommenen Kriterien, die sowohl deskriptiv als auch interpretativ sind. So umfaßt der Katalog äußere, formale Merkmale der Ritualtechnik wie die Existenz von stereotypen Handlungsmustern, die aus der Strukturanalyse der Handlung abgeleitet sind und in der Linguistik etwa mit sprachsystematischen Betrachtungen vergleichbar wären. Beigestellt sind 235 Vgl. Mauss/ Hubert 1966, 40 („qualification“). Ebenso Rappaport 2003, 204. 236 Vgl. z.B. Mauss/ Hubert 1966, 53: „Le minimum de représentation que comporte tout acte magique, c’est la représentation de son effet.“ Zu Mauss’ Stellung im Rahmen der französischen Pragmatik vgl. z.B. Nerlich 1986, 138-161, bes. 152-161. 237 Zu Nicht-Intentionalität und Bedeutungslosigkeit als Charakteristikum von Ritualen vgl. bes. Staal 1979; Staal 1989; Humphrey/ Laidlaw 1994. Hierzu auch Michaels 2001, 40-45; Stausberg 2004, 37-40; 42f. 238 Vgl. hierzu z.B. Michaels 2003a, 8: „In Ritualen muß man meist nicht verstehen, was man tut; man kann sich darauf verlassen, daß es richtig ist, was man tut.“ 239 Vgl. insbesondere die Klassifikation bei Snoek 1987, 88. 73 Charakteristika, die Haltung und Einstellung der Akteure selbst, etwa zur Intentionalität rituellen Handelns, betreffen, wobei diese teilweise empirisch erhoben die Binnenperspektive wiedergeben, teilweise aus der Fremdsicht rekonstruiert sind. Emische und etische Perspektive überlagern sich insbesondere in Bezug auf Bedeutung und Funktion von Ritualen: Die soziale Dimension kann dem Ritual nur von außen, auf der Basis einer wissenschaftlichen Interpretation, zugesprochen werden, den involvierten Personen ist sie hingegen nicht zwangsläufig bewußt. Abschließend bleibt festzustellen, daß es sich bei den vorgestellten Kriterien um ein Bündel von differenzierenden Merkmalen handelt, die als erster Orientierungspunkt entsprechend dem Stand der Forschung zusammengestellt wurden. Damit soll folglich weder Anspruch auf Vollständigkeit erhoben noch eine allgemein verbindliche Definition gegeben werden; vielmehr sind die Ergebnisse u.a. im Zusammenhang mit der aktuellen Ausarbeitung einer ‘Ritualgrammatik’ durch den SFB 619 „Ritualdynamik“ (Universität Heidelberg) zu sehen. 240 III.1.3 Soziale Relevanz durch öffentliche Performanz Wie bereits festgestellt, rücken moderne soziologisch geprägte Interpretationsmodelle den Öffentlichkeitscharakter und damit die gesellschaftsrelevante Kraft ritueller Handlungen in den Blickpunkt: Rituale werden als öffentliche Ereignisse verstanden, die eine auf die Gemeinschaft bezogene Funktion besitzen, insofern als sie soziale Realitäten konstruieren oder modifizieren. 241 Mit anderen Worten: Öffentliche Rituale „stabilisieren, 240 Vgl. z.B. den online im Forschungsmagazin Ruperto Carola erschienenen Forschungsbericht von Michaels (2002). Von Gladigow (1998, 459) wird die Erarbeitung einer Grammatik oder Kompositionslehre als Desiderat der Forschung dargestellt. 241 Vgl. z.B. Michaels 2003a, 6. Eine meist im Zusammenhang mit dem Zyklus und bestimmten Phasen des Jahreslaufs bzw. des menschlichen Lebens eintretende Veränderung liegt insbesondere den Initiations- und Übergangsritualen, den ‘rites de passage’ zugrunde. Ihre Untersuchung durch den Soziologen Arnold Van Gennep hat die Ritualdiskussion entscheidend geprägt, für viele Ritualformen und -strukturen aber auch unempfänglich gemacht. Das zentrale Element zahlreicher daraus abgeleiteter Ansätze mit soziofunktionaler Ausrichtung ist im weitesten Sinne die Positionierung des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft, die durch eine Krise bewältigt werden muß. Diese krisenhafte oder liminale Situation kann durch biologische oder physiologische Gründe ausgelöst sein, wie es z.B. bei den Geburtsritualen der Fall ist; die Anbindung an ein biologisches Faktum liegt aber nicht zwingend vor und kann je nach Kultur sehr stark variieren. Tatsächlich kennzeichnen die — im Hauptteil dreistufigen — ‘rites de passage’ oftmals selbst die mitunter nur schwach biologisch markierte Schwelle von einem sozialen Status zum nächsten. Das Ritual, etwa im Zusammenhang mit Pubertät oder Ehefähigkeit, löst folglich die liminale Situation des Einzelnen aus — einen kritischen Übergangszustand zwischen alter und neuer Position — und schafft durch die öffentliche Rezeption des Vorgangs zugleich eine kollektiv anerkannte Wirklichkeitsveränderung. Zu Van Gennep vgl. z.B. Snoek 1987, 61-73; Bell 1997, 94-102. Wichtig ist auch die Kritik von Tambiah (1979, 140), der das rigide dreiteilige Schema mit einer „tripartite straitjacket“ vergleicht, die nicht 74 solidarisieren oder hierarchisieren soziale Beziehungen“, 242 indem sie sozialrelevante Tatsachen schaffen. In der aktuellen Debatte manifestiert sich überdies der wachsende Einfluß von Sprachbzw. Theaterwissenschaft: Rituale werden in ihrer Struktur als plurimedial vermittelte Dramatisierungen erfaßt, wobei die Betonung des performativen Aspektes die Anwesenheit von menschlichen Kommunikationspartnern und somit wiederum Adressiertheit und Öffentlichkeitscharakter rituellen Handelns impliziert. 243 Aufgrund ihres funktionalistischen Zugangs basieren moderne Ritualkonzepte folglich stark auf der etischen Perzeption der Vorgänge, die letztlich zu einer Bedeutungs- und Funktionszuweisung von außen führt. Dies birgt für den modernen Beobachter die Gefahr, vertraute kultur- und epochenspezifische Sichtweisen auf den Untersuchungsgegenstand zu übertragen, wodurch das Spektrum der Interpretationsmöglichkeiten stark eingegrenzt oder eine plausible Deutung sogar unmöglich wird. Öffentlichkeits- und Mitteilungscharakter besitzt etwa die der defixio typologisch nahestehende Verfluchung, eine Sanktionierungsmaßnahme, die das Zielindividuum nicht nur insofern betrifft, als sie auf seine direkte Schädigung abzielt, sondern einer sozialen Ächtung gleichkommt (s. A: III.4.2). Ebensowenig richtet sich auch das antike bewußt sicht- und hörbar ausgeführte Gebet nicht nur an die angerufene Gottheit, sondern auch an die anwesenden Mitbürger, denn über das sozial kontrollierbare Gebet ergeben bzw. rekonstituieren sich Status und Position des Einzelnen in der Gesellschaft. Analog verhält es sich auch mit anderen sozialrelevanten Ritualen, unabhängig davon, ob sie der ‘heiligen’ oder der ‘profanen’ Sphäre zuzuordnen sind. 244 In jedem Falle steht das Individuum gesellschaftlichen oder ökologischen Kräften gegenüber, die es mittels einer öffentlich vollzogenen rituellen Handlung zu kanalisieren gilt. Diese fungiert dabei als Mittel, die soziale Integration und Interaktion zu regulieren und/ oder die Beziehungen des Menschen zu seinen Ressourcen im Gleichgewicht zu halten. Damit stellen diese Rituale, die das wechselseitige Verhältnis Mensch-Gesellschaft/ Umwelt determinieren, letztlich Mechanismen der Systemerhaltung dar. auf jede Ritualform anwendbar ist. Vergleichbar Snoek 1987, 89: „[…] the concept of rites de passage with its tripartite structure [was found to be] of prime importance for the study of rituals in general. However, the only classification of rituals found was that into rites the passage vs. other rituals […].“ 242 Michaels 2003a, 8. 243 Hierzu z.B. Bell 1997, 159f.: „[…] p e r f o r m a t i v e dimension per se — that is, the deliberate, self-conscious ‘doing’ of highly symbolic actions i n p u b l i c […]“ (Hervorhebungen von mir). Ebenso Belliger/ Krieger 2003a, 18-30; Harth 2004, 101-104. 244 Zu der Dichotomie ‘sakral’ vs. ‘profan’ vgl. Leach 1968, 522f., 525; Bremmer 1998, bes. 24-31; Stolz 2001, 19-22. 75 III.2 Das Ritualszenario in den Ritualpräskripten III.2.1 Das Ritual als Produktionskontext der Zaubertafeln Ritualpräskripte für die Ausführung einer defixio geben Auskunft über die Ritualsituation und den Kontext der ‘Fluchtafeln’. Hierzu zählen zunächst Angaben zu Zweck, Anwendungsbereich und Wirkpotential ebenso wie Hinweise zu den rituell Agierenden oder ihrer Rolle im Ritualablauf. Ebenso sind non-verbale Ritualelemente, die sich auch in den Verwünschungen reflektieren können, aufgeführt und beschrieben. Aus diesem Ritualszenario lassen sich schließlich Informationen zu Glaubensvorstellungen, Welt- und Menschenbild gewinnen ebenso wie Erkenntnisse über die Kommunikationssituation des Rituals und die Handlungsintention des rituell Agierenden. Die Untersuchung des Wechselspiels von präskriptiven Texten und Zauberinschriften erlaubt es folglich, den Produktionskontext multiperspektivisch zu erfassen. Zugleich dient der Ritualbegriff dazu, das Verhältnis der Quellentexte zueinander zu bestimmen und zu organisieren. Im folgenden sollen Erfassungsbreite und Plausibilität des oben vorgestellten Kriterienkataloges an entsprechenden Ritualpräskripten überprüft und gegebenenfalls differenziert und spezifiziert werden. III.2.2 Zubereitung und Ausführung einer defixio (PGM V 304-369) Fiktionale Umformungen antiker Ritualszenarien sind in unterschiedlichen literarischen Gattungen nachweisbar. Die oftmals ausführlichen und detailreichen Beschreibungen entstammen jedoch der Reflexion eines Dichters, der eine gewisse Wirkung bei seinem Publikum erzielen will und hierfür mitunter Klischees bedient oder eine ironisch gebrochene Sichtweise mitliefert. Authentischeres Anschauungsmaterial liefern die Griechischen Zauberpapyri (Papyri Graecae Magicae), eine umfangreiche Sammlung vielfältigster magischer Anleitungen aus Ägypten. 245 Neben Hausmitteln gegen Migräne und Parasitenbefall enthalten sie auch Anleitungen zur Herstellung von Zwangs- und Unterwerfungsmitteln wie z.B. von Liebeszaubern und ‘Fluchtafeln’. Diese ‘Zauberrezepte’ wurden zwischen dem 2. vorchristlichen und 5. nachchristlichen Jahrhundert niedergeschrieben und in den magischen Handbüchern zusammengestellt, so daß die Ritualszenarien nicht zwingend in ihrem genuinen Zustand vorliegen; vielmehr bilden die mitunter komplexen ‘synkretistischen’ Anweisungen das Produkt un- 245 Die Erstausgabe der PGM wurde 1928-1941 von Preisendanz besorgt, die (partielle) Neubearbeitung stammt von Betz (1986) und Preisendanz/ Heinrichs (1973). Ergänzungen sind etwa die 1990 erschienene zweibändige Sammlung Supplementum Magicum (Suppl. Mag.) sowie einzelne Publikationen, z.B. Brashear/ Kotansky 2002. Eine sehr gute Übersicht über die Zauberpapyri geben Brashear 1995; Ritner 1995, 3358- 3371. 76 terschiedlicher Traditionen, in denen sich verschiedene Schichten von Handlungen und Formeln überlagern können. 246 Für die Struktur des defixio-Rituals in seiner ursprünglichen Ausprägung existieren keine direkten Zeugnisse; 247 auf der Grundlage der Quellen ist nicht einmal mit ausreichender Sicherheit festzustellen, „daß stets feststehende Rituale erforderlich gewesen seien“. 248 Eingedenk dieser Tatsache soll folgender Ausschnitt aus einem Zauberpapyrus für die Zubereitung und Ausführung einer defixio (PGM V 304-369) als Rekonstruktionsbasis einer maximalen rituellen Gesamtsituation herangezogen werden: Nimm […] ein Bleitäfelchen und einen eisernen Ring […] schreibe den Namen, die Zauberzeichen […] und [folgendes]: ‘Gebunden sei seine Vernunft, auf daß er nicht ausführen könne das und das.’ […]. Stich ein an den Zauberzeichen mit dem Schreibrohr und vollziehe die Bindung mit den Worten: ‘Ich binde den XY zu dem betr. Zweck: er soll nicht reden, nicht widerstreben, nicht widersprechen, er soll mir nicht entgegenblicken oder entgegenreden können, sondern soll mir unterworfen sein, solange dieser Ring vergraben liegt. Ich binde seinen Sinn und sein Denken, seinen Geist, seine Handlungen, auf daß er unfähig sei gegen jedermann.’ Wenn du aber ein Weib bannst, sag auch: ‘Auf daß nicht heirate den XY die XY.’ Dann trag [das Bleitäfelchen] weg ans Grab eines vorzeitig Verstorbenen, grab 4 Finger tief, leg es hinein und sprich: ‘Totendämon, wer du auch bist, ich übergebe dir den XY, auf daß er nicht ausführe das und das.’ Dann schütt es zu und geh weg. Am besten agierst du bei abnehmendem Mond […]. Der Ring kann auch in einen unbenutzten Brunnen gelegt werden oder ins Grab eines vorzeitig Verstorbenen […]. Vergleichbar mit einem Drehbuch, in dem sich die potentielle Performanz des Rituals widerspiegelt, gehen diese Präskripte weit über das hinaus, was den Zaubertafeln selbst über die Durchführung der rituellen Gesamthandlung, deren Bestandteil und Produkt sie zugleich sind, entnommen werden kann. Der unmittelbare Entstehungskontext der defixiones stellt sich, zumindest in einer möglichen Maximalversion, als „kompliziertes und zugleich konkret verbildlichendes Ritual aus Wörtern, Formeln, Namen [und] Gegenständen“ 249 dar. Entsprechend dem obigen Kriterienkatalog läßt es sich als Handlungskomplex mit einer regelgeleiteten, festen, wiederhol- und nachahmbaren Struktur beschreiben: Wie verschiedene andere Ritualpräskripte in Abgleich mit dem archäologischen Befund aufzeigen, bildet dabei die (Blei)Tafel, unabhängig von der jeweiligen Performanzvarietät, ein rekurrentes Ritualelement; 250 ebenso stellen Beschriftung, Manipulation und Niederlegung der Tafel festgeschriebene Handlungs- 246 Vgl. hierzu auch Meyer 2004, 105. 247 Bereits Preisendanz (1972, 4) spricht von einem Problem der „späteren Zauberformulare […] für die synkretistischen Lamellen“. 248 Vorwort zu Brodersen 2001b, 8. 249 Daxelmüller 2001, 27. 250 In zahlreichen Ritualpräskripten erscheint z.B. die Anleitung „nimm eine Bleitafel“, so etwa in PGM IV 228f.; XXXVI 231; LVIII 5. 77 einheiten dar. Relative Invariabilität ist auch ein Kennzeichen der verbalen Ritualelemente. Dabei handelt es sich um Satzmuster, die auf einer Vielzahl von Zaubertafeln mit geringer Variationsbreite nachweisbar sind. Formalität und Universalität manifestieren sich im vorliegenden Beispiel auch an dem wiederkehrenden Platzhalter „XY“: Mit dem Austausch zentraler informationstragender Elemente kann das Formular an die jeweilige Anwendungssituation angepaßt werden. An der Anrufung des ‘Totendämons’ ist ferner die intendierte Kontaktaufnahme mit einem dämonistischen Kosmos erkennbar, der seinerseits Teil des ritualspezifischen Glaubenssystems ist (s. auch A: III.3.6; A: V.2). An der im ‘Rezept’ vorgeschriebenen zeitlichen Situierung von Ritualinszenierung und -vollzug sowie der Verortung am Rand der sozialen Topographie zeigt sich zudem, daß die defixio eine Erfahrung jenseits der Alltagswelt darstellt. 251 Überdies legen verschiedene ‘Löserituale’ nahe, daß die Wirkung des Rituals als automatisch eintretend gedacht ist und nur mittels einer rituellen Gegenmaßnahme rückgängig gemacht werden kann. 252 Ebenso ist in PGM V 304-369 der „betr. Zweck“ der Zauberhandlung expliziert: Ziel ist die Lösung von „drängenden persönlichen Angelegenheiten“, 253 die durch die Bezwingung einer anderen Person herbeigeführt werden soll. Damit zielt die defixio unbestreitbar auf Beeinflussung und Modifikation der außersprachlichen Wirklichkeit ab; 254 die Ausführung steht aber weder in Beziehung zu zeitlichen oder räumlichen Veränderungen noch soll sie einen „Wechsel des Status oder der Kompetenz“ 255 innerhalb eines Kollektivs herbeiführen (s. auch A: III.1.3). 251 Zu anderen in den Zauberpapyri festgehaltenen Ritualen, die den Ausführenden „momentan aus seiner alltäglichen Welt herausführ[en]“ vgl. auch Graf 1997, 123. Die Aussonderung des Ritualgeschehens aus dem Alltäglichen bestätigen aber auch literarische Zeugnisse wie z.B. die Fasti des Ovid, gemäß derer ein Bindezauberritual als fester Bestandteil bestimmter Feiertagshandlungen genannt wird. 252 Vgl. etwa PGM IV 2145-2240 („Homerischer Dreizeiler“), ein vielseitiges Ritual, das u.a. auch „Bindezauber lösen“ (2176f.) kann. Zur Aufhebung der magischen Wirkung vgl. z.B. Graf 1996, 152-154. Die Vorstellung einer möglichen Aufhebung der Zauberwirkung reflektiert sich in PGM V 324-325: „[er] soll mir unterworfen sein, solange dieser Ring vergraben liegt.“ ‘Löseklauseln’ finden sich auch in den ‘Fluchtafeln’. 253 Vgl. Jordan 1985b, 205: „urgent personal concerns“. 254 Vgl. bereits Mauss/ Hubert (1966, 54) zu der durch das Ritual intendierten Zustandsveränderung („changement d’état“): „[Les actes magiques] se ressemblent en ce qu’ils ont pour effet immédiat et essentiel de modifier un état donné.“ Zur ‘Weltzustandsveränderung’ s. A: V.4.3.2. 255 Michaels 2003a, 8. 78 III.2.3 Die defixio als ‘Ich’-Ritual: Das Fehlen der sozialen Dimension Das Wirkpotential von Ritualen wird von gängigen Theorien in Zusammenhang mit ihrem öffentlichen Vollzug gesehen. So führt etwa A. Michaels die Transformationsleistung des Rituals auf seine kommunikative Dimension zurück. 256 Dies bedarf jedoch einer zusätzlichen Differenzierung, denn bei der Realisierung von Ritualen in einem kollektiven Rahmen sind z w e i Ebenen kommunikativen Handelns zu unterscheiden: Eine primäre Kommunikation zwischen rituellem Subjekt und dem menschlichen oder übermenschlichen Adressaten sowie eine darauf bezogene sekundäre Kommunikation zwischen Ausführendem und zugehörigem Kollektiv, die bewußt oder unbewußt ablaufen kann. Der Ritualvollzug innerhalb von Glaubensgemeinschaften, Institutionen oder anderen menschlichen Gruppierungen, die als Rezipient und Träger der veränderten Realität fungieren, stellt folglich einen mehrfach adressierten kommunikativen Akt dar. Wie bereits gesehen, trifft dies auf öffentlich vollzogene Ritualhandlungen wie z.B. Fluch oder Gebet zu. 257 Ein auf schädliche Fremdeinwirkung ausgerichtetes Ritual, das allein egoistischen Motiven verpflichtet ist, stellt hingegen naturgemäß eine individuelle, private und anti-soziale Handlung dar. Daß die defixio nicht kollektiv vollzogen wird, läßt der Ausschnitt aus PGM V 304-369 vermuten: Zum einen sind keine weiteren Akteure oder Beteiligte genannt, zum anderen gilt die Geheimhaltung sogar als Garant für die Zauberwirkung. 258 Ebenso machen strafrechtliche Verfolgung und soziale Ächtung eine Ausführung „im Nichtöffentlichen, im Dunkeln“ 259 wahrscheinlich. Zubereitung und Ausführung einer defixio präsentieren sich folglich als isoliert ausgeführtes ‘Ich’-Ritual. 260 Die Isolation des rituell Agierenden ist jedoch 256 Vgl. z.B. ebd.: „Rituale kommunizieren“. Als Beispiel werden jedoch nur Übergangsrituale angeführt. 257 Zur Kommunikation im antiken Gebet vgl. Scheer 2001, bes. 49f. Diese Kommunikationssituation bleibt auch charakteristisch für den modernen Gottesdienst, vgl. hierzu Paul 1990, 122. Zum „Gelingen des sekundären Kommunikationsaktes“ vgl. auch Rüpke 2001a, 29f. (Zitat S. 29). 258 PGM V 324-325: „[er] soll mir unterworfen sein, solange dieser Ring vergraben liegt.“ Auch nach Mauss/ Hubert (1966, 15) ist das Handeln im Verborgenen ein typisches Zeichen für das magische Ritual: „[Le rite magique] se cache […]. L’isolement, comme le secret, est und signe presque parfait de la nature intime du rite magique.“ 259 Rüpke 2001b, 167. 260 Als moderne Parallele ist z.B. die sog. ‘Solitaire’-Bewegung zu nennen, deren Internet-Rituale von Kerstin Radde-Antweiler (Ritualdesign im Internet. Rezeption und Invention von Ritualtraditionen bei sogenannten „magischen“ Ritualen der Solitaire-Bewegung) im Rahmen des SFB 619 ‘Ritualdynamik’ untersucht wurden (TP C2: „Zwischen Online- Religion und Religion-Online: Konstellationen für Ritualtransfer im Medium Internet“, Projektleitung: G. Ahn). Die Rituale werden von den ‘Solitaires’ grundsätzlich allein und nicht im kollektiven Kontext praktiziert, da sich der Vollzug allein an den individuellen Belangen der rituell Agierenden orientiert. Vgl. Radde 2006; ebenso Da- 79 keine Besonderheit der defixio, sondern ist auch für andere antike rituelle Praktiken nachweisbar — genannt sei neben dem Schadenauch der Heilzauber —, die eindeutig darauf angelegt sind, unmittelbar auf die Umwelt einzuwirken; 261 ebenso kann die soziale Dimension auch bei Ritualen wie etwa dem Gelübde fehlen, die im öffentlichen wie auch im privaten Raum vollziehbar sind. 262 Bei der Durchführung dieser realitätsverändernden ‘Ich’-Rituale ist die sekundäre Kommunikationsebene ausgeblendet; die Adressierung eines Kollektivs kann folglich nicht als konstitutiv für die intendierte Modifikation der außersprachlichen Wirklichkeit verstanden werden. Der isolierte Vollzug ritueller Maßnahmen ist vor dem antiken Kontext erklärbar, in dem der Glaube an das Wirkpotential von Ritualen eine entscheidende Rolle spielt: Aus emischer Perspektive gesehen, ist der gewünschte Erfolg dieser ‘Ich’-Rituale nicht an die Rezeption seitens eines menschlichen Kollektivs gebunden, sondern allein abhängig von der (korrekten) Durchführung der rituellen Operation. Der öffentliche Vollzug kann folglich kaum als valides Abgrenzungskriterium zwischen Ritualen und Nicht-Ritualen gewertet werden; dem Gegenstand angemessener ist statt dessen die Einteilung nach dem angestrebten Ziel der rituellen Handlung. Im Rahmen eines ‘Ich’-Rituals ist die Individualität jedoch allein auf den Moment des Vollzugs bezogen, nicht auf die formale Organisation des Rituals. Intersubjektivität und Nachahmbarkeit sind insofern gegeben, als Kenntnis und Umsetzung von rituellen Handlungen Teil des kollektiven Wissens sind, das mitunter auch in entsprechenden Regelwerken festgehalten und tradiert sein kann. Der Vollzug eines ‘Ich’-Rituals rekonstituiert kollektive Vorstellungen und Überzeugungen, wie etwa den Glauben an bestimmte übergeordnete kosmische Regeln und Zusammenhänge. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, daß die gängigen Ritualkonzepte zu restriktiv für die Beschreibung antiker ‘aggressiv-magischer’ Operationen sind, insofern als sie normative Interpretationsmuster religionswissenschaftlich-theologischer Prägung aufweisen bzw. ausschließlich an ‘aufgeklärten’ modernen Gesellschaften orientiert sind. Diese Begrenzung ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß viele Theorien von den ersten Studien ausgehen, die Glaubenssysteme vorwiegend als soziokulturelle Phänomene deuten, und nahezu unverändert für soziologischfunktionalistische Untersuchungen übernommen werden. Rituale ohne offenkundige gesellschaftliche Relevanz können in diesem konzeptuellen Rahmen kaum in Betracht gezogen werden. Wie in den vorangegangenen Kapiteln dargelegt wurde, zählen hierzu nicht nur an gemeinschaftliche Kulte angebundene Ritualhandlungen, die ebenso im Privaten durchführ- xelmüller (2001, Abb. 47), der auf unzählige Möglichkeiten, Rituale „in häuslicher Bastelarbeit“ (Unterschrift Abb. 47) zu verrichten, verweist. 261 Zur Isolation im Rahmen antiker magischer Rituale in der Antike vgl. z.B. Graf 1991, 195f.; ders. 1997, 122. 262 Vgl. z.B. Rüpke 2001b, 165f. 80 bar sind, sondern auch ausschließlich individuell angewandte Rituale zur persönlichen Erfolgssicherung, Krisenbewältigung bzw. Problemlösung wie die defixio. III.3 Struktur und Semantik der Ritualhandlung In den antiken Ritualpräskripten sind rituelle Gegenstände und Handlungsabläufe aufgeführt und beschrieben. Im Abgleich mit dem archäologischen Befund und den Zauberinschriften, lassen sich hieraus nicht nur die Struktur des defixio-Rituals rekonstruieren, sondern auch die Bedeutung von non-verbalen Elementen und rituell gesteuerten Handlungsschritten näher untersuchen. Zu den zentralen rekurrenten Ritualelementen zählt die Tafel, die sowohl als Schreibunterlage wie auch als Gegenstand einer rituellen Manipulation fungiert. Genau festgeschrieben sind auch Ablagestelle, -modalitäten und -zeitpunkt. III.3.1 Die tabellae defixionum als Ritualelement: Antike Verwendung und ritualspezifische Semantik von Blei Der weitaus größte Teil der lateinischsprachigen ‘Fluchtafeln’ besteht aus Blei oder überwiegend bleihaltigen Legierungen: Unter den 537 in das Gesamtcorpus (Corpus 1) 263 aufgenommenen Zauberinschriften befinden sich nur zehn Exemplare aus anderen Materialen. 264 Dieser Befund ist nicht allein durch die gute Haltbarkeit von Blei erklärbar, denn auch andere dauerhafte Materialien wie etwa Ton oder Stein sind selten; 265 ebenso bleiben Täfelchen aus Kupfer, Bronze oder Zinn die Ausnahme. 266 Edelmetalle wie Silber und Gold sind aufgrund der ihnen zugeschriebenen apotropäischen oder gesundheitsfördernden Wirkung auf die Herstellung von Heil- und Schutzzauberinschriften festgelegt. 267 Über die Verwendung vergäng- 263 Zu den Zahlenangaben s. B: I.2. 264 Zu den Beschreibstoffen vgl. z.B. Cesano 1910, 1561f.; Preisendanz 1972, 3f.; Brashear 1995, 3443-3446; Graf 1996, 120; 157; Ogden 1999, 10-13 (mit genauen Zahlenangaben). Nach Gager (1992, 3) scheinen die griechischen Täfelchen eine größere Materialvariation aufzuweisen. Eine Übersicht über die verwendeten Materialen findet sich z.B. im Index von Suppl. Mag. II, 364 („C. Inscribed Materials (other than papyrus)“). 265 Zu Ton als Zaubermaterial vgl. PGM, Bd. 2, 233-235 (Kap. II: „Ostraka“), vgl. hierzu auch Gager 1992, 92, bes. Anm. 36. 266 Trotz einiger ‘Rezepte’ für die Herstellung von Täfelchen aus Zinn im Rahmen ‘aggressiv-magischer’ Rituale (z.B. PGM IV 2212; VII 417) sind nur wenig Exemplare auf uns gekommen, die diese Praxis bezeugen. Auch die Funde aus Bath sind nicht aus reinem Zinn, sondern aus Blei-Zinn-Legierungen gefertigt, vgl. Tomlin 1988, 82. Die Ambivalenz dieses Metalls zeigt sich auch in einer Anleitung zur Erlangung einer Weissagung (PGM III 298f.): „schreib auf [ein Blatt] aus Gold oder Silber oder Zinn folgende Zeichen […]“. 267 So geht die Vorstellung von Gold als Heilmittel etwa auf seine Verehrung als lebensspendendes Element zurück, da sein Glanz einen direkten Zusammenhang zur leuch- 81 licher Materialien kann naturgemäß keine definitive Aussage getroffen werden: Papyrus wird in einigen Anweisungen als Schreibunterlage aufgeführt; 268 Wachs scheint eher der Anfertigung von Zauberpuppen vorbehalten gewesen zu sein, 269 wenngleich literarische Quellen die Beschriftung und Manipulation von Wachstafeln nahelegen. Die parallele Verwendung von Wachs und Blei wird z.B. durch den Text einer griechischen defixi o bestätigt: „Ich binde alle diese Menschen in Blei und in Wachs.“ 270 Die Verbreitung von Blei dokumentiert sich sowohl in der Literatur als auch in den magischen Anleitungen. Für den vielseitigen Einsatz dieses Rohstoffes lassen sich zunächst praktische Gründe nennen: Als Abfallprodukt etwa der Silbergewinnung ist es vergleichsweise billig und leicht erhältlich; in Form von Wasserrohren, Geschirr, Etiketten und Marken aller Art ist es im römischen Alltag omnipräsent. Verwendung findet es auch für Glasproduktion und Malerei sowie als Abdichtungs-, Verkleidungs- und Stützmaterial in Architektur und Schiffbau. Ebenso ersetzt Blei edlere Metalle bei der Herstellung von Schmuck, Votivgaben und sogar Amuletten. 271 Da es aufgrund seiner weichen und elastischen Beschaffenheit zudem einfach gravier- und beschriftbar ist, dient es auch als Schreibunterlage oder Siegel; auf Bleitafeln werden auch Orakelfragen und -antworten eingereicht. 272 Zusammen mit den wachsbeschichteten Holztafeln zählt Blei folglich zu den herkömmlichen Schreibstoffen der Antike. Im rituellen Kontext kommt es darüber hinaus zu verschiedenen Bedeutungszuweisungen: Obwohl Blei zugleich in der antiken Chirurgie, etwa zum Kühlen, Sezieren oder als Arzneimittel, Verwendung findet und dementsprechend als heilsam oder heilungsfördernd gilt, überwiegt gerade tenden und unzerstörbaren Kraft der Sonne nahelegt. Die Heilkraft des Goldes und seiner Derivate wird etwa von Plinius d.Ä. bezeugt (vgl. Plin. nat. 33,84f.). Gold, Silber oder auch Zinn werden als Schutzmittel oder zur Gewinnung einer positiven Zauberkraft verwendet, vgl. etwa PGM IV 259 (Silbertäfelchen); 1255 (Zinnblättchen); VII 919f. (Goldblättchen). Zu diesen Vorstellungen vgl. z.B. Seligmann 2, 1910, 6-8. Die ‘Fluchtafel’ dfx 4.1.3⁄15, die vom Erstherausgeber Wünsch (1910, 11) fälschlicherweise für Silber gehalten wurde, besteht tatsächlich aus Blei, vgl. hierzu auch den Kommentar von Schwinden (1996, 236). 268 Tatsächlich empfiehlt das Formular für die Zubereitung einer defixio (PGM V 304-369) neben Blei auch den Gebrauch von „Papier“ (304). Zu den griechischsprachigen Beispielen für die Verwendung von Papyrus für die Zauberhandlung vgl. etwa Suppl. Mag. I, 127f., Nr. 40; 154-156, Nr. 43; 162-173, Nr. 45; Suppl. Mag. II, 61-65, Nr. 63. Auch Leinen wird verwendet, etwa in Suppl. Mag. I, 157-161, Nr. 44. 269 Vgl. z.B. PGM IV 296; 2378. 270 DTA 55a. Hierzu z.B. Faraone 1991, 7. 271 Zur Gewinnung und Verwendung von Blei in der Antike vgl. z.B. Plin. nat. 34,47; 34,156-176. Hierzu insbesondere Gesellschaft Deutscher Chemiker/ Projektgruppe Plinius 1989, 17-58; 72; Römer-Martijnse 1991; Schmitz 1993, 54. Grundlegend Blümner 1887, 88-91; 142-160; 374-378; ders. 1899a; Schwerteck 1997. 272 Vgl. z.B. Björck 1938, 96-98. Blümner 1899a, 563; Römer-Martijnse 1991, 47. 82 in der Magie die Bewertung als unheilvolles Material: 273 Aufgrund seiner materialimmanenten Eigenschaften wird es mit negativen und unangenehmen Eindrücken wie Kälte, Schwere, Nutz- und Wertlosigkeit sowie Fahlheit in Verbindung gebracht; nicht zuletzt ist der Giftgehalt von Blei bereits in der Antike bekannt. 274 Auf den frequenten Einsatz von Blei in ‘aggressiv-magischen’ Operationen geht möglicherweise auch die Deutung als Sympathiemetall des unheilwirkenden Planeten Kronos-Saturn oder vergleichbarer Gottheiten zurück. 275 Ferner kann die Beschaffung der Bleitafel für das Ritual auch die Beschädigung von öffentlichem Eigentum und folglich die Ausführung eines gemeinschaftsschädigenden Aktes mit sich bringen: Nach einigen Anleitungen sollen die Bleistücke aus Wasserleitungen herausgeschnitten werden. 276 III.3.2 Die rituelle Verschriftung: Die Zauberinschrift Im Rahmen des Rituals werden die Zaubertexte mit einem Griffel, einem Nagel oder einem anderen spitzen Gegenstand in die Schreibunterlage geritzt (s. auch B: I.1.2); die Verschriftung des Ritualtextes bildet dabei eine zentrale, bisweilen mit der Rezitation gleichlaufende Ritualhandlung. 277 III.3.2.1 … als negatives und positives Kommunikationsmedium Dem Ausführenden einer antisozialen ‘aggressiv-magischen’ Operation bietet die Schriftform den erheblichen Vorteil, daß die Handlung unbemerkt von der Öffentlichkeit und dem Opfer erfolgen kann (s. auch A: V.2.3). Ebenso kann der Text als Inschrift abgelegt und dem Zugriff von menschlicher Seite entzogen werden. Zugleich stellt die Inschrift aber auch ein Medium der Kontaktaufnahme dar. Diese „Unterweltsbriefe“ 278 sind allerdings nicht auf zwischenmenschliche Interaktion, sondern auf die Adressierung von numinosen Mächten ausgerichtet. Die Schriftform, die eine zeitliche und räumliche Trennung von Sender und Empfänger ermöglicht, gewährleistet eine ano- 273 Speziell zur medizinischen Verwendung von Blei vgl. Projektgruppe Plinius 1989, 23- 65; 72. 274 Vgl. hierzu Wünsch 1898, 72; Cesano 1910, 1561; Graf 1996, 120; Ogden 1999, 12. Zur bleifahlen Gesichtsfarbe, die nach Aristoteles einen baldigen Tod verheißt, vgl. Plin. nat. 11,273. 275 Vgl. hierzu Audollent 1904, XLIX; Cesano 1910, 1561; Hopfner 1928, 326f.; 343; Watson 1991, 195 (mit Verweis auf Cod. Vatic. Pal. gr. 141f. 214r.). 276 Vgl. PGM VII 397 („Blei vom Rohr einer Kaltwasserleitung“); 431 („bleierne Platte von einer Kaltwasserleitung“); s. auch A: II.4.2.4. 277 Zur ‘magischen’ Bedeutung der Schrift vgl. z.B. Glück 1987, 203-217; 228. Zur Gleichzeitigkeit von rituellem Sprechen und Schreiben, vgl. Graf 1997, 125. Expliziert. z.B. in PGM IV 328-330: „nimm eine Bleiplatte und schreib den gleichen Spruch darauf und sag ihn her“. 278 Preisendanz 1972, 7. Ebenso schon Wünsch (1889, 71), demzufolge die schriftliche defixio regelmäßig die „Form eines Briefes an die Unterweltsgötter“ aufweist. 83 nyme und heimliche Kontaktaufnahme, bei der die Aufmerksamkeit der angerufenen Gottheit nicht überstrapaziert oder auf den Ausführenden selbst gelenkt wird. Durch die Kombination von Rezitation u n d Verschriftung kann der kommunikative Kontakt über zwei mediale Kanäle und folglich auch an zwei Kommunikationspartner erfolgen: an den unmittelbar in der Ritualsituation angerufenen Vermittler und Überbringer sowie an den Adressaten der schriftlichen Botschaft. Der Briefcharakter ist dabei teilweise bereits an der äußeren Gestaltung der Textunterlage erkennbar; er manifestiert sich auch anhand anderer außertextueller Faktoren wie der Deposition des Täfelchens etwa in Gräbern und damit an Orten, die mit Göttern und Dämonen in Verbindung gebracht werden. Schließlich bietet die Verschriftung gegenüber der alleinigen mündlichen Rezitation zusätzlich die Möglichkeit, die Lamelle mit magischen Bildern und Zeichen zu versehen, um die Gelingensbedingungen der Interaktion zu verbessern (s. auch A: III.3.6.4). III.3.2.2 … als Konservierungs- und Kodierungsmedium In seiner schriftlichen und damit stabilen Form verhallt das ephemere gesprochene Wort nicht ungehört, sondern kann die Sphäre des numinosen Adressaten auch zu einem späteren Zeitpunkt noch erreichen. Angesichts der anthropomorphen Gottesvorstellungen der Antike, gemäß derer die Gottheiten nicht omnipräsent oder allwissend sind, spielt diese Kommunikationsform eine wichtige Rolle. 279 Durch die Gravierung des Metallplättchens wird nicht nur die Zeugenfunktion auf die Schreibunterlage übertragen, sondern auch die Macht des Wortes, als carmen zunächst nur gesprochen und flüchtig, auf einen Gegenstand gebannt und haltbar gemacht. 280 Die physische Existenz des Wortes wird damit noch greifbarer und seine Wirkdauer ‘verewigt’. Diese verstärkende Funktion der Schrift wird auch in den Anleitungen der Zauberpapyri thematisiert: „Zur Verstärkung der Worte schreib auf Papyrus […].“ 281 Auch die Wahl der Schrift kann bewußt getroffen sein: 282 Zunächst spielt die für kultische Handlungen charakteristische Tendenz zu archaischen Formen in der Schriftwahl, analog zum Sprachgebrauch, eine wich- 279 Hierzu z.B. Scheer (2001, 49, Anm. 88), die Burkerts Meinung aufgreift, der „im Fall der Unterweltsgottheiten das stille Gebet für üblich [hält]“, um „die Toten und Rachegötter […] nicht auf sich aufmerksam [zu] machen“; hieraus ergibt sich auch, daß man sich der „Anwesenheit der Götter“ (36) nicht sicher sein kann. Zu lautem (‘religiösem’) und leisem (‘magischem’) Beten vgl. z.B. auch Sudhaus 1906; Van der Horst 1994; Fyntikoglou/ Voutiras 2005, 165f. (s. auch A: III.1.3). 280 Hierzu stellt Rüpke (2001a, 30) fest, daß bei Ritualvollzug ohne Öffentlichkeitscharakter Verschriftungen „besonders ausgeprägt“ sind. Ebenso Graf 1996, 190f.; ders. 1997, 125-126. 281 PGM XXXVI 167f. Zu dieser Vorstellung von Schrift vgl. z.B. Huvelin 1901, 23 (mit zahlreichen Belegen); Hopfner 1938, 131f.; Graf 1997, 125. 282 Vgl. hierzu bes. die Ausführungen von Pocetti 2002, 37-57. 84 tige Rolle. Ferner gelten Verfremdung und Verrätselung als Strategie zur Steigerung der magischen Potenz. Aber nicht nur die offensichtliche Verdunkelung steht bei den besonderen Verschriftungsgebräuchen im Vordergrund, ebenso verbirgt sich hinter der Transliteration eines Textes in ein fremdes Alphabet die Vorstellung, daß das Wirkpotential einer Äußerung nicht in jeder Sprache gleich groß, sondern an ihren ursprünglichen „Dialekt“ gebunden sei. 283 Mit der Übertragung in eine andere Sprache würde diese dem ursprünglichen Lautkörper inhärente Macht des Wortes vernichtet. Die Verschriftung eröffnet hingegen die Möglichkeit, die ältere und damit prestigereichere Sprache in Form ihrer Grapheme beizubehalten und mit dem äußeren Anstrich auch die zugehörigen magischen Qualitäten zu konservieren. Die Bedeutung dieser graphischen Kodierungsvorgänge zeigt sich insbesondere in zweisprachigen Regionen wie Nordafrika, wo lateinschsprachige defixiones verschiedentlich in griechischen charaktere s verschriftet wurden. 284 III.3.3 Die rituellen Manipulationen als metaphorische Handlungen: Paralysierung und Aggression Die Verwendung der Schrift und die realiter ausgeführte Bindung oder Durchbohrung sind als metaphorische Handlungen zu verstehen: 285 Sie 283 Vgl. die Aussage des christlichen Philosophen Origenes (c. Cels. 5,45): „Namen/ Wörter, deren Beschaffenheit es ist, in einer bestimmten Sprache wirksam zu sein, die in einen anderen Dialekt überführt werden, bringen nichts mehr zustande, wie sie es mit den ursprünglichen Lauten zustandegebracht haben.“ Hierzu z.B. Gager 1992, 34, Anm. 42; Graf 1996, 70f.; 195-197; Gordon 1999a, 242f. In stoischer Tradition argumentiert Origenes (c. Cels. 1,24), daß sich die verschiedenen Bezeichnungen schließlich naturgegeben ( fÊsei ) und nicht aufgrund von Übereinkunft ( y°sei ) ausgebildet hätten und folglich bei Zauberworten und insbesondere bei Götternamen keine arbiträre Beziehung von signifiant und signifié vorliege. Die Vorstellung von der Wirksamkeit der Originalsprache, die durch Übersetzung zerstört wird, findet sich auch in anderen Glaubenssystemen wieder, vgl. z.B. Tambiah 1968, 180f. Zur Bedeutung der Schrift im rituellen Kontext vgl. z.B. auch die Zusammenfassungen bei Susini 1982, 143-149; ebenso Glück 1987, 205f.; Hartung 1993. Zum charakter switching vgl. Adams 2003, 46. 284 So z.B. in den griechisch-lateinischen defixiones dfx 11.1.1⁄27 und 11.1.1⁄28. Auf der Tafel dfx 11.1.1⁄28 korrespondieren Sprache und Alphabet, so daß sich der Text als Sprach- und Schriftmischung präsentiert; in dfx 11.1.1⁄27 hingegen ist auch der lateinischsprachige Text in griechischen charakteres verschriftet, wodurch der Prozeß der Umschrift direkt nachvollziehbar wird. 285 Gemäß dem Wesen der Metapher wird dabei dem signifiant ein signifié aus einem anderen Kontext zugeordnet, vgl. z.B. Vollers-Sauer 1993: „[…] die rhetorische Figur der M. [kommt] zustande, indem die Bez. eines Gegenstandes auf einen anderen übertragen wird, den eine ‘Ähnlichkeit’ mit dem ersten Gegenstand verbindet […].“ Zum metaphorischen Denken in der Magie vgl. Tambiah 1968, 189f.: In seinem Erklärungsmodell ersetzt er die von Frazer postulierte irrationale Auffassung von ‘imitativer’ Magie durch die fundamentale rationale Kategorie ‘metaphorisch’; ferner schlüsselt er entsprechend die Vorstellung von ‘kontagiöser’ Magie als metonymisches 85 besitzen insofern Zeichencharakter, als sie auf die dem Opfer zugedachten Folgen verweisen. Hierbei wird einerseits eine auf Ähnlichkeit basierende Beziehung zwischen der konkreten Manipulation und der gewünschten Einwirkung auf das abwesende Opfer aktualisiert; andererseits fungiert die Tafel selbst als Zeichen für das Opfer. III.3.3.1 Das ‘Niederschreiben’ des Namens Mit dem Niederschreiben des Namens wird die ‘Fixierung’ der Zielperson auf unmittelbar materieller Ebene vollzogen; 286 explizit wird dieser Zeichencharakter der rituellen Schreibhandlung durch eine Formel wie ‘ich schreibe den XY nieder’ (desc ribo) (s. auch A: IV.3.1). Möglicherweise reflektiert sich die Vorstellung der ‘Niederschrift’ einer Person auch bei denjenigen Zauberinschriften, die allein aus dem Namen des Opfers bestehen. Bei der rituellen Verschriftung kann auch dem Verlauf der Schrift eine wichtige Rolle zukommen, indem er metaphorisch aufgeladen wird. Verschiedentlich nehmen Analogien auf den ungewöhnlichen Schriftverlauf Bezug, wodurch z.B. eine Verbindung zwischen der umbzw. abgekehrten Schriftrichtung und dem Schicksal der verwünschten Person hergestellt wird (s. auch A: IV.4.2.6): ‘[…] daß jenen oder jene die Götter (vom Leben) abgewandt machen, so wie dies abgewandt (= retrograd) ist’ ([…] ut illum aut illam aversum faciant dii sicut hoc est aversum). 287 Die Metaphorik des Rituals impliziert dabei die parallele Aktivierung einer zweiten semantischen Ebene desselben Lexems: Im vorliegenden Beispiel wird das Partizip ‘abgewandt’ hinsichtlich der intendierten Einflußnahme auf das Opfer im übertragenen Sinne (von ‘tot’) verwendet. 288 Diese Semantik von ‘abgewandt’ (aversus) ist auch durch eine defixio belegbar, in der die Opferung eines kleinen Tieres (catellus) thematisiert wird. Denken auf. Zur Verwendung von Analogien und Metaphern in der Magie vgl. auch Tambiah 1978, bes. 265-294; Bell 1997, 50f.; 64f. 286 Zur weitverbreiteten Vorstellung des „bannenden Schriftzaubers“ vgl. Tiemann 1938/ 1941, bes. 361f. (Zitat S. 361). Diesem Vorgang liegt die als ‘magisch’ empfundene Verbindung zwischen Name und Namensträger zugrunde. Zur ‘magischen’ Bedeutung des Namens, dessen Kenntnis Macht über den Namensträger verleiht, vgl. z.B. Wünsch 1897, IV; Hopfner 1928, 334-343.; Cassirer 1925, 40-46; Kagarow 1929, 48f.; Petersmann 2002a, 67f. (mit umfangreicher Literatur); ders. 2002b. Anders Tambiah (1968, 186f.; 189f.), der sich gegen die Theorie wendet, die Macht über den Namensträger ‘irrational’ von der Kenntnis des Namens abzuleiten, und statt dessen von einer metonymischen Verbindung ausgeht (s. auch A: IV.4.1.1; A: IV.4.2.4); ergänzend hierzu z.B. Bell (1997, 51; 65) mit Verweis auf Leach, der am Beispiel eines Haarzaubers die metaphorische Verwendung einer metonymischen Verbindung beschreibt. Dieselbe Vorstellung spiegelt sich auch bei der Handhabung von ‘Zauberstoff’. 287 dfx 5.1.7⁄1: Die letzten Buchstaben des Adjektivs aversum ‘abgewandt’ stehen zusätzlich auf dem Kopf. Hierzu z.B. Faraone/ Kropp (im Druck). Vgl. auch dfx 6.1⁄1 (inversum). Zur ‘Analogieformel’ s. auch A: IV.4.2.6. 288 Vgl. hierzu insbesondere den Kommentar von Nuber (1984, 383) zu dfx 5.1.7⁄1. 86 Tatsächlich ist die Laufrichtung der Texte auf den defixionum tabella e nicht immer ‘normal’, d.h. rechtsläufig: 289 In einigen ist die Schriftrichtung bustrophedon, einige andere weisen einen retrograden Schriftverlauf auf oder sind von unten nach oben geschrieben. Die Ausrichtung der Buchstaben kann ebenfalls variieren: Neben Texten in Spiegelschrift begegnen kopfstehende Varianten. Auch Anagramme und ausgefallene Buchstabenanordnungen, wie etwa Spiralen oder Schlangenlinien, die zur Kryptifizierung der Texte dienen, dokumentieren diese magische Schriftpraxis. 290 III.3.3.2 Die Manipulation der ‘Fluchtafel’ Analog zur Verschriftung des Namens besitzt auch die realiter ausgeführte Manipulation der Tafel Zeichencharakter. 291 Eine Transposition auf die Sprachebene erfolgt durch Formeln wie ‘ich binde fest’ ( katad« bzw. deligo) oder auch ‘ich hefte fest’ bzw. ‘ich durchbohre’ (defigo) (s. auch A: IV.3.1). Wie bereits im Hinblick auf die rituelle Verschriftung dargelegt, impliziert die Metaphorik der Ritualhandlung eine doppelte Verbsemantik. Dies gilt auch für die Verba defigendi ‘festbinden’ ( katade›n ) oder ‘durchbohren’ (defig er e): In ihrer ursprünglichen Bedeutung beziehen sie sich auf die konkrete Ritualhandlung, in einer übertragenen auf die dem Opfer zugedachten Auswirkungen der magischen Operation. Durch die Evozierung der rituellen Situation tritt der ‘performative’ Aspekt der Formeln, d.h. der Vollzug der Ritualhandlung, in den Vordergrund. 292 Dabei wird die dem Vergleich zugrundeliegende Similaritätsbeziehung zwischen zwei im Grunde disparaten Gegenständen, parallel zur oben dargestellten reellen Manipulation, erst durch die rituell eingebundene Sprechhandlung 289 Vgl. Tomlin 2004, 26f. 290 Ein besonders anschauliches Beispiel stellt der Diskus dfx 2.1.2⁄1 dar, der kreisförmig beschrieben ist. Vgl. den Kommentar von Curbera/ Sierra Delage/ Velázquez (1999) mit Angaben der entsprechenden Anleitungen in den Zauberpapyri. Zur Bedeutung des Schriftverlaufs vgl. z.B. Ogden 1999, 29f. 291 Obwohl die Verbrennung der Tafel als rituelle Manipulation regelmäßig in den Zauberbüchern oder in literarischen Texten begegnet, stellt sie in der Praxis wohl eher die Ausnahme dar. Belegbar ist dieser Vorgang etwa bei dfx 8.2⁄1: Diese Tafel befand sich in den Ruinen eines Hauses und wurde folglich auch nicht an einem typisch ‘magischen’ Ort niedergelegt. Für das Mater-Magna-Heiligtum in Mainz zeichnet sich allerdings eine Häufung dieser Manipulationsart ab, vgl. hierzu Witteyer 2004, bes. 49. 292 Dies trifft insbesondere auf die lateinischen defixiones zu. Bei zahlreichen griechischen Täfelchen hingegen basiert die Analogie weniger auf dem Manipulationsvorgang als vielmehr auf dem Manipulationsobjekt und seinen negativen materialimmanenten Eigenschaften, die auf das Opfer übergehen sollen, vgl. z.B. DTA 106 (Nutzlosigkeit); DTA 107 (Kälte). Hierzu z.B. Graf 1996, 187. 87 konstituiert. Die Tafel wird dabei semantisch aufgeladen und schließlich zum Zeichen für das Opfer. 293 III.3.4 Opfertiere und ‘Zauberstoff’ Vereinzelt wird in der Zauberinschrift die Manipulation eines Opfertiers thematisiert: In einem Fall wird die Opferung eines kleinen Hundes (catellus) mit dem Schicksal der Zielpersonen verglichen: ‘Wie dieses Hündchen auf dem Rücken liegt und sich nicht erheben kann, so auch jene [d.h.: meine Feinde] nicht. So mögen sie durchbohrt sein, wie jenes’ (Quomodo hi c catellus ave rsus est nec surger e potest, sic nec illi. Sic transpicti sint, quomodo ille). 294 Auch die Verwendung eines Hahns ist belegt; Herausdrehen und Durchbohren der Zunge bilden das intendierte Verstummen der Zielpersonen ab: ‘Wie ich diesem Hahn lebendig die Zunge herausgedreht und durchbohrt habe, so sollen die Zungen meiner Gegner gegen mich verstummen’ (Quomodo huic gallo linguam vivo extorsi et defixi, sic inimicorum meorum linguae adversus me obmutescant). 295 Angesichts ihrer seltenen Erwähnung auf den Täfelchen zählt die Opferung von Tieren wohl nicht zu den systematisch vollzogenen Ritualhandlungen; dem archäologischen Befund ist hierüber nahezu nichts zu entnehmen. 296 Nach Ausweis literarischer Quellen bilden auch ‘Zauberstoffe’ ( oÈs ! a ) wie z.B. Haare, Nägel oder Kleidung des Opfers, Elemente eines ‘aggressiv-magischen’ Rituals. 297 Hinweise hierauf geben allerdings weder die Zauberinschriften noch archäologische Daten. 293 Ganz deutlich zeigt sich dies in den unbeschrifteten, aber manipulierten Täfelchen, wie sie etwa in einem Brunnen in der Nähe des gallischen Rauranum (Rom) gefunden wurden (DT 109). Hierzu z.B. Preisendanz 1972, 5. Ebenso z.B. die Funde im Amphitheater von Trier, vgl. den Kommentar von Wünsch (1910, 1f.) zu dfx 4.1.3⁄1 - 4.1.3⁄15. 294 dfx 4.3.1⁄2. Mit der Bedeutung ‘rückläufig’ findet sich das Partizip aversus ‘abgewandt’ in einer ähnlichen ‘Analogieformel’ (s. A: IV.4.2.6). 295 dfx 11.1.1⁄8. 296 Ein seltener Fall ist etwa eine noch nicht entschlüsselte Tafel aus dem heutigen Mazan, die zusammen mit den Knochen eines Kükens geborgen wurde, vgl. Barruol 1963, 108. 297 Vgl. hierzu z.B. die Anleitung des Liebeszaubers im „Großen Pariser Zauberpapyrus“ (PGM IV 296-466), s. auch A: III.3.4. Im Rahmen des Rituals soll die Zaubersubstanz am Kopf der weiblichen Figur befestigt werden. Zum Gebrauch von ‘Zauberstoff’ für die Herstellung von defixiones, vornehmlich erotischer Natur, vgl. Hopfner 1928, 331- 334; Faraone 1991, 14; Winkler 1991, 224; Ogden 1999, 14f. (mit zahlreichen Belegstellen). Der Nachweis auf der Grundlage archäologischer Funde ist schwer zu führen, da organische Materialen wie Nägel oder Haare im Boden etc. vergehen. 88 III.3.5 Die rituelle Funktion des Ablageortes III.3.5.1 Wiederkehrende Fundkontexte Mangels belastbarer Dokumentation sind verläßliche Aussagen über den archäologischen Kontext nicht in jedem Falle möglich. Da die unspektakulären Kleininschriften zu Beginn des letzten Jahrhunderts nicht zu den archäologischen Hauptattraktionen der Grabungsstätten zählen, werden die genauen Fundumstände nicht immer sorgfältig verzeichnet und sind im nachhinein schwer rekonstruierbar. 298 Dies gilt auch aktuell noch für Zufallsfunde oder von ‘Hobbyarchäologen’ bzw. ‘Metallsuchern’ unsachgemäß durchgeführte Grabungen. 299 Ferner müssen moderner Fund- und antiker Ablageort nicht zwingend identisch sein: Durch Abtragung und Umfüllung können Gegenstände nachträglich an ihre Fundstellen gelangen, so daß zwischen primärem und sekundärem Depositionsort nicht zu differenzieren ist. In diesem Sinne unspezifisch sind z.B. Bodenfunde ebenso wie Brunnenschächte und ähnliche Bodenvertiefungen, die als Schuttabladeplätze dienen und Sammelbecken für Materialien unterschiedlichster Herkunft sein können. Für eine bewußte Ortswahl bei der Niederlegung des Täfelchens sprechen allerdings die nahezu gleichbleibenden Fundkontexte (s. C: II., Abb. 2): 300 Die übergroße Mehrheit der in die Datenbank aufgenommenen 537 lateinischsprachigen defixiones (Corpus 1) 301 stammt aus Tempelanlagen (256) wie Bath oder Uley. Für das zahlenmäßige Übergewicht dürften vor allem auch verbesserte Grabungsbedingungen und aktuell erwachtes Forschungsinteresse verantwortlich sein. An zweiter Stelle stehen Grabstätten (152), die seit den Anfängen der Ritualform defixio als Depositionsstellen genutzt werden. 302 Alle anderen Örtlichkeiten spielen eine eher untergeordnete Rolle: Hierzu zählen Amphitheater (31) und Wasservorkommen (29) wie z.B. Brunnenschächte. In vereinzelten Fällen fanden sich die Täfelchen im Mauerwerk eines Hauses oder unter der Türschwelle (7). Dieser topographische Befund korrespondiert mit den vorgeschriebenen Ablagemodi in den Ritualpräskripten: Das ‘Zauberrezept’ PGM V 304- 369 nennt als Depositionsstelle das „Grab eines vorzeitig Verstorbenen“ und einen „unbenutzten Brunnen“; Parallelen und Ergänzungen ergeben 298 So klassifiziert der Erstherausgeber Olivieri (1899) z.B. eine vierteilige Serie aus Bologna (dfx 1.1.2⁄1 - 1.1.2⁄4), trotz unbekannter Fundbedingungen und ohne Begründung, als Grabfunde: „[…] tavolette bolognesi […], di cui non si sa nè dove nè quando furono trovate, ma che certo devono derivare da tombe“ (194). 299 Vgl. hierzu z.B. Tomlin 2004, 15f. 300 Für eine ausführliche Darstellung der Fundorte mit Zahlenangaben und relevanten (allerdings meist griechischen) Textstellen vgl. z.B. Ogden 1999, 15-25. 301 Zu den Zahlenangaben s. B: I.2. 302 Ein ähnlicher Befund ergibt sich auch für die frühen griechischen defixiones: Zu den rekurrenten Fundorten zählen Grabstätten und Tempelanlagen. Vgl. hierzu z.B. López Jimeno 1991, 14f.; 219f. 89 sich z.B. aus einem universal einsetzbaren „Bannmittel“: „im Brunnen, in der Erde, im Meer, in der Wasserleitung, in einem Sarg oder Brunnen […].“ 303 Bestätigt wird die Übereinstimmung von Fund- und Ablageort auch durch diejenigen defixiones, die auf bestimmte Gegebenheiten des Ablageortes Bezug nehmen. Ein Grabfund trägt folgende Inschrift: ‘Wie der Tote, der hier begraben liegt’ (Quomodo mortuus qui istic sepultus est). 304 Eine weitere Zauberinschrift, die sich an die ‘Seelen an diesem Ort’ (anima e huius loci) 305 richtet, wurde ebenfalls in einer Nekropole gefunden. Auch die Nennung von Gottheiten und Dämonen läßt regelmäßig Verbindungen zur Ablagestelle erkennen; im Unterschied zu den Zauberpapyri weisen die ‘Gebete für Gerechtigkeit’ dabei auch Tempel oder Heiligtümer bestimmter Gottheiten als Depositionsorte aus: ‘Basilia übergibt im Tempel des Mars den Silberring’ (Basilia donat in templo Martis anellum argenteum). 306 III.3.5.2 ‘Magische’ Verbergung und Ausgrenzung, Analogiekontext und Kontaktaufnahme Wie bereits angesprochen, kann der Ablageort im Rahmen des Rituals nicht willkürlich oder beliebig gewählt werden, die richtige Plazierung des Täfelchens ist vielmehr ein wichtiger Bestandteil für die korrekten Ausführung. Die Ablagemodalitäten sehen vor, daß das Täfelchen nicht offen oder sichtbar bleibt, sondern verborgen wird. Dies hängt mit der Illegalität der magischen Operation zusammen. Zugleich ist der unzugänglich deponierte Zaubertext dem menschlichen Zugriff entzogen und kann nicht unmittelbar wieder rückgängig gemacht werden. Der Ablageort muß nicht nur die Geheimhaltung der Operation garantieren, sondern auch andere Kriterien erfüllen. Eine Erhöhung der magischen Potenz versprechen Totenstätten: Bereits das Öffnen eines Grabes stellt eine Handlung dar, die, analog zur ‘aggressiv-magischen’ Operation selbst, gesellschaftlichen Normen zuwiderläuft, zumal wenn sie nachts erfolgt. 307 Darüber hinaus befinden sich antike Nekropolen am Rande der sozialen Topographie, 308 ihnen wird per se unheilvolle Macht zugeschrie- 303 PGM VII 450f. Als Depositionsort vorgeschrieben ist z.B. auch die „Fußbodenheizung eines Bades“ (PGM VII 469). 304 dfx 1.4.4⁄3. 305 dfx 11.1.1⁄26. 306 dfx 3.2⁄76. 307 Auch in der Literatur erscheint die Nacht als typischer Zeitpunkt für magische Operationen, vgl. z.B. Tib. 1,8,17 (tacito tempore noctis). Die Hexe Medea ruft für ihren Verjüngungszauber an ihrem Schwiegervater Aison (vgl. Ov. met. 7,179-293) u.a. die Nacht an (191). Zu den adäquaten Zeiten für die Zauberhandlung vgl. z.B. Hopfner 1928, 353-356; Kropp 1930, 148f.; Gordon 1999a, 204-210. Ebenso Eggers Kommentar (1963, 33) zu den möglichen Ausführungsmodalitäten von dfx 6.1⁄1. 308 Bestattungen finden im antiken Rom regelmäßig außerhalb der Stadtmauern statt. Dies geht bereits aus dem Zwölftafelgesetz (Tafel 10) hervor, vgl. Flach 1994, 191f. 90 ben: 309 Die rituelle Deposition der Tafel ist, ihrer Manipulation vergleichbar, als polyvalenter metaphorischer Vorgang zu verstehen. Die Ablagestelle fungiert dabei als Ort der Kommunikation und Kontaktaufnahme mit übernatürlichen Mächten und, in Ausnahmefällen, auch mit dem Opfer der Verwünschung. Ebenso stellt sie ritualspezifische ‘Analogieträger’ bereit. III.3.5.3 Die rituelle Deposition als metaphorische Handlung: Übergabe und Angleichung Die Deposition des Täfelchens kann auf die Übergabe an übernatürliche Mächte verweisen. Analog zu Verschriftung, Bindung und Durchbohrung stellt auch der Ablagegestus ein metaphorisches Verfahren dar, das die aktuelle rituelle Situation zu den intendierten Einwirkungen auf das Opfer in Bezug setzt. Im Gegensatz zur Manipulation wird damit zugleich eine Verbindung zu bestimmten Gegebenheiten des Ablageorts konstituiert; Analogieträger und Tertium comparationis können folglich je nach räumlichem Kontext variieren. Ein Grab kann nicht nur der Ort der Niederlegung der Tafel, sondern auch der ihrer Übergabe an dort vermutete Mächte sein. Dies zeigt sich bei einigen griechischen Täfelchen, die dem Bestatteten in die Hand gegeben wurden. 310 Auf den defixionum tabellae ist die Transposition in die Sprache in Form von ‘Übergabeformeln’ nachweisbar: ‘Ihr Unterweltsgötter, ich überantworte […] und übergebe euch Tychene, die Tochter des Charisius’ (Dii infe ri, vobis commendo […] ac trado Tychenem Charisii). 311 Eine vergleichbare Formel erscheint z.B. auch in PGM V 304-369: ‘Totendämon, wer du auch bist, ich übergebe dir den XY.’ Neben Totenstätten ist die Übergabehandlung in jedem Kontext möglich, der eine Verbindung zu übernatürlichen Mächten eröffnen kann. Dies gilt insbesondere für Heiligtümer, trifft aber auch auf Brunnen, Quellen etc. zu (s.o.). Wie bereits einleitend angesprochen, ist der Ablagegestus polyvalent: Neben der Übergabe impliziert er auch die Angleichung des anvisierten Allgemein vgl. z.B. Latte 1960, 102; Le Bonniec 2001; Rüpke 2001a, 19. Das Hexentreiben auf dem Friedhof als literarischer Topos findet sich etwa bei Horaz. 309 In der neueren Forschungsliteratur wird für die Beschreibung der besonderen Friedhofsatmosphäre der Begriff ‘Miasma’ ( m ! asma ) wieder bemüht. Miasma, ursprünglich ‘Befleckung’, bezeichnet die zersetzende Ausdünstungen, die verwesenden Materialien, hauptsächlich den bestatteten Körpern, entströmten. Seit dem Mittelalter wird Miasma als medizinischer Terminus für schlechte, mit Krankheitserregern angefüllte Luft verstanden und schließlich gleichbedeutend mit mala aria verwendet. Zur Verschmutzung durch Leichen vgl. z.B. Parker 1996, 32-73; Ogden 1999, 16; 22; Gordon 1999a, 210. Im Hinblick auf Magie vgl. auch Kagarow 1929, 20: „Ursprünglich lag die Absicht vor, den Feind zu vernichten, indem man seinen Namen in Berührung brachte […] mit der Kirchhofserde, welch[e] […] ihre verwesende Kraft anderen Gegenständen mitteilt.“ Zum „Reinheitsproblem“, das die Verstorbenen darstellen, vgl. auch Rüpke 2001, 19. 310 Vgl. hierzu z.B. Ogden 1999, 16 mit Verweis auf Jordan 1985a, Nr. 1; 2. 311 dfx 1.4.1⁄1. 91 Opfers an einen Toten. Dieser Doppeldeutigkeit tragen z.B. Formulierungen wie ‘den Eusebius (habe ich) niedergelegt’ (depositum Eusebium) 312 Rechnung: Einerseits begegnet das Derivatum ‘niederlegen’ (deponere) nach den Rechtsquellen als Terminus technicus für die Bezeichnung der Hinterlegung (depositio) bzw. Verwahrung (depositum) eines beweglichen Gegenstandes in die Obhut eines Verwahrers. 313 Überdies bringt das Präverb ‘nieder’-, ‘hinab’- (de-) die Bewegung in die Tiefe und die Kontaktaufnahme mit der Unterwelt als verwahrende Instanz zum Ausdruck. Andererseits bezeichnet ‘niederlegen’ (deponere) zugleich den antiken Umgang mit dem Sterbenden: Eine Bedeutungskomponente des Partizip Perfekt geht zurück auf den Usus, den Todkranken zum Sterben vom Bett auf die Erde zu deponieren. 314 Die ‘Grablegung’ der Tafel kann folglich der Gleichsetzung des Opfers mit einem Toten entsprechen. 315 In Frage kommen hierfür auch Orte, die nur einer kurzzeitigen Aufbewahrung dienen, wie etwa die Leichenkammern von Amphitheatern. Explizit werden aktuelle Ritualhandlung und intendierte Auswirkungen wiederum durch eine ‘Analogieformel’ zueinander in Bezug gesetzt (s. auch A: IV.4.2.6): ‘So wie das Blei hinabfällt, so sende ich Sinto und Martialis […] zu den Unterirdischen hinab, gleichsam wie Unterirdische’ (Sic quomodo plumbum subsidit, sic Sintonem et Martialem […] def ero ad inferos tamquam inferos). 316 Die Richtungsangabe ‘zu den 312 dfx 4.1.3⁄9. Vergleichbar auch dfx 4.1.3⁄10: ‘Der Name der Prissia ist niedergelegt’ (Prissiae nomen depositum). 313 Vgl. Leonhard 1903; Kaser 1977, 163f.; 211. Hierzu auch der Kommentar von Wünsch (1910, 9) zu dfx 4.1.3⁄9 (mit Hinweis auf einen griechischen Paralleltext). 314 Bei Vergil (Aen. 12,395) und Ovid (trist. 3,3,40) findet sich das Part. Perf. Pass. von deponere in der Bedeutung ‘verstorben’. Vgl. hierzu ThlL 5.1, 583, 74-584, 11. 315 Bei dfx 1.4.4⁄13 wird die metaphorische Handlung der ‘Grablegung’ nicht durch die Ablage der Tafel, sondern durch die Anbringung der Inschrift: ‘Wie diese Seele, die darinnen eingeschlossen ist, festgehalten und eingeengt wird und weder Licht noch irgendetwas sieht und keine Labung erhält, so mögen die Seele, die Geisteskräfte, der Körper des Collecticius, den Agnella gebar, festgehalten werden, brennen, völlig vergehen […]’ (Quomodo haec anima intus inclusa tenetur et angustatur et non videt neque lumen neque aliquem, refrigerium non habet, sicut anima, mentes, corpus Collecticii, quem peperit Agnella teneatur, ardeat, deta bescat […]). 316 dfx 5.1.4⁄5. Hierzu ist anzumerken, daß Wünsch (CIL 13, 2, 1, 7554) ohne Begründung eine Umstellung des Textes vornimmt, indem er das ‘gleichsam wie die Verstorbenen’ (tamquam inferos) aus der letzten Zeile nach oben versetzt. Die ursprüngliche Lesung des Abschnitts lautet folgendermaßen: ‘Ich sende Sinto und den Rechtsbeistand dieses Sinto den Unterirdischen hinab. […] So möge es [d.h. das Blei] ihn [d.h. Sinto] mit sich nach unten nehmen, damit er nicht [vor Gericht] erscheint, gleichsam wie die Verstorbenen’ (Sintonem et adiutorium eius Sintonis defero ad inferos. […] Sic desumat non parentem tamquam inferos). Hinabsendung und Gleichsetzung sind auch im Originalwortlaut parallel. Ähnliche Vergleiche finden sich auch in den Zauberpapyri, z.B. PGM X 36-41: „Nimm eine bleierne Tafel […], schreib die untenstehenden Namen auf sie […]. Sprich, wenn das Blatt […] in deine rechte Sandale gelegt wird: ‘Wie diese heiligen Namen getreten werden, so sei auch der NN (nach Belieben), der Bedränger (niedergehalten)’.“ 92 Unterirdischen’ (ad inferos) impliziert dabei sowohl die Herstellung des Kontaktes als auch die Parallelisierung zwischen Opfer und Unterwelt. 317 Diese Doppeldeutigkeit wird durch die Vervollständigung des Vergleichs (tamquam infe ros) unterstrichen. Der Vergleich mit den Toten stellt aber nicht zwingend einen Tötungswunsch dar, sondern etwa die Negation grundlegender menschlicher Fähigkeiten und Eigenschaften, wie ein weiterer Text zeigt: ‘Wie der Tote, der hier begraben ist, weder sprechen noch reden kann, so soll auch Rhodine bei Marcus Licinius Faustus tot sein und weder reden noch sprechen können’ (Quomodo mortuus qui istic sepultu s est nec loqui nec sermonari potest, sic Rhodine apud Marcum Licinium Faustum mortua sit nec loqui nec se rmonari possit). 318 Einen gleichwertigen Analogiekontext bieten Brunnen, Thermen und andere Wasservorkommen. Das Versenken der Tafel kann dabei auf den Niedergang des Besitzes der Zielperson verweisen: ‘Wie dieses Blei nicht auftaucht und untergeht, so soll untergehen seine Jugend, seine Gliedmaßen, sein Leben […]’ (Quomodo hoc plumbum non paret et decidit, sic decidat aetas, membra, vita […]). 319 Ebenso kann nicht nur der Ablagegestus metaphorisch verstanden werden; vielmehr fungiert auch das Wasser als Analogieträger, wie eine defixio aus dem Quellheiligtum von Bath dokumentiert: ‘So soll er sich verflüssigen wie Wasser’ (Sic liquescat quomodo aqua). 320 317 Die Kombination von Gleichsetzung und Übergabe wird auch von der sogenannten ‘Kontaminationsformel’ ‘ich binde hinab zu’ bezeugt (s. auch A: IV.3.5.4). Im Rahmen des präpositionalen Anschlusses, der allgemein eine Richtungsangabe zum Ausdruck bringt, kann der Name der ‘empfangenden’ Gottheit genannt sein ebenso wie der Zweck der ‘Hinabbindung’ (zu prÒw + Akkusativ vgl. z.B. Schwyzer 1950, 509-512, bes. 512). Dies zeigt sich z.B. an der entsprechenden Formulierung aus der bekannten Anleitung für die Zubereitung einer defixio (PGM V 321): ‘Ich binde den XY zu dem betr. Zweck.’ (s. auch A: III.2.2). Besonders deutlich wird die Mehrdeutigkeit der Zielangabe, die sowohl Empfänger des Übergabeobjekts als auch das gewünschte Resultat ausdrückt, in einer griechischen Liebes-defixio: ‘Ich binde Theodora hinab zu der an Persephones Seite [ d.h. Hekate] und zu den Erfolglosen: Erfolglos möge sie selbst sein […]’ (DT 68); anders als die Unterweltsgöttin Hekate sind die „erfolglosen“ Toten aber nicht nur Empfänger, sondern auch Bezugspunkt. Der Zustand der Zielperson soll folglich mit deren Lage konvergieren, indem das negative Hauptmerkmal, die Erfolglosigkeit, auf sie übergeht. Mit dieser Formel wird also letztlich derselbe Bezug hergestellt wie mit der expliziten ‘Analogieformel‘: Herstellung des Kontaktes und Parallelisierung zwischen Opfer und Unterwelt. 318 dfx 1.4.4⁄3. 319 dfx 4.4.1⁄1. 320 dfx 3.2⁄1. Besonders ausgefallene Analogien finden sich auf den Mainzer Täfelchen, z.B. dfx 5.1.5⁄12. Vgl. hierzu insbesondere den Kommentar von Blänsdorf (2005, 23f.), der von drei oder vier magischen Analogien ausgeht (bemerkenswert sind insbesondere die Parallelisierungen mit den exstatischen Anhängern der Mater Magna, den sich selbst entmannenden galli). 93 III.3.5.4 Die Übermittlung einer Botschaft Wie bereits im Zusammenhang mit medialer Funktion und Übergabe der Tafel angeklungen, bilden die unterschiedlichen Depositionsorte einen geeigneten Rahmen für eine Interaktion zwischen defigens und numinosen Mächten. Die Aufforderung, sich des Opfers anzunehmen, kann dabei bereits durch die materielle Übergabe der Bleilamelle, z.B. in die Hand eines Toten, d.h. implizit und non-verbal erfolgen (s.o.). Klarer reflektieren sich die kommunikativen Vorgänge in denjenigen defixiones, mittels derer eine Gottheit mit der Umsetzung der Verwünschung betraut wird (s. auch A: IV.3.3). In diesem Fall fungiert die Tafel nicht allein als Zeichen für das Opfer; vielmehr wird sie als Kommunikationsmittel eingesetzt, das an einem geeigneten Ort dem Adressaten der Botschaft zugänglich gemacht werden muß. Die Zahl gebetsartiger defixio- Texte wächst im Verhältnis zu anderen Formulierungen wie etwa ‘performativen’ Ausdrücken oder ‘Analogieformeln’ deutlich an. Hierin manifestiert sich, daß die Kommunikation zwischen defig ens und übermenschlichen Mächten zunehmend an Bedeutung gewinnt (s. auch A: V.2). III.3.5.5 Der Kontakt zum Opfer Bereits Platon sind Zauberpuppen geläufig, die zu magischen Zwecken an den Türen der Opfer niedergelegt werden. 321 Vergleichbare Aussagen finden sich auch in anderen literarischen Texten. 322 Demgegenüber wird die Kontaktaufnahme mit dem Zielindividuum in den Zauberpapyri nur selten aufgeführt; 323 Hausfunde von defixiones sind ebenfalls die klare Ausnahme. 324 Die räumliche Nähe zum Opfer ist für die Wahl des Ablageortes nicht entscheidend, obwohl durch sie direkte Einwirkung und eindeutige 321 Vgl. Plat. leg. 11,933B („Wachsbilder“). Vgl. hierzu z.B. Graf 1996, 129; Stratton 2007, 43. 322 In späterer Zeit berichtet der griechische Rhetor Libanios von einer Schreibblockade, für die ein verstümmeltes Chamäleon im Hörsaal verantwortlich gemacht wird. Vgl. Lib. or. 1,243-250: „Den Kopf sahen wir zwischen den Hinterbeinen liegen, von den Vorderbeinen fehlte das eine, das andere verschloß den Mund, und das bedeutete Schweigen.“ Hierzu z.B. Brodersen 2001a, 57f.; Lotz 2005, 231. Ebenso führt Tacitus den Tod des Germanicus auf ‘Fluchtafeln’ zurück, die sich, verborgen in Fußboden und Wänden, in dessen unmittelbarer Nähe befanden (s. auch A: II.4.2.6). Um 400 n. Chr. berichtet auch Hieronymus von dem Usus, Liebeszaubertäfelchen an die Türschwelle der begehrten Frau zu vergraben. Vgl. Hieron., Vita S. Hilarionis 21. Hierzu auch Graf 1996, 129; 146f. 323 Vgl. etwa PGM XXXVI 1-3: „Nimm eine bleierne Platte […] und leg sie nieder in der Nähe, gegenüber (vom NN).“ Bisweilen ist im Rahmen des Liebeszaubers die Verbindung zum Opfer vorgeschrieben, z.B. in PGM XIII 240f.: für die Entzweiung soll der Kontakt mit der begehrten Person durch die Berührung ihres Hauseingangs gesucht werden. 324 Gefunden im Fundament eines Raumes: dfx 7.4⁄1; im Bereich des Hauseingangs: dfx 8.2⁄1. Zu den insgesamt sieben Beispielen vgl. Solin 1968, 23, Anm. 1; ebenso Pancieras Kommentar (1968, 334) zu dfx 1.4.4⁄15, das von einer villa auf dem Palatin stammt. 94 Identifikation möglich wären; vielmehr minimiert die Geheimhaltung die Möglichkeit der Gegenwehr auf seiten des Opfers. 325 Dieser Umstand reflektiert sich auch im Text: In den defixiones ist das Opfer nahezu nie direkt angesprochen (s. auch A: IV.3.5.2). Eine gewisse Rolle spielt der Kontakt zum Zielindividuum lediglich bei den Wagenlenker-defixiones, die unmittelbar in den Arenen deponiert werden. III.3.6 Die numinosen Mächte des Rituals Auf der Mehrzahl der defix ionum tabellae sind Theonyme und vergleichbare Bezeichnungen nachweisbar, bei denen es sich auch um Einmalnennungen handeln kann (s. C: II., Abb. 3). 326 Hinsichtlich ihrer Verortung lassen sich die genannten Götter- und Dämonennamen (51) in zwei große Gruppen aufteilen: unterirdische (katachthonische) und überirdische (nichtkatachthonische) Gottheiten. 327 III.3.6.1 Katachthonische Gottheiten Ab dem 1. Jh. v. Chr. finden sich Gottheiten der Unterwelt; 328 ihre Verbreitung ist weder zeitlich noch geographisch beschränkt, ebbt mit dem 2./ 3. Jh. n. Chr. aber deutlich ab. Bei diesen katachthonischen Mächten handelt es sich mehrheitlich um die als ‘unterirdisch’ (inferi) bezeichneten Toten (22). 329 Ebenso genannt sind die Seelen der Verstorbenen, wobei die ‘wohlwollenden Seelen’ (manes) interessanterweise häufiger (7) präsent sind als ihr negatives Pendant, die larvae (2). 330 Auf einem Täfelchen erscheinen die toten Angehörigen (dii parentes); 331 ein Mal sind im Verbund mit den inferi auch die Schutzgottheiten der Familie (dii penates) aufgeführt. 332 Mehrmals namentlich genannt sind die Herrscher der Unterwelt Dis pater (3) bzw. Pluto (9) und Prose rpina (8) bzw. (A)eracura/ Veracura 325 Vgl. hierzu Watson 1991, 197, Anm. 24: „a defixus who knew that he was being hexed might resort to a counter-spell“; ebenso das Vorwort zu Brodersen 2001b, 9; Rüpke 2001b, 171; Meyer 2004, 28f.; 104. 326 Zu den in den ‘Fluchtafeln’ genannten numinosen Mächten vgl. z.B. Audollent 1904, LIX-LXVII; XCII-XCIV (mit Auflistung regionaler Unterschiede); 461-470 (Index); Preisendanz 1972, 6-8; 13; 17f.; Tupet 1976, 11-18; Gager 1992, 12f.; Ogden 1999, 44-46. 327 Eine systematische Übersicht über die römischen Götter gibt z.B. Radke 1965, s.v. Eine einführende Darstellung von Funktions- und Wirkungsbereich bieten: Muth 1988, 238-287, bes. 243-254; 262-264; 266f., 269-271; 283-284; Scheid 2003, 147-159, bes. 155-157. 328 Zu Totenkult und -gottheiten z.B. Wissowa 1912, 161-175; 232-240; Latte 1960, 98-103; 155-157; Scheid 2003, 167-170. Zu den römischen Totenvorstellungen vgl. auch Otto 1958, 68-78. 329 s. C: II., Abb. 3, Nr. 13. Zur Bezeichnung der ‘Unterwelt’ mit inferi vgl. z.B. Menge 2000, 35. 330 s. C: II., Abb. 3, Nr. 19; Nr. 18. 331 s. C: II., Abb. 3, Nr. 37. 332 s. C: II., Abb. 3, Nr. 38. 95 (2), auch als Götterpaar. 333 Zu den Unterweltsgottheiten zu zählen sind überdies der Gott des Totenreiches Orcus (2), die keltische Gottheit Ogmiu s (2), die Erinyae (1) als unterirdische Rachegöttinnen sowie die Mutae Tacitae (1), die ‘stumm-schweigenden Göttinnen der Unterwelt’. 334 Eine in der heiligen Quelle der Anna Perenna gefundene defixio ist ferner an den ägyptischen Unterweltsgott Seth adressiert. 335 Einmalige und spätere Erscheinungen sind die mit dem Zusatz ‘unterirdisch’ (infernus) versehenen Namen großer römischer Gottheiten wie etwa Iupiter (1) oder Mercurius (1). 336 Diese Kennzeichnung ist vornehmlich ein nordafrikanisches Phänomen. Interessant ist auch, daß in den spätkaiserzeitlichen Täfelchen aus Nordafrika Toten- und Unterweltsmächte kaum als ‘Unterirdische’ (inferi), sondern regelmäßig (18) als Dämonen (daemones) bezeichnet werden. 337 Für diese Identifikation sprechen zum einen Parallelen in den griechischen ‘Fluchtafeln’ und Zauberpapyri, die anstatt eines nicht näher bestimmbaren daemon jeweils die speziellere Bezeichnung ‘Totendämon’ ( nekuda ! mvn ) aufweisen; 338 zum anderen kann die Situierung in der Unterwelt z.B. im Rahmen von ‘Anrufungsformeln’ explizit vorgenommen sein. Dieselbe Verortung ergibt sich ferner auch aus den Adjektiven infernalis oder infernus; ebenso aus dem zugehörigen Adverb inferne oder den Ortsangaben ‘die unterirdischen Wohnstätten’ bzw. ‘die Wohnstätten des Tartarus’ (domus infernae bzw. Tartareae). 339 Angegeben wird der Sitz der Dämonen auch als Acherusius lacus, 340 dem bei der kampanischen Stadt Cuma befindlichen „Höllensee“. Denselben lokalen Bezug läßt etwa die Nennung einer ‘kampanischen Herrin’ (Domina Campana) erkennen; 341 sehr wahrscheinlich trifft dies auch auf die Charakterisierung einer Gottheit als ‘Königin der Unterwelt’ (regina tenebrarum) 342 zu, 333 s. C: II., Abb. 3, Nr. 10 bzw. Nr. 39; Nr. 41. 334 s. C: II., Abb. 3, Nr. 35; Nr. 34; Nr. 12; Nr. 27. 335 s. C: II., Abb. 3, Nr. 43. Zu Seth auf den ‘Fluchtafeln’ vgl. z.B. Wünsch 1898, 86-94. Nach Preisendanz (z.B. 1972, 17) gibt es auf den ‘Sethianischen Verfluchungstafeln’ allerdings keine klaren Hinweise auf besagten Gott. Anders sieht dies für die griechischen Täfelchen aus, vgl. z.B. Ogden 1999, 44f. Zur Göttin Anna Perenna vgl. Wissowa 1912, 241f.; Latte 1960, 137f.; Radke 1965, 66-68. 336 s. C: II., Abb. 3, Nr. 17.1; Nr. 24; Nr. 25. Zu den literarischen Belegen vgl. z.B. Wissowa 1912, 313. Demgegenüber ist Hermes in den griechischsprachigen Comparanda sehr präsent und wird vielfach auch explizit als Unterweltsgottheit ausgewiesen. Hierzu z.B. Ogden 1999, 44f. 337 s. C: II., Abb. 3, Nr. 51. 338 Vgl. z.B. DT 234 (Wettkampf-defixio; Karthago). Hierzu z.B. auch Wissowa 1912, 174; 176; Eggers Kommentar (1963, 28) zu dfx 6.1⁄1; Voutiras 1999. 339 dfx 11.1.1⁄25. 340 Ebd. Zitat von Wünsch (1900, 264). 341 dfx 11.2.1⁄31. Vgl. den Kommentar von Audollent 1904, 410. 342 dfx 11.2.1⁄24; 11.2.1⁄25. Zur metonymischen Verwendung von tenebrae im Sinne von ‘Unterwelt’ vgl. Forcellini 6, 52, Nr. 8 (de inferis). 96 für eine weitergehende Interpretation ist das Textumfeld allerdings zu fragmentarisch. Die Erwähnung von Unterweltsgottheiten steht nahezu systematisch in Korrelation zur Ablage in Totenstätten. Zu den gesicherten Ausnahmen zählt eine an Pluto (Iupiter infernus) und seine Gemahlin Aeracura (Iuno infe rna) gerichtete Zauberinschrift aus einem Tempel im antiken Faviana e (Mautern). 343 Dabei handelt es sich wohl um das Heiligtum der beiden Gottheiten; eine verbreitete kultische Verehrung dieses Götterpaars in der Provinz Noricum wird auch von anderen Denkmälern bezeugt (s.u.). Bei einem weiteren Täfelchen aus Lusitanien, das sich an eine mit Pluto zu identifizierende Gottheit wendet, ist eine analoge Konstellation nicht auszuschließen. 344 Wie bereits an PGM V 304-369 ersichtlich, schreiben die Zauberpapyri oftmals die Gräber der „vorzeitig“ oder „gewaltsam Verstorbenen“ als Ablageort für die Tafel vor. Dies erklärt sich durch die Vorstellung, daß jene, plötzlich und unerwartet aus dem Leben gerissen, ihr Ziel oder ihre Bestimmung nicht erreicht haben; 345 ebenso ergeht es demjenigen Toten, der keine rechtmäßige Bestattung erhalten hat, dessen Totenkult vernachlässigt oder Grab geschändet wird. 346 Auch Arenen, Richtstätten, Schlachtfelder etc. stehen somit im Ruf, rast- und ruhelose Seelen zu beherbergen. 347 Interessanterweise finden sich auf den lateinischsprachigen defixiones jedoch keine entsprechenden Hinweise auf Todesumstand oder -zeitpunkt, die Totengeister erscheinen nahezu ausnahmslos unter der allgemeinen Bezeichnung inferi bzw. daemon (s.o.). Allerdings verweist der den ‘Unterirdischen’ zugeschriebene Handlungsumfang auf entgegengesetzte Eigenschaften: Zum einen werden sie mit der Umsetzung der Verwünschung beauftragt, wobei sie aufgrund „ihr[es] ungestillte[n] Lebenshunger[s]“ 348 als umherirrend, unbefriedigt und folglich umtriebig gedacht werden; zum 343 s. C: II., Abb. 3, Nr. 1.1; Nr. 39.9. Vgl. den Kommentar von Egger (1963, 32) zu dfx 6.1⁄1: „[…] vielleicht ist das Heiligtum wirklich eines von Dispater und Aeracura gewesen.“ 344 Vgl. den Kommentar von Marco Simón (2004, 79f.) zu dfx 2.3.2⁄1. 345 Diese Anweisung findet sich etwa auch im „Großen Pariser Zauberpapyrus“ (PGM IV 334f.): „leg [die Puppe] am Sarg eines vorzeitig Gestorbenen oder gewaltsam Umgekommenen nieder.“ Teile eines derartig Verstorbenen, wie Kleiderfetzen oder Blut, gelten auch als beliebte ‘Zutaten’ für Zauberhandlungen, vgl. z.B. PGM II 49 („Fetzen vom Kleide eines gewaltsam Gestorbenen“). Zu dieser Kategorie von Toten vgl. auch Hopfner 1928, 306; 330f.; Graf 1996, 136f.; Ogden, 1999, 16f. (mit zahlreichen Belegstellen). 346 Vgl. z.B. Hopfner 1928, 330f.; Stemplinger 1922, 60f. (mit zahlreichen Belegen); Luck 1990, 65; Gordon 1999a, 176f. (mit weiterer Literatur); Johnston 1999. 347 Vgl. z.B. den „Liebeszauber“ (PGM IV 1390-1495), der „mit Hilfe von toten Massenkämpfern, Gladiatoren oder sonst gewaltsam Getöteten“ (1393f.) wirksam ist. Hierzu z.B. Wünsch 1910, 3. 348 Graf 1996, 119. 97 anderen fungieren sie als Analogieträger, dessen zentrales Merkmal Passivität und Erfolglosigkeit ist. III.3.6.2 Nicht-katachthonische Gottheiten Die zweite große Gruppe setzt sich aus nicht-katachthonischen Gottheiten zusammen, die oftmals lokal kultische Verehrung genießen (s.u.). Der direkte Kontakt wird meist an Heiligtümern und Tempeln gesucht. 349 Große Götter sind allerdings nahezu ausnahmslos auf die Sonderform der ‘Gebete für Gerechtigkeit’ beschränkt; vom europäischen Kontinent stammende Täfelchen weisen hingegen auch infernalische Mächte wie Proserp ina oder Dis pater auf. Eine prominente Rolle innerhalb dieser Kategorie spielen ab dem 2. nachchristlichen Jahrhundert der römische Gott Mercurius (25) (Schwerpunkt Uley) 350 sowie insbesondere die Quellgottheit Sulis (25) bzw. Minerva (25) (Schwerpunkt Bath). 351 Die hohe Zahl an Funden ist vor dem Hintergrund einer kumulativen Deposition im Heiligtum zu sehen, ist aber nicht zuletzt auch modernen Grabungs- und Dokumentationsmethoden geschuldet. Präsent sind ferner auch die ursprünglich kleinasiatische Gottheit Mater Magna (3) bzw. Mater deum (3) und ihr Tempelparhedros Atti s (4), wohl bereits seit frühdomitianischer Zeit (Schwerpunkt Mainz). 352 Daneben finden sich mit Iupiter (3), Mars (9), Diana (4) und Neptun (4) auch andere Vertreter aus dem Kreis der Zwölf Götter, in einem Fall werden sie sogar als Gesamtheit angerufen. 353 In einer ‘Fluchtafel’ erscheinen die Dioskuren Castor und Pollux im Rahmen einer ‘Beschwörungsformel’. 354 Bei den spätantiken Inschriften ist jedoch ein Statuswechsel im kultischen Ansehen zu vermuten. 355 Dies läßt sich insbesondere an den Trierer Zauberinschriften veranschaulichen, in denen die olympische Göttin Diana genannt ist: Sie stammen nicht aus der zugehörigen Tempelanlage, sondern aus dem Amphitheater der Stadt. Der Einfluß nicht-römischer Kulte ist ebenfalls spürbar. Neben Mater Magna und Attis findet sich auch die ägyptische Göttin Isis (2); 356 anders als ihr männliches Pendant Osiri s 349 Im Gegensatz zu den lateinischen kamen die griechischen ‘Fluchtafeln’ vielfach in den Heiligtümern von Unterweltsgöttern, insbesondere der Demeter, ans Tageslicht. Vgl. hierzu López Jimeno 1991, 14f.; 219f.; Ogden 1999, 15; 23. 350 s. C: II., Abb. 3, Nr. 24. Vgl. hierzu z.B. Woodward/ Leach 1993, 115. 351 Zur Identifikation von Sulis und Minerva vgl. z.B. Tomlin 1988, 102.; Petersmann 2003, 279. 352 s. C: II., Abb. 3, Nr. 23 bzw. Nr. 22; Nr. 4. Vgl. hierzu den Kommentar von Blänsdorf (2004; 2005) zu dfx .5.1.5⁄2. 353 dfx 5.1.3⁄1: ‘die Gesamtheit der Zwölf Götter (des Pantheons)’ (totumque duodeca theum), s. C: II., Abb. 3, Nr. 17; Nr. 20; Nr. 9; Nr. 30. 354 s. C: II., Abb. 3, Nr. 6; Nr. 40. Zu den Dioskuren als Gottheiten im Orakelzauber vgl. z.B. PGM XXXI a; vgl. ebenso den Kommentar zu Suppl. Mag. II, 95-105, 71, frg. 13 (mit weiterer Literatur). 355 Speziell zu Diana und Mars in Trier vgl. Unruh 1996, 63f. 356 s. C: II., Abb. 3, Nr. 15. 98 begegnet sie jedoch nicht auf einer defixio aus Nordafrika, 357 sondern, mit dem kultischen Beinamen ‘Tausendnamige’ (Myrionyma), in Hispanien wie auch im germanischen Trier. 358 Die einzige Anrufung der Domina Terra dokumentiert ein nordafrikanisches Täfelchen. 359 Nur in sehr geringem Ausmaß sind Elemente nachweisbar, die möglicherweise auf jüdisch-christlichen Einfluß zurückgehen. So richtet sich die Aufschrift einer Terrakottaurne an die ‘heiligen Engel’ (sancti angeli), die interessanterweise jedoch nicht positiv besetzt sind, sondern mit dem infernus, der ‘Unterwelt’, in Verbindung gebracht werden. 360 Daneben begegnet in einer Liebes-defixio die Schlußformel ‘sei gegrüßt Mutter, sei gegrüßt’ (ave mater ave). 