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Emergenz als Phänomen der Semantik am Beispiel des Metaphernverstehens

2009
978-3-8233-7467-1
Gunter Narr Verlag 
Helge Skirl

Emergenz heißt, dass sprachlichen Ausdrücken im Verstehensprozess Bedeutungsmerkmale zugesprochen werden, die nicht Teil der lexikalischen Bedeutungen bzw. der angekoppelten Konzepte sind. es wird ein präziser Emergenz - Begriff erarbeitet und emergenz als ein Phänomen der Semantik-Pragmatik - Schnittstelle am Beispiel des Metaphernverstehens expliziert. auf Basis der kognitiven Textverstehenstheorie werden zwei Modelle zum Metaphernverstehen entwickelt, die Emergenz exkt erfassen. In einer Fallstudie zu emergenten Merkmalen werden Metaphern in einem Zeitungskorpus analysiert.

Helge Skirl Emergenz als Phänomen der Semantik am Beispiel des Metaphernverstehens Emergente konzeptuelle Merkmale an der Schnittstelle von Semantik und Pragmatik Gunter Narr Verlag Tübingen Emergenz als Phänomen der Semantik am Beispiel des Metaphernverstehens Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 515 T B L Emergenz als Phänomen der Semantik am Beispiel des Metaphernverstehens Emergente konzeptuelle Merkmale an der Schnittstelle von Semantik und Pragmatik Gunter Narr Verlag Tübingen Helge Skirl © 2009 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-6467-2 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. Inhalt Vorwort..............................................................................................................7 0. Einleitung...............................................................................................9 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale.........................14 1.0 Vorbemerkungen ................................................................................14 1.1 Emergenz-Begriff in Bezug auf das Metaphernverstehen ...........14 1.2 Allgemeiner Emergenz-Begriff.........................................................15 1.2.1 Zur Herkunft des Emergenz-Begriffes.................................................. 15 1.2.2 Emergenz-Begriff in der Theorie selbstorganisierender Systeme..... 19 1.2.3 Allgemeiner, theorierelativer Begriff der Eigenschaftsemergenz ..... 23 1.3 Emergenz-Begriff in der Linguistik .................................................27 1.3.1 Emergenz-Begriff in der Kognitiven Linguistik: Blending-Theorie ...................................................................................... 27 1.3.2 Emergenz-Begriff in der Psycholinguistik............................................ 33 1.4 Emergenz-Begriff in Bezug auf die kognitive Semantiktheorie ..................................................................................41 1.4.1 Wortbedeutung und Konzept: semantische und konzeptuelle Merkmale................................................................................................... 41 1.4.2 Emergente konzeptuelle Merkmale....................................................... 50 2. Kognitive Metapherntheorien ..........................................................56 2.0 Vorbemerkungen ................................................................................56 2.1 Metapherntheorie(n) der holistischen Kognitiven Linguistik .....57 2.1.1 Theorie der konzeptuellen Metaphern.................................................. 58 2.1.2 Blending-Theorie ...................................................................................... 73 2.2 Spezifische Konzeptualisierung beim Metaphernverstehen .......77 3. Emergenz und pragmatische Verstehenstheorie ...........................83 3.0 Vorbemerkung ....................................................................................83 3.1 Grundpositionen der Relevanz-Theorie .........................................83 3.2 Das Emergenz-Problem aus der Perspektive der Relevanz-Theorie ................................................................................93 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik- Schnittstelle........................................................................................103 4.0 Vorbemerkungen ..............................................................................103 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik ............................103 4.1.1 Bedeutungsebenen und die Schnittstelle von Semantik und Pragmatik ................................................................................................ 103 4.1.2 Proposition als Gegenstand der Äußerungssemantik ...................... 113 4.1.3 Kompositionalität und Emergenz........................................................ 120 4.2 Metaphernverstehen als Schnittstellenphänomen.......................130 4.2.1 Identifikation metaphorisch gebrauchter Ausdrücke....................... 130 4.2.2 Problem der Paraphrasierbarkeit metaphorischer Bedeutung........ 132 4.2.3 Emergente konzeptuelle Merkmale als Teil der Äußerungsbedeutung............................................................................ 140 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale beim Metaphernverstehen...............................................................144 5.0 Vorbemerkungen ..............................................................................144 5.1 Kognitive Textverstehenstheorie....................................................144 5.1.1 Mentales Textweltmodell als Integrationsebene ............................... 144 5.1.2 Inferenz emergenter Merkmale vor dem Hintergrund des Textweltmodells ..................................................................................... 148 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell ...................................149 5.2.1 Verankerung der Bedeutungsmerkmale metaphorisch gebrauchter Ausdrücke ......................................................................... 149 5.2.2 Einflussfaktoren beim Metaphernverstehen ...................................... 160 5.2.3 Fallstudie: Bulldozer-Beispiele und emergente konzeptuelle Merkmale................................................................................................. 166 6. Zusammenfassung und Ausblick ..................................................174 Bibliografie ....................................................................................................176 Vorwort Die vorliegende Studie ist die überarbeitete und aktualisierte, stellenweise gekürzte sowie um ein Hauptkapitel (Kap. 3) erweiterte Fassung meiner an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena eingereichten Dissertation. Die mündliche Prüfung fand am Rosenmontag 2007 statt. Monika Schwarz-Friesel, meiner Doktormutter, danke ich herzlich für die inhaltlichen Hinweise und alle sonstige Unterstützung beim Zustandekommen der Arbeit. Judith Malicke danke ich sehr für zusätzliches Korrekturlesen. Jena, im Frühjahr 2009 Helge Skirl 0. Einleitung Unter Emergenz versteht man allgemein, dass auf einer Organisationsebene eines komplexen Systems Qualitäten auftreten, die die Einheiten, aus denen die Organisationsebene besteht, für sich genommen noch nicht aufweisen und die aus der bloßen Kombination der Einheiten auch nicht ohne Weiteres hergeleitet oder vorausgesagt werden können. Das wichtigste Emergenzphänomen, das mit heutigen Methoden und Theorien noch nicht erklärt werden kann, ist das des Auftretens von psychischen Eigenschaften bei der physiologischen Interaktion von Neuronen im Gehirn. Der Emergenz-Begriff muss sich aber nicht unbedingt nur auf solche Phänomene beziehen, bei denen die höhere Organisationsebene (hier: die der psychischen Prozesse) einen völlig anderen ontologischen Status aufweist als die zugrunde liegende Ebene (hier: die der physiologischen Prozesse). Der Emergenz-Begriff bietet sich allgemein immer dann an, wenn die Theorie, die die Einzelelemente und deren Eigenschaften beschreiben und erklären kann, nicht mehr imstande ist, die neu auftretenden Eigenschaften herzuleiten oder vorauszusagen, die sich bei einer spezifischen Kombination der Elemente ergeben (s. Kap. 1.2). Ich verwende in meiner Arbeit einen solchen allgemeinen Begriff von theorierelativer Eigenschaftsemergenz: Dieser Begriff definiert Emergenz erstens immer in Bezug auf eine wissenschaftliche Theorie und ihre Beschreibungs- und Erklärungsmöglichkeiten. Zweitens wird Emergenz als eine Eigenschaft von Einheiten und Elementen - die von der Theorie erfasst und erklärt werden - verstanden, die auftritt, wenn diese unter bestimmten Voraussetzungen kombiniert werden und die aus den Einheiten selbst oder aus der Modellierung ihrer bloßen Kombination nicht hergeleitet oder vorausgesagt werden kann. Für die linguistische Semantik als Theorie der sprachlichen Bedeutung kann ein solcher Emergenz-Begriff nutzbringend und vielversprechend angewendet werden auf das Phänomen innovativer Bedeutung, d. h. für das Auftreten von Bedeutungsmerkmalen, die nicht Teil der Lexikonbedeutung der Wörter sind und auch nicht Teil der Konzeptinhalte, auf die sie verweisen - Bedeutungsmerkmale also, die über das semantische Potenzial der betreffenden lexikalischen Einheiten und über den Inhalt der angekoppelten Konzepte hinausreichen (s. Kap. 1.4). Ein Beispiel soll das verdeutlichen: (1) Der Hockeyspieler ist ein Bulldozer. Für (1) könnte in einem spezifischen Kommunikationskontext eine innovative Bedeutung konstruiert werden, wenn dem gemeinten Sportler durch 0. Einleitung 10 metaphorische Verwendung von Bulldozer z. B. die Eigenschaft DURCH- SETZUNGSSTARK oder WAGEMUTIG zugesprochen wird. 1 Diese Merkmale gehören weder zur Wortbedeutung von Bulldozer noch sind sie ein (ontologisch möglicher) Bestandteil des Konzeptes BULLDOZER, da es sich um menschliche Charaktereigenschaften handelt. Als Merkmale sind DURCHSETZUNGSSTARK oder WAGEMUTIG deshalb emergent, weil sie nicht einfach aus den Konzeptmerkmalen selektiert werden können und sich auch nicht ohne Weiteres herleiten oder vorhersagen lassen, sondern abhängig vom Kontext aktiv konstruiert und geschlussfolgert werden müssen. Ich stelle Emergenz als Phänomen der linguistischen Semantik am Beispiel des Metaphernverstehens dar. 2 Die Beschränkung auf die exemplarische Analyse von metaphorischem Sprachgebrauch ergibt sich aus der Notwendigkeit, das komplexe Thema der Emergenz einzugrenzen und dadurch überschaubar und bearbeitbar zu gestalten. Ich verweise aber ausdrücklich darauf, dass emergente konzeptuelle Merkmale auch beim Verstehen von nicht-metaphorischem Sprachgebrauch auftreten können (s. Kap. 1.3.2): (2) Der Mörder ist unglücklich. Beispielsweise könnte (2) in einem geeigneten Kommunikationskontext so verstanden werden, dass dem Referenten der NP Der Mörder mit Hilfe des Prädikats ist unglücklich das Merkmal REUEVOLL zugesprochen wird. 3 Dieses Merkmal ist emergent, da es weder Teil der Wortbedeutung von Mörder noch unglücklich ist und auch kein Bestandteil der Konzepte MÖR- DER und UNGLÜCKLICH ist. 1 Vgl. folgende authentische Verwendung: „Patric Della Rossa: «Multifunktionaler Hockey-Bulldozer»! Gibt es einen Spieler, der bei allen Trainern stets beliebt war und dennoch seinen besonderen Charakter ausleben konnte? Ja, Patric Della Rossa ist so einer: Ein «Multitasker on Ice», ein «Bulldozer auf Kufen», der bei jedem Shift immer 100 Prozent Vollgas gibt …“ (http: / / www.eishockey.ch/ news/ detail.asp? Id=242505, 28.01.2008). Auf Bulldozer-Beispiele gehe ich an mehreren Stellen der Arbeit ein. 2 Ich diskutiere (vor allem) metaphorische Äußerungen der Form X ist ein Y, die eine ungewöhnliche und neuartige Kombination zwischen Konzept 1 (bezeichnet durch X) und Konzept 2 (bezeichnet durch Y) ausdrücken, wobei Konzept 1 im Verstehensprozess mit Hilfe von Konzept 2 Merkmale zugesprochen werden, die emergente konzeptuelle Merkmale sind, wenn sie weder Teil der lexikalischen Bedeutung von X und Y noch Teil des Inhalts von Konzept 1 und Konzept 2 sind (s. zu weiteren Bedingungen im Hinblick auf das Textverstehen Kap. 5.2.1). 3 Eine solche Lesart wäre etwa bei der Rezeption des Romantitels „Der unglückliche Mörder“ (Håkan Nesser) möglich. 0. Einleitung 11 Aus der Diskussion von (1) und (2) geht bereits hervor, dass ich unter Semantik nicht nur die Satzsemantik verstehe, die die kontextunabhängige Satzbedeutung aus den Bedeutungen der einzelnen lexikalischen Elemente und ihrer jeweiligen syntaktischen Kombination kompositionell zu bestimmen versucht. Vielmehr geht es in meiner Arbeit um das Verhältnis von Satzsemantik und Äußerungssemantik: Anhand des Verstehens metaphorischer Äußerungen, das zur Konstruktion emergenter Bedeutungsmerkmale führt, soll das Verhältnis von kompositionell errechneter Satzbedeutung und aktueller Äußerungsbedeutung beleuchtet werden. Dazu ist einerseits eine Perspektive notwendig, die das beim Sprachverstehen zusätzlich aktivierte konzeptuelle Wissen berücksichtigt. Ich gehe deshalb von einer kognitiven Semantiktheorie aus (s. Kap. 4.1). 4 Andererseits ist auch eine Perspektive vonnöten, die über die Betrachtung isolierter einzelner Sätze bzw. über die von Einzelsatzäußerungen hinausgeht. Nur mit Bezug auf die Textsemantik und auf die kognitive Textverstehenstheorie 5 kann das Verhältnis von Satzbedeutung und aktueller Äußerungsbedeutung adäquat erfasst werden (s. Kap. 5.1). Natürlich ist die Frage nahe liegend, inwiefern die von mir untersuchten neuartigen Metaphern und die durch sie vermittelten emergenten Bedeutungsmerkmale überhaupt noch in den Zuständigkeitsbereich der Semantik fallen und nicht bereits ein Gegenstand der Pragmatik sind. Ich werde zeigen, dass das Metaphernverstehen und das Auftreten von emergenten Bedeutungselementen Phänomene der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle sind, die weder allein aus semantischer noch allein aus pragmatischer Perspektive beschrieben und erklärt werden können (s. Kap. 4.2). Das Verstehen metaphorischer Äußerungen ist wesentlich von der semantischen Satz- und Textbasis abhängig; es wird aber über pragmatische Prinzipien motiviert und von pragmatisch-konzeptuellen Kontextfaktoren und Wissensbeständen beeinflusst. Meine Arbeit soll einen Beitrag leisten zur Klärung des Verhältnisses von Semantik und Pragmatik und ihres Zusammenwirkens beim Sprachverstehen. Der theoretische Rahmen dafür ist die kognitive Semantik (in ihrer gemäßigt modularistischen Variante) sowie die damit verbundene kognitive Textverstehenstheorie. Den Emergenz-Begriff beziehe ich aus folgenden Gründen lediglich auf die Semantik und nicht auf die Pragmatik: Die kognitive Semantik bietet eine hinreichend präzise Beschreibung von lexikalischen Bedeutungen und 4 Ich gehe mit S CHWARZ (1992, 2000, 2008) von einer gemäßigt modularistischen kognitiven Semantik aus, in der zwischen Sprach- und Weltwissen unterschieden, aber auch auf ihren engen Zusammenhang hingewiesen wird (s. Kap. 1.4.1). Auf die Positionen von Modularismus und Holismus gehe ich in Kap. 2.0 kurz ein. 5 Siehe S CHWARZ 2000, 2008. 0. Einleitung 12 den an sie gekoppelten Konzeptinhalten sowie der kompositionellen Verknüpfung solcher Bedeutungen (s. Kap. 1.4 u. 4.1). Emergente Bedeutungsmerkmale sind Merkmale, die von dieser Beschreibung nicht mehr erfasst werden können. Im Bereich der Pragmatik existiert keine Verstehenstheorie, auf die der Emergenz-Begriff sinnvoll Anwendung finden könnte. Denn die pragmatische Verstehensprozeduren sind nicht an kompositionelle Bedeutungsberechnung gebunden, sondern sanktionieren jede Form von inferenzieller Bedeutungselaboration, die in einem spezifischen Kontext relevant und sinnvoll ist (s. Kap. 3). Als ein weiterer Punkt ist zu nennen: Die emergenten Merkmale, die ich untersuche, sind Teil der spezifischen Proposition der Äußerung, auf die sich ein Rezipient beim Verstehen festlegt. Sie sind somit Teil des Aussagegehalts und damit der Wahrheitsbedingungen der Äußerung, die beide ein wesentlicher Gegenstand der Semantik sind. Sie betreffen nicht die Illokution oder den kommunikativen Sinn, die ein wesentlicher Gegenstand der Pragmatik sind. Den Forschungsstand zu den einzelnen Aspekten meines Themas werde ich jeweils im entsprechenden Kapitel darstellen. Hier soll die allgemeine Beobachtung genügen, dass in der linguistischen Semantik seit einiger Zeit zwei Entwicklungen auszumachen sind: Es erfolgt eine Umorientierung von der Beschreibung statischer Bedeutungsrepräsentationen hin zu dynamischen Modellen, die den prozessualen Charakter von Sprachproduktion und -rezeption beleuchten. Damit ist auch eine Hinwendung zu kognitiven Modellen der Bedeutungsrepräsentation und -verarbeitung verbunden, die versuchen, der psychologischen Realität sowohl repräsentational als auch prozessual gerecht zu werden. Ein Manko der meisten Modellierungen ist es jedoch, dass sie sich in Bezug auf nicht-kompositionale Bedeutungselemente zumeist nur mit jenen Merkmalen auseinandersetzen, die noch systematisch aus den zugrunde liegenden Lexikonbedeutungen abgeleitet werden können oder die Teil der angekoppelten Konzepte sind. Auch werden die Einflüsse von semantischem Kotext und pragmatischem Kontext auf den Verstehensprozess meist nicht berücksichtigt. Eine theoretisch fundierte, systematische Modellierung des Auftretens von emergenten konzeptuellen Merkmalen im Verstehensprozess aus Sicht der Semantik gibt es m. W. bisher nicht. Zudem existiert bis jetzt auch keine pragmatische Verstehenstheorie, die das Elaborieren emergenter Merkmale adäquat beschreiben und erklären könnte (s. Kap. 3). Ebenso fehlt bisher eine kognitive oder psycholinguistische Metapherntheorie, die das Emergenz-Problem lösen könnte (s. Kap. 2). Die Zielsetzung meiner Arbeit ist es deshalb, einen spezifischen, präzisen Emergenz-Begriff für die linguistische Semantik vorzuschlagen, seine Leistungsfähigkeit zu demonstrieren und das Phänomen des Auftretens 0. Einleitung 13 emergenter konzeptueller Merkmale am Beispiel des Metaphernverstehens zu modellieren. Als übergeordnete Zielsetzung soll die Arbeit 1. einen Beitrag zur Abgrenzung des Gegenstandsbereiches der linguistischen Semantik leisten, 2. das Verhältnis von Semantik und Pragmatik erläutern und ihre Schnittstelle aus Sprachrezeptionsperspektive bestimmen und 3. die Notwendigkeit der Einbeziehung der kognitiven Textverstehenstheorie nachweisen. Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: In Kap. 1 wird der Emergenz-Begriff allgemein und in seiner Anwendbarkeit auf die linguistische Semantik eingeführt. Ich gehe dabei auch auf die bisherigen Verwendungen des Emergenz-Begriffes in der Linguistik ein. In Kap. 2 werden prominente kognitive Metapherntheorien im Hinblick auf ihre theoretischen Grundpositionen und ihre Modellierung des Verstehens neuartiger Metaphern kritisch diskutiert. In Kap. 3 erläutere und kritisiere ich die Behandlung des Emergenz-Problems innerhalb der pragmatischen Relevanz-Theorie. In Kap. 4 wird das Verhältnis von Semantik und Pragmatik bestimmt. Metaphernverstehen wird als Phänomen der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle beschrieben. Emergente konzeptuelle Merkmale werden als nicht-kompositionale Anteile der Äußerungsbedeutung charakterisiert. Im abschließenden Kap. 5 werden die Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel auf die kognitive Textverstehenstheorie bezogen: Das mentale Textweltmodell wird als Integrationsebene gekennzeichnet, in Bezug auf die das Metaphernverstehen und das Auftreten von emergenten konzeptuellen Merkmale plausibel erläutert werden kann. Ich schlage ein Modell der Verankerung von Bedeutungsmerkmalen metaphorisch gebrauchter Ausdrücke vor, mit dessen Hilfe emergente konzeptuelle Merkmale präzise erfasst werden können. Des Weiteren schlage ich ein Modell der Einflussfaktoren beim Metaphernverstehen vor, anhand dessen der Verstehensprozess im Einzelnen erklärt werden kann. Eine Fallstudie zur metaphorischen Verwendung des Lexems Bulldozer in der überregionalen Presse weist die Einflussfaktoren anhand authentischer Beispiele nach. In Kap. 6 fasse ich die Ergebnisse meiner Arbeit zusammen und gebe Anregungen für die weitere Forschung. 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale „Das Projekt einer Emergenztheorie steht und fällt mit der Klärung des Emergenzbegriffs. [...] Die Klärung des Emergenzbegriffs muß insbesondere verdeutlichen, was denn nun genau emergent sein soll [...].“ (H ASTEDT 1989: 194) 1.0 Vorbemerkungen Ziel des Kapitels ist es: 1. methodologische Probleme für die Anwendung des Emergenz-Begriffes auf das Metaphernverstehen aufzuzeigen, 2. den facettenreichen Emergenz-Begriff allgemein einzuführen und zu erläutern, 3. zu prüfen, inwieweit bisherige Verwendungen des Emergenz-Begriffes in der Linguistik tauglich oder weiterführend waren und 4. einen Emergenz-Begriff theoretisch zu begründen und zu definieren, der für die Zwecke der Semantiktheorie produktiv ist. 1.1 Emergenz-Begriff in Bezug auf das Metaphernverstehen „‘Emergenz’ ist ein vielgebrauchtes und vieldeutiges Wort.“ „Eigentlich müßte jede Behauptung, die das Wort ‘Emergenz’ enthält, um eine Erläuterung seines jeweiligen Sinns ergänzt werden.“ (S TÖCKLER 1990: 7) Unter Emergenz versteht man - sehr allgemein formuliert - das Auftreten neuer Eigenschaften eines Ganzen, die nicht aus den Eigenschaften der einzelnen Komponenten hergeleitet werden können. Eine solche Bestimmung des Emergenz-Begriffs bietet sich dazu an, auf das Phänomen des Metaphernverstehens angewendet zu werden: Emergente Merkmale sind demnach Bedeutungsmerkmale, die kein herkömmlicher Bestandteil der einzeln betrachteten Lexeme sowie der an sie gekoppelten Konzepte sind, die im Verstehensprozess kombiniert werden. Die Interpretation der Metapher der Marmor unserer Gehirne (Hans T HILL ) könnte z. B. das emergente Merkmal STARRSINNIG ergeben, das weder zum Lexikoneintrag von Marmor noch zu dem von Gehirn gehört und weder ein mögliches Merkmal des Konzeptes MARMOR noch ein Merkmal des Konzeptes GEHIRNE ist. Eine solche Begriffsbestimmung von Emergenz bedarf allerdings der präzisierenden Erläuterung, um aussagekräftig zu sein. Das betrifft vor allem die Vagheit der zur Bestimmung selbst verwendeten Begriffe. Schon bezüglich der allgemeinen Formulierung des Emergenz-Begriffes ist zu 1.2 Allgemeiner Emergenz-Begriff 15 fragen, was es heißt, dass die Eigenschaften des Ganzen nicht aus den Eigenschaften der Komponenten hergeleitet werden können. Außerdem muss geklärt werden, wie sich die Eigenschaften der einzelnen Komponenten und die des Ganzen überhaupt beschreiben lassen und welchen Status sie besitzen. Dementsprechend ist im Hinblick auf Metaphern zu erörtern, welche Merkmale den Komponenten, einzeln betrachtet, zukommen und welche Merkmale, die im Verstehensprozess auftreten, sich nicht auf die Merkmale der Komponenten zurückführen lassen. Für eine Klärung der angesprochenen Fragen müssen zwei sich gegenseitig bedingende Strategien verfolgt werden: Einerseits muss der Emergenz-Begriff selbst präzisiert werden in Bezug auf den Phänomenbereich der Semantik am Beispiel des Metaphernverstehens, und andererseits muss dieser Phänomenbereich klar bestimmt und modelliert werden, damit sich eine Anwendung des Emergenz-Begriffes in seinem Kontext als möglich, als sinnvoll und als notwendig erweisen kann. Ob die Anwendung des Emergenz-Begriffes tatsächlich gewinnbringend ist, muss sich letztlich daran erweisen, ob die „zentrale Forderung“ für seine Verwendung erfüllt ist, der zufolge nämlich „die Einführung des Emergenzbegriffs fruchtbare Unterscheidungen ermöglichen“ (S TÖCKLER 1990: 8, Hervorh. i. Orig.) und einen Erkenntnisgewinn erbringen soll. 1.2 Allgemeiner Emergenz-Begriff In diesem Kapitel werde ich zunächst die Geschichte des Emergenz- Begriffes knapp darstellen. Im zweiten Abschnitt gehe ich auf den Emergenz-Begriff im Rahmen der Theorie der selbstorganisierenden Systeme ein. Im dritten Abschnitt diskutiere ich den allgemeinen, theorierelativen Emergenz-Begriff, der in der Philosophie des Geistes vorgeschlagen wurde und der sich für die Übertragung auf die Semantiktheorie anbietet. 1.2.1 Zur Herkunft des Emergenz-Begriffes Zum ersten Mal als Terminus wurde der Emergenz-Begriff 1874 von G. H. L EWES in “Problems of Life and Mind” verwendet: L EWES „unterscheidet dort emergente von resultierenden Wirkungen“ eines Systems, wobei die emergenten Wirkungen dadurch gekennzeichnet werden, dass sie „nicht auf die Summe der Wirkungen der Systemkomponenten zurückgeführt werden“ können (S TEPHAN / B ECKERMANN 1994: 46, Hervorh. i. Orig.). 1 1 L EWES übernimmt eine grundlegende Unterscheidung, die J. S. M ILL bereits 1843 in “A System of Logic. Ratiocinative and inductive” unter Verwendung anderer Termi- 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 16 Große Aufmerksamkeit wurde dem Emergenz-Begriff in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts zuteil, da er von zumeist britischen Wissenschaftlern ausführlich diskutiert und für eine Evolutionstheorie fruchtbar gemacht wurde, die unter dem Namen “British Emergentism” berühmt geworden ist (siehe z. B. M C L AUGHLIN 1992, S TEPHAN 1992, 2007). Die Protagonisten dieser Richtung sowie ihre Hauptwerke waren S. A LEXANDER (“Space, Time and Deity”, 1920), C. D. B ROAD (“The Mind and its Place in Nature”, 1925) und C. L LOYD M ORGAN (“Emergent Evolution”, 1923). Die Autoren entwickelten ihre jeweiligen Emergenz-Theorien mit dem Ziel, „den Disput zwischen Vitalisten und Mechanisten über die zutreffende Erklärung der Lebensprozesse [zu] beenden“ (S TEPHAN / B ECKERMANN 1994: 46). Sie wollten eine neuartige Zwischenposition formulieren: Einerseits gingen sie - entgegen der vitalistischen und gemäß der mechanistischen Position - nicht davon aus, dass höhere Seinsschichten aufgrund des Wirkens äußerer Kräfte entstehen. Andererseits vertraten sie aber - entgegen der mechanistischen Position - auch nicht die Überzeugung, die neu entstandenen Eigenschaften der höheren Schicht ließen sich aus den Eigenschaften der tieferen Ebene ableiten (S TEPHAN / B ECKERMANN 1994: 46, S TÖCKLER 1990: 11). Der Emergenz-Begriff in seiner klassischen evolutionstheoretischen Bestimmung bezieht sich demnach auf die „Entstehung neuer Seinsschichten (Leben gegenüber unbelebter Natur oder Geist gegenüber Leben), die in keiner Weise aus den Eigenschaften einer darunter liegenden Ebene ableitbar, erklärbar oder voraussagbar sind“ (K ROHN / K ÜPPERS 1992b: 389). In der Mehrzahl der Emergenztheorien wird „die Emergenz bestimmter Systemeigenschaften behauptet“, denen meist die Merkmale „Neuartigkeit“, „Unvorhersagbarkeit“ und „Nichtreduzierbarkeit“ zuerkannt werden (S TEPHAN / B ECKERMANN 1994: 47). Die Emergenz-Behauptung kann sich aber auch auf andere Einheiten beziehen, nämlich auf „Gesetze, Kräfte, Wirkungen, ‘höhere’ Systemeigenschaften, Eigenschaften von Bestandteilen in komplexen Systemen oder Systeme als solche“ (S TEPHAN / B ECKER - MANN 1994: 47). Die in der Aufzählung enthaltene Möglichkeit, die Emergenz-Behauptung auf die „Eigenschaften von Bestandteilen in komplexen Systemen“ zu beziehen, ist für das Metaphernverstehen entscheidend, weil den kombinierten Konzepten im Verstehensprozess emergente konzeptuelle Merkmale zugewiesen werden, die kein genuiner Bestandteil ihres Inhalts, aber auch keine Merkmale einer höheren Ebene sind (vgl. weiter unten). ni entwickelt hatte (S TEPHAN / B ECKERMANN 1994: 46, S TÖCKLER 1990: 9 f.). M ILL s “Logic” gilt als „Wiege des Britischen Emergentismus“ (s. S TEPHAN 2007: 78-98). 1.2 Allgemeiner Emergenz-Begriff 17 Von den Vertretern des Britischen Emergentismus hat B ROAD (1925) die wohl präziseste Emergenz-Explikation vorgeschlagen: 2 “The characteristic behaviour of the whole could not, even in theory, be deduced from the most complete knowledge of the behaviour of its components, taken separately or in other combinations, and of their proportions and arrangements in this whole.” (B ROAD 1925: 59, zit. n. S TÖCKLER 1990: 12) In Auseinandersetzung mit den Arbeiten des Britischen Emergentismus 3 haben vor allem C. G. H EMPEL und P. O PPENHEIM (1948) und E. N AGEL (1974 [1961]) den Emergenz-Begriff wissenschaftstheoretisch geprüft und neu bestimmt, wobei sie vor allem von der B ROAD schen Emergenz- Bestimmung ausgehen. Sie konzentrieren sich auf die Rolle, die allgemeine Theorien für die Emergenz-Behauptung spielen. B ROAD hatte ja davon gesprochen, dass die emergenten Systemeigenschaften nicht einmal theoretisch aus den Eigenschaften der Komponenten abgeleitet werden können. Er postuliert damit einen „starken“ Emergenz-Begriff, der die Existenz emergenter Eigenschaften behauptet, die sich jeder theoretischen Reduktion entziehen (vgl. die ausführliche Darstellung in S TEPHAN 2007: 32-44). H EMPEL und O PPENHEIM (1948) argumentieren dagegen, Emergenz könne stets nur in Bezug auf die spezifischen, momentan verfügbaren Theorien nachgewiesen werden, Emergenz in Bezug auf jede mögliche Theorie sei nicht nachweisbar (S TEPHAN / B ECKERMANN 1994: 48). Tatsächlich waren auch viele der von B ROAD angeführten Beispiele für emergente Systemeigenschaften, die er vor allem in der Chemie fand, durch die Theorie der Quantenphysik zu herleitbaren und erklärbaren Phänomenen geworden, so dass sie nicht mehr länger als emergent gelten konnten (S TEPHAN / B ECKERMANN 1994: 46; siehe M C L AUGHLIN 1992). H EMPEL und O PPENHEIM 2 Vgl. auch den Gestalt-Begriff in der Wahrnehmungspsychologie (W ERTHEIMER 1923, K OFFKA 1935, K UBOVY / G EPSHTEIN 2000), die gezeigt hat, dass „Wahrnehmung zwar durch Sinnesreize und neurophysiologische Vorgänge veranlaßt wird, aber die Bildung von Wahrnehmungsmustern - und verallgemeinert: aller psychischen Qualitäten - durch die interne Organisation der Erregungsverarbeitung bestimmt ist“ (K ROHN / K ÜPPERS 1992a: 15). Auch perzeptuelle Gestalten verfügen deshalb über Eigenschaften, die kein Bestandteil der in ihnen zusammengefügten Komponenten sind und die nicht aus den einzeln betrachteten Komponenten hergeleitet werden können. Zur Emergenz von bildhaften mentalen Repräsentationen beim Metaphernverstehen aus gestaltpsychologischer Sicht siehe das „Gestalt projection model“ von I NDURK- HYA (2006). Vgl. auch G LICKSOHN / G OODBLATT (1996), G IBBS / B OGDONOVICH (1999), C ACCIARI (2008: 438 f.). 3 Das Verdienst der Arbeiten des Britischen Emergentismus wird unterschiedlich bewertet. Während H ASTEDT sie wegen gravierender „Inkonsistenzen“ ablehnt (H ASTEDT 1989: 179), stellen sie für S TEPHAN bahnbrechende Ergebnisse dar, deren Niveau in den späteren Debatten nicht wieder erreicht wurde (S TEPHAN 2007: 159). 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 18 schlugen dementsprechend eine Begriffsexplikation vor, die die Theorieabhängigkeit der Emergenz-Behauptung betont: “The occurrence of a characteristic W in an object w is emergent relatively to a theory T, a part relation Pt, and a class G of attributes if that occurrence cannot be deduced by means of T from a characterization of the Pt-parts of w with respect to all the attributes in G.” (H EMPEL / O PPENHEIM 1948: 151, zit. n. S TÖCKLER 1990: 13) H EMPEL und O PPENHEIM nehmen damit eine weitreichende „Relativierung des Emergenz-Begriffes“ (S TEPHAN 2007: 143) vor: Sie charakterisieren ihn als abhängig von den zugrunde gelegten allgemeinen Theorien, von der jeweiligen Systemmodellierung - d. h. von welcher Einteilung des Systems ausgegangen wird, welche Komponenten angenommen werden - und als davon abhängig, welche Eigenschaften den Systemkomponenten zugesprochen werden (S TEPHAN 2007: 143 f.). Auch N AGEL (1974 [1961]: 366-380) diskutierte den Emergenz-Begriff im Hinblick auf seine Theorieabhängigkeit und bezog ihn zudem auf „Aussagen und ihre logischen Beziehungen“ (S TÖCKLER 1990: 14). H EMPEL und O PPENHEIM s sowie N AGEL s „Analyse führt[e] zu einem schwachen, epistemischen und theorierelativen Begriff der Emergenz“, der laut S TEPHAN und B ECKERMANN angeblich „kein besonderes wissenschaftliches Interesse mehr beanspruchen kann“ (S TEPHAN / B ECKERMANN 1994: 46; vgl. S TEPHAN 2007: 143-146, 247-249). 4 Für die aktuelle Debatte ist diese Auffassung von Emergenz jedoch weiterhin produktiv (siehe weiter unten). Im Hinblick auf mentale Phänomene wie das Verstehen innovativer Metaphern ist ohnehin nur ein theorierelativer Emergenz-Begriff denkbar, da mentale Phänomene nicht direkt erforscht werden können und Aussagen über sie immer an den Rahmen einer Theorie gebunden sind. In der gegenwärtigen Diskussion findet der Emergenz-Begriff vor allem Verwendung „in so unterschiedlichen Bereichen wie der Philosophie des Geistes, Theorien der Selbstorganistation, im Konnektionismus, der Synergetik und der Chaostheorie“ (S TEPHAN 2007: XI). Im Folgenden sollen aus der Fülle der heutigen wissenschaftlichen Emergenz-Begriffe diejenigen vorgestellt werden, von denen sich Hinweise 4 Vgl.: „[Wir] interessieren […] uns im allgemeinen nicht nur dafür, ob eine Eigenschaft F bezüglich einer bestimmten Theorie T emergent ist. Vielmehr wollen wir z. B. wissen, ob die Eigenschaften, die für Lebewesen charakteristisch sind, grundsätzlich auf die Eigenschaften von Zellen und deren Zusammenwirken zurückgeführt werden können. Trotz der Bedenken von H EMPEL und O PPENHEIM sind wir in der Regel also daran interessiert herauszufinden, ob bestimmte Phänomene im absoluten Sinne emergent sind oder nicht.“ (S TEPHAN / B ECKERMANN 1994: 48, Hervorh. i. Orig.) 1.2 Allgemeiner Emergenz-Begriff 19 für die Anwendung des Begriffes auf das Verstehen innovativer Metaphern erwarten lassen. Das sind einerseits die Emergenz-Explikationen im Rahmen der Theorie selbstorganisierender Systeme (K ROHN / K ÜPPERS 1992) und andererseits der allgemeine, theorierelative Emergenz-Begriff, wie er in der Philosophie des Geistes vorgeschlagen wurde (H ASTEDT 1989, S TÖCKLER 1990). Der Emergenz-Begriff im Konnektionismus soll hier keine Berücksichtigung finden, da seine Verwendung oft auf der alltagssprachlichen Bedeutung des Wortes “emerge” im Englischen 5 im Sinne des „›sich von selbst Ergebens‹“ beruht (S TEPHAN 2007: 229, Hervorh. i. Orig.; vgl. 228 f.; siehe z. B. das Kapitel “Emergent Properties and Connectionism” in V ARELA / T HOMPSON / R OSCH 1993: 85-103) und die mathematisch exakte Modellierung der konnektionistischen Netze ohnehin wohl kaum auf das Problem der kognitiven Kreativität beim Metaphernverstehen übertragen werden kann (zur „Emergenz im Konnektionismus“ siehe S TEPHAN 2007: 219-231). Das Gleiche gilt für die mathematisch fundierten Modellierungen, wie sie in der Synergetik und in der Chaostheorie entwickelt wurden, weshalb auch die in diesen beiden Bereichen zu findenden Emergenz-Begriffe hier nicht besprochen werden (zur Emergenz in Synergetik und Chaostheorie siehe S TEPHAN 2007: 232-238, 242-246). 1.2.2 Emergenz-Begriff in der Theorie selbstorganisierender Systeme Dem Emergenzphänomen im Rahmen von Theorien selbstorganisierender Systeme ist der von K ROHN und K ÜPPERS herausgegebene interdisziplinäre Sammelband „Emergenz: Die Entstehung von Ordnung, Organisation und Bedeutung“ (K ROHN / K ÜPPERS 1992) gewidmet. Von den Herausgebern wird der Emergenz-Begriff an zwei Stellen des Bandes allgemein charakterisiert. Im Einleitungsaufsatz heißt es: „Emergenz bezeichnet das plötzliche Auftreten einer neuen Qualität, die jeweils nicht erklärt werden kann durch die Eigenschaften oder Relationen der beteiligten Elemente, sondern durch eine jeweils besondere selbstorganisierende Prozeßdynamik “ (K ROHN / K ÜPPERS 1992a: 8 f., Hervorh. i. Orig.). Im Glossar heißt es, man spreche „in einer modernen Version […] von Emergenz, wenn durch mikroskopische Wechselwirkung auf einer makroskopischen Ebene eine neue Qualität entsteht, die nicht aus den Eigenschaften der Komponenten herleitbar (kausal erklärbar, 5 Zu verschiedenen, sich teilweise widersprechenden Verwendungsweisen des englischen Begriffes „emergent“, die auch in allgemeinen Sprachtheorien feststellbar sind, siehe D AHL (2004: 27-39). 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 20 formal ableitbar) ist, die aber dennoch allein in der Wechselwirkung der Komponenten besteht.“ (K ROHN / K ÜPPERS 1992b: 389) Die Formulierungen legen die Vermutung nahe, dass mit „Qualität“ eine neue Systemeigenschaft gemeint ist. Worauf es ankommt ist, dass Emergenz hier als das Resultat der Wechselwirkungen von Komponenten verstanden wird, die innerhalb einer „selbstorganisierende[n] Prozeßdynamik“ stattfinden (K ROHN / K ÜPPERS 1992a: 8 f.). 6 Die Bedeutsamkeit dieser Emergenz-Behauptung für eine kognitive Modellierung des Verstehens innovativer Metaphern ergibt sich schon aus dem Umstand, dass kognitive Systeme selbstorganisierende Systeme par excellence sind. Speziell mit kognitiven Systemen beschäftigt sich der Aufsatz von G. R OTH (1992). Für R OTH ist das Problem der Emergenz das Auftauchen von Bewusstsein - er spricht von „Bedeutung“ bzw. von „bedeutungshaltigen mentalen Ereignissen“ -, das auf der Grundlage physiko-chemischer Prozesse im Gehirn entsteht, auf deren Ebene aber nicht erklärt werden kann: Die „mentalen Ereignisse scheinen eine »emergente«, nicht physikochemisch begründbare Eigenschaft des Gehirns zu sein“ (R OTH 1992: 105). Unter „Bedeutung“ versteht R OTH dabei „die Wirkung, die ein physikochemisches Ereignis innerhalb eines kognitiven Systems auslöst“ (R OTH 1992: 111, Hervorh. i. Orig.). Kann ein solcher auf den Dualismus von Gehirn und Geist 7 bezogener Emergenz-Begriff offensichtlich nicht auf rein mentale Phänomene wie das 6 S TEPHAN (2007: 239-242) wirft den Herausgebern und anderen Autoren des Sammelbandes vor, sich nicht um eine hinreichende Explikation des Emergenz-Begriffes bemüht zu haben (s. auch Fußnote 10). S TEPHAN kritisiert etwa, dass „die Explikation des ›modernen‹ Emergenzbegriffes schwankt: In der Einleitung heißt es, daß die systemischen Eigenschaften eines selbstorganisierten Systems nicht durch die Eigenschaften oder Relationen der Systembestandteile erklärt werden könnten, wohl aber durch die jeweils vorherrschende Prozeßdynamik. Im Glossar wird die zugelassene Erklärungsbasis dagegen auf die Eigenschaften der Systemkomponenten eingeschränkt und zugleich betont, daß die systemischen Eigenschaften ›allein durch die Wechselwirkung der Komponenten entstünden‹“ (S TEPHAN 2007: 239 f.). 7 Es soll hier aber nicht die Unabhängigkeit beider Ebenen behauptet werden. Vgl.: „Die Emergenz eines in sich kohärenten Bedeutungssystems im Gehirn bedeutet keineswegs, daß sich die Kognition von den neuronalen Prozessen »freimacht«. Es besteht nach wie vor keine Notwendigkeit, den Gedanken einer strikten Parallelität neuronaler und kognitiver Prozesse aufzugeben, daß also zu einem bestimmten Zeitpunkt einem kognitiven Prozeß genau ein neuronaler Prozeß zugeordnet ist. Freilich kann sich diese Zuordnung aufgrund der Eigenaktivität des Systems selbst ändern, d. h. ein bestimmtes neuronales Erregungsmuster mag in einem neuen Kontext etwas ganz Neues bedeuten, und diese Kontextänderung mag sich in sehr schnellen Zeiträumen (etwa in Sekunden) ändern. Dadurch wird aber das Prinzip der Eindeutigkeit nicht durchbrochen. Für den externen Beobachter erscheint dies so, als belege 1.2 Allgemeiner Emergenz-Begriff 21 Verstehen innovativer Metaphern übertragen werden, so sind jedoch die Überlegungen R OTH s zur Selbstreferenzialität kognitiver Systeme für den gegebenen Zusammenhang weiterführend. Das sprachliche Prinzip nämlich, nach dem Bedeutungen immer in Bezug auf andere Bedeutungen beschrieben werden, verallgemeinert R OTH als eine Eigenschaft der Bedeutungskonstitution eines jeden kognitiven Systems: 8 „Was ein Ereignis für ein kognitives/ kommunikatives System bedeutet, resultiert aus den zuvor in diesem System existierenden Bedeutungen und Bedeutungsfeldern (»Kontexten«) und damit aus der bisherigen Geschichte der Bedeutungskonstitution dieses Systems. Bedeutungen erzeugen Bedeutungen: dies ist die fundamentale Selbstreferentialität der Semantik, welche die kognitive Organisation des Gehirns […] konstituiert.“ (R OTH 1992: 110); „Ereignisse innerhalb eines kognitiven Systems können sich gegenseitig Bedeutung zuweisen, indem sie aufeinander wirken.“ (R OTH 1992: 112) In einer früheren Arbeit hatte R OTH ausgeführt, dass er den „Begriff der Selbstreferentialität bzw. den selbstreferentieller Systeme als Oberbegriff für biologische, kognitive und soziale Systeme [betrachtet]“ (R OTH 1987: 399) und hatte diese als „Systeme, deren Zustände wesentlich durch die Interaktion ihrer Komponenten (also »von innen«) und nicht wesentlich durch die Beeinflussung durch ihre Umwelt (also »von außen«) bestimmt werden“ (R OTH 1987: 400), charakterisiert. Die Beziehung zwischen dem neuronalen System und den kognitiven Bedeutungszuweisungen sieht R OTH in Analogie zur Beziehung zwischen dem System der Sprachlaute und den sprachlichen Bedeutungen (R OTH 1987: 419). Die Frage, die sich aus den Ausführungen R OTH s ergibt, ist, ob Emergenz nur zwischen verschiedenen Schichten - wie den zentralnervösen Prozessen und den Bewusstseinszuständen - auftritt, oder ob es möglich ist, dass emergente Eigenschaften innerhalb des selben Phänomenbereiches auftreten können. Mit diesem Problem beschäftigt sich der Beitrag G. T EUBNER s, aus dessen Sicht „Emergenz durch Selbstorganisation“ in bestimmten Systemen entdas neuronale System seine eigenen Zustände stets mit neuen Bedeutungen, und zwar in Abhängigkeit von seinen eigenen Zuständen und deren Bedeutungen, d. h. selbstreferentiell. Für das kognitive System selbst, für das die neuronale Ebene nicht unmittelbar erlebt wird, ist dies offenbar der Zustand der Wahrnehmung, der Vorstellung und des Denkens.“ (R OTH 1987: 418 f.) Zur Selbstreferenzialität vgl. weiter unten Kap. 1.2.2. 8 Vgl. die Einleitung der Herausgeber: „Die Komponenten oder […] die invarianten Relationen sind zwar Ordnungen, aber die Selbstorganisation wird nicht durch diese Ordnungen, sondern durch die Operationen der zirkulären Bedeutungszuweisungen bestimmt.“ (K ROHN / K ÜPPERS 1992a: 15) 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 22 steht (T EUBNER 1992: 191). Die Theorie der Selbstorganistion wendet sich ihm zufolge gegen die traditionelle Theorie einer „»Emergenz von unten« und ersetzt sie durch die Vorstellung einer selbstreferentiell-systemischen Neugruppierung gegebenen Materials“ (T EUBNER 1992: 191). Emergenz wird bestimmt als das Auftreten neuer Systeme durch die selbstreferenzielle Aktivität innerhalb des zugrunde liegenden Systems: „Emergenz tritt dann auf, wenn selbstreferentielle Zirkel entstehen, die sich in einer Weise miteinander verketten, daß sie die Elemente eines neuen Systems bilden“ (T EUBNER 1992: 191 f.). Die oben aufgeworfene Frage, ob Emergenz innerhalb des selben Phänomenbereichs möglich ist, beantwortet T EUBNER dahingehend, dass es sich bei den neu entstehenden Systemen keineswegs um Systeme einer neuen Stufe, einer anderen ‘Seinsschicht’ handeln muss: „Kommunikationssysteme verselbständigen sich gegenüber Kommunikationssystemen. Es wird damit behauptet, daß auch innerhalb des gleichen Phänomenbereichs die Herausbildung höherstufiger selbstreproduktiver Systeme möglich ist“ (T EUBNER 1992: 193). In einer früheren Arbeit hatte T EUBNER die Merkmale, die für das Erfüllen der „Bedingung der Emergenz“ gegeben sein müssen, folgendermaßen erläutert: „[A]uf der Grundlage eines autopoietischen Systems [kann sich] ein höherstufiges autopoietisches System dann herausbilden […], wenn es seine Systemkomponenten selbst produziert, wobei - und darauf kommt es an - diese Komponenten weder mit den Komponenten des ersten Systems identisch sind noch mit dem ersten System selbst. Ein Wechsel des Phänomenbereichs ist dazu jedoch nicht erforderlich; es genügt Emergenz in dem Sinne, daß sich innerhalb des gleichen Phänomenbereichs nur andersartige, selbstreferentielle Zirkel bilden, die die neuen Systemeinheiten konstituieren.“ (T EUBNER 1987: 431) In Bezug auf die Semantiktheorie und das Beispiel des Metaphernverstehens müsste geklärt werden, ob es sinnvoll ist, von der Herausbildung eines neuen Systems zu sprechen, was dessen Einheiten sein sollten und was unter den selbstreferenziellen Zirkeln zu verstehen wäre, die auf der darunter liegenden Systemebene zur Herausbildung des neuen Systems geführt hätten. Einen Hinweis zu den selbstreferenziellen Zirkeln bietet S CHMIDT in seinem Beitrag zur „Rolle von Selbstorganisation beim Sprachverstehen“ (S CHMIDT 1992), in dem er auch von der selbstreferenziellen Funktionsweise kognitiver Systeme ausgeht: „Kognitive Systeme sind material und energetisch angewiesen auf Körper, sie sind aber operational geschlossen. Sie gehen ausschließlich mit ihren eigenen Zuständen um und organisieren sich selbst. Einflüsse aus der Umwelt wirken sich auf kognitive Systeme als Perturbationen (im Sinne Maturanas) und damit 1.2 Allgemeiner Emergenz-Begriff 23 als Anlässe zu selbstreferentiellen Prozessen aus, die - etwa im Falle geeigneter (das heißt im Sprechenlernen konventionalisierter) »semiotischer Perturbationen« - zur Informationsproduktion führen.“ (S CHMIDT 1992: 297 f.) Unter den selbstreferenziellen Zirkeln wäre der inferenzielle Informationsverarbeitungsprozess zu verstehen, der das Ziel hat, geeignete Bedeutungsmerkmale zu generieren und der erst zu einem - vorläufigen - Ende gelangen kann, wenn der Metapher Bedeutungsmerkmale zugeordnet werden, die eine kontextabhängig plausible Interpretation darstellen. Insgesamt ist zu sagen, dass in den Beiträgen des Sammelbandes von K ROHN und K ÜPPERS (1992) die jeweilige Verwendung des Emergenz- Begriffs meist nur unzureichend erläutert wird und der Begriff daher oft vage bleibt. 9 Dennoch hat die Auseinandersetzung einige Grundprinzipien der Arbeitsweise kognitiver Systeme aufgezeigt und in Bezug auf Emergenz beim Verstehen innovativer Metaphern den wichtigen Hinweis ergeben, dass emergente Eigenschaften nicht unbedingt einer anderen Ebene angehören müssen: Die emergenten Merkmale beim Metaphernverstehen sind und bleiben konzeptuelle Merkmale, sie sind aber emergent in Bezug auf die Gesamtheit der konzeptuellen Merkmale, die durch die beiden kombinierten Konzepte bereit gestellt werden. 1.2.3 Allgemeiner, theorierelativer Begriff der Eigenschaftsemergenz Die Formulierung eines allgemeinen, theorierelativen Emergenz-Begriffes, die den Grundannahmen von H EMPEL und O PPENHEIM (1948) und E. N AGEL (1974 [1961]) verpflichtet ist, haben im deutschsprachigen Raum in jüngerer Zeit H. H ASTEDT (1989) und M. S TÖCKLER (1990) vorgelegt und damit bekundet, dass gerade ein schwacher Emergenz-Begriff wissenschaftlich angemessen und anwendbar ist. 10 Beide gehen von naturwissenschaftlich-philosophischen Problemstellungen aus. H ASTEDT s Anspruch ist es, einen Emergenz-Begriff zu entwi- 9 Vgl. die scharfe Kritik von S TEPHAN : „Für ein Buch, dessen Beiträge sich durch den gemeinsamen Bezugspunkt ›Emergenz‹ auszeichnen, ist es schon erstaunlich, wie wenig dieser zentrale Begriff, der dem ganzen Werk den Titel gegeben hat, selbst analysiert und diskutiert wird. Die darin versammelten Arbeiten können nicht als eine echte Bereicherung der Emergenzdebatte angesehen werden, da die vorgeschlagenen Emergenz-Begriffe entweder zu schwach sind oder viel zu ungenau expliziert werden“ (S TEPHAN 2007: 242; zur detaillierten Kritik an den Auffassungen von K ROHN und K ÜPPERS , T EUBNER und R OTH siehe S TEPHAN 2007: 238-242). 10 H ASTEDT geht vor allem von N AGEL (1974 [1961]) und von C HURCHLAND (1985) aus (H ASTEDT 1989: 269 f.), S TÖCKLER von H EMPEL / O PPENHEIM (1948) und N AGEL (1974 [1961]) (S TÖCKLER 1990: 13 f.). 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 24 ckeln, der zur „Lösung des Geist-Körper-Problems“ (H ASTEDT 1989: 175) beiträgt, 11 und S TÖCKLER will diesen Begriff derart präzisieren, „daß mit ihm nützliche Unterscheidungen möglich werden und ein Zusammenhang zwischen dem Emergenzbegriff und einer Schichtenstrukturierung der Natur deutlich wird“ (S TÖCKLER 1990: 8). S TÖCKLER sieht die Relevanz des Emergenzbegriffs im Zusammenhang mit der Tatsache, dass „noch weitgehend eine Wissenschaft des Umgangs mit komplexen Systemen [fehlt]“ (S TÖCKLER 1990: 15). Die Wichtigkeit „viele[r] emergente[r] Eigenschaften oder Gesetzmäßigkeiten für uns“ ergebe sich, „weil wir mit halbwegs einfachen Theorien über höchst komplexe Systeme reden“ (S TÖCKLER 1990: 15). 12 Dementsprechend expliziert S TÖCKLER Emergenz als die „Nichtreduzierbarkeit auf die eingeschränkte Theorie, die ausreicht, die einfachen, isolierten Bestandteile zu verstehen“ (S TÖCKLER 1990: 17). Gegenstand der Emergenz-Behauptung sind für S TÖCKLER bestimmte „Eigenschaften zusammengesetzter, mehr oder weniger komplexer Systeme“ (S TÖCKLER 1990: 19, Hervorh. i. Orig.). 13 Als emergente Eigenschaften eines Systems bezeichnet er solche, „die nicht allein mit Hilfe jener Teiltheorien und Strategien erklärt werden können, die ausreichen, um das Verhalten der isolierten Komponenten zu erklären“ (S TÖCKLER 1990: 19, Hervorh. i. Orig.). Um eine „Inflation“ emergenter Eigenschaften zu vermeiden und zu garantieren, dass die „Emergenzschwelle“ nicht völlig abhängig ist von geringfügigsten Änderungen der Theorien, formuliert S TÖCKLER folgende Bedingung: „Von Emergenz spricht man aber nur dann, wenn das Erklärungsarsenal wesentlich gegenüber dem Minimalinhalt erweitert werden muß, der ausreicht, um die Komponenten zu erklären“ (S TÖCKLER 1990: 19, Hervorh. i. Orig.). Diese Bedingung könne aber „nicht mehr allgemein im Emergenzbegriff expliziert, 11 Neben den Arbeiten des Britischen Emergentismus bespricht H ASTEDT als Theorien zum Geist-Körper-Problem die Ansätze von P OPPER (1977) und B UNGE (1980). Beiden weist er Inkonsistenzen in der vorgeschlagenen Emergenztheorie und Vagheit der verwendeten Emergenz-Begriffe nach, weshalb er sie als nicht aussagekräftig ablehnt (H ASTEDT 1989: 194; vgl. ausführlich 181-194). 12 In dieselbe Richtung deutet M ACKENZIE schon 1926: “The best use of the term [emergent, HS] is to name provisionally cases where causation is accepted as a fact, but where the steps of their production are not yet capable of scientific description.” (M ACKENZIE 1926: 69, zit. n. S TEPHAN 2007: 141) Vgl. auch H ENLE 1942: “Indications are […] that emergence has to do with our knowledge only.” (H ENLE 1942: 493, zit. n. S TEPHAN 2007: 143) 13 Vgl. die Explikation von S TEPHAN : „Eine Systemeigenschaft heißt genau dann systemisch, wenn kein Bestandteil des Systems eine Eigenschaft dieses Typs hat.“ (S TE- PHAN 2007: 21, Hervorh. i. Orig.) 1.2 Allgemeiner Emergenz-Begriff 25 sondern [müsse] im Kontext der einzelwissenschaftlichen Theorien plausibel gemacht werden“ (S TÖCKLER 1990: 19). 14 H ASTEDT unterscheidet zunächst drei grundsätzliche „Reflexionsstufen einer Emergenztheorie“ (H ASTEDT 1989: 255): 1. eine „genetische“, 2. eine „systematische“ und 3. eine „selbstreferentielle Emergenztheorie“ (H ASTEDT 1989: 257 f.). Die genetische Emergenztheorie 15 beschäftigt sich mit dem Entstehen von emergenten Phänomenen (H ASTEDT 1989: 258-262). Von den drei Eigenschaften, die solchen Phänomenen im Allgemeinen zugeschrieben werden - „Neuartigkeit“, „Unvorhersagbarkeit“ und „Nichtreduzierbarkeit“ (S TEPHAN / B ECKERMANN 1994: 47) -, beziehen sich die beiden ersten, Neuartigkeit und Unvorhersagbarkeit, auf den Entstehungsprozess. Für H ASTEDT ist jedoch lediglich die dritte Eigenschaft, die Nichtreduzierbarkeit, entscheidend, weil nur über sie emergente Phänomene systematisch beschrieben werden können (vgl. H ASTEDT 1989: 272 f.), wie es der Anspruch der systematischen Emergenztheorie ist (s. H ASTEDT 1989: 262- 290). 16 Die systematische Emergenztheorie als zweite Stufe einer Emergenztheorie ist für H ASTEDT von zentraler Bedeutung (siehe weiter unten). Mit der selbstreferenziellen Emergenztheorie verweist H ASTEDT auf den Umstand, dass „auch die systematische Emergenztheorie noch ein Projekt des menschlichen Geistes ist, in dem sich der menschliche Geist selbst reflektiert und interpretiert“ (H ASTEDT 1989: 290, vgl. 290-292). Das Paradox, dass der menschliche Geist sich zwar zum Gegenstand der Beobachtung machen, sich selbst dabei aber nicht ‘hintergehen’ kann, fasst H ASTEDT unter dem Stichwort „Vorrangigkeit der Teilnehmerperspektive“ so zusammen: „Der Geist in der Teilnehmerperspektive ist als Subjekt der Erkenntnis methodisch vorrangig gegenüber Geist und Körper als Erkenntnisobjekten in der Beobachterperspektive“ (H ASTEDT 1989: 291, Hervorh. i. Orig.). Die Bedeutung sprachlicher Vermittlung für jeden Erkenntnisprozess charakterisiert H ASTEDT so: „Methodische Vorrangigkeit des Geistes heißt, daß der Geist als Gesamtheit mentaler Fähigkeiten in seiner sprachlichen Vermittlung das systematisch Erste der Erkenntnis darstellt“ (H ASTEDT 1989: 291, Hervorh. i. Orig.). Die systematische Emergenztheorie, wie sie H ASTEDT vorstellt, beschäftigt sich nicht mit der Entstehung von emergenten Phänomen, sondern versucht emergente Phänomene als bereits gegebene zu beschreiben. Wie S TÖCKLER (1990) spricht sich H ASTEDT dafür aus, nicht Entitäten und Gesetze, sondern „Eigenschaften als Träger der Emergenzbehauptung“ (H ASTEDT 1989: 268, Hervorh. i. Orig.) aufzufassen, wobei er sie jedoch im Unter- 14 Zur Kritik an S TÖCKLER s Emergenz-Begriff aus naturwissenschaftlicher Sicht siehe S TEPHAN (1992/ 93). 15 S TEPHAN (2007: 69, vgl. 69 f.) spricht von „diachronen“ Emergenztheorien. 16 S TEPHAN (2007: 69, vgl. 67 f.) spricht von „synchronen“ Emergenztheorien. 