361 III.3.6.3 Faktoren der Götterwahl Die Wahl der Gottheit wird von der Tatsache beeinflußt, daß „[e]s für die Erfüllung des Wunsches entscheidend [ist], daß die richtige Gottheit angerufen wird“. 362 Die Fähigkeit, Schaden zuzufügen, ist nicht nur bei den unheilvollen Unterweltsmächten ein Faktor der Götterwahl. Anzunehmen ist dies auch für die Erinyae oder die Nymphae, weibliche Naturdämonen, die Wahnsinn und Tod hervorrufen sollen. 363 Ähnlich zu bewerten ist die Wahl der Göttin der Notwendigkeit Necessitas (3), die mit Zwang und Bann assoziiert wird. 364 Ebenso könnte auch die Nennung der Gottheiten Diana und Mars auf ihre Funktion als Kriegsbzw. Jagdgottheit zurückge- 357 s. C: II., Abb. 3, Nr. 36. 358 Diese Tafel aus Trier wurde zum ersten Mal im Jahre 2003 bei dem Mannheimer Kolloquium „Antiker Schadenzauber: Neue Funde und neue Deutungen“ (17.- 18.12.2003) vorgestellt. Zu Isis in Trier vgl. z.B. Unruh 1996, 52-54; zu dem Beinamen vgl. z.B. auch Wissowa 1912, 91. 359 Zur Nennung der Erdgöttin Gaia, die auf den griechischen Täfelchen häufiger ist, vgl. die Zusammenstellung von Kagarow 1929, 60f.; ebenso z.B. die Täfelchen bei López Jimeno 1991, 192--197, Nr. 31-36; Ogden 1999, 44. 360 s. C: II., Abb. 3, Nr. 2. Vgl. hierzu z.B. Ogden 1999, 8. Anders Tupet (1976, 11), die die angeli, vergleichbar mit den daemones, als Mittler (ohne christliche Konnotation) zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre sieht. Zur Bedeutung von angeli vgl. z.B. ThlL 2, 45, 32-43; Forcellini 1, 270f. Ein griechischer Paralleltext findet sich z.B. bei Jordan 2000, 22f., Nr. 84. 361 s. C: II., Abb. 3, Nr. 21. Die Maria als Gottesmutter wird in verschiedenen antiken Zaubertexten genannt (vgl. z.B. Meyer/ Smith 1994, 32, Nr. 5; 33f., Nr. 8; PGM O1). Hierzu vgl. auch den Index X in PGM, Bd. 3, 238 („Christliche Heilige“). 362 Graf 1998b, 831. Zur Rolle der Gottheiten im magischen und religiösen Gebet vgl. auch Graf 1991. 363 s. C: II., Abb. 3, Nr. 12; Nr. 33. Zu den Erinyen umfassend z.B. Rapp 1965, bes. 1318f.; 1324-1330; zu den Nymphen z.B. sehr ausführlich Bloch 1965; Johnston 1998. Vgl. auch eine von Jordan (1985b, 207) aufgeführte defixio von der Agora, auf der kÊriai nÊmfai angerufen sind. 364 s. C: II., Abb. 3, Nr. 28. Hierzu z.B. Wagner 1965. 99 hen; in einem Fall wird die Verbindung zu den intendierten Folgen der defixio durch das beigefügte Epitheton ‘fesselnd’ (vinculares) ersichtlich. 365 Motivation und Anwendungsbereich der Verwünschung haben nur geringen Einfluß auf die Götterwahl; regelmäßig wiederkehrende spezielle Liebes-, Wettkampf- oder Prozeßgottheiten sind nicht nachweisbar. Allein bei einmal auftretenden Götternamen ist verschiedentlich ein deutlicherer Zusammenhang zwischen Gottheit und Inhalt der defixi o zu erkennen: In einer Prozeß-defixio erscheinen die Mutae Tacitae, die ‘stummschweigenden Göttinnen’ der Unterwelt; 366 auf derselben Tafel wird auch Orcus, der Gott des Totenreiches, genannt, der nur noch auf einer weiteren Prozeß-defixio erscheint und möglicherweise mit prozeßrelevanten Vorgängen in Verbindung gebracht wird. Ähnlich zu beurteilen wäre auch die Nennung des Ogmius auf einer weiteren Prozeßzaubertafel. Hierbei handelt es sich um das keltische Pendant zum griechischen Herakles, der von einer Bildbeschreibung Lukians als unterirdischer „Gott der Weisheit und Beredsamkeit“ 367 ausgewiesen wird. Als einzige spezifisch mit dem Schaukampf verbundene Gottheit kann die Schicksals- und Vergeltungsgottheit Neces sitas gedeutet werden, deren griechisches Pendant Nemesi s in einer Grabinschrift als große Göttin der Gladiatoren dargestellt ist. 368 Für den Liebeszauber ist nur die Pluralform des Götternamens Anteros ( ÉAnt°rvw ) belegbar, der als Rächer der verlassenen und mißachteten Liebenden gilt. 369 Eine Spezialisierung auf ‘nicht-infernalische’ Gottheiten zeigt sich nur für die ‘prayers for justice’, da sie den als legitim erachteten Bittgesuchen typologisch nahestehen. Rachegötter, wie die Erinyae, die rächenden Furien, erscheinen nicht. Häufiger als bei den übrigen defixi ones läßt sich ein Zusammenhang zwischen Götterwahl und Verwünschungsinhalt feststellen. Dies trifft auf die Verbindung zwischen der Heilgöttin Sulis (Minerva) und der Wiedergutmachung eines erlittenen Unrechts zu; 370 ebenso für Nemesis, die nicht nur als große Göttin der Gladiatoren verehrt, sondern vor allem mit der Vorstellung nach gerechter Vergeltung assoziiert wird. 371 365 s. C: II., Abb. 3, Nr. 9.1; Nr. 20.1. Zur Bedeutung von vincularis s. auch B: II.6.4.4. 366 dfx 7.2⁄1. Zu dieser Göttin vgl. Tabeling 1932; Latte 1960, 60, 98, Anm. 4; Radke 1965, 225; 295f.; ebenso den Kommentar von Egger (1963, 250f.). Mit dem ‘Knebelzauber’ wird Tacita, die „Göttin des Schweigens bzw. Zum-Schweigen-Bringens“ (Köves- Zulauf 1972, 106) bereits von Ovid assoziiert (s. auch A: II.4.2.6). 367 Egger (1943, 119) im Kommentar zu dfx 7.1⁄1. 368 Vgl. Latte 1960, 336; Roßbach 1965; Versnel 1981, 41. Vgl. hierzu z.B. Kagarow 1929, 10f.; Wagner 1965, 70; Roßbach 1965, 122. In den Zauberpapyri zu finden z.B. in einem Schutzmittel (PGM VII 503). Zu Nemesis auf Schutzzaubern und Amuletten vgl. auch Bonner 1950, 43; Ogden 2002, 268f., Nr. 266. 369 Vgl. den Kommentar von Audollent (1904, 372) zu dfx 11.2.1⁄8. Zur Verbindung Eros - Anteros vgl. auch Furtwängler 1965, 1343. 370 Vgl. hierzu Tomlin 1988, 103. 371 dfx 3.6⁄1: Möglicherweise ist diese Funktionsdoppelung gewollt, da es sich bei den gestohlenen Kleidungsstücken, ein Mantel und ein Paar Sandalen, um den Besitz ei- 100 Ein einziges Mal erscheint die Göttin Victoria, die durch ihren Beinamen vindex als strafende und rächende Macht gekennzeichnet wird; ebenso die Göttin Virtus, zusammen mit Merkur. Im Falle von Diebstählen, die in den ‘Gebeten für Gerechtigkeit’ vielfach beklagt werden, liegt bisweilen auch ein direkter Bezug zur Art des Unrechts vor. So umfaßt der Zuständigkeitsbereich der mit dem römischen Gott Mars gleichgesetzten keltischen Gottheit Nodens neben heilender Tätigkeit sowie Jagd und Fischfang auch die Wiederbeschaffung gestohlener Gegenstände. 372 Auch in Zauberrezepten ist das griechische Pendant Hermes als helfende Instanz gegen Diebstahl aufgeführt. 373 Eine Verbindung zu dem angezeigten Viehdiebstahl ist ferner bei der keltischen Gottheit Moltinus zu vermuten, die als Hüter der Herden zusammen mit Mercurius angerufen wird. 374 Als mythologischer Rinderdieb wird ferner Cacus in einem Diebeszauber genannt. 375 Demgegenüber ist die Götterwahl durch regionale Faktoren, wie etwa eine lokale kultische Verehrung, stark beeinflußt. Im Vergleich zur Nennung von Unterweltsmächten stellt dies allerdings ein relativ spätes Phänomen dar, das erst mit dem 2. nachchristlichen Jahrhundert seinen Anfang nimmt. Große Gottheiten sind insbesondere in den großen Tempelkomplexen von Bath, Uley oder Mainz präsent. So scheint die Göttin Sulis nicht nur durch die einheimische Bevölkerung große Verehrung zu genießen, sondern auch Pilger vom Festland anzuziehen; 376 außerhalb dieses Fundortes liegen keine an Sulis bzw. Minerva gerichteten defixiones vor. Regionale Häufungen sind ferner auch für Diana und Mars in Trier zu beobachten; nach Ausweis von Monumentalinschriften und Bildnissen ist für das frühkaiserzeitliche Trier von einer großen kultischen Verehrung dieser olympischen Götter auszugehen. 377 Eine regionale Bindung betrifft auch Dis pater bzw. Pluto sowie (A)eracura bzw. Veracura, die ausschließlich im Donauraum auf defixiones präsent sind. Auf eine spezielle kultische Verehrung in dieser Region weisen u.a. antike Altarinschriften im angrenzenden Pannonien (s.o.). 378 In einem weiteren Fall richtet sich die Verwün- nes Gladiators handeln könnte. Dies legt auch die für die ‘prayers for justice’ ungewöhnliche Ablage in einem Amphitheater nahe. 372 In dfx 3.15⁄1 wird der Diebstahl eines Ringes beklagt. Vgl. den Kommentar von Finney (1994, 192-196); ebenso Maxfield 1995, 136. 373 So z.B. in PGM V 172-212. Hierzu z.B. Gager 1992, 199, Anm. 91. Mercurius erscheint z.B. in den defixiones in fures dfx 3.24⁄1; dfx 3.22⁄36. 374 Vgl. den Kommentar von Egger (1964, 11f.) zu dfx 7.5⁄1. 375 Vgl. hierzu die Kommentare von Franz (1959, 75) und Egger (1964, 12). 376 Hierzu z.B. Petersmann 2003, 277f. 377 Vgl. etwa CIL 13, 3653: Deo Marti Intara bo (Intarabus, ein Beiname des Trierer Mars); CIL 13, 3639 Deae Dianae Marti (allerdings stark fragmentarisch). 378 Z.B. CIL 3, 4395. Zu den Gottheiten vgl. z.B. Eggers Kommentare (1963, 26f. zu dfx 6.1⁄1 und 1962, 84f. zu dfx 8.3⁄1, mit etymologischen Belegen). Zu den unterschiedlichen Schreibungen und Deutungen des Theonyms vgl. auch Wissowa 1912, 313; Radke (1965, 56f.) verweist auf die Identifikation mit Terra Mater (s. auch C: II., Abb. 3, Nr. 46). 101 schung an den lokalen Flußgott Savus (Pannonien), dem die Tafel auch materiell anvertraut wurde. 379 Lokale Bindung trifft möglicherweise auch auf die nicht näher zu identifizierende Wassergottheit Niskus zu, die im Verbund mit Neptunus angerufen wird; 380 das Täfelchen wurde in der Mündung des Flusses Hamble (Britannien) geborgen. In einem Fall erscheinen mit Apecius, Aqanno und Nana lokale Dämonen; Lesung und Interpretation der Tafel sind jedoch umstritten. 381 Wie bereits dargelegt, wird der Ablageort nicht zuletzt aufgrund seiner Verbindung zu bestimmten Gottheiten ausgesucht. So fanden sich an ‘infernalische’ Gottheiten oder Dämonen gerichtete Täfelchen mehrheitlich an denjenigen Stellen, die mit der Unterwelt in Verbindung gebracht werden, wie z.B. in Totenstätten. Ebenso ist in zahlreichen Täfelchen aus größeren Heiligtümern die jeweilige Gottheit genannt, gelegentlich auch ihr Tempel ausdrücklich erwähnt. Ferner enthalten auch die defixi ones aus Flüssen, Quellen und Brunnen Hinweise auf Wassergottheiten. III.3.6.4 Sonderbezeichnungen, Götterkataloge, Epitheta Insbesondere die defixiones aus dem kaiserzeitlichen Nordafrika grenzen sich von denen der europäischen Provinzen durch den systematischen Einbezug übernatürlicher Mächte ab. Auch der verbreitete Gebrauch von Dämonennamen und Zauberworten ist insbesondere für den nordafrikanischen Raum nachweisbar. Dies läßt zum einen auf Einflüsse ägyptischer oder orientalischer Glaubenssysteme, 382 zum anderen auch auf einen späten Entstehungszeitpunkt (ab dem 2. Jh. n. Chr.) schließen. Präsent sind numinose Mächte auch in Abbildungen, bisweilen versehen mit dem zugehörigen Namen. 383 Wie bereits einleitend erwähnt, erscheinen die üblicherweise als inferi ‘unterirdisch’ bezeichneten Toten in den nordafrikanischen Tafeln als daemones (s.o.). Identifikationen, Doppelnamen und Glossierungen finden sich 379 s. C: II., Abb. 3, Nr. 42. Zu dem Fluß Savus und der eponymen Gottheit, die auch mit Neptun in Verbindung gebracht wird, vgl. z.B. Vuli" 1921; Höfer 1965. 380 s. C: II., Abb. 3, Nr. 31. 381 Die Lesung entstammt dem Kommentar von Egger (1962, 448f.) zu dfx 4.3.4⁄1. Hierzu vgl. bes. Lambert (2002, 294), der die Eggersche Lesung als „texte imaginaire“ bezeichnet. 382 Auf ägyptische Dämonologien verweist z.B. die Dämonenanrufung in dfx 11.1.1⁄16: ‘ Katajin , der du in Ägypten ein großer Dämon bist […] Rikouriy , überaus behender Dämon in Ägypten’ ( Katajin, qui es in Aegypto magnus daemon […] Rikouriy, agilissime daemon in Aegypto.). Zum neuplatonischen Einfluß vgl. etwa Wünschs Kommentar (1900, 264) zu dfx 11.1.1⁄25. 383 So z.B. in dfx 1.4.4⁄4: Zeichnung eines Dämons mit Pfeil und Bogen; dfx 11.2.1⁄22: Zeichnung eines Dämons in einem Kahn, der den Namen von Dämonen trägt. Zu den Abbildungen auf den defixionum tabellae vgl. z.B. Gager 1992, 6f.; Ogden 1999, 50; Gordon 2005 (s. hierzu auch A: IV.2.3.2). 102 auch im Zusammenhang mit anderen Theonymen: 384 Gleichgesetzt werden etwa Sulis und die römische Göttin Minerva. 385 Ebenso läßt die Namendoppelung ‘dem Gott Mars Merkur’ (deo Marti Mercuri o) auf die Gleichsetzung der genannten Gottheiten schließen; 386 nach Ausweis einer anderen Tafel scheinen sich auch Mercurius, Silvanus und Mars auf dieselbe Gottheit zu beziehen. 387 So wird die (A)eracura bzw. Ve racura auch als ‘unterirdische Juno’ (Iuno inferna) angerufen, Pluto als Iupiter infernus. 388 Auch andere Beinamen für das Götterpaar zeugen wahrscheinlich von regionalen Sonderkulten: In einer ‘Fluchtafel’ aus Mérida wird die Göttin der Unterwelt als Dea Ataecina Turibrigensi s Proserp ina bezeichnet. 389 Ebenso ist möglicherweise ein Dominus Megarus als Pluto identifizierbar. 390 Schließlich könnte es sich bei einem als Nocturnus bezeichneten Wesen um eine besondere Manifestation des Attis handeln. 391 Deutlich häufiger als in anderen Regionen erfolgt in nordafrikanischen Zauberinschriften die Nennung von Gottheiten oder Dämonen im Rahmen von ‘Beschwörungsformeln’, die als Überzeugungsstrategie gegenüber dem übernatürlichen Befehlsempfänger fungieren: Als „kosmische“ 392 Schwurgottheit wird Iav genannt, in einer anderen defix io der ‘Name des lebenden allmächtigen Gottes’ (nomen dei vivi omnipotentis). 393 In den frühesten defixiones erscheinen als festgefügte Paarung zumeist die Herrscher der Unterwelt Pluto und Proserp ina. Mit dem 2. Jh. n. Chr. finden sich zunehmend auch Gruppierungen mehrerer Gottheiten, die entweder aus einem vergleichbaren Funktionsbereich stammen oder in mythologischem Zusammenhang stehen; besonders in den Zauberinschriften aus Nordafrika werden Götter- und Dämonennamen katalogartig zusammengefaßt (s. auch A: IV.4.2.1; C: II., Abb. 3, Nr. 28; Nr. 51). Parallel zur Ausbildung detailreicher Texte entwickelt sich auch die Titulierung der Gottheiten. Während die ersten eher wortkargen Zauberinschriften weder Epitheta noch Charakterisierungen aufweisen, ist in späteren Täfelchen, insbesondere aber in den ‘Gebeten für Gerechtigkeit’, das Gegenteil der Fall (s. A: IV.4.2.7): Angesprochen werden die Gottheiten mit honorativen Titeln wie genius, maiestas ‘Hoheit’, numen ‘göttliche Macht’, dominus bzw. domina ‘Herr(in)’, bisweilen sogar in der griechischen Form 384 Zu den Doppelnamen vgl. z.B. Radke 1965, 24-38. 385 s. C: II., Abb. 3, Nr. 45. 386 s. C: II., Abb. 3, Nr. 20.2; Nr. 24.6. 387 s. C: II., Abb. 3, Nr. 24.5; 44. Interessanterweise wurde an einer Stelle Marti Silvano mit Mercurio überschrieben. Zu Identifikation und Funktionstransfer vgl. z.B. Woodward/ Leach 1993, 115; 121; Petersmann 2003, 283. 388 s. C: II., Abb. 3, Nr. 24.5; Nr. 17.1. 389 s. C: II., Abb. 3, Nr. 41.8. 390 s. C: II., Abb. 3, Nr. 11. 391 s. C: II., Abb. 3, Nr. 4.2. 392 Vgl. Gager 1992, 268 (s.v.: ‘cosmic power’). 393 dfx 11.1.1⁄22. Zur Beschwörung s. auch A: IV.4.1.2. 103 tyrannus. 394 Daneben begegnen preisende Adjektive wie sanctus ‘heilig’, bonus ‘gut’ sowie magnus ‘groß’ bzw. maximus ‘größter’. 395 III.4 Die defixio — eine Ritualform sui generis III.4.1 Die Bezeichnung ‘Fluchtafel’ Seit den ersten Publikationen werden die defixiones in der Forschungsliteratur auch als ‘Fluchtafeln’ (engl. ‘curse tablets’; frz. ‘tablettes d’exécration’) bezeichnet. 396 Diese Termini sind jedoch insofern mißverständlich, als sie auf den antiken Fluch, der von der defixio in mehreren Punkten grundlegend differiert, verweisen. 397 Bereits 1905 hat R. Wünsch ergänzend zu A. Audollents Definition des Untersuchungsgegenstands festgestellt: Von dem gewöhnlichen Fluch unterscheidet [die defixio] sich durch die Verknüpfung mit dem Bindezauber, durch die Anrufung der unterirdischen Götter, und dadurch, daß sie sich stets gegen einen anderen richtet. 398 Ergänzend nennen K. Preisendanz und W. Speyer die beschränkte Wirkungsdauer und, als zentrales Merkmal, die „unsittlich[e]“, 399 „egoistische u[nd] ungerechte“ 400 Motivation der defixio. Die Ursachen für die terminologische und konzeptuelle Unschärfe liegen wohl nicht zuletzt im antiken Fachvokabular selbst, in dem verschiedene angrenzende und konvergierende Vorstellungen nicht immer genau voneinander zu trennen sind. Zu den ambivalenten Bezeichnungen der Antike kommt eine allgemeine Scheu der Klassischen Philologie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts hinzu, sich mit niederen, nicht-literarischen Sprachzeugnissen zu befassen, die kaum mit dem damaligen, stark 394 Z.B. dfx 3.22⁄29 (genium numinis tui); dfx 2.3.1⁄1 (maiestas); dfx 2.3.2⁄1 (dominus invictus); dfx 5.1.3⁄1 (tyrannus). 395 Z.B. dfx 8.3⁄1 (sanctus); dfx 5.1.5⁄2 (bonus sanctus); dfx 5.1.3⁄1 (maximus). 396 So z.B. nachfolgende Überschriften: Wünsch, Sethianische Verfluchungstafeln aus Rom; „Neue Fluchtafeln“; Preisendanz, „Fluchtafel“. Anders der von Kuhnert (1901) verfaßte Artikel „Defixio“, der die Wirkung der Zauberhandlung treffend mit der lähmenden Kraft eines „durchbohrenden Stich[es]“ (2374) vergleicht. Auch Jordan (2000, 5f.) entscheidet sich in seiner neuesten Bibliographie der griechischen Täfelchen für den Begriff ‘curse tablets’, „aware that fault can be found with it too“. 397 Einen sehr guten Überblick mit vielen Belegstellen gibt weiterhin Speyer 1969. Vgl. ebenso Ziebarth 1895; Crawley 1911; Latte 1920, 61-88; Björck 1938, bes. 107-111; Bayet 1971, 353-365; Bernand 1991, 369-372; Parker 1996, 191-206; Graf 1996, 116-117; Graf 2005a. Die Interdependenz von Fluch und Fluchdichtung ist nachgezeichnet bei Watson 1991. Zum Fluch außerhalb des griechisch-römischen Kulturkreises vgl. z.B. Hempel 1961; Schrottroff 1969; Nordh 1996. 398 Wünsch 1905, 1072. 399 Preisendanz 1972, 1. 400 Speyer 1969, 1161. Ebenso Björck 1938, 112; Parker 1996, 198. Zur verwandten Vorstellung des ‘Gebetsegoismus’ vgl. Weinreich 1968; Versnel 1981, 17-21; Scheer 2001, 47f. 104 idealisierten Bild von Griechen und Römern harmonieren. 401 So werden diese Texte unter den Begriff ‘Fluch’ subsumiert, der durch die antike Jurisdiktion, Mythologie, Dichtung etc. legitimierbar erscheint. Im Rahmen einer typologischen Betrachtung der defixiones ist es jedoch notwendig, beide Begriffe genauer zu untersuchen und voneinander abzugrenzen. Dabei soll im folgenden die Darstellung des Fluchkonzeptes nicht allein den gängigen Definitionen verhaftet bleiben, wie sie etwa im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens zu finden sind, 402 sondern durch Sichtung und Auswertung antiker Quellentexte erfolgen. III.4.2 Das Konzept des antiken Fluches auf der Grundlage der Quellen Wie die defixio stellt auch der antike Fluch einen reflektierten, zumeist rituell gebundenen Akt dar und ist folglich nicht auf eine Stufe zu stellen mit der spontanen Sprechhandlung des (Be)Schimpfens oder Scheltens. Obwohl defix io- und Fluchtexte zahlreiche formale und inhaltliche Berührungspunkte aufweisen, entspräche eine Gleichsetzung der Reduktion auf einen Unheils- oder Vernichtungswunsch. Die Analyse muß hingegen vor allem Kontext und Funktion beider Ritualformen, anhand von griechischen und römischen Primärquellen, aufdecken und einander gegenüberstellen. Der Fluch begegnet im juristischen Rahmen als Sicherungsmittel profaner Gesetze, religiöser Vorschriften und zwischenmenschlicher Pflichten; damit ist er konkreten rechtlichen Maßnahmen wie der Verbannung oder körperlichen Strafen gleichgestellt; 403 ferner fungiert er auch als Rechtsbe- 401 Vgl. die Stellungnahme von Preisendanz in seiner Vorrede zum ersten Band der Papyri Graecae Magicae (PGM 1928, V-XII), der von einer „verächtlichen Behandlung durch die philologischen und theologischen Forscher” (VI) spricht. Hierzu auch Daxelmüller 2001, 36. 402 Vgl. Beth 1929/ 1930, 1636: „Fluch ist eine Redeformel, durch welche man Unheil auf einen anderen […] hinabwünscht.“ Ebenso reduziert Ziebarth (1909) den Fluch auf ein Gebet; Pfaff (1924) setzt Verfluchung und Verwünschung gleich. Ähnlich auch neuere Definitionen, z.B. Graf 1998a, 573: „der vehement vorgebrachte Wunsch, daß Übel — meist Krankheit oder Tod — einen anderen befallen möge.“ Ebenso Maier 2000, 75: „formelhafte[r] Wunsch“. 403 Vgl. z.B. Plat. leg. 871B. Der Fluch erscheint hier als Bestandteil des Gesetzes ( ! toË nÒmou ér- ). Hierzu z.B. Ziebarth 1895, 60; Speyer 1969, 1191-1193; 1203-1212; Watson 1991, 7-9; 18-22. Tatsächlich dürfte der Fluch wohl mit Ächtung und Entzug sämtlicher bürgerlicher Rechte gleichzusetzen sein. Vgl. hierzu Latte 1920, 64. Zu der „F[luch]sanktion“ der römischen Grundgesetze vgl. insbesondere Speyer 1969, 1209- 1212 (Zitat S. 1209). Zu consecratio (‘Weihung’) bzw. exsecratio (‘Verfluchung’) vgl. Mommsen 1899, 900-902; Wissowa 1900; Huvelin 1901, 66-74; Wissowa (1912, 388f.), der von „alte[m] sakrale[m] Strafrecht“ (388) spricht; Pfaff 1924, 454; Koep 1957; Dulckeit/ Schwarz/ Waldstein 1995, 66. Nach Wissowa (1900, 900) ist der „Zweck der C[onsecratio] nur der, eine Person oder Sache durch Überweisung an die Gottheit ausserhalb des menschlichen Rechtsverkehrs und Rechtsschutzes zu setzen“. Als Teil eines Strafverfahrens entspricht die consecratio bonorum der Enteignung, die consecratio capitis der Friedlosigkeit. „Diese C[onsecratio] der Person ist nachher aus der Ge- 105 helf im Privaten. Die Ab- und Umbildung dieser außersprachlichen Realität erfolgt vielfach auch in fiktionalen Texten. III.4.2.1 Der ‘Präventivfluch’ in der antiken Rechtsprechung: Gesetzgebung und Vertragsrecht Im griechisch-römischen Kulturkreis stellt das Fluchwort als „Sicherungsklausel“ 404 zunächst ein Instrument der Gesetzgebung und Rechtsprechung dar: Bedingte Flüche dienen dem Schutz von Verfassungen, Gesetzen und Eiden sowie der Absicherung von Heiligtümern und Gräbern gegen Profanierung oder Schändung. Ebenso garantieren sie die Beachtung sittlicher Verhaltensnormen. (a) Gesetzgebung: Fremdverfluchung als Rechtsschutz Bereits in archaischer Zeit tragen etwa die athenischen Buzygenflüche den durch Ackerbau und Landwirtschaft veränderten Lebensumständen Rechnung, indem sie das Leben in der Gemeinschaft regeln und Verstöße gegen elementare Gesetze des menschlichen Miteinanders ahnden. Auch im folgenden bedient sich die antike Gesetzgebung der öffentlichen Verfluchung als Mittel, die Einhaltung rechtlicher Bestimmungen und von Regeln des sozialen Miteinanders sicherzustellen und Fehltritten vorzubeugen. Dieses Gesetz über das Land soll bezüglich der Aufteilung von Plax, Hylia und Liskaria gültig sein […]. Dieses Gesetz soll dem Apollon Pythios und seinen Tempelgenossen geweiht sein. [Dem] aber, der dieses überschreitet, soll Verderbnis [sein], ihm und (seiner) Nachkommenschaft und seinem Besitz, dem aber, der (dieses) fromm beachtet, soll (der Gott) gnädig sein […]. 405 Antike Gesetzgebung und Kultusverfassung sind seit frühester Zeit auf der prospektiven Verfluchung begründet, die als die „ältere, ursprünglichere Art der Bestrafung“ 406 gegenüber materiellen Sanktionen gelten kann. Wie anhand des obigen Beispiels deutlich wird, sehen juristische Vorschriften dabei auch die Übertragung der Strafbarkeit vor, indem „auf den Gesetzesübertreter Verderben für seine Person, seine Nachkommenschaft und seinen Besitz hinabgewünscht“ 407 wird. In dieser Praxis sieht etwa der athenische Staatsphilosoph Solon den Ausdruck göttlicher Gerechtigkeit. 408 setzessprache verschwunden und begegnet nur noch in Formeln der Verwünschung“ (ebd.). 404 Speyer 1969, 1208. 405 IG IX I 2 3,609 ( öffentlich ausgestellter Gesetzestext aus Naupaktos zur Landaufteilung). Vgl. hierzu Hallof 1993, 154-169, Nr. 47. Zum Fluch im griechischen Gesetz vgl. auch Latte 1920, 61-88. 406 Hallof 1993, 239. 407 Ebd., 166. 408 Realiter umgesetzt findet sich dieses Prinzip bei der sogenannten Atimieerklärung, die schwere Verbrechen gegen die Allgemeinheit mit der kollektiven Ächtung der 106 Da dem bedingten Fluch aufgrund seiner abschreckenden Wirkung die soziale Funktion einer Präventivmaßnahme zukommt, stellt er keine mutwillige Nötigung dar, sondern schützt und garantiert den Fortbestand gemeinschaftserhaltender Institutionen. Die formelhafte Standardisierung der Verfluchung innerhalb der Gesetzgebung geht schließlich so weit, daß sie „sinnentleert zu einem wirkungslosen Mittel der Rechtssicherung hinabsinkt.“ 409 Bezeugt wird dies etwa von zahlreichen griechischen und römischen Gesetzestexten, die eine stereotype Fluchformel beinhalten. 410 Als „Ausläufer des öffentlichen Fluches“ 411 begegnen Fluchandrohungen auch im nicht-offiziellen Kontext, insbesondere auf Grabsteinen, deren Aufschriften deutliche Parallelen zum amtlichen Sprachgebrauch erkennen lassen. Flüche, insbesondere Grabschutzflüche, sind damit nicht nur der Gemeinschaft der Lebenden als Rechtsbehelf vorbehalten, vielmehr bezeugen die zahlreichen Epitaphien, daß sie ebenso als privates Mittel für die Sicherung von Totenstätte und -ruhe zu verstehen sind. 412 (b) Vertragsrecht: Selbstverfluchung als Eidleistung Ein Fluch richtet sich nicht in jedem Fall gegen Dritte, sondern kann auch als Selbstverfluchung vorliegen. Dies ist insbesondere bei öffentlich vollzogenen Eiden und Gelübden sowie Festsetzungen von Bündnissen gegeben. 413 Die Verbindlichkeit des Versprechens kommt dabei insofern zum Ausdruck, als der Wortbruch als Bedingung für das Eintreten der verkündeten Verfluchung gilt. Amtseide von Priestern, Magistraten und Richtern werden in Griechenland und in Rom durch Selbstverfluchungen gesichert ebenso wie das Versprechen der Soldaten, sich nicht dem Feind zu ergeben oder zu ihm überzulaufen. 414 Gleichermaßen umfaßt die lex sacrata, die für die Sakrosanktitas der Volkstribune bürgt, einen besonderen Eid, bestehend aus einer Selbstverfluchung der römischen Plebs. 415 gesamten Familie sanktioniert, vgl. Ruschenbusch 1968, 16-21; Parker 1996, 198; Geisser 2002, 223-225 (mit weiterer Literatur). 409 Speyer 1969, 1223; vgl. auch Björck 1938, 108. 410 So findet sich etwa die Formulierung ‘er soll verflucht sein’ (sacer esto) in den Leges regiae, den leges sacratae und im Zwölftafelgesetz. Vgl. Wissowa 1900, 900; Speyer 1969, 1183; 1210 (s. auch A: III.4.3.2). Zu den ersten beiden Gesetzen aus der Vorzwölftafelzeit vgl. Mommsen 1899, 552f.; 901f.; Dulckeit/ Schwarz/ Waldstein 1995, 54; 68; 107. 411 Björck 1938, 110. 412 Zum Grabfluch vgl. z.B. Strubbe 1991. 413 Vgl. z.B. Speyer 1969, 1168; 1172f.; 1206f.; 1208f.; 1211; Dulckeit/ Schwarz/ Waldstein 1995, 143; Graf 2005b. 414 Vgl. Livius 10,38,10ff., bes. 10,41,3. Hierzu Speyer 1969, 1210f.; Watson 1991, 21. 415 Vgl. z.B. Livius 2,33,1; 3,55,5-7; 10. Hierzu z.B. Mommsen 1899, 553; 581, Anm. 3; 937; Pfaff 1924; Flach 1994, 73-79 (mit weiterer Literatur). 107 III.4.2.2 Der ‘Reaktivfluch’ als Sanktionsmaßnahme in öffentlichem und privatem Kontext Die Verfluchung fungiert nicht allein als Prophylaktikum, sondern kann auch als Reaktion auf eine tatsächlich begangene Tat vorliegen. Von der Relevanz des Fluches als Sanktionsmaßnahme geben zahlreiche nichtfiktionalen Texte Zeugnis ab; reflektiert werden diese realen Gegebenheiten ferner auch in Mythologie und Dichtung. (a) Offizielle Verfluchung Über eine historisch gesicherte Verfluchung coram publico gibt etwa Plutarch Auskunft. In seinen Parallelbiographien berichtet der Universalgelehrte von dem Fluch des Volkstribuns Ateius Capito gegen den amtierenden Konsul M. Licinius Crassus, als dieser im Begriff ist, zu einem ungerechtfertigten Feldzug gegen die Parther aufzubrechen. 416 Das Scheitern der Expedition wird explizit auf eben diese „öffentlich ausgesprochenen Flüche“ 417 zurückgeführt. Zahlreiche weitere Quellen dokumentieren, daß zum Heil des Volkes auch Staatsfeinde durch bevollmächtigte Amtsträger verflucht werden. 418 (b) Privates ‘Rachegebet’ Neben offiziellen Verfluchungen finden sich im privaten Bereich auch Fluchtexte auf Grabsteinen sowie auf Metallblättchen oder Papyrus. Anders als die offiziell vollzogenen Rituale bestehen die sogenannten ‘Rachegebete‘ 419 vor allem aus einer Bitte um göttliche Intervention im Zusammenhang mit einem ungeklärten oder ungestraften Verbrechen. Epitaphien thematisieren üblicherweise schwere Straftaten wie die Ermordung der bestatteten Person, die mit Hilfe der angerufenen Gottheiten, meist über- und nicht unterirdischer Mächte, geahndet werden sollen: ‘Sol, ich überge- 416 Vgl. Plut. Crassus 16. Hierzu insbesondere Bayet (1971, 353-365), der sich mit der historischen Aussagekraft der Plutarchstelle auseinandersetzt und zu dem Schluß kommt, daß der Autor mehr der Dramatizität als der Wahrheit verpflichtet ist. Insbesondere die Anrufung von „certains dieux terribles […] et étranges“ (354) führt er auf die Vermischung von Fluch und Unterweltsweihe zurück; ebenso Watson 1991, 5; 24f. Zur Kritik an dieser Plutarchstelle vgl. Simpson 1938. 417 Vgl. App. civ. 2,18. Hierzu z.B. Watson 1991, 24f. 418 Vgl. Ziebarth 1895, 61; Watson 1991, 20 (Anm. 93 mit zahlreichen Belegstellen); Parker 1996, 192f. 419 Zu dem Begriff ‘Rachegebet’ vgl. insbesondere Björck 1938, 35f.; Fyntikoglou/ Voutiras 2005, 170. Der Gebetscharakter des Fluches dokumentiert sich auch in den antiken Bezeichnungen für das Fluchwort, das positives oder negatives ‘An- Beten’ bedeuten kann: lat. (de-, im)precatio bzw. preces; griech. ér- bedeuten zugleich ‘Gebet’ und ‘Fluch’. Hierzu etwa auch Radermacher 1908; Watson 1991, 3f.; Lateiner 1997, 250; 257; Scheer (2001, 47f.), die Bremmers Interpretation vom „Gebet als einer gerechten Bitte“ (48, Anm. 86) übernimmt, das auch die Bestrafung eines Gegners zum Inhalt haben darf. 108 be dir, wer Hand an sie legte’ (Sol tibi commendo, qui manus intulit ei). 420 Aufzeichnungen auf anderen Schriftträgern führen neben irreparablen Verfehlungen auch relativ geringfügige Delikte wie Diebstahl oder Unterschlagung an, die der namentlich genannte Verfasser weniger von göttlicher Seite bestraft oder gerächt, als vielmehr vom Frevler wiedergutgemacht wissen will. 421 Wie die Steindenkmäler sind auch diese Gesuche um göttliche Gerechtigkeit öffentlich zugänglich und bekannt, da sie im Rahmen der Tempelklage bei Priestern und anderen Dienern der betreffenden Gottheit hinterlegt und eingesehen werden können. 422 In den Ecken angebrachte Löcher oder die direkte Adressierung des Übeltäters sprechen für eine Befestigung, etwa an den Wänden des Tempels. 423 Möglicherweise stellen sie eine Art Druckmittel auf das Kollektiv und den Schuldigen dar und bilden somit das Gegenstück zu den monumentalen Geständnis- und Sühneinschriften, in denen sich die Selbstanzeigen oder aber die Unschuldsbeteuerungen der angeklagten Personen dokumentieren. 424 III.4.2.3 Der Fluch als literarisches Motiv in Mythologie und Dichtung Als künstlerische Folie zu den oben vorgestellten nicht-fiktionalen Quellentexten findet sich das mündlich geäußerte ‘Rachegebet’ in seiner kunstvollen Ausgestaltung auch in der antiken Literatur. Der Wert der fiktionalen Darstellung besteht vor allem darin, über die Grundzüge des Phänomens ‘Fluch’ sowie seine Position in der antiken Lebenswelt Auskunft geben zu können. Die Nachformung des Fluchwortes als direkt wiedergegebene, in einem erzählenden Text eingebettete Rede ermöglicht ferner eine Perspek- 420 CIL 6, 2, 14099. Hierzu z.B. Björck 1938, 28, Nr. 9. 421 Vgl. hierzu insbesondere die Besprechung des christlichen Fluchgebets in Björck 1938. Derselbe Umstand trifft auch auf die früheren nicht-christlichen Gebete zu, vgl. etwa PGM XL: „Verwünschung der Artemisia“ gegen den Kindsvater, der seine Tochter um die Totengaben und das Begräbnis gebracht hat. Dieser Papyrus wurde im Zentraltempel des Oserapis gefunden, wo er sehr wahrscheinlich bei den Priestern oder anderem Personal hinterlegt wurde. Ein vergleichbares Motiv zeigt sich auch in Suppl. Mag. II, 3-7, Nr. 52; ein ‘Rachegebet’ ist möglicherweise auch PGM LI (Verwünschung des Neilammôn als Rache gegen Verleumder). 422 Z.B. expliziert in PGM XL 13 („Verwünschung der Artemisia“): „Doch wer etwa diese Schrift wegnimmt […].“ Zur Tempelklage vgl. Speyer 1969, 1213. Bekannt sind insbesondere die knidischen Täfelchen, vgl. hierzu Björck 1938, 125-129; Versnel 1987; ders. 1991, bes. 80f.; Chaniotis 2004, bes. 3-11. Etwas anders liegt der Fall des spätantiken christlichen Gebetes auf Papyrus, in dem von Gott Rache für einen gewaltsamen Tod gefordert wird. Hier entfällt die soziale Dimension völlig, da es nicht zur Veröffentlichung bestimmt, vielmehr als sehr persönliche Korrespondenz zwischen Mensch und Numinosem zu beurteilen ist, vgl. hierzu Björck (1938), dessen Abhandlung im Suppl. Mag. II, 49-51, Nr. 59-60 mit aktuellen Literaturangaben wiederaufgenommen wird. Weitere ‘christliche’ Fluchgebete in Suppl. Mag. II, 53f., Nr. 61; 55-57, Nr. 62. 423 Vgl. z.B. Versnel 1991, 80f.; Gager 1992, 188, Nr. 89. 424 Vgl. hierzu bes. Björck 1938, 125f.; Versnel 1987; ders. 1991; Gager 1992, 176; Ogden 1999, 42. 109 tivierung der Verfluchung in ihrem unmittelbaren Äußerungskontext. In der literarischen Umgestaltung tritt die Relevanz des Fluches allerdings weniger in seiner sozialen Funktion als institutionalisiertes, öffentlich rezipiertes Sanktionsinstrument zutage; vielmehr präsentiert es sich als persönliches Vergeltungsmittel, das oftmals mit dem Glauben an ein Gerechtigkeitsempfinden von göttlicher Seite verbunden ist. Diese Transposition einer öffentlichen Handlung in die private Sphäre soll im folgenden durch einige Beispiele verdeutlicht werden. (a) Mythologie Seit den Anfängen der verschrifteten europäischen Literatur bildet die fluchbeladene Sagenwelt einen privilegierten Stoff für Epiker und Tragödiendichter. Der antike Mythos darf jedoch nicht auf rein fiktionale, zeitlose Dichtung reduziert werden, sondern ist als „traditionelle Erzählung von kollektiver Bedeutsamkeit“ 425 zu verstehen, in der sich Erklärungsmuster für Vorgänge und Verhältnisse aus der realen Welt des jeweiligen Produzenten und Rezipienten reflektieren. So gründen sich verschiedene Sagenkreise der griechisch-römischen Mythologie auf Verfehlungen und daraus resultierende Verfluchungen. 426 Dies können die mythischen Schicksale der Labdakiden und Tantaliden beispielhaft verdeutlichen. Miteinander verwoben sind die beiden Königshäuser durch das Fluchwort des einen Ahnherren über den anderen: Laios wird verflucht, da er das Vertrauen seines Gastfreundes Pelops mißbraucht, indem er dessen Sohn zu entführen versucht. Auf dem Tantaliden und seinem Geschlecht wiederum lastet der Fluch des Wagenlenkers Myrtilos, an dessen Tod er die Schuld trägt. Daneben lassen sich etwa auch im Rahmen römischer Staatsmythen Fluchsagen nachweisen. So soll etwa das Fluchwort des Plebejers Verginius über den Schänder seiner Tochter, den tyrannischen Decemvir Claudius Appius, dem Sturz des zweiten Decemvirats und der Begründung der römischen Republik um 450 v. Chr. zugrundeliegen. 427 Im Einklang mit der realen Alltagswelt der Antike gelten neben Mord, insbesondere an Eltern und Verwandten, sowie Inzest und Treuebruch, vor allem Sakralverbrechen als schwerwiegende, gemeinschaftsbedrohende Verfehlungen, die einen Fluch nach sich ziehen können. In gleicher Weise wird die Mißachtung der väterlichen Autorität sanktioniert, wie das Beispiel der Heraklessage zeigt: Als Reaktion auf den Ungehorsam seines Sohnes Hyllos droht der verärgerte Held mit dem Fluch der Götter. 428 Nicht zuletzt hat diese Stelle ihre Entsprechung in den Gesetzen des Pla- 425 Graf 2000, 633 (mit Verweis auf Kirk und Burkert). 426 Vgl. z.B. Speyer 1969, 1177-1182; Watson 1991, 14-17; Parker 1996, 199-204. 427 Vgl. Livius 3,45-48, bes. 3,48,5. Hierzu Geldner 1977; Gardner 1994, 108-110. 428 Vgl. Soph. Trach. 1238-40. Zur Macht des elterlichen Fluchwortes vgl. z.B. Speyer (1969, 1194) mit zahlreichen weiteren Belegen; Watson 1991, 2; Parker 1996, 196f. 110 ton, wo sich die Verfluchung als Sanktion für anmaßendes Verhalten gegenüber dem elterlichen Willen dokumentiert findet. 429 Die Verfluchung begegnet folglich auch im mythologischen Kontext als Antwort auf ein schweres Vergehen gegen bestehende Normen und Wertvorstellungen. Dabei ist es ohne Belang, ob dem Fehltritt eine göttliche Anweisung zugrundeliegt — so begeht Orest den Mord an seiner Mutter im Auftrag Apolls — oder der Frevler ohne Vorsatz handelt, wie es etwa im Falle des tragischen Helden Ödipus gegeben ist, der sich unwissentlich des Vatermordes und des Inzestes mit der eigenen Mutter schuldig macht. Daß Unheil aufgrund der dem Fluchwort innewohnenden Macht ebenso auf eine schuldlose Person hinabbeschworen werden kann, zeigt der Fall des Hippolytos: Ohne daß der unterstellte Frevel, Entehrung und Treuebruch, tatsächlich vorliegt, wird jener von der Verfluchung des eigenen Vaters getroffen. (b) Dichtung In verschiedenen literarischen Gattungen findet sich das Motiv des Sühnebzw. Rachefluches wieder, der als letzte und bisweilen einzige Reaktionsmöglichkeit auf ein erlittenes Unrecht, sei es Mord, Treuebruch oder Enteignung, artikuliert wird: Im vergilischen Epos Aeneis verflucht die punische Königin Dido, als letzte Handlung vor ihrem Freitod, den treulosen Geliebten Aeneas und gelobt ihm ewigwährende, generationenübergreifende Feindschaft: ‘Zwischen unseren Völkern soll nie mehr Friede, nie mehr Freundschaft sein’ (Nullus amor populis nec foedera sunto). 430 Die Dramatizität der letzten Lebensmomente wird auch in der fünften Epode des Horaz von einer Verfluchung unterstrichen. Dort läßt er den todgeweihten Knaben, von der Hexe Canidia und ihrem schaurigen Gefolge als menschliche Zutat für einen Zaubertrank auserkoren, einen Fluch über seine Peinigerinnen aussprechen: ‘Mit Flüchen will ich euch verfolgen; […] ich [werde] euch als schreckliche Erscheinung in der Nacht begegnen; als Gespenst werde ich mit krummen Klauen über eure Gesichter herfallen’ (Diri s agam vos […]; nocturnus occuram furor petamque voltus umbra curvi s unguibus). 431 Gegen die Hexen, die ihr Liebesglück mit magischem Treiben in Gefahr bringen, wissen sich auch die elegischen Dichter Properz und 429 Vgl. Plat. leg. 831BC: Die Verletzung der verwandtschaftlichen Pflichten bzw. die Bedrohung der eigenen Eltern zieht eine Verfluchung nach sich. 430 Ver. Aen. 4,607-629; bes. 624. Hierzu z.B. Speyer 1969, 1195; Luck 1990, 80-86, bes. 85; Watson 1991, 6; 23. 431 Hor. epod. 5,89-93 (Übersetzung: Luck 1990, 98). Die literarische Tradition reflektiert die Existenz dieser Vorstellung im Volksglauben, vgl. hierzu z.B. Luck 1962, 21f.; 24- 29; bes. 28; ders. 1990, 96-98. 111 Tibull keinen anderen Rat, als ihnen grausame Flüche entgegenzuschleudern. 432 Seit dem Hellenismus begegnen Verfluchungen nicht mehr allein in Form von Einzelepisoden verschiedener literarischer Provenienz, sondern entwickeln sich als eigenständiges Motiv zur Gattung der ÉAra ! , der ästhetisch ausgefeilten Schmäh- und Fluchgedichte, die sich als in mythologische und sprachliche Dunkelheit gekleidete Gegenwehr des Dichters verstehen. 433 Dieser kontinuierlichen Tradition ist etwa der ‘Neoteriker’ Catull verpflichtet; als Erneuerer des Genres kann insbesondere Ovid gelten, der in Anlehnung an die âIbiw des Kallimachos ein gleichnamiges programmatisches Schmähgedicht verfaßt. Wie sein hellenistisches Vorbild überzieht er einen Feind in Rom — möglicherweise einen ehemals guten Freund, der das Vertrauen des im Exil weilenden Dichters mißbraucht hat — samt den Seinigen mit umfassenden Flüchen. 434 Ein vergleichbares Katastrophenszenario haben auch die pseudovergilianischen Dirae zum Thema, die trotz inhaltlicher und formaler Übereinstimmungen nicht zu der Gattung der gelehrsam-verrätselten Fluchgedichte gezählt werden. Auch hier erscheint die Verfluchung des verlorenen Landes, die letztlich auf den neuen Eigentümer abzielt, als einzige Möglichkeit für den enteigneten und vertriebenen Kleinbauern, das eigene Unglück zu kompensieren: ‘ Oh, ihr übel verwünschten Gütchen, sichtbare Zeugnisse für die Verbrechen der Beamten’ (O male devoti, praetorum crimina, agelli). 435 III.4.3 Fluch vs. defixio: Gemeinsamkeiten und Unterschiede III.4.3.1 Äußerungskontext und soziale Funktion (a) Äußerungskontext Das nicht-fiktionale Fluchwort ist immer an ein Publikum gerichtet: „Der F[luch] wird also veröffentlicht.“ 436 Mitteilungs- und Öffentlichkeitscharak- 432 Vgl. Prop. 4,5,1-4; 4,5,75-78 (hierzu Luck 1962, 37f.); Tib. 1,5,49-56 (hierzu Luck 1962, 50f.). 433 Zur hellenistischen Fluchdichtung als eigenständiger Gattung und ihrer Situierung innerhalb der antiken Literatur vgl. insbesondere Watson 1991. Die römischen Fluchgedichte werden insbesondere S. 152-165 abgehandelt. 434 Vgl. Ov. Ib. 95f.; 107-118 (Übersetzung: Häuptli): ‘Ihn verfluche ich nun, den ich mit ‘Ibis’ meine, ihn, der weiß, daß er mit seinen Taten diese Verwünschungen verdient hat. […]. Möge die Erde dir ihre Frucht, der Fluß sein Wasser verweigern […]. Verbannt, mittellos sollst du umherirren […]. Freuen sollen sich Mann und Frau an deinem Unglück’ (Illum ego devoveo, quem mens intellegit, Ibin, qui se scit factis has meruisse preces […]. terra tibi fruges, amnis tibi deneget undas […]. exul inops erres […]. gaudeat adversis femina virque tuis). 435 Appendix Vergiliana, Dirae 82. Vgl. hierzu z.B. Rupprecht 2007, bes. 63-70. 436 Speyer 1969, 1173. Auch Parker (1996, 191-193) hebt auf die Notwendigkeit der „public proclamation“ (191) ab. 112 ter sind nicht nur der mündlichen Äußerung vorbehalten, sondern bleiben auch in der schriftlichen Form gewahrt: Gesetzestafeln, Grabflüche, ‘Rachegebete’ etc. sind sichtbar angebrachte Dokumente des öffentlichen Lebens von umfassender sozialer Bedeutung. Sie werden offen lesbar aufgestellt, um das Kollektiv auf die unter Fluch stehenden Handlungen oder bereits begangenen Vergehen hinzuweisen. Da durch das Lesen die Aktualität des Textes immer wieder neu konstituiert wird, sind Sender und Empfänger, wie in einer unmittelbaren mündlichen Bekanntmachung, zeitlich und räumlich vereint. Die Zielperson und die Gemeinschaft, aus der sie entstammt, erhalten zwangsläufig mittelbar oder unmittelbar Kenntnis davon und fungieren damit als Rezipient und auch als Träger der durch den Fluchtext neu geschaffenen Realität. In der dichterischen Umgestaltung kann das Zwiegespräch mit dem Verfluchten an die Stelle der öffentlich vollzogenen Äußerung treten. Dieser Mitteilungs- und Öffentlichkeitscharakter steht im scharfen Gegensatz zu den defixiones. Der Verfasser der Zaubertafel greift der defigen s auf ein im Verborgenen auszuführendes magisches Ritual zurück und agiert somit fern von sozialer Kontrolle und Mitwisserschaft; selbst das Opfer ist über die Verwünschung nicht zwangsläufig im Bilde. (b) Soziale Funktion In all seinen Ausprägungen wird der Fluch prophylaktisch oder reaktiv zur Sanktionierung von irreparablen oder schwer zu ahndenden Freveln innerhalb eines menschlichen Kollektivs eingesetzt. Von zentraler Bedeutung für die antike Fluchpraxis ist, unabhängig von dem konkreten Auslöser, die Vorstellung einer Verfehlung. Dabei verleiht das Fluchwort nicht nur dem Wunsch nach persönlicher Rache Ausdruck, vielmehr dient der öffentliche, offiziell ausgeführte Fluch dazu, das Gleichgewicht innerhalb der Gemeinschaft zu bewahren oder Störungen zu beseitigen. Schwere Fehltritte eines Einzelnen gegen bestimmte gemeinschaftserhaltende religiöse und soziale Tabus bringen nicht nur Unheil über den Schuldigen, sondern können sein menschliches Umfeld einbeziehen. Daher werden schwerwiegende Verfehlungen eines Einzelnen als Bedrohung für Lebensraum und soziales Gefüge empfunden. Ein vor Zeugen vollzogener Fluch fungiert somit als Mittel, drohendes Unglück auf eine Einzelperson zu kanalisieren, zum Schutz der menschlichen Gruppe, die mit dem Frevler in Verbindung steht. 437 Der öffentlich rezipierte Fluch stellt folglich ein Mittel dar, das „gestörte Gleichgewicht zwischen den Menschen u[nd] der hl. Macht sowie zwi- 437 Zu dem vergleichbaren kathartischen Pharmakos-Ritual, durch welches alle Befleckungen der Stadt stellvertretend auf einen sozial tiefer gestellten Menschen übertragen und mit ihm entfernt werden, vgl. Speyer 1969, 1168f.; 1186; 1231; Parker 1996, 24-26; 258-260. 113 schen den Menschen untereinander wiederherzustellen“. 438 Daß dabei das Fluchwort auch über ein unschuldiges Individuum gesprochen werden kann, läßt sich durch das Bewußtsein erklären, nach dem „durch das feierliche Wort ein gewisses […] Handeln zu einer Voraussetzung der Wohlordnung erhoben [wird], sodass Zuwiderhandeln a u t o m a t i s c h [Hervorhebung von mir] ihr Gegenteil auslöst“. 439 Zugleich zeigt sich in Grabinschriften wie auch in entsprechenden fiktionalen Texten, daß die Verfluchung keineswegs allein dem durch Amt oder Stellung bevollmächtigten Menschen offensteht; vielmehr ist das Fluchwort als Rechtsbehelf auch der Hilf- und Mittellosen zu verstehen, denen keine andere Möglichkeit bleibt, Wiedergutmachung oder Genugtuung für ein erlittenes Unrecht zu erhalten, als etwa auf Sühnung durch göttliches Wirken zu hoffen. Für den Schadenzauber hingegen spielt der Gedanke einer ausgleichenden Gerechtigkeit im Kollektiv keine Rolle, denn die defixio entspringt rein egoistischen Überlegungen und soll einem Einzelnen durch Einwirkung auf eine andere Person Vorteile verschaffen. Oftmals liegt eine antagonistische Situation zugrunde, die nur für einen der Beteiligten siegreich ausgehen kann und am sichersten mit der Beseitigung oder Behinderung des Gegenparts zu bewältigen ist. Ebenso kann der Angriff aber zum Ziel der sexuellen oder erotischen Unterjochung oder zur Verhaltens- und Handlungsbeeinflussung geführt werden. Naturgemäß besitzt der Schadenzauber auch keine gemeinschaftskonstituierende oder -erhaltende Dimension. In die Nähe zum ‘Reaktivfluch’ rücken allein die sogenannten ‘Gebete für Gerechtigkeit’. Als private Vergeltungsmaßnahme nehmen sie auch inhaltlich und formal eine Zwischenstellung zwischen Fluch und defixi o ein. III.4.3.2 Das lexiko-grammatikalische Inventar Auf den kleinsten gemeinsamen Nenner lassen sich Fluch und defixio als rituelle Sprechhandlungen bringen, die Unheil oder Vernichtung bewirken sollen. Entsprechend sind auch formale Parallelen nachweisbar. So ist die zugrundeliegende Intention vielfach durch Wunschsätze ausgedrückt. Dabei handelt es sich allerdings um eine recht unspezifische Satzart, die ebenso bei dem positiven Gegenstück, etwa im Rahmen von Heil- oder Grußformeln, zu finden ist. Hieraus erklärt sich auch die Gleichsetzung von Fluch und defix io im Rahmen gängiger Definitionen, die den (bösen) Wunsch als prominentes Merkmal herausstellen. Überdies weisen die Tex- 438 Speyer 1969, 1161. 439 Vgl. Latte 1920, 77: „[D]ie Zauberkraft des ausgesprochenen Wortes bringt Verderben […]; die Anrufung der Götter ist gar kein notwendiger Bestandteil der Formel.“ Ob der Zorn der Götter Ursache oder Auswirkung des Fehlverhaltens ist, wird in der Literatur kontrovers diskutiert, vgl. hierzu auch Björck 1938, 35; 107; Speyer 1969, 1166; 1199; Watson 1991, 41. 114 te beider Rituale prekative Sprachmuster auf, mit denen explizit an eine numinose Macht appelliert wird. Als feste Elemente lassen sich ferner auch Überantwortungsbzw. Weiheformeln ausmachen. Wie jedoch bereits R. Wünsch herausstellt, findet sich in den defixiones, im Gegensatz zu den Fluchtexten, die manuelle Ritualhandlung in Verben wie ‘binden’ (ligare) bzw. ‘ durchbohren’ (defig er e) etc. auf die Sprachebene transponiert. Zudem enthalten die Formeln zahlreiche andere Verweise auf non-verbale Ritualelemente, meist metaphorische Vorgänge, zu denen neben der Manipulation etwa auch die Deposition des Bleitäfelchens gehört (s. A: III.3): ‘Wie dieses Blei nicht auftaucht und untergeht, so soll untergehen seine Jugend, seine Gliedmaßen, sein Leben […]’ (Quomodo hoc plumbum non paret et decidit, sic decidat aetas, membra, vita […]). 440 Auch andere formale Unterschiede, die im folgenden besprochen werden sollen, sind jeweils durch Äußerungskontext und -intention bedingt. (a) Tatbestand und Fluchsanktion Der ‘Präventivfluch’ im Rahmen von Gesetzestexten, Eiden etc. garantiert die Unverletzbarkeit bestimmter Rechte und Pflichten, was in wiederkehrenden Strukturen versprachlicht ist: Die potentielle Verfehlung, der es durch das Fluchwort vorzubeugen gilt, bildet die Kernaussage der Texte. Sie wird im Rahmen prophylaktischer Fluchformeln mittels eines Konditionalsatzes, eines sinngleichen verallgemeinernden Relativsatzes oder einer entsprechenden Partizipialkonstruktion prospektiv formuliert. Die Sanktion wird im Hauptsatz thematisiert (konjunktivisch 441 bzw. auch futurisch 442 oder imperativisch 443 ), als drohende Folge aus dem Verstoß gegen die durch ein hypothetisches Satzgefüge o.ä. verbalisierte Bestimmung: ‘Wenn der Patronus seinen Klienten betrügt, soll er verflucht sein’ (Patronus si clienti fraudem faxit, sacer esto). 444 Dieser Satzaufbau, der vom Zwölftafelgesetz bis in die rechtlichen Formeln der Spätantike Bestand hat, entspricht den sogenannten kasuistischen, d.h. auf den Einzelfall bezogenen Rechts- 440 dfx 4.4.1⁄1 (Brunnenfund). 441 Vgl. den Grabschutzfluch CIL 14, 1872: ‘Wer auch immer [das Grab] schändet oder verrückt, soll [die Götter] immer gegen sich erzürnt fühlen’ (Quicumque violaverit aut inmutaverit, sentiat iratos semper sibi). Hierzu z.B. Huvelin 1901, 57. 442 Vgl. Grabaufschrift CIL 8, 11825: ‘Wer mich verrückt, wird den Zorn der Götter erregen und lebendig brennen’ (Qui me commuserit, habebit deos iratos et vivus ardebit). Hierzu Watson 1991, 45. 443 Vgl. z.B. das Gesetz des römischen Königs Servius Tullius nach Fest. 232M: ‘Wenn der Sohn den Vater schlägt, […], soll der Sohn […] verflucht sein’ (Si parentem puer verberit, […] puer […] sacer esto). Hierzu z.B. Watson 1991, 18. 444 Zwölftafelgesetz 8,21. Hierzu Flach 1994, 181f. Der besondere Status der ‘Sacertät’ zeigt sich auch an der Ambivalenz des Adjektivs sacer als ‘heilig’ oder ‘verflucht’, von dem sich die Verben consecrari ‘weihen’ und exsecrari ‘verfluchen’ ableiten. 115 sätzen, in denen sich der prospektiven Tatbestandsfeststellung die Tatfolgefeststellung anschließt. 445 Anders ist das Fluchwort versprachlicht, das nicht als Präventivmaßnahme, sondern als Sanktion für eine realiter begangene Straftat fungiert. An die Stelle der kasuistisch-prospektiven Tatbestandsfeststellung tritt eine perfektische Tatbestandsdarstellung, die analoge syntaktische Strukturen, insbesondere verallgemeinernde Relativsätze, aufweisen kann: ‘Wer auch immer Severa, die keine Schuld trifft, verletzte und schädigte Herr, Sol, (den) übergebe ich dir, du sollst ihren Tod rächen’ (Quisquis ei laesit aut nocuit Severae immer enti, domine Sol, tibi commendo, tu vindices eius mortem). 446 Die defixio stellt ein Mittel der Erfolgssicherung und keine Vergeltungsmaßnahme dar. Daher bildet nicht die Darlegung eines begangenen Unrechts, sondern die genaue Identifikation des Opfers einen zentralen Textbaustein (s.u.). (b) Zielperson Im Rahmen prophylaktischer Fluchformeln tritt die Person des Frevlers als unbestimmtes Subjekt des Nebensatzes hinter dem Tatbestand völlig zurück: ‘Wenn einer etwas gegen diese [Gesetze] tut […], soll er irgendeinem der Götter (zum Untergang) geweiht sein’ (Qui quid adversus eas [leges] fece rit, sacer alicui deorum sit). 447 Der Fluch richtet sich in diesen Fällen folglich gegen einen allgemeinen Adressaten. Als besondere Form des bedingten Fluches sind auch Selbstverfluchungen möglich. In diesem Fall sind Ausführender der Sprechhandlung und Subjekt des hypothetischen Satzgefüges identisch: ‘Wenn ich wissentlich diesen Eid breche, dann möge Jupiter Optimus Maximus mich und das Meinige von gräßlichem Untergang heimsuchen lassen’ (Si sciens fallo, tum me Iuppiter Optimus Maximu s remque meam pessimo leto adficiat). 448 Analog zu den prophylaktischen Fluchformeln kann auch im Falle des reaktiv-sanktionierenden Fluches das betroffene Individuum unbestimmt sein: ‘Wer auch immer Severa […] verletzte und schädigte […].’ (s.o.). Darüber hinaus kann es auf Textebene aber auch in der zweiten Person präsent, also unmittelbar angesprochen sein. Dies zeigt z.B. nachfolgender Ausschnitt aus dem Grabfluch gegen den Mörder der bestatteten Person: 445 Zu diesem Satzaufbau vgl. z.B. Kaser 1951, 32-34; ebenso Wieacker 1956, bes. 488f.; Tomlin 1988, 70; Liebs 1999, 189f. Zur römischen Kasuistik allgemein vgl. auch Kaser 1977, 14f.; Dulckeit/ Schwarz/ Waldstein 1995, 59; 250-252. Im Zusammenhang mit den vorliterarischen carmina vgl. auch Dangel 1997, 119f. 446 CIL 6, 2, 14098, vgl. Björck 1938, 28, Nr. 10. 447 Fest. p. 318 (leges sacratae). Zu dieser Textstelle vgl. z.B. Wissowa 1900, 900. 448 Vgl. Liv. 22,53,11. Zur Bestrafung des Eidbruches vgl. Wissowa 1912, 387-389; Pfaff 1924, 455. 116 Hier liege ich nun, Grattius, […]. Dies wünsche ich mir: du sollst sterben, gequält von üblen Strafen auch du selbst; und ebensowenig soll dir nun erlaubt sein, das Licht zu sehen, dessen du mich beraubt hast; und du sollst die Strafen erleiden, die du verdient hast […]. Hic ego nunc iaceo Grattius […]. Hoc opto: moriare malis exemplis cruciatus et ipse; nec te nunc liceat quo me privasti lumen videre; et tu des poenas quas meruisti […]. 449 Wie bereits gesagt, stellt die Identifikation der Zielperson ein Kernelement der defixio-Texte dar (s. auch A: IV.2.3.1). (c) Urheber Da es sich bei prophylaktischen Verfluchungen im juristischen Bereich um universell gültige Richtlinien einer Gemeinschaft handelt, findet sich kein expliziter Hinweis auf den Urheber, allein beim Eid entsprechen sich situationsbedingt Verfluchender und Verfluchter. Anders verhält es sich beim ‘Reaktivfluch’. Im Falle von Grabinschriften, die oftmals ‘sprechende’ Inschriften darstellen, sind textinterner Sprecher und Verfluchender identisch: ‘Hier liege ich nun, Grattius […]’ (s.o.). Dies gilt auch für andere Formen des ‘Rachegebets’ ebenso wie für die literarische Umformung. Während der Urheber eines Grabfluches, Eides etc. namentlich genannt oder unmittelbar präsent ist, geben die defixiones oftmals keine expliziten Hinweise zur Person des Verfassers, was u.a. in der Illegalität des Schadenzaubers begründet liegt. Anders verhält es sich mit den Liebesdefixiones: Hier stellt die Identifikation des defigens naturgemäß einen wesentlichen Bestandteil dar. (d) Numinose Mächte Ein weiterer Bestandteil der Formeln kann die Nennung von Gottheiten sein. Hierin liegt auch die starke Wirkung des legalen Fluches gegenüber anderen staatlichen Strafen begründet: Wie im Gesetzestext aus Naupaktos ersichtlich (s. A: III.4.2.1), erscheinen in den offiziellen Gesetzes- und Eidtexten meist große olympische Götter, z.B. Zeus bzw. Jupiter oder Apollo. Das private ‘Rachegebet’ wendet sich mitunter auch an die Erinyen bzw. die rächenden Furien oder ausgewiesene Unterweltsgottheiten. 450 Der Einbezug von numinosen Mächten ist jedoch nicht zwingend notwendig, da dem mündlich oder schriftlich geäußerten Fluchwort selbst vernichtende Autonomie und Wirkungskraft zugeschrieben wird (s. auch A: V.3.3). Folglich kann die Verfluchung als götterlose, selbstwirksame Wendung formal in die Nähe zum malum carmen rücken, durch die Einbindung von Gottheiten das negative Pendant zum Gebet darstellen. 449 AE 1901, 164. Hierzu z.B. Björck 1938, 33f., Nr. 22; Watson 1991, 45. 450 Vgl. hierzu Björck 1938, 38; Watson 1991, 48-50; Strubbe 1991, 42; Versnel 1991, 64; Lateiner 1997, 250f.; Geisser 2002, 242-252. 117 In den defixiones ist der Zorn großer Götter als gerechte Reaktion auf ein fluchwürdiges Verhalten nie thematisiert; sind übernatürliche Mächte involviert, so handelt es sich sehr häufig um unterirdische (katachthonische) Gottheiten oder Dämonen. (e) ‘Fluchzustand’ Der Fluch löst eine als Strafe auferlegte Lebenssituation aus, die mit „Fluchzustand“ 451 treffend beschrieben wird. Zu den Standardthemen des antiken Fluchs zählen dabei insbesondere Heimat- und Besitzlosigkeit, vorzeitiger und gewaltsamer Tod sowie das Ausbleiben einer ordnungsgemäßen Bestattung. Viele Formulierungen zeigen eine nahezu stereotype Ausweitung der Verfluchung auf Angehörige und Nachkommenschaft des Frevlers. 452 In seiner literarischen Ausarbeitung kann dieser ‘Fluchzustand’ ausführlich thematisiert sein, wie z.B. das Fluchgebet der punischen Königin Dido gegen den wortbrüchigen Geliebten zeigt: […] hört unsere Bitten […] heimatlos aus seinem Land gejagt […] soll er um Hilfe flehen und den tragischen Untergang seiner Leute mitansehen […] soll fallen vor seiner Zeit und unbestattet mitten im Sande [liegen]. […] nostras audite preces […] finibus extorris […] auxilium imploret videatque indigna suorum funera […] cadat ante diem mediaque inhumatus harena. 453 Didos Fluch vollzieht sich schließlich auch nicht am Adressaten Aeneas, sondern stellt den Auslöser für die Erbfeindschaft zwischen Karthago und Rom dar. Auch in mythologischen Erzählungen kann die Verfluchung die Zielperson selbst überspringen — beispielhaft auch hier das Schicksal des Tantaliden Pelops —, um auf die Nachkommenschaft zu fallen und sie in ständige Neuverfluchungen zu verstricken. In inschriftlichen Quellen findet sich hingegen, in Anlehnung an den nüchternen Stil der Rechtssprache, meist nur ein allgemeiner und unbestimmter Hinweis auf die unheilvolle Zukunft des Frevlers: ‘Wenn einer seine Urne geschändet hat, der soll keine Aufnahme bei den Unterirdischen finden’ (Ollam eius si quis violavit ad infe ros non recipiatur). 454 Die defixio zielt nicht darauf ab, einen allumfassenden ‘Fluchzustand’ auszulösen, sondern darauf, die Zielperson punktuell außer Gefecht zu 451 Speyer 1969, 1176. 452 Die Ausrottung des gesamten Geschlechtes gehört zu den Standardthemen der Fluchformeln, vgl. etwa den Sakralfluch der Delphischen Amphiktyonen über diejenigen, die sich auf dem verfluchten Gebiet von Kirrha niederlassen (Aischin., Ctes. 111): ‘Und der Fluch lautet, daß ihnen weder die Erde Früchte tragen, noch die Frauen Kinder gebären sollen, die ihren Erzeugern ähneln, sondern Ungeheuer […] und daß sie und ihre Häuser und ihr Geschlecht völlig zugrundegerichet sein sollen.’ Hierzu Speyer 1969, 1181f.; 1199; Watson 1991, 19; 32-35. 453 Vgl. Verg. Aen. 4,612-620. 454 AE 1988, 380. 118 setzen oder manipulierbar zu machen. 455 Die Folgen dieser ‘Bindung’ sind auf die Person des Opfers zentriert und genau umrissen: Dies äußert sich z.B. in präzisen Instruktionen an die involvierten Gottheiten, die nur einen begrenzten Handlungsspielraum eröffnen und mitunter zeitliche Fristen setzen: ‘Ich bitte dich, Neptun, daß du […] mich rächst, bevor neuen Tage vergehen’ (Te rogo, Neptune, ut […] me vindicas, antequam veniant dies novem). 456 Die personenzentrierte Wirkweise dokumentiert sich ferner in sogenannten Glieder-defix iones, katalogartigen anatomischen Listen, oder Aufzählungen von Krankheiten und Schmerzen (s. auch A: IV.4.2.1). Diese Präzision erklärt sich aus dem gewünschten Resultat der Zauberhandlung: Im Wettkampf ist das dem Schadenzauber zugeschriebene Wirkpotential einem Sabotageakt vergleichbar, vor Gericht der Verabreichung von sprachlähmendem Gift. (f) lex talionis und Wiedergutmachung Die Verhältnismäßigkeit von Vergehen und Strafmaß kann in Verfluchungen thematisiert sein. 457 In diesem Zusammenhang wird auf ‘das Gesetz der gerechten Wiedervergeltung’ (lex talionis) Bezug genommen: 458 Explizite Verweise auf die talio finden sich bereits im Zwölftafelgesetz: ‘ Wenn jemand [einem anderen] ein Glied verstümmelt, soll [der Täter] das Gleiche erleiden, wenn er sich nicht [mit dem Verletzten] gütlich einigt’ (Si membrum rupsit, ni cum eo pacit, talio esto). 459 Ebenso erscheint in Epitaphien die Bitte, Gleiches mit Gleichem zu vergelten: ‘Was wer auch immer von euch mir als Totem gewünscht haben sollte, das sollen die Götter auch jenem lebendig oder tot antun’ (Quod quisquis ve strum mortuo optarit mihi et(? ) illi Di faciant semper vivo et mortuo). 460 Für den Fall, daß das begangene Unrecht ausgeglichen bzw. aufgehoben oder gesühnt wird, wird bisweilen die Möglichkeit der Fluchlösung in Aussicht gestellt (s. auch A: IV.3.3.5). 461 455 Es finden sich defixiones, in denen mehrere Mitglieder einer Familie namentlich aufgeführt werden (z.B. dfx 1.5.3⁄2; dfx 1.7.2⁄1; dfx 2.2.3⁄3; dfx 1.1.3⁄1), aber keine Standardformeln, die das Genos in die Verwünschung einbeziehen. 456 dfx 3.14⁄3. Ebenso dfx 3.5⁄1; dfx 3.2⁄54. Eine genaue Datumsangabe (21. November) findet sich z.B. in Suppl. Mag. I, 172, Nr. 45, Zeile 37. 457 Z.B. Ov. Ib. 95f.: ‘Ihn verfluche ich nun, den ich mit ‘Ibis’ meine, ihn, der weiß, daß er mit seinen Taten diese Verwünschungen verdient hat’ (Illum ego devoveo, quem mens intellegit, Ibin, qui se scit factis has meruisse preces); s. auch A: III.4.2.3. Parallel hierzu o.g. Grabspruch: ‘[…] und du sollst die Strafen erleiden, die du verdient hast’ ([…] et tu des poenas quas meruisti). 458 Zur talio im römischen Recht vgl. z.B. Mommsen 1899, 4; 802f.; Flach 1994, 37f.; 166; Dulckeit/ Schwarz/ Waldstein 1995, 67; 71; Liebs 1999, 216. 459 Tafel 8,2. 460 CIL 2, 7, 353. 461 Zur Lösung des Fluchs vgl. Speyer 1969, 1191 (mit weiterer Literatur). Hierzu auch Björck 1938, 123; 132; Versnel 1991, 79. 119 (g) Legitimation Das ‘Rachegebet’ kennt die persönliche Rechtfertigung vor der göttlichen Instanz durch die genaue Darlegung des Vergehens und die Nennung der geschädigten Person. Besonders deutlich zeichnet sich diese defensive Haltung in den ausführlicheren Textzeugnissen auf Blei oder Papyrus, die kein kapitales und somit an sich als fluchwürdig angesehenes Verbrechen beklagen, ab. 462 Der Geschädigte ist auf Textebene nicht nur mit seinem Namen präsent, sondern auch dadurch, daß er die Anfrage begründet und die eigene Rechtschaffenheit, oftmals in Antithese zur Haltung des Übeltäters, genau darlegt. Aufgrund dieser argumentativen Strategien gewinnt der Fluch den Charakter einer „Bittschrift“ 463 oder Klage. Die Argumentation gegenüber den Gottheiten ist auch dem Fluchenden in der Literatur nicht fremd. 464 III.4.3.3 Zwischen Fluch und defixio: die ‘Gebete für Gerechtigkeit’ Die sogenannten ‘Gebete für Gerechtigkeit‘ 465 oder ‘prayers for justice’ sind als spezielle Ausprägung der defixio abzugrenzen. Ihre Sonderstellung reflektiert sich vereinzelt bereits an Eigenbezeichnungen wie donatio ‘Gabe’ oder commonitorium bzw. petitio ‘Klage’ (s. auch A: II.3.1). Diese ‘Gebete’ sind weniger auf Erfolgssicherung in einer zumeist antagonistischen Situation als vielmehr auf die Erlangung von Rache oder Wiedergutmachung für ein erlittenes Unrecht ausgerichtet. Nahezu alle beklagen Bagatelldelikte, meist Diebstahl oder Unterschlagung wenig wertvoller Gegenstände, wodurch sie in die Nähe zum ‘Reaktivfluch’ rücken, genauer gesagt zum privaten ‘Rachegebet’ auf Blei oder Papyrus. Aufgrund der typologischen Nähe zum ‘Reaktivfluch’ ergeben sich auch formal-inhaltliche Überschneidungen: Analog zu den Formeln reaktiv-sanktionierender Verfluchungen kann der beklagte Tatbestand (a) in 462 Z.B. PGM LI 20-24 (Rachegebet des Neilammôn): „Ich bitte dich, Totendämon […], zu hören auf mich Neilammôn, der ich fromm [bin gegen die Götter].“ Hierzu z.B. Wünsch (1900, 234) mit Verweis auf das griechische Täfelchen DTA 98, 6: „nur bei erlittenem Unrecht ist man befugt, die Rache der Unterirdischen durch einen Fluch heraufzubeschwören.“ Ebenso Versnel (1987; 1991), der diese Argumentationsstrategie damit begründet, daß „[i]f the complaint is not somehow justified, the accuser himself must risk divine retaliation“ (1991, 89). 463 Vgl. PGM XL („Verwünschung der Artemisia“), dessen Eigenbezeichnung ! kethr ! a ‘Bittschrift’ (10) lautet. 464 So z.B. in Homers Ilias (1,37-42): Im Gebet an den Gott begründet und legitimiert der Apollopriester Chryses, der als Privatperson und nicht in offizieller Funktion agiert, seinen Fluch gegen Agamemnon und die ganze griechische Armee nicht zuletzt mit seinen „Tränen“ (1,42) über den Verlust der Tochter und die demütigenden Beschimpfungen seitens des Königs. Vgl. hierzu z.B. Watson 1991, 26f.; 50; 62f. 465 Der Terminus ‘prayer for justice’ (bzw. ‘supplication juridique’, ‘demande de justice’) stammt von Versnel (1991 bzw. 1987) und lehnt sich an Björcks Bezeichnung ‘Rachegebet’ (1938) an. 120 Form einer perfektischen Tatbestandsdarstellung spezifiziert und dargelegt sein, im Rahmen derer das betroffene Individuum (b) nicht namentlich genannt wird; um das Fehlen dieser zentralen Informationen auszugleichen, finden sich im Gegenzug recht häufig ‘all-inclusive-formulas’ (s. A: IV.4.2.4). Regelmäßig werden große Gottheiten (d) angerufen, 466 Unterweltmächte erscheinen hingegen nur selten; zudem zeugen die ‘Gebete für Gerechtigkeit’ von einer für magische Praktiken außergewöhnlich devoten Haltung gegenüber den Göttern: Die numinose Macht wird oftmals mit preisenden Epitheta angesprochen, die Interaktion erfolgt vielfach mit ‘protektiven’ sprachlichen Verfahren (s. auch A: IV.3.2.2). Für die erfolgreiche Intervention kann der Gottheit auch eine Gegenleistung gelobt werden; mitunter finden sich argumentative Strukturen (g), mittels derer die Gottheit von der Rechtmäßigkeit des Anliegens und folglich auch des göttlichen Eingreifens überzeugt werden soll. Im Verbund mit dieser Legitimationsstrategie erfolgt regelmäßig auch die namentliche Nennung des Verfassers (c). Da die ‘prayers for justice’ auf die Behebung eines reparablen Schadens abzielen, wird oftmals die Möglichkeit formuliert, die Verwünschung bei Wiedergutmachung (f) des Unrechts aufzuheben; hierfür werden bisweilen entsprechende Bedingungen im Rahmen von ‘Löseklauseln’ formuliert. Verweise auf die lex talionis sind eher selten, 467 häufiger wird eine unverhältnismäßige Strafe, meist die ‘Bezahlung’ in Blut, auch für geringfügige Vergehen gefordert. Elemente des ‘Fluchzustandes’ (e), wie die Ausweitung der Verfluchung auf die Familie, können ebenfalls aufgenommen sein. 468 Wie alle defixiones werden auch die ‘prayers for justice’ mit dem Ziel eingesetzt, Einfluß auf einen Dritten zu nehmen und mitunter zu bestimmten Handlungen, wie z.B. der Rückgabe des Diebesguts, zu bewegen. Zu den wichtigsten Gemeinsamkeiten mit den übrigen defixiones zählt die Ähnlichkeit im non-verbalen Ritual: Dies betrifft etwa die systematische Verwendung von Bleitafeln, die im Gegensatz zu den privaten ‘Rachegebeten’, zugleich Gegenstand einer rituellen Manipulation sind; diese außersprachlichen Vorgänge reflektieren sich auch auf Textebene. Ferner wird 466 Selten ist der Zorn der Götter als gerechte Reaktion auf ein fluchwürdiges Verhalten thematisiert, z.B. dfx 8.3⁄1: ‘Den Eudemus soll euer Zorn treffen’ (Eudemus habeat vos iratos). 467 Z.B. dfx 7.5⁄1: ‘daß ihn oder sein Vermögen der treulose Cacus ebenso hinwegraffe, wie ihr das hinweggerafft wurde, was sie euch überträgt’ (ut eum sive fortunas eius infidus Cacus sic auferat, quomodo illi ablatum est id, quod vobis delegat). 468 Hierzu zählen z.B. Krankheit und soziale Ausgrenzung in dfx 3.22⁄34: ‘halbnackt, zahnlos, zittrig, podagrakrank, ohne das Mitleid irgendeines Menschen’ (seminudi, edentuli, tremuli, podagrici, sine cuiusque hominis misericodia); Aufnahme von Besitz und sozialem Umfeld in dfx 7.5⁄1: ‘daß ihr ihn losreißt von seinem Vermögen und von seinen Nächsten und von denen, welche er am liebsten hat’ (ut […] eum aversum a fortunis suis avertatis et a suis proximis et a b eis, quos carissimos habeat); soziale Schmach und Degradierung in dfx 3.2⁄54: ‘er soll den Mantel […] in seinem Schnabel abliefern’ (caballarem […] in suo rostro deferat). 121 das Schriftstück nicht in die Obhut eines Priesters oder Tempeldieners gegeben und öffentlich angebracht, sondern ohne die Zwischenschaltung einer menschlichen Kontroll- oder Vermittlungsinstanz in Brunnen oder Quellen rituell deponiert und damit unzugänglich gemacht. Die Übereinstimmung schlägt sich auch sprachlich nieder: Zu den formalen Gemeinsamkeiten zwischen vergeltenden und erfolgsmotivierten defixiones zählen insbesondere Glieder-defixiones und vergleichbare Elemente. 469 Ebenso begegnen auf die extratextuelle Ritualhandlung referierende Formeln wie z.B. die ‘Manipulationsformel’. 470 Nicht zuletzt erscheinen in den ‘Gebeten’ vom europäischen Festland auch diejenigen ‘infernalischen’ Mächte, die für die übrigen defixiones ebenfalls belegbar sind. Dazu zählen etwa die infe ri, Pros erpina sowie das Herrscherpaar der Unterwelt Dis pater und Ae racura bzw. Ve racura. 471 469 Als feste lexikalische Elemente begegnen insbesondere das Nomen sanitas ‘Gesundheit’ oder synonyme Lexeme sowie der Verweis auf lebenserhaltende Vorgänge wie schlafen, essen, trinken etc., z.B. dfx 3.22⁄29: ‘damit du demjenigen, der mich betrogen hat, keine Gesundheit gewährst noch erlaubst zu liegen, zu sitzen, zu trinken, zu essen’ (ut ei, qui mihi fraudem fecerit, sanitatem ei non permittas nec iacere nec sedere nec bibere nec manducare). 470 z.B. dfx 8.3⁄1: ‘ich durchbohre Eudemus’ (defigo Eudemum); dfx 3.2⁄76: ‘ möge er mit seinem Blut, seinem Augenlicht und all seinen Glieder durchbohrt werden’ (sanguine et luminibus et omnibus membris configatur). 471 Z.B. dfx 8.3⁄1; dfx 1.5.4⁄3; dfx 2.3.1⁄1. 122 IV. Die lateinischen defixiones im Lichte der historischen Pragmatik IV.1 Grundlagen der historischen Sprechakt-Analyse IV.1.1 Die ‘pragmatische’ Dimension des sprachlichen Zeichens und die Grundfunktionen von Sprache Das sprachliche Zeichen vereinigt nach F. de Saussure die zwei Seiten signifiant (Bezeichnendes) und signifié (Bezeichnetes); 472 auf diese Weise betrachtet wird es von der Realisierungssituation losgelöst und bleibt eine abstrakte Größe auf der Ebene der Einzelsprache. Im dreistelligen Zeichenmodell von C. S. Peirce wird diese zweistellige Relation um den Zeichenverwender erweitert, dessen Leistung in Gebrauch und Interpretation des Zeichens besteht. 473 Eine Weiterentwicklung stellt das Modell C. W. Morris dar, in dem drei semiotische Dimensionen des sprachlichen Zeichens unterscheiden sind: die ‘syntaktische’ Dimension, die sich auf die Verbindung des Zeichens zu anderen Zeichen und auf die Kombinatorik innerhalb des Zeichensystems bezieht, die ‘semantische’ Dimension, mittels derer die Relation zwischen Zeichen und Referenzobjekt erfaßt wird, und schließlich die ‘pragmatische’ Dimension, die die Beziehung des Zeichens zum Zeichenbenutzer abbildet. Gegenüber Syntaktik und Semantik räumt C. W. Morris der Pragmatik, die sich „mit dem Ursprung, den Verwendungen und den Wirkungen der Zeichen im jeweiligen Verhalten“ 474 beschäftigt, eine vorrangige Rolle ein: Die Pragmatik umfaßt demgemäßt die Untersuchung des Zeichengebrauchs im Hinblick auf die situativen Bedingungen und die Intention des Zeichenverwenders, auf seine Umwelt einzuwirken. Der Grundstein für die funktionelle Betrachtung des Zeichensystems ‘Sprache’ in einem bestimmten Kontext wird von K. Bühler gelegt: Sein in Anlehnung an Platons Kratylos entstandenes ‘Organon-Modell’ bildet die drei Komponenten der Sprechsituation (Sender, Empfänger sowie Gegenstände und Sachverhalte in der außersprachlichen Wirklichkeit) ab und setzt sie zueinander in Beziehung. 475 Sprache wird dabei insofern als 472 Vgl. Saussure 1967, 76-79. 473 Vgl. hierzu z.B. Schlieben-Lange 1975, 22-24; Levinson 2000, 1-5; Wagner 2001, 22-2. 474 Morris 1973, 326. Hierzu z.B. auch Schlieben-Lange 1975, 24-28; Verschueren 1999, 6; Wagner 2001, 24f. Der Begriff ‘Pragmatik’, abgeleitet von dem griechischen prçgma ‘Handeln’, ‘Tun’, bezeichnet ursprünglich eine philosophische Richtung des frühen 20. Jahrhunderts, die menschliches Handeln oder „die praktischen Folgen des Denkens und Erkennens“ (Hochkeppel 1989, 270) zum Gegenstand hat. 475 Bühler 1934, 24-33. Vgl. hierzu bes. auch Heger 1976, 10-14; Raible 1988; Coseriu 1994, 71-75; 88-92. 123 ‘Werkzeug’ (órganon), verstanden, als sie zwischen Sender, Empfänger und Referenzobjekt zu bestimmten Zwecken eingesetzt wird. Damit erfüllt das sprachliche Zeichen drei elementare und universale Grundfunktionen: Eine Darstellungsfunktion in Bezug auf Objekte und Vorgänge in der außersprachlichen Realität, eine Appellfunktion, durch die der Sender auf das Empfängerverhalten einwirkt, und eine Ausdrucksfunktion, die die „Innerlichkeit“ 476 des Senders betrifft; oder anders gesagt: Das sprachliche Zeichen ist zugleich ‘Symbol’, ‘Symptom’ und ‘Signal’, wobei die unterschiedlichen Grundbezüge abwechselnd dominant sein können. 477 In der Folge entwirft R. O. Jakobson ein komplexeres Kommunikationsmodell: 478 Sein Schema des „speech event“ baut auf dem informationstheoretischen Modell der Nachrichtenübertragung auf, wonach die Übermittlung einer Nachricht von einem Sender zu einem Empfänger mittels eines Kontaktmediums erfolgt. 479 Die zu übermittelnde Nachricht ist dabei in einem sowohl Sender als auch Empfänger zumindest teilweise gemeinsamen Sprachkode umgesetzt und referiert auf einen außersprachlichen Kontext. Im Gegensatz zu dem Bühlerschen Modell werden folglich neben Sender, Empfänger und Kontext zusätzlich die Größen Nachricht, Kontakt(medium) und Sprachkode erfaßt. Diesen sechs fundamentalen Faktoren wird je eine Funktion zugeordnet. Beibehalten sind damit die Funktionen Darstellung, Appell und Ausdruck; davon differenziert werden die „phatische“ Funktion mit Bezug auf die Steuerung des Kommunikationskontaktes, die „poetische“ Funktion mit Bezug auf die Nachricht, d.h. auf ihre Form und Struktur, sowie die metasprachliche Funktion mit Bezug auf den verwendeten Sprachkode, d.h. auf sprachinterne Kategorien und nicht auf außersprachliche Objekte und Sachverhalte. Analog zu dem Bühlerschen Konzept werden alle sechs Funktionen in unterschiedlichen Gewichtungen und Kombinationen realisiert. 480 Die im Anschluß an K. Bühler und R. O. Jakobson entstandenen Sprachfunktionsmodelle beinhalten entweder eine zusätzliche Differenzierung 476 Bühler 1934, 28. 477 Als Kritikpunkt bleibt jedoch anzuführen, daß die drei Grundfunktionen von Sprache nicht auf derselben Ebene verortet und folglich nicht miteinander gleichzusetzen sind. Diese Diskrepanz wird z.B. von Coseriu (1994, 90) als „Niveauunterschied“ bezeichnet, da es sich bei ‘Ausdruck’ und ‘Appell’ um „Funktionen des Zeichens in seiner Verwendung“ handelt, während die „Darstellungsfunktion“ als „Funktion des virtuellen Zeichens“ zu verstehen ist. Vgl. hierzu z.B. auch Heger 1976, 10-13; Brinker 1987, 103. 478 Vgl. Jakobson 1960. Vgl. hierzu bes. auch Raible 1974; Coseriu 1994, 76-87. 479 Das Grundmodell stammt ursprünglich aus der Telephonie und diente der Untersuchung der Kapazität der Kommunikationskanäle. Vgl. Shannon/ Weaver 1949 (s. auch A: V.1.1). 480 Entscheidend ist allerdings, daß es Jakobson „um Funktionen des Zeichens im Redeakt“ (Coseriu 1994, 91) geht und damit alle Funktionen, anders als im Bühlerschen Modell, auf derselben Ebene verortet sind. 124 und somit eine Erweiterung des Funktionsspektrums oder nehmen eine Reduktion auf zwei bzw. drei Grundfunktionen vor. 481 IV.1.2 Die ‘Performativität’ sprachlicher Äußerungen Funktionale Erklärungsmodelle für Sprache bilden die universalen Relationen des sprachlichen Zeichens zu den Konstituenten des Kommunikationsprozesses ab. Durch diese globale Betrachtungsperspektive wird das Leistungspotential von Sprache jedoch losgelöst vom Sprachverwender in den Blick genommen, über Funktion und Zweck einer bestimmten Äußerung in einem bestimmten Kontext ist damit noch nichts ausgesagt. Sprache als Handlung (und nicht als ‘Werkzeug’) zu betrachten heißt hingegen, das handelnde Subjekt und die Beziehung zu seiner Handlung in die funktionale Untersuchung einzubeziehen. Zugleich bedeutet dies, universale Funktionen von Sprache zu kontextvariablen, in der Handlungsabsicht des Sprechers begründeten Funktionen umzudeuten. IV.1.2.1 J. L. Austin: ‘performativ’ vs. ‘konstativ’ und die Theorie der Sprechakte 482 Mit sprachlichen Äußerungen und ihrem Handlungscharakter setzt sich J. L. Austin in seiner 1955 an der Harvard-Universität gehaltenen Vorlesungsreihe How to do things with words auseinander, die allerdings erst postum im Jahre 1962 publiziert wird. Seine aus zwölf Vorlesungen hervorgegangene Sprechakttheorie bildet den grundlegenden Entwurf für die Beschreibung von sprachlichen Handlungen. In der Tradition der angelsächsischen ‘ordinary language philosophy’ entwickelt er ein Gegenmodell zu der vorherrschenden philosophischen und linguistischen Position, wonach sprachliche Aussagen in erster Linie getätigt würden, um Sachverhalte zu beschreiben und Tatsachen zu behaupten. Vor diesem Hintergrund stellt er diesen ‘konstativen’ Äußerungen zunächst die sogenannten ‘performativen’ gegenüber: Trotz identischer sprachlich-grammatischer Ausformung dienten letztere nicht der Beschreibung oder Feststellung von Tatsachen, in ihrem Falle gelte vielmehr: „den Satz äußern heißt: es tun.“ 483 481 Entsprechend der Kritik am „Niveauunterschied“ (s.o.) der drei Bühlerschen Sprachfunktionen plädieren Vertreter einer binären Einteilung auf die Zusammenlegung der ‘sozialen’, d.h. sprecherbzw. hörerbezogenen Funktionen, in Abgrenzung zur referentiellen Funktion. Vgl. hierzu insbesondere die Lyons (1980, 64-70), Appell- und Ausdrucksfunktion sollten zu einer einzigen interpersonalen Funktion vereint und der deskriptiven Funktion gegenübergestellt werden. Eine gute Übersicht über die verschiedenen Modelle gibt Bublitz 2001, 52f. 482 Wie in der Fachliteratur werden die Begriffe Sprechakt und Sprechhandlung gleichbedeutend gebraucht. In den Übersetzungen von Austin und Searle wird illocutionary etc. mit illokutionär etc. wiedergegeben. Die gebräuchlicheren Formen sind allerdings illokutiv etc. Hierzu z.B. auch Wagner 2001, 88. 483 Austin 1998, 29. 125 Diese Äußerungen sind folglich nicht „bloßes Sagen“, 484 sondern Handlungsvollzug und damit weder wahr noch falsch. Den Nachweis für die Distinktion ‘konstativ’ vs. ‘performativ’ versucht J. L. Austin in der Folge sowohl auf sprachlicher Ebene als auch mittels außersprachlicher Daten zu führen. Hierfür analysiert er zunächst die „Unglücksfälle“, 485 d.h. diejenigen Bedingungen, unter denen eine performative Äußerung einen Mißerfolg darstellt, und leitet daraus Regeln für den erfolgreichen Vollzug der Sprechhandlung ab. Da jedoch Wahrheitsfähigkeit und Mißerfolg sowohl konstative als auch performative Äußerungen betreffen können, werden auch grammatische Merkmale auf ihre Eignung als Unterscheidungskriterium geprüft, in der Annahme, Äußerungsabsicht und -bedingungen müßten sich auch in der Formulierung der Äußerung reflektieren. 