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 26 schied zu S TÖCKLER nicht explizit auf eine Systemebene bezieht, sondern allgemein erklärt: „Zwischen Eigenschaften besteht ein Emergenzverhältnis, wenn Sätze über die eine Eigenschaft durch Sätze über die andere Eigenschaft weder ersetzt noch definiert noch aus ihnen abgeleitet werden können“ (H ASTEDT 1989: 270, Hervorh. i. Orig.). Für seine Emergenzbestimmung benutzt H ASTEDT „Sätze“, um darauf hinzuweisen, dass die Eigenschaften an sich nicht direkt zugänglich sind, sondern nur in ihrer Beschreibung durch Sätze (und deren logische Beziehungen) erfasst werden, weshalb ein Emergenzverhältnis nur auf der Ebene von Sätzen feststellbar ist, obwohl es nicht zwischen den Sätzen, sondern zwischen den Eigenschaften selbst besteht (H ASTEDT 1989: 270). Auch H ASTEDT s Emergenzbestimmung schließt wie die S TÖCKLER s eine „absolute Emergenz, die emergierende Eigenschaften für alle Zeiten unabhängig von einzelwissenschaftlichen Theorien behauptet“, aus und postuliert dagegen eine „theorienrelative Eigenschaftsemergenz“ (H ASTEDT 1989: 269). Die oben zitierte Explikation ist aber von H ASTEDT bewusst so allgemein gehalten, dass Emergenz nicht nur in Bezug auf ‘harte’ (wissenschaftliche) Theorien bestimmt werden, sondern die Begriffsbestimmung sogar dazu dienen kann, „alle die Aspekte als emergente Eigenschaften (im Sinne eines terminus technicus) zu bezeichnen, die im Verhältnis zweier Sätze im wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Bereich nicht reduzierbar sind“ (H ASTEDT 1989: 270). Auch S TÖCKLER , der einen strikt an wissenschaftliche Theorien gebundenen Emergenzbegriff entwickelt, hatte erwogen, dass „man von emergenten Eigenschaften“ womöglich auch dann sprechen wolle, „wenn für Komponenten und System noch gar keine akzeptable Theorie vorliegt“ (S TÖCKLER 1990: 20). Mit den Emergenzbestimmungen von S TÖCKLER (1990) und H ASTEDT (1989) stehen zwei allgemeine, theorienrelative Bestimmungen von Eigenschaftsemergenz zur Verfügung, die sich zur Anwendung auf die kognitivlinguistische Semantiktheorie eignen. Die Eigenschaftsemergenz beziehe ich auf emergente konzeptuelle Merkmale, die im Sprachrezeptionsprozess - z. B. beim Verstehen von innovativen Metaphern - auftreten können. Sie sind hinsichtlich der lexikalischen Semantik emergent gegenüber den Wortbedeutungen und den an sie gekoppelten Konzeptinhalten (s. Kap. 1.4). Sie sind im Hinblick auf die Äußerungssemantik emergent gegenüber den kompositional errechenbaren Anteilen der Äußerungsbedeutung (s. Kap. 4.1.3 u. 4.2.3). In Bezug auf die Textsemantik sind sie emergent gegenüber den semantischen Informationen der Textbasis (s. Kap. 5.2). 1.3 Emergenz-Begriff in der Linguistik 27 1.3 Emergenz-Begriff in der Linguistik In der Linguistik ist der Emergenz-Begriff bisher in der Kognitiven Linguistik im Rahmen der Blending-Theorie, in verschiedenen Studien der Psycholinguistik und in der Pragmatik im Rahmen der Relevanz-Theorie verwendet worden. Ich werde in diesem Kapitel zeigen, dass der Emergenz- Begriff in der Kognitiven Linguistik und in der Psycholinguistik theoretisch noch nicht hinreichend begründet und definiert wird und daher nicht praktikabel ist. Auf den Emergenz-Begriff und die Modellierung von Emergenzphänomen aus Sicht der pragmatischen Relevanz-Theorie gehe ich in einem eigenen Kapitel kritisch ein (s. Kap. 3). 1.3.1 Emergenz-Begriff in der Kognitiven Linguistik: Blending-Theorie Innerhalb der holistischen Kognitiven Linguistik, in der sprachliche und konzeptuelle Strukturen gleichgesetzt werden (siehe Kap. 2.1), ist von F AU- CONNIER und T URNER (1996, 2002) eine Theorie der konzeptuellen Integration unter dem Namen Blending-Theorie (‘blending theory’) vorgeschlagen worden, in welcher der Emergenz-Begriff eine prominente Rolle spielt. Bevor ich auf dessen Verwendung eingehe, soll die Theorie in ihren Grundzügen vorgestellt werden. Die Blending-Theorie ist als eine Theorie der Konzeptualisierung, speziell als Theorie der Kombination von Konzepten konzipiert: Sie soll zeigen, wie die Identität (‘identity’) bzw. Verschiedenheit von Konzepten festgestellt wird, wie die Integration (‘integration’) von Konzepten funktioniert, wenn diese kombiniert und in komplexen konzeptuellen Netzwerken (‘integration networks’) repräsentiert werden und schließlich, welche Rolle dabei die Imagination (‘imagination’) im Sinne von kreativen mentalen Simulationen spielt (F AUCONNIER / T URNER 2002: 6). Der Gesamtprozess der Kombination von Konzepten wird als konzeptuelle Vermischung, als ‘conceptual blending’ bezeichnet und als eine der grundlegenden kognitiven Operation apostrophiert: “We discovered that the same cognitive operation—conceptual blending—plays a decisive role in human thought and action and yields a boundless diversity of visible manifestations” (F AU- CONNIER / T URNER 2002: vi). Das konzeptuelle Blending wird darüber hinaus als die kognitive Operation charakterisiert, die sowohl dem alltäglichen, konventionellen, als auch dem kreativen und innovativen Denken zugrunde liegt (F AUCONNIER / T URNER 2002: 6). F AUCONNIER und T URNER (2002) führen Beispiele für die durch Blending erzeugten Ergebnisse von Konzeptkombinationen unter anderem aus den Bereichen Wissenschaft (z. B. Mathematik), Technik (z. B. Computertechnologie), Kunst, Kultur 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 28 (Alltags- und Hochkultur), Mythos, Religion und vor allem aus dem Bereich des Sprachverstehens an (vgl. z. B. F AUCONNIER / T URNER 2002: 17-31). In der Blending-Theorie werden verschiedenste sprachliche Belege wie z. B. bestimmte grammatische Konstruktionen, kontrafaktische Aussagen, metaphorische Äußerungen usw. diskutiert. Die Vielfalt der aus anderen Bereichen herangezogenen Beispiele zeigt aber, dass F AUCONNIER und T URNER (1996, 2002) bewusst nicht nur linguistische Evidenz zur Untermauerung ihrer Theorie heranziehen möchten. Das unterscheidet die Blending-Theorie von F AUCONNIER und T URNER (1996, 2002) von der Theorie der konzeptuellen Metapher von L AKOFF und J OHNSON (1980, 1999), die zwar auch als eine Theorie der Konzeptualisierung, speziell als Theorie metaphorischer konzeptueller Projektionen konzipiert ist, die sich aber primär auf die Interpretation von sprachlichen Daten beruft (siehe dazu ausführlich Kap. 2.1.1). Die kleinste Form der Konzeptkombination, die kognitiv etabliert werden kann, die Verbindung von zwei Konzepten also, involviert in der Blending-Theorie die Beteiligung von vier mentalen Bereichen, so genannten ‘mental spaces’. Diese mentalen Bereiche sind nicht statisch, sondern prozedural definiert: “Mental spaces are small conceptual packets constructed as we think and talk, for purposes of local understanding and action” (F AUCONNIER / T URNER 2002: 40). Die mentalen Bereiche enthalten verschiedene Elemente; sie sind online mit im Langzeitgedächtnis abgespeicherten allgemeinen und/ oder spezifischen Schemata verbunden, über die sie strukturiert werden; und sie sind untereinander verknüpft und können in der Online-Verarbeitung modifiziert werden (F AUCONNIER / T UR - NER 2002: 40). 17 Wenn zwei komplexe Konzepte kombiniert werden, ergeben sich folgende vier mentalen Bereiche: zwei Input-Bereiche (‘input spaces’), der generische Bereich (‘generic space’) und der Blending-Bereich (‘blended space’). Der Input-Bereich 1 repräsentiert den konzeptuellen Inhalt des ersten Konzeptes, der Input-Bereich 2 dementsprechend den des zweiten Konzeptes; beide Bereiche sind so miteinander verbunden, dass zusammengehörige Elemente einander zugeordnet sind (F AUCONNIER / T URNER 2002: 40 f., 47). Der generische Bereich umfasst den konzeptuellen Inhalt, der beiden Input-Bereichen gemeinsam ist (F AUCONNIER / T URNER 2002: 41, 47). Der für die Konzeptkombination wichtigste Bereich ist der Blending- Bereich, auch kurz Blend (‘blend’) genannt: In ihn werden Informationen 17 F AUCONNIER und T URNER nehmen auch zu ihrem neuronalen Status Stellung: “In the neural interpretation of these cognitive processes, mental spaces are sets of activated neuronal assemblies, and the lines between elements correspond to coactivationbindings of a certain kind.” (F AUCONNIER / T URNER 2002: 40) 1.3 Emergenz-Begriff in der Linguistik 29 aus den beiden Input-Bereichen projiziert, die dort miteinander interagieren (F AUCONNIER / T URNER 2002: 42 f., 47). Die vier mentalen Bereiche und die zwischen ihnen bestehenden Verbindungen ergeben zusammen ein integriertes konzeptuelles Netzwerk (‘conceptual integration network’) (F AUCONNIER / T URNER 2002: 47). Ein solches Netzwerk mit nur vier Bereichen stellt die minimale Variante dar. Bei der Kombination von mehr als zwei Konzepten wird das Netzwerk entsprechend vergrößert. Ich will ein einfaches Netzwerk aus vier mentalen Bereichen an einem Metaphern-Beispiel verdeutlichen: (3) Das Gesicht meines Bruders war ein Schwarm Fische. (Richard P OWERS , Der Klang der Zeit, 21) Beim Verstehen von (3) als Äußerung werden die Konzepte GESICHT (des Bruders) und FISCHSCHWARM miteinander kombiniert. Der Input-Bereich 1 enthält demnach den Inhalt von GESICHT, der Input-Bereich 2 den Inhalt von FISCHSCHWARM. Der generische Bereich umfasst gemeinsame Merkmale wie SICHTBAR, BEWEGLICH etc. Die Verbindung der Input- Bereiche - die auch gemäß der Verbindung über den generischen Bereich gesteuert wird - enthält z. B. die Informationen, dass Änderungen des Gesichtsausdrucks auf Bewegungsänderungen des Fischschwarms bezogen werden etc. Im Blending-Bereich interagieren die projizierten Informationen der beiden Input-Bereiche miteinander. Als innovative Information könnten dabei die Merkmale ÄNGSTLICH und NERVÖS entstehen, die GESICHT (spezifischer: dem Gesichtsausdruck) mit Hilfe von FISCH- SCHWARM zugesprochen werden. Da beide Merkmale weder ein notwendiger Teil von GESICHT noch von FISCHSCHWARM sind, sondern erst über die Interaktion im Blending-Bereich entstehen, handelt es sich um emergente konzeptuelle Merkmale. Der Emergenz-Begriff wird in der Standardfassung der Blending- Theorie (F AUCONNIER / T URNER 2002: 42-44, 48 f.) wie folgt gefasst: Er bezieht sich auf die Teile der konzeptuellen Struktur des Blending-Bereichs, die nicht direkt aus den Input-Bereichen projiziert werden; diese Strukturanteile werden als emergente Struktur (‘emergent structure’) bezeichnet (F AUCONNIER / T URNER 2002: 42, 48). Emergente Struktur kann infolge dreier Prozesse entstehen: (1.) über die Relationsetablierung (‘composition’) zwischen Elementen aus den Input-Bereichen; (2.) über die Komplettierung (‘completion’) der Informationen des Blending-Bereiches durch zusätzliche Aktivierung von Schemawissen und (3.) durch Elaboration (‘elaboration’), die auch als “running the blend” bezeichnet wird, d. h. durch imaginative Interaktion der im Blending-Bereich repräsentierten (schon durch die Komplettierung erweiterten) Informationen (F AUCONNIER / T URNER 2002: 42, 48). Die drei Prozesse der Relationsetablierung, der Komplettierung 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 30 und der Elaboration zeigen, dass mit dem Begriff der emergenten Struktur sehr unterschiedliche Phänomene erfasst werden: (1.) neue konzeptuelle Relationen zwischen Elementen, die aus den Input-Bereichen in den Blending-Bereich projiziert werden, wobei diese Relationen in den Input- Bereichen selbst noch nicht bestanden; (2.) zusätzlich aktiviertes konzeptuelles Wissen, meist ein oder mehrere übergeordnete Schemata, deren Teil die aus den Input-Bereichen in den Blending-Bereich projizierten konzeptuellen Informationen sind und vor deren Hintergrund der Prozess der Elaboration stattfinden kann 18 und (3.) neue konzeptuelle Struktur (z. B. in Form von konzeptuellen Merkmalen), die im imaginativen Prozess der Elaboration konstruiert wird. Ich werde an späterer Stelle meiner Arbeit ausführlicher dafür argumentieren, mit dem Emergenz-Begriff (in Bezug auf das Sprachverstehen) nur die im Prozess der Elaboration aktiv konstruierten konzeptuellen Merkmale zu erfassen (s. Kap. 5.1.2). Die bloße Etablierung von Relationen zwischen Konzepten, die ihnen - separat betrachtet - nicht zukommen, sowie die bloße Aktivierung von Hintergrundwissen in Form von konzeptuellen Schemata stellen für mich noch keinen Fall von Emergenz dar, sondern sind lediglich Teil der automatischen Informationsanreicherung, mit der im Sprachrezeptionsprozess die referenzielle Unterspezifikation der sprachlichen Information ausgeglichen wird (s. S CHWARZ 2000: 80-88; 2008: 64 f., 191 f.). Der Emergenz-Begriff der Blending-Theorie ist sehr umfassend und daher für die Zwecke einer kognitiv-semantischen Theorie zu vage. Probleme grundsätzlicher Art zeigen sich auch in seiner Anwendung bei der Analyse von sprachlichen Belegen. Ich will das an einem prominenten Beispiel verdeutlichen: F AUCONNIER (2005: 11) bespricht unter anderem folgende Äußerung, in der auf die Krisenfestigkeit von Bill Clinton während seiner Zeit als amerikanischer Präsident angespielt wird: (4) If Clinton had been the Titanic, the iceberg would have sunk. Im Sprachverstehensprozess werden im Blending-Bereich die konzeptuellen Informationen über Bill Clinton und seine Skandale in Beziehung gesetzt zu den konzeptuellen Informationen über die Titanic und den für sie 18 Vgl. die folgende Erläuterung von F AUCONNIER und T URNER (2002: 48): “We rarely realize the extent of background knowledge and structure that we bring into a blend unconsciously. Blends recruit great ranges of such background meaning. Pattern completion is the most basic kind of recruitment: We see some parts of a familiar frame of meaning, and much more of the frame is recruited silently but effectively to the blend. […] We elaborate blends by treating them as simulations and running them imaginatively according to the principles established for the blend. Some of these principles for running the blend will have been brought to the blend by completion.” 1.3 Emergenz-Begriff in der Linguistik 31 verhängnisvollen Eisberg. Für F AUCONNIER besteht die emergente Struktur im Blending-Bereich nun darin, dass das aus der realen Welt bekannte Scheitern der Titanic am Eisberg ins Gegenteil verkehrt wird: “In the blended space, the Titanic doesn’t sink! It is the iceberg that sinks, contrary to what we know, and contrary to the laws of physics. So the familiar frame of the Titanic story has not been projected; instead, a truly emergent structure has been created in the blended space.” (F AUCONNIER 2005: 11) F AUCONNIER verwendet hinsichtlich dieses Beispiels den Emergenz-Begriff in dem Sinne, dass eine Konzeptualisierung, die im Widerspruch zu unserem konzeptuellen Wissen über die reale Welt, d. h. unserem mental repräsentierten Standardweltmodell (vgl. S CHWARZ -F RIESEL 2006: 67) steht, emergent ist. Um solche Fälle zu erläutern, bedarf es aber nicht des Emergenz-Begriffes: Die Begriffe des Fiktiven, Imaginären, Irrealen, Kontrafaktischen o. ä. erfassen sie adäquater. In Bezug auf den Sprachverstehensprozess ist F AUCONNIER s Verständnis von Emergenz tatsächlich irreführend: Emergent können nur Informationen sein, die vom Rezipienten aktiv konstruiert werden müssen, aber nicht solche, die sprachlich explizit ausgedrückt werden. Dass der Eisberg sinken würde, wird in (4) aber ausdrücklich mitgeteilt. 19 Ein gravierendes Problem der Verwendung des Emergenz-Begriffes in der Blending-Theorie besteht auch darin, dass der Begriff in den neuesten Theorieentwürfen (F AUCONNIER 2005, F AUCONNIER / T URNER 2008) weiter ausgedehnt wird: Die emergente konzeptuelle Struktur wird nicht mehr (nur) im Blending-Bereich angesiedelt, sondern als emergent gelten nun (vor allem) Teile der Struktur des gesamten integrierten konzeptuellen Netzwerkes, in den der Blending-Bereich eingebettet ist: “[E]mergent structure is not confined to the blended mental spaces, but instead resides in the entire integration network and the compressions that operate within that network. In other words, what is novel and powerful in the emergent structure is the way in which blended spaces remain linked to the network as a whole.” (F AUCONNIER 2005: 2 f.) Die Aussage, dass emergente Struktur nicht nur im Blending-Bereich zu finden ist, wird weiter zu der These ausgearbeitet, dass der Blending- Bereich in den meisten Fällen sehr einfach strukturiert ist und gar keine 19 L AKOFF (2008) übernimmt diesen inkonsistenten Emergenz-Begriff der Blending- Theorie: Für das Verstehen des Beispielsatzes In France, Clinton’s affair wouldn’t have mattered gibt er als emergente Information an: „‘In France, Clinton’s affair wouldn’t have mattered’“ (L AKOFF 2008: 32). Die bloße Verdoppelung der Satzbedeutung kann aber nicht emergent sein: Dass Clintons Affäre in Frankreich keine Rolle gespielt hätte, wird expressis verbis vermittelt. 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 32 emergente Struktur enthält: “[T]here will be emergent structure in the overall network, but simple, already available structure in the blended space.” (F AUCONNIER 2005: 13; vgl. 7, 9 f.). Das soll auch auf viele metaphorische Beispiele zutreffen, wie z. B.: (5) Your magnificent theory will share the fate of the Titanic when it hits the iceberg of hard empirical data. F AUCONNIER (2005: 10) analysiert das Beispiel wie folgt: Im Blending- Bereich sind die Theorie als Titanic und die Fakten als Eisberg repräsentiert. Der Blending-Bereich enthält keinerlei emergente Struktur: Das Titanic-Schema wird unmodifiziert in ihn projiziert. Die emergente Struktur des gesamten konzeptuellen Netzwerks besteht in der Information, dass die Theorie scheitert. 20 Ich kann dieser Analyse nicht zustimmen, da in (5) explizit ausgedrückt wird, die Theorie werde das Schicksal der Titanic teilen: Rezipienten müssen also lediglich über konzeptuelles Standardwissen im Hinblick auf die Titanic verfügen, um die korrekte Bedeutungsrepräsentation zu etablieren. Sie müssen keine emergente konzeptuelle Struktur elaborieren. Beispiele wie (5), in denen der Blending-Bereich keine emergente Struktur enthält, werden von F AUCONNIER (2005: 13) sogar als optimal charakterisiert. Er nimmt an, dass nur in Ausnahmefällen im Blending-Bereich emergente Struktur entsteht (wodurch er diese als Abweichung wertet): “However this optimal solution is not always possible, and real emergent structure may appear in the blended space under pressure from the rest of the network” (F AUCONNIER 2005: 13). In der Blending-Theorie stehen sich damit der Emergenz-Begriff der Standardversion (F AUCONNIER / T URNER 2002) und der neu etablierte Emergenz- Begriff (F AUCONNIER 2005) unvereint gegenüber (was sich auch in der Verlegenheitsformulierung der “real emergent structure” zeigt). Damit ist der ohnehin zu vage Emergenz-Begriff weiter entwertet worden. Für die Zwecke einer kognitiv-semantischen Theorie ist ein wesentlich präziserer Emergenz-Begriff nötig. 20 Im Original: “The emergent structure in this network is the failure of the magnificent theory and the consequences of that failure. But nothing is emergent in the blended space itself, because in this particular case it gets its frame unmodified from the Titanic input. The metaphor works, not because the hearer constructs novel emergent structure in the blended space, but rather because he or she doesn’t! ” (F AUCONNIER 2005: 10) 1.3 Emergenz-Begriff in der Linguistik 33 1.3.2 Emergenz-Begriff in der Psycholinguistik In der Psycholinguistik wird der Emergenz-Begriff in Bezug auf das Verstehen von sprachlich ausgedrückten Konzeptkombinationen angewendet. Wesentlich ist hierbei zunächst, dass in der Psycholinguistik nicht zwischen Wortbedeutung und Konzept und daher auch nicht zwischen semantischen und konzeptuellen Merkmalen unterschieden wird (die Notwendigkeit einer solchen Trennung erörtere ich weiter unten in Kap. 1.4.1). Merkmale werden in den psycholinguistischen Experimenten ermittelt, indem Versuchspersonen zu Konzepten, die ihnen jeweils durch das sie bezeichnende Wort dargeboten werden (z. B. Haus), in einer bestimmten Zeit all die Merkmale als Wörter, Wortgruppen oder einfache Sätze notieren, die für sie das Konzept umfassend charakterisieren (z. B. Gebäude zum Wohnen; hat Wände, Fenster, Türen, Dach usw.). Die Merkmale von Konzeptkombinationen werden entsprechend ermittelt, indem Versuchspersonen zu einer sprachlich ausgedrückten Konzeptkombination (z. B. Haus der Tränen) all jene Merkmale als Wörter aufschreiben, die für sie die Bedeutung der spezifischen Kombination charakterisieren. Als emergent werden die Merkmale gewertet, die Versuchspersonen zwar für die Konzeptkombination, aber nicht als Bestandteil der einzeln betrachteten Konzepte nennen. Der Emergenz-Begriff ist demnach in erster Linie nicht theoretisch, sondern in Bezug auf die experimentelle Operationalisierung definiert (woraus sich Probleme ergeben, die ich weiter unten diskutiere). Emergente Merkmale sind in psycholinguistischen Studien einerseits in Bezug auf das Verstehen der durch Metaphern ausgedrückten Konzeptkombinationen festgestellt worden. Andererseits treten emergente Merkmale aber auch beim Verstehen von Konzeptkombinationen auf, die sprachlich durch wörtlich zu interpretierende Ausdrücke erfasst werden. Das Auftreten von emergenten Merkmalen kann und muss daher als ein Phänomen betrachtet werden, das allgemein für das Verstehen von Konzeptkombinationen relevant ist (C ACCIARI / G LUCKSBERG 1998: 459). Im Folgenden diskutiere ich im ersten Abschnitt kurz Ergebnisse von Studien, die sich mit solchen allgemeinen Fällen beschäftigen und im zweiten Abschnitt Studien zum Metaphernverstehen. Dabei werde ich zeigen, dass der Emergenz-Begriff in der Psycholinguistik nicht einheitlich gebraucht wird und welche der verwendeten Varianten für die kognitive Semantiktheorie produktiv ist. 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 34 — Emergente Merkmale beim Verstehen von wörtlich ausgedrückten Konzeptkombinationen In der psycholinguistischen Forschung ist durch verschiedene Studien bestätigt worden, dass Versuchspersonen beim Verstehen von komplexen sprachlichen Ausdrücken, die auf Konzeptkombinationen referieren, oft Merkmale als Verstehensergebnis nennen, die sie nicht mit den einzeln betrachteten Konzepten assoziieren und die deshalb als emergent gelten können (s. u., vgl. R IPS 1995, G LUCKSBERG / E STES 2000). Nicht erfasst werden kann über die oben bereits beschriebene Methode der Merkmalsermittlung durch Teilnehmerbefragung, ob die Merkmale tatsächlich neu sind oder ob sie ein eher unwesentlicher Teil der Konzepte sind, welcher den Versuchspersonen bei der Konzeptbeschreibung nur nicht zu Bewusstsein kommt. W ILKENFELD und W ARD (2001) verwenden, wie die meisten Autoren, für beide Fälle den Emergenz-Begriff, mit der Begründung, dass in beiden Fällen die Interpretation von Konzepten verändert wird: 21 “Such emergent properties can be truly novel in the sense that they appear in the combination without being present at all in the representation of either parent concept, or they can merely be newly salient in the sense that they are in the presentation of one or both parent concepts but low enough in importance that people would not think to list them when considering the parents in isolation. Either type of emergence, however, reflects a change in the way the concepts are interpreted; even in the newly salient case, an attribute that was unimportant enough to come to mind for either constituent in isolation becomes prominent.” (W ILKENFELD / W ARD 2001: 21) W ILKENFELD und W ARD (2001) untersuchten Beispiele wie Hubschrauberdecke (‘helicopter blanket’), das von vielen Versuchspersonen im Sinne von ‘Abdeckung für Hubschrauber’ gedeutet wurde. Spezifische Merkmale wie TARNUNG (‘CAMOUFLAGE’), AUS PLASTIK (‘MADE OF PLASTIC’), STRAPAZIERFÄHIG (‘DURABLE’) oder WASSERFEST (‘WATERPROOF’) wurden als emergent gewertet (W ILKENFELD / W ARD 2001: 31), da sie weder ein (prominenter) Teil des Konzeptes HUBSCHRAUBER noch des Konzeptes DECKE sind. Wenn man allerdings von der Annahme ausgeht, dass im konzeptuellen Schema HUBSCHRAUBER das komplexe Konzept ABDE- CKUNG enthalten ist, so sind alle genannten Merkmale lediglich plausible Variablenfüllungen innerhalb dieses Konzeptes (in Bezug auf FARBE, 21 Auf diese Problematik werde ich weiter unten auch in meiner Diskussion der Studien zum Metaphernverstehen eingehen. Ich werde am Beispiel des Metaphernverstehens dafür plädieren, den Emergenz-Begriff nur auf tatsächliche neue Merkmale anzuwenden und nicht auf bereits im Konzept verankerte marginale Merkmale. 1.3 Emergenz-Begriff in der Linguistik 35 MATERIAL, BESCHAFFENHEIT etc.; siehe zur Theorie der konzeptuellen Schemata S CHWARZ 2000: 34 f.). Ich fasse solche Merkmale, die lediglich auf der Aktivierung eines passenden Schemas beruhen, dessen Teil sie sind, nicht unter den Begriff der emergenten Merkmale (vgl. weiter unten). Ähnliche Fälle hatte übrigens schon M URPHY (1988) diskutiert: Er wertete in Bezug auf das Beispiel (menschen)leeres Kaufhaus (‘empty store’) das Merkmal GELD VERLIEREND (‘LOOSING MONEY’) als emergent, betonte aber, dass das Adjektiv (menschen)leer (‘empty’) die entsprechende Variablenfüllung KEINE KUNDEN im KAUFHAUS-Schema triggert, die zur Schlussfolgerung des Geldverlustes führt (s. T OURANGEAU / R IPS 1991: 470). H AMPTON (1997) untersuchte Beispiele wie Haustiere, die auch Vögel sind (‘pets that are also birds’) und wertete von Versuchspersonen genannte Merkmale wie IN KÄFIGEN LEBEN (‘LIVE IN CAGES’) und SPRECHEN (‘TALK’) als emergent, da sie weder auf das Konzept HAUSTIERE noch auf das Konzept VÖGEL einzeln betrachtet zutreffen. Er wies aber darauf hin, dass diese Merkmale von prototypischen Vertretern der als Haustiere gehaltenen Vögel wie z. B. Sittichen und Papageien abgeleitet seien und daher nicht als Ergebnis eines kreativen kognitiven Schlussfolgerungsprozesses angesehen werden sollten (H AMPTON 1997: 87). Auch solche Merkmale, die genuiner Bestandteil der mentalen Repräsentation von prototypischen Vertretern einer Kategorie sind (die sprachlich benannt wird), werde ich nicht als emergente Merkmale werten. K UNDA , M ILLER und C LAIRE (1990) benutzten Beispiele, die Konzeptkombinationen ausdrücken, welche stereotypen sozialen Kategorisierungen widersprechen, z. B. in Harvard ausgebildeter Zimmermann (‘Harvard educated carpenter’) oder blinder Anwalt (‘blind lawyer’). Um diese Kombinationen zu verstehen, setzten die Versuchspersonen kognitive Schlussfolgerungsprozesse ein: Sie bildeten mentale Simulationen, in denen der ausgedrückte scheinbare Widerspruch aufgelöst wurde. So wurde für blinder Anwalt z. B. das emergente Merkmal MUTIG elaboriert, für in Harvard ausgebildeten Zimmermann wurden so unterschiedliche Merkmale wie NICHT MATERIALISTISCH, STUDIENABBRECHER, WISSENSCHAFTS- ÜBERDRÜSSIG etc. konstruiert (vgl. H AMPTON 1997: 93). Bei diesen Merkmalen handelt es sich um emergente Merkmale, die tatsächlich kein genuiner Bestandteil der Konzepte BLINDHEIT und ANWALT oder HARVARDAUSBILDUNG und ZIMMERMANN sein dürften und daher als ‘echte’ emergente Merkmale gelten können (im Gegensatz zu vielen der Merkmale, die in anderen Studien beobachtet wurden). Die Beispiele der verschiedenen Studien zeigen, dass die als emergent gewerteten Merkmale sehr unterschiedlichen Ursprungs sein können und dass der Emergenz-Begriff vor allem nach Maßgabe der experimentellen Operationalisierbarkeit verwendet wird. Die sich daraus ergebenden Pro- 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 36 bleme lassen sich auch anhand der experimentellen Untersuchungen aufzeigen, die sich mit dem Verstehen von Metaphern beschäftigen, die ich im Folgenden diskutiere. — Emergente Merkmale beim Metaphernverstehen In der Psycholinguistik ist in mehreren Studien, die zumeist von der B LACK schen Interaktionstheorie der Metapher ausgehen (vgl. B LACK 1954, 1977), die Bedeutung emergenter Merkmale für das Verstehen von Metaphern nachgewiesen worden (s. T OURANGEAU / R IPS 1991, N UECKLES / J A - NETZKO 1997, B ECKER 1997, G INESTE / I NDURKHYA / S CART 2000, U TSUMI 2005). Die erste empirische Studie, welche die Bedeutung emergenter Merkmale beim Metaphernverstehen nachgewiesen hat, wurde von T OURAN- GEAU und R IPS durchgeführt (T OURANGEAU / R IPS 1991). Ihr hauptsächliches Erkenntnisinteresse bestand darin, herauszufinden, ob Metaphernverstehen tatsächlich, wie in den vorherrschenden psychologischen Theorien angenommen wurde, 22 auf bereits gegebene gemeinsame Merkmale der beiden jeweils kombinierten Konzepte angewiesen ist, oder ob nicht eher emergente Merkmale im Verstehensprozess elaboriert werden (T OURANGEAU / R IPS 1991: 454). Die Studie ergab, dass es sich bei den Merkmalen, die die Versuchspersonen als Verstehensergebnis der Metaphern angeben, in der überwiegenden Zahl um emergente Merkmale handelte (T OURANGEAU / R IPS 1991: 457 f.). Beispiele, für die die Versuchspersonen besonders viele emergente Merkmale erzeugten, wurden darüber hinaus auch als besonders gelungene Metaphern bewertet (T OURANGEAU / R IPS 1991: 458 f.). Gemeinsame Merkmale von Konzept 1 und Konzept 2 wurden nur in einer Minderheit der Fälle als Verstehensergebnis der Metapher angegeben. Gemeinsame Merkmale von Konzept 1 (‘tenor’) und Konzept 2 (‘vehicle’) 23 wurden auch oft überhaupt nicht in das Verstehensergebnis einbezogen (T OURANGEAU / R IPS 1991: 457 f.). Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung: “A feature’s being shared by the tenor and vehicle is thus neither a necessary nor sufficient condition for its being incorporated into the interpretation of a metaphor” (T OURANGEAU / R IPS 1991: 458). 22 T OURANGEAU und R IPS (1991: 452 f.) diskutieren O RTONY s “salience imbalance model” (O RTONY 1979), G ENTNER s “structure mapping model” (G ENTNER 1983, 1988, G ENTNER / C LEMENT 1988) und T OURANGEAU und S TERNBERG s “domain interaction theory” (T OURANGEAU / S TERNBERG 1981, 1982; T OURANGEAU 1982). 23 Beim Verstehen von Äußerungen der Form X ist ein Y, in denen ein Y metaphorisch gebraucht wird (z. B. Der Mann ist ein Löwe), wird eine spezifische Relation zwischen Konzept 1 (‘tenor’, bezeichnet durch X; hier: MANN) und Konzept 2 (‘vehicle’, bezeichnet durch ein Y; hier: LÖWE) etabliert (s. Kap. 2.2). Die in der Psycholinguistik verwendeten Termini ‘tenor’ und ‘vehicle’ sind B LACK s Interaktionstheorie entnommen. 1.3 Emergenz-Begriff in der Linguistik 37 (6) Der Adler ist ein Löwe unter den Vögeln. (“The eagle is a lion among birds.”) Für (6) gaben z. B. mehrere Versuchspersonen an, dem Adler werde mit Hilfe der Metapher ist ein Löwe das Merkmal RESPEKTIERT (‘RESPEC- TED’) zugesprochen (T OURANGEAU / R IPS 1991: 457). Dieses Merkmal wurde als emergent gewertet, da es in keiner der Einzelbeschreibungen der Konzepte ADLER und LÖWE (durch dieselben Versuchspersonen) genannt worden war. Hier zeigt sich wieder die Problematik eines allein auf die experimentelle Operationalisierung bezogenen Emergenz-Begriffs: Das Merkmal RES- PEKTIERT könnte m. E. durchaus als Teil der Konzepte ADLER und LÖWE betrachtet bzw. mühelos aus ihnen abgeleitet werden, da Löwe und Adler Raubtiere ohne natürliche Feinde sind, die traditionell Ansehen genießen, was sich z. B. in ihrer Verwendung als Wappentiere zeigt. Um solche Fälle auszuschließen, müsste in Folgeexperimenten überprüft werden, ob Versuchspersonen die jeweiligen Merkmale tatsächlich als emergent in Bezug auf die Repräsentationen der kombinierten Konzepte bewerten. Problematisch sind auch viele der emergenten Merkmale, die von T OU- RANGEAU und R IPS für ein Teilexperiment selbst erzeugt wurden: Die Autoren formulierten für poetische Metaphernbeispiele jeweils eine Paraphrase, in der gemeinsame Merkmale der kombinierten Konzepte als Verstehensergebnis genannt werden sowie eine Paraphrase, die die Bedeutung der Metapher mit Hilfe emergenter Merkmale wiedergibt (T OURANGEAU / R IPS 1991: 470 f.). Versuchspersonen sollten entscheiden, welche Paraphrase die Bedeutung der metaphorischen Äußerung adäquater erfasst. T OURANGEAU und R IPS erläuterten (7) z. B. durch die Paraphrasen (8) und (9) (T OURAN- GEAU / R IPS 1991: 470): (7) “I desire a name for you, nice, as a right glove fits.”—Ann Spencer, “At the Carnival” (8) A name is often one of a pair. (Shared feature) (9) A name is appropriate. (Emergent) Dass sich Versuchspersonen bei diesem Beispiel für Paraphrase (9) entscheiden, ist nicht verwunderlich: Das in (8) gebotene gemeinsame Merkmal von HANDSCHUH (‘GLOVE’) und VORNAME (‘NAME’) ist irrelevant, das in (9) gebotene Merkmal PASSEND (‘APPROPRIATE’) ist plausibel. Nur ist dieses Merkmal nicht emergent, wie T OURANGEAU und R IPS behaupten, sondern ergibt sich konventionell: Die figurative Bedeutung von „sth. fits sb. like a glove“ im Sinne von „ausgezeichnet zu jemandem passen“ ist im Englischen lexikalisiert. An diesem Beispiel - wie an vielen weiteren auch (s. T OURANGEAU / R IPS 1991: 470 f.) - zeigt sich, dass in Bezug auf eine metaphorische Äußerung ein Emergenz-Begriff, der sich 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 38 lediglich auf die isolierten Konzepte (hier: NAME und HANDSCHUH) bezieht, sogar zu irreführenden Ergebnissen führen kann. Ähnlich wie T OURANGEAU und R IPS (1991) wollten auch N UECKLES und J A- NETZKO (1997) die Frage klären, ob für die Metaphernbedeutung bereits bestehende Ähnlichkeiten zwischen den kombinierten Konzepten eine Rolle spielen oder nicht. Ihre Studie bestätigte das Ergebnis von T OURANGEAU und R IPS (1991), dass Versuchspersonen in der Mehrzahl der Fälle emergente Merkmale als Verstehensergebnis nennen. N UECKLES und J ANETZKO (1997) konnten aber zeigen, dass es zwischen verschiedenen Metaphernbeispielen signifikante Unterschiede gibt: Je weniger gemeinsame Merkmale die kombinierten Konzepte aufweisen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass Versuchspersonen emergente Merkmale nennen. Wenn der Anteil an gemeinsamen Merkmalen dagegen groß ist, werden als Verstehensergebnis einige dieser gemeinsamen Merkmale genannt (N UECKLES / J ANETZKO 1997: 581). Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass die Versuchspersonen bei der Beurteilung der gemeinsamen Merkmale zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommen, dass die genannten emergenten Merkmale sich aber von Versuchsperson zu Versuchsperson meist stark unterscheiden (N UECKLES / J ANETZKO 1997: 580). Über die Güte der von N UECKLES und J ANETZKO (1997) verwendeten Metaphernbeispiele lässt sich nichts sagen, da sie kein einziges Beispiel nennen, sondern nur mitteilen, sie hätten die 18 verwendeten Exemplare aus einer Sammlung von 200 Metaphern der Form X ist ein Y ausgewählt (N UECKLES / J ANETZKO 1997: 579 f.). Auch B ECKER (1997) untersuchte anhand von metaphorischen Äußerungen der Form X ist ein Y, welche Merkmalstypen beim Metaphernverstehen im Vordergrund stehen. Wie in der Studie von T OURANGEAU und R IPS (1991) ergaben sich als Verstehensergebnis häufig emergente Merkmale. Die Hauptgruppe bildeten allerdings Merkmale, die Teil von Konzept 2 (durch ein Y bezeichnet) waren (B ECKER 1997: 250-252). Im Gegensatz zur Studie von T OURANGEAU und R IPS (1991) ließ B ECKER die Merkmalsbeschreibung der einzelnen Konzepte und die der metaphorischen Äußerung nicht von denselben Versuchpersonen durchführen. Damit sollte die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass die Versuchspersonen denken könnten, sie müssten für die Bedeutung der Metaphern Merkmale nennen, die sie nicht schon in den Einzelbeschreibungen der Konzepte genannt hatten (B ECKER 1997: 246). B ECKER s Verwendung des Emergenz-Begriffs zeigt wieder, dass über seinen Inhalt in der psycholinguistischen Literatur keine Einigkeit besteht: Sie versteht unter emergenten Merkmalen ausdrücklich nicht gänzlich neue konzeptuelle Merkmale, die weder Teil der Repräsentation von Konzept 1 noch der Repräsentation von Konzept 2 sind und erst im Verstehensprozess aktiv konstruiert werden, sondern geht allgemein davon 1.3 Emergenz-Begriff in der Linguistik 39 aus, es handele sich um Merkmale, die marginale Bestandteile der Konzeptrepräsentation von Konzept 1 (‘tenor’) oder Konzept 2 (‘vehicle’) sind, denen erst im Verstehensprozess der Metapher Wichtigkeit beigemessen wird: 24 “Presumably, emergent features do not just come out of the blue. It is most likely that these are such low-salient features of the individual topic or vehicle representations that participants simply fail to list them considering topics and vehicles as isolated words.” (B ECKER 1997: 253) Die Frage, ob die emergenten Merkmale eher der Konzeptrepräsentation von Konzept 1 (‘tenor’) oder der von Konzept 2 (‘vehicle’) zuzuordnen sind, beantwortet B ECKER anhand eines Teilexperiments dahingehend, dass die emergenten Merkmale ein marginaler Teil der Repräsentation von Konzept 2 (‘vehicle’) sind (B ECKER 1997: 252). Die Ergebnisse sind sicher auch darauf zurückzuführen, dass viele der verwendeten Metaphernbeispiele - wie Der Alkohol ist eine Krücke. (‘Alcohol is a crutch.’) - eher konventionell sind (vgl. B ECKER 1997: 252). G INESTE , I NDURKHYA und S CART (2000) gehen direkt der Frage nach, ob emergente Merkmale tatsächlich neue Merkmale oder marginale Bestandteile eines Konzeptes sind. In einem ersten Experiment untersuchten sie 41 Beispiele innovativer Metaphern - wie z. B. Ta gorge est une belle armoire. (‘Dein Busen ist ein schöner Schrank.’, Charles B AUDELAIRE ) -, die sie vornehmlich aus französischer Lyrik der Moderne entnommen haben. Versuchspersonen mussten Merkmale jeweils für Konzept 1 (‘tenor’) und Konzept 2 (‘vehicle’) sowie für die durch die metaphorische Äußerung zum Ausdruck gebrachte Konzeptkombination KONZEPT 1 IST KONZEPT 2 angeben. Für die Auswertung wurde folgende operationalisierte Bestimmung von emergenten Merkmalen verwendet: “From each participant, we elicited three features for each of the topic, vehicle, and metaphor. If a feature was not mentioned by any participant for the topic or vehicle alone but was for the metaphor, we classified it as emergent.” (G INESTE / I NDURKHYA / S CART 2000: 120) 24 U TSUMI (2005) scheint auch von solchen marginalen Merkmalen auszugehen, denn emergente Merkmale werden charakterisiert als “not salient either in the representation of the topic or in the representation of the vehicle but are made salient in the interpretation” (U TSUMI 2005: 151 f.). Wie N UECKLES und J ANETZKO (1997) kommt U T- SUMI (2005) zu dem Ergebnis, dass mehr emergente Merkmale bei geringerer Similarität der kombinierten Konzepte auftreten. Auf dieses und weitere Ergebnisse werde ich nicht näher eingehen: Sie können nicht nachvollzogen werden, da U TSUMI (2005) keine Beispiele für die im Verstehensprozess etablierten Merkmale anführt. 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 40 Die Studie ergab in Übereinstimmung mit den Ergebnissen von T OURAN- GEAU und R IPS (1991), dass über 60 % der angegebenen Merkmale emergent waren und gemeinsame Merkmale der kombinierten Konzepte für die Interpretation kaum eine Rolle spielten (G INESTE / I NDURKHYA / S CART 2000: 122 f.). Anhand der Ergebnisse des ersten Experiments konnte die Herkunft von emergenten Merkmale noch nicht geklärt werden. G INESTE , I NDURKHYA und S CART (2000: 123) weisen ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei den Merkmalen entweder um marginale Bestandteile von Konzept 1 (‘tenor’) oder Konzept 2 (‘vehicle’) handeln könnte, die erst durch die Kombination der Konzepte so stark aktiviert werden, dass sie in den Vordergrund treten oder dass es sich tatsächlich um neue Merkmale handeln könnte, die im Hinblick auf die Konzeptkombination erst aktiv konstruiert werden. Um die Frage nach der Herkunft der emergenten Merkmale beantworten zu können, führten G INESTE , I NDURKHYA und S CART als zweiten Versuch ein Priming- Experiment durch, in dem die Verstehenszeit als Indikator für den Aktivationszustand von konzeptuellen Merkmalen angenommen wird und das auf folgender Hypothese basierte: “If the emergent features are indeed not strongly associated with the topic or vehicle, but are with the metaphor, response time tasks should reveal this. Given a topic prime or a vehicle prime, followed by an emergent feature, participants should respond relatively slowly compared to conditions in which a metaphor is followed by emergent feature.” (G INESTE / I NDURKHYA / S CART 2000: 123) Das Experiment ergab für die Verstehenszeit in Bezug auf emergente Merkmale keine Primingeffekte: Ob als Prime die Bezeichnung von Konzept 1 oder von Konzept 2 oder die zugehörige metaphorische Äußerung dargeboten wurden, die Verstehenszeit für anschließend dargebotene emergente Merkmale (in Form von Lexemen) blieb fast genau konstant. Für Merkmale von Konzept 1 oder Konzept 2 waren dagegen, wie zu erwarten, signifikante Primingeffekte zu beobachten, wenn als Prime die Bezeichnung des jeweiligen Konzeptes eingesetzt wurde (siehe die detaillierten Ergebnisse in G INESTE / I NDURKHYA / S CART 2000: 126-128). G INESTE , I NDURKHYA und S CART (2000: 123) deuten die Konstanz der stets relativ langen Verstehenszeiten für emergente Merkmale dahingehend, dass es sich nicht um marginale Bestandteile von Konzept 1 oder Konzept 2 handelt, die bei deren Kombination automatisch einen höheren Aktivationszustand erhalten, sondern tatsächlich um neue, online konstruierte konzeptuelle Merkmale (G INESTE / I NDURKHYA / S CART 2000: 128 f.). Die Ergebnisse des Primingexperiments führen G INESTE , I NDURKHYA und S CART (2000: 129 f.) demnach zu einem präziseren psycholinguistischen Emergenz-Begriff, der nur noch die konzeptuellen Merkmale als emergent auffasst, die im Verstehensprozess aktiv elaboriert werden und nicht auch 1.4 Emergenz-Begriff in Bezug auf die kognitive Semantiktheorie 41 solche, die (marginale) Bestandteile der kombinierten Konzepte sind. Dieser spezielle Emergenz-Begriff ist mit meiner Verwendung des Begriffs konsistent. Ich werde im Verlauf meiner Arbeit aber noch einige Präzisierungen formulieren, die den Begriff für eine semantische Theorie des Verstehens von Äußerungen und Texten anwendbar machen: Diese Präzisierungen beziehen sich vor allem auf den Einfluss der sprachlich expliziten Informationen des Kotextes (als Satz- und Textumgebung) auf den Sprachverstehensprozess (siehe dazu Kap. 5). In der Psycholinguistik und in der Blending-Theorie wird, wie erwähnt, nicht zwischen Wortbedeutung und Konzept unterschieden. Im folgenden Kapitel werde ich begründen, weshalb in der kognitiven Semantiktheorie eine solche Unterscheidung nicht nur nützlich und sinnvoll, sondern auch notwendig ist, und ich werde vor diesem Hintergrund emergente Merkmale näher charakterisieren. 1.4 Emergenz-Begriff in Bezug auf die kognitive Semantiktheorie 1.4.1 Wortbedeutung und Konzept: semantische und konzeptuelle Merkmale Hinsichtlich des Zusammenhangs von Wortbedeutung und Konzept vertrete ich, knapp zusammengefasst, die Auffassung, dass zwischen Wortbedeutung und Konzept unterschieden werden sollte, dass die Wortbedeutung als Bündel semantischer Merkmale beschrieben werden kann und das Konzept als eine komplexe Struktur, die konzeptuelle Merkmale zu einer Einheit zusammenfasst (vgl. das nächste Kap. 1.4.2). Im Folgenden werde ich den für meinen Ansatz wesentlichen Unterschied zwischen Wortbedeutung und Konzept ausführlich diskutieren, aber auch auf ihren engen Zusammenhang hinweisen. Nicht alle semantischen Theorien postulieren einen solchen Unterschied. In der holistischen kognitiven Linguistik z. B. werden Lexembedeutung und Konzeptinhalt gleichgesetzt (s. Kap. 2). Ich werde aber zeigen, dass eine solche Unterscheidung nicht nur gerechtfertigt, sondern auch notwendig ist. Ich gehe mit S CHWARZ (1992, 2000, 2008) von einem Mehrebenenmodell der Bedeutung aus, in dem zwischen konzeptuellem Wissen und lexikalischen Bedeutungen unterschieden, aber auch auf ihre identische Substanz hingewiesen wird. Außerdem wird von Lexembedeutung und Konzeptinhalt noch die kontextabhängige aktuelle Bedeutung abgegrenzt, die einem sprachlichen Ausdruck in einem konkreten Kommunikationszusammenhang zugeordnet wird (vgl. Kap. 4.1.1). 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 42 Lexikalische Bedeutungen werden in den Einträgen des mentalen Lexikons repräsentiert. Der semantische Lexikoneintrag umfasst dabei die an die sprachliche Form gebundene „kontextinvariante, unterspezifizierte Kernbedeutung“ (S CHWARZ 2000: 38) (siehe die Erläuterung weiter unten). Die semantischen Lexikoneinträge sind jedoch nicht vom konzeptuellen Wissen getrennt, sie sind vielmehr „über prozedurale Routen […] mit im Konzeptgedächtnis gespeicherten Schemata“ verbunden (S CHWARZ 2000: 38). In Bezug auf ihre Substanz sind semantisches und konzeptuelles Wissen identisch. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass das „semantische Kenntnissystem einer Sprache […] seine Informationen aus dem kategoriellen konzeptuellen System [bezieht]“ (S CHWARZ 2007: 25): „Die semantischen Informationen des Lexikoneintrags und die angekoppelten konzeptuellen Informationen […] bilden zusammen eine kognitive Domäne. Die Bedeutung stellt dabei den sprachlich relevanten Ausschnitt aus der kognitiven Domäne dar. Mit der Konzeption der kognitiven Domäne wird der Tatsache Rechnung getragen, daß semantische und konzeptuelle Informationen substanziell gleich und im Gedächtnis eng aneinander gekoppelt gespeichert sind.“ (S CHWARZ 2000: 38) Ich verwende den Begriff der kognitiven Domäne stets in dem Sinne, dass kognitive Domänen komplexe Konzepte, also „komplexe mentale Schemata [sind], die Wissen über die Welt repräsentieren“ (S CHWARZ 1994a: 11; siehe Abb. 1). Der Ausschnitt aus dem konzeptuellen Wissen der kognitiven Domäne, den die lexikalische Bedeutung (modalitätsspezifisch gebunden) repräsentiert, enthält die klassifizierenden Informationen, die notwendig und hinreichend sind, die kognitive Domäne zu erfassen und sie von anderen kognitiven Domänen abzugrenzen. Mit einer Aktivierung des Lexikoneintrags wird einerseits stets die Identifikation der kognitiven Domäne und andererseits auch der Zugang zu dem von ihr repräsentierten konzeptuellen Wissen gewährleistet. Abb. 1: Kognitive Domäne 1.4 Emergenz-Begriff in Bezug auf die kognitive Semantiktheorie 43 Der Bedeutungsbegriff wird so gebraucht, dass immer dann eine Bedeutung gegeben ist, „wenn einer konzeptuellen Einheit eine sprachliche Form zugeordnet ist. Bedeutungen sind in diesem Sinne versprachlichte, mit Wortformen belegte Konzepte. Jede Bedeutung ist damit ein Konzept, aber nicht jedes Konzept ist eine Bedeutung.“ (S CHWARZ 2007: 25) Ich möchte nun näher erläutern, weshalb - obwohl semantisches und konzeptuelles Wissen so eng aneinander geknüpft sind - die Trennung nicht nur methodisch handlich, sondern sachlich notwendig ist. Dazu erläutere ich zunächst die Bestimmung der lexikalischen Bedeutung als „kontextinvariante, unterspezifizierte Kernbedeutung“ (S CHWARZ 2000: 38) näher. Diese Bestimmung wird dem Umstand gerecht, dass Wortbedeutungen relativ stabil sind und dass die Lexeme im Sprachgebrauch auf ökonomische Weise flexibel einsetzbar sind. Es handelt sich um Kernbedeutungen, da sie lediglich die notwendigen und hinreichenden Bedingungen erfassen, die Entitäten erfüllen müssen, damit sie unter die Denotation des Ausdrucks (i. S. seiner Extension) fallen. Die Merkmale (als intensionale Bestimmung) müssen auch so ausgewählt sein, dass sie die Abgrenzung zu anderen Kategorien gewährleisten. Für das Lexem Ketchup, welches das Konzept KETCHUP denotiert, lässt sich diese Kernbedeutung beispielsweise mit „pikante dickflüssige [Tomaten]soße zum Würzen von Speisen“ (DDUW) 25 paraphrasieren. Zum Konzept KETCHUP gehören sicher auch Eigenschaften wie ROT, FRUCHTSÄUREHALTIG, (MEIST) IN FLA- SCHEN AUFBEWAHRT. Würde man diese Eigenschaften jedoch als die Bedeutung von Ketchup apostrophieren, so könnte z. B. auch jede Art von Rotwein durch das Lexem bezeichnet werden, da das Konzept ROTWEIN die genannten Merkmale ebenfalls enthält. Der semantische Lexikoneinträg enthält die kontextinvariante Bedeutung, d. h. die Bedeutungsmerkmale, die in jedem Kontext gelten müssen unter der Voraussetzung, dass das Lexem wörtlich verwendet wird. Es handelt sich demnach um Merkmale, die nicht - wie oft die konzeptuellen Merkmale in einem bestimmten Kontext - streichbar sind. Die „Streichbarkeit eines Bedeutungselements durch einen Zusatz zur Äußerung (ohne daß ein Widerspruch entsteht) ist ein Indiz für die Kontextabhängigkeit des Bedeutungselements“ (M EIBAUER 2001: 202). Der Streichbarkeitstest (auch: aber-Probe, Negationsprobe) kann dazu dienen, semantische von konzeptuellen Merkmalen abzugrenzen (s. auch Kap. 5.2.2): 25 Ich verwende in meiner Arbeit an verschiedenen Stellen die Beschreibungen der lexikalischen Bedeutung gemäß „Duden - Deutsches Universalwörterbuch“ (5. Aufl. 2003). Dies geschieht aus praktischen Gründen und ist mit keinem normativen Anspruch verbunden (vgl. etwa die folgende Fußnote 26). 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 44 (10) Ich habe gestern Ketchup gegessen. *Aber er war völlig geschmacklos. (11) Ich habe gestern Ketchup gegessen. Aber er war nicht rot, sondern grün. Für (10) ergibt sich bei wörtlicher Interpretation und der Annahme, dass der Produzent der Äußerung nicht die Fähigkeit der Geschmacksempfindung verloren hat, ein semantischer Widerspruch, da Ketchup nie geschmacklos ist. Das Merkmal GESCHMACK AUFWEISEND muss demnach zur lexikalischen Bedeutung von Ketchup gehören. Nicht wörtlich verstanden könnte (10) natürlich als Hyperbel in dem Sinne verstanden werden, dass der Ketchup anstelle des erwarteten pikanten Geschmacks nur fade schmeckte. Für (11) ergibt sich kein semantischer Widerspruch, da Ketchup zwar prototypisch die rote Farbe von Tomatenmark aufweist, das Merkmal ROT aber nicht zwingend notwendig ist und also nicht zur lexikalischen Bedeutung gehört. Grüner Ketchup existiert tatsächlich: Er wurde speziell für Kinder entwickelt, um ihnen eine farbliche Abwechslung zu bieten. L ÖBNER (2003: 300-308) hat die Problematik in Abgrenzung zu U NGE- RER / S CHMID (1996) ausführlich am so genannten ‘Apfelsaftproblem’ erörtert. U NGERER und S CHMID hatten die Kompositionalität der Bedeutung von Apfelsaft (apple juice) (in Form der Merkmalskombination SAFT plus AUS ÄPFELN GEMACHT) in Frage gestellt mit Bezug auf ein Befragungsexperiment, in dem Versuchspersonen typische Merkmale von Apfelsaft angeben sollten. Dabei waren auch Merkmale wie z. B. NATURTRÜB und MIT SPRUDEL GEMISCHT genannt worden, die weder notwendiger Bestandteil von Saft noch von Apfel sind. L ÖBNER (2003: 304) kritisiert zu Recht, dass die Versuchspersonen nicht die Wortbedeutung von Apfelsaft (bzw. apple juice) bestimmt haben, sondern typisches Wissen über das Konzept APFELSAFT. Wenn dann z. B. ein blauer Apfelsaft mit Pfefferminzgeschmack auf den Markt kommen sollte, so modifiziert diese neue Variante des Apfelsafts lediglich das aktuelle Konzept APFELSAFT, nicht jedoch die Wortbedeutung von Apfelsaft. Dass lexikalische Bedeutungen lediglich die Kernbedeutung eines Klassenkonzeptes erfassen, sorgt für die Stabilität von Wortbedeutungen, die wiederum zur Ökonomie des Wortgebrauchs beiträgt. Unter die Denotation des Wortes Auto fallen z. B. alle historischen, aktuellen, zukünftigen und lediglich vorgestellten Entitäten, wenn auf sie die Bestimmung „durch einen Motor angetriebenes Straßenfahrzeug mit gummibereiften Rädern u. offener od. geschlossener Karosserie zum Transport von Personen od. Gütern“ (DDUW) 26 26 Die für die Räder angeführte Bestimmung gummibereift gehört sicher nicht zur lexikalischen Bedeutung, sondern zum konzeptuellen Wissen. Auch Autos mit Rädern aus anderen Materialien würde man als Autos und deren Räder als Räder bezeichnen. In 1.4 Emergenz-Begriff in Bezug auf die kognitive Semantiktheorie 45 zutrifft, mit der die lexikalische Bedeutung von Auto annähernd präzise wiedergegeben ist. Obwohl sich die technische Ausstattung und das Aussehen von Autos seit Beginn des 20. Jahrhunderts - als auch das Kompositum Automobil durch die Kurzform Auto rasch verdrängt wurde (P FEIFER et al. 2000: 81) - radikal geändert haben, ist die Wortbedeutung von Auto dieselbe geblieben. In Bezug auf die Fülle des im Konzept abgespeicherten Wissens und auf die Veränderungen, denen das Konzept im Laufe der Zeit unterworfen sein kann, ist die lexikalische Bedeutungsrepräsentation stets unterspezifiziert. (12) Wir kauften uns 1919 ein Auto. (13) Wir kaufen uns 2009 ein Auto. (14) Wir werden uns 2029 ein Auto kaufen. Rezipienten, die einen der Sätze (12) bis (14) lesen, werden die Unterspezifikation der Bedeutung von Auto über ihr durch die Zeitangaben aktiviertes Weltwissen auflösen und für das jeweilige Konzept AUTO eine Repräsentation erstellen, die wesentlich mehr Informationen enthält, als mittels der Wortbedeutung von Auto gegeben sind. Für (14) könnten Rezipienten sich z. B. vorstellen, dass der Referent der NP Auto ein Exemplar ist, dessen Motor nicht mehr auf brennbaren Kraftstoff angewiesen ist, sondern mit komprimierter Luft betrieben wird (solche Autos existieren bereits). Die Unterspezifikation der lexikalischen Bedeutung gewährleistet auch, dass der Sprachgebrauch in einer kulturellen Gemeinschaft problemlos funktioniert, obwohl die einzelnen Sprecher über sehr unterschiedliches Wissen in Bezug auf die Konzepte verfügen, die durch die Lexeme denotiert werden. 27 (15) Eine meiner Bekannten hat Brustkrebs. Aber ich habe keine Ahnung von Brustkrebs. der Paraphrase der Kernbedeutung von Rad (in der betreffenden Lesart des polysemen Lexems) ist gummibereift im DDUW auch nicht aufgeführt. 27 S CHWARZ (2007: 39) hat anhand der Wortliste Fluss, Bach, Kanal, See, Tümpel, Teich, Weiher, Strom, Rinnsal, Meer, Pfütze, Lache gezeigt, dass die Sprachteilnehmer - in dem Fall Teilnehmer eines linguistischen Proseminars - häufig „nur recht vage Bedeutungsrepräsentationen“ mental gespeichert haben und dass „in dem Bereich der semantischen Kategorisierung und Beschreibung nicht nur viel Unsicherheit herrscht, sondern auch wissensgesteuerte Unterschiede bestehen“. Im genannten Beispiel liegt die Klassifizierungsunsicherheit sicher auch in der Tatsache begründet, dass Studierende in ihrem Lebensbereich normalerweise die Spezifika unterschiedlicher Wasseransammlungen nicht zu kennen brauchen. Zu sicheren Urteilen wären sie womöglich bei der Wortliste Mensa, Caféteria, Café, Coffeeshop, Imbissbude, Kneipe, Bar etc. gekommen, die in direktem Bezug zur Lebenswelt vieler Studierender steht. 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 46 Rezipienten werden den zweiten Satz von (15) nicht in dem Sinne verstehen, dass der Textproduzent die Wortbedeutung von Brustkrebs nicht kennt, sondern dass er nicht über konzeptuelles Wissen verfügt, welches über die in der lexikalischen Bedeutung von Brustkrebs erfasste Klassifizierung - dass es sich nämlich um eine schwere Erkrankung „bes. der weiblichen Brustdrüsen“ handelt, „die in einer bösartigen, wuchernden Bildung von Geschwülsten besteht“ (DDUW) - hinausgeht. Wenn Sprachteilnehmer z. B. erfahren, dass Brustkrebs in seltenen Fällen auch Männer treffen kann und dass deren Überlebenschancen wesentlich geringer sind als die der weiblichen Erkrankten, dann wird dies ihr Wissen über das Konzept BRUST- KREBS anreichern, aber nicht die im mentalen Lexikon abgespeicherte Wortbedeutung von Brustkrebs verändern. B IERWISCH (1983b) gibt folgende Zusammenfassung: „Veränderungen im Sachwissen (oder Unterschiede zwischen verschiedenen Sprechern in bezug auf ihr Sachwissen) sind nicht identisch mit Veränderungen oder Unterschieden in der lexikalischen Kenntnis. Ich kann eine Vielzahl von Dingen über die Anatomie, die Lebensgewohnheiten, die Verbreitung von Löwen lernen, die meine Theorie über Löwen erheblich modifizieren, ohne daß sich damit die sprachliche Verwendung des Wortes Löwe’ verändert.“ (B IER- WISCH 1983b: 97 f.) Ich möchte an dieser Stelle aber schon darauf hinweisen, dass das Sachwissen eine entscheidende Rolle beim Verstehen nicht-wörtlichen Sprachgebrauchs spielt bzw. spielen kann: (16) Mein Onkel ist ein echter Löwe. Für (16) - um bei B IERWISCH s Löwenbeispiel zu bleiben - kann dies anhand zweier möglicher Kontexte verdeutlicht werden: Im ersten Kontext soll (16) die Antwort auf die Frage (17), im zweiten Kontext die Antwort auf (18) sein: (17) Achtet dein Onkel seine Stiefkinder? (18) Arbeitet dein Onkel den ganzen Tag? Rezipienten, die über die Verhaltensweisen männlicher Löwen hinreichend informiert sind, werden (16) jeweils als Verneinung der Frage (17) oder (18) verstehen: Löwen verhalten sich gegenüber dem Nachwuchs, den sie nicht selbst gezeugt haben, feindselig und haben außerdem die Angewohnheit, zwanzig Stunden am Tag zu schlafen. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Unterspezifikation lexikalischer Bedeutungen besteht darin, „daß ein Ausdruck A je nach Aktualisierungskontext verschiedene wörtliche Bedeutungen haben kann, ohne daß es sinnvoll wäre, ihm sprachliche Ambiguität zuzuschreiben“ (B IERWISCH 1.4 Emergenz-Begriff in Bezug auf die kognitive Semantiktheorie 47 1979: 138), was B IERWISCH an vier Äußerungen erläutert, die das Lexem Schrift jeweils in einer spezifischen Bedeutungsvariante enthalten: (19) Die Entstehung der Schrift ist eine der wichtigsten kulturellen Entwicklungen. (20) Die chinesische Schrift ist schwer zu erlernen. (21) Die Schrift des Stationsarztes ist noch schwerer zu entziffern als die seines Vorgängers. (22) Die Schrift auf dem Plakat ist fünf Zentimeter hoch. (B IERWISCH 1979: 138, Nummerierungen von mir verändert) B IERWISCH räumt zwar die Möglichkeit ein, „für alle vier Fälle eine verschiedene Repräsentation für Schrift zu postulieren“, hält dem aber entgegen, dass sich „leicht Argumente anführen [lassen], die die Unangemessenheit dieses Auswegs deutlich machen“ (B IERWISCH 1979: 138), wobei er die Argumente selbst aber nicht erwähnt. Da sich Bedeutungsvarianten des Wortgebrauchs von Schrift in (19) bis (22) auf eine zugrunde liegende unterspezifizierte Kernbedeutung zurückführen lassen, würde die Annahme von vier verschiedenen Repräsentationen schlicht der Sprachökonomie widersprechen: Sie wäre wegen des erhöhten Speicherungs- und Verarbeitungsaufwands psychologisch unplausibel. Rezipienten nehmen die notwendigen Spezifikationen - z. B. die, dass in (21) die Handschrift des Stationsarztes gemeint ist - automatisch und problemlos vor. B IERWISCH postuliert demgemäß „für alle vier exemplifizierten Fälle eine einzige semantische Repräsentation“, die er „näherungsweise“ wie folgt fasst (B IER- WISCH 1979: 138, Nummerierung von mir verändert): (23) Mittel zur optischen Repräsentation von Sprache. Erst Gebrauchsweisen von Schrift, in denen nicht die mit (23) gegebene Bedeutung aktualisiert und spezifiziert wird, rechtfertigen die Annahme einer weiteren Kernbedeutung des polysemen Lexems. B IERWISCH (1979: 138, Nummerierung von mir verändert) nennt als Beispiel: (24) Die Schriften von Hülsendübel sollen jetzt gesammelt herausgegeben werden. In (24) bezieht sich Die Schriften auf die bereits publizierten Werke von Hülsendübel. Bei extrem polysemen Lexemen, für die nicht mehr nur eine einzige unterspezifizierte Kernbedeutung angenommen werden kann, hat E GG (1994) gezeigt, dass sich dennoch verschiedene polyseme Lesarten zu Gruppen zusammenfassen lassen, wobei für jede Gruppe eine unterspezifizierte Kernbedeutung postuliert werden kann. Die lexikalische Bedeutungsrepräsentation umfasst dann einige unterschiedliche, voneinander abgegrenzte 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 48 unterspezifizierte Kernbedeutungen, denen wiederum mehrere spezifische polyseme Lesarten zugeordnet werden können. 28 Die bisherige Diskussion hat gezeigt, dass bereits aus einzelsprachlicher Perspektive für die Trennung von lexikalischer Bedeutung und angekoppeltem konzeptuellen Wissen gute Gründe angeführt werden können. Weitere Argumente für die Trennung ergeben sich aus der Perspektive des Sprachenvergleichs. Die Sprachen der Welt unterscheiden sich nämlich darin, welche Teile des konzeptuellen Wissens sie überhaupt lexikalisch erfassen 29 und vor allem darin, welcher spezielle Ausschnitt aus dem konzeptuellen Wissen durch die lexikalische Bedeutung zusammengefasst wird (s. S CHWARZ 1992: 73, 98-101; S CHWARZ 2007: 62 f.): „Was von Lexikon zu Lexikon differiert, ist das Maß, in dem Mengen von konzeptuellen Komponenten zu Einheiten verknüpft werden und an sprachliche Formen gekoppelt werden. Damit nimmt das semantische System für jeden Lexikoneintrag eine sprachspezifische Auswahl konzeptueller Primitiva vor.“ (S CHWARZ 1992: 100) Solche sprachspezifischen Unterschiede finden sich beispielsweise im Vergleich des Deutschen mit dem Englischen darin, dass „im Deutschen zwischen Wand und Mauer (im Englischen ist beides wall), zwischen Burg und Schloß (castle), Miete und Pacht (rent)“ (S CHWARZ 2007: 63) unterschieden wird, während das Englische wiederum lexikalische Differenzierungen vornimmt, die im Deutschen nicht existieren: „Während im Deutschen Straße allgemein benutzt wird, um auf befahrene Strecken zu referieren, unterscheidet man im Englischen zwischen street (für Straßen in einem Ort) und road (für Straßen zwischen Orten). Das deutsche Wort Himmel ist im Englischen entweder mit sky (als astronomische Bezeichnung) oder mit heaven (als metaphorisch-religiöse Bezeichnung) zu übersetzen.“ (S CHWARZ 1992: 100) 28 Nach der von E GG (1994) vorgeschlagenen Analyse könnte sicher auch die polyseme Struktur des Lexems Spiels erhellt werden, die W ITTGENSTEIN (in Gleichsetzung mit der Kategorie SPIEL) dazu benutzt hat, für Kategorien im Allgemeinen eine Struktur der „Familienähnlichkeit“ zu behaupten (s. L. W ITTGENSTEIN , Philosophische Untersuchungen, 31-3). 29 Wenn für eine konzeptuelle Einheit in einer spezifischen Sprache kein eigenes Lexem existiert, spricht man von einer lexikalischen Lücke. Im Deutschen bestand (und besteht) eine lexikalische Lücke für den Zustand des Nicht-durstig-Seins, während für den analogen Zustand des Nicht-hungrig-Seins das Lexem satt existiert (S CHWARZ 2007: 62). Um diese lexikalische Lücke zu schließen, wurde im Rahmen eines Preisausschreibens um Wortvorschläge gebeten. Ausgewählt wurde das Kunstwort sitt, das sich in der Sprachgemeinschaft bislang aber nicht durchgesetzt hat. 1.4 Emergenz-Begriff in Bezug auf die kognitive Semantiktheorie 49 Im Deutschen ermöglicht das polyseme Lexem Himmel, für das mehrere getrennte lexikalische Bedeutungen (als unterspezifizierte Kernbedeutungen) angenommen werden müssen, demnach den Zugang zu zwei verschiedenen Konzepten, für die das Englische auch zwei verschiedene Lexeme bereithält. Vom jeweiligen Kommunikationskontext ist es abhängig, welches Konzept ausgewählt wird. Darüber hinaus existieren für das Lexem Himmel zwei weitere Bedeutungen, die unterschiedliche Konzepte erfassen: erstens „[fest angebrachte] zum Teil hinten u. an den Seiten heruntergezogene Überdachung aus Stoff, Leder o. Ä.; Baldachin“ und zweitens (aus der Fachsprache der Kfz-Technik) „innere Bespannung des Verdecks im Auto“ (DDUW). Gerade auch solche Lexeme, die in der Lage sind, sehr unterschiedliche, klar voneinander abgegrenzte Konzepte zu denotieren, sind ein starkes Argument dafür, dass zwischen lexikalischer Bedeutung und Konzeptinhalt differenziert werden muss. Wie das Nichtbeachten sprachspezifischer lexikalischer Zusammenfassungen von konzeptuellem Wissenskomponenten zu irrigen Annahmen über die Konzeptstruktur führen kann, möchte ich zum Schluss dieses Abschnitts an einem der prominentesten Metaphernbeispiele aus L AKOFF und J OHNSON s Studie Metaphors we live by (1980) zeigen, in der Wortbedeutung und Konzeptinhalt stets unreflektiert gleichgesetzt werden (s. die umfassende Kritik am Ansatz von L AKOFF und J OHNSON in Kap. 2.1.1). L AKOFF und J OHNSON gehen, allgemein gesagt, davon aus, dass viele unserer alltäglichsten Konzepte nur über die Struktur anderer Konzepte verstanden werden können. Eine solche Kombination eines Zielbereiches (‘target domain’), der mit Hilfe der konzeptuellen Informationen eines Ursprungsbereiches (‘source domain’) strukturiert und verstanden wird, nennen sie eine konzeptuelle Metapher (‘conceptual metaphor’). Gleich zu Beginn ihrer Studie besprechen L AKOFF und J OHNSON folgendes Beispiel: “To give some idea of what it could mean for a concept to structure an everyday activity, let us start with the concept ARGUMENT and the conceptual metaphor AR- GUMENT IS WAR .” (L AKOFF / J OHNSON 1980: 4). L AKOFF und J OHNSON nennen als Beispiele für die konzeptuelle Metapher u. a.: „His criticisms were right on target.“, „He shot down all my arguments.“, „You disagree? Okay, shoot! “ (L AKOFF / J OHNSON 1980: 4), wobei man sich bei diesen speziellen Beispielen fragen muss, ob die konzeptuelle Metapher nicht eher „ ARGUMENT IS SHOOTING “ heißen sollte (vgl. Kap. 2.1.1). Aber nicht an diesem Punkt soll die Kritik ansetzen, sondern an der folgenden, weit reichenden Behauptung L AKOFF und J OHNSON s: “Whether we are in a scientific, academic, or legal setting, aspiring to the ideal of rational argument, or whether we are just trying to get our way in our own household by haggling, the way we conceive of, carry out, and describe our ar- 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 50 guments is grounded in the ARGUMENT IS WAR metaphor.” (L AKOFF / J OHNSON 1980: 65) 30 Im Englischen sind für das Lexem argument im hier relevanten Sinne drei klar voneinander abgegrenzte Bedeutungen anzusetzen: (a) Diskussion (= discussion), (b) Streit(gespräch), Auseinandersetzung (= quarrel) und (c) Argumentation, Beweisführung (= line of reasoning) (vgl. T ERRELL et al. 1999: 1077). Das oben stehende Zitat zeigt, dass L AKOFF und J OHNSON die Polysemie von argument im Englischen nicht beachten und die zentralen Merkmale einer Bedeutungsvariante, nämlich von (b) Streitgespräch, Auseinandersetzung auf das gesamte Konzept übertragen. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass ein Streit(gespräch) und andere konfrontative kommunikative Auseinandersetzungen mit Lexemen charakterisiert werden können, die ursprünglich nur auf Kriegshandlungen referierten, als lexikalisierte Metaphern aber auf alle Formen eines heftigen, feindlichen Umgangs miteinander anwendbar sind. Unzulässig ist jedoch die im oben stehenden Zitat nahe gelegte Annahme, dass das Konzept ARGUMENT im Sinne von (c) Argumentation, Beweisführung (= line of reasoning) über das Konzept WAR strukturiert und verstanden wird. In der Übersetzung von L AKOFF / J OHNSON (1980) wird die Fragwürdigkeit noch deutlicher: Im Deutschen ist nämlich schon die Formulierung der konzeptuellen Metapher „A RGUMENTIEREN IST K RIEG “, wie sie die Übersetzerin gewählt hat (L AKOFF / J OHNSON 1998: 12), inakzeptabel. Denn im Deutschen bedeutet argumentieren „seine Argumente [für od. gegen etw.] darlegen, seine Gründe auseinander setzen, den Beweis führen“ (DDUW), und Argument bedeutet nicht mehr als „Rechtfertigungsgrund, [stichhaltiger, plausibler] Beweisgrund, Punkt einer Beweisführung“ (DDUW). Argument wurde ins Deutsche „entlehnt aus lat. argumentum, eigentl. ‘was der Erhellung und Veranschaulichung dient’, zu lat. arguere ‘deutlich zu erkennen geben, klarmachen, erhellen, beweisen’, eigentl. ‘im hellen Licht zeigen’ (P FEIFER et al. 2000: 58, Hervorh. i. Orig.). Im Sinne L AKOFF und J OHNSON s könnte die konzeptuelle Metapher im Deutschen höchstens EIN STREITGESPRÄCH IST KRIEG o. ä. heißen und würde das, was im Deutschen argumentieren heißen kann, nicht betreffen. 1.4.2 Emergente konzeptuelle Merkmale Im Folgenden möchte ich meine Auffassung von Bedeutungsmerkmalen präzisieren und erläutern, was ich unter emergenten konzeptuellen Merkmalen verstehe. 30 Vgl. auch die stark überinterpretierten Beispiele aus wissenschaftlichen Diskussionen, die als Beleg herangezogen werden (L AKOFF / J OHNSON 1980: 64). 1.4 Emergenz-Begriff in Bezug auf die kognitive Semantiktheorie 51 Zunächst will ich kurz begründen, weshalb ich für die Bedeutungsbeschreibung eine merkmalstheoretische Konzeption und nicht die Prototypentheorie verwende: (1.) In der Prototypentheorie (vgl. L AKOFF 1987) wird nicht die Unterscheidung zwischen Wortbedeutung und Konzeptinhalt getroffen, die ich in Kap. 1.4.1 als unverzichtbar aufgezeigt habe. (2.) Die Prototypentheorie hat bislang keine zufriedenstellende Klärung ihres Grundbegriffs, des Prototyps, erarbeitet und keine einheitliche, konsistente Theorie vorgelegt (s. K LEIBER 1998, G EERAERTS 2002, 2006). Revisionsversuche wie der von L AKOFF (1987) haben noch zu keiner grundlegenden Verbesserung geführt. Ähnlich wie L AKOFF s Metapherntheorie (L AKOFF / J OHN - SON 1980, L AKOFF / T URNER 1989, L AKOFF 1993), mit der sie in engem Zusammenhang steht, ist sie durch methodische Schwächen gekennzeichnet (vgl. Kap. 2.1.1). (3.) Die immer wieder behauptete Unverträglichkeit zwischen merkmalstheoretischen Ansätzen und der Prototypentheorie entspricht nicht der Sachlage: Auch die Bedeutungsbeschreibungen der Prototypentheorie sind auf unterscheidende Merkmale angewiesen (vgl. K LEIBER 1998). (4.) Wenn eine verbesserte Prototypentheorie vorliegen würde, so wäre sie mit meinem Ansatz kompatibel: Denn die von mir postulierten emergenten konzeptuellen Merkmale sind auch nicht Teil einer Repräsentation eines Kategorienkonzepts, die sich am Prototyp der Kategorie orientiert. Sie sind keine deskriptiven Merkmale, die im Konzept enthalten wären oder kontextfrei aus ihm abgeleitet werden könnten; sondern sie werden vor dem Hintergrund eines konkreten Kommunikationszusammenhangs aktiv konstruiert. Wie bereits im vorigen Unterkapitel kurz erläutert, plädiere ich dafür, die Wortbedeutung als Bündel semantischer Merkmale zu beschreiben und das Konzept als eine komplexe kognitive Informationsstruktur anzusehen, die konzeptuelle Merkmale zu einer Einheit zusammenfasst. Die semantischen Merkmale sind dabei an die sprachliche Form eines Lexems gebundene konzeptuelle Merkmale. Sie sind im Eintrag des Lexems im semantischen Lexikon repräsentiert. Über die Aktivierung des Lexikoneintrags wird im Sprachverstehensprozess auch der Zugang zu angekoppelten konzeptuellen Informationen ermöglicht, die stets - wenn auch auf einem geringeren Aktivitätsniveau - mitaktiviert werden (s. zur Semi-Aktivierung S CHWARZ 2000: 136-139). In ihrer Gesamtheit repräsentieren die semantischen Informationen und die konzeptuellen Informationen eine kognitive Domäne. Die kognitive Domäne repräsentiert dabei nicht lediglich additiv die Merkmalsmengen, sondern stellt ein komplexes, systematisch strukturiertes Konzept bzw. Schema dar. Wird ein Lexem in einem konkreten Kommunikationszusammenhang metaphorisch verwendet, so können die Bedeutungsmerkmale, die mit Hilfe der metaphorischen Verwendung des Ausdrucks vermittelt werden 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 52 sollen, prinzipiell Bestandteil von drei verschiedenen Merkmalsmengen sein (vgl. mein in Bezug auf das Textverstehen entworfenes Merkmalsmengenmodell in Kap. 5.2.1, s. a. Kap. 2.2): Sie können (a) Teil der semantischen Merkmale sein. Sie können (b) aber auch zu den konzeptuellen Merkmalen gehören, die an den Lexikoneintrag gekoppelt sind. Und sie können (c) schließlich weder Teil der semantischen Merkmale des Lexikoneintrags noch Teil der konzeptuellen Merkmale des mitaktivierten komplexen Konzepts sein. (25) Die Trainerin ist eine Giraffe. (26) Die Trainerin ist eine Gazelle. (27) Die Trainerin ist aus Teflon. Ein Beispiel für (a) gibt (25), wenn mit Hilfe des metaphorisch gebrauchten Ausdrucks eine Giraffe ausgesagt werden soll, dass die Trainerin einen ungewöhnlich langen Hals hat: Diese Bedeutung gehört zum semantischen Wissen des Lexems Giraffe, das wie folgt paraphrasiert werden kann: „(in den Savannen Afrikas in Herden lebendes) großes, Pflanzen fressendes Säugetier mit sehr langem Hals, stark abfallendem Rücken u. kurzhaarigem, unregelmäßig braun geflecktem, sandfarbenem Fell“ (DDUW). Ein Beispiel für (b) wäre (26), wenn durch die metaphorische Verwendung von eine Gazelle ausgesagt werden soll, dass die Trainerin sehr schnell laufen kann und wir davon ausgehen, dass das Merkmal SCHNELL erst zum konzeptuellen Wissen von GAZELLE gehört und nicht bereits Teil der Wortbedeutung von Gazelle ist, die z. B. wie folgt paraphrasiert werden kann: „(in den Steppen u. Wüsten Afrikas lebende) Antilope mit langen, schlanken Beinen, großen Augen u. quer geringelten Hörnern“ (DDUW). Ein Beispiel für (c) stellt (27) dar, wenn in einem Kommunikationszusammenhang mit dem metaphorisch zu verstehenden Prädikat ist aus Teflon z. B. ausgesagt werden sollte, dass die Trainerin sich durch die Eigenschaften HARTNÄCKIG, UNNACHGIEBIG, GEFÜHLLOS etc. auszeichnet, die weder Bestandteil der Lexikonbedeutung von Teflon noch des Konzeptes TEFLON sind. Die lexikalische Bedeutung kann paraphrasiert werden mit „Kunststoff, der gegen Hitze u. andere chemische Einwirkungen beständig ist […]“ (DDUW) und umfasst auch die Information, dass es sich bei Teflon um ein „Kunstwort“ (DDUW), um einen Produktnamen, ein eingetragenes Warenzeichen handelt. Das Konzept TEFLON enthält, je nach Vorwissen der Rezipienten, z. B. die Information, dass die chemische Bezeichnung des Kunststoffs Polytetrafluorethylen lautet, dass er 1939 per Zufall entdeckt wurde, zunächst in der Atombombenforschung Einsatz fand, seit 1954 zum Beschichten von Pfannen verwendet wird, in der Weltraumforschung der NASA seit den 1960er Jahren eine große Rolle spielt und heute in den verschiedensten Bereichen als Beschichtungs- und Isolierungsmaterial angewendet wird und auch unter 1.4 Emergenz-Begriff in Bezug auf die kognitive Semantiktheorie 53 anderen Produktbezeichnungen, z. B. Gore-Tex, bekannt ist. Die mit Hilfe der metaphorischen Verwendung des Lexems in (27) vermittelten Merkmale wie HARTNÄCKIG, UNNACHGIEBIG, GEFÜHLLOS sind auf keinen Fall Teil des Konzeptes TEFLON, da ein Artefakt wie Teflon keine Charakter- und Verhaltenseigenschaften von Menschen aufweisen kann. Bei solchen Merkmalen handelt es sich um emergente konzeptuelle Merkmale: Sie gehören weder zu den semantischen Merkmalen des Lexikoneintrags, noch sind sie Bestandteil der angekoppelten konzeptuellen Merkmale des Schemas. Sie können auch aus diesen Merkmalsmengen nicht ohne weiteres hergeleitet werden. Sie werden von den Rezipienten im Sprachverstehensprozess im Sinne der Top-down-Verarbeitung aktiv konstruiert (s. Kap. 5.1.1). Dies geschieht mittels elaborativer Inferenzen, die über den verschiedensten Wissensbeständen operieren, vor allem den bereits verarbeiteten semantischen Informationen des Kotextes und dem Kontextwissen, das aus allgemeinem Weltwissen und Wissen über Kommunikationszusammenhänge (z. B. Textsortenwissen) besteht (s. zum Inferenz-Begriff Kap. 5.1.2). Dass es sich bei den emergenten konzeptuellen Merkmalen nicht bloß um aktivierte semantische Merkmale der Wortbedeutung oder um mitaktivierte konzeptuelle Merkmale des angekoppelten Schemas, sondern um Merkmale handelt, die aktiv erschlossen werden müssen, macht ihren besonderen Status aus (s. Abb. 2). Der Emergenz- Begriff kann sinnvoll nur auf sie angewendet werden. Abb. 2: Emergente konzeptuelle Merkmale bei metaphorischem Gebrauch eines Ausdrucks 1. Begriff der Emergenz und emergenter Merkmale 54 Theoretisch wäre es nicht von vornherein ausgeschlossen, die weiter oben unter (b) aufgeführten Merkmale, die zwar nicht zur lexikalischen Bedeutung, aber zu den konzeptuellen Merkmalen des angekoppelten Schemas gehören, als emergente Merkmale in Bezug auf die semantischen Merkmale des Lexikoneintrags zu postulieren. Dies ergibt jedoch wenig Sinn: Bei diesen Merkmalen handelt es sich, wie gesagt, um konzeptuelle Merkmale des Schemas, die im Sprachverstehensprozess automatisch mitaktiviert werden. Sie können zwar aus den semantischen Merkmalen des Lexikoneintrags nicht hergeleitet werden, stellen aber keine aktiv konstruierten Bedeutungsmerkmale dar, sondern sind lediglich Merkmale des Schemas, die zur Spezifizierung der aktuellen Bedeutung eines Ausdrucks im Sprachverstehensprozess herangezogen werden. Würde man sie als emergent ansehen, so hätte der Emergenz-Begriff keine Aussagekraft mehr, da er auf jedes Merkmal zutreffen würde, das über die unterspezifizierte Kernbedeutung des Lexikoneintrags hinausgeht. Er würde auch nicht der von mir verwendeten Bestimmung des Emergenz-Begriffs als einer theorierelativen Eigenschafts-Emergenz entsprechen (s. Kap. 1.2.3): Innerhalb der Kognitiven Semantik werden konzeptuelle Merkmale, die lediglich Teil des angekoppelten Schemas sind, problemlos von der Theorie erfasst - sie sind sowohl herleitbar als auch voraussagbar aus dem konzeptuellen Inhalt des Schemas. Aus diesem Grund verwende ich für die bloße Aktivierung und Selektion solcher Merkmale auch nicht den Inferenz-Begriff, sondern beziehe ihn nur auf das konstruktive Elaborieren von Merkmalen, die nicht Teil des Konzeptes sind (s. Kap. 5.1.2). Zum Schluss möchte ich noch auf das Problem des Paraphrasierens metaphorischer Bedeutung (s. dazu ausführlich Kap. 4.2.2) und der dabei gewählten Notation eingehen: Wenn metaphorisch verwendeten Ausdrücken im Verstehensprozess bestimmte konzeptuelle Merkmale zugesprochen werden, so müssen diese natürlich wieder mit sprachlichen Ausdrücken bezeichnet werden, um mitgeteilt werden zu können. Ich gehe im Folgenden so vor, dass ich konzeptuelle Merkmale bzw. Bündel konzeptueller Merkmale mit Lexemen des Deutschen, notiert in Großbuchstaben, bezeichne. (28) Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy ist ein Bulldozer. Wenn in (28) mit der metaphorischen Verwendung des Ausdrucks ein Bulldozer z. B. ausgesagt werden soll, dass dem Referenten Nicolas Sarkozy eine Eigenschaft wie durchsetzungsstark zugesprochen werden soll, so notiere ich dies durch DURCHSETZUNGSSTARK. Den Kerngehalt des konzeptuellen Merkmals(bündels) DURCHSETZUNGSSTARK identifiziere ich mit der wörtlichen Bedeutung des Lexems durchsetzungsstark, die 1.4 Emergenz-Begriff in Bezug auf die kognitive Semantiktheorie 55 paraphrasiert werden kann mit: erfolgreich darin sein, „etw. Angestrebtes, Erwünschtes o. Ä. unter Überwindung von Hindernissen [zu] verwirklichen“, „Widerstände [zu] überwinden u. sich Geltung [zu] verschaffen“ (DDUW). Die Vorgehensweise ergibt sich also aus der bereits angesprochenen Notwendigkeit, zur Bezeichnung auch von konzeptuellen Bedeutungsmerkmalen auf Lexeme zurückzugreifen. Sie ist aber auch praktikabel insofern, als sich durch diese Notation komplexe Bündel von konzeptuellen Merkmalen sinnvoll zusammenfassen lassen. Die oben genannte Paraphrase von durchsetzungsstark wäre wohl kaum als ein Bündel von atomaren konzeptuellen Merkmalen zu beschreiben, die wiederum durch Lexeme des Deutschen bezeichnet werden müssten. Nicht umsonst ist der Umstand, dass das Finden und Festlegen von atomaren Merkmalen für die semantische Beschreibung extreme Schwierigkeiten bereitet, als ein Hauptkritikpunkt gegen merkmalstheoretische Ansätze vorgebracht worden (vgl. K LEIBER 1998). Im Rahmen meiner Arbeit ist dieses Problem zweitrangig: Für meinen Untersuchungsgegenstand ist entscheidend, dass die emergenten Merkmale weder Teil der semantischen noch der konzeptuellen Merkmale einer bestimmten kognitiven Domäne sind, gleichgültig, ob diese nun durch atomare Merkmale oder durch komplexe Merkmalsbündel beschrieben werden können. Meine Arbeit widmet sich der Frage, weshalb diese Merkmale als ein Fall von Emergenz in Bezug auf die Semantiktheorie gelten können und woher diese Merkmale kommen. Die Frage, wie diese Merkmale dargestellt werden können, ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Auch in den psycholinguistischen Experimenten, in denen emergente Merkmale beim Metaphernverstehen untersucht wurden, sind diese - mangels anderer und besserer Möglichkeiten - jeweils in Form von Lexemen erfragt und notiert worden (vgl. Kap. 1.3.2). 2. Kognitive Metapherntheorien 2.0 Vorbemerkungen In diesem Kapitel steht die spezifische innovative Konzeptualisierung im Vordergrund, die durch Metaphern vermittelt werden kann. Im Folgenden soll einerseits die Besonderheit der durch Metaphern ausgedrückten Konzeptkombinationen beleuchtet und andererseits aufgezeigt werden, wie diese Kombinationen im Sprachverstehensprozess als spezifische Konzeptualisierungen verstanden werden. Im Hinblick auf die prominenteste kognitive Metapherntheorie, die Theorie der konzeptuellen Metaphern von L AKOFF und J OHNSON (1980, 1999) werde ich zeigen, dass sie weder für konventionelle noch für innovative Metaphern einen überzeugenden Erklärungsansatz bietet. Ich werde auch zeigen, dass die Blending-Theorie der Metapher, die eine kognitive Theorie innovativer Metaphern bereitstellen soll, diesem Anspruch nicht gerecht wird. Des Weiteren werde ich zeigen, dass die in der Psycholinguistik in Bezug auf innovative Metaphern vorgeschlagenen Modelle revidiert und modifiziert werden müssen. Das Verstehen innovativer Metaphern werde ich dabei im Hinblick auf das Auftreten emergenter konzeptueller Merkmale beleuchten. In der Kognitiven Linguistik lassen sich zwei grundsätzlich unterschiedliche theoretische Positionen erkennen, deren Konzeption S CHWARZ (1992: 12-19; 2008: 48-58) unter den Begriffen Modularismus und Holismus erläutert (s. a. S CHWARZ 1994a: 11; S CHWARZ 2002, T AYLOR 1995): Die holistische Position gründet sich auf die Annahme, dass alle kognitiven Leistungen grundsätzlich von denselben Prinzipien gesteuert sind und auf diese zurückgeführt werden können. Für die holistisch orientierte kognitive Linguistik ist die Annahme entscheidend, dass Sprachwissen und konzeptuelles Wissen nicht getrennt werden können. Die Bedeutungsrepräsentationen der Wörter fallen deshalb mit den Konzeptinhalten zusammen (s. z. B. L AKOFF 1987, L ANGACKER 1988a,b, 1991, 1999). 1 Eine Konsequenz aus dieser Herangehensweise ist, dass auch auf eine klare Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik verzichtet wird. 1 In der germanistischen Linguistik hat sich zuletzt besonders Ziem (2008) für die holistische Position stark gemacht. Wesentliche Argumente, die gegen eine holistische Bedeutungsauffassung sprechen, bleiben in der Diskussion unberücksichtigt: Ziem (2008) geht z. B. nicht auf lexikalische Lücken, die (überindividuelle und langzeitliche) Stabilität von Wortbedeutungen sowie die prinzipielle Streichbarkeit konzeptuell-pragmatischer Bedeutungsanteile ein (s. Kap. 1.4.1). 2.1 Metapherntheorie(n) der holistischen Kognitiven Linguistik 57 Die modularistische Position geht von der Annahme aus, dass die Kognition modular organisiert ist, d. h. über unabhängig voneinander arbeitende Module verfügt, die auch durch unterschiedliche Prinzipien gesteuert sein können. In modularistischen Ansätzen, wie z. B. der Zwei-Ebenen- Semantik (s. z. B. B IERWISCH / L ANG 1987, B IERWISCH / S CHREUDER 1992, D ÖL- LING 1994, L ANG 1994, s. a. M EYER 1994), wird strikt zwischen sprachlichem, semantischem Wissen und konzeptuellem Weltwissen unterschieden. Eine Mittlerposition zwischen holistischen Ansätzen und streng modularistischen Ansätzen stellen Mehr-Ebenen-Modelle (S CHWARZ 1992, 1995a, 2000, 2008; s. a. S CHWARZ 2002, vgl. J ACKENDOFF 2002) dar, in denen zwar noch zwischen semantischem und konzeptuellem Wissen unterschieden wird, aber auch auf ihre substanzielle Identität hingewiesen wird: Sprachliche Bedeutung wird als an sprachliche Formen gekoppeltes konzeptuelles Wissen erfasst, das einen Ausschnitt aus dem konzeptuellen Wissen repräsentiert (s. Kap. 1.4.1). 2 Im folgenden Kapitel werde ich zeigen, dass die innerhalb des Paradigmas der holistischen kognitiven Linguistik vorgeschlagenen Metapherntheorien nicht in der Lage sind, dem Phänomen der Metaphern und des Metaphernverstehens gerecht zu werden. 2.1 Metapherntheorie(n) der holistischen Kognitiven Linguistik Innerhalb des Paradigmas der holistischen Kognitiven Linguistik, die sich selbst als die Kognitive Linguistik (“Cognitive Linguistics”) schlechthin versteht (s. G EERAERTS 2006, E VANS / G REEN 2006, E VANS 2007), sind verschiedene Theorien zur Metapher vorgelegt worden. Am prominentesten ist die Theorie der konzeptuellen Metapher (“Conceptual Metaphor Theory”), wie sie von L AKOFF und J OHNSON in Metaphors we live by (1980) vorgelegt und in verschiedenen Publikationen seither von L AKOFF selbst und anderen fortgeführt und modifiziert wurde (vgl. L AKOFF 1987, 1993, 2008; L AKOFF / T URNER 1989; L AKOFF / J OHNSON 1999; J OHNSON 1987, 1988, T URNER 1987, 1991; S WEETSER 1990; G IBBS 1994; K ÖVECSES 2002 etc.). Zur grundlegenden Charakterisierung ist der Hinweis angebracht, dass die Theorie der konzeptuellen Metaphern nicht als eine primär linguistische Theorie des Metaphernverstehens oder der Metaphernproduktion konzipiert ist. Vielmehr stellt sie eine allgemeine Theorie der Konzeptualisierung dar, in der Metaphern nicht mehr als ein Phänomen des Sprach- 2 Z IEM (2008: 47, 92-102) bespricht S CHWARZ (1992, 2000) stark selektiv-verkürzend. 2. Kognitive Metapherntheorien 58 gebrauchs vorgestellt werden, sondern als eine unumgängliche, alltägliche Form der Konzeptualisierung, bei der kognitiv schwer fassbare Konzepte (z. B. LIEBE) über die projizierte Struktur direkter erfahrbarer Konzepte (z. B. REISE) verstanden werden. Die Anwendung der Vermischungs-Theorie von Konzepten, der so genannten Blending-Theorie (“Blending Theory”) von F AUCONNIER und T UR- NER (1996, 2002; vgl. Kap 1.3.1) auf das Phänomen der Metapher, die vor allem von G RADY initiiert wurde (G RADY / O AKLEY / C OULSON 2001) widmet sich speziell dem Phänomen innovativer Metaphern und ist als Ergänzung zur Theorie der konzeptuellen Metaphern gedacht. 3 Im Folgenden werde ich die beiden Theorien kritisch diskutieren, besonders unter dem Blickwinkel der Angemessenheit ihrer Methodik und der Frage, was sie zur Erklärung des Verstehens innovativer Metaphern beitragen können. Es geht mir in der Diskussion auch darum zu zeigen, dass holistische Metapherntheorie(n) nicht nur in Bezug auf das Phänomen innovativer Metaphern zu kurz greifen, sondern in ihren grundsätzlichen theoretischen Prämissen problematisch sind. 2.1.1 Theorie der konzeptuellen Metaphern Ich werde im Folgenden zunächst die Grundannahmen der Theorie der konzeptuellen Metapher (“Conceptual Metaphor Theory”) von L AKOFF und J OHNSON (1980, 1999) vorstellen (s. a. L AKOFF / T URNER 1989). Danach werde ich die wichtigsten kritischen Einwände, die gegen diese Theorie vorgebracht werden können, diskutieren. Schließlich werde ich begründen, warum die Theorie zur Erklärung des Gegenstandes meiner Arbeit - emergenter Bedeutungsmerkmale beim Verstehen innovativer Metaphern - nicht geeignet ist. L AKOFF und J OHNSON (1980) wenden sich strikt gegen die traditionelle metapherntheoretische Auffassung, Metaphern seien durch eigentliche Ausdrücke ersetzbar und stellten deshalb lediglich eine Form des unnor- 3 In jüngster Zeit hat L AKOFF (s. als Überblick L AKOFF 2008) die Theorie der konzeptuellen Metapher unter Einbezug der Blending-Theorie und weiterer Ansätze (wie der “Primary Metaphor Theory”, s. weiter unten) in die Neurale Metapherntheorie (“Neural Theory of Metaphor”) überführt: Es handelt sich um eine Neuformulierung in der Begrifflichkeit neuronaler Aktivierungsprozesse und um den Versuch ihrer computationellen Modellierung. Die zentralen Inhalte der Theorie der konzeptuellen Metapher werden beibehalten (L AKOFF 2008: 24 f.); für die Metaphernanalyse ergeben sich keine wesentlichen Änderungen (L AKOFF 2008: 37). Die Neuformulierung birgt aber die Gefahr der Nivellierung des grundlegenden Unterschieds zwischen physikochemischer und psychischer Ebene (s. etwa L AKOFF / W EHLING 2008; vgl. Kap. 1.2.2). 2.1 Metapherntheorie(n) der holistischen Kognitiven Linguistik 59 malen, unnötigen Sprachgebrauchs mit schmückender Funktion dar. Für L AKOFF und J OHNSON sind Metaphern aber im Gegensatz dazu nicht nur ein normaler Bestandteil alltäglicher Sprachverwendung: Sie sehen in Metaphern vielmehr primär ein Phänomen des konzeptuellen Systems des Menschen und erst sekundär ein Phänomen der Sprache, da sie davon ausgehen, dass „Sprache und Denken homolog organisiert sind“ (P IELENZ 1993: 67; s. L AKOFF / J OHNSON 1980: 3-6, 153; L AKOFF 1987: 58). Metaphorische Äußerungen werden als sprachlich expliziter Ausdruck für metaphorische Konzeptualisierungen aufgefasst: “Metaphors as linguistic expressions are possible precisely because there are metaphors in a person’s conceptual system” (L AKOFF / J OHNSON 1980: 6). Wesentlich für den Ansatz von L AKOFF und J OHNSON ist dabei, dass auch und sogar vorzugsweise der Gebrauch von lexikalisierten Metaphern als ein Ausdruck für metaphorische Konzeptualisierung gilt. Eine lexikalisierte Metapher (wie z. B. Sackgasse in Unsere Liebe ist in eine Sackgasse geraten) kann gegenwartssprachlich zwar noch als Metapher erkannt werden, weil das Lexem weiterhin auch in seiner ursprünglichen Bedeutung (hier: „Straße, die nur eine Zufahrt hat u. am Ende nicht mehr weiterführt“, DDUW) verwendet wird, von der sich die metaphorische Verwendung (hier: Ausweglosigkeit, Bedrängnis, Not, Zwangslage etc.) herleitete. Im Normalfall kommen solche Metaphern den Kommunikationsteilnehmern aber aufgrund ihrer konventionellen Einbindung ins Lexikon der Sprache nicht als metaphorisch zu Bewusstsein. Bewusstheit wird von L AKOFF und J OHNSON aber nicht als Voraussetzung für das Vorliegen metaphorischer Konzeptualisierungen angesehen, da Konzeptualisierung ein weitgehend automatischer Prozess ist (L AKOFF / J OHNSON 1980: 3). Die Metapher wird von L AKOFF und J OHNSON (auf konzeptueller Ebene) wie folgt bestimmt: “The essence of metaphor is understanding and experiencing one kind of thing in terms of another” (L AKOFF / J OHNSON 1980: 5). Das Moment der Erfahrung ist für sie zentral; sie gehen allgemein davon aus, “that no metaphor can ever be comprehended or even adequately represented independently of its experiential basis” (L AKOFF / J OHNSON 1980: 19, s. auch 115; vgl. C ROFT / C RUSE 2004: 204). Grundlegende Erfahrungen des Menschen betreffen vor allem seinen Körper (z. B. die Erfahrung des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Tastens, Temperaturempfindens, die der Körperfunktionen usw.) und seine Umwelt (z. B. die Erfahrung des dreidimensionalen Raumes und die des Umgangs mit verschiedensten Objekten). Die Grundthese der Theorie von L AKOFF und J OHNSON besteht darin, „daß der Mensch zur Konzeptualisierung einer sehr komplexen Wirklichkeit auf metaphorische Prozesse zurückgreift, um Erfahrungen oder Sachverhalte, die 2. Kognitive Metapherntheorien 60 vage, abstrakt und daher schwer faßbar sind, mit Hilfe konkreter, elementarer Erfahrungen zu strukturieren und sich somit faßbar und rational verfügbar zu machen.“ (B ALDAUF 1997: 16) Wie elementare Erfahrungen zur Konzeptualisierung abstrakterer Bereiche herangezogen werden, ist jedoch (auch) kulturabhängig (L AKOFF / J OHNSON 1980: 22-24). Die Nutzung eines Konzeptes wie z. B. KRIEG zur metaphorischen Charakterisierung anderer Konzepte (z. B. POLITIK, wie in Der Kanzler hat seine letzte Schlacht verloren) zeigt, dass auch Konzepte verwendet werden können, mit denen die Mehrzahl der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft keine direkten Erfahrungen (mehr) verbindet. Diese Erfahrungsbestände sind vielmehr kulturell tradiert und konventionalisiert und als solche weiterhin wirksam (vgl. B ALDAUF 1997: 15 f.). Bei jeder metaphorischen Projektion werden zwei Konzepte systematisch miteinander verbunden, „von denen d[as] eine […] als Zielbereich (target domain) und d[as] andere […] als Ursprungsbereich (source domain) der metaphorischen Übertragung (metaphorical mapping) fungiert“ (J ÄKEL 2003: 23). In meiner Terminologie entspricht dem ‘Zielbereich’ das Konzept 1 , und der ‘Ursprungsbereich’ entspricht dem Konzept 2 . Der Zielbereich ist dabei im Normalfall ein abstraktes Konzept (z. B. LIEBE), das mit Hilfe der konzeptuellen Struktur eines konkreter erfahrbaren Konzeptes (z. B. REISE) angereichert wird. L AKOFF und T URNER definieren dementsprechend: “A metaphor with the name A IS B is a mapping of part of the structure of our knowledge of source domain B onto target domain A ” (L A- KOFF / T URNER 1989: 59). Ein wesentliches Merkmal der metaphorischen Übertragung ist dabei ihr „selektiver Charakter“ (B ALDAUF 1997: 23), der von L AKOFF und J OHNSON (1980: 10) als “Highlighting and Hiding” bezeichnet wird: So wie der Zielbereich nur in ausgewählten Aspekten beleuchtet wird, geht der Ursprungsbereich nur als idealisiertes Modell in die metaphorische Strukturierung ein (s. zur Konzeption der ‘Idealized cognitive models’ L AKOFF 1987 und die Diskussion in L IEBERT 1992: 69-76; B AL- DAUF 1997: 71-81; J ÄKEL 2003: 138-141). Die Definition von L AKOFF und T URNER (1989: 59) zeigt auch noch einmal deutlich die Verschiebung des Metaphernbegriffs von der Ebene des Sprachgebrauchs hin zur Ebene der Konzeptualisierung: Metaphern sind per Definition konzeptuelle Projektionen, ihr sprachlicher Ausdruck in einem Äußerungszusammenhang ist lediglich ein sprachlich-expliziter Hinweis auf sie. Die Ausdehnung des Metaphernbegriffs auf die konzeptuelle Ebene und die Ausrichtung auf lexikalisierte Metaphern führt zu einer verdoppelten und bisweilen verwirrenden Terminologie, z. B. wenn innovative Metaphern als “imaginative (or nonliteral) metaphor[s]” (L A- KOFF / J OHNSON 1980: 53) bezeichnet werden. Einen umfassenden Überblick 2.1 Metapherntheorie(n) der holistischen Kognitiven Linguistik 61 über das Verhältnis der von L AKOFF und J OHNSON eingeführten Terminologie im Gegensatz zur üblichen Terminologie bieten R OMERO und S ORIA (2005: 3-9). Ich gebrauche den Begriff Metapher nur im Hinblick auf die sprachliche Ebene, nicht aber in Bezug auf konzeptuelle Strukturen: Der Unterschied zwischen Sprach- und Konzeptebene wird so auch terminologisch ersichtlich (vgl. S KIRL / S CHWARZ -F RIESEL 2007). Viele sprachliche Belege (in Kursivschrift angegeben) lassen sich systematisch auf spezifische Verbindungen von Konzepten (in Großbuchstaben angegeben) beziehen (s. zum Deutschen ausführlich B ALDAUF 1997 und L IEBERT 1992, 2002): • LIEBE IST EINE REISE: „Wir sind nun am Scheideweg“, „Wir müssen jetzt einfach getrennte Wege gehen“, „Wir sind auf das falsche Gleis geraten“ (L AKOFF / J OHNSON 1998: 57) • ZEIT IST GELD: „Dieses Gerät wird Ihnen viel Zeit ersparen“, „Dieser platte Reifen kostete mich eine Stunde“, „Ich habe viel Zeit in diese Frau investiert“ (L A- KOFF / J OHNSON 1998: 16) • IDEEN SIND PFLANZEN: „Seine Ideen haben schließlich Früchte getragen“, „Der Keim seiner großen Ideen liegt in seiner Jugend“, „Ich möchte dir diesen Gedanken ins Herz pflanzen“ (L AKOFF / J OHNSON 1998: 60) Die Verbindung zweier verschiedener konzeptueller Domänen (z. B. LIEBE IST EINE REISE) - wobei der Ursprungsbereich (hier: REISE) zum Verstehen des Zielbereichs (hier: LIEBE) herangezogen wird - wird auch allgemein als konzeptuelle Metapher (‘conceptual metaphor’) bezeichnet (L A- KOFF / J OHNSON 1999: 128). Die Bezeichnung ist erläuterungsbedürftig, da es in L AKOFF und J OHNSON (1980: 6) noch geheißen hatte: “whenever in this book we speak of metaphors […], it should be understood that metaphor means metaphorical concept”. Die Gleichsetzung von konzeptuellen Metaphern und metaphorischen Konzepten entspricht dem Umstand, dass L A- KOFF und J OHNSON allgemein nicht präzise zwischen repräsentationalen und prozeduralen Aspekten unterscheiden (vgl. M C G LONE 2001: 91). Konzeptuelle Metaphern sind prozedural definiert in dem Sinne, dass konzeptuelle Struktur im Verstehensprozess projiziert wird. Metaphorische Konzepte sind repräsentational definiert in dem Sinne, dass sie konzeptuelle Struktur anderer Konzepte enthalten. L AKOFF und J OHNSON (1999: 128) gehen davon aus, dass abstrakte Konzepte zwar über eine eigene, unabhängige konzeptuelle Struktur verfügen, dass diese aber nicht genügt, um ein hinreichend vollständiges Konzept zu ergeben. Deshalb werden diese abstrakten Konzepte in wesentlichen Teilbereichen über die konzeptuelle Struktur von (verschiedenen) Ursprungsbereichen angereichert. Sie können daher (in Teilbereichen) als metaphorische Konzepte betrachtet werden. Die konzeptuellen Anreicherungen 2. Kognitive Metapherntheorien 62 müssen dabei keinen konsistenten Zusammenhang ergeben. L AKOFF und J OHNSON nutzen zur Beschreibung der zwei Aspekte abstrakter Konzepte die Skelett/ Fleisch-Analogie: “Abstract concepts have two parts: (1) an inherent, literal, nonmetaphorical skeleton, which is simply not rich enough to serve as full-fledged concepts; and (2) a collection of stable, conventional metaphorical extensions that flesh out the conceptual skeleton in a variety of ways (often inconsistently with one another).” (L AKOFF / J OHNSON 1999: 128) Das Konzept LIEBE wird L AKOFF und J OHNSON zufolge z. B. durch folgende konzeptuelle Metaphern angereichert (vgl. die englischen Originalbeispiele in L AKOFF / J OHNSON 1980: 49): • LIEBE IST PHYSIK: „Ich konnte die elektrischen Schwingungen zwischen uns fühlen“, „Zwischen den beiden hat es gefunkt“, „Die Atmosphäre ist bei ihnen immer aufgeladen etc. (L AKOFF / J OHNSON 1998: 62) • LIEBE IST EIN PATIENT: „Ihre Beziehung krankt an etwas“, „Sie führen eine starke und gesunde Ehe“, „Ihre Ehe ist tot - sie kann nicht wieder zum Leben erweckt werden“ etc. (L AKOFF / J OHNSON 1998: 62) • LIEBE IST VERRÜCKTHEIT: „Sie gefällt mir wahnsinnig“, „Er ist völlig verrückt nach ihr“, „Es ist einfach eine irre Beziehung zu Harry“ etc. (L AKOFF / J OHNSON 1998: 62) • LIEBE IST MAGIE: „Der Zauber unserer Beziehung ist verflogen“, „Sie hat mich hypnotisiert“, „Sie hat mich verhext“ etc. (L AKOFF / J OHNSON 1998: 63) • LIEBE IST KRIEG: „Er ist bekannt für seine zahlreichen Eroberungen“, „Sie kämpfte um ihn, aber seine Geliebte hat den Sieg davongetragen“, „Sie wurde belagert von Verehrern“ etc. (L AKOFF / J OHNSON 1998: 63) Das Verhältnis zwischen den „sprachlichen Aktualisierungen und d[en] ihnen vorausliegenden konzeptuellen Metaphern“ lässt sich auch als ein „type/ token-Verhältnis“ bestimmen (P IELENZ 1993: 71): 4 „Als Extrakt einer Menge metaphorischer Äußerungen repräsentiert eine konzeptuelle Metapher jeweils einen type oder Typ (e. g. ‚Argumentation als Krieg‘), jede einzelne metaphorische Äußerung gilt als token oder Vorkommnis (e. g. ‚er attackierte ihre Position‘), indem sie einen type implementiert. Eine konzeptuelle Metapher ist insofern lediglich eine kontextfreie Abstraktionsform, die nur über konkrete metaphorische Ausdrücke verwirklicht wird.“ (P IELENZ 1993: 71; vgl. B ALDAUF 1997: 16) Mit Hilfe der Type/ Token-Unterscheidung können auch konventionelle von neuartigen Metaphern abgegrenzt werden. Der Anspruch von L AKOFF 4 Die hier vorgestellte Type-/ Token-Unterscheidung nach P IELENZ (1993: 17) hat nichts mit der Unterscheidung zwischen Type-Konzepten (= Klassenkonzepten) und Token- Konzepten (= Individuenkonzepten) zu tun, auf die ich weiter unten und in Kap. 5.1.1 eingehe. 2.1 Metapherntheorie(n) der holistischen Kognitiven Linguistik 63 und J OHNSON besteht zwar vor allem darin, konventionalisierte Metaphern zu erfassen, sie behandeln aber auch neuartige Metaphern ausführlich (s. L AKOFF / J OHNSON 1980: 52-55 u. 139-146). Dabei unterscheiden sie zwischen neuartigen Metaphern, die auf konventionelle konzeptuelle Metaphern Bezug nehmen (die also einen konventionellen Type neuartig nutzen) und solchen, die Ausdruck einer neuen konzeptuellen Metapher sind (die also einen neuen Type etablieren) (L AKOFF / J OHNSON 1980: 53; vgl. L AKOFF / T URNER 1989: 50, 53). Den ersten Typ nenne ich kreative Metaphern, den zweiten innovative Metaphern (s. a. S KIRL / S CHWARZ -F RIESEL 2007: 30 f.): Kreative Metaphern benutzen das Potenzial einer konventionellen metaphorischen Verbindung zweier Konzepte in ungewöhnlicher Weise (z. B. in Geldbächlein oder Finanzpfütze für die Verbindung GELD ALS WASSER). Innovative Metaphern führen eine neuartige metaphorische Verbindung zweier Konzepte ein (z. B. in der metaphorischen Konzeptualisierung von GELD in Geldhaar oder Finanzfussel). Die folgenden Beispiele sollen die Unterscheidung noch einmal verdeutlichen (Beispiele nach L AKOFF / J OHNSON 1998: 67): • Konventionelle Metaphern (Type und Token konventionell): THEORIEN ALS GEBÄUDE (Diese Theorie ist ein Kartenhaus. Seine Theorie hat kein Fundament.) • Kreative Metaphern (Type konventionell, Token kreativ): THEORIEN ALS GEBÄUDE (Diese Daten sind die Ziegelsteine und der Mörtel meiner Theorie. Seine Theorie hat tausend Kämmerchen und lange labyrinthische Flure.) • Innovative Metaphern (Type und Token innovativ): THEORIEN ALS VATER- KIND-BEZIEHUNG (Klassische Theorien sind Patriarchen, deren Kinder sich unablässig streiten.) Die Abgrenzung von kreativen und innovativen Metaphern ist im Einzelfall oft nicht einfach, weil sie einerseits umfassendes (auch geschichtliches) Wissen über den Sprachgebrauch einer Kommunikationsgemeinschaft voraussetzt und andererseits stark davon abhängt, mit welchem Abstraktheitsgrad die der Metapher zugrunde liegende Konzeptkopplung formuliert wird (s. S KIRL / S CHWARZ -F RIESEL 2007: 32 f.). 5 5 Für das von mir behandelte Emergenz-Phänomen ist die Abgrenzungsproblematik von innovativen und kreativen Metaphern unwesentlich: Ob etwa ein Beispiel wie Der Mann ist ein Bulldozer (s. vor allem Kap. 5.2) als innovative Metapher im Sinne der Konzeptkopplung MANN ALS BULLDOZER oder als kreative Metapher, nämlich als Instanz der konventionell verankerten Konzeptkopplung MENSCH ALS MA- SCHINE o. Ä. aufgefasst wird (vgl. G OATLY 2007), spielt für die Etablierung emergenter Merkmale keine Rolle: In beiden Fällen sind die relevanten Merkmale nicht über die Konzepte BULLDOZER oder MASCHINE gegeben, sondern müssen kontextabhängig über elaborative Inferenzen erschlossen werden. 2. Kognitive Metapherntheorien 64 Neuartige Metaphern (z. B. in literarischen Texten) werden von L AKOFF und J OHNSON als vollkommen neue konzeptuelle Metaphern verstanden (d. h. als innovative Metaphern nach meiner Terminologie): “New metaphors are capable of creating new understandings and, therefore, new realities. This should be obvious in the case of poetic metaphor, where language is the medium through new conceptual metaphors are created.” (L AKOFF / J OHNSON 1980: 235) 6 Diese Bestimmung wird in der weiterführenden Studie von L AKOFF und T URNER (1989) nicht übernommen: Gänzlich neue konzeptuelle Metaphern werden hier zwar erwähnt, spielen aber in der Betrachtung keine Rolle. Neuartige Metaphern werden vor allem als Modifikation und/ oder Kombination schon bestehender konzeptueller Metaphern vorgestellt (also als kreative Metaphern nach meiner Terminologie): “poetic uses are often conscious extensions of the ordinary conventionalized metaphors” (L A- KOFF / T URNER 1989: 53, s. auch 26, 67-72, 216). L AKOFF und T URNER werden deshalb ihrem Anspruch auf Erklärung poetischer Metaphorik nur in sehr begrenztem Maße gerecht (s. B IEBUYCK 1998: 48 f.). In L AKOFF und J OHNSON (1999) schließlich werden neue konzeptuelle Metaphern nicht einmal mehr erwähnt. Neuartige Metaphern werden lediglich als sprachlich neuartige Instanzen von bereits existierenden konzeptuellen Metaphern aufgefasst: “In these cases, we have novel linguistic expressions to be understood, but the mechanism of understanding is mostly just the activation of an already existing stable correspondence between concepts across conceptual domains.” (L AKOFF / J OHNSON 1999: 150; vgl. 149 f.) L AKOFF und J OHNSON (1999: 66 f.; vgl. L AKOFF 1993: 210) nehmen beispielsweise an, die Songzeile “We’re driving in the fast lane on the freeway of love” würde automatisch über die kognitive Aktivierung der konventionellen konzeptuellen Metapher LIEBE IST EINE REISE (“Love Is A Journey”) verstanden (vgl. weiter unten). Nach dieser knappen Darstellung der Theoriekonzeption von L AKOFF und J OHNSON möchte ich einige wesentliche Kritikpunkte im Hinblick auf die Theorie der konzeptuellen Metaphern darstellen. Die bisher umfassendste Kritik hat H ASER (2005) mit der Druckfassung ihrer Dissertation unter dem Titel Metaphor, Metonymy, and Experientialist Philosophy. Challenging Cognitive Semantics vorgelegt. H ASER (2005) arbeitet theorieinterne Widersprüchlichkeiten des Ansatzes von L AKOFF und J OHN- 6 Neuartige konzeptuelle Metaphern werden u. a. am Beispiel LIEBE IST EIN GEMEIN- SAM GESCHAFFENES KUNSTWERK (“LOVE IS A COLLABORATIVE WORK OF ART”) veranschaulicht (L AKOFF / J OHNSON 1980: 139-143). 2.1 Metapherntheorie(n) der holistischen Kognitiven Linguistik 65 SON heraus. Ausführlich erläutert sie auch die Fehldeutungen von philosophischen Positionen, die L AKOFF und J OHNSON unterlaufen (oder die sie bewusst in Kauf nehmen) (vgl. Fußnote 8). Sie versäumt es aber zu zeigen, dass schon die grundlegende Prämisse der Theorie der konzeptuellen Metaphern, nämlich, dass es sich bei lexikalisierten metaphorischen Wortverwendungsweisen um Instanzen metaphorischer Konzeptualisierung handelt, eine unplausible Annahme ist (s. weiter unten). 7 — Kritikpunkte Die Kritik bezieht sich vornehmlich auf folgende Punkte: (1.) die Originalität des Ansatzes; (2.) die Terminologie; (3.) die methodische Vorgehensweise; (4.) die psychologische Plausibilität und (5.) die Behandlung innovativer Metaphern. 8 (1.) L AKOFF und J OHNSON (1980) suggerieren, die Theorie der konzeptuellen Metaphern eigenständig entwickelt zu haben. Sie verzichten fast vollständig auf die Diskussion von relevanter Fachliteratur (das Literaturverzeichnis der gesamten Monografie umfasst lediglich 15 Titel). Theorien der Metapher, die als Vorläufer ihres Ansatzes gelten können und müssen - es gibt im europäischen Bereich einige davon -, werden nicht berücksichtigt. H ÜLZER vermutet, es mangele L AKOFF und J OHNSON „an Belesenheit in der historischen Literatur zu ihrem Arbeitsgebiet, vor allem derjenigen europäischer Herkunft“ (H ÜLZER 1987: 219). B URKHARDT gibt die Einschätzung, es sei „hier einmal mehr zu beobachten, daß in Europa bereits Bekanntes von der amerikanischen Philosophie zum zweiten Mal entdeckt wird“ (B URK- HARDT 1987: 46). Tatsächlich sind die systematischen Beziehungen, die sich zwischen grundlegenden menschlichen Erfahrungen (z. B. der des Sehens) und metaphorischen Begriffsbildungen in der Sprache (z. B. VERSTEHEN ALS SEHEN: der Einblick, die Ansicht; durchschauen, erkennen etc.) nachwei- 7 H ASER s eigener theoretischer Gegenentwurf, der sich auf W ITTGENSTEIN s Konzeption der Familienähnlichkeit beruft, ist rudimentär: Sie deutet ihn nur knapp an, führt ihn aber nicht explizit aus (vgl. H ASER 2005). 8 Auf Kritik aus philosophischer Perspektive kann ich nicht näher eingehen. Ich weise aber darauf hin, dass L AKOFF und J OHNSON ihre Theorie der konzeptuellen Metapher von Beginn an als Gegenentwurf zum philosophischen Objektivismus entwickelt haben (vgl. L AKOFF / J OHNSON 1980: 185-188, 195-222) und dem Objektivismus in ihrem Hauptwerk „Philosophy in the Flesh. The Embodied Mind and Its Challenge to Western Thought“ (L AKOFF / J OHNSON 1999) ihre philosophische Kognitionstheorie entgegen stellen. Laut Einschätzung von L EEZENBERG (2001) und H ASER (2005) ist L AKOFF und J OHNSON s Generalabrechnung mit dem Objektivismus aber unsachlich, da ihre Darstellung der objektivistischen Positionen häufig Fehlurteile und verfälschende Verallgemeinerungen enthält und die Theorien von spezifischen Philosophen, z. B. P UTNAM , falsch resümiert werden (vgl. auch R AKOVA 2002). 