486 Dies gelte insbesondere für „performative Äußerungen, die Verben in der ersten Person Singular des Indikativ Präsens Aktiv enthalten“, 487 da sie handelndes Subjekt und zeitlichen Zusammenfall von Äußerung und Handlung erkennbar machten; einen zusätzlichen Hinweis hierauf gäbe insbesondere die mögliche Erweiterung durch das Adverb „hiermit“. 488 Angezeigt würde die Art der vollzogenen Handlung durch Verben mit bezüglich ihrer Bedeutung besonders performativem Aussehen. 489 Auf eben diese Form der ‘performativen Äußerung’ (in der 1. Ps. Sg. Pr. Akt.) müßten sich folglich alle Äußerungen mit performativem Charakter zurückführen lassen. Neben verschiedenen Einschränkungen hinsichtlich der Tauglichkeit der angenommenen grammatischen Unterscheidungskriterien ergibt sich jedoch vor allem, daß nicht jede sprachliche Handlung auch mittels einer (explizit) performativen Äußerung zum Ausdruck gebracht werden kann: „’Ich beleidige Sie’ gibt es nicht.“ 490 Ferner resultieren auch aus der Untersuchung der ‘primär performativen’, 491 d.h. implizit performativen Äuße- 484 Ebd., 30. 485 Ebd., 36. 486 Vgl. ebd., 76. 487 Ebd., 76. Austin verwendet in seiner Vorlesung ‘performative Äußerung’ und ‘explizit performative Äußerung’ synonym. Vgl. hierzu z.B. auch Wunderlich 1975, 16: „Alle E[xplizit] P[erformativen] F[ormel]n sind im Indikativ Präsens in der positiven Form.“ Dies gilt auch für die entsprechenden „Passivformen in der zweiten oder dritten Person“ (Austin 1998, 77; 81 [Zitat S. 81]). Zu dem bereits vorher von Koschmieder (1945, 22-29) aufgedeckten und beschriebenen ‘Koinzidenzfall’, der mit Austins ‘explizit performativer Formel’ verglichen werden kann, vgl. z.B. Keck/ Stubbs 1984. Allerdings konzentriert sich Koschmieder ausschließlich auf den ‘Koinzidenzfall’, d.h. er berücksichtigt weder andere sprachliche Ausdrücke noch nimmt er eine Klassifikation der Sprechhandlungen vor. Hierzu z.B. auch Beck 1980, 32-34. 488 Austin 1998, 78. 489 Vgl. ebd., 81. 490 Ebd., 89. 491 Nach Austin (1998, 92) sind „explizit performative Äußerungen später entstanden“ und somit der „primären Form“ (ebd.) entstehungsgeschichtlich nachgeordnet. Al- 126 rungen verschiedene Probleme: Nicht jeder ‘primär performativen’ Äußerung sei ihre Handlungsbedeutung zu entnehmen; vielmehr bleibe diese „Rolle“ 492 bisweilen unklar und könne damit auch nicht in eine explizite Form überführt werden. Überdies sei „die explizit performative Formel erst das letzte und ‘erfolgreichste’ von zahlreichen Sprachmitteln“, 493 so daß die jeweilige Rolle der Äußerung ebenso gut durch sprachliche Verfahren wie Modus, Betonung und adverbiale Bestimmungen sowie durch den außersprachlichen Kontext indiziert sein könne. 494 Nicht zuletzt könne man sich auch bei der expliziten Ausformung einer Äußerung ihres performativen Charakters nicht sicher sein, da diese Realisierungsform durchaus auch bei konstativen oder beschreibenden Äußerungen anzutreffen sei. Hieraus geht hervor, daß die sprachliche Gestalt die ursprünglich geforderte Abgrenzung zwischen konstativen und performativen Äußerungen nicht zulasse. Aus seiner aporetischen Situation befreit sich J. L. Austin am Ende der siebten Vorlesung: „Es ist also an der Zeit, die Frage ganz neu anzugehen.“ 495 Die Distinktion zwischen konstativen und performativen Äußerungen wird aufgegeben zugunsten der Annahme, daß j e d e sprachliche Äußerung Handlungscharakter besitzt. Zugleich wird der Komplexität der Sprechhandlung selbst Rechnung getragen: Eine Äußerung tun wird nun modelliert als simultaner Vollzug dreier konstitutiver Teilhandlungen: eines ‘lokutionären’, eines ‘illokutionären’ und eines ‘perlokutionären’ Aktes. 496 Dabei setzt sich der ‘lokutionäre’ Akt, der sich auf den Äußerungsvorgang bezieht, wiederum aus drei Tätigkeiten zusammen, die J. L. Austin mit ‘phonetisch’ (Produktion von Geräuschen), ‘phatisch’ (Verwendung von Vokabeln und grammatischen Konstruktionen) und ‘rhetisch’ (Aussage über außersprachliche Wirklichkeit) bezeichnet. Der ‘illokutionäre’ Akt, dem J. L. Austin eine zentrale Rolle einräumt, wird vollzogen „indem man etwas sagt.“ 497 Abgehoben wird damit auf die ‘illokutive Rolle’, die auch von dem „’Zusammenhang’“ 498 der Äußerung abhängt. Der Vollzug eines ‘perlokutionären’ Aktes besteht schließlich im Erzielen einer Wirkung, die von dem Sprecher zwar durchaus beabsichtigt sein kann, von ihm aber nicht völlig kontrollierbar ist. Im Gegensatz zum perlokutiven Akt stellt der illokutive ferner „eine konventionale Handlung“ 499 dar, deren erfolgreicher Vollzug Vorwissen und Übereinkunft impliziert und folglich lerdings stellt „die explizit performative Formel“ das „‘erfolgreichste’ von zahlreichen Sprachmitteln“ dar (93). 492 Vgl. Austin 1998, 92. 493 Ebd., 93. 494 Vgl. ebd., 93-96. 495 Ebd., 110. 496 Vgl. ebd., 110-120. 497 Ebd., 117. 498 Ebd. 499 Ebd., 122. 127 regelgeleitet ist. Durch den Neuansatz geht schließlich die Opposition von konstativen und performativen Äußerungen in der Unterscheidung verschiedener illokutiver Rollen der als Handlung verstandenen Äußerung auf. Auf der Grundlage der bereits zuvor ermittelten „’explizit performativen Verben’“, 500 d.h. derjenigen Verben, „die die illokutionäre Rolle einer Äußerung explizit machen“, 501 nimmt J. L. Austin abschließend eine vorläufige Klassifizierung der illokutiven Sprechakte vor. Dabei unterscheidet er fünf Großklassen: 502 (1) ‘Verdiktive’, d.h. Urteile o.ä. fällende Äußerungen; (2) ‘Exerzitive’, d.h. Einfluß nehmende Äußerungen; (3) ‘Kommissive’, d.h. Verpflichtungen oder Absichten festlegende Äußerungen; (4) ‘Konduktive’, d.h. Einstellungen, Haltungen etc. zum Ausdruck bringende Äußerungen; (5) ‘Expositive’, d.h. Argumente, Begründungen, Mitteilungen erläuternde Äußerungen. Gerade an den vorgeschlagenen Klassifikationskriterien und der darauf fußenden Einordnung der illokutiven Verben wird sich die Kritik seines Nachfolgers entzünden. IV.1.2.2 J. R. Searle: Die Weiterentwicklung der Sprechakttheorie J. L. Austins sprechakttheoretischer Ansatz wird von seinem Schüler J. R. Searle aufgenommen und modifiziert. 503 Seine Veränderungen betreffen zunächst die Struktur des Sprechaktes selbst: 504 Der dreiteilige Aufbau des lokutiven Aktes wird zugunsten eines zweiteiligen Schemas aufgelöst. Dabei werden phonetischer und phatischer Akt zu einem einzelnen Äußerungsakt, d.h. einer auf die Produktion von Sprache bezogenen Handlung, zusammengefaßt. Hiervon getrennt ist der ‘propositionale Akt’, d.h. die inhaltsbezogenen Sprechhandlung. Diese Proposition wird ihrerseits in ‘Referenz’, d.h. Bezugnahme auf die (außersprachliche) Wirklichkeit, und ‘Prädikation’, d.h. Aussage über das Referenzobjekt, unterteilt. Damit wird der ursprüngliche rhetische Akt, die Aussage über die außersprachliche Wirklichkeit, aus dem lokutiven Akt ausgegliedert, während die Aufgliederung in illokutiven und perlokutiven Akt, entsprechend dem Modell von J. L. Austin, erhalten bleibt. Wie sein Vorgänger betont auch J. R. Searle, daß es sich bei dem Vollzug aller drei Teilhandlungen um einen simultanen, nur analytisch zerlegbaren Vorgang handelt. Hinsichtlich der sprachlich-grammatischen Erscheinungsform der einzelnen Teilakte stellt J. R. Searle fest, daß „propositionale Akte nicht selbständig vorkommen [können].“ 505 Dies zeigt sich unmittelbar auch an der 500 Ebd., 167. 501 Ebd., 168. Der englische Ausdruck ‘illocutionary force’ (vgl. ebd., 117) wird in der Literatur auch mit Illokutionskraft wiedergegeben, so z.B. bei Rolf 1997. 502 Vgl. Austin 1998, 169-182. 503 Searle 1971. 504 Vgl. ebd., 40-43. 505 Ebd., 48. 128 Satzoberfläche. So drückt sich die Proposition einer Äußerung z.B. in abhängigen ‘daß’-Sätzen aus, die ohne zugehörigen Matrixsatz unvollständig sind. Ein propositionaler Akt kann folglich nie ohne illokutiven Akt vollzogen werden, während der umgekehrte Fall durchaus denkbar ist, z.B. bei Interjektionen. Aus diesen Vorüberlegungen resultiert die grundlegende Unterscheidung in illokutiven Akt, der bei der Äußerung eines „vollständige[n] Satz[es]“ 506 vollzogen wird, und zugehörigem „propositionalen Gehalt“. 507 Zu den typischen Ausdrucksmitteln des Englischen, die die illokutive Rolle anzeigen, zählt er, wie sein Vorgänger J. L. Austin, neben Wortsequenz und Intonation auch die „sogenannten performativen Verben“. 508 In explizit performativen Ausdrücken können illokutive und propositionale Dimension im Satz folglich klar differenziert angezeigt sein: Der erste Teil, der Matrixsatz, enthält die Illokution „(‘Ich verspreche’)“, 509 während die Proposition im abhängigen Nebensatz zum Ausdruck kommt „(‘daß ich kommen werde’)“. 510 Von dieser expliziten Zweiteilung sind lediglich unmittelbar realitätsschaffende Äußerungen ausgenommen (s.u.). Zugleich weist J. R. Searle darauf hin, daß neben diesen einfachen (explizit performativen) Äußerungen, die über ihren Handlungsgehalt ausdrücklich Aufschluß geben, auch „indirekte Sprechakte“ 511 existieren, bei denen keine Übereinstimmung von sprachlichem Indikator und illokutiver Rolle vorliegt. Die wörtlich ausgedrückte (sekundäre) Illokution erlaubt nicht unmittelbar Rückschlüsse auf die gemeinte (primäre) Illokution, vielmehr sagt der Sprecher durchaus bewußt etwas anderes als er letztlich meint: Dies ist z.B. der Fall, wenn eine direkte Signalisierung des Handlungswerts im Gegensatz zu sozialen Konventionen oder der „gebotenen Höflichkeit“ 512 steht. Da der Sprecher mit seiner Äußerung jedoch ein Handlungsziel verfolgt, rechnet er demgemäß mit der „Folgerungsstrategie“ 513 des Hörers, die ihm aufgrund seines kommunikativen Wissens das richtige Verständnis der Äußerung ermöglicht. Den von J. L. Austin in Bezug auf die illokutiven Akte eingeführten Begriff der Konventionalität präzisiert er durch die Trennung von regulativen und konstitutiven Regeln: Nach seiner Auffassung funktionieren Sprechakte nach konstitutiven Regeln, die er unter dem Überbegriff „Konventionen“ 514 subsumiert: „Bei 506 Ebd., 42. 507 Ebd., 49. 508 Ebd., 50. 509 Ebd. 510 Ebd. 511 Searle 1982, 51-79 (Kap. 2). 512 Ebd., 57. Vgl. hierzu auch Raible 1987. 513 Searle 1982, 55. Den Schlußprozeß für einen indirekten Sprechakt führt Searle auf zehn Schritte zurück, die für die Ableitung der gemeinten aus der wörtlich ausgedrückten Illokution erforderlich sind. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Griceschen Konversationsmaximen, Kontextannahmen, inhaltliches Hintergrundwissen etc. Allgemein hierzu vgl. z.B. Allan 1998b; Bublitz 2001, 122-126. 514 Searle 1971, 59. 129 Sprechakten […], die im Rahmen einer Sprache vollzogen werden, ist es eine Sache der Konvention […], daß die Äußerung der und der Ausdrücke unter bestimmten Bedingungen als ein Versprechen gilt.“ 515 Damit trägt J. R. Searle, systematischer als sein Lehrer J. L. Austin, der Bedeutung des außersprachlichen Kontextes für den Vollzug von illokutiven Akten Rechnung. In Anlehnung an J. L. Austins Bedingungen, die zum Mißerfolg einer sprachlichen Handlung führen, stellt J. R. Searle am „Ausgangsbeispiel“ 516 des Versprechens neun Bedingungen für den „erfolgreichen und vollständigen Vollzug“ 517 von Sprechakten auf. Hieraus leitet er die Regeln für die Handhabung illokutiver Akte ab. Diese lassen sich in vier Gruppen von Erfolgsregeln unterteilen, wobei drei Regelgruppen regulativen und eine konstitutiven Charakter besitzt: 518 (1) Die „Regel des propositionalen Gehalts“, 519 die den Inhaltsradius vorgibt, (2) die „Einleitungsregeln“, 520 die u.a. Sinnhaftigkeit und Voraussetzungen der Handlung betreffen, (3) die „Aufrichtigkeitsregel“, 521 die sich auf die zum Ausdruck gebrachten Einstellungen des Sprechers bezieht, (4) die „wesentlichen Regel“, 522 die die Charakteristika des illokutiven Aktes definiert. Diese vier Regeltypen, insbesondere aber die ‘wesentlichen’ Regeln, bilden die Grundlage für seine Beschreibung und Klassifikation von Sprechakten. Nach J. R. Searle gehen die Schwächen der Austinschen Aufteilung illokutiver Akte auf das „Fehlen eines klaren Klassifikationskriteriums und der dauernden Verwechslung von illokutionären Akten mit illokutionären Verben“ zurück: 523 Demgemäß habe J. L. Austin einerseits nicht illokutive, sondern performative Verben (d.h. illokutive Vollzugsverben) klassifiziert; 524 wie bereits festgestellt, können bestimmte sprachliche Handlungen jedoch gar nicht explizit gemacht werden, so daß auch nicht mit einer Entsprechung von performativen Verben und illokutiven Handlungen zu rechnen ist. Andererseit sorgen die „unsystematischen Klassifikationsprinzipien“ 525 für Heterogenität innerhalb der unterschiedlichen Klassen. Seiner alternativen Taxonomie legt J. R. Searle einen Katalog von zwölf Krite- 515 Ebd., 60. Zum „konventionellen Mittel“ vgl. ebd., 76. 516 Ebd., 84. 517 Ebd. 518 Vgl. ebd., 85-88; bes. 96-99. 519 Ebd., 97. 520 Ebd. 521 Ebd. 522 Ebd. 523 Ders. 1982, 28. 524 Performative Verben sind immer illokutiv, während illokutive Verben existieren, die nicht als Vollzugsverben verwendet werden können. Vgl. Searle 1982, 25: „Nicht alle illokutionären Verben sind performative Verben.“ Hierzu zählen z.B. prahlen, drohen oder auch loben. Vgl. hierzu auch Verschueren 1994, 4138; Proost 2006. 525 Searle 1982, 28. 130 rien zugrunde, von denen insbesondere die drei „Dimensionen“ 526 „Zweck eines Illokutionstyps“, 527 „Ausrichtung“ 528 der illokutiven Handlung und „Aufrichtigkeitsbedingungen des Akts“ 529 zum Tragen kommen. (1) Der „Zweck eines Illokutionstyps“ (= ‘illokutionäre[r] Witz’): Als zentrales Element herausgestellt, erfaßt es die Intention des Sprechers und damit den Zweck bzw. die kommunikative Funktion einer Äußerung. 530 Dabei kann sich der illokutive Zweck auf verschiedene Handlungstypen beziehen und ist folglich der illokutiven Rolle insofern übergeordnet, als diese durch zusätzliche Faktoren bestimmt wird. Entscheidend für die Differenzierung ist vornehmlich der „Durchsetzungsmodus“, 531 der festlegt, „wie der illokutionäre Zweck durchzusetzen bzw. zu erreichen ist.“ 532 So unterscheiden sich etwa Bitten und Befehlen zwar hinsichtlich ihrer Rolle, nicht aber hinsichtlich ihres illokutiven Zwecks, weswegen sich auch beide illokutiven Handlungstypen derselben Klasse zuordnen lassen (s.u.); (2) die ‘Ausrichtung’ der illokutiven Handlung, die sich auf Anpassungsrichtung und Übereinstimmung von geäußerten Worten und Welt bezieht; (3) die „Aufrichtigkeitsbedingungen des Akts“, die den Regeln der Aufrichtigkeit“, d.h. den „psychischen Zuständen“ 533 des Sprechers entsprechen. Neben diesen drei „wichtigsten [Dimensionen]“, 534 auf denen J. R. Searles Taxonomie weitgehend aufbaut, sei, insbesondere im Hinblick auf ritualisierte und stark formalisierte Akte wie Taufe oder Kriegserklärung noch die Notwendigkeit „außersprachliche[r] Einrichtungen“ 535 genannt (s.u.). Aus diesen Kriterien resultiert eine Aufteilung in ebenfalls fünf „grundlegende Kategorien illokutionärer Akte“: 536 (1) „Assertive“ 537 bzw. „Repräsentative“: 538 Durch den Vollzug des Sprechaktes legt sich der Sprecher auf den Wahrheitsgehalt einer in der Proposition getätigten Aussage über die außersprachliche Wirklichkeit fest. Die Anpassungsrichtung ist Wort-an-Welt, die ausgedrückte Einstellung des Sprechers ist Glauben (an die Wahrheit der Proposition). 526 Ebd., 18; 22. Als zusätzliches Merkmal gehen Searle/ Vanderveken (1985, 87-105) von dem „degree of strenght“ (98) aus. Vgl. hierzu auch Rolf 1997, 23-35. 527 Searle 1982, 19 („den Witz oder Zweck eines Illokutionstyps werde ich seinen illokutionären Witz nennen“). Hierzu auch ebd., 22; ders. 1971, 111. 528 Ders. 1982, 19. 529 Ebd., 21. 530 Ebd., 18f. 531 Rolf 1997, 177 (vgl. Searle/ Vanderveken 1985, 40: „mode of achievement“). Hierzu auch ebd., 12; 32. 532 Ebd., 32. Zu den „Komponenten der Illokutionskraft“ vgl. ebd., 23-35 (Zitat S. 23). 533 Searle 1982, 21. 534 Ebd., 22. 535 Ebd., 24. 536 Ebd., 31; ebenso Searle/ Vanderveken 1985, 51-62. Vgl. hierzu auch Rolf 1997, 134-239. 537 Ebd., 31. 538 Ders. 1973, 117. 131 (2) „Direktive“: 539 Durch den Vollzug des Sprechaktes zielt der Sprecher darauf ab, den Hörer gemäß der Proposition zu beeinflussen. Die Anpassungsrichtung ist Welt-an-Wort, die ausgedrückte Einstellung des Sprechers ist Wunsch (nach Realisierung der Proposition). (3) „Kommissive“: 540 Durch den Vollzug des Sprechaktes verpflichtet sich der Sprecher auf einen zukünftigen, in der Proposition dargelegten Sachverhalt. Die Anpassungsrichtung ist ebenfalls Welt-an-Wort, die ausgedrückte Einstellung des Sprechers ist Absicht (bezüglich der Einhaltung der Selbstverpflichtung). (4) „Expressive“: 541 Durch den Vollzug des Sprechaktes bringt der Sprecher seinen psychischen Zustand bezüglich der Proposition zum Ausdruck. Die Anpassungsrichtung ist „leer“, 542 die ausgedrückte Einstellung des Sprechers variiert mit dem jeweiligen illokutiven Akt. (5) „Deklarationen“: 543 „Der Vollzug einer Deklaration bringt durch nichts anderes als seinen Erfolg zustande, daß Wörter und Welt zueinander passen.“ 544 Dies geschieht üblicherweise im Rahmen von „außersprachliche[n] Einrichtungen […] wie der Kirche, dem Rechtswesen, Privatbesitz, dem Staat, [innerhalb derer] Sprecher und Hörer besondere Positionen einnehmen“. 545 Die Einbindung des Sprechaktes in eine außersprachliche Institution hat insofern Auswirkungen auf die ‘Aufrichtigkeitsbedingungen’, als die inneren Einstellungen zum propositionalen Gehalt der Äußerung nicht von Belang sind; als ‘psychische Zustände’ des Sprechhandelnden zählen vielmehr ‘Glaube’ und ‘Wunsch’, 546 eine Realitätsveränderung mit Vollzug der Äußerung herbeiführen zu können. Damit ist eine doppelte Anpassungsrichtung (Wort-an-Welt und gleichzeitig Welt-an-Wort) gegeben. Ferner ist die Äußerung vielfach stark formalisiert und festgefügt. Eine weitere Besonderheit der Deklarationen besteht darin, daß sie zwar nur explizit zu realisieren, jedoch syntaktisch nicht zweigeteilt sind: Anders als die übrigen explizit performativen Äußerungen, die sich in Matrixsatz mit illokutivem Indikator und Gliedsatz mit propositionalem Gehalt aufteilen, liegt hier der Zusammenfall von Illokution und Proposition in einem Satz vor (s.o.). Die Searlsche Taxonomie hat in der Sprachwissenschaft für viel Diskussionsstoff gesorgt: In Frage gestellt wurde dabei weniger die Annahme verschiedener Sprechakte und davon abstrahierbarer Sprechaktklassen über die Grenzen der Einzelsprachen hinweg; vielmehr entzündet sich die 539 Ders. 1982, 32. 540 Ebd., 33. 541 Ebd., 34. 542 Rolf 1997, 17. 543 Searle 1982, 36. 544 Ebd., 37. 545 Ebd., 38. 546 Vgl. Searle/ Vanderveken 1985, 61 („belief and desire“). Hierzu auch Rolf 1997, 198. 132 Kritik an den mitunter als heterogen, „unzureichend“ 547 oder beliebig beurteilten Klassifikationskriterien sowie an der Einordnung einzelner Sprechakte in bestimmte Kategorien. 548 Ferner basiert auch diese Aufteilung der Sprechhandlungen auf der Semantik der untersuchten Verben, die nicht zuletzt an die Objektsprache Englisch gebunden ist und nicht zwingend auf andere Sprachen übertragbar sein muß. 549 Die Mehrheit der Alternativansätze zu J. L. Austin und J. R. Searle integrieren die im ‘Organon-modell’ abgebildeten Sprachfunktionen oder bauen unmittelbar auf der Searlschen Taxonomie auf. 550 Trotz aller berechtigten Kritik haben sich auch die fünf Klassen der Searlschen Taxonomie weitgehend durchgesetzt, so daß sie für sprechakt- und handlungstheoretisch ausgerichtete Studien nach wie vor als „grundlegend und richtungsweisend“ 551 gelten. Für die vorliegende Untersuchung der in den defixionum tabellae reflektierten Sprachverwendung bildet die Klassifizierung der illokutiven Akte nach J. R. Searle ebenfalls den Ausgangspunkt. IV.1.3 Sprachpragmatische Perspektivierung historischer Sprachzeugnisse Die Sprechakttheorie und die in ihrer Nachfolge entwickelten handlungstheoretisch ausgerichteten Ansätze der Linguistik basieren auf der Betrachtung alltagssprachlicher Äußerungen in modernen Sprachen. Damit sind sie zunächst nicht auf die Untersuchung historischer und demnach allein in Schriftform festgehaltener Texte angelegt. Im Hinblick auf ein historisches Sprachzeugnis sind Erkenntnisse zu kommunikativer Funktion und Handlungsgehalt jedoch ebenso bedeutsam und eine Übertragung von Fragestellungen, Theorien und Methoden der sprachpragmatischen Analyse folglich 547 Vgl. Rolf (1993, 72f.), der eine Präzisierung des Begriffes ‘Handlungszweck’ vornimmt: Von zentraler Bedeutung ist dabei der „Gesichtspunkt der Weltzustandsveränderung“, der nicht nur die deklarativen (unmittelbar realitätsschaffenden) Sprechakte betrifft. 548 Eine Darstellung der Kritikpunkte an Searles Taxonomie findet sich z.B. bei Rolf 1997, 112-125; Harras 2004, 270-284. Umfassend wurde das Problem der Sprechaktklassifikation z.B. aktuell auch von Ulkan (1992) behandelt. 549 Vgl. z.B. Searle/ Vanderveken 1985, 179-216 („Semantical analysis of English illocutionary verbs“). 550 Eine Übersicht bieten z.B. Schlieben-Lange 1975, 21-60; Beck 1980, 87-117; Ulkan 1992, 44-71; Allan 1998a. Zu nennen ist z.B. Wunderlich (1986, 506-508), der „[a]uf der Basis der primären Satzmodi“ (506) ‘assertive’, ‘direktive’ Sprechakte und ‘Fragen’ unterscheidet. In seinem textfunktionalen Ansatz legt Brinker (1997) als einheitliches Kriterium seiner Typologie die „Art des kommunikativen Kontakts“ (93) zugrunde; mit Ausnahme der Deklarationen werden die Searlschen Kategorien neu gefaßt als ‘Informations’-, ‘Appell’-, ‘Kommunikations’- und ‘Obligationsfunktion’; hierzu auch Rolf 2000, 427-429. 551 Bublitz 2001, 103. 133 naheliegend. 552 Verschiedene Forschungsziele einer historisch-pragmatischen Sprachforschung sind seit dem Ende der 1970er Jahre formuliert worden: Eine übergeordnete Zielsetzung bestand und besteht in der „Gewinnung von Einsichten in den Gebrauch von Sprache in früheren Perioden als Kommunikationsmittel“. 553 Das Forschungsfeld der historischen Pragmatik erstreckt sich dabei von der Historizität von Sprechakten bis zur handlungstheoretisch ausgerichteten Analyse historischer Dialogbzw. Konversationsstrukturen. Den Erkenntnisgewinn dieser Perspektivierung können zahlreiche kleinere Untersuchungen, aber auch großangelegte Beispielstudien aufzeigen; hierzu zählen etwa historische Dialog- und Gesprächsanalysen des Mittelalters oder auch die Untersuchung von Sprechakten im Alten Testament. 554 Im Rahmen der sprachpragmatischen Perspektivierung eines historischen Gegenstandes müssen jedoch grundlegende Einschränkungen bei Materialerhebung und -aufarbeitung in Betracht gezogen werden: Im Gegensatz zu den entsprechenden Untersuchungen der Gegenwartssprache ist ein direkter Zugriff auf intuitiv vorhandenes Sprecherwissen, z.B. in Form einer Befragung von Mitgliedern der Sprach- und Kulturgemeinschaft, naturgemäß nicht möglich. Da die Untersuchung in zeitlicher und kulturräumlicher Distanz zum Text und seinen Produktionsumständen erfolgt, ist zudem auch das „Maß der Verfremdung“ 555 für einen modernen Beobachter erheblich. Die hieraus resultierende mangelnde Überprüfbarkeit der Ergebnisse muß durch eine möglichst genaue Rekonstruktion des Kontextes aufgewogen werden. Untersuchungen zum Handlungscharakter historischer Äußerungen, die von der kulturellen Determiniertheit von Sprechakt und Sprachkonzeption auszugehen haben, erfordern folglich nicht nur eine möglichst lückenlose und präzise Aufarbeitung des zu untersuchenden Textcorpus; vielmehr müssen auch die außersprachlichen Umstände der Textproduktion, zu denen insbesondere das spezifische historische Sprach- und Handlungswissen hinsichtlich des zu untersuchenden Textes zählt, in den Blick genommen und gegebenenfalls rekon- 552 Vgl. Schlieben-Lange (1976), die bei dem 10. Linguistischen Kolloquium 1975 das „Arbeitsvorhaben“ (114) zu mittelalterlichen Wörterbüchern und Texten darlegt. 553 Bax 1983, 3. Hierzu z.B. auch Schlieben-Lange 1976; Cherubim (1980, 3-21), der die „Perspektiven einer zukünftigen historischen Sprachpragmatik“ (12) aufzeigt; ders. 1998 (mit umfassender Literatur). Zu einer pragmatisch fundierten Sprachgeschichtsforschung vgl. z.B. Schlieben-Lange 1983; Eggs 1988; Bax 1991. Einen Überblick über diese Disziplin im Rahmen der Pragmatik geben z.B. Traugott 2004; Radtke 2006 (speziell romanistisch). 554 Als frühe Modellstudien seien z.B. Schlieben-Lange 1979; Bax 1981; Polenz 1981 genannt; eine diachrone Perspektive nimmt Blumenthal (1981) ein. Speziell zur historischen Dialogforschung vgl. z.B. auch Jucker u.a. 1999. Nicht zuletzt hat dieses besondere Forschungsinteresse mit dem Journal of Historical Pragmatics ein eigenes Publikationsorgan hervorgebracht, das seit dem Jahr 2000 erscheint (der Index aller Jahrgänge ist online einsehbar unter: www.es.unizh.ch/ ahjucker/ JHP.htm). 555 Schlieben-Lange 1976, 114. 134 struiert werden. Erkenntnisse aus literarischen und nicht-literarischen Zeugnissen sind dabei vor allem durch relevante Daten aus den Nachbardisziplinen wie z.B. den Geschichtswissenschaften abzusichern und zu ergänzen. Die Einbettung der Texte in den lebensweltlichen Kontext sollte darüber hinaus in doppelter Weise erfolgen: Zum einen ist dem Makrokontext Rechnung zu tragen, d.h. das historisch gewachsene soziokulturelle Umfeld; hieraus ableitbar ist wiederum das Welt- und Handlungswissen des Sprechhandelnden, zu dem neben Welt- und Menschenbild im Falle der defixiones vor allem auch religiöse Ideen bzw. die Prägung durch bestimmte Glaubenssysteme zu rechnen sind. 556 Daneben spielt auch der Mikrokontext, d.h. die engere Sprechsituation, eine wichtige Rolle, wobei auch mediale Aspekte, wie z.B. Einsatz und Funktion von Schriftträgern, zu berücksichtigen sind. Diese Gegebenheiten sind ebenfalls nicht immer direkt zu ermitteln, sondern vornehmlich durch die Auswertung entsprechender Zeugnisse zu erschließen. IV.2 Die Formulae defigendi als sprachliche Handlungseinheit Der Analyse des Handlungsgehalts der Formulae defigendi wird die Bestimmung des Begriffs ‘Formel’ vorangestellt und seine Anwendbarkeit auf die übergeordnete Fragestellung überprüft. Für die anschließende Untersuchung werden zunächst die Kernelemente der defixiones inventarisiert. Ferner werden diejenigen sprachlich-grammatischen Indikatoren, an denen die Illokution und damit die Art der sprachlichen Handlung unmittelbar erkennbar ist, herausgearbeitet und entsprechend ihres Handlungspotentials typisiert; ein besonderes Augenmerk gilt dabei der von den Verwünschungen reflektierten Kommunikationssituation. IV.2.1 Eine Arbeitsdefinition des Sprachgebildes ‘Formel’ Die Ausbildung von Formeln ist typisch für den rituell gebundenen Sprachgebrauch, der keinesfalls auf die griechisch-römische Antike be- 556 Auf die Verbindung von Ritualhandlung und Glauben etwa im Rahmen des Gebetes verweist bereits Mauss in seiner Abhandlung La prière (1968, 358): „Dans la prière, le fidèle agit et il pense. Et action et pensée sont unies étroitement […].“ Zum Credo, in dem die individuelle Gebetshandlung verankert ist, vgl. auch Mauss/ Hubert (1966), die auf seiten des Magiers von „certaines dispositions mentales“ (41) ausgehen. Auf ein Kollektiv bezogen deutet dies auf ein präexistentes Glaubenssystem hin, in das der Einzelne eingebunden ist. Hierzu auch Nerlich 1986, 153f.; Deremetz 1994, 155f. Vgl. auch die Ritualdefinition von Werlen (1984; 82-86; 375), der das Kriterium der „Expressivität des Rituals“ (375) als den „Bezug zu einem bestimmten Glaubens- oder Wissenssystem“ bezeichnet; dabei unterscheidet er ein „sekundäres System der rituellen Bedeutungen“ (86). 135 schränkt ist. 557 Daher soll die Arbeitsdefinition der Untersuchungseinheit ‘Verwünschungsformel’ von einer allgemeinen linguistisch orientierten Begriffsbestimmung ausgehen, gemäß derer ‘Formel’ gefaßt wird als: eine lexikal. und syntakt. fest gefügte, meist satzwertig gebrauchte Wortgruppe mit besonderer pragmat. Funktion, z.B. Kontaktaufnahme oder […] Fluch oder Beschimpfung (Verflixt und zugenäht! Hol dich der Teufel! ) […]. 558 Zu den wesentlichen Bestimmungsmerkmalen des als ‘Formel’ bezeichneten Sprachgebildes zählt also zunächst die formale Unveränderlichkeit des lexiko-grammatikalischen Inventars. Dies gilt auch für die Verwünschungen auf den defixionum tabellae: Wie bereits bei der Untersuchung der Ritualform defixio ausgeführt, setzt sich die äußere Struktur einer rituellen Handlung aus rekurrenten, wiedererkennbaren (non-verbalen und verbalen) Elementen zusammen: Bei der Ausführung des defix io-Rituals kommt somit nicht nur der Einhaltung des vorgeschriebenen Handlungsablaufes, sondern auch der Reproduktion des vorgeformten Ritualtextes große Bedeutung zu; wie die gesamte Ritualhandlung zeichnet sich dieser durch formale Stabilität und Rekurrenz aus. Ein hoher Formalisierungsgrad und die Unantastbarkeit des Wortlautes können mitunter sogar zu Überlieferung und Konservierung von Textelementen führen, die sich dem menschlichen Verständnis entziehen, wie dies z.B. auf Zauberworte und -zeichen zutrifft. Tatsächlich stellen insbesondere Ritualtexte insofern „keine intersubjektiven, d.h. am Adressaten orientierten, Sprechhandlungen“ 559 dar, als sich ihre Bedeutung nicht immer wieder neu, abhängig von individuellen Gedanken und Gefühlen der Kommunikationspartner konstituiert: Eine individuelle Interpretation von seiten des Hörers/ Lesers wird nicht verlangt; ebensowenig ist die Kreativität des Sprechers/ Schreibers gefragt. Formalismus und Unveränderlichkeit gelten vielmehr als Garant für einen erfolgreichen Vollzug des Rituals (s. auch A: III.1). 557 Zu Sprache und Ritual im Rahmen der historischen Pragmatik (nicht speziell zum antiken Kontext) vgl. z.B. Schlieben-Lange 1976, 116f.; Steinbauer 1989; Cherubim 1990; Wagner 1997. Hingewiesen sei auch auf die Spezialausgabe des Journal of Historical Pragmatics 4.2, 2003 (Ritual Language Behaviour = Bax 2003b). Aus dem Bereich Soziologie, Ethnologie bzw. Ritualforschung vgl. z.B. Mauss/ Hubert 1966; Tambiah 1968; Rappaport 2003; Dücker 2004a. Zum modernen Alltagsgebrauch von Sprache, der Ausbildung von Formeln und dem Verhältnis von Sprache und Handlung, besonders im Rahmen von Ritualen, vgl. z.B. Coulmas 1979; Werlen 1984; Rauch 1992; Stein 1995; Ermen 1996. 558 Schaeder 1993, 191. Vergleichbar auch die Definition bei Bußmann 1990, 249. Eine Zusammenstellung und Diskussion verschiedener Formeldefinitionen findet sich auch bei Wagner (2004, 70-76), der diese Strukturen im Alten Testament („so spricht Jahwe-Formel“) untersucht. Zu dem insgesamt sehr komplexen Gegenstandsfeld vgl. Stein 1995. 559 Harras 2004, 145. 136 Nach o.g. Definition liegt eine pragmatische „Situationsgebundenheit“ 560 vor; zugleich ist die Formel „monofunktional, d.h. auf die Wahrnehmung einer immer gleichen Funktion spezialisiert“. 561 Demgemäß ist sie einer bestimmten Handlungsabsicht in einem bestimmten Verwendungszusammenhang zuordenbar. Auch bei den Verwünschungsformeln, die als verbales Element des defixio-Rituals fungieren, ist eine feste Beziehung zur spezifischen Verwendungssituation anzunehmen. Demgemäß eignet den Zauberformeln, ausgehend von der besonderen rituellen Einbindung, insofern eine gewisse „Vorhersagbarkeit“, 562 als ihre Verwendung für die sprachliche Ausführung einer defixio regelmäßig belegbar ist und verbindlich zu sein scheint. Situationell gebundene Formeln stellen typischerweise „funktional vollständige Äußerungen“ 563 dar, die als selbständige Texteinheiten vorkommen oder aber „mit Komplementärformeln routinisierte Sequenzen oder Formelpaare bilden“ 564 können. Ergänzend lassen sich weitere Merkmale anfügen, die nicht nur für den Einsatz verbaler Elemente im rituellen Kontext, sondern für formelhaften Sprachgebrauch im allgemeinen kennzeichnend sind. Hierzu zählen „Rekurrenz, [d.h.] die Gebrauchshäufigkeit, die eine Verfestigung der Wortverbindungen nach sich zieht“ 565 und, daraus resultierend, die „Reproduzierbarkeit“ 566 der festgefügten Formulierungen. Einschränkend ist hier jedoch zu bemerken, daß jede rituelle Handlung in ihrer Aktualisierung, wie auch jede Äußerungssituation, ein Unikat darstellt und folglich einem stetigen Wandlungsprozeß unterliegt. Damit ist auch die postulierte formale Unveränderlichkeit ihrer Bestandteile nicht absolut zu setzen: Eine Formel kann zwar grundsätzlich eigenständig und gleichbleibend verwendet werden, findet sich aber, etwa durch Übertragungs- und Anpassungsvorgänge, im Rahmen bestimmter Grundkategorien formal umgestaltet. Bei der angeführten Unveränderlichkeit handelt sich also vielmehr um eine relative Stabilität des Formelkerns, der sich aus einem Grundbestand von Komponenten zusammensetzt. 567 560 Stein 1995, 48. 561 Ebd. 562 Ebd., 50. 563 Ebd. 564 Ebd. 565 Ebd., 57. 566 Ebd. Insgesamt stellt Stein aber fest, daß es sich bei den Bestimmungsmerkmalen formelhafter Sprache um „Endpole von Skalen“ (ebd., 41) handelt. 567 Stein (ebd., 34) spricht von einem „Gerüst, das Leerstellen enthält, die kontextadäquat zu besetzen sind“. 137 IV.2.2 Die Formulae defigendi aus der Perspektive der Sprechakttheorie Bei den defixiones handelt es sich, dank ihrer besonderen Produktions- und Überlieferungsbedingungen, um „schriftliche Überreste“, 568 die eine historische Sprechsituation ohne nachträgliche Überarbeitung abbilden und den Zugriff auf den Wortlaut der Verwünschung ermöglichen (s. auch B: II.1.1); zugleich weisen sie als rituell gebundene Äußerungen zumeist explizite bzw. direkte Realisierungsformen auf und gewährleisten somit ein gesichertes Verständnis der Handlungsdimension der jeweiligen Äußerung. Die Bestimmbarkeit des Äußerungskontextes, die schriftliche Fixierung unmittelbarer Rede sowie die explizite bzw. direkte Signalisierung des Handlungswertes stellen besondere Merkmale der Verwünschungsformeln auf den defixionum tabellae dar, die eine privilegierte Ausgangslage für eine sprechhandlungstheoretische Analyse in einem historischen Kontext bieten. IV.2.2.1 Die Einbettung in den rituellen Kontext Die Zauberinschriften konservieren nicht nur den Wortlaut der Verwünschung in seiner ursprünglichen Form, sondern geben zugleich auch Aufschluß über den situativen Zusammenhang der Sprachverwendung. Als verbale Ritualemente können sie im Rahmen eines komplexen Ritualszenarios artikuliert werden; diese Artikulationsbedingungen reflektieren sich nicht nur unmittelbar in den Inschriften, sondern sind — mit der gebotenen Vorsicht — entsprechenden Ritualpräskripten ebenso zu entnehmen wie literarischen Zeugnissen und dem archäologischen Kontext (s. auch A: II.4; A: III.2; A: III.3). IV.2.2.2 Die Verschriftung unmittelbarer Rede Bei der Analyse schriftkonstituierter Texte in ihrem Entstehungszusammenhang muß der Moment der Textproduktion insofern Berücksichtigung finden, als formal zwischen ‘textexterner’ und ‘textinterner’ Situation zu differenzieren ist; dies trifft grundsätzlich auch auf nicht-fiktionale Texte wie die defixiones zu. Wie bereits mehrfach angesprochen, bilden die rituell gesteuerten Abfassungsumstände einen zentralen Aspekt der Textkonstitution: Aufgrund der Parallelität von Rezitations- und Verschriftungsprozeß kann das rituell handelnde Subjekt mit dem Sprecher bzw. Schreiber des Textes gleichgesetzt werden; dies ist auch dann der Fall, wenn an der Abfassung funktional mehrere Personen beteiligt sind, wie z.B. bei der Einschaltung von professionellem Zauberpersonal (s. auch A: V.2.1.2). Sprecher und Äußerungskoordinaten in der außersprachlichen 568 Brandt 2003, 56. Zur Aufteilung und Beschreibung des Quellenmaterials vgl. ebd., 48- 64, bes. 56-60. 138 Wirklichkeit sind an deiktischen Textelementen, wie z.B. der Kategorie ‘Person’ und dem Tempusgebrauch, als Orientierungszentrum erkennbar. Mit anderen Worten: „Diskurssituation [d.h. die Situation der Sprachverwendung] und Rekurssituation [d.h. die Situation, auf die verwiesen wird] sind identisch.“ 569 Hieraus ergibt sich, daß auf der einen Seite Texthersteller und textinterner Sprecher, auf der anderen Seite Textrezipient und textinterner Adressat identisch sind. In den ‘Formeln’ liegt folglich schriftlich fixierte unmittelbare Rede vor, deren Kommunikationssituation weitgehend einer Sprecher- Hörer-Konstellation entspricht. Dabei handelt es sich nicht um Nachahmung oder nachträgliche Verschriftung ursprünglich mündlicher Äußerungen, sondern um Sprechhandlungen, die mündlich oder schriftlich vollziehbar sind, wie dies auf Bitte und Befehl zutrifft. 570 Auf den defixionum tabellae sind folglich nicht-fiktionale, nicht-literarische Texte festgehalten, die als verläßliche „Informationsquelle für die Wirklichkeit in der Vergangenheit“ 571 zu werten sind. IV.2.2.3 Monologizität und Senderzentriertheit Im Zentrum der Untersuchung stehen die Verwünschungsformeln als isolierte, einfache Sprechakte, die jeweils eine für sich abgeschlossene sprachlich realisierte Handlungseinheit bilden. 572 Die Perspektive ist folglich senderzentriert und für die Auswertung einer historischen Äußerung, die in Form eines schriftlichen, monologischen Verwünschungstextes vorliegt, insofern angemessen und zweckmäßig, als weder die Reaktion des textinternen Adressaten noch die Situation der verwünschten Person in vergleichbarer Weise faßbar sind. Mit der handlungsorientierten Ausrichtung rückt die subjektive Intention des Sprechhandelnden und somit der intentionale und zweckrationale Aspekt der verbalen Handlung in den Vordergrund, denn es ist davon auszugehen, „daß Sprechakte […] einen Zweck haben und daß ein Sprecher mit der Realisierung eines Sprechaktes ein Ziel verfolgt“. 573 In ihrer Eigenschaft als sprachliche Handlung wird die Verwünschung folglich konzipiert als ein angemessenes Mittel, ein bestimmtes übergeordnetes Ziel zu erreichen; dieses besteht in der Herbei- 569 Harras 2004, 153. 570 Vgl. hierzu Wagner 2001, 266. 571 Bax 1983, 1. 572 Zum Sprechakt als „Grundeinheit der Kommunikation“ vgl. Searle 1971, 30; 36 (Zitat S. 30). 573 Rolf 1993, 73. Zur Intentionalität als grundlegende sprachphilosophische Kategorie vgl. z.B. Searle 1995a. Hierzu z.B. auch Leist 1975; Levinson 2000, 17f.; 262f.; Harras 2004, 12-15; 80f. Zum Problem, daß „im Grunde nicht Intentionen der Handelnden offengelegt werden, sondern dass die Analysierenden ihnen welche zuschreiben“, vgl. z.B. Hartung 2000, 89. 139 führung oder Verhinderung einer bestimmten „Weltzustandsveränderung“, 574 die dem Angriff gegen das Zielindividuum entspricht. Mit der Senderzentriertheit ist der Moment des Sprachgebrauchs doppelt fokussiert: als Mikrokontext, d.h. als engere Äußerungssituation; zugleich wird der Sprecher als Mitglied einer Sprach- und Kulturgemeinschaft verstanden, auf deren außersprachliche Kenntnissysteme er bei seiner Sprachverwendung rekurriert. In die Analyse einbezogen ist somit auch der weitere soziokulturell determinierte Kontext. IV.2.2.4 Explizite und direkte Realisierungsformen Bereits B. Schlieben-Lange betont im Zusammenhang mit der empirischen Untersuchung von Sprechakten, daß bei institutioneller oder ritueller Einbindung keine indirekten Sprechakte zu erwarten sind: [Die Sprechakte] müssen direkt ausgedrückt werden, damit die institutionelle oder rituelle Vorschrift erfüllt ist. Die Taufformel kann nicht durch den Ausruf „Was für ein kräftiges Kind! “, die Ernennungsformel nicht durch die Ermunterung „Na, machen Sie es gut! “ ersetzt werden. 575 Dies gilt auch für die Formeln auf den defixionum tabellae, deren Handlungsgehalt ebenfalls vielfach explizit bzw. direkt indiziert ist; die Verquickung von Sprachebene und Handlungsebene ist somit unmittelbar an der Satzoberfläche, d.h. an syntaktischen Strukturen sowie am Wortschatz greifbar: Rekurrent sind insbesondere Aussagesätze in der 1. Person Singular Indikativ Präsens Aktiv, die als Prädikat ein Verbum defigendi aufweisen; daneben finden sich Satztypen, die konventionell mit der Äußerungsillokution korrelieren, wie z.B. Aufforderungssätze im Imperativ oder Coniunctivus Imperativus der 2. Person. IV.2.3 Die Grundelemente der Formulae defigendi Gemäß der Anleitung für die Zubereitung und Ausführung einer defixio (PGM V 304-369, s. A: III.2.2) soll der auf die Tafel anzubringende Text folgende Bestandteile enthalten: „[…] den Namen, die Zauberzeichen […] und […] ‘Gebunden sei seine Vernunft […]’.“ Zu den Kernelementen der Texte auf den defixionum tabellae zählen der Name des Opfers, Zauberzeichen und eine ‘Formel’, die mit einem ‘Bindeverb’ (Verbum defigendi) auf die Wirkung der Verwünschung verweist; ebenso finden sich prekative Satzmuster, die Götter- oder Dämonennamen enthalten. 576 Bisweilen kön- 574 Rolf 1993, 73. (mit Bezug auf Searle/ Vanderveken 1985, 56: „the illocutionary point of a declaration is to bring about changes in the world“); zu den realitätsverändernden Ritualen s. auch A: III.2.3. 575 Schlieben-Lange 1975, 90. Hierzu z.B. auch Rappaport 2003, 196. 576 Eine Zusammenstellung der „formulae devotoriae“ findet sich bei Audollent (1904, LXXIVf.; 474-498). Ferner existieren hierzu zwei kleinere Studien: Kagarow 1929; Faraone 1991, 4-10. Kagarow unterscheidet 18 Grundtypen (T1-T18), die in fünf Groß- 140 nen einzelne Bestandteile auch fehlen, da sich ihre Verschriftung aufgrund der parallel zum Verschriftungsvorgang verlaufenden rituellen Rahmenhandlung, die komplementäre verbale und non-verbale Ritualelemente umfaßt, erübrigen kann. IV.2.3.1 Die Angaben zum defixus Der Identifizierung des Zielindividuums dient vornehmlich die namentliche Nennung. Die besondere Bedeutung des Namens zeigt sich daran, daß er mitunter auch das einzige Element der Zauberinschrift bilden kann; dies trifft zwar vergleichsweise häufig auf die frühen defixiones zu, bleibt aber bis zu den letzten Zeugnissen der Ritualform nachweisbar. 577 Neben Menschen können auch Tiere als Opfer der Verwünschung erscheinen, 578 ebenso (allerdings sehr selten) unbelebte Objekte. 579 Vollständigkeit und Eindeutigkeit der Identifikation werden dabei durch verschiedene sprachliche Verfahren, wie z.B. den ‘quem-pepe rit-Ausdruck’, sichergestellt. IV.2.3.2 Zauberworte und -zeichen Zu den rekurrenten ‘Zauberworten’ (voces magicae oder mysticae) zählen insbesondere die sogenannten Ephe sia grammata, eine Serie von ursprünglich sechs Lautkomplexen (askion, kataskion, lix, tetrax, damnamneus, aision/ aisia), denen spätestens seit dem 4. vorchristlichen Jahrhundert magisches Potential zugeschrieben wird. 580 In einigen Fällen gehen die voce s gruppen eingeteilt werden: ‘Beschreibende Formeln’ (T1-T6); ‘Prekative Formeln’ (T7-T9); ‘Wunschformeln’ (T10-T11); ‘Kontaminations’bzw. ‘Verschmelzungsformeln’ (T12-14); ‘Vergleichungsformeln’ (T15-T18). Diese werden von Faraone (1991, 10) auf vier bzw. drei elementare „styles“ reduziert: „direct binding formula“; „prayer formula“; „simila similibus formula“. 577 Hierzu z.B. Audollent 1904, L; XCI-XCII. Vgl. auch López Jimeno (1991, 217) zu den griechischen Tafeln: „Puesto que la inmensa mayoría de la tablillas contienen únicamente los nombres de las víctimas, con o sin verbo, resulta imposible saber por qué ha sido escrita y, por consiguiente, no podemos precisar el tipo de texto.“ Ebenso Kagarow 1929, 27f.; Faraone 1991, 10; Ogden 1999, 6-10. Ein lateinischsprachiges Beispiel aus dem 4. Jh. n. Chr. ist eine Trierer defixio (dfx 4.1.3⁄6), die nur die Personennamen Ursus, Ursula, Martinianus, Ursacia enthält. 578 Dies zeigen insbesondere listenartige Aufzählungen von Pferdenamen auf den nordafrikanischen Wagenlenker-Täfelchen wie z.B. die seriell produzierten Inschriften dfx 11.2.1⁄9 - 11.2.1⁄21. 579 Dies ist der Fall einer nordafrikanischen Wasserquelle namens Falernae (dfx 11.1.1⁄35; 11.1.1⁄36). 580 Allgemein zu den Zauberworten u.ä. vgl. Cesano 1910, 1576f.; Kropp 1930, 117-139; Kotansky 1991, 110-112; Graf 1997, 127-132; Ogden 1999, 46-50; Versnel 2002, 112-117 (mit weiterer Literatur). Vgl. auch den Index in PGM Bd. 3, 243-278 (Reg. XII: „Zauberworte“) und in Suppl. Mag. II, 318-324 (Kap. VII: „gods, daemons […]“) und 325- 335 (Kap. VIII: „magical words“); ein umfangreiches Glossar findet sich in Brashear (1993, 3576-3603), ein kleineres in Gager (1992, 265-269). Zum ‘ Alphabetzauber’ vgl. auch Dornseiff 1925; Glück 1987, 210-229; Ogden 1999, 48f. 141 magicae auf die Kombination der sieben griechischen Vokale aehiouv zurück, die den sieben Planeten zugeordnet werden; ebenso können ihnen in Buchstaben dargestellte Zahlenspielereien zugrundeliegen (z.B. die Zahl 365 dem Zauberwort Abrasax). 581 Nicht immer ist der Ursprung der Buchstabenverbindungen zu rekonstruieren, denn das Repertoire erfährt durch Neubildungen auf der Grundlage von etablierten Modellen wie etwa den Ephesia grammata eine ständige Erweiterung: 582 Vielfach handelt es sich um Gelegenheitsbildungen, die auf lautlichen Analogien basieren; dabei spielen insbesondere Klangfiguren wie Reim, Assonanz und Alliteration eine große Rolle. ‘Sinnlose’ Buchstabenverbindungen können referentielle Funktion erhalten, indem sie als Dämonennamen bzw. barbara onomata, d.h. als die fremden Namen exotischer großer Götter, interpretiert werden und etwa im Rahmen von Anrufungen und Beschwörungen Verwendung finden. 583 Dem Verständnis von menschlicher Seite entzogen bilden voces magicae und barbara onomata einen wesentlichen Faktor im rituellen Kommunikationsprozeß, da sie Fachkenntnisse und eine große Vertrautheit des Zaubernden mit seinen übermenschlichen Kommunikationspartnern suggerieren (s. auch A: V.2). 584 Schließlich sind die sogenannten charaktere s zu nennen, buchstabenähnliche Symbole und Zeichen mit wahrscheinlich astrologischer Bedeutung; ebenso finden sich bisweilen Zeichnungen, die sowohl mit dem Inhalt der Tafel korrelieren als auch zur Verstärkung der Zauberwirkung eingesetzt werden können. 585 Zauberworte und charaktere s dienen auch der optischen Unterteilung des Textes oder weisen einen stark ornamentalen Charakter auf; besonders häufig belegbar sind z.B. Palindrome, Schwindschemata und geometrische Figuren. 586 Die Tradierung von Zauberworten und -zeichen erfolgt auch über entsprechende Anleitungen, die eine rein mechanische Reproduktion ermöglichen. Dies erklärt auch, warum viele Zauberworte unabhängig 581 Zu den astrologischen Anleihen vgl. z.B. Cesano 1910, 1577; Versnel 2002, 115. Zu den ‘magischen’ Zahlen vgl. z.B. auch Seligmann 2, 1910, 259-263. 582 Z.B. dfx 11.1.1⁄16: ‘ Katajin , der du in Ägypten ein großer Dämon bist […]’ ( Katajin , qui es in Aegypto magnus daemon […]). Der Dämonenname Katajin scheint eine Augenblicksbildung auf der Grundlage des Zauberwortes kataskion zu sein; in den Papyri finden sich hierfür keine Belege. 583 Die Gleichsetzung dieser Lautkombinationen mit Dämonennamen zeigt dfx 11.1.1⁄26, in dem sie als sancta nomina ‘ heilige Namen’ glossiert werden. Zur ‘Gewinnung’ der Dämonennamen vgl. z.B. Cassirer 1925, 29-32; Hopfner 1928, 340f.; Graf 1996, 195- 198; Versnel 2002, 115f. (bes. Anm. 33 mit weiterer Literatur). Bisweilen gehen diese Namen auch auf semitische Gottesbezeichnungen zurück, vgl. z.B. die Zusammenstellung in Kropp (1930, 122-127). 584 Zum speziellen Wortlaut für die Kommunikation mit Göttern und Dämonen vgl. etwa Versnel 2002, 116f. 585 Zu den ‘magischen’ Zeichnungen vgl. z.B. Gager 1992, 6f.; Gordon 2005. 586 Ein wiederkehrendes Palindrom ist z.B. Ablanathanalba. Zu den ‘magischen Quadraten’ vgl. z.B. Seligmann 2, 1910, 263-271. 142 vom Inhalt des Zaubertextes verwendet werden und sowohl in Schadenals auch in Schutzzaubertexten begegnen. 587 IV.2.3.3 Die Götternamen In vielen Zaubertexten reflektiert sich der Einbezug von Göttern und Dämonen (s. auch A: III.3.6); gerade die früheren defixiones weisen jedoch ‘götterlose’ Verwünschungen auf, die keinerlei Hinweise auf numinose Mächte enthalten. IV.2.3.4 Die Verba defigendi Wie bereits anhand o.g. Ritualskripts ersichtlich wird, handelt es sich bei den Verba defigendi um Aktionsverben, die auf die metaphorische Ritualhandlung, wie z.B. die Durchbohrung (defig er e) oder Bindung (z.B. deligare), verweisen. Aufgrund der metaphorischen Funktion der Ritualhandlung werden parallel zwei semantische Ebenen aktiviert: Primär beziehen sich die Verben auf die konkrete magische Operation, figurativ auf die der Zielperson zugedachten Folgen (s. A: III.3.3). Im weiteren Sinne reflektieren sich in den Verba defigendi auch andere Elemente des defixio-Rituals wie etwa Gebets- (z.B. precari) oder Weihehandlungen (z.B. devover e). 588 IV.2.4 Aufdeckung und Typisierung des Handlungsgehalts der Formulae defigendi Aufdeckung und Typisierung der ‘magischen’ Sprechakte zielen darauf ab, die defixio in ihren vielfältigen sprachlichen Handlungsdimensionen zu erfassen und zu beschreiben. Hierauf aufbauend werden Funktionsweise und Aktionsradius des Sprachgebrauchs in einem ‘Ich’-Ritual näher untersucht. Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei den Formeln auf den defixionum tabellae um eigenständige, elementare Texteinheiten, „durch deren Verwendung Sprechakte vollzogen werden“. 589 Die Aufdeckung dieses sprachlichen Handlungsgehalts erfolgt durch ein semasiologisches Vorgehen, d.h. durch die Untersuchung sprachlich-grammatischer Strukturen: 590 Auf der Grundlage der sprachlichen Erscheinungen, an denen sich der spezifische Handlungsgehalt erkennen läßt, wird die Zuordnung zu einem 587 Zur Präsenz von Zauberzeichen o.ä. auf Amuletten vgl. etwa Bonner 1950, 186-207. 588 Vgl. hierzu die Sammlungen griechischer und lateinischer Verben bei Audollent 1904, LIV-LIX; Cesano 1910, 1571f.; Preisendanz 1972, 1f.; Graf 1996, 114; Ogden 1999, 26f. 589 Rolf 1993, 170. 590 Das Problem der einzelsprachlichen Gebundenheit der Illokutionsindikatoren, die zunächst an Beispielen der englischen Sprache erarbeitet wurden, ist insofern nur marginal, als eine weitgehende Strukturisomorphie zwischen den beiden indoeuropäischen Sprachen Englisch und Latein vorliegt. 143 bestimmten Illokutionstyp vorgenommen, welche ihrerseits als Basis für eine weitere Einordnung dient. Sprachpragmatische Analyse und Typisierung gehen somit von der Ebene des Satzes aus. IV.2.4.1 Die Signalisierung des Handlungsgehalts Ein ausdrückliches und eindeutiges handlungsanzeigendes Mittel bildet die bereits von J. L. Austin und J. R. Searle stark in den Mittelpunkt des Interesses gerückte ‘explizit performative Äußerung’. Hierunter sind „Äußerungen in der ersten Person Singular Indikativ Präsens Aktiv“ 591 zu verstehen, deren Prädikatsausdruck ein illokutives Verb ist; die entsprechenden Passivtransformationen oder Substantivformen werden hingegen als ‘verdeckte Performative’ (hedged performatives) bezeichnet. 592 Die Illokution ist in all diesen Fällen lexikalisch greifbar. Eine direkte Signalisierungsfunktion besitzen daneben auch verschiedene „Vollzugsausdrücke“, 593 die konventionell mit einer sprachlichen Handlung korrelieren; hierzu zählen u.a. der Satztyp, d.h. die drei Grundtypen Aussage-, Frage-, Aufforderungssatz, und das Satzmuster mit den „grundlegenden grammatischen Informationen wie Modus, Tempus, Numerus, Person usw.“. 594 Eine entsprechende Hinweisfunktion besitzen ferner auch Satzadverbien und Modalpartikel sowie, in Abhängigkeit vom Kontext, auch der propositionale Gehalt. Die Kontextindikatoren Kommunikationssituation und Partizipantenrolle werden anhand von Verbformen und Pronomina bestimmt, mittels derer der Sprechhandelnde den jeweiligen Bezugsrahmen konstituiert und den unmittelbaren Kontext der Äußerung sprachlich enkodiert. 595 Hierin manifestiert sich die subjektive Orientierung des Sprechhandelnden, der sich durch die Verwendung deiktischer Elemente auch sprachlich als Zentrum und Ausgangspunkt seines Verweissystems zu erkennen gibt: Die 1. Person referiert auf diejenige Person, von der die Handlung ausgeht und in deren Interesse sie ausgeführt wird, d.h. auf die Rolle des Sprechhandelnden, die 2. Person auf die des Kommunikationspartners bzw. den im Text angesprochenen Adressaten. Beide sind Teilnehmer des Sprechaktes, die entweder in einem raumzeitlichen Zusammenhang stehen oder, im Falle schriftlich vermittelter Korrespondenz, räumlich und zeitlich getrennt sein können. Die 3. Person hingegen bezieht sich auf nicht an dem Kommunika- 591 Vgl. Austin 1998, 76 (s. auch A: IV.1.2.1). 592 Der Terminus hedges ‘Heckenausdrücke’ stammt von Lakoff (1973), der sie als „words whose meaning implicitly involves fuzziness — words whose job is to make things fuzzier or less fuzzy“ (471) definiert. Zu den ‘verdeckten Vollzugsausdrücke’ vgl. auch Fraser 1975; Raible 1987, bes. 157-161; Bublitz 2001, 71; 131; 220-236, bes. 233. 593 Polenz 1988, 197. 594 Brinker 1987, 87f. 595 Zu den „catégories fondamentales du discours […] celle de la personne et celle du temps“ vgl. z.B. Benveniste 1966, 225-257; ders. 1974, 67-78 (Zitat 1974, 67). 144 tionsgeschehen Beteiligte. Die Tempusangabe besitzt insofern deiktische Funktion, als sich der Prädikatsausdruck jeweils auf die aktuelle rituelle Situation, z.B. auf eine bestimmte im Rahmen des Rituals ausgeführte Handlung bezieht. 596 IV.2.4.2 Die Kriterien der Typisierung Nach der Ermittlung des Handlungswertes werden spezielle Handlungstypen zu einem Grundtyp, d.h. einem allgemeinen übergeordneten Handlungstyp mit möglichst prototypischem Charakter zusammengefaßt: 597 Hierfür wird in einem ersten Schritt von den „konkreten Inhalten […] abgesehen“; 598 der zweite Abstraktionsschritt läßt die „besonderen Bedingungen“ 599 wie etwa das Symmetrieverhältnis der Kommunikation unberücksichtigt. Als Abgrenzungskriterium fungiert der übergeordnete Handlungszweck bzw. das Handlungsziel. Im Fall der explizit performativen Formeln ist dies unmittelbar am Vollzugsverb und folglich an der das Handlungspotential festlegenden Verbsemantik erkennbar; bei der Analyse des Prädikatsausdrucks soll zusätzlich ein besonderes Augenmerk auf die Verbvalenz der Verba defigendi sowie den Grad der „Transitivität“ 600 der Sätze gelegt werden. Für die übrigen Formeln erfolgt die Zuordnung auf der Grundlage anderer „handlungsanzeigende[r] sprachliche[r] Mittel“ 601 bzw. „Illokutionsindikatoren“ 602 und/ oder auf der Grundlage von Ko- und Kontext. IV.3 Die Grundtypen der lateinischen Verwünschungsformeln und ihr Handlungsgehalt Nicht alle defixiones lassen eine Bestimmung des Handlungsgehaltes zu. Verschiedentlich besteht die Verwünschung lediglich aus der Identifikation des Opfers. 603 Im folgenden sollen nur diejenigen Formeltypen aufgeführt und besprochen werden, die nach o.g. Kriterien typisierbar sind. 596 Vgl. z.B. grundlegend Lyons 1972, 280f.; ders. 1983, 248-297; Liedtke 1993, 73-76; Helmbrecht 2004, 228-230. 597 Zur Typenbzw. Klassenbildung vgl. auch Wagner 2001, 27; 33; bes. 114, 147. 598 Wagner 2001, 114. 599 Ebd. 600 Der Terminus wird im Sinne von Hopper/ Thompson (1980) verwendet als „global property of an entire clause, such that an activity is ‘carried-over’ or ‘transferred’ form an agent to a patient“ (251). Dabei handelt es sich um einen durch mehrere Faktoren bestimmten, graduierbaren Transitivitätsbegriff. 601 Brinker 1987, 88. 602 Ders. 2000, 179. 603 Möglicherweise handelt es sich bei diesem Typus um die elliptische Formelvariante, die bei Ausführung der zugehörigen konkreten Ritualoperation nur rezitiert und nicht verschriftet wurde. Hierauf deuten z.B. auch Manipulation und Ablage unbe- 145 IV.3.1 Die ‘Manipulationsformel’ Im Rahmen der ‘Manipulationsformel’ 604 werden die manuellen Ritualhandlungen, die als Metapher für den Angriff auf die (abwesende) Zielperson zu verstehen sind, auf die Sprachebene transponiert; hierzu zählen Bindung, Durchbohrung und Versenkung der Tafel sowie die schriftliche Fixierung des Opfernamens. Die ‘Manipulationsformel’ begegnet ausschließlich als Aussagesatz in der 1. Ps. Sg. Ind. Präs. Akt., deren Prädikatsausdruck ein Verbum defigendi i.e.S. ist (s. C: II., Abb. 4.1): (1) […] ligo Dercomogni filium […]. (dfx 4.1.2⁄1) […] ich binde des Dercomognus Sohn […]. (2) Malchio Niconis: oculos, manus, digitos […] defigo in his tabellis. (dfx 1.4.2⁄3) Malchio, Sohn des Nico: Seine Augen, Hände, Finger […] durchbohre ich auf diesen Täfelchen. (3) Quicumque levavit anulum. Immergo. (dfx 4.3.2⁄1) Wer auch immer den Ring genommen hat. Ich tauche (ihn) unter. Als häufigste Manipulationsart ist die Bindung mit den zweiwertigen Handlungsverben ligare ‘binden’ (1) bzw. ihren Komposita sowie implicare ‘verwickeln’, ‘umwinden’ thematisiert; 605 auf die Durchbohrung wird regelmäßig mit defig e re ‘durchbohren’, ‘festheften’ (2) Bezug genommen. 606 schrifteter Täfelchen wie z.B. DT 109; ebenso könnte sich in der einfachen Niederschrift des Eigennamens die ‘Fixierung’ der Zielperson reflektieren. Beispiele sind dfx 4.1.3⁄6; dfx 2.1.1⁄1. In der Studie von Kagarow (1929) werden Namen als Formeltyp T1 zu den ‘Beschreibende Formeln’ gezählt (s. auch A: IV.2.3). 604 Faraone (1991) nennt diesen Typ ‘direct binding formula’, Karagow (1929) ‘Beschreibende Formeln’ (T2-T4), die einen „Hinweis […] auf die Handlung des Fluchenden“ (29) enthalten (s. auch A: IV.2.3). 605 Das Verb deligare, das dem griechischen katade›n entspricht, ist äußerst selten. Zu den griechischen Verben vgl. z.B. Faraone (1991, 24f., Anm. 24), der in Anlehnung an Kagarow (1929, 25-28) die Semantik der griechischen Verben als „literal binding“ bezeichnet. Dabei handelt es sich vorwiegend um Derivata von de›n bzw. desmeÊein ‘binden’, wie z.B. §pide›n ‘anbinden’, katade›n bzw. katadesmeÊein ‘festbinden’, sunde›n ‘zusammenbinden’. Daneben begegnen auch andere Handlungsverben wie etwa pedçn bzw. katapedçn ‘fesseln’. Hierzu z.B. Wünsch 1900, 239; Pocetti (1995, 267f.), der den Handlungsverben allerdings den performativen Charakter abspricht; Graf 1996, 114; Ogden 1999, 26f. (mit zahlreichen bibliographischen Angaben). 606 Nach dem aktuellen Fund- und Forschungsstand läßt sich keine vergleichbare Verbreitung eines griechischen Pendants erkennen. Vgl. hierzu bereits Audollent 1904, LVI: „latino sermone defigere […] consueverant, cui verbo par non habent Graeci.“ Zu dem einzigen Beleg seiner Sammlung bemerkt Audollent 1904, LVI, Anm. 8: „Semel legitur in attica tabella eademque vehementioribus verbis concepta (D.T., 49, 17) katapattaleÊv. “ Das ein Mal nachweisbare katapattaleÊv ‘ich nagle fest’ begegnet nicht isoliert, sondern innerhalb einer Aufzählung, nach den parallel verwendeten Verbformen katad« éfan ! zv katorÊttv . Zu dieser Besonderheit der griechischen ‘Fluchtafeln’ vgl. auch Pocetti 1995, 268f. 146 Eine Zauberinschrift referiert mit dem Verb immerger e ‘versenken’, ‘untertauchen’ (3) auf die Versenkung des Täfelchens. In zwei Fällen wird auch die rituelle Fixierung durch die Verschriftung zur Sprache gebracht. 607 Dieser Formeltyp, der ausschließlich als explizit performative Äußerung vorliegt, bildet den rituellen Kontext genau ab: Der Handlungsausführende tritt auf Satzebene am Prädikat in Erscheinung. Daneben ist das von der Handlung betroffene Individuum als direktes Objekt der zweiwertigen Handlungsverben präsent; durch die Verwendung der 3. Person wird es als nicht unmittelbar an der Äußerungsbzw. Handlungssituation beteiligt ausgewiesen. Dabei sind die Sätze insofern von hoher Transitivität, als die Wirkung der am Verb ausgedrückten „körperlichen Aktivität“ 608 vom ‘Täter’ auf das ‘Opfer’ übergeht: Durch die „drastische und endgültige Handlung“ 609 der rituellen Manipulation ist das Objekt dauerhaft und spürbar ‘affiziert’, d.h. physisch verändert. 610 IV.3.2 Die ‘Übergabeformel’ Mit der ‘Übergabeformel’ 611 korrespondiert die rituelle Niederlegung des Täfelchens. Wie bereits im Zusammenhang mit Ritualstruktur und -semantik angesprochen, stellt die Deposition einen polyvalenten Vorgang dar: Die Ablage des Täfelchens bildet nicht nur Beseitigung und Ausgrenzung des anvisierten Opfers ab, sondern zugleich auch dessen Übergabe und Angleichung an die Gegebenheiten der Depositionsstelle. Der Ablagegestus kann zudem einem non-verbalen Auftrag an eine numinose Macht entsprechen, sich des Opfers anzunehmen. Als komplexer Vorgang geht die verbal realisierte Übertragung der Zielperson an übernatürliche Mächte über die non-verbale konkrete Ablage hinaus, so daß der rituelle Vorgang nur durch die Äußerung der ‘Übergabeformel’ vollständig und eindeutig wird (s.u.). 607 Die Verbform describo, die exakte lateinische Entsprechung zu katagr-fv , erscheint auf einem einzigen Täfelchen (dfx 1.4.2⁄2), parallel zu defigo und ohne Hinweis auf eine Gottheit. Das Verbum describere besitzt jedoch, anders als das griechischen Pendant, keine juristische Bedeutungskomponente. Das Repertoire der griechischen ‘Fluchtafeln’ ist hier reichhaltiger , vgl. z.B. Faraone 1991, 5f.; 24, Anm. 20; Pocetti 1995, 269f., Graf 1996, 114; Ogden 1999, 26f. (mit zahlreichen bibliographischen Angaben). In dfx 5.1.5⁄12 wird depono (aversum) synonym zu describo verwendet. 608 Vgl. Hopper/ Thompson 1980, 264: „directed physical activity“. 609 Vgl. ebd., 270 (beispielhaft werden ‘töten’ und ‘niederstechen’ einander gegenübergestellt): „killing is a more drastic and final act than stabbing“. 610 Hopper/ Thompson (1980, 261): „[T]he O[bject] is more completely and radically affected by the action of a fully Transitive verb […]. Simultaneously, it can imply that the O[bject] is physically changed in some way, i.e. moved or altered.“ 611 Bei Kagarow (1929) bzw. Faraone (1991) ist dies keine gesonderte Kategorie, sondern wird mit den ‘Beschreibenden Formeln’ (T5-T6) bzw. der ‘direct binding formula’ gleichgesetzt (s. auch A: IV.2.3). 147 IV.3.2.1 Explizit performative Formeln Analog zur ‘Manipulationsformel’ kann auch die ‘Übergabeformel’ in einem Aussagesatz in der 1. Ps. Sg. Ind. Präs. Akt. sprachlich realisiert sein: (1) Trado tibi hos equos. (dfx 11.1.1⁄19) Ich überantworte dir diese Pferde. (2) Voveo illius vitam, valetudinem, quaestum ipsumque. (dfx 1.5.2⁄1) 612 Ich weihe sein Leben, seine Gesundheit, seinen Gewinn und ihn selbst. (3) […] dono maiestati tuo sagellum […]. (dfx 3.2⁄25) […] ich gebe deiner Hoheit meinen Mantel […]. (4) Isis Myrionyma, tibi commendo furtum meum. (dfx 2.2.1⁄1) Isis Myrionyma, ich übergebe dir meinen [d.h. den von mir erlittenen] Diebstahl. (5) Illorum dicta, facta ad inferos. (dfx 1.5.6⁄1) Ihre Worte und Taten zu den Unterirdischen. (6) Hunc ego apud vestrum numen demando, devoveo, desacrifico. (dfx 1.1.1⁄1) Diesen hier überantworte, weihe, opfere ich zu eurer göttlichen Macht hinab. Bei den verwendeten Verben handelt es sich um Verben des ‘Gebens’; hierzu zählen z.B. dare (7) bzw. donare ‘geben’ (3), mandare ‘übergeben’ samt entsprechender Präfixableitungen (4) sowie trade re ‘überantworten’ (1) oder auch (de)vover e ‘(hinab)weihen’ (2; 6) und desacrificare ‘hinabopfern’ (6) (s. C: II., Abb. 4.2). 613 Selten liegt eine Ellipse des Prädikatsausdrucks 612 Hierzu sei angemerkt, daß dieser und ein zweiter Beleg für die Verbform voveo als Abkürzung v(oveo) vorliegt. Anders dfx 2.3.2⁄1. 613 Die Verben sind nicht auf die defixiones beschränkt, sondern begegnen auch in juristischen Dokumenten: Zu donatio als juristischem Terminus technicus vgl. z.B. Kaser 1977, 42; 190-192; zu mandatum 183-187. Ferner klingen auch Bezüge zu anderen rituellen Handlungen an; so spricht z.B. Faraone (1991, 4) von der „imitation of contemporary public monuments“. Beispielhaft zu nennen ist der bei dem Dedikationsakt für den Jupiteraltar in Salona mündlich zu rezitierende Ritualtext (CIL 3, 1933; vgl. z.B. Wissowa 1901, 2358f.); lexikalische Parallelen liegen in der Verwendung des Verbums dare (7) vor, syntaktische im ‘performativen’ Gebrauch und der Anordnung der Prädikate als Tricola (6) (s. auch A: IV.4.2.2): Hanc tibi aram, Iuppiter optime maxime, do, dico, dedicoque […] ‘Dir, Jupiter Optimus Maximus, gebe, widme, weihe ich diesen Altar […]’. Die Verwendung von devovere (2; 6) erscheint auch in der von Livius (8,9,8) übermittelten Formel für die devotio, die Selbstweihung des römischen Feldherrens zugunsten seiner Truppe (s. auch A: II.3.1): Legiones auxiliaque hostium mecum deis manibus Tellurique devoveo ‘Die Legionen und die Hilfstruppen der Feinde weihe ich mit mir den Manen und der Tellus’. Zur explizit performativen Formel des Devotionsaktes vgl. Deremetz 1994, 151-155; zu den rhetorischen Verfahren vgl. Dangel 1997, 117f. D ieselben formalen Parallelen sind auch zu der privaten Form des Fluchs, z.B. auf Grabsteinen, erkennbar. Allen Formeln gemeinsam ist die explizit performative Realisierungsform (z.B. CIL 6, 2, 14098, s. auch A: III.4.3.2): Quisquis ei laesit aut nocuit Severae immerenti, domine Sol, tibi commendo, tu vindices eius mortem ‘Wer auch immer 148 vor (5). Diese dreiwertigen Verben implizieren eine „partnerorientierte Handlung (Interaktion), bei der die erste Person (AG[ENS]) initiativ/ auslösend, die zweite (C[ONTRA]AG[ENS]) reaktiv/ reagierend wirkt und bei der ein drittes Bezugsobjekt […] in der Weise eine Rolle spielt, daß es vor der Handlung in der Verfügung des AGENS ist, nach der Handlung in der des CONTRAAGENS“. 614 Hiermit liegt eine gegenüber der ‘Manipulationsformel’ geringere Transitivität vor. Regelmäßig entspricht das ‘Bezugsobjekt’ dem Zielindividuum. Im Gegensatz zur ‘Manipulationsformel’ erscheint bisweilen auch das Diebesgut, vollständig (3) oder anteilig (6), ebenso wie die Tat als Ganzes (4). Der Empfänger des ‘Bezugsobjekts’ kann in zwei morphosyntaktischen Varianten zum Ausdruck kommen: zum einen als indirektes Objekt im Dativ (z.B. 1; 3; 4; 7-10), zum anderen, deutlich seltener, als präpositionale Ergänzung, gebildet mit ad oder apud ‘zu’ und dem Akkusativ (5; 6). In Einzelfällen ist der Empfänger nicht expliziert (2). IV.3.2.2 ‘Verdeckte’ Performative Die explizit performative Äußerung wird von ‘verdeckten’ Varianten flankiert: (7) Donatur deo isto decima pars eius pecuniae […]. (dfx 3.19⁄1) Übergeben wird diesem Gott der zehnte Teil von demjenigen Geld […]. (8) Donatio deis. (dfx 3.1⁄1) Gabe für die Götter. In den passivischen Formulierungen erscheint vornehmlich das Verb donare ‘geben’, ‘schenken’ (7). Von demselben Verb leitet sich auch das ein Mal nachweisbare Verbalsubstantiv donatio ‘Gabe’, ‘Schenkung’ (8) ab, das als texteröffnendes Element auf den übergeordneten Handlungscharakter der defixio verweist. In beiden Fällen ist der Handlungsausführende nicht ausgedrückt. Diese Realisierungsformen, die überwiegend in den ‘Gebeten für Gerechtigkeit’ auftreten, funktionieren aus pragmatischer Sicht als „protektive Taktiken“, 615 da sie eine sichere Distanz zum Adressaten schaffen können: Dadurch daß sich der rituell agierende Mensch in seiner Rolle als Agens sprachlich nicht zu erkennen gibt, relativiert er seine Handlung Severa, die keine Schuld trifft, verletzte und schädigte Herr, Sol, (den) übergebe ich dir, du sollst ihren Tod rächen’. Zu dieser Inschrift bereits Åkerblad 1813, 13f.: „imprecazioni, che colle nostre inscrizioni [d.h. mit den defixiones] hanno qualche somiglianza”. 614 Polenz 1988, 175. Die Termini AGENS etc. beziehen sich auf die semantischen Rollen. Unter CONTRAAGENS wird dabei die „Person, auf die hin eine HANDLUNG als INTERAKTION ausgerichtet ist“ (170) verstanden. Zum kombinierten „Übertragungsschema“ vgl. auch die kurze Darstellung bei Pörings/ Schmitz 1999, 90. 615 Wagner 2001, 69. Zu den „sprachlichen Weichzeichnern“ vgl. auch Bublitz 2001, 231- 236, bes. 233 (Zitat S. 231). 149 und verleiht ihr einen unverbindlicheren Charakter. Im Rahmen eines Schadenzauberrituals dient dieses sprachliche Verfahren nicht zuletzt der Vermeidung unnötiger Risiken, insbesondere gegenüber den involvierten Gottheiten. IV.3.2.3 Die Einbindung des Empfängers Die bezüglich der Gottheiten verwendeten Pronomina können sich in der grammatischen Kategorie der ‘Person’ unterscheiden und verweisen somit auf unterschiedliche kommunikative Situationen. Die Bezugnahme auf göttliche Mächte kann mit der 2. Person (1; 3; 4; 6; 9) ebenso wie mit der 3. Person (5; 7; 8; 10) erfolgen: (9) Dii inferi, vobis commendo […] ac trado Tychenem Charisii. (dfx 1.4.1⁄1) Ihr Unterweltsgötter, ich überantworte […] und übergebe euch Tychene, die Tochter des Charisius. (10) Deae sanctissimae Suli devoveo eum, qui caracallam meam involaverit. (dfx 3.2⁄10) Der überaus heiligen Göttin Sulis weihe ich denjenigen, der meinen Mantel gestohlen hat. Aufgrund der Personenwerte sind hinsichtlich der Unmittelbarkeit der verbalen Interaktion zwei Konstellationen abgrenzbar: einerseits der durch die direkte Adressierung klar markierte Einbezug der Gottheit in die Kommunikationssituation, andererseits ihre durch die 3. Person ausgedrückte Abwesenheit von der Sprechhandlung. Erklären läßt sich die Enkodierung durch Pronomina der 3. Person als Ausdruck einer Status- und Distanzmarkierung gegenüber der als höherstehend bzw. mächtiger empfundenen Gottheit und damit als „Höflichkeitsform des Pronomens“. 616 Daneben kann die Verwendung der 3. Person auch auf die Trennung von menschlichem Sprechhandelnden und übernatürlichem Empfänger deuten, wodurch Deposition und Übertragung sprachlich als zwei gesonderte Vorgänge ausgewiesen werden. IV.3.3 Die ‘Aufforderungsformel’ Mittels der hierunter subsumierbaren Formeln trägt der defigens einer übernatürlichen Macht sein Anliegen vor und fordert sie zur Intervention auf, 617 die Verwünschung kann folglich nur dank einer fremden Kooperati- 616 Levinson 2000, 100 (zur Sozialdeixis vgl. ebd., 97-102); Levinson 2004, bes. 119-121. Zur „Ikonizität der Höflichkeitsdinstinktionen“ vgl. insbesondere Helmbrecht 2004, 230-233 (Zitat S. 230). Vgl. auch die Überblicksartikel zu den Honorifica von Irvine 1995; Shibatani 1998. 617 Diese Gruppe wird von Kagarow (1929) als ‘Gebetsformel’ (T7-T9), von Faraone (1991) als ‘prayer formula’ bezeichnet. Der Begriff ‘Gebet’ ist allerdings insofern problematisch, als er im antiken Kontext auf die vorwiegend mündlich, zumeist sogar mit lauter Stimme ausgeführte Sprechhandlung verweist; ferner impliziert die moderne Begriffsverwendung ein Machtgefälle zugunsten der Gottheit. Darüber hin- 150 onsleistung realisiert werden. Damit tritt auch die manuelle Ritualhandlung zugunsten der verbalen Interaktion in den Hintergrund: Die Tafel fungiert weniger als Zeichen für die Zielperson denn als Kommunikationsmittel, das durch die Niederlegung dem Adressaten erreichbar gemacht werden muß. Im Gegensatz zu ‘Manipulations’- und ‘Übergabeformel’ liegt die ‘Aufforderungsformel’ nicht nur als explizit performative (bzw. verdeckt performative) Äußerung vor, sondern ist auch in Vollzugsausdrücken versprachlicht, die konventionell mit dem Handlungstyp Auffordern korrelieren; ferner ist mit dem Wunschsatz auch eine indirekte Realisierungsform nachweisbar. 618 IV.3.3.1 Explizit performative Formeln Die explizite Form der ‘Aufforderungsformel’ ist zweigeteilt: Von dem Aussagesatz mit Prädikat in der 1. Ps. Sg. Ind. Präs. Akt. hängt ein finaler Objektsatz ab, der mit der Konjunktion ut ‘daß’ bzw. ne ‘daß - nicht’ eingeleitet und konjunktivisch formuliert ist: 619 (1) Rogo, […], ut me vindicetis de Cucuma. (dfx 4.1.3⁄9) Ich bitte euch, […], daß ihr mich an Cucuma rächt. (2) Precor vos, sancta nomina, cadant homines et equi frangantur. (dfx 11.2.1⁄11) Ich bitte euch, ihr heiligen Namen, die Menschen sollen fallen und die Pferde zerschmettert werden. (3) […] te rogo, obsecro, uti vindices quod mihi furti factum est. (dfx 2.3.1⁄1) […] dich bitte ich, flehe ich an, daß du, was mir an Diebstahl angetan wurde, rächst. Bei den verwendeten Verben handelt es sich ausschließlich um Verben des ‘Bittens’ wie z.B. rogare bzw. precari (1-4); 620 ferner zählt hierzu obsecrare ‘beschwören’ (3), wobei diese Form der Beschwörung nicht als bloße Anrufung, sondern als verstärkte und demütigere Bitte zu verstehen ist (s. C: II., aus ist die Begriffsbestimmung nicht einheitlich, vgl. allgemein (für Rom) z.B. Wissowa 1912, 397f.; Latte 1960, 392f.; Rüpke 2001b, 104f.; Scheid 2003, 97-99. Zum Gebet in der Magie vgl. auch Graf 1991, Aune 1980, 1551-1555. 618 Indirekt ausgeführte Sprechhandlungen charakterisiert die „Nichtübereinstimmung zwischen [sprachlicher] Form und [kommunikativer] Funktion“ (Bublitz 2001, 121). Die Disambiguierung des illokutiven Zwecks gewährleistet neben dem Konventionalitätsgrad der Äußerung insbesondere der kommunikative Kontext (s. auch A: IV.1.2.2). 619 Zum Fehlen der subordinierenden Konjunktion s. B: II.5.2.2. 620 Vgl. hierzu z.B. auch die Auflistung der Verba postulandi mit finalem Ergänzungssatz in Menge 2000, 766-773. Das Verbum mandare findet sich nur in einem Fall im Sinne von ‘auftragen‘, und zwar ohne finalen Ergänzungssatz: mando, rogo ‘ich trage auf, ich bitte’ (dfx 1.5.2⁄1). Die Beiordnung mit rogare ist wahrscheinlich als Abmilderung zu verstehen. 151 Abb. 4.3). 621 Befehlshandlungen bezeichnende Verben wie z.B. imperar e oder iubere werden gegenüber den adressierten Gottheiten hingegen nie explizit performativ verwendet. 622 Im Rahmen der expliziten Variante der ‘Aufforderungsformel’ erfolgt die Adressierung numinoser Mächte stets direkt durch die Bezugnahme in der 2. Person. Das Prädikat des finalen Nebensatzes steht üblicherweise in der 2. Person, mit Bezug auf die adressierte numinose Macht (1; 3; 4); sehr selten erscheint es auch in der 3. Person und referiert auf das anvisierte Opfer (2). Im ersten Fall wird die Intervention von göttlicher Seite fokussiert, während die Auswirkungen auf das Opfer nicht näher präzisiert werden; im zweiten Fall verhält es sich entgegengesetzt. IV.3.3.2 ‘Verdeckte’ Performative In einem Fall findet sich anstelle der Verbform im Indikativ Präsens (rogo) das entsprechende Verb im (zeitstufenlosen) Konjunktiv Perfekt (rogaverim): (4) Rogaverim genium numinis tui, ut ei, qui mihi fraudem fecerit, sanitatem ei non permittas. (dfx 3.22⁄29) Ich erlaube mir, den Genius deiner göttlichen Macht zu bitten, daß du demjenigen, der mich betrogen hat, [daß du] ihm keine Gesundheit gewährst. Mit dem durch den Konjunktiv Perfekt ausgedrückten Potentialis der Gegenwart wird der Vollzugsausdruck abgeschwächt und ‘verdeckt’. 623 Die Bitte wird somit nicht absolut gesetzt; zugleich signalisiert dieser Ausdruck Respekt und Konzessionsbereitschaft gegenüber dem göttlichen Adressaten. IV.3.3.3 Imperativische Ausdrücke Die Aufforderung an den übermenschlichen Adressaten kann durch einen Imperativsatz der 2. Person versprachlicht sein (5; 6; 9; 10). In derselben Funktion erscheint, allerdings mit geringerer Frequenz, der Aussagesatz im Coniunctivus Imperativus (7; 8). 624 Die parallele Verwendung beider Realisierungsformen (10) läßt auf eine nahezu äquivalente Funktion schließen: 625 621 Zu den unterschiedlichen Bedeutungen der Beschwörung vgl. z.B. Pfister 1954. 622 Ein einziges Mal wird ein expliziter Befehl mit denuntiare ‘anordnen’, ‘befehlen’ an die Verwünschten erteilt (dfx 4.3.1⁄1): Denuntio personis infrascriptis, Lentino et Tasgillo, uti adsint ad Plutonem ‘Ich ordne den untenstehenden Personen, Lentinus und Tasgillus an, daß sie zu Pluto gehen sollen’. Möglicherweise handelt es sich hierbei um eine indirekt an die Unterweltsgottheit Pluto gerichtete Aufforderung, die „untenstehenden“ Personen zu sich zu holen. Zu dem Verbum denuntiare mit Dativobjekt und nachfolgendem Finalsatz als militärischer Terminus technicus vgl. ThlL 5.1, 554, 48- 68. 623 Zum Gebrauch des potentialen Konjunktivs vgl. Menge 2000, 165f. 624 Zum Konjunktiv im Hauptsatz s. auch B: II.5.3.1. 625 Vgl. hierzu auch Menge 2000, 551 („Aufforderungssätze. Allgemeines“). 152 (5) Interficite eum, occidite, enecate, praefocate Porcellum. (dfx 1.1.2⁄3) Tötet ihn, bringt um, erwürgt, erstickt Porcellus. (6) Coge illam me amare. (dfx 11.1.1⁄16) Zwinge jene, mich zu lieben. (7) Necetis eum pessimo leto. (dfx 8.3⁄1) Ihr sollt ihn mit gräßlichem Tod töten. (8) Exigas hoc per sanguinem et sanitatem suam. (dfx 3.2⁄33) Du sollst dies durch sein Blut und seine Gesundheit einfordern. (9) Alligate linguas horum, quos suprascripsi. (dfx 11.1.1⁄4) Bindet die Zungen jener fest, die ich oben (auf)geschrieben habe. (10) Obliges, perobliges Maurussum venatorem, quem peperit Felicitas. […] defigite, perfigite, consumite Maurussum, quem peperit Felicitas. (dfx 11.1.1⁄25) Du sollst den Tierkämpfer Maurussus, den Felicitas gebar, binden, völlig binden. […] durchbohrt Maurussus, den Felicitas gebar, durchbohrt ihn völlig, verzehrt ihn. Als Prädikatsausdruck fungieren verschiedentlich auch Verba defigendi i.e.S. (9; 10), möglicherweise als Reminiszenz an die ursprüngliche Form des ‘Bindezaubers’, dessen Vollzug vom defig ens auf die Gottheit übergegangen ist. IV.3.3.4 Der Wunschsatz Bei dem Wunschsatz 626 handelt es sich um einen Aussagesatz in der 3. Ps. Konj. Präs. (11-13; 15). Nachweisbar sind auch elliptische Formeln: Hierbei kann es sich um prädikatslose idiomatisch festgefügte Wendungen (14) handeln; ferner begegnen mit der Konjunktion ut eingeleitete konjunktivische Sätze (15), die als matrixsatzlose Variante der explizit performativen Formel oder als ‘verselbständigte’ Wunschsätze zu verstehen sind (s. auch B: II.5.2.2): (11) Paulina aversa sit a viris omnibus et defixa sit. (dfx 8.4⁄1) 627 Paulina soll von allen Männern abgewandt sein und durchbohrt (= verwünscht) sein. 626 In Karagows Taxonomie (1929) wird die ‘Wunschformel’ (T10-T11) als eigenständige Kategorie gefaßt; Faraone (1991) rechnet sie mit der Begründung, der Wunsch käme üblicherweise nur im Rahmen eines Vergleiches vor, zur Klasse der ‘similia similibus formula’, den ‘Analogieformeln’ (s. auch A: IV.2.3). Zum lateinischen Wunschsatz vgl. Menge 2000, 550. Zur Sonderstellung des Wunschsatzes und seinem Verhältnis zum Imperativsatz vgl. auch Rosengren 1993, bes. 35-45. Allgemein zur Anzahl der Satztypen vgl. z.B. Meibauer (2001, 72-83). 627 Zu der Konstruktion ESSE + PPP s. B: II.4.5.4. 153 (12) Sic non possit loqui quae secreta sint. (dfx 3.14⁄1) Auf diese Weise soll sie nicht sagen können, was geheim ist. (13) Eum latronem, qui rem ipsam involavit, deus inveniat. (dfx 3.2⁄36) Denjenigen Dieb, der mir eben diese Sache gestohlen hat, soll der Gott finden. (14) A vita. (dfx 5.1.1⁄1) 628 Aus dem Leben. (15) Qui illa involavit, ut mentes suas perdat. (dfx 3.2⁄6) Wer jene gestohlen hat, soll seine Geisteskräfte verlieren. Die Wunschsätze entsprechen den finalen Ergänzungssätzen der 3. Person innerhalb der explizit performativen ‘Aufforderungsformeln’; aufgrund des fehlenden Matrixsatzes liegen keine Hinweise auf den defigens vor. Damit ist die rituelle Situation völlig ausgeblendet, im Vordergrund stehen die gewünschten negativen Konsequenzen auf das Zielindividuum, deren Ursache jedoch nicht immer ausdrücklich zur Sprache kommt: Morphosyntaktisch greifbar ist im Regelfall allein das anvisierte Opfer (11; 12; 15). Die involvierte Gottheit wird nur überaus selten thematisiert und mit der 3. Person als sprechaktunbeteiligt ausgewiesen (13); ob sich hierin eine raumzeitliche Trennung oder eine Status- und Distanzmarkierung reflektiert, ist aufgrund fehlender Informationen zum Äußerungskontext jedoch nicht zu entscheiden. Bisweilen erscheinen auch hier Verba defigendi i.e.S. (11). 