2. Kognitive Metapherntheorien 66 sen lassen, keine Entdeckung von L AKOFF und J OHNSON , sondern in früheren Arbeiten oftmals betont worden, so z. B. ausführlich in den Prinzipien der Sprachgeschichte von Hermann P AUL (1880: 94-97). Harald W EINRICH s Arbeiten zu den Bildfeldern der Sprache (1958, 1964, 1967) stellen J ÄKEL zufolge „eine europäische Vorwegnahme der Theorie Lakoffs und Johnsons“ dar (J ÄKEL 2003: 129), da sein Ansatz „der kognitiven Metapherntheorie am nächsten kommt und sie in allen wesentlichen Aussagen vorwegnimmt“ (J ÄKEL 2003: 123, s. 122-128). Wie schwer es allerdings fällt, die tatsächliche Urheberschaft des Ansatzes im europäischen Bereich zu rekonstruieren, zeigt die Tatsache, dass diejenigen, die auf frühe Vorbilder verweisen, eine Vielzahl von (oft unterschiedlichen) Namen und Theorien ins Spiel bringen. L IEBERT (1992: 83-97) z. B. stellt Jost T RIER , Franz D ORN- SEIFF und Harald W EINRICH als ‘Ahnen’ vor, während B ALDAUF (1997: 285- 295) zudem auf Hermann P AUL , Paul W EGENER , Fritz M AUTHNER , Otto J ESPERSEN , Friedrich K AINZ und Karl B ÜHLER verweist. Für den angelsächsischen Raum gilt Max B LACK (1977: 24, 30) als Wegbereiter einer kognitiven Metapherntheorie (s. a. N ERLICH / C LARKE 2002; J ÄKEL 2003: 113-130). (2.) Ein entscheidendes Manko des Ansatzes von L AKOFF und J OHNSON besteht in der Vagheit der Terminologie: Sämtliche grundlegenden Begriffe, z. B. Erfahrung, Bedeutung, Verstehen, Konzept, Konzeptualisierung, Inferenz, kognitive Strukturen usw. werden (in ihren jeweiligen englischen Entsprechungen) nicht definiert, sondern unreflektiert gebraucht, oft auch mit widersprüchlichen Verwendungsweisen in unterschiedlichen Textabschnitten (vgl. H ASER 2005). Selbst B ALDAUF , die ihre „Theorie der Alltagsmetapher“ (so im Untertitel von B ALDAUF 1997) auf den Ansatz von L A- KOFF und J OHNSON stützt, kritisiert dessen „unbestreitbare Vagheit“: „Der für den Ansatz so wichtige Konzeptbegriff sowie der daran gebundene Begriff der Konzeptualisierung werden nicht weiter präzisiert, eher intuitiv verwendet und vom Leser ebenso intuitiv verstanden“ (B ALDAUF 1997: 28). Ein weiteres Problem besteht in der Ausdehnung des Metaphernbegriffs auf die konzeptuelle Ebene, die zu einer unübersichtlichen Terminologie führt, die traditionell etablierten Verwendungsweisen oft zuwiderläuft (s. R OMERO / S ORIA 2005: 3-9). (3.) Die Methodik der Untersuchung von L AKOFF und J OHNSON (1980) ist fragwürdig wegen ihrer Gleichsetzung von sprachlichen und konzeptuellen Strukturen: Hypothesen über konzeptuelle Strukturen werden ausschließlich anhand der Interpretation sprachlicher Daten gebildet. Dies führt zu einem Zirkelschluss in der Argumentation: „Aus Beobachtungen sprachlicher Sachverhalte wird geschlossen auf das Vorhandensein korrespondierender kognitiver Strukturen, mit denen dann die beobachteten sprachlichen Sachverhalte ‘erklärt’ werden“ (K ELLER 1995: 84). Die These, 2.1 Metapherntheorie(n) der holistischen Kognitiven Linguistik 67 dass Konzepte zum Teil metaphorisch strukturiert sind, lässt sich empirisch nicht allein anhand sprachlicher Daten belegen (s. M C G LONE 2001: 94 f.). M C G LONE (2001) macht die Zirkularität am Beispiel THEORIEN SIND GEBÄUDE deutlich: “How do we know that people think of theories in terms of buildings? Because people often talk about theories using building-related expressions. Why do people often talk about theories using building-related expressions? Because people think of theories in terms of buildings. Clearly, the conceptual metaphor view must go beyond circular reasoning of this sort and seek evidence that is independent of the linguistic evidence.” (M C G LONE 2001: 93) Die Interpretation der sprachlichen Daten ist zudem oft willkürlich. Die Abstraktion von konzeptuellen Metaphern aus sprachlichen Belegen ist keiner erkennbaren Systematik verpflichtet, geschieht vielmehr unreflektiert und ist häufig schwer nachzuvollziehen. Ein besonders problematischer Fall sind die Analysen von Präpositionen, vgl. beispielsweise folgende Kritik von H ENN -M EMMESHEIMER (1991): „Überall, wo in vorkommt, sehen die Autoren ‘container objects’: are you in the race on sunday? In washing the window, I splashed water all over the floor (vgl. deutsch: wir waren im Diskutieren, als...), he is in love (vgl.: in Trauer), er fiel in eine Depression (into a depression). Duden - Das große Wörterbuch der deutschen Sprache nennt vier unterscheidbare Verwendungen von in: 1. räumlich, 2. zeitlich, 3. modal, 4. ‘unabhängig von räumlichen, zeitlichen oder modalen Vorstellungen’. Die Beispiele zu 4. lauten: ... tüchtig in seinem Beruf, ... in ihn verliebt, ... in ihm getäuscht, ... handelt in Gebrauchtwagen. Hier überall Verdinglichungen als Behälter zu argwöhnen, bringt für eine Mentalitäten- oder Kulturanalyse nichts und hat eine fatale Nähe zum Mythos von der ‘eigentlichen’ Bedeutung.“ (H ENN -M EMMESHEIMER 1991: 36) In vielen Fällen ließe sich die Abstraktion von konzeptuellen Metaphern auch gänzlich anders realisieren als von L AKOFF und J OHNSON vorgeschlagen. Ich will das in Bezug auf zwei Belege verdeutlichen: • Als sprachliche Belege für die konzeptuelle Metapher ARGUMENT IS WAR (‘ARGUMENTIEREN IST KRIEG’) 9 nennen L AKOFF und J OHNSON (1980: 4) unter anderem „His criticisms were right on target“, „He shot down all my arguments“ und „You disagree? Okay, shoot! “. In allen drei Fällen wird aber sprachlich explizit kein Bezug zum Konzept WAR (‘KRIEG’) hergestellt, sondern lediglich zum Konzept SHOOTING (‘SCHIESSEN’) (im ersten Fall vermittelt über den Lexikoneintrag von be on target). Es stellt sich deshalb die Frage, ob die konzeptuelle Meta- 9 Vgl. meine grundsätzliche Kritik zu dieser speziellen konzeptuellen Metapher in Kap. 1.4.1. 2. Kognitive Metapherntheorien 68 pher für die drei Fälle nicht eher ARGUMENT IS SHOOTING (‘AR- GUMENTIEREN IST SCHIESSEN’) heißen müsste bzw. was die Annahme einer konzeptuellen Metapher ARGUMENT IS WAR (‘ARGU- MENTIEREN IST KRIEG’) hinsichtlich dieser Beispiele rechtfertigen sollte. Auch in den anderen sprachlichen Belegen ist meist kein direkter Bezug zum Konzept KRIEG (‘WAR’) zu erkennen (s. L AKOFF / J OHNSON 1980: 4). L AKOFF und J OHNSON geben keine Regeln für die Festlegung des Abstraktionsgrades für konzeptuelle Metaphern an, sondern postulieren diese Abstraktionen nach Gutdünken. • Die Beispiele „I’m crazy about her“ und „She drives me out of my mind “ werden von L AKOFF und J OHNSON (1980: 49) als Belege für die konzeptuelle Metapher LOVE IS MADNESS (‘LIEBE IST VERRÜCKTHEIT’) angeführt. Die Deutung des ersten Beispiels ist leicht nachvollziehbar, da crazy und mad quasi Synonyme darstellen. Im Hinblick auf das zweite Beispiel stellt sich aber die Frage, warum L AKOFF und J OHNSON hier die metaphorisch motivierte Bedeutung des Phraseologismus be out of one’s mind (als ‘von Sinnen sein’) als Basis für die Abstraktion der konzeptuellen Metapher ansetzen, obwohl sie gemäß ihrer etymologisierenden Sichtweise den Ausdruck „out of my mind“ doch eher als eine Instanz der konzeptuellen Metapher ‘MIND AS CONTAINER OBJECT’ (‘GEIST ALS BEHÄLTER’) werten müssten, analog zu ihrem Beispiel: “He’s out of the race now”, das sie als eine Instanz der konzeptuellen Metapher RACE AS CONTAINER OBJECT (‘RENNEN ALS BE- HÄLTER’) werten (L AKOFF / J OHNSON 1980: 31). Solche Widersprüche - die sich an vielen weiteren Beispielen nachweisen lassen - zeigen, dass L AKOFF und J OHNSON s Zuordnung sprachlicher Belege zu den von ihnen postulierten konzeptuellen Metaphern oft unreflektiert erfolgt (vgl. B ALDAUF 1997: 245-257). In L AKOFF und J OHNSON (1999: 45-59) wird auch die Theorie der primären Metaphern (“Primary Metaphor Theory”) von G RADY (1997, s. auch G RADY 2001) einbezogen. Dieser (in G RADY s von L AKOFF betreuter Dissertation ausgearbeitete) Theorieentwurf stellt den Versuch dar, L AKOFF und J OHN- SON s Theorie der konzeptuellen Metaphern eine Theorie der Erfahrungsbasiertheit metaphorischer Projektionen an die Seite zu stellen, die in der Lage ist, einige nicht geklärte Fragen zu beantworten, z. B.: Warum sind metaphorische Projektionen selektiv, d. h. wieso werden bei der Abbildung (mapping) der Strukturelemente eines Ursprungsbereichs auf einen Zielbereich nur bestimmte Elemente verwendet, während andere unberücksichtigt bleiben (G RADY 1997: 8)? Wie sind konzeptuelle Metaphern genau in der Erfahrung verankert, was genau ist ihre erfahrungsbasierte Grundlage 2.1 Metapherntheorie(n) der holistischen Kognitiven Linguistik 69 (G RADY 1997: 12)? In welchen Beziehungen stehen konzeptuelle Metaphern zueinander und wie interagieren sie miteinander (G RADY 1997: 14)? In methodischer Hinsicht stellt G RADY s Arbeit keine Verbesserung gegenüber der L AKOFF schen Herangehensweise dar (s. G RADY 1997: 31-35). Auch G RADY berücksichtigt die grundsätzlichen Unterschiede zwischen sprachlicher und konzeptueller Ebene nicht und schließt von lexikalisiertem metaphorischem Wortgebrauch auf zugrunde liegende konzeptuelle Metaphern, die Teil des menschlichen Konzeptsystems sein sollen. Die zirkuläre Argumentation von L AKOFF und J OHNSON (1980) wird auch durch G RADY (1997) fortgesetzt. Ein Problem der von L AKOFF und J OHNSON postulierten konzeptuellen Metaphern - dass sie nämlich eine zu spezifische metaphorische Projektion suggerieren, die nicht unbedingt in der menschlichen Erfahrung verankert sein muss -, wird nun insofern beseitigt, als dass die spezifischen konzeptuellen Metaphern durch einen Komplex primärer metaphorischer Projektionen ersetzt werden. Primär soll dabei bedeuten, dass diese Projektionen fest in der menschlichen Erfahrung verankert sind. Jede einzelne der postulierten primären metaphorischen Projektionen ist dabei wesentlich unspezifischer als die zuvor postulierte konzeptuelle Metapher. Die Grundlage der konzeptuellen Metapher “A Purposeful Life Is A Journey” - sie wird als nicht in der Erfahrung verankert charakterisiert (L AKOFF / J OHNSON 1999: 63) -, sollen z. B. die primären Metaphern “Purposes Are Destinations” und “Actions Are Motions” bilden (L AKOFF / J OHNSON 1999: 61), die als direkt erfahrungsbasiert beschrieben werden (L AKOFF / J OHNSON 1999: 63). Wie ich gezeigt habe, beruhen die konzeptuellen Metaphern von L AKOFF und J OHNSON oft auf unnötigen und zum Teil irreführenden Übergeneralisierungen. In G RADY s Ansatz werden die Generalisierungen noch pauschaler (für eine Beispielübersicht s. L A- KOFF / J OHNSON 1999: 50-54). G RADY s Theorie stellt gegenüber der Theorie von L AKOFF und J OHNSON auch aus diesem Grund keinen echten Fortschritt dar. Ich bin in meiner Darstellung der Theoriekonzeption von L AKOFF und J OHNSON nicht auf G RADY s Ansatz eingegangen, da L AKOFF und J OHNSON ihn lediglich zu dem Zweck nutzen, die Erfahrungsbasiertheit von konzeptuellen Metaphern nachzuweisen. Bei der Erläuterung des Verstehensprozesses von konkreten Beispielen metaphorischer Äußerungen greifen sie aber (wie in L AKOFF / J OHNSON 1980) vor allem auf die konzeptuellen Metaphern selbst zurück (vgl. L AKOFF / J OHNSON 1999: 63-67). (4.) Aus psychologischer Sicht wird die Theoriekonzeption von L AKOFF und J OHNSON schon wegen ihrer großen Vagheit kritisiert: “While Lakoff stresses the role of metaphor in conceptual representation, neither he nor his colleagues have offered a detailed model of how metaphoric representations are constructed or used” (M C G LONE 2001: 93). Die Bestimmung von 2. Kognitive Metapherntheorien 70 konzeptuellen Metaphern als “understanding and experiencing one kind of thing in terms of another” (L AKOFF / J OHNSON 1980: 5) sowie die Rede vom “Highlighting and Hiding” (L AKOFF / J OHNSON 1980: 10) der metaphorischen Projektion, die als “mapping of part of the structure of our knowledge of source domain B onto target domain A ” (L AKOFF / T URNER 1989: 59) erläutert wird, sind nicht zu einer psychologisch fundierten und damit plausiblen Theorie ausgearbeitet worden, sondern verbleiben im Bereich von Andeutungen. M C G LONE fällt aus Sicht der psychologischen Forschung das Urteil: “Despite its valuable programmatic influence, the conceptual metaphor view has not fared well theoretically or empirically” (M C G LONE 2001: 105). Die psychologische Kritik richtet sich sowohl gegen die repräsentationalen als auch gegen die prozeduralen Aspekte der Theorie (die L AKOFF und J OHNSON , wie schon erwähnt, nicht klar voneinander trennen, vgl. M C G LONE 2001: 91). Aus (a) repräsentationaler Perspektive wird die metaphorische Strukturiertheit abstrakter Konzepte bestritten, aus (b) prozeduraler Sicht wird bezweifelt, dass metaphorische Äußerungen über die Aktivierung von konzeptuellen Metaphern verstanden werden: (a) Dass abstrakte Konzepte in Teilbereichen über den Konzeptinhalt von konkreten Konzepten strukturiert sind, wird als nicht beweisbare Behauptung eingeschätzt: “the linguistic evidence can support only the limited claim that certain abstract and concrete concepts are thematically parallel” (M C G LONE 2001: 105; siehe M URPHY 1996, 1997; vgl. aber G IBBS 1996). Ich möchte ergänzen, dass L AKOFF und J OHNSON s (1980, 1999) These, dass abstrakte Konzepte Strukturanteile konkreter Konzepte enthalten, auch auf dem Umstand beruht, dass sie nicht zwischen Types, also Klassenkonzepten, und Tokens, also Individuenkonzepten, unterscheiden. In Bezug auf diese Unterscheidung ergibt sich das folgende Bild: Würden die von L A- KOFF und J OHNSON angeführten sprachlichen Belege als konkrete Äußerungen realisiert, so würden mit ihnen Token-Referenzen vollzogen. In Bezug auf das Konzept LIEBE (s. weiter oben; vgl. L AKOFF / J OHNSON 1980: 49) heißt das etwa: Nicht das abstrakte Klassenkonzept LIEBE wird charakterisiert, sondern Tokens, also Individuenkonzepte, die unter den Type LIEBE fallen, z. B. die Liebesbeziehung eines bestimmten Paares, auf die der Sprecher referiert (z. B. in „Sie führen eine starke und gesunde Ehe“, L AKOFF / J OHNSON 1998: 62). Ich gehe davon aus, dass abstrakte Klassenkonzepte im Langzeitgedächtnis unabhängig von der Struktur konkreter Konzepte mental repräsentiert sind, dass ihre Repräsentation also in dem besteht, was L AKOFF und J OHNSON (1999: 128) als ihr Skelett bezeichnet hatten. Die mentale Repräsentation von Individuenkonzepten kann dagegen über spezifische Relationen zu konkreten Konzepten angereichert werden. Zu der von L AKOFF und J OHNSON beobachteten Inkonsistenz des 2.1 Metapherntheorie(n) der holistischen Kognitiven Linguistik 71 Inhalts vieler abstrakter Konzepte ist zu sagen, dass sie vor allem daraus resultiert, dass die Autoren verschiedenste Konzepte unter ein Konzept subsumieren: So fallen unterscheidbare Konzepte wie PAARBEZIEHUNG, EHE, VERLIEBTSEIN, SEXUELLE ANZIEHUNG etc. in ihrer Darstellung pauschal unter das Konzept LIEBE (vgl. L AKOFF / J OHNSON 1980: 49). (b) Die These, dass auch lexikalisierte Metaphern stets über die Aktivierung von zugrunde liegenden konzeptuellen Metaphern verstanden wird, wird als psychologisch unplausibel gewertet (s. K EYSAR et al. 2000, vgl. M C G LONE 2001: 103 f.). Für das Verstehen lexikalisierter Metaphern ist die Aktivierung einer konzeptuellen Metapher nicht nötig, da lexikalisierte Metaphern gemäß ihrer (metaphorisch motivierten, aber längst konventionalisierten) Wortbedeutung verstanden werden können. Zu diesem Ergebnis kommen K EYSAR et al. (2000) auch aus experimenteller Perspektive: Sie haben in zwei Lesezeitexperimenten und einem Priming-Experiment nachgewiesen, dass der Bezug auf konzeptuelle Metaphern beim Verstehen von lexikalisierten metaphorischen Lexemen keine Rolle spielt. Schon die grundsätzliche Annahme des Ansatzes von L AKOFF und J OHNSON , dass lexikalisierte Metaphern als Instanzen metaphorischer Konzeptualisierung zu bewerten sind, lässt sich demnach nicht aufrecht halten. Im abzugrenzenden Fall des nicht-lexikalisierten Sprachgebrauchs ist stets die durch die metaphorische Äußerung ausgedrückte spezifische Konzeptkombination entscheidend und nicht der Bezug zu einer Konzeptkombination auf einer höheren Abstraktionsstufe, wie sie die konzeptuellen Metaphern von L AKOFF und J OHNSON darstellen. Um das weiter oben schon erwähnte Beispiel “We’re driving in the fast lane on the freeway of love” zu verstehen, bedarf es nicht der Aktivierung der - als kognitiv real postulierten - konzeptuellen Metapher LIEBE IST EINE REISE (“Love Is A Journey”), wie L AKOFF und J OHNSON (1999: 66 f.; vgl. L AKOFF 1993: 210, 2008: 29) behaupten. Diese Kombination auf hoher Abstraktionsstufe enthält keine der verstehensrelevanten Informationen. Diese sind vielmehr durch die Konzepte ÜBERHOLSPUR (‘FAST LANE’) und AUTOBAHN (‘FREE- WAY’) und deren spezifische Relation zum Konzept LIEBE (‘LOVE’) gegeben, aus denen die relevanten Merkmale SCHNELL, GEFÄHRLICH, AUF- REGEND etc. abgeleitet werden können. Genau dieser Befund wird auch durch experimentelle Studien bestätigt: M C G LONE (1994, 1996; vgl. M C G LONE 2001: 99 f., 105 f.) führte Experimente durch, in denen Probanden aufgefordert wurden, die Bedeutung von metaphorischen Äußerungen wie Dr. Moreland’s lecture was a three-course meal for the mind oder Our marriage was a roller-coaster ride zu paraphrasieren. Dabei stellten die Probanden keinen Bezug zu den konzeptuellen Metaphern IDEEN SIND NAH- RUNGSMITTEL (‘IDEAS ARE FOOD’) (für das erste Beispiel) bzw. LIEBE 2. Kognitive Metapherntheorien 72 IST EINE REISE (‘LOVE IS A JOURNEY’) (für das zweite Beispiel) her, sondern leiteten die metaphorische Bedeutung direkt aus den bezeichneten Konzepten ab, mit dem Ergebnis des Bedeutungsmerkmals HOCHWER- TIG für DREI-GÄNGE-MENÜ (‘THREE-COURSE MEAL’) und WECH- SELHAFT für ACHTERBAHNFAHRT (‘ROLLER-COASTER RIDE’). M C G LONE (2001: 99, 105) interpretiert diese und weitere experimentelle Ergebnisse dahingehend, dass beim Verstehen metaphorischer Äußerungen die von L AKOFF und J OHNSON abstrahierten konzeptuellen Metaphern nicht als Grundlage dienen können. (5.) Im Bezug auf tatsächlich neuartige konzeptuelle Metaphern, zeigt sich eine Verschlechterung der Theorie: In L AKOFF und J OHNSON (1980) an Beispielen diskutiert, in L AKOFF und T URNER (1989) nur noch erwähnt, spielen sie in L AKOFF und J OHNSON (1999) überhaupt keine Rolle mehr (vgl. auch L AKOFF 2008). Indem neuartige Metaphern nur noch als sprachlich neue Instanzen von bereits bestehenden konzeptuellen Metaphern vorgestellt werden (z. B. Die Deadline marschiert auf mich zu als Instanz von ZEIT IST BEWEGUNG, vgl. L AKOFF / J OHNSON 1999: 149), bietet der Ansatz keinen Platz mehr für die innovatorischen Möglichkeiten der durch metaphorische Äußerungen ausgedrückten spezifischen Konzeptualisierungen. L A- KOFF und J OHNSON s richtige Ausgangsbeobachtung, dass metaphorischer Sprachgebrauch alltäglich und normal ist und ein Ausdruck von Konzeptualisierungsprozessen (L AKOFF / J OHNSON 1980: 3) wird in die stark einschränkende These verkehrt, metaphorischer Sprachgebrauch verweise immer nur auf konventionelle Konzeptualisierungen (L AKOFF / T URNER 1989: 26, 214; L AKOFF / J OHNSON 1999: 67, 150). Eine Theorie der Metapher, die den Bereich der innovativen Metaphorik - der traditionell als ihr Kernbereich angesehen wird - ausschließt, kann dem Phänomen der durch metaphorische Äußerungen zum Ausdruck gebrachten speziellen Konzeptualisierungen in seiner Komplexität nicht gerecht werden: Die Beschränkung des Gegenstandsbereichs führt zu einer beschränkten Theorie. Aber selbst wenn innovative Metaphern weiter berücksichtigt würden, könnte die Theorie sie nicht adäquat erfassen. Dies ergibt sich aus der Starrheit der angenommenen konzeptuellen Projektion, wie sie in der weiter oben bereits zitierten Definition “A metaphor with the name A IS B is a mapping of part of the structure of our knowledge of source domain B onto target domain A ” (L AKOFF / T URNER 1989: 59) schon klar zum Ausdruck kommt und noch deutlicher in folgender Bestimmung L AKOFF s formuliert wird: “the metaphor can be understood as a mapping (in the mathematical sense) from a source domain […] to a target domain […]. The mapping is tightly structured” (L AKOFF 1993: 206 f.). 2.1 Metapherntheorie(n) der holistischen Kognitiven Linguistik 73 In Fällen des Verstehens von innovativen Metaphern der Form X ist ein Y ist aber erstens gar nicht von vornherein klar, welche Strukturanteile von Konzept 2 (bezeichnet durch Y) auf Konzept 1 (bezeichnet durch X) projiziert werden sollten, und zweitens würde sich aus der bloßen Projektion von konzeptueller Struktur von Konzept 2 auf Konzept 1 nicht automatisch die Bedeutung der metaphorischen Äußerung X ist ein Y ergeben. Beim Verstehen von innovativen Metaphern muss eine plausible Relation von Konzept 1 und Konzept 2 aktiv konstruiert werden. Resultat der Relationsetablierung können emergente konzeptuelle Merkmale sein, die weder Teil von Konzept 1 noch von Konzept 2 sind und sich auch nicht aus deren bloßer Kombination ergeben. Die Theorie der konzeptuellen Metaphern von L A- KOFF und J OHNSON kann die Flexibilität einer solchen Relationsetablierung nicht erfassen. Auch werden von L AKOFF und J OHNSON der kommunikative Kontext und der sprachliche Kotext als die Hauptfaktoren, die einen Einfluss auf den Verstehensprozess ausüben können, nicht in Betracht gezogen: Sie diskutieren ausschließlich kontextlose Einzelsätze (s. C ROFT / C RUSE 2004: 209 f., vgl. auch S TERN 2000, 2008). — Zusammenfassende Bewertung Aus all den genannten Kritikpunkten folgt klar, dass die Theorie der konzeptuellen Metaphern keine fundierte kognitive Metapherntheorie darstellt. Vor allem die Gleichsetzung von sprachlichen und konzeptuellen Strukturen, das Nivellieren der Unterscheidung zwischen lexikalisierten und nicht-lexikalisierten Metaphern, das methodisch nicht abgesicherte Abstrahieren von konzeptuellen Metaphern und ihr zweifelhafter kognitiver Status, die Starrheit der angenommenen konzeptuellen Projektionen sowie die allgemeine Vernachlässigung von innovativen Metaphern und von deren Einbettung in konkrete Kommunikationsereignisse machen deutlich, dass L AKOFF und J OHNSON s Theorie weder für das Metaphernverstehen im Allgemeinen noch für das Etablieren emergenter Merkmale einen adäquaten Erklärungsansatz zur Verfügung stellt. Speziell für die Modellierung des Verstehens innovativer Metaphern ist im Rahmen der holistischen kognitiven Linguistik auch noch die Blending- Theorie der Metapher vorgeschlagen worden, die ich im nächsten Abschnitt knapp diskutiere. 2.1.2 Blending-Theorie Die Anwendung der bereits in Kap. 1.3.1 vorgestellten Blending-Theorie (“Blending Theory”) von F AUCONNIER und T URNER (1996, 2002) auf das 2. Kognitive Metapherntheorien 74 Phänomen der Metapher (s. G RADY / O AKLEY / C OULSON 2001; vgl. O AKLEY 1998, C OULSON / O AKLEY 2005), widmet sich dem Phänomen des Verstehens innovativer Metaphern, das im Rahmen der Theorie der konzeptuellen Metaphern von L AKOFF und J OHNSON vernachlässigt wird. Im Gegensatz zu L AKOFF und J OHNSON (1999) wird in der Blending-Theorie der Metapher nicht die Auffassung vertreten, dass sich alle neuartigen Metaphern als sprachliche Instanzen von konventionell etablierten konzeptuellen Metaphern erklären lassen. Wie in der Blending-Theorie üblich, wird auch für das Metaphernverstehen ein Modell von vier konzeptuellen Bereichen (‘four space model’) angesetzt, wobei diese konzeptuellen Bereiche wie folgt definiert werden können: “[The] spaces are partial and temporary representational structures constructed at the point of utterance” (C ROFT / C RUSE 2004: 207; vgl. G RADY / O AKLEY / C OULSON 2001: 103). Die konzeptuellen Bereiche sind also im Gegensatz zu L AKOFF und J OHNSON s Ursprungsbereich (‘source domain’) und Zielbereich (‘target domain’) aus prozeduraler Perspektive bestimmt, sie beziehen ihre Informationen aber vor allem aus den festen Wissensbeständen des Langzeitgedächtnisses: “Dynamically, input spaces and blends under construction recruit structure from more stable, elaborate, and conventional structures” (F AUCONNIER / T URNER 1996: 115; vgl. C ROFT / C RUSE 2004: 207). Die beiden ersten Bereiche sind die Input- Bereiche (‘input spaces’): Der eine repräsentiert Wissen über den Ursprungsbereich, der andere Wissen über den Zielbereich. Der dritte, generische Bereich (‘generic space’) enthält das den Input-Bereichen gemeinsame Wissen. Im vierten Bereich, dem Blending-Bereich (‘blended space’), werden Informationen der Input-Bereiche repräsentiert, die durch Kombination und darüber hinausgehende Interaktion neue Information erzeugen: “besides inheriting partial structure from each input space, the blend develops ‘emergent’ content of its own, which results from the juxtaposition of elements from the inputs” (G RADY / O AKLEY / C OULSON 2001: 104). In Bezug auf diese Konzeption muss gesagt werden, dass die Blending- Theorie große Parallelen zur Interaktionstheorie (‘Interaction Theory’) der Metapher aufweist, die B LACK (1954, 1977) in Anlehnung an Ideen von R ICHARDS (1936) ausgearbeitet hat (s. J ÄKEL 2003: 93-100). Die Interaktionstheorie wird aber nicht als Quelle angegeben (G RADY / O AKLEY / C OULSON 2001: 122). Schon B LACK geht davon aus, dass die Bedeutung neuartiger Metaphern sich nicht aus objektiven Ähnlichkeiten der kombinierten Bereiche ergibt: “It would be more illuminating […] to say that the metaphor creates the similarity than to say that it formulates some similarity antecedently existing” (B LACK 1954: 543). Die Interaktion von Wissen über die kombinierten konzeptuellen Bereiche erzeugt die neuartige Bedeutung der 2.1 Metapherntheorie(n) der holistischen Kognitiven Linguistik 75 Metapher. 10 B LACK diskutiert diese These anhand der Aussage Man is a wolf (‘Der Mensch ist ein Wolf’), deren Verstehen seiner Ansicht nach sowohl die Vorstellung vom Menschen als auch die vom Wolf verändert (s. B LACK 1954: 544 f.). Ein vergleichbares (auch oft zitiertes) Metaphernbeispiel wird von G RADY , O AKLEY und C OULSON (2001: 103) diskutiert: (29) My surgeon is a butcher. (‘Mein Chirurg ist ein Fleischer.’) Der generische Bereich für (29) enthält die Information: “a person uses a sharp instrument to perform a procedure on some other being” (G RA- DY / O AKLEY / C OULSON 2001: 104). Durch die Interaktion von Informationen der Konzepte FLEISCHER und CHIRURG soll im Blending-Bereich das Bedeutungsmerkmal INKOMPETENT entstehen, das dem Chirurgen zugesprochen wird, obwohl weder Fleischer noch Chirurgen gemeinhin als inkompetent betrachtet werden. 11 Mit der Konzeption des Blending- Bereichs kann aber nicht genau erklärt werden, wie dieses Merkmal zustande kommt: “It is no clear how the process envisaged in BT [= blending theory, HS] gives rise to a blend in the sense of ‘seeing one thing as another.’ A simple combination of conventional features from one domain with conventional features from another gives no account of the experience of a novel metaphor.” (C ROFT / C RUSE 2004: 209) Die Problematik des Ansatzes besteht darin, dass auch er die Metaphern nicht im Kontext der Äußerungssituation oder im Textzusammenhang betrachtet, ihre Bedeutung jedoch wie bei B LACK „implizit vor dem Hintergrund eines imaginierten, typischen Kontextes bestimmt“ (R ADTKE 2001: 43). G RADY , O AKLEY und C OULSON (2001: 104) stellen sich die Konstruktion der Bedeutung so vor, dass die Rezipienten eine bildhafte mentale Simulation erzeugen, in der sie sich einen Chirurgen in einem Operationssaal vorstellen, der mit den Werkzeugen und Methoden eines Fleischers auf einen Patienten ‘einwirkt’. Die Diskrepanz zwischen dem Ziel der Operation und den gewählten Methoden soll zur Elaboration des Merkmals IN- KOMPETENT führen. Die Motivation für diese Simulation setzt aber schon 10 In der Psycholinguistik wurde B LACK s Theorie als Grundlage für experimentelle Studien genutzt, deren Ergebnisse die These des konstruktiven Charakters des Metaphernverstehens stützen (siehe Kap. 1.3.2). 11 Die Auswahl des Beispiels ist nicht optimal, da zumindest das zugehörige Verb butcher die von G RADY , O AKLEY und C OULSON als emergent charakterisierte Merkmalszuschreibung INKOMPETENT durch seine lexikalisierte Bedeutungsvariante “to spoil sth by doing it very badly” (Oxford Advanced Learner’s Dictionary, 7 th ed. 2005) nahe legt. Auch in der pragmatischen Relevanz-Theorie wird dieses Beispiel ausführlich diskutiert (vgl. Kap. 3.2). 2. Kognitive Metapherntheorien 76 das Merkmal INKOMPETENT voraus. Es handelt sich also um eine Modellierung, die das Verstehensergebnis, das sie erklären soll, schon als Ausgangspunkt beinhaltet. Außerdem könnte selbst diese Simulation zu einem anderen Merkmal führen, z. B. BRUTAL. Dem Chirurgen würde dann unterstellt, Schaden für den Patienten bewusst herbeiführen zu wollen. Andere Bedeutungsexplikationen können sich auch aus anderen Ko(n)texten ergeben: (30) Mein Chirurg ist ein Fleischer. Er hat keine Probleme mit Unmengen von Blut. In (30) wird dem Chirurgen etwa das Merkmal UNERSCHROCKEN zugesprochen. Diese Lesart wird über den Kotext des zweiten Satzes nahe gelegt (s. zum Kotexteinfluss ausführlich Kap. 5.2.2). Die Zuschreibung des Merkmals INKOMPETENT für den Chirurgen ist in Bezug auf diesen Text höchst unwahrscheinlich. — Zusammenfassende Bewertung Insgesamt ergibt sich, dass die Blending-Theorie der Metapher, wie sie von G RADY , O AKLEY und C OULSON (2001) vorgeschlagen wurde, das Zustandekommen emergenter Bedeutungsmerkmale nicht adäquat erfasst, weil sie lediglich auf die beiden durch die metaphorische Äußerung kombinierten Konzepte (hier: CHIRURG und FLEISCHER) fixiert ist, den Einfluss von kommunikativem Kontext und sprachlichem Kotext nicht in Betracht zieht und die im Verstehensprozess erzeugte Konzeptkombination fantasievoll imaginiert, aber nicht erklärt. Allgemein ist auch in Bezug auf die Blending-Theorie die schon für die Theorie der konzeptuellen Metaphern von L AKOFF und J OHNSON (1980, 1999) aufgezeigte Tendenz zu beobachten, dass innovativen Metaphern immer weniger Bedeutung beigemessen wird (vgl. C OULSON / O AKLEY 2005). Wie ich schon in Kapitel 1.3.1 gezeigt hatte, wird auch der Emergenz-Begriff, der in der Blending-Theorie ohnehin nicht scharf genug gefasst war, in den neuesten Publikationen von F AUCONNIER und T URNER (s. F AUCONNIER 2005, F AUCONNIER / T URNER 2008) immer weiter ausgedehnt. In der Modellierung des Verstehens innovativer Metaphern von G RADY , O AKLEY und C OULSON (2001) bezieht sich der Emergenz-Begriff auf emergente Merkmale im Blending-Bereich. Bei F AUCONNIER und T URNER bezieht er sich auf (nicht weiter präzisierte) Struktureigenschaften der Kombination aller beteiligten konzeptuellen Bereiche: “metaphors […] involve more than mappings or bindings between two spaces. They involve many spaces, and they involve emergent structure in the network” (F AUCON- NIER / T URNER 2008: 54 f.). Bei F AUCONNIER (2005) bezieht er sich entweder 2.2 Spezifische Konzeptualisierung beim Metaphernverstehen 77 auf das gesamte konzeptuelle Netzwerk oder auf die Struktur des Blending-Bereichs (siehe die Diskussion in Kap. 1.3.1). 12 Aus den genannten Gründen folgt, dass sich die Blending-Theorie nicht eignet, Emergenz beim Metaphernverstehen zu erklären: In der Theoriefassung von G RADY , O AKLEY und C OULSON (2001) werden wichtige Einflussfaktoren für die Elaboration emergenter Merkmale im Verstehensprozess nicht erfasst. In der Blending-Theorie allgemein werden neuartige Metaphern immer weniger berücksichtigt. Außerdem wird der Emergenz- Begriff immer diffuser verwendet. 2.2 Spezifische Konzeptualisierung beim Metaphernverstehen Unter Konzeptualisierung verstehe ich mit S CHWARZ (2008: 67) allgemein die „mentale Repräsentationsbildung und -konfiguration eines Referenten oder Referenzbereichs, sozusagen als die geistige Vorstellung, die wir von etwas haben“. Die spezifische Konzeptualisierung, die beim Metaphernverstehen elaboriert wird, besteht in einer innovativen Relationsetablierung zwischen zwei Konzepten (als Referenzgegenständen), wobei die mentale Repräsentation des einen Konzeptes mit Hilfe von zusätzlicher konzeptueller Information (durch konzeptuelle Merkmale) angereichert wird. Metaphorische Äußerungen der Form X ist ein Y drücken sprachlich explizit eine ungewöhnliche IST-Relation zwischen Konzept 1 (bezeichnet durch X) und Konzept 2 (bezeichnet durch Y) aus. Die Ungewöhnlichkeit besteht darin, dass Konzept 1 und Konzept 2 in den meisten Fällen im Verhältnis der Inkompatibilität zueinander stehen, weil sie unvereinbaren Kategorien angehören. Die auf der sprachlichen Ebene ausgedrückte Konzeptkombination ist nicht schon der Ausdruck der vom Produzenten intendierten speziellen Konzeptualisierung selbst, sondern stellt eine Verarbeitungsaufforderung an die Rezipienten dar: Die innovative Konzeptkombination soll so verstanden werden, dass durch sie eine relevante Konzeptualisierung zustande kommt. Die Konzeptualisierung besteht darin, dass Konzept 1 mit Hilfe von Konzept 2 konzeptuelle Merkmale zugespro- 12 Dass der Emergenz-Begriff eher unreflektiert gebraucht wird, zeigt sich auch bei C OULSON (2001): Einerseits schreibt sie: “blending theory is motivated by the need to explain emergent properties” (C OULSON 2001: 161). Anderseits spricht sie in Bezug auf ein Metaphernbeispiel von “emergent structure of the blend” (C OULSON 2001: 171). In ihrer Diskussion des Verstehens von metaphorischen Äußerungen spielt der Emergenz-Begriff aber ansonsten keine Rolle (C OULSON 2001: 161). 2. Kognitive Metapherntheorien 78 chen werden, die Teil der spezifischen Relation sind, die zwischen Konzept 1 und Konzept 2 etabliert wird (s. Kap. 4.2.3 und 5.1.1). — Merkmalsmengen der metaphorischen Bedeutung Um die theoretisch gegebenen Möglichkeiten für die Verankerung von Bedeutungsmerkmalen beim Metaphernverstehen aufzuzeigen, möchte ich zunächst die von J ANETZKO (1994: 83) aus psycholinguistischer Sicht vorgeschlagene Klassifikation diskutieren (ein präzises Modell in Bezug auf das Textverstehen entwerfe ich in Kap. 5.2.1). J ANETZKO geht von den Merkmalsmengen der Konzepte aus, die beim Verstehen einer metaphorischen Äußerung der Art X ist ein Y in eine spezifische Relation gesetzt werden, also die Merkmalsmengen von Konzept 1 (bezeichnet durch X) und Konzept 2 (bezeichnet durch Y). Die Relation der Konzepte wird gedeutet als KONZEPT 1 IST WIE KONZEPT 2 BEZÜGLICH DER MERKMALE Z und die Klassifikation beantwortet die Frage, ob die MERKMALE Z Teil von Konzept 1 und/ oder Konzept 2 oder von keinem der beiden Konzepte sind. J ANETZKO (1994: 83) unterscheidet dementsprechend vier verschiedene Möglichkeiten, wie die Merkmale der metaphorischen Bedeutung verankert sein können. J ANETZKO benutzt, wie in der Psycholinguistik üblich (s. Kap. 1.3.2), die Terminologie der Interaktionstheorie: Tenor bezeichnet Konzept 1 und Vehikel Konzept 2 , ich habe meine Terminologie zur besseren Übersichtlichkeit ergänzt: • Innovation: „Die Bestimmung der Bedeutung der Metapher erfolgt anhand von Merkmalen, die weder dem Tenor [= Konzept 1 ] noch dem Vehikel [= Konzept 2 ] (isoliert bewertet) eigen sind.“ • Transfer: „Die Bestimmung der Bedeutung der Metapher erfolgt anhand von Merkmalen, die dem Vehikel [= Konzept 2 ] (isoliert bewertet) eigen sind.“ • Konstanz: „Die Bestimmung der Bedeutung der Metapher erfolgt anhand von Merkmalen, die dem Tenor [= Konzept 1 ] (isoliert bewertet) eigen sind.“ • Konvergenz: „Die Bestimmung der Bedeutung der Metapher erfolgt anhand von Merkmalen, die sowohl dem Tenor [= Konzept 1 ] als auch dem Vehikel [= Konzept 2 ] (isoliert bewertet) eigen sind.“ (J ANETZKO 1994: 83) Das von J ANETZKO als „Innovation“ bezeichnete Verhältnis ist die Voraussetzung für Bedeutungsmerkmale, die ich als emergent bezeichne. In (31) ist ein solcher Fall gegeben, wenn Bulldozer z. B. als RÜCKSICHTSLOS verstanden wird, da dieses Merkmal weder ein obligatorischer Bestandteil des Konzeptes MANN (= Konzept 1 ) noch ein (ontologisch möglicher) Bestandteil des Konzeptes BULLDOZER (= Konzept 2 ) ist (vgl. die Diskussion des Beispiels in Kap. 3.2 und 4.2.3). (31) Der Mann ist ein Bulldozer. 2.2 Spezifische Konzeptualisierung beim Metaphernverstehen 79 Einen Fall von „Transfer“ bietet (32), wenn Walross z. B. als GROSS, SCHWER verstanden wird, da diese beiden Merkmale zum Konzept WALROSS (= Konzept 2 ) gehören. (32) Der Mann ist ein Walross. Ein Beispiel für „Konstanz“ stellt (33) dar, wenn ein Bulldozer genau als das verstanden wird, was durch das Mann zugeordnete Attribut schon explizit ausgedrückt wurde: BRUTAL. Dieses Merkmal ist ein selbstverständlicher Bestandteil des Konzeptes BRUTALER MANN (= Konzept 1 ). (33) Der brutale Mann ist ein Bulldozer. Ein ähnliches Beispiel von Konstanz gibt (34), wenn ein Bulldozer wiederum als BRUTAL verstanden wird, da dieses Merkmal ein notwendiger Bestandteil des Konzeptes SCHLÄGER (= Konzept 1 ) (im Sinne von gewalttätiger, roher Mensch) ist: (34) Der Schläger ist ein Bulldozer. Einen Fall von „Konvergenz“ schließlich zeigt (35), wenn eine Giraffe als LANGHALSIG verstanden wird und damit ein Bedeutungsmerkmal zur Verfügung stellt, dass in der NP Die langhalsige Frau explizit in Form des Attributs genannt wird. (35) Die langhalsige Frau ist eine Giraffe. Die Klassifikation von J ANETZKO (1994: 83) halte ich aus drei Gründen für nicht zufriedenstellend: Erstens sind die Typen Konstanz und der Konvergenz zwar theoretisch möglich, sie erscheinen aber im Hinblick auf den tatsächlichen Sprachgebrauch als konstruiert und unwahrscheinlich. Das zeigen auch die von mir vorgeschlagenen Beispiele (33) bis (35), die sehr artifiziell wirken (J A- NETZKO selbst nennt keine Beispiele). Wenn die Bedeutung der metaphorischen Äußerung nur in Merkmalen besteht, die salienter Bestandteil von Konzept 1 sind, so ist die metaphorische Äußerung uninformativ und redundant. Das Konzept 2 ist dann höchstens in seiner bildhaften mentalen Repräsentation relevant. Ich gehe deshalb aus Rezeptionsperspektive davon aus, dass die Merkmale, mit denen - als Ergebnis des Verstehensprozesses - Konzept 1 durch Konzept 2 charakterisiert werden soll, im Normalfall nicht bereits Bestandteil der mentalen Repräsentation von Konzept 1 sind (s. Kap. 5.2.1). Zweitens ist der Fall des Transfers in Bezug auf das Erkenntnisinteresse der Trennung von semantischem und konzeptuellem Wissen nicht präzise genug erfasst, da J ANETZKO (wie in der Psychologie und Psycholinguistik üblich) nicht zwischen Lexikoneintrag und Konzeptinhalt unterscheidet. 2. Kognitive Metapherntheorien 80 Im Hinblick auf den Typ Transfer, bei dem Konzept 1 durch Merkmale von Konzept 2 charakterisiert wird, macht es aber einen nicht unbeträchtlichen Unterschied, ob diese Merkmale noch zur lexikalischen Bedeutung des Ausdrucks gehören, mit dem Konzept 2 bezeichnet wird und damit Teil des semantischen Wissens sind oder ob sie Teil des an den Lexikoneintrag gekoppelten Konzeptinhalts sind und damit schon zum pragmatischkonzeptuellen Wissen gehören (s. bereits Kap. 1.4). Drittens ist der Fall der Innovation nur negativ definiert, weil lediglich gesagt wird, dass die Merkmale, die die Bedeutung der metaphorischen Äußerung repräsentieren, weder obligatorischer Bestandteil von Konzept 1 noch von Konzept 2 sind. Die nahe liegende Frage ist, wie diese Merkmale zustande kommen. Dies lässt sich aber nur aus einer rezeptionsorientierten Perspektive durch die Berücksichtigung von kotextuellen und/ oder kontextuellen Einflüssen klären (s. mein Modell in Kap. 5.2.2). — Konzeptualisierungsstruktur beim Metaphernverstehen In der Psycholinguistik sind mehrere Theorien vorgeschlagen worden, welche die beim Verstehen von Metaphern erzeugte Konzeptualisierungsstruktur erläutern sollen. Meines Erachtens wird aber kein Ansatz der Flexibilität und Kontextabhängigkeit des Metaphernverstehens gerecht. Traditionell orientierte Theorien gehen davon aus, dass aus dem Inhalt von Konzept 2 bestimmte konzeptuelle Merkmale ausgewählt werden, die Konzept 1 zugesprochen werden können. 13 Ungeklärt ist dabei die Frage, wie diese Merkmale ausgewählt werden. Merkmale, über die Konzept 1 und Konzept 2 gemeinsam verfügen, sind zwar leicht zugänglich, dafür aber uninformativ (s. weiter oben). Relevante Merkmale, die kontextfrei betrachtet nur Konzept 2 zukommen, müssen im Verstehensprozess erst identifiziert werden. Des Weiteren berücksichtigen solche Ansätze nicht die Möglichkeit, dass die Merkmale, die von Konzept 2 auf Konzept 1 übertragen werden, gar kein genuiner Bestandteil von Konzept 2 sind, sondern auch erst im Zuge des Verstehensprozesses als emergente konzeptuelle Merkmale konstruiert werden. Ein wichtiger psycholinguistischer Ansatz ist die Referenzverdoppelungstheorie von G LUCKSBERG (2001: 64-67, 2008: 71-74). In ihr wird angenommen, dass in einer metaphorischen Äußerung wie Mein Job ist ein Gefängnis ( My job is a jail.’) die NP ein Gefängnis nicht nur auf das Konzept GEFÄNGNIS referiert, sondern zugleich auch auf ein übergeordnetes Ad- 13 Die prominentesten Theorien sind: “salience imbalance model” (O RTONY 1979), “structure mapping model” (G ENTNER 1983, G ENTNER / C LEMENT 1988), “domain interaction theory” (T OURANGEAU / S TERNBERG 1981, 1982; T OURANGEAU 1982) und “class inclusion model” (G LUCKSBERG / K EYSAR 1990). 2.2 Spezifische Konzeptualisierung beim Metaphernverstehen 81 hoc-Klassenkonzept, dessen Merkmale die metaphorische Bedeutung bereitstellen. Das Konzept GEFÄNGNIS soll dabei ein prototypisches Exemplar des übergeordneten Klassenkonzeptes sein, das keine eigene Bezeichnung erhält, sondern mit Hilfe der Bezeichnung eines seiner prototypischen Exemplare (hier: Gefängnis) benannt wird. Das übergeordnete Ad-hoc-Konzept erfasst alle Lebenslagen, Orte etc., die die Merkmale EINSCHRÄNKEND, UNANGENEHM, UNAUSWEICHLICH etc. aufweisen. Der Prozess des Metaphernverstehens ist nach G LUCKSBERG s Auffassung dadurch gekennzeichnet, dass sowohl Konzept 1 (hier: JOB) als auch Konzept 2 (hier: GEFÄNGNIS) als Exemplare eines übergeordneten Klassenkonzeptes ausgewiesen werden, das die konzeptuellen Merkmale der Metaphernbedeutung (EINSCHRÄNKEND, UNANGENEHM, UNAUS- WEICHLICH etc.) enthält. Meines Erachtens ist die Annahme einer Referenzverdopplung aber unnötig und auch nicht plausibel. Beim Verstehen einer metaphorischen Äußerung werden dem Konzept 1 mit Hilfe von Konzept 2 bestimmte konzeptuelle Merkmale zugesprochen. Die Annahme, diese Merkmale gehörten zu einem übergeordneten Klassenkonzept, das erst miterschlossen werden muss, ist unplausibel: Das Klassenkonzept stellt in den von G LUCKSBERG besprochenen Fällen jeweils eine triviale und uninformative Abstraktion dar und enthält nur die konzeptuellen Merkmale, die Konzept 1 mit Hilfe von Konzept 2 zugesprochen werden. Es ist vollkommen ausreichend anzunehmen, dass diese konzeptuellen Merkmale im Verstehensprozess inferiert werden: Die Verdopplung der Referenz im Sinne der Erzeugung eines übergeordneten Klassenkonzeptes würde eine überflüssige Zusatzleistung darstellen, die im Hinblick auf die Sprachverarbeitungsökonomie unwahrscheinlich scheint. Die Postulierung eines übergeordneten Klassenkonzeptes stellt vielmehr eine Post-hoc-Modellierung dar, die - ähnlich wie in der Theorie der konzeptuellen Metaphern von L AKOFF und J OHNSON (s. Kap. 2.1.1) und dem Modell der Blending-Theorie von F AU- CONNIER , T URNER und G RADY et al. (s. Kap. 2.1.2) - das Verstehen der Metapher schon voraussetzt, das sie eigentlich erklären will. Nicht bedacht werden in G LUCKSBERG s Ansatz wirklich innovative Metaphern. Bei diesen scheint das Finden eines übergeordneten Klassenkonzeptes, unter das sich Konzept 1 und Konzept 2 , sinnvoll subsumieren lassen - wobei Konzept 2 als prototypische Instanz erscheint -, eine noch schwierigere Aufgabe zu sein als das Elaborieren der metaphorischen Bedeutung selbst. Innovative Metaphern drücken, wie bereits gezeigt, ein Überschreiten von Kategoriengrenzen in Form einer identifizierenden Konzeptkombination aus, die im Verstehensprozess so gedeutet wird, dass Konzept 1 ungewöhnliche konzeptuelle Merkmale zugeordnet werden. Das Verste- 2. Kognitive Metapherntheorien 82 hen innovativer Metaphern dient aber nicht dazu, neue Klassenkonzepte zu etablieren, wie dies im Ansatz von G LUCKSBERG postuliert wird. In den kognitiven Ansätzen zur Metapher von N OGALES (1999; vgl. R OLF 2005: 169-176) und C ARSTON (2002: 349-359; vgl. R OLF 2005: 156 f.) wird auch eine Art der Referenzverdopplung postuliert in dem Sinne, dass beide Theorien annehmen, beim Verstehen innovativer Metaphern sei das Konzept, das die metaphorische Bedeutung mental repräsentiert, nicht identisch mit dem Konzept, das der metaphorisch verwendete Ausdruck gewöhnlich denotiert, sondern es handele sich um ein von diesem Konzept (auf spezifische Weise) abgeleitetes Ad-hoc-Konzept. Die Annahme der Etablierung solcher zusätzlicher Ad-hoc-Konzepte ist aus denselben Gründen unnötig und irreführend wie G LUCKSBERG s Annahme übergeordneter Klassenkonzepte (s. Kap. 2.2). C ARSTON s (2002) Modellierung des Metaphernverstehens ist im Rahmen der kognitiv orientierten Relevanz-Theorie entstanden. In dieser pragmatischen Sprachverstehenstheorie wird das Emergenz-Problem am Beispiel des Metaphernverstehens ausführlich erörtert. Im folgenden Kapitel 3 werde ich die Relevanz-Theorie und ihre Behandlung des Emergenz- Problems ausführlich diskutieren und dabei zeigen, dass auch diese pragmatische Theorie entgegen ihrem eigenen Anspruch weder allgemein die Bedeutungskonstruktion an der Schnittstelle von Semantik und Pragmatik präzise erläutern kann noch einen adäquaten Erklärungsansatz in Bezug auf das Konstruieren emergenter Merkmale im Sprachverstehensprozess bietet. 3. Emergenz und pragmatische Verstehenstheorie 3.0 Vorbemerkung In der linguistischen Pragmatik ist das Emergenzproblem in jüngster Zeit ausführlich im Rahmen der Relevanz-Theorie (‘Relevance Theory’) (S PER- BER / W ILSON 1995, C ARSTON 2002) behandelt worden (s. W ILSON / C ARSTON 2006, V EGA M ORENO 2004, 2007; s. a. S PERBER / W ILSON 2008; W ILSON / C ARSTON 2007). Dabei wird in der Relevanz-Theorie ein Emergenz-Begriff verwendet, der mit meiner Bestimmung konvergiert (s. Kap. 4.2.3): “The interpretation of metaphorical utterances often results in the attribution of emergent properties, which are neither standardly associated with the individual constituents in isolation nor derivable by standard rules of semantic composition.” (W ILSON / C ARSTON 2006: 404) Ich werde im Folgenden zunächst die wichtigsten Grundpositionen der Relevanztheorie kritisch erläutern, um darzulegen, vor welchem Hintergrund und mit welchem Ziel die Emergenz-Problematik innerhalb dieser Theorie behandelt wird. Danach werde ich zeigen, dass in relevanztheoretischen Arbeiten für Emergenz im Verstehensprozess mindestens zwei sich widersprechende Lösungen präsentiert werden, die bei genauer Betrachtung nicht nur belegen, dass Emergenz auch im Rahmen der Relevanz- Theorie nicht befriedigend expliziert werden kann, sondern dass gerade an der Behandlung dieses Problems erhebliche Vagheiten und Inkonsistenzen des relevanztheoretischen Zugangs deutlich werden. Die Diskussion soll vor allem auch exemplarisch zeigen, welche Schwierigkeiten im Hinblick auf eine Modellierung der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle zu berücksichtigen sind. Emergenz kann schließlich nur vor dem theoretischen Hintergrund einer plausiblen Abgrenzung von Semantik und Pragmatik und der präzisen Bestimmung ihrer Schnittstelle sinnvoll erläutert werden (s. weiter unten Kap. 4). 3.1 Grundpositionen der Relevanz-Theorie Die Relevanztheorie ist als ein Neu- und Gegenentwurf zur G RICE schen Pragmatiktheorie (G RICE 1989) und deren Weiterentwicklungen (neo- GRICE sche Ansätz vertreten z. B. A TLAS 2005, G AZDAR 1979, H ORN 2007 und L EVINSON 2000) vorgeschlagen worden (s. S PERBER / W ILSON 2005). Im Gegensatz zum G RICE schen Ansatz wird nicht nur für das implizit Kommuni- 3. Emergenz und pragmatische Verstehenstheorie 84 zierte, sondern auch für das explizit Mitgeteilte - in G RICE s Terminologie das ‘Gesagte’ (‘what is said’) - ein hohes Maß an semantischer Unterdeterminiertheit postuliert, so dass auch für das Verstehen des explizit Kommunizierten im Normalfall pragmatische Anreicherungsprozesse nötig sind: “relevance theorists have consistently argued that the explicit side of communication is just as inferential and worthy of pragmatic attention as the implicit side” (S PERBER / W ILSON 2005: 473; s. u.). Anstelle des kommunikativen Kooperationsprinzips und der vier Konversationsmaximen bei G RICE wird von S PERBER und W ILSON (1995) ein allgemeines und allgemeingültiges, zweiteiliges Prinzip, das Relevanzprinzip (‘principle of relevance’), vorgeschlagen: “Cognitive Principle of Relevance: Human cognition tends to be geared to the maximisation of relevance. Communicative Principle of Relevance: Every act of overt communication conveys a presumption of its own optimal relevance.” (S PERBER / W ILSON 2005: 469, s. auch C ARSTON 2002: 379) Das Relevanzprinzip ist als grundlegende Annahme und Voraussetzung für die Modellierung der menschlichen Kognition und einer ihrer Teilleistungen, der Sprachverarbeitung, formuliert worden, die beide unter Effizienz-Gesichtspunkten im Sinne der kognitiven Kosten-Nutzen-Optimierung betrachtet werden. B UBLITZ (2001) erläutert das Prinzip wie folgt: „Danach streben sprachlich handelnde Menschen stets danach, einen möglichst hohen Wissenszuwachs (Nutzen bzw. Wirkung oder Leistung) mit einem möglichst niedrigen kognitiven (also interpretatorischen) Aufwand (Kosten bzw. Preis) zu erreichen. Stimmt für den Hörer das Verhältnis von Aufwand und Wirkung, dann ist diese für ihn relevant. Die Relevanz einer Äußerung, eine graduelle Größe, bemißt sich somit danach, ob der Zuwachs an Wissen, also der Erkenntniswert, zum benötigten interpretatorischen Aufwand in einem angemessenen, austarierten Verhältnis steht.“ (B UBLITZ 2001: 199) Die Relevanz-Theorie wird mit dem Anspruch postuliert, den Sprachverstehensprozess in seinen Voraussetzungen und Ergebnissen adäquat beschreiben und erklären zu können. Neben dem Relevanzprinzip werden in der Theorie noch einige wenige andere Grundbegriffe (z. B. Explikatur und Implikatur, Ad-hoc-Konzept, Inferenz, gegenseitige Anpassung) eingeführt, mit deren Hilfe das Sprachverstehen in all seinen Facetten expliziert werden soll (s. weiter unten). Die Theorie wurde und wird kontrovers diskutiert. Ein Kritikpunkt betrifft den genannten Umstand, dass Sprachverarbeitungsprozesse in Analogie zu ökonomischen Optimierungsprozessen charakterisiert werden, so als ließe sich Sprachverstehen vollständig unter Kosten-Nutzen-Gesichtpunkten behandeln (s. z. B. B UBLITZ 2001: 202). Ein noch wesentlicherer Kritikpunkt betrifft die Tatsache, dass grund- 3.1 Grundpositionen der Relevanz-Theorie 85 legende Begriffe der Theorie (z. B. optimale Relevanz) kaum hinreichend definiert sind oder sich nicht genau voneinander abgrenzen lassen (z. B. Explikatur und Implikatur, s. L EVINSON 2000: 194-197) und dass die Erläuterung des Sprachverarbeitungsprozesses mit starken Verallgemeinerungen und zirkulären Bestimmungen ausgestattet ist, so dass letztlich der Eindruck von Beliebigkeit entsteht (s. z. B. S TANLEY 2005 1 ). Das zeigt sich beispielsweise schon an der vagen und zirkulären Charakterisierung von Relevanz im Verstehensprozess: Eine Äußerung, ein Kommunikationsakt vermittelt die Annahme von (optimaler) Relevanz; und der Rezipient hat dann ein zutreffendes Verstehensergebnis etabliert, wenn seine bzw. die Erwartung von (optimaler) Relevanz erfüllt ist: “The stopping point is the point at which the current interpretation (what the speaker is taken to have conveyed […]) satisfies the expectations of relevance raised by the utterance itself” (S PERBER / W ILSON 2008: 90). Was genau unter (optimaler) Relevanz zu verstehen ist, wird nicht klar (vgl. S TANLEY 2005: 367) oder aber mit wiederum erklärungsbedürftigen Begriffen erläutert: “So when we say that every act of inferential communication conveys a presumption of its own optimal relevance, we mean something quite precise: as much relevance as is compatible with the communicator’s abilities and preferences, and, in any case, enough relevance to be worth processing.” (S PER- BER / W ILSON 2008: 89 f.) Die weiter oben schon erwähnte relevanztheoretische Betonung der semantischen Unterdeterminiertheit des explizit Mitgeteilten und deren Modellierung werfen weitere kritische Fragen auf und führen weiter zur Behandlung des Emergenz-Problems innerhalb der Theorie. Die Relevanz-Theorie (s. S PERBER / W ILSON 2005) wendet sich gegen die G RICE sche Dichotomie von Gesagtem und Implizierten und plädiert für eine Trichotomie (vgl. die Übersicht in L EVINSON 2000: 195), da auch auf 1 S TANLEY (2005) rezensiert C ARSTON (2002), die wohl datenreichste und argumentativ präziseste Publikation innerhalb des relevanztheoretischen Paradigmas bisher. S TANLEY würdigt, C ARSTON biete “interesting data and intriguing, theory-neutral suggestions” (S TANLEY 2005: 364). Als allgemeine, die gesamte Relevanz-Theorie betreffende Kritikpunkte führt S TANLEY an, es bestehe eine starke Tendenz zu verklausulierendem Jargon, mit dem scheinbar Erklärungen geboten werden, der aber lediglich Neuformulierung leistet: “labeling a problem with one of the special vocabulary terms in the program may masquerade as a resolution” (S TANLEY 2005: 364). In dem Zusammenhang kritisiert S TANLEY auch, dass in der Relevanz-Theorie die unterschiedlichsten Phänomene mit immer denselben inferenziellen Prozeduren erklärt werden: “when one can tell the same sort of story for so many divergent phenomena, concerns naturally arise about whether one has provided a genuine explanation” (S TANLEY 2005: 366). 3. Emergenz und pragmatische Verstehenstheorie 86 der Ebene des Gesagten erhebliche pragmatische Anreicherungsprozesse notwendig sind, um die Satzbedeutung in eine Sprecherbedeutung (= Äußerungsbedeutung) zu überführen: Das Gesagte kann deshalb nicht als eine Einheit von Satzbedeutung und Äußerungsbedeutung verstanden werden, die darin besteht, dass die Satzbedeutung kontextabhängig durch bloße Referenzfestlegung und eventuell notwendige Disambiguierung in eine Äußerungsbedeutung überführt wird (vgl. Kap. 4.1.1). “Relevance theorists have argued […] for a much greater slack between sentence meaning and speaker’s meaning, with sentence meaning typically being quite fragmentary and incomplete, and speaker’s explicit meaning going well beyond the minimal proposition arrived at by disambiguation and reference assignment.” (S PERBER / W ILSON 2005: 473) Die in der Relevanz-Theorie vorgeschlagene Dreiteilung ist die in (a) kodierte, (b) explizit kommunizierte und (c) implizit kommunizierte Bedeutung. Unter (a) fällt die lexikalische (kontextunabhängige, semantische) Bedeutung, die als sprachlich (en)kodierte logische Form beschrieben wird. Die beiden nächsten Ebenen (b) und (c) zeichnen sich zunächst einmal dadurch aus, dass sie das sprachlich Kodierte aufgrund von kontextabhängigen Elaborationsprozessen übersteigen: “the explicit content of an utterance, like the implicit content, is largely underdetermined by the linguistically encoded meaning, and its recovery involves a substantial element of pragmatic inference” (S PERBER / W ILSON 2005: 470). Bevor ich auf die Abgrenzung dieser beiden letzten Ebenen eingehe, scheint mir der Hinweis angebracht, dass die Unterscheidung der beiden ersten Ebenen, (a) kodiert und (b) explizit kommuniziert, terminologisch recht eigenwillig und inkonsistent ist, da das explizit Mitgeteilte im Allgemeinen als das sprachlich explizit Ausgedrückte, also das sprachlich Kodierte verstanden wird. In der Relevanz-Theorie meint expliziert kommunizierte (Sprecher-)Bedeutung die Proposition(en), die ein Sprecher mit seiner Äußerung offen und direkt vermittelt. Da die Satzbedeutung unterspezifiziert ist, wird sie als nicht ausreichend angesehen, um die vom Sprecher kommunizierte Proposition zu erfassen (siehe zu den verschiedenen Propositionsbegriffen in Semantik und Pragmatik Kap. 4.1.2): “the linguistically encoded meaning of an utterance often falls far short of determining the proposition that a speaker explicitly communicates” (C ARSTON 2007: 18). Anhand der Rede von der expliziten Sprecherbedeutung (‘speaker’s explicit meaning’, s. z. B. S PERBER / W ILSON 2005) zeigt sich, dass in der Relevanz-Theorie die Trennung von Produzenten- und Rezipientenperspektive nicht immer hinreichend scharf genug vollzogen wird. Die explizite Sprecherbedeutung ist das Ergebnis des konstruktiven Verstehensprozesses des Rezipienten. Da sie rezipientenabhängige pragmatische 3.1 Grundpositionen der Relevanz-Theorie 87 Anreicherungen enthält, kann wohl kaum davon die Rede sein, sie sei explizit, d. h. ausdrücklich, klar, offen, ausführlich usw. vom Produzenten kommuniziert. Aus Sicht des Produzenten handelt es sich vielmehr um die Bedeutung, auf die er sich festlegen will, ohne sie jedoch vollständig explizit auszudrücken (! ), und aus Sicht des Rezipienten um die pragmatisch angereicherte Bedeutung, die der Rezipient unter der Annahme konstruiert, es sei die Bedeutung, auf die der Produzent sich festlegen wolle. Die inkonsistente Bestimmung des Expliziten zeigt sich auch darin, dass in der Relevanz-Theorie verschiedene Grade von Explizitheit angenommen werden (s. S PERBER / W ILSON 1995: 182; 2005: 480 f.): Das explizit Kommunizierte gilt als umso expliziter, je höher der Anteil an Dekodierung der lexikalischen Information und je niedriger der Anteil an inferenzieller pragmatischer Anreicherung ist. Das explizit Kommunizierte, der explizite Inhalt kann also durchaus - wie es etwa bei metaphorischen Äußerungen der Fall ist, für die emergente Merkmale etabliert werden - nur ein sehr geringes Maß an Explizitheit aufweisen: Damit ist der Begriff des Expliziten seines Inhalts beraubt und die Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Inhalt einer Äußerung wird dadurch von vornherein problematisch. Der Unterschied zwischen (b) explizit kommunizierter und (c) implizit kommunizierter Bedeutung, den beiden letzten Ebenen im relevanztheoretischen Modell, wird in der Form ihrer Ableitung gesehen. Als explizit kommuniziert gilt die Bedeutung, die sich noch aus der Satzbzw. Ausdrucksbedeutung entwickeln bzw. ableiten lässt, als implizit kommuniziert die Bedeutung, bei der eine solche Ableitung nicht mehr möglich ist. Für letztere ist seit G RICE der Terminus der Implikatur (‘implicature’) üblich, für erstere führen S PERBER und W ILSON analog den Begriff der Explikatur (‘explicature’) ein. “Explicature (Sperber and Wilson 1986: 182) A proposition communicated by an utterance is an EXPLICATURE if and only if it is a development of a logical form encoded by the utterance. The process of DEVELOPING a logical form may involve not only reference assignment but other types of pragmatic enrichment […]. The implicatures of an utterance are all the other propositions that make up the speaker’s meaning: Implicature (Sperber and Wilson 1986: 182) A proposition communicated by an utterance, but not explicitly, is an IMPLICA- TURE .” (S PERBER / W ILSON 2005: 479 f.) S PERBER und W ILSON (2005: 479) geben als Beispiel folgenden Dialog: (36) A LAN J ONES : Do you want to join us for supper? L ISA : No thanks. I’ve eaten. 3. Emergenz und pragmatische Verstehenstheorie 88 Als mögliche Explikatur der Sprecherbedeutung von Lisas Äußerung in (36) nennen S PERBER und W ILSON (2005: 480), “that she has eaten supper on the evening of utterance” und als Implikatur “that she doesn’t want to eat with the Joneses because she’s already had supper that evening”. In den kritischen Auseinandersetzungen mit der Relevanz-Theorie spielt die Frage, ob die Einführung des Explikatur-Begriffes notwendig und sinnvoll ist, eine entscheidende Rolle. Als hoch problematisch wird vor allem angesehen, dass sich Explikatur und Implikatur nicht hinreichend genau voneinander abgrenzen lassen, weil keine klaren Kriterien zu ihrer Unterscheidung genannt werden bzw. genannt werden können (s. z. B. L EVINSON 2000: 195 f., S TANLEY 2005: 367 f.; vgl. R ÉCANATI 1989, G ROEF- SEMA 2007: 149-155). Das in der Definition aufgeführte distinktive Merkmal, dass nur bei der Explikatur die „Entwicklung einer logischen Form“ (“development of a logical form”), also eine (Weiter-)Entwicklung der sprachlich kodierten Bedeutung vorliegt, ist nicht aussagekräftig genug, weil nicht genau bestimmt wird, was unter “development” bzw. unter “process of DEVELOPING ” genau zu verstehen sei: “‘Development’ is a black hole at the centre of the theory” (B URTON -R OBERTS 2005: 397). In Bezug auf S PERBER und W ILSON s (2005: 480) Diskussion von Beispiel (36) ist etwa nicht ohne Weiteres einsichtig, weshalb die Annahme, dass Lisa am Abend der Äußerung gegessen hat, als Explikatur aus I’ve eaten entwickelt werden kann, die Annahme, dass I’ve eaten als Begründung für die Ablehnung (No thank you) gelten kann, aber keine Entwicklung aus dem sprachlich Mitgeteilten sein darf. Wie ich weiter unten ausführen werde, zeigt auch die relevanztheoretische Behandlung des Emergenz-Problems, dass sich Explikaturen und Implikaturen nicht klar voneinander abgrenzen lassen und deshalb kein praktikables Begriffspaar für eine pragmatische Verstehenstheorie und für die Modellierung der Schnittstelle von Semantik und Pragmatik darstellen. 2 2 Die relevanztheoretische Unterscheidung von Explikaturen und Implikaturen ist der klassischen Unterscheidung von B IERWISCH (1979) in Äußerungsbedeutung und kommunikativen Sinn - die ich in Kap. 4.1.1 ausführlich diskutieren werde - unterlegen, weil in B IERWISCH s Unterscheidung der deskriptive Bedeutungsgehalt (als spezifischer propositionaler Gehalt) klar unter die Äußerungsbedeutung und der pragmatische Handlungsgehalt (als die Illokution/ en) klar unter den kommunikativen Sinn fallen. Auf beiden Ebenen kann das Verhältnis zwischen den Anteilen, die sprachlich ausgedrückt sind und denen, die vom Rezipienten konstruktiv erschlossen werden müssen, bestimmt werden. In der Relevanz-Theorie dagegen ist die Unterscheidung zwischen explizit und implizit kommunizierter Bedeutung problematisch, und Illokutionen werden auf beiden Ebenen (Explikatur und Implikatur) angesiedelt (s. S PERBER / W ILSON 2005: 492; vgl. C ARSTON 2002: 119). 3.1 Grundpositionen der Relevanz-Theorie 89 Nach relevanztheoretischem Verständnis werden sowohl Explikaturen als auch Implikaturen im Verstehensprozess in gegenseitiger Regulierung und Anpassung (der relevanztheoretische Begriff dafür ist ‘mutual adjustment’) über Inferenzen 3 konstruiert, wobei der Ausgangspunkt durch die lexikalisch kodierte Information gegeben ist und der Verstehensprozess über die kontextspezifische Erwartung (optimaler) Relevanz gesteuert wird (S PERBER / W ILSON 2005: 489). Der Begriff der Inferenz wird in der Relevanz- Theorie inflationär 4 und oft undefiniert gebraucht (s. etwa S PERBER / W ILL - SON 2005). Er bezieht sich auf alle Formen von kontextabhängigen Ableitungs- und Anreicherungsprozesse bei der Bedeutungserschließung: “On the inferential view, utterances are […] pieces of evidence about the speaker’s meaning, and comprehension is achieved by inferring this meaning from evidence provided not only by the utterance but also by the context.” (S PERBER / W ILSON 2005: 470) In einer der Bestimmungen für inferenzielles Verstehen wird dieses charakterisiert als “taking a set of premises as input and yielding as output a set of conclusions logically derivable from (or at least warranted by) the premises” (W ILSON / C ARSTON 2006: 406; s. auch C ARSTON 2002: 378). Dabei werden sowohl rückwärtsals auch vorwärtsgerichtete Inferenzen zugelassen (W ILSON / C ARSTON 2006: 421; vgl. die Diskussion zum Inferenz-Begriff in Kap. 5.1.2). — Ad-hoc-Konzept Die Inferenzprozesse führen in Bezug auf die Explikatur dazu, dass die durch die Lexeme erfassten Konzepte oft kontextabhängig angepasst werden. Um diese flexible Konzeptanpassung beschreiben und erklären zu können, ist in der Relevanz-Theorie der Begriff der Ad-hoc-Konzepte (‘ad hoc concepts’) eingeführt worden (s. z. B. C ARSTON 1997, 2002; S PER- BER / W ILSON 2008; W ILSON / C ARSTON 2007, W ILSON / S PERBER 2002). Ein Adhoc-Konzept ist Teil der Explikatur, es wird im Sprachverstehensprozess kontextabhängig von dem Konzept abgeleitet, auf das der jeweilige lexika- 3 Bei C ARSTON (2002: 377) ist der Inferenz-Begriff in beiden Definitionen enthalten: Die Explikatur wird bestimmt als “inferentially developed”, die Implikatur als “derived solely via processes of pragmatic inference”. 4 C ARSTON (2002: 321) verwendet den Inferenz-Begriff (in Kombination mit dem Regel- Begriff) sogar in Bezug auf die distinktiven, definitorischen Eigenschaften von Konzepten (die in der denotativen Bedeutung der sie bezeichnenden Lexeme erfasst sind): “The logical entry consists of a set of inference rules, or ‘meaning postulates’, which capture certain analytic implications of the concept, generally falling far short of anything definitional. […] Consider the concept CAT : its logical entry contains an inference rule whose output is ANIMAL OF A CERTAIN KIND […].” 3. Emergenz und pragmatische Verstehenstheorie 90 lische Ausdruck referiert. 5 Das Ad-hoc-Konzept weist gegenüber dem Ausgangskonzept spezifische Modifikationen auf: (37) Ich mag es, wenn Vögel krächzen. Wenn (37) als Äußerung verstanden wird, so wird vom sprachlich durch Vögel zum Ausdruck gebrachten Konzept VÖGEL das Ad-hoc-Konzept VÖGEL* 6 abgeleitet. Dieses Konzept ist spezifischer, da aufgrund von kotextueller Information nur bestimmte Vertreter des Kategorienkonzepts VOGEL für das Ad-hoc-Konzept in Frage kommen: Durch die lexikalische Bedeutung des Verbs krächzen wird die Menge der möglichen Vögel auf jene eingeschränkt, die über das Merkmal KANN KRÄCHZEN verfügen. In einem möglichen (Situations-)Kontext, z. B. einem Spaziergang über Felder, siehe (38), könnte das Ad-hoc-Konzept VÖGEL* demgemäß etwa eine Gruppe von KRÄHEN oder RABEN erfassen, in einem anderen Kontext, z. B. einem Zoobesuch, siehe (39), dagegen eine Gruppe von PAPA- GEIEN etc. 7 (38) Die Vögel auf den Feldern krächzten herrlich. (39) Die Vögel im Zoo krächzten herrlich. 5 Vgl. die Erläuterung von C ARSTON (2002: 322): “This term [‘ad hoc concept’, HS] is used to refer to concepts that are constructed pragmatically by a hearer in the process of utterance comprehension. The idea is that the speaker can use a lexically encoded concept to communicate a distinct non-lexicalized (atomic) concept, which resembles the encoded one in that it shares elements of its logical and encyclopaedic entries, and that hearers can pragmatically infer the intended concept on the basis of the encoded concept.” 6 In der Relevanz-Theorie werden Ad-hoc-Konzepte durch Sternchen (*) gekennzeichnet. Verschiedene Ad-hoc-Konzepte werden durch verschiedene Anzahl von Sternchen signalisiert (VOGEL*, VOGEL** etc.). 7 Siehe zur Etablierung spezifischer Lesarten aufgrund von Kotext- und Kontexteinflüssen auch S CHWARZ (2008: 59-66). Die von S CHWARZ (2000: 84-87) vorgeschlagenen Arten von referenzieller Unterspezifikation und von Operationen zu ihrer Auflösung sind wesentlich besser geeignet, um kontextabhängige Spezifizierungen zu erläutern als der relevanztheoretische Entwurf der Ad-hoc-Konzepte: Konzeptanpassungen sind über ko- und kontextuell induzierte Instanziierungsoperationen beschreib- und erklärbar, außerdem werden die mentale Konstruktion von nicht genannten Referenten sowie die Etablierung von inhaltlichen Relationen über Konnexivitätsoperationen erfasst (über letztere kann z. B. die Etablierung der Kausalitätsbeziehung zwischen den beiden Teiläußerungen in (36) No thanks. I’ve eaten. erläutert werden). Der Ansatz von S CHWARZ (2000) bietet im Gegensatz zu den relevanztheoretischen Modellierungen auch die Einbettung in eine (Text-)Verstehenstheorie, die über bloße Einzeläußerungen hinausgeht und ko- und kontextuelle Faktoren eingehend berücksichtigt (vgl. meine Darstellung in Kap. 5.). 3.1 Grundpositionen der Relevanz-Theorie 91 Die Konzeption der Ad-hoc-Konzepte ist also durch die Tatsache motiviert, dass im Sprachverstehensprozess oft konzeptuelle Bedeutungsrepräsentationen konstruiert werden, die auf bestimmte Weise vom sprachlich Ausgedrückten abweichen. Für (37) bis (39) wird jeweils eine spezifischere Lesart etabliert, als sprachlich ausgedrückt ist. Das Lexem Vogel wird dabei wörtlich verstanden. In Fällen von ‘freierer’, nicht wörtlicher Verwendung von Lexemen (in der Relevanz-Theorie als ‘loose use’ bezeichnet, siehe C ARSTON 2002: 328-349, 378) wird oft auch eine Lesart etabliert, die unspezifischer ist in dem Sinne, als das nur einige der lexikalisch gegebenen Merkmale gelten oder lexikalisch gegebene Merkmale nur annäherungsweise zutreffen, wie etwa in (40): (40) Frankreich ist ein Hexagon. Für (40) wird etwa im Verstehensprozess eine Lesart etabliert, in der Hexagon in nicht (streng) wörtlicher Bedeutung aufgefasst wird, da Frankreich - im Fokus steht hier die geographische Gestalt des Landes - nur annäherungsweise und abstraktionshalber die Form eines Sechsecks aufweist. In der Relevanz-Theorie werden die möglichen Anpassungen, die beim Überführen eines lexikalisch gegebenen Konzepts in ein kontextabhängiges Ad-hoc-Konzept auftreten können, prinzipiell extensional bestimmt, und zwar als ‘Verengung’ (‘narrowing’) oder ‘Erweiterung’ (‘broadening’) der Extension des sprachlich kodierten Konzeptes: 8 “That is, the ideas evoked by the presence of a word in an utterance are likely to be true of items in the linguistically-specified denotation of the word, or, equivalently, of items in the extension of the concept encoded by the word. In the case of narrowing, the implications hold across only part of the extension of the encoded concept (e.g. only some temperatures imply illness). In the case of broadening, the implications hold not only of items in the extension of the encoded concept but also of contextually salient items which fall outside the extension, but which share with items inside the extension properties that determine these implications (e.g. cycling is easy not only in flat, but also in flattish terrains).” (S PERBER / W ILSON 2008: 92; vgl. C ARSTON 2002: 325 f., 343 f.) In Bezug auf (37) ist die Extension des Ad-hoc-Konzeptes VÖGEL* gegenüber der des zugrunde liegenden Konzeptes VÖGEL verengt, da alle Vögel ausgeschlossen sind, die nicht das Merkmal KANN KRÄCHZEN aufweisen. Im Hinblick auf das Verstehen von (40) ist die Extension des Ad-hoc- 8 In den einschlägigen relevanztheoretischen Arbeiten ist überwiegend von Denotation (‘denotation’) die Rede, in der Argumentation wird je nach Bedarf und ohne Problematisierung zwischen extensionaler und intensionaler Betrachtungsweise gewechselt (s. etwa C ARSTON 2002: 350-354, vgl. W ILSON / C ARSTON 2007). Siehe auch weiter unten meine grundsätzliche Kritik an einer extensionalen Sichtweise in Bezug auf die Modellierung des Metaphernverstehens. 3. Emergenz und pragmatische Verstehenstheorie 92 Konzeptes HEXAGON* dagegen erweitert, weil nun auch Entitäten durch dieses Konzept erfasst werden, die im streng mathematischen Sinne nicht unter das zugrunde liegende Konzept HEXAGON fallen. Die Verengung und die Erweiterung der Konzeptextension bei der Konstruktion eines Ad-hoc-Konzeptes schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern können auch kombiniert auftreten (s. bereits C ARSTON 1997). Typischerweise ist dies beim Verstehen metaphorischer Äußerungen der Fall (s. C ARSTON 2002: 345-353). W ILSON und C ARSTON (2006) besprechen folgendes Beispiel: (41) Caroline is a princess. Wenn Caroline in einer spezifischen Kommunikationssituation auf eine Person referiert, die nicht zu einer Königsfamilie gehört, wird princess metaphorisch verstanden werden, z. B. in dem Sinne, dass Caroline die Merkmale VERWÖHNT, ANSPRUCHSVOLL etc. zugesprochen werden. Die Extension des Ad-hoc-Konzeptes PRINCESS* ist gegenüber der des zugrunde liegenden Konzeptes PRINCESS (das über die lexikalische Bedeutung von princess gegeben ist) einerseits erweitert, da nun auch Personen, die zu keiner Königsfamilie gehören, darunter fallen und andererseits verengt, da nur Personen, die die spezifischen Eigenschaften VERWÖHNT, ANSPRUCHSVOLL etc. aufweisen, von dem Konzept erfasst werden (W IL- SON / C ARSTON 2006: 411). Mit der Konzeption der Ad-hoc-Konzepte, die über die kontextabhängige, 9 inferenzielle Verengung oder/ und Erweiterung von Konzeptextensionen etabliert werden, ist - dem Verständnis der Relevanz-Theorie nach - die Etablierung von Äußerungsbedeutungen (als Explikaturen) allgemein beschreib- und erklärbar (s. W ILSON / C ARSTON 2007). Auch das Problem des Auftretens emergenter Merkmale beim Verstehen metaphorischer Äußerungen soll mit Hilfe dieses Ansatzes gelöst werden können (s. W ILSON / C ARSTON 2006, 2007; V EGA M ORENO 2004, 2007). 9 Die Kontextabhängigkeit der Bedeutungskonstruktion wird in der Relevanz-Theorie betont, z. B. wie folgt: “The presence of a discourse context affects the interpretation of an utterance in two main ways. First, it alters the accessibility of information in the encyclopaedic entries of its constituent concepts, which in turn affects the accessibility of different contextual assumptions and implications. Second, it sets up certain goals or expectations in the hearer” (W ILSON / C ARSTON 2006: 420 f., siehe auch weiter oben das Zitat von S PERBER / W ILSON 2005: 470). Es werden in der Relevanz-Theorie aber fast ausschließlich nicht-authentische Beispiele besprochen, für die zwar ein möglicher minimaler Kontext mitgeteilt wird, der aber einer wahrscheinlichen, prototypischen Verwendungsweise entspricht und selbst kaum Informationen bereitstellt. Die Bedeutsamkeit von Kontextfaktoren bleibt deshalb unberücksichtigt und unbewiesen (vgl. etwa C ARSTON 2002, W ILSON / C ARSTON 2006, 2007, S PERBER / W ILSON 2005, 2008). 3.2 Das Emergenz-Problem aus der Perspektive der Relevanz-Theorie 93 3.2 Das Emergenz-Problem aus der Perspektive der Relevanz- Theorie Das Emergenz-Problem betrifft den Ansatz, dass die Konstruktion von Adhoc-Konzepten als inferenzielles Verengen bzw. Erweitern von Konzeptextensionen modelliert wird, im Kern: (42) Robert is a bulldozer. Wie kommt etwa beim Verstehen von (42) ein Ad-hoc-Konzept BULLDO- ZER* zustande? Wenn unter BULLDOZER* nur noch menschliche Wesen (wie Robert) mit bestimmten Eigenschaften (wie etwa ENERGISCH, STARRKÖPFIG o. Ä.) fallen, dann hat das Ad-hoc-Konzept nichts mehr mit der Extension des sprachlich durch bulldozer zum Ausdruck gebrachten Konzeptes BULLDOZER zu tun. Dies liegt in der Inkompatibilität der involvierten ontologischen Kategorien begründet, denn unter BULLDOZER fallen nur ‘schwere Raupenfahrzeuge für Erdbewegungen’ (DUW), jedoch keine menschlichen Wesen. Es handelt sich dann beim Ad-hoc-Konzept BULLDOZER* um ein gänzlich neues Konzept. Deshalb liegt eine Konzept- Substitution vor, keine Erweiterung, da bei letzterer wenigstens eine Schnittmenge der Extension von sprachlich zum Ausdruck gebrachten Konzept (BULLDOZER) und Ad-hoc-Konzept (BULLDOZER*) bestehen müsste. Das Vorhandensein einer solchen Schnittmenge wird aber auch in den neuesten Publikationen als grundlegend für inferenzielle Ableitung von Ad-hoc-Konzepten herausgestellt: “The ad hoc concepts […] will […] at least overlap with the concepts encoded by the utterance (otherwise we would be dealing with purely associationist rather than inferential relations)” (S PERBER / W ILSON 2008: 101 f.). Für die Relevanz-Theorie wirft das Emergenzproblem demnach zwei grundlegende Fragen auf: 1. Wenn die Konzeptanpassung im Sprachverstehensprozess (als Überführung eines sprachlich kodierten Konzeptes in ein kontextabhängiges Ad-hoc-Konzept) allgemein als Verengung und/ oder Erweiterung der Konzeptextension verstanden wird, wie kann dann das Etablieren von Ad-hoc-Konzepten mit emergenten Merkmalen in den Ansatz integriert werden, wenn deren Extensionen keine Schnittmenge mehr mit denen der sprachlich zum Ausdruck gebrachten Konzepten aufweisen, wenn also anstatt einer Extensions-Erweiterung eine vollständige Konzept- Substitution stattfindet? 2. Wenn Ad-hoc-Konzepte Teil der Explikatur sind, für die gilt, dass sie sich aus den sprachlich kodierten Konzepten herleiten bzw. entwickeln lassen muss, wie kann dann ein Ad-hoc-Konzept Teil der Explikatur 3. Emergenz und pragmatische Verstehenstheorie 94 sein, welches das sprachlich kodierte Konzept komplett ersetzt und durch emergente Merkmale charakterisiert ist, die sich nicht auf das zugrunde liegende Konzepte zurückführen lassen, sondern über konstruktive Elaborationsprozesse erzeugt wurden? (Müssten solche Konzepte nicht ausschließlich als Teil der Implikatur beschrieben werden? ) Auf beide Fragen werden in den relevanztheoretischen Stellungnahmen keine oder keine befriedigenden Antworten gegeben. Der Grund dafür ist vor allem, dass diese Fragen in der internen relevanztheoretischen Diskussion umgangen werden. Die Herausforderungen, vor die metaphorische Äußerungen wie Robert is a Bulldozer (s. dazu schon S PERBER / W ILSON 1995: 236) den relevanztheoretischen Ansatz stellen, hat lediglich C ARSTON (2002: 350, 354-358) umrissen (ohne dabei den Begriff ‘emergent’ zu verwenden); sie hat jedoch keine Lösung präsentiert. In den neuesten relevanztheoretischen Arbeiten, die sich dezidiert mit dem Emergenz-Problem auseinandersetzen, fällt die Tendenz auf, dass die theoretische Substanz des Problems gering geschätzt wird. Die Schwierigkeiten, die sich aus der Emergenz-Problematik für die relevanztheoretische Konzeption der Ad-hoc-Konzepte und für die Explikatur-Implikatur- Unterscheidung ergeben, werden entweder vollständig ignoriert (s. vor allem V EGA M ORENO 2004, 2007) oder aber durch Modellierungen als gelöst präsentiert, die schwerlich dem Kriterium theoretischer oder gar psychologischer Plausibilität entsprechen (W ILSON / C ARSTON 2006, 2007, S PERBER / W ILSON 2008). Ich werde in meiner Darstellung zunächst die oben genannte zweite Frage (die den Explikatur-Status problematisiert) aufgreifen, und zeigen, inwieweit sie von C ARSTON (2002) und V EGA M ORENO (2004, 2007) behandelt wird. Danach werde ich diskutieren, welche Lösungen für die Problemstellung der ersten Frage (die sich auf die Erweiterung der Konzeptextension bezieht) in der Relevanz-Theorie vorgeschlagen werden. Dass Ad-hoc-Konzepte, die das sprachlich kodierte Konzept ersetzen und durch emergente Merkmale bestimmt sind - im Folgenden werde ich diese Konzepte der Einfachheit halber als emergente Ad-hoc-Konzepte bezeichnen - problematisch für die Explikatur-Implikatur-Unterscheidung sind, hat C ARSTON zwar pointiert formuliert: “The point here is that, given the view that the hearer constructs an ad hoc concept that replaces the encoded concept in the explicitly communicated propositional form, the characteristic of indeterminacy must carry over from the implicatures of many metaphorical utterances to their explicatures.” (C ARSTON 2002: 358) 3.2 Das Emergenz-Problem aus der Perspektive der Relevanz-Theorie 95 Dennoch definiert sie die Explikatur-Implikatur-Unterscheidung so, dass emergente Ad-hoc-Konzepte klar nur unter den Implikatur-, nicht aber unter den Explikatur-Begriff fallen können: “Explicatures are derived pragmatically filling in and adjusting the semantic scaffolding provided by the linguistic expression used, while implicatures are derived wholly pragmatically, though that inferential process may be constrained by encoded procedural meaning.” (C ARSTON 2002: 366) Schon an dieser Stelle deutet sich bei C ARSTON (2002) eine Entwertung der Unterscheidung an, wenn es vor der eben zitierten Passage heißt: “The distinction between explicatures and implicatures […] is primarily a derivational distinction and may have no greater import than that” (C ARSTON 2002: 366). In einer der neuesten Publikationen (C ARSTON 2007) findet sich eine Explikatur-Bestimmung, die der oben zitierten widerspricht, indem nun auch der explizit kommunizierte Inhalt, also die Explikatur, vollkommen losgelöst von der lexikalisch kodierten Bedeutung durch ‘freie pragmatische Anreicherung’ konstruiert werden kann: “Crucially, processes of ‘free pragmatic enrichment’, that is, processes that are not dictated by elements of linguistic form, mediate the transition from linguistic meaning to explicit propositional content” (C ARSTON 2007: 18). Mit Hilfe dieser Bestimmung lassen sich emergente Ad-hoc-Konzepte als Teil der Explikatur beschreiben. Die ohnehin problematische Unterscheidung von Implikatur und Explikatur scheint aber komplett aufgehoben zu werden. Anstatt diese Unterscheidung zu verdeutlichen, zeigt die relevanztheoretische Modellierung des Zustandekommens emergenter Merkmale vielmehr die Ununterscheidbarkeit von Explikatur und Implikatur. Bei V EGA M ORENO (2004, 2005, 2007), die sich ausgehend von C ARSTON (2002) intensiv mit dem Emergenzproblem beschäftigt hat, kommt diese Ununterscheidbarkeit auch zum Ausdruck. In ihrer Darstellung des Butcher/ Surgeon-Beispiels (s. die Diskussion in Kap. 2.1.2) werden die emergenten Merkmale einerseits als Implikaturen und andererseits als Merkmale des Ad-hoc-Konzepts BUTCHER* charakterisiert, welches Teil der Explikatur ist (V EGA M ORENO 2004: 314 f.; vgl. 2007: 104 f.). Die Dopplung wird nicht als problematisch bewertet, sondern als Folge der gegenseitigen Anpassung von Explikaturen und Implikaturen im Verstehensprozess beschrieben. Diese gegenseitige Regulierung und Anpassung (‘mutual adjustment’) ist - wie weiter oben bereits erwähnt - für die relevanztheoretische Konzeption grundlegend: “This process of ad hoc concept construction via mutual adjustment of explicatures and implicatures is quite general. It works in the same way with metaphors” (S PERBER / W ILSON 2005: 489; vgl. V EGA M ORENO 2007: 38). Die wechselseitige Modifikation von explizitem und implizitem Inhalt wird postuliert, um zu gewährleisten, dass das im- 3. Emergenz und pragmatische Verstehenstheorie 96 plizit Kommunizierte kontextabhängig aus dem explizit Kommunizierten abgeleitet werden kann (s. S PERBER / W ILSON 2005: 481). Der entscheidende Punkt ist: Bei diesem Prozess besteht die Möglichkeit, dass ausgehend von etablierten Implikaturen rückwirkend die Explikaturen angepasst werden, damit diese dann eben jene Implikaturen rechtfertigen (vgl. S PERBER / W ILSON 2008). 10 In entsprechender Weise wird der Verstehensprozess von V EGA M ORENO (2004: 314 f.; vgl. 2007: 104 f.) charakterisiert. Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit zitiere ich folgenden längeren Abschnitt: “The ’emergent properties‘ ‘being careless’, ‘negligent’, ‘liable to sanction’, etc. are […] implications derived inferentially, which would be potentially treated by the hearer as implicatures of the utterance. It is worth noticing that since utterance interpretation involves a process of mutual adjustment of explicit content, context and implicatures, it follows that as the hearer derives the implications above, the concept conveyed by the word ‘butcher’ may be continuously adjusted in order to warrant the derivation of the required implicatures. […] As a result […], the hearer would have constructed a new ad hoc concept BUTCHER* which denotes the set of people who fall short of the standards of precision, delicacy and foresight required in making an incision, in such a way as to cause damage to living humans and become liable for sanction as a result. It is this concept […] that is taken to be a constituent of the explicature of the speaker’s utterance and that warrants the derivation of the implicatures above.” (V EGA M ORENO 2004: 314; vgl. 2007: 104 f.) Für emergente Merkmale ergibt sich aus dieser Darstellung, dass sie zuallererst Teil von Implikaturen sind, da sie eben nicht aus den sprachlich gegebenen Konzepten abgeleitet werden können (wie es für Explikaturen gelten soll), sondern erst über die gegenseitige Anpassung von Implikaturen und Explikaturen in letztere eingefügt werden. 11 Eine rekursive Modellierung der Emergenz-Problematik wie die von V EGA M ORENO (2004, 2005, 2007) belegt eindrücklich, dass für die Implikatur-Explikatur-Unterschei- 10 Bei S PERBER und W ILSON (2008: 92) heißt es dazu: “Implications activated by both the utterance and the context are the first to come to mind, and are tentatively added to the interpretation until the hearer’s expectations of relevance are satisfied. At that point, the explicit content of the utterance (in the case of an assertion, the propositions whose truth the speaker is committing herself to) is retroactively determined by mutually adjusting the implicit and explicit components of the interpretation. The explicit content of an utterance must be such that it contextually implies the implicit content.” 11 Das Inferieren von Explikaturen und Implikaturen erfolgt der Relevanz-Theorie zufolge nicht sequenziell, sondern parallel (s. S PERBER / W ILSON 2005: 482; W IL- SON / C ARSTON 2006: 409; vgl. V EGA M ORENO 2007: 38). Für die Emergenzproblematik ist entscheidend, dass auch bei gleichzeitiger Verarbeitung die Abhängigkeitsverhältnisse so beschaffen sind, dass die emergenten Merkmale nur auf Grundlage von Implikatur(en) als Teil der Explikatur etabliert werden. 3.2 Das Emergenz-Problem aus der Perspektive der Relevanz-Theorie 97 dung in der Relevanz-Theorie keine brauchbaren Kriterien vorliegen und dass die Unterscheidung deshalb fallengelassen werden sollte. In Bezug auf die weiter oben formulierte erste Frage, wie sich die Emergenzproblematik mit der postulierten Konzeptanpassung im Sinne einer Verengung und/ oder Erweiterung der Extension vereinbaren lässt, werden in der Relevanz-Theorie zwei sich widersprechende Antworten gegeben. C ARSTON (2002) und in ihrer Nachfolge V EGA M ORENO (2004, 2007) gehen davon aus, dass das sprachlich kodierte Konzept (z. B. BULLDOZER) und das konstruierte Ad-hoc-Konzept (z. B. BULLDOZER*) in ihren Extensionen über keine Schnittmenge verfügen, dass also keine Entität (im weitesten Sinne) zu beiden Konzeptextensionen gehören kann: “The entities in the world that fall under these two concepts comprise disjoint sets” (C AR- STON 2002: 354). C ARSTON (2002: 350) scheint sich der Tatsache bewusst zu sein, dass eine solche Form der Konzeptsubstitution der relevanztheoretischen Modellierung der flexiblen Konzeptanpassung widerspricht, geht darauf aber nicht näher ein, sondern fragt lediglich nach den Bedingungen für das Entstehen der emergenten Merkmale bzw. emergenten Ad-hoc- Konzepte. Entsprechend geht auch V EGA M ORENO (2004, 2007) vor: Sie diskutiert die Ergebnisse von experimentellen Studien zum Emergenzproblem (s. Kap. 1.3.2) und bemängelt, dass in diesen Studien lediglich die Existenz emergenter Merkmale nachgewiesen, der kognitive Prozess ihrer Elaboration aber nicht erläutert wird. Der Anspruch von V EGA M ORENO (2004, 2007) ist, diese Erläuterung durch eine relevanztheoretische Modellierung des Verstehensprozesses zu leisten. In der Darstellung wird Metaphernverstehen aus relevanztheoretischer Sicht einerseits als Erweiterung der Konzeptextension charakterisiert; andererseits wird als Beispiel dieser Erweiterung aber auch die komplette Substitution des sprachlich gegebenen Konzeptes bei der inferenzbasierten Konstruktion des Ad-hoc- Konzeptes zugelassen (V EGA M ORENO 2004: 307): “Because the encoded concept is merely a starting point for inference, there is no reason why it should not be adjusted to a point where the entities it is normally used to denote fall outside the denotation of the new ad hoc concept that results.” (V EGA M ORENO 2004: 314; vgl. 2007: 105) Dass mit dem Zulassen kompletter Konzeptsubstitutionen der theoretische Anspruch der Ableitbarkeit des Ad-hoc-Konzeptes aus dem sprachlich gegebenen Konzept (dem durch die Überlappung der Konzeptextensionen Rechnung getragen wurde) aufgehoben ist, wird - wie alle weiteren theorieinternen Problemstellungen auch - von V EGA M ORENO (2004, 2007) weder eingehend berücksichtigt noch überhaupt thematisiert. 3. Emergenz und pragmatische Verstehenstheorie 98 W ILSON und C ARSTON (2006), die sich ausdrücklich auf die Arbeiten von V EGA M ORENO (2004, 2005) und auch C ARSTON (2002) beziehen, schlagen eine andere Lösung vor, durch die die Ableitbarkeit gewährleistet werden soll. Auch bei W ILSON und C ARSTON (2006) werden innertheoretische Problemstellungen aber nicht diskutiert. Vielmehr wird das Emergenz-Problem nur behandelt, um zu zeigen, dass auch besondere Formen der Bedeutungserschließung wie das Metaphernverstehen 12 durch die relevanztheoretische Konzeption der inferenziellen Konstruktion von Ad-hoc- Konzepten (über Konzeptverengung und/ oder -erweiterung) erfasst werden können (s. W ILSON / C ARSTON 2006: 414, 418). 13 Für ihren Lösungsvorschlag gehen W ILSON und C ARSTON (2006: 426) von polysemen Adjektiven aus, die sich sowohl auf physische als auch psychologische Eigenschaften beziehen wie ‘hard’, ‘rigid’, ‘cold’ usw. Die psychologische Bedeutungsvariante soll dabei - motiviert durch analoge Erfahrungen mit Objekten und Personen 14 - eine Erweiterung der physischen sein (vgl. W ILSON / C ARSTON 2006: 424-427): “these metaphorically extended senses have arisen through broadening of the basic physical senses ( HARD , RIGID , COLD , etc.) to create superordinate concepts ( HARD *, RIGID *, COLD *, etc.) which are not purely psychological but have both physical and psychological instances.” (W ILSON / C ARSTON 2006: 426) 12 W ILSON und C ARSTON (2006: 419) grenzen dabei den relevanztheoretischen Ansatz von der Theorie der konzeptuellen Metaphern ab (s. Kap. 2.1.1). 13 Die Tendenz, den relevanztheoretischen Ansatz als omnipotenten Erklärungsansatz zu präsentieren, findet sich auch in den neuesten Publikationen: In W ILSON und C ARSTON (2007) soll gezeigt werden, wie mit der Konzeption von Ad-hoc-Konzepten das Verstehen von lexikalischen Einheiten im Äußerungskontext allgemein modelliert werden kann. In S PERBER und W ILSON (2008) soll gezeigt werden, dass das Etablieren metaphorischer Lesarten durch dieselben relevanztheoretischen Prinzipien und Prozeduren erläutert werden kann wie auch das Etablieren spezifischer wörtlicher Lesarten. Dies geschieht zudem mit dem Anspruch, der Kategorie des Metaphorischen jede Eigenständigkeit und Unterscheidbarkeit abzusprechen. Auf eine Kritik dieser und weiterer unplausibler Positionen muss ich an dieser Stelle verzichten. In beiden Arbeiten (W ILSON / C ARSTON 2007, S PERBER / W ILSON 2008) wird auch das Emergenz-Problem erwähnt und am Butcher/ Surgeon-Beispiel diskutiert. Da bei diesem Beispiel nicht wie beim Robert is a Bulldozer-Beispiel eine kategorielle Inkompatibilität zwischen den kombinierten Konzepten vorliegt, wird die Diskussion der Möglichkeit von Konzeptsubstitutionen ausgespart. 14 W ILSON und C ARSTON (2006) beziehen sich dabei auf frühe Arbeiten von A SCH : “Asch (1955, 1958) explores the idea that there is a unitary conceptual basis to the use of ‘cold’, ‘hard’, etc. to describe both physical and psychological properties. In his view, these inclusive concepts are grounded in our observations of and interactions with our fellow humans, aspects of whose behaviour and appearance we experience as relevantly similar to our experience of interacting with physically cold/ hard/ etc. objects.” (W ILSON / C ARSTON 2006: 426) 3.2 Das Emergenz-Problem aus der Perspektive der Relevanz-Theorie 99 Ausgehend von diesen Betrachtungen zu lexikalisierten Metaphern und deren konzeptueller Motivierung wird von W ILSON und C ARSTON (2006) im Hinblick auf das Emergenz-Problem für bestimmte Eigenschaftskonzepte allgemein die Möglichkeit der Etablierung von übergeordneten Konzepten postuliert, die sowohl physische als auch psychische Eigenschaften erfassen. Durch diese übergeordneten Konzepte soll die Ableitbarkeit der emergenten Merkmale aus den Merkmalen des sprachlich kodierten Konzeptes gewährleistet sein. Damit soll das bei Beispielen mit kategorialer Inkompatibilität (wie Robert is a bulldozer) gegebene grundlegende Problem gelöst werden, dass die im sprachlich kodierten Konzept vorhandenen Eigenschaften, die sich zur Etablierung der metaphorischen Bedeutung anbieten, selbst erst metaphorisch gedeutet werden müssen, indem das Konzept insgesamt personifiziert wird (s. auch C ARSTON 2002: 351; V EGA M ORENO 2007: 81-84). W ILSON und C ARSTON (2006: 428) geben in ihrer Darstellung des Bulldozer-Beispiels folgende konzeptuelle Repräsentation der enzyklopädischen, also nicht-distinktiven, nicht-definitorischen Merkmale von BULLDOZER an: BULLDOZER : Encyclopaedic assumptions a. LARGE ; POWERFUL ; CRUSHING ; DANGEROUS TO BYSTANDERS , etc.; b. LOOKS LIKE THIS : [ XXX ]; MOVES LIKE THIS : [ YYY ], etc.; c. GOES STRAIGHT AHEAD REGARDLESS OF OBSTACLES , etc.; d. PUSHES ASIDE OBSTRUCTIONS ; DESTROYS EVERYTHING IN ITS PATH , etc.; e. HARD TO STOP / RESIST FROM OUTSIDE ; DROWNS OUT HUMAN VOICES , etc. W ILSON und C ARSTON kommentieren, dass einige der Merkmale direkt auch auf Personen zutreffen und dass andere sowohl als physische, als auch als psychische Eigenschaften gedeutet werden können (W ILSON / C ARSTON 2006: 428). Zu der Repräsentation ist zu sagen, dass viele der Eigenschaften bereits als Personifikationen (z. B. “ POWERFUL ” und “ CRUSH- ING ”) bzw. als die Person des Fahrers involvierende Charakterisierungen (z. B. “c. GOES STRAIGHT AHEAD REGARDLESS OF OBSTACLES ” und “d. PUSHES ASIDE OBSTRUCTIONS ”) formuliert sind, um die psychische Lesart zu motivieren. Im Verstehensprozess werden W ILSON und C ARSTON zufolge für die physisch und psychisch zu verstehenden Eigenschaften Ad-hoc- Konzepte konstruiert (z. B. POWERFUL *, CRUSHING * etc.), die als übergeordnete Konzepte beide Eigenschaftsarten erfassen: Die Äußerung Robert is a bulldozer kann demgemäß verstanden werden als “asserting that Robert is a BULLDOZER * (where a BULLDOZER * is POWERFUL *, CRUSHING *, GOES AHEAD REGARDLESS OF OBSTACLES *, etc.)” (W ILSON / C ARSTON 2006: 428). Ob das Ad-hoc-Konzept BULLDOZER* sowohl Exemplare des Raupenfahrzeugs als auch Personen mit den relevanten psychischen Eigenschaften 3. Emergenz und pragmatische Verstehenstheorie 100 erfasst - wie es gemäß dem relevanztheoretischen Ansatz der Konzeptanpassung durch Extensionserweiterung (und/ oder -verengung) zu erwarten wäre - wird von W ILSON und C ARSTON (2006) nicht thematisiert. Die Etablierung eines solchen übergeordneten Ad-hoc-Konzeptes BULLDOZER* scheint im Hinblick auf die angebotene Argumentation aber folgerichtig zu sein. Mit Hilfe dieses Konzeptes würde dem relevanztheoretischen Konzeptanpassungsansatz zwar entsprochen, psychologisch plausibel wäre dieses Ad-hoc-Konzept aber nicht: Es zeigt deutlich die Schwächen eines auf Erweiterung (und/ oder -verengung) der Konzeptextensionen abzielenden Metaphernverständnisses: Metaphorische Äußerungen werden allgemein in dem Sinne verstanden, dass ein KONZEPT 1 (z. B. PERSON) durch das In-Beziehung-Setzen mit einem KONZEPT 2 (z. B. BULLDOZER) charakterisiert wird, wobei die spezifische Relation in der Regel gedeutet wird als KONZEPT 1 IST WIE KONZEPT 2 HINSICHTLICH DER MERK- MALE Z. Entscheidend sind nicht gegenseitige Extensionsüberschneidungen, sondern gemeinsame Merkmale oder aber Analogien zwischen den beiden Konzepten, über die geeignete Merkmale inferiert werden können (die Analogien müssen nicht per se existieren, sondern können durchaus erst im Verstehensprozess aktiv konstruiert werden) (s. auch S KIRL / S CHWARZ -F RIESEL 2007: 56-60). Das Postulieren eines Ad-hoc-Konzeptes KONZEPT 2 *, unter das sowohl KONZEPT 1 als auch KONZEPT 2 fallen, ist deshalb für die Modellierung des Metaphernverstehens im Allgemeinen unnötig, irreführend und ontologisch unplausibel. 15 Genauso unplausibel ist aber auch das Postulieren von übergeordneten Eigenschaftskonzepten, die einerseits physische und andererseits psychische Eigenschaften erfassen. Die behauptete Ableitbarkeit der psychischen Eigenschaften aus den physischen wird in der Modellierung von W ILSON und C ARSTON (2006) allein dadurch gewährleistet, dass sie zur Benennung polyseme Lexeme verwenden, die sowohl in Bezug auf physische als auch auf psychische Eigenschaften verwendet werden. Die Menge der möglichen emergenten Merkmale wird dadurch unzulässig und stark eingeschränkt. Mit Hilfe der Modellierung von W ILSON und C ARSTON (2006) können deshalb z. B. die emergenten Merkmale, die C ARSTON (2002) und V EGA M ORENO (2007) für das Verstehen von Robert is a bulldozer nennen, 15 Der relevanztheoretische Ansatz weist viele Parallelen zum Referenzverdopplungsansatz von G LUCKSBERG und Mitarbeitern auf (vgl. W ILSON / C ARSTON 2006: 414), den ich aus ähnlichen Gründen für ungeeignet halte, eine adäquate Modellierung des Metaphernverstehens leisten zu können (s. Kap. 2.2). Mittels des relevanztheoretischen Ansatzes der Anpassung der Konzeptextensionen können auch Metonymien nicht adäquat erläutert werden (vgl. W ILSON / C ARSTON 2007: 253 f.). 3.2 Das Emergenz-Problem aus der Perspektive der Relevanz-Theorie 101 nicht hergeleitet werden, da diese Merkmale durch Lexeme wiedergegeben werden, die sich ausschließlich auf psychische Eigenschaften beziehen: “obstinacy, insensitivity, refusal to be deflected, not listening to other people’s views, ruthlessness in pursuing his own interests, etc.” (C ARSTON 2002: 350); “disrespectful, obstinate, undermine people’s feelings and thoughts, etc.” (V EGA M ORENO 2007: 97) Die Darstellung von W ILSON und C ARSTON (2006) soll eine Lösung für das Emergenzproblem bieten, sie stellt aber lediglich eine idealisierende und defektive Neuformulierung von einigen Aspekten des Emergenzproblems dar. Diese Neuformulierung soll die Beschreibungsadäquatheit des relevanztheoretischen Ansatzes auch für besondere Formen der Bedeutungskonstruktion wie das Metaphernverstehen aufzeigen, offenbart aber eher dessen Schwächen und besitzt im Hinblick auf das Emergenzproblem keine Erklärungskraft. — Kritische Zusammenfassung Die Auseinandersetzung der Relevanz-Theorie mit dem Emergenz-Problem belegt, dass auch innerhalb dieser Pragmatiktheorie keine befriedigende Lösung für die Erklärung des Zustandekommens emergenter Merkmale geboten wird. Mehr noch lassen sich anhand des Emergenz- Problems grundlegende Vagheiten und Widersprüche des relevanztheoretischen Ansatzes besonders gut aufzeigen. Ich fasse die wichtigsten Ergebnisse meiner Analyse zusammen: 1. Die in der Relevanz-Theorie vorgeschlagene Unterscheidung in explizit Kommuniziertes (Explikatur) und implizit Kommuniziertes (Implikatur) ist unpräzise und widersprüchlich. Sie kann nicht zur Erhellung der Bedeutungskonstruktion an der Schnittstelle von Semantik und Pragmatik beitragen. 2. Die in der Relevanz-Theorie postulierte Verstehensprozedur ist wie auch der verwendete Inferenz-Begriff vage und sanktioniert jede (als relevant postulierte) Art von Bedeutungszuweisung. 3. Die relevanztheoretische Modellierung der kontextabhängigen Konstruktion eines Ad-hoc-Konzeptes durch Extensionserweiterung und/ oder -verengung lässt sich für das Metaphernverstehen im Allgemeinen und für das Elaborieren von emergenten Merkmalen im Besonderen nicht aufrecht erhalten. Auch die Erläuterung verschiedener Beispiele ist nicht weiterführend, da (wie bereits in Fußnote 9 erwähnt) in der Relevanz-Theorie die Bedeutsamkeit der Kontextabhängigkeit für das Sprachverstehen zwar betont, 3. Emergenz und pragmatische Verstehenstheorie 102 aber nicht anhand von Analysen authentischer Sprachdaten belegt wird (s. Kap 5.2.2). Im nächsten Kapitel diskutiere ich das Verstehen metaphorischer Äußerungen als ein Phänomen der Schnittstelle von Semantik und Pragmatik. Dabei werde ich, ausgehend von einem Modell der Bedeutungsebenen, eine Abgrenzung von Semantik und Pragmatik vornehmen und den Phänomenbereich ihrer Schnittstelle erläutern. Vor diesem Hintergrund kann - im Gegensatz zur relevanztheoretischen Modellierung - das Zustandekommen emergenter Merkmale beim Metaphernverstehen präzise erläutert werden. 4. Metaphernverstehen an der Semantik- Pragmatik-Schnittstelle 4.0 Vorbemerkungen Mein Ziel in diesem Kapitel ist es, das Verstehen von nicht-lexikalisierten Metaphern als ein Phänomen der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle zu charakterisieren, um so einerseits das Metaphernverstehen komplexer beschreiben und erklären und andererseits exemplarische Einsichten in die Funktionsweise der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle erhalten zu können. Weder eine rein semantische noch eine rein pragmatische Analyse der Metapher werden dem Phänomen in seiner Gesamtheit und Komplexität gerecht: Eine rein semantische Analyse neuartiger Metaphern lässt die pragmatische Steuerung und die Kontextabhängigkeit der Metapherninterpretation außer Acht und kann viele Fälle von Metaphern entweder erst gar nicht erkennen oder nicht analysieren. Eine rein pragmatische Analyse unterschätzt den Einfluss expliziter semantischer Information im Kotext. Außerdem birgt sie die Gefahr, den Unterschied zwischen dem Aussagegehalt, der mit einer Metapher ausgedrückt werden soll, und der Illokution, die mit diesem Aussagegehalt verknüpft ist, zu verwischen. Nicht-lexikalisierte Metaphern eröffnen einen Problembereich, an dem sich exemplarisch das Verhältnis von kontextinvarianter, kompositionell errechneter Satzbedeutung und kontextspezifisch erweiterter Äußerungsbedeutung aufzeigen lässt. Die Modellierung des Metaphernverstehens als Phänomen der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle kann so einen wichtigen Beitrag zur Abgrenzung von Semantik und Pragmatik, zur Bestimmung ihres Verhältnisses und zur Klärung der Funktionsweise ihrer Schnittstelle beitragen. Für die Emergenz als Phänomen der Semantik ist die Bestimmung des Zusammenwirkens von Semantik und Pragmatik entscheidend. Erst vor diesem Hintergrund kann das Auftreten emergenter konzeptueller Merkmale beim Metaphernverstehen präziser erfasst werden. 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik 4.1.1 Bedeutungsebenen und die Schnittstelle von Semantik und Pragmatik Die Abgrenzung von Semantik und Pragmatik sowie die Bestimmung ihrer Schnittstelle sind nach wie vor aktueller Gegenstand kontroverser Diskus- 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 104 sionen. 1 Die vorgetragenen Positionen sind dabei keineswegs nur dem Bedürfnis geschuldet, konkurrierende Theorien gegeneinander zu behaupten, sondern sie sind empirisch durch die Komplexität des Phänomenbereichs sprachlich vermittelter Bedeutung begründet. 2 Für meine eigene Positionierung hinsichtlich des Verhältnisses von Semantik und Pragmatik gehe ich von der grundlegenden Unterscheidung unterschiedlicher Bedeutungsebenen nach B IERWISCH (1979) aus, denen Semantik, Pragmatik und ihre Schnittstelle zugeordnet werden können. B IERWISCH s klassische Dreiteilung der Bedeutungsebenen verwende ich, weil mit ihrer Hilfe viele der Probleme, die in semantischen und pragmatischen Theorien auftreten, die nur zwei Bedeutungsebenen annehmen (s. z. B. B UBLITZ 2001), ausgeräumt werden können (vgl. weiter unten). Das zeigt sich gerade auch bei der Modellierung des Verstehens von metaphorischer Bedeutung, die auf verschiedenen Bedeutungsebenen anzusiedeln ist. B IERWISCH unterscheidet grundsätzlich zwischen den Ebenen: 3 1. der sprachlich determinierten Bedeutung B(A) eines komplexen Ausdrucks A, 2. der Äußerungsbedeutung M(t) (wobei t ein Äußerungsexemplar von A in einem konkreten Kommunikationskontext C ist) und 3. dem kommunikativen Sinn CS(t), der t vor dem Hintergrund des Kommunikationskontextes C zukommt. (B IERWISCH 1979: 122 f.) Die sprachlich bestimmte Bedeutung B(A) kann auch als Ausdrucksbedeutung oder, da es sich bei A in der Regel um Sätze handelt, als Satzbedeutung bezeichnet werden. Die Äußerungsbedeutung ist die aktuelle Bedeu- 1 Siehe z. B. die Bände der Schriftenreihe Current Research in the Semantics/ Pragmatics Interface (= CRISPI) (z. B. T URNER 1999, P EETERS 2000, L EEZENBERG 2001, v. H EUSIN - GER / T URNER 2006, P IETARINEN 2007). Siehe auch Bianchi (2004), S ZABÓ (2005). 2 Dieser Umstand wird nicht immer beachtet. Ich greife als beliebiges Beispiel G LO- NING s Entwurf einer „handlungstheoretischen Semantik aus linguistischer Sicht“ (Untertitel von G LONING 1996) heraus. G LONING trennt nicht klar und nachvollziehbar zwischen verschiedenen Bedeutungsebenen, sondern vermischt das durch die Satzbedeutung repräsentierte semantische Potenzial mit der aktuellen Bedeutung und dem Handlungswert von Äußerungen ( S . Z . B. G LONING 1996: 383 f.). Das verwundert umso mehr, als er der „Diskussion um die Abgrenzung von Semantik und Pragmatik […] als einzig produktives Ergebnis“ zugesteht, „daß nunmehr klarer ist als vorher, welche Aspekte in einer Bedeutungstheorie und in einer umfassenderen Theorie der Verständigung berücksichtigt sein müssen“ (G LONING 1996: 384). Eine klare Position zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik hält G LONING (unbegründet) für entbehrlich: „Die Frage der Abgrenzung selbst ist nach wie vor umstritten, aber letztlich - sieht man einmal von den Schwierigkeiten bei der Zuteilung von Bibliothekssignaturen ab - auch nicht sehr erheblich“ (G LONING 1996: 384). 3 Die Dreiteilung ist allgemein anerkannt (s. z. B. M EIBAUER 2001, S TEINBACH 2002, S CHWARZ 2008; auch L ÖBNER 2003 diskutiert sie, nennt aber nicht die Quelle). 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik 105 tung, die bei Verwendung eines Satzes in einem spezifischen Kommunikationskontext etabliert wird. Dieser Kontext „kann, muss aber nicht eine kommunikative Situation sein. Aus diesem Gesamtkontext werden bestimmte Informationen ausgewählt, die für die situationsabhängige Interpretation von A eine Rolle spielen“ (B IERWISCH 1979: 129). Ich verwende den Begriff des Kommunikationskontextes sowohl für konkrete kommunikative Situationen (wie z. B. Telefongespräche) als auch für das Textverstehen: Sobald ein Rezipient sich auf die Verarbeitung eines Textexemplars einlässt, ist damit ein Kommunikationskontext etabliert. Mit dem kommunikativen Sinn CS(t) identifiziert B IERWISCH vor allem die „kommunikative Absicht“ (B IERWISCH 1979: 125), die „Kommunikationsintention“ (B IERWISCH 1979: 127). Von wesentlicher Bedeutung für den kommunikativen Sinn ist demnach die Illokution (B IERWISCH 1979: 144). Folgendes Beispiel soll die Zusammenhänge verdeutlichen: (43) »Man steht voller Bewunderung vor der Weisheit der Wähler.« Helmut Kohl nach der Bundestagswahl [1983] (Worte des Jahres, DIE ZEIT 9, 23.02.2006, Sonderbeilage 60 Jahre DIE ZEIT, Teil 2, 18) Die Satzbedeutung B(A) von (43) lässt sich in dem Sinne paraphrasieren, dass eine nicht näher charakterisierte Person oder Personengruppe sich voller Bewunderung zeigt für die Weisheit nicht näher charakterisierter, dafür aber definit bezeichneter Wähler. Die Äußerungsbedeutung M(t) im genannten Kommunikationskontext enthält die Referenzfestlegung, dass man auf den Sprecher Helmut Kohl selbst referiert (oder pars pro toto auf die durch ihn vertretene politische Gruppe) und dass Wähler auf die Unions-Wähler bei der Bundestagswahl 1983 referiert. Der kommunikative Sinn CS(t) besteht neben der grundlegenden Illokution FESTSTELLUNG vor allem in der AUFWERTUNG der Person des Sprechers bzw. der politischen Gruppe, für die er steht. B IERWISCH hat die vorgestellte Einteilung im Hinblick auf folgendes Theoriengefüge vorgeschlagen: (a) Eine Theorie der Sprache hat die lautliche, die morphologisch-syntaktische und die logische Struktur der Sprache zu erfassen. (b) Eine Theorie der Alltagskenntnis hat den Aufbau konzeptueller Systeme zu erfassen, die die perzeptive, kognitive und motorische Verarbeitung der Umwelt determinieren. (c) Eine Theorie der sozialen Interaktion hat die Strukturen interindividueller Handlungen zu erfassen, unter denen kommunikative Handlungen ein Teilsystem bilden. (B IERWISCH 1979: 121) Jeder Bereich muss dabei „eine Theorie der Kompetenz und eine Analyse der Performanz enthalten“ (B IERWISCH 1979: 121). B IERWISCH bezeichnet die 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 106 „theoretische Beschreibung der Kenntnisstrukturen, die in jedem der drei Bereiche aus den entsprechenden Erwerbs- und Sozialisationsprozessen hervorgehen, […] mit G (für Grammatik), K (für Alltagskenntnis) und I (für soziale Interaktionsmuster).“ (B IERWISCH 1979: 121) Mit der „logischen Struktur“ unter (a) ist die semantische Beschreibung gemeint, die B IERWISCH zufolge auch unter die „Grammatik G“ fällt. G ist für die Beschreibung der Satzbedeutung B(A) verantwortlich, die sich nach dem Kompositionalitätsprinzip (s. weiter unten Kap. 4.1.3) aus den Bedeutungen der einzelnen Lexeme und der Art ihrer morphologisch-syntaktischen Kombination ergibt. Die Alltagskenntnis K ist dafür verantwortlich, dass die zumeist unterspezifizierte Bedeutung B(A) bei ihrer Überführung in die Äußerungsbedeutung M(t) des Äußerungsexemplars t von A auf eine spezifische Referenzstruktur abgebildet wird, die mit konzeptuellen Informationen angereichert ist, welche sich vor dem Hintergrund des Kommunikationskontextes C ergeben. Die Kenntnis sozialer Interaktionsmuster I schließlich ist entscheidend für den kommunikativen Sinn, der t im Hinblick auf C zugesprochen wird (s. a. B IERWISCH 1983a,b, 2008). — Semantik, Pragmatik und ihre Schnittstelle (aus Sicht der Äußerungssemantik) Die von B IERWISCH vorgenommenen Einteilungen lassen eine hinreichend präzise Zuordnung von Semantik und Pragmatik und eine Bestimmung ihrer Schnittstelle zu: Die Satzbedeutung fällt klar in den Bereich der Semantik, der kommunikative Sinn klar in den Bereich der Pragmatik. Die Äußerungsbedeutung stellt den Phänomenbereich der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle dar. Der deskriptive Gehalt der Äußerungsbedeutung (als Aussagegehalt) ist Gegenstand der Äußerungssemantik. Die von mir vertretene Position zum Gegenstand von Semantik und Pragmatik und zur Bestimmung ihrer Schnittstelle möchte ich wie folgt bestimmen: Den Kernbereich der Semantik fasse ich als das Teilgebiet der Linguistik auf, das sich (als Wort-, Satz- und Textsemantik) mit allen Aspekten der kontextunabhängigen Bedeutung befasst, die an sprachliche Ausdrücke gekoppelt ist. Traditionell steht dabei die Erforschung der denotativen, deskriptiven (d. h. der referenziellen, propositionalen und damit wahrheitswertfähigen) Bedeutung im Vordergrund. In der neuesten Forschung wird aber immer mehr auch die konnotative, sozial-expressive Bedeutung berücksichtigt, über die viele Ausdrücke konventionell verfügen (s. zu Konnotationen als emotionalen Bewertungen ausführlich 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik 107 S CHWARZ -F RIESEL 2007: 162-173, vgl. L YONS 1995: 64 f.). 