629 Anders als die explizit performativen Formeln und Imperativausdrücke ist der Wunschsatz nicht adressatenorientiert, insofern als er, im Gegensatz zur explizit performativen ‘Aufforderungsformel’, keinen Bezug zu einem Kommunikationspartner, dem die Verwirklichung der Proposition übertragen wird, aufweist. Vielmehr bleiben die genauen Realisierungsmodalitäten der zukünftigen Handlung aufgrund der „Vagheit des Adressaten“ 630 in der Schwebe; zur Disambiguierung trägt bisweilen das Textumfeld bei, das durch eine Anrufung oder die anaphorische Anbindung (sic) an den Kotext (12) Aufschluß über den Hintergrund der Verwirklichung geben kann. Mit dem Wunschsatz zielt der defigens folglich auf die ‘Weltzustandsveränderung’ ab, als deren Verursacher er sich nicht ausgeben kann oder will. IV.3.3.5 Die ‘Löseklausel’ In den ‘Gebeten für Gerechtigkeit’ finden sich formelhafte Wendungen, durch die eine mögliche Aufhebung der Zauberwirkung in Aussicht ge- 628 Für die Deutung als elliptisch formulierter Tötungswunsch spricht insbesondere die optische Anordnung des Textes, innerhalb derer der Satz in einer gesonderten Zeile steht. 629 Zum Bedeutungswandel der Verba defigendi s. B: II.6.3.2. 630 Wagner 2001, 303. 154 stellt wird; 631 sie treten regelmäßig im Verbund mit Aufforderungen zur Unterlassung einer Handlung auf: 632 (16) Nec illis permittas sanitatem nec bibere nec manducare […], nisi hanc rem meam ad fanum tuum attulerint. (dfx 3.18⁄1) Du sollst ihnen keine Gesundheit gewähren und weder zu trinken noch zu essen erlauben […], außer wenn sie diese meine Sache zu deinem Tempel zurückgebracht haben werden. (17) Ne ei dimitte maleficium, dum tu vindicas ante dies novem. 633 Vergib ihm nicht das Verbrechen, bis du mich rächst innerhalb von neun Tagen. (18) Ut ille, qui hoc circumvenit, non ante laxetur, nisi quando res supradictas ad fanum supradictum attulerit […]. (dfx.3.22⁄3) Daß jener, der dieses hat mitgehen lassen, nicht eher in Ruhe gelassen wird, als er die obengenannten Sachen zum obengenannten Tempel gebracht haben wird […]. (19) […] non illi dimittatur […], nisi ut Eutychia modium nebulae modium veniat fumi. (dfx 3.2⁄2) […] Vergebung soll ihm nicht gewährt werden […], außer wenn Eutychia ein Maß Nebel, ein Maß Rauch verkauft. Die negative Aufforderung entspricht formal dem positiven Gegenstück: Als direkte Realisierungsform begegnet der verneinte Coniunctivus Imperativus (16), in Ausnahmefällen auch der verneinte Imperativ (17); 634 bei den verwendeten Verben handelt es sich fast ausschließlich um permitter e ‘erlauben’ oder semantische Äquivalente. Entsprechende Wunschsätze (18; 19) weisen hingegen keine lexikalische Beschränkung auf. Die Bedingung ist regelmäßig im Rahmen von negativen Konditionalsätzen (16; 18; 19), ein Mal auch temporal (17) formuliert. In denjenigen ‘Gebeten für Gerechtigkeit’, die reparable Vergehen wie z.B. Diebstahl oder Unterschlagung zum Inhalt haben, wird mittels dieser „beschränkende[n] oder erweiternde[n] Nebenbestimmung“ 635 die Möglichkeit formuliert, die Verwünschung durch die Erfüllung einer bestimmten Bedingung rückgängig zu machen. Dabei handelt es sich meistens um die Behebung des Schadens, d.h. die Rückgabe des Diebesguts (16; 18). In einem Fall erscheint mit 631 Vgl. Tomlin 1988, 65f. 632 Zur Definition der Unterlassung vgl. z.B. Hindelang 1978, 31f. 633 Zur Semantik von dimittere s. auch B: II.6.3.1. 634 Zu diesen unklassischen Formen des Prohibitivs s. auch B: II.5.3.1. 635 Wahrig 2000, 737, s.v. ‘Klausel’. Die Äußerung der Kondition ändert nichts an den Vollzugsbedingungen des Sprechaktes; aus pragmalinguistischer Sicht gilt auch diese „bedingte Aufforderung als vollzogen in dem Moment, in dem […] sie ausgesprochen ist; wirksam wird sie jedoch erst dann, wenn die in der ihr zugrundeliegenden Äußerung thematisierte Bedingung erfüllt ist“ (Rolf 1997, 71f.). Rolf wendet sich in seiner Argumentation gegen die von Searle/ Vanderveken etablierte Bezeichnung ‘komplexe illokutionäre Akte’. Tatsächlich beziehen sich die Gelingensbedingungen nicht auf den illokutiven Akt, sondern auf die Proposition. 155 einer sprichwörtlichen Redewendung auch eine nicht erfüllbare Bedingung (19). Die ‘Löseklausel’ ist mit den „auflösenden (Resolutiv-)Bedingungen“ 636 im Rahmen von Rechtsgeschäften und Verträgen vergleichbar, mit deren Eintreten die Geschäftswirkung erlischt. IV.3.4 Die ‘Fluchformel’ In einem einzelnen ‘Gebet für Gerechtigkeit’ wird das Verbum dicendi execrari ‘verfluchen’ als Vollzugverb verwendet: 637 (1) Execror eum, qui involaverit […]. (dfx 3.2⁄78) Ich verwünsche denjenigen, der […] gestohlen hat. Auch für die öffentliche Verfluchung scheint die explizit performative Verwendung von execrari oder synonymischen Verben allerdings eher untypisch zu sein (s. auch A: III.4.2). IV.3.5 Sonderfälle In Einzelfällen weist die lexiko-grammatikalische Grundstruktur der Formeln feste Modifikationen auf: Betroffen sind vornehmlich Personalpronomina sowie Person und Tempus der Verbformen. IV.3.5.1 Explizit performative Formeln in der 3. Person Zu diesen Ausnahmen zählen Formeln, die sich von den expliziten Realisierungsformen lediglich durch die Verwendung der 3. Person unterscheiden. Diese Modifikation ist nahezu auf die ‘prayers for justice’ (1; 2; 4) beschränkt und insbesondere bei der ‘Übergabeformel’ (1; 3) zu beobachten; das grammatische Subjekt wird dabei nahezu systematisch in Form des Eigennamens ausgedrückt (1; 2): (1) Basilia donat in templo Martis anellum argenteum. (dfx 3.2⁄76) Basilia übergibt im Tempel des Mars den Silberring. (2) Secundina Mercurio et Moltino mandat, ut […]. (dfx 7.5⁄1) Secundina trägt dem Merkur und dem Moltinus auf, daß […]. (3) Mandata dat is Savo, ut curam agat. Deprimat adversarios nostros. (dfx 8.1⁄1) Den Auftrag gibt dieser dem Savus, daß er Sorge trägt. Er soll unsere Widersacher unterdrücken. (4) […] rogat deum Mercurium, ut nec ante sanitatem habeant, nisi repraesentaverint mihi iumentum. (dfx 3.22⁄2) 636 Kaser 1977, 54. Die potentielle Aufhebbarkeit der magischen Wirkung, etwa durch ein Gegenritual, zeigt z.B. dfx 1.4.4⁄1: ne quis eum solvat ‘damit keiner ihn löse’. 637 Zu ex(s)ecrari vgl. ThlL 5.2, 1838, 19-44; Forcellini 2, 983. 156 […] er bittet den Gott Merkur, daß sie nicht vorher Gesundheit haben sollen, außer wenn sie mir das Lasttier, das sie geraubt haben, zurückgegeben haben. Mittels der 3. Person wird in einer Äußerungssituation auf Sprechaktunbeteiligte referiert. Hinter der besonderen Personendeixis ließe sich also zunächst die Einschaltung eines professionellen Magiers und eine Aufteilung der Ritualhandlung in verbale und non-verbale Elemente vermuten (s. auch A: V.1): Mit Rezitation und Verschriftung des Ritualtextes wäre der Ritualexperte beauftragt, während die parallel zu vollziehende manuelle Übergabehandlung dem Auftraggeber obliegen würde. Mit größerer Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei dieser Realisierungsform, die auf die Abwesenheit des defig ens im Vollzugsmoment verweist, um die ‘verdeckte’ Variante der entsprechenden explizit performativen Wendung: 638 Hiermit tritt der Sprecher/ Schreiber in den Hintergrund und verschleiert seine Rolle als Handlungsausführender; im Gegenzug wird durch die Namensnennung die jederzeit auch außerhalb der Abfassungssituation noch eindeutig feststellbare Identität des Verfassers hervorgehoben. Dieser Befund spricht für einen höheren Formalitätsgrad, wie er etwa auch bei offiziellen Urkunden nachweisbar ist. 639 Trotz der oberflächengrammatischen Realisierung durch die 3. Person bleibt das ‘logische’ Subjekt der Äußerung (bzw. der Agens) der Textproduzent und entspricht folglich der 1. Person in der explizit performativen Realisierungsform. Tatsächlich kann das verdeckte ‘logische’ Subjekt auch durch eine ungrammatische Weiterführung des Satzes, z.B. durch die Setzung von Pronomina der 1. Person (3: nostros; 4: mihi), in Erscheinung treten. IV.3.5.2 Die direkte Adressierung des defixus oder einer weiteren Person Die Bekanntmachung der Verwünschung gilt als der Zauberwirkung abträglich (s. auch A: III.3.5.5). Tatsächlich ist die an der 2. Person von Pronomina und Verbformen greifbare direkte Adressierung des anvisierten Opfers (1; 2) oder einer weiteren Person (3) nahezu nie zu belegen. Mit der direkten Ansprache des anvisierten Opfers geht auch das Fehlen morphosyntaktischer Hinweise auf die üblicherweise als Kommunikationspartner fungierenden Gottheiten einher: (1) Contineas te […]. Ama Clementem. (dfx 7.4⁄1) Halte dich zurück […]. Liebe Clemens. (2) Domino fartori Victorino salutem. […] Demes litteras meas felicissime et in post cum Livia peribis. (dfx 6.2⁄1) 638 Den analogen Fall beobachtet Wagner (1997, 155f.) für die Formeln aus dem Alten Testament. 639 Dabei handelt es sich um den Urkundentyp der testatio, der in der dritten Person abgefaßt ist, vgl. Poláy 1982, 512. So z.B. ein Kaufvertrag auf den sogenannten Ta bulae Ceratae Dacicae (CIL 3, 2, S. 921-959, z.B. S. 940f. = Bruns 1909, 329, Nr. 130): Dasius Breucus emit mancipioque accepit […] ‘Dasius Breucus kaufte […]’. 157 Gruß dem Herren Geflügelmäster Victorinus. […] Du wirst meinen Brief überaus glücklich beseitigen und dann mit Livia zugrunde gehen. (3) Sic, Silvia, inversum maritum cernis, quomodo nomen illius scriptum est. (dfx 6.1⁄1) 640 So, Silvia, erblickst du deinen Gatten umgewendet, so wie sein Namen geschrieben ist. Die Adressierung des Zielindividuums ist auf Texte beschränkt, deren Zuordnung zur Ritualform defixio umstritten ist, was sich z.B. an einem ungewöhnlichen Ablageort oder einer ausgefallenen Schreibunterlage zeigt: 641 So zählt Beispieltext (1) zu den seltenen Hausfunden, d.h. zu denjenigen Täfelchen, mittels derer auch die räumlich Nähe zum Verwünschten gesucht wurde. 642 Beispieltext (2) wurde auf einen Ziegelstein, möglicherweise als Schreibübung oder Scherz geschrieben; zudem enthält er die selbstreferentielle Bezeichnung litteras ‘Brief’ und ist vollständig nach dem geläufigen lateinischen Briefschema abgefaßt. IV.3.5.3 Vollzugsausdrücke in einem Vergangenheitstempus In einigen Fällen werden die Verba defigendi nicht performativ verwendet, sondern erscheinen im Indikativ Perfekt: Der aktivische Prädikatsausdruck referiert dabei ausschließlich auf den Akt der Übergabe (1); die entsprechenden passivischen Formeln thematisieren hingegen sowohl die Übergabe (2) als auch die Manipulationshandlung (3). Die rituelle Handlung wird folglich als abgeschlossen dargestellt: (1) Deae Suli donavi […] argenteolos sex, quos perdidi. (dfx 3.11⁄1) Der Göttin Sulis habe ich […] sechs Silberlinge, die mir abhanden gekommen sind, übergeben. (2) Data nomina ad inferas larvas. (dfx 5.1.4⁄4) 643 Übergeben (sind) die Namen an die unterirdischen bösen Geister. (3) Aenum meum qui levavit, exconfixus est. (dfx 3.2⁄36) Wer mein Erzgefäß entwendet hat, ist ganz und gar durchbohrt (= verwünscht). 640 In seinem Kommentar deutet der Erstherausgeber Egger (1963, 29) Silvia als den Namen einer Frau, die die defixio bei einem professionellen Magier in Auftrag gegeben hat. Die Nennung des Kundennamens ist eher ungewöhnlich. 641 Dies trifft z.B. auch auf dfx 1.5.4⁄3 zu. Dabei handelt es sich um eine unter einem Epitaph angebrachte und mit einem Nagel durchbohrte Steintafel, die geläufige Elemente von Grabinschriften im Epigrammstil, wie z.B. die direkte Ansprache vorbeigehender Personen, aufweist. 642 Bereits Solin (1968, 26) bemerkt hierzu: „Liebeszauber, ganz untypisch“. 643 Vergleichbar ist die Formel auf einem Täfelchen aus Sagunt (dfx 2.1.2⁄1: devotos defixos). Der Herausgeber Curbera (1999, 282) setzt allerdings ohne Angabe von Gründen das Part. Perf. Pass. mit der 1. Ps. Sg. Ind. Präs. Akt. gleich. 158 Diese perfektische Darstellung des Ritualvollzugs könnte eine implizite Form der Aufforderung darstellen, sich der übertragenen Angelegenheit anzunehmen. Möglicherweise dokumentiert sich hierin auch ein Bedeutungswandel der Verba defigendi, da sie nicht auf die manuelle rituelle Handlung referieren, sondern die abstrakte Bedeutung eines Verbum dicendi (im Sinne von ‘verwünschen’) annehmen (s. B: II.6.3.2). IV.3.5.4 Die ‘Kontaminationsformeln’ Verschiedentlich verbinden sich diejenigen Verba defigendi, die auf die rituelle Manipulation wie die Bindung (1) oder Durchbohrung (2; 3) verweisen, mit einem Götternamen in Funktion einer (dativisch ausgedrückten) Ziel- und Richtungsangabe. 644 (1) […] omnes inferis deis deligo […]. (dfx 1.5.3⁄2) […] alle binde ich den unterirdischen Göttern hinab […]. (2) […] tibi, sanctae Dianae, defigo Rodanum […]. (dfx 4.1.3⁄15) […] dir, heilige Diana, hefte ich Rodanus (hinab). (3) […] devotos, defixos inferis […]. (dfx 2.1.2⁄1) […] hinabgeweiht, hinabgebohrt zu den Unterirdischen […]. Im Gegensatz zur einfachen ‘Manipulationsformel’ entspricht das Ergebnis der verbal ausgedrückten Handlung folglich nicht mehr allein der manuellen Einwirkung auf die Zielperson; vielmehr zielt die Tätigkeit auf die Herstellung des Kontaktes zwischen Opfer und Gottheit, wobei die Bewegung nach unten durch das Präverb deexpliziert sein kann. 645 Im Rahmen dieser syntaktischen Konstruktion erhalten typische Verba defigendi i.e.S. wie z.B. deligare ‘festbinden’ (1) bzw. defige re ‘festheften’ (2; 3) die Bedeutung ‘hinabbinden’ bzw. ‘hinabheften’ und werden somit gleichbedeutend zu den oben besprochenen Verben des ‘Gebens’ verwendet (s. auch B: II.6.3.2). Explizit manifestiert sich die Gleichsetzung von Manipulation- 644 Dieser Typus, der sich aus der einfachen ‘Manipulationsformel’ und der Nennung eines Götternamens zusammensetzt, wurde bereits von Kagarow (1929) als „Kontaminations- oder Mischformeln“ (T12-T14) bezeichnet; vgl. auch Faraone 1991, 5: „The most common elaboration of the direct binding formula is the addition of the name(s) of a deity or deities who appear as witnesses or overseers of the act […].“ Bereits Björck (1938) stellt sie als „Crux“ (120) heraus, da sie einerseits auf die „Selbstwirksamkeit“ (118) des Bindenden, andererseits auf das Eingreifen übernatürlicher Mächte verweise (s. auch A: IV.2.3). 645 Das griechische Pendant ist prÒw + Göttername im Akkusativ, mittels dessen eine „Bewegung nach einem Ort“ (Schwyzer 1950, 509) ausgedrückt wird. Vgl. hierzu z.B. die Deutung von Graf (1996), der in der „Anfügung einer Gottheit mittels einer Präposition“ (114) den Ausdruck für die Herstellung einer „Beziehung zwischen dem Opfer und einer übermenschlichen Macht“ (ebd.) sieht und prÒw mit ‘hinab zu’ übersetzt. Vgl. hierzu auch die Übersetzung von Brodersen (2001a, 63). Anders Faraone (1991, 5) und Ogden (1999, 26), die prÒw mit ‘before’ wiedergeben. 159 und Übergabeverb in denjenigen Formeln, in denen defig er e und devove r e als semantische Äquivalente beigeordnet werden (3). In diesen ‘Misch’- und ‘Übergangsformeln’, die möglicherweise ein intermediäres Stadium zwischen der ‘Manipulationsformel’ und der ‘Übergabeformel’ darstellen, reflektiert sich auch eine Veränderung der Kommunikations-situation, vom isoliert agierenden defig ens zur rituellen Interaktion mit der Gottheit. IV.3.6 Die Kombinatorik der Grundformeln Die Verwünschung auf den defixionum tabellae kann sich aus einer einzelnen Grundformel, wie z.B. der ‘Manipulationsformel’ zusammensetzen; mehrheitlich bestehen die Zauberinschriften aber aus Sequenzen verschiedener Formeln: 646 (1) Tretiam Mariam defigo […]. Sic non possit loqui quae secreta sint. (dfx 3.14⁄1) Tretia Maria durchbohre ich […]. So soll sie nicht sagen können, was geheim ist. (2) Fructum Gracilem […] defero inferis. Sic non possit respondere quaestionibus. (dfx 5.1.4⁄2) Den Fructus, Sohn des Gracilis, […] sende ich den Unterirdischen hinab. So soll er bei den Verhören nicht antworten können. (3) […] ligo, obligo linguas illorum […], ne quid possint respondere contra. (dfx 11.1.1⁄5) […] ich binde ihre Zungen, ich binde sie (fest) […], damit sie nichts erwidern können. (4) Solinus dono numini tuo, maiestati pexam, balnearem et pallium, ne permittas somnum nec sanitatem ei, qui mihi fraudem fecit […]. (dfx 3.2⁄24) Ich, Solinus, übergebe hiermit deiner göttlichen Macht und Hoheit die Badetunika und den Mantel, damit du demjenigen, der mich betrogen hat, weder Schlaf noch Gesundheit gewährst […]. Kombinationen sind in Form unverbundener bzw. einfach verbundener Aneinanderreihungen möglich, die Rückbindung an den Kotext kann dabei durch das anaphorische Adverb sic ‘so’ angezeigt sein (1; 2). Häufiger finden sich hypotaktische Strukturen (3; 4): Gerade der Wunschsatz, der keinen lexiko-grammatikalischen Beschränkungen unterliegt, zählt zu den individuell adaptierbaren Textelementen, die regelmäßig mit einer weiteren Formel kombiniert werden, indem er als finaler bzw. konsekutiver Adverbialsatz direkt abhängig gemacht wird. Innerhalb des Gefüges wird mittels der ersten Formel die dominierende ‘magische’ Sprechhandlung realisiert, der sich anschließende Wunschsatz bringt die daraus resultierenden Konsequenzen auf das Opfer explizit zur Sprache (s. auch A: IV.5). Die logische Verknüpfung wird dabei durch ein 646 Zur Kombinatorik vergleichbarer Ritualtexte vgl. z.B. die Untersuchung von Deremetz (1994) zu devotio und evocatio. 160 Adverb (1; 2) oder eine unterordnende Konjunktion (3; 4), die eine Zielbzw. Folge-Beziehung angeben, verbalisiert. IV.4 Formeln und Strukturen mit subsidiärer Funktion Neben den Grundformeln existieren verschiedene Formeln mit Handlungsgehalt, die nur im Verbund mit einer der Grundformeln vorkommen. 647 In dieser Verwendung dienen sie als Mittel, den Erfolg der dominierenden Illokution sicherzustellen; ihre subsidiäre Funktion besteht darin, entweder Aufmerksamkeit und Handlungsbereitschaft des Adressaten zu erhöhen und/ oder einer Aufforderung bindenden Charakter zu verleihen. Zur Stützung einer dominierenden Illokution werden auch verschiedene sprachliche Strukturen ohne eigenen Handlungswert eingesetzt, die ausgelegt sind, den Interpretationsspielraum des Kommunikationspartners und damit die Gefahr von Fehlauslegungen zu minimieren. 648 Diese sprachlichen Verfahren bezeugen vor allem das Bestreben des Verfassers nach größtmöglicher Präzision und Eindeutigkeit, worin sie nicht zuletzt dem Sprachgebrauch juristischer und wirtschaftlicher Texte ähneln. 649 IV.4.1 Die Stützformeln mit Handlungsgehalt IV.4.1.1 Die ‘Anrufungsformel’ Versprachlicht ist die ‘Anrufungsformel’ 650 nahezu ausnahmslos als Vokativform des Theonyms (1), das den Empfänger des übergebenen Objekts bzw. den Adressaten der Aufforderung benennt; beigefügt sind gelegentlich Textelemente mit identifikatorischer Funktion. Hierzu zählen insbesondere charakterisierende und qualifizierende Epitheta oder Relativsätze (1; 2), durch die topographische Verortung, „besondere Kräfte und Leistungen“ 651 sowie auch der spezielle Funktionsradius der jeweiligen Gottheit angegeben sind: 647 Von Kagarow (1929) und Faraone (1991) wurden diese unselbständigen Formeln gar nicht oder nur akzessorisch behandelt, so z.B. bei Kagarow 1929, 40f. 648 Zur analogen Funktion von Bildern auf den defixiones vgl. Gordon (2005), der von „visual ‘advice’“ (74) spricht (s. auch A: IV.2.3.2). 649 Zu diesen sprachlichen Strategien vgl. z.B. Deremetz 1994, 152; Dangel 1997, bes. 119f. Sehr ausführlich auch die Zusammenstellung der Stilelemente des „carmenstyle“ wie er sich auf verschiedenen lateinischen ta bulae findet bei Meyer 2004, 44-72, bes. 54-56 (Zitat S. 45). 650 Die ‘Anrufungsformel’ erscheint bei Kagarow (1929) als erstes Element sowohl innerhalb der ‘prekativen Formeln’ (T7-T9) als auch zweier ‘Verschmelzungsformeln’ (T12-T13); letztere sind jeweils als ‘Übergabeformel’ (T12) und indirekte ‘Aufforderungsformel’ (T13) kategorisierbar. 651 Luck 1990, 38 (s. auch A: III.3.6.4). 161 (1) Baxaxux …, qui es in Aegypto magnus daemon […] Parpajin , deus omnipotens […]. Noktoukit , qui possides tractus Italiae et Campaniae […]. Daemon, qui possides Hispaniam et Africam, qui solus per mare transis […]. (dfx 11.1.1⁄25) Baxaxux …, der du in Ägypten ein großer Dämon bist […]. Parpajin , allmächtiger Gott […]. Noktoukit , der du Landstriche in Italien und Kampanien besitzt, […]. Dämon, der du Spanien und Afrika besitzt, der du allein durch das Meer ziehst […]. (2) Excito te daemon, qui hic conversaris. (dfx 11.1.1⁄19) Ich rufe dich hervor, Dämon, der du dich hier aufhältst. Die Kenntnis des richtigen Namens, zumal wenn er als exotisch oder geheim gilt, weist den defig ens als Fachmann aus. Der Handlungsgehalt der ‘Anrufungsformel’ gründet sich folglich auf der Vorstellung, daß dieses besondere Wissen Gewalt über den Namensträger verleiht. 652 Aufgrund der hierdurch etablierten Machtstruktur kann etwa einer Aufforderung bindender Charakter verliehen, d.h. der ‘Durchsetzungmodus’ einer Aufforderung zugunsten des rituell Handelnden verändert werden. Zugleich stellt die Anrufung selbst eine implizite Aufforderung dar, dem Ausführenden der defixio „Beistand zu leisten“. 653 Selten sind Formeln, die die Gottheit ausdrücklich zum Erscheinen oder Herbeikommen bewegen sollen, so wie sie etwa aus dem antiken Gebet bekannt sind. 654 Die einzige Ausnahme bildet die explizit performative Verwendung des Verbums excitare ‘hervorrufen’, mittels derer die Ankunft eines Dämons bewirkt werden soll (2). Hierin bestätigt sich, daß der Ausführende des defixio-Rituals keine direkte Kontaktaufnahme mit den numinosen Kommunikationspartnern intendiert, sondern auf Anonymität und Heimlichkeit bedacht ist; ermöglicht wird die Aufrechterhaltung der Zeit-Raum-Distanz von menschlichem Emittenten und numinosem Rezipienten nicht zuletzt durch Verschriftung und Deposition der Mitteilung (s. A: III.3.5). IV.4.1.2 Die ‘Beschwörungsformel’ Die ‘Beschwörungsformel’ 655 besteht aus der explizit performativen Äußerung adiuro ‘ich beschwöre’ (1; 2); als weiterer Bestandteil tritt ein mit pe r 652 Diese Vorstellung ist die eng mit dem altrömischen Glauben der evocatio verwandt, d.h. mit der Herausrufung der Schutzgötter aus einer feindlichen Stadt. Vgl. hierzu Wissowa 1903, 279; Wissowa 1912, 383f.; Pfaff 1924, 456; Latte 1960, 125; Speyer 1969, 1211; Versnel 1976, 380-383; Köves-Zulauf 1972, 85-108; Muth 1988, 230-233, Anm. 592; Dangel 1997, 118f.; Rüpke 2001b, 134f.; 164. 653 Luck 1990, 38. 654 Die einzige Ausnahme stellt ein Täfelchen aus Mainz (dfx 5.1.5⁄2) dar, das auch insgesamt wie ein Gebet aufgebaut ist. Vgl. hierzu den Kommentar von Blänsdorf 2004. Zu den Epiklesen vgl. z.B. Versnel 1981, 29f.; Scheer 2001, 34-36. 655 Von Kagarow (1929) wurde dieser Typus zu den in ihrer Handlungsdimension ambivalenten ‘Verschmelzungsformeln’ (T14) gerechnet, was auf seine Gleichsetzung 162 ‘bei’ eingeleiteter präpositionaler Ausdruck hinzu, der die Schwurinstanz benennt: 656 Bisweilen erscheint die Beschwörung auch in elliptischer Form, d.h. ohne explizit performatives Verb (3-6); in diesem Fall verschmilzt sie mit einer vorangehenden ‘Aufforderungsformel’: (1) Adiuro vos per hunc praepositum super necessitates terrae […]. (dfx 11.1.1⁄17) 657 Ich beschwöre euch bei diesem Vorsitz über die Notwendigkeiten der Erde […]. (2) Adiuro te daemon, quicumque es […]. Adiuro te per eum, qui te resolvit vitae temporibus deum pelagicum, aerium Iav . (dfx 11.2.1⁄22) Ich beschwöre dich, Dämon, wer du auch bist […]. Ich beschwöre dich, bei demjenigen Gotte des Meeres und der Lüfte, der dich von dem Schicksal des Lebens befreit hat Iav. (3) Per matrem deum vestram vindicate sacra Paterni. (dfx 5.1.3⁄1) Bei eurer Großen Göttermutter, rächt die Geheimnisse des Paternus. (4) Rogo, domina, per maiestatem tuam, ut hoc furtum reprehendas. (dfx 2.2.1⁄1) Ich bitte dich, Herrin, bei deiner Hoheit, daß du diesen Diebstahl ahndest. (5) […] per omnia te rogo, domine, per tuum Castorem, Pollucem, per cistas penetrales, des ei malam mentem […]. (dfx 5.1.5⁄2) Bei allem bitte ich dich, Herr, bei deinem Castor (und) Pollux, bei den Kästchen des Heiligtums, gib ihm schlechten Verstand […]. Auch diese Formel dient als Strategie des Nachdrucks gegenüber dem numinosen Adressaten und verleiht einer Aufforderung bindenden Charakter, indem sie sich zunächst ein in den göttlichen Hierarchien begründetes Autoritätsverhältnis zunutze macht (1-3): 658 Zu diesem Zweck wird die Schwurgottheit als dominant gegenüber der beschworenen numinosen Macht dargestellt, was z.B. in charakterisierenden Relativsätzen zum Ausdruck kommt (2). Die Nichtbefolgung der Aufforderung impliziert folglich ein hohes Sanktionspotential. Zugleich kann die Beschwörung Erwartungshaltungen generieren sowie auf ein moralisches oder emotionales Abhängigkeitsverhältnis gestützt sein, was ebenfalls für eine Erhöhung des Handlungsdrucks sorgt; in diesem Fall wird im Rahmen der Präpositional- von §jork ! zv ‘ich beschwöre’ und katad« ‘ich binde hinab’ zurückgeht. Zugleich wurde die mit kat- eingeleitete präpositionale Fügung als eine Ziel- und Richtungsangabe interpretiert, wie sie sich üblicherweise in den ‘Übergabeformeln’ findet. Tatsächlich entspricht §jork ! zv in seinem Handlungsgehalt aber exakt dem lateinischen adiuro; ebenso ist der Gebrauch der griechischen Präposition kat- (+ Genetiv) mit dem lateinischen per (+ Akkusativ) identisch. Zu kat- + Genetiv vgl. Schwyzer 1950, 479f. Ebenso Wünsch (1900, 246-248), der das lateinische adiuro te daemon quicumque es ‘ich beschwöre dich, Dämon, wer du auch bist’ als eine „Uebersetzung des Griechischen §jork ! zv se da›mon “ (247) ansieht. 656 Zur magischen Beschwörung vgl. z.B. Pfister 1954. Zur Präposition per in dieser Verwendung vgl. z.B. Menge 2001, 261f. 657 Im Original in griechischen Buchstaben transliteriert. 658 Zu den „Göttlichen Hierarchien“ vgl. z.B. Graf 1996, 201f. (Zitat S. 201). 163 phrase die beschworene Gottheit selbst mit hochachtungsvollen Epitheta belegt (4); zu demselben Zweck können Autoritätspersonen bzw. Verwandte der Gottheit (3) oder der Gottheit heilige Kultgegenstände (5) genannt sein. IV.4.1.3 Die ‘Klageformel’ Die ‘Klageformel’ ist naturgemäß auf die ‘Gebete für Gerechtigkeit’ beschränkt, in denen das Leid über ein erlittenes Unrecht „offen […] zum Ausdruck gebracht“ 659 und damit auf Wiedergutmachung von göttlicher Seite gedrängt wird (s. auch A: III.4.3.2). Sie liegt als explizit performative Äußerung vor, als Vollzugsausdruck verwendet werden queri bzw. die präfigierte Form conqueri ‘(be)klagen’ (1) sowie ein Mal synonymisch annotare: (1) Conqueror numini tuo me perdidisse rotas duas […]. (dfx 3.22⁄29) Ich beklage (bei) deiner göttlichen Macht, daß mir zwei Räder abhanden gekommen sind […]. Als ‘verdeckte’ Performative erscheinen ferner die Verbalsubstantive commonitorium bzw. petitio ‘Klage’, abgeleitet von den illokutiven Verben commonere bzw. peter e, die überschriftsartig den übergeordneten Handlungsgehalt der Klage vorwegnehmen (2): (2) Commonitorium deo Mercurio a Saturnina muliere de linteamine, quod amisit. (dfx 3.22⁄3) Klage an den Gott Merkur von der Frau Saturnina wegen des Leinenzeugs, das sie verloren hat. Analog zur ‘Übergabeformel’ kann auch der Adressat der Klage in der 3. Person enkodiert sein (2), wodurch entweder die Abwesenheit der Gottheit oder eine Status- und Distanzmarkierung zum Ausdruck kommt. Diese Variante ist allerdings deutlich seltener gegenüber der direkten Adressierung (1) und auf ‘verdeckte’ Performative beschränkt. Bei der Klage handelt es sich nicht allein um eine Gefühlsäußerung von seiten des Sprechhandelnden; vielmehr ist sie als Überzeugungsstrategie zu werten, die bei dem göttlichen Adressaten Empathie und Verständnis bewirken und ihn letztlich zum Eingreifen bewegen soll. Zu diesem Zweck wird der Tatbestand nicht einfach nur thematisiert, sondern ausdrücklich beklagt. Auf diese Weise positioniert sich der defigens gegenüber der Gottheit als Hilfe- und Schutzsuchender, wodurch ein ‘ethischer’ Zwang generiert wird (s. auch A: IV.3.3.6); zugleich wird die geforderte Rache bzw. Strafe als rechtmäßig gekennzeichnet. Die Klage dient folglich dazu, den Verpflichtungsgrad der Gottheit gegenüber dem rituell Agierenden zu erhöhen und die Umsetzung der mittels einer ‘Aufforderungsformel’ erteilten Handlungsanweisung zu sichern. 659 Rolf 1997, 237. 164 IV.4.1.4 Die ‘Gelübdeformel’ Das Gelübde (votum) zählt zu den typischen griechisch-römischen Kulthandlungen und kann einem Vertragsabschluß mit den Göttern gleichgesetzt werden: Wenn man etwa dem göttlichen numen in einem votum eine Weihegabe, die Errichtung eines Tempels oder Altars, die Einrichtung eines Festes oder ähnliches gelobt hatte, erwartete man […], daß die Gottheit diesem Versprechen traute, den vom Menschen angebotenen Vertrag annahm und die Vertragspflicht vorweg erfüllte. Dann erst erfolgte von seiten der Menschen die Einlösung des Gelübdes. 660 Bei der ‘Gelübdeformel’ handelt es sich um ein konditionales Satzgefüge (1; 2): Die Protasis thematisiert die von der Gottheit verlangte Intervention bzw. das intendierte Resultat der Verwünschung, die Apodosis enthält den Inhalt des Gelübdes: (1) […] si faciatis, votum, quod facio, solvam. (dfx 2.2.2⁄1) […] wenn ihr das tut, dann werde ich das Gelübde, das ich tue, einlösen. (2) Tunc tibi hostiam quadrupedem dono, Attis, voveo, si eum furem invenero. (dfx 2.3.2⁄1) 661 Dann gebe, weihe ich dir als Opfer einen Vierbeiner, Attis, wenn ich diesen Dieb gefunden haben werde. Durch das votum wird der Gottheit für die Erfüllung einer (expliziten oder impliziten) Aufforderung eine als ihr angenehm eingestufte Gegenleistung versprochen. Im Gegensatz zu einem einfachen Versprechen fällt die Realisierung der Proposition folglich auf einen zukünftigen, durch eine bestimmte Bedingung näher eingegrenzten Zeitpunkt. Die zukünftige Wohltat, auf die sich der defigens durch das Versprechen festlegt, kann dabei unspezifisch als votum bezeichnet sein (1); 662 der Inhalt des votums kann aber auch expliziert werden, z.B. als Tieropfer (2). In den ‘Gebeten für Gerechtigkeit’ kann der Gottheit als Gegenleistung die Eigentumsübertragung des gestohlenen Objektes (oder Teile davon) in Aussicht gestellt werden. Das Gelübde kann dabei nicht als zweigliedriger Konditionalsatz, sondern durch die Verbindung von ‘Übergabeformel’ und Wunschsatz (3) ausgedrückt sein (s. A: IV.3.6): (3) Deo supradicto tertiam partem donat, ita ut exigat istas res, quae suprascriptae sunt ac quas perdidit. (dfx 3.22⁄3) 660 Muth 1988, 219f., Anm. 577. Hierzu z.B. auch Wissowa 1912, 381-386; Heiler 1921, 78f.; Fyntikoglou/ Voutiras 2005, 168-170. Anders die linguistische Definition bei Searle/ Vanderveken (1985, 193), die Geloben (vow) als feierliches Versprechen (ohne zusätzliche Bedingung) definieren. 661 Meine Lesung weicht durch die Zuordnung des t von der des Erstherausgebers Marco Simón (2004) ab. Somit lese ich invenia‹s› • tunc statt inveniat ‹h›unc. 662 Hierfür findet sich ein Mal auch das Nomen devotio (dfx 3.22⁄2). Zu dieser besonderen Semantik s. A: II.3.1; B: II.6.3.3. 165 Dem obengenannten Gott gibt sie den dritten Teil, damit er diese Dinge, die oben geschrieben sind und die abhanden gekommen sind, zurückfordert. Insgesamt kann die ‘Gelübdeformel’ der Verstärkung einer an die Gottheit gerichteten Aufforderung dienen, gegen die Zielperson vorzugehen: Zum einen verspricht die in Aussicht gestellten Gegenleistung eine gesteigerte Attraktivität des Auftrags; zum anderen erzeugt das Gelübde auf seiten des göttlichem Kommunikationspartners zugleich auch eine Vertragspflicht, die ihn im voraus an die Ausführung der Bitte bindet. IV.4.1.5 Die ‘Drohformel’ In einem einzelnen Fall wird eine imperativisch formulierte Aufforderung (fac Sextilius, Dionysiae filius, ne somnum contingat 663 ‘sorge dafür, daß Sexitilius, der Sohn der Dionysia, keinen Schlaf bekommt’) durch die Drohung unterstützt, bei Nichterfüllung des Aufforderungsinhaltes eine heilige Stätte zu zerstören (1a). 664 Wie im Falle des Gelübdes handelt es sich auch bei der ‘Drohformel’ um einen Konditionalsatz: (1a) Si minus, descendo in adytus Osyris et dissolvam tØn tafÆn et mittam, ut a flumine feratur. (dfx 11.2.1⁄8) Wenn nicht, steige ich in das Heiligtum des Osiris hinab und löse sein Grab auf und werfe es in den Fluß, damit es weggetragen wird. In der Protasis wird der Inhalt der vorangegangenen Aufforderung (in elliptischer Form) wiederaufgenommen; dabei zeigt die Satznegation minus an, daß nur die Nichtbefolgung der Aufforderung als relevant für das weitere Vorgehen betrachtet wird. Die Apodosis bringt die in Aussicht gestellten Sanktionen zum Ausdruck, auf deren Ausführung sich der defigens bei Unterlassung der geforderten Handlung festlegt. Für den Drohenden entsprechen sie einer „Selbst-Verpflichtung […], die er an die Fremd- Verpflichtung des Hörers koppelt“. 665 Zu dieser ‘Drohformel’ tritt ein Aussagesatz, in dem der defigens die Identität des Dekansterns einer übergeordneten Macht annimmt und sich folglich in einer dominanten Stellung gegenüber dem Adressat der Drohung positioniert (1b): 666 663 dfx 11.2.1⁄8. 664 Vgl. z.B. Audollent (1904, 372), mit Verweis auf Maspero: „[D]epuis [le dépècement d’Osiris], tout le clan de ses dieux amis […] ne sont occupés qu’à veiller autour de son tombeau pour empêcher Typhon d’y pénétrer et de détruire une seconde fois la momie divine. Les magiciens profitaient de cet état de choses pour obtenir le concours de toutes les divinités amies d’Osiris.“ Diese Legende um Osiris führt auch Frazer (1968, 75) an, um den ‘Götterzwang’ zu veranschaulichen. 665 Wagner 2001, 207. 666 Dabei handelt es sich um die sogenannte ‘ich-bin’-Formel ( §g"-e " m ! -Formel): Hier reflektiert sich ein Rollenspiel, bei dem sich der rituell Handelnde mit einer großen Macht identifiziert, um auf die angerufenen numinosen Mächte Zwang auszuüben. Diese hieratische Formel stammt ursprünglich aus dem Isiskult. Vgl. hierzu etwa 166 (1b) Ego enim sum magnus decanus dei, magni dei AXRAMMAXALALA. (dfx 11.2.1⁄8) 667 Ich bin nämlich der große Dekan des Gottes, des großen Gottes AXRAMMA- XALALA. Die zusätzliche Feststellung dieser Überlegenheit stützt wiederum die vorangegangene Drohung; durch die kausal-explikative Konjunktion enim ‘nämlich’ wird die Identifikation mit dem decanus überdies in einen expliziten Kausalzusammenhang mit der Ausführung der angedrohten negativen Folgen gebracht: Die Möglichkeiten für ihre Umsetzung werden folglich aufgrund der durch die Identität mit dem decanus vorliegenden Machtfülle als gegeben ausgewiesen. Die pragmatische Funktion der ‘Drohformel’ soll den Erfolg der Aufforderung sicherstellen. Mit dem sprachlichen Verfahren der Identifikation wird überdies auch die Wirksamkeit der Drohung garantiert, da diese davon abhängt „inwieweit es dem Sprecher gelingt, die Ernsthaftigkeit seiner Ankündigung dem Hörer klar zu machen“. 668 Die ‘Option der Zurückweisung’ bzw. die ‘Ablehnungsmöglichkeit’ auf seiten der adressierten numinosen Macht sind mit dieser komplexen sprachlichen Strategie auf ein Minimum reduziert. IV.4.1.6 Die ‘Warnformel’ Ein einziges Mal verbindet sich eine ebenfalls konditional formulierte Warnung mit der Aufforderung, die Zielperson zu beseitigen: (1) Si forte te seducat per aliqua artificia et rideat de te et exsultet tibi, vince, peroccide filium maris, Praesenticium Pristinarium. (dfx 1.4.4⁄4) Wenn er dich durch irgendwelche List verführt oder über dich lacht und dich verhöhnt, besiege, erledige Praesenticius Pristinarius, den Sohn des Meeres. Im Rahmen der Warnung wird die adressierte Gottheit auf ein mögliches Fehlverhalten von seiten des anvisierten Opfers hingewiesen, von dem sie selbst betroffen wäre. Für den Fall, daß sich der Sachverhalt wie vorausgesagt einstellt, wird die Gottheit aufgefordert, mit einer Bestrafung zu reagieren. Mit dieser Formel verfolgt der defig ens zwei Ziele, ein offenes und ein verdecktes: Zum einen soll die Gottheit offensichtlich vor der Lästerung gewarnt werden. Zum anderen aber suggeriert sie dem göttlichen Adressaten auch, dem Frevler zuvorzukommen, ihn gewissermaßen vorsorglich zu „erledigen“, um eine mögliche „Verführung“ oder „Verhöhnung“ zu ver- Suppl. Mag. I, 18, Nr. 6, Zeile 1 (mit grundlegender Literatur). Daneben auch Kropp 1930, 145-147; Graf 1996, 106f.; ders. 1997, 126f.; 130 (mit zahlreichen Belegen aus den Zauberpapyri). 667 Zu den Dekansternen in der ägyptischen Zeitrechnung und ihrer Deutung als himmlische Sternmächte vgl. Kropp 1930, 28-30; Gundel 1936, 226-243; 288-299, bes. 290; Kákosy 1995, 2974; 3036f. 668 Wagner 2001, 207. 167 hindern. Die Warnung wird also mit der Absicht eingesetzt, die göttliche Macht gegen die Zielperson aufzubringen, „indem man ihr ein übles Verhalten der Gottheit gegenüber andichtet“. 669 Auch bei der Warnung handelt es sich folglich um eine verbale Strategie, mittels derer die Durchsetzung einer Aufforderung sichergestellt werden soll. Anders als bei der Drohung basiert ihre Wirkung weniger auf einem besonderen Machtverhältnis, ebensowenig beruht sie, wie im Falle der Klage, auf der Rechtmäßigkeit der Anfrage; vielmehr erhöht die verleumderische Warnung die Interventionsbereitschaft auf seiten des göttlichen Adressaten, weil dieser davon überzeugt wird, aus Selbstschutz zu handeln: Schließlich wäre es aufgrund der zu erwartenden Folgen für die Gottheit selbst von Nachteil, der Aufforderung, Praesenticius zu „erledigen“, nicht nachzukommen. 670 IV.4.2 Sprachliche Strategien zur Sicherung von Aufnahmebereitschaft, Vollständigkeit und Unmißverständlichkeit IV.4.2.1 Listen und Kataloge Ein rekurrentes, für ‘religiös-magische’ Texte typisches Muster sind Listen und Kataloge. 671 Neben Eigennamen von Menschen und Gottheiten begegnen regelmäßig sogenannte ‘Glieder-defixiones’ (1-4): 672 Als detaillierte anatomische Kataloge können sie Bestandteile des menschlichen Körpers (1; 3) ebenso wie abstrakte Begriffe enthalten, die z.B. auf körperliche oder materielle Verhältnisse des anvisierten Opfers referieren (2; 3). Aneinandergereiht sein können auch verschiedene Krankheitssymptome (4). Die durch die Auflistung erreichte größtmögliche Präzisierung und Komplettierung der dargebotenen Information zielt darauf ab, eventuellen Fehlauslegungen oder Versäumnissen vorzubeugen: 673 (1) Manus, pedes, oculique (dfx 4.3.2⁄1) Hände, Füße, Augen (2) vitam, valetudinem, quaestum (dfx 1.5.2⁄1) Leben, Gesundheit, Gewinn 669 Graf 1996, 199. Diese Formel erinnert an die in den griechischen Vergleichstexten häufiger wiederkehrende diabolÆ , das ‘Verleumdungsgebet’. Vgl. hierzu etwa Kropp 1930, 139-147; Eitrem 1941, 49; Graf 1996, 163-166; 205 (mit Beispielen aus den Zauberpapyri). 670 Vgl. z.B. Rolf 1997, 180. 671 Vgl. die umfassende Darstellung bei Gordon (1999b) zur Genese von Listen, insbesondere im Zusammenhang mit literarischen Modellen, individueller Schreibfähigkeit und öffentlichen Dokumenten. Zu Aufzählungen im carmen vgl. Addabo 1991, 15-17; Dangel (1997), die dieses sprachliche Verfahren anhand der präliterarischen carmina darlegt. Zu Listen im Zusammenhang mit Fachsprache und Schriftlichkeit vgl. auch Koch 1988, bes. 32-41; ders. 1990 (mit umfassendem Textcorpus). 672 Der Terminus „Glieder-Defixion“ stammt von Preisendanz (1972, 10). Ein typisches Beispiel ist dfx 1.4.2⁄3; vgl. hierzu auch Versnel 1998. 673 Dangel (1997, 115) spricht von „approche analytique et cumulative des concepts“. 168 (3) Malchio Niconis: oculos, manus, digitos, […] mentulam, crus, quaestum, lucrum, valetudines defigo in his tabellis. (dfx 1.4.2⁄3) Malchio, Sohn des Nico: Seine Augen, Hände, Finger, […] Glied, Unterschenkel, Gewinn, Vorteil, Gesundheit durchbohre ich auf diesen Täfelchen. (4) […] patiatur febris, frigus, tortiones, pallores, sudores, obripilationes meridianas, interdianas, serotinas, nocturnas. (dfx 1.4.4⁄4) […] erleiden soll er Fieber, Kälteschauer, Koliken, Angstattacken, Schweißausbrüche, Fieberschauer(? ) am Mittag, am Tag, am Abend, in der Nacht. In den ‘Glieder-defixiones’, die auf innere wie äußere physische Erfassung des Opfers ausgelegt sind, spiegelt sich die Körperzentriertheit der Verwünschung wider. Die Auswahl der Elemente kann dabei mit dem Grund der Verwünschung korrelieren, z.B. wenn „Hände, Füße [und] Augen“ der Zielperson als wichtigste Diebeswerkzeuge ins Visier genommen werden (1). Diejenigen Aufzählungen, die sich auf andere Aspekte des menschlichen Lebens beziehen, lassen zudem das Bestreben erkennen, die Zielperson nicht nur körperlich, sondern auch in ihrer Mehrdimensionalität und Komplexität zu erfassen (3). Der inhaltliche Aufbau dieser Listen kann nach unterschiedlichen Schemata erfolgen. So bestehen die ‘Glieder-defixiones’ vielfach aus nahezu exhaustiven Aneinanderreihungen von Körperteilen und Organen (3): In diesem Fall wird kein besonderer Akzent gelegt, vielmehr ist die Vollständigkeit der Liste entscheidend. Die logische Organisation der Aufzählung kann dabei natürlichen Kriterien verpflichtet sein, d.h. etwa die menschliche Anatomie in auf- oder absteigender Reihenfolge abbilden; 674 bisweilen erfolgt die Anordnung auch antithetisch. Optische Mittel, die die Aufzählungsstruktur signalisieren, werden nicht eingesetzt. 675 IV.4.2.2 Wortiterationen und Synonymenhäufungen Syntaktisch gleichlaufende, asyndetische Aneinanderreihungen können nicht allein auf Vollständigkeit und Zugewinn, sondern vor allem auf Hervorhebung der Information ausgelegt sein. Inhaltliche und formale Redundanzen zielen dabei auf die Erhöhung von Aufmerksamkeit und Aufnahmebereitschaft auf seiten des Kommunikationspartners ab. Nicht zuletzt weisen die damit einhergehenden Rhythmisierungen und Klangfiguren die listenartigen Reihungen als sprachliche Strategie aus, „die nicht auf Informativität, sondern ‘auf emotionale Eindringlichkeit’ abzielt“: 676 674 Z.B. dfx 1.4.1⁄1, das den Körper von oben nach unten ins Visier nimmt. 675 Die einzige Ausnahme stellt eine defixio aus Pula dar (dfx 1.7.5⁄1). Die Namensliste zeigt durch die Aufteilung in zwei Spalten die soziale Differenzierung an: Links erscheinen die Familien- und Beinamen freier römischer Bürger (insg. elf), rechts eine als Sklaven ausgewiesene Personengruppe (insg. neun). Zu den Berufsbezeichnungen und Namen vgl. den Kommentar von Sticotti (1905, 220-223). 676 Riehl 1995, 54 (mit Bezug auf Blumenthal, s. ebd., Anm. 51). 169 (1) Delicatianus, Capria, […] cadant; Dextroiugus, Novus […] cadant; Hilarinus, Polydromus […] cadant; […]. (dfx 11.2.1⁄9) 677 Delicatianus, Capria, […] sollen fallen; Dextroiugus, Novus […] sollen fallen; Hilarinus, Polydromus […] sollen fallen; […]. (2) neque ursum neque taurum singulis plagis occidat neque binis plagis occidat neque ternis plagis occidat taurum, ursum (dfx 11.1.1⁄22) weder den Bären noch den Stier soll er mit je einem Schlag töten, noch mit je zwei Schlägen töten soll er, noch mit je drei Schlägen töten soll er den Stier, den Bären (3) omnium suorum et amicorum omnium et omnium virorum (dfx 11.2.1⁄4) 678 all ihre Verwandte und ihre Freunde alle und alle Männer (4) […] ut facias vulneratos, cruentatos de amphitheatro exire […]. (dfx 11.1.1⁄23 […] damit du dafür sorgst, daß [sie] verwundet, blutüberströmt aus dem Amphitheater hinausgehen […]. (5) […] cadant, frangantur, disfringantur […]. (z.B. dfx 11.2.1⁄12) 679 […] sie sollen fallen, zerschmettert werden, auseinanderbrechen […]. (6) […] obligetis, perobligetis, […], absumatis, desumatis, consumatis cor, membra, viscera, interanea Maurussi […]. (dfx 11.1.1⁄25) […] binden, völlig binden […], aufzehren, wegzehren, verzehren sollt ihr das Herz, die Glieder, die Gedärme, die Eingeweide des […] Maurussus. (7) iam, iam, cito, cito (z.B. dfx 11.1.1⁄15) 680 bald, bald, schnell, schnell (8) ex hoc die, ex hac hora, ex hoc momento (dfx 11.2.1⁄28) von dieser Stunde, von diesem Tag, von diesem Augenblick an (9) lingua, lingua, lingua linguarum (dfx 11.1.1⁄10) 681 Zunge, Zunge, Zunge der Zungen (10) Facias illos mutos, muturungallos, mutulos (dfx 11.1.1⁄5) mache sie stumm, stumm, stumm 677 Die Verbform cadant ‘sie sollen fallen’ erscheint in dieser Tafel insgesamt neun Mal. 678 Zu dieser Stilfigur in den griechischen ‘Fluchtafeln’ vgl. auch Kagarow 1929, 36. 679 Auf der Tafel findet sich die unklassische Form disfrangantur (s. auch B: II.6.4.2). 680 Hierbei handelt es sich um die direkte Übertragung des griechischen Ausdrucks #de, #de, taxÊ, taxÊ . Hierzu vgl. z.B. Versnel 1987, 20. Von den Ritualpräskripten wird dieser Ausdruck ebenfalls als nahezu standardisiertes Textelement, das in verschiedenen Zusammensetzungen begegnet, ausgewiesen. 681 Zu den stilistischen Mitteln der griechischen Parallelzeugnisse vgl. Kagarow (1929, 34-44), der „Gleichklang und Rhythmus“ (37) als „charakteristische Merkmale aller Arten magischer und sakraler Literatur“ (ebd.) bezeichnet. Ebenso Versnel 2005, 130- 135. 170 Erkennbar ist die Prominenz eines bestimmten Begriffsfeldes an der Iteration von Lexemen oder Lexemfolgen (1-3; 7-9) sowie der Kopräsenz semantisch äquivalenter oder verwandter Lexeme (4-7), oftmals in Form asyndetischer Aneinanderreihungen. In letzterem Fall erscheinen verschiedentlich auch Elemente derselben Wortfamilie wie z.B. präfigierte Ableitungen eines Verbums (5; 6), verschiedene Kasus eines Nomens (9) oder Phantasieformen eines Adjektivs (10). 682 Dabei sind auch Kombinationen von intensivierenden Reihungen mit komplettierenden Listen möglich (6). Direkte Wortwiederholungen können parallel (1; 2) oder chiastisch (3) angelegt sein; überdies sind asyndetische Aufzählungen oftmals als Bi- (4; 7) oder Tricola (2; 3; 5; 6; 8; 9; 10) organisiert. 683 Verschiedentlich sind festgefügte Reihungen, insbesondere von universell einsetzbaren Zeitadverbialen, in unterschiedlichen defixiones nachweisbar (7; 8). Dabei können diese rekurrierenden Textelemente zugleich als Instrument der Textgliederung fungieren: Dies zeigt sich insbesondere an direkten Wiederaufnahmen von Wörtern, die variable Satzteile einrahmen und als zentral markieren (1; 2). Daneben ergeben sich vielfach auch inhaltliche Gradationen und Akzentuierungen. So weist die Verbsemantik der Präfixableitungen gegenüber dem Grundwort eine Intensivierung auf (5; 6); 684 ebenso kann eine Klimax durch die logische Reihenfolge aufsteigender Zahlen oder Zeitangaben erreicht werden (2; 8). Die mit diesem sprachlichen Verfahren einhergehenden Klangfiguren sorgen für eine zusätzliche Hervorhebung des Informationsgehalts: 685 Durch die syntaktisch gleichlaufenden Abfolgen von Simplex und präfigiertem Derivatum ergeben sich z.B. Paronomasien (5; 6); auch durch Polyptoton (9) oder die Verfremdungen des Klangkörpers (10) kann die Signifikanz eines Lexem angezeigt sein. 686 Daß Satzklang und -rhythmus eine wichtige Rolle spielen, zeigt sich auch in einem Ausschnitt aus einer Wagenlenker-defixio (5): Die Reihung der Verbformen ist trochäisch (d.h. alternierend fallend) durchmetrisiert und imitiert den Klang von Pferdehufen. IV.4.2.3 quem-peperit-Ausdruck und andere identifikatorische Angaben Die Identifikation des defixus muß für die Wirkung der Verwünschung gesichert sein; vielfach wird das Opfer daher nicht allein durch seinen Namen, sondern auch durch verschiedene andere Angaben zu seiner Person genauer bestimmt. Üblicherweise wird die Zielperson durch ihre fami- 682 Vgl. hierzu z.B. Pocetti 2002, 31f.; Versnel 2005, 131f. 683 Zu diesen typischen Strukturen im carmen vgl. z.B. Addabo 1991, 23f.; Dangel 1997, 115; 117; Pocetti 2002, 31f.; Blänsdorf 2004, 57f. (Kommentar zu dfx 5.1.5⁄2). 684 Hierzu s. B: II.6.3.2. 685 Zur pragmatischen Funktion der Klangfiguren in den carmina vgl. auch Dangel (1997), die von einem „langage mnémonique“ (114) spricht. 686 Vgl. z.B. auch dfx 11.2.1⁄42: muti mutili sint. Hierzu s. auch B: II.6.4.9. 171 liäre Abstammung bestimmt (1; 2), bisweilen auch durch Berufsangabe bzw. Amtsbezeichnung (3) oder das Verhältnis zum defigens (4): (1) M(arcum) Heium M(arci) f(ilium) Calidum, Blossiam C(ai) f(iliam), P(ublium) Heium M(arci) f(ilium) Calidum, Chilonem Hei M(arci) s(ervum), […], C(aium) Blossium ! l(ibertum) […] (dfx 1.5.3⁄2) 687 Den Marcus Heius Calidus, den Sohn des Marcus, die Blossia, die Tochter des Caius, den Publius Heius Calidus, den Sohn des Marcus, den Chilo, den Sklaven des Heius Marcus, […], den Caius Blossius, den Freigelassenen seiner Frau […]. (2) Gallicum, quem peperit Prima (dfx 11.1.1⁄22) Gallicus, den Prima gebar (3) Vitalis disp(ensator), […] Anconius qui vilicavit (dfx 1.7.5⁄1) Vitalis, der Schatzmeister, […] Anconius, der ehemalige Hausverwalter. (4) Marius Fronto, adversarius Sextii. (dfx 5.1.2⁄1) Marius Fronto, der Widersacher des Sextius Für die vollständige Benennung des Zielindividuums erscheinen die vier Kernelemente der traditionellen römischen Nomenklatur (1): 688 praenomen (Vorname), nomen gentile (Familienname), Filiation und cognomen (Beiname). Die Herkunftsangabe erfolgt bei Kindern (filius bzw. filia) mit dem Vor- und Familiennamen des Vaters, bei Sklaven (servus) und Freigelassenen (libertus) mit dem des (ehemaligen) Eigentümers; Anleihen aus dem offiziellen Sprachgebrauch finden sich dabei in Form gängiger Abkürzungen für praenomina und Filiationsangabe (f für filius). Der quem-peperit-Ausdruck (2) gibt die Abstammung der Zielperson im Rahmen eines festgefügten Relativsatzes über das Metronym, den Mutternamen, an; 689 dieser Ausdruck ist auf die kaiserzeitlichen defixiones aus Nordafrika beschränkt. 690 In der ausschließlichen Verwendung des Metronyms im Rahmen des quem-pepe rit-Ausdrucks ist einerseits eine für magische Praktiken typische Umkehrung bestehender sozialer Normen zu se- 687 Bei liberti ‘Freigelassenen’ von Frauen, die keinen der üblichen, den Männern vorbehaltenen praenomina haben, steht die Abkürzung ! , ein umgedrehtes C, für Gaia ‘Frau’, vgl. hierzu z.B. Meyer 1991, 87; 91. 688 Zur römischen Onomastik vgl. einführend z.B. Rix 1995; Schumacher 2001, 22-26; Solin 2002 (mit weiterführender Literatur, bes. 1f., Anm. 1). Zu den grundlegenden Nachschlagewerken zählen Kajanto 1965; Solin/ Salomies 1994. Speziell zur Entwicklung von der Dreinamigkeit zur Einnamigkeit vgl. auch Castritius 1997; Solin 2002, 4- 13. 689 Als einzige Ausnahme weist eine stadtrömische defixio (dfx 1.4.4⁄5) den Vatersnamen auf: Auricincta […], quae nascitur de matre cum Samio ‘Auricincta […], die von der Mutter mit Samius geboren wurde’. 690 Zur matrilinearen Filiation vgl. bereits Wünsch 1898, 64; Audollent 1904, LIf.; Jordan 1985b, 212, Anm. e; Gager 1992, 14; Graf 1996, 116. Versnel (2002, 135f., Anm. 76) geht kurz auf die kontroverse Diskussion ein, ob der matrilinearen Filiation auf den defixiones eine ägyptische Tradition zugrundeliegt. Eine eingehende Analyse des quempeperit-Ausdrucks und seiner Varianten anhand von dfx 11.3.1⁄1 bietet Jordan 1976. 172 hen, nach denen die Herkunftsangabe einer Person über den Vater zu erfolgen hat. Da jedoch nur die Nennung der Mutter völlige Sicherheit über die Abstammung einer Person geben kann, spiegelt sich hierin andererseits auch das für magische Texte charakteristische Streben nach größtmöglicher Eindeutigkeit. IV.4.2.4 ‘all-inclusive-formulas’ und vergleichbare Verfahren zum Ausgleich von Informationslücken Nicht immer ist dem defig ens der Name der zu verwünschenden Person(en) oder der zu adressierenden Gottheit(en) sicher bekannt; fehlende Informationen zum Täter sind vielmehr ein Charakteristikum der ‘Gebete für Gerechtigkeit’. Um dennoch Angaben zur Person machen zu können, wird auf verschiedene sprachliche Verfahren zurückgegriffen. Regelmäßig erscheint die sogenannte ‘all-inclusive-formula’, 691 eine mit ‘ob - oder’ (meist si - si) 692 eingeleitete indirekte Doppelfrage (1-3): (1) Quicumque res Vareni involaverit, si mulier si mascel […]. (dfx 3.12⁄1) Wer auch immer die Dinge des Varenus gestohlen hat, ob Frau oder Mann […]. (2) Si quis […] involavit […], si liber si servus, si puer si puella, si vir si mulier. (dfx 3.2⁄28) Wenn einer […] gestohlen hat […], ob Freier oder Sklave, ob Knabe oder Mädchen, ob Mann oder Frau. (3) Dono si mulier si baro, si servus si liber, si puer si puella. (dfx 3.2⁄36) Dem Tempel der Sulis gebe ich, ob Frau oder Mann, ob Sklave oder Freier, ob Knabe oder Mädchen. Diese Konstruktion umfaßt mehrere Glieder mit jeweils paarweise angeordneten Begriffen, die sich antithetisch zueinander verhalten. Typisch sind die Gegenüberstellungen der menschlichen Grundkategorien ‘Frau’ und ‘Mann’ bzw. ‘Mädchen’ und ‘Knabe’ (1-3). Daneben finden sich aber auch die Oppositionen ‘Freier’ und ‘Sklave’ (2; 3), ‘Christ’ und ‘Heide’ sowie ‘Soldat’ und ‘Zivilist’. Durch die Verwendung dieser Hyperonyme sind die Einschlußkriterien für die defixio möglichst weit angelegt. Diese nahezu festgefügte Wendung hat folglich die Funktion, im Hinblick auf die Identität des defixus sämtliche Möglichkeiten abzudecken. Die Einsetzung dieser Textteile kann abrupt und bisweilen auch ungrammatisch sein (3), woran ihre Formelhaftigkeit klar erkennbar wird. Zur Vermeidung oder Abmilderung einer Fehlbenennung werden vereinzelt feste Wendungen gebraucht, innerhalb derer zwei Alternativen, getrennt durch die disjunktive Konjunktionen sive ‘oder (wenn)’, einander 691 Der Terminus entstammt Tomlins Kommentar zu dfx 3.14⁄5 (Tomlin 2003, 361, Anm. 5). Ebenso Tomlin (1988) zu diesen „quasi-legal catch-all formulas“ (95) und den „mutually exclusive alternatives“ (67). 692 Zu dieser nicht-klassischen Variante s. B: II.5.2.2. 173 gegenübergestellt werden (4; 5); dabei handelt es sich um Eigennamen (4; 5) oder juristische Ausdrücke, die funktionsgleich eingesetzt werden (5): 693 (4) Martia sive Martina (dfx 3.14⁄4) Martia oder Martina (5) […] uti vos, Aquae ferventes, sive vos Nymphae sive quo alio nomine vultis appellari […]. (dfx 1.1.1⁄1) 694 […] damit ihr, heiße Quellen, oder wenn ihr Nymphen oder mit irgendeinem anderen Namen gerufen werden wollt […]. Vergleichbare Ergänzungen finden sich auch nach längeren Namenslisten; regelmäßig sind dies verallgemeinernde Relativsätze (6) oder sinngleiche Konditionalsätze (7), die den Kreis der Opfer möglichst weit ziehen sollen: (6) Caius Volusius Maximus […]. Quicumque adversari sunt omnes. (dfx 8.2⁄1) Caius Volusius Maximus […]. Wer auch immer all meine Widersacher sind. (7) Titus Octavius Titi libertus, […]. Si quis adversarius aut adversaria. (dfx 1.4.2⁄1) Titus Octavius, der Freigelassene des Titus, […]. Wenn irgendeiner Widersacher oder Widersacherin (ist). Mit denselben sprachlich-grammatischen Strukturen wird auch in den ‘prayers for justice’ die Informationslücke bezüglich der Identität des Verwünschten überbrückt (1; 2). Sehr selten kann der unbekannte Name auch mit dem Substantiv nomen ‘Name’ und der Täterbezeichnung (8) umschrieben sein: (8) nomen furis der Name des Diebes (dfx 3.2⁄15) 695 Die unterschiedlichen sprachlichen Verfahren fungieren als Absicherungsstrategie, da sie der Zauberwirkung abträgliche Informationsmängel zu defixus und involvierten Gottheiten ausgleichen oder abmildern. Im Zusammenhang mit Götternamen erklärt sich dies insbesondere durch die Tatsache, daß Falschadressierungen den reibungslosen Ablauf der Kommunikation stören und den defigens selbst gefährden können. IV.4.2.5 Feststehende Glossarausdrücke und ‘metasprachliche Determinanten’ Zur möglichst präzisen und unmißverständlichen Darlegung des Sachverhaltes finden sich in Anlehnung an den juristisch-formalen Sprachgebrauch vielfach explizierende bzw. textorganisierende Wendungen. Hierzu zählen 693 Vgl. z.B. einen Kaufvertrag (CIL 3, 2, S. 940f.), der als Ergänzung zum Namen des gekauften Jungen die analoge Formel sive is quo alio nomine est enthält (hierzu s. auch A: IV.3.5.1). 694 Zu diesem für den religiösen Kontext typischen Formular vgl. insbesondere Alvar 1985 (mit umfangreicher Quellensammlung); Rüpke 2001a, 26. 695 Vgl. hierzu z.B. auch den Kommentar von Tomlin (1988, 119). 174 z.B. der feststehende Glossarausdruck id est ‘das heißt’ (1); 696 daneben erscheinen ‘metasprachliche Determinanten’, oftmals sogar in der standardisierten Abkürzung (2; 3): (1) pecuniam, quam […] amisi, id est (denarios) V (dfx 3.2⁄26) das Geld, das mir abhanden gekommen ist, d.h. 5 Denare (2) eas res, q(uae) i(nfra) s(criptae) s(unt): tunicas VI […] (dfx 2.3.1⁄1) diejenigen Dinge, d(ie) u(nten) g(eschrieben) s(ind): 6 Tuniken […] (3) quando res ssdictas ad fanum ssdictum attulerit (dfx 3.22⁄3) 697 wenn er die obenstehendgenannten Sachen zum obenstehendgenannten Tempel gebracht haben wird Diese anabzw. kataphorischen Verweise werden zu Referenzsicherung und Strukturierung des Textes eingesetzt und sollen folglich das Textverständnis von seiten des Adressaten garantieren. Sie sind nahezu ausnahmslos auf die bisweilen vertragsartig wirkenden ‘Gebete für Gerechtigkeit’ beschränkt. Zugleich nehmen sie auf den Schriftcharakter der defixio Bezug (2); die mechanische Übernahme dieser festgefügten Ausdrücke zeigt sich in Abschreibe- oder Auflösungsfehlern (3). IV.4.2.6 Analogien Wie bereits dargelegt, werden im Rahmen von ‘Vergleichs’- oder ‘Analogieformeln’ 698 üblicherweise die rituelle Situation und die gewünschten Auswirkungen auf das Zielindividuum zueinander in Bezug gesetzt (s. A: III.3.5.2). Hierfür wird der durch die korrelierenden Konjunktionen ‘so - wie’ (meist quomodo - sic) 699 gegliederte Komparativsatz verwendet; dabei verweist der mit quomodo eingeleitete indikativische Nebensatz auf einen bestimmten Aspekt des magischen Rituals, der mit sic beginnende Hauptsatz thematisiert hingegen die Wirkung des Zaubers im Rahmen der ‘Übergabe’- (1) oder ‘Aufforderungsformel’ (2; 3): (1) […] quomodo plumbum subsidit, sic Sintonem et Martialem Sintonis et adiutorium Sintonis […] defero ad inferos. (dfx 5.1.4⁄5) […] wie das Blei hinabfällt, so sende ich Sinto und Martialis, den Sohn des Sinto, und den Beistand des Sinto […] den Unterirdischen hinab. (2) Quomodo hoc plumbum non paret et decidit, sic decidat aetas, membra, vita […]. (dfx 4.4.1⁄1) 696 Vgl. hierzu z.B. Biville 2006. 697 Die Abkürzung ss (für suprascriptus ‘obenstehend’) wurde wohl nicht mehr verstanden und um ein dictus (also suprascriptusdictus ‘obenstehendgenannt’) erweitert. 698 Der Wunschsatz innerhalb eines Vergleichs erscheint bei Kagarow (1929) als ‘Vergleichungsformeln’ (T17-T18), bei Faraone (1991) als ‘similia similibus formula’ (s. auch A: IV.2.3). 699 Zu diesen subordinierenden Konjunktionen s. auch B: II.5.2.2. 175 Wie dieses Blei nicht auftaucht und untergeht, so soll untergehen seine Jugend, seine Gliedmaßen, sein Leben […]. (3) Quomodo mortuus qui istic sepultus est nec loqui nec sermonari potest, sic Rhodine apud Marcum Licinium Faustum mortua sit nec loqui nec sermonare possit. (dfx 1.4.4⁄3) Wie der Tote, der da begraben ist, weder sprechen noch reden kann, so soll auch Rhodine bei Marcus Licinius Faustus tot sein und weder reden noch sprechen können. Die Parallelisierung zwischen aktueller ritueller Situation und erwünschtem Zustand des defixus bezieht sich entweder auf auf die rituelle Versenkung der Bleitafel (1; 2) oder auf den oder die am Ablageort Bestatteten (3). Zum einen kann die metaphorische Handlung fokussiert sein. So wird durch die ‘Analogieformel’ eine Beziehung zwischen einem tatsächlichen Ereignis, dem rituellen Versenken der ‘Fluchtafel’, und dem gewünschten Ergebnis der Zauberhandlung, dem Tod des Opfers (1) oder dem Niedergang seiner Besitztümer (2), etabliert. Zum anderen können die Einwirkungen auf das Zielindividuum auch in der Angleichung des anvisierten Opfers an den Analogieträger durch die Übertragung negativer Eigenschaften bestehen: Als Tertium comparationis fungiert dabei die Sprachlosigkeit (3), die als ein hervorstechendes Merkmal des Bezugsobjekts wahrgenommen wird. In der Terminologie von S. J. Tambiah wird diese Form ritueller Sprachmuster als „persuasive Analogie“ 700 bezeichnet, die, im Gegensatz zur empirischen Analogie, nicht die Vo r h e r s a g e erklärungsbedürftiger oder zukünftiger Gegebenheiten auf der Grundlage beobachtbarer Analogien zum Ziel hat, sondern die B e e i n f lu s s u n g zukünftiger Ereignisse in Analogie zu einem vorgegebenen Muster bewirken soll. Die zugehörige Ritualhandlung, die sich, wie im Falle der defixiones, aus verbalen und non-verbalen Elementen zusammensetzt, beschreibt S. J. Tambiah mit folgenden Worten: Die Gegenstände, die manipuliert werden, werden auf der Grundlage von Ähnlichkeit und Differenz auf Analogien hin ausgewählt, um Bedeutung zu transportieren. Von der performativen Seite her gesehen, besteht die Handlung darin, daß an einem symbolischen Gegenstand etwas durchgeführt wird, wodurch eine kategorische und tatsächliche Übertragung seiner Eigenschaften auf den Empfänger erfolgen soll. Oder anders gesagt: an zwei Gegenständen sieht man Ähnlichkeiten und Differenzen, und es wird versucht, die wünschenswerte Eigenschaft vom einen auf den anderen, dem sie fehlt, zu übertragen. 701 Dies bedeutet nun, daß bei der so beschriebenen ‘persuasiven’ Analogiebildung „oberflächliche Ähnlichkeiten“ 702 oder aber eine Vergleichsgrund- 700 Tambiah 1978, bes. 265-294 (Zitat S. 275); s. auch A: III.3.3; A: III.3.5.2. Hierzu auch Faraone 1991, 8; Versnel 2002, 122-130. 701 Tambiah 1978, 288. 702 Ebd., 278. 176 lage zwischen den jeweiligen Objekten erkannt werden muß, um in einem nächsten Schritt bestehende „Differenzen“ durch die Übertragung der gewünschten Merkmale des einen Vergleichsobjekts auf das andere aufzuheben. Für die ‘Analogieformeln’ auf den defixionum tabellae ist hingegen entscheidend, daß Ähnlichkeitsbeziehung und Vergleichspunkt in der außersprachlichen Wirklichkeit nicht gegeben sind; 703 vielmehr werden diese Zusammenhänge allein über die rituelle (Sprech)handlung, d.h. über den sprachlich vollzogenen Transfer der gewünschten Eigenschaft konstituiert. Entsprechend der von S. J. Tambiah beschriebenen Ritualformen dienen auch im Falle der defixiones die jeweils fokussierten Elemente aus dem rituelle Kontext, Ritualobjekte wie -handlungen, als Modell für die Realisierung der Verwünschung. Die Auswahl der Ritualobjekte ist folglich nicht über Beschaffenheit und Aussehen, sondern über ihre Funktion im Ritualablauf gesteuert. IV.4.2.7 Honorifica Zum Götternamen können verschiedene Zusätze hinzutreten, wie honorative Titel (1) oder preisende Epitheta (2) (s. auch A: III.3.6.4): (1) […] dono maiestati tuo sagellum […]. (dfx 3.2⁄25) […] ich gebe deiner Hoheit meinen Mantel […]. (2) Bona, pulchra Proserpina, Plutonis uxor (dfx 1.4.4⁄8) Gute, schöne Proserpina, Gattin des Pluto Hierbei handelt es sich um status- und distanzmarkierende oder Ehrfurcht bekundende Abmilderungsstrategien, mit denen ausdrücklich auf übermenschliche Machtfülle und Charakteristika des göttlichen Kommunikationspartners verwiesen wird; zugleich sind diese Zusätze ein Zeichen für den respektvollen und demütigen Umgang mit einem hierarchisch höher positionierten Kommunikationspartner. IV.4.3. Der ‘Durchsetzungsmodus’ Für den Handlungstyp Auffordern gilt nach Searle, daß der Sprecher/ Schreiber eine zukünftige Handlung von seiten des Kommunikationspartners zu bewirken versucht. 704 Nicht jede Aufforderung ist dabei in gleicher 703 Vgl. Faraone 1991, 10: „The so-called similia similibus formula, which is better understood as a form of ‘persuasive analogy’ […], in which the binding is accomplished by a wish that the victim become similar to something to which he or she is manifestly dissimilar.“ 704 Vgl. Searle 1971, 100f. Zu der von Searle hinsichtlich des propositionalen Gehalts vorgenommenen Eingrenzung auf eine „zukünftige Handlung A von H“ (Searle 1971, 100) bemerkt z.B. Liedtke (1993, 68), daß neben Handlungen auch „andere Arten von Aktivitäten“ denkbar sind. Im Fall der defixiones spielt diese Differenzierung allerdings keine Rolle, da stets die Einwirkung auf die Zielperson bezweckt wird. 177 Weise bindend; je stärker der Adressat an die Aufforderung gebunden werden kann, desto wahrscheinlicher ist auch ihre Durchsetzung. Der ‘Durchsetzungsmodus’ einer Aufforderung kann folglich je nach außersprachlichem Kontext stark variieren (s. auch A: IV.1.2.2). 705 Tatsächlich lassen sich Aufforderungshandlungen als „Skala mit zwei Extremen“ 706 abbilden, an deren einem Ende „Befehl/ Nötigung“, 707 am anderen die „flehentliche Bitte“ 708 stehen würde. Mit anderen Worten: Befehl und Bitte scheinen sich wesentlich darin zu unterscheiden, daß es mit einer Bitte in das Belieben des Adressaten gestellt ist abzulehnen, [der Aufforderung] nachzukommen, mit einem Befehl dagegen nicht. 709 Dies bedeutet, daß dem Adressaten einer Bitte die „Option der Zurückweisung“ 710 grundsätzlich offensteht, während der Empfänger eines Befehls keine vergleichbare „Ablehnungsmöglichkeit“ 711 besitzt. In letzterem Fall begünstigen besondere kommunikative Verhältnisse den Sprechhandelnden gegenüber dem Adressaten. Auf die Verwünschungsformeln bezogen hieße dies, daß der defigen s aufgrund seiner Positionierung vis-à-vis des übernatürlichen Kommunikationspartners seinen Aufforderungen bindenden Charakter verleihen kann. Dieser besondere ‘Durchsetzungsmodus’ kann einerseits durch eine Machtposition auf seiten des rituell handelnden Menschen, andererseits durch eine Ausführungsverpflichtung auf seiten der adressierten Gottheit begründet sein: Die Dominanz des defigens kann dabei auf besonderen magischen Kenntnissen beruhen, die sich z.B. in der Verwendung von ‘fremden und unaussprechlichen Worten’ (externa verba atque ineffabilia) 712 manifestieren. Bisweilen wird die Befolgung der Aufforderung auch durch ‘Drohformeln’ oder vergleichbare sprachliche Strategien durchgesetzt, mittels derer dem Adressaten bei Nichterfüllung des Aufforderungsinhaltes Nachteile in Aussicht gestellt werden. In diesem Sprachgebrauch reflektiert sich die Vorstellung des Götterzwangs, der gerade magischen Ritualen keineswegs fremd ist (s. auch A: V.2.2). Ferner kann die Durchsetzung einer Aufforderung auch durch ein Pflichtverhältnis des Adressaten gegenüber dem Auffordernden erreicht werden: Dies gilt vor allem für die in den ‘prayers for justice’ nachweisbaren argumentativen Strukturen, mittels derer der Tatbestand nicht einfach nur thematisiert, sondern auch ausdrücklich beklagt wird. Damit soll die Gottheit zum einen von der Rechtmäßigkeit des Anliegens überzeugt wer- 705 Vgl. Rolf 1997, 177. 706 Raible 1987, 154. 707 Ebd. 708 Ebd. 709 Lyons 1983, 352. 710 Rolf 1997, 177. 711 Lyons 1983, 352. 712 Plin. nat. 28,20. 178 den; 713 zum anderen kann sich der defigens als Hilfe- und Schutzsuchender positionieren und einen „ethischen Zwang“ 714 generieren. Diese kombinierten Legitimations- und Zufluchtsstrategien spielen für den ‘Durchsetzungsmodus’ insofern eine Rolle, als der defigens aufgrund des erlittenen Unrechts die Intervention zu seinen Gunsten von der Gottheit einfordern kann. Mit anderen Worten: „Der bindende Charakter der FORDERUNG entsteht dadurch, daß Sp[recher] 1 ‘das Recht auf seiner Seite hat’.“ 715 Die Verpflichtung zu göttlicher Gegenleistung wird in einzelnen Fällen auch durch ein Gelübde (votum) erwirkt. Die durch explizite Formeln vollzogene Bitte trägt dem zwischen den Kommunikationspartnern bestehenden Machtverhältnis insofern Rechnung, als der defigens seine Abhängigkeit von Wohlwollen und Kooperationsbereitschaft der Gottheit ausdrücklich zur Sprache bringt. 716 Tatsächlich ist davon auszugehen, daß es sich bei diesen speziellen Aufforderungshandlungen um „asymmetrische Bitten“ 717 handelt, für die ein Machtgefälle zugunsten des numinosen Adressaten kennzeichnend ist. Die Realisierung des Aufforderungsinhaltes liegt dabei völlig „im Ermessen“ 718 des Höhergestellten. Im Unterschied hierzu sind Imperativformen (und ihre konjunktivischen Äquivalente) sowie der Wunschsatz hinsichtlich ihrer ‘illokutiven Rolle’ polyvalent, da hierüber nicht der Grad der sprachlichen Direktheit Auskunft geben kann, sondern allein die dem Adressaten in der jeweiligen Kommunikationssituation eröffnete ‘Ablehnungsmöglichkeit’ ausschlaggebend ist: 719 Mit diesen sprachlichen Realisierungsmodi können neben Bitten auch bindende Aufforderungen wie z.B. Befehle realisiert werden. Auch wenn eindeutige Rückschlüsse auf den jeweiligen Handlungswert der ‘Aufforderungsformeln’ nicht immer möglich sind, läßt sich grundsätzlich jedoch feststellen, daß die Differenzen im ‘Durchsetzungsmodus’ der Aufforderungshandlungen auf Unterschiede in der jeweils zugrundelie- 713 Bisweilen kann die geforderten Rache als rechtmäßig nach göttlichem Gesetz charakterisiert sein, z.B. dfx 1.7.6⁄1: vindictam de illis fas ‘Rache an ihnen (entspricht) göttlichem Recht’. 714 Raible 1987, 154. Diesem besonderen Zwang liegt das Verhältnis Schutzgewährender - Schutzbefohlener zugrunde (in Abgrenzung zum „institutionell“ oder „körperlich“ begründeten Zwang). 715 Hindelang 1978, 296. 716 Vgl. z.B. Searle/ Vanderveken 1985, 204 (beg, supplicate etc.): „There are several verbs that mark a degree of strength of the speech act greater than ‘request’, but where the degree of strength does not derive from any power or authority. […] and in each case the act is performed in a more humble manner than is the case with requests.“ Zur Beschwörung im Alten Testament vgl. Wagner 1997, 118. 717 Hindelang 1978, 497; zu diesen Bitten vgl. auch ebd., 535-554. 718 Raible 1987, 155. 719 Vgl. hierzu z.B. Manno (2000), der von dem „caractère ‘poly-illocutoire’ de l’impératif“ (425) spricht. Die jeweilige illokutive Rolle ist insbesondere von Kontext und Verbtyp abhängig. 179 genden Hierarchiestruktur und dem kommunikativen Symmetrieverhältnis zwischen defig ens und involvierter numinoser Macht deuten: Wie auch im Hinblick auf subsidiäre sprachliche Strategien gezeigt wurde, „[reicht] die umfassende Palette von Haltungen des Magiers […] von der rücksichtslosesten Erpressung bis zur völligen Unterwerfung.“ 720 IV.5 Der Inhalt der ‘bösen Wünsche’ Die meisten ‘aggressiv-magischen’ Rituale weisen ein breites Anwendungsspektrum auf, was in den Rezepten auch thematisiert sein kann. So muß der Anwender eines ‘Herbeiführungszaubers’ „[j]e nach dem Zweck [s]eines Zauberns […] nur die Formulierung [s]einer Wünsche ändern“. 721 Auch das mehrmals angeführte Ritualpräskript zur Anfertigung einer defixio (PGM V 304-369) legt die Veränderung des Zauberspruches je nach Anwendungssituation nahe (s. auch A: III.2.2): „Wenn du aber ein Weib bannst, sag auch: ‘Auf daß nicht heirate den XY die XY’.“ Anhand bestimmter Textelemente lassen sich wiederkehrende Verwendungskontexte für die defix iones nachweisen. 722 Dementsprechend können die Zaubertafeln, in Anlehnung an A. Audollent, in vier Gruppen eingeteilt werden: (1) Prozeß-defixiones; (2) ‘agonistische’ defixiones; (3) erotische ‘Herbeiführungs’-defixiones; (4) ‘Gebete für Gerechtigkeit’ (engl. ‘prayers for justice’). 723 Keine lateinische Entsprechung gibt es zu dem durch griechische Parallelfunde belegten Einsatz von defixiones bei politisch motivierten Fehden. 724 Es existieren allerdings auch zahlreiche Verwünschungen, deren Kontext nicht erschließbar ist; dies trifft auf reine Namenslisten sowie auf Formeln zu, die zwar die gewünschten Einwirkungen auf das 720 Graf 1996, 201. 721 PGM IV 2079f. Daß gegebenenfalls auch das non-verbale Ritual an die individuellen Bedürfnisse anzupassen ist, zeigt das Beispiel des vielseitig einsetzbaren „Homerischen Dreizeilers“ (PGM IV 2145-2240): „Für eine Offenbarung: schreib auf ein Lorbeerblatt […]. Um Rennwagen zu stürzen, räuchere […] Knoblauch […]. Für Bannungen schreib auf eine Meermuschel […]. Um Gunst zu erwerben […]: schreib auf ein Goldtäfelchen […]. Bei herbeizwingenden Liebeszaubereien: räuchere Rose und Sumach […]“ (2205-2232). 722 Die Entsprechung von Wortlaut („vocabula“) und Verwünschungsgrund („causa“) stellt bereits Audollent (1904, LXXXVIII) heraus: „est requirendum quibus de causis inimicos solerent obligare, quippe cum alia roganti alia vocabula suppetant“. Verschiedene dieser „vocabula“ sind im Index unter der Rubrik „defixionum genera et causae“ (471-473) verzeichnet. 723 Vgl. Audollent 1904, LXXXVIII: „quattuor defigendi causae“; XC: „Tabellae iudiciariae et in inimicos conscriptae […]; in fures calumniatores et maledicos conversae […]; amatoriae […]; in agitatores et venatores immissae […]“. Zur Aufteilung der defixiones vgl. auch Faraone 1991, 10f., Ogden 1999, 31-44. 724 Vgl. z.B. Faraone 1991, 16; Gager (1992, 119; 123, Anm. 14), der die Nähe zwischen politischen und juristischen Auseinandersetzungen betont, da sie auf dem gleichen Schauplatz ausgetragen werden. 180 Opfer thematisieren, aber keine Zuordnung zu einem speziellen Hintergrund ermöglichen. 725 IV.5.1 Die Prozeß-defixiones In einigen Fällen soll die magische Operation den Verlauf eines Gerichtsverfahrens zugunsten des defigens beeinflussen. In den Zaubertexten ist dies an den Termini technici, die sich auf Verhandlung und involvierte Parteien beziehen, erkennbar: 726 Hierzu zählen etwa ‘Rechtsstreit’, ‘Prozeß’ (lis) oder ‘Anwalt’ (advocatus). Vielfach ist auch der Verlust der gegnerischen Aussagefähigkeit thematisiert. 727 Dies spiegelt sich im Begriffsfeld der menschlichen Sprache und Sprechfähigkeit wider. Zentral sind die Verben ‘ sprechen’ (loqui), ‘reden’ (dicer e), ‘antworten’ (responder e), die meist im Rahmen präpositionaler Ausdrücke im Sinne von ‘aussagen gegen’, ‘anklagen’ (adversus bzw. contra loqui oder dicer e) verwendet werden: 728 ‘[Savus] soll unsere Widersacher unterdrücken, damit sie nicht gegen uns sprechen’ (Deprimat adve rsario s nostros […], ne contra nos loquantur). 729 Ebenso erscheinen die zugehörigen Substantive ‘Aussage’ (responsio) und ‘Verhör’ (quaestio). 730 Regelmäßig findet sich auch das Nomen lingua ‘Zunge’: Wie ich diesem Hahn lebendig die Zunge herausgedreht und durchbohrt habe, so sollen die Zungen meiner Gegner gegen mich verstummen. Quomodo huic gallo linguam vivo extorsi et defixi, sic inimicorum meorum linguae adversus me obmutescant. 731 725 In Audollents Index (1904, 473) geführt unter „causa defixionis obscura“. Vgl. auch López Jimeno 1991, 212; 217; Faraone 1991, 10; Ogden 1999, 6-10. 726 Zur Terminologie des römischen Straf- und Prozeßrechts vgl. Mommsen 1899, 7-15; 86-90; Kaser 1977, 310-316. Im Hinblick auf die defixiones vgl. auch den Index in Audollent (1904, 471f.) und insbesondere die Auflistung der juristischen Fachbegriffe bei Kagarow 1929, 54; López Jimeno 1991, 217; Gager 1992, 122, Anm. 8 (mit Verweis auf Kagarow); Ogden 1999, 32. Im Vergleich zu den griechischen Zauberinschriften enthalten die lateinischen defixiones weniger juristische Fachtermini, die eine eindeutige Zuordnung erlauben. Zu den griechischen Prozeß-defixiones vgl. auch Faraone 1999c, bes. 111-121. 727 Zur Parteiaussage als Beweismittel im Zivilprozeß vgl. Kaser 1977, 332. Diese Verbindung legen auch griechische Parallelfunde und entsprechende Ritualpräskripte nahe. Als Beispiele für griechischsprachige defixiones seien genannt: DTA 95; Jordan 1985a, 175, Nr. 95; Gager 1992, 138f., Nr. 49; 141f., Nr. 51. Einen Überblick geben z.B. Gager 1992, 116-124; Ogden 1999, 27f. 728 Z.B. dfx 11.1.1⁄6 (adversus - loqui); dfx 11.1.1⁄3 (contra - dicere); dfx 5.1.4⁄9 (respondere). 729 dfx 8.1⁄1. 730 dfx 5.1.4⁄5 (responsio? ); dfx 5.1.4⁄2 (quaestiones). 731 dfx 11.1.1⁄8. 181 Auch Lexeme aus dem komplementären Begriffsfeld des Schweigens sind nachweisbar, wie z.B. das Adjektiv ‘stumm’ (mutus) sowie die zugehörigen Verben ‘verstummen’ (obmutescer e) und ‘schweigen’ (tacere). 732 IV.5.2 Die ‘agonistischen’ defixiones Erfolgversprechend ist die Ausschaltung des Gegenparts auch in Konkurrenzsituationen: In den ‘agonistischen’ defixiones reflektieren sich insbesondere Auseinandersetzungen unter Gladiatoren und Wagenlenkern, 733 weitaus seltener Rivalitäten wirtschaftlicher und amouröser Natur. IV.5.2.1 … in sportlichem Kontext Die (kaiserzeitlichen) Wettkampf-defixiones zeichnen sich durch ihre Länge und Explizitheit aus, was durch die aufwendige Gestaltung noch unterstrichen wird. 734 Den antiken Schauwettkampf bezeichnen insbesondere Fachtermini wie ‘Gladiatorenspiel’ (munus) und ‘Zirkusspiele’ (circense s), ferner die allgemeineren Nomina ‘Kampf’ (proelium) und ‘Schlacht’ (certamen). 735 Auf den Ausgang der Schaukämpfe bezieht sich z.B. das Lexem ‘Siegespalme’ (palmam), das in der festen Fügung ‘die Siegespalme gewinnen’ (palmam vincere) 736 ein typisches Element der Wagenlenker-defixiones darstellt. Die Austragungsstätten werden mit circus (für Pferderennen) und amphitheatrum (für den Schaukampf) bezeichnet. 737 Eine stadtrömische Zirkus-defixio verortet die Bleibe des Verwünschten im ‘neunten Stadtteil’ (in regione nona), 738 eine Anspielung auf den dort befindlichen Circus Flaminius und die Pferdeställe der vier Rennfahrergesellschaften (s.u.). 739 Für die Mikrotopographie erscheinen die Termini ‘Rennbahn’ (spatium) bzw. ‘Tiergehege’ (cavea). 740 Zahlreich sind auch die Verweise auf das materielle Inventar des Kampfes, zu dem etwa die beteiligten Personen und Tiere, aber auch die 732 Z.B. dfx 1.4.2⁄2 (mutus); dfx 4.3.1⁄2 (obmutescere); dfx 11.2.1⁄42 (tacere). Die Verfremdung des Klangkörpers findet sich z.B. in dfx 11.3.1⁄1 (sit vi mutuscus); s. hierzu auch A: IV.4.2.2; B: II.6.4.9. 733 Zu den defixiones im antiken Sport vgl. auch Tremel 2004. 734 Bisweilen ergibt sich eine Zuordnung zu der Klasse der Wagenlenker-defixiones bereits durch die Darstellung von Rennbahnschranken, z.B.: dfx 11.1.1⁄19; dfx 11.1.1⁄21. Zu den Zeichnungen auf den Wettkampftäfelchen vgl. z.B. Tremel 2004, 45-49. 735 Z.B. dfx 11.1.1⁄23 (munus); dfx 11.2.1⁄31 (circenses); dfx 11.1.1⁄28 (proelium); dfx 11.1.1⁄25 (certamen). 736 Z.B. dfx 11.2.1⁄9. 737 Z.B. dfx 11.2.1⁄31 (circus); dfx 11.1.1⁄22 (amphitheatrum). 738 dfx 1.4.4⁄4. 739 Die Topographie der Ställe der ‘Grünen Partei’ wird durch die Auffindung eines beschriebenen Bleitubus faßbar, vgl. hierzu z.B. Wünsch 1898, 67. 740 dfx 11.1.1⁄21 (spatium); dfx 11.1.1⁄27 (cavea). 182 spezielle Ausrüstung zu zählen sind. 741 Wie die Ortsbezeichnungen erlauben auch diese Angaben eine Unterscheidung der Disziplinen Wagenrennen und Schaukampf: Verwünscht werden ‘Tierfechter’ (venatores) oder ‘Wagenlenker’ bzw. ‘Antreiber’ (agitatores bzw. agitantes). 742 In den Wagenlenker-defixiones erscheinen die nach Kleidungsfarben benannten ‘Rennfahrerparteien’ (factiones), die nahezu ausnahmslos paarweise aufgeführt werden: ‘die Pferde der Grünen und der Weißen’ (equos prasini et albi) 743 bzw. ‘die Pferde der Blauen und der Roten’ (equos veneti et russei). 744 Die Fauna des Tierkampfes umfaßt ‘Bären’ (ursi), ‘Stiere’ (tauri), ‘Eber’ (apri) und ‘Löwen’ (leones) bzw. allgemein ‘wilde Tiere’ (ferae). 745 Das Instrumentarium des Schaukampfes ist etwa in der technischen Bezeichnung ‘(aus mehreren Schlingen geknüpftes) Kampfnetz’ (laquei) faßbar; 746 in Bezug auf das Pferderennen begegnen ‘Zügel’ (lora), ‘Zaumzeug’ (frena) sowie ‘Wagen’ (currus). 747 Aufbau und Ablauf der Spiele reflektieren sich in Fachbegriffen wie ‘Zusammentreffen’ bzw. ‘Angriff’ (congressio) oder ‘Rennen’ (missus). 748 Wettkampfspezifische Handlungen werden in den Rennfahrerdefixiones insbesondere mit den Bewegungsverben ‘laufen’ (currere bzw. das zugehörige Frequentativum cursar e) 749 und ‘umrunden’, ‘Runden fahren’ (gyrare) bezeichnet, 750 ebenso mit Verbalperiphrasen wie z.B. ‘die Zügel halten’ (lora tenere) sowie ‘die Pferde in Zaum halten’ bzw. ‘antreiben’ (equos retinere bzw. agitare). 751 Im Gegenzug erscheinen Lexeme, mit denen das Vorwärtskommen auf der Rennbahn direkt oder implizit negiert wird, vornehmlich ‘fallen’ (cader e), ‘umstürzen’ (ve rti) und ‘zerschmettern’ (frangere): Bindet und beschwert die Pferde der ‘Blauen’ und der ‘Roten’, damit sie nicht laufen können noch auf die Zügel hören können noch sich bewegen können, sondern fallen, zerschmettert werden, auseinanderbrechen mögen und die Antreiber der Blauen und der Roten mögen umstürzen und die Zügel nicht halten können und die Pferde weder antreiben noch in Zaum halten können und weder vor sich noch ihre Gegner sehen können und nicht siegen mögen. Sie mögen umstürzen. Obligate et gravate equos veneti et russei, ne currere possint nec frenis oboedire possint 741 Vgl. hierzu z.B. den Index in Audollent (1904, 564-568: „res ad circum et amphitheatrum pertinentes“). 742 Z.B. dfx 11.1.1⁄25 (venator); dfx 11.2.1⁄25 (agitatores); dfx 11.2.1⁄12 (agitantes). 743 dfx 11.2.1⁄22. 744 dfx 11.2.1⁄12. 745 dfx 11.1.1⁄22 (ursus; taurus); dfx 11.1.1⁄25 (tauri; apri; leones; ferae). 746 dfx 11.1.1⁄25; vgl. hierzu auch Wünsch 1900, 263. 747 Z.B. dfx 11.2.1⁄12 - 11.2.1⁄15 (lora; frena); dfx 11.2.1⁄3 (currus). 748 dfx 11.1.1⁄25 (congressio); dfx 11.2.1⁄40 (missus). 749 Z.B. dfx 11.1.1⁄19 (movere); dfx 11.2.1⁄12 - 11.2.1⁄16 (currere); dfx 11.1.1⁄20 (cursare). 750 Z.B. dfx 11.2.1⁄17 - 11.2.1⁄21. Zu gyrare s. auch B: II.6.5. 751 Z.B. dfx 11.2.1⁄12 - 11.2.1⁄14. 183 nec se movere possint, sed cadant, frangantur, disfringantur et agitantes veneti et russei vertantur nec lora teneant nec agitare possint nec retinere equos possint nec ante se nec adversarios suos videant nec vincant. Vertantur. 752 In den defixiones inter venatores überwiegen ‘fesseln’ (ligare), ‘festhalten’ (tenere) sowie ‘töten’ (occide re). 753 Die Niederlage des Tierkämpfers wird regelmäßig mit denselben Verben thematisiert, ferner finden sich sinnverwandte Lexeme wie ‘verletzen’ (vulnerare) und ‘blutig machen’ (sanguinare bzw. cruentare). 754 IV.5.2.2 … in anderen Kontexten ‘Agonistische’ defixiones außerhalb des sportlichen Wettkampfes sind selten, sie finden sich im wirtschaftlichen und im erotischen Bereich. 755 Die Ausschaltung eines wirtschaftlichen Konkurrenten erfolgt über die Vernichtung von Arbeitsplatz und Erwerbsquelle, in nachfolgendem Beispiel eine ‘Badeanstalt’ (balineum): Bindet das Bad von Falernae […] zu, bindet es völlig zu, damit nicht irgendein Mensch dorthin gelangt Obligate, perobligate Falernarum balineum […], ne quis homo illoc accedat. 756 Häufiger als die lateinischen dokumentieren die griechischen defixione s unter Handwerkern die ‘Bindung’ von Werkstatt, Zubehör und Arbeitskraft; 757 daneben existieren auch Tafeln, in denen die Konkurrenz unter Zuhältern und Ärzten ihren Niederschlag findet. 758 752 dfx 11.2.1⁄12. 753 Z.B. dfx 11.1.1⁄27 (ligare); dfx 11.1.1⁄25 (tenere); dfx 11.1.1⁄22 (occidere). 754 dfx 11.1.1⁄22 (vulnerare); dfx 11.1.1⁄27 (vulnerare; sanguinare); dfx 11.1.1⁄23 (cruentare). Ebenso die Synonymenhäufung in dfx 11.1.1⁄25 (depannetur, vapulet, vulneretur); zu depannare ‘zerfetzen’ vgl. Jeanneret 1918, 103 (nach Gloss.-Isid. 525: depanare: dilacerare). 755 Die ökonomisch motivierten defixiones werden bisweilen als eigene Kategorie gefaßt, weil ihnen nur in geringem Maße ein antagonistisches Verhältnis zugrundeliege; vgl. insbesondere Graf 1996, 110; Ogden 1999, 31; bes. 33-35. Diese Einschätzung ist insofern zweifelhaft, als für die Erlangung von Erfolg und Reichtum, außerhalb einer konkreten Konkurrenzsituation, eher auf Amulette, heilbringende Figuren o.ä. zurückgegriffen werden könnte. So gibt es verschiedene Formulare, die Profit für Werkstatt oder Geschäft versprechen, z.B. PGM IV 2373-2440: „Wirksames und Umsatz förderndes Mittel für Werkstatt oder Haus oder jeden Ort, wo du es nur anbringst. In seinem Besitz wirst du reich werden, wirst du Glück haben […]“ (2373- 2375). Ähnlich PGM IV 3125-3171 („ < Hausschutzzauber > “); PGM VIII 22-64. 756 dfx 11.1.1⁄35. Zu dieser Tafel gehört auch dfx 11.1.1⁄36. Vgl. hierzu insbesondere den Kommentar von Audollent (1933, 129-133), der von „l’hostilité d’un rival contre des thermes publics dont il souhaitait détourner la clientèle“ (132) spricht. Bei Falerne handelt es sich nach Toutains Kommentar (1931, 115) um einen Stadtteil von Karthago, in dem sich die Thermen befinden und der ihnen den Namen gegeben hat. 757 Z.B. DTA 87a. Zu dieser Kategorie vgl. auch Faraone 1991, 11. Die übliche Formulierung lautet ‘ich binde die Werkstätten’. Ebenso Versnel 1991, 85; 104, Anm. 130 (mit zahlreichen Beispielen für griechischsprachige Verwünschungen von Werkstätten). 758 z.B. DT 52 (Zuhälter); Jordan 1985a, 180, Nr. 124 (Ärzte). 184 In Liebesdingen kann die defixio zur Beseitigung eines Nebenbuhlers eingesetzt werden. 759 Auf den amourös-erotischen Kontext referieren verschiedene Lexeme aus dem Begriffsfeld der menschlichen Gefühlswelt wie etwa ‘lieben’ (amare), ‘hassen’ (odiss e) bzw. ‘Haß’ (odium) oder ‘heiraten’ (nubere). 760 Auch Bezeichnungen wie ‘Ehemann’ (maritus) oder ‘Verlobter’ (sponsus) zeigen den Hintergrund der Verwünschung an. 761 Ebenso kann, analog zum Prozeßzauber, die ‘Knebelung’ des Rivalen zum Erfolg führen: So soll Rhodine bei Marcus Licinius Faustus tot sein und weder reden noch sprechen können. Sic Rhodine apud Marcum Licinium Faustum mortua sit nec loqui nec sermonare possit. 762 IV.5.3 Die erotischen ‘Herbeiführungs’-defixiones Der ‘Attraktionszauber‘ 763 zielt auf die erotische Eroberung einer Person ab; das Opfer der aggressiven Einflußnahme ist kein Konkurrent oder Widersacher, sondern die herbeizuführende Person. 764 Zu den Schlüsselwörtern zählt das Verb ‘lieben’ (amare); 765 ebenso das zugehörige Nomen amor, das mit dem eher auf das körperliche Verlangen verweisende desid erium vielfach ein festes Begriffspaar bildet. Zu dem Bereich Erotik und Liebe zählt auch das Kosewort ‘Liebling’ (deliciae). 766 Selten sind hingegen explizit sexuelle Ausdrücke, wie ‘ Beischläfer’ (fututor) und ‘Geschlechtsverkehr haben’ (coitus facer e). 767 Dies steht im klaren 759 Vgl. Faraone (1991, 13), der von einem „lovers’ triangle“ spricht. Ebenso unterscheidet Winkler (1991, bes. 231) zwischen Verwünschungen zur Ausschaltung von Nebenbuhlern, zur Trennung von Paaren und zur Anziehung von Personen. Daß auch erotisch motivierte defixiones einen ‘agonistischen’ Hintergrund haben können, zeigt z.B. auch PGM VII 429-458 („Bannmittel für jedes Ding“): Dieses Zaubermittel ist nicht nur im sportlichen Bereich „für Rennwagen“ (429), sondern zugleich auch als Trennungszauber einsetzbar. 760 dfx 5.1.4⁄7 (amare); dfx 1.5.4⁄1 (odisse; odium), im Text erscheint unklassisches odiat (zur Verbalmorphologie s. B: II.4.5.5); dfx 1.4.4⁄3 (odium); dfx 7.1⁄2 (nubere), allerdings sehr fragmentarisch. Nach Dickie (2000, 570) ist ‘heiraten’ nicht im wörtlichen Sinne, sondern vielmehr als sexuelle Vereinigung zu verstehen. Trennungszauberformel finden sich z.B. in Suppl. Mag. II, 224-230, Nr. 95; PGM XIII 242; PGM LXI 46-48; DT 85. 761 dfx 6.1⁄1 (maritus); dfx 5.1.4⁄7 (sponsus). Im Gegensatz zu den entsprechenden weiblichen Familien- und Verwandtschaftstermini wie z.B. uxor dienen sie nie der bloßen Identifizierung der genannten Person (s. auch A: IV.4.2.3). 762 dfx 1.4.4⁄3. 763 Der Terminus „‘aphrodisiac’ spell“ stammt von Faraone (1991, 10). Grundlegend zum griechischen Liebeszauber Faraone (1999b), der literarische Belege sowie Zeugnisse applizierter und präskriptiver Magie auswertet. 764 Dies zeigt sich wiederum in den Zauberpapyri, wo es neben dem ‘Liebeszauber’ ( f ! ltron ), auch den ‘Liebes-Bindezauber’ ( filtrokatadesmÒw ) gibt (s. auch A: II.3.1). 765 Z.B. dfx 11.1.1⁄16. 766 dfx 11.2.1⁄2 - 11.2.1⁄3. 767 dfx 4.1.2⁄1 (fututor); dfx 11.1.1⁄16 (coitus facere). 185 Gegensatz zu den griechischsprachigen Comparanda, die anatomische Details und genaue Angaben zum Liebesakt bereithalten. 768 Die erotische Eroberung ist jedoch nicht mit romantischer Liebeswerbung gleichzusetzen, sondern wird regelmäßig mit Zwang und Gewalt in Verbindung gebracht: 769 Bibiriji, […], dränge, zwinge sie zu mir zu kommen […] aus Liebe und Verlangen nach mir. Bibiriji, […], urgue, coge illam venire ad me […] amoris et desiderii mei causa. 770 Zugleich gelten körperliche, seelische und soziale Versehrtheit nicht nur als typische Symptome von Liebeskummer, 771 sondern werden auch als wesentlicher Bestandteil der ‘aphrodisierenden’ Wirkung verstanden: Sie sollen die Zielperson in einen Ausnahmezustand versetzen und einen Liebeswahn entfesseln. Diese Verbindung von Liebe und Wahnsinn zeigt sich an Ausdrücken wie z.B. ‘liebend, rasend vor Liebe zu mir’ (amantem, furentem prae amore meo). 772 Auch die Dauerhaftigkeit der ‘Liebesbindung’ kann explizit formuliert sein: Wie […] die Seele […] an diesem Ort festgehalten wird, so soll sie auch […] für alle Zeit in Liebe und Verlagen zu Martial, den Coronaria gebar, festgehalten werden. Quomodo […] detinetur anima […] in hoc loco, sic et […] detineatur in omne tempus in amore et desiderio Martialis, quem peperit Coronaria. 773 Die Darstellung der physischen Auswirkungen auf die Zielperson erfolgt nahezu systematisch mit Lexemen aus der konzeptuellen Domäne von Feuer und Hitze; sie dient vor allem als metaphorische Folie für die 768 Vgl. z.B. Gager 1992, 97-100, Nr. 28. Zu den begleitenden Abbildungen vgl. auch Ogden (1999, 37), der ihre „appropriate explicitness“ bemerkt. Vgl. auch die Zauberpapyri, z.B. PGM IV 351-353; ebenso die Zauberinschriften Suppl. Ma g. I, 118-122, Nr. 38; 184-192, Nr. 48. In diesen z.T. formal sehr ähnlichen Texten sind verschiedene Sexualpraktiken genannt. 769 Die Aggressivität des Liebeszaubers dokumentiert sich ausdrücklich auch in den Zauberpapyri, z.B. PGM III 1-164, das sich als „Bannmittel für Wagenlenker“ (162) wie auch als „Fesselung zur Liebe“ (163f.) eignet. 770 dfx 11.1.1⁄16; ebenso dfx 11.2.1⁄7 (facere). 771 Hierin spiegelt sich die antike Vorstellung, gemäß derer Liebe negativ konnotiert und selbst in medizinischen Traktaten als ernstzunehmende Erkrankung bewertet wird. Vgl. hierzu z.B. Winkler 1991, 222; Martinez 1995, 353f. Diese Verbindung von Liebe und Krankheit ist auch entsprechenden Ritualanleitungen entnehmbar, z.B. PGM XXXVI 356-359: „[…] mach sie mager, bleich, kraftlos, machtlos, schlaff an (der Tätigkeit) ihres ganzen Körpers, bis sie herausläuft und zu mir, dem NN, Sohn der NN, kommt […].“ 772 dfx 11.2.1⁄3. Ebenso dfx 11.2.1⁄34 (insaniens). Vgl. hierzu z.B. Winkler 1991, 230-234.; Schah (1996), der den metaphorischen Bezug zwischen Liebe und Krankheit bzw. Verrücktheit in verschiedenen Sprachen untersucht. 773 dfx 11.1.1⁄17. Es finden sich auch andere Zeitangaben, z.B. dfx 11.2.1⁄7 (semper); dfx 11.1.1⁄17 (omni muliebri hora), dfx 11.2.1⁄36 (sempiternus). 186 Hervorhebung konkreter körperlicher Vorgänge, vornehmlich des heftigen, schmerzhaften Aspektes des primär physischen Liebesleidens: 774 Ihr Geist soll verbrennen, völlig verbrennen, glühen aus Liebe und Verlangen nach mir Uratur, comburatur, ardeat spiritus amore et desiderio meo. 775 Sämtlichen Texten eigen sind synonymisch verwendete Verben wie z.B. ‘in Wallung sein’ (aestuare), ‘brennen’ (urer e) mit entsprechenden Derivaten sowie ‘glühen’ (ardere). Die Feuermetaphorik ist auch in den Ritualpräskripten (‘Feuermittel’) 776 und in den späten, vornehmlich aus Ägypten stammenden griechischsprachigen Liebeszaubertexten nachweisbar. 777 Daneben soll die Wirkung des Zaubers auch elementare, lebenserhaltende Handlungen betreffen, das Opfer ‘soll nicht schlafen, keine Nahrung und kein Essen aufnehmen können’ (non dormiat, non cibum, non escam acciper e possit). 778 Erwähnt sind vereinzelt auch Tätigkeiten wie Sitzen (z.B. seder e) und Sprechen (z.B. loqui), insbesondere aber der als zermürbend geltende Schlafmangel (z.B. verneintes dormir e ‘schlafen’ oder somnum videre bzw. contingere ‘Schlaf sehen’ bzw. ‘bekommen’). 779 Typischerweise ist auch die Herauslösung der Zielperson aus sämtlichen zwischenmenschlichen Bindungen thematisiert: […] damit sie vergesse Vater und Mutter und alle Verwandten und Freunde alle und alle Männer. […] ut obliviscatur patris et matris et omnium suorum et amicorum omnium et omnium virorum. 780 IV.5.4 Die ‘Gebete für Gerechtigkeit’ Die bisher besprochenen ‘Fluchtafeln’ dienen der Sicherung von zumeist antagonistisch begründeten Erfolgen; hiervon sind die sogenannten ‘Gebete für Gerechtigkeit’ (oder ‘prayers for justice’) abzugrenzen, die Sühne oder Strafe für ein von einem üblicherweise unbekannten Täter begangenes Unrecht verlangen (s. auch A: III.4.3.3). Diese Bitten um göttliche Intervention entsprechen einer geschäftlichen Transaktion zwischen Gottheit und Mensch; erkennbar wird dies bereits an expliziten selbstreferentiellen Bezeichnungen wie z.B. ‘Klage’ (commonito- 774 Vgl. hierzu Schah 1996. In dieser Studie weist der Autor die Universalität der Feuer- und Hitzemetaphorik im Bereich ‘Liebe’ und ihre enge Verknüpfung mit physiologischen Vorgängen nach. 775 dfx 11.2.1⁄36. Ebenso dfx 11.1.1⁄16 (aestuare). 776 Vgl. z.B. PGM XXXVI 69; 102; 295. Zum ‘Feuermittel’ vgl. z.B. Winkler 1991, 224. 777 Vgl. z.B. Suppl. Mag. I, 127f., Nr. 40; PGM O2. 778 dfx 11.2.1⁄4. 779 Den Vergleich zwischen dem Formular der defixiones und dem von Enthaltungsgelübden zieht Martinez (1995). 780 dfx 11.2.1⁄4. 187 rium bzw. petitio), in einem Fall wird der Vorgang explizit als ‘Geschäft’ (ratio) bezeichnet. 781 Kennzeichnend ist auch das vertragstechnische Vokabular, das in Anlehnung an den „Rechtsformalismus“ 782 juristischer Dokumente, einer möglichst präzisen und unmißverständlichen Darlegung des Sachverhaltes dient. Dies umfaßt den Gebrauch explizierender Formeln wie z.B. des feststehenden Glossarausdrucks ‘das heißt’ (id est) oder auch von ‘metasprachlichen Determinanten’ 783 wie ‘obenstehend’ (suprascriptus) etc. Ebenso werden zeitliche Fristen gesetzt, innerhalb derer Strafe oder Wiedergutmachung einzutreten haben; 784 besonders prominent ist dabei die ‘magische’ Zeitspanne von ‘neun Tagen’ (dies novem). 785 Über den Kontext der Verwünschung geben juristische Termini technici Aufschluß: Im Hinblick auf die beklagte Tat finden sich sinnverwandte Lexeme wie z.B. ‘Betrug’ (fraus bzw. dolus malus), ‘Verbrechen’ (facinus bzw. maleficium) oder auch ‘Schaden’ (damnum) und ‘ungerechtes Schicksal’ (iniurium fas); 786 hierzu zählen auch Verben und Verbalperiphrasen wie z.B. ‘schaden’ (nocere) oder ‘erleiden’ (pati) sowie ‘Schlechtes tun’ bzw. ‘im Schilde führen’ (male facer e bzw. cogitare). 787 Zur Spezifizierung werden z.B. ‘Rechtsverdrehung’ (calumnia), ‘einen Meineid schwören’ bzw. ‘lügen’ (periurare bzw. mentiri) sowie insbesondere ‘Diebstahl’ (furtum) verwendet. 788 Die Darlegung des Unrechts bildet die Kernaussage der Texte, direkte Verweise auf den Täter sind selten: Nur je ein Mal bezeichnen ihn die allgemeinen Nomina ‘ Schuldiger’ (reus) und ‘Verdächtige’ (suspecti); 789 Mitwisser und Mittäter werden mit den Adjektivphrasen ‘mitwissend’ bzw. ‘eingeweiht sein’ (conscius ess e) oder ‘beteiligt sein’ (mediu s es se) in die Verwünschung einbezogen. 790 Diebstahls- oder Unterschlagungsdelikte werden am häufigsten beklagt, was durch das Nomen ‘Diebstahl’ (furtum) und die zugehörige Wortfamilie, bestehend aus dem Nomen agentis fur und dem Verbum 781 dfx 3.2⁄9 (petitio); dfx 3.22⁄3 (commonitorium); dfx 3.7⁄1 (ratio), s. auch A: II.3.1. 782 Dulckeit/ Schwarz/ Waldstein 1995, 74. Zum Einfluß der Gesetzes- und Gerichtssprache auf die defixiones vgl. z.B. Versnel 1987; Tomlin 1988, 70f.; Adams 1992, 2; 7; 25f.; Ménard 2000. 783 s. auch A: IV.4.2.5; B: II.4.3.2. 784 Zu „Bedingung, Befristung, Auflage“ im Rahmen von Verträgen vgl. Kaser 1977, 52- 55 (Zitat S. 52). 785 Z.B. dfx 8.3⁄1. Zur Bedeutung der Zahl 3 (mit sich selbst multipliziert ergibt sie 9), die auf den defixiones häufig wiederkehrt, vgl. auch Cesano 1910, 1577; Tupet 1976, 46f.; ders. 1986, 2600. Anders Egger (1962, 87), der dies novem als „die achttägige römische Woche“ interpretiert. 786 Z.B. dfx 3.18⁄3 (fraus); dfx 3.2⁄27 (fraudem facere); dfx 3.2⁄77 (per fraudem); dfx 4.4.1⁄1 (dolus malus); dfx 4.1.3⁄7 (damnum); dfx 2.1.1⁄5 (facinus); dfx 3.5⁄1 (maleficium); dfx 5.1.3⁄1 (iniurium fas). Vgl. hierzu z.B. Tomlin 1988, 71 (mit Verweis auf die Digesten). 787 dfx 1.9.1⁄1 (nocere); dfx 9.1⁄1 (pati); dfx 3.22⁄32 (male facere; male cogitare). 788 Z.B. dfx 3.2⁄32 (calumnia); dfx 3.2⁄73 (periurare); dfx 1.5.4⁄3 (mentiri); dfx 2.3.1⁄1 (furtum). 789 dfx 3.2⁄14 (reus); dfx 3.22⁄19 (suspecti). 790 Z.B. dfx 3.11⁄1 (conscius esse); dfx 3.2⁄30 (medius esse). Zur Verbsemantik s. B: II.6.3.1. 188 furari angezeigt wird; 791 daneben finden sich synonymische Lexeme, zu fur das Substantiv latro, 792 zu furari verschiedene Verben wie z.B. toller e bzw. auferre und regelmäßig involare. 793 Das Corpus delicti, meist ein Alltags- oder Gebrauchsgegenstand, wird nahezu systematisch benannt. Hierbei handelt es sich um Haushaltswaren, Kleidung, Haus- und Nutztiere und in wenigen Fällen um Geld und Wertsachen. Die Bestrafung des Täters wird vielfach mit rächender oder vergeltender Intervention von göttlicher Seite gleichgesetzt. Ausgedrückt wird dies etwa mit dem Verbum ‘rächen’ (vindicare und einmal verstärktes devindicare); 794 als zugehörige Substantive begegnen das Nomen agentis ‘Rächer’ (vindex), möglicherweise als Beiname einer Göttin, sowie je ein Mal das Abstraktum ‘Rache’ (vindicta bzw. ultio). 795 Als juristische Termini technici beziehen sie sich zugleich auf die gerichtliche Inanspruchnahme eines Gegenstandes bei Eigentumsklagen. 796 In diesem Zusammenhang erscheinen insbesondere auch Verben, die dem Begriffsbereich ‘Abzahlen’ und ‘Abgelten’ entstammen. 797 Hierzu gehören ‘lösen’ bzw. ‘auslösen’ (solver e bzw. absolvere) sowie ‘los’-, ‘freikaufen’ (redime re), ‘ausgleichen’, ‘erstatten’ (redde re) und ‘Genugtuung geben’ (satisfacer e). 798 Die gewünschte Rückgabe des gestohlenen Gegenstandes (meist in den Tempel der Gottheit) wird durch verschiedene bedeutungsähnliche Verben ausgedrückt. Hierunter fallen ‘zurückbringen’ (reduce re) sowie ‘bringen’, ‘tragen’ (ferre) und Präfixableitungen, insbesondere ‘hin’-, ‘zurücktragen’ (per-, refe rr e). 799 Ebenfalls der Rechtssprache entstammen Verben, die eine quasijuristische Schuld implizieren und folglich die Verwünschung als gerechte und angemessene Vergeltungsmaßnahme kennzeichnen: Hierzu zählen ‘ahnden’ (repr ehender e), ‘strafrechtlich verfolgen’ (pe rs equi), ‘eintreiben’ (exiger e bzw. expostulare) sowie das zugehörige Nomen ‘Eintreibung’, ‘Einforderung’ (exactio). 800 Unabhängig von der Schwere des Deliktes wird die ‘Rückzahlung’ üblicherweise in Form von Blut gefordert: ‘er soll dies 791 dfx 3.3⁄1 (furtum); dfx 3.2⁄15 (fur); dfx 3.5⁄1 (furari). 792 dfx 3.2⁄36. 793 dfx 3.6⁄1 (tollere); dfx 2.2.1⁄1 (auferre); dfx 3.22⁄2 (rapere). Ebenso: dfx 3.11⁄1 (decipere); dfx 3.15⁄1 (perdere); dfx 3.22⁄3 (amittere); dfx 3.2⁄1 (involare). Zur Verbsemantik s. B: II.6.3.1. 794 Z.B. dfx 5.1.3⁄1 (vindicare); dfx 3.2⁄57 (devindicare). 795 dfx 1.7.6⁄1 (vindicta); dfx 3.2⁄9 (vindex); dfx 3.22⁄36 (ultio). 796 Zum Konzept der rei vindicatio vgl. z.B. Kaser 1977, 110-114; Liebs 1999, 178-187. Zu vindicare etc. im ‘Rachegebet’ vgl. Björck 1938, 82. 797 Zum „Erlöschen der Schuld“ etc. vgl. z.B. Kaser 1977, 207-215, bes. 209f. (Zitat S. 207). 798 dfx 3.12⁄1 (solvere; exsolvere); dfx 3.6⁄1 (redimere); dfx 4.1.3⁄7 (reddere); dfx 3.2⁄73 (satisfacere). In dfx 3.19⁄1 handelt es sich eher um ein parere ‘hervorbringen’ als um pariare ‘eine Schuld ausgleichen’. 799 dfx 3.2⁄56 (reducere); dfx 3.22⁄5 (perferre); dfx 3.2⁄24 (referre). 800 Z.B. dfx 2.2.1⁄1 (reprehendere); dfx 7.5⁄1 (persequi); dfx 3.2⁄28 (invenire); dfx 3.18⁄1 (exigere); dfx 3.2⁄77 (perexigere); dfx 3.22⁄2 (expostulare); dfx 3.2⁄8 (exactio). 189 mit seinem Leben und Blut loskaufen’ (sanguine et vita sua illud redimat) 801 bzw. ‘du sollst dies durch sein Blut und Gesundheit einfordern’ (exigas hoc per sanguinem et sanitatem suam). 802 801 dfx 3.2⁄78. 802 dfx 3.2⁄33. 190 V. Funktionsweise und Aktionsradius ‘magischen’ Sprechens im defixio-Ritual V.1 Das magische Ritual als Kommunikationsraum Die Durchführung einer defixio ist an besondere, bisweilen durch eine entsprechende Ritualanleitung gesteuerte Vorgaben gebunden, unter die vornehmlich der Ausschluß der Öffentlichkeit zu zählen ist. Damit beschränkt sich das rituelle Personal auf den defigens, eine unmittelbare Rezeption von seiten eines menschlichen Kollektivs oder durch das anvisierte Opfer selbst erfolgt nicht. Vielmehr scheinen bei der Betrachtung von außen Verfasser und Adressat der Zaubertexte in der Person des Zaubernden identisch zu sein: „Das magische Ritual schließt also die Kommunikation kurz.“ 803 Diese besonderen Artikulationsbedingungen im Rahmen eines ‘Ich’-Rituals werfen sofort die Frage nach Konzeption und Funktion von Sprache als zwischenmenschlichem Kommunikationsmedium auf. Aus diesem Grund soll einleitend das Konzept ‘Kommunikation’ kurz umrissen und seine Eignung für Untersuchungsgegenstand und -interesse überprüft werden. V.1.1 ‘Rituelle’ Kommunikation Die Geschichte des Begriffes ‘Kommunikation’ stellt sich so polyphon und dynamisch dar wie die Ausformung anderer vieldebattierter Wissenschaftsterminologien, für die eine einheitliche Konzeptualisierung durch die disziplinenspezifische Theoriebildung, im Wechselspiel mit der alltagssprachlichen Begriffsverwendung, erschwert wird. 804 In das Visier der Sprachwissenschaft gerät der Begriff durch die sogenannte ‘pragmatische Wende’, den in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgten Perspektivenwechsel, der die traditionellen systemlinguistischen Theorien um die Betrachtung von Regeln und Bedingungen des Sprachgebrauchs ergänzt. 805 Der Untersuchungsgegenstand ‘Kommunikation’ wird pragmalinguistisch gefaßt als zwischenmenschliche, zeichenbasierte Interaktion, die auf die wechselseitige Übermittlung von Informationen bzw. Einstellungen ausgelegt ist. Grundlage für diese Begriffsbestimmung sind die unmittelbar zu- 803 Graf 1996, 189. 804 Hierzu z.B. auch Merten (1999, 77), der die „Bandbreite des Kommunikationsbegriffs“ durch eine Auswahl von 21 Definitionen (von insgesamt 160 verglichenen) demonstriert. Verwiesen sei zudem auf die zusammenfassende Abhandlung von Ehlich 1996. 805 Vgl. hierzu insbesondere Helbig (2002, 252-258), der sich in diesem Zusammenhang auch mit Kuhns Begriff des ‘Paradigmas’ auseinandersetzt. Ebenso Feilke 2000. 191 vor entwickelten nachrichtentechnisch ausgerichteten Theorien, insbesondere das ‘Kommunikationsmodell’ von C. E. Shannon und W. Weaver, 806 das auf interpersonale Verständigungsprozesse im allgemeinen übertragen wurde. Die Eingrenzung des linguistischen Konzepts ‘Kommunikation’ auf eine zwischenmenschliche Aktivität, die vornehmlich der in sprachliche Zeichen kodierten Verständigung dient, ist vor eben diesem speziellen modernen Wissenschaftskontext westlicher Prägung zu verstehen und kann somit keinen universalen Erklärungsgehalt besitzen. Nicht zuletzt weist C. E. Shannon selbst einleitend darauf hin, daß in seinem Modell der Nachrichtenübermittlung z.B. die Inhaltsebene ausgeblendet und folglich eine direkte Umdeutung zu einem Kommunikationsmodell unzureichend und simplifizierend ist. 807 Tatsächlich klammert diese enge Definition diejenigen Bereiche selbst der modernen Lebenswelt von vornherein aus, in denen sich kommunikative Vorgänge einem rein rationalistischen Zugang entziehen — genannt sei etwa das persönliche Gebet als Zwiegespräch des einzelnen Gläubigen mit seinem Gott. Folglich greift diese Begriffsbestimmung auch für die Beschreibung ähnlich gelagerter Phänomene aus anderen Epochen und Kulturräumen, wie sie z.B. bei dem isoliert vollzogenen Zaubergebet oder dem privaten Gelübde vorliegen können, zu kurz. Gerade die Kontaktaufnahme mit einer jenseitigen Welt weist aus pragmalinguistischer Sicht eine „paradoxe Struktur“ 808 auf, da jegliche Interaktionsleistung von seiten des nichtmenschlichen, übernatürlichen Kommunikationspartners nicht wahrnehmbar und damit empirisch nicht nachzuweisen ist. 809 Indes stellt sich die Frage nach der reellen Existenz der übergeordneten, kosmischen Weltordnung überhaupt nicht, da sie als Bezugspunkt menschlichen Glaubens und Handelns einen Teil des menschlichen Erfahrungsbereiches ausmacht und somit als kommunikativ wirklich berücksichtigt werden muß. V.1.2 Vertikal vs. horizontal: Die zwei Ebenen ‘ritueller’ Kommunikation Die kommunikativen Dimensionen jenseits des zwischenmenschlichen Aktionsradius werden etwa in den gängigen Modellen zur ‘religiösen Kommunikation‘ 810 abgebildet; zwar basieren sie auf mathematisch-infor- 806 Vgl. Shannon/ Weaver 1949 (s. auch A: IV.1.1). 807 Vgl. ebd., 3: „[S]emantic aspects of communication are irrelevant to the engineering problem.“ Zur Kritik an der „metaphor. Übertragung des informationstechn. Modells auf die Spr.“ vgl. Ammon 1993 (Zitat S. 310); ebenso Akmajian/ Demers/ Harnish 1998. 808 Ehlich 1997, 346; ebenso plädiert er für die Notwendigkeit einer „entlasteten Nutzung“ (1996, 277) des Kommunikationsbegriffes im Zusammenhang mit Religion. 809 Hierzu z.B. Paul 1990, 35; Rüpke 2001a, 25f. Ehlich (1997, 346) spricht von der „Anwesenheit eines abwesenden Hörers/ Sprechers“. 810 Vgl. Mörth 1993, bes. 405 („Modell und Typologie ‘religiöser Kommunikation’“). Vgl. hierzu auch die Tagungsbände Binder/ Ehlich 1996; 1997; ebenso Brodersen 2001b. 192 mationstheoretischen Ansätzen und weisen deshalb Parallelen zu handlungs- und kommunikationsbezogenen Theorien der modernen Linguistik auf, gleichzeitig integrieren sie aber als Kommunikationspartner die primär anhand der menschlichen Interaktionshandlung faß- und rekonstruierbare Größe des ‘heiligen Kosmos’: Im Rahmen dieser erweiterten Konzeption sind, etwa nach der Terminologie I. Mörths, folgende Teilnehmer in das kommunikative Geschehen involviert: ein „’transzendentales’ Subjekt (Götter, Geister und Dämonen […])“, 811 ein „Spezialist“ 812 mit Vermittlerfunktion (Priester, Schamane etc.) sowie ein „Laie“ 813 (innerhalb oder außerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen). Jedem Aktanten kann dabei die Funktion von Sender bzw. Empfänger zukommen, wodurch auch jede Partnerkonstellation und Kommunikationsrichtung möglich ist. Dementsprechend stellt auch F. Graf folgendes fest: „In der rituellen Kommunikation lassen sich zwei Achsen unterscheiden — die horizontale, welche die agierenden und empfangenden Menschen, und die vertikale, welche die Menschen mit den Göttern als Adressaten des Rituals verbindet.“ 814 Weisen sprachliche wie nicht-sprachliche Handlungen in einer Kommunikationsrichtung dabei auch Aspekte der anderen auf, findet Kommunikation zugleich auf beiden Ebenen statt: auf einer primären ‘vertikalen’ sowie einer sekundären ‘horizontalen’ Ebene. Die Übertragbarkeit dieser grundlegenden Strukturen auf sämtliche Kommunikationsprozesse mit ‘vertikaler’ Komponente geht aus dem vorgestellten religionswissenschaftlichen Erklärungsmodell bereits unmittelbar hervor: Neben zahlreichen anderen Kommunikationstypen werden auch „magische Praktiken“ 815 als gesonderte Kategorie von Interaktionsmustern aufgeführt, die zwischen dem Laien und der Sphäre des Numinosen zur Anwendung kommen. Magische Praktiken, die auf die private Initiative des rituell agierenden Laien zurückgehen, sind demzufolge ausschließlich auf ‘vertikaler’ Ebene angesiedelt. Vor diesem theoretischen Hintergrund soll im folgenden der besondere Kommunikationsraum, den das defixio-Ritual eröffnet, ausgeleuchtet werden. Zu dem religionssoziologischen Verständnis von Religion als Kommunikationssystem vgl. auch Luhmann 1998. Rüpke (2001a, 24) stellt fest, daß „religiöse Kommunikation in vielen Fällen mit den üblichen Kommunikationsmodellen adäquat zu beschreiben ist“. 811 Mörth 1993, 407. 812 Ebd. 813 Ebd. 814 Graf 1996, 191. Hierzu auch Rüpke 2001a, 27-29. Für das Alte Testament vgl. insbesondere Wagner (1997, 211f.), der bei der rituellen Sprechhandlung ‘Bekennen’ zwischen Kommunikationsebene I (Sprecher-Jahwe) und Kommunikationsebene II (Sprecher-Öffentlichkeit) unterscheidet. Zu den Kommunikationsebenen und -richtungen im modernen Gottesdienst vgl. auch Gülich/ Paul 1984, bes. 88; Paul 1990, 12f.; 34-38; 118-123. 815 Mörth 1993, 407. 193 V.2 Die ‘göttereinbindenden’ Formeltypen V.2.1 Die kommunikativen Dimensionen des ‘Ich’-Rituals V.2.1.1 Das ‘Ich’-Ritual als primär vertikal ausgerichteter Kommunikationsakt Die defixio als kommunikativen „Kurzschluß“ 816 zu interpretieren, wird, wie eben darlegt, dem kommunikativen Setting im ‘Ich’-Ritual nicht gerecht: Auch wenn die Verbindung von Mensch und Gottheit nicht auf einer beobachtbaren Wirklichkeitsebene angesiedelt ist, so ist ihre kommunikative Existenz für den rituell Agierenden doch bereits durch verschiedene äußere Merkmale zu erschließen. Dies betrifft sowohl die ‘Fluchtafel’ als Kommunikationsmedium als auch all diejenigen nicht verbalen Ritualelemente, die das interaktive Handeln mit einem situativ definierten Gegenüber widerspiegeln und ihre Entsprechung auf Textebene haben: Mit dem Ablagebzw. Übergabegestus korrespondieren die ‘Übergabeformeln’ wie z.B. ‘ich überantworte’ (trado) bzw. ‘ ich übergebe’ (mando). Ferner erscheinen in den Ritualpräskripten und analog auch auf den Zauberinschriften ‘Aufforderungsformeln’, die präzise Handlungsanweisungen für die adressierten Götter enthalten und durch ‘Anrufungs’-, ‘Beschwörungsformeln’ verstärkt sein können. Wie bereits im Zusammenhang mit der Aufschlüsselung des Sprechhandlungskontextes dargelegt, gibt das situativ definierte ‘redende’ Ich dieser Texte nicht nur über den Zweck der Zauberhandlung Auskunft, sondern macht auch die zugrundeliegende kommunikative Situation aus der Innenperspektive greifbar. Im Falle des defixio- Rituals zählen systematisch nichtmenschliche Kommunikationspartner zum Kreis der Adressaten. Diesbezügliche Informationen sind den Ritualtexten unmittelbar zu entnehmen: ‘Göttin Ataecina Turibrigensis Proserpina, bei deiner göttlichen Macht, dich bitte ich, flehe ich an, daß du, was mir an Diebstahl angetan wurde, rächst’ (Dea Ataecina Turibrigensi s Pros erpina, per tuam maiestatem, te rogo, obsecro, uti vindices quod mihi furti factum est). 817 Neben der an Pronomina und Verbflexionsmorphemen erkennbaren kommunikativen Rolle wird auch die Identität des Rezipienten indiziert. Dies ergibt sich durch den Vollzug des Referenzaktes, der mit jeder Sprechhandlung einhergeht, d.h. durch die Bezugnahme auf Personen, Objekte und Sachverhalte in der extralinguistischen Wirklichkeit. Im Hinblick auf die von J. R. Searle formulierte Regel des propositionalen Gehalts ist von dem „Prinzip der Identität von Referent und Adressat“ 818 auszugehen. So zeigt die Nennung der Dea Ataecina Turibrigensis Prose rpina in- 816 Vgl. Graf 1996, 189: „Das magische Ritual schließt also die Kommunikation kurz: Sender und Empfänger sind identisch.“ 817 dfx 2.3.1⁄1. 818 Liedtke 1993, 68. 194 nerhalb der oben aufgeführten ‘Aufforderungsformel’ an, daß der Ausführende des Rituals den Kontakt zu eben dieser Unterweltsgöttin sucht. Bei dem Adressaten, auf den in der Inschrift Bezug genommen wird, handelt es sich eindeutig um ein göttliches und nicht um ein menschliches Wesen. 819 Durch die namentliche Identifizierung des Adressaten ist folglich klar erkennbar, in welcher Richtung die Kommunikation verläuft. Im vorliegenden Fall, wie auch in vielen anderen, liegt eine Kommunikation auf der ‘vertikalen’ Achse vor, entlang derer sich die Übermittlung einer Handlungsaufforderung bzw. -anweisung „von unten nach ganz unten“ 820 vollziehen kann. V.2.1.2 Das erweiterte Ritualszenario als mehrfach adressierter Kommunikationsakt Das elementare, allein auf der ‘vertikalen’ Achse verortete kommunikative Setting kann durch die Einschaltung eines mit der Ausführung des Rituals beauftragten Magiers um eine zusätzliche menschliche Komponente erweitert sein. In die professionell vollzogene Ritualhandlung kann der Auftraggeber bewußt auch als passiv-beobachtender Teilnehmer eingebunden und folglich als indirekter Adressat wahrgenommen werden. 821 In dieser Konstellation ist der Ritualvollzug durch den Experten nicht allein an den numinosen Kommunkationspartner gerichtet, vielmehr sind seine verbalen und non-verbalen Handlungen multifunktional: Der Laie erfährt mit seiner Anwesenheit bei dem Ritualvollzug unmittelbar von den besonderen Fähigkeiten und Kenntnissen, die den Spezialisten auszeichnen, und schafft zugleich die Kulisse für dessen Selbstdarstellung. Die im Rahmen eines komplexen Rituals demonstrierbare Exklusivität des magischen Wissensfundus erhöht das Prestige des Ausführenden vor den Augen des Zuschauers. Derartige mehrfach adressierte kommunikative Vorgänge bestätigen insbesondere Stellung und Autorität des Eingeweihten gegenüber dem Nichteingeweihten und dienen letztlich der sozialen Rollen- und Identitätssicherung. 822 Die Kommunikation zwischen ‘Laien’ und ‘Spezialisten’ ist auf zwischenmenschlicher, d.h. ‘horizontaler’ Ebene angesiedelt, ohne die ‘vertikale’ Verbindung von Mensch und Gottheit zu tangieren. Dies zeigt sich auch 819 Zur ‘Umkategorisierung’ der Pronomina der zweiten Person, die sich nicht allein auf Menschen beziehen müssen, vgl. Liedtke (1993, 68), der auch „nicht-menschliche Lebewesen“ und Maschinen zu den „potentielle[n] Adressaten“ innerhalb einer Kommunikation zählt. Anders Lyons 1972, 281. 820 Brodersen 2001a, 68. 821 Vgl. z.B. Graf 1997, 126f.; 131f. Zu den mehrfach adressierten Sprechhandlungen vgl. z.B. Wunderlich 1975, 36f.; Kühn 1995. Zur Unterscheidung zwischen absichtlichen und unabsichtlichen Mehrfachadressierungen vgl. Kühn 1995, 62-72. 822 Diese kommunikative Konstellation ist mit einer „inszenierten Mehrfachadressierung“ (Kühn 1995, 153-157; Zitat S. 153) vergleichbar, in der „beobachtende Adressaten“ (153) funktionalisiert werden. 195 daran, daß der beauftragte Spezialist nie in seiner Funktion als Ausführender des Rituals bzw. Vermittler zwischen menschlicher und göttlicher Sphäre transparent wird; 823 wie bereits erläutert, liegen die Formeln vielmehr als verschriftete unmittelbare Rede vor, deren Verfasser dem defigen s entspricht (s. A: IV.2.2). Besonders deutlich tritt diese Identität in denjenigen defixiones zutage, die den Sprechhandelnden nicht nur als Ausführenden, sondern als Begünstigten der Zauberhandlung ausweisen: ‘[…] damit sie zugrunde gehen und durchbohrt werden, damit i c h der Erbe sei […]’ ([…] ut pereant et defigantur, ut ego her es sim […]). 824 Regelmäßig ist dies etwa im Liebeszauber der Fall: ‘Ich, Optatus, übergebe Vera, die Lucifera gebar, dem Gott […]. Sie soll keinen anderen beachten außer mir allein, keinen anderen im Sinn haben außer mir, Optatus, den Ammia gebar […].’ (Ego, Optatus, commendo deo […] Veram, quam peperit Lucifera. Nulli ali attendat nisi mihi soli, neminem alium in mente habeat nisi me, Optatum, quem pepe rit Ammia […]). 825 Bei dem ritualgebundenen Produktionsprozeß einer Schadenzaubertafel, der je nach Komplexität der Ausführungsmodalitäten ein besonderes Fachwissen erfordert, kann demzufolge eine funktionelle Aufteilung vorliegen. Nicht zuletzt ist gerade bei den späten, mitunter sehr ausführlichen Texten auch die Lese- und Schreibfähigkeit ein entscheidender Faktor für die Beauftragung einer sachkundigen Person. In den Ritualvollzug involviert sein können einerseits der ausführende Spezialist und damit Hersteller und Verfasser der Inschrift, andererseits der Auftraggeber, zu dessen Gunsten und in dessen Namen die entsprechende Zauberhandlung vollzogen wird. Der Wortlaut der Inschrift kann dabei etwa auch in Form von Ritualskripten vorgegeben sein. Diese Produktionsbedingungen entsprechen in einem modernen, alltäglichen Kontext z.B. der Erstellung von Briefen oder Zeitungsinseraten: Abfassung und Niederschrift sind ebenfalls an eine mit dem Sender des Textes nicht identische Person delegierbar, die sich ihrerseits an Vorlagen wie Briefstellern oder ähnlichen Leitfäden orientieren kann. 826 823 Die einzige Ausnahme bildet das Täfelchen dfx 3.19⁄3, auf dem die Zauberhandlung ‘im Namen des Camulorix und der Titocuna’ (nomine Camulorigis et Titocunae) ausgeführt wird. 824 dfx 1.7.4⁄1. 825 dfx 11.2.1⁄36. 826 Vgl. hierzu Ermert (1979, 58f.), der sich mit den grundlegenden Aspekten der Produktionsbedingungen von schriftlichen Kommunikationsformen auseinandersetzt. Im Hinblick auf die ähnlich gelagerte Abfassung von Urkunden vgl. auch Steinbauer 1989, 114-128. 196 V.2.2 Die Sprache als Kommunikationsmedium mit dem Numinosen Wie bereits dargelegt, kann das Ritual der defixio dem Ausführenden einen Kommunikationsraum mit numinosen Mächten eröffnen, die mit der Realisierung des Verwünschungsinhaltes beauftragt werden. Kontaktaufnahme und Interaktion mit dem Numinosen funktionieren dabei mit Mitteln der zwischenmenschlichen Kommunikation, d.h. mittels Sprache. Eine entscheidende Rolle hierbei spielt der Glaube des rituell Agierenden auf der Grundlage eines kollektiven Weltbildes, in dem numinose Mächte existieren, die durch überwiegend verständliche Äußerungen in einer menschlichen Sprache direkt angesprochen und auch zum Handeln aufgefordert werden können. 827 Zu dem besonderen Welt- und Handlungswissen des Sprechhandelnden zählen nicht zuletzt auch die anthropomorphen Gottesvorstellungen der Antike: Göttliche oder dämonische Kräfte werden als durchaus vom Menschen beeinflußbar gedacht und müssen sich sogar seinen Befehlen unterstellen, wenn er sie durch die richtigen Zaubersprüche gefügig machen kann. Dies läßt sich nicht nur den Zauberpapyri und defixiones entnehmen, sondern wird auch von anderen antiken Quellen dokumentiert. Das außergewöhnliche, die alltägliche, zwischenmenschliche Kommunikation übersteigende Handlungspotential ‘magischen’ Sprachgebrauchs wird gerade anhand metakommunikativer Reflexionen antiker Gelehrter, Philosophen und Dichter in indigenen Kategorien faßbar: Im 28. Buch seines Werkes bestätigt etwa Plinius d. Ä., daß dem Wort im Umgang mit den Göttern eine exponierte Stellung zukommt, eine Auffassung, die er durch die Berufung auf zahlreiche gebildete Autoritäten untermauern kann. Trotz aller wissenschaftlichen Skepsis räumt der Gelehrte schließlich ein, es gäbe Zauberformeln, hierunter auch ‘fremde und unaussprechliche Worte’ (externa verba atque ineffabilia), 828 die für die Einflußnahme auf göttliche Mächte geeignet seien. Aus erster Hand berichtet dies auch Apuleius: Um das Jahr 160 n. Chr. der Zauberei angeklagt definiert der Schriftsteller und Philosoph in seiner Verteidigungsschrift Apologia den Umgang des Magiers mit dem Numinosen als ‘Sprechgemeinschaft mit den Göttern’ (communio loquendi cum dis). 829 Mit ‘Teilhabe an den Göttern’ ( metous ! a t«n ye«n ) 830 prägt etwa ein Jahrhundert später der Neuplatoniker Jamblich, von 827 Zum modernen Kontext des Gottesdienstes, in dem der „Dialog der Gemeinde mit Gott“ stattfindet, vgl. z.B. Paul 1990, 25-27 (Zitat S. 25). 828 Plin. nat. 28,20. Diese Vorstellung ist nicht auf die Antike beschränkt, sondern manifestiert sich z.B. auch in hinduistischen und buddhistischen Ritualäußerungen, vgl. z.B. Tambiah 1968, 177f. 829 Apul. apol. 26,5f. Hierzu z.B. Graf 1996, 192; 203; ders. 1997, 120f.; ders. 2002, 93-95 (mit weiteren Belegen). 830 Vgl. Iambl., De myst. 7,5. Hierzu z.B. Graf 1996, 192; ders. 2002, 94f. (mit zahlreichen weiteren antiken Zeugnissen zur Kommunikation von Menschen und Göttern). 197 seinen Anhängern selbst als göttlich verehrt, einen vergleichbar treffenden Ausdruck. Die Vorstellung von menschlicher und göttlicher Zusammenkunft kann auch in den Zauberpapyri zum Ausdruck kommen, in denen der Magier z.B. als ‘Gesellschafter für den Gott’ ( sunomilÒw t“ ye“ ) 831 bezeichnet wird. Beide Philosophen teilen somit die verbreitete Auffassung, nicht nur das Wissen um wirkungsvolle Formeln, sondern auch die Kenntnis des Namens im richtigen Wortlaut verleihe dem Zaubernden die Macht, Geister und Dämonen nach seinem Willen zu lenken: Gerade diese außergewöhnlichen Sprachkenntnisse stellen insofern einen wesentlichen Faktor im rituellen Kommunikationsprozeß dar, als sie eine große Vertrautheit des Zaubernden mit seinen übermenschlichen Kommunikationspartnern suggerieren. Die direkte Ansprache mit dem richtigen, nur wenigen Eingeweihten vertrauten Namen legitimiert den Ausführenden der magischen Handlung zudem gegenüber der angerufenen numinosen Macht und weist ihn als Autorität und Fachmann aus. Dies ist um so mehr der Fall, wenn Zauberworte und Dämonennamen als geheim oder nicht allgemein zugänglich gelten. 832 Die Ausübung von Zwang auf Gottheiten und Dämonen wird ebenfalls durch antike literarische Zeugnisse bestätigt. So nimmt etwa in der Theurgie des Jamblich, der nach eigener Aussage in engem Kontakt zu göttlichen Wesen steht, der ‘Götterzwang’ eine feste und positive Stellung ein; 833 ein anderes Urteil fällt zwar der auktoriale Erzähler, den Lukan etwa zwei Jahrhunderte zuvor die Zaubermacht der Hexe Erichtho schildern und kommentieren läßt: Ihm sind die Beweggründe der Götter, selbst den grausigsten Beschwörungen und Anweisungen zu gehorchen, unbegreiflich; 834 daß sie es tun, steht aber auch für ihn außer Frage. V.2.3 Die schriftlich vermittelte Kommunikation: der ‘Unterweltsbrief’ 835 Die schriftliche Umsetzung mündlich rezitierbarer Formeln stellt eine regelmäßige rituelle Operation dar, die sowohl metaphorische als auch mediale Aspekte aufweist (s. A: III.3). Dabei werden mündliche Äußerungen nicht schriftlich imitiert oder nach Vollzug verschriftet, vielmehr können 831 PGM I 40f. Hierzu z.B. Graf 1997, 120f. 832 Hierzu z.B. Cassirer 1925, 44f.; Mauss/ Hubert 1966, 50f.; Graf 1997, 127-132. 833 Vgl. Iambl., De myst. 1,14; 4,2. Hierzu Luck 1990, 157f.; 163-165; Graf 1996, 199-203. Bereits Platon (rep. 364C) hebt den Zwang auf die Götter als Eigenheit magischen Handelns hervor. 834 Vgl. Lucan. 6,492f.: ‘Warum sind die himmlischen Götter so sehr bemüht, den Zaubersprüchen und Kräutern zu gehorchen, und fürchten sich, sie zu mißachten? ’ (Quis labor hic superis cantus herbasque sequendi spernendique timor? ). Hierzu z.B. Luck 1990, 60; 237-251; Eitrem 1941, 70-72; Gordon 1999a, 241f. 835 Vgl. Wünsch 1898, 71; Preisendanz 1972, 7; Brodersen 2001a (s. auch A: III.3.2.1). 198 die sprachlichen Handlungen mündlich wie schriftlich realisiert werden (s. A: IV.2.2.2). Gerade im rituellen Umgang mit katachthonischen und somit als unheilvoll und schadenbringend eingestuften Mächten bildet die beschriftete ‘Fluchtafel’ das ideale Kommunikationsmedium, da sie dem Verfasser ermöglicht, anonym zu bleiben und sich weder vor menschlichen noch vor göttlichen Instanzen zu sehr zu exponieren und angreifbar zu machen. Der ‘Unterweltsbrief’ zeigt sich nicht nur auf Textebene an charakteristischen Deiktika und Satztypen, sondern wird bereits an außertextuellen Faktoren sichtbar: Hierzu zählt die Deposition des Täfelchens an Orten, die eine Übermittlung des Schriftstücks an den numinosen Adressatenkreis wahrscheinlich machen; 836 ferner auch die äußere Aufmachung der Bleitafel als Briefhülle. 837 Funktionell vergleichbar mit der Anschrift ist auch die der Zauberinschrift vorangestellte Dedikation: 838 Hier erscheint der Name der jeweiligen Gottheit im Dativ als erste Textzeile, die bisweilen auch optisch durch einen Zeilenwechsel vom übrigen Text getrennt sein kann und damit als Briefeinleitung fungiert. Mit der schriftlich vermittelten Kommunikationssituation kann die raumzeitliche Trennung von Sender und Empfänger der Botschaft einhergehen: 839 Da in diesem Fall die Interaktion nicht direkt in einer gemeinsamen Handlungssituation stattfindet, kann die Übermittlung von Informationen nicht über körperliche Signale oder paralinguistische Mittel erfolgen; vielmehr operiert die verbale Kodierung auf der „graphisch visuellen Ebene“. 840 Ausgeschlossen ist auch ein Sprecher- und Themenwechsel; ebensowenig ermöglicht die schriftliche Kommunikationsform eine zeitnahe Rückfrage, durch die fehlende bzw. ungenaue Angaben ergänzt oder präzisiert werden können. Der Rezipient ist folglich ausschließlich auf textimmanente Faktoren angewiesen. Darüber hinaus kann der Verfasser seinen Text nach erfolgter Übermittlung nicht rückgängig machen oder ersetzen. Um ein Informationsdefizit auf seiten des Empfängers, das die angestrebte Reaktion beeinträchtigen könnte, zu vermeiden, ergibt sich auf seiten des Textproduzenten folglich von vornherein die Notwendigkeit, sämtliche Kommunikationsinhalte und -ziele stärker zu reflektieren und zu verbalisieren. Insbesondere in einer rituellen, auf die Interaktion mit numinosen Mächten basierenden Kommunikationssituation muß der schriftliche Text 836 Eine Zugangsmöglichkeit sind die Opferröhrchen, in denen die gerollten Bleilamellen bisweilen gefunden wurden. Hierzu z.B. Cesano 1910, 1588f.; Ogden 1999, 18. 837 Vgl. hierzu z.B. Ziebarth 1934, 1039, Nr. 20; Preisendanz 1972, 7; 20 (mit Belegen). Zu den „Merkmale[n] der Briefhülle“ vgl. auch Ermert 1979, 111-113 (Zitat S. 111). 838 So z.B. in dfx 2.2.2⁄1. Vgl. hierzu den Kommentar von Corell (1993, 263), der von einer „Analogie zu den Dedikationen“ spricht. 839 Zur „Indirektheit des kommunikativen Kontaktes“ bei der schriftlichen Kommunikationsform vgl. z.B. Ermert 1979, 4f.; 54f. (Zitat S. 4). 840 Ebd., 55. 199 möglichst vollständig und unmißverständlich formuliert sein. Diese Textkonzeption äußert sich im Rückgriff auf erprobte Formulare und Ritualtexte sowie insbesondere auf Formeln, sprachliche Strukturen und auch ‘magische’ Zeichen und Zeichnungen, die entweder eine zentrale Sprechhandlung unterstützen, indem sie Aufmerksamkeit und Handlungsbereitschaft des Adressaten erhöhen, oder größtmögliche Eindeutigkeit und Vollständigkeit gewährleisten (s. A: IV.4). In der detaillierten Handlungsanweisung per Brief bestätigt sich zugleich der Götteranthropomorphismus der Antike, da den adressierten Gottheiten einerseits die Fähigkeit zugeschrieben wird, nicht nur ein gesprochenes Gebet hören, sondern es auch in schriftlicher Form rezipieren zu können; andererseits spiegeln sich darin auch andere göttliche Eigenschaften: Die adressierten Gottheiten „sind nicht allmächtig. Sie sind nicht allwissend. Sie sind nicht von vornherein gnädig und gut. […] Sie sind nicht omnipräsent“; 841 vielmehr bedürfen sie der genauen Anleitung durch den Menschen, um tätig werden zu können. 842 Nachweislich partizipieren die Zauberinschriften sowohl an der Kommunikationsform des gesprochenen Gebetes als auch am schriftlich festgehaltenen Privatbrief: Einige Texte enthalten Elemente wie ‘Anrufungs’- oder ‘Beschwörungsformeln’, die auf face-to-face-Interaktion ausgerichtet sind; in anderen finden sich hingegen ‘metasprachliche Determinanten’ wie das textphorische infrascriptus bzw. suprascriptus ‘unten’bzw. ‘obenstehend’, dessen Verwendung nur im Rahmen einer schriftlich vermittelten Kommunikation denkbar ist (s. auch A: IV.4.2.5). Das Verhältnis von mündlichen und schriftlichen Formeln muß allerdings insofern problematisch bleiben, als aufgrund der Quellenlage nicht ersichtlich ist, ob die mündliche Wiedergabe stets einen Bestandteil des Ritualvollzugs bildet und, vor allem, ob rezitierter und niedergeschriebener Text im Wortlaut stets exakt korrespondieren. Wie es die bekannte Anleitung zur Zubereitung und Ausführung einer defixio (PGM V 304-369) nahelegt, kann der mündlich vorzutragende Ritualtext die Anrufung von Vermittlerinstanzen wie etwa Totendämonen o.ä. enthalten, die nicht als Adressaten des ‘Unterweltsbriefes’ figurieren. Die zunehmende Bedeutung der sprachlichen Formulierung bei der indirekten Interaktion mit numinosen Mächten zeigt sich auch in der Dynamik von den frühesten wortkargen defix iones hin zu den ausführlichen und mitunter auch redundanten ‘Unterweltsbriefen’. Hierin treten sprachliche Strategien, die ein adäquates Textverständnis von seiten des Empfängers und somit die Zielrealisierung des Textproduzenten gewährleisten sollen, überaus deutlich zutage: Durch die Kombination unterschiedlicher 841 Scheer (2001, 35), die diese Feststellung für die Götter Homers trifft. 842 Vgl. z.B. den Kommentar von Egger (1963, 31) zu dfx 6.1⁄1 (mit Bezug auf ein Zauberpapyrus): „Nicht uninteressant ist, wie den Geistern Weg und Handlung bis ins einzelne vorgeschrieben werden.“ Zur schriftlich vermittelten „Kommunikation mit den Göttern“ vgl. auch Glück 1987, 210-217 (Zitat S. 213). 200 Formeltypen nehmen die Handlungsstrukturen an Komplexität zu; ferner werden die gewünschten Folgen auf das Zielindividuum nicht nur detailgenau dargestellt, sondern auch beschwörungsartig wiederholt. Hieraus erklärt sich nicht zuletzt der Eindruck einer expliziten und nachdrücklichen Grausamkeit, den gerade die kaiserzeitlichen defix iones, meist ‘agonistischer’ Natur, vermitteln können. Der intendierte Austausch zwischen menschlichem Sender und göttlichem Empfänger der ‘magischen’ Botschaft ist dabei immer non-verbal gedacht: Die Reaktion des numinosen Kommunikationspartners soll sich in einer Folgehandlung, d.h. in der Einwirkung auf das anvisierte Opfer und der „Veränderung [seiner] Lebenswirklichkeit“ 843 manifestieren. Die adressatenorientierte Form der defixio ist demzufolge vergleichbar mit einem „monologisch intendierten Brief“, 844 der einen unidirektionalen Informationsfluß zwischen Produzent und Rezipient herstellt. V.3 Der ‘götterlose’ Formeltyp Die Ausführung einer defixio stellt ein ‘Ich’-Ritual dar, das im Regelfall isoliert durchgeführt wird und damit keine soziale Dimension aufweist; findet Kommunikation statt, so verläuft sie üblicherweise allein in ‘vertikaler’ Richtung, d.h. zwischen Mensch und Gottheit. Auch diese kommunikative Ebene kann jedoch fehlen, was insbesondere für die früheste Form der defixio belegbar ist: Fehlende Bezüge auf übernatürliche Adressaten im Verbund mit eindeutigen formalen Hinweisen auf den Bewirker des Zaubers, wie sie im Falle explizit performativer Formeln vorliegen, sind als Reflex der zugrundeliegenden Äußerungssituation zu werten. Daß die (korrekte) Nennung des numinosen Kommunikationspartners eine zentrale Rolle für den Erfolg der Verwünschung spielt und nicht ohne weiteres vernachlässigt werden kann, verdeutlichen bereits unterschiedliche subsidiäre Strategien zur Sicherung von Vollständigkeit und Unmißverständlichkeit, die gerade auch gegen Falschadressierungen eingesetzt werden. In den ‘götterlosen’ Formeln reflektieren sich folglich grundlegende Unterschiede zum alltäglichen Sprachgebrauch sowohl im Hinblick auf Funktionsweise und Aktionsradius als auch auf die Konzeption von Sprache. V.3.1 Von der Ein-Verb-Formel zum komplexen Text Die defixiones folgen einer generellen formalen Entwicklungslinie von der wortkargen Verwünschung zum detailreichen, übergenauen ‘Unterweltsbrief’: Die frühesten Texte in griechischer Sprache, wie etwa diejenigen aus Selinunt oder Attika, bestehen aus der reinen Namensnennung der 843 Brodersen 2001a, 58. 844 Ermert 1979, 62. 201 anvisierten Person(en) im Nominativ oder Akkusativ oder ‘Ein-Verb- Formeln’ in der 1. Ps. Sg. Präs. vom Typ ‘ich binde fest’ bzw. ‘ich durchbohre’ ( katad« bzw. defigo). Selbst für längere defixiones stellt M. López Jimeno fest: Las más antiguas carecen por completo de dedicatorias o peticiones a los dioses, lo cual parece apuntar a una incorporación posterior de este elemento religioso a la tradición y rituales mágicos. 845 Ab dem Prinzipat weisen die Täfelchen eine zunehmend detaillierte und durchdachte Komposition auf, was auch anhand von Formelinventar, Zauberworten bzw. Dämonennamen sowie optischer Ausgestaltung greifbar wird. Das Verhältnis der späteren Zauberinschriften verschiebt sich klar zugunsten ausführlicherer Texte, die auch explizit Aufschluß über das Motiv der Verwünschung geben (s. A: IV.5). Der „einfache götterlose Zauberspruch“ 846 gilt als Urform der Verwünschung und steht der durch einen Hinweis auf involvierte numinose Mächte erweiterten Formel grundsätzlich gegenüber. Eine veränderte Kommunikationssituation, vom isoliert agierenden defigens zur rituellen Interaktion mit der Gottheit, reflektiert sich in den ‘Kontaminationsformeln’, die möglicherweise ein intermediäres Stadium zwischen der ‘Manipulationsformel’ und der ‘Übergabeformel’ darstellen. V.3.2 Die Existenz ‘götterloser’ Formeln V.3.2.1 … im antiken Kontext Wie bereits ausgeführt, kann das zumeist öffentlich rezipierte Fluchwort als ‘götterlose’ Formel vorliegen. 847 Daß auch magische Rituale von jeher vollzogen werden, „ohne sich an die Hilfe von Göttern oder Dämonen zu 845 López Jimeno 1991, 208-213 („Estructura“), Zitat S. 211. Auffällig ist z.B. López Jimeno 1991, 72-79, Nr. 10. Dabei handelt es sich um eine relativ ausführliche Tafel aus Selinunt, die neben Namen und Verbform auch die Angabe der angewünschten Folgen und eine Aufzählung der Körperteile, aber keinen Hinweis auf eine Gottheit enthält. Einzige frühe Ausnahme ist López Jimeno (1991, 85-100, Nr. 12), die sich an Persephone wendet. Vgl. auch Cesano 1910, 1569: „[…] può avvenire che sulle tabelle manchi sia l’invocazione alla o alle divinità“ (mit Auflistung aus DTA und DT). Ebenso Kagarow 1929, 5; 21; 26-28; Björck 1938, 117f.; Versnel 1991, 61; 94, Anm. 7: „[D]irect instructions to the gods or daemons date from the period of the Roman Empire. Earlier instructions to the gods are the exceptions, not the rule.“ 846 Björck 1938, 117. 847 Vgl. etwa die dirae Teiorum, zu denen auch Audollent (1904, XXXII) bemerkt: „nemo invocatur deus […] neque saltem ii nominantur.“ Hierzu z.B. auch Björck 1938, 35; 107f.; Watson 1991, 21; Graf 1996, 117 (mit weiterer Literatur). Darüber hinaus sind Formeln ohne Hinweise auf Gottheiten auch typisch für antike Segens- und Fluchformeln, innerhalb wie außerhalb des griechisch-römischen Kulturkreises. 202 wenden“, 848 zeigt sich an einer Vielzahl auf uns gekommener ‘götterloser’ Formeln, die den über tausendjährigen Zeitraum von der homerischen Epoche (8. Jh. v. Chr.) bis in die Spätantike umspannen; ihre Anwendung ist dabei keineswegs auf den Schadenzauber beschränkt, sondern bildet auch einen wichtigen Bestandteil der medizinischen Praxis. 849 Eines der frühesten überlieferten Zeugnisse für den als Heilmittel eingesetzten ‘götterlosen’ Zauberspruch stellt Homers Odyss ee bereit: Die Schenkelwunde des jungen Odysseus wird nicht allein mit einem Verband behandelt; zusätzlich wird die Blutung mit einem (allerdings nicht im Wortlaut überlieferten) ‘Zauberlied’ ( §paoidÆ ) gestillt. 850 Ohne Götter kommen auch verschiedene spätantike Heilzaubersprüche aus: 851 So verzeichnet z.B. Marcellus Empiricus (um 400 n. Chr.) ein kleines Ritual unter der Überschrift Ad haemorhoidas. 852 Der kurze Ritualtext, der sich an die Erkrankung selbst richtet, besteht aus einer explizit performativen Formel: ‘Hämorrhoide, ich nehme dich gänzlich von hier fort’ (Tollo t e hinc totam, haemorhoida). Das verwendete Vollzugsverb bezeichnet dabei eine konkrete Handlung, die verbal an der Krankheit ausgeführt wird. Ein anderer von Sextus Placitus (5. Jh. n. Chr.) überlieferter Zauberspruch, der auf übernatürliche Mächte ebenfalls keinen Bezug nimmt, wird zur Erleichterung des Geburtsvorganges eingesetzt. Vor der Rezitation muß der Vater des Kindes die gebärende Mutter mit seinem eigenen Gürtel umwinden (evincire). 853 Die ‘Bindung’ der Frau verweist dabei metaphorisch auf den Vorgang der Schwängerung. Die sich anschließende manuelle Ritualhandlung besteht in der Lösung des Gürtels. Parallel zu dieser ebenfalls als Metapher deutbaren ‘Entbindung’ ist folgende kurze Formel aufzusagen: ‘Hiervon entbinde ich dich, die du in den Wehen liegst’ (Ego de hoc explico te laborantem). 854 Wie gerade die rituelle Operation des Gürtelbindens und -lösens zeigt, ist das Handlungsverb explicare dabei nicht nur im übertra- 848 Wissowa 1912, 409. Vgl. auch Köves-Zulauf (1972, 156), der das für das römische Verständnis typische „unmittelbare, durch keine göttliche Person vermittelte Verhältnis zwischen Tat und Wort“ als „magisch“ kennzeichnet. 849 Vgl. hierzu Furley 1993 (mit zahlreichen Belegstellen). 850 Hom. Od. 19,457f. Hierzu z.B. Eitrem 1941, 40f.; Kotansky 1991, 108f.; Renehan 1992; Furley 1993, 80. 851 Zum Heilzauber vgl. z.B. die Zusammenstellung der literarisch überlieferten Zauberverse bei Heim 1892. Ebenso Önnerfors 1988; ders. 1991; ders. 1993 (bes. die Ergänzungen zu Heim S. 206-219); s. auch A: II.4.2.6. 852 Marcellus 31,33. Hierzu z.B. Önnerfors 1991, 32f.; Gaide 2006, 112. 853 Vgl. hierzu z.B. ders. 2003b (mit zahlreichen Belegstellen): Dargelegt ist die weite Verbreitung von Verben des ‘Bindens’ etc. und die zugehörigen Ritualhandlungen in antiken medizinischen Traktaten. 854 Sextus Placitus, Liber medicinae ex animalibus 17,11. Diese Formel stellt die leicht veränderte Umschrift einer Pliniusstelle (Plin. nat. 28,42) dar, in der die Zauberformel (wie bei Plinius üblich) in indirekter Rede wiedergegeben wird. Vgl. hierzu z.B. Stemplinger 1922, 75; Eitrem 1954, 384; Önnerfors 1991, 19; ders. 1993, 184f.; 213, Nr. 34. 203 genen Sinne von ‘entbinden’, sondern durchaus auch wörtlich als ‘entbinden’ zu verstehen. Die Ähnlichkeiten, die verbale wie nicht-verbale Elemente iatromagischer Rituale zur defixio aufweisen, sind augenfällig. Daß Heil- und Schutzzauberrituale hinsichtlich Struktur und Semantik prinzipiell nicht von ihrem negativen Gegenstück zu trennen sind, zeigt sich auch an der grundlegenden Polysemie verschiedener Ritualhandlungen: Neben dem Binden zählt hierzu z.B. das Eintreiben von Nägeln, das nicht nur eine geläufige Manipulation im Rahmen des defixio-Rituals darstellt, sondern auch gegen Krankheiten wie z.B. epileptische Anfälle eingesetzt wird. 855 V.3.2.2 … im modernen Kontext In den Zaubersprüchen der von E. Evans-Pritchard erforschten Rituale bei den zentralafrikanischen Zande finden sich keine Hinweise auf numinose Mächte; vielmehr ist die Verwendung ‘götterloser’ Formeln als Charakteristikum hervorzuheben: „The efficacy of magic lies in the medicines and in the rite and not in any power outside these. Very seldom are they associated with ghosts.“ 856 Im Rahmen seiner Feldforschungen bei Melanesischen Volksstämmen in Papua Neuguinea untersucht auch B. Malinowski auf Schaden oder Tod abzielende Rituale. Verbale und non-verbale Bestandteile weisen bemerkenswerte Parallelen zu dem Ritual der defixio auf: Während der Zauberer das Ritual vollzieht, muß er „Wörter wie diese wiederholen: ‘Ich breche - ich verdrehe - ich verbrenne - ich zerstöre’, indem er mit jedem dieser Ausdrücke auf die verschiedenen Teile des Körpers und der inneren Organe des Opfers weist“. 857 Bei den Zauberformeln handelt es sich um explizit performative Äußerungen, deren Prädikat mit einem manuellen Handlungsverb ausgedrückt ist. Dabei bezeichnet das Verb die dem Opfer geltende Mißhandlung, die in Sprache und Aktion abgebildet wird. In anderen Fällen wird anstelle der dem Ritual beiwohnenden Zielperson „ein Objekt, welches das Opfer symbolisiert, rituell […] verletzt oder zerstört“. 858 Die konkrete Ritualhandlung an einem auf das Opfer verweisenden Gegenstand verhält sich somit analog zur Manipulation der ‘Fluchtafel’. Die Anwesenheit des Opfers ist auch im Falle des ‘Zeige’-Vorgangs mit dem Deutebein, einem Ritual der Aborigines, nicht zwingend erforderlich. Zu diesem Phänomen schreibt der Australienkenner H. Basedow folgen- 855 Vgl. Plin. nat. 28,63: ‘Ein eiserner Nagel, an der Stelle eingeschlagen, wo ein stürzender Epileptiker zuerst den Kopf aufschlug, soll Befreiung von dieser Krankheit bewirken’ (clavum ferreum defigere in quo loco primum caput fixerit). Vgl. hierzu z.B. Thorndike 1964, 87f.; Preisendanz 1972, 19 (mit falscher Stellenangabe), s. auch A: II.3.1. 856 Evans-Pritchard 1937, 441. 857 Malinowski 1978, 89. 858 Ebd., 86. 204 des: „This is the wonderfully potent method of ‘pointing’ death at a man, who m a y o r m a y n o t [Hervorhebung A.K.] be present or visible.“ 859 Auch zeitgenössische ‘Diebeszauberformeln’ aus Deutschland weisen bemerkenswerte formale und inhaltliche Parallelen zu den ‘Manipulationsformeln’ auf den lateinischen defixionum tabellae auf: ‘Dieb, ich steche dein Gehirn […], ich steche deine Hände […], ich steche deine Füße.’ 860 Dies gilt auch für den Heilzauber, für den ‘Analogieformeln’ und explizit performative Formeln, die auf die zugehörige manuelle Ritualhandlung wie das Binden und Verknoten Bezug nehmen, typisch sind. 861 V.3.3 Die ‘Selbstwirksamkeit’ der Sprache ‘Götterlose’ Verwünschung bilden nicht nur die metaphorische Ritualhandlung sprachlich ab; vielmehr lassen sie auf seiten des Sprechhandelnden einen besonderen Umgang mit Sprache erkennen: An die Stelle eines numinosen Kommunikationspartners, der mit der Erfüllung der Verwünschung beauftragt wird, tritt die Vorstellung einer ‘mechanischen’ bzw. ‘automatischen’ Wirkweise der verbalen und non-verbalen Ritualelemente. V.3.3.1 Die vis carminum im Spiegel antiker literarischer Zeugnisse Eine entscheidende Rolle für die Verwendung ‘götterloser’ Formeln spielt der weit verbreitete „Glaube an die Mächtigkeit des Wortes“, 862 der nicht zuletzt als charakteristischer Zug römischer Religiosität gilt. Diese Furcht vor der vis carminum bestimmt den Alltag auch über den magischreligiösen Bereich hinaus: 863 Menschliche Worte können nicht allein Götter und Dämonen beeinflussen, sondern auch auf andere Elemente des Kosmos unmittelbar einwirken. Die Vorstellung von Macht und Autonomie des menschlichen Wortes leuchtet aus zahlreichen literarischen Zeugnissen hervor. 864 So kommentiert Plutarch den Fluch des Tribuns Ateius Capito über M. Licinius Crassus mit den Worten: „Die Römer sagen daß diese Flüche, geheimnisvoll und alt wie sie sind, eine derartige Macht besitzen, daß ihnen niemand von 859 Basedow 1925, 174. Hierzu auch die einschlägige Studie von Róheim (1925), in der verschiedene Formen des Rituals bei den Aborigines Australiens beschrieben sind. Ebenso Malinowski 1978, 85f. 860 Hampp 1961, 149. 861 Vgl. ebd., 140-152. Das Durchstechen findet sich interessanterweise eher im ‘Diebeszauber’, vgl. ebd., 149f. 862 Latte 1960, 61. 863 Vgl. hierzu z.B. Gordon 1999a, 220f.; 239-243; Versnel 2002, 153-156; Hoffman 2002. Allgemein zum carmen auch Quasten 1954; Addabo 1991; Önnerfors 1993, 159, Anm. 6. Die rhetorischen Verfahren des vorliterarischen carmen sind auch besprochen bei Dangel (1997). 864 Vgl. Audollent 1904, LIV; Eitrem 1941, bes. 59, Anm. 3; 60f., Anm. 4. 205 denen, die von ihnen betroffen sind, entkommt […].“ 865 Dem ausgesprochenen Fluchwort eignet eine autonome, bisweilen auch vom Äußernden selbst nicht mehr kontrollierbare Wirkkraft. Der Vergleich des gesprochenen Wortes mit einem Wurfgeschoß findet sich in Senecas Phaedra: ‘Wohin Pfeile nicht gesandt werden können, dorthin werde ich Verwünschungen schicken’ (Tela quo mitti haud queunt, huc vota mittam). 866 Wie Pfeile können Worte gezielt gegen jemanden gerichtet werden, sie werden „als Werkzeuge gedacht“. Einmal abgeschossen sind sie ebenso gefährlich und selbsttätig, verfügen jedoch über eine weitaus größere Reichweite und Zielsicherheit. Ein umfangreiches Machtpotential wohnt etwa auch den Worten der Zauberin Medea inne, da sie unmittelbar auf die Elemente einwirken können: 867 Um den Drachen, Wächter des goldenen Vlieses, einzuschläfern, verwendet sie ‘Worte […], die ein stürmisches Meer und schnelle Ströme zum Stehen bringen’ (ve rba […], quae mar e turbatum, quae concita flumina sistunt). 868 Hiermit vergleichbar ist z.B. auch die Macht, die den Zauberversen der Marser zugesprochen wird: Sie werden eingesetzt, um Schlangen zu töten wie auch ihre Bisse zu heilen. 869 Die Idee vom unmittelbaren Einfluß der ‘Zaubersprüche’ (carmina) auf die Umwelt reflektiert sich auch in Vergils achter Ekloge, in der das Liebeszauberritual einer jungen Frau inszeniert ist. In einem Vers, der die Gedanken der unglücklichen Geliebten wiedergibt, scheint die Einstellung des Dichters selbst zum Wirkpotential magischer Sprachverwendung durch: ‘Zaubersprüche können sogar den Mond vom Himmel herabführen’ (carmina vel caelo possunt deducere lunam). 870 Es ist auch Vergils achte Ekloge, die den Glauben an die Selbsttätigkeit des Wortes nicht nur zur Sprache bringt, sondern die gedachte Wirkweise verdeutlicht. Dabei handelt es sich um den neunmal in unveränderter Form wiederholten Refrain, der die Schilderung der gesamten Ritualhandlung abschnittsweise aufteilt. Die Strophe besteht aus einem Appell, der sich an die (im Wortlaut nicht angegebenen) carmina richtet und zur Handlung am Zielindividuum auffordert: ‘Führt aus der Stadt nach Hause herbei, meine Zaubersprüche, führt Daphnis herbei’ (ducite ab urbe domum, mea carmina, ducite Daphnin). 871 Im Zentrum des Rituals steht also das 865 Vgl. Plut. Crassus 16 (s. auch A: III.4.2.2). 866 Sen. Phaedr. 941f. 867 Zu den unterschiedlichen Zauberwirkungen auf Natur, Witterung und kosmische Erscheinungen vgl. die Übersicht in Hopfner 1928, 375f. 868 Ov. met. 7,153f. 869 Vgl. hierzu insbesondere Eitrem 1941, 61, Anm. 4; Tupet 1986, 2596; 2617-2626; Gordon 1999a, 165; Dickie 2001, 134f. 870 Verg. ecl. 8,69. Zu dieser weitverbreiteten Vorstellung vgl. z.B. Tupet 1976, 92-103; Gordon 1999a, 223. 871 Verg. ecl. 8,68; 72; 76; 79; 84; 90; 94; 100; 104. Vgl. hierzu insbesondere Eitrem (1941, 59), der diese Textstelle als „une apostrophe de la chanson magique elle-même“ bezeichnet und zur Bedeutung, die den verbalen Ritualelementen beigemessen wird, 206 carmen „qui exerce l’action magique“. 872 Die Zauberhandlung erbringt schließlich ein gutes Omen für die Heimkehr des Geliebten; um keine weitere, möglicherweise schädigende Wirkung zu entfalten, müssen die angerufenen und ausgesandten carmina auf dieselbe Weise auch wieder zurückgeholt und besänftigt werden: ‘Laßt von ihm ab […], laßt nun von ihm ab, meine Zaubersprüche’ (parcite […], iam parcite carmina). 873 Im Rahmen des Rituals scheinen die Zaubersprüche gleichsam ein Eigenleben entwickelt zu haben: Sie sind nicht als abstrakte Symbole, sondern als personifizierte Mächte gedacht, mit denen der rituell Handelnde sprachlich interagieren kann. 874 Der besondere Stellenwert dieser Passagen ist auch daran erkennbar, daß Vergils Gedicht hierin klar von Theokrits Vorlage abweicht, in dem nicht die carmina, sondern die Iynx, das ‘Zauberrad’, angesprochen wird. 875 Eine analoge Vorstellung von Selbsttätigkeit und Reichweite des menschlichen Wortes reflektiert sich auch in der personifizierten Darstellung ‘der Flüche des Tribuns’ (tribuniciae dirae): 876 So beschreibt Lukan in den Pharsalia, wie sie, gleich eigenmächtig handelnde Wesen, dem verfluchten Feldherrn in den Krieg folgen und sein Verderben bewirken. Die direkte Adressierung von Ritualelementen ist indes nicht auf das antike Rom beschränkt, sondern findet sich etwa auch in den Zaubersprüchen der Zande: Die Appelle sind in diesem Fall an die non-verbalen Ritualelemente gerichtet: „The magician addresses (sima) the medicines and tells them what he wants them to do.“ 877 Der Umgang mit den Ritualobjekten gleicht dabei der Entsendung eines Jungen auf einen Botengang. 878 Im Rahmen des Diebes- und Rachezaubers kann der Auftrag an die „Medizinen“ durchaus auch in der Schädigung oder Tötung der Zielperson bestehen. bemerkt: „A ce qu’il paraît, le poète a considéré le canere comme l’élément le plus important de l’acte magique.“ Ebenso Richter 1970, 39-44; 72-77; 146f.; Tupet 1976, 223- 232, bes. 227-229. 872 Ebd., 228. 873 Verg. ecl. 8,109. 874 Vgl. hierzu z.B. Cassirer 1925, 78-80. Für den antiken Kontext vgl. z.B. Kuhnert 1901, 2377 („dämonische Gewalt des Wortes“). Immer noch grundlegend ist der Artikel von Speyer 1969, bes. 1165-1167 („das mächtige Wort, der mächtige Mensch“); 1196 („F[luch] als dämonisches Wesen“). Zu den alttestamentlichen Segens- und Fluchworten, die auch als ‘selbsthandelnd’ gedacht werden, vgl. etwa Wagner 1997, 262f.; ebenso Maier (2000, 75), der feststellt, daß der Segen bzw. Fluch „nach der Vorstellung dessen, der ihn äußert, entweder aus sich selbst heraus oder durch das Wirken einer Gottheit […]“ wirksam ist. 875 Vgl. Theokr. Id. 2,1-62. Hierzu z.B. Richter 1970, 73; Graf 1996, 159f. 876 Lucan. 3,128. 877 Evans-Pritchard 1937, 450. 878 Vgl. ebd., 37; 452. 207 V.3.3.2 Mala lingua und fascinum: Antike Erklärungen für wirkmächtige Äußerungen Das selbstmächtige Wirkwort ist auch Gegenstand antiker Reflexionen. So zeichnet Plinius d. Ä. den traditionell in Rom verankerten Glauben an die Macht des Wortes anhand verschiedener Zeugnisse aus früheren Zeiten nach. Dabei geht er gerade im Zusammenhang mit Heilmitteln aus der Natur von einem objektiv vorhandenen Machtpotential des geäußerten Wortes aus. 879 Die tatsächliche Wirkkraft schreibt er insbesondere dem Wortlaut, der phonetisch-akustischen Konstitution zu, einer natürlichen Macht, die sich folglich in der Lautäußerung aller Lebewesen manifestieren kann: Nicht nur der zaubernde Mensch vermag durch Schnalzen, Pfeifen oder Brüllen etwa Dämonen anzulocken oder zu vertreiben, selbst Schlangen stehen im Ruf, durch ihr Zischen einen Zauber zunichte machen zu können. Als materielle Phänomene befinden sich die Worte des Menschen auf einer Stufe mit den übrigen Körperprodukten wie Blut, Speichel, Milch etc., die zu Heilzwecken verwendet werden können. In der Macht des Wortes liegt also ein aus dem menschlichen Körper stammendes Mittel, ein Potential, das die Natur dem Menschen als Medikament zur Verfügung gestellt hat, ohne auf göttliche Unterstützung rekurrieren zu müssen. Es erstaunt somit nicht, daß ‘götterlose’ Formeln gerade im antiken Heilzauber anzutreffen sind. Der Wortzauber eignet dabei aber nicht allein dem rituell eingebundenen, richtig ausgeführten Zauberspruch, sondern gilt für das menschliche Wort im allgemeinen. Von dieser ‘Macht der Zaubersprüche’ (vis carminum), insbesondere im Hinblick auf die mala carmina, 880 kündet aus römischer Sicht bereits das Zwölftafelgesetz aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert. Eine vergleichbar aggressive Macht stellt Catull grundsätzlich für die mala lingua 881 fest: Der Gebrauch der menschlichen Sprache kann Unheil bewirken und Schaden zufügen. Untermauert wird der Glaube an die Selbstwirksamkeit des Wortes nicht zuletzt durch Seneca, einen Zeitgenossen des Plinius: ‘Kein Wort dringt schadlos an unsere Ohren […] es schaden uns, die uns verwünschen’ (nulla ad aures nostras vox impune perfe rtur […] nocent qui exsecrantur). 882 879 Vgl. Plin. nat. 28,10-29, bes. 10-13 (an sit in medendo verborum aliqua vis ‘ob bei der Heilung den Worten irgendeine Kraft innewohnt’). Zur übernatürlichen Kraft des Wortes im enzyklopädischen Werk des Plinius vgl. insbesondere Köves-Zulauf 1972, bes. 21-34; 319-321; ders. 1978, 197; 264-266; Bäumer 1984; Tupet 1986, 2596f.; Hoffman 2002; 186. 880 Vgl. Zwölftafelgesetz, frg. 8,1a: qui malum carmen incantassit. 881 Catull. 7,12 (mala fascinare lingua). Ein vergleichbarer Ausdruck findet sich auch bei Verg. ecl. 7,27 (noceat mala lingua). Zur ‘bösen Zunge’ vgl. z.B. Jahn 1855, 38-40; Seligmann 1922, 5; Tupet 1986, 2607-2610. 882 Sen. epist. 94,53. Allerdings bezeichnet er den Glauben an die Effizienz dieser Flüche als falsi metus ‘falsche Befürchtungen’. Hierzu auch Watson 1991, 5. 208 Der Furcht vor dem ‘bösen Wort’ entspricht der tiefverwurzelte, durch eine Vielzahl apotropäischer Gegenstände oder Handlungen dokumentierte Glauben an den ‘bösen Blick’ (fascinum). Hierzu zählt z.B. auch das von Ovid beschriebene Ritual einer alten Frau, das im Rahmen der Feralia ausgeführt wird und „gegen die böse Zunge und den bösen Blick helfen soll“. 883 Diesen „unheilvollen Einfluß“ 884 kann folglich jeder ohne rituelles Beiwerk direkt auf die Zielperson ausüben, im Gegenzug ist ihm jeder auch selbst „auf Schritt und Tritt ausgesetzt“. 885 Als Ursache des fascinum werden im allgemeinen Neid und Mißgunst angenommen, die gerade für die ‘agonistische’ Form der defixiones eine wichtige Rolle spielen. 886 Auch im Hinblick auf dieses Phänomen existieren bereits in der Antike unterschiedliche Erklärungsansätze, in denen sich vor allem eine analytische, rationale Auseinandersetzung mit traditionellen, weitverbreiteten Glaubensvorstellungen reflektiert: Die direkte Wirkkraft wird dabei nicht auf eine göttliche Intervention zurückgeführt; vielmehr werden naturwissenschaftlich, physikalisch-biologisch orientierte Theorien zu seiner Erklärung aufgestellt. So läßt z.B. Plutarch als unbestreitbares Faktum feststellen, daß insbesondere Kinder, aber auch Erwachsene durch den ‘bösen Blick’ ( b-skanon ) geschädigt werden können. 887 Hierfür verantwortlich gemacht wird der ständige ‘Ausfluß’ ( épporo ! aw ) von ‘Materialteilchen’ ( m°rh ) aus belebten Körpern; aufgrund seiner ständigen Bewegung produziert insbesondere das Auge diese Partikel in Form von ‘Bildern’ ( e‡dola ) und sondert sie ab. Die Wirkung des ‘bösen Blicks’ wird auf den Austritt dieser Bilder zurückgeführt, die in das anvisierte Individuum eindringen und den gewünschten Schaden übertragen. Andere Erklärungsversuche zur ‘magischen’ Kraft des Menschen wie die des Neuplatonikers Plotin (3. Jh. n. Chr.) orientieren sich am Konzept des ‘Mitempfindens’ ( sump-yeia ), das auf die Kosmologie der antiken Stoa 883 Tabeling 1932, 1997. 884 Vgl. Lafaye 1892, 983: „[L’]influence pernicieuse qu’une personne peut exercer sur tout ce qui l’entoure sans recourir à aucune cérémonie, à aucune formule magique, quelquefois même sans que sa volonté y soit pour rien.“ 885 Kuhnert 1909, 2009. Zum fascinum vgl. auch Jahn 1855 (mit zahlreichen Quellenangaben); Tupet 1986, 2606-2610; Bernand 1991, 85-102, bes. 97-102; Dickie 1991; Schlesier 1994 (mit einer Übersicht von Textstellen aus der antiken griechischen Literatur des 5.-3. Jh. v. Chr.). Eine umfassende Abhandlung des kulturübergreifenden Phänomens legt Seligmann (1910; 1922) vor. Zu den analogen Vorstellung bei den Hethitern vgl. z.B. Haas 1987-1990, 240. Dieselbe Kraft wohnt auch dem Gedanken inne, vgl. hierzu z.B. Kagarow 1929, 1; Tupet 1986, 2600f. 886 Zum bösen Blick und den Verbindungen zu den ‘Fluchtafeln’ vgl. z.B. die Zusammenstellung bei Ogden 2002, 222-226. 887 Vgl. Plut. symp. 5,7. Zu einer Erklärung des ‘bösen Blicks’ in der Antike vgl. etwa Jahn 1855, bes. 31-45; Hauschild 1982, 8-16; Dickie 1991; Gordon 1999a, 221f. Zu vergleichbaren populären Vorstellungen in der Moderne vgl. z.B. Stemplinger 1922, 68 (s. auch A: II.4.2.3). 209 (4.-2. Jh. v. Chr.) zurückgeht. Demgemäß funktioniert das Weltall durch den auf Anziehung von Ähnlichem und Abstoßung von Unähnlichem basierenden universalen Zusammenhang all seiner Teile. Diese Weltharmonie liegt den sympathetischen Wechselwirkungen zwischen Mikro- und Makrokosmos zugrunde und stellt dem Menschen ein kommunikatives Netzwerk mit seiner Umwelt und dem Numinosen bereit. Vor diesem Hintergrund besitzen Menschen die Macht, mit sprachlichen und nichtsprachlichen Handlungen unmittelbar auf die einzelnen Elemente des Universums einzuwirken, weil sie selbst Teil davon sind: „Denn schließlich ist, wer etwas [vom Weltall] verlangt, kein Fremdling [in ihm].“ 888 Die Wirkmacht von Emanationen des menschlichen Körpers ist fester Bestandteil eines bestimmten Welt- und Menschenbildes. Angesichts dieses Systems von Glaubensvorstellungen erklärt sich, warum die Verwünschung nicht ausschließlich eine Folgehandlung von numinoser Seite impliziert; vielmehr kann magisches Sprechen aufgrund der dem menschlichen Wort inhärenten Macht götterlos und automatisch wirksam gedacht sein. Zugleich impliziert diese Vorstellung vom wirkmächtigen Sprachgebrauch, daß sich der Effekt auch gegen ein Objekt oder Individuum in absentia entfalten kann, was für Rituale aus anderen Kulturkreisen ebenfalls belegbar ist. Mit anderen Worten: Beim Zauberspruch kann man wie überhaupt beim Zauber zwei Arten unterscheiden: entweder verfügt der Mensch selbst über die wunderbare Kraft, mit der er das Gewünschte erreichen kann, d.h. seine eigene magische Kraft erwirkt unmittelbar, was [er] will, oder der Mensch zwingt durch seine Macht irgend ein dämonisches Wesen oder einen Gott, das Erstrebte auszuführen, er erreicht also durch Vermittlung und den Dienst einer außer ihm stehenden Macht das Gewollte. Beim Zauberspruch sind beide Fälle möglich, beim Gebet nur der letztere. 889 888 Plot. enn. 4,4,42. Hierzu z.B. Luck 1990, 151-156; Gordon 1999a, 240f.; Graf 2002, 100- 104. Bei der Beschreibung der grundlegenden Wirkweise magischer Operationen unterscheidet Frazer (1968) ebenfalls ‘imitative’ (18-53) und ‘Übertragungs’-Magie (53- 65). Das Verhältnis zum Schadenbzw. Heilzauber wird ausgeführt von Pocetti 2002, 17f., Gaide 2003a; ders. 2006, 112-115. 