4 Die Pragmatik bestimme ich dagegen als das Teilgebiet der Linguistik, das sich mit dem Handlungsaspekt, d. h. dem kommunikativ-funktionalen Aspekt von Sprache beschäftigt. Die genuine Fragestellung der Pragmatik ist die nach den Handlungszusammenhängen, in denen sprachliche Äußerungen stehen und den Handlungen selbst, die mit sprachlichen Äußerungen vollzogen werden (können). In Bezug auf die Satzebene fragt die Semantik vor allem, welchen deskriptiven Inhalt ein Satz repräsentiert, d.h. welches Referenz- und Propositionspotenzial er ausdrückt. Die Pragmatik fragt demgegenüber, welche Illokution mit dem Äußern einer Proposition verbunden wird, zum Vollzug welcher Handlung die Äußerung dient. Die aktuelle Bedeutung, die ein Exemplar eines Satzes ausdrückt, wenn er in einer konkreten Kommunikationssituation als Äußerung realisiert wird, wird weder allein von der Semantik (als der Theorie der kontextunabhängigen Bedeutung komplexer sprachlicher Ausdrücke) noch allein von der Pragmatik (als der Theorie des kontextabhängigen Handlungsgehalts sprachlicher Äußerungen) erfasst. Diese Ebene ist der Phänomenbereich der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle. Die von mir favorisierte Position vertritt z. B. auch S TEINBACH (2002), indem er die Äußerungsbedeutung sowohl der Semantik als auch der Pragmatik zuordnet: „Stark vereinfacht können wir die Faustregel festhalten, dass sich die Semantik mit der Satzbedeutung und der Äußerungsbedeutung beschäftigt. Die Äußerungsbedeutung und die intendierte Sprecherbedeutung [= der kommunikative Sinn, HS] sind Gegenstand der Pragmatik. Der propositionale Gehalt einer Äußerung wird demnach von Semantik und Pragmatik bestimmt.“ (S TEINBACH 2002: 175) Diese Position der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle wird aber nicht allgemein geteilt. Als Tendenz kann gelten, dass sowohl Semantiker als auch Pragmatiker den Gegenstandsbereich ihrer Disziplin durch Einbezug der Äußerungsbedeutung auszuweiten suchen. 4 Sozial-expressive Bedeutung kann bereits auf Satzebene in Form von stilistisch markierter Lexik auftreten. Dabei spielen vor allem stilschichtmarkierte Lexeme (die entweder zur gehobenen, umgangssprachlichen, saloppen oder zur vulgären Stilschicht gehören) eine entscheidende Rolle. Die Bedeutung dieser Lexeme umfasst in der Regel spezifische Konnotationen mit emotionalem Gehalt (wie ‘abwertend’ oder - seltener - ‘aufwertend’, vgl. F LEISCHER / M ICHEL / S TARKE 1996). Sozial-expressive Bedeutung kann aber auch in konkreten Kommunikationssituationen kontextabhängig entstehen. Das Lexem Reiskorn z. B. besitzt auf der kontextunabhängigen Sprachsystemebene keine Konnotation. Wenn es in einer Äußerung wie Dein Verstand ist ein Reiskorn gebraucht würde, könnte mit der metaphorischen Verwendung die expressive Illokution ABWERTUNG realisiert werden (vgl. weiter unten). 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 108 W UNDERLICH (1991) z. B. beansprucht die Äußerungsbedeutung grundsätzlich für die Semantik (ähnlich auch L ÖBNER 2003: 13): „Die Mehrheit der Linguisten wird wahrscheinlich ganz grob der Auffassung zuneigen, daß Äußerungsbedeutungen im wesentlichen in die Domäne der Semantik (also der Bedeutungstheorie) fallen, der kommunikative Sinn in die Domäne der Pragmatik (der Gebrauchstheorie, unter einer Lesart von ‘Gebrauch’).“ (W UNDERLICH 1991: 34) B UBLITZ (2001) dagegen nimmt die Äußerungsbedeutung für die Pragmatik in Anspruch (vgl. auch C ARSTON 2002, s. Fußnote 10): „In der Pragmatik fragen wir nach der Bedeutung einer Äußerung in ihrem sprachlichen wie außersprachlichen Kontext. Es ist dies die Frage danach, welche Bedeutung wir einer Äußerung im Gebrauch zuordnen, d. h. welche der potentiellen Bedeutungen wir aktualisiert sehen (oder welche andere Ad-hoc- Bedeutung wir verstehen).“ (B UBLITZ 2001: 16) B UBLITZ ordnet der Semantik lediglich die kontextunabhängige Bedeutung zu, indem er festlegt, „daß der Gegenstandsbereich der Semantik das vorkontextuelle Bedeutungspotential umfaßt, über das in einer Sprachgemeinschaft (weitgehend) Einigkeit besteht“ (B UBLITZ 2001: 12). Da die kontextunabhängige Satzbedeutung nur ein unterspezifiziertes Propositionspotenzial zur Verfügung stellt, das erst auf Äußerungsebene in eine spezifische Proposition überführt wird, der propositionale, also wahrheitswertfähige Gehalt aber traditionellerweise zur Semantik gehört, sollte als ein weiteres Teilgebiet der Semantik die Äußerungssemantik gelten, die sich mit der kontextabhängigen deskriptiven Bedeutung beschäftigt (s. L ÖBNER 2003: 21). Diese Bestimmung widerspricht nicht der Aussage, dass die Äußerungsbedeutung der Phänomenbereich der Semantik-Schnittstelle ist. Zur Etablierung der Äußerungsbedeutung wird stets pragmatisches Wissen herangezogen (s. zur Bedeutungskonstitution im kommunikativen Kontext allgemein D EPPERMANN 2002). Die Äußerungssemantik ist deshalb grundsätzlich eine pragmatisierte Semantik, die pragmatische Faktoren (Prinzipien und Wissensbestände) in ihre Untersuchungen einbeziehen muss. Die aktuelle Äußerungsbedeutung ist von den durch die Satzbedeutung gegebenen expliziten semantischen Informationen abhängig (und wird auch über explizite Informationen des satzexternen Kotextes gesteuert, die Teil des textsemantischen Potenzials sind; vgl. Kap. 5.2.2). Über die Aktivierung der entsprechenden Lexikoneinträge wird dabei immer auch das angekoppelte konzeptuelle Wissen der kognitiven Domänen mitaktiviert (vgl. Kap. 1.4.1). Die Äußerungsbedeutungen werden konstruiert, indem die semantischen Strukturen der Satzbedeutungen in mental repräsentierte 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik 109 Referenzstrukturen überführt werden, wobei die unterspezifizierten Satzbedeutungen durch konzeptuelles Wissen informationell angereichert werden: Die Äußerungssemantik ist demnach notwendigerweise innerhalb des Rahmens der kognitiven Semantik angesiedelt (s. S CHWARZ 1992, 1994a, 1995b, 2000). Die Spezifizierungen bei der Überführung der Satzbedeutung in eine Äußerungsbedeutung (die Disambiguierungen, Referenzfestlegungen, informationellen Anreicherungen etc.) sind auch von pragmatischem Wissen wie Diskurs- und Textsortenwissen (das ich als pragmatisches Wissen im engeren Sinne bezeichne) und oft auch von der Aktivierung von zusätzlichem konzeptuellem Weltwissen abhängig (das als pragmatisches Wissen im weiteren Sinne gelten kann). Indem ich nicht nur das Sprachhandlungswissen, sondern auch das zusätzlich aktivierte konzeptuelle Weltwissen zum pragmatischen Wissen zähle, vertrete ich eine weite Auffassung von Pragmatik. Das Hauptargument für eine solche weite Auffassung ist, dass bei der Sprachrezeption die Parameter der Kommunikationssituation stets einen Einfluss darauf ausüben, welche konzeptuellen Weltwissenbestände im Verstehensprozess einbezogen werden. Das gilt sowohl für das kommunikative Handlungsgefüge der mündlichen Kommunikation als auch für Textverstehensprozesse, in denen Wissen über Textsorten und deren pragmatische Funktionen die informationelle Anreicherung der über die semantische Textbasis gegebenen Informationen durch konzeptuelles Wissen erheblich beeinflusst. Insgesamt ergibt sich, dass nur im Zusammenwirken von Semantik und Pragmatik die Äußerungsbedeutung als aktuelle Bedeutung eines Satzexemplars konstruiert werden kann. Ich fasse auf der Grundlage des bisher Gesagten die Dreiteilung der Bedeutungsebenen und die Zuordnung von Semantik und Pragmatik in der Übersicht 1 zusammen: Satzbedeutung [Semantik] = kontextunabhängige, kompositionell errechnete semantische Bedeutung ( Propositionspotenzial, Referenzpotenzial) Äußerungsbedeutung [Äußerungssemantik; Semantik-Pragmatik-Schnittstelle] = kontextabhängige, aktuelle Bedeutung in einer Kommunikationssituation ( spezifische Proposition, festgelegte Referenzstruktur) Kommunikativer Sinn [Pragmatik] = kommunikativ-pragmatische Bedeutung, Handlungsgehalt der Äußerung ( Illokution/ en, die an die Äußerungsbedeutung geknüpft ist/ sind) Übersicht 1 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 110 Aus der Übersicht 1 wird deutlich, dass ich die Äußerungsbedeutung aus der Perspektive der Äußerungssemantik charakterisiert habe. Aus genuin pragmatischer Perspektive ist entscheidend, welches Illokutionspotenzial eine konkrete Äußerung zur Verfügung stellt und in welchem Verhältnis dieses Potenzial zu der tatsächlich als kommunikativem Sinn realisierten Illokution steht (wobei immer die Möglichkeit besteht, dass auf der Ebene des kommunikativen Sinnes, etwa bei indirekten Sprechakten, nicht nur eine, sondern verschiedene Illokutionen realisiert werden und relevant sein können). Das Illokutionspotenzial wird bereits auf der Satzbedeutungsebene durch illokutionäre Indikatoren (wie z. B. Satzmodus, performative Verben, Modalverben, Modalpartikeln) entscheidend mitbestimmt. Die Bestimmung der drei Bedeutungsebenen und die Zuordnung von Semantik und Pragmatik sind für das Metaphernverstehen von Belang. 5 Das betrifft schon die Identifikation metaphorischen Sprachgebrauchs und ist besonders wesentlich für dessen Verstehen. Wie ich in Kap. 4.2.1 zeigen werde, kann auf der satzsemantischen Ebene kein notwendiges und/ oder hinreichendes Kriterium postuliert werden, das eine metaphorische Wortverwendung auf Äußerungsebene voraussagen würde. Das Identifizieren metaphorischen Sprachgebrauchs ist bereits ein Gegenstand der Äußerungssemantik und damit der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle. Das Verstehen von metaphorischem Sprachgebrauch manifestiert sich sowohl auf der Ebene der Äußerungsbedeutung als auch auf der Ebene des kommunikativen Sinnes: Indem Rezipienten metaphorische Wortverwendung verstehen, legen sie einerseits fest, welchen Anteil die neuartige Metapher zur Äußerungsbedeutung beisteuert. Andererseits legen sie fest, welchen Einfluss die Metapher auf den kommunikativen Sinn ausübt, d. h. in welcher Weise sie sich auf die Illokution (bzw. die Illokutionen) auswirkt, die mit der Äußerungsbedeutung verbunden wird (bzw. werden). Dabei spielen emotionale Bewertungen als expressive Illokutionen eine besondere Rolle. 6 Das folgende Beispiel (44) soll die Zusammenhänge verdeutlichen: (44) »Ich bin der Jesus Christus der Politik, leidend, ich nehme alles auf mich, ich opfere mich für jeden.« Silvio Berlusconi, italienischer Ministerpräsident, zu seiner erneuten Kandidatur als Regierungschef (Worte der Woche, DIE ZEIT 8, 16.02.2006, Politik, 5) 5 Auch B IERWISCH (1979) hat das Verstehen von metaphorischer Bedeutung (als einem Spezialfall nicht-wörtlicher Bedeutung) in sein Modell einbezogen und erläutert (s. etwa B IERWISCH 1979: 130). 6 S. zu expressiven Sprechakten als Audruck emotionaler Bewertungen S CHWARZ - F RIESEL (2007: 27 u. passim). 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik 111 Satzbedeutung (Teil): ∃ x [JESUS CHRISTUS DER POLITIK (x)] Äußerungsbedeutung (Teil): - Referenzfestlegung: JESUS CHRISTUS DER POLITIK (b) b = Silvio Berlusconi - Verstehensergebnis: DIENER DER POLITIK (b) Kommunikativer Sinn: FESTSTELLUNG; VERSPRECHEN; AUFWERTUNG (b) Ich habe in der schematischen Darstellung die für das Verstehen der metaphorischen Verwendung von Jesus Christus wesentlichen Punkte aufgeführt. Die Anordnung der Bedeutungsebenen und vor allem auch die Trennung von Referenzfestlegung und Verstehensergebnis auf der Ebene der Äußerungsbedeutung dient dabei lediglich der besseren Übersichtlichkeit der Analyseaspekte und soll keine serielle Abfolge von Verstehensschritten suggerieren. Auf der Ebene der Satzbedeutung wird die Prädikation JESUS CHRIS- TUS DER POLITIK ausgedrückt, wobei deren Argument sprachlich explizit (durch ich) als Sprecher gekennzeichnet ist. Auf der Ebene der Äußerungsbedeutung wird die Referenzfestlegung getroffen, dass es sich beim Sprecher der Äußerung um den damaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi handelt. Die metaphorische Verwendung von Jesus Christus [der Politik] wird beispielsweise als DIENER DER POLITIK verstanden, wobei der sprachlich relevante Konzeptinhalt von DIENER durch die Bedeutung einer Lesart von Diener wie folgt paraphrasiert werden kann: „jmd., der in einem Gemeinwesen bestimmte Pflichten erfüllt, ein öffentliches Amt bekleidet“; „jmd., der sich […] Sache freiwillig unterordnet u. für sie wirkt“ (DDUW). 7 Einen entscheidenden Einfluss auf dieses Verstehensergebnis üben in (44) die kotextuellen Informationen „leidend, ich nehme alles auf mich, ich opfere mich für jeden“ aus. Auf der Ebene des kommunikativen Sinnes besteht neben den Illokutionen FESTSTELLUNG und VERSPRE- CHEN 8 die hauptsächliche Illokution darin, dass der Sprecher Berlusconi 7 Die Bedeutung könnte daher auch als Bündel von Einzelmerkmalen wie DIENEND, GEMEINNÜTZIG etc. wiedergegeben werden, vgl. meine Diskussion des Beispiels in Kap. 5.2.1. 8 Es handelt sich der grammatischen Form nach um einen assertiven Sprechakt. Indirekt handelt es sich auch um einen kommissiven Sprechakt: Der Sprecher verspricht implizit, sich politisch so zu verhalten, wie es die Aussage nahe legt (vgl. zur Realisierung verschiedenen Illokutionen S CHWARZ -F RIESEL 2007: 26-28). 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 112 sich durch die Äußerung von (44) aufzuwerten gedenkt. An der Illokution AUFWERTUNG hat die Metapher Jesus Christus einen entscheidenden Anteil, der aus den positiven Merkmalen des Konzeptes JESUS CHRISTUS resultiert. Das artifizielle Beispiel (45) soll veranschaulichen, dass die Verwendung einer anderen Metapher zu einem konträren kommunikativen Sinn führen kann, obwohl die Äußerungsbedeutung konstant bleibt: (45) Ich bin der Lastesel der Politik, leidend, ich nehme alles auf mich, ich opfere mich für jeden. Äußerungsbedeutung (Teil): - wörtliche Bedeutung: LASTESEL DER POLITIK (x) - metaphorische Bedeutung: DIENER DER POLITIK (x) Kommunikativer Sinn: FESTSTELLUNG; VERSPRECHEN; ABWERTUNG (x) Würde ein Politiker (45) äußern, so würde der Äußerung der kommunikative Sinn der ABWERTUNG zugesprochen: Der spezifische Bezug zum Konzept LASTESEL bewirkt diese Bewertung, da LASTESEL ein Tierkonzept ist, das bei Anwendung auf Menschen stets eine pejorative Evaluation zur Folge hat, wie es bei den meisten metaphorischen Charakterisierungen von Menschen durch Tierkonzepte der Fall ist (s. S TRAUSS 1991: 191-208). 9 Die Beispiele (44) und (45) zeigen, dass so unvereinbare Konzepte wie JESUS CHRISTUS und LASTESEL unter Umständen dieselbe propositionale Bedeutung (hier: DIENER) legitimieren können (die im vorliegenden Fall stark durch den Kotext „leidend, ich nehme alles auf mich, ich opfere mich für jeden“ determiniert wird). Im Zusammenhang meiner Arbeit, die der Perspektive der Äußerungssemantik verpflichtet ist, konzentriere ich mich auf den Beitrag, den die metaphorische Verwendung eines Ausdrucks zur spezifischen Proposition der Äußerungsbedeutung leisten kann. Mit den Auswirkungen des Verstehens metaphorischen Sprachgebrauchs auf den kommunikativen Sinn einer Äußerung befasse ich mich nur am Rande. Das Modell der Bedeutungsebenen nach B IERWISCH (1979) ist - wie gezeigt - sehr gut geeignet, die unterschiedlichen Bedeutungsbeiträge zu erfassen, die durch metaphorischen Sprachgebrauch ausgedrückt werden können. 9 Im Deutschen lässt sich die durch Lastesel zum Ausdruck gebrachte negative Bewertung auch im Phraseologismus Ich bin doch nicht dein Lastesel! nachweisen (vgl. DDUW). 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik 113 Die von mir am Beispiel des Metaphernverstehens untersuchten emergenten Bedeutungsmerkmale sind stets Teil der spezifischen Proposition der Äußerungsbedeutung. Im nächsten Kapitel erläutere ich das Verhältnis von Satzbedeutung und Äußerungsbedeutung unter dem Blickwinkel unterschiedlicher theoretischer Positionen zum Propositionsbegriff und diskutiere die damit verbundenen unterschiedlichen Positionen zum Verhältnis von Gesagtem und Impliziertem innerhalb der Pragmatik (vgl. Kap. 3). 4.1.2 Proposition als Gegenstand der Äußerungssemantik Ich habe im vorigen Kapitel anhand der Dreiteilung der Bedeutungsebenen nach B IERWISCH (1979) erläutert, dass die Semantik die kontextunabhängige Bedeutung von Sätzen und die Pragmatik den kommunikativen Sinn von Äußerungen untersucht und dass die Äußerungsbedeutung den Phänomenbereich der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle darstellt. Die Äußerungssemantik untersucht dabei vor allem die spezifische Proposition, die auf der Grundlage der Satzbedeutung durch pragmatische Anreicherungen auf der Äußerungsebene zustande kommt. (Die Pragmatik untersucht entsprechend auf der Ebene der Äußerung, welches Illokutionspotenzial über die Äußerungsbedeutung zur Verfügung gestellt wird.) Der Begriff der Proposition ist für die Äußerungssemantik wesentlich. Die von mir vorgeschlagene Verwendung des Propositionsbegriffs sowohl auf der Ebene der Satzsemantik (im Sinne von: Propositionspotenzial) als auch auf der Ebene der Äußerungsbedeutung (im Sinne von: spezifischer Proposition) ist nicht allgemein üblich und daher erläuterungsbedürftig. In Bezug auf den Propositionsbegriff ist festzustellen, dass es innerhalb der Linguistik keine gültige Übereinkunft über seine Bestimmung gibt (dies trifft genauso auf die Sprachphilosophie zu, s. M C G RATH 2005). W ASSNER (1992) hat in seiner umfangreichen Studie zur „‘Proposition’ als Grundbegriff der Linguistik“ die verschiedensten, sich oft gegenseitig ausschließenden Verwendungsweisen des Begriffs aufgezeigt (und für einen pragmatisierten Propositionsbegriff plädiert, der meiner Bestimmung der ‘spezifischen Proposition’ entspricht). An der unterschiedlichen Verwendung des Begriffs hat sich bis heute nichts geändert: Die Verwendungsweisen in Semantik und Pragmatik widersprechen sich zum Teil grundsätzlich (s. weiter unten). Meine Anwendung des Propositionsbegriffs sowohl auf der Ebene der Satzbedeutung als auch auf der Ebene der Äußerungsbedeutung stellt den Versuch dar, die semantische und pragmatische Begriffsverwendung wieder aufeinander zu beziehen und in Einklang zu bringen. Sie ist sachlich begründet durch die Tatsache, dass Propositionen sowohl 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 114 in semantischer als auch in pragmatischer Hinsicht als Sachverhaltsrepräsentationen beschrieben werden können (die Wahrheitsbedingungen bestimmen). In Bezug auf die Satzsemantik handelt es sich um kontextunabhängige Sachverhaltsrepräsentationen, im Hinblick auf die Äußerungssemantik und Pragmatik dagegen um Sachverhaltsrepräsentationen in einem spezifischen kommunikativen Kontext. Ich werde im Folgenden kurz zeigen, dass auch aus Sicht der Wahrheitsbedingungen-Semantik der Propositionsbegriff nicht bloß auf die kontextunabhängige Satzbedeutung bezogen werden sollte, da die Satzbedeutung die Proposition (und damit die Wahrheitsbedingungen) nicht in genügend spezifischer Weise festlegt. Des Weiteren werde ich zeigen, dass die Verwendung des Propositionsbegriffs in Pragmatik-Theorien zu kurz greift, wenn die Proposition zwar auf der Äußerungsebene angesiedelt, aber weitestgehend mit der durch den zugrunde liegenden Satz ausgedrückten Proposition gleichsetzt wird. Meine Sichtweise entspricht am ehesten der Position, die C ARSTON (1999, 2002) innerhalb der pragmatischen Relevanztheorie (s. S PERBER / W ILSON 1995) vorgeschlagen hat (s. zur Kritik an diesem Ansatz Kap. 3). C ARSTON verwendet allerdings für die Satzbedeutung - entgegen dem üblichen Gebrauch in der Semantik - nicht den Propositionsbegriff, sondern charakterisiert die Satzbedeutung als “the incomplete logical form decoded from the linguistic form” (C ARSTON 2002: 379). Diese Bestimmung ist mit meiner Charakterisierung der Satzbedeutung als Propositionspotenzial inhaltlich identisch. C ARSTON verwendet für semantische Strukturen nicht den Propositionsbegriff, weil sie davon ausgeht, dass diese noch keine hinreichend bestimmte Sachverhaltsrepräsentation zur Verfügung stellen: “The linguistic meaning of a phrase or lexical item is obviously not propositional, and the linguistic meaning of a sentence is also not generally, if ever, fully propositional” (C ARSTON 2004: 69). C ARSTON zeigt, wie die spezifische Proposition erst durch (oft sehr weit gehende) pragmatische Anreicherungen der Satzbedeutung zustande kommt (s. vor allem C ARSTON 2002). Im Gegensatz zu C ARSTON fällt für mich diese Anreicherung jedoch nicht allein in den Untersuchungsbereich der Pragmatik, 10 sondern vor allem auch in den der Äußerungssemantik (die stets pragmatische Anreicherungen in ihre Betrachtung einbezieht). Die zu besprechenden theoreti- 10 Schon der Titel von C ARSTON (2002), Thoughts and Utterances. The Pragmatics of Explicit Communication, und die Kapitelüberschriften verweisen darauf, dass für C ARSTON jede Form der kontextabhängigen Bedeutung in den Bereich der Pragmatik fällt. Sie erweckt insgesamt den Eindruck (s. z. B. C ARSTON 2002: 11, 95), dass die Semantik lediglich den Input (in Form der Satzbedeutung) für die Pragmatik bereitstellt und dass die Äußerungsbedeutung (trotz des semantischen Inputs) schon gänzlich in den Phänomenbereich der Pragmatik fällt. 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik 115 schen Positionen innerhalb der Pragmatik werde ich auch in Beziehung zur Dreiteilung der Bedeutungsebenen nach B IERWISCH (1979) setzen und zeigen, welche Aspekte von den jeweiligen Theorien ausgeklammert werden. Dabei gehe ich am Beispiel von S EARLE s sprechakttheoretischer Modellierung des Metaphernverstehens darauf ein, welche Auswirkungen die Verkürzungen in Bezug auf das Problem emergenter Bedeutung am Beispiel des Metaphernverstehens haben. — Proposition in der Wahrheitsbedingungen-Semantik In der wahrheitskonditionalen Semantik wird der aus der philosophischen Logik übernommene Begriff der Proposition traditionellerweise so bestimmt, dass mit der Proposition „der einzelsprachunabhängige, bezüglich des Illokutionstyps neutrale gemeinsame Nenner der Bedeutung von all den Sätzen bezeichnet [wird], die das Zutreffen ein und desselben Sachverhalts zum Inhalt haben“ (B USSMANN 2002: 542). Die Proposition ist der die Wahrheitsbedingungen festlegende (bzw. mit den Wahrheitsbedingungen identische) „Kern der Bedeutung eines Satzes“ (B USSMANN 2002: 542). 11 Unter Proposition wird also der kontextunabhängige, wahrheitswertfähige deskriptive Gehalt eines Satzes verstanden. Ein Problem ergibt sich dadurch, dass dieser Gehalt in der Regel unterspezifiziert ist, da die nach dem Kompositionalitätsprinzip kombinierten Lexembedeutungen selbst meist unterspezifiziert sind: Die Proposition lässt sich deshalb auf der Ebene der kontextunabhängigen Satzbedeutung nicht mit hinreichender Genauigkeit ermitteln. Hinzu kommt, dass ein und derselbe Satz aufgrund der Polysemie vieler Lexeme gänzlich unterschiedliche Propositionen zum Ausdruck bringen kann: (46) Der Läufer liegt vor der Bank. Der Satz (46) z. B. hat aufgrund der Verwendung der beiden polysemen Lexeme Läufer und Bank das Potenzial für vier unterschiedliche Propositionen, wie sie in Tabelle 1 aufgeführt sind: 11 Es ist für die Zwecke meiner Argumentation unnötig, die verschiedenen Facetten zu beleuchten, die dem Propositionsbegriff in den einzelnen Schulen „der Wahrheitsbedingungen-Semantik als [dem] vorherrschenden Paradigma der formalen linguistischen Semantik“ (v. S TECHOW / W UNDERLICH 1991a: V) zukommen. Gemeinsam ist allen diesen Auffassungen, dass sie die Proposition als kompositional errechneten, kontextunabhängigen deskriptiven Gehalt eines Satzes definieren und versuchen, diesen Gehalt mittels formaler Methoden modelltheoretisch zu erfassen. Vgl. die Bestimmungen des Propositionsbegriffs im Band 6, Semantik, der Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft ( V . S TECHOW / W UNDERLICH 1991), in dem ausschließlich wahrheitsfunktionale Ansätze berücksichtigt werden. 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 116 Der Läufer liegt vor der Bank. BANK SITZGELEGENHEIT (y) BANK GELDINSTITUT (y) LÄUFER SPORTLER (x) (1) LIEGEN VOR (x, y) (2) LIEGEN VOR (x, y) LÄUFER TEPPICH (x) (3) LIEGEN VOR (x, y) (4) LIEGEN VOR (x, y) Tabelle 1 Würde man (46) z. B. um zwei Dimensionsadjektive erweitern wie in (47), so wäre die Proposition (für jeden der vier in Tabelle 1 aufgeführten Fälle) unterbestimmt, da der spezifische deskriptive Gehalt von klein und groß nur in Bezug auf einen konkreten Kontext festgelegt werden kann. (47) Der kleine Läufer liegt vor der großen Bank. Da für Sätze im Normalfall keine hinreichend spezifische Proposition festgestellt werden kann und da sie, wenn sie polyseme Lexeme enthalten, oft mehrere grundsätzlich verschiedene Propositionen ausdrücken können, halte ich es für sinnvoller, vom Propositionspotenzial von Sätzen als von ihren Propositionen zu sprechen. Ansonsten müsste man Sätze, die polyseme Lexeme enthalten, wie z. B. (47), als eine Menge von grundsätzlich verschiedenen Sätzen auffassen, die dann jeweils eine Proposition ausdrücken. Die um eine präzise formale Erfassung von Propositionen bemühte Wahrheitsbedingungen-Semantik sieht sich vor erhebliche, wenn nicht unüberwindbare Schwierigkeiten gestellt, wenn sie Propositionen lediglich kontextunabhängig auf Satzbedeutungsebene zu modellieren versucht. 12 L YONS (1991) führt aus wissenschaftshistorischer Sicht an: „Die moderne Wahrheitsbedingungen-Semantik hat ihren Ursprung nicht in der Linguistik, sondern in der mathematischen Logik, ihre Gründungsväter Tarski und Carnap waren skeptisch bezüglich der Möglichkeit, sie auf die Beschreibung natürlicher Sprachen anzuwenden. Sie vertraten die Ansicht, daß sich natürliche Sprachen, die mit Vagheit, Inkonsistenz, Mehrdeutigkeit und Unbestimmtheit durchsetzt sind, nicht für dieselbe Art von präziser und vollständiger Analyse eignen würden wie konstruierte Sprachen, wie z. B. die Aussagen- oder die Prädikatenlogik.“ (L YONS 1991: 21) Die Wahrheitsbedingungen werden erst auf der Äußerungsebene in hinreichendem Maße spezifiziert. In neueren und neuesten formal-semantischen Modellierungen (s. z. B. D ÖLLING 2005: 159-167) wird dementsprechend berücksichtigt, dass Satzbedeutungen unterspezifiziert sind. Der Begriff 12 In formal-semantischen Ansätzen seit den 1970er Jahren, die von Richard M ONTA- GUE s Mögliche-Welten-Semantik ausgehen oder als Alternative zu ihr entwickelt wurden wie die Situationssemantik wird versucht, die Kontextabhängigkeit in der Formalisierung zu berücksichtigen (s. L YONS 1991: 21). 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik 117 der Proposition kann und sollte aus diesem Grund auch auf die Ebene der Äußerungsbedeutung bezogen werden: „Nicht Satzbedeutungen, sondern nur Propositionen, die mit Sätzen in konkreten Äußerungssituationen ausgedrückt werden, sind […] wahrheitsfähig. Die Frage nach Wahrheitswerten - wie auch nach möglichen Referenten einzelner Ausdrucksvorkommen - stellt sich deshalb erst dann, wenn kontext-abhängige Äußerungsbedeutungen vorliegen. Erst nach dem Vollzug von pragmatischen Inferenzen befindet man sich also in jenem Bereich, wo Wahrheitsbedingungen relevant sind. Das, was traditionell mit dem Terminus wahrheitskonditionale Semantik bezeichnet wird, hat daher mit bereits kontextuell spezifizierten Bedeutungen zu tun.“ (D ÖLLING 2004: 11) Im Gegensatz zu L YONS (1991: 23) halte ich eine Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik in Bezug auf Wahrheitsbedingungen 13 in folgender Weise für sinnvoll: Für Wahrheitsbedingungen sind die Satzsemantik und die Äußerungssemantik zuständig. Die Satzsemantik untersucht das kontextunabhängige Propositionspotenzial von Sätzen und die Äußerungssemantik die spezifische Proposition, die einem Satzexemplar zugeordnet wird, wenn er in einem konkreten Kommunikationszusammenhang als Äußerung realisiert wird. Die Äußerungsbedeutung stellt dabei zwar den Phänomenbereich der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle dar - die Frage nach der spezifischen Proposition und damit nach den Wahrheitsbedingungen der Äußerung ist aber eine genuin semantische Frage. In der Pragmatik, die sich nur mit der kontextabhängigen Bedeutung beschäftigt, wurde der Propositionsbegriff durch S EARLE (1969) von Beginn an auf die Ebene der Äußerungsbedeutung und nur auf diese bezogen. Auch aus dieser Sichtweise ergeben sich Probleme, die ich im Folgenden kurz erläutern möchte. — Proposition in der klassischen Pragmatik-Theorie: Gesagtes vs. Impliziertes In seiner Sprechakttheorie hat John R. S EARLE das Äußern der Proposition unter dem Terminus des ‘propositionalen Aktes’ als einen Teilakt des 13 Die Position von L YONS (1991) scheint vor allem durch die Tatsache begründet, dass er, anders als B IERWISCH (1979), nur von zwei Bedeutungsebenen ausgeht: „[...] es scheint wenig sinnvoll zu sein, die Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik - so wie dies viele Vertreter der Wahrheitsbedingungen-Semantik tun - nach dem Kriterium zu treffen, ob etwas auf der Basis von Wahrheitsbedingungen definierbar ist oder nicht. Wenn man schon eine deskriptiv nützliche Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik treffen möchte, dann sinnvollerweise eher auf der Grundlage der Unterscheidung von Satzbedeutung und Äußerungsbedeutung, wobei anerkannt werden sollte, daß beide Arten von Bedeutung Propositionales und Nicht- Propositionales beinhalten“ (L YONS 1991: 23; vgl. den folgenden Abschnitt). 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 118 Sprechakts gekennzeichnet: Der propositionale Akt setzt sich dabei aus den Teilhandlungen des Referierens (= festgelegte Referenz) und des Prädizierens (= Prädikation über die Referenten) zusammen (S EARLE 1969). A USTIN (1962), dessen Ansatz S EARLE modifiziert und weiterentwickelt, hatte diese Aspekte unter dem Terminus des ‘rhetischen Aktes’ beschrieben. Ein weiterer Teilakt des Sprechaktes, der für die pragmatische Theorie von besonderer Bedeutung ist, wird von S EARLE als ‘illokutionärer Akt’ bezeichnet. Er hat den an die Proposition geknüpften Handlungswert der Äußerung zum Inhalt, der als ‘Illokution’ bezeichnet wird. Das Problem des Ansatzes von S EARLE besteht nun darin, dass in ihm nicht wie von B IERWISCH (1979) eine Dreiteilung der Bedeutungsebenen angenommen wird, sondern dass lediglich eine Zweiteilung vollzogen wird, indem nur zwischen Satzbedeutung und Äußerungsbedeutung unterschieden wird (S EARLE 1979a). 14 Dabei ist die Zuordnung von Proposition und Illokution zu diesen Ebenen nicht zufriedenstellend geregelt. Das komplizierte Verhältnis zwischen dem durch einen Satz ausgedrückten Propositionspotenzial und der spezifischen Proposition, wenn das Satzexemplar als Äußerung realisiert wird, wird nicht genügend problematisiert. Zwar geht auch S EARLE davon aus, dass Satzbedeutungen nur unterspezifizierte Bedeutungsrepräsentationen und damit keine hinreichenden Wahrheitsbedingungen zur Verfügung stellen (S EARLE 1980: 227), dennoch ist in seinen Theorieentwürfen eine Gleichsetzung von Satzbedeutung und Äußerungsbedeutung unter folgender Bedingung festzustellen: “it seems that for Searle there is no distinction between utterance meaning and sentence meaning when the speaker means what she says” (C ARSTON 2002: 66, vgl. 64-70). 15 Wenn Gesagtes und Gemeintes aber auseinander fallen, wird deren Unterscheidung mit der zwischen Satzbedeutung und Äußerungsbedeutung gleichgesetzt. S EARLE (1979a) nennt als drei grundsätzliche Typen der Abweichung von Gesagtem und Gemeintem Metaphern, Ironie und indirekte Sprechakte (vgl. S EARLE 1979b). An diesen Typen lässt sich leicht zeigen, 14 Auch in der Implikaturentheorie von Paul G RICE (G RICE 1967, 1989a) werden - wie bei S EARLE (1979a) das Gesagte und das Gemeinte - lediglich zwei Bedeutungsebenen gegenübergestellt: G RICE unterscheidet zwischen dem ‘Gesagten’ (‘what is said’) und dem ‘Implizierten’ (‘what is implicated’) (s. z. B. die Diskussion in C ARSTON 2002: 101-116). 15 C ARSTON (2002: 66) weist auch darauf hin, dass S EARLE aufgrund dieser Gleichsetzung keine klare Trennung zwischen semantischem und konzeptuellem Wissen zieht: “he takes it that the speaker’s knowing of literal meaning that it applies only against a particular Background is part of her linguistic (semantic) competence. So there is no sharp distinction between a speaker’s semantic competence and her (background) knowledge of the world” (C ARSTON 2002: 66). 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik 119 dass die Abweichung der Satzbedeutung (hier: das explizit Gesagte) von der Äußerungsbedeutung (hier: das implizit Gemeinte) sich entweder auf den propositionalen Gehalt oder aber auch auf die Illokution beziehen kann. Bei Äußerungen, die metaphorisch verwendete Lexeme enthalten, weicht die Proposition der Äußerungsbedeutung im Hinblick auf diese Lexeme stark von der explizit ausgedrückten Proposition ab: (48) Der Professor ist ein Walross. Die metaphorische Verwendung von ein Walross in (48) könnte z. B. so verstanden werden, dass dem Referenten der NP Der Professor die Eigenschaften DICK und BEHÄBIG zugesprochen werden. Bei ironischen Äußerungen wird die Proposition der Äußerungsbedeutung als eine Negation der explizit ausgedrückten Proposition verstanden: (49) Der Professor ist aber schlank und schnell. Dementsprechend würde (49) als Fall von Ironie so verstanden, dass über den Referenten der NP Der Professor ausgesagt werden soll, dass er weder schlank noch schnell ist. Bei indirekten Sprechakten dagegen besteht der Unterschied darin, dass mit der Äußerungsbedeutung eine Illokution verknüpft wird, die nicht dem Illokutionspotenzial des explizit Ausgedrückten entspricht. (50) Du bist korpulent. Der Angesprochene der Äußerung (50) könnte sie als indirekten Sprechakt beispielsweise so deuten, dass mit ihr die Illokution AUFFORDERUNG (z. B. zum Abnehmen, Sport treiben, Ernährungsumstellung etc.) vermittelt werden soll, obwohl die explizit ausgedrückte Illokution lediglich FEST- STELLUNG ist. Metapher, Ironie und indirekter Sprechakt sind auch keine sich ausschließenden Kategorien, da sie problemlos miteinander kombiniert werden können: (51) Du bist eine Gazelle. Die Angesprochene der Äußerung (51) könnte sie z. B. als Fall von metaphorischer Ironie verstehen, falls sie weder schlank noch schnell ist und daraus auch ableiten, dass es sich um einen indirekten Sprechakt handelt, der die (nicht explizit ausgedrückte) Illokution AUFFORDERUNG (etwa zur Gewichtsabnahme und Beweglichkeitsverbesserung) vermitteln soll. An diesen Beispielen zeigt sich, dass die Identifikation von Satzbedeutung mit dem Gesagten und der Äußerungsbedeutung mit dem Gemeinten zu kurz greift, da sie auf der Ebene der Äußerungsbedeutung (im S EARLEschen Sinne) dazu führt, dass dort sowohl die spezifische Proposition als 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 120 auch die vermittelte Illokution angesiedelt werden. B URKHARDT (1990: 328) hat S EARLE deshalb zu Recht vorgeworfen, nicht zwischen propositionaler und illokutionärer Indirektheit (= Implizitheit) zu unterscheiden. 16 Mit der Dreiteilung der Bedeutungsebenen nach B IERWISCH (1979) ist dagegen eine präzisere Zuordnung möglich: Der Einfluss von metaphorischem oder ironischem Sprachgebrauch auf die spezifische Proposition der Äußerung spielt sich auf der Ebene der Äußerungsbedeutung ab; die durch einen indirekten Sprechakt zusätzlich vermittelte Illokution ist Teil der Ebene des kommunikativen Sinnes. Bevor ich in Kapitel 4.2 das Metaphernverstehen als Phänomen der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle im Einzelnen erläutere, will ich im nächsten Abschnitt noch die für semantische Theorien wesentliche Eigenschaft kompositioneller Bedeutungsberechnung diskutieren. 4.1.3 Kompositionalität und Emergenz Ich hatte bereits in den beiden vorangegangen Abschnitten darauf verwiesen, dass die Satzbedeutung kompositionell errechnet wird, ohne jedoch näher auf das Prinzip dieser Berechnung einzugehen. Im vorliegenden Kapitel möchte das für die Semantik grundlegende Kompositionalitätsprinzip zunächst charakterisieren und im Hinblick auf das Verhältnis von Satzbedeutung und Äußerungsbedeutung allgemein und auf emergente Bedeutungsanteile im Besonderen problematisieren. — Kompositionalitätsprinzip Das Kompositionalitätsprinzip - für das es sehr viele unterschiedliche Formulierungsvorschläge gibt - besagt in seinem Kern das Folgende: „die Bedeutung eines Satzes ist das Produkt der Bedeutung der Einheiten, aus denen er zusammengesetzt ist“ (L YONS 1991: 5). Das Prinzip ist keine moderne Erfindung, sondern wurde „de facto seit Jahrhunderten von den traditionellen Grammatikern stillschweigend vorausgesetzt“ (L YONS 1991: 5). 17 Die erste genauere Formulierung wird meist dem Logiker Gottlob F REGE 16 B URKHARDT (1990: 329) spricht sich dafür aus, Äußerungen, die Metaphern enthalten, als indirekte Sprechakte zu analysieren. Dieser untaugliche Vorschlag zeigt, dass auch er nur von einem Zwei-Ebenen-Modell der Bedeutung ausgeht und daher nicht klar die notwendige Trennung zwischen Äußerungsbedeutung und kommunikativem Sinn vollzieht (vgl. auch R OLF 2005: 140 f.). 17 Vgl.: Es „haben sich Gelehrte seit über zweitausend Jahren mit Grammatik (d. h. mit Syntax und Flexion) beschäftigt und beinahe während dieser ganzen Zeit als selbstverständlich vorausgesetzt, daß die Bedeutung eines Satzes das Produkt der ihn konstituierenden Wörter (genauer, seiner Lexeme) auf der einen und seiner grammatischen Struktur auf der anderen Seite sei“ (L YONS 1991: 4). 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik 121 zugeschrieben (s. z. B. B ARTSCH 2002: 571). Dagegen stellt VON S TECHOW fest, „daß Frege dieses Prinzip tatsächlich niemals explizit formuliert hat, daß es aber in mehreren seiner Argumente implizit vorhanden ist“ ( VON S TECHOW 1991: 95) und zitiert als einen Beleg den Beginn des dritten Teils, Gedankengefüge (1923), von F REGE s Logischen Untersuchungen: „Erstaunlich ist es, was die Sprache leistet, indem sie mit wenigen Silben unübersehbar viele Gedanken ausdrückt, daß sie sogar für einen Gedanken, den nun zum ersten Male ein Erdbürger gefaßt hat, eine Einkleidung findet, in der ihn ein anderer erkennen kann, dem er ganz neu ist. Dies wäre nicht möglich, wenn wir in dem Gedanken nicht Teile unterscheiden könnten, denen Satzteile entsprächen, so daß der Aufbau des Satzes als Bild gelten könnte des Aufbaus des Gedankens. […] Sieht man so die Gedanken an als zusammengesetzt aus einfachen Teilen und läßt man diesen wieder einfache Satzteile entsprechen, so wird es begreiflich, daß aus wenigen Satzteilen eine große Mannigfaltigkeit von Sätzen gebildet werden kann, denen wieder eine große Mannigfaltigkeit von Gedanken entspricht. Hier liegt es nun nahe zu fragen, wie der Aufbau des Gedankens geschieht und wodurch dabei die Teile zusammengefügt werden, so daß das Ganze etwas mehr wird als die vereinzelten Teile.“ (korrig. zit. n. VON S TECHOW 1991: 95) Mit der letztgenannten Bemerkung, dass das Ganze mehr ist als die einzeln betrachteten Teile spielt F REGE lediglich auf die syntaktische Anordnung der Wörter und auf ihre morphologische Markierung an und nicht etwa auf emergente Bedeutung, die stets nicht-kompositional ist und das Ganze deutlich gegenüber der Summe der Teile erweitert (siehe weiter unten). Im Bereich der Linguistik gilt die Standardtheorie der generativen Grammatik, die C HOMSKY in Aspects of the Theory of Syntax (1965) entworfen hat, als die erste explizite und ausführliche Auseinandersetzung mit der Kompositionalität der Satzbedeutung (L YONS 1991: 4). Die oben zitierte grundsätzliche Bestimmung des Kompositionalitätsprinzips von L YONS (1991: 5) kann mit einer Bestimmung VON S TE- CHOW s folgendermaßen präzisiert werden: „Die Bedeutung eines zusammengesetzten Ausdrucks ist eine Funktion der Bedeutungen seiner Teile und der Weise ihrer syntaktischen Verbindung“ ( VON S TECHOW 1991: 95). Mit dem Funktionsbegriff ist ein mathematischer Terminus eingeführt, der besagt, dass die Bedeutungsbestimmung regelgeleitet abläuft und zu einem durch die Regelhaftigkeit genau bestimmten Ergebnis führt (s. L YONS 1991: 5). Eine solche mathematische Auffassung der Kompositionalität ist für die formale linguistische Semantik zentral, da nur sie die Formalisierbarkeit und damit die Berechenbarkeit der Satzbedeutung gewährleisten kann (s. B ARTSCH 2002). Die Formulierung ist des Weiteren nicht nur auf die Ebene der Satzbedeutung bezogen, sondern gilt schon darunter auch für komplexe Ausdrücke, die zwar noch keinen selbständigen Satz bilden, 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 122 aber als Teile von Sätzen fungieren können. Die Formulierung wird so der im Kompositionalitätsprinzip angelegten Rekursivität gerecht: Die Bedeutung komplexer Ausdrücke (unterhalb der Satzebene) kann kompositional bestimmt werden. Wenn diese komplexen Ausdrücke zusammen einen Satz bilden, so ergibt sich die Satzbedeutung wiederum kompositional aus den Bedeutungen der kombinierten komplexen Ausdrücke. Noch präziser und formalisierter lässt sich das Kompositionalitätsprinzip mit VON S TE- CHOW (1991) so fassen: „Sei α ein Ausdruck, der mithilfe der syntaktischen Operation F aus den Ausdrücken β 1 ,..., β n gewonnen ist, d. h. α = F( β 1 ,..., β n ). Seien ferner b 1 ,...,b n die Bedeutungen von β 1 ,..., β n respektive. Sei schließlich G die semantische Operation, durch welche die syntaktische Operation F gedeutet wird, dann ist die Bedeutung von α gleich G(b 1 ,...,b n ).“ ( VON S TECHOW 1991: 97) Das Wesentliche an dieser Formulierung ist, dass klar zwischen dem syntaktischen und dem semantischen Aspekt der Kompositionalität unterschieden wird: Wenn Ausdrücke zu komplexen Ausdrücken kombiniert werden, so wird dies von der syntaktischen Funktion (= Operation oder Regel) geleistet: Sie legt die syntaktischen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den einzelnen Ausdrücken fest. Die Bedeutung des komplexen Ausdrucks wird von der semantischen Funktion in der Weise errechnet, dass die syntaktische Funktion semantisch gedeutet wird. Diese Deutung kann häufig aufgrund von syntaktischer Ambiguität Probleme aufwerfen. 18 Im Rahmen meiner Arbeit beschäftige ich mich aber nur mit Fällen, bei denen die semantische Deutung der syntaktischen Funktion auf Satzebene unproblematisch ist. Die semantische Deutung selbst ist jedoch auch oft mit Problemen verbunden. — Problemfälle der Kompositionalität Schwierigkeiten für die semantische Funktion ergeben sich immer aus der Tatsache, „dass die Bedeutungskomposition als […] Bottom-up-Prozess aufgefasst wird“ (L ÖBNER 2003: 18). Ein Bottom-up-Prozess „setzt bei den kleinsten Einheiten an und schreitet von dort zu den größeren fort“ (L ÖB- NER 2003: 18). Die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks ergibt sich aus 18 Vgl. z. B.: „So ist der Satz Jeder Student spricht zwei Sprachen doppeldeutig entsprechend zwei verschiedenen syntaktischen Ableitungen […]. […] Den beiden syntaktischen Ableitungen entsprechen zwei semantische Ableitungen gemäß dem Kompositionalitätsprinzip, denen zufolge es in der ersten Ableitung für jeden Studenten zwei, möglicherweise verschiedene Sprachen gibt, die er spricht, und in der zweiten Ableitung es zwei Sprachen gibt, die jeder Student spricht, z. B. Deutsch und Englisch.“ (B ARTSCH 2002: 571) 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik 123 der jeweiligen (syntaktisch festgelegten) Kombination der Bedeutungsbeiträge der Teile dieses Ausdrucks. Der mögliche Bedeutungsbeitrag eines Lexems ist dabei durch seinen semantischen Lexikoneintrag eindeutig vorherbestimmt. Der gegenteilige Fall, also ein Top-down-Prozess, wäre gegeben, wenn „sich die Bedeutung der Wörter aus der des ganzen Satzes ergeben“ würde (L ÖBNER 2003: 19, vgl. Kap. 5.1.1). Ein prominentes Beispiel für nicht-kompositionale Bedeutung sind idiomatische Redewendungen wie in (52) (s. zu Idiomen S KIRL / S CHWARZ - F RIESEL 2007: 42-48): (52) Nachdem Dietmar sieben Jahre lang an seiner Dissertation gearbeitet hatte, warf er die Flinte ins Korn. Die Bedeutung des Prädikats warf die Flinte ins Korn ergibt sich nicht kompositional aus den Bedeutungen der kombinierten Lexeme und ihrer syntaktischen Anordnung. Die Phrase die Flinte ins Korn werfen ist in ihrer Gesamtheit lexikalisiert und mit der Bedeutung „vorschnell aufgeben, verzagen“ (DDUW) versehen: Diese Bedeutung des lexikalisierten komplexen Teilausdrucks kann aber problemlos in die kompositionelle Berechnung des Gesamtsatzes einbezogen werden. Abgesehen von den Idiomen gibt es viele weitere, gewöhnliche Erscheinungen der Sprache, die bezüglich ihrer kompositionellen Berechenbarkeit Probleme bereiten: polyseme Lexeme, Dimensionsadjektive, deiktische Ausdrücke, Demonstrativ- und Personalpronomen etc. B IERWISCH (1983b: 79) diskutiert z. B. folgenden Satz: (53) Hans hat die Schule verlassen und ist {ans/ ins} Theater gegangen. B IERWISCH (1983b: 79) führt aus, dass im ersten Teilsatz von (53) für das polyseme Lexem Schule (vgl. DDUW) zwei Lesarten möglich sind: Schule kann entweder im Sinne von Schulgebäude oder von Lehrinstitution verstanden werden. Jede der Lesarten hat wiederum Auswirkungen auf das Verständnis von verlassen. Im zweiten Teilsatz ist durch den Unterschied von ans Theater und ins Theater eine lexikalische Differenzierung gegeben, die sich auf das Verstehen von Schule im ersten Halbsatz auswirkt: ans Theater schließt die Lesart Schulgebäude aus, wohingegen ins Theater die Lesart Lehrinstitution ausschließt. Daraus folgt nun: „[D]ie Interpretation des ersten Halbsatzes hängt von der des zweiten Halbsatzes ab; was ‘Hans hat die Schule verlassen’ zur Bedeutung von m [= der Äußerungsbedeutung, HS] beiträgt, wird erst durch die zweite [Satz-]Hälfte […] entschieden.“ (B IERWISCH 1983b: 79) B IERWISCH stellt nun zwei verschiedene theoretische Behandlungen des Problems gegenüber: Zum einen könnte man sagen, die satzsemantische 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 124 Interpretation von (53) sei „nicht strikt kompositionell“, denn die „Interpretation der Teile kann in bestimmten Punkten auch von der Interpretation übergeordneter Einheiten abhängen, nicht nur umgekehrt“ (B IERWISCH 1983b: 79). Zum anderen könnte folgende Sichtweise gewählt werden: „Wenn wir den Kontext ct als gegeben betrachten, dann kann die Fortsetzung des ersten Halbsatzes […] nur in dem jeweils mit entweder ‘ins Theater’ oder ‘ans Theater’ verträglichen Kontext interpretiert werden. Mit anderen Worten, relativ zum Kontext des Gesamtsatzes ist auch für den ersten Halbsatz nur jeweils eine bestimmte Variante möglich. Damit ist die Interpretation der Teile - relativ zum Kontext - voll bestimmt und die Kompositionalität gilt im strikten Sinn.“ (B IERWISCH 1983b: 79) B IERWISCH legt sich selbst auf keine der beiden Versionen fest, sondern stellt sie zur Diskussion (B IERWISCH 1983b: 79). Wenn wir auf der Ebene der Satzbedeutung verbleiben, so gibt es für mich keinen Grund zu der Annahme, dass sich die Bedeutung des ersten Teilsatzes nicht strikt gemäß dem Kompositionalitätsprinzip ergibt. Wenn, wovon ich ausgehe, die Satzbedeutung lediglich ein Propositionspotenzial darstellt, die kompositionelle Berechnung also nur eine unterspezifizierte Bedeutungsrepräsentation zur Verfügung stellt, so ist es auf der Satzbedeutungsebene überhaupt nicht notwendig, schon eine spezifische Lesart von Schule festzulegen. Dies wird erst notwendig auf der Ebene der Äußerungsbedeutung. Die Äußerungsbedeutung und nicht die Satzbedeutung aber hat B IERWISCH im Sinn, 19 was leicht übersehen werden kann, da für die Bedeutungsgenerierung ausschließlich der Kotext (den B IERWISCH als den „Kontext des Gesamtsatzes“ bezeichnet) eine Rolle spielt. Hier und in den weiteren in diesem Abschnitt besprochenen Theorien wird nicht scharf zwischen sprachlich explizitem Kotext und implizitem Kontext getrennt, sondern der Kontext-Begriff sowohl auf sprachlich explizite Informationen als auch auf die durch die Kommunikationssituation gegebenen impliziten Informationen bezogen. (Bei der Darstellung dieser Theorien benutze ich deren Begriffsverwendung.) W UNDERLICH rechtfertigt diese Herangehensweise so: 19 Siehe dazu B IERWISCH s Begriffsbestimmungen: „In bezug auf einen bestimmten Interpretationszusammenhang, einen Kontext ct, wird der Äußerung u nun jeweils eine bestimmte kontextuell bedingte Bedeutung m zugeordnet. Damit wird u zu einer kontextinterpretierten Äußerung mu: (D2) mu = ins, pt, syn, sem , ct, m Sowohl der Kontext wie die Äußerungsbedeutung m sind dabei Repräsentationen, die durch das konzeptuelle System determiniert sind. Mit Ausnahme von ins [= Inskription, HS] sind alle damit identifizierten Komponenten einer Äußerung mu mentale Repräsentationen, also bestimmte Strukturen interner Zustände des Sprechers bzw. Hörers.“ (B IERWISCH 1983b: 65) 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik 125 „Der Begriff des Kontextes erfaßt […] primär Äußerungs- oder Situationskontexte. Man kann sich darunter aber auch sprachliche Kontexte vorstellen, deren Selektionswirkung auf die Äußerungsbedeutung oft ganz dieselbe ist wie die eines Situationskontextes. Daher ist es berechtigt, im Prinzip ganz undifferenziert von ‘Kontext’ zu sprechen.“ (W UNDERLICH 1991: 33) Ich verwende die strikte Unterscheidung zwischen Kotext und Kontext, damit die Unterschiede von expliziter (semantischer) und impliziter (pragmatischer) Information nicht verwischt werden. In den Theorien, die diesen Unterschied nicht machen, ist oft auch nicht hinreichend klar, ob die erzeugten Bedeutungsrepräsentationen noch als Satzbedeutungen oder schon als Äußerungsbedeutungen anzusehen sind. Die Frage nach der Kompositionalität der Äußerungsbedeutung kann verwundern, da in der Semantik das Kompositionalitätsprinzip traditionell nicht auf die konkrete Äußerungsbedeutung, sondern immer nur auf die Satzbedeutung bezogen wird. Ich gehe davon aus, dass nur die Satzbedeutung in jedem Fall kompositional errechnet wird (was ich weiter unten am Beispiel emergenter Bedeutung als Teil der Äußerungsbedeutung näher begründen werde). Daher stimme ich auch mit L ÖBNER s Sichtweise überein, dass die Äußerungssemantik „durch das Kompositionalitätsprinzip negativ definiert“ ist (L ÖBNER 2003: 21), weil sie das einzige Teilgebiet innerhalb der Semantik ist, in der das Kompositionalitätsprinzip nicht gilt, auch wenn die Äußerungssemantik natürlich auf die kompositional bestimmte Satzbedeutung zurückgreift. Die von B IERWISCH im Hinblick auf (53) erläuterte zweite Herangehensweise, die darin besteht, Kontextfaktoren in die Bedeutungsberechnung einzubeziehen und von einer strikten Kompositionalität auszugehen, wird in neueren textorientierten Semantikansätzen konsequent verfolgt (s. B ARTSCH 2002). Dabei hat sich in Bezug auf viele der für die kompositionelle Berechnung als problematisch angesehenen Phänomene - wie z. B. polyseme Lexeme, Dimensionsadjektive, deiktische Ausdrücke, Demonstrativ- und Personalpronomen - gezeigt, „dass man durch Einbezug von Kontextfaktoren die Gesamtbedeutung sehr wohl kompositionell aus den Bedeutungen der Teile, die durch bestimmte Kontexteigenschaften mitbestimmt sind, errechnen kann“ (B ARTSCH 2002: 573). Die Einbeziehung der Kontextabhängigkeit der Bedeutung wird in die formale Beschreibung einbezogen „mittels Kontextindizes, die per Gebrauchsfall aus dem Kontext spezifiziert werden und so in die kompositionelle Interpretation eingehen“ (B ARTSCH 2002: 576). B ARTSCH hat beispielsweise eine solche formale Analyse für Dimensionsadjektive vorgelegt: Jedem Dimensionsadjektiv wird prinzipiell ein Kontext-Index angewiesen, der dem Adjektiv „per Kontext oder thematischer Dimension“ eine spezifischere Bedeutung zuweist, so dass sich die 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 126 verschiedenen Bedeutungen modellieren lassen, wie sie z. B. stark in folgenden „verschiedenen Kontexten“ annimmt: „ein starker Mann, ein starker Trinker, ein starker Schnaps, ein starker Diskussionsbeitrag, ein starker Charakter, ein starker Wind, ein starker Glaube, ein starkes Tau“ (B ARTSCH 2002: 573). Bei der kontextabhängigen kompositionellen Berechnung mit Hilfe von Kontext-Indizes handelt es sich um eine modelltheoretische Formalisierung, die keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringt, denn die Kontextabhängigkeit der spezifischen Bedeutung von Lexemen ist ein bekanntes Phänomen. Und auch die Formalisierung selbst ist dabei problematisch, wie ich an folgender Einschätzung B ARTSCH s zeigen will: „Im Prinzip muss man bei allen Ausdrücken einen Kontext-Index mitführen, aber viele Ausdrücke sind stabil hinsichtlich verschiedener Kontexte und damit konstante Funktionen auf Kontext-Indizes: sie drücken per Kontext stets denselben Sinn aus, wie z. B. Frau, Kind, müde, verheiratet.“ (B ARTSCH 2002: 573) B ARTSCH s Bemerkung, man müsse prinzipiell für jeden Ausdruck einen Kontex-Index einführen, wird auch von ihren Gegenbeispielen nicht widerlegt. Das sollen folgende artifiziellen Beispiele deutlich machen, die von kompetenten Sprachteilnehmern problemlos verstanden und als angemessen akzeptiert werden dürften: (54) Der Name ist nicht eindeutig. Aber Arne ist eine Frau. (55) Karin ist eine echte Frau. (56) Birgit ist mit Jochen verheiratet. In ihrer Beziehung ist Jochen die Frau. (57) Elisabeth hat gerade ihr zweites Kind bekommen. Das erste Kind geht schon zur Schule. (58) Elisabeths Mann Dietrich ist leider noch ein Kind. (59) Dietrich ist auch mit seinem Computer verheiratet. (60) Das Internet ist heute sehr müde. In (54) besteht die Bedeutung von Frau darin, Arnes Zugehörigkeit zur Kategorie FRAU auszudrücken, in (55) und (56) dagegen besteht die Bedeutung von Frau in prototypischen Eigenschaften, die Frauen zugeschrieben werden. Dabei ist Frau in (56) nicht wörtlich, sondern metaphorisch gebraucht. In (57) wird Kind zweimal wörtlich, in (58) aber metaphorisch gebraucht. Die wörtlichen Bedeutungen in (57) sind kontextabhängig: Im ersten Fall referiert Kind auf ein Neugeborenes, im zweiten Fall auf ein Schulkind, also auf ein mindestens sechs Jahre altes Kind. Die metaphorische Bedeutung von Kind in (58) kann mit „charakterlich unreif“ paraphrasiert werden. In (56) und (60) wird verheiratet einmal wörtlich, (56), und einmal metaphorisch, (60), gebraucht, wobei auch die Bedeutungen unterschiedlich sind. In (60) schließlich ist müde metaphorisch gebraucht, wobei seine Bedeutung mit „langsam“ paraphrasiert werden kann. 