889 Pfister 1922, 2154. Wünsch (1914, 142) bezeichnet die götterlose Ausformung als „prädeistische Form“ des Zauberspruchs; vgl. auch Beth 1936, 969. Diese Dichotomie zwischen götterloser und -vermittelter Zauberwirkung setzt sich auch in der christlich geprägten Magiediskussion des Mittelalters und der frühen Neuzeit fort, wo grob zwischen einer erlaubten magia naturalis und einer verbotenen magia daemonica unterschieden wird. Vgl. hierzu auch Daxelmüller 2001, 26-31; Harmening 1991, 697. Zur Durchlässigkeit dieser Kategorien vgl. Daxelmüller 2001, 120. Hieran zeigt sich auch, daß sich diese Unterscheidung kaum als praktikables Kriterium für die Trennung von Magie und Religion bzw. von ‘schwarzer’ und ‘weißer’ Magie eignet. 210 V.3.3.3 ‘Worte sind Pfeile’: Belege und Deutungsansätze ethnologischer Studien Der Glaube an selbsttätige Wirkworte ist keineswegs ein Phänomen der Antike, sondern hat seine Spuren auch im Europa der Neuzeit hinterlassen. Ebenso sind parallele Vorstellungen von ‘magischem’ Sprachgebrauch in anderen Kulturkreisen der Gegenwart anzutreffen. Gerade der Vergleich mit räumlich und kulturell entfernten Ethnien ist insofern gewinnbringend, als er die Distanz zu Denkformen vergangener Kulturen verkleinern kann. Diese kontrastive Herangehensweise kann den Zugriff auf den kulturinternen Standpunkt, der aus einer historischen Perspektive naturgemäß nicht mehr zu leisten ist, zwar nicht ersetzen; die Perspektivierung gleichermaßen fremder Kulturräume, deren Kontextwissen mitunter durch empirische Untersuchungen, wie z.B. durch Befragung ihrer Mitglieder, direkt zu erschließen ist, kann aber zur Überprüfung von Ergebnissen beitragen. Der ethnologische Vergleich mit „Denkweisen von Gesellschaften, die sich am Rande oder außerhalb der modernen westlichen Zivilisationen entwickelt haben“, 890 ermöglicht die Aufdeckung und Interpretation vergleichbarer Denk- und Handlungsstrukturen, wodurch nicht zuletzt auch die Universalität der zugrundeliegenden Kategorien aufzeigbar wird. Verbaler und non-verbaler Ritualhandlung räumt bereits B. Malinowski, im Gegensatz etwa zu E. E. Evans-Pritchard, denselben Stellenwert ein, wobei er rituelles Sprechen klar von alltäglichem abgrenzt. In seiner Tradition werden insbesondere die sprachlichen Elemente des Rituals in den Blick genommen und untersucht. Vielrezipierte Studien zur ‘magischen’ Sprachverwendung liegen von S. J. Tambiah vor, der das Sprachmaterial sowohl im Zusammenhang mit dem jeweiligen kulturinternen Blickwinkel als auch auf der Grundlage kulturübergreifender Vergleiche analysiert. 891 Als fundamentale Kategorie in die Untersuchung einbezogen ist die in der Magie zutage tretende Überzeugung von der menschlichen Macht über die Natur. Dieses dem Menschen innewohnende übernatürliche Potential manifestiert sich insbesondere im wirkmächtigen Wort, das seinerseits unmittelbar in den Lauf der Ereignisse eingreifen kann. Parallelen zur Antike ergeben sich dabei nicht nur im Hinblick auf die Einstellungen des Sprechenden, sondern auch in formaler Hinsicht: Als „key expression“ 892 der Formeln bezeichnet S. J. Tambiah „an action word or a verb“. 893 Diese handlungsbezeichnenden Ausdrücke begegnen häufig ebenfalls in explizit performativen Formeln wie z.B. „I sweep away“, 894 die sich auf die manuel- 890 Vgl. Kippenberg/ Luchesi 1978, 7f. Zur Legitimation des ethnologischen Vergleichs speziell im Zusammenhang mit den Altertumswissenschaften vgl. auch Graf 1996, 19-21; 46f. 891 Vgl. etwa Tambiah 1968; Weiner 1983. 892 Tambiah 1968, 191. 893 Ebd. 894 Ebd. 211 le Tätigkeit des Zaubernden beziehen und metaphorisch für die gewünschten Einwirkungen auf die außersprachliche Wirklichkeit stehen. Vor diesem Hintergrund verwundert es auch kaum, daß S. J. Tambiah im Hinblick auf die ‘Performativität’ magischen Sprechens zu einem Schluß kommt, der stark an die Vergilsche Auffassung der personifizierten carmina erinnert: „[F]inally, language as such has an independent existence and has the power to influence reality.“ 895 Zu einem maßgeblichen, weiterführenden Ergebnis kommt auch A. B. Weiner, deren Untersuchungen Sprachgebrauch und -konzeptionen unter den Einwohner der Trobriand Inseln Neuguineas zum Gegenstand haben. In ihrer Studie führt sie die Verwendung magischer Formeln („magic spells“) 896 und den alltagspräsenten, auf Interaktion ausgerichteten Sprachgebrauch („words“) 897 unter dem Aspekt der Realitätsveränderung bei der Zielperson zusammen. Veranschaulicht wird diese Gleichsetzung ebenfalls mittels der Pfeilmetapher: Like weighted arrows, words […] and magic spells are projected towards another person’s personal space. At the same time, words […] and magic spells are the very projectiles that others are using to penetrate one’s own personal space. 898 In beiden Fällen sind Worte Waffen, die einerseits gegen Gedanken und Willen, d.h. die „Autonomie“ 899 der Zielperson, andererseits auch gegen ihre „Anatomie“ 900 gerichtet werden können. Im Handlungscharakter magischen Sprechens entwickelt sich somit das umfassende Handlungspotential sprachlicher Äußerungen weiter, das bereits im alltäglichen Gebrauch an seiner Überredungs-, Beeinflussungs- und Überzeugungsleistung zutage tritt: Belief in the force and the perceived efficacy of magic is rooted in the perception that speech acts have power to disrupt and destroy, or to persuade, influence and convince others. 901 Zugleich bedeutet dies folglich auch, daß natürliches und übernatürliches Sprechen, aus der Innenperspektive besehen, in Funktion und Aktionsradius keineswegs so weit auseinanderliegen, wie es für einen externen Betrachter den Anschein haben mag. Wie im vorangegangenen Kapitel aufgezeigt wurde, ist der Glaube an die Macht schädlicher Worte und Blicke seit der Antike im Mittelmeerraum 895 Ebd., 184. 896 Weiner 1983, 692. 897 Ebd. 898 Ebd. 899 Vgl. ebd., 704: „Thus, through magic a person is thought to be able to destroy another person’s autonomy and anatomy.“ 900 Ebd. 901 Ebd., 705. Zu einem vergleichbaren Schluß kommt auch Rappaport 2003, 197. 212 fest verwurzelt. 902 Ähnliche an die Schadenskraft des Wortes geknüpfte Ängste werden in Protokollen von Hexenprozessen aus dem frühneuzeitlichen England dokumentiert. 903 Spuren zeitgenössischen Hexenglaubens finden sich aber auch innerhalb der ländlichen Bevölkerung Westfrankreichs: 904 Unheil und Leid werden dabei dem Wirken von Personen zugeschrieben, „deren Wort, Blick und Berührung eine übernatürliche Macht besitzen“. 905 Dieselbe Vorstellung vom mächtigen Wort reflektiert sich in ‘Diebeszauberformeln’ aus Deutschland. Ebenso sind auch in der „alltäglichsten und banalsten Form der verbalen Aggression“ 906 Vorstellungen von der ‘Macht des Wortes’ spürbar, insofern als Beschimpfungen der Wunsch zugrundeliegt, die Lebenswelt des Adressaten mit dem Gesagten in Übereinstimmung zu bringen. Nicht zuletzt wird die Vorstellungen von der „Magie des Wortes“ 907 und seiner mitunter auch unkontrollierbaren Schadenskraft durch die Existenz von Sprachtabus („aus Furcht“) 908 und Euphemismen in allen Kulturkreisen bezeugt: Dies gilt nicht nur für die Vermeidung der Namensnennung, sondern etwa auch für den Ersatz von Wörtern, die mit Unglück assoziiert werden; 909 beispielhaft sei das lateinische Adjektiv siniste r ‘links’, ‘ungünstig’ genannt, das etwa im modernen Französischen durch den ursprünglichen Euphemismus gauche ersetzt ist. 910 Selbst für unseren 902 Dies gilt z.B. für Italien, in dem die Vorstellung vom malocchio, das sowohl durch Worte als auch durch Blicke ausgelöst werden kann, noch überaus lebendig und weitverbreitet ist. Vgl. z.B. Seligmann 1, 1910, 1-244; ders. 1921. Speziell zu Italien vgl. die sozialwissenschaftlich-ethnologischen Studien von de Martino 1959, bes. 15-26 (Neapel); Gallini 1973, bes. 102-104 (Sardinien); Hauschild 1982. 903 Vgl. Culpeper/ Semino 2000, 104: „The possession of a powerful and effective word is often highlighted as the essential characteristic of a witch“ (mit zahlreichen weiteren Belegen). 904 Favret-Saada 1979. 905 Ebd., 13. 906 Ermen 1966, 29. Diese Untersuchung befaßt sich mit den Sprechhandlungen des Fluchens und Schimpfens im Russischen und Serbokroatischen, die über „ausgeprägte ‘Fluchkulturen’ verfügen“ (17). Für die Frühe Neuzeit wurde die Praxis des Verfluchens untersucht von Labouvie 1993. 907 Danninger 1982, 237. Zu dem Themenkomplex Euphemismus, Sprach- und Worttabu aus sprachwissenschaftlicher Sicht vgl. z.B. Meillet 1921, 281-291; Havers 1946 (mit ausführlicher Typologie der Ersatzmittel); Ullmann 1962, 204-210; Benveniste 1966, 308-314; Hjelmslev 1968, 80-82; Benveniste 1974, 255-257; Danninger 1982, 237-251; Balle 1990; Hartmann 1990; Allan/ Burridge 1991, bes. 33-36; Redfern 1994; Apte 1998; Schröder 2002. Zu Euphemismen im Zusammenhang mit ‘magischem’ und ‘religiösem’ Sprachgebrauch vgl. z.B. auch Cassirer 1925, 71f.; Havers 1946, 28; 128, 132; 156; Zollna 1985, 71f.; Balle 1990, 51-58; Petersmann 2002b. Eine spezielle Untersuchung zu „Euphemismen in der Hebräischen Bibel“ mit ausführlicher Begriffsbestimmung legt Schorch (2000) vor. 908 Ullmann (1962, 205) spricht von „Taboo of fear“. 909 Vgl. hierzu ebd., 206: „It is a general human tendency to avoid direct reference to unpleasant subjects.“ 910 Vgl. hierzu z.B. Meillet 1921, 290; Ullmann 1962, 206. 213 Kulturkreis ist ein Sprachverständnis, das dem menschlichen Wort „eine unabhängig vom Willen des Sprechenden wirkende Kraft“ 911 zuspricht, unmittelbar in formelhaften Ausdrücken nachweisbar. So verfügt z.B. das Deutsche über Reminiszenzen an das eigenmächtig gedachte Wirkwort, die an idiomatischen Wendungen wie „sag’s nicht zu laut“ oder der besonderen Verwendung des Konjunktivs, z.B. in den Sätzen „Das hätten wir geschafft! “, „Da wären wir! “, greifbar werden. Daneben stellen auch alltägliche Grußformeln „in ihrem Kern magische Beschwörungsformeln“ 912 dar, insofern als der Grüßende „etwas Gewünschtes dadurch verwirklich[t], daß er es ausspricht“. 913 Als Gegenstück zum Schadenzauber sei noch die dem menschlichen Wort zugeschriebene positive Wirkkraft genannt, die nicht nur für die antike Iatromagie eine große Rolle spielt, sondern auch bis in die Gegenwart industrieller Gesellschaften Bestand hat: 914 Auch in diesem Zusammenhang kann die Zauberkraft „als im Wort an sich vorhanden gedacht“ 915 sein. Ebenso hat das heilende Wort in der modernen alternativen Medizin, etwa bei dem sogenannten ‘faith-healing’ oder der Fernheilung, seinen Platz: Entscheidend ist auch hier, daß sich die Wirkweise nicht auf numinose Kräfte zurückführen läßt. 916 Als abschließendes Beispiel sei der von B. Malinowski im Zusammenhang mit dem ‘magischen’ Funktionieren von Sprache aufgeführte kindliche Spracherwerb genannt, der als Folie für „genetische Betrachtungen“ 917 zum Sprachgebrauch herangezogen wird: Aus sprachpsychologischer Perspektive läßt sich ein konkreter, natürlicher Dingbezug zwischen sprachlichem Zeichen und Bezugsobjekt in der außersprachlichen Wirklichkeit erkennen, der es aus der Sicht des Sprechenden ermöglicht, die konkrete Umwelt mit Worten zu manipulieren. Vergleichbar mit diesem Sprachverhalten von Kindern besteht magische Sprachverwendung folglich darin, „allein durch das Wort zu handeln, ohne jeden Kontakt mit Dingen und 911 Havers 1946, 132. 912 Osterloh 1974, 337. 913 Ebd. Zur Sprache als „Herrschaftsmittel“ vgl. auch Zollna 1985 (Zitat S. 69). 914 Vgl. z.B. die Studie von Hampp (1961), die zahlreiche neuzeitliche Zeugnisse (hautpsächlich 19.-20. Jh.) zu heilenden Zaubersprüchen zusammenträgt. 915 Hampp 1961, 23. Einander gegenübergestellt werden dabei „die selbstsichere Haltung des magischen Menschen der demütigen Haltung des religiösen Menschen“ (ebd.). 916 Vgl. Astin/ Harkness/ Ernst 2000, 903: „Distant healing […] does not necessarily imply any particular belief in or referral to a deity or higher power […] and has been defined as ‘a conscious, dedicated act of mentation attempting to benefit another person’s physical or emotional well being at a distance’.“ Ebenso Ebneter u.a. 2002; Walach/ Bösch u.a. 2002; Walach/ Lewith u.a. 2002. Verwiesen sei auch auf das EUfinanzierte Projet der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg „Efficacy of Distant Healing - A Four Armed Randomized Study“ (2/ 2001-1/ 2004) unter der Leitung von Daschner/ Walach (Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene). Zur Verbindung von antiker und moderner Heilkunde vgl. auch Furley 1993, 87f. 917 Vgl. hierzu Malinowski 2001, 334 („genetic considerations“). 214 Personen“. 918 Ausschlaggebend für die magische Sprachverwendung ist vor allem das Bewußtsein des Sprechenden, sein auf der Grundlage eines soziokulturell determinierten Welt- und Menschenbildes gewachsener Glaube an die eigene magische Macht, auf eine Person (in absentia) mittels sprachlicher Äußerungen Einfluß ausüben zu können. 919 V.4 Die Klassifizierung der Formulae defigendi V.4.1 Die ‘göttereinbindenden’ Formeltypen Vor dem Hintergrund, daß der Kommunikationsraum mit dem Numinosen mit dem Medium zwischenmenschlicher Kommunikation ausgestaltet wird, wirft die Einordnung von ‘göttereinbindenden’ Formeltypen wie der ‘Überantwortungs’- und ‘Aufforderungsformel’ in die von J. R. Searle etablierten Sprechaktklassen keine Probleme auf. Gemäß den drei zentralen Klassifikationskriterien, auf denen die Searlsche Taxonomie weitgehend aufgebaut ist (‘illokutionärer Witz’, ‘Ausrichtung’ der illokutiven Handlung, ‘Aufrichtigkeitsbedingung’), 920 lassen sich diese ‘magischen’ Sprechhandlungen mit Götterbezug ohne weiteres einer der bestehenden Klassen zuordnen. V.4.1.1 Die ‘Aufforderungsformel’ als direktive Äußerung Aufforderungshandlungen werden nach J. R. Searle zur Klasse der Direktiva gezählt. 921 Dabei besteht die ‘illokutive Absicht’ darin, „daß der Sprecher mit ihnen mehr oder minder eindringlich versucht, den Hörer dazu zu bewegen, etwas zu tun“. 922 Hinsichtlich der ‘Anpassungsrichtung’ läßt sich feststellen, daß eine Übereinstimmung von Wort und Welt herbeigeführt werden soll, ihre ‘Aufrichtigkeitsbedingung’ besagt stets, daß die Realisierung der Proposition seitens des Adressaten im Interesse des Sprechers/ Schreibers liegt. Im Falle der defixiones soll der übernatürliche Kommunikationspartner durch die Äußerung dazu bewegt werden, zu- 918 Osterloh 1974, 338. 919 Vgl. Daxelmüller 2001, 53: „[D]er Mensch besitzt oder verschafft sich die dem herkömmlichen naturwissenschaftlichen Wissen unerklärliche Macht zum Töten, Schaden und Heilen […]“; Söderblom (1942, 30) spricht von einer „Macht […], durch die man Krankheiten verursachen oder heilen, einen Feind aus der Entfernung töten kann usw.“. 920 Vgl. Searle 1982, 18-22. Ebenso die Zusammenfassung von Searle (1973, 116-122). 921 Zum Handlungstyp Auffordern und seinen unterschiedlichen Realisierungsformen vgl. insbesondere auch Hindelang (1978). Auffordern entspricht in diesem Fall dem hinsichtlich des ‘Durchsetzungsmodus’ ‘neutralen’ Sinn von ‘direct’ nach Searle/ Vanderveken (1985, 199): „Thus the primitive directive does not have any special mode of achievement“. Die Skala der Aufforderungshandlungen ist dargelegt bei Raible 1987, bes. 154-157. 922 Searle 1973, 117. 215 gunsten des defigens zu intervenieren; dabei besteht die Intervention in der Aggression gegen das anvisierte Opfer, d.h. in der Realisierung einer konkreten ‘Weltzustandsveränderung’. V.4.1.2 Die ‘Übergabeformel’ als deklarative Äußerung mit direktiver Komponente Im Hinblick auf die ‘Übergabeformel’ läßt sich feststellen, daß sie in der Absicht und mit dem Glauben geäußert wird, den Wechsel des Bezugobjekts von der menschlichen zur numinosen Sphäre und damit die ‘Weltzustandsveränderung’ mit der Äußerung u n m it t e l b a r zu bewirken. Dieser illokutive Typus ist nach den Kriterien von J. R. Searle den Deklarationen zuzurechnen: Für diese Klasse von Sprechhandlungen gilt, daß Realitätsveränderung und Äußerung insofern zusammenfallen, als die Übereinstimmung von Wort und Welt bereits durch den erfolgreichen Vollzug des Sprechaktes herbeigeführt wird; die ‘Anpassungsrichtung’ ist also doppelt (Wort-an-Welt und gleichzeitig Welt-an-Wort). Deklarationen haben keine ‘Aufrichtigkeitsbedingung’, die psychische Einstellung des Sprechhandelnden zu seiner Äußerung ist nicht von Belang. Im Gegenzug erfordern sie im allgemeinen „eine nicht-linguistische Institution wie Kirche, Gesetz, Staat oder Privatbesitz“. 923 Die Zauberformeln auf den defixionum tabellae zählen dabei zu den „übernatürlichen Deklarationen“, 924 die J. R. Searle von diesem Prinzip ausnimmt: An die Stelle der nicht-linguistischen institutionellen Einbindung tritt vielmehr der rituelle Kontext, in dem der Ausführende als Handlungsbefugter positioniert wird: Hinsichtlich der in den ‘Einleitungsbedingungen’ bzw. -‘regeln’ formulierten Äußerungsumstände bedeutet dies, daß - in einem bestimmten soziokulturellen Kontext - die korrekte Ausführung der Ritualhandlung in die Lage versetzen kann, die Wirklichkeit, bisweilen im kommunikativen Kontakt mit numinosen Mächten, zu verändern (s. auch A: II.4.2). Im Gegensatz zu den öffentlich ausführbaren Übergabehandlungen wie dem Fluch oder dem Weiheakt existiert die im Rahmen eines ‘Ich’- Rituals geschaffene Realität allerdings nie in Form institutioneller und damit sozialrelevanter Tatsachen, sondern allein in dem zwischen Mensch und Gottheit rituell etablierten Kommunikationsraum (s. auch A: V.1). In dieser Hinsicht ist die Deklaration vergleichbar mit anderen Ritualhandlungen „individueller Religiosität“ 925 wie etwa dem privat geleisteten Gelübde. Der Akt der Übergabe erfolgt durch seine Transposition auf Sprachebene, die von der Ausführung des zugehörigen Ablagevorgangs begleitet wird. Die performativ verwendeten Verben des ‘Gebens’ sind demzufolge 923 Searle 1973, 117. 924 Ders. 1982, 38; Searle/ Vanderveken 1985, 205; Searle 1989, 549. Vgl. auch Culpeper/ Semino (2000, 106f.) im Hinblick auf Verwünschungen von Hexen. 925 Rüpke 2001b, 21. 216 im übertragenen Sinne (von ‘überantworten’, ‘übereignen’ o.ä.) zu verstehen. Bedeutungsübertragungen vom konkreten zum abstrakten Bereich sind charakteristisch für deklarative Vollzugsverben, die sich auf eine nonverbale Ritualhandlung beziehen. Dies zeigt sich z.B. anhand von Taufbzw. Segnungsformeln: Die Vollzugsverben ‘taufen’ bzw. ‘segnen’ leiten sich ebenfalls jeweils von einem konkreten manuellen Handlungsverb ab, nämlich ‘eintauchen’ bzw. lat. signare ‘(mit dem Kreuz) bezeichnen’. 926 Auch im Falle der ‘Übergabeformel’ ist eine kommunikative Multifunktionalität nicht auszuschließen. So läßt sich als weiterer Zweck der Äußerung das Bewirken einer Folgehandlung von seiten des Adressaten und damit eine zusätzliche direktive Dimension des Sprechaktes annehmen. Der Inhalt der Aufforderung kann bisweilen auch explizit in einem abhängig gemachten Wunschsatz versprachlicht sein (s. auch A: IV.3.6). V.4.1.3 Die ‘subsidiären’ Formeln als illokutiv mehrdimensionale Äußerungen Bei einigen Formeln mit subsidiärer Funktion handelt es sich um Äußerungen mit mehrdeutigem Sprechhandlungscharakter. 927 Zunächst lassen sich alle der Klasse der Direktiva zuordnen, insofern als sie einen Versuch des Sprechenden/ Schreibenden darstellen, eine Handlung von seiten des Adressaten zu bewirken. Mehrdimensionalität hinsichtlich des illokutiven Zwecks liegt naturgemäß bei allen komplexen Formeln (‘Gelübde’-, ‘Droh’- und ‘Warnformel’) vor: Angesichts der Tatsache, daß der Sprechhandelnde sich zugleich auf eine zukünftige Handlung festlegt, weisen Gelübde und Drohung den kommunikativen Zweck der Kommissiva auf. Die Warnung hingegen enthält neben der Aufforderung einen Hinweis auf bestimmte negative Konsequenzen für den Adressaten und vereint somit direktive und assertive Dimension. Die illokutive Rolle der ‘Klageformel’ umfaßt eine direktive und eine expressive Komponente: Dabei kommt die negative „psychische Einstellung“ 928 des Sprechhandelnden über den thematisierten Zustand mit dem Zweck zum Ausdruck, den Adressaten zu einer Regelung der Angelegenheit im Sinne des Sprechhandelnden zu bewegen. V.4.2 Der ‘götterlose’ Formeltyp Mit den Worten von C. A. Faraone läßt sich die ‘Manipulationsformel’ beschreiben als „a performative utterance, that is, a form of incantation by which the defigens hopes to manipulate his victim in an automatic way“. 929 926 Vgl. Kluge 2002, s.v. ‘taufen’ bzw. ‘Segen’. 927 Zur Problematik des mehrdeutigen Sprechhandlungscharakters vgl. Searle/ Vanderveken 1985, 181f. Dieselbe Beobachtung macht Wagner (1997, 214-220) für den alttestamentlichen Sprechakt des Bekennens. 928 Searle 1973, 117. 929 Faraone 1991, 10. 217 Dies bedeutet, daß der Sprechhandelnde unmittelbar („automatisch“) genau die Handlung vollzieht, die das performative Verb bezeichnet: Im Gegensatz zu den ‘göttereinbindenden’ Formeln findet die ‘Manipulation’ des Zielindividuums allerdings ohne Zwischenschaltung eines numinosen Adressaten oder Empfängers statt. V.4.2.1 Die ‘Manipulationsformel’ als deklarative Äußerung? Als unmittelbar wirklichkeitsverändernde Äußerung entspricht die ‘Manipulationsformel’ zunächst der Searlschen Definition für deklarative Sprechhandlungen: „Der Vollzug einer Deklaration bringt durch nichts anderes als seinen Erfolg zustande, daß Wörter und Welt zueinander passen.“ 930 Übereinstimmung liegt nicht nur hinsichtlich des ‘illokutiven Zwecks’, sondern auch in Bezug auf die ‘Anpassungsrichtung’ (doppelt: Wort-an-Welt und gleichzeitig Welt-an-Wort) und die ‘Aufrichtigkeitsbedingung’ (keine) vor. Ferner wird auch die ‘Manipulationsformel’ als eingliedrige explizit performative Formel realisiert: Sie besteht aus einem einzelnen eigenständigen Satz, dessen Prädikat von einem performativen Verb ausgedrückt wird; damit fallen Illokution und Proposition auch formal zusammen. Vergleicht man die ‘Manipulationsformel’ allerdings mit der (‘übernatürlichen’) direktiven Sprechhandlung der Übergabe, so kann man feststellen, daß die Unterschiede nicht nur die unmittelbar an der Formel greifbare kommunikative Konstellation der Äußerungssituation betreffen; vielmehr liegt auch keine Entsprechung in dem durch die performativ verwendeten Verben angezeigten Handlungspotential und somit in der Art der bewirkten außersprachlichen Gegebenheiten vor. V.4.2.2 Ziel vs. Ergebnis der sprachlichen Handlung Das übergeordnete Ziel des defigens ist stets mit der Aggression gegen die Zielperson identisch; für die Realisierung kann er sich einer ‘göttereinbindenden’ oder einer ‘götterlosen’ Formel bedienen. Der grundlegende Unterschied zwischen beiden besteht in der Einbindung eines numinosen Kommunikationspartners und damit schließlich im unmittelbaren ‘Handlungsergebnis’ der sprachlichen Äußerung, das wiederum die Ursache für die intendierte ‘Handlungswirkung’ bzw. -‘folge’ darstellt: 931 So besteht das Ergebnis der ‘Aufforderungsformel’ im Versuch, den Adressaten zur Ausführung einer zukünftigen Handlung zu bewegen, und damit lediglich in 930 Searle 1982, 37 (s. auch A: IV.1.2.2). 931 Hierzu insbesondere Rolf (1997, 25-29; 2000, 430-434), der am bekannten Beispiel des Fensteröffnens den Unterschied zwischen Handlungsergebnis (offenes Fenster) und eigentlich intendierter Handlungsfolge bzw. -wirkung (Lüftung eines Raumes) darlegt. Das Ergebnis ist nur Mittel zum Zweck. Der Ergebnisaspekt stellt dabei eine ‘Sprecher-seitige’, der Folgeaspekt eine ‘Hörer-seitige’ Tatsache dar. 218 der unmittelbaren Einwirkung auf den Kommunikationspartner. Das Handlungsziel, d.h. die Realisierung des Aufforderungsinhaltes, ist damit jedoch noch nicht erreicht. Ebenso verhält es sich mit der ‘Übergabeformel’. Als Handlungsergebnis bringt sie virtuelle Tatsachen hervor, die wiederum als Ursache für das übergeordnete Handlungsziel gelten können. Mit anderen Worten: Das Ergebnis der Übergabehandlung ist ein Status- oder Positionswechsel der Zielperson, d.h. eine Tatsache „mentaler Art“, 932 die in dem zwischen Mensch und Gottheit rituell konstituierten Kommunikationsraum hervorgebracht wird und nur in diesem Kontext ihren Bestand hat. Diese virtuelle Transformation ist wiederum nur Mittel zum eigentlichen Zweck: Der Akt der Übergabe soll die negativen Einwirkungen auf das Opfer zur Folge haben, mit seinem Vollzug allein ist ihr Eintreten jedoch noch nicht garantiert. Demgegenüber äußert der Sprecher/ Schreiber die ‘Manipulationsformel’ im Bewußtsein, ohne das Zutun eines weiteren (menschlichen oder übernatürlichen) Wesens, allein kraft seiner Worte, diese physische und psychische Beeinträchtigung des anvisierten Opfers herbeizuführen; im Falle der ‘Manipulationsformel’ entsprechen sich folglich Handlungsergebnis und Handlungsziel. V.4.2.3 Der Handlungscharakter der ‘Manipulationsformel’ Der Handlungscharakter explizit performativer Formeln wird mit den performativen Verben an einem privilegierten Illokutionsindikator angezeigt: Bei den in den defixiones nachweisbaren Vollzugsverben handelt es sich um Verben des Sagens (z.B. bei den direktiven bzw. kommissiven Handlungstypen Bitten bzw. Versprechen/ Geloben); hinzu kommen Verbgruppen, die sich auf psychische und mentale Einstellungen zum propositionalen Gehalt der Äußerung beziehen (z.B. im Fall des expressiven Akts Klagen). Für die Klasse der Deklarativa gilt, daß eine Realitätsveränderung bewirkt werden soll (wie bei dem illokutiven Typus Übergabe); zu diesem Zweck können Verben, mittels derer „dem jeweiligen Objekt [oder Individuum] eine bestimmte Eigenschaft zugeschrieben oder abgesprochen wird“, 933 als Vollzugsausdruck Verwendung finden. Die semantischen Merkmale besagter Verbgruppen stehen im grundsätzlichen Kontrast zu den performativen Verben der ‘Manipulationsformel’, die, im Gegensatz zu allen anderen, ausnahmslos als explizit performative Formel vorliegt. Wie bereits aufgezeigt, handelt es sich dabei um zweiwertige Handlungsverben, mittels derer auf die unterschiedlichen Manipulationsvorgänge im Rahmen des Rituals Bezug genommen wird: Die metaphorische Handhabung der ‘Fluchtafel’ wird dabei aus einem rein nicht-verbalen in einen verbalen Akt umgewandelt. Hinsichtlich ihrer Ak- 932 Rolf 1997, 92. 933 Rolf 1997, 199. 219 tionsart sind die performativ verwendeten Verben als egressive Handlungsverben einzustufen, mit denen das Resultat einer Handlung fokussiert wird. Damit einher geht eine hohe Transitivität der ‘Manipulationsformel’ (gemäß den Kriterien von P. J. Hopper und S. A. Thompson): 934 Mit den Verba defigendi wie ‘durchbohren’ (defige r e), ‘binden’ (ligare) etc. wird eine konkrete, körperliche Handlung bezeichnet, deren Objekt, nach Handlungsvollzug, im Vergleich zu seinem Anfangszustand grundlegend physisch verändert ist. Im Gegensatz zu den Formeln mit Götterbezug weisen weder Semantik und Valenz des Prädikatsausdrucks noch andere sprachlich-grammatische Elemente auf eine Interaktionsintention des Sprechhandelnden hin; hierfür spricht z.B. auch das völlige Fehlen von ‘verdeckten’ oder direkten Realisierungsformen, deren Verwendung nur in einem Kommunikationszusammenhang Sinn ergeben kann. Bezeichnet werden keine partnerorientierten manuellen Handlungen wie etwa im Falle der ‘Übergabeformeln’; ebensowenig wird auf verbale Kommunikation verwiesen, wie es auf die ‘Aufforderungsformeln’ zutrifft. V.4.2.4 Die Art der sprachlich geschaffenen Tatsachen Der besondere Handlungsgehalt der ‘Manipulationsformel’ hat Auswirkungen auf die in der außersprachlichen Wirklichkeit erzeugten bzw. als erzeugbar gedachten Tatsachen, die nicht mit denen ‘außersprachlicher’ Deklarationen gleichzusetzen sind. 935 Typischerweise schaffen diese institutionell eingebundenen deklarativen Sprechhandlungen offizielle, sozialrelevante Tatsachen, wie sie nach dem erfolgreichen Vollzug von Kriegserklärungen, Eheschließungen oder Weihehandlungen gegeben sind. Eine der Voraussetzungen […] besteht darin, daß, was durch deklarative Sprechakte ‘in die Welt gesetzt’ wird, nur deshalb existiert, weil es von Sprecher(n) und Hörer(n) für gültig gehalten wird. Ohne die intersubjektive Anerkennung seiner Gültigkeit würde das durch ein Deklarativ geschaffene ‘Faktum’ nicht gegeben sein. Das heißt, die Tatsachen, die durch Deklarativa geschaffen werden, sind keine ‘natürlichen’ Tatsachen […]: Die Wirklichkeit, die von deklarativen Sprechakten betroffen ist, ist institutioneller Art […]. […] institutionelle Wirklichkeiten aber sind geistiger Art, sie sind gemeinschaftsabhängig, gemein- 934 Vgl. hierzu z.B. Hopper/ Thompson (1980, 252): „An action viewed from its endpoint, i.e. a telic action, is more effectively transferred to a patient than one not provided with such an endpoint.“ 935 Im Gegensatz zu ‘innersprachlichen’ Deklarationen, die sich aus Matrix- und Nachsatz, in dem die Proposition konkretisiert ist, zusammensetzen, bestehen explizite ‘außersprachliche’ Deklarationen aus einem eingliedrigen sowohl Illokution als auch Proposition verkörpernden Matrixsatz. Beide Äußerungen machen durch erfolgreichen Vollzug ihren propositionalen Gehalt wahr. Durch den Zusammenfall von Illokution und Proposition, deren Gehalt die außersprachliche Wirklichkeit betrifft, besteht die mittels ‘außersprachlicher’ Deklarationen geschaffene Realität, anders als bei ‘innersprachlichen’ in außersprachlichen Tatsachen, d.h. in Gegebenheiten, die „nicht selbst Sprechakte sind“ (Rolf 1997, 103). 220 schaftlich getragene, intersubjektiv konstituierte, ja im Grunde genommen, nicht als solche betrachtete Fiktionen. 936 Im Falle der ‘übernatürlichen’ Deklaration, wie sie mit der ‘Übergabeformel’ innerhalb des ‘Ich’-Rituals defixio vollzogen wird, entfällt die soziale Bedeutung; an ihre Stelle tritt die neu geschaffene Realität innerhalb des mit dem numinosen Adressaten geteilten Kommunikationsraums. Gleichwohl impliziert auch diese Deklaration die Existenz eines Kommunikationspartners, der als Rezipient und Träger der neuen Realität fungiert. 937 Eine Deklaration stellt somit einen kontinuierlichen intersubjektiven Prozeß innerhalb einer aus Sprechendem/ Schreibendem und Adressaten bestehenden Kommunikationssituation dar. Im Hinblick auf die bewirkte ‘Weltzustandsveränderung’ läßt sich daher mit den Worten J. R. Searles konstatieren: „Deklarationen führen allein kraft des Umstands, daß sie erfolgreich vollzogen wurden, eine Änderung im Status oder der Lage desjenigen Gegenstandes (bzw. derjenigen Gegenstände) herbei, über den (bzw. die) gesprochen wird.“ 938 Veranschaulichen läßt sich diese Wirkweise von Deklarationen erneut am Beispiel der ‘Übergabeformel’: Durch ihre Äußerung im rituellen Kontext tritt der Sprecher/ Schreiber in Kontakt mit übernatürlichen Mächten. Intendiert ist ein Statuswechsel des Zielindividuums, insofern als es von dem bisherigen Dasein herausgenommen und in den numinosen Einflußbereich übertragen wird. Das Resultat ist für den Ausführenden mit einem offiziellen Dedikationsakt vergleichbar: Im Rahmen dieses Rituals wird dem Objekt der Status der ‘Sacertät’ auferlegt, wodurch es als Gut der Götter gilt; innerhalb der Gesellschaft kommt ihm fortan eine bestimmte Funktion, z.B. als Kultort oder -statue, zu. 939 Der Akt der Übergabe ist folglich ein Vorgang, dessen Auswirkungen auf das Objekt der Handlung nicht in Form von Sinneseindrücken unmittelbar perzipierbar, sondern virtueller Natur (mit E. Rolfs Worten „Fiktionen“ 940 ) sind. Im Gegensatz zur ‘Übergabeformel’ ist die ‘Manipulationsformel’ nicht adressatenorientiert, ebensowenig soll das Resultat der am Vollzugsverb ausgedrückten Handlung abstrakt bleiben; vielmehr handelt es sich bei den negativen Auswirkungen auf das anvisierte Opfer, die als unmittelbar 936 Rolf 1997, 83f. 937 Vgl. Searle (1989, 555), der als Voraussetzung für die Schaffung dieser Tatsachen „successful communication between speaker and hearer“ nennt. Oder mit Rolf (1993, 78) gesagt: „[D]ie Welt [wird] durch Sprechakte zunächst einmal immer nur ‘in den Köpfen der Adressaten’ [und vor allem des Sprechhandelnden] verändert.“ 938 Searle 1982, 36f. 939 Weihe oder Opfer sind sakrale Akte, „durch welche sich jemand des Eigentums an einer beweglichen oder unbeweglichen Sache zu Gunsten der Gottheit entäussert“ (Wissowa 1901, 2356). Dies impliziert zugleich, daß mit erfolgter Übergabe der „geweihte Gegenstand dem weltlichen/ menschlichen Gebrauch entzog[en]“ (Frateantonio 1997, 127), d.h. sacer ist. 940 Rolf 1997, 84. 221 durch die ‘Manipulationsformel’ bewirkbar gedacht sind, um biologische oder physikalische Phänomene und damit um „natürliche Tatsachen“. 941 V.4.3 Die Sprechaktklasse der Transformativa Rede ist ein großer Bewirker; mit dem kleinsten und unscheinbarsten Körper vollbringt sie göttlichste Taten: vermag sie doch Schrecken zu stillen, Schmerz zu beheben, Freude einzugeben und Rührung zu mehren. 942 Wie diese Stelle aus dem Lob der Helena des Gorgias verdeutlichen kann, tritt das große Handlungspotential von sprachlichen Äußerungen bereits im alltäglichen, interpersonalen Gebrauch zutage, wenn Sprache eingesetzt wird, um Stimmungen und Gefühle zu erzeugen oder das Gegenüber unmittelbar zu beeinflussen, zu ‘manipulieren’ und zu bestimmten Handlungen zu bewegen. Am deutlichsten aber manifestiert sich der Handlungscharakter von Sprache in der Schaffung neuer außersprachlicher Tatsachen im Rahmen ritueller Akte. Im Rahmen eines ‘Ich’-Rituals stellt die Verwünschung mitunter keine an einen Adressaten gerichtete, von ihm zu entschlüsselnde und umzusetzende Äußerung dar; an die Stelle eines numinosen Interaktionspartners, der für die Erfüllung der Verwünschung Sorge trägt, tritt vielmehr die Vorstellung einer ‘mechanischen’ bzw. ‘automatischen’ Wirkweise der Ritualhandlung: 943 „Handlungen und Worte werden als Werkzeuge gedacht.“ 944 V.4.3.1 Das Fehlen des Adressaten In die Sprechakttheorie und bei der Klassifizierung illokutiver Akte fanden die Bedingungen der Sprachverwendung im Rahmen eines kommunikationslosen ‘Ich’-Rituals keinen Eingang. Dies hängt allerdings nicht mit der Isolation des defigens zusammen, denn nach J. R. Searle und D. Vanderveken stellt das Sprechen ohne Adressaten, k e i n e außergewöhnliche Äußerungssituation dar; vielmehr können illokutive Akte grundsätzlich als „essentially hearer-directed“ 945 und „not essentially hearer-directed acts“ 946 vorliegen. Dabei gilt für letztere Gruppe, „daß der Sprechakt an irgendwen 941 Searle 1971, 78. 942 Gorg. Helena 8. Vgl. hierzu z.B. auch Braarvig 1999, 35-37. 943 Vgl. Björck 1938, 35; Versnel (1991, 61) spricht von einer „‘mechanical’ and more or less ‘automatic’ procedure usually associated with magic“. Hervorzuheben ist dabei, daß „[the] involvements of the gods or the daemons in the action seems to be a result of an evolution that […] reaches perfection only in the imperial period“. Bereits nach Frazer (1968, 74) bildet das „Wirken unwandelbarer Gesetze, welche mechanisch ablaufen“ ein Unterscheidungskriterium zwischen Magie (und Wissenschaft) einerseits und Religion andererseits. 944 Björck 1938, 35, Anm. 1. 945 Ebd. 946 Ebd. 222 oder an keinen gerichtet sein kann“. 947 In diesem Sinne stehen sich etwa die Assertiva inform ‘informieren’ (hörergerichtet) und state ‘feststellen’ (nichthörergerichtet) gegenüber; ebenso verhält es sich mit den Kommissiva promise ‘versprechen’ (hörergerichtet) und pledge ‘sich verpflichten’ (nichthörergerichtet). Bestimmte hörergerichtete Sprechakte wie etwa promise ‘versprechen’ können dabei sowohl öffentlich als auch im „silent soliloquy“ 948 vollzogen werden, andere wiederum, wie z.B. declare ‘erklären’ benötigen stets eine „overt public performance“ 949 . Von dieser „basic distinction between essentially hearer-directed and not essentially hearer directed acts“ 950 scheinen aber diejenigen illokutiven Akte, die mit sprachlichen Mitteln a u ß e r s p r a c h li c h e Fakten schaffen, ausgenommen zu sein. Tatsächlich stellen J. R. Searle und D. Vanderveken im Hinblick auf die Klasse der Deklarativa fest: „Declaring war and resigning from office require a public performance.“ 951 Daß der „öffentliche Vollzug“ prinzipiell vorausgesetzt wird, zeigt sich bereits an der Wahl der Bezeichnung ‘declaration’ bzw. ‘declaratives’. So besitzt das lateinische Verbalabstraktum declaratio die Bedeutung ‘Kundgebung’, ‘Offenbarung’. Das zugehörige Verbum declarar e wird mit dem doppelten Akkusativ als ‘öffentlich zu etwas erklären’ verwendet, als administrativer Terminus technicus auch im Sinne von ‘zu etwas gewählt ausrufen’. 952 Diese Semantik ist in den modernen Sprachen noch manifest und zeigt den Vollzug eines kommunikativen Aktes vor Publikum an. Zudem werden bei der Etablierung der Klasse der Deklarativa nur öffentlich vollzogene Sprechakte, die sozialrelevante Tatsachen schaffen, in Betracht gezogen. 953 Möglicherweise nicht zuletzt aufgrund mangelnder Textzeugnisse erfolgt die Behandlung der ‘übernatürlichen’ Deklarationen allenfalls akzessorisch, und zwar lediglich im Hinblick auf die veränderten ‘Einleitungsbedingungen’, die ohne „institutional requirements“ 954 auskommen: Als konstitutiv vorausgesetzt wird dabei jedoch stets der Kontakt zu „supernatural powers“, 955 die in den Beispielen überdies auf den (christ- 947 Ebd.: „the speech act can be addressed to anyone or no one“. 948 Ebd. 949 Ebd. 950 Ebd. 951 Ebd.; Searle 1989, 548: „[The manifestation of the intention] simply requires recognition by the audience.“ Hierzu auch Brinker (1987, 104, Anm. 72), der feststellt, daß allein die Klasse der Deklarativa „den Aspekt der interpersonalen Beziehung“ erkennen lassen, während die übrigen Klassen lediglich auf sprecherseitige Effekte abgestellt sind; vgl. auch Rolf 2000, 427. 952 Vgl. hierzu z.B. Menge 2000, 447f.; 450f. 953 Als außersprachliche (englische) Deklarativa aus dem religiös-magischen Bereich erscheinen z.B. bless, curse, excommunicate, consecrate, christen (vgl. Searle/ Vanderveken 1985, 205). Vgl. auch Searle (1989, 549; 554), der „religiöse und übernatürliche“ Deklarationen als Sonderfälle betrachtet. 954 Searle/ Vanderveken 1985, 205. 955 Ebd. 223 lichen) Gott eingeschränkt zu sein scheinen. Diese Auffassung spiegelt sich z.B. auch in der Definition der Sprechhandlung curse (Verfluchen), die sich somit parallel zur ‘Übergabeformel’ auf den defixionum tabellae verhält: „In cursing, the speaker consigns the hearer to the evil of God’s malediction by declaring him to be so consigned.“ 956 Sprachliche Handlungen wie z.B. Exkommunizieren werden im Kontext der christlichen Kirche angesiedelt, d.h. als institutionell gebunden betrachtet. V.4.3.2 Die Verba defigendi als Vollzugsverben Die Verba defigendi referieren auf die rituellen Manipulationen und weisen eine gegenüber den übrigen performativ verwendeten Verben grundlegend verschiedene Semantik auf. Diese besondere Semantik stellt jedoch kein Ausschlußkriterium für ihre Verwendung als Vollzugsverben dar; vielmehr läßt sich im Sinne von J. L. Austin und J. R. Searle zu den semantischen Beschränkungen für den performativen Gebrauch folgendes feststellen: Von vornherein ausgenommen sind all diejenigen Verben, die den erfolgreich vollzogenen Sprechakt (‘Perlokution’) bezeichnen, wie z.B. ‘beleidigen’, oder aber eine Wertung des Sprechakts zum Ausdruck bringen, wie dies z.B. auf ‘prahlen’ zutrifft; ansonsten gilt: [A]ny verb at all which names an intentional action could be uttered performatively. The limitations on the class that determine which will succeed and which will fail derive from facts about how the world works, not form the meanings of the verb. 957 Wie bereits angesprochen, müssen Untersuchungen zum Handlungscharakter historischer Äußerungen nicht nur von der kulturellen Determiniertheit von Sprechakt und Sprachkonzeption ausgehen, sondern auch mit einem erheblichen „Maß der Verfremdung“ 958 in Hinblick auf Welt- und Menschenbild rechnen. In besonderem Maße trifft dies auf rituell gebundene Sprachverwendung zu (s. auch A: V.3). Sprachliche Transpositionen einer manuellen Ritualhandlung, die keine Kommunikationsintention erkennen läßt und eine grundlegende Veränderung des Handlungsobjekts bewirkt, sind jedoch nicht auf die Ritualform defixio beschränkt; vielmehr sind entsprechende performative Formeln bei gegenwärtig praktizierten Ritualen, die sich aus verbalen und nonverbalen Elementen zusammensetzen, ebenfalls anzutreffen: Allerdings ist der Handlungscharakter des Vollzugsausdrucks vielfach nicht mehr bewußt, da gerade bei denjenigen Ritualen, deren äußere Handlung symbolischen Wert besitzt, die „sprachbzw. kulturspezifisch festgelegte“ 959 Bezie- 956 Ebd., 209. 957 Searle 1989, 557. Hierzu auch Austin 1998, 89. Zu den „Beschränkungen für den performativen Gebrauch“ vgl. insbesondere Harras 2004, 152-154 (Zitat S. 152). 958 Schlieben-Lange 1976, 114 (s. A: IV.1.3). 959 Vgl. Bußmann 1990, 758. 224 hung zwischen Zeichen und Bezeichnetem verblassen kann. Dies trifft z.B. auf das Untertauchen des Täuflings im Rahmen des Taufakts zu: Die auf Konventionen fußende Verbindung zwischen ursprünglicher konkreter Verbbedeutung (‘eintauchen’) und abstrakter Bedeutung des Gesamtrituals (‘Aufnahme in die Gemeinde Christi’) ist nicht zwingend transparent. Im Falle des defixio-Rituals hingegen steht die Ritualhandlung metaphorisch für den Angriff auf das anvisierte Opfer und ist in verbalen und nonverbalen Elementen (‘durchbohren’; ‘untertauchen’ etc.) abgebildet (s. A: IV.3.1). Anders als die konventionell motivierte hält die auf Ähnlichkeit beruhende, offensichtliche Beziehung die semantische Transparenz der Vollzugsverben (und der bedeutungsidentischen manuellen Ritualhandlung) aufrecht. V.4.3.3 Die ‘Weltzustandsveränderung’ Die der ‘Manipulationsformel’ zugrundeliegende Intention besteht in der unmittelbar durch Worte bewirkbaren ‘Weltzustandsveränderung’, was auf alle realitätsschaffenden Sprechhandlungen zutrifft. Nach J. R. Searle bewirken erfolgreich vollzogene deklarative Sprachhandlungen eine „Änderung im Status oder der Lage desjenigen Gegenstandes (bzw. derjenigen Gegenstände) […], über den (bzw. die) gesprochen wird“. 960 Gemäß den von J. R. Searle für die Statusfunktionen aufgestellten konstitutiven Regeln heißt dies: „X g ilt a l s Y“. 961 Der Term ‘X’ referiert dabei auf das betroffene Objekt bzw. Individuum, indem es seine physikalischen Merkmale benennt. Der Term ‘Y’ bezeichnet den zu-„gesprochenen“ neuen Status (und die damit einhergehenden Funktionen), der „über die bloßen physikalischen Merkmale des […] Objekts hinausgeh[t]“. 962 Der Konnektor ‘gilt als’ bezieht sich auf die Statuszuweisung und zeigt zugleich die „intersubjektive Anerkennung seiner Gültigkeit“ 963 an. Bei der so definierten Status- oder Lageveränderung handelt es sich folglich um sprachliche Verfahren, die „Objekten oder Erscheinungen Funktionen zuschreiben oder auferlegen können“. 964 Diese „Statusfunktionen“ 965 sind nicht an die bereits vorhandenen physikalischen Eigenschaften des Objekts gebunden, sondern das Resultat von askriptiven bzw. addiktiven Vorgängen, denn „[t]he move from X to Y is eo ipso a linguistic move“. 966 960 Searle 1982, 36f. 961 Searle 1971, 81. Ausführlich widmet sich Searle (1995b, 43-51) diesen konstitutiven Regeln am Beispiel dem U.S.-amerikanischen Dollars (ein Stück Papier gilt als Geldschein). 962 Rolf 1997, 91. Vgl. auch Searle 1995b, 69: „Physically X and Y are exactly the same thing.“ 963 Rolf 1997, 83 (s. A: V.4.2.3). 964 Rolf 1997, 89. Zur Rolle der Sprache in der Schaffung institutioneller Tatsachen vgl. auch Searle 1995b, 34; 54f.; 59-78. 965 Vgl. Searle 1995b, 41. Hierzu Rolf 1997, 91f. 966 Vgl. Searle 1995b, 63. 225 Nach J. R. Searle besteht die „quasi-magische Macht“ 967 des menschlichen Wortes darin, „neue Tatsachen zu schaffen“; 968 wirklich ‘magische’ Kräfte, die „by fiat“ 969 konkrete Veränderungen in der außerlinguistischen Wirklichkeit hervorrufen, besitzen gewöhnliche Sterbliche, im Gegensatz zu Gott, Hexen und Zauberern, hingegen nicht. Aus der vorangegangenen Untersuchung von Kontext und Text der defixiones ergibt sich jedoch ein anderes Bild von Funktionsweise und Reichweite menschlicher Äußerungen: Konkrete Eingriffe in die außersprachliche Wirklichkeit, wie etwa die physische und psychische Beinträchtigung einer anderen Person, werden als von Worten bewirkbar gedacht. Voraussetzung und Grundbedingung für den gelungenen Vollzug der Sprechhandlung ist dabei der soziokulturell determinierte ‘Glaube’ des Einzelnen an die Selbstwirksamkeit von Worten oder an das Wirkpotential von Ritualen, die ihm die Autorität verleihen, durch eine Äußerung besagten Zustand hervorzubringen. Oder mit C. Lévi-Strauss gesagt: „[D]ie Wirksamkeit der Magie [impliziert] den Glauben an die Magie.“ 970 Im Rahmen eines Weltbildes, in dem die Selbstwirksamkeit von Worten und die Macht des Menschen, darüber zu verfügen, ihren festen Platz haben, ist folglich von der Identität ‘quasi-magischer’ und ‘magischer’ Sprachverwendung auszugehen; nicht zuletzt legen antike Reflexionen und der ethnologische Vergleich nahe, daß ‘magisches’ Sprechen nur eine Spielart des alltäglichen Sprachgebrauchs darstellt (s. auch A: II.4.2; A: V.3). Analytisch aufgeschlüsselt lauten die an Searle angelehnten konstitutiven Regeln für die mittels der ‘Manipulationsformel’ geschaffenen Tatsachen: „X i s t Y´“. Der Term ‘X’ benennt wiederum die physikalischen Merkmale des Objekts. Anders als bei der ‘Übergabeformel’ bezieht sich ‘Y´’ nun aber auf die neuen, ebenfalls physikalischen Merkmale, die durch die sprachliche Handlung dem Objekt zuteil werden. Der Konnektor ‘ist’ zeigt schließlich an, daß diese neuen Merkmale keine zugeschriebenen Statusfunktionen sind, sondern in ihrer Eigenschaft als ‘natürliche Tatsachen’ unabhängig von „kollektiver Akzeptanz oder Anerkennung“ 971 Bestand haben. 967 Vgl. Searle 1989, 549: „quasi-magical power“; ders. 1995b, 45. Hierzu auch Rolf 1997, 101. Vgl. auch Mauss/ Hubert 1966, 11: „Les actes rituels, au contraire [des actes juridiques], sont, par essence, capables de produire autre chose que des conventions; ils sont éminemment efficaces; ils sont créateurs; ils font.“ Bereits Mauss/ Hubert trennen ‘nicht-magische’ von ‘magischen’ Ritualformen hinsichtlich der Fähigkeit von Sprache, wie ein physisches Objekt zu wirken: Juristische Akte etwa bringen nur Konventionen in Form von vertraglichen Verbindungen hervor; magische Akte hingegen besitzen insofern eine „besondere Wirksamkeit“ (ebd.), als sie unmittelbar „schöpferisch“ (ebd.) sind. 968 Vgl. Searle 1989, 549: „create new facts“. 969 Ebd. 970 Lévi-Strauss 1978, 257. 971 Vgl. Searle (1995, 45), der von „continued collective acceptance or recognition of the validity of the assigned function“ spricht. 226 Zusammengefaßt besteht die als unmittelbar durch realitätsschaffende Äußerungen bewirkbar gedachte ‘Weltzustandsveränderung’ zum einen darin, „daß unterschiedlichen ontologischen Kategorien von Erscheinungen (X) (Leuten, Gegenständen, Ereignissen) ein bestimmter Status (Y) auferlegt wird“; 972 zum anderen in der ‘Zufügung’ bestimmter physikalischer Merkmale (Y´). V.4.3.4 Die transformative Illokution Die meisten Versuche, die bestehenden Sprechaktklassen neu zu definieren, richten sich gegen die traditionell sprecherzentrierte Sicht der Sprechakttheorie, deren Sprechaktklassen, mit Ausnahme der Deklarativa, ausschließlich auf „Sprecher-seitige[n] Effekten“ 973 beruhen. Als neues einheitliches Klassifikationskriterium fungiert im Rahmen alternativer Klassifikationsvorschläge z.B. das „interaktive bzw. interpersonale Moment“. 974 Wie im Rahmen der vorliegenden Arbeit anhand magischer ‘Ich’- Rituale herausgearbeitet wurde, ist ein Hörerbezug nicht für jede Sprechhandlung gegeben; mit dieser Vorgabe würde die Betrachtung der vielfältigen Funktionen von Sprache vielmehr von vorneherein auf kommunikationsfunktionale Aspekte (im Sinne verbaler Interaktion) eingegrenzt. Tatsächlich betrifft die Problematik des ‘magischen’ Sprachgebrauchs nicht allein die linguistische Untersuchung der defixiones; der Blick in andere Disziplinen, die mit vergleichbarem Textmaterial befaßt sind, stellt sich erneut als lohnenswert heraus: Sprachpragmatische Ansätze wurden z.B. bei der Analyse indischer Mantras fruchtbar gemacht. Hierbei handelt es sich um traditionelle Heilzauberformeln, die aus einer nicht-referentiellen Abfolge von Lauten bestehen und somit ebenfalls nicht auf alltägliche, interpersonale Kommunikation ausgerichtet sind. Vergleichbar mit den Formeln auf den defixionum tabellae liegt ihre Funktion darin, einen Kommunikationsraum mit dem Numinosen zu eröffnen; darüber hinaus wird ihnen ebenfalls das ‘magische’ Potential zugesprochen, unmittelbar eine konkrete ‘Weltzustandsveränderung’ zu bewirken. Diese Handlungsdimension beschreibt F. Rambelli folgendermaßen: The use of mantras determines precise effects, such as the transformation of the world. Such a transformation is not just incorporeal, but dramatically bodily and material, since it concerns healing, worldly benefits, rebirth […]. 975 Im Hinblick auf die Klassifizierung der Mantras im Sinne der Sprechakttheorie begegnen dieselben „heuristischen Probleme […], da die Sprechakttheorie die Verwendungen der Alltagssprache erklärt, die nahezu nichts 972 Rolf 1997, 197. 973 Vgl. Rolf 2000, 427. 974 Vgl. ebd. 975 Rambelli 1993, 1f. 227 mit der Rezitation von Mantras gemein haben“. 976 Die Lösung dieser „heuristischen Probleme“ besteht nach F. Rambelli in der Erweiterung der traditionellen Sprechakttheorie um eine Sprechaktklasse: An integral application of speech acts theory to the ritual usage of language in Buddhism must also take into account phenomena not considered by Austin’s original theory, i.e. the existence of ‘transitive’ speech acts whose effects are transferred to another person. 977 Die Etablierung der neuen Sprechaktklasse ‘Transitiva’ mag zunächst erforderlich erscheinen; auf der Grundlage der zentralen Searlschen Klassifikationskriterien erweist sich jedoch eine Integration in die bestehende Taxonomie als möglich und sinnvoll: Wie bereits aufgezeigt, sind ‘Übergabe’- und ‘Manipulationsformel’ hinsichtlich des ‘illokutiven Zwecks’, der ‘Anpassungsrichtung’ und der ‘Aufrichtigkeitsbedingung’ identisch. Die Entsprechung beider Sprechhandlungstypen liegt in der Intention zur Realitätsveränderung und -gestaltung begründet. Entscheidend ist, daß die unterschiedlichen Modifikationen der außersprachlichen Realität als durch die sprachliche Äußerung als bewirkbar gedacht werden, unabhängig von der Art (virtuell oder konkret) der geschaffenen Tatsachen. Eine Identität beider realitätsverändernder und -gestaltender Sprechhandlungstypen liegt aber nicht nur auf dieser analytischen Grundlage vor, sondern ist vor allem aus emischer Sicht anzunehmen: Es läßt sich vermuten, daß dem Sprachverwender die Differenz zwischen der Wirkweise ‘götterloser’ und ‘göttereinbindender’ Formeltypen, so wie sie von den konstitutiven Regeln abgebildet wird, kaum bewußt gewesen sein dürfte (s. auch A: V.3); auf eine Übereinstimmung deutet bereits die identische Realisierungsform beider Formeln. Eine gemeinsame Klassifizierung von ‘Manipulations’- und ‘Übergabeformel’ auf der Grundlage der Searlschen Kriterien führt zwangsläufig zu einer neuen Konzeptualisierung der Deklarativa: Als Notwendigkeit ergibt sich die grundlegende Aufhebung der konzeptuellen Beschränkung auf ausschließlich hörergerichtete, öffentlich vollzogene Sprechhandlungen; vielmehr sollen die für die übrigen Klassen geltenden o.g. „pervasive distinctions“ 978 im Hinblick auf die kommunikativen Gegebenheiten, d.h. die Differenzierung zwischen „essentially hearer-directed“ 979 und „not essentially hearer-directed acts“, 980 auch der neuen Bestimmung der Sprechaktklasse zugrundegelegt werden. Diese erweiterte Definition muß mit der Substitution der Searlschen Bezeichnung ‘Deklarativa’ einherge- 976 Ebd. (Übersetzung von mir: „heuristic problems […], since speech act theory explains usages of ordinary language which have almost nothing in common with the recitation of mantras“). 977 Ebd. 978 Searle/ Vanderveken 1985, 180. 979 Ebd. 980 Ebd. 228 hen, da diese lediglich die Äußerungsbedingungen reflektiert; durch den neuen Terminus soll vielmehr die von J. R. Searle und D. Vanderveken formulierte Bestimmung des deklarativen Zwecks der u n m it t e l b a r e n ‘Weltzustandsveränderung’, die keine Folgehandlung seitens eines Kommunikationspartners impliziert (s.o.), zum Ausdruck kommen. Im Gegensatz zu den übrigen kann diese Klasse nicht nach prototypischen Sprechhandlungstypen benannt werden. 981 Dies hängt mit dem Umstand zusammen, daß der von dem jeweiligen performativen Verb bezeichnete Handlungstyp die Modifikation der unterschiedlichsten Entitäten und Vorgänge in der außersprachlichen Wirklichkeit betreffen kann. Auch die Übernahme der Bezeichnung ‘Transitiva’ erscheint nicht angebracht: Der Bezug auf den Vorgang des ‘Hinübergehens’ (lat. transire) schließt einerseits die Bewegung von einem Ursprungszu einem Zielort ein; durch die Fokussierung des Resultats der Handlung, den „effects […] transferred to another person“, gerät andererseits die Rolle des Sprechhandelnden völlig aus dem Blick. Es bietet sich daher an, das Adjektiv ‘transformativ’ zu übernehmen: Abgeleitet von dem lateinischen Verbum transformare ‘verwandeln’, das sich auf abstrakte wie konkrete Dinge beziehen kann, verweist es auf den übergeordneten illokutiven Zweck, eine ‘Weltszustandsveränderung’ mittels sprachlicher Äußerungen (im Moment des erfolgreichen Vollzugs der Sprechhandlung) herbeizuführen. Hinsichtlich der Art der (‘auferlegten’ bzw. ‘zugefügten’) Eigenschaften lassen sich die hierunter subsumierbaren ‘transformativen’ Handlungstypen wiederum in zwei Untergruppen aufteilen: Die Searlsche Klasse der außersprachlichen Deklarationen ginge in der Untergruppe der Askriptiva bzw. Addiktiva (von lt. ascribere ‘zuschreiben’ bzw. addicere ‘zusprechen’), auf; damit bezeichnet ist das sprachliche Verfahren der Statuszuschreibung bzw. -zusprechung. Die ‘übernatürlichen’ Deklarationen ohne kommunikative Dimension wären der Untergruppe der Additiva zuzurechnen; verwiesen ist mit dieser Bezeichnung (von lat. adder e ‘hinzugeben’) auf die ‘Zugabe’ physikalischer Merkmale zu den bereits vorhandenen substantiell identischen physikalischen Merkmalen eines konkreten Objekts oder Individuums. Wie anhand der Verwünschungen auf den defixionum tabellae gezeigt wurde, kann die Sprachverwendung im Rahmen eines magischen ‘Ich’- Rituals der modernen linguistischen Konzeption von Sprache entgegenstehen und auch die Vorstellung verbal vermittelter, im symbolischen Charakter des sprachlichen Zeichens begründeter Kommunikation in Frage stellen. Menschliche Äußerungen können vielmehr als selbstwirksam gedacht sein oder personifiziert werden und sprachliche Zeichen somit ihren symbolischen Wert transzendieren. In diesem Sinne ließe sich mit I. Zollna abschließend feststellen: „Die Wahrnehmung eines Wortes als bloßes Zei- 981 Vgl. z.B. Searle/ Vanderveken 1985, 183: „The primitive assertive is ‘assert’, which names the illocutionary force of assertion.“ 229 chen ist eine Reduktion, die sich in einer bestimmten Gesellschaftsform entwickelt hat.“ 982 Auf diese Reduktion aufmerksam zu machen war eine der Zielsetzungen der vorliegenden Arbeit. 982 Zollna 1985, 72. Hierzu bereits Cassirer 1925, 48: „Hier [d.h. im mythischen und primären sprachlichen Denken] drückt demnach das Wort nicht als bloß konventionelles Symbol den Inhalt der Anschauung aus, sondern es verschmilzt mit ihm zu einer unauflöslichen Einheit.“ 230 VI. Zusammenfassung und Ausblick In dieser Arbeit wurde anhand antiker Verwünschungstexte die Frage nach Handlungswert und Funktionsweise ‘aggressiv-magischen’ Sprechens gestellt. Den theoretisch-methodischen Bezugsrahmen bildete die von J. L. Austin und J. R. Searle entwickelte ‘Sprechakttheorie’, die den kontextuell determinierten Sprachgebrauch und den Sprachverwender (als intentional Handelnden) in den Vordergrund der sprachwissenschaftlichen Betrachtung rückt. Dementsprechend wurde der Untersuchungsgegenstand ‘Fluchtafel’ primär als Dokument historischer Sprachäußerungen verstanden, denen eine situationsspezifische Funktion zukommt und ein spezieller Handlungswert eignet. Der gewählte Ansatz grenzt sich damit zum einen von den bis dato zu den defixionum tabellae vorgelegten Studien ab, die üblicherweise an altertums- und religionswissenschaftlichen, philologischen sowie soziokulturellen Gesichtspunkten ausgerichtet sind; zum anderen konnte die Aufarbeitung dieser besonderen historischer Textzeugnisse Lücken und Defizite der traditionellen Sprechakttheorie, die sich durch die vorrangige Betrachtung des alltäglichen Sprachgebrauchs ergeben, aufzeigen und überwinden. Die meist auf dünnen Bleilamellen angebrachten Zauberinschriften in lateinischer Sprache geben als Bestandteil und Produkt eines Rituals unmittelbar Zeugnis von der Ausübung des antiken Schaden- und Zwangzaubers. Die defixiones bieten für die oben dargelegte pragmalinguistische Zielsetzung eine in mehrfacher Hinsicht privilegierte Ausgangslage: Zunächst weisen sie, im Gegensatz zu literarischen Quellen, alle Vorteile eines epigraphischen Dokuments auf, das nach Abfassung keinen weiteren Texteingriffen unterworfen wurde. Dieser Umstand liegt in der Tatsache begründet, daß die Zaubertafeln grundsätzlich nicht zur Überlieferung oder Rezeption gedacht waren und nach ihrer Beschriftung durch die rituelle Ablage dem menschlichen Zugriff bewußt entzogen wurden. Ferner stellen sie nicht-fiktionale Zeugnisse einer historischen Äußerungssituation dar, die im Originalwortlaut, d.h. in unmittelbarer Rede wiedergegeben wird. Damit erfordert die Untersuchung weder die Rekonstruktion der Zaubersprüche, z.B. aus einem literarisch nachgebildeten Ritualszenario, noch die Abstraktion von der Sichtweise eines Autors, der mit literarischen Vorbildern und der Lesererwartung spielt. Zusammenfassend gesagt handelt es sich bei den defixiones um nicht-fiktionale Textzeugnisse, die die ursprüngliche Form der Verwünschungen protokollieren und infolgedessen zuverlässig über eine historische Wirklichkeit Auskunft geben können. Darüber hinaus halten sie nicht nur den historischen Text unverändert fest, sondern verweisen durch Formulierungen wie etwa ‘Augen, Hände, Finger […] durchbohre ich auf diesen Täfelchen’ (oculos, manus, digitos […] defigo 231 in his tabellis) 983 auch auf non-verbale Ritualhandlungen und damit auf die unmittelbaren Artikulationsbedingungen der Verwünschung. Bei einem sprechakttheoretischen Ansatz, gemäß dem Sprache als menschliches Handlungsinstrument begriffen wird, können Funktion und Bedeutung von Äußerungen nur in ihrem Artikulationskontext verstanden werden. Zu einem antiken Gegenstand befindet sich der moderne Betrachter naturgemäß in einer historischen und kulturellen Distanz; ferner ist auch der Zugriff auf das Hintergrundwissen der Sprecher/ Schreiber nur mittelbar, d.h. über die Auswertung komplementärer Quellen möglich. Diese mangelnde Überprüfbarkeit der Ergebnisse muß durch eine gründliche Aufarbeitung des zu untersuchenden Textcorpus und eine genaue Rekonstruktion des Kontextes aufgewogen werden. In einem ersten Schritt kam daher den Texten als Arbeitsgrundlage eine besondere Bedeutung zu: Als Materialbasis und Rechercheinstrument wurde eine elektronische Datenbank sämtlicher publizierter defixiones in lateinischer Sprache konzipiert und angelegt (s. B: I.). Zu diesem Zweck wurden die Zauberinschriften sorgfältig aufgearbeitet und in zwei fragestellungsspezifischen Transkriptionsvarianten (philologische Transkription und ‘Lesetext’) erfaßt. Die sprachliche Analyse der Zauberinschriften, auf der die Transkriptionen basierten, wurde als Grammatik zu den Bereichen Lautstand, Morphologie, Morphosyntax und Lexikon dargeboten und sollte den Zugang zu den ‘vulgärlateinischen’ Inschriften erleichtern (s. B: II.). In einem zweiten Schritt wurde den außersprachlichen Umständen der Textproduktion auf zweifache Weise Rechnung getragen (s. A: II.): Zum einen im Hinblick auf den Makrokontext. Im Mittelpunkt stand dabei die Prägung des Sprechhandelnden durch ein bestimmtes soziokulturell determiniertes Welt- und Menschenbild, das auch religiöse bzw. magische Ideen und Glaubensvorstellungen umfaßte; bei der Auswertung antiker Quellen (Gebrauchstexte, Literatur etc.) zeigte sich deutlich, daß magische Operationen kein Randphänomen in der römischen Gesellschaft darstellen, sondern alltagspräsent sind und als soziale Realität akzeptiert werden. Zum anderen galt die Untersuchung dem Mikrokontext. Dieser durch das defixio-Ritual gebildete unmittelbare Äußerungskontext wurde vornehmlich auf der Grundlage von Zauberpapyri und literarischen Umformungen faß- und rekonstruierbar (s. A: III.). Die strukturelle und semantische Analyse der Ritualhandlung wurde vor dem Hintergrund der aktuellen Ritualforschung geführt. In diesem Zusammenhang war es auch notwendig, die privat und heimlich vollzogene Ritualhandlung defixio von der öffentlich vollzogenen Verfluchung in Äußerungskontext und Textstruktur abzugrenzen. Das sprechakttheoretisch geleitete Erkenntnisinteresse war auf zwei Ebenen verortet: In erster Linie galt es den unter dem Überbegriff ‘Ver- 983 dfx 1.4.2⁄3. 232 wünschen’ subsumierbaren vielfältigen Handlungsdimensionen (s. A: IV.); hierauf aufbauend zielte es auf die Besonderheiten des ‘magischen’ Sprachgebrauchs hinsichtlich Funktionsweise und Aktionsradius (s. A: V.). Die Untersuchung des speziellen Handlungswertes der inschriftlich dokumentierten Äußerungen orientierte sich zunächst an folgenden Leitfragen: Welche Handlungsintentionen auf Produzentenseite lassen sich ableiten? Welche Kommunikationssituation reflektiert sich in den Texten? Im Verlauf der Studie wurde das Hauptaugenmerk auf den unmittelbar realitätsschaffenden und -gestaltenden Handlungscharakter ‘magischen’ Sprechens gelegt; eine besondere Bedeutung kam dabei der Isolation des rituell Agierenden und der damit einhergehenden Kommunikationslosigkeit zu. Aus dieser besonderen Äußerungskonstellation ergaben sich schließlich folgende Problemstellungen: Fungiert Sprache im Rahmen eines ‘Ich’- Rituals immer als Kommunikationsinstrument? Inwieweit kann die traditionelle ‘Sprechakttheorie’ Funktionsweise und Aktionsradius ‘magischen’ Sprechens abbilden? Welche Sprachkonzeption ist ablesbar? Welches Weltbzw. Selbstbild des Verfassers liegt der Sprachkonzeption zugrunde? Die Auswertung der Inschriften beruhte auf einer semasiologischinduktiven Vorgehensweise: Die Ermittlung des Handlungswertes der Verwünschungen ging von den sprachlichen Realisierungsformen und den handlungsanzeigenden sprachlichen Mitteln aus. Zugrundegelegt wurde die Untersuchungseinheit ‘Formel’, bei der es sich um eine eigenständige, elementare Texteinheit handelt, mittels derer Sprechakte vollzogen werden: In seiner Funktion als verbales Ritualelement zeichnet sich dieses Sprachgebilde durch relative formale Stabilität, Rekurrenz, Reproduzierbarkeit und pragmatische ‘Situationsgebundenheit’ aus. Entsprechend dieser Arbeitsdefinition wurden die ‘Verwünschungsformeln’ ermittelt und inventarisiert. Auf diesen Sprachdaten bauten sprechakttheoretische Analyse und Typisierung der einzelnen Formeln auf: Die ‘Verwünschungsformeln’ liegen mehrheitlich als ‘explizit performative Äußerungen’ (auch in ‘verdeckten’ Varianten) vor, deren Handlungswert im performativen Verb zutage tritt; vielfach wird ihr Handlungsgehalt auch durch konventionalisierte Sprachmittel wie etwa imperativische Ausdrücke angezeigt. Die Illokution indirekter Realisierungsformen, die sich auf wiederkehrende sprachliche Muster beschränkte, ließ sich durch die Berücksichtigung des Kotextes aufschlüsseln. Die Bewertung des Handlungsgehalts erfolgte dabei nicht allein auf Textebene, sondern unter ständiger Berücksichtigung der zugehörigen non-verbalen Ritualhandlungen. Im Anschluß an die Bestimmung des Handlungsgehalts wurden die Verwünschungsformeln einem speziellen Handlungstyp zugeordnet. Dieser spezielle Handlungstyp (z.B. Bitten) konnte wiederum, nach dem zugrundeliegenden übergeordneten illokutiven Zweck, einem allgemeinen Handlungstyp mit möglichst prototypischem Charakter (z.B. Auffordern) zugerechnet werden. Hieraus ergaben sich vier grundlegende Formeltypen, d.h. im Rahmen der defixio sprachlich ausgeführte elementare Hand- 233 lungstypen, die z.T. die Übertragung einer rituellen Operation in die Sprache darstellen und mit konkreten manuellen Ritualhandlungen korrespondieren: 1) Manipulation; 2) Übergabe; 3) Aufforderung; 4) Fluch. Zu diesen Grundtypen traten verschiedene subsidiäre Formeln, die nicht selbständig, sondern nur im Verbund mit einer der o.g. dominierenden ‘Grundformeln’ verwendet wurden; auch andere sprachliche Verfahren mit vergleichbar stützender Funktion wie z.B. listenartige Kataloge oder der sogenannte quem-pepe rit-Ausdruck, konnten herausgearbeitet werden. Die Klassifizierung der o.g. vier Sprechhandlungstypen sowie der nicht selbständig verwendbaren ‘Stützformeln’, die im Sinne der Searlschen Taxonomie (Assertiva/ Repräsentativa, Direktiva, Expressiva, Kommissiva, Deklarativa) geführt wurde, brachte den grundlegenden Unterschied zwischen ‘göttereinbindenden’ und ‘götterlosen’ Formeln zum Vorschein: Alle ‘göttereinbindenden’, d.h. eine Kooperationsleistung von seiten des numinosen Adressaten implizierenden Verwünschungen, konnten durch die traditionelle Sprechakttheorie abgebildet werden: Der durch das defixio- Ritual eröffnete Kommunikationsraum mit dem Numinosen wird mit Mitteln der menschlichen Interaktion ausgestaltet; dies geht bis zum Einsatz briefartiger Kommunikationsformen, die alle typischen Merkmale eines schriftlich vermittelten Kontaktes aufweisen. Dabei konnten anhand der untersuchten sprachlichen Verfahren auch die unterschiedlichen Machtverhältnisse zwischen Mensch und Gottheit aufgezeigt werden: Auf seiten des defigens dokumentierte sich eine Bandbreite von Einstellungen gegenüber der involvierten Gottheit, die von devot-protektiv (‘ich erlaube mir, den Genius deiner göttlichen Macht zu bitten’ [rogaverim genium numini s tui]) 984 bis hin zu nötigend bzw. drohend (‘wenn nicht, steige ich in das Heiligtum des Osiris hinab und löse sein Grab auf’ [si minus, descendo in adytus Osyris et dissolvam tØn tafÆn]) 985 reichte. An diesem Sprachgebrauch zeigten sich nicht zuletzt die kulturell determinierten anthropomorphen Gottesvorstellungen der rituellen Akteure, gemäß derer numinose Mächte auf sprachliche Äußerungen wie menschliche Kommunikationspartner reagieren. Im Rahmen des defixio-Rituals kommen dem göttlichen Kommunikationspartner regelmäßig folgende Rollen zu: Er fungiert als Empfänger der sprachlich realisierten Übergabe (Handlungsklasse Deklarativa): ‘Dis Pater, ich übergebe dir Rhodine’ (Dis pater, Rhodinem tibi commendo). 986 Ferner kann die Gottheit als Adressat einer Aufforderung erscheinen, auf das anvisierte Opfer einzuwirken (Handlungsklasse Direktiva): ‘[…] ich bitte dich, Herr, […], gib ihm […] ein schlimmes Ende’ ([…] te rogo, domine, […], 984 dfx 3.22⁄29. 985 dfx 11.2.1⁄8. 986 dfx 1.4.4⁄3. 234 des ei […], malum exitum). 987 Im Fall der ‘göttereinbindenden’ Äußerungen setzt die Realisierung der Verwünschung eine Folgehandlung von seiten des numinosen Kommunikationspartners voraus, die entweder implizit verstanden (Übergabe) oder ausdrücklich zur Sprache gebracht wird (Aufforderung). Von diesen auf Kommunikation ausgerichteten Äußerungen grenzen sich die ‘götterlosen’, d.h. selbstwirksam gedachten Formeln deutlich ab, was sich unmittelbar auf Textebene zeigt: Die ‘Manipulationsformel’ liegt ausschließlich als explizit performative Äußerung ohne Nachsatz vor; bei den performativen Verben handelt es sich um zweiwertige Handlungsverben, mittels derer auf verschiedene rituelle Manipulationsvorgänge referiert wird: ‘[…] Augen, Hände, Finger […] durchbohre ich auf diesen Täfelchen’ ([…] oculos, manus, digitos […] defigo in his tabelli s) 988 (s.o.). Im Vollzugsausdruck ‘hiermit durchbohre ich’ (defigo) fallen Illokution, d.h. Wert der Handlung, und Proposition, d.h. Aussage über die außersprachliche Wirklichkeit zusammen. Im Gegensatz zur ‘Übergabeformel’ ist die ‘Manipulationsformel’ nicht adressatenorientiert: Der defig ens realisiert sein Handlungsziel nicht auf der Grundlage einer Kooperationsleistung von seiten des numinosen Kommunikationspartners; vielmehr ist die ‘Weltzustandsveränderung’ als unmittelbar von den ‘magischen’ Worten bewirkbar gedacht. Der Kontrast zwischen der Kommunikationslosigkeit des defixio-Rituals und den bisher aus sprechakttheoretischer Sicht untersuchten kommunikativen Vorgängen legte zugleich nahe, daß Funktionsweise und Aktionsradius ‘magischen’ Sprechens durch die traditionelle Sprechakttheorie nicht vorbehaltlos abbildbar sein würden. So begegnen zwar ‘verfluchen’ und ‘verwünschen’ bereits in J. L. Austins Klassifizierung, sie werden aber als konduktive Vollzugsverben gedeutet, mittels derer Einstellungen, Haltungen etc. zum Ausdruck gebracht werden; 989 ‘übernatürliche’ Deklarationen wurden vielfach mit Sprechhandlungen im Rahmen der christlichen Kirche gleichgesetzt und eher akzessorisch behandelt. Es ergab sich folglich die Notwendigkeit, die Klassifizierung der Sprechakte neu zu überdenken. Bei der Gegenüberstellung von (‘göttereinbindender’) deklarativer Äußerung und dem in der (‘götterlosen’) ‘Manipulationsformel’ konkretisierten Sprechhandlungstyp zeigten sich zunächst Übereinstimmungen hinsichtlich der Searlschen Klassifikationskriterien (‘illokutionärer Witz’: unmittelbare ‘Weltzustandsveränderung’; ‘Anpassungsrichtung’: doppelt; ‘Aufrichtigkeitsbedingung’: keine); Identität lag auch hinsichtlich der sprachlichen Realisierung vor (eingliedrige explizit performative Formel mit Koinzidenz von Illokution und Proposition). Im Gegenzug ergaben sich aus der Analyse der Vollzugsausdrücke Differenzen im Hinblick auf 987 dfx 5.1.5⁄2. 988 dfx 1.4.2⁄3. 989 Vgl. Austin 1998, 178-180, bes. 179. 235 die kommunikative Konstellation, den Handlungscharakter und die Art der außersprachlich geschaffenen Tatsachen. Die Opposition zwischen ‘göttereinbindenden’ und ‘götterlosen’ Formeln wurde vom direkten Handlungsergebnis her perspektiviert, das als ‘Mittel zum Zweck’ dem letztlich beabsichtigten Handlungsziel zugrundeliegt: Das Ziel der defixio entspricht stets der Aggression gegen das Opfer (d.h. in seiner Unschädlichmachung, Tötung, Herbeizwingung etc.). Im Falle der ‘göttereinbindenden’ Formeln ist das Ergebnis der verbalen Handlung (Übergabe oder Aufforderung) virtueller, innersprachlicher Natur und ohne einen Kommunikationspartner als Rezipient und Träger der neuen Realität nicht denkbar; die Realisierung des Handlungsziels ist an die Folgehandlung von seiten des Kommunikationspartners gekoppelt. Die Vorstellung des sprachlichen Handlungspotentials, das sich in ‘götterlosen’ Zaubersprüchen manifestiert, ist hingegen eine andere: Mittels der ‘Manipulationsformel’ glaubt der Sprechhandelnde, die physische und psychische Beeinträchtigung der Zielperson ohne fremde Kooperationsleistung, d.h. allein kraft seiner Äußerungen bewirken zu können. Das Handlungsergebnis besteht im unmittelbaren Hervorbringen konkreter Fakten und ist mit dem übergeordneten ‘Handlungsziel’ identisch. Aus der Perspektive des Sprechhandelnden wahrgenommen liegt beiden Sprechhandlungstypen die Intention zugrunde, eine ‘Weltzustandsveränderung’ unmittelbar durch Worte hervorzubringen, menschliche Äußerungen werden folglich als mächtig und selbstwirksam gedacht. Diese in den defixiones reflektierte Vorstellung von der unmittelbaren Selbstwirksamkeit ‘magischen’ Sprechens schien unvereinbar mit dem Konzept von Sprache als Zeichensystem, das zum Zweck menschlicher Kommunikation (im Sinne einer partnerorientierten verbalen Interaktion mit dem Ziel des ‘Verstandenwerdens’) eingesetzt wird. Durch die Auswertung zeitgenössischer antiker Quellen sowie ethnologisch-soziologischer Materialien wurde jedoch deutlich, daß in verschiedenen Kulturkreisen auch aktuell dem menschlichen Wort eine außergewöhnliche Wirkmacht und damit die Fähigkeit zugesprochen wird, unmittelbar in den Lauf der Ereignisse einzugreifen (s. A: V.3.3). So können Zaubersprüche gleichsam als personifizierte Mächte gedacht sein, mit denen eine sprachliche Interaktion möglich ist. Vor diesem Hintergrund erscheint die symbolische Konzeption des sprachlichen Zeichens als funktionale Reduktion, die einer rationalen, westlich-aufgeklärten Sichtweise entspringt. Hieraus ließ sich auch ableiten, daß, aus der Innenperspektive besehen, ‘quasi-magisches’ und ‘magisches’ Sprechen in Funktion und Aktionsradius keineswegs so weit auseinanderliegen, wie es für einen externen Betrachter den Anschein haben mag; vielmehr entfaltet sich in dieser Selbstwirksamkeit realitätsschaffender Äußerungen das umfassende Handlungspotential des menschlichen Wortes, das sich bereits im alltäglichen Gebrauch an seiner Überredungs-, Beeinflussungs- und Überzeugungsleistung manifestiert. 236 Die Zusammenführung aller realitätsschaffender Äußerungen in eine einzige Sprechaktklasse warf auch von einem analytischen Standpunkt aus keine Probleme auf. Wie bereits gesagt, entsprechen sich die Formeln sowohl im Hinblick auf die Searlschen Klassifikationskriterien als auch auf ihre Realisierungsform (s.o.). Ebensowenig stellten Handlungscharakter und Kommunikationslosigkeit der (‘götterlosen’) ‘Manipulationsformel’ ein Ausschlußkriterium für die gemeinsame Klassifizierung mit (‘göttereinbindenden’) deklarativen Formeln dar: Zum einen ergeben sich aus sprechakttheoretischer Sicht keine Beschränkungen für den performativen Gebrauch der Verba defigendi. Zum anderen stellt das Sprechen ohne Kommunikationspartner nach J. R. Searle und D. Vanderveken k e i n e außergewöhnliche Äußerungssituation dar; vielmehr werden alle illokutiven Akte grundsätzlich in ‘hörergerichtet’ und ‘nicht-hörergerichtet’ differenziert, lediglich die Klasse der Deklarativa ist ausschließlich als öffentlich vollziehbar konzipiert (dies zeigt sich bereits an der Bezeichnung declaration von lt. declarare ‘erklären zu’). Vor diesem Hintergrund erwies sich die Etablierung einer neuen Sprechaktklasse als nicht erforderlich; notwendig blieb aber die Aufhebung der konzeptuellen Beschränkung auf ausschließlich hörergerichtete, öffentlich vollzogene Sprechhandlungen (und damit die Substitution der Bezeichnung ‘Deklarativa’). Hierfür wurde der auf eine u n m it t e l b a re ‘Weltzustandsveränderung’ ausgerichtete Zweck der Äußerung gegenüber den Bedingungen des öffentlichen Vollzugs in den Vordergrund gerückt. Diesem übergeordneten Handlungsziel sollte der neue Name ‘Transformativa’ (von lt. transformare ‘verwandeln’) Rechnung tragen. Neben den dargelegten zentralen Ergebnissen konnten im Verlauf der Arbeit verschiedene Einzelbeobachtungen gemacht werden, die hier nur summarisch angesprochen seien. So wurde im Rahmen der Gegenstandssicherung gezeigt, daß die defixio als Ritualform sui generi s zu verstehen und vor allem von der Verfluchung abzugrenzen ist: Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Isolation des defigens und somit die fehlende soziale (z.B. gemeinschaftserhaltende oder -konstituierende) Funktion des defixio- Rituals. Demgegenüber ist der Fluch nicht zuletzt als öffentlich rezipiertes, mitunter auch institutionalisiertes Schutz- und Garantieinstrument für den Fortbestand gemeinschaftserhaltender Institutionen zu verstehen. Angesichts der herausgearbeiteten Unterschiede, die neben dem Äußerungskontext auch die Textkonstitution betrafen, erwies sich die Bezeichnung ‘Fluchtafel’ als unangemessen (s. A: III.4.2). Ferner konnte auch nachgewiesen werden, daß die defixio kein schichtspezifisches Phänomen darstellt, was nicht nur in den komplementären Quellen faßbar, sondern auch unmittelbar durch die sprachliche Analyse der defixiones bestätigt wurde (s. B: II.1). Ein komplexer und facettenreicher Gegenstand wie die defixionum tabellae kann nie unter allen Gesichtspunkten ausgeleuchtet werden; viel- 237 mehr warf die eingehende Beschäftigung mit diesen Zeugnissen immer neue Fragen auf. So wäre etwa weiterhin zu klären, ob ‘götterlose’ Zaubersprüche von gebetsartigen Formeln abgelöst werden und ob sich hinter dieser Dynamik wiederum ein Wandel im Selbstbild des rituell Agierenden reflektiert. 990 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob ‘magisches’ Denken und Sprechen „zunehmend unter den Einfluß des dominanten theistischen Systems [kommt], d.h. [seine] Wirkung mehr und mehr als von den Göttern gelenkt und sanktioniert aufgefaßt [wird]“ 991 oder ob vielmehr von der Kopräsenz beider Denk- und Glaubensformen auszugehen ist. Als Folie könnte z.B. die Entwicklung der alttestamentlichen Segensformeln dienen, die „[v]on der Indifferenz [d.h. der fehlenden Angabe des Segensbewirkers] zur Eindeutigkeit [d.h. der eindeutigen Angabe von Jahwe als Segensbewirker]“ 992 verläuft. Im Zusammenhang mit der Kombinatorik der Grundformeln wurde auch auf die variierende Komplexität der defixio-Texte verwiesen. Komplexe Textstrukturen über die Grenzen der einzelnen Formeln hinaus wären eingehender auf ihren Handlungswert zu untersuchen; aufzugreifen wäre dabei z.B. die Frage nach komplexen Sprechakten. Auf die Präsenz von Formeln, wie sie sich in Sprachdokumenten aus dem offiziellen Kult finden, konnte ebenfalls nur kurz eingegangen werden. Es wäre lohnenswert, neben dem angesprochenen Veränderungspotential der Texte auch ihre Aufnahmebereitschaft für sprachliche Elemente anderer Ritualformen näher zu untersuchen. Dieser Ansatz könnte u.a. mit der Klassifizierung der defixio als nicht-fiktionaler Textsorte und der Ausarbeitung entsprechender Klassifikationskriterien (textintern und -extern) verbunden werden, wobei auch dem Verhältnis zu entsprechenden ‘magischen’ Diskurstraditionen nachzugehen wäre. 993 Nicht zuletzt könnten sich Betrachtungen anschließen, die sich den unterschiedlichen Konzeptionen von Sprache im Spannungsfeld zwischen hypostasierter und symbolischer Wahrnehmung des sprachlichen Zeichens widmen. Ein Desiderat bleibt weiterhin auch die Zusammenstellung aller defixionum tabellae sowohl in griechischer als auch in lateinischer Sprache. Denkbar wäre zu diesem Zweck die Einrichtung einer recherchefähigen elektronischen Datenbank, die interessierten Forschern Zugriff auf das schwer verfügbare und weit verstreute Datenmaterial ermöglicht. Das Arbeitscorpus der vorliegenden Studie versteht sich als erster Schritt in diese Richtung. Die vorliegende Arbeit stellte einen Versuch dar, neues Licht auf alte Zeugnisse zu werfen. Dabei wurde der Untersuchungsgegenstand multi- 990 Für die Entwicklung der ‘Verwünschungsformeln’ ist bis dato nur eine unsichere Chronologie vorgelegt worden, vgl. z.B. Kagarow 1928, 5; 16; 21; 26-28; 44-49. 991 Wiggermann 1999, 658. 992 Wagner 1997, 265. 993 Empirische Studien liegen vor z.B. von Ermert (1979); Steinbauer (1989). 238 perspektivisch erfaßt und beschrieben, mit dem Ziel, herkömmliche, allzu vertraute Paradigmen der Sprachbetrachtung in Frage zu stellen und neu zu formulieren. Die Erklärungsleistung einer pragmalinguistisch ausgerichteten Untersuchung ist dabei nicht auf spezifische Merkmale einer historischen Einzelsprache oder eines einzelnen Textes beschränkt, so daß die dargelegten Aspekte sprachlich realisierter Handlungen auch für andere sprachwissenschaftliche Studien fruchtbar gemacht werden können. Zugleich sollte diese Arbeit auch den Erkenntnisgewinn einer transdisziplinären Beschäftigung mit ‘entlegenen’ Forschungsgegenständen aufzeigen, die sich nicht als konkurrierende Alternative, sondern als Beitrag zu dem Verständnis von wenig vertrauten Denk- und Sprechweisen, wie sie sich in den defixiones spiegeln, versteht. B. CORPUSETABLIERUNG: AUFBEREITUNG UND SPRACHLICHE ANALYSE DER ZAUBERINSCHRIFTEN 243 I. Das Corpus der defixionum tabellae I.1 Die Inschriftengattung defixio Als beschriftete Bleilamellen fallen die ‘Fluchtafeln’ unter die epigraphische Kategorie der Kleininschriften, zu denen etwa auch mit Text versehene Gebrauchsgegenstände, Marken und Schmuckstücke zu zählen sind (s. auch A: III.3.1). I.1.1 Die Entzifferung der Zauberinschriften Die defixiones nehmen unter den Inschriften eine Sonderstellung ein: Ihre Entzifferung zählt nicht nur zum Tätigkeitsfeld von Epigraphikern, sondern fällt zugleich in die Domäne der Paläographie, der Handschriftenkunde. Bereits bei der Aufarbeitung ist die Vor- und Mitarbeit verschiedener Spezialisten notwendig: Neben der Bergung der Tafel sind vor allem sachgemäße Säuberung und Konservierung diffizile, für eine Interpretation des Inschriftenmaterials aber unerläßliche Vorbereitungsschritte. Dies gilt auch für die Sichtbarmachung der Schrift, die, oftmals nur flüchtig in das Metall geritzt und im Laufe der Jahrhunderte korrodiert, mit bloßem Auge mitunter kaum zu erkennen ist. 1 Das Problem der Lesbarkeit wird durch Manipulation und Fundsituation der Täfelchen noch verschärft; ferner ist zu bedenken, daß die Verschriftung der Texte einen rituellen Vorgang darstellt (s. A: III.3.2): Keine Seltenheit sind z.B. retrograde Schriftverläufe oder ungewöhnliche Buchstabenanordnungen, die bis zur Unverständlichkeit der Texte gehen können. I.1.2 Die Paläographie der Ritzschrift Die Texte werden mit einem Schreibgriffel, einem Nagel oder einem anderen spitzen Gegenstand in die weiche Metallunterlage geritzt. 2 Vereinzelt werden alte Buchstaben getilgt und die Tafel mehrmals verwendet. Bei der Schriftart handelt es sich in den meisten Fällen um die sogenannte Kursive, die im Alltag gebräuchliche Schreibschrift, wie sie insbesondere durch die 1 Zur Aufbereitung und Auswertung der Täfelchen vgl. Jordan 1988; Rosenberg 1988. Zur Entzifferung der Texte vgl. insbesondere Tomlin 2004. 2 Eine Spezialstudie von Bartoletti (1990) erklärt die besondere Entwicklungslinie der Schrift auf den Bleilamellen im Rückgriff auf zwei unterschiedlichen Gebrauchsschrifttypen (s. auch A: II.2.3): Der Tintenschrift auf Papyrus steht die Ritztechnik auf anderer Schreibunterlage wie etwa Metall gegenüber; im komplexen Schriftsystem der defixiones laufen beide insofern zusammen, als immer mehr Varianten aus der Papyrusschrift in die Graffitischrift aufgenommen werden, was schließlich zu einer endgültigen Aufgabe der Graffitischrift führt. 244 Wandinschriften aus Pompeji und Herkulaneum bekannt ist; 3 selten finden sich kapitale Lettern. 4 Dies gilt auch für die wenigen defixi ones, die z.B. auf Gefäßen angebracht sind (s. auch A: III.3.1). Bisweilen ist der lateinischsprachige Text mit griechischen charaktere s transkribiert (s. auch A: III.3.2). I.1.2.1 Die verwendeten Schrifttypen Die ältere römische Kursive oder Majuskelkursive steht der kanonisierten Capitalis, deren Gebrauch sich fast ausschließlich auf die Buchabschrift beschränkt, noch recht nahe. Vergleichbar mit dem Verhältnis moderner Großdruckbuchstaben zu ihrer schreibschriftlichen Ausführung ergeben sich die auffälligsten Unterschiede durch den schnelleren und flüchtigeren Schreibstil, was besonders anhand der ‘diagnostischen’ Buchstaben B, D und R deutlich sichtbar ist. 5 Diese erste Entwicklungsstufe ist etwa ab dem 1. Jh. v. Chr. anzusetzen; wie anhand von Dokumenten aus Militär-, Zivilverwaltung und Rechtspflege ersichtlich ist, dürfte der Schwerpunkt in der Verwendung auf dem 2. bzw. 3. Jh. n. Chr. gelegen haben. Mit dem 3. Jahrhundert wird die Majuskelkursive (ältere römische Kursive) von der Minuskelvariante (neuere römische Kursive) mit ihren aufgerichteten, langgezogenen Buchstaben abgelöst. Parallel zu den kursiven Schrifttypen kommt der Capitalis weiterhin die Rolle einer Luxuskalligraphie zu. Obwohl die zeitliche Abfolge im Gebrauch der einzelnen kursiven Schrifttypen für das römische Reich als recht homogen angenommen wird, muß man doch von regionalen Unterschieden ausgehen. So ist etwa der Gebrauch der älteren römischen Kursive für Bath (Britannien) auf einen im Vergleich zu den übrigen Provinzen späteren Zeitraum anzusetzen. 6 Die große Variationsbreite der kursiven Buchstabenformen ist in den Tabellen und Listen verschiedener Einzelpublikationen festgehalten, die Hilfe bei Auswertung und Lesung der Texte bieten: 7 Typische Varianten sind z.B. die ‘linearen’, d.h. parallel verlaufenden Nebenformen || bzw. |! für E bzw. F, die auf den Wachstafeln von Pompeji und Siebenbürgen begegnen und ihren Beinamen der großen Verbreitung in den kaiserzeitli- 3 Grundlegend, aber für die defixiones nicht erschöpfend, etwa Mallon 1952; Bischoff 1979; Foerster/ Frenz 2004. Diese Standardwerke werden von zahlreichen paläographischen Spezialuntersuchungen ergänzt, z.B. sehr ausführlich Casamassima/ Staraz 1977; Bartoletti 1990 (s. auch A: II.2.3). Für den Fachbereich Romanistik vgl. auch Frank-Job 2001; speziell zu den Anforderungen, die die Scriptio continua an den Leser stellt, sowie zur Textorganisation der lateinischen Scripta vgl. auch Raible 1991. 4 So z.B. dfx 3.22⁄18; dfx 11.1.1⁄34. 5 Vgl. auch Tomlin 1988, 84-94 (inklusive Tabularien, S. 91-94). 6 Vgl. hierzu bes. Tomlin (1988, 85-88), der von einem Zeitraum zwischen 175 und 275 n. Chr. ausgeht. 7 Dies ist bereits in den frühen Publikationen der Fall, vgl. z.B. Wünsch 1898, 53f.; ebenso den Kommentar von Egger (1962, Abb. 13-16) zu dfx 4.3.4⁄1 und den Kommentar von Marcillet-Jaubert (1979b, 9-15) zu dfx 4.2.1⁄1, wo der Duktus genau beschrieben wird. 245 chen Provinzen Galliens verdanken. Ferner können die einzelnen Buchstaben, wie alle individuell ausgeführten Handschriften, von Tafel zu Tafel stark voneinander abweichen. I.1.2.2 Datierung und Autorenschaft Wie bereits dargelegt, kann die Kursivschrift aufgrund der Chronologie von Verwendung und Umgestaltung als Datierungskriterium herangezogen werden. Dies ist um so wichtiger, als die genaue zeitliche Einordnung von Inschriften auf einem anorganischen Material wie Blei eine schwierige Aufgabe darstellt. Auch der archäologische Fundkontext, der zudem nicht immer einwandfrei rekonstruiert werden kann, erlaubt diesbezüglich nur in sehr begrenztem Maße Rückschlüsse. Die Datierung der Inschrift auf der Grundlage paläographischer Daten darf jedoch nicht absolut gesetzt werden, sondern muß sich anhand von philologischen und onomastischen Untersuchungen bestätigen. 8 Über die Datierung hinaus lassen sich dem paläographischen Befund, wie z.B. der individuellen Ausführung der Buchstaben, auch Angaben zum Schreiber entnehmen: Gerade bei größeren Depositionsorten, wie z.B. den Heiligtümern von Bath und Mainz oder dem Amphitheater von Trier, verblüfft die große Schriftenvielfalt; 9 gelegentlich erscheinen unterschiedliche Schriften auf einem Täfelchen (s. auch A: II.4.2.3). 10 Ferner legt eine geübte oder eine auf unterschiedlichen Tafeln wiederkehrende Handschrift die Mitwirkung eines professionellen Schreibers nahe. Dies gilt insbesondere für die in Serien vorkommenden Täfelchen aus der antiken nordafrikanischen Stadt Hadrumetum (Sousse), die einer „spezialisierten Werkstatt“ 11 entstammen könnten. I.2 Die Aufarbeitung der epigraphischen Daten Für die vorliegende Studie wurde ein umfassendes Corpus der defixionum tabellae zusammengetragen, ausgewertet und in eine elektronische Datenbank eingetragen. Dies war um so wichtiger, als bisher weder eine vollständige Bibliographie noch ein aktuelles Textcorpus der bekannten latei- 8 Zu den Datierungsproblemen auf der Grundlage der Schrift, vgl. z.B. Tomlin 1988, 87; Bartoletti 1990, 9. 9 Die Mainzer Situation wurde mir freundlicherweise von J. Blänsdorf geschildert. Zu Trier vgl. z.B. Schwinden (1984, 185), der von den „Unwägbarkeiten einer individuellen Handschrift“ spricht. 10 Z.B. dfx 11.1.1⁄28. 11 Foucher (2000, 58) spricht in seinem Kommentar zu dfx 11.2.2⁄1, auf dem der Herkunftsnachweis ex officina magica ‘aus einer Zauberwerkstatt’ angebracht ist, von einem „atélier spécialisé“. 246 nischen defixiones existiert. Konzept und Anlage dieses elektronischen Corpus werden im folgenden erläutert. I.2.1 Die elektronische Datenbank als Arbeitsinstrument Um das epigraphische Material gründlich aufzuarbeiten, sinnvoll zu organisieren und systematisch recherchierbar zu machen, wurde eine auf das Forschungsinteresse abgestimmte elektronische Datenbank (FileMaker Pro, Version 6) angelegt. 12 Der große Vorteil einer elektronischen Datenbank besteht, im Gegensatz etwa zu gedruckten Corpora, darin, flexibel und an neue Gegebenheiten und Erfordernisse anpaßbar zu sein: Veränderung des Layouts wie auch Korrekturen, Ergänzungen und Aktualisierungen der Einträge können jederzeit und problemlos vorgenommen werden. Da eine elektronische Datenbank darüber hinaus die Möglichkeit bietet, durch Aus- und Einschluß von Datenblättern ein mehrstufiges System von Datenbanken zu generieren, konnten je nach Forschungsinteresse verschiedene Corpora kreiert werden. I.2.1.1 Das Konzept der elektronischen Datenbank Das elektronische Corpus der lateinischen defixiones ist als Kombination von Textkommentar, Konkordanz, Grammatik und Quellenbuch konzipiert. Das Kernstück jedes Datenblatts besteht aus der Inschrift, die in zwei Transkriptionsvarianten (TEXT 1 und TEXT 2) dargeboten wird. Darüber hinaus schließt jedes Datenblatt auch bibliographische Angaben sowie Informationen zu Fundkontext und Datierung sowie zu Material und Manipulation der Tafel ein. Damit stellt die Datenbank als umfassende digitale Handbibliothek zu den lateinischen defixiones eine Grundlage für sprachwissenschaftliche und historische Untersuchungen dar. Das wesentliche Leistungspotential der Datenbank bestand in der Zusammenführung und sinnvollen Verknüpfung sämtlicher, oftmals isoliert und parzelliert vorliegender wissenschaftlicher Spezialstudien. Diese Konzentration von Forschungsergebnissen und Fachwissen erfolgte in einem Referenzbestand, der stets kontrolliert, erweitert und aktualisiert wurde. I.2.1.2 Die Auswahl der Inschriften für eine linguistische Studie Der in die Datenbank aufgenommene Inschriftenbestand basiert auf der Auswertung einschlägiger Corpora und Sammlungen (s. auch A: II.2.1): Hierzu zählen die von A. Audollent 1904 publizierten lateinischen Täfelchen sowie die in der Folgezeit erschienenen Ergänzungen von M. Jeanneret (1916/ 17 bzw. 1918), M. Besnier (1920), E. García Ruiz (1967) und H. Solin (1968); hinzu kamen u.a. die kürzlich in Bath und Uley gefundenen 12 Auf der beigelegten CD wird die elektronische Datenbank zusätzlich im Format pdf bereitgestellt (s. auch read-me-Datei auf CD). 247 Täfelchen. 13 Ebenso wurden defix iones aufgenommen, die in verschiedenen Zeitschriften oder Berichten verstreut waren. Unbeschriftete Tafeln und anderssprachige defixiones fanden keine Berücksichtigung. Dieses vorläufige Corpus umfaßte 578 Inschriften. Allerdings waren nicht alle dieser 578 Inschriften einschlägig: Die erste große Bereinigung betraf insgesamt 41 Inschriften, die in der Literatur zu Unrecht als defixiones geführt wurden, wie z.B. die so genannte „Duenosinschrift“ (DT 136), die ex-votos aus Amélie-Les-Bains (DT 114 - 120), das Amulett zum Schutz eines Prozeßteilnehmers (AE 1976, 417) sowie ein bekannter Schutzzauber gegen Hagel (AE 1939, 136). 14 Zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Dissertation (Juni 2006) war die Anzahl der bekannten lateinischen defixiones, die sich in meiner Datenbank befanden, auf 537 Stück reduziert worden. 15 Dieses erste Arbeitscorpus (C1) diente als Referenzbestand für Aussagen zum Fundkontext (s. A: II.4.1.3; III.3.5.1). Als Grundlage für textbasierte Untersuchung gewann ich aus C1 ein zweites Corpus (C2), das nur definitive Lesungen und Editionen beinhaltete. Hierfür entfernte ich 106 kürzlich publizierten Funde, deren Herausgabe noch nicht abgeschlossen war; dies betraf vor allem die Fundkomplexe aus Mainz, Rom (im Quellheiligtum der Anna Perenna) und z.T. Uley. 16 Ferner wurden auch 40 defixiones ausgesondert, die unlesbar, unverständlich oder zu fragmentarisch waren; eine Autopsie am Original war in diesen Fällen nicht möglich oder blieb ergebnislos. Dieses bereinigte Corpus (C2) beinhaltete 391 lateinische defixiones und wurde, sofern nicht anders angegeben, als Textgrundlage für die linguistischen Untersuchungen herangezogen. 13 Tomlin 1988; Woodward/ Leach 1993. Neue Funde aus Britannien werden auch regelmäßig in Britannia veröffentlicht. Die für 2008 angesetzte Veröffentlichung des Fundkomplexes in Mainz obliegt J. Blänsdorf, der auch die Edition der 21 Tafeln aus Rom vorbereitet. 14 Letztere Tafel aus Traú wurde auch in Wünschs Antike Fluchtafeln (1912, 27-30, Nr. 7) aufgenommen (CIL 3, S. 961). Vgl. hierzu auch Gager 1992, 224f., Nr. 119. 15 Die im Rahmen dieser Untersuchung vorgelegten Zahlenangaben, Mengenverhältnisse o.ä. sind stets vor dem Hintergrund instrumenteller und methodischer Verbesserungen in den Grabungs- und Dokumentationsbedingungen und dem wachsenden Interesse an unscheinbaren Kleinfunden zu sehen: Die moderne Fundsituation spiegelt nicht zwingend die antiken Produktionsumstände wider, d.h. daß z.B. die die Häufung von Funden in einer bestimmten Region nicht der tatsächlichen Verbreitung zum Entstehungszeitpunkt entsprechen muß, sondern auch als Resultat der verbesserten wissenschaftlichen Aufarbeitung zu bewerten ist. Dies trifft sehr stark auf Britannien zu, wo bis in die 1970er Jahre des letzten Jahrhunderts nahezu keine Funde gemacht wurden. Heute bilden die dort gefundenen defixiones mit über 200 Stück die größte Gruppe. 16 Vgl. den Bericht von J. Blänsdorf auf der internationalen Konferenz „Magical practice in the Latin-speaking Empire.“ Saragosa 30.09.-01.10.2005. Dieser Beitrag wird in den Akten erscheinen. 248 I.2.1.3 Vorbereitung und Eintragung der Inschriften Der vorbereitende Schritt für Eintragung und Rekonstruktion der Inschriften bestand in der sorgfältigen Aufarbeitung. Das Lesen antiker Inschriften wie der defixionum tabellae wirft regelmäßig verschiedene Probleme auf: Wie bereits einleitend ausgeführt, ist die Schrift oftmals schwer zu entziffern, was sowohl aus einer mehr oder weniger lesbaren Handschrift (üblicherweise Kursive) als auch aus dem desolaten Konservierungszustand der Schreibunterlage resultieren kann; darüber hinaus kann die Verfremdung der Schrift eine wichtige Rolle für die magische Wirkung spielen und folglich das Lesen erschweren. Ebenso weicht das Latein der defixiones (‘Vulgärlatein’ oder gesprochenes Latein) oft merklich von der klassischen Sprache ab. Es ist mitunter schwer verständlich und erfordert eine eingehende philologische Analyse (s. B: II.). Die Länge der magischen Texte variiert zwischen einer und etwa 30 Zeilen. Für eine kohärente und verständliche Rekonstruktion der Inschriften wurde auf alle verfügbaren Editionen zurückgegriffen, die in der jeweiligen Bibliographie erscheinen. 17 Dabei war nicht nur der paläographische Befund von großer Bedeutung, sondern auch philologische und onomastische Überlegungen im Wechselspiel mit der Strukturanalyse des Textes: Berücksichtigung fanden wiederkehrende Formulare oder Formelbestandteile sowie Vergleichstexte, zu denen die griechischen defixiones, antike Zauberbücher (z.B. PGM) ebenso wie literarische (fiktionale und nichtfiktionale) Quellen zählten (s. A: II.4.2); zudem wurden Zeichnungen, Transkriptionen und Photographien der Inschriften überprüft. Bei abweichenden Lesungen wurde grundsätzlich der plausibleren Variante der Vorzug gegeben. In etwa 90 Fällen brachte dieses Vorgehen Neulesungen hervor, was auf dem Datenblatt vermerkt wurde. War eine Sicherstellung oder Ergänzung der Lesung trotz Autopsie oder Überprüfung entsprechender Dokumentation nicht möglich, so wurde die Eintragung als „unsicher“ gekennzeichnet (s.u.). I.2.1.4 Das Datenblatt-Layout Jedes Datenblatt besteht aus 14 Datenfeldern mit zugehöriger Feldbezeichnung in Großbuchstaben (z.B. MATERIAL). Diese 16 Datenfelder sind wiederum in fünf Felderkomplexe zusammengefaßt, die optisch getrennt und mit eigenen Überschriften versehen wurden (z.B. „Kontext“). 17 Parallel zur Aufarbeitung der wissenschaftlichen Literatur wurde der Kontakt zu den entsprechenden Spezialisten auf den Gebieten antike Magie, Epigraphik bzw. Paläographie, Klassische Philologie etc. gesucht, der sich als überaus fruchtbar erwies. Als Ergebnis aus den Fachkontakten entstand das Kolloquium „Antiker Schadenzauber: Neue Funde und neue Deutungen“, Mannheim 17.-18.12.2003, das als Brodersen/ Kropp 2004 publiziert wurde. 249 • Das erste Datenfeld enthält die geographisch definierte Nummer (s. C: II., Abb. 5). Sie erscheint nach dem Kürzel „dfx“ (für defixio) und setzt sich aus vier Ziffern zusammen: Die ersten drei (jeweils durch einen Punkt getrennten) Ziffern zeigen die geographische Verortung an, die letzte (durch einen Schrägstrich getrennt) ist die individuelle Tafelnummer. So verweist z.B. dfx 1.4.4⁄1 auf eine Tafel (von insgesamt 16), die in Italien (1), Latium (4), urbs Roma (4) gefunden wurde. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit erfolgt der Verweis auf die Inschrift ausschließlich mit diesem Kürzel. • Der Felderkomplex „Kontext“ stellt die Informationen zu den Fundumständen bereit, wie sie in der zugehörigen Publikation aufgeführt sind, ebenso wie die Datierung der Inschrift: Das Datenfeld HER- KUNFT zeigt den Fundort mit seinem modernen Namen an, gefolgt, wenn möglich, von der antiken Benennung in runden Klammern (Provinz/ Ortsname), z.B. Ptuj/ Slovenien (Pannonia/ Poetovio). Das Datenfeld FUNDKONTEXT bezieht sich auf Fundumstände und -zeitpunkt. Im Datenfeld DATIERUNG sind auch divergente Datierungen aufgenommen; die Abkürzungen ÄRK bzw. NRK beziehen sich dabei auf die Schriftarten „Ältere“ bzw. „Neuere Römische Kursive“. Unsichere Angaben wurden mit einem „? “, fehlende mit „ø“ gekennzeichnet. • Die Felderkomplex „Bibliographie“, der pro defixio umfassende bibliographische Angaben beinhaltet, ist in die folgenden drei Datenfelder unterteilt: CORPORA/ SAMMLUNGEN (d.h. die Standardedition(en) zu der Inschrift), AE-ANGABE (d.h. laufende Nummer im Jahrbuch Année Épigraphique) und WEITERE PUBLIKATIONEN (d.h. Sekundärliteratur, besonders Zeitschriften, Anthologien etc.). Die im letzteren Teilbereich aufgenommenen Titel sind nicht nochmals in der Gesamtbibliographie (s. C: I.) verzeichnet. • Der Felderkomplex „Tafel“ liefert Informationen zu MATERIAL, FORM und MANIPULATIONSART (z.B. Durchbohrung oder Faltung) der Tafel bzw. Schreibunterlage. • Der Felderkomplex „Text“ verzeichnet das wahrscheinliche MOTIV der Verwünschung (z.B. Prozeß-defixio oder Liebeszauber, s. auch A: IV.5). Vermerkt sind ferner Besonderheiten der verwendeten Schrift (z.B. rückläufig). Zudem finden sich Angaben zur jeweiligen LESUNG: In Form einer Kurzbibliographie erscheinen die Edition(en), aus der die Lesung stammt (im Regelfall bezogen auf CORPO- RA/ SAMMLUNGEN). 18 Ergaben sich durch Autopsie der Tafel oder Revision der Publikationen hiervon abweichende Neulesungen, so ist dies in dem Kästchen EIGENE NEULESUNG vermerkt. Die Inschrift selbst wird in den zwei Transkriptionsvarianten TEXT 1 und TEXT 2 dargeboten. 18 Zur Auflösung der Abkürzungen von Zeitschriften, Sammelbänden etc. s. C: I.3. 250 I.2.2 Ein Text - zwei Umschriften: TEXT 1 und TEXT 2 Im Felderkomplex „Text“ wird jede Tafel in zwei Transkriptionsvarianten dargeboten: TEXT 1 besteht aus einer Transkription, in der wiederkehrende ‘vulgärlateinische’, d.h. vom klassischen Latein abweichende Phänomene nach einheitlichen Kriterien indiziert sind. Die komplementäre Textversion TEXT 2 stellt eine ‘flüssig’ lesbare, d.h. ohne Markierungen dargebotene Rekonstruktion der Inschrift bereit I.2.2.1 Text 1: Das philologische Markierungssystem Text 1 bietet eine Transkription des auf der jeweiligen Tafel Lesbaren. Zudem werden, zum Zweck der homogenen Darstellung (und Abfrage) sprachlicher Daten, nicht-standardsprachliche Wortformen (nicht Eigennamen) durch ein philologisches Markierungssystem in einer am klassischen (d.h. ciceronianischen) Latein ausgerichteten ‘normalisierten’ Form wiedergegeben; dies betrifft z.B. poetische bzw. archaische Formen (z.B. Dativ Singular mi für mihi) und etymologische Schreibweisen (z.B. das nicht-assimilierte Präfix adin adpellari statt appellari). Jedes Datenblatt enthält somit die Informationen eines Einzeltextkommentars (beispielhaft genannt sei Roger S.O. Tomlins „detailed description […] with commentary“ 19 der Tafeln aus Bath); zudem sind sprachliche Phänomene systematisch recherchier- und gruppierbar, was wiederum eine vergleichende philologische Analyse (analog zur Studie von M. Jeanneret) ermöglicht. Das textkritische Markierungssystem in TEXT 1 ermöglicht dabei eine detaillierte und konsistente Darstellung von phonetischen, morphologischen und morphosyntaktischen sowie lexikalischen Merkmalen. Es basiert auf den Richtlinien der Epigraphischen Datenbank Heide lberg (EDH), die teilweise modifiziert und entsprechend dem philologischen Forschungsinteresse erweitert wurden. Nachstehende „Konventionen für die Eingabe der Daten und Inschriftentexte“ 20 wurden von der EDH übernommen: [ ] Einfache eckige Klammern geben Ergänzungen nicht lesbarer, d.h. z.B. beschädigter Textstellen an; Bsp.: p[u]er si [p]uella s[i]. Die Ergänzungen betreffen auch wiederkehrende ‘vulgärlateinische’ Formen; Bsp.: respon[da]t (statt kl. respondeat) mit Konjugationswechsel (s. B: II.4.5.1). 19 Tomlin 1988, 59. 20 http: / / www.uni-heidelberg.de/ institute/ sonst/ adw/ edh/ . Diese Richtlinien, die dem online verfügbaren Handbuch entnommen werden können, basieren auf dem Leidener Klammersystem von 1931 (die Standardkonventionen für die Edition von Inschriften), in Kombination mit den Transkriptionskriterien von Panciera/ Krummrey (Suppl. It. 8, 1991, 9f.). Die Leidener Konventionen gelten gemeinhin für die Editierung der defixiones, vgl. hierzu auch Jordan 1985b, 213. 251 [-] Bei unvollständigen Rekonstruktionen werden die fehlenden Buchstaben durch Striche innerhalb der eckigen Klammern angezeigt. Bei Lücken von einer Größe bis zu drei Zeichen entsprechen die eingesetzten Striche den fehlenden Buchstaben. [---] Lücken unbestimmbarer Größe sind durch drei Striche innerhalb der eckigen Klammern gekennzeichnet. [------] Das Fehlen ganzer Zeilen zeigen sechs Striche innerhalb der eckigen Klammern an. / Ein Schrägstrich markiert den Zeilenumbruch. / / Zwei Schrägstriche markieren das Ende eines Inschriftenfeldes. vacat Vom Schreiber gelassene Lücken werden mit vacat kenntlich gemacht. (? ) Zweifelhafte oder ungesicherte Lesungen werden durch ein eingeklammertes Fragezeichen gekennzeichnet. Nachstehende Klammern markieren phonetische Besonderheiten. Registriert wurde jede von der Standardsprache abweichende Lautung ohne graphische Abgrenzung zwischen Lautwandelphänomenen, Schreibfehlern etc. Ebensowenig erfolgte eine Differenzierung des Buchstabenwertes bezüglich Lautquantität bzw. -qualität. ‹ › Hinzufügungen erfolgen innerhalb von spitzen Klammern; Bsp.: il‹l›um für (degeminiertes) ILUM. ‹ = › Ersetzungen erfolgen ebenfalls in spitzen Klammern; ein Gleichheitszeichen trennt originalen (klein geschrieben) und ‘normalisierten’ Buchstaben (groß geschrieben); Bsp.: c‹o=U›fia (d.h. original CUFIA, ‘normalisiert’ cofia). Diphthonge wurden als lautliche Einheit gewertet; Bsp.: s‹i=EI›c (original SEIC mit monophthongiertem I-Laut, ‘normalisiert’ sic). { } Tilgungen erfolgen in geschweiften Klammern; Bsp.: ux{s}or (d.h. original UXSOR, ‘normalisiert’ uxor). (! ) Morphologische und morphosyntaktische Phänomene wurden mit einem Ausrufezeichen in runden Klammern markiert. Auf der Ebene des Sprachsystems zählen hierzu Flexionswechsel oder -abweichungen wie etwa (analogische) Neubildungen; Bsp.: sangu‹in›em(! ) nach dem Nominativ SANGUIS. Ebenso fällt hierunter der Genuswechsel beim Nomen und Verbum; Bsp.: loq‹u›it(! ) statt LOQUITUR. Indiziert wurden auch Formen, bei denen phonetische Veränderungen zur formalen Identität mit anderen Formen im Paradigma geführt haben; Bsp.: capil‹l›‹u=O›‹m›(! ) statt CAPIL- 252 LUM (Akk. Sg.) und formal identisch mit CAPILLO (z.B. Dat. Sg.). 21 Auf der Ebene des Satzes betrifft dies insbesondere die häufig belegbare Verwendung des Akkusativs als Universalkasus. Bei der Indizierung von Nominalsyntagmata ergab sich folgende grundlegende Differenzierung: a) Kongruenzphänomene (nur ein Nomen markiert); Bsp.: infe rnale s(! ) partibus (fehlende Kongruenz von Adjektiv u. Substantiv) vs. b) ‘vulgäre’ Kasusverwendung (alle Nomina markiert); Bsp.: de duas(! ) ocr‹e=I›as(! ) (nicht-standardsprachliche Kasusverwendung nach de). (! ! ) Neuerungen im Lexikon wurden mit rund geklammertem doppeltem Ausrufezeichen gekennzeichnet; Bsp.: instrumentarius(! ! ). ‘Alte’ Lexeme mit Bedeutungswandel werden nicht markiert. Auf die Markierung von (vergleichsweise seltenen) rein syntaktischen Phänomenen wurde verzichtet, um eine Entstellung des Textes zu vermeiden. ( ) Runde Klammern zeigen ausschließlich die Auflösung konventioneller Abkürzungen an, wie etwa bei der römischen Nomenklatur; Bsp.: M(arcum) Heium M(arci) f(ilium). Aus technischen Gründen wurden Ligaturen, Worttrenner und Unterpunktion (zur Kennzeichnung unsicherer Buchstaben) nicht vermerkt. I.2.2.2 Text 2: Der ‘Lesetext’ Der Felderkomplex „Text“ beinhaltet das komplementäre Textfeld (TEXT 2) mit einer zweiten Transkription derselben defixio. TEXT 2 ist dabei speziell für textbasierte Analysen ausgelegt und zugleich als Konkordanz nutzbar: Um Verständnis und Suchbarkeit ganzer Wörter oder Textpassagen zu gewährleisten, wurden ‘vulgärsprachliche’ oder fehlerhafte Elemente ohne Markierung ‘normalisiert’; 22 ferner wurde TEXT 2 (modern) interpunktiert. Im Gegensatz zu TEXT 1 ist TEXT 2 als ‘Lesetext’ konzipiert; der Vergleich mit der originalen Inschrift in TEXT 1 bleibt dabei jederzeit möglich. 21 Im Gegenzug wurden Formen wie capil‹l›u‹m› nicht indiziert, da hier keine Entsprechung mit Nachbarformen vorliegt. 22 Im Falle von Präfixableitungen wird, soweit vorhanden, die entsprechende Standardform übernommen. So wird etwa ein originales depremite(! ! ) als deprimite wiedergegeben. 253 II. Die sprachliche Analyse der lateinischen defixiones II.1 Die Variationsbreite des Lateins auf den defixionum tabellae Aufgrund ihrer besonderen Produktions- und Überlieferungsbedingungen stellen die ‘Fluchtafeln’ Sprachdenkmäler von hohem sprachwissenschaftlichem Aussagewert dar: Als „schriftliche Überreste“ 23 sind sie „unmittelbar von den Begebenheiten übriggeblieben“ 24 und bilden eine historische Sprechsituation wortgetreu ab; ferner sind sie, im Gegensatz insbesondere zu literarischen Quellen, keiner jahrhundertelangen Tradition von Textabschriften und -eingriffen unterworfen. II.1.1 Das defixio-Ritual als außerlinguistischer Rahmen II.1.1.1 Die ‘Mündlichkeit’ der Zaubertexte Wie bereits dargestellt, sind die Inschriften weder für eine unmittelbare noch eine mittelbare menschliche Rezeption bestimmt: Kryptifizierende Verschriftungen und rituelle Manipulation (Durchbohrung, Falten oder Rollen) machen die Texte vielfach unlesbar, durch die Ablage an unzugänglichen Orten wird die Tafel überdies jedem weiteren Zugriff von menschlicher Seite entzogen. Damit sind die defixiones, anders als die Vertreter einer zur Erinnerung bestimmten oder auf Außenwirkung angelegten Inschriftengattung wie z.B. Grab- oder auch Monumentalinschriften, nicht zwingend auf Umsetzung oder Beachtung offizieller Sprachkonventionen ausgerichtet; mangels Öffentlichkeitscharakter eignet ihnen von vornherein auch in sprachlicher Hinsicht keine repräsentative Funktion. Dies kann sich bisweilen auch in einer ungelenken Handschrift und einer optisch anspruchslosen Schreibunterlage reflektieren. Ebensowenig erfüllen die Zaubertexte den Anspruch eines literarisches Kunstwerkes, das seine Entstehung u.a. einem langen Reflexionsprozeß und der Auseinandersetzung mit Traditionen und Vorbildern verdankt und folglich auch sprachlich ein Artefakt darstellen kann. In nahezu allen defixiones schlägt sich der Abstand zum klassischen Schriftlatein in sprechsprachlichen Phänomenen nieder, vor allem aus den Bereichen Lautstand, Morphologie und Lexikon. Dies gilt interessanterweise für die frühesten, eher wortkargen, ebenso wie für die kaiserzeitlichen, meist aufwendig gestalteten Texte. Charakteristisch für das verwendete 23 Brandt 2003, 56 (s. auch A: IV.2.2). 24 Ebd., 52. 254 Sprachregister sind einfache und wenig umfangreiche syntaktische Strukturen sowie die Iteration von Lexemen und Lexemfolgen. Eher selten nachweisbar ist auch poetisierender oder archaisierender und damit von der Alltagssprache abweichender Sprachgebrauch, wie er für Ritualtexte verschiedentlich nachweisbar ist; auch quantitative und prosodische Faktoren, die auf eine Rezitierung im Rahmen des Rituals schließen lassen, spielen nur für wenige und allein längere Texte eine Rolle. Brüche im Sprachniveau sind meist auf die Einfügung fester wiederkehrender Formelelemente zurückzuführen (s. auch A: II.4.2.4). Insgesamt gesehen, ist mit den defixionum tabellae eine sprachliche Varietät festgehalten, die, trotz ihrer Schriftform und Anleihen aus Formularien, dem gesprochenen Alltagsidiom näher gestanden hat als den Normen des klassischen, vorwiegend schriftlich überlieferten Lateins. Nicht allen defixi ones eignet allerdings derselbe Formalisierungs- und Elaboriertheitsgrad oder liegt dasselbe Verhältnis der Kommunikationspartner zugrunde, so daß auch bei diesen Zeugnissen gesprochener Sprache unterschiedliche Abstufungen von ‘Mündlichkeit’ anzunehmen sind (s. auch A: V.2.3). 25 II.1.1.2 Der Rückgriff auf funktional verwandte Textformen In der Sprache der Verwünschungstexte reflektieren sich auch die besonderen Entstehungsbedingungen: Die mechanische Übernahme von Formularien aus Zauberpapyri oder -büchern läßt sich an stereotypen, rekurrenten Textelementen, mangelhaften Texteinfügungen oder an Kopierfehlern nachweisen (s. auch A: II.4.2.4). Ebenso kommen auch öffentliche Inschriften als Kopiervorlage in Frage, denen z.B. konventionell abgekürzte Namensangaben entnommen sind; bei den späteren ausführlicheren Verwünschungstexten reflektiert sich sprachlich auch der für den offiziellen römischen Kult bestimmende „juristische Formalismus“, 26 der bei der Interaktion Gottheit — Mensch Eindeutigkeit garantieren sowie Mißverständnissen oder Versäumnissen vorbeugen soll (s. A: IV.4). Darüber hinaus können auch Parallelen zu öffentlichen, funktional verwandten Textformen wie Fluch- und Weiheinschriften erkennbar sein, die jedoch weniger dem Modellcharakter als vielmehr der typologischen Nähe zur defixio geschuldet sein dürften (s. A: III.4.3). 25 Zu den Begriffen ‘Mündlichkeit’ und ‘Schriftlichkeit’ sowie den Parametern ‘Planung’ und ‘Öffentlichkeitsgrad’ vgl. den grundlegenden Aufsatz von Koch/ Oesterreicher 1985; ebenso Raible 2002. Verwiesen sei auch auf die einzelnen Beiträge und Forschungsberichte in Raible 1995; ders. 1998 (entstanden im Rahmen des Ende 1996 ausgelaufenen SFB 321 „Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“). 26 Muth 1988, 308. Analog zu profanen Rechtsgeschäften darf auch beim ‘Umgang’ (commercium) mit den Göttern einerseits nicht von tradierten Formeln abgewichen werden, andererseits müssen Gegenstand und Bedingungen des Handels genau bestimmt sein. 255 II.1.2 Schichtzugehörigkeit und geographische Lokalisierung Aufgrund mangelnder Hinweise kann die Sprachverwendung in den defixiones weder im Hinblick auf soziale noch auf geographische Provenienz differenziert werden: Obwohl die Ausübung magischer Praktiken nach Ausweis antiker Schriftsteller nicht zum Betätigungsfeld des gebildeten Römers zählt und zahlreiche defixiones aus dem Milieu der Wagenlenker, Gladiatoren und Tierkämpfer stammen, fehlen für eine schichtspezifische Zuordnung des Sprachverwenders verläßliche Hinweise. Die namentliche Nennung des defigens, der die soziale Identität entnommen werden könnte, erfolgt selten; ebensowenig lassen die deutlich frequenteren Angaben zur Schichtzugehörigkeit des Opfers Rückschlüsse auf den Sozialstatus des defigens zu (s. auch A: II.4.2.5). Trotz der weitläufigen Verbreitung über das gesamte Imperium Romanum stellt sich die Sprache der defixiones als relativ homogen dar, wie dies auch auf andere Zeugnisse des gesprochenen Lateins zutrifft. 27 Eine diatopische Aufgliederung ist ebenso schwer festzumachen wie eine diastratische, da eine onomastische Analyse, falls überhaupt möglich, kaum verläßlich Auskunft über die ethnische und sprachgeographische Zugehörigkeit des Verfassers geben kann. Ebensowenig erlaubt der archäologische Fundkontext der Tafel zuverlässige Rückschlüsse auf die Herkunft des Verfassers; vielmehr legt gerade die Konzentration von Zauberinschriften zu großen Fundkomplexen, etwa im Quellheiligtum von Bath, aber auch in der Nekropole von Hadrumetum (Sousse), die Existenz bevorzugter Depositionsplätze nahe, die nicht ausschließlich von der autochthonen Bevölkerung frequentiert werden. Sprachkontaktphänomene sind selbst für die lateinischsprachigen defixiones aus Gebieten potentieller Mehrsprachigkeit wie etwa Gallien und Germanien nur sporadisch nachweisbar und meist auf onomastische oder vereinzelte lexikalische Elemente beschränkt. Mischsprachige Inschriften sind ebenfalls in der Unterzahl. 28 II.1.3 Vom Latein zum Romanischen Mit einer Entstehungszeit zwischen dem 1. vorchristlichen und 5. nachchristlichen Jahrhundert bilden die defixiones eine früh einsetzende, kontinuierliche Tradition von Textzeugnissen, in denen sich verschiedene Entwicklungslinien vom Latein zu den romanischen Sprachen dokumentieren. Damit können sie wichtige Einblicke in einen proto-romanischen Sprachzustand geben und Kenntnisse ergänzen und korrigieren. So ergibt sich aus der sprachlichen Analyse der Texte, daß typisch ‘romanische’ Phänomene (durch Synkopen verkürzte Wörter, Aufgabe des Neutrums oder Universalkasus Akkusativ) bereits in Zeugnissen aus dem 1. Jh. v. Chr. nachweis- 27 Hierzu z.B. Petersmann 1991, 39f.; 43; Adams 2007, 624f. 28 Z.B. Tomlin 1988, 133, Nr. 18. Zu dieser keltisch-lateinischen Namenliste aus Bath vgl. auch die Lesung von Petersmann 2003, 281f. 256 bar, d.h. zeitgleich mit dem klassischen Schriftlatein eines Cicero oder Caesar anzusetzen sind. Ebenso existieren spätkaiserzeitliche defixiones, in denen der Abstand zum Schriftlatein kaum auszumachen ist. Damit bilden die Zaubertexte ein Zeugnis für die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, 29 deren sprachliche Bandbreite, vergleichbar mit den Holztäfelchen aus dem britischen Vindolanda, zwischen „Konservativ-Archaischem und Progressiv-Innovativem“ 30 angesiedelt ist: Sprachliche Techniken und Verfahren aus verschiedenen Zeitstufen koexistieren aber nicht nur und sind miteinander kompatibel; vielmehr sind auch zukünftige Strukturen bereits angelegt, die zu einem späteren Zeitpunkt zu ihrer vollen Entfaltung kommen werden. II.2 Einschluß und Präsentation der sprachlichen Daten Die folgenden sprachlichen Phänomene aus Phonologie, Morphologie, Morphosyntax und Lexikon wurden nach ihrer Frequenz bzw. ihrer Relevanz im Hinblick auf die Entwicklung der romanischen Tochteridiome ausgewählt. 31 Die Beispiele entstammen ausschließlich der elektronischen Datenbank (TEXT 1). II.3 Graphemik und Phonetik Der Abstand zum klassischen Schriftlatein manifestiert sich am deutlichsten auf lautlicher Ebene. 32 Mit dem Übergang von einem quantitierenden zu einem „akzentuierenden“ 33 Betonungsprinzip gehen nicht nur Veränderungen in Klangfarbe und Länge der Vokale, sondern z.B. auch der Wegfall unakzentuierter Wortsilben einher. Viele Veränderungen, die sich in den romanischen Sprachen etablieren werden, lassen sich bereits in den frühesten, teilweise vorchristlich datierten Texten ausmachen. Grundsätzlich ist zu beachten, daß graphische Belege nicht zwingend die phonetische Reali- 29 Raible 1992a, 301; vgl. auch ders. 1996b. 30 Petersmann 1992, 286. 31 Verwiesen sei auf die bereits existenten Sprachstudien von Jeanneret (1916/ 17 bzw. 1918), García Ruiz und Tomlin, die z.T. sehr ausführliche Wortindizes aufweisen (s. A: II.2.1). Bibiliographische Angaben zu weiteren Publikationen, die die Sprache der defixiones betreffen, finden sich auch in der Datenbank (im Feld WEITERE PUBLIKATIONEN). 32 Vgl. hierzu einführend z.B. Väänänen 1981, 27-71; Stotz 1996 (Bd. 3); Morani 2000, 184-192; Palmer 171-204; Herman 2000, 27-48. Die Wiedergabe der besprochenen Beispiele orientiert sich an den Kriterien, wie sie z.B. bei Serianni (1998, 12f.) zu finden sind. Zur Entwicklung von Vokalen und Diphthongen vgl. auch Meiser 1998, 60-62. 33 Zu Betonung und Akzent im Lateinischen vgl. Leumann 1977, 235-254; zum Übergang zur ‘vulgärlateinischen’ Akzentuierung auch Crusius 1929, 156; Palmer 2002, 238. 257 tät widerspiegeln, da jede „Kenntnis des Schreibens schon einen gewissen Grad von Bildung voraussetzt“ 34 und auf historisch gewachsenen Graphietraditionen beruht; verschiedene ‘ausspracheorientierte’ Schreibungen lassen allerdings eine große Nähe zur gesprochenen Sprache vermuten. 35 II.3.1 Vokale II.3.1.1 Einfache Vokale, Hiate 1. Der Zusammenfall der palatalen Vokale I und E, unabhängig von Vokallänge, Akzent und Silbenstruktur, ist bereits früh nachweisbar: 36 a. Ab dem 1. vorchristlichen Jahrhundert steht das Graphem < e > für #: unter dem Hauptton: tric‹i=E›pitem (dfx 1.4.4⁄8 - 1.4.4⁄12); anc‹i=E›l‹l›a (dfx 3.3⁄1); v‹i=E›de‹t› (dfx 1.4.4⁄13). posttonisch, gehäuft bei den Personalendungen der 3. Ps. Sg. -IT (> -et) und der 2. Ps. Pl. Ind. Präs. Akt. -TIS (> -tes): peper‹i=E›t (dfx 1.4.4⁄13); recipiat‹i=E›s (dfx 2.2.2⁄1); hierdurch werden auch Konjugationsübergänge begünstigt. Dieselbe Konvergenz findet sich auch bei dem Gen. Sg. auf -IS (> -es): mar‹i=E›s(! ) (dfx 1.4.4⁄4). b. Die Schreibung < i > für $ ist vereinzelt belegbar, allerdings nicht in tontragender Silbe: protonisch und innerhalb der Präposition DE: s‹e=I›creta (dfx 3.14⁄1); d‹e=I› (dfx 1.4.4⁄5). posttonisch in Kasusendungen, wie z.B. dem Akk. Pl. der dritten Deklination auf -ES (> -is). c. Die Schreibung < i > findet sich auch für %, unabhängig von Akzent, Silbenstruktur: an‹e=I›l‹l›um (dfx 3.15⁄1); pers‹e=I›‹q=C›uatis(! ) (dfx 7.5⁄1); quicumqu‹e=I› (dfx 4.3.2⁄1). d. Vom rein phonetischen Wandel zu trennen sind deverbale Ableitungen, die sich aus Präverb und nicht modifiziertem Simplex zusammensetzen. 2. Vor Vokal dürfte die Schreibung < i > statt % einem / j/ entsprechen und als Anzeichen für eine Hiattilgung (und Akzentverschiebung) zu werten sein: lint‹e=I›amine (dfx 3.22⁄3); argent‹e=I›olos (z.B. dfx 3.2⁄46) sowie 34 Petersmann 1991, 37f. Zur „Brechung durch Verschriftung“ vgl. auch Stotz 2002 (Bd. 1), 65f. (Zitat S. 65). 35 Vgl. auch Adams (2007, 80), der im Hinblick auf die unterschiedlichen Graphien für den Diphthong AE feststellt: „A traditional spelling need not reflect speech but an innovatory spelling may do so.“ 36 Es läßt sich nicht entscheiden, ob es sich hier um graphische Konventionen, Substrateinflüsse etc. oder tatsächlich um die ersten Anzeichen für den sogenannten ‘Quantitätenkollaps’ handelt, der gemeinhin erst in das 3. bis 5. nachchristliche Jahrhundert datiert wird. Ausführlich zu dem Zusammenfall dieser Vokale und seiner regionalen Verbreitung auch Adams 2007, 624-670. 258 hyperkorrekt: pall‹i=E›um (z.B. dfx 3.6⁄1); diese lautliche Entwicklung begünstigt bestimmte Konjugationsübergänge. 3. Ausspracheorientierte Doppelschreibungen von < i > für einfaches zwischenvokalisches # dürften ebenfalls / j/ anzeigen: Pompei{i}us (dfx1.3.1⁄1); hui{i}us (dfx 11.2.1⁄36); ei{i}us (dfx 3.11⁄1). 37 4. Auf velarer Seite sind die Belege weitgehend analog zu denen der palatalen Vokale: a. Durch das Graphem < o > wird & wiedergegeben, nahezu ausschließlich innerhalb von Flexionsendungen; häufig bei den Formen der 3. Ps. Sg. Präs. Pass. auf -TUR (> -tor): nascit‹u=O›r (dfx 1.4.4⁄5); pare‹n›tat‹u=O›r (dfx 3.3⁄1) sowie dem Nom. bzw. Akk. Sg. der 2. Deklination auf -US (> -os) bzw. -UM (> -om): mortu‹u=O›s (dfx 1.4.4⁄3); cor]p‹u=O›s (dfx 1.4.4⁄13); 38 capil‹l›‹u=O›‹m› (dfx 1.4.2⁄3); regelmäßig auch beim Gen. Pl. Mask. des Personalpronomens IS: eor‹u=O›m (dfx 4.3.1⁄1). Diese Entwicklung beeinflußt auch das Flexionssystem. b. Vereinzelt steht die Schreibung < o > auch für protonisches ': m‹u=O›lomedic‹u=O›‹m›(! ) (erstes u lang, zweites kurz) (dfx 1.1.2⁄3). c. Ebenso erscheint die Schreibung < u > für (, unabhängig vom Wortakzent: ser‹o=U›tinas (dfx 1.4.4⁄4); c‹o=U›fia (dfx 3.7⁄1). 5. Nachvokalisch wird der Nexus VU (VV) zu < v > reduziert: Cor‹v›us (dfx 1.1.3⁄1); ser‹v›us (dfx 7.1⁄1); belegbar sind auch hyperkorrekte Schreibungen, insbesondere in vorvokalischer Position: tu{u}i (dfx 3.22⁄29); si pu{u}er si pu{u}ella (dfx 3.11⁄1). 39 Mit dieser Graphie wird wahrscheinlich / w/ wiedergegeben, was auch durch die Transliteration lateinischer Wörter ins griechische Alphabet belegbar ist (Wiedergabe < v > mit < ou > ): ‹v= OU › ijhrit (= ‹v=OU›ixerit) (dfx 11.2.1⁄33); ‹V= OU › eneria (= ‹V=OU›eneria) (dfx 11.2.1⁄5). Zugleich zeichnen sich Verwechslungen von bilabialem [b] und [w] ab. 6. Das griechische < u > in latinisierten Wörtern wird, je nach Entstehungszeitraum des Textes, durch drei verschiedene Grapheme wiedergegeben. 40 a. in wenigen Fällen archaisierend als < u > : [C]alet‹y=U›che (dfx 1.4.3⁄1); g‹y=U›rent (z.B. dfx 11.2.1⁄9). b. regelmäßig ab dem Ende der Republik als < y > : Zmyrna (dfx 1.7.1⁄1); tyranne (dfx 5.1.3⁄1). c. ab der Kaiserzeit vielfach auch als < i > : N‹y=I›m‹ph=F›as(! ) (dfx 1.1.1⁄1); Eut‹y=I›c‹h›ius (dfx 3.2⁄77). 37 Vgl. hierzu z.B. auch Leumann 1977, 127f. 38 Diese Textstelle ist sehr fragmentarisch. 39 Vgl. hierzu z.B. auch Adams 1992, 10. 40 Vgl. hierzu z.B. auch Leumann 1977, 52; 75. 259 7. Angleichungen von Vokalen finden sich selten und treten meist als regressive Assimilierung von / o/ an / a/ : necr‹o=A›cantum (dfx 4.4.1⁄1); inv‹o=A›lavi{i}t (z.B. dfx 3.22⁄36). 41 II.3.1.2 Diphthonge 1. Folgende Monophthongierungen sind graphisch faßbar: a. am häufigsten bei AE, das mit < e > wiedergegeben wird (bereits ab dem 1. nachchristlichen Jahrhundert): 42 c‹ae=E›li (dfx 1.7.3⁄3); ‹Ae=E›t{t}ern‹ae=E› (dfx 3.17⁄1). Ebenso finden sich entsprechende hyperkorrekte Formen: repr‹e=AE›‹h›ensionem (dfx 1.4.4⁄4); ‹e=AE›orum (dfx 3.2⁄73). b. Vereinfachungen von AU sind nur sporadisch belegbar, aber in unterschiedlichen graphischen Varianten ( < o > ; < a > ; < u > ): ‹au=O›ricula s (z.B. dfx 1.4.4⁄9); ‹Au=A›gustalis (dfx 3.2⁄1); fr‹au=U›dem (dfx 3.2⁄24). 43 c. Für die monophthongierte Schreibung von OE als < e > findet sich nur ein einziger Beleg: Am‹oe=E›ne (dfx 11.2.1⁄8). 44 d. Die archaische Graphie < ei > (für )) ist auch ohne etymologischen Hintergrund, bisweilen noch in nachchristlicher Epoche, dokumentiert: 45 inim‹i=EI›cus (dfx 10.1⁄1); s‹i=EI› (dfx 2.2.2⁄1); ‹i=EI›‹n=M›feri s (dfx 1.4.4⁄1). e. Ebenfalls altlateinisches < ai > für klassisches < ae > ist bis in das 1. Jh. n. Chr. nachweisbar: il‹l›‹ae=AI›(! ) (dfx 1.5.4⁄1); qu‹ae=AI›stum (dfx 1.5.2⁄1). 2. Typisch romanische Diphthongierungstendenzen nach dem Muster PEDE > piede ( ! > j ! ) oder BONU > buono ( " > w " ) zeichnen sich auch in den spätesten Texten (4./ 5. Jh. n. Chr.) nicht ab. II.3.1.3 Synkope, Apokope 1. Die Tendenz zur Synkope ist ab den ersten vorchristlichen defixione s faßbar: oc‹u›los (dfx 1.4.2⁄3); dom‹i›na (dfx 3.6⁄1); c‹e›lerius (dfx 6.1⁄1); ‹qu=C›om‹o›di(! ! ) (dfx 5.1.4⁄5); Musc‹u›losus (dfx 4.2.1⁄1). 2. Der Verlust von Endsilben befördert insbesondere die Bildung neuer Flexionsformen: sang‹uine›(! ) (dfx 3.7⁄1); verkürzt erscheint auch die im 41 Vgl. bes. den Kommentar von Tomlin (1996, 441). Ebenso Adams 1977, 14-17; ders. 2007, 586; 612. 42 Vgl. hierzu Adams (2007, 78-88), der die regionale Verteilung dieser Monophthongierung anhand republikanischer Inschriften aufzeigt. 43 Zu frudem vgl. Adams 1992, 14f. 44 Im Original in griechischen Buchstaben transliteriert. 45 Vgl. hierzu z.B. Leumann 1977, 62-65; Meiser 1998, 58. Diese Monophthongierung wird auf vorklassische Zeit (ca. 3./ 2. Jh. v. Chr.) datiert. 260 Rahmen von ‘Analogieformeln’ häufig verwendete Konjunktion QUO- MODO (s. A: IV.4.2.6). II.3.1.4 Prothese, Epenthese 1. Prothetisch gesetztes < i > bzw. < e > vor / s/ + Konsonant ist überaus selten und begegnet nahezu ausnahmslos im nordafrikanischen Sprachraum: in {i}spatium (dfx 11.1.1⁄21); {i}spiri‹ti=DE›bus (dfx 7.1⁄2). 2. Vokalische Epenthesen sind ebenfalls die Ausnahme und auf die Einfügung von < i > zwischen / s/ und / p/ beschränkt: 46 ex{i}pilatos (dfx 11.1.1⁄23); s{i}piritus (dfx 11.2.1⁄8); 47 hos{i}pitio(! ! ) (dfx 3.2⁄78). II.3.2 Konsonanten II.3.2.1 Einfache Konsonanten im Wortanlaut und -inneren (a) Das Graphem < h > Der Spirant / h/ wird, anlautend oder auch im Wortinneren, häufig nicht geschrieben: ‹h›uma[no] (dfx 1.5.4⁄1); tra‹h›atur (dfx 11.1.1⁄25); zugleich finden sich auch für seine Beibehaltung noch zahlreiche frühe wie späte Beispiele: habeas/ habes (dfx 1.4.4⁄2); hoc (z.B. dfx 3.2⁄36). Die Aphärese von / h/ betrifft als ‘Abnutzungserscheinung’ verstärkt frequente Wörter, so ist sie z.B. bei dem Verbum HABERE regelmäßig belegt: ‹h›abeat (dfx 1.4.4⁄4); ‹h›abet (dfx 1.4.4⁄13) oder auch bei ‹h›ominem (dfx 3.11⁄1); Hyperkorrekturen treten nahezu nicht auf und könnten orthographische Kontaminationsprodukte darstellen: {h}oc‹c›idas (dfx 11.2.1⁄40) evtl. mit HOC; {h}animam (dfx 11.1.1⁄25) evtl. mit HANC. Gräzisierende Schreibungen mit hyperkorrektem < h > beschränken sich auf das Theonym Att{h}is (z.B. dfx 5.1.3⁄1). (b) Sonorisierung von Okklusiven Sonorisierungen von Okklusiven in intervokalischer Position sind selten: a. angezeigt durch die Schreibung < d > für T; die Belege konzentrieren sich auf die hispanische Halbinsel: im‹m›u‹t=D›avit (dfx 2.3.1⁄1); po‹t=D›ui (dfx 2.1.1⁄5). b. ebenso frühe hyperkorrekte Schreibungen für velare Laute ( < c > für G): vesti‹g=C›ia (dfx 1.4.2⁄2); fi‹g=c›ura‹m› (dfx 1.4.1⁄1); bei < c > könnte es sich allerdings auch um einen graphischen Archaismus handeln. 48 46 Vgl. hierzu z.B. auch Adams 1992, 5. 47 Im Original in griechischen Buchstaben transliteriert. 48 G wurde nachträglich in das lt. Alphabet eingefügt; das ‘alte’ Alphabet liegt z.B. der Abkürzung C für Gaius zugrunde. Hierzu z.B. Meyer 1991, 24; Morani 2000, 189, Anm. 313. Zur Entwicklung des lt. Alphabets und dem Verschriftungsgebrauch altlt. Inschriften vgl. auch Wachter 1987, 10f.; 32f.; 177. 261 (c) Palatalisierung von Okklusiven Hinweise auf Palatalisierungen, wie sie für die romanischen Tochteridiome typisch sind, finden sich auch in den späteren defixionum tabellae überaus selten: a. nur in Nordafrika wird die Palatalisierung von TJ bzw. DJ vereinzelt angezeigt durch die Kombination mit < z > für die Wiedergabe der Affrikata: Vincen‹ti=T z ›us (dfx 11.1.1⁄28); amp‹h›i‹the=T z ›atru‹m› (ebd.); ‹di= z i›e (ebd.). b. bei K ist auch spät keine Palatalisierung faßbar; vielmehr erscheint bisweilen die nicht-palatalisierte Aussprache des velaren Lautes mit dem Schriftzeichen < k > eindeutig markiert: Mar‹c=K›ellinum (dfx 3.2⁄45); ne‹c=K›essitates (dfx 11.1.1⁄17) . 49 Der phonetische Wert der Schreibung ‹qu=C›inque (dfx 11.1.1⁄28) ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen (s.u.). (d) Der ‘Betazismus’ Die Austauschbarkeit von < b > und < v > ist nicht systematisch, entsprechende Beispiele stammen hauptsächlich aus nordafrikanischen defixiones (vorwiegend kaiserzeitlich): 50 Danubiu‹s› (dfx 11.2.1⁄13) vs. Danuviu‹s› (dfx 11.2.1⁄12); ‹v=B›ider e (dfx 11.2.2⁄1); ‹in(? )›‹v=B›olaverunt (dfx 4.3.2⁄1); sie dokumentiert sich bisweilen auch in inversen Graphien: ‹b=V›alneas(! ) (dfx 1.4.4⁄4); Ur‹b=V›anus (dfx 1.10.2⁄1). (e) Die Grapheme < q > und < c > Mit den Graphemen < qu > und < cu > wird noch bis in das 2. nachchristliche Jahrhundert der stimmlose labiovelare Nexus KU wiedergegeben: 51 lo‹q=C›ui (dfx 8.1⁄1); perse‹q=C›uatis(! ) (dfx 7.5⁄1). Vor Vokal wird der Nexus mitunter zu einfachem < q > bzw. < c > reduziert. Diese Graphie ist bereits in vorchristlichen defixiones greifbar: a. vor / o/ : ‹qu=C›omodo (dfx 1.5.4⁄1); q‹u›od(! ) (dfx 3.14⁄3). b. vor / u/ : prolo‹qu=C›untur (dfx 3.22⁄16). Unklar bleibt jedoch, ob das 49 Im Original in griechischen Buchstaben transliteriert. 50 Vgl. hierzu auch Leumann 1977, 159; Adams 2007, 642f. Ausführlich zu diesem Phänomen und seiner regionalen Verteilung vgl. ebd., 624-666. 51 Die graphische Differenzierung der velaren Okklusive (mit den Schriftzeichen < k > , < c > , < q > ) wurde von den Etruskern übernommen. Die Setzung erfolgte ursprünglich ebenfalls gemäß der lautlichen Umgebung: < k > vor / a/ , < c > vor / e/ und / i/ , < q > vor / u/ . Bei / o/ , zu dem es im Etruskischen keine Entsprechung gibt, schwankte die Schreibung zwischen < co > und < qo > . Ferner kann < q > vor / o/ und / u/ den velaren Laut jeweils mit oder ohne Bilabial repräsentieren. Vgl. hierzu zusammenfassend Adams 1977, 32f.; Väänänen 1981, 51f.; Morani 2000, 189. 262 einfache Graphem < q > die Aussprache mit oder ohne labialen Appendix reflektiert und sich folglich < c > und < q > auch phonetisch entsprechen. c. vor / i/ : ‹qu=C›inque (dfx 11.1.1⁄28); loq‹u›it(! ) (dfx 7.1⁄1); q‹u›i (dfx 2.1.1⁄5). Ob die Schreibung des < c > hier auf eine Palatalisierung hindeutet, ist nicht zu entscheiden (s.o.). 52 (f) Die griechischen Aspiraten In Wörtern griechischen Ursprungs werden aspirierte Okklusive vielfach nicht aspiriert wiedergegeben; eine einheitliche Schreibung zeichnet sich nicht ab: a. Statt < f > , < y > , < x > finden sich oftmals < p > , < t > , < c > : Antioc‹h›us (dfx 1.5.6⁄1); amp‹h›it‹h›eatri (z.B. dfx 11.1.1⁄22). b. Die Aspiration kann aber auch durch die Kombination mit < h > angezeigt sein: bracchia (dfx 1.4.4⁄8). c. Für < f > tritt vielfach auch das lateinische < f > ein, was eine frikative Aussprache nahelegt: Onesi‹ph=F›orus (dfx 4.2.1⁄1); Eu‹ph=F›rate s (dfx 1.4.4⁄14). d. Vereinzelt findet sich auch die umgekehrte Orthographie < y > für T: dormia ‹ t = Y › (= dormia y ) (dfx 11.2.1⁄8). II.3.2.2 Einfache Konsonanten im Wortauslaut (a) Apokopierung Bereits auf vorchristlichen Täfelchen sind folgende Apokopierungen belegbar, die zur formalen Identität unterschiedlicher Flexionsformen führen können: a. auslautendes M: co‹n›s[i]li‹u=O›‹m›(! ) valetudine‹m›(! ) vita‹m›(! ) (dfx 2.2.2⁄1); capil‹l›u‹m› cerebru‹m› (dfx 1.5.4⁄1); bei einsilbigen Wörtern kann < m > durch < n > ausgetauscht sein: que‹m=N› (z.B. dfx 4.1.3⁄15). b. auslautendes S und T: adversu‹s› (dfx 11.1.1⁄5); placean‹t› (dfx 1.5.6⁄1); e‹t› (z.B. dfx 6.1⁄1); auslautendes S fehlt etwa doppelt so häufig wie T, beide Apokopierungen treten regelmäßig zusammen auf. (b) Entsonorisierung Hinweise auf Auslautverhärtungen finden sich insbesondere bei unveränderlichen Pronomina oder Präpositionen, oftmals auch unabhängig von der phonosyntaktischen Umgebung: 53 apu‹d=T› vostrum(! ) (z.B. dfx 1.1.1⁄1); 52 Vgl. z.B. Leumann (1977, 486), der diesen Vorgang erst auf das 5. Jh. ansetzt. 53 Vgl. Adams 1977, 25-29. 263 se‹d=T› equos (dfx 11.2.1⁄25). Diese Graphien können durch die Existenz homographer Lexeme begünstigt sein: quo‹d=T› (z.B. dfx 2.3.1⁄1) vs. QUOT; a‹d=T› (z.B. dfx 4.3.1⁄1) vs. AT; entsprechende Schreibung erscheinen bisweilen auch beim Präfix AD: a‹d=T›vocati (dfx 2.1.1⁄3); a‹d=T›ve rsar(ios) (dfx 1.4.4⁄15). II.3.2.3 Konsonantengruppen (a) Assimilierung a. Es finden sich vollständige Kontaktassimilationen von: - Okklusiv + s: u‹x=SS›or (dfx 3.2⁄9); hyperkorrekt findet sich die Einfügung des < s > vor < x > , besonders bei dem Präfix EX-: ex{s}igat (dfx 3.22⁄3); ux{s}or (dfx 5.1.4⁄8). homorganen Okklusiven: o‹b=M›mutescant (dfx 11.1.1⁄8). b. Ebenso gibt es partielle Anpassungen an nachfolgende Okklusive: häufig bei Nasallauten: i‹n=M›feris (dfx 2.2.2⁄1); te‹m=N›pus (dfx 11.2.1⁄25) mit vereinzelten inversen Schreibungen: me‹m=N›bra (z.B. dfx 9.1⁄1). seltener bei Präfixen: O‹b=P›s[ec]ra‹m› (11.1.1⁄6); a‹b=P›sumatis (dfx 11.1.1⁄25); ebenso erscheinen Hyperkorrekturen, möglicherweise unter Einfluß des Präsensstammes: scri‹p=B›tum (dfx 6.1⁄1); infrascri‹p=B›tis (dfx 4.3.1⁄1). c. Regelmäßig nachweisbar sind archaisierende oder etymologisierende Orthographien ohne assimiliertes Präfix: [c]o‹r=N›rip[i]ant (dfx 5.1.4⁄7); a‹p=D›pe[l]lari (dfx 1.1.1⁄1); i‹m=N›mittas (dfx 11.2.1⁄4); su‹r=B›ruptus(! ) (dfx 1.10.2⁄1). (b) Nasal vor Konsonant Der Ausfall von Nasalen vor Konsonant deutet auf eine schwache Artikulation bzw. auf eine nasalierte Aussprache hin. a. < n > fehlt: regelmäßig und seit den frühesten defixiones vor / s/ : co‹n›s[i]li‹u=O›‹m› (dfx 2.2.2⁄1); co‹n›scientiam (dfx 3.22⁄5). bisweilen vor Okklusiven: ma‹n›data (dfx 8.1⁄1); co‹n›ciliavit (dfx 5.1.1⁄1). hyperkorrekte Schreibungen finden sich kaum: occa{n}sione‹m›(! ) (dfx 1.4.4⁄4); ex ‹h›a{n}c(! ) ‹h›ora (z.B. dfx 11.2.1⁄22). b. Seltener entfällt < m > : plu‹m›bus(! ) (dfx 8.3⁄1). 264 (c) Degeminierung und Vereinfachung komplexer Konsonantennexus Degeminierungen von Doppelkonsonanten in intervokalischer Position finden sich zu jeder Zeit und in jeder Region: tabel‹l›as(! ) (dfx 1.4.2⁄3); tyran‹n›us (dfx 3.14⁄2); pos‹s›it (dfx 11.1.1⁄7). Ebenso begegnen entsprechende entgegengesetzte Schreibungen, allerdings vorwiegend in nachchristlich datierten Täfelchen: Luc{c}il{l}ius (dfx 8.1⁄1); mis{s}ericordia (dfx 3.22⁄34); Senician{n}us (dfx 3.2⁄8). 54 Vereinfachungen sind bei mehr als drei Konsonanten nachweisbar: sum‹p›tu (dfx 1.7.4⁄1); san‹c›tus (dfx 3.14⁄3). II.4 Morphologie Zu den morphologischen Veränderungen gegenüber dem klassischen Schriftlatein zählen insbesondere Flexionsübergänge und -abweichungen sowie Genuswechsel von Nomen und Verbum, die in vielen Fällen schon vorchristlich belegbar sind und von lautlichen Entwicklungen begünstigt werden. 55 II.4.1 Die Genera II.4.1.1 Der Verlust der Neutra Der Verlust der Neutra spiegelt sich in verschiedenen Tendenzen wider, ohne allerdings Systemcharakter zu besitzen: 1. In der Neuinterpretation des Ntr. Pl. der 2. Deklination als Fem. Sg. der 1. Deklination, vornehmlich für die Bezeichnung von paarweise angeordneten Körperteilen: Akk. Pl. brac‹c›‹h›ias(! ) (dfx 1.4.2⁄3) statt BRAC- CHIA; Akk. Pl. labias(! ) (ebd.) statt LABIA; Akk. Pl. i‹n›testinas(! ) (dfx 1.4.1⁄1) statt INTESTINA. 2. In der formalen Angleichung der Neutra an die Maskulina derselben Deklination. a. 2. Deklination: Akk. Sg. illum(! ) (dfx 3.18⁄1) statt ILLUD; Vok. Sg. auxilie(! ) (dfx 8.3⁄1); Akk. Pl. manicili[o]s(! ) (dfx 3.22⁄36) statt MANICI- LIA; Nom. Sg. plu‹m›bus(! ) (dfx 8.3⁄1) statt PLUMBUM. b. 3. Deklination: capitularem(! ) (dfx 3.2⁄47); marem(! ) (ebd.); dabei sind jedoch auch lautliche Einflüsse der Umgebung nicht auszuschließen: omnem(! ) pro‹e›lium (dfx 11.1.1⁄25). 54 Zum Verhältnis von Graphie und Aussprache bei den Geminaten vgl. z.B. Väänänen 1981, 58f.; Morani 2000, 187. 55 Vgl. hierzu einführend z.B. Väänänen 1981, 99-145; Stotz 1998 (Bd. 4), 3-232; Morani 2000, 193-300; Herman 2000, 49-80. 265 3. In der Verwendung des maskulinen Relativpronomens für ein neutrales Bezugswort: stragulum q‹ue›m(! ) ‹p›erdidi (dfx 3.2⁄7). 4. Der umgekehrte Prozeß, d.h. die Interpretation eines Maskulinums als Neutrum, ist ebenfalls erkennbar; dies zeigt sich an der ‘Indeklinabilität’ des Substantivs bzw. an der formalen Identität von Nominativ und Akkusativ: Akk. Sg. venter(! ) (z.B. dfx 1.4.4⁄8) statt VENTREM; Akk. Sg. umbilicus(! ) (ebd.) statt UMBILICUM; Akk. Pl. nervi a(! ) (z.B. dfx 11.2.1⁄24) statt NERVOS; 56 Akk. Pl. capilla(! ) (dfx 1.4.1⁄1) statt CAPIL- LOS. Bisweilen ist die formale Identität nicht auf eine Uminterpretation des Genus, sondern auf den Ausfall des auslautenden M zurückzuführen: Akk. Sg. dulce‹m›(! ) somnum (dfx 11.2.1⁄25). II.4.1.2 Abweichende Genera 1. Substantive und Begleiter: Das Substantiv DIES (in der Standardsprache üblicherweise maskulin, nur in der Sonderbedeutung ‘Termin’ auch feminin) 57 begegnet vor allem in rekurrenten formelhaften Zeitangaben und wird regelmäßig als Femininum interpretiert: ab hac(! ) die (dfx 1.4.4⁄4); ex ‹h›a{n}c(! ) die (z.B. dfx 11.2.1⁄22); 58 ‘falsche’ Kongruenzen finden sich häufiger bei nicht genusspezifisch markierten Substantiven: san‹g›u‹i=E›ne sua(! ) (z.B. dfx 3.2⁄38). 2. Relativpronomen und Antezedens: Die Verwendung des maskulinen Relativpronomens für ein Bezugswort anderen Geschlechts ist selten und auf die Übernahme festgefügter Formeln zurückzuführen: Vettia quem(! ) peperit Optata (dfx 11.2.1⁄4); stragulum q‹ue›m(! ) ‹p›erdidi (dfx 3.2⁄7) (s.o.; A: IV.4.2.3). II.4.2 Die Nominalflexion II.4.2.1 Die 1. Deklination In der 1. Deklination finden sich abweichende Kasusformen, die auf Analogiebildungen oder auf lautliche Entwicklungen zurückzuführen sind. 1. Singular: a. aufgrund der Apokopierung des auslautenden M überschneiden sich Akk. Sg. auf -AM und Nom. bzw. Abl. Sg. auf -A: vita‹m›(! ) (dfx 2.2.2⁄1); adversus ea‹m›(! ) (dfx 11.1.1⁄6). b. der Gen. Sg. endet bisweilen auf -es oder -as anstatt auf -AE (ausschließlich bei Eigennamen): [Vene]rie s(! ) sive Ven[e]rioses(! ) (dfx 56 In dfx 1.4.2⁄3 findet sich die Form nervias(! ). 57 Vgl. hierzu auch Menge 2000, 32, Anm. 2. 58 Zur ‘Genusschwankung’ von DIES vgl. auch Hofmann/ Szantyr 1965, 10f. 266 1.1.1⁄1); ‹V=B›ictorias(! ) (dfx 1.4.4⁄14); Asell e s(! ) (dfx 1.4.4⁄4); möglicherweise gehen diese Nebenformen auf den Einfluß der entsprechenden griechischen Deklination mit Stammauslaut a zurück. 59 2. Plural: a. der Nom. Pl. endet bisweilen auf -as statt auf -AE: 60 linguas(! ) (dfx 11.1.1⁄8); d[eli]cias(! ) (dfx 11.2.1⁄3). b. Dat. Pl. bzw. Abl. Pl. vom Typus inferabus(! ) (dfx 2.2.3⁄1) statt INFE- RIS sind die Ausnahme; diese Bildungen, die auf „Homophonenflucht“ 61 beruhen, unterscheiden die ‘femininen’ Formen der 1. Deklination von den formal identischen ‘maskulinen’ Formen der 2. Deklination (auf -IS). II.4.2.2 Die 2. Deklination In der 2. Deklination zeichnen sich vergleichbare Entwicklungen zur 1. Deklination ab: 1. Singular: a. aufgrund der Annäherung der velaren Vokale und der Apokopierung des auslautenden M weist der Akk. Sg. mitunter die Endung -o auf und gleicht somit dem Dat. bzw. Abl. Sg.: co‹n›s[i]li‹u=O›‹m›(! ) (dfx 2.2.2⁄1); [p]er de‹u=O›‹m›(! ) me‹u=O›‹m›(! ) vivum(! ) (dfx 11.2.1⁄6). b. der Gen. Sg. der Substantive auf -IUS bzw. -IUM wird -II zu -i zusammengezogen: amoris et deside ri‹i›(! ) mei causa (dfx 11.1.1⁄16). c. der Vok. Sg. entspricht nur in Ausnahmefällen dem Nom. Sg.: tibi(! ) rogo Metunus(! ) (dfx 3.14⁄3) statt METUNE. 62 2. Plural: a. analog zum Gen. Sg. verhält sich der Nom. Pl.: di‹i›(! ) manes (dfx 11.1.1⁄8). b. bisweilen erscheint der für die Gesetzes- und Sakralsprache typische archaische Gen. Pl. deum(! ) (z.B. dfx 5.1.3⁄1) statt DEORUM. 63 c. parallel zur 1. Deklination, finden sich bei den Dat.-Abl.-Formen Angleichungen an die 3. Deklination: dibus(! ) (z.B. dfx 1.4.1⁄1) statt DIS bzw. DEIS (s.o.). 3. Vereinzelte Übergänge von der 2. in die 3. Deklination sind ebenfalls nachweisbar: Nom. bzw. Akk. Pl. nervia(! ) (z.B. dfx 11.2.1⁄24) (s.o.) statt 59 Vgl. hierzu auch Adams 2007, 673f. 60 Das Auftreten dieses Nom. Pl., der formal dem Akk. Pl. entspricht, ist nicht geklärt. Vgl. hierzu auch Petersmann 1973; Leumann 1977, 420f.; Bakkum 1991, bes. 34-36; Adams 2007, 674f. 61 Panagl 1999, 55. Vgl. hierzu auch Leumann 1977, 417; 421f. 62 Bei Metunus handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Variante des Götternamens NEPTUNUS, vgl. den Kommentar von Tomlin/ Hassall (1987, 360). 63 Vgl. hierzu auch Leumann 1977, 428. 267 NERVI bzw. NERVOS sowie Akk. Sg. frenem(! ) (dfx 3.22⁄6) statt FRE- NUM; 64 Augenblicksbildungen oder lautliche Einflüsse des Textumfeldes sind jedoch nie auszuschließen. II.4.2.3 Die 3. Deklination Auch innerhalb der 3. Deklination beruhen neue Formen auf Rückbildungen oder lautlichen Veränderungen: 1. Singular: a. Der Nom. Sg. wird durch die Rückbildung aus den obliquen Kasus umgestaltet und um eine Silbe erweitert: Victore(! ) (dfx 11.2.1⁄13) statt VICTOR; [l]umine(! ) (dfx 1.4.4⁄13) statt LUMEN; 65 im Gegenzug kann sich bei obliquen Kasusformen die Reduktion auf Stamm und Silbenzahl des Nominativs vollziehen, befördert durch die Tendenz zur Synkope: Akk. Sg. sangu‹in›em(! ) (z.B. dfx 3.22⁄36). 66 b. Im Gen. Sg. findet sich neben klassischem -IS auch -es; diese Variabilität liegt insbesondere in der Überlappung der palatalen Vokale begründet: Nicon‹i=E›s(! ) (dfx 1.4.2⁄3); mar‹i=E›s(! ) (dfx 1.4.4⁄4). c. Aufgrund der Konvergenz der palatalen Vokale entsprechen sich formal auch weitere Kasusformen im Singular, wenn auslautendes E mit < i > wiedergegeben wird: z.B. Akk. Sg. (Ntr.) Fale rne‹n›s‹e=I›(! ) (dfx 11.1.1⁄36) statt FALERNENSE (und formal identisch mit Abl. Sg. FALERNENSI); ebenso: Abl. Sg. nomin‹e=I›(! ) (dfx 1.5.3⁄1) statt NO- MINE (formal identisch mit Dat. Sg. NOMINI) und analog hierzu mens‹e=I›(! ) (dfx 1.4.4⁄10). 2. Plural: Der Akk. Pl. kann auf -is statt auf -ES enden: tortion‹e=I›s(! ) (dfx 1.4.4⁄4); ped‹e=I›s(! ) (dfx 4.3.2⁄1); diese Schreibung dürfte, analog zum Gen. Sg., eher auf phonetische Entwicklungen als auf archaisierende Tendenzen zurückzuführen sein. 67 3. In der 3. Deklination kann formalen Neuerungen auch analogischer Einfluß zur ‘regelmäßigen’ 2. Deklination zugrundeliegen: a. z.B. Gen. Pl. d‹ae=E›moniorum(! ) (dfx 11.1.1⁄26), der einen Nom. Sg. DAEMONIUM statt DAEMON voraussetzt. 68 Ebenso Abl. Sg. san- 64 Während NERVIA mehrfach aus unterschiedlichen Sprachräumen belegt ist, ohne von Standardformen flankiert zu sein, findet sich zu FRENUS z.B. der ‘korrekte’ Dat. Pl. FRENIS (z.B. dfx 11.2.1⁄12). 65 Anders García Ruiz (1968, 221), der lumine als maskuline Akkusativform mit apokopiertem M versteht. 66 Vgl. hierzu z.B. Adams 2007, 586f. 67 Vgl. hierzu auch die Übersicht bei Meiser 1998, 137f. 68 Das Substantiv DAEMON weist besondere Deklinationsformen nach dem Muster der griechischen konsonantischen Stämme auf. 268 gu‹i›no(! ) suo (dfx 3.12⁄1) statt SANGUINE SUO, lautlicher Einfluß der Textumgebung ist hier nicht auszuschließen. Nach diesem Muster auch Vok. Sg. Dite(! ) (dfx 1.4.4⁄3) zum Götternamen DIS(PATER). 69 Vergleichbar auch die Adjektive Elegantu‹s›(! ) (dfx 11.2.1⁄12) statt ELEGANS, Eminentu‹s›(! ) (ebd.) statt EMINENS. 70 b. Zur ‘Begradigung’ defektiver oder unregelmäßiger Flexionsparadigmata, z.B. das Substantiv VAS: Begünstigt durch die Flexionsformen im Plural (nach der 2. Deklination) wird VAS zu vasum(! ) (dfx 8.3⁄1) umgebildet; zugleich erfolgt damit auch eine formal eindeutige Charakterisierung des Genus. Diese ‘neuen’ durch die regelmäßige Endung der Neutra -UM markierten Analogiebildungen können durch Homophonien noch begünstigt sein: ossu‹m›(! ) ‘Gebein’ (dfx 1.4.2⁄3) statt OS, in Abgrenzung zu os ‘Mund’ (ebd.). 71 II.4.2.4 Die 4. Deklination Hinweise auf einen Flexionswechsel in die häufigere 2. Deklination finden sich vorwiegend im Akk. Pl. mit der Alternanz von O- und U-Stammauslaut (-os statt -US): impet‹u=O›s(! ) (dfx 11.2.1⁄24); man‹u=O›s(! ) (dfx 11.1.1⁄25); entgegengesetzte Formen (-us statt -OS) finden sich bei dem mischstämmigen Nomen DOMUS: ad dom‹o=U›s(! ) (ebd.). II.4.2.5 Die 5. Deklination Bei den Substantiven auf -IE sind trotz der Dubletten auf -IE und -IA (z.B. MATERIES und MATERIA) keine grundsätzlichen Übergänge in die 1. Deklination oder Sonderformen auszumachen: facie‹s› (dfx 11.1.1⁄25); [ma]teriam (dfx 3.22⁄22). II.4.3 Die Pronominalflexion II.4.3.1 Personalpronomina und Possessiva Die Personalpronomina entsprechen den klassischen Flexionsformen: 1. Für das Dativpronomen der 1. Ps. Sg. MIHI erscheint bisweilen die Kurzform mi‹hi›(! ) (z.B. dfx 2.1.1⁄5). 72 2. Das altlateinische (und wieder ‘romanische’) Possessivum der 1. Ps. Pl. 69 Vgl. auch Leumann 1977, 434; 449. 70 Vgl. auch ebd., 450. 71 Nach der Aufgabe der distinktiven Vokalquantitäten war eine Unterscheidung zwischen * in OS, OSSIS (Gebein) und ( in OS, ORIS (Mund) nicht mehr möglich. Hierzu z.B. auch Kiesler 2006, 82. 72 Diese (kontrahierte) Form ist insbesondere im poetischen Sprachgebrauch geläufig, aber auch in der Alltagssprache belegbar. Vgl. auch Adams (1977, 20f.) zu den Briefen des Claudius Terentianus. 269 VOSTER findet sich ein Mal neben dem sonst üblichen standardsprachlichen VESTER: apu‹d=T› vostrum(! ) numen (dfx 1.1.1⁄1). 73 3. Die Unterscheidung zwischen reflexivem Possessivum der 3. Ps. SUUS und nicht-reflexivem EIUS ist nicht immer konsequent durchgehalten: Helenus su‹u=O›m nomen ‹i=EI›‹n=M›feris mandat ‘Die Lampe übergibt dessen Namen den Unterirdischen’ (dfx 1.4.4⁄1); 74 […] ut sanguinem suum(! ) ep‹o=U›tes ‘[…] damit du dessen Blut austrinkst’ (dfx 3.2⁄77). II.4.3.2 Demonstrativ-, Intensiv-, Identitätspronomina Das klassische dreistufige Demonstrativsystem HIC - ISTE - ILLE ist in den defixiones formal noch weitgehend erhalten: 1. Für die Formen von HIC ist ein Nebeneinander von altlateinischen und klassischen Bildungen zu beobachten, z.B. im Nom. Pl. Mask. his(! ) (dfx 1.5.6⁄1). 75 2. Die geringfügigen Varianten innerhalb des Paradigmas von ILLE stammen bereits aus vorklassischer Zeit: 76 a. Sie betreffen die formal mit den maskulinen Formen identischen femininen Formen. Dabei handelt es sich um Analogiebildungen zu den Nomina der 1. Deklination, die zur formalen Abgrenzung mit ‘femininen’ Endung markiert werden: - Für Dat. Sg. Fem. ILLI erscheinen die Formen il‹l›‹ae=AI›(! ) (dfx 1.5.4⁄1, s.o.); illae(! ) (dfx 11.1.1⁄16). - Gen. Sg. Fem. ILLIUS wird ersetzt durch illaeus(! ) (dfx 5.1.7⁄1). 77 b. Daneben dokumentiert sich der Einfluß des Flexionsmusters von HIC: il‹l›ic(! ) (dfx 1.5.4⁄1); il‹l›‹ae=AI›c(! ) (ebd.); illunc(! ) (dfx 1.4.4⁄8); il‹l›a‹n›c(! ) (dfx 1.5.4⁄1). c. Ein einziges Mal ist die Verstärkung durch das Präsentativum ECCE belegbar: [e]c‹c›illunc(! ) (dfx 1.4.4⁄8). d. Ein einziger Beleg bezeugt die ‘lautgesetzlich’ verkürzte Form loru (dfx 8.1⁄1) für Gen. Pl. Mask. ILLORUM (als ‘Vorläufer’ des romanischen Possessivums). e. Eine Entwicklung des Demonstrativpronomens ILLE zum einsilbigen bestimmten Artikel ist nicht faßbar: 78 73 Hierzu auch Meiser 1998, 84. 74 Zur Deutung HELENUS ‘Lampe’ vgl. Audollent 1904, 194f. Der Verwünschungstext wurde tatsächlich auf einer Tonlampe angebracht. 75 Vgl. hierzu auch Leumann 1977, 468f.; Bakkum 1991, bes. 27-29. 76 Vgl. hierzu auch Adams 1977, 45-47. 77 Bei illaeus könnte es sich auch um eine hyperkorrekte Form von illeus (für ILLIUS) handeln, in der sich die Austauschbarkeit der palatalen Vokale reflektiert (die Form illeus ist durch dfx 3.14⁄1 belegt). Vgl. hierzu auch Panagl 1999, 54f. 78 Vgl. hierzu Selig 1989; ders. 1992, bes. 160-171. 270 3. Für das „abgeschwächte Demonstrativpronomen“ 79 IS, das Intensivum IPSE und das Identitätspronomen IDEM finden sich keine Sonderformen; das Indefinitpronomen QUIDAM ist nirgends belegt, UNUS tritt nur ein Mal (in seiner originären Funktion als Zahlwort) auf (zu den negativen Pronomina s. B: II.5.2.3). 4. Ab dem 2. Jh. n. Chr. erscheinen die PPP infrascriptus (z.B. dfx 6.1⁄1) bzw. suprascriptus (z.B. dfx 3.1⁄1) und supradictus (dfx 3.22⁄3), die als „metasprachliche[n] Determinanten“ 80 fungieren (s. auch A: IV.4.2.5). II.4.3.3 Relativ- und Interrogativpronomina 1. Im Paradigma der Relativpronomina sind keine grundlegenden Umstrukturierungen erkennbar: a. Für den Nom. Pl. finden sich sporadisch Sonderformen: Fem. quas(! ) (dfx 1.4.4⁄8) statt QUAE, analog zur Nominalflexion; Mask. qu‹i=EI› (dfx 2.1.1⁄1) statt QUI, mit altlateinischer Diphthongschreibung < ei > . b. Der stimmlose labiovelare Nexus KU kann unterschiedlich wiedergegeben sein: - Graphie < c > : ‹q=C›uicu‹m=N›‹q=C›ue (dfx 11.2.1⁄40); 81 ‹q=C›ui (ebd.); hierbei handelt es sich wohl weniger um Analogiebildungen zu Nachbarformen im Paradigma (z.B. CUI) als vielmehr um graphische Konventionen. ohne Bilabial: q‹u›i (z.B. dfx 2.1.1⁄5); q‹u›‹ae=E› (dfx 4.1.3⁄11); q‹u›od(! ) (dfx 3.14⁄3). 82 2. Häufig sind verallgemeinernde Relativpronomina, besonders das hochsprachliche QUICUMQUE (z.B. dfx 2.2.4⁄1), seltener findet sich die geminierte Form quisquis (z.B. dfx 7.1⁄1); einmal und erst in einer Tafel aus dem 3. Jh. erscheint quivis (dfx 3.19⁄1), einmal die einfache Form quis(! ) (dfx 2.1.3⁄2). 83 Alternative ‘romanische’ Neubildungen sind nicht nachweisbar. 3. Interferenzen zwischen Interrogativ- und Relativpronomina sind nur sporadisch auszumachen: a. bei der Verwendung von interrogativem QUID statt relativem QUOD im Ntr. Sg.: qui involaverit qui‹d›(! ) Deomiorix […] perdid erit 79 Menge 2000, 112. 80 Selig 1989, 103. Vgl. hierzu auch Selig 1992, 27; 129-132; Hofmann/ Szantyr 1965, 187; Raible 1985, 55-58. 81 Vgl. hierzu auch Leumann 1977, 477. 82 Auf einer seriell wiederkehrenden Tafel wird auch die Verbindung GU zu < g > vereinfacht: ung‹u›‹e=I›s(! ) (z.B. dfx 1.4.4⁄8). Vgl. hierzu auch Jeanneret 1918, 33. 83 Vgl. den Kommentar von Corell (1994, 284). 271 ‘denjenigen, der das, was Deomiorix […] verloren hat, gestohlen hat’ (dfx 3.2⁄78). 84 b. bei Kontaminationsformen des Indefinitbzw. Interrogativpronomens (ALI)QUIS und des Relativpronomens QUI, die durch den Ausfall des auslautenden S befördert werden: si qui‹s›(! ) (z.B. dfx 5.1.4⁄5); quiscumq[ue](! ) (z.B. dfx 2.2.4⁄1); sie finden sich insbesondere in verallgemeinernden Relativsätzen. 85 II.4.4 Die Komparation Die Steigerungsformen sind stets synthetisch; konkurrierende analytische Bildungen mittels der Adverbien MAGIS oder PLUS sind auch in späteren Inschriften nicht belegbar. II.4.4.1 Komparativ Synthetische Komparative (in adjektivischer oder adverbialer Funktion) erscheinen meist als frequente lexikalisierte Formen: melior (dfx 5.1.7⁄1); cele rius (dfx 6.1⁄1) amplius (dfx 1.4.4⁄10). II.4.4.2 Superlativ Der Superlativ findet sich in folgenden zwei Ausprägungen: 1. gebildet mit dem Suffix -ISSIMUS, unabhängig vom Stammausgang des Adjektivs: celeri s‹s›im‹e›(! ) (dfx 8.3⁄1) statt CELERRIME; ferner begegnet ein Mal die Form agilis sime (dfx 11.1.1⁄16). 86 2. als lexikalisierte standardsprachliche Form: plurimas (dfx 3.22⁄29); maximo (z.B. dfx 3.2⁄10); pes‹s›imo (dfx 8.3⁄1); Optimi Iovi (z.B. dfx 4.2.2⁄2). II.4.5 Die Verbalflexion Nicht alle Tempora und Modi sind in den defixiones nachweisbar; vielfach handelt es sich um indikativische und konjunktivische Formen des Präsens und Perfekt. Den sprachlichen Besonderheiten leisten zumeist lautliche Entwicklungen Vorschub, systemhafte Umwälzungen sind nicht auszumachen. 84 Vgl. hierzu auch Adams 1992, 3. 85 Vgl. hierzu auch ebd., 4f. Allgemein zum Verhältnis von interrogativ-relativem qui und indefinitem quis vgl. Hofmann/ Szantyr 1965, 554f. 86 Bei der Superlativform von AGILIS schwanken die Grammatiker zwischen AGILIS- SIMUS und AGILLIMUS, vgl. hierzu ThlL 1, 1324, 13-17. Allgemein zu den Besonderheiten der Steigerung vgl. auch Leumann 1977, 498. 272 II.4.5.1 Konjugationswechsel 1. Der Zusammenfall der palatalen Vokale (auch vorvokalisch) begünstigt Verschiebungen zwischen der 2. und 3. Konjugation des Präsenssystems: a. vornehmlich in der 3. Ps. Sg. Ind. bzw. Konj. mit den Endungen -E(A)T und -I(A)T: Konj. Präs. par‹i=E›at(! ) (dfx 3.22⁄29); Ind. Präs. decad‹i=E›t(! ) (dfx 4.4.1⁄1), aber im selben Text auch das ‘korrekt’ konjugierte Konj. Präs. decadat. b. Die Stabilisierung des Übergangs manifestiert sich ein Mal auch an einer Futurbildung: discebit(! ) (dfx 3.2⁄62) statt DISCET. c. Daneben zeichnen sich Bewegungen auch in die entgegengesetzte Richtung ab: Konj. Präs. respondat(! ) (dfx 5.1.4⁄9) statt RESPON- DEAT. 2. Unregelmäßige Verben werden in eine ‘große’ Konjugationsklasse übernommen und regelmäßig flektiert: 3. Ps. Sg. Konj. Präs. poteat(! ) (dfx 4.3.4⁄1) statt POSSIT. 87 Diese Bildungen bleiben jedoch sporadisch und sind von Standardformen flankiert, so daß nicht von einer systematischen Umstrukturierung auszugehen ist. II.4.5.2 Imperativ 1. Für den Imp. Präs. Akt. lassen sich keine Sonderbildungen nachweisen; es finden sich auch die klassischen unregelmäßigen Flexionsformen der 2. Ps. Sg.: dic (dfx 1.5.4⁄1), fac (z.B. dfx 11.2.1⁄7); aufer (dfx 11.1.1⁄16). 2. Sehr selten begegnet der für die Rechts- und Sakralsprache charakteristische Imp. Fut. (3. Ps. Sg.): praefocato (dfx 1.4.4⁄4); tradito (dfx 1.7.2⁄1). 3. Sonderformen zeigen die Deponentien (s.u.). 4. Funktionsgleich zum positiven Imp. Präs. erscheinen häufig entsprechende Formen des Konj. Präs. (s. auch A: IV.3.3.3). 5. Verdrängt wird der Prohibitiv (NE + Konj. Perf.); statt dessen findet sich: a. das Modalverb NOLLE im Imp. Präs. + Inf.: 88 noli meas sperner e voces ‘verachte meine Worte nicht’ (z.B. dfx 11.2.1⁄24). b. daneben, deutlich häufiger, die Fügung NON + Konj. Präs. c. Kontaminationsformen sind als einmalige Lapsus zu werten. 89 87 Das Verbum potere ist im Oskischen bezeugt, vgl. Leumann 1977, 525. 88 Eine Übersicht über die „Verneinung des Imperativs“ in der klassischen Prosa gibt Menge 2000, 170f. 89 In nol{}lis(! ) pe‹r=T›mittas(! ) ‘erlaube nicht’ (dfx 3.15⁄1) überlagern sich der konjunktivische Ausdruck NON PERMITTAS und die infinitivische Formulierung NOLI PERMITTERE. 273 II.4.5.3 Futur I Die wenigen belegbaren Formen des Futur I sind durchweg synthetisch: 90 1. Ps. Sg. Akt. dabo (dfx 1.4.4⁄8 - 1.4.4⁄12); 1. Ps. Sg. Akt. solva‹m› (dfx 2.2.2⁄1); 3. Ps. Sg. Akt. discebit(! ) (dfx 3.2⁄62); 3. Ps. Sg. Pass. morie[t]ur (dfx 1.9.1⁄1). II.4.5.4 Passivbildungen 1. Die präsentischen Passivformen werden synthetisch gebildet: 3. Ps. Sg. Ind. tenetur (dfx 1.4.4⁄13); 3. Ps. Sg. Konj. desumatur (dfx 11.3.1⁄1); auch für das Medium finden sich keine Alternativen, wie z.B. die entsprechende aktivische Form mit Reflexivpronomen: qui et vocatur Caucadio ‘der auch Caucadio heißt’ (dfx 1.1.1⁄1); ebensowenig wird das unpersönliche Passiv z.B. durch ein aktivisches Synonym ersetzt: ubi videtur arte‹m›(! ) sua‹m›(! ) facer e ‘wo er seine Kunst auszuüben scheint’ (dfx 1.4.4⁄4). 2. Für die Verba deponentia sind passivische und aktivische Bildungen nachweisbar: a. synthetische Passivbildungen im Präsens: Inf. loqui (z.B. dfx 11.1.1⁄6); 1. Ps. Sg. Ind. conqueror (z.B. dfx 3.2⁄51); 2. Ps. Sg. Konj. (mit altlateinischer Endung) 91 pollic‹e=I›arus(! ) (dfx 1.4.4⁄8); 3. Ps. Sg. Ind. patitur (dfx 7.4⁄1). b. verschiedentlich auch aktivische Formen: - Präsensstamm: Inf. se rmonar‹i=E›(! ) (dfx 1.4.4⁄3); 1. Ps. Sg. Ind. execro(! ) (dfx 3.2⁄78) statt EXECROR; 2. Ps. Sg. Konj. patias(! ) (dfx 9.1⁄1) statt PATIARIS; 3. Ps. Sg. Ind. loq‹u›it(! ) (dfx 7.1⁄1) statt LO- QUITUR; 2. Ps. Pl. Konj. perse‹q=C›uatis(! ) (dfx 7.5⁄1) statt PER- SEQUAMINI. - Perfektstamm: 3. Ps. Pl. Konj. [pec]ulave rint(! ) (dfx 3.18⁄1) statt PECULATI SINT. das häufige Verbum FURARI wird sogar ausnahmslos aktivisch konjugiert: z.B. 3. Ps. Sg. Konj. Perf. furaverit(! ) (dfx 3.2⁄77) statt FURATUS SIT. c. Die einmalige Interpretation eines aktivischen Verbs als Deponens ist möglicherweise hyperkorrekt: 3. Ps. Sg. Konj. Präs. exsultetur(! ) (dfx 1.4.4⁄4) statt EXSULTET. 3. Vergleichsweise selten finden sich periphrastische Passivkonstruktionen, die mit dem Partizip Perfekt und einer Form von ESSE gebildet werden. 90 Vgl. hierzu auch Adams 1977, 48f. 91 Die klassische Form lautet POLLICEARIS. Vgl. hierzu Adams 2007, 44-51. Zu dieser besonderen Passivform vgl. auch Meiser 1998, 218. 274 a. gelegentlich im Präsens: 92 T. Egnatius Tyran‹n›us defic‹t›us(! ) est ‘Titus Egnatius Tyrannus ist durchbohrt’ (dfx 3.14⁄2); […], ut Erinyis rutus sit ‘[…], daß er von den Rachegöttinnen fortgerafft sei’ (dfx 7.2⁄1); dabei steht der resultative Aspekt der am Verb ausgedrückten Handlung im Vordergrund. b. selten mit einer Perfektform von ESSE und nur für Deponentien nachweisbar: 3. Ps. Sg. Konj. locutus fu[erit(! )] (dfx 11.1.1⁄11); 3. Ps. Sg. Konj. ‹au=O›susve fuerit (dfx 11.1.1⁄8). 93 II.4.5.5 Finite Perfektformen 1. Kennzeichnend für die Stammformen des Perfekts ist der Polymorphismus: Neben den klassischen Formen finden sich verschiedene Konkurrenzbildungen: a. Angleichungen an DEDI, möglicherweise befördert durch die Überlappung der palatalen Vokale: 1. Ps. Sg. Ind. perded i(! ) (z.B. dfx 3.2⁄54) statt PERDIDI (PERDERE). b. Tilgung der Reduplikation, als Hyperkorrektur oder unter Einfluß von nichtmarkiertem Perfektformen (z.B. PREHENDERE, PREHEN- DI): 3. Ps. Sg. Ind. pe‹r›dit(! ) 94 (dfx 3.22⁄5) statt PERDIDIT (PERDE- RE); peri‹t›(! ) (dfx 11.2.1⁄6) statt PEPERIT (PARERE). c. Einfluß der Präsensstämme: - Für 3. Ps. Sg. Ind. finden sich statt SUSTULIT (TOLLERE) die einfachen Formen t‹o=E›lluit(! ) 95 (dfx 2.2.4⁄1) und tulit(! ) (z.B. dfx 3.6⁄1), neu gebildet unter Einfluß des Inf. Präs. TOLLERE. 96 - Auch die Präfixableitungen von TOLLERE passen sich im Präfix an den Präsensstamm an: 3. Ps. Sg. Ind. su{p}stulit(! ) (dfx 2.3.2⁄1) statt SUSTULIT (SUBFERRE); analog autulit(! ) (dfx 2.2.1⁄1) für abstulit (AUFERRE). - Bei anderen Verben ist dieser Einfluß nur sporadisch nachweisbar: 3. Ps. Sg. Konj. dicerit(! ) (dfx 11.1.1⁄2) statt DIXERIT (DICE- RE). 92 Vgl. hierzu auch Hofmann/ Szantyr 1965, 306; 394. 93 Vgl. hierzu auch ebd., 322. 94 Zur Auslassung des < r > vor Konsonant vgl. Adams 1992, 13. 95 Was es mit der Schreibung < e > statt < o > auf sich hat, ist nicht ganz zu klären. Denkbar wäre ein einfacher Lapsus. Eine Fehllesung kann ebensowenig ausgeschlossen werden, da sich kursives < e > und < o > mitunter stark ähneln können. 96 TULI ist ursprünglich ebenfalls von TOLLERE gebildet, fungiert klassisch aber als Suppletivform für FERRE. Vgl. Leumann 1977, 530. Zur Verwendung von TULI als Perfektform von TOLLERE im Spätlatein vgl. auch Adams 1992, 2f. 275 d. Archaismen: - 3. Ps. Sg. Ind. involasit(! ) (dfx 3.19⁄3) statt INVOLAVIT. 97 präsentische Form des Perfekto-Praesens ODISSE: 3. Ps. Sg. Konj. odiat(! ) (dfx 1.5.4⁄1; 2. Jh. v. Chr.) statt ODERIT. 98 2. Ein einziges Mal begegnet auch die überwiegend der Dichtung vorbehaltene Perfektendung (3. Ps. Pl. Ind.) -$RE: afuere(! ) (dfx 3.14⁄5) anstatt AFUERUNT. 99 3. Zusammengesetzte Perfektformen (HABEO + PPP) als Alternativbildungen lassen sich nicht nachweisen; in entsprechenden Periphrasen behalten beide Bestandteile ihre syntaktische und semantische Autonomie als Prädikativum bzw. Hauptverb bei: hanc ‹h›ostiam acceptam habeas ‘dieses Opfer sollst du als empfangen quittieren’ (dfx 1.4.4⁄2). II.4.5.6 Partizip Perfekt Passiv Ein Nebeneinander verschiedener Bildungen dokumentiert sich auch für das PPP. Zusätzlich zu den klassischen begegnen archaische Flexionsformen, die sich aufgrund ihrer Nähe zu prominenten Konjugationsmustern halten können: defictus(! ) (dfx 3.14⁄2) statt DEFIXUS, möglicherweise ausgerichtet an DICTUS oder FACTUS. Mit su‹r=B›ruptus(! ) (dfx 1.10.2⁄1) findet sich eine archaische Nebenform zu SURREPTUS, möglicherweise gestützt durch RUPTUS (RUMPERE). II.5 Syntax II.5.1 Abweichungen in Kongruenz und Kasusverwendung Zu den Veränderungen auf syntagmatischer Ebene zählen Kongruenzfehler, die Ausbildung von periphrastischen Ausdrücken als Alternative zum synthetischen Kasussystem sowie die Austauschbarkeit der Fälle. 100 97 Vgl. den Kommentar von Tomlin/ Hassall (1993, 313) mit Verweis auf Leumann 1977, 622. 98 Dieser Beleg aus einer der frühesten lateinischsprachigen defixiones stellt möglicherweise einen Beleg für das altlateinische ODIRE ‘einen Haß gegen jemanden fassen’ dar. Zur Formenvielfalt vgl. z.B. Forcellini 4, 388; ThlL 9.2, 454, 17-456, 34; Leumann 1977, 545. 99 Zu den konkurrierenden Endungen der 3. Ps. Pl. Ind. Perf. Akt. vgl. auch ebd., 607f.; Meiser 1998, 218. 100 Vgl. hierzu einführend z.B. Väänänen 1981, 147-169; Stotz 1998 (Bd. 4), 235-415; Herman 2000, 81-94. 276 II.5.1.1 Kongruenzfehler Unvollständige Angleichung in Kasus, Numerus und Genus, die u.a. mit den Bewegungen innerhalb der Deklinationsklassen und der Reduktion der Genera einhergehen, dokumentieren sich im Rahmen von nominalen Syntagmata: omni(! ) urs{s}u‹m› ‘jeden Bären’ (dfx 11.1.1⁄28); dono tibi Mercurius(! ) ‘ich übergebe dir, dem Mercurius’ (dfx 3.17⁄1); vielfach erscheint statt des syntaktisch geforderten Kasus die Akkusativform: maximo letum(! ) ‘vom größten Untergang’ (dfx 3.2⁄10); 101 ‹in› infernales(! ) partibus ‘in den Gegenden der Unterwelt’ (dfx 11.1.1⁄14); ex ‹h›a{n}c(! ) ‹h›ora ‘von dieser Stunde an’ (dfx 11.2.1⁄22, s.u.); ebenso kann auch die Erstarrung bestimmter Kollektiva im Neutrum Plural zu Indeklinabilia eine Inkongruenz von Nomen und Determinanten bedingen: hoc(! ) omnia ‘dies alles’ (dfx 4.4.1⁄1). 102 II.5.1.2 Präpositionale Markierung Die Tendenz zur präpositionalen Markierung der Satzfunktion verstärkt sich mit dem Ab- und Umbau der Deklinationen und ist durchgängig nachweisbar. 103 1. Es dominiert AD mit Akkusativ, das folgende Konstruktionen ersetzen kann: a. den synthetischen Dativ, bei Verben des Gebens: nomina data […] ad infe ros ‘die Namen gegeben […] zu den Unterirdischen’ (z.B. dfx 5.1.4⁄7) vs. Biccus dat Mercurio ‘Biccus gibt dem Merkur’ (dfx 3.22⁄5); Fructum […] defero inferi s ‘den Fructus […] sende ich den Unterirdischen hinab’ (dfx 5.1.4⁄2) vs. Sintonem […] defe ro ad infero‹s›(! ) ‘Sinto […] sende ich zu den Unterirdischen hinab’ (dfx 5.1.4⁄5). Dies betrifft jedoch nur nominale Syntagmata, eine präpositionale Verwendung der Pronomina ist hingegen nicht nachweisbar: tibi dabo ‘dir werde ich geben’ (z.B. dfx 1.4.4⁄8); dono tibi ‘ich übergebe dir’ (dfx 3.11⁄1). b. lokativische Bestimmungen; dies betrifft vornehmlich transitive Positionsverben (klt. IN + Abl. loci) und geht einher mit der schwindenden Differenzierung zwischen Ortsbestimmung und Richtungsangabe: ut […] depona[s] eum a‹d=T› Tartara ‘damit […] du ihn in den Tartarus niederlegst’ (dfx 11.3.1⁄1). Die Unsicherheit in der Kasusverwendung manifestiert sich auch an Hyperkorrekturen (z.B. AD 101 Vgl. hierzu Adams 1992, 7f. 102 Vgl. hierzu z.B. Hofmann/ Szantyr 1965, 432; Väänänen 1981, 126f. Zu der analogen Konstruktion omnia quod vgl. auch Väänänen 1981, 125. 103 Zu den lateinischen Präpositionen vgl. z.B. Menge 2000, 252-276; 293f. Zur Aufhebung der doppelten Markierung mittels Präposition und Endung vgl. z.B. auch Adams 1977, 36f. 277 mit Dativ): Ex‹e=I›at Maurussu[s] […] facie‹s› a‹d=T› terrae(! ) ‘Hinausgehen soll Maurussus […] mit dem Gesicht zu Boden’ (dfx 11.1.1⁄25). 104 2. DE mit Ablativ findet sich: a. als Ersatz für den Genetiv in partitiver Funktion: Si […] aliquid de hoc noverit ‘Wenn er […] etwas davon weiß’ (dfx 3.2⁄76); daneben dokumentiert sich in vergleichbarem Textumfeld auch noch im 3. Jh. der Gebrauch des synthetischen Kasus: quo‹d=T› mihi furti factum est ‘was mir an Diebstahl angetan worden ist’ (dfx 2.3.1⁄1); decima pars eius pecuniae ‘der zehnte Teil von diesem Geld’ (dfx 3.19⁄1). b. als Ersatz für den Genetiv mit relationaler Bedeutung, als Attribut zu einem Nomen: co‹n›scientiam de ‹hoc(? ) furto(? )› ‘Mitwissen über diesem(? ) Diebstahl(? )’ (dfx 3.22⁄5); 105 nach einem gleichwertigen adjektivischen Satzelement ist auch die klassisch ‘korrekte’ Setzung des Genetivs belegt: qui conscius fueri‹t=S› eius deceptionis ‘der in diesen Diebstahl eingeweiht war’ (dfx 3.11⁄1). c. mit separativem Sinn, häufiger als E(X) und regelmäßig auch an dessen Stelle: qui me compilavit de domo ‘der mich beraubt hat aus meinem Haus’ (dfx 2.3.2⁄1); qu‹i=e=AE›cumque(! ) […] de bursa(! ! ) mea s‹e›x argente[o]s furaverit(! ) ‘wer auch immer […] aus meinem Beutel sechs Silberlinge gestohlen hat’ (dfx 3.2⁄77); qui‹d›(! ) Deomiorix d e hos{i}pitio(! ! ) suo perdid erit ‘was Deomiorix aus seinem Haus verloren hat’ (dfx 3.2⁄78). 3. EX mit Ablativ findet sich: a. nahezu ausnahmslos in temporaler Bedeutung, reduziert auf die formelhafte Zeitangabe ex ‹h›oc die ex ‹h›[a]c ‹h›ora ‘von diesem Tag, von dieser Stunde an’ (z.B. dfx 11.1.1⁄15). b. äußerst selten als räumliche Präposition zur Bezeichnung des Ausgangspunktes: quis(! ) {re s} tunica tuli‹t=D›(! ) e Livia(? ) ‘wer die Tunika von Livia genommen hat’ (dfx 2.1.3⁄2); e{c}x of‹f›icina magica ‘aus einer Zauberwerkstatt’ (dfx 11.2.2⁄1). c. bisweilen auch alternierend mit dem bloßem separativen Ablativ: qui te [r]esolvit ex vit‹ae=E› temporibus (dfx 11.2.1⁄29) vs. qui te resolvit vit‹ae=E› temporibus ‘der dich von dem Schicksal des Lebens befreit hat’ (dfx 11.2.1⁄28). 104 Dies ist der einzige Fall, in dem der Präposition nicht ein Akkusativ folgt, bzw. der Vertauschung keine phonetischen Gründe zugrundeliegen können. Möglicherweise haben sich hier zwei gleichbedeutende Ausdrücke wie z.B. AFFLIGERE AD TER- RAM und AFFLIGERE TERRAE ‘zu Boden schlagen’ überlagert. 105 Diese Konjektur stammt von Woodward/ Leach (1993, 126); es ist aber nicht auszuschließen, daß sich hinter dem de ein deceptionis o.ä. verbirgt. Zu dieser Verwendung des Genetivs vgl. z.B. Väänänen 1981, 114. Zum Genetiv der Beziehung vgl. auch Hofmann/ Szantyr 1965, 77f. 278 4. A(B) mit Ablativ zur Bezeichnung des Urhebers einer passivischen Handlung findet sich nur ‘ungrammatisch’ verwendet bzw. nicht verwendet. a. Die Konstruktion erscheint in Bezug auf einen nichtmenschlichen Urheber statt des reinen Ablativus Instrumentalis: ut a flumine feratur ‘damit es vom Fluß weggetragen wird’ (dfx 11.2.1⁄8). 106 b. Im Falle eines göttlichen Agens wird statt des präpositionalen Ausdrucks der reine Ablativ verwendet: ut Erinyis rutus sit ‘damit er von den Rachegöttinnen fortgerafft sei’ (dfx 7.2⁄1). 5. IN mit Akkusativ ersetzt den lokativen bzw. temporalen Ablativ: 107 a. bei Verben des Setzens, Stellens, Legens und sinnverwandten Verben (klt. IN + Abl. loci): ut eam […] ibi in numerum(! ) tu‹um›(! ) ‹h›a[b]‹e=I›as ‘damit du sie […] dort zu der Zahl der Deinigen zählst’ (dfx 11.1.1⁄14); molam […] in fanum(! ) dei devovi ‘den Mühlstein […] habe ich im Tempel des Gottes geweiht’ (dfx 3.19⁄3); defi‹g=C›o in ‹h›as(! ) tabel‹l›as(! ) ‘durchbohre ich auf diesen Täfelchen’ (dfx 1.4.2⁄3). b. anstelle des reinen Lokativs: in(! ) do[m]o(! ) dei ‘im Haus des Gottes’ (dfx 3.1⁄1) statt DOMI DEI. c. bei temporalen Substantiven (klt. reiner Abl. temp.), unter analogischem Einfluß: 108 in ista ‹h›ora ‘zu jener Stunde’ (dfx 11.1.1⁄22); in crastino die ‘am morgigen Tag’ (dfx 11.1.1⁄20); brevi tempore ‘in kurzer Zeit’ (dfx 3.19⁄1). II.5.1.3 Kasusgebrauch Die Kasusverwendung entspricht bisweilen nicht den klassischen Regeln, als ‘Universalkasus’ setzt sich insbesondere der Akkusativ durch. 1. Unsicherheiten in der Verwendung der Kasusformen, die formal korrekt differenziert sein können, zeigen sich in Abhängigkeit verschiedener Verben: ut illum(! ) profluvio(! ) mittas ‘damit du ihm Durchfall schickst’ (4.1.3⁄16); 109 für einen abrupten Kasuswechsel lassen sich mitunter auch satzphonetische Gründe annehmen: sanguine et vitae(! ) suae(! ) illud red‹i=E›mat(! ! ) ‘mit seinem Blut und Leben möge er dies loskaufen’ (dfx 3.2⁄78). Häufig manifestiert sich der ‘fehlerhafte’ 106 Im Original in griechischen Buchstaben transliteriert. 107 Zum Ablativus loci et temporis vgl. z.B. Menge 2000, 516-539. 108 Vgl. hierzu z.B. Hofmann/ Szantyr 1965, 148; Palmer 2000, 332. 109 Da sich das Prädikat mittas ebenfalls auf den syntaktisch gleichlaufenden zweiten Teil des Satzes et quidquid in bonis habet in morbum megarum ‘und was auch immer er in Gütern besitzt in die Krankheit’ bezieht, ist nicht auszuschließen, daß der Verfasser zur Wahrung der Parallelität die ‘fehlerhafte’ Konstruktion bewußt gewählt hat und mit profluvio etwa ein Dativ der Richtung (etwa: ‘damit du ihn in den Durchfall schickst’) vorliegt. 279 Kasusgebrauch bei den Relativpronomina: pe‹c=Q›unia‹m›(! ) quae(! ) a me accepit Heracla ‘das Geld, das Heracla von mir erhalten hat’ (dfx 2.1.3⁄3); res […] quae(! ) per‹d›it(! ) ‘die Dinge, […] die sie verloren hat’ (dfx 3.22⁄3). 2. Der Akkusativ fungiert als obliquer Universalkasus: a. in Abhängigkeit von verschiedenen Verben: nu[p]sit ge ntem(! ) ‘sie hat einen Heiden(? ) geheiratet’ (dfx 5.1.3⁄1); quoniam ma l edixit part‹u=OU›rientem(! ) ‘da er ja die Gebärende verflucht(? ) hat’ (dfx 11.2.1⁄31); selten wird der Akkusativ durch einen anderen Kasus ersetzt, auffällig häufig aber in Verbindung mit dem Verbum rogar e ‘bitten’: rogo oro et bonis(! ) inferis(! ) ‘ich bitte, ersuche auch die guten Unterirdischen’ (dfx 2.2.3⁄1); tibi(! ) rogo ‘ich bitte dich’ (dfx 3.14⁄3). b. insbesondere in Konkurrenz zum adverbial gebrauchten Ablativ: der Zeit: pri[di]e idus Ianuarias sive idus(! ) ‘am Vortag der Iden des Januars oder an den Iden’ (dfx 11.1.1⁄23); im Gegenzug wird für die Angabe der Zeitdauer der Akkusativ der räumlichen Ausdehnung durch den reinen Ablativ verdrängt, insbesondere wenn das Temporalsubstantiv durch das Universalnumerale TOTUS gestützt wird: 110 tota(! ) die ‘den ganzen Tag lang’ (dfx 11.1.1⁄17). 111 innerhalb von Präpositionalgefügen; dies wird möglicherweise durch Präpositionen wie IN, die beide Kasus regieren können, befördert; daneben sind auch morphophonologische Gründe anzuführen, die einer Verwechslung der Kasus Vorschub leisten: ex ‹h›a{n}c(! ) ‹h›ora ‘von dieser Stunde an’ (z.B. dfx 11.2.1⁄22); p e r maiestate‹m›(! ) tua‹m›(! ) ‘bei deiner Hoheit’ (z.B. dfx 2.2.1⁄1); Annoto de duas(! ) ocr‹e=I›as(! ) ascia‹m›(! ) scalpru‹m› manica‹m›(! ) ‘ich klage wegen zweier lederner Beinschienen, einer Axt, einem Federmesser, eines Lederhandschuhes an’ (dfx 3.7⁄1). Die Austauschbarkeit von Akkusativ- und Ablativformen manifestiert sich an ihrer Beiordnung im Rahmen von präpositionalen Ausdrücken: in t‹h›ermas(! ) [in] ‹b=V›alneas(! ) in quocumque loco ‘in den Thermen, in den Bädern, an jeglichem Ort’ (dfx 1.4.4⁄4). Die Unsicherheit in der Kasuswahl dokumentiert sich auch durch hyperkorrekte Setzungen: inter quibus(! ) ‘unter welchen’ (dfx 3.15⁄1); nisi in templo(! ) Mercurii pertule rit ‘wenn er es nicht in den Tempel des Merkur zurückgebracht hat’ (dfx 3.22⁄5). 112 110 Vgl. hierzu z.B. Palmer 2000, 332. Zu Bedeutungsberührung und Austauschbarkeit von Accusativus durativus und Ablativus temporis vgl. auch Hofmann/ Szantyr 1965, 148; Menge 2000, 539. 111 Im Original in griechischen Buchstaben transliteriert. 112 Bei dieser auffallend korrekten und von geübter Hand beschrifteten Tafel liegen der Verwendung von templo statt TEMPLUM mit großer Wahrscheinlichkeit keine lautli- 280 3. ‘Ungrammatische’ Kasusverwendungen können in den defixiones ferner auch dem Einfluß von Formularien oder Kopiervorlagen geschuldet sein (s. auch A: II.4.2.4); dies zeigt sich an Einfügungen von Wörtern, meist Eigennamen, ohne Berücksichtigung der syntaktischen Struktur: recipiat‹i=E›s nomen Lux{s}ia(! ) A(uli) Antesti filia(! ) ‘nehmt den Namen der Luxia, der Tochter des Aulus Antestius auf’ (dfx 2.2.2⁄1); 113 insbesondere in längeren Namenslisten finden sich Nominativ- und Akkusativformen beigeordnet: 114 Privatum(! ) Camidium(! ) Q(uintus) Praesentiu s Albus Secunda uxor Pr‹ae=E›senti T(itus) Praes entius (dfx 1.7.2⁄1); Fructus(! ) Gracilis(! ) et Aur‹e›um Adi‹u›torium (dfx 5.1.4⁄2). Ohne Anpassung an das Textumfeld werden auch feste Wendungen eingefügt: dono si mulie r si baro, si servus si liber, si puer si puella ‘ich übergebe (XY? ), ob Frau oder Mann, ob Sklave oder Freier, ob Junge oder Mädchen’ (dfx 3.2⁄36). II.5.2 Syntaktische Strukturen II.5.2.1 Koordinierende Konjunktionen 115 1. Als positive Konjunktionen erscheinen: a. mit beiordnender Funktion vornehmlich ET: Inimici et inimici(! )(? ) Caranita[n]i ‘Die Feinde und Feindinnen(? ) des Caranitanus’ (dfx 5.1.4⁄8); vereinzelt findet sich gleichbedeutend auch SIVE: Sinto Vale‹n›tis sive alii inimici ‘Sinto, Sohn des Valens, und andere Feinde’ (dfx 5.1.4⁄5); 116 -QUE oder ATQUE bzw. AC sind hingegen sehr selten und scheinen auf stilistische Bemühungen hinzuweisen: mihi meaeque aetati ‘mir und meiner Lebenszeit’ (dfx 1.7.4⁄1); Dii inferi, vobi s chen Entwicklungen zugrunde. Zu vermuten ist vielmehr eine Kontamination mit dem klassischen IN TEMPLO DEPONERE ‘in den Tempel ablegen’. Anders die Auslegung von Woodward/ Leach (1993, 125f.), die von einer Unsicherheit bei dem Gebrauch der Präpositionen ausgehen. 113 Üblicherweise wird NOMEN mit dem Genetiv des Eigennamens verbunden, im Falle der sogenannten ‘Gebete für Gerechtigkeit’ auch mit dem Genetiv von Täterbezeichnungen wie FUR ‘Dieb’. Möglicherweise ist hier der Eigenname nicht fälschlicherweise im Nominativ gesetzt; vielmehr wurde Lux{s}ia etc. wie in einem Lückentext ohne Berücksichtigung der syntaktischen Struktur eingefügt und der Platzhalter NOMEN nicht ersetzt, sondern zusätzlich abgeschrieben (s. auch A: II.4.2.4). Anders der Kommentar von Corell (1993, 264), der von dem Terminus technicus NOMEN RECIPERE ‘eine Klage zulassen’ ausgeht. In den defixiones wird RECIPERE ‘aufnehmen’ allerdings regelmäßig im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Menschen bei den Göttern verwendet. 114 Vgl. z.B. auch den Kommentar von Solin (1998, 318) zu dfx 1.4.2⁄3: „außerhalb der Syntax stehender erstarrter Nominativ“. 115 Vgl. hierzu einführend z.B. Väänänen 1981, 158-160; Herman 2000, 95-97. Zur Entwicklung der romanischen Konjunktionen grundlegend auch Herman 1963. 116 Vgl. hierzu z.B. Löfstedt 1911, 198; Hofmann/ Szantyr, 1965, 504. 281 commendo, si quicquam sanctitatis habetis, ac trado Tychenem Charisi i ‘Ihr Unterweltsgötter, ich überantworte euch, wenn ihr irgendetwas an Heiligkeit besitzt, und übergebe euch Tychene, die Tochter des Carisius’ (dfx 1.4.1⁄1). b. In disjunktiver Funktion werden hauptsächlich SIVE, VEL und AUT verwendet, während die enklitische Partikel -VE nahezu keine Rolle spielt: pri[di]e idus Ianuarias sive idus(! ) ‘am Vortag der Iden des Januars oder an den Iden’ (dfx 11.1.1⁄23); quicumque conaverit(! ) dicerit(! ) fece rit [a]ut facere voluerit ‘Wer auch immer (gegen mich) aufbegehrt, gesprochen und gehandelt hat oder hat handeln wollen’ (dfx 11.1.1⁄2). Der Gebrauch anderer Partikel ist selten und entspricht den Regeln der Standardsprache: dies gilt für adversatives SED, für explikatives ENIM: ego enim sum magnus decanus dei ‘Ich bin nämlich der große Dekan des Gottes’ (dfx 11.2.1⁄8) 117 sowie für die kausalen Konjunktionen IDEO und QUARE: quare hanc victimam tibi trado ‘deshalb überantworte ich dir dieses Opfer’ (dfx 1.4.4⁄8). 2. Negativ werden verwendet: a. beiordnend NEC bzw. deutlich seltener NEQUE. b. disjunktives NEVE; klassisch ist es der Weiterführung von negierten Final- und Wunschsätzen, die in den defixiones eine große Rolle spielen, vorbehalten. Hierfür gibt es allerdings nur einen einzelnen, wenig stichhaltigen Beleg (dfx 1.5.3⁄2); statt dessen finden sich: asyndetische Aneinanderreihungen der einzelnen Satzglieder, die mit der Subjunktion NE eingeleitet werden: ne m‹eia=AIE›t ne cacet ne loquatur ne dormiat n[e] vigilet ‘er soll nicht pissen, nicht kacken, nicht sprechen, nicht schlafen, nicht wachen’ (dfx 3.22⁄5). - Beiordnungen mit NEQUE bzw. NEC, was dem klassischen Gebrauch entgegensteht: […] ne curre re possint nec frenis audire(! ! )(! ) possint nec se mo‹v›ere possint ‘[…] damit sie nicht laufen können noch auf die Zügel hören können noch sich bewegen können’ (dfx 11.2.1⁄12). II.5.2.2 Subordinierende Konjunktionen Als adverbiale Nebensätze begegnen vornehmlich Finalbzw. Konsekutivsätze und negierte Konditionalsätze, während Temporal- und Kausalsätze deutlich seltener sind. 118 Daneben finden sich Relativsätze, vorwiegend mit verallgemeinernder Bedeutung. 117 Im Original in griechischen Buchstaben transliteriert. 118 Zu den subordinierenden Konjunktionen vgl. einführend z.B. Väänänen 1981, 158f; 161-163; Herman 2000, 87-94. Eine kontrastiv-diachronische Perspektive nimmt Raible (1992b, bes. 154-170) ein. 282 1. Subjunktionslose Unterordnung ist selten zu belegen: precor ‹v=B›os sancta nomina cadant homines ‘ich bitte euch, ihr heiligen Namen, die Menschen sollen fallen’ (dfx 11.2.1⁄11); rogo surr eptus sit Urbanus ‘ich bitte, Urbanus soll fortgeschafft sein’ (dfx 1.10.2⁄1); 119 fac Tott[ina …] me amet ‘sorge dafür, daß Tottina mich lieben möge’ (dfx 11.2.1⁄7). 120 2. Bei Adverbialsätzen ist die Unterordnung explizit durch eine Konjunktion zu Beginn des Nebensatzes ausgedrückt. a. final/ konsekutiv: überwiegend UT ‘daß’; ‘damit’ oder NE ‘daß nicht’; ‘damit nicht’; daneben findet sich bisweilen auch UT NON: 121 [defe]ro in[f]e[r]is nomina […] non re spondat(! ) ‘ich sende die Namen den Unterirdischen hinab […], daß er mir so […] nicht antworte’ (dfx 5.1.4⁄9). Die Trennung zwischen finaler und konsekutiver Unterordnung ist dabei nicht immer klar; in einigen Fällen wird der Konsekutivsatz durch ein vorangestelltes ITA angezeigt: deo Silvano tertia pars donatur ita ut hoc ex{s}igat ‘dem Gott Silvanus wird der dritte Teil übergeben, so daß er dies zurückfordere’ (dfx 3.22⁄3). Bisweilen findet sich UT auch am Anfang eines ‘verselbständigten’ 122 Wunsches oder Befehls: si ‹qu=CU›‹i›s vomerem Civilis involavit ut an[imam] su{u}a‹m› in templo deponat ‘Wenn einer den Pflug des Civilis gestohlen hat, auf daß er seine Seele im Tempel ablege’ (dfx 3.2⁄23). b. kausal: QUONIAM; ein Mal QUOD; nie QUIA. c. temporal: DUM, USQUE DUM, DONEC ‘solange bis’, QUOAD ‘solange’; CUM ‘wenn’; ANTEQUAM ‘bevor’; ein Mal belegt QUANDO ‘wenn’: non ante laxetur nis{s}i quando […] ‘er soll nicht eher in Ruhe gelassen werden, als wenn er […]’ (dfx 3.22⁄3). d. konditional: SI, NISI, SI MINUS und disjunktiv SIVE; im Rahmen von ‘Löseklauseln’ korreliert NISI stets mit einer Negation im übergeordneten Satz, meist in der Bedeutung ‘außer’, ‘nur’ bzw. ‘erst’ (s. auch A: IV.3.3.5): qui tulit(! ) non redimat ni‹si› vita sanguine{i} suo ‘wer sie genommen hat, soll sich nicht loskaufen, außer mit seinem Leben, seinem Blut’ (dfx 3.6⁄1). e. komparativ: Das ursprünglich auf Fragen und Ausrufungssätze beschränkte Modaladverb QUOMODO löst sein einsilbiges Gegenstück UT ab, das in den defixiones allein der Einleitung von Finalbzw. Konsekutivsätzen dient (s.o.). Beide Subjunktionen sind demzufolge funktional klar getrennt. Als korrelierende Konjunktion zu QUO- MODO fungiert Adverb SIC, deutlich häufiger als das gleich- 119 Dieses Beispiel ist allerdings recht fragmentarisch und kaum zu rekonstruieren. 120 Im Original in griechischen Buchstaben transliteriert. Zu FAC + Konj. als Verstärkung eines Befehls an die 2. Ps. Sg. vgl. z.B. Menge 2000, 169. 121 Vgl. hierzu z.B. Hofmann/ Szantyr 1965, 643f. 122 Vgl. Hofmann/ Szantyr 1965, 642; ebenso ebd., 331; 456; Adams 1992, 6 (mit weiteren Belegstellen). 283 bedeutende ITA erscheint: quomodo mortu‹u=O›s(! ) qui istic sepultu s est […] s‹i=EI›c Rhodine […] mortua sit ‘wie der Tote, der hier begraben ist […] so soll auch Rhodine […] tot sein’ (dfx 1.4.4⁄3). 3. Für die Einleitung von indirekten Fragesätzen (auch Doppelfragen) wird SI zum Konkurrenten für die standardsprachlichen Konjunktionen NUM und AN, die ihrerseits in den Täfelchen nie begegnen. In Analogie zu der nachklassisch belegten Konstruktion der indirekten Doppelfrage mit SI - SI ‘ob - oder’ werden auch UTRUM oder SIVE bzw. SEU verwendet: 123 seu gens(! ! ) seu Ch‹r›istianus qu‹i=e=AE›cumque(! ) utrum vir [u]trum mulier ‘ob Heide oder Christ, wer auch immer, ob Mann oder Frau […]’ (dfx 3.2⁄77). 4. Nur in Ausnahmefällen ersetzt QUOD (ursprünglich Relativpronomen Akk. Sg. Ntr.) andere Subjunktionen: a. final-konsekutives UT: 124 defigo illos quo‹d›(! ) per eant ‘ich durchbohre sie, damit sie zugrundegehen’ (1.7.4⁄1). b. QUAM als zweiten Bestandteil der temporalen Subjunktion ANTE- QUAM: ante q‹u›od(! ) ven‹iant› die‹s(! )› novem ‘bevor neun Tage vergehen’ (dfx 3.14⁄3). c. Mit QUOD eingeleitete Subjektbzw. Objektsätze in Abhängigkeit von Verba sentiendi, dicendi etc. sind nicht nachweisbar. 125 5. Als korrelierende Konjunktionen erscheinen neben QUOMODO - SIC ‘so - wie’ ein Mal auch TANTUM - QUANTUM ‘so groß - wie’ und TAMDIU - QUAMDIU ‘so lange - wie’. II.5.2.3 Die Negation 1. Die einfache Negation ist NON, die auch für den negativen Imperativ verwendet wird. Verschiedentlich korreliert die Negation mit der Subjunktion NISI. 2. Die pleonastische Verneinung erscheint nur vereinzelt: 126 a. beide negierenden Elemente stehen weit auseinander oder der Gedanke der Verneinung ist sehr stark: nec advocati eorum eos defende r e {non} possint ‘und auch ihre Anwälte sollen sie nicht verteidigen können’ (dfx 4.3.1⁄1); {non} liget neminem ‘er soll (überhaupt) keinen binden’ (dfx 11.1.1⁄27). b. bei der Verbindung von Satz- und Wortnegation: ne contra me nec di- 123 Vgl. hierzu Hofmann/ Szantyr 1965, 546. 124 Vgl. hierzu Herman 1963, 51-55; 108-111. 125 Vgl. diesbezüglich z.B. den Kommentar von Adams (1977, 61) zu den Briefen des Claudius Terentianus: „Object clauses for the acc. + infin. must have become established fairly late in Vulgar Latin.“ 126 Vgl. hierzu Hofmann/ Szantyr 1965, 804; Väänänen 1981, 152. 284 cere nec facer e va[l]eant ‘damit sie nicht imstande seien, gegen mich weder zu sprechen noch zu handeln’ (dfx 11.1.1⁄3). c. Die in einer defixio zweifach belegbare Fügung NEC NON bzw. NEC NON ET ‘ebenso’ stellt hingegen eine Litotes der Alltagssprache dar: 127 nec non alia minutalia ‘ebenso andere Kleinigkeiten’ bzw. nec non et qu{qu}i ‘ebenso wer’ (dfx 3.24⁄1). 3. Als negative Pronomina und Adjektive erscheinen NEMO, NIHIL und NULLUS. Einmal ist möglicherweise die sonst nur vorklassisch belegte Fügung von NE und Indefinitpronomen in der Bedeutung ‘keiner’ verwendet: 128 n‹e=I›q[uis] [e]orum ‘keiner von ihnen’ (dfx 1.5.3⁄2). II.5.2.4 Satzwertige Konstruktionen mit infiniten Verbformen Satzwertig erscheinen neben hypotaktischen Strukturen auch Partizipial- und Infinitivkonstruktionen; Gerundien oder Supina begegnen hingegen nicht. 129 1. Sowohl das Participium coniunctum als auch der Ablativus absolutus sind nachweisbar, auch in nachklassisch datierten Texten: tremente Pri scilla quam errante ‘während Priscilla geil wie irre ist’ (dfx 5.1.3⁄1); vobis enim adiuvantibus ‘wenn ihr nämlich helft’ (dfx 11.2.1⁄4); [s{s}]e retegens ‘indem er sich zu erkennen gibt’ (dfx 3.2⁄24). 2. In Abhängigkeit der Verba sentiendi, dicendi etc. erscheinen ausschließlich satzwertige Akkusativbzw. Nominativ-mit-Infinitiv-Konstruktionen: 130 ubi videtur arte‹m›(! ) sua‹m›(! ) facer e ‘wo er seine Kunst auszuüben scheint’ (dfx 1.4.4⁄4); conqueror numini tuo me perd id iss e rotas duas ‘ich beklage (bei) deiner göttlichen Macht, daß mir zwei Räder abhanden gekommen sind’ (dfx 3.22⁄29); pollic‹e=I›arus(! ) illi te daturum t[r] e s victimas ‘du versprichst ihm, daß du drei Opfer geben wirst’ (z.B. dfx 1.4.4⁄8). 3. Bisweilen finden sich ‘kontaminierte’ Partizipialstrukturen, z.B. in Überlagerung mit einem hypothetischen Nebensatz: n‹i=E›s{s}[i](? ) me intercedente ‘außer wenn ich einschreite’ (dfx 3.22⁄5); ebenso in Abhängigkeit von einem Verb: intestinis(! ) excomesi s(! ! )(! ) ‹om›nibus(! ) habe‹at› ‘ möge er seine Eingeweide völlig aufgezehrt bekommen’ (dfx 3.2⁄76). 131 127 Vgl. hierzu Hofmann/ Szantyr 1965, 778f. 128 Vgl. hierzu ebd., 204. 129 Vgl. hierzu z.B. Väänänen 1981, 166-169. In den größeren Kontext der lateinischen ‘Subordinationstechniken’ werden diese Konstruktionen gestellt von Raible 1992a, 308f.; ders. 1992b, bes. 78-87. 130 Eine tabellarische Übersicht auf der Basis von Hofmann/ Szantyr gibt Raible 1992a, 315. 131 Der Abl. abs. intestinis excomesis omnibus ‘nach völliger Aufzehrung aller Eingeweide’ wurde möglicherweise nicht mehr als absolute Konstruktion verstanden, sondern als 285 II.5.3 Der Modusgebrauch II.5.3.1 Der Konjunktiv im Hauptsatz Als Äquivalent zum Imperativ der 2. Ps. wird vielfach der Coniunctivus Imperativus verwandt: 132 obliges, peroblige s(! ! ) Maurussum venatorem, quem pepe rit Felicitas ‘du sollst den Tierkämpfer Maurussus, den Felicitas gebar, binden, völlig binden’ (dfx 11.1.1⁄25). Analog wird auch der Prohibitivus (NE + Konj. Perf.) durch die Verbindung NON + Konj. Präs. ersetzt: 133 non illi permittas ‘erlaube ihm nicht’ (z.B. dfx 3.2⁄37). II.5.3.2 Der Modusgebrauch im Nebensatz: die Formen auf -erit 1. Der Modusgebrauch in den Nebensätzen entspricht den Regeln der klassischen Syntax: 134 Die rekurrenten Konsekutivbzw. Finalsätze weisen, in Abhängigkeit von einem Haupttempus, den Konjunktiv Präsens auf. Durch Modusassimilation erscheint der Konjunktiv auch in ursprünglich indikativischen Nebensätzen (z.B. in reinen Temporalsätzen), die einem konjunktivischen Satz (z.B. Coni. Imp.) untergeordnet werden; bei gleichbzw. nachzeitigem Zeitverhältnis stehen Matrix- und Nebensatz im Konjunktiv Präsens: 135 neque somnu‹m› videat done c a‹d=T› me veniat ‘und sie soll keinen Schlaf sehen, bis sie zu mir kommt’ (dfx 11.2.1⁄3); ut sa‹n›guin‹em›(! ) suum mittat usque diem quo moriatur ‘damit er sein Blut lasse, bis zu dem Tag, an dem er stirbt’ (dfx 3.19⁄3). 2. Auffällig und bestimmten wiederkehrenden Satzmustern geschuldet ist die hohe Frequenz von Verbformen auf -erit; hierbei handelt es sich um das Futurum exactum und den (formal identischen) Konjunktiv Perfekt, die zur Bezeichnung der Vorzeitigkeit dienen. 136 a. In Bezug auf die Zukunft erscheint das Futurum exactum, bzw. in konjunktivischem Umfeld, der (formal identische) Konjunktiv Perfekt, der mangels entsprechender Zeitform den Konjunktiv des Futu- von habeat abhängiger Satzteil. Anders Adams (1992, 9), der den Ausdruck in Abl. abs. und einen neuen Satz mit Prädikat habeat (als Vollverb) aufteilt; dabei ist HABE- RE als Terminus der Gladiatorensprache im Sinne von ‘tödlich getroffen’ zu verstehen. 132 Vgl. Menge 2000, 161. Zum Jussiv der 2. Ps. vgl. auch Hofmann/ Szantyr 1965, 335f. 133 Vgl. hierzu z.B. Hofmann/ ebd., 337. 134 Vgl. z.B. Menge 2000, 626-654. Speziell zur Verwendung der Modi im ‘Vulgär’- und Spätlateinischen vgl. auch Calboli 2003 (mit weiterer Literatur). 135 Zur Verwendung des Konj. Präs. zur Bezeichnung der Nachzeitigkeit vgl. z.B. Menge 2000, 642f. 136 Zum Zusammenfall von Konj. Perf. und Fut. II vgl. z.B. Hofmann/ Szantyr 1965, 323f.; 661f. Beide Tempora werden in den romanischen Sprachen durch periphrastische Bildungen ersetzt: Konj. Perf. durch habeam + PPP, Fut. exact. durch habere habeo + PPP. Dies ist möglicherweise nicht nur auf ihre komplexe Morphologie, sondern auch auf ihre Multifunktionalität und Mehrdeutigkeit zurückzuführen. 286 rum exactum ersetzt: 137 ut F[r]onto fiat mutus ‹c=Q›[um] access e r[it] consular/ [e]m ‘daß Fronto verstumme, wenn er an den Konsular herangetreten sein wird’ (dfx 5.1.2⁄1); diese Syntax ist auch typisch für die konditional formulierten ‘Löseklauseln’ (s. auch A: IV.3.3.5): nec illis [p]ermittas sanit[atem] […] n‹i=E›s{s}i hanc rem [meam] ad fanum tuum [at]tulerint ‘du sollst ihnen keine Gesundheit gewähren […], außer wenn sie diese meine Sache zu deinem Tempel zurückgebracht haben werden’ (dfx 3.18⁄1). Ein Sonderfall sind die parallel zur Tatbestandsfeststellung der ‘kasuistischen’ Fluchformeln formulierten defixiones: 138 […] quisquis contra Rubrium fratrem […] contrave nerit […], defe ro ad inferos ‘[…] wer auch immer gegen meinen Bruder Rubrius […] entgegentreten wird […], sende ich zu den Unterirdischen hinab’ (dfx 5.1.4⁄5). b. In Bezug auf die Gegenwart erscheint in konjunktivischem Umfeld der Konjunktiv Perfekt, meist in (verallgemeinernden) Relativsätzen: ut sanguinem suum(! ) ep‹o=U›tes qui mihi hoc i‹r=N›rogaverit ‘ damit du dessen Blut austrinkst, der mir dies auferlegt hat’ (dfx 3.2⁄77); ebenso kann das vorzeitige Verhältnis zur Gegenwart indikativisch ausgedrückt sein, in Relativsätzen oder in bedeutungsidentischen Konditionalsätzen: 139 eum latr[on]em(! ! ) qui rem ipsam involavi[t] deus [i]nvenia[t] ‘ denjenigen Dieb, der mir eben diese Sache gestohlen hat, soll der Gott finden’ (dfx 3.2⁄36); si ‹qu=CU›‹i›s vomerem Civili s involavit ut an[imam] su{u}a‹m› in templo deponat ‘ wenn einer den Pflug des Civilis gestohlen hat, daß er seine Seele im Tempel ablege’ (dfx 3.2⁄23); die Gleichsetzung von Konjunktiv und Indikativ Perfekt manifestiert sich an ihrer unmittelbaren Beiordnung: 140 ut sanguine et l‹u=I›minibus et omnibus membris configatur […] is qui an‹e=I›l‹l›um involavit vel qui medius fuerit ‘damit derjenige mit seinem Blut, seinem Augenlicht und all seinen Glieder durchbohrt werde […], der meinen Ring gestohlen hat oder darin verwickelt gewesen ist’ (dfx 3.2⁄76); ebenso in der Verwendung des Konjunktivs statt des Indikativs Perfekt, in Abhängigkeit von einem indikativischen Satz: 141 exec- 137 Zur Modusattraktion ohne innerliche Abhängigkeit vgl. z.B. Menge 2000, 628-630. Sie findet sich häufig bei Relativsätzen. 138 Z.B. in Grabschutzflüchen (CIL 14, 1872): Quicumque violaverit aut inmutaverit, sentiat iratos semper sibi ‘ Wer auch immer [das Grab] schändet oder verrückt, soll [die Götter] immer gegen sich erzürnt fühlen’ (s. auch A: III.4.3.2). 139 Vgl. hierzu insbesondere Wieacker 1956, bes. 487-489; Tomlin 1988, 70. 140 Zur parallelen Verwendung von Ind. und Konj. Perf. bzw. Fut. II in den ‘Gebeten für Gerechtigkeit’ aus Bath vgl. Tomlin 1988, 69f. 141 Anders Tomlin (1988, 235), der dies als Fut. II deutet, zuvor aber einschränkend feststellt: „Yet it is illogical that a future tense should be used of a crime that has already taken place“ (70). Tatsächlich setzt sich in den romanischen Sprachen der Gebrauch des Konjunktivs in verallgemeinernden Relativsätze durch. Vgl. hierzu z.B. Hofmann/ Szantyr 1965, 562. 287 ro(! ) ‹eum› qui involaverit […] ‘ich verwünsche denjenigen, der […] gestohlen hat’ (dfx 3.2⁄78). II.6 Wortschatz II.6.1 ‘Konservative’ Elemente Neben verschiedenen Neuerungen sind bis in die Texte aus dem 3. Jh. Elemente aus dem klassischen Wortschatz nachweisbar, die sich in den späteren Sprachstufen nicht systematisch fortsetzen werden. 142 II.6.1.1 Verben 1. COGERE ‘zwingen’: cogens daemon coge illa‹m› (dfx 11.1.1⁄16); OBLI- GARE findet sich hingegen nur im wörtlichen Sinne von ‘festbinden’, ‘befestigen’. 2. EMERE ‘kaufen’, nur präfigiert: red‹i=E›mat(! ! ) ‘frei’-, ‘loskaufen’ (dfx 3.2⁄78), Alternativlexeme wie COMPARARE sind nicht belegbar. 3. FERRE ‘tragen’, ‘bringen’: feratur (dfx 11.2.1⁄8); 143 insbesondere präfigiert: defe ro (z.B. dfx 5.1.4⁄2); perf erat (z.B. dfx 3.15⁄1); Perfektformen, mit morphologischen Varianten: attul[e]rit (dfx 3.22⁄3). Konkurrierendes PORTARE oder TRAHERE erscheinen nie. 4. IRE ‘gehen’, nur ein Mal als Infinitiv (dfx 11.1.1⁄36); Präfixableitungen sind ebenfalls vereinzelt belegbar: exire (dfx 11.1.1⁄23); redeat (dfx 11.1.1⁄8); 144 tra‹n›s{s}is (dfx 11.1.1⁄25). Auf einem späteren Täfelchen erscheint gleichbedeutend mit IRE auch AMBULARE (dfx 3.23⁄1). 5. LOQUI ‘sprechen’ erscheint in Präsens- und Perfektformen: loq‹u›it(! ) (dfx 7.1⁄1); locutus fu[erit(! )] (dfx 11.1.1⁄11). 6. (CON)QUERI‘ (be)klagen’ ist frequent, besonders in ‘Klageformeln’, und weist keine Alternativlexeme auf (s. auch A: IV.4.1.3): queritur (dfx 3.22⁄2). 7. Ein Mal erscheint SCIRE ‘wissen’: certum sciu[n]t (dfx 3.23⁄1); SAPERE ist nicht nachweisbar. 142 Zum Lexikon vgl. einführend Väänänen 1981, 75-98; Herman 2000, 95-108. Zu Bedeutungswandel und Wortbildung vgl. auch Stefenelli 1992; Stotz 2000 (Bd. 2), 3-228; 231-482. 143 Im Original ins griechische Alphabet transliteriert. 144 Diese Textstelle ist recht fragmentarisch. 288 II.6.1.2 Nomina 1. CAPUT ‘Kopf’ (z.B. dfx 1.5.5⁄1) ist auch in nachklassischer Zeit ohne semantisches Äquivalent belegt. 2. Die gängige Bezeichnung für ‘Pferd’ ist EQUUS, CABALLUS begegnet nur im Desubstantivum CABALLARIS ‘Pferdedecke’. 3. MAGNUS ‘groß’ wird nicht durch GRANDIS ersetzt, allerdings ist es immer in Bezug auf numinose Mächte verwendet und entstammt möglicherweise festgefügten Formulartexten: magnus daemon (dfx 11.1.1⁄16). 4. IOCUR ‘Leber’ (z.B. dfx 1.4.1⁄1) hält sich ohne konkurrierendes Lexem. 5. MULIER und FEMINA ‘Frau’ werden semantisch äquivalent gebraucht, besonders in sogenannten ‘all-inclusive-formulas’: utrum vir [u]trum mulie r (dfx 3.2⁄77); si vir si femina (dfx 3.2⁄2); DOMINA ist, analog zum männlichen Pendant DOMINUS, der Anrede von Gottheiten vorbehalten: dom‹i›na Isis ‘Herrin Isis’ (dfx 4.1.3⁄16); UXOR bezeichnet hingegen regelmäßig die verheiratete Frau: Eutychiam Soterichi uxorem (1.4.4⁄2). 6. OMNIS ‘jeder’ ist als Pronomen und Begleiter ohne Konkurrenzlexem nachweisbar: omnes per[da]tis (dfx 7.1⁄1); mem‹b›ra omnia (dfx 1.4.2⁄2). 7. OS ‘der Mund’ findet sich regelmäßig (bis ca. 2. Jh.) belegt (z.B. dfx 7.2⁄1); BUCCA ist ebenfalls nachweisbar (bis 1. Jh.), stets als Pluralform und mit der Bedeutung ‘Wangen’ (z.B. dfx 1.4.1⁄1). 8. PECUNIA wird als Überbegriff ‘Geld’ (z.B. dfx 3.12⁄1) verwendet, verschiedene Währungseinheiten behalten ihre differenzierte Bedeutung bei. 145 DENARIUS ‘Denar’ (z.B. dfx 3.22⁄34); SOLIDUS ‘Goldmünze’ (dfx 3.11⁄1); ARGENTEUS ‘Silbermünze’ (dfx 3.2⁄77) bzw. häufiger AR- GENTEOLUS ‘Silberling’ (z.B. dfx 3.11⁄1). 9. RES ‘Sache’ erscheint regelmäßig, trotz des geringen Lautkörpers, vom 2. Jh. v. bis 3./ 4. Jh. n. Chr. (z.B. dfx 1.5.4⁄1; dfx 3.2⁄24); ein Mal ist SPE- CIES synonymisch verwendet. 10. VIS ‘Kraft’ hält sich in verschiedenen Flexionsformen ohne konkurrierendes Lexem: vim (dfx 5.1.4⁄7); viribus (dfx 11.1.1⁄26). 11. VIR ‘Mann’ tritt gegenüber HOMO ‘Mensch’ nicht zurück: viro (dfx 1.4.4⁄8); viris (dfx 8.4⁄1); es begegnet häufig in formelhaften ‘allinclusive-formulas’: si vir si femina si servus si liber ‘ob Mann oder Frau, ob Sklave oder Freier’ (dfx 3.22⁄3); in einem Fall wird im selben Textumfeld HOMO gleichbedeutend mit VIR verwendet: si mulier siv e [ho]mo (dfx 2.2.4⁄1). Alternativ erscheinen germanisches BARO und die Diminutivform MASCEL. 145 Vgl. hierzu z.B. auch Tomlin 1988, 118f., Nr. 8. 289 II.6.2 Lexikalischer Ersatz Viele neue Lexeme besitzen den Vorteil der Wortfülle, der Expressivität und bisweilen der formalen Regelmäßigkeit. 146 Ferner zeichnen sich die lexikalischen Äquivalente durch höhere „Affektsensitivität“ 147 und größere Eindeutigkeit aus. Verschiedene klassische Lexeme werden von Alternativen regelmäßig flankiert oder ganz ersetzt. II.6.2.1 Verben 1. Anstelle von DARE (klt. ‘geben’) findet sich häufig auch DONARE ‘schenken’: dono (dfx 3.17⁄1); donatur (dfx 3.19⁄1), allerdings nahezu ausnahmslos auf Britannien beschränkt; der Nebensinn ‘weihen’ ist nicht auszuschließen. 148 2. EDERE (klt. ‘essen’) erscheint nie, an seine Stelle treten MANDUCARE (z.B. dfx 3.22⁄29) und ein Mal die Präfixbildung EXCOMEDERE im Sinne von ‘völlig verzehren’. 3. FURARI (klt. ‘stehlen’) wird häufig ersetzt: 149 regelmäßig durch INVO- LARE (z.B. dfx 2.3.1⁄1), in einem Fall auch nicht präfigiert: ‹v=B›olaverunt (dfx 4.3.2⁄1); 150 vereinzelt erscheinen auch LEVARE ‘wegnehmen’ (z.B. dfx 3.2⁄36) und COMPILARE ‘rauben’ (z.B. dfx 2.3.2⁄1); ein Mal ferner CIRCUMVENIRE ‘mitgehen lassen’ (dfx 3.22⁄3) sowie EVEHERE ‘fortschaffen’ (dfx 3.7⁄1). 151 Verschiedene Verben werden mit ‘neuer’ Semantik als Passiv zu FURARI verwendet: DECIPERE; PERDERE; AMITTERE; PECULARE. 4. Dem Verb INTERFICERE (klt. ‘töten’) werden regelmäßig OCCIDERE (z.B. dfx 1.4.3⁄2) und präfigierte Formen wie PEROCCIDERE beigestellt. 5. ULCISCI ‘(klt. bestrafen’, ‘rächen’) begegnet in den ‘Fluchtafeln’ nie, allein das Nomen actionis ULTIO wird einmal verwendet (dfx 3.22⁄36); als Ersatzlexem findet sich regelmäßig VINDICARE (z.B. dfx 5.1.3⁄1) sowie das entsprechende Deverbativum VINDICTA ‘Rache’ (dfx 1.7.6⁄1). 146 Zu den „vitalitätsgeschichtlich relevanten Einzelfaktoren“ vgl. Stefenelli 1992, 39-83 (Zitat S. 39) (mit zahlreichen protoromanischen Beispielen). 147 Stefenelli 1992, 51. 148 Vgl. hierzu z.B. Tomlin 1988, 63; 70; Stotz 2000 (Bd. 2), 64. 149 Zu den Ausdrücken für ‘stehlen’ vgl. auch Petersmann 2003, 288f. 150 Zu INVOLARE vgl. Väänänen 1981, 77; Tomlin 1988, 64. 151 Zur Bedeutung von CIRCUMVENIRE vgl. Souter 1949, 53 (circumventio ‘fraud’, ‘deception’). 290 II.6.2.2 Nomina 1. Statt FUR (klt. ‘Dieb’) (z.B. dfx 3.11⁄1) findet sich in einem Fall LATRO (dfx 3.2⁄36). 152 2. Synonym zu HOMO (klt. ‘Mensch’) erscheint ein Mal PERSONA (dfx 4.3.1⁄1). 153 3. Statt OS (klt. ‘Mund’) findet sich ROSTRUM ‘Schnabel’ (dfx 3.2⁄54); den Ersatz dürfte die durch die Übertragung von tierischer auf menschliche Anatomie bewirkte negative Konnotation motiviert haben. 4. Synonym zu PECUNIA (klt. ‘Geld’) wird ein Mal das substantivierte PPP PERCUSSUM ‘geprägtes (Geld)’ (dfx 3.18⁄1) verwendet. 5. Ein Mal und spät erscheint für RES (klt. ‘Sache’) der Plural SPECIES (dfx 3.2⁄24). 154 6. In einem Fall begegnet die Bezeichnung eines Wochentages: ‹di= z i›i e Mercuri‹i›(! ) (dfx 11.1.1⁄28). II.6.3 Semantische Neuerungen Neben dem lexikalischen Ersatz lassen sich auch Bedeutungsveränderungen ‘alter’ Lexeme nachweisen. 155 II.6.3.1 Verben 1. ADESSE (klt. ‘dasein’) rückt in die Nähe eines Verbums der Bewegung: uti adsin‹t› ad Plutonem ‘daß sie zu Pluto gehen sollen’ (dfx 4.3.1⁄1). 156 2. DIMITTERE wandelt sich von ‘fortschicken’, ‘freilassen’ zu ‘gewähren’, ‘vergeben’ (dfx 3.5⁄1). 157 3. Das transitive Verb FRANGERE (klt. ‘zerbrechen’) weist die reflexive Bedeutung ‘zerschellen’ (wie med.-pass. FRANGI) auf: 158 cadant frangant(! ) ‘sie sollen fallen, zerschellen’ (z.B. dfx 11.2.1⁄14) (s. auch PERDE- RE). 152 Vgl. z.B. Adams 1992, 21. 153 Tatsächlich erweitert sich die Grundbedeutung von PERSONA ‘Maske (eines Schauspielers)’ durch metonymischen Gebrauch, indem sie sich einerseits auf den Schauspieler, andererseits auf die gespielte Figur bezieht und sich schließlich zu ‘Charakter’ oder ‘Persönlichkeit’ eines Menschen verallgemeinert. Vgl. Rheinfelder 1928. 154 Vgl. hierzu Souter 1949, 383 (species ‘objects’, ‘goods’); Adams 1992, 19. 155 Vgl. hierzu z.B. Stefenelli 1992, 160-178. 156 Vgl. hierzu z.B. Väänänen 1981, 112; Petersmann 2002/ 2003. 157 Vgl. hierzu z.B. Adams 1992, 18. Zu DIMITTERE vgl. Stefenelli 1992, 174, Anm. 195. 158 Vgl. hierzu z.B. Hofmann/ Szantyr 1965, 295. 291 4. MEDIUS ESSE wird idiomatisch im Sinne von ‘(in ein Verbrechen) verwickelt sein’ gebraucht (z.B. dfx 3.2⁄76). 159 5. PECULARE ‘veruntreuen’ (statt klt. PECULARI) wird in der Bedeutung ‘stehlen’ (wie FURARI) gebraucht (z.B. dfx 3.18⁄1). 6. PERDERE ‘verlieren’; ‘zugrunde richten’ wird verwendet: a. im Sinne von PERIRE (klt. ‘zugrunde gehen’): 160 male perdat(! ) ‘schlimm soll sie zugrunde gehen’ (dfx. 1.4.4⁄10). b. als Passiversatz für FURARI ‘stehlen’ (z.B. dfx 3.15⁄1); dies gilt auch für AMITTERE (klt. ‘verlieren’) (z.B. dfx 3.22⁄3). 161 II.6.3.2 Das semantische Spektrum der mit depräfigierten Verben Bei den mit DEpräfigierten Verben kann aus der Neuinterpretation der einzelnen Wortbildungselemente ein semantischer Wandel resultieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei die separative Bedeutung des Präverbs, die neben der Trennung auch die Bewegung nach unten implizieren kann. 1. DESUMERE (klt. ‘auf sich nehmen’) weist zwei neue Bedeutungen auf: a. synonym zu CONSUMERE ‘auf’-, ‘wegzehren’ (dfx 11.1.1⁄25). b. im Sinne von ‘(mit sich) hinabnehmen’ verwendet (dfx 5.1.4⁄5). 2. DECIPERE (klt. ‘enttäuschen’) (und seine Wortfamilie) wird ein Mal als DE- und CAPERE ‘weg-nehmen’ gedeutet und fungiert als Passiv von FURARI ‘stehlen’ (dfx 3.11⁄1). 162 3. DEMANDARE (klt. ‘auftragen’, ‘anvertrauen’) wird ebenfalls mit verschiedenen Bedeutungen verwendet: a. ‘(in die Tiefe/ Unterwelt) überantworten’ (z.B. dfx 1.1.1⁄1), syntaktisch parallel zu DEVOVERE ‘(hinab)weihen’ und dem Neologismus DESACRIFICARE. b. mit der ‘romanischen’ Bedeutung ‘bitten’, ‘wünschen’: adiuro t e d‹ae=E›mon […] et demando(! ! ) tibi […] ut ‘ich beschwöre dich Dämon […] und bitte dich […], daß’ (dfx 11.2.1⁄22); 163 die klassischen Lexeme ROGARE oder PRECARI bleiben jedoch präsent, besonders in expliziter Verwendung: rogo (dfx 2.3.2⁄1); precor (dfx 11.2.1⁄10). 159 Vgl. den Kommentar von Tomlin 1988, 230f., Nr. 97; Adams 1992, 8f. 160 Zu dieser „Intransivierung“ vgl. Stotz 1998 (Bd. 4), 348. PERIRE ist der Passiversatz für PERDERE, vgl. hierzu Menge 2000, 172. 161 Zu PERDERE im Sinne von ‘(durch Diebstahl) verlieren’ vgl. Adams 1992, 3; ebenso den Kommentar von Tomlin (1993, 313). 162 Vgl. hierzu auch den Kommentar von Tomlin (1997, 457). 163 Vgl. hierzu auch Jeanneret 1918, 126; Souter 1949, 94 (demandatio ‘order’); Stefenelli 1992, 123; 164. Die semantische Spannweite von DEMANDARE ist dabei möglicherweise auf den Einfluß des Simplex MANDARE zurückzuführen, das beide Bedeutungen ‘überantworten’ und ‘auftragen’ aufweist. 292 4. Die Verba defigendi wie DELIGARE ‘festbinden’ bzw. DEFIGERE ‘festheften’ werden sowohl im konkreten Sinne als auch abstrakt verwendet: 164 a. Bei der Erweiterung um eine Ziel- und Richtungsangabe kommt die durch das Präverb DE- ‘hinab’ ausgedrückte Bewegung nach unten, d.h. zu den Gottheiten der Unterwelt, zum Tragen; damit wandelt sich die Verbsemantik zu ‘hinabbinden zu’ bzw. ‘hinabheften zu’, das wiederum einem ‘(in die Tiefe) übergeben’ entspricht. In diesem Sinne finden sich die Verben auch in ‘Übergabeformeln’: tibi san‹c›t‹ae› Dia‹nae=E›(? ) defigo [Ro]danum ‘[…] dir, heilige Diana, hefte (= überantworte) ich Rodanus (hinab)’ (dfx 4.1.3⁄15). Die Semantik dieser Verben wird folglich durch ihren Gebrauch im rituellen Kontext neu konstituiert. b. DEFIGERE wird bisweilen im Sinne von ‘verwünschen’ verwendet, besonders in periphrastischen Passivkonstruktionen (PPP + ESSE): Paulina […] defi‹x=CS›a sit ‘Paulina soll […] durchbohrt (= verwünscht) sein’ (dfx 8.4⁄1). II.6.3.3 Nomina 1. DEVOTIO (klt. ‘Aufopferung’, ‘Weihe’), wird im konkreten Sinne von ‘Weihgeschenk’ (dfx 3.22⁄2) verwendet. 165 2. GENS weist zweimalig nicht die klassische Bedeutung ‘(Volks)Stamm’ auf: einmal antithetisch zu CHRISTIANUS und damit im Sinne von ‘Heide’: 166 seu gens(! ! ) seu Ch‹r›istianus ‘ob Heide oder Christ’ (dfx 3.2⁄77); einmal ist keine sichere semantische Interpretation möglich (dfx 5.1.3⁄1). 3. HOSPITIUM (klt. ‘Herberge’) und die zugehörigen Diminutivformen erscheinen in der Bedeutung von ‘Haus’, besonders in späteren Texten aus Britannien: 167 hos{i}pitio(! ! ) (dfx 3.2⁄78); hospitiolo(! ! ) (dfx. 3.18⁄1); das klassische DOMUS ‘Haus’ ist hingegen nur selten belegt (z.B. dfx 3.1⁄1). 4. Ein einziges Mal begegnet LATRO (klt. ‘Mietsoldat’; ‘Wegelagerer’) in der ‘romanischen’ Bedeutung ‘Dieb’ (dfx 3.2⁄36). 5. Das Substantiv ORBITAS (zu ORBUS ‘beraubt’) wird als Synonym zu CAECITAS ‘Blindheit’ verwendet: caecitatem orbitatemque (dfx 3.2⁄37). 168 164 Allgemein zur „gehaltliche[n] Übertragung vom konkreten in den abstrakten Bereich“ vgl. Stefenelli 1992, 172-174 (Zitat S. 172) (mit zahlreichen Beispielen). 165 Vgl. Souter 1949, 100 (‘tribute’); s. auch A: II.3.1. 166 Vgl. hierzu Souter 1949, 160 (gens pl. ‘pagans’); Adams 1992, 10-12. 167 Vgl. z.B. Väänänen 1981, 114; Adams 1992, 5. 168 Vgl. hierzu z.B. Souter 1949, 279 (orbatio ‘blindness’); Adams 1992, 2. 293 6. PAGANUS ‘Bewohner eines Gaues’ (denominal von PAGUS ‘Gau’) wird antithetisch zu MILES ‘Soldat’ und damit im Sinne von ‘Zivilist’ verwendet (dfx 3.5⁄1). 169 II.6.4 Formale Neuerungen In den defixiones sind verschiedene Wortbildungen nachweisbar, die nicht dem klassischen Wortschatz entstammen. Dabei handelt es sich sich mehrheitlich um Derivate wie präfigierte Verben oder Diminutive sowie Ableitungen von Adjektiven oder Nomina. 170 II.6.4.1 Affixlose Bildungen Eine affixlose Bildung stellt das ein Mal belegbare Verb PLAGARE ‘schlagen’ (dfx 11.1.1⁄23) dar, das sich von PLAGA ‘Schlag’ ableitet; 171 ebenso SANGUINARE ‘bluten’ (dfx 11.1.1⁄27), denominal von SANGUIS ‘Blut’ gebildet. II.6.4.2 Präfixbildungen Bei den neuen Präfixformen handelt es sich ausnahmslos um deverbal gebildete Verben oder Verbalformen. 1. Vielfach wird durch Präfigierung keine Bedeutungsveränderung gegenüber dem Simplex erreicht: 172 escam accipe re ‘Essen zu sich nehmen’ (dfx 11.2.1⁄4) statt des einfachen CAPERE; bisweilen wird die Semantik des Basislexems intensiviert, wie sich an den rekurrenten ‘Synonymenhäufungen belegen läßt: a‹b=P›sumatis desumatis(! ! ) consu[m]at[i]s ‘aufzehren, wegzehren, verzehren sollt ihr’ (dfx 11.1.1⁄25); tere contere ‘ reibe auf, reibe völlig auf’ (dfx 1.4.4⁄4) (s. auch A: IV.4.2.2). 2. Besonders produktiv ist das Präverb DE-: a. in separativem Sinn: DEPANARE ‘zerfetzen’ (z.B. dfx 11.1.1⁄28). b. intensivierend: DETABESCERE ‘hinschwinden’, ‘völlig vergehen’‘ 173 (dfx 1.4.4⁄13); DEVINDICARE ‘(völlig) rächen‘ 174 (dfx 3.2⁄57). 169 Vgl. auch Souter 1949, 282 (‘civil’); ebenso den Kommentar von Tomlin (1994, 297). 170 Vgl. hierzu einführend z.B. Leumann 1977, 257-271; Väänänen 1981, 73-98; Herman 2000, 97-107. Zu dieser Entwicklung des lateinischen Wortschatzes vgl. auch Stefenelli 1992, 179-191 (mit zahlreichen protoromanischen Beispielen). Zu den romanischen Wortbildungsverfahren vgl. auch Lüdtke 2005, speziell zur französischen Wortbildung auch Nyrop 1908; Meyer-Lübke 1966. 171 Vgl. hierzu Stefenelli 1992, 186; Lüdtke 2005, 138f. 172 Vgl. hierzu z.B. Väänänen 1981, 95f. 173 Vgl. Souter 1949, 99 (‘waste away altogether’). 174 Vgl. ebd., 100 (‘avenge’). 294 c. mit der Bedeutung ‘hinab’, ‘in die Tiefe’, besonders für die sogenannten Verba defigendi: DESACRIFICARE ‘hinabopfern’ (dfx 1.1.1⁄1). 3. Ebenso produktiv ist das bedeutungsverstärkende Präfix PER- ‘danz und gar’, ‘völlig’: 175 PEROCCIDERE ‘ganz und gar töten’ (dfx 1.4.4⁄4); PEROBLIGARE ‘völlig zubinden’ (z.B. dfx 11.1.1⁄35); PEREXIGERE ‘völlig einfordern’ (dfx 3.2⁄77). 4. Mit den als Präfix fungierenden Adverbien SUPRA ‘oberhalb’ bzw. INFRA ‘unterhalb’ und den Verben SCRIBERE ‘schreiben’ bzw. DICE- RE ‘sagen’ werden mehrfach Partizipialadjektive gebildet, die als ‘metasprachliche Determinanten’ fungieren (z.B. dfx 3.22⁄3); 176 ein einziges Mal finden sich beide Wortbildungselemente selbständig verwendet: a‹l=D›ligate lingu[a]s horum quos supra scrip si ‘bindet die Zungen jener fest, die ich oben aufgeschrieben habe’ (dfx 11.1.1⁄4). 5. Viele deverbale Präfixbildungen stellen ‘rekomponierte’ Neuableitungen dar (Präfix + Simplex, ohne Ablaut): 177 DEPREMERE ‘unterdrücken’ (z.B. dfx 1.7.2⁄1); DISFRANGERE ‘auseinanderbrechen’ (z.B. dfx 11.2.1⁄12); DECADERE ‘hinab’-, ‘verfallen’ (dfx 4.4.1⁄1); REDEMERE ‘los’-, ‘freikaufen’ (z.B. dfx 3.2⁄78); INTEREMERE ‘beseitigen’ (dfx 1.1.1⁄1); COMMANDARE ‘übergeben’ (dfx 1.4.4⁄15); DETENERE ‘festhalten’ (z.B. dfx 11.1.1⁄19). 6. Doppelte Präfigierungen sind insbesondere mit zweifachem PER oder EX + COM (mit intensivierendem Sinn) nachweisbar; gebildet werden Partizipialadjektive: 178 perpe rv ersus(! ! ) ‘ganz und gar vernichtet’ (dfx 11.1.1⁄25); perpe r[c]ussi(! ! ) ‘ganz und gar erschüttert’ (dfx 11.1.1⁄9); excomesis(! ! ) ‘ganz und gar verzehrt’ (dfx 3.2⁄76); [e]xcon‹f›i‹x=C[T›u]s(! ! ) ‘ganz und gar durchbohrt’ (dfx 3.2⁄36). II.6.4.3 Suffixbildungen: Verben Belegbar sind Frequentativ- und Intensivformen nach dem regelmäßigen Paradigma der 1. Konjugation; sie sind selten, erscheinen aber bereits in frühen Texten anstelle des entsprechenden Grundwortes: ADIUTARE ‘helfen’ (dfx 1.4.4⁄8 - 1.4.4⁄12); das klassische Äquivalent erscheint in Form des PPA adiuvantibus (dfx 11.2.1⁄4). Nicht klar einzuordnen ist die Verbform tradito (dfx 1.7.2⁄1), die als Imp. Fut. wie auch als 1. Ps. Sg. Ind. Präs. 175 Vgl. hierzu Leumann 1977, 401; Adams 1992, 18. 176 Vgl. hierzu Hofmann/ Szantyr 1965, 187; Lüdtke 2005, 378f. Zu den ‘metasprachlichen Determinanten’ s. auch B: II.4.3.2. 177 Zu Rekomposition und Vokalwiederherstellung vgl. z.B. Nyrop 1908, 208f.; Leumann 1977, 79; Väänänen 1981, 96. 178 Zur Doppelpräfigierung im Vulgärlateinischen vgl. z.B. Panagl 1999, 53f. 295 Akt. des Intensivums TRADITARE (zu TRADERE ‘überantworten’) verstanden werden kann. 179 II.6.4.4 Suffixbildungen: Nomina Mit nachfolgenden Suffixen gebildet erscheinen verschiedene Substantive und Adjektive, die nicht dem klassischen Wortschatz zuzurechnen sind: 1. Auf -ALIS bzw. -ALE finden sich: a. das ein Mal belegbare Zugehörigkeitsadjektiv SPIRITALIS (dfx 11.1.1⁄28), möglicherweise eine denominal von SPIRITUS ‘(böser) Geist’ abgeleitete Analogiebildung zu INFERNALIS ‘zur Unterwelt gehörig’. 180 b. deadjektival gebildete Adjektive im Neutrum (-ALE), die substantiviert verwendet werden: DEXTRALE ‘Armband’ (z.B. dfx 3.2⁄14) zu DEXTER ‘ rechts’; MINUTALIA ‘Kleinigkeiten’ 181 (dfx 3.24⁄1), als Kollektivabstraktum zu interpretierende Pluralform, die auf den Komparativ MINUS ‘weniger’, ‘geringer’ zurückgeht. 2. Mit -ARIS (ferndissimilierte Form von -ALIS) werden denominale Zugehörigkeitsadjektive gebildet: VINCULARIS ‘fesselnd’ (dfx 4.1.3⁄9), von dem Substantiv VINCULUM ‘Fessel’; analog abgeleitet und substantiviert: CAPITULARE ‘Kopfschmuck’ (z.B. dfx 3.7⁄1), von CAPUT ‘Kopf’; BALNEARIS ‘Badeanzug’ (z.B. dfx 3.2⁄24), von BALNEUM ‘Bad’; CABALLARIS ‘Pferdedecke’ 182 (z.B. dfx 3.2⁄41), von CABALLUS ‘Pferd’. 3. Auf -ARIUS finden sich: a. denominale Personenbezeichnungen (ursprünglich adjektivischer Natur), insbesondere Berufsbezeichnungen: INSTRUMENTARIUS (dfx 11.2.2⁄1) zu INSTRUMENTA ‘Gerätschaften’, mit unklarer Semantik mangels Anhaltspunkten im Text; 183 PRISTINARIUS (dfx 1.4.4⁄4), möglicherweise von PRISTIS ‘Seeungeheuer’ gebildet, begegnet als supernomen eines Wagenlenkers. 184 b. das Abstraktum EXEMPLARIA (dfx 2.2.1⁄1), statt des klassischen EXEMPLUM ‘Beispiel’, ‘Beweis’. 185 179 Vgl. hierzu García Ruiz 1968, 233. 180 Zu den anderen überwiegend christlichen Bedeutungen vgl. Souter 1949, 385. 181 MINUTALIA ist ein Mal bereits bei Petron 47,5 belegt, vgl. ThlL 8, 1045, 68f.; ebenso Souter 1949, 253 (minutalis ‘tiny’, ‘insignificant’). 182 Vgl. Souter 1949, 33 (caballaris ‘on horseback’); ebenso den Kommentar von Tomlin 1988, 195. 183 Zu den Bedeutungen von INSTRUMENTUM vgl. z.B. Forcellini 3, 550f. 184 Anders Wünsch (1898, 6), Jeanneret (1918, 88; 103) und Solin (1998, 79), die dahinter ein PISTRINARIUS ‘Stampfmühlenbesitzer’ vermuten. 185 Vgl. Souter 1949, 136 (exemplaria, -ae ‘example’). Etwas anders Versnel (1991, 92), der EXEMPLARIUM als ‘Warnung’ deutet. 296 4. Mit -ATA werden deverbal vom PPP Substantivabstrakta mit Kollektivbedeutung gebildet: COGITATA ‘Gedanken’ (z.B. dfx 3.14⁄1) zu CO- GITARE ‘denken’; REMANDATA (dfx 1.7.4⁄1) zu REMANDARE ‘erwidern’, dessen Bedeutung allerdings unklar ist. 186 5. Mit dem Zugehörigkeitssuffix -ICUS gebildet findet sich das Adjektiv PELAGICUS ‘zum Meere gehörig’ (z.B. dfx 11.2.1⁄22) zu PELAGUS ‘Meer’, das die latinisierte Form des griechischen pelagikÒw darstellt. 6. Das Suffix -(T)IO wird für deverbale Bildungen von Abstrakta verwendet: TORTIONES ‘Qualen’ (dfx 1.4.4⁄4) von TORQUERE ‘martern’; 187 OBRIPILATIONES (ebd.), Bedeutung ‘Fieberschauer’ und Etymologie sind umstritten. 188 7. -MEN und -MENTUM werden deverbal und denominal für die Bildung von Substantiven, meist Abstrakta oder Kollektiva, verwendet: LIN- TEAMEN ‘Leinenzeug’ (dfx 3.22⁄3) von LINTEUM ‘Leinentuch’, ‘Laken’; TUTAMENTUM ‘Schutzmittel’ von TUTARI ‘schützen’ (dfx 11.1.1⁄25). 189 8. Mit -ORIUM werden deverbale Adjektive mit instrumentalem Sinn gebildet: (OLEUM) LIBUTORIUM ‘Schutzöl der Gladiatoren’(? ) (dfx 11.1.1⁄25), möglicherweise zu DELIBUERE ‘mit einer fetten Feuchtigkeit benetzen’; 190 als substantiviertes Neutrum erscheint COMMONITORI- UM von COMMONERE ‘erinnern’ mit der Bedeutung ‘Klage’ (dfx 3.22⁄3). 191 9. Auf -OSUS endet das denominale Adjektiv MUSCLOSUS ‘muskelbepackt’ (dfx 4.2.1⁄1), das als cognomen verwendet wird. 10. Als ‘neues’ Abstraktum auf -TAS erscheint NERVITAS ‘Nervenkraft’(? ) (dfx 11.2.1⁄25) zu dem Substantiv NERVUS. 11. Suffixbildungen auf -TOR bzw. -SOR, deverbale Nomina agentis, erscheinen in den defixiones vornehmlich als ‘sprechende’ Pferdenamen: ANIMATOR ‘ Beleber’; DELUSOR ‘Spötter’; IMPULSATOR ‘Antreiber’; 186 Nach Solin (1998, 291) fügt sich remandata in der Bedeutung ‘Erwiderung’ (zu remandare ‘erwidern’, vgl. Souter 1949, 348) nicht in das Textumfeld ein, so daß demandata ‘von demandare ‘anvertrauen’ zu lesen wäre; ebenso denkbar ist auch eine ‘Rekomposition’ des Präfix re- und mandare im Sinne von ‘zurück-schicken’. 187 Vgl. hierzu Forcellini 6, 124; Souter 1949, 423 (‘gripes’). 188 So die Deutung von Wünsch (1898, 7) mit Verweis auf Du Cange. Jeanneret (1918, 112) bringt es hingegen mit HORRIPILATIONES ‘Angstträume’ (wörtl. das ‘Emporstehen der Haare’) in Verbindung (vgl. auch ThlL 6.3, 2996, 47-76). 189 Ein Mal bei Livius 21,61 belegt, vgl. Forcellini 4, 840. 190 Vgl. hierzu z.B. Wünsch 1900, 265. 191 COMMONITORIUM wird in den ‘Gebeten für Gerechtigkeit’ als Terminus technicus synonym zu PETITIO ‘Klage’ verwendet. Vgl. hierzu Souter 1949, 63 (commonitorium ‘petition’), s. auch A: II.3.1. 297 PERCUSSOR ‘Würger’ (z.B. dfx 11.2.1⁄21); ebenso: FUTUTOR ‘Beischläfer’ (dfx 4.1.2⁄1) bzw. weiblich FUTUTRIX (dfx 1.5.1⁄1). 12. Das Suffix -URA dient zur Bildung des Verbalabstraktums EXACTURA (dfx 3.2⁄8) von EXAGERE ‘eintreiben’, das statt des klassischen EXAC- TIO ‘Eintreibung’, ‘Einforderung’ verwendet wird. 192 II.6.4.5 Diminutiva Diminutivbildungen sind zahlreich, es finden sich folgende Diminutivsuffixe: 1. am häufigsten -ULUS und -ELLUS: AURICULAE ‘Ohren’ (z.B. dfx 1.4.4⁄9); OCELLUS ‘Auge’ (dfx 2.1.3⁄3) bzw. OCULUS (z.B. dfx 1.1.2⁄1) ; SAGELLUM ‘Mantel’ (dfx 3.2⁄25); frequent für Verkleinerungsformen von Tierbezeichnungen: URSELLUS ‘Bär’ (dfx 11.1.1⁄27); 193 CATELLUS ‘Hund’ bzw. ‘Hündchen’ (dfx 4.3.1⁄1); diese Tierbezeichnungen werden auch als Eigennamen verwendet: PORCELLUS ‘Schweinchen’ (z.B. dfx 1.1.2⁄1); AGNELLA ‘Lämmchen’ (dfx 1.4.4⁄13). Bisweilen finden sich auch Diminutivdubletten: ANULUS ‘Ring’ (dfx 3.22⁄4) vs. ANELLUS (dfx 3.15⁄1); als verkürzte Nebenform zum klassischen MASCULUS ‘männlich’ erscheint mehrmals MASCEL in der Bedeutung ‘Mann’ (z.B. dfx 3.11⁄1). 2. -EOLUS: ARGENTEOLUS ‘Silberling’ (z.B. dfx 3.11⁄1), Diminutivform von ARGENTEUS ‘silbern’, das selbst substantivisch als ‘Silbermünze’ (dfx 3.2⁄77) verwendet wird. 194 3. -INUS, insbesondere bei Eigennamen: SECUNDINA (dfx 4.4.1⁄1); VA- LENTINUS (dfx 5.1.2⁄2); CARINUS (dfx 3.13⁄1); ein Mal LIBERTINUS ‘Freigelassener’, Diminutivform zu LIBERTUS und antithetisch zu LI- BER ‘Freigeborener’ gebraucht: 195 si liber si libertinus ‘ob Freier oder Freigelassener’ (dfx 3.2⁄23). II.6.4.6 Parasynthetika Das Verb o‹b›mutua‹t›(! ! ) ‘zum Schweigen bringen’ (dfx 8.1⁄1) wird parasynthetisch aus dem Präfix OB-, dem Adjektiv MUTUS ‘stumm’ und der flexivischen Infinitivendung der 3. Konjugation gebildet, möglicherweise in Analogie zu OBMUTESCERE ‘verstummen’. 196 192 Vgl. hierzu z.B. Adams 1992, 14. 193 Im Original in griechischen Buchstaben transliteriert. 194 Vgl. hierzu auch Tomlin 1988, 118. 195 Vgl. Souter 1949, 231 (libertinitas ‘state of enfranchised person’). 196 Der Begriff ‘Parasynthetikum’ (so z.B. verwendet von Väänänen 1981, 96) ist hier insofern problematisch, als es sich nicht um ein Verbalsuffix, sondern um eine flexi- 298 II.6.4.7 Komposition Lexemkompositionen begegnen besonders in Form von Pferdenamen: MULTIVOLUS ‘Vielbegehrer’; AURICOMUS ‘Goldschweifiger’; DEXTROIUGUS ‘Rechtsspänner’, NOCTIVAGUS ‘Nachtschwärmer’ (z.B. dfx 11.2.1⁄12; dfx 11.2.1⁄9; dfx 11.2.1⁄22) (s.o.); Fügungen aus zwei Substantiven sind ebenfalls nachweisbar: die Berufsbezeichnung MULOMEDICUS ‘Maultierarzt’ (dfx 1.1.2⁄3) sowie das zweisprachige Hapax NECROCAN- TUS ‘Totengesang’ (dfx 4.4.1⁄1) aus dem griechischen Nomen nekrÒw ‘Toter’ und dem lateinischen CANTUS ‘Gesang’. II.6.4.8 Adverbbildungen 1. Adverbien auf -MENTE sind nicht nachweisbar; vielmehr kehren klassische Lexeme wieder: MALE ‘schlecht’ (z.B. dfx 3.22⁄32); VEHEMEN- TER ‘heftig’ (dfx 3.23⁄1), AMPLIUS ‘weiter’ (dfx 1.4.4⁄10); CELERRIME ‘sehr schnell’ (dfx 8.3⁄1); 197 FORTE ‘zufällig’ (dfx 1.4.4⁄4); PRIDIE ‘vortags’ (dfx 3.2⁄73); OMNINO ‘ganz und gar’ (dfx 11.1.1⁄25); ebenso CER- TUM ‘sicher’, als adverbial gebrauchtes Adjektiv (Akk. Sg. Ntr.) in der Fügung certum sciu[n]t ‘sie wissen sicher’ (dfx 3.23⁄1). 198 2. Mehrfach belegbar ist die Verbindung zwischen dem Ablativus mensurae QUANTO und dem Komparativ OCIUS zu dem ‘neuen’ Adverb QUANTOCIUS ‘schnellstmöglich’ (z.B. dfx 3.2⁄46); 199 ebenso wird QUOMODO, möglicherweise in Analogie zu den auf -I auslautenden Adverbien (UTI; -MODI), umgeformt: quomodi(! ! ) (4.3.1⁄1). II.6.4.9 Referenzlose Buchstabenkombinationen Verschiedentlich finden sich referenzlose Buchstabenkombinationen, beeinflußt von rekurrenten ‘Zauberworten’ (voce s magicae) (s. A: IV.2.3.2); sie können der sprachtypischen Phonetik angepaßt sein oder existente Lexeme aufnehmen: gallara precata egdarata (dfx 4.3.1⁄2); mut{u}os muturungallos(! ! ) mutulos(! ! ) (dfx 11.1.1⁄5). II.6.5 Fremdsprachliche Einflüsse Sprachkontaktphänomene sind nur vereinzelt faßbar: 1. Auf griechischen Einfluß gehen zurück: GYRARE ‘Runden drehen’ (z.B. dfx 11.2.1⁄9); BURSA ‘Beutel’, ‘Geldbeutel’ (dfx 3.2⁄77) statt klassisch vische Infinitivendung handelt. Anders der Ansatz von Lüdtke (2005, 154-156), der von der „Verbalisierung von Präposition + Adjektiv“ (154) spricht. 197 Die Form auf der Tafel lautet celeris‹s›im‹e›(! ) (s. B: II.4.4.2). 198 Vgl. hierzu z.B. Väänänen 1981, 157f. 199 Vgl. hierzu Souter 1949, 338 (‘the quicker the better’, ca. ab dem 4. Jh.). 299 SACCUS; DAEMON bzw. DAEMONIUM ‘Dämon’ (z.B. dfx 11.1.1⁄19); 200 ANGELUS ‘Engel’ (dfx 1.4.4⁄13). Ebenso die Neubildungen: INPODESARE ‘fesseln’, ‘hemmen’ (dfx 11.1.1⁄20) als direkte Übertragung des griechischen §mpod ! zein und synonym zu lateinisch IMPEDI- RE. 201 MAFORTIUM ‘Umhang’ als latinisiertes mafÒrtion ; 202 mischsprachiges NECROCANTUS ‘Totengesang’ (dfx 4.4.1⁄1) aus griechisch nekrÒw ‘Toter’ und lateinisch cantus ‘Gesang’. 2. Das möglicherweise germanische Wort BARO ist als semantisches Äquivalent zum klassischen VIR ‘Mann’ für Britannien regelmäßig in ‘all-inclusive-formulas’ nachweisbar (s. A: IV.4.2.4): si mulie r si baro(! ! ) ‘ob Frau oder Mann’ (dfx 3.2⁄36). 203 3. Keltische Einflüsse lassen sich nur bei Eigennamen nachweisen: TAS- GILLUS (dfx 4.3.1⁄1); SINTO (dfx 5.1.4⁄3). 200 Vgl. Souter 1949, 87 (daemonium ‘an evil spirit’). 201 Vgl. hierzu z.B. Palmer 2000, 74f.: „Das Fesseln und Entfesseln von Tierfüßen wurde mit impedire […] und expedire […], die beide zu pes ‘Fuß’ gehören, bezeichnet“. Anders Leumann (1977, 556), der IMPEDIRE von *PEDA ‘Fessel’ ableitet. 202 Vgl. Souter 1949, 238 (mafortium ‘cloak’). 203 Möglicherweise stammt es von dem germanischen Wort für ‘Träger’ ber (Akkusativ: berun, beron) ab und hat sich über die Bedeutung ‘starker Mann’ zu ‘Mann’, ‘Lehensmann’ entwickelt. Zu dem klassischen BARO, BARONIS ‘Tor’, ‘Tölpel’ dürfte keine Verwandtschaft bestehen. Vgl. hierzu z.B. Adams 1992, 15-17; Stotz 2002 (Bd. 1), 407f.; Petersmann 2003, 287f. C. ANHANG 303 I. Bibliographie I.1 Primärliteratur und Quellen Apuleius. Metamorphosen oder der goldene Esel. Lateinisch und deutsch von Rudolf Helm. Darmstadt 1956. Audollent, Auguste, Defixionum tabellae quotquot innotuerunt tam in graecis Orientis quam in totius Occidentis partibus praeter Atticas in Corpore Inscriptionum Atticarum editas. Paris 1904. C. Valerius Catullus. Sämtliche Gedichte. Übersetzt und herausgegeben von Michael von Albrecht. Stuttgart 2001. 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AE Année Épigraphique AJA American Journal of Archaeology AJPh American Journal of Philology AKB Archäologisches Korrespondenzblatt AMSI Atti e memorie della Società Istriana di Archeologia e Storia Patria AN Aquileia Nostra ANRW Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt AntAfr Antiquités africaines AntJ The Antiquaries Journal AO Der Alte Orient APF Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete APh Année Philologique ARW Archiv für Religionswissenschaft BCTH Bulletin archéologique du Comité des travaux historiques et scientifiques BJ Bonner Jahrbücher BRGK Bericht der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts BSAF Bulletin de la Société nationale des antiquaires de France CAG Carte Archéologique de la Gaule CIL Corpus Inscriptionum Latinarum CQ Classical Quarterly CRAI Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles Lettres DNP Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike DT Audollent, A., Defixionum tabellae … DTA Wünsch, R., Defixionum Tabellae Atticae … EDH Epigraphische Datenbank Heidelberg EphEp Ephemeris Epigraphica FBW Fundberichte aus Baden-Württemberg FÖ Fundberichte aus Österreich GmusJ The J. Paul Getty Museum Journal GRBS Greek, Roman and Byzantine Studies HAE Hispania Antiqua Epigraphica HDA Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 326 HE Hispania Epigraphica HrwG Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe HSK Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft IBR Inscriptiones Bavariae Romanae ID Inscriptions de Délos IG Inscriptiones Graecae ILER Inscripciones latinas de la España romana ILLRP Inscriptiones Latinae liberae rei publicae ILS Inscriptiones Latinae selectae IRC Inscriptions Romaines de Catalogne JbAltertumskunde Jahrbuch für Altertumskunde JbOÖM Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereins JNES Journal of Near Eastern studies JÖAI Jahreshefte des Österreichischen archäologischen Instituts JRS Journal of Roman Studies LAW Lexikon der Alten Welt LRL Lexikon der romanistischen Linguistik MEFRA Mélanges d’Archéologie et d’Histoire de l’École Française de Rome. Antiquité MMAP Memorias de los Museos Arqueológicos Provinciales MonAl Monumenti antichi, pubblicati dall'Accademia dei Lincei NSA Notizie degli scavi di antichità PGM Papyri Graecae Magicae PP Parola del Passato RAC Reallexikon für Antike und Christentum RACr Rivista di Archeologia Cristiana RAL Rendiconti della Classe di Scienze morali, storiche e filologiche dell’Accademia dei Lincei RAAN Rendiconti dell'Accademia di Archeologia, Lettere e Belle Arti di Napoli RE Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft REA Révue des études anciennes RFIC Rivista di filologia e di istruzione classica RGA Reallexikon der Germanischen Altertumskunde RHD Revue historique du droit français et étranger RhM Rheinisches Museum für Philologie RHR Revue de l’histoire des religions RIB Roman Inscriptions of Britain RIG Recueil des Inscriptions Gauloises RÖ Römisches Österreich RPh Revue de philologie, de littérature et d’histoire anciennes RSL Rivista di Studi Liguri SAAW Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie 327 der Wissenschaften in Wien. Phil.-hist. Klasse SDHI Studia et Documenta Historiae et Iuris SIFC Studi italiani di filologia classica SMSR Studi e materiali di storia delle religioni Suppl. It. Supplementa Italica Suppl. Mag. Supplementum Magicum ThlL Thesaurus linguae Latinae ThesCRA Thesaurus cultus et rituum antiquorum TRE Theologische Realenzyclopädie WS Wiener Studien ZfsL Zeitschrift für französische Sprache und Literatur ZPE Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik ZrP Zeitschrift für Romanische Philologie II. Abbildungen Gesamt v. Chr. 1.-2. Jh. n. Chr. 2./ 3.-3./ 4. Jh. n. Chr. ab 4. Jh. n. Chr. undat. div. Italien 80 12 20 5 9 23 5 Hispanien 20 8 11 ø ø 1 ø Britannien 231 ø 9 150 56 14 2 Gallien 48 ø 10 2 16 18 2 Germanien 53 ø 49 3 ø 1 ø Noricum 2 ø 1 ø ø 1 ø Raetien 8 ø 4 2 ø 1 1 Pannonien 4 ø 4 ø ø ø ø Moesien 1 ø 1 ø ø ø ø Achaia 1 1 ø ø ø ø ø Afrika 88 ø 8 66 2 10 2 unbekannt 1 ø ø ø 1 ø Corpus 1 1 537 21 117 228 89 70 12 Abb. 1: Zeitlich-räumliche Verbreitung 1 s. hierzu B: I.2.1.2. 3 28 Gesamt Grab Heiligtum Amph.th. Wasser Haus Boden unbek. v. Chr. 21 2 10 ø ø 1 ø 4 6 1.-2. Jh. n. Chr. 117 43 44 5 7 4 10 4 2./ 3.-3./ 4. Jh. n. Chr. 228 3 63 142 6 8 1 5 2 ab 4. Jh. n. Chr. 89 3 62 15 3 1 3 2 undatiert 70 29 6 2 7 ø 6 20 divergent 12 4 1 3 3 1 ø ø Corpus 1 4 537 152 256 31 29 7 28 34 Abb. 2: Archäologischer Kontext, chronologisch 2 Hierin auch aufgenommen dfx 2.1.1⁄6, das „fin de la république ou […] premier siècle“ (Mayer/ Rodà 1991, 165) datiert wird. 3 Hierin auch aufgenommen dfx 3.22⁄1 - 3.22⁄39, die „second to fourth centuries AD“ (Woodward/ Leach 1993, 113) datiert werden. Ebenso dfx 5.1.7⁄1 (1.-3. Jh.). 4 s. hierzu B: I.2.1.2. 3 29 Gottheit Anz. 5 Motiv 6 Belegstelle Bemerkung Konkurrenz (1) 1: dfx 6.1⁄1 = Iuno inferna; zs. mit Pluto (=Iupiter infernus), manes 1 Aeracura/ Veracura 2 prayer for justice (1) 2: dfx 8.3⁄1 zs. mit Dis pater, Cerberus, inferi, inferni dii, manes, larvae 2 angeli 1 unklar (1) dfx 1.4.4⁄13 sancti angeli 3 Anterotas 1 Liebe (1) dfx 11.2.1⁄8 zs. mit magnum deum, Osiris 1: dfx 5.1.3⁄1 zs. mit duodeca theum, deae ? , Mater deum prayer for justice (2) 2: dfx 2.3.2⁄1 als Nocturnus glossiert (? ); zs. mit Dominus Megarus 3: dfx 5.1.5⁄2 zs. mit Castor und Pollux 4 Attis 4 unklar (2) 4: dfx 5.1.5⁄8 zs. mit Mater Magna 5 Cacus 1 prayer for justice (1) dfx 7.5⁄1 zs. mit Moltinus; Mercurius 6 Castor 1 unklar (1) dfx 5.1.5⁄2 zs. mit Attis, Pollux 7 Cerberus 1 prayer for justice (1) dfx 8.3⁄1 zs. mit Veracura, Dis pater, inferi, inferni dii, manes, larvae 8 Chaos 1 Konkurrenz (1) dfx 11.1.1⁄26 per magnum Chaos; zs. mit Necessitas, Mercurius infernus 1: dfx 4.1.3⁄9 zs. mit Mars; Beiname: vinculares prayer for justice (2) 2: dfx 3.14⁄6 9 Diana 4 Prozeß (1) 3: dfx 4.1.3⁄8 zs. mit Mars 5 Zeichnungen und Buchstabenreihen fanden keine Berücksichtigung. 6 s. A: IV.5. 3 30 Diana (Fs.) unklar (1) 4: dfx 4.1.3⁄15 sancta Diana 1: dfx 1.4.4⁄3 Konkurrenz (2) 2: dfx 7.1⁄2 zs. mit Ogmius ? 10 Dis pater 3 prayer for justice (1) 3: dfx 8.3⁄1 zs. mit Veracura, Cerberus, inferi, inferni dii, manes, larvae 11 Dominus Megarus 1 prayer for justice (1) dfx 2.3.2⁄1 zs. mit Attis = Pluto 12 Erinyae 1 Prozeß (1) dfx 7.2⁄1 zs. mit Mutae Tacitae, Orcus 1: dfx 1.4.4⁄1 inferi 2: dfx 1.4.1⁄1 dii inferi, zs. mit dii parentes 3: dfx 1.5.3⁄2 dii inferi 4: dfx 5.1.4⁄11 inferi, wahrscheinlich Prozeß 5: dfx 2.2.3⁄1 (dii) inferi 6: dfx 1.4.3⁄2 inferi ? 7: dfx 2.2.2⁄1 dii inferi 8: dfx 2.1.2⁄1 13 (dii) inferi 22 unklar (9) 9: unpubliziert inferi Konkurrenz. (1) 1: dfx 6.1⁄1 Iupiter infernus, s. Pluto prayer for justice (1) 2: dfx 3.19⁄1 Iupiter Optimus Maximus 17 Iupiter 3 unklar (1) 3: dfx 4.2.2⁄2 Prozeß (1) 1: dfx 5.1.4⁄4 inferae larvae; zs. mit dii manes 18 larvae 2 prayer for justice (1) 2: dfx 8.3⁄1 zs. mit Veracura, Cerberus, inferi, inferni dii, Dis pater, manes 3 31 1: dfx 5.1.4⁄4 dii manes; zs. mit inferae larvae 2: dfx 5.1.4⁄8 dii manes; zs. mit dii inferi 3: dfx 11.1.1⁄8 dii manes; zs. mit dii inferi 4: dfx 5.1.2⁄1 zs. mit dii inferi Prozeß (5) 5: dfx 1.4.4⁄15 dii manes Konkurrenz (1) 6: dfx 6.1⁄1 zs. mit Aeracura (= Iuno inferna), Pluto (= Iupiter infernus) 19 manes 7 prayer for justice (1) 7: dfx 8.3⁄1 zs. mit Veracura, Cerberus, inferi, inferni dii, Dis pater, larvae 1: dfx 4.1.3⁄9 zs. mit Diana; Beiname: vinculares 2: dfx 3.22⁄4 Deus Mars Mercurius 3: dfx 3.22⁄10 4: dfx 3.2⁄76 in templo Martis 5: dfx 3.2⁄25 6: dfx 3.16⁄1 20 Mars 9 prayer for justice (7) 7: dfx 4.3.3⁄1 Prozeß (1) 8: dfx 4.1.3⁄8 zs. mit Diana unklar (1) 9: dfx 3.22⁄10 21 Mater 1 Liebe (1) 1: dfx 11.2.2⁄1 1: dfx 5.1.3⁄1 zs. mit duodeca theum, deae ? , Attis 2: dfx 5.1.5⁄9 = Mater Magna 22 Mater deum 3 prayer for justice (3) 3: dfx 5.1.5⁄11 3 32 1: dfx 5.1.5⁄9 = Mater deum 2: dfx 5.1.5⁄10 prayer for justice (3) 3: dfx 5.1.5⁄12 23 Mater Magna 4 unklar (1) 4: dfx 5.1.5⁄8 zs. mit Attis domine 1: dfx 3.12⁄1 zs. mit Virtus sacra 2: dfx 7.5⁄1 zs. mit Moltinus; Cacus 3: dfx 3.18⁄1 4: dfx 3.17⁄1 5: dfx 3.22⁄3 Palimpsest (ursprgl. Mars Silvanus) 6: dfx 3.22⁄4 Deus Mars Mercurius 7: dfx 3.22⁄2 8: dfx 3.22⁄5 9: dfx 3.22⁄7 10: dfx 3.22⁄16 24 Mercurius 25 prayer for justice (17) 11: dfx 3.22⁄22 12: dfx 3.22⁄24 13: dfx 3.22⁄26 14: dfx 3.22⁄29 15: dfx 3.22⁄32 16: dfx 3.22⁄36 17: dfx 3.24⁄1 18: dfx 3.2⁄45 unklar (7) 19: dfx 3.22⁄13 3 33 20: dfx 3.22⁄14 21: dfx 3.22⁄27 22: dfx 3.22⁄28 23: dfx 3.22⁄30 24: dfx 3.22⁄35 Mercurius (Fs.) Konkurrenz (1) 25: dfx 11.1.1⁄26 sanctus deus Mercurius infernus; zs. mit Chaos, Necessitas 25 Minerva s. auch Sulis 1 unklar (1) dfx 3.2⁄61 Text fragmentarisch 26 Moltinus 1 prayer for justice (1) dfx 7.5⁄1 zs. mit Mercurius; Cacus 27 Mutae Tacitae 1 Prozeß (1) dfx 7.2⁄1 zs. mit Orcus, Erinyae 1: dfx 11.1.1⁄25 per haec sancta nomina Necessitatis; Dämonenkatalog 2: dfx 11.1.1⁄26 per haec sancta nomina Necessitatis; zs. mit Chaos, Mercurius infernus 28 Necessitas 3 Konkurrenz (3) 3: dfx 11.2.1⁄24 per haec sancta nomina Necessitatis 29 Nemesis 1 prayer for justice (1) dfx 3.6⁄1 1: dfx 3.14⁄3 2: dfx 3.11⁄1 zs. mit Niskus 3: dfx 3.7⁄1 30 Neptun 4 prayer for justice (4) 4: dfx 3.3⁄1 31 Niskus 1 prayer for justice (1) dfx 3.11⁄1 zs. mit Neptunus 32 Nodens 1 prayer for justice (1) dfx 3.15⁄1 3 34 1: dfx 1.1.1⁄1 = Aquae Ferventes 33 Nymphae 2 unklar (2) 2: unpubliziert „Anna Perenna“-Komplex (Edition in Vorbereitung) Prozeß (1) 1: dfx 7.1⁄1 34 Ogmius ? 2 Konkurrenz (1) 2: dfx 7.1⁄2 zs. mit Dis pater ? 1: dfx 7.2⁄1 zs. mit Mutae Tacitae, Erinyae 35 Orcus 2 Prozeß (2) 2: dfx 1.7.2⁄1 zs. mit Proserpina, Pluto 36 Osiris 1 Liebe (1) dfx 11.2.1⁄8 zs. mit magnum deum, Anterotas 37 (dii) parentes 1 unklar (1) dfx 1.4.1⁄1 zs. mit dii inferi 38 (dii) penates 1 prayer for justice (1) dfx 1.5.4⁄3 zs. mit inferi unklar (5er-Serie) 1 - 5: dfx 1.4.4⁄8 - 1.4.4⁄12 zs. mit Proserpina 6: dfx 4.3.1⁄1 zs. mit Proserpina 39 Pluto 9 Prozeß (2) 7: dfx 1.7.2⁄1 zs. mit Orcus, Proserpina 8: dfx 1.4.4⁄4 am Rand zusätzlich: Eulamon katexe Konkurrenz (2) 9: dfx 6.1⁄1 zs. mit Aeracura (= Iuno inferna), manes = Iupiter infernus 40 Pollux 1 unklar (1) dfx 5.1.5⁄2 zs. mit Attis, Castor 41 Proserpina 8 unklar (5er-Serie) 1 - 5: dfx 1.4.4⁄8 - 1.4.4⁄12 zs. mit Pluto Prozeß (2) 6: dfx 4.3.1⁄1 zs. mit Pluto 3 35 7: dfx 1.7.2⁄1 zs. mit Orcus, Pluto Proserpina (Fs.) prayer for justice (1) 8: dfx 2.3.1⁄1 Dea Ataecina Turibrigensis Proserpina 42 Savus 1 Prozeß (1) dfx 8.1⁄1 43 Seth 1 unklar (1) unpubliziert „Anna Perenna“-Komplex (Edition in Vorbereitung) 44 Silvanus 1 prayer for justice (1) dfx 3.22⁄3 Mars Silvanus einmal mit Mercurio überschrieben 1: dfx 3.2⁄8 2: dfx 3.2⁄10 3: dfx 3.2⁄30 4: dfx 3.2⁄34 5: dfx 3.2⁄36 6: dfx 3.2⁄37 7: dfx 3.2⁄41 8: dfx 3.2⁄46 45 Sulis 25 prayer for justice (18) 9: dfx 3.2⁄54 10: dfx 3.2⁄55 11: dfx 3.2⁄57 12: dfx 3.2⁄73 13: dfx 3.2⁄24 14: dfx 3.2⁄26 15: dfx 3.2⁄27 16: dfx 3.2⁄38 17: dfx 3.2⁄52 18: dfx 3.2⁄79 Dea Sulis Minerva 3 36 19 - 21: dfx 3.2⁄17 - 3.2⁄19 22: dfx 3.2⁄42 23: dfx 3.2⁄60 24: dfx 3.2⁄71 Sulis (Fs.) unklar (7) 25: dfx 3.2⁄85 46 Terra 1 Prozeß (1) dfx 11.1.1⁄6 47 Victoria 1 prayer for justice (1) dfx 3.2⁄9 48 Virtus 1 prayer for justice (1) dfx 3.12⁄1 zs. mit Merkur 49 Zwölfgötter 1 prayer for justice (1) dfx 5.1.3⁄1 zs. mit Attis, deae ? , Mater deum 50 deus 7 28 Konkurrenz (11) 1: dfx 11.2.1⁄22 per deum pelagicum, aerium (altissimum) ( Iav ); zs. mit daemon, quicumque es 2 - 6: dfx 11.2.1⁄26 - 11.2.1⁄30 7: dfx 11.2.1⁄40 8: dfx 11.1.1⁄22 per nomen dei vivi omnipotentis 9: dfx 11.1.1⁄23 per deum vivum 10: dfx 11.1.1⁄25 Parpajin , deus omnipotens 11: dfx 11.1.1⁄35 domini dei 7 Texte teilweise fragmentarisch. 3 37 12: dfx 4.1.3⁄11 13: dfx 3.1⁄1 14: dfx 3.19⁄2 15: dfx 3.19⁄3 16: dfx 3.2⁄49 17: dfx 3.2⁄78 Sulis ? , Mars ? , Mercurius ? 18: dfx 3.2⁄36 zs. mit Sulis genannt, andere Gottheit? 19: dfx 3.22⁄6 20: dfx 3.22⁄34 potententissimus deus 21: dfx 4.4.1⁄1 dii 22: dfx 5.1.7⁄1 dii prayers for justice (12) 23: dfx 3.10⁄1 24: dfx 11.2.1⁄6 per deum meum vivum 25: dfx 11.2.1⁄8 per magnum deum, zs. mit Osiris, Anterotas deus (Fs.) Liebe (3) 26: dfx 11.2.1⁄36 per magna […] nomina eius dei, qui sub terra sedet 27: dfx 4.1.3⁄14 Text fragmentarisch unklar (2) 28: dfx 3.2⁄82 Sulis ? , Mars ? , Mercurius ? 1: dfx 11.2.1⁄22 Adiuro te daemon, quicumque es; zs. mit deus pelagicus, aerius (altissimus) ( Iav ) 2: dfx 11.2.1⁄26 3: dfx 11.2.1⁄27 4: dfx 11.2.1⁄29 51 daemon(es) 18 Konkurrenz (12) 5: dfx 11.2.1⁄30 3 38 6: dfx 11.2.1⁄40 7: dfx 11.2.1⁄28 Adiuro te, quicumque es; zs. mit deus pelagicus, aerius (altissimus) ( Iav ) 8: dfx 11.2.1⁄31 daemones infernales 9: dfx 11.1.1⁄19 daemon, qui hic conversaris 10: dfx 11.1.1⁄25 Dämonenkatalog; zs. mit Necessitas 11: dfx 11.1.1⁄26 animae huius loci, reges daemonum etc. 12: dfx 4.3.4⁄1 Apecius, Aqanno, Nana; Lesung umstritten. 13: dfx 11.2.1⁄3 quicumque es daemon 14: dfx 11.2.1⁄4 daemones (infernales? ) Liebe (3) 15: dfx 11.1.1⁄16 Dämonenkatalog Prozeß (1) 16: dfx 11.1.1⁄15 unklar (1) 17: dfx 11.1.1⁄14 qui infernales partes tenes daemon(es) (Fs.) prayer for justice (1) 18: dfx 2.3.2⁄1 per tuum Nocturnum; zs. mit Dominus Megarus, Attis 52 „götterlos“ 80 Abb. 3: Theonyme 3 39 340 Manipulationsverben defigere durchbohren, festheften ligare binden alligare festbinden, fesseln colligare zusammenbinden deligare festbinden obligare (an)binden, befestigen, zubinden implicare verwickeln, umwinden describere auf-, niederschreiben immergere untertauchen, versenken Abb. 4.1: Manipulationsverben Übergabeverben dare geben donare geben, schenken; weihen mandare übergeben commendare übergeben demandare (ganz) anvertrauen tradere/ traditare überantworten deferre (+ Zielangabe) hinabgelangen lassen; hin(ab)senden dedicare übergeben, widmen, weihen desacrificare hinabopfern vovere(? ) = devovere(? ) devovere als Opfer geloben, (hinab)weihen Abb. 4.2: Übergabeverben Aufforderungsverben rogare bitten erogare erbitten precari bitten deprecari bitten, anflehen orare bitten petere bitten obsecrare bitten; anflehen; beschwöre adiurare beschwören; (inständig) bitten mandare auftragen demandare bitten Abb. 4.3: Aufforderungsverben 341 1. ITALIEN (57) 1 Etruria 1 Arretium 1-2 2 Bononia 1-4 3 Caere 1 4 Perusia 1 2 Picenum 1 Septempeda 1 3 Marsi 1 Marsi Marruvium 1 4 Latium 1 Minturnae 1 2 Nomentum 1-3 3 Ostia 1-2 4 Roma 1-16 5 Campania 1 Cales 1 2 Capua 1 3 Cumae 1-2 4 Pompei 1-3 5 Salernum 1 6 ? 1 6 Lucania 1 ? 1 7 Venetia et Histria 1 Altinum 1 2 Ateste 1 3 Concordia 1-3 4 Cremona 1 5 Pola 1-2 6 Verona 1 8 Aemilia 1 Classis 1-2 9 Corsica 1 Mariana 1 10 Sardinia 1 Orosei 1 2 ? 1 11 Sicilia 1 Lilybaeum 1 2. HISPANIEN (20) 1 Tarraconensis 1 Emporiae 1-6 2 Barchín 1 3 Saguntum 1-3 2 Baetica 1 Bolonia 1 2 Carmona 1 3 Corduba 1-5 4 Itálica 1 3 Lusitania 1 Emerita 1 2 Salacia 1 3. BRITANNIEN (159) 1 Aylesford 1 2 Bath 1-87 3 Brandon 1 4 Brean Down 1 5 Broomhill 1 6 Carleon 1 7 Caistor St. Edm. 1 8 Chesterton 1 9 Clothall 1 10 Farley Heath 1 11 Hamble estuary 1 12 Kelvedon 1 13 Leintwardine 1-2 14 London 1-6 15 Lydney Park 1 16 Marlb. Downs 1 17 Old Harlow 1 18 Pagans Hill 1-3 19 Ratcliffe-o.S. 1-3 20 Puckeridge-Br. 1 21 Thetford 1 22 Uley 1-39 23 Wanborough 1 24 ? 1-2 4. GALLIEN (29) 1 Belgica 1 Arlon 1 2 Maar 1 3 Trier 1-17 2 Lugdunensis 1 Autun 1 2 Évreux 1-2 3 Lyon 1 3 Aquitania 1 Chagnon 1-2 2 Dax 1 3 Murol 1 4 Rom 1 4 Narbonensis 1 Montfo 1 5. GERMANIEN (30) 1 Germania superior 1 Avenches 1 2 Frankfurt/ M. 1-2 3 Groß-Gerau 1-2 4 Kreuznach 1-11 5 Mainz 1-12 6 Roßdorf 1 7 Rottweil 1 6. NORICUM (2) 1 Mautern 1 2 Wilhering 1 7. RAETIEN (7) 1 Bregenz 1-2 2 Kempten 1 3 Neustadt/ D. 1-2 4 Peiting 1 5 Wilten 1 8. PANNONIEN (4) 1 Kupa 1 2 Ljubljana 1 3 Petronell 1 4 Ptuj 1 9. MOESIEN (1) 1 Gigen 1 10. ACHAIA (1) 1 Dhilos 1 11. AFRIKA (81) 1 Proconsularis 1 Carthago 1-37 2 Byzacena 1 Hadrumetum 1-42 2 Thysdrus 1 3 Numidia 1 Cirta Abb. 5: dfx-Nr.