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik 127 Die Beispiele zeigen, dass die spezifische Bedeutung schon bei wörtlichem Gebrauch kontextabhängig ist und dass dies für den metaphorischen Gebrauch erst recht gilt. B ARTSCH geht nun aber auch davon aus, dass sich metaphorische Bedeutung prinzipiell kompositionell erfassen lässt (B ARTSCH 2002: 573). Sie zeigt das am Lexem Fuchs, metaphorisch bezogen auf einen Menschen. Für die richtige Lesart ist der „Kontextparameter ‘thematische Dimension’ oder ‘Perspektive der Prädikation’“ entscheidend: Wird Fuchs vor dem Hintergrund der thematischen Dimension ‘Charaktereigenschaften’ benutzt, bedeutet es „schlau“, wird es in Bezug auf die thematische Dimension ‘Haarfarbe’ gebraucht, bedeutet es „rötlich“ (B ARTSCH 2002: 573). Das Beispiel ist insofern nicht weiterführend, als es sich bei den beiden metaphorischen Bedeutungsvarianten von Fuchs um bereits lexikalisierte Bedeutungen handelt. 20 Selbst für solche vergleichsweise einfachen Fälle der Kontextabhängigkeit ergibt sich aber das „grundsätzliche Problem, dass die relevanten Kontextfaktoren nicht ohne viel Weltwissen und Erfahren [sic! ] zu erkennen sind und darum nicht vollständig vorhersagbar und formalisierbar sind“ (B ARTSCH 2002: 573). Letztlich läuft damit die Formalisierung der Kontextabhängigkeit darauf hinaus, dass jedes Lexem einen Kontextindex erhält, der zwar in die kompositionelle Berechnung einbezogen werden muss, über den die Kontextabhängigkeit jedoch oft nur signalisiert, nicht aber interpretativ aufgelöst werden kann. Dies legt auch B ARTSCH s Zusammenfassung der Kontextproblematik nahe: „Die Frage bei der Berücksichtigung der Kontextabhängigkeit ist natürlich, ob alle diese kontextuellen Informationen vollständig erfasst werden können. Sie sind nicht immer explizit im Kontext zu finden. Aber um sie zu erschließen in den Fällen, in denen sie nur implizit sind, ist eine reiche Welt- und Kulturkenntnis nötig. Diese kann sicherlich nicht Teil der Linguistik sein, so dass wir hier nur formal durch Kontextparameter oder Kontextindizes Arten von kontextuellen Informationen, z. B. Parameter der Sprechsituation, sowie häufige Perspektiven und thematische Dimensionen angeben können, die prinzipiell in die kompositionelle Interpretation einbezogen werden müssen. Wir sehen hier, dass Interpretation, wenn sie formal in kognitiven Systemen imitiert werden sollte, sehr schnell von dem sogenannten Frame-Problem betroffen ist, das für Regelsysteme natürlichen Schließens im Prinzip unauflösbar ist.“ (B ARTSCH 2002: 574) 20 Auch L EEZENBERG (2001), der die Kontextabhängigkeit metaphorischer Bedeutung modellieren und erklären möchte, beschränkt sich auf die Erörterung bereits lexikalisierter Metaphern und behauptet entsprechend, metaphorische Bedeutung lasse sich ohne größere Probleme innerhalb einer rein semantischen Theorie erfassen. L EEZEN- BERG s Ansatz trägt demgemäß nichts zum Verständnis der Bedeutungskonstruktion hinsichtlich neuartiger Metaphern bei und wird dem Anspruch, das Funktionieren der Semantik/ Pragmatik-Schnittstelle zu erhellen, kaum gerecht. 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 128 — Kompositionalität und Emergenz Die Beispiele aus der Literatur, die ich bisher erörtert habe (z. B. die Lesarten von Schule, stark und Fuchs) stellten ausschließlich Fälle dar, in denen eine spezifische (lexikalisierte) Bedeutungsvariante in Abhängigkeit vom Kontext ausgewählt wurde. Solche Fälle einer moderaten Kontextabhängigkeit können prinzipiell kompositional berechnet werden (sofern man kontextabhängige Spezifikationen überhaupt als mit dem Kompositionalitätsprinzip vereinbar auffasst). Die Schwierigkeit besteht aber, wie schon erwähnt, im Erfassen der relevanten Kontextbedingungen, die dafür verantwortlich sind, dass aus dem bereits durch die lexikalische Bedeutung vorgegebenen Spektrum der Bedeutungsmöglichkeiten die für den jeweiligen Kontext passende Variante ausgewählt werden kann. Diese prinzipielle - wenngleich praktisch problematische - kompositionelle Berechenbarkeit könnte man selbst dann noch annehmen, wenn man das zugängliche Bedeutungspotenzial (dessen Kern der Lexikoneintrag ist) auch noch um den an den Lexikoneintrag gekoppelten Konzeptinhalt erweitern würde, d. h., wenn man zulassen würde, dass das Wissen ganzer kognitiver Domänen (siehe Kap. 1.4.1) für die Bedeutungskomposition zur Verfügung steht. Die Möglichkeit einer kompositionellen Berechnung würde sich auch bei einer solchen Erweiterung daraus ergeben, dass in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext allein die richtigen konzeptuellen Merkmale selektiert werden müssten. Der Bedeutungsbeitrag würde demnach nicht über den Inhalt des angekoppelten Konzepts hinausgehen und könnte aus diesem Grund kompositional in die Gesamtbedeutung eingehen. Würden Äußerungsbedeutungen ausschließlich mit solchen Bedeutungsspezifikationen auskommen, könnte man den Geltungsanspruch des Kompositionalitätsprinzips im Prinzip auch auf diese Ebene erweitern. Ein Gegenargument zu einer solchen Vorgehensweise liefern die von mir am Beispiel des Metaphernverstehens untersuchten emergenten Bedeutungsmerkmale. Sie sind weder Teil des Lexikoneintrags noch des an den Lexikoneintrag gekoppelten Konzeptinhalts: Sie können daher auch prinzipiell nicht kompositional in die Bedeutungsberechnung eingehen, da sie nicht nur in Abhängigkeit vom Kontext aus dem Lexikoneintrag oder aus dem Konzeptinhalt selektiert, sondern erst kontextspezifisch erzeugt werden. (61) In Blackpool ist viel vom Labour-Führer die Rede, von Tony Blair, dem „Teflonmann“, der „politischen Elster“, dem „Ideendieb“. Doch die Kaskade der Spottworte unterstreicht nur, wie unheimlich der Labour-Chef den Tories ist. (K RÖNIG , Jürgen: Angst im Nacken. Auf dem Parteitag der britischen Konservativen trumpfen die Rechten auf. […], DIE ZEIT 42, 13.10.1995, Politik, 14) 4.1 Zum Verhältnis von Semantik und Pragmatik 129 In (61) können die Bedeutungsmerkmale, die mittels der Kompositummetapher 21 Teflonmann dem Referenten Tony Blair zugewiesen werden sollen, weder aus der Wortbedeutung von Teflon noch aus dem Konzept TEFLON erschlossen werden. Auch die thematische Dimension EIGENSCHAFTEN EINES POLITIKERS legt noch nicht fest, welche Merkmale gemeint sind. Für das Verstehen von (61) ist vor allem konzeptuelles Weltwissen vonnöten: über Teflon, seine Eigenschaften und wie diese auf Menschen wirken (vgl. die Diskussion zu Bsp. (27) in Kap. 1.4.2), aber auch über den Labour- Chef Tony Blair selbst. Als Ergebnis des Verstehensprozesses könnten z. B. Merkmale wie UNANGREIFBAR und OPPORTUNISTISCH gelten (vgl. die ausführliche Diskussion desselben Beispiels in Kap. 5.2.1). Die emergenten Bedeutungsmerkmale beim Metaphernverstehen ergeben sich also keineswegs automatisch aus dem Lexikoneintrag oder dem Konzeptinhalt, wenn die relevante thematische Dimension gegeben ist. Ihr Verstehen ist keine Frage der kompositionellen Berechnung, sondern eine Frage der kontextabhängigen Etablierung von inhaltlich plausiblen Äußerungsbedeutungen. Ihr Bedeutungsbeitrag lässt sich nicht durch den Bottom-up-Prozess der Bedeutungskomposition erfassen, sondern nur durch den Top-down-Prozess der informationellen Modifikation und Anreicherung der Satzbedeutung bei Überführung in die spezifische Äußerungsbedeutung (s. Kap. 5.1.1). Dabei spielen explizite (semantische) Informationen des Kotextes und implizite (pragmatische) Informationen des Kontextes eine Rolle, deren Auswahl und Auswirkung sich nicht vorherbestimmen lassen. Emergente Bedeutungsmerkmale sind also stets ein nichtkompositionaler Teil der Äußerungsbedeutung. Am Beispiel von emergenten Bedeutungsanteilen zeigt sich deshalb, dass für die Äußerungsbedeutung nicht generell das Gelten des Kompositionalitätsprinzips vorausgesetzt werden kann. 22 Die Elaborierung von emergenten Merkmalen beim Metaphernverstehen kann nicht kompositionell modelliert werden. 23 21 Siehe zu den Spezifika von Kompositummetaphern ausführlich S KIRL (im Druck). 22 L YONS (1991: 5 f.) hatte festgestellt, es sei „zur Zeit noch unklar“, ob denn „die Äußerungsbedeutung ebenso wie die abstraktere, theoretisch eingegrenzte Satzbedeutung als vollständig bestimmt und kompositional angesehen werden kann“ und angeführt, es gebe Gründe, die dafür sprechen würden, dass „die Äußerungsbedeutung nur partiell regelbestimmt ist“, ohne jedoch diese Gründe zu nennen. Das Auftreten emergenter Bedeutungsmerkmale auf der Ebene der Äußerungsbedeutung ist z. B. ein Beleg für diese Annahme. 23 Einen Vorschlag für die Formalisierung metaphorischer Bedeutung bietet P AFEL (2003): Er führt für metaphorisch verwendete Ausdrücke einen Modifikator „META“ (s. P AFEL 2003: 37-41) ein und spricht sich für eine Modellierung metaphorischer Bedeutung im Rahmen der kompositionalen Semantik aus (P AFEL 2003: 37; vgl. auch D ÖLLING 2000). Ich halte einen solchen Vorschlag für sachlich unangemessen, da metaphorische Bedeutung mit den Mitteln der kompositionellen Berechnung nicht er- 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 130 4.2 Metaphernverstehen als Schnittstellenphänomen 4.2.1 Identifikation metaphorisch gebrauchter Ausdrücke Dass ein Ausdruck in einem Kommunikationskontext als Instanz metaphorischen Sprachgebrauchs identifiziert wird, ist eine pragmatische Entscheidung. Ein Ausdruck kann in einem bestimmten aktuellen Verwendungskontext metaphorisch gebraucht sein, wenn mindestens gilt, dass er nicht gemäß seinem lexikalischen Referenzpotenzial verwendet wird. Weitere Abgrenzungskriterien müssen hinzukommen, um metaphorischen Sprachgebrauch z. B. von metonymischem Sprachgebrauch abgrenzen zu können (s. S KIRL / S CHWARZ -F RIESEL 2007: 14-16; zum Verstehen von Metonymien als Phänomen der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle siehe E GG 2004). Ob ein Ausdruck aber in metaphorischer Verwendung vorliegt, lässt sich nicht auf der Ebene der Satzsemantik bestimmen. Auf der Ebene der Satzsemantik kann bestenfalls die Verletzung semantischer Selektionsbeschränkungen diagnostiziert werden, die in der linguistischen Semantik oft als das wesentliche Kriterium für das Vorliegen von Metaphern angesehen wird (vgl. K ITTAY 1987). (62) Der alte Stein schläft. In (62) ist offensichtlich, dass die Argumentspezifikation, die durch die Subjekt-NP Der alte Stein geleistet wird, die semantischen Selektionsbeschränkungen des zugehörigen Prädikatsausdrucks schläft verletzt. Ob aber die NP Der alte Stein oder die VP schläft metaphorisch verwendet wurde und deshalb einer Umdeutung unterzogen werden sollte, kann auf der satzsemantischen Ebene nicht entschieden werden, wie die Beispiele (63) und (64) zeigen: (63) Der Ehemann liegt auf dem Sofa. Wahrscheinlich schläft der alte Stein schon wieder. (64) Der Diamant liegt im Schmuckkästchen. Der alte Stein schläft. Damit im Verstehensprozess eine plausible Lesart beider Sätze zustande kommen kann, wird im zweiten Satz von (63) die NP der alte Stein als direkte Anapher zur NP Der Ehemann gedeutet, als Metapher erkannt und entsprechend verstanden. In (64) wird die NP Der alte Stein als direkte Anapher zur NP Der Diamant gedeutet, weshalb die VP schläft als Metapher identifiziert und verstanden wird. fasst werden kann und auf Satzbedeutungsebene nicht einmal genau bestimmt werden kann, welchem Ausdruck (Nomen, Verb oder Adjektiv) der Modifikator zugewiesen werden sollte. 4.2 Metaphernverstehen als Schnittstellenphänomen 131 Neben diesen beiden Lesarten besteht des Weiteren die Möglichkeit, dass sowohl die NP Der alte Stein als auch die VP schläft metaphorisch verstanden werden: (65) Der Tote liegt im Sarg. Der alte Stein schläft nun für immer. Um für (65) eine plausible Lesart zu etablieren, wird die NP Der Stein als direkte Anapher zur NP Der Tote gedeutet und metaphorisch interpretiert. Wenn die NP Der alte Stein sich demnach auch auf das Referenzobjekt beziehen soll, das wörtlich durch die NP Der Tote bezeichnet wurde, so muss die VP schläft auch metaphorisch gedeutet werden, da zu den Selektionsbeschränkungen von schlafen gehört, dass die zugehörige Subjekt-NP einen Referenten bezeichnet, der die Eigenschaft BELEBT aufweist. Die Beispiele (62) bis (65) zeigen, dass Verletzungen semantischer Selektionsbeschränkungen (die bei vielen Metaphern vorliegen) noch nicht ausreichend sind, um auf Satzebene Metaphern identifizieren zu können. Hinzu kommt, dass Verletzungen von Selektionsbeschränkungen auf satzsemantischer Ebene beim Verstehen auf Äußerungsebene nicht notwendig zu einer metaphorischen Interpretation führen müssen: Die Äußerung könnte wörtlich auch lediglich als falsche Aussage, als Ausdruck eines Kategorienfehlers gedeutet werden (vgl. auch L ANG 1994). (66) Der folgende Satz formuliert einen Kategorienfehler: Der alte Stein schläft. Das Beispiel (66) könnte in einem Logiklehrbuch stehen. Aufgrund der Aussage des ersten Satzes wäre eine metaphorische Lesart von Der alte Stein schläft unplausibel. In bestimmten Kontexten - z. B. kreativen Textsorten wie Science- Fiction-Geschichten oder Märchen - müsste das wörtliche Verständnis der Äußerung unter den spezifischen Bedingungen der Textwelt nicht einmal einen Kategorienfehler enthalten (vgl. S CHWARZ -F RIESEL 2006: 69, S KIRL / S CHWARZ -F RIESEL 2007: 54). (67) Der Waldgnom will seinen besten Freund nicht stören. Der Stein schläft nämlich. Text (67) wäre z. B. wörtlich als völlig akzeptabel zu verstehen, wenn er in einem Märchen steht, in dessen Textwelt sowohl Waldgnom als auch der alte Stein sich auf Referenten beziehen, die als menschenähnliche (personifizierte) Lebewesen agieren. Das Kriterium der Verletzung semantischer Selektionsbeschränkungen ist also weder geeignet, einen metaphorischen Gebrauch von Ausdrücken zu identifizieren noch zweifelsfrei vorherzusagen, ob überhaupt ein metaphorischer Gebrauch vorliegt. 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 132 Erschwerend kommt aber noch hinzu, dass Verletzungen semantischer Selektionsbeschränkungen bei vielen Metaphern gar nicht vorliegen. Die Verletzung semantischer Selektionsbeschränkungen auf Satzebene ist demnach keine notwendige Bedingung für das Auslösen metaphorischer Lesarten: Das beweisen Beispiele, in denen ganze Sätze metaphorisch verstanden werden wie in (68) und (69), und Beispiele, in denen semantisch vollkommen reguläre Negationen metaphorisch umgedeutet werden wie im zweiten Satz von (70): (68) »Ich praktiziere zwar nicht mehr als Arzt, aber ich erkenne eine Leiche, wenn ich sie sehe.« Liam Fox, außenpolitischer Sprecher der britischen Konservativen, über die EU-Verfassung nach den Referenden (Worte der Woche, DIE ZEIT 24, 09.06.2005, 2) (69) »Wir haben zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine unklare Mehrheitslage im Bundestag. Wir haben eine große Nebelwand vor uns, wir fahren alle auf Sicht.« (FDP-Chef Guido Westerwelle im Interview, DIE ZEIT 40, 29.09.2005, 6) (70) Der Junge ist sensibler als man denkt. Der Junge ist kein Stein. Entscheidend für das Auslösen metaphorischer Lesarten ist ihre inhaltliche Plausibilität im Gegensatz zur Unplausibilität der wörtlichen Lesart. Aus all dem folgt, dass die Verletzung semantischer Selektionsbeschränkungen weder ein hinreichendes noch ein notwendiges Kriterium für die Identifikation von Metaphern darstellt. Im folgenden Kapitel diskutiere ich das Problem der Paraphrasierbarkeit metaphorischer Bedeutung, das eng mit der Frage nach dem Verhältnis von Semantik und Pragmatik und der Wirkungsweise ihrer Schnittstelle verbunden ist. 4.2.2 Problem der Paraphrasierbarkeit metaphorischer Bedeutung Eine der grundlegenden Fragen jeder Theorie des Metaphernverstehens ist, ob die Paraphrasierbarkeit der metaphorischen Bedeutung für möglich gehalten wird und wenn ja, wie sie modelliert wird (s. R ADTKE 2001: 37-41; vgl. N OGALES 1999: 215, C ARSTON 2002: 356). Voraussetzung für eine klare Positionierung in dieser Frage ist, dass geklärt sein muss, worauf der Terminus Paraphrase sich genau beziehen soll und welche Komponenten zur metaphorischen Bedeutung gerechnet werden. Ich werde im Folgenden zunächst den Paraphrasebegriff, so wie ich ihn verwende, kurz vorstellen. Anschließend werde ich die linguistischen Verwendungsweisen des Paraphrasebegriffs knapp skizzieren und erläutern, welche davon mir sinnvoll erscheint. Danach werde ich drei metapherntheoretische Positionen diskutieren, in denen die Paraphrasierbarkeit 4.2 Metaphernverstehen als Schnittstellenphänomen 133 metaphorischer Bedeutung bestritten wird. Dabei werde ich zeigen, welche Aspekte metaphorischer Bedeutung paraphrasierbar sind und welche sich der Paraphrasierbarkeit entziehen. Ich werde auch zeigen, welche Bedeutungsanteile semantisch und welche pragmatisch sind. Bezüglich des Paraphrase-Problems vertrete ich die Position, dass der deskriptive Gehalt, der in einer konkreten Kommunikationssituation mit einem metaphorisch verwendeten Ausdruck vermittelt wird, im Normalfall paraphrasierbar ist. Unter der Paraphrase einer metaphorischen Äußerung verstehe ich eine wörtlich zu verstehende Äußerung, die dieselbe spezifische Proposition ausdrückt. Die Paraphrase hat also - in einem gegebenen Kontext - dieselbe Äußerungsbedeutung wie die metaphorische Äußerung. (71) Der Türsteher der Dorfdisco ist ein Nashorn. (72) Der Türsteher der Dorfdisco ist grobschlächtig. In einem konkreten Kontext könnte (72) z. B. eine Paraphrase von (71) sein, wenn dem bezeichneten Türsteher mit Hilfe des metaphorisch gebrauchten Ausdrucks Nashorn die Eigenschaft GROBSCHLÄCHTIG zugesprochen werden soll, die durch das Lexem grobschlächtig - in seiner lexikalischen Bedeutung „von großer, kräftiger, aber derber, plumper Gestalt“ (DDUW) - ausgedrückt werden kann (vgl. Kap. 1.4.2). Als linguistischer Terminus bezieht sich Paraphrase auf „Synonymiebeziehungen zwischen Sätzen“ (G LÜCK 2005a: 474). In der Transformationsgrammatik der generativen Syntax stellt „Paraphrasierung ein elementares Verfahren zur Feststellung semant. Identität verschiedener Sätze“ dar, die zusammen „eine tiefenstrukturelle Paraphrasenklasse [bilden]“ (G LÜCK 2005a: 474). Grundsätzlich kann zwischen syntaktischen, lexikalischen, deiktischen und pragmatischen Paraphrasebeziehungen unterschieden werden (B USSMANN 2002: 497; vgl. L ANG 1977). 24 (73) Hans hasst Doreen./ Doreen wird von Hans gehasst. (74) Das Buch ist unglaublich spannend./ Unglaublich spannend ist das Buch. (75) Paul isst eine Apfelsine./ Paul isst eine Orange. (76) Sie sitzt dort./ Maria sitzt auf der Bank. (77) Es zieht! / Schließe bitte die Tür! 24 In den Lexikoneinträgen zum Paraphrasenbegriff in G LÜCK (2005) und B USSMANN (2002) wird die Inkonsistenz übersehen, die daraus resultiert, dass Paraphrase einerseits als Synonymierelation zwischen Sätzen definiert wird und andererseits dann von deiktischen und pragmatischen Paraphrasen die Rede ist, die keineswegs mehr nur (semantische) Synonymie-Beziehungen zwischen Sätzen repräsentieren (G LÜCK 2005a: 474, B USSMANN 2002: 497). 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 134 In (73) ist ein Indikativsatz einem gleichbedeutenden Passivsatz gegenübergestellt. In (74) ist einem syntaktisch unmarkierten Satz der gleichbedeutende Satz mit dem Prädikat in syntaktischer Spitzenstellung gegenübergestellt. In (73) und (74) sind jeweils zwei syntaktisch unterschiedliche Sätze gegeben, deren Proposition jedoch identisch ist und die deshalb als gegenseitige Paraphrasen gelten. Identisch ist auch die Proposition der beiden in (75) entgegen gesetzten Sätze, in ihnen wird lediglich das Lexem Apfelsine durch das Synonym Orange ersetzt. In (76) kann der zweite Satz als Paraphrase des ersten gelten, vorausgesetzt, die beiden Sätze beziehen sich als Äußerungen auf ein und dieselbe Äußerungssituation und es gilt, dass das deiktische Sie auf dieselbe außersprachliche Entität wie Maria und das deiktische dort auf denselben außersprachlichen Ort referiert wie auf der Bank. Im Falle von (77) wird der Paraphrase-Begriff sogar über die Proposition hinausgehend auf die Illokution am Beispiel eines indirekten Sprechaktes angewandt: In einer Kommunikationssituation, in der mit der Äußerung Es zieht! , die eine Feststellung trifft, eigentlich die Aufforderung Schließe bitte die Tür! intendiert ist, kann demnach die Äußerung, die die intendierte Illokution (nämlich die Aufforderung) ausdrückt, als Paraphrase der wörtlich ausgedrückten Illokution (also der Feststellung) gelten. Aus den Beispielen wird ersichtlich, dass sich der Paraphrasebegriff auf die Proposition sowohl auf Satzebene - Beispiele (73) bis (75) - als auch auf Äußerungsebene - Beispiel (76) - und sogar auf die Illokution - Beispiel (77) - beziehen kann. Ich halte die Verwendung des Begriffs der Paraphrase hinsichtlich von Illokutionen für fragwürdig. Wenn Paraphrase ein semantischer Begriff ist und bleiben soll, so scheint es mir sinnvoll, ihn nur in Bezug auf die Satzbedeutung und die Äußerungsbedeutung anzuwenden, nicht aber in Bezug auf die Illokution, die zum kommunikativen Sinn der Äußerung gehört und somit genuin pragmatisch ist. Der Begriff sollte darauf beschränkt werden, sich auf die Identität von Propositionspotenzialen bzw. spezifischen Propositionen zu beziehen. Hinsichtlich der Satzbedeutung ist der Begriff der Paraphrase sicherlich hilfreich, um zu zeigen, dass verschiedene Sätze, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen, über dasselbe Propositionspotenzial verfügen können. Auf der Ebene der Äußerungsbedeutung ist eine Paraphrase eine Äußerung, die in einer konkreten Äußerungssituation dieselbe spezifische Proposition ausdrückt wie die Äußerung, die durch sie paraphrasiert wird. Die Satzbedeutung der Paraphrase ist dabei in der Regel semantisch spezifischer als die Satzbedeutung der paraphrasierten Äußerung bzw. mindestens so spezifisch wie diese. Das heißt: Spezifikationen, die die Proposition der Äußerung enthält, sind in der Paraphrase schon explizit in der Satzbedeutung enthalten. In Bezug auf Beispiel (76) sollte m. E. Maria sitzt auf der Bank als eine Paraphrase der deiktischen 4.2 Metaphernverstehen als Schnittstellenphänomen 135 Äußerung Sie sitzt dort gelten können, nicht aber Sie sitzt dort als eine Paraphrase von Maria sitzt auf der Bank (siehe die Diskussion weiter unten). In Bezug auf metaphorische Bedeutung ergibt sich der Begriff der Paraphrase wie folgt: Die Paraphrase einer metaphorischen Äußerung ist eine wörtlich zu verstehende Äußerung, die dieselbe Proposition ausdrückt wie die, welche mit der metaphorischen Äußerung vermittelt wird. (Mit dem Begriff der metaphorischen Äußerung beziehe ich mich der Einfachheit halber im Folgenden auf jede Art von Äußerung, die mindestens einen Ausdruck enthält, der vom Rezipienten metaphorisch verstanden wird.) Mit der Bedingung, dass die Paraphrase einer metaphorischen Äußerung wörtlich verstanden wird, möchte ich ausschließen, dass die Paraphrase selbst eine metaphorische Äußerung ist, obwohl das prinzipiell möglich ist. Die metaphorische Äußerung (78) könnte z. B. in einem bestimmten Kontext durch die metaphorische Äußerung (79) paraphrasiert werden: (78) Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy ist ein Bulldozer. (79) Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy ist ein Hochdruckreiniger. Durch die metaphorische Verwendung der Ausdrücke Bulldozer und Hochdruckreiniger könnten dem Referenten, dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, dieselben Merkmale, z. B. DURCHSETZUNGS- STARK, UNNACHGIEBIG und RÜCKSICHTSLOS etc. zugesprochen werden, so dass (78) und (79) durch die Äußerung (80) paraphrasiert werden könnten, die keine metaphorisch verwendeten Ausdrücke enthält und deshalb meinen Bedingungen für die Paraphrase einer metaphorischen Äußerung entspricht: (80) Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy ist durchsetzungsstark, unnachgiebig und rücksichtslos. In der Metaphernforschung ist oft behauptet worden, die Bedeutung metaphorisch verwendeter Ausdrücke sei - besonders, wenn es sich um innovative Metaphern handelt - grundsätzlich nicht paraphrasierbar (vgl. R ADTKE 2001). Die dafür angeführten Gründe möchte ich zunächst diskutieren und dabei zeigen, dass je nach Auffassung des Paraphrasebegriffs und der verwendeten Metaphernbeispiele tatsächlich einige Aspekte des metaphorischen Bedeutungsspektrums (das neben der deskriptiven Bedeutung auch das darüber hinausgehende pragmatische Wirkungspotenzial umfasst) sich als paraphraseresistent erweisen. Dies liefert aber keine Argumente, um die von mir vertretene Variante des Paraphrasebegriffs in Bezug auf metaphorische Bedeutung zurückzuweisen. 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 136 Im Hinblick auf die häufig vertretene Position, die Bedeutung metaphorisch gebrauchter Ausdrücke könne nicht paraphrasiert werden, ist zunächst zwischen zwei verschiedenen Auffassungen von Paraphrase zu unterscheiden: Nach der ersten Auffassung - die auch ich vertrete - ist „eine Äußerung genau dann eine Paraphrase einer anderen Äußerung, wenn sie dieselbe Proposition ausdrückt“ (R ADTKE 2001: 38). Nach der zweiten Auffassung ist „eine Äußerung genau dann eine Paraphrase einer anderen Äußerung, wenn sie sowohl dieselbe Proposition ausdrückt, als auch dieselbe Wirkung auf den Rezipienten ausübt, z. B. dieselben Emotionen und Assoziationen hervorruft.“ (R ADTKE 2001: 38) Die zweite Auffassung ist offensichtlich dadurch gekennzeichnet, dass sie der Bestimmung der ersten Auffassung noch eine weitere, wesentliche Bedingung hinzufügt. Die Möglichkeit der Paraphrasierbarkeit metaphorischer Bedeutung kann in dreierlei Hinsicht bestritten werden, wobei die ersten beiden Gegenpositionen sich lediglich auf die erste Auffassung von Paraphrase beziehen, die dritte dagegen auch auf die in der zweiten Paraphrase-Bestimmung genannte Zusatzbedingung: 1. Die Paraphrasierbarkeit metaphorischer Bedeutung kann mit der Begründung abgelehnt werden, dass es metaphorische Bedeutung im Sinne der Vermittlung eines deskriptiven Aussagegehalts gar nicht gibt. Einer solchen Auffassung zufolge drücken metaphorische Äußerungen keine Proposition aus, sie haben keine Wahrheitsbedingungen und können demzufolge auch nicht als wahr oder falsch bewertet werden. 2. Die Paraphrasierbarkeit metaphorischer Bedeutung kann abgelehnt werden mit dem Hinweis darauf, dass metaphorische Bedeutung zwar einen Beitrag zur Proposition leistet, dass mit ihr also ein deskriptiver Aussagegehalt vermittelt wird, dass sich aber kein hinreichend spezifischer Aussagegehalt bestimmen lässt, der in einer Paraphrase erfasst werden könnte. Oder anders formuliert: Keine Paraphrase kann das Spektrum von möglichen spezifischen Propositionen ausdrücken, das durch eine metaphorische Äußerung bereitgestellt wird. 3. Die Paraphrasierbarkeit metaphorischer Bedeutung kann bestritten werden mit dem Hinweis darauf, dass die Paraphrase niemals eine Äußerung sein kann, die auch nur annähernd dieselbe sprachstilistische, kommunikativ-pragmatische oder kognitive Wirkung erzielen kann. Ob sie womöglich in der Lage ist, dieselbe Proposition auszudrücken, ist hierbei nicht von Belang. 4.2 Metaphernverstehen als Schnittstellenphänomen 137 Dass es eine Paraphrase im unter 3. genannten Sinn nicht geben kann, ist leicht einzusehen. Es ist ja gerade das Prinzip metaphorischer Äußerungen, dass sie Sachverhalte auf eine ungewohnte, kreative oder innovative Weise darstellen, die bestimmte stilistische, pragmatische und kognitive Effekte erzielen kann und soll, die über die mitgeteilte deskriptive Bedeutung weit hinausgehen. R ADTKE hat darauf hingewiesen, dass unter der Bedingung, die Paraphrase müsse dieselbe Wirkung erzeugen, „wohl auch die meisten wörtlichen Äußerungen paraphraseresistent sein [dürften], so dass unklar ist, warum man von metaphorischen Äußerungen verlangen sollte, dass sie paraphrasierbar sind“ (R ADTKE 2001: 38). Das Problem dieser Auffassung ist offensichtlich der zugrunde gelegte Paraphrasebegriff selbst, der der Äußerung, die als Paraphrase fungiert, zu weit reichende Bedingungen aufbürdet. Ich hatte weiter oben schon dafür plädiert, den Begriff der Paraphrase nicht auf die Ebene des kommunikativen Sinnes auszudehnen. Genau das wird hier durch die Bedingung, die Paraphrase müsse dieselbe Wirkung ausüben, aber getan, denn die Wirkung der Äußerung gehört zur Ebene des kommunikativen Sinnes (vgl. Kap. 4.1.1). Vertreter der unter 1. genannten Position, die metaphorischen Äußerungen abspricht, Propositionen auszudrücken, beziehen sich meist auf die sprachanalytische Metapherntheorie D AVIDSON s, der die These von der Nicht-Existenz metaphorischer Bedeutung so gefasst hat: “Metaphors mean what their words, in their most literal interpretation, mean, and nothing more” (zit. n. R ADTKE 2001: 38). Wie ich bereits gezeigt habe, ist eine solche Auffassung nicht gerechtfertigt. Im Normalfall soll mit metaphorisch gebrauchten Ausdrücken ebenso ein Beitrag zur Proposition einer Äußerung geleistet werden wie mit wörtlich gebrauchten Ausdrücken. Auch bei wörtlich gebrauchten Ausdrücken muss das durch die lexikalische Bedeutung gegebene Potenzial in der konkreten Äußerung oft erst spezifiziert werden (ein prominentes Beispiel dafür bieten Dimensionsadjektive, s. B IERWISCH / L ANG 1987). 25 Auch wörtlich gebrauchte Ausdrücke 25 Vgl. dazu folgende Ausführungen von L YONS (1995): “It is also worth noting […] that there is no closer connexion between sense and truth-conditionality than there is between metaphorical sense and truth-conditionality. If a statement is made metaphorically by uttering the sentence ‘John is a tiger’, the proposition thereby expressed - whatever proposition it is - will have just as determinate a truth-value as a proposition such as “John is ferocious” or “John is aggressive”. Granted, there may be some indeterminacy attaching to the process of metaphorical interpretation itself: it may not be clear to an addressee which of the several metaphorical interpretations he or she should assign to the utterance. But this is comparable with the problem of deciding which of several literal senses of a polysemous expression is the one intended; and it has nothing to do with truth-conditionality as such. I am not saying, of course, that all metaphorical expressions are truth-conditionally determinate, but simply that they do not differ from non-metaphorical expressions in 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 138 können daher in einer konkreten Äußerung „mehr“ bzw. Spezifischeres bedeuten als das, was in ihrer lexikalischen Bedeutung angelegt ist. Genauso problemlos wie Rezipienten die Spezifikationen wörtlicher Bedeutungen vornehmen, weisen sie auch metaphorisch gebrauchten Ausdrücken eine spezifische Bedeutung zu. Wenn sie beispielsweise in einem Zeitungsartikel zur politischen Situation in Frankreich die bereits besprochene Äußerung Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy ist ein Bulldozer lesen, würden die Rezipienten nicht auf die Idee kommen, ihr keinen Aussagegehalt zuzuordnen, sie würden dem metaphorisch verwendeten Lexem Bulldozer automatisch und komplikationslos eine metaphorische Bedeutung (z. B. in Form der Merkmale DURCHSETZUNGSSTARK, UNNACHGIE- BIG und RÜCKSICHTSLOS) zuordnen und würden nicht - wie D AVIDSON s Statement suggeriert - beim Verarbeiten der wörtlichen Bedeutung („schweres Raupenfahrzeug für Erdbewegungen“, DDUW) stehen bleiben. Meine Auffassung, dass metaphorisch gebrauchte Ausdrücke im Normalfall auch einen Beitrag zur Proposition leisten, ist durch die Tatsache begründet, dass Rezipienten in der Alltagskommunikation vor allem Texte begegnen, die eine Informationsfunktion erfüllen (und sei es auch nur sekundär) und deren Inhalt dem Kriterium der Kohärenz entspricht (vgl. 4.1.1). Fälle, in denen metaphorisch gebrauchte Ausdrücke nicht der Information dienen und keinen deskriptiven Aussagegehalt vermitteln, sondern lediglich auf der Ebene des kommunikativen Sinnes einen nichtdeskriptiven Bedeutungsbeitrag leisten, kommen in der Alltagskommunikation so gut wie gar nicht vor. Sie sind auf literarische Textsorten beschränkt. Relativ häufig finden sie sich in Textexemplaren bestimmter Strömungen der modernen Lyrik, etwa in der hermetischen Lyrik. Höchstens für solche besonderen Texte kann die von D AVIDSON vertretene Position, dass es keine metaphorische Bedeutung gibt, gelten. Ein prominentes Beispiel dafür sind die späten Gedichte Paul C ELAN s. In ihnen werden verschiedenste innovative Metaphern geboten, denen im Verstehensprozess kein Aussagegehalt mehr zugewiesen werden kann (und soll), weshalb sie in der literaturwissenschaftlichen Forschung als „absolute Metaphern“ bezeichnet werden (s. P OPPENHUSEN 2001: 165-193). terms of a characteristically distinctive, context-dependent, indeterminacy. Many metaphorical statements will certainly be truth-conditionally indeterminate; and many will contain an expressive, or socio-expressive, component, which might be held to affect the determinacy of truth-value. But in this respect they are no different from non-metaphorical statements such as […] Mary is beautiful or indeed […] John is aggressive and […] John is dynamic [.] Linguists who distinguish semantics from pragmatics by means of the criterion of truth-conditionality and ascribe the metaphorical interpretation of utterances to pragmatics tend to miss this point.” (L YONS 1995: 282 f.) 4.2 Metaphernverstehen als Schnittstellenphänomen 139 (81) Die kollidierenden Schläfen, nackt, im Maskenverleih: hinter der Welt wirft die ungebetene Hoffnung die Schlepptrosse aus. An den meerigen Wundrändern landet die atmende Zahl. (Paul Celan, Die Gedichte, 237) Tatsächlich hat C ELAN seine absoluten Metaphern, die nur noch innovative Konzeptkombinationen ohne bestimmbaren Aussagegehalt repräsentieren - (81) bietet eindrückliche Beispiele dafür - als bewusste Dekonstruktion von herkömmlicher, noch mit Aussagegehalt ausgestatteter Metaphorik intendiert. C ELAN charakterisiert seine Lyrik nämlich wie folgt: „[…] das Gedicht wäre somit der Ort, wo alle Tropen und Metaphern ad absurdum geführt werden wollen“ (zit. n. P OPPENHUSEN 2001: 14). Abgesehen also von solchen sehr ungewöhnlichen innovativen Metaphern, wie sie in besonderen literarischen Textsorten vorkommen können, lassen sich metaphorische Äußerungen paraphrasieren, d. h. es kann eine wörtlich zu verstehende Äußerung angegeben werden, die dieselbe spezifische Proposition ausdrückt wie die metaphorische Äußerung. Gegen diese Auffassung führt die unter 2. genannte Position, die die Paraphrasierbarkeit metaphorischer Bedeutung ablehnt, das Argument ins Feld, dass metaphorisch gebrauchte Ausdrücke zwar einen Beitrag zur Proposition leisten, dass ihr deskriptiver Aussagegehalt aber nicht vollständig durch eine Paraphrase erfasst werden kann. Das Problem dieses Arguments besteht wieder darin, dass der Begriff der Paraphrase mit unnötigen Bedingungen überladen wird. Es sollte von einer Paraphrase nicht verlangt werden, dass sie das gesamte Spektrum von möglichen spezifischen Propositionen einer metaphorischen Äußerung erfasst. Hinter dem unter 2. vorgebrachten Argument steht die Vorstellung, das Verstehen metaphorischer Äußerungen verbleibe stets im Vagen, da die metaphorische Verwendung eines Ausdrucks einen unbegrenzten Verstehensspielraum eröffne. Dies ist für den Normalfall des Metaphernverstehens, auch für das Verstehen innovativer Metaphern, aber nicht zutreffend. Wenn ein Satz als metaphorische Äußerung präsentiert wird, ohne dass irgendein Kontext dazu genannt würde, ist der Spielraum der Verstehensmöglichkeiten sicherlich enorm: (82) Der Professor ist ein Radiergummi. Für die Äußerung (82), in der das Prädikat ist ein Radiergummi metaphorisch verstanden werden soll, lassen sich zweifellos die verschiedensten metaphorischen Bedeutungen imaginieren. In der Alltagskommunikation 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 140 begegnen den Rezipienten aber keine kontextlosen metaphorischen Äußerungen, sondern die Äußerungen sind in einen spezifischen Kommunikationszusammenhang eingebunden, wobei die Bedeutung des metaphorisch verwendeten Ausdrucks im Normalfall sowohl über semantische Informationen des Kotextes als auch über pragmatische Kontextfaktoren beeinflusst wird (s. Kap. 5.2.2). Vor dem Hintergrund des konkreten Kommunikationszusammenhangs konstruieren Rezipienten für die metaphorische Äußerung eine spezifische Proposition. Die Paraphrase ist eine wörtlich zu verstehende Äußerung, die genau diese spezifische Proposition ausdrückt. So könnte (82) beispielsweise in einer konkreten Situation mit folgendem Kotext geäußert werden: (83) Der Professor ist ein Radiergummi. Er lässt nur seine eigenen Formulierungen gelten. Rezipienten könnten (83) so verstehen, dass dem Professor durch die metaphorische Verwendung von ein Radiergummi das Merkmal INTOLE- RANT zugesprochen wird. Sie würden sich demnach für (84) als Paraphrase entscheiden: (84) Der Professor ist intolerant. Er lässt nur seine eigenen Formulierungen gelten. Zusammenfassend ergibt sich, dass die gegen eine Paraphrasierbarkeit metaphorischer Bedeutung vorgebrachten Argumente in Bezug auf den von mir vorgeschlagenen Paraphrasebegriff nicht stichhaltig sind. Der deskriptive Gehalt von metaphorischen Äußerungen kann durch eine (wörtlich zu verstehende) Äußerung paraphrasiert werden, die dieselbe spezifische Proposition ausdrückt. Der Paraphrasebegriff ist auch mit der von mir vertretenen Merkmalskonzeption vereinbar: In der Paraphrase werden die Merkmale, die beim Verstehen der metaphorischen Äußerung konstruiert werden, explizit benannt (vgl. 1.4.2). Im nächsten Kapitel diskutiere ich abschließend emergente konzeptuelle Merkmale als Teil der Äußerungsbedeutung unter dem Gesichtspunkt der Referenzetablierung. 4.2.3 Emergente konzeptuelle Merkmale als Teil der Äußerungsbedeutung Damit in der aktuellen Äußerungsbedeutung die semantischen Strukturen auf Referenzstrukturen projiziert werden können, ist bei Metaphern oft nicht nur eine konzeptuelle Anreicherung (Spezifizierung, Modifizierung) der satzsemantischen Repräsentation vonnöten, sondern diese Repräsenta- 4.2 Metaphernverstehen als Schnittstellenphänomen 141 tion muss oft innovativ revidiert werden: Über elaborative Inferenzen erschlossene emergente konzeptuelle Merkmale werden addiert (siehe zum Inferenzbegriff Kap. 5.1.2). Psychologisch plausibel wird dies auch durch den Umstand, dass im Verstehensprozess sowohl die wörtliche Bedeutung als auch die Äußerungsbedeutung gleichzeitig bewusst sind. Emergente konzeptuelle Merkmale werden also im Prozess der Referenzetablierung für Äußerungen konstruiert. Beim Verstehen metaphorischer Äußerungen führt die Umdeutung der in der satzsemantischen Repräsentation explizit ausgedrückten Relation zwischen den einzelnen Konzepten zur Konstruktion der emergenten konzeptuellen Merkmale. Ich werde zunächst noch einmal kurz die grundsätzliche Problematik der Referenzialisierung metaphorischer Äußerungen skizzieren und danach auf die Konstruktion der emergenten konzeptuellen Merkmale eingehen. — Referenzialisierung metaphorischer Äußerungen Ich hatte das durch die Satzsemantik repräsentierte Propositionspotenzial in Kap. 4.1.1 als komplexes Referenzpotenzial definiert. Wenn ein Exemplar eines Satzes als Äußerung realisiert wird, so besteht die Überführung der kontextunabhängigen Satzbedeutung in die kontextabhängige Äußerungsbedeutung im Prozess der Referenzetablierung und -repräsentation, den ich mit S CHWARZ (2000: 23, 40) als Referenzialisierung bezeichne. Das Ergebnis der Referenzialisierung ist die spezifische Proposition der Äußerungsbedeutung: Sie stellt eine mentale Sachverhaltsrepräsentation dar, die als komplexe Referenzstruktur die involvierten Konzepte und deren Relationen zueinander beinhaltet. 26 Das Problem der Referenzialisierung in Bezug auf metaphorische Äußerungen besteht (in den meisten Fällen) darin, dass die satzsemantische Repräsentation zwar einerseits die Information bereitstellt, auf welche Konzepte referiert werden soll, aber andererseits in der Regel explizit eine unplausible Relation zwischen diesen Konzepten ausdrückt. Bei der Referenzialisierung metaphorischer Äußerungen muss die wörtlich ausgedrückte unplausible Relation in eine konzeptuell elaborierte Relation überführt werden, die akzeptabel und inhaltlich plausibel ist. Eine metaphorische Äußerung zu verstehen heißt demnach, diese spezifische Relation zwischen den Konzepten zu etablieren und mental zu repräsentieren. Ich will das noch einmal am paradigmatischen Beispiel metaphori- 26 In Kap. 5.1.1 diskutiere ich Referenz allgemein sowie speziell die Referenzialisierung metaphorischer Äußerungen vor dem Hintergrund der kognitiven Textverstehenstheorie. 4. Metaphernverstehen an der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle 142 scher Äußerungen, nämlich Äußerungen der Form X ist ein Y deutlich machen (vgl. S CHWARZ -F RIESEL 2004: 86 f.). (85) Der Mann ist ein Bulldozer. 27 Wird (85) als Äußerung verstanden, so ergibt die Referenzialisierung, dass Der Mann auf das Konzept MANN (in dem Fall ein Individuenkonzept, signalisiert durch die definite Kennzeichnung der NP) referiert, ein Bulldozer dagegen auf das Konzept BULLDOZER. Diese Referenzetablierung ist unproblematisch. Problematisch im Hinblick auf die Referenzialisierung ist die explizit ausgedrückte IST-Relation, durch die der bezeichnete Mann als ein Exemplar der Klasse BULLDOZER charakterisiert wird. Denn diese Zuordnung ist vor dem Hintergrund des Standardweltmodells als unzutreffend zu bewerten: Ein Mann gehört zur Klasse MENSCH, ein Bulldozer fällt unter die Klasse ARTEFAKT. Die Konzepte MANN und BULLDOZER stehen also im Verhältnis der Inkompatibilität zueinander: Keine Entität der realen Welt kann zugleich Teil beider Klassen sein. Würde die Äußerung (85) also wörtlich verstanden, so müsste die Referenzialisierung einen konzeptuellen Widerspruch etablieren. Der Äußerung könnte demnach vor dem Hintergrund des Standardweltmodells nur der Wahrheitswert „falsch“ zugesprochen werden. Da Rezipienten aber im Normalfall davon ausgehen können, dass Textproduzenten sich an das kommunikative Kooperationsprinzip halten und demzufolge stets inhaltlich relevante und sinnvolle Äußerungen produzieren (vgl. G RICE 1989, S PERBER / W ILSON 1995), werden sie (85) nicht-wörtlich verstehen und eine inhaltlich plausible Relation zwischen den Konzepten elaborieren. Die Umdeutung hat im Normalfall zum Ergebnis, dass anstelle der Relation X IST EIN Y eine Relation X IST WIE Y BEZÜGLICH DER MERKMALE Z etabliert wird. Die IST-Relation wird in eine IST-WIE- Relation überführt, die wiederum in Form einer Menge von Merkmalen expliziert wird. Diese Analyse wird in der deutschsprachigen metapherntheoretischen Literatur als „Vergleichstheorie“ bezeichnet und meist scharf kritisiert (vgl. z. B. P IELENZ 1993: 61 f.; F RIELING 1996: 27-29), weil sie in ihrer klassischen Form davon ausgeht, dass die Merkmale, die die IST- WIE-Relation rechtfertigen, genuiner Bestandteil der kombinierten Konzepte sein muss. Diese Annahme teile ich nicht. Wie ich schon an verschiedener Stelle gezeigt habe, müssen die Merkmale nicht Bestandteil der kombinierten Konzepte sein. 28 27 Das viel zitierte Bulldozer-Beispiel hatte ich bereits in meiner Darstellung der Relevanz-Theorie in Kap. 3.2 erläutert. Siehe für weitere Aspekte Kap. 5.2. 28 Metaphorische Äußerungen der Art X ist ein Y und so genannte metaphorische Vergleiche der Form X ist wie ein Y stellen ganz ähnliche Interpretationsanforderungen 4.2 Metaphernverstehen als Schnittstellenphänomen 143 — Emergente konzeptuelle Merkmale als Teil der Äußerungsbedeutung In Bezug auf (85) könnte das Verstehensresultat in einem geeigneten Kontext z. B. darin bestehen, dass die Relation MANN IST WIE BULLDOZER BEZÜGLICH DER MERKMALE Z durch die Merkmale Z = RÜCKSICHTS- LOS, BRUTAL, SKRUPELLOS expliziert wird. Es könnten aber auch, in einem anderen Kontext, positive Merkmale wie z. B. UNBEIRRBAR, DURCHSETZUNGSSTARK, BEHARRLICH etabliert werden. Alle genannten Merkmale sind emergente konzeptuelle Merkmale, weil sie weder im Konzept BULLDOZER noch im Konzept MANN von vornherein verankert sind. Diese emergenten konzeptuellen Merkmale haben einen anderen ontologischen Status als die tatsächlichen Merkmale des Konzeptes BULL- DOZER: Es handelt sich bei ihnen um psychische Eigenschaften, die einem Bulldozer „nur über den mentalen Prozess der Personifizierung zugesprochen werden können“ (S CHWARZ -F RIESEL 2004: 87). Solche Beispiele, in denen psychische Merkmale einer Person (hier: MANN) über eine die spezifische Relation zu einem Objektkonzept (hier: BULLDOZER) elaboriert werden, scheinen der paradigmatische Fall für die Konstruktion emergenter konzeptueller Merkmale beim Metaphernverstehen zu sein. Zusammenfassend ergibt sich für metaphorische Äußerungen der Form X ist ein Y, wobei X das Konzept 1 und Y das Konzept 2 bezeichnet: In der komplexen Referenzstruktur der Äußerungsbedeutung sind Konzept 1 und Konzept 2 mental repräsentiert. Die Äußerungsbedeutung ist gegenüber der satzsemantischen Repräsentation modifiziert und stark angereichert, da in ihr die Kombination von Konzept 1 und Konzept 2 erstens als IST-WIE- Relation repräsentiert wird, die zweitens durch die Addition von emergenten konzeptuellen Merkmalen Z (MERKMAL 1 , MERKMAL 2 , … , MERK- MAL n ) expliziert wird. Die Äußerungsbedeutung stellt eine Referenzstruktur dar, die vom durch die Satzsemantik gegebenen komplexen Referenzpotenzial im Hinblick auf die etablierte Relation zwischen Konzept 1 und Konzept 2 abweicht, wobei die konstruierten emergenten konzeptuellen Merkmale zusätzlich in die mentale Repräsentation integriert werden. Im nächsten Kapitel werde ich die Konstruktion emergenter konzeptueller Merkmale im Hinblick auf die kognitive Textverstehenstheorie erläutern. bei der Referenzialisierung, wenn die durch X und Y bezeichneten Konzepte keine relevanten Merkmale teilen: In beiden Fällen müssen die Merkmale von Y, die auf X übertragen werden sollen, erst konstruktiv erschlossen werden. 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale beim Metaphernverstehen 5.0 Vorbemerkungen Dieses Kapitel soll die Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel in den Zusammenhang der kognitiven Textverstehenstheorie einbetten. Dabei werde ich zeigen, dass das mental repräsentierte Textweltmodell als Integrationsebene beim Metaphernverstehen fungiert: Bei der Referenzialisierung einer metaphorischen Äußerung wird die spezifische Konzeptkombination in Abhängigkeit vom Textweltmodell erzeugt, in ihm mental repräsentiert und kann wiederum vor seinem Hintergrund in Bezug auf ihren Wahrheitswert und ihre Angemessenheit bewertet werden. Die spezifische Konzeptkombination kann emergente konzeptuelle Merkmale enthalten: Um deren Konstruktion beim Textverstehen präzise erfassen zu können, werde ich sowohl ein Modell der Merkmalsmengen vorstellen, in denen die Bedeutungsmerkmale metaphorisch verwendeter Ausdrücke enthalten sein können, als auch ein Modell der Einflussfaktoren, die beim Verstehen metaphorisch gebrauchter Ausdrücke eine Rolle spielen. Anhand der beiden Modelle werde ich zeigen, wie sich emergente konzeptuelle Merkmale in Bezug auf das Textverstehen bestimmen lassen und von welchen Faktoren ihre Konstruktion beeinflusst wird. 5.1 Kognitive Textverstehenstheorie 5.1.1 Mentales Textweltmodell als Integrationsebene Moderne kognitive Textverstehenstheorien gehen davon aus, dass Textverstehen ein aktiver, dynamischer kognitiver Prozess ist, bei dem Rezipienten die expliziten Informationen der semantischen Textbasis verarbeiten und zugleich durch konzeptuelle Informationen aus ihrem Langzeitgedächtnis (LZG) pragmatisch anreichern: Beim Textverstehen handelt es sich um einen Prozess, bei dem textgeleitete Bottom-up-Prozesse mit wissensgeleiteten Top-down-Prozessen interagieren (S CHWARZ 2000: 20-22). Die Rezipienten konstruieren im Verstehensprozess eine komplexe mentale Repräsentation des im Text Dargestellten, die ich mit S CHWARZ (2000: 40) als „Textweltmodell“ (TWM) bezeichne. Im Textweltmodell werden die Informationen des Textes sowie die zusätzlich aus dem LZG aktivierten Informationen aufeinander bezogen und zusammenhängend mental repräsentiert. Die kognitive Theorie der Textweltmodelle (S CHWARZ 2000: 39-46, S CHWARZ -F RIESEL 2007: 33-36) bietet für die Modellierung der 5.1 Kognitive Textverstehenstheorie 145 Semantik-Pragmatik-Schnittstelle einen integrativen Rahmen: Im Textweltmodell werden die sprachbasierten (semantischen, textinternen) und die wissensbasierten (pragmatisch-konzeptuellen, textexternen) Informationen integriert. Das „Textweltmodell bildet eine kognitive Zwischenebene im Gedächtnis und fungiert damit als ein Mittlersystem zwischen sprachlicher Textstruktur und außersprachlicher Welt“ (S CHWARZ 2000: 41). Das Textweltmodell stellt eine komplexe Referenzstruktur dar, die die im Text dargestellten Sachverhalte mental repräsentiert: Es umfasst die Referenten sowie die zwischen ihnen bestehenden Relationen (S CHWARZ 2000: 40 f.). Die Referenten sind dabei nicht die Gegenstände der außersprachlichen Welt selbst, sondern immer deren mentale Repräsentationen. 1 Außerdem kommen nicht nur die Repräsentationen von perzeptuell wahrnehmbaren Gegenständen als Referenten in Frage, sondern auch mentale Referenten, d. h. „die repräsentationellen Einheiten unseres Gedächtnisses, die wir bewusst in ihrem mentalen Charakter empfinden“ (S CHWARZ 2000: 24), z. B. fiktive Entitäten wie die literarischen Figuren Tonio Kröger oder Felix Krull (eine Übersicht möglicher mentaler Referenten bietet S CHWARZ 2000: 24). Des Weiteren können wir nicht nur auf Tokens, d. h. Individuenkonzepte, z. B. in Die Katzen meiner Nachbarin sind niedlich, sondern auch auf Types, d. h. Klassenkonzepte, z. B. in Die Katzen gehören zu den Säugetieren, referieren (s. S CHWARZ 2000: 24). Die Konzeption des Textweltmodells als einer komplexen Referenzstruktur fasst S CHWARZ (2000) wie folgt zusammen: „Das Textweltmodell enthält je nach Referentialisierung Tokens und/ oder Types, also konzeptuelle Repräsentationseinheiten, welche die Objekte (im weitesten Sinn) des im Text geschilderten Sachverhalts repräsentieren. Außerdem stellt es die Relation dar, die zwischen den Tokens und/ oder Types bestehen.“ (S CHWARZ 2000: 41) In metaphorischen Äußerungen der Art X ist ein Y wird das durch X bezeichnete Konzept als ein Token des durch Y bezeichneten Types vorgestellt, z. B. in: (86) Mein Nachbar ist ein Kühlschrank. Da diese wörtlich ausgedrückte Relation von den Rezipienten vor dem Hintergrund ihres Weltwissens als falsch bewertet wird (ein konkreter 1 S CHWARZ (2000: 23) geht u. a. von J ACKENDOFF s konzeptueller Semantik aus. Dort „werden die Referenten sprachlicher Ausdrücke in der projizierten (also konzeptuell konstruierten) Welt lokalisiert und damit als mentale Phänomene gekennzeichnet (J ACKENDOFF 1983: 17 f.). Was als Tatsache gilt, wird vom mentalen Weltmodell bestimmt“ (S CHWARZ 2000: 23). Im Gegensatz zu J ACKENDOFF schließt S CHWARZ (2000: 23 f.) aber Type-Referenz ausdrücklich in ihren Ansatz ein (siehe weiter unten). 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale 146 Mensch kann niemals ein Token des Types KÜHLSCHRANK sein), muss bei der Referenzialisierung eine andere, plausible Relation inferiert werden. Die Motivation für die Rezipienten besteht in ihrer grundsätzlichen Annahme, dass der Textproduzent der kommunikativen Kooperativität verpflichtet ist und die im Text gebotenen Informationen deshalb relevant und inhaltlich nachvollziehbar sind (vgl. G RICE 1989, S PERBER / W ILSON 1995, C ARSTON 2002). Wenn eine metaphorische Äußerung wie (86) als Teil eines Textes rezipiert wird, so stützt sich der Inferenzprozess dabei auf das bereits etablierte Textweltmodell. Die inferierte Konzeptrelation wird in das Textweltmodell integriert (s. zum Inferenzbegriff Kap. 5.1.2). Die Referenzialisierung metaphorischer Äußerungen beim Textverstehen ist als ein Phänomen der Kohärenzetablierung zu charakterisieren. Kohärenz wird in der modernen Textlinguistik „als inhaltlicher Zusammenhang, genauer als semantisch-konzeptuelle Kontinuität definiert, d. h. es geht um alle im Text enthaltenen Relationen expliziter und impliziter Art, die den inhaltlichen Zusammenhang und damit die konzeptuelle Kontinuität eines Textes konstituieren [...]. Diese konzeptuelle Kontinuität (als die Menge der plausiblen Relationen zwischen Textteilen) entsteht durch text- und wissensgeleitete Prozesse im Kopf des Rezipienten.“ (S CHWARZ -F RIESEL 2006: 64, vgl. S CHWARZ 2001a,b) Im Normalfall werden Textrezipienten automatisch versuchen, für metaphorische Äußerungen eine Referenzstruktur zu etablieren, die sich konsistent in das Textweltmodell einfügen lässt, so dass der Text als kohärent verstanden werden kann. In Bezug auf Textweltmodelle sind stets „die sukzessive und on-line-stattfindene Repräsentationsentfaltung und die off-line akkumulierte (Resultats-)Repräsentation“ voneinander zu unterscheiden (S CHWARZ 2000: 42). Das Offline-Textweltmodell repräsentiert das Ergebnis des abgeschlossenen Verstehensprozesses. Das Online-Textweltmodell wird während der Textrezeption dynamisch immer weiter mit Informationen angereichert (und kann dabei gegebenenfalls modifiziert bzw. revidiert werden). Es übt auch einen direkten Einfluss auf die Online-Verarbeitung aus, da neu hinzukommende Informationen vor dem Hintergrund des bereits etablierten Modells verstanden werden (S CHWARZ 2000: 41). Auch dies ist ein Grund dafür, dass sich für metaphorische Äußerungen - wie psycholinguistische Experimente zeigen (s. C ACCIARI / G LUCKSBERG 1998, G LUCKSBERG 2001) - meist kein höherer kognitiver Verarbeitungsaufwand nachweisen lässt. Metaphorische Äußerungen werden nicht, wie lange Zeit in der Psycholinguistik angenommen, sequenziell nach dem Prinzip verarbeitet, dass immer zuerst die wörtliche Bedeutung etabliert wird und eine übertragene Bedeutung überhaupt nur in den Fällen erschlossen wird, in denen die 5.1 Kognitive Textverstehenstheorie 147 wörtliche Bedeutung zu einer inhaltlich nicht plausiblen Lesart führt. Vielmehr werden die metaphorischen Äußerungen meist ohne Zeitdifferenzen im Vergleich zur Verarbeitung wörtlicher Äußerungen verstanden (zu deren Verstehen im Normalfall auch konzeptuelles Wissen herangezogen wird) (s. S CHWARZ -F RIESEL 2004: 88, C ACCIARI / G LUCKSBERG 1998, S KIRL 2007). — Referenzpotenzial und spezifische Referenzstruktur In Kapitel 4.1 hatte ich das Verhältnis zwischen dem Referenzpotenzial von Sätzen und der spezifischen Referenzstruktur von Äußerungen dargestellt. In Bezug auf das komplexe Phänomen des Textverstehens bestimme ich das Verhältnis des textsemantischen Referenzpotenzials zur komplexen Referenzstruktur des mentalen Textweltmodells wie folgt: 2 Ein Text besteht aus einer Abfolge von Sätzen, wobei jedem Satz eine semantische Repräsentation zugeordnet werden kann, die sich als Propositionspotenzial (im Sinne der Satzbedeutung) und damit als Referenzpotenzial beschreiben lässt. Die semantische Textbasis lässt sich als eine Repräsentation des komplexen Referenzpotenzials beschreiben, das durch die Gesamtheit der im Text enthaltenen Sätze sprachlich explizit ausgedrückt wird. Wenn ein Satz eines Textes online als Äußerung verstanden wird, so wird eine konzeptuelle Repräsentation erzeugt, die als spezifische Proposition (im Sinne der Äußerungsbedeutung) und damit als spezifische Referenzstruktur beschrieben werden kann. Diese spezifische Referenzstruktur ist Teil des mental repräsentierten Textweltmodells. Das Textweltmodell stellt demnach eine komplexe Referenzstruktur dar, die die spezifischen Referenzstrukturen der einzelnen Äußerungen aufeinander bezieht und zusammenhängend mental repräsentiert. 2 S CHWARZ (2000: 28) unterscheidet hinsichtlich des Textverstehens zwischen den wesentlichen drei Ebenen der „formal-grammatischen, [der] semantischen und [der] referentiell-konzeptuellen“ Ebene: „Ein Text […] setzt sich aus mehreren Sätzen mit grammatischer Struktur […] zusammen, denen bestimmte semantische Repräsentationen (die als Propositionen beschreibbar sind) zugeordnet werden können. Die Propositionen […] beziehen sich auf bestimmte referentielle Sachverhalte […].“ Ich folge dieser Dreiteilung, verwende aber hinsichtlich der zweiten und dritten Ebene eine etwas andere Terminologie, da ich den Propositionsbegriff auf beide dieser Ebenen anwende (vgl. auch die Erläuterungen weiter unten): In meiner Zuordnung wird ein referenzieller Sachverhalt auf der konzeptuellen Ebene (des Textweltmodells) als spezifische Proposition (und damit als spezifische Referenzstruktur), die satzsemantische Repräsentation dagegen als Propositionspotenzial (und damit als Referenzpotenzial) charakterisiert. 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale 148 5.1.2 Inferenz emergenter Merkmale vor dem Hintergrund des Textweltmodells Im Textverstehensprozess wird die Bedeutung der metaphorischen Verwendung eines Ausdrucks in Abhängigkeit von Informationen des Kotextes und unter Einbezug von zusätzlichem konzeptuellen Wissen konstruiert. Die dabei elaborierten konzeptuellen Bedeutungsmerkmale sind Teil des mentalen Textweltmodells (s. S CHWARZ -F RIESEL 2004: 87). Um klar zwischen der Aktivierung lexikalischen Wissens und der zusätzlichen Aktivierung von konzeptuellem Wissen unterscheiden zu können, ist der Begriff der Inferenz geeignet, wenn man ihn wie S CHWARZ (2000: 89) präzise so eingrenzt, dass er nur den „kognitive[n] Verarbeitungsprozeß [bezeichnet], der Informationen aus dem Weltwissensspeicher des Rezipienten aktiviert“. S CHWARZ (2000: 89) charakterisiert Inferenzen näher als kognitive Prozesse, „die - über das textsemantische Potential hinaus - konzeptuelle Informationen zur Konstruktion des Textweltmodells aktivieren bzw. konstruieren“ und grenzt zwei verschiedene Typen von Inferenzen ab: • die Aktivierung von im LZG gespeicherten Weltwisseninformationen zur Disambiguierung, Präzisierung oder Ergänzung von textuellen Einheiten und Strukturen und • die Konstruktion von Informationen, also die dynamische (und kontextabhängige) Bildung von mentalen Repräsentationen, die dem Aufbau des Textweltmodells dienen. (S CHWARZ 2000: 89) Da es sich nur beim zweiten Typ um eine Problemlösungsstrategie handelt, beim ersten dagegen lediglich um eine automatische Aktivierung konzeptuellen Schemawissens (S CHWARZ 2000: 89), verwende ich den Inferenzbegriff im Sinne elaborativer Inferenzen ausschließlich für den zweiten Typ und fasse den ersten Typ unter dem Begriff der Schemaaktivierung (bzw. spezifischer: der Aktivierung eines Schemawertes) zusammen (analog zur Verwendung in S CHWARZ 2000: 111, 114). Meine Bestimmung des Emergenz-Phänomens ist eng an diese Bestimmung des Inferenz-Begriffes gebunden: Emergente konzeptuelle Merkmale werden stets durch elaborative Inferenzen konstruiert. Diese Merkmale sind weder ein Bestandteil der satzsemantischen Repräsentation, noch sind sie ein Teil der konzeptuellen Schemata, die bei der Referenzialisierung der Äußerung über die Aktivierung der einzelnen Lexikoneinträge automatisch mitaktiviert werden. Sie ergeben sich auch noch nicht durch die in der satzsemantischen Repräsentation ausgedrückte Relation zwischen diesen Konzepten. Sie müssen vielmehr erst über Inferenzen aktiv konstruiert werden. Das Ergebnis des Inferenzprozesses ist die mentale Repräsentation 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell 149 einer Relation zwischen Konzepten, die von der in der satzsemantischen Repräsentation ausgedrückten Relation in spezifischer Weise abweicht. Die emergenten konzeptuellen Merkmale sind der wesentliche Teil dieser inferierten Relation: Sie explizieren die ungewöhnliche Kombination KON- ZEPT 1 IST WIE KONZEPT 2 auf innovative Weise. 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell 5.2.1 Verankerung der Bedeutungsmerkmale metaphorisch gebrauchter Ausdrücke In diesem Abschnitt werde ich zeigen, in welchen Wissensbeständen die Bedeutungsmerkmale, die metaphorisch gebrauchten Ausdrücken im Verstehensprozess zugeordnet werden, enthalten sein können. Ich werde ein Modell vorstellen, das die wesentlichen Merkmalsmengen erfasst. Anhand dieses Modells werde ich die semantischen und konzeptuellen (pragmatisch erschlossenen) Merkmalsmengen unterscheiden. Vor allem werde ich zeigen, zu welcher Merkmalsmenge die emergenten konzeptuellen Merkmale gehören, die beim Verstehen innovativer Metaphern konstruiert werden können. — Mengenmodell der Verankerung von Bedeutungsmerkmalen Das Modell der Verankerung der Bedeutungsmerkmale metaphorisch gebrauchter Ausdrücke hat folgende Voraussetzungen: Bei einem Merkmal kann es sich entweder um ein semantisches Merkmal S oder um ein konzeptuelles Merkmal K handeln. Gemäß der Bestimmung der kognitiven Domäne KD (S CHWARZ 2000: 37-39, siehe Kap. 1.4.1) verstehe ich unter den semantischen Merkmalen eines Lexikoneintrags konzeptuelle Merkmale, die an eine sprachliche Form gebunden sind. Ich nehme deshalb keinen substanziellen Unterschied zwischen semantischen und konzeptuellen Merkmalen an und behandle sie in meinem Modell ohne Unterschied. Merkmale können in Merkmalsmengen M zusammengefasst werden. Mein Modell (siehe Schema 1) sieht folgende Merkmalsmengen vor: Es enthält zunächst die Menge der Merkmale der kognitiven Domäne M (KD), auf die der metaphorisch benutzte Ausdruck referiert. In einer metaphorischen Äußerung der Art X ist ein Y wird die kognitive Domäne durch ein Y bezeichnet. Die Merkmalsmenge M (KD) erfasst zum einen die Menge der semantischen Merkmale des Lexikoneintrags M (KD Lexikon ) von Y. Darüber hinaus enthält sie die Menge der konzeptuellen Merkmale M (KD Konzept ), die den konzeptuellen Skopus des Lexikoneintrags bilden, also die konzeptuellen Merkmale des angekoppelten Schemas. 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale 150 Schema 1: Verankerung der Bedeutungsmerkmale metaphorisch gebrauchter Ausdrücke Die kognitive Domäne KD entspricht dem, was ich weiter oben als Konzept 2 bezeichnet habe. Das Konzept 1 - in der Äußerung durch X bezeichnet - nehme ich nicht explizit in mein Modell auf, da die Menge seiner Merkmale nur im (rein theoretischen) Fall von uninformativen, redundanten metaphorischen Äußerungen die relevanten Merkmale zur Verfügung stellen würde (vgl. die Diskussion in Kap. 2.2). 3 3 Implizit sind die Merkmale in meinem Modell dennoch vorhanden: Die semantischen Merkmale des Lexikoneintrags von X gehören zur Merkmalsmenge des Kotextes; die konzeptuellen Merkmale von Konzept 1 zur Merkmalsmenge des Kontextes (siehe weiter unten). 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell 151 Wenn die Merkmale, die Y bei metaphorischem Gebrauch zugesprochen werden, Teil der Merkmalsmenge des Lexikoneintrags M (KD Lexikon ) sind, so ist die etablierte metaphorische Bedeutung semantisch verankert. Sie ist konzeptuell (und damit bereits pragmatisch) verankert, wenn die Merkmale Teil der Menge der konzeptuellen Merkmale M (KD Konzept ) sind. Das folgende einfache Beispiel (vgl. Kap. 1.4.1) soll das verdeutlichen: (87) Der Mann ist ein Löwe. Angenommen, (87) ist Teil eines konkreten Textes und der metaphorische Gebrauch von ein Löwe wird im Textrezeptionsprozess als LANGHAARIG verstanden, so ist diese Bedeutung semantisch basiert, weil LANGHAA- RIG Teil der Merkmalsmenge des Lexikoneintrags M (KD Lexikon ) von Löwe ist, zu dem der Merkmalskomplex MÄHNE (= langes, herabhängendes Haar, DDUW) gehört. Wird ein Löwe z. B. als SCHLÄFRIG verstanden, so ist die metaphorische Bedeutung dagegen pragmatisch-konzeptuell bedingt, da diese Eigenschaft nicht zur Kernbedeutung von Löwe gehört, sondern ein Teil des Konzeptes LÖWE ist: Um das Merkmal SCHLÄFRIG zu etablieren, müssen Rezipienten also über das spezifische Weltwissen verfügen, dass (männliche) Löwen den Hauptteil des Tages verschlafen. 4 Die umfassendste Merkmalsmenge in meinem Modell ist die des mental repräsentierten Textweltmodells. Letztlich fallen alle berücksichtigten Merkmale unter die Merkmalsmenge des Textweltmodells M (TWM): Es enthält einerseits die bereits besprochene Merkmalsmenge der kognitiven Domäne M (KD). Darüber hinaus enthält es die Menge der semantischen Merkmale des Kotextes M (TWM Kotext ) sowie die Menge der konzeptuellen (pragmatisch erschlossenen) Merkmale des Kontextes M (TWM Kontext ). Die Menge der Kotext-Merkmale M (TWM Kotext ) umfasst die Merkmale der semantischen Textbasis, also die Merkmale, die sprachlich explizit über die Lexeme und deren Lexikoneinträge zur Verfügung stehen. Ausgenommen davon sind, wie schon erwähnt, ausschließlich die Merkmale M (KD Lexikon ) des Lexikoneintrags des sprachlichen Ausdrucks Y (ansonsten hätte der Kotext-Begriff keinen Sinn). Daraus ergibt sich wiederum, dass ich auch die Satzumgebung, in die der sprachliche Ausdruck Y eingebettet ist, zum textsemantischen Potenzial, das der Kotext repräsentiert, zähle. Die Menge der konzeptuellen Merkmale des Kontextes M (TWM Kontext ) umfasst alle im Textverstehensprozess pragmatisch erschlossenen Merkmale, also alle im Textweltmodell repräsentierten Merkmale, die nicht explizit im Text durch die Lexeme und deren Lexikoneinträge zur Verfügung gestellt werden, sondern die auf der Aktivierung zusätzlichen konzeptuellen Wissens beru- 4 Diese Lesart - wie auch die Lesart LANGHAARIG - könnte auch durch Informationen des Kotextes nahe gelegt werden (siehe dazu das nächste Kapitel 5.2.3). 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale 152 hen. Dieses zusätzliche Wissen besteht zum einen in den relevanten Bestandteilen der jeweiligen Konzepte, die über den konzeptuellen Skopus der einzelnen Lexikoneinträge prozedural erreicht werden können. 5 Zum anderen besteht es in noch darüber hinaus aktiviertem konzeptuellem Weltwissen, wozu z. B. auch Textsorten- und Diskurswissen zählen. Spezifische kontextuelle Merkmale können auch über Schlussfolgerungsprozesse in Form von elaborativen Inferenzen aktiv konstruiert werden, was besonders für die Etablierung emergenter Bedeutungsmerkmale eine große Rolle spielt (vgl. das vorige Kap. 5.1.2). Die Menge der Kontext-Merkmale M (TWM Kontext ) ist demnach stark von der Aktivität des Rezipienten und seinen allgemeinen kognitiven Voraussetzungen abhängig. In Bezug auf das theoretische Konstrukt eines idealen Rezipienten besteht M (TWM Kontext ) genau aus den Merkmalen, die notwendig und hinreichend sind, um die (bottom-up verarbeitete) explizite Information des Textes bei der Top-down-Verarbeitung informationell so anzureichern, dass ein Textweltmodell konstruiert und mental repräsentiert werden kann, in dem die referenzielle Unterspezifikation 6 des Textes adäquat und vollständig aufgelöst ist. Ich komme noch einmal auf das Bulldozer-Beispiel zurück: (88) Der Mann ist ein Bulldozer. Wenn (88) in einem konkreten Text steht und dem Mann durch die metaphorische Verwendung von ein Bulldozer im Textrezeptionsprozess z. B. das Merkmal RÜCKSICHTSLOS zugesprochen wird - und dieses Merkmal nicht im weiteren Kotext genannt ist -, so handelt es sich um ein Merkmal aus der Menge der Kontext-Merkmale M (TWM Kontext ), weil dieses Merk- 5 Was ich weiter oben für Y über den Zusammenhang zwischen semantischer und konzeptueller Information gesagt habe, gilt selbstverständlich für alle anderen Lexeme auch: Der Lexikoneintrag umfasst die semantischen Merkmale. Er ist im kognitiven System über prozedurale Routen mit den konzeptuellen Merkmalen des angekoppelten Konzeptes verbunden. Lexikoneintrag und Konzept zusammen bilden eine kognitive Domäne. In meinem Modell sind die semantischen Merkmale der jeweiligen kognitiven Domäne Teil der Menge der Kotext-Merkmale M (TWM Kotext ), die konzeptuellen Merkmale dagegen Teil der Menge der Kontext-Merkmale M (TWM Kontext ). 6 Zum Begriff der referenziellen Unterspezifikation und zu den verschiedenen Typen siehe S CHWARZ (2000: 84-87) und vgl. Kap. 3.1 (Fußnote 7). S CHWARZ gibt folgende allgemeine Definition: „Unterspezifikation liegt in Texten vor, wenn Informationen, die zum Aufbau der mentalen Textweltrepräsentation notwendig sind, nicht explizit in der sprachlichen Repräsentation genannt sind, sondern vom Rezipienten aufgrund von Kontextinformationen und/ oder Weltwissensaktivierung und/ oder allgemeinen Schlußfolgerungsprozessen in die mentale Textrepräsentation eingesetzt werden.“ (S CHWARZ 2000: 82, s. a. S CHWARZ -F RIESEL 2006, S CHWARZ 2008: 59-66). 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell 153 mal nicht in der kognitiven Domäne von BULLDOZER verankert ist. Eine Verankerung in der Menge der Kotext-Merkmale M (TWM Kotext ) wäre z. B. gegeben, wenn (88) wie in (89) erweitert würde: (89) Der Mann ist ein Bulldozer, ein rücksichtsloser Mensch. In (89) wird das Merkmal RÜCKSICHTSLOS im Kotext explizit genannt und syntaktisch als Erläuterung von ein Bulldozer nahe gelegt. Die Bedeutung der metaphorischen Verwendung von ein Bulldozer muss vom Rezipienten also nicht erst kontextuell erschlossen werden. Beispiele wie (89) finden sich in authentischen Texten häufig: Den Rezipienten werden im Text spezifizierende Informationen geboten, die die Lesart des metaphorisch gebrauchten Ausdrucks fest- oder nahelegen. Produzenten steuern so durch explizite Hinweise das Verstehen von metaphorischem Sprachgebrauch. Ich nenne dieses Phänomen Kotextualisierung (s. weiter unten). Ich möchte an dieser Stelle noch auf ein schwierig zu lösendes Problem, nämlich das der Abgrenzung, eingehen: Für relativ kurze Texte (z. B. Meldungen, Witze, Aphorismen etc.) ist die hier vorgeschlagene Bestimmung der Merkmalsmenge des Textweltmodells M (TWM) unproblematisch. Sie wird allerdings fragwürdig für sehr lange Texte (z. B. Sachbücher, Biographien, Romane etc.): Sollte man z. B. bei einer metaphorischen Verwendung eines Lexems, die in einem 1000-seitigen Roman auf Seite 433 steht, alle Merkmale des gesamten für die 1000 Seiten erzeugten Textweltmodells in Betracht ziehen? Das wäre eine theoretisch zweifelhafte und psychologisch unplausible Herangehensweise: Die semantischen Merkmale des vollständigen Kotextes des Romans und die Gesamtheit der kontextuell erschlossenen konzeptuellen Merkmale ergeben eine übertrieben und unnötig große Merkmalsmenge. Ich schlage deshalb für lange Texte vor, dass die Merkmalsmenge des Textweltmodells M (TWM) auf den für die Verarbeitung des metaphorisch verwendeten Ausdrucks relevanten Ausschnitt beschränkt wird, im genannten Beispiel also womöglich auf die Merkmalsmenge des Textweltmodells M (TWM) für Seite 433. In Ausnahmefällen kann der relevante Kotext aber auch in einem vergleichsweise großen textuellen Abstand zu finden sein. In Kathrin S CHMIDT s avantgardistischem Roman Koenigs Kinder wird auf Seite 13 eine metaphorische Verwendung von Zimmer (im Sinne von ‘Sexualpartnerin’) eingeführt: (90) „Marl [= der Rechtsanwalt Marl] mochte die Art durchaus, mit der Marona Birnenbaum die Beine übereinanderschlagen konnte. Possierliche Beine. Früher einmal war sie nicht nur seine Sekretärin, sondern auch eines seiner drei wechselnden Zimmer gewesen. Das hatte er nicht vergessen und versuchte gelegentlich, sich vorzustellen, wie er in sie hineingegangen war. Dabei mußte er regelmäßig bemerken, daß er Maro- 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale 154 nas Eigenheiten als Zimmer offenbar nicht bemerkt hatte - sie flossen in seiner Erinnerung mit dem, was ihm Verena und Simone gezeigt hatten, in eins. Maronas Eigenheiten als Sekretärin hingegen kannte er sehr genau, schätzte sie.“ (Kathrin S CHMIDT , Koenigs Kinder, 13) Auf Seite 44 - also im Abstand von 31 Seiten (! ) - wird schließlich mit Hilfe des wieder metaphorisch verwendeten Lexems Zimmer direkt auf die ehemaligen Sexualpartnerinnen des Protagonisten referiert: (91) „Marl […] dachte an seine verlassenen Zimmer. In keinem hatte er ein eigenes Kind hinterlassen, obwohl die Gelegenheit damals nicht schlecht gestanden hatte. Simone, Verena, Marona - sie alle waren jung und mutig gewesen und hatte er keine von ihnen um ein Kind gebeten, obwohl er damals schon ganz ausgemalt war von dem Gedanken, eines zu haben.“ (Kathrin S CHMIDT , Koenigs Kinder, 44) Durch die explizite Nennung der Namen der drei Frauen im Folgesatz wird die Metapher aber auch für die Leserinnen und Leser verständlich, die den Kotext von Seite 13 nicht mehr in Erinnerung haben. Die Bestimmung des relevanten Ausschnitts für die Merkmalsmenge des Textweltmodells M (TWM) ist in jedem Fall eine Interpretationsfrage, die einen Spielraum für Willkür eröffnet. Diese Willkür lässt sich empirisch vermeiden, wenn durch Informantenbefragungen eine intersubjektiv gültige Eingrenzung des relevanten Ausschnitts festgelegt wird. — Vier Standardfälle Zusammenfassend ergibt sich, dass M Metapher , die Menge der Bedeutungsmerkmale, die einem Ausdruck bei metaphorischem Gebrauch zugesprochen wird, eine Teilmenge aus folgenden vier Mengen sein kann: M Metapher ⊂ (M (KD Lexikon ) ∪ M (KD Konzept ) ∪ M (TWM Kotext ) ∪ M (TWM Kontext )) Es lassen sich dementsprechend folgende vier Standardfälle unterscheiden: (I) M Metapher ⊂ M (KD Lexikon ) (II) M Metapher ⊂ M (KD Konzept ) (III) M Metapher ⊂ M (TWM Kotext ) (IV) M Metapher ⊂ M (TWM Kontext ) emergente Merkmale Typ (I) und (II) sind in der kognitiven Domäne des metaphorisch gebrauchten Ausdrucks verankert, Typ (III) und (IV) im Textweltmodell. Semantisch verankert sind Typ (I) und Typ (III): Typ (I) im Lexikoneintrag der kognitiven Domäne, Typ (III) im Kotext. Konzeptuell (pragmatisch) verankert sind dagegen Typ (II) und Typ (IV): Typ (II) im Konzeptinhalt der kognitiven Domäne, Typ (IV) im Kontext. Typ (IV) repräsentiert Fälle, 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell 155 in denen emergente Bedeutungsmerkmale elaboriert werden, worauf ich im nächsten Abschnitt genauer eingehe. Die Verhältnisse der Verankerung sind in Tabelle 2 noch einmal im Überblick dargestellt: Kognitive Domäne Textweltmodell semantisch (I) (III) konzeptuell (pragmatisch) (II) (IV) emergente Merkmale Tabelle 2 Die Standardfälle will ich im Folgenden an vier authentischen Beispielen darstellen, wobei ich auch kurz auf die Einflussfaktoren für das Verstehen der metaphorischen Bedeutung eingehe (die im nächsten Kapitel modellhaft erläutert werden): — Typ (I): M Metapher ⊂ M (KD Lexikon ) (92) Andrea Nahles nannte Schröder die »Abrissbirne sozialdemokratischer Politik« und forderte seinen Kanzleramtsminister Bodo Hombach zum Rücktritt auf. Sie fand Schröders Politik falsch, sie konnte das Sozialdemokratische daran nicht entdecken. (Tina H ILDEBRANDT , Auf dem Sprung in die Mitte. […], DIE ZEIT 28, 07.07.2005, 8) Der wesentliche Teil von (92), das Verstehen der metaphorischen Verwendung des Ausdrucks Abrissbirne, kann wie folgt dargestellt werden: Äußerungsbedeutung (Teil): ABRISSBIRNE (s), s = Gerhard Schröder ZERSTÖRERISCH (s) Die auf Satzebene ausgedrückte Identitätsrelation zwischen Schröder und Abrissbirne wird auf der Ebene der Äußerungsbedeutung so gedeutet, dass GERHARD SCHRÖDER (als einem Individuenkonzept) mit Hilfe des Konzepts ABRISSBIRNE das Merkmal ZERSTÖRERISCH (in Bezug auf die sozialdemokratische Politik) zugesprochen wird. Dieses Merkmal ist (im Sinne von „zur Zerstörung dienend“) schon in der lexikalischen Bedeutung von Abrissbirne enthalten. — Typ (II): M Metapher ⊂ M (KD Konzept ): (93) »Ich bin der Jesus Christus der Politik, leidend, ich nehme alles auf mich, ich opfere mich für jeden.« Silvio Berlusconi, italienischer Minis- 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale 156 terpräsident, zu seiner erneuten Kandidatur als Regierungschef (Worte der Woche, DIE ZEIT 8, 16.02.2006, Politik, 5) 7 Für (93) ergibt sich das Verstehen des metaphorischen Gebrauchs von Jesus Christus folgendermaßen: Äußerungsbedeutung (Teil): JESUS CHRISTUS [DER POLITIK] (b), b = Silvio Berlusconi GEMEINNÜTZIG (b) & DIENEND (b) Die in der Satzbedeutung ausgedrückte IST-Relation zwischen der Person des Sprechers (bezeichnet durch ich) und Jesus Christus der Politik wird auf der Ebene der Äußerungsbedeutung in dem Sinne verstanden, dass dem Individuenkonzept des Sprechers SILVIO BERLUSCONI mit Hilfe des Konzepts JESUS CHRISTUS die Merkmale GEMEINNÜTZIG und DIE- NEND (in Bezug auf seine politische Tätigkeit) zugesprochen werden. Diese Merkmale sind kein Teil des Lexikoneintrags von Jesus Christus (wobei ich auf eine Problematisierung der Tatsache, dass Jesus Christus ein - wenngleich besonderer - Eigenname ist, hier verzichte und den Lexikoneintrag von Jesus Christus gemäß DDUW als „Urheber u. zentrale Gestalt des Christentums“ ansetze). Die Merkmale GEMEINNÜTZIG und DIENEND gehören aber zweifellos zum Konzept JESUS CHRISTUS. — Typ (III): M Metapher ⊂ M (TWM Kotext ) (94) Dabei kommt ihr [= Ségolène Royal, HS] zugute, dass angesichts der Bulldozernatur des starken Mannes der Konservativen, Innenminister Sarkozy, die Bürger auf Politiker mit extremem Durchsetzungswillen längst allergisch reagieren. »Sie ist ein neuer Typus«, lobt Le Monde, »weil sie ihre Macht begrenzt und Gegengewichte zulässt.« (Michael M ÖNNINGER , Königin auf Probe […], DIE ZEIT 11, 09.03.2006, 2) In Bezug auf (94) ergibt sich das Verstehen des metaphorischen Kompositums 8 Bulldozernatur in dieser Form: Äußerungsbedeutung (Teil): BULLDOZERNATUR (s), s = Nicolas Sarkozy DURCHSETZUNGSSTARK (s) 7 Das Beispiel (93) habe ich bereits im Zusammenhang von Kap. 4.1.1 als Beispiel (44) besprochen. 8 Siehe zum speziellen Typ der Kompositummetaphern S KIRL (2009, im Druck). 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell 157 Die auf Satzebene ausgedrückte Relation zwischen dem damaligen französischen Innenminister Sarkozy und Bulldozernatur (im Sinne von ‘Innenminister Sarkozy ist / hat eine Bulldozernatur’) wird auf der Ebene der Äußerungsbedeutung wie folgt verstanden: Dem Individuenkonzept NICOLAS SARKOZY wird über das Konzept BULLDOZERNATUR das Merkmal DURCHSETZUNGSSTARK zugesprochen. Dieses Merkmal ist zwar kein Teil des Konzeptes BULLDOZERNATUR, es wird aber durch die Phrase Politiker mit extremem Durchsetzungswillen explizit als Bedeutungsmerkmal der metaphorischen Verwendung von Bulldozernatur signalisiert. Es handelt sich also um ein Merkmal, das im Kotext verankert ist. (Wie ich weiter oben schon angedeutet habe, finden sich in authentischen Texten solche Fälle von Kotextualisierung einer metaphorischen Wortverwendung häufig: Produzenten versuchen auf diese Art, die metaphorische Lesart durch explizite Deutungshinweise zu determinieren.) — Typ (IV) M Metapher ⊂ M (TWM Kontext ) (95) In Blackpool ist viel vom Labour-Führer die Rede, von Tony Blair, dem „Teflonmann“, der „politischen Elster“, dem „Ideendieb“. Doch die Kaskade der Spottworte unterstreicht nur, wie unheimlich der Labour-Chef den Tories ist. (Jürgen K RÖNIG , Angst im Nacken. Auf dem Parteitag der britischen Konservativen trumpfen die Rechten auf. […], DIE ZEIT 42, 13.10.1995, Politik, 14) 9 Die Deutung des metaphorischen Kompositums Teflonmann in (95) lässt sich so erfassen: Äußerungsbedeutung (Teil): TEFLONMANN (b), b = Tony Blair UNANGREIFBAR (b) & OPPORTUNISTISCH (b) Die durch die Satzbedeutung nahe gelegte Identitätsrelation von Tony Blair und Teflonmann wird auf der Ebene der Äußerungsbedeutung dahingehend interpretiert, dass mit Hilfe des Konzeptes TEFLONMANN bzw. TEFLON dem Individuenkonzept TONY BLAIR z. B. die Merkmale UN- ANGREIFBAR und OPPORTUNISTISCH zugesprochen werden. Diese finden sich weder in der kognitiven Domäne von TEFLON, noch sind sie im Kotext erwähnt. Der Kotext bietet auch keine Hinweise, die eine bestimmte Lesart von Teflonmann nahe legen würden. Die betreffenden Merkmale müssen vom Rezipienten allein vor dem Hintergrund seines 9 Das Beispiel (95) habe ich bereits in Kap. 4.1.3 kurz als Beispiel (61) diskutiert. 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale 158 spezifischen Weltwissens durch elaborative Inferenzen erschlossen werden. Bei diesen Merkmalen handelt es sich um emergente Merkmale, auf die ich nun noch näher eingehe. 10 — Emergente Merkmale Ist M Metapher , die Menge der Bedeutungsmerkmale, die einem metaphorisch gebrauchten Ausdruck zugesprochen wird, ausschließlich eine Teilmenge aus der Menge der Kontext-Merkmale M (TWM Kontext ), so handelt es sich um emergente Merkmale. Die Merkmale dürfen demnach, negativ definiert, weder Teil der Merkmale der Kognitiven Domäne des metaphorisch gebrauchten Ausdrucks noch Merkmale des Kotextes sein: M Metapher ⊄ (M (KD Lexikon ) ∪ M (KD Konzept ) ∪ M (TWM Kotext )) emergente Merkmale Mit dieser Bestimmung sind emergente Merkmale beim Textverstehen präzise erfasst. Die Bedingung, dass die Merkmale nicht nur kein Teil der Satzbedeutung, sondern auch nicht im Kotext jenseits des Satzes genannt werden dürfen, stellt eine Ausweitung gegenüber der Emergenzbedingung dar, die ich in Kap. 4.1.3 für die Äußerungsbedeutung definiert hatte. Für die Ebene des Textverstehens stellt sich analog zur Frage des Verhältnisses von Satzbedeutung (als Referenzpotenzial) und Äußerungsbedeutung (als mental repräsentierter Referenzstruktur) die Frage nach dem Verhältnis von textsemantischem Potenzial (als komplexem Referenzpotenzial) und Textweltmodell (als mental repräsentierter komplexer Referenzstruktur). Damit der Emergenz-Begriff auch für die Textverstehensebene von Belang ist, müssen Fälle ausgeschlossen werden, in denen die Bedeutung einer metaphorischen Verwendung eines Lexems explizit mitgeteilt wird, gleichgültig, ob dies in einem der Sätze vor oder nach dem 10 Die fehlende Kotextualisierung legt die Vermutung nahe, dass der Autor des Artikels den Bedeutungsgehalt der metaphorischen Verwendung von Teflon in Teflonmann für kontextuell problemlos erschließbar hielt. Ein zweiter Beleg erlaubt die entgegen gesetzte Vermutung: In einem zehn Monate später veröffentlichten Artikel desselben Autors wird die Metapher Teflonmann wiederum verwendet, diesmal jedoch mit einer erläuternden Kotextualisierung („Welches Etikett die Konservativen ihm auch anhängten - Ideendieb, Stalin, Bambi oder der Wolf im Schafspelz von New Labour, nichts bleibt kleben“), die die Lesart UNANGREIFBAR nahe legt: „Ein dämonischer Tony Blair, teuflisch grinsend, mit rotglühenden Augen - mit dieser Anzeige in der Sonntagspresse wollen die Tories die Wähler das Gruseln lehren. Bislang hatte sich der Labour-Chef als Teflon- Mann erwiesen. Welches Etikett die Konservativen ihm auch anhängten - Ideendieb, Stalin, Bambi oder der Wolf im Schafspelz von New Labour, nichts bleibt kleben. ’Bambi‘ Blair blieb populär.“ (Jürgen K RÖNIG , Blair ist zu populär, DIE ZEIT 35, 23.08.1996, Politik, 6) 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell 159 Satz, der dieses Lexem enthält, geschieht. Ich möchte also einen Fall ausschließen wie: (96) Der Mann ist ein vollkommen rücksichtsloser Mensch. Er ist wirklich ein Bulldozer. Beim Online-Verstehen von (96) ist die mentale Repräsentation des Individuenkonzeptes MANN schon durch das Merkmal RÜCKSICHTSLOS angereichert, bevor die metaphorische Verwendung von ein Bulldozer verarbeitet wird. Deren Bedeutung ist damit schon festgelegt und muss nicht über Inferenzen erschlossen werden. Das Merkmal RÜCKSICHTSLOS wird nicht eigens für das Konzept BULLDOZER inferiert, und BULLDO- ZER fügt der mentalen Repräsentation von MANN keine neuen Merkmale hinzu. Deshalb ist das Merkmal RÜCKSICHTSLOS nicht emergent. Selbstverständlich wird der inhaltliche Zusammenhang von benachbarten Sätzen bei der Referenzialisierung nicht einfach nur schematisch abgebildet, sondern aktiv konstruiert. Dennoch würde es den Begriff der Emergenz unnötig aushöhlen, würde man auch Fälle wie (96) als Beispiele für die Konstruktion von emergenter Bedeutung werten, obwohl das entsprechende Bedeutungsmerkmal nicht über eine Inferenz konstruiert, sondern im Prozess der Kohärenzetablierung lediglich richtig zugeordnet werden muss (vgl. zu determinierender Kotextualisierung weiter unten Kap. 5.2.2). Mit ähnlichen Argumenten möchte ich Beispiele wie (97) ausschließen, in denen die spezifizierende Information im Folgesatz genannt ist: (97) Der Mann ist ein Bulldozer. Er ist wirklich vollkommen rücksichtslos. Beim Online-Verstehen von (97) wird zwar zunächst eine Bedeutung für ein Bulldozer inferiert. Bei der Verarbeitung des Folgesatzes wird diese Bedeutung aber aufgrund der expliziten Nennung festgelegt. Das Inferenzergebnis wird also entweder durch die explizite Information bestätigt oder muss revidiert werden. In Bezug auf das semantische Potenzial des Gesamttextes ist RÜCKSICHTSLOS deshalb kein emergentes Merkmal. Das schon angedeutete Problem der korrekten Zuordnungen bei der Referenzialisierung aufeinander folgender Sätze kann selbstverständlich mit dem Merkmalsmengenmodell nicht adäquat erfasst werden. Die sehr strikte Bedingung, emergente Merkmale dürften nicht im Kotext genannt werden, sollte deshalb (präzisierend) wie folgt interpretiert werden: Nur die kotextuellen Merkmale dürfen ausgeschlossen werden, für die im Prozess der Referenzetablierung überhaupt ein Zusammenhang mit dem Konzept, auf das der metaphorisch gebrauchte Ausdruck referiert, hergestellt werden kann. Beispiel (98) soll das verdeutlichen: 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale 160 (98) Der Inhaber des Lebensmittelmarktes ist ein Bulldozer. Es ist unglaublich, wie er sich seinen Angestellten gegenüber verhält. Neulich kam eine junge Frau in den Laden, die sich sehr rücksichtslos gegenüber einer anderen, schon sehr betagten Kundin verhielt. Eine Verkäuferin eilte der alten Dame zu Hilfe. Der Inhaber warf seiner Angestellten dann vor, sie vernachlässige ihre Arbeit. Wenn für die metaphorische Verwendung von ein Bulldozer in (98) das Merkmal RÜCKSICHTSLOS inferiert werden sollte, so handelt es sich tatsächlich um ein emergentes Merkmal. Denn die explizite Erwähnung dieses Merkmals im nachfolgenden Kotext kann sich unter keinen Umständen auf ein Bulldozer oder Der Inhaber des Lebensmittelmarktes beziehen. Eine andere Frage als die nach der Verankerung der Bedeutungsmerkmale metaphorisch gebrauchter Ausdrücke in den verschiedenen Merkmalsmengen ist die nach den Einflussfaktoren auf das Verstehen metaphorisch gebrauchter Ausdrücke. Auch wenn ein Bedeutungsmerkmal als emergent angesehen werden kann, weil es weder Teil der kognitiven Domäne des metaphorisch gebrauchten Ausdrucks ist noch Teil der Merkmalsmenge, die durch den Kotext bereitgestellt wird, so wird die Bedeutungsetablierung trotzdem über verschiedene Faktoren gesteuert. Dieser Problematik widme ich mich im folgenden Abschnitt genauer. 5.2.2 Einflussfaktoren beim Metaphernverstehen Die Einflüsse auf das Verstehen metaphorisch gebrauchter Ausdrücke sind vielfältig und müssen stets am konkreten Beispiel nachgewiesen werden. Grundlegend ist der Einfluss, den die beiden kombinierten Konzepte selbst ausüben, wobei die Kombination im Verstehensprozess gedeutet wird als KONZEPT 1 IST WIE KONZEPT 2 BEZÜGLICH DER MERKMALE Z. Durch Konzept 1 wird die Menge der möglichen Merkmale Z wie folgt eingeschränkt: Nur solche Merkmale, die zu der ontologischen Kategorie passen, unter die Konzept 1 fällt, kommen als Merkmale, die Konzept 2 bereitstellen soll, überhaupt in Frage: (99) Der neue 7er BMW ist ein Bulldozer. Er ist sehr schwer und stark motorisiert / *zielstrebig und willensstark. In (99) wird Konzept 1 durch Der neue 7er BMW bezeichnet, Konzept 2 durch ein Bulldozer. Beide Konzepte fallen unter die Kategorie FAHRZEUG. Konzept 1 können also mit Hilfe von Konzept 2 nur FAHRZEUG-Merkmale zugesprochen werden. Daher sind die im nachfolgenden Satz explizit benannten Merkmale SCHWER und STARK MOTORISIERT plausible Erläuterungen der metaphorischen Bedeutung, dagegen kommen ZIEL- 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell 161 STREBIG und WILLENSSTARK nicht in Frage, weil sie sich nicht auf Fahrzeuge, sondern nur auf Menschen beziehen können (ich setze dabei voraus, dass Konzept 1 nicht dem kognitiven Prozess der Personifikation unterzogen wurde). Durch Konzept 2 wird die Menge der möglichen Merkmale, die auf Konzept 1 übertragen werden kann, vor allem eingeschränkt durch die spezifischen Relationen, in denen Konzept 2 zu anderen Konzepten steht, die zur selben übergeordneten Kategorie gehören (vgl. auch A SHER / L ASCARIDES 2001). Ich bleibe beim Bulldozer-Beispiel: Die Relationen des Konzeptes BULLDOZER zu anderen Konzepten, die zur Kategorie FAHR- ZEUG gehören, z. B. zum Konzept AUTO, besteht darin, dass es sich bei einem Bulldozer um ein vergleichsweise großes, schweres, stark motorisiertes, langsames Fahrzeug handelt, dessen Besonderheit darin besteht, ein Raupenfahrzeug zu sein, das bei Baumaßnahmen zum Verschieben von größeren Erdmassen eingesetzt wird. Diese Relationen spielen eine Rolle, wenn BULLDOZER als Konzept 2 Merkmale zur Charakterisierung von Konzept 1 , zur Verfügung stellen soll: 11 (100) Der neue Smart ist ein Bulldozer. Für (100) ergibt sich ad hoc keine plausible Lesart der metaphorischen Verwendung von ein Bulldozer, da es sich bei einem Smart um einen Kleinwagen handelt, der nicht über die typischen Eigenschaften von BULLDO- ZER verfügen kann. Die Äußerung wäre nur dann als inhaltlich plausibel zu verstehen, wenn sie nicht nur als metaphorisch, sondern auch als Form des hyperbolischen oder auch des ironischen Sprachgebrauchs verstanden wird (s. zur Kombination von Metaphern mit weiteren rhetorischen Stilfiguren S KIRL / S CHWARZ -F RIESEL 2007: 17-19). (101) Der Mann ist ein Bulldozer. Er ist stämmig, kraftvoll und draufgängerisch/ *schmächtig, schwach und zaghaft. In (101) wird Konzept 1 durch Der Mann bezeichnet: Die im Folgesatz genannten Merkmale STÄMMIG, KRAFTVOLL, DRAUFGÄNGERISCH sind plausible Explikationen der metaphorischen Bedeutung von ein Bulldozer, die Merkmale SCHMÄCHTIG, SCHWACH und ZAGHAFT dagegen nicht. Die durch die metaphorische Äußerung bewirkte Konzeptkopplung KON- 11 Explizit wird die Relation von BULLDOZER zu einem anderen Vertreter einer übergeordneten Kategorie in folgendem authentischen Beispiel hergestellt (als übergeordnete Kategorie wurde MASCHINE gewählt): „Der Bulldozer ‘Arik’ ist zu einem mickrigen Rasenmäher geschrumpft. Statt dass er die interne Opposition platt macht, fügt er ihr schmerzhafte, aber letztlich oberflächliche Stichwunden zu.“ (Charles A. L ANDSMANN , Jeder für sich, keiner für alle. Viel Taktik, aber keine Mehrheiten für Scharons Rückzugsplan in der Regierung, Der Tagesspiegel, 01.06.2004, 8) 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale 162 ZEPT 1 IST WIE KONZEPT 2 wird nämlich gedeutet als: Die Relation von Konzept 1 zu anderen Konzepten derselben Kategorie ist analog zur Relation von Konzept 2 zu anderen Konzepten derselben übergeordneten Kategorie. Damit ist das Prinzip der Analogie (im Sinne von Verhältnisgleichheit) erfasst, das oft als Grundprinzip des Verstehens metaphorischer Äußerungen postuliert wird (s. C OENEN 2002: 77 f., S KIRL / S CHWARZ -F RIESEL 2007: 59 f.). Es lässt sich für das Beispiel schematisch wie folgt darstellen: Individuenkonzept MANN BULLDOZER andere Individuenkonzepte andere Konzepte der der Kategorie MANN Kategorie FAHRZEUG Da das Konzept BULLDOZER im Verhältnis zu anderen Konzepten der Kategorie FAHRZEUG in Bezug auf Größe, Schwere, Kraft etc. sehr hohe Werte auf der entsprechenden FAHRZEUGE-Skala erhält, kann es auf MANN keine Eigenschaften übertragen, die auf der entsprechenden MANN-Skala nur sehr niedrige Werte erhalten. Das erklärt auch, warum bei der Übertragung von Merkmalen, die psychische Eigenschaften repräsentieren, die BULLDOZERN per se gar nicht eigen sein können (da Bulldozer Artefakte und keine Menschen sind), dennoch nicht beliebige Merkmale in Frage kommen. In Bezug auf das Eigenschaftskonzept MUT kann BULLDOZER deshalb dazu benutzt werden, das Merkmal DRAUF- GÄNGERISCH bereitzustellen, nicht aber das Merkmal ZAGHAFT, da DRAUFGÄNGERISCH auf der (positiven) MUT-Skala einen sehr hohen, ZAGHAFT dagegen einen sehr geringen Wert erhält. Die dargestellten Einflüsse von Konzept 1 und Konzept 2 auf das Verstehen metaphorischer Äußerungen gelten demnach auch für den Fall, dass es sich bei den von Konzept 2 auf Konzept 1 projizierten Merkmalen um emergente konzeptuelle Merkmale handelt (die per se also kein Teil von Konzept 2 sind): Konzept 1 legt (gemäß seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie) fest, welche Merkmale grundsätzlich in Frage kommen könnten. Konzept 2 übt einen restringierenden Einfluss auf die Menge möglicher Merkmale aus, der sich aus den spezifischen Relationen ableiten lässt, in denen Konzept 2 zu anderen Konzepten steht, die zur selben übergeordneten Kategorie gehören. Neben den Einflüssen von Konzept 1 und Konzept 2 üben der Kotext und der Kontext einen spezifischen Einfluss auf das Verstehen der metaphorischen Verwendung eines Ausdrucks aus. Ich hatte schon darauf verwiesen, dass Textproduzenten oft über sprachlich explizite Hinweise eine spezifische Lesart zum Ausdruck bringen bzw. nahe legen und hatte diese Form, das Verstehen metaphorischer 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell 163 Äußerungen abzusichern, als Kotextualisierung bezeichnet. Dabei sind zwei verschiedene Arten zu unterscheiden: • determinierende Kotextualisierung: Die intendierte Bedeutung der metaphorischen Verwendung eines Ausdrucks wird im Kotext explizit erwähnt. (Der Mann ist ein Bulldozer. Denn er ist sehr durchsetzungsstark.) 12 • restringierende Kotextualisierung: Der Bedeutungsspielraum der metaphorischen Verwendung eines Ausdrucks wird durch explizite Hinweise im Kotext eingeschränkt, wodurch eine spezifische Deutungsrichtung nahe gelegt wird. Die intendierte Bedeutung wird aber nicht explizit erwähnt. (Der Mann ist ein Bulldozer. Er hat viele berufliche Erfolge vorzuweisen.) Der Normalfall scheint der der restringierenden Kotextualisierung zu sein (vgl. W EINRICH 2 1996): 13 Die Bedeutung der metaphorischen Verwendung des jeweiligen Ausdrucks ist dabei noch informativ, da sie im Kotext nicht explizit genannt wird. Sie muss aber nicht allein über die Aktivierung von kontextuellen Wissensbeständen erschlossen werden (die nicht durch die Textbasis ausgelöst werden), da der Kotext, wie gesagt, Anhaltspunkte für die Etablierung einer plausiblen Lesart bietet. Der Fall, dass Produzenten gänzlich auf explizite Hinweise zur Deutung von innovativen Metaphern verzichten, ist wesentlich seltener. 12 Vgl. drei authentische Beispiel für determinierende Kotextualisierung: „Pragmatisches Handeln sieht in den Augen des ‘Bulldozer’, wie Lee in Südkorea wegen seiner zupackenden Art auch genannt wird, so aus: Verschlankung der Verwaltung und Entrümpelung des Paragrafendickichts, begleitet von Privatisierungen öffentlicher Aufgaben.“ (Jan W. B RÜGELMANN , Der „Bulldozer“ geht ans Werk. Südkoreas neuer Präsident skizziert die Zukunft des Landes, KSTA, 02.04.08) „Seine Kompromisslosigkeit machte Ariel Scharon in den Augen nicht nur der Israelis zum Hardliner und trug ihm den Spitznamen ‘Bulldozer’ ein.“ (Pierre H EUMANN , Krieger und Politiker, KSTA, 07.01.06) „In den Jahren seines steilen Aufstiegs bis an die Spitze der Deutschen Telekom hat René Obermann, 43, Eigenschaften gezeigt, die ihm den Namen ‘Bulldozer’ einbrachten: Härte gegen sich und andere, die Fähigkeit, sich und seinen Willen durchzusetzen, vielleicht auch ein gewisser Mangel an Feingefühl, zumindest aber an diplomatischen Finessen.“ (Armin M AHLER , Die großen Anleger aus dem Ausland fordern ständig steigende Renditen, Der Spiegel, 22.12.2006, 48) 13 Siehe z. B. W EINRICH s Metapherndefinition, in der er den Einfluss der Informationen des Kotextes (der von ihm als „Kontext“ bezeichnet wird) hervorhebt: „Eine Metapher, und das ist im Grunde die einzig mögliche Metapherndefinition, ist ein Wort in einem Kontext, durch den es so determiniert wird, daß es etwas anderes meint, als es bedeutet. Vom Kontext hängt wesentlich ab, ob eine Metapher sich selber deutet oder rätselhaft bleibt. Eine starke Kontextdetermination zwingt auch das fremdeste Wort in den gemeinten Sinnzusammenhang.“ (W EINRICH 2 1996 [1963]: 334) 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale 164 Wie ich im nächsten Unterkapitel anhand authentischer Beispiel zeigen werde, schließen sich restringierende Kotextualisierung und die Etablierung emergenter Merkmale keinesfalls aus. Es kann aber im Einzelfall eine Abgrenzungsproblematik entstehen (ähnlich der im Hinblick auf die Bestimmung des relevanten Kotext-Ausschnittes, vgl. weiter oben). In meinem Merkmalsmengenmodell gelten Merkmale, die einem Ausdruck bei metaphorischem Gebrauch zugesprochen werden, bekanntlich dann als emergent, wenn sie weder Teil der Merkmale der kognitiven Domäne M (KD) noch der Menge der Kotextmerkmale M (TWM Kotext ) sind, sondern ausschließlich zur Menge der Kontextmerkmale M (TWM Kontext ) gehören. Die sprachlich expliziten Hinweise, die bei restringierender Kotextualisierung eine bestimmte Lesart nahe legen, dürfen demnach das für die Metaphernbedeutung relevante Merkmal nicht in der semantischen Repräsentation zur Verfügung stellen. Als geeigneter Test kann die Streichbarkeitsprobe gelten (vgl. Kap. 1.4.1): Wenn sich beim Zurücknehmen des Merkmals ein Widerspruch in Bezug auf die Informationen der restringierenden Kotextualisierung ergibt, dann ist das Merkmal Teil der semantischen Implikation, gehört damit zur Menge der Kotextmerkmale M (TWM Kotext ) und kann dementsprechend nicht emergent sein. (102) Der Mann ist ein Bulldozer. Er eignet sich als Türsteher. Wenn für die metaphorische Verwendung von Bulldozer in (102) z. B. das Merkmal DURCHSETZUNGSSTARK etabliert wird, so handelt es sich sicherlich nicht um ein emergentes Merkmal. Denn in Bezug auf die Information des Kotextes (Er eignet sich als Türsteher) ergibt sich wahrscheinlich ein Widerspruch bei der Streichung des Merkmals, wie (103) nahe legt. Das Merkmal wäre demnach in der Satzbedeutung des Folgesatzes verankert. 14 (103) Der Mann eignet sich als Türsteher. ? ? Er ist aber nicht durchsetzungsstark. Wenn dagegen für die metaphorische Verwendung von Bulldozer in (102) z. B. das Merkmal BRUTAL inferiert wird, so handelt es sich um ein emergentes Merkmal. Denn in Bezug auf die Information des Kotextes (Er eignet 14 Es handelt sich hier um einen Problemfall der Kompositionalität (s. a. Kap. 4.1.3), da sich die Verankerung des Merkmals DURCHSETZUNGSSTARK in der Satzbedeutung nicht an einem einzelnen Lexem festmachen lässt, sondern sich aus der gesamten VP eignet sich als Türsteher ergibt, wobei die lexikalische Bedeutung von sich eignen („die erforderlichen, zweckentsprechenden Eigenschaften besitzen“, DDUW) grundlegend ist. Das Merkmal DURCHSETZUNGSSTARK wäre z. B. emergent in Bezug auf: Der Mann ist ein Bulldozer. Er ist Türsteher. Denn die Streichung würde keinen zwingenden Widerspruch ergeben: Der Mann ist Türsteher. Er ist aber nicht durchsetzungsstark. 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell 165 sich als Türsteher) ist dieses Merkmal streichbar. Seine Zurücknahme ergibt nämlich keinen Widerspruch, wie (104) zeigt. Das Merkmal ist kontextuell erschlossen und daher emergent. (104) Der Mann eignet sich als Türsteher. Er ist aber nicht brutal. Die vorgestellten Einflussfaktoren auf das Verstehen metaphorisch gebrauchter Ausdrücke sind modellhaft noch einmal in Schema 2 dargestellt: Schema 2: Einflussfaktoren auf das Verstehen eines metaphorisch gebrauchten Ausdrucks Auch wenn metaphorischer Sprachgebrauch durch restringierende Kotextualisierung erläutert wird, so ist das Etablieren einer plausiblen Lesart durch die Rezipienten keineswegs ein simpler Dekodierungsprozess, sondern ein komplexer kognitiver Konstruktionsprozess, was in besonderem Maße auf die Erzeugung emergenter konzeptueller Bedeutungsmerkmale zutrifft: Der Kotext bietet zwar sprachlich explizite Hinweise, diese müssen 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale 166 aber selbst gedeutet und ins Verhältnis zueinander gesetzt werden. In Bezug auf das Verstehen der metaphorischen Äußerung dienen die kotextuellen Informationen als Auslöser für die Aktivierung von zusätzlichem konzeptuellem Wissen, auf dessen Grundlage die elaborativen Inferenzen operieren können. Als deren Ergebnis wird eine spezifische Relation von Konzept 1 und Konzept 2 mental repräsentiert, wobei die emergenten konzeptuellen Merkmale ein wesentlicher Bestandteil der Relationsrepräsentation sind. Diese mentale Repräsentation ist Teil des Textweltmodells, in dessen Zusammenhang sie sich einfügt und vor dessen Hintergrund sie in Bezug auf ihren Wahrheitswert und auf ihre Angemessenheit beurteilt werden kann. Ich möchte zum Schluss des Kapitels an einer Fallstudie zum bereits mehrfach erwähnten Bulldozer-Beispiel nachweisen, dass das Inferieren von emergenten konzeptuellen Merkmalen im Textverstehensprozess durch restringierende Informationen des Kotextes beeinflusst wird. 5.2.3 Fallstudie: Bulldozer -Beispiele und emergente konzeptuelle Merkmale Die Fallstudie bezieht sich auf authentische Textexemplare aus der Wochenzeitschrift DIE ZEIT. Ich habe die kompletten Jahrgänge 1995 bis 2005 (CD-ROM-Ausgabe, Datenstand 01.01.2006) im Hinblick auf die metaphorische Verwendung des Ausdrucks Bulldozer durchsucht und dabei zwölf eindeutige Fälle identifiziert. Für sechs der Fälle ist es wahrscheinlich, dass Rezipienten im Prozess der Referenzetablierung emergente konzeptuelle Merkmale für BULLDOZER konstruieren, da diese Merkmale nicht Teil des Konzeptes BULLDOZER sind und nicht im Kotext explizit genannt werden (in allen Fällen werden die Merkmale aber kotextuell restringiert). Dass die metaphorische Verwendung von Bulldozer im Deutschen 15 noch als neuartig gelten kann und nicht den Status einer konventionalisierten Verwendung besitzt, dafür sprechen zwei Gründe: 1. Wäre die Verwendung bereits lexikalisiert, würden Textproduzenten nicht über restringierende Kotextualisierung eine Lesart nahe legen, sondern auf kotextuelle Erläuterungen ganz verzichten. 15 Im Englischen ist zumindest die metaphorische Verwendung des zugehörigen Verbs, to bulldoze (das in wörtlicher Verwendung „planieren <Boden>; mit der Planierraupe wegräumen <Gebäude>“ bedeutet) bereits lexikalisiert: „2) (fig.: force) bulldoze sb. into doing sth. jmdn. dazu zwingen, etw. zu tun; the Bill was bulldozed through Parliament by the government (fig.) das Gesetz wurde von der Regierung im Parlament durchgeboxt“ (Duden-Oxford - Großwörterbuch Englisch. 3. Aufl. Mannheim 2005 [CD- ROM]). 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell 167 2. Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass jeweils eine unterschiedliche, kotext- und kontextabhängige metaphorische Lesart etabliert werden kann und sich keine Standardlesart ableiten lässt (bis auf einen Fall sind die inferenziell elaborierten Merkmale aber negative Zuschreibungen). 16 Beispielanalysen: (105) Chirac ist nicht mehr der Bulldozer, als der er in den siebziger Jahren galt, sondern ein ausgereifter, ziemlich ausgeglichener Politiker rechts von der Mitte. Wer ihn während der letzten Jahre in internationaler Umgebung getroffen hat, dem gefiel die Weltläufigkeit, die ihm zugewachsen ist - und übrigens auch sein Kunstverständnis. (Helmut S CHMIDT , Frankreich nach der Präsidentenwahl […], DIE ZEIT 20, 12.05.1995, Politik) In (105) wird Bulldozer, das sich auf Jacques Chirac bezieht, durch das explizite Ausdrücken einer Kontrastrelation („ein ausgereifter, ziemlich ausgeglichener Politiker“, „die Weltläufigkeit, die ihm zugewachsen ist“) erläutert. Kontrastieren ist ein häufiges Verfahren der Kotextualisierung (vgl. auch A SHER / L ASCARIDES 2001). Als Merkmale für BULLDOZER könnten Rezipienten z. B. FORSCH und UNFEIN etc. inferieren, wobei sie auch ihr spezifisches Weltwissen über die internationale politische Bühne im Allgemeinen und den ehemaligen französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac im Besonderen in den Inferenzprozess einbeziehen: Äußerungsbedeutung (Teil): BULLDOZER (c), c = Jacques Chirac FORSCH (c) & UNFEIN (c) (106) Hans-Georg Meier, der Initiator und die treibende Kraft hinter dem Treffen [= ein Treffen israelischer, palästinensischer und deutscher Autoren zum Thema „Heimat“], ein beharrlicher, kluger Bulldozer, hatte die besten Absichten, doch es funktionierte nicht. Um mit einem arabischen Politautor zu diskutieren, der von einem der israelischen Teil- 16 Im Anglizismen-Wörterbuch (C ARSTENSEN / B USSE 2001: 181) wird die Bedeutung von Bulldozer-Metaphern dagegen einheitlich mit „Mensch, der sich wie ein Bulldozer über den Widerstand und die Belange anderer hinwegsetzt, um seine Ziele zu erreichen“ paraphrasiert. Die drei angegebenen Presse-Belege aus dem Themenbereich Politik bieten zu wenig Kotext, um diese spezifische Lesart zu verifizieren (C ARSTEN- SEN / B USSE 2001: 181 f.). Allgemein werden metaphorische Verwendungen von Bulldozer im Deutschen als „<selten>“ charakterisiert (C ARSTENSEN / B USSE 2001: 181). 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale 168 nehmer zum erstenmal hörte, daß es einen Holocaust gegeben hat, oder um den Deutschen zu demonstrieren, wie schlecht die Juden und die Araber sich verstehen, hätte man kein Autorentreffen in Speyer gebraucht. (Yoram K ANIUK , Von Scheiterhaufen zu Scheiterhaufen, DIE ZEIT 2, 02.01.1998, Feuilleton) Durch die Adjektive beharrlich und klug und die VP hatte die besten Absichten, mit denen explizit positive Charakterisierungen ausgedrückt werden, wird für (106) eine positive Eigenschaftszuschreibung durch Bulldozer nahe gelegt. Aktiviert werden von den Rezipienten auch konzeptuelle Informationen über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern sowie diesbezügliche Haltungen von Deutschen und natürlich, falls vorhanden, Wissen über Hans-Georg Meier (der im gesamten Artikel nur dieses eine Mal erwähnt wird). Ergebnis des Inferenzprozesses könnten z. B. die Merkmale UNBEIRRBAR und IDEALISTISCH etc. sein: Äußerungsbedeutung (Teil): BULLDOZER (m), m = Hans-Georg Meier UNBEIRRBAR (m) & IDEALISTISCH (m) (107) Aber als ich mit elf zur Highschool ging, war dann Rugby angesagt. Rugby, immer nur Rugby. Das Spiel habe ich nie gemocht, ich war viel zu klein dafür. Kaum hatte ich den Ball, nahmen mich sechs Bulldozer in die Mangel. Ich wurde beinahe getötet. Man musste ein Schrank sein, um im Rugby was zu taugen. (Bill W YMAN , Ich habe einen Traum […], DIE ZEIT 23, 31.05.2001, Leben) Rezipienten werden beim Verstehen von (107) ihr konzeptuelles Wissen des RUGBY-Schemas aktivieren, das z. B. auch Angaben über die große körperliche Härte dieses Kampfspiels und sicherlich ein mentales Bild eines prototypischen Rugbyspielers enthält. In (107) wird mit Hilfe des Ausdrucks Bulldozer auf eine spezifische Gruppe von Rugbyspielern referiert. Der Sprecher sagt explizit, er selbst sei viel zu klein für das Rugbyspiel gewesen, die anderen Spieler hätten ihn in die Mangel genommen und er sei beinahe getötet worden. Durch diese Kotextualisierung und das konzeptuelle Wissen über Rugby wird die Lesart für Bulldozer sehr deutlich eingeschränkt, so dass vor allem Merkmale wie BRUTAL und GEFÜHLLOS etc. in Betracht kommen: 17 17 Da die im Text mit sechs Bulldozer bezeichneten Rugbyspieler nicht explizit als Rugbyspieler bezeichnet werden, setze ich [RUGBYSPIELER] in eckige Klammern. Analog verfahre ich für das folgende Beispiel. 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell 169 Äußerungsbedeutung (Teil): BULLDOZER (x) & [RUGBYSPIELER] (x) BRUTAL (x) & GEFÜHLLOS (x) (108) Fast mühelos sperrt Fischer das wundersame Land der wissenschaftlichen Ideen ab gegen die Bulldozer der Macht, des Interesses, des Wettbewerbs, verschließt es gegen die schmuddeligen Sphären der Anwendung, des gesellschaftlichen Ge- und Missbrauchs von Wissen. Und öffnet auf diesem geschützten Terrain innere Quellen der Kreativität wie die Macht des Unbewussten, der archetypischen Bilder und scheut sich nicht, das „Aufleuchten der Seele“, das Empfinden von Glück als Lohn der Wissenschaft zu bezeichnen. (Elisabeth von T HADDEN , […] Der Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer bringt die wahre Qualität naturwissenschaftlichen Denkens in Erinnerung und plädiert für eine andere Bildung, DIE ZEIT 49, 29.11.2001, Literatur) Durch Bulldozer der Macht, des Interesses, des Wettbewerbs wird in (108) auf eine nicht näher spezifizierte Gruppe von Menschen referiert, bei denen es sich wahrscheinlich um Personen in Führungspositionen handelt. Diese werden explizit in Verbindung gebracht mit den schmuddeligen Sphären der Anwendung, des gesellschaftlichen Ge- und Missbrauchs von Wissen, wodurch eine stark negative Beurteilung ausgedrückt wird, die auch für Bulldozer eine negative Lesart nahe legt. Als Grundlage des Inferenzprozesses wird zusätzliches konzeptuelles Weltwissen über das heutige Verhältnis von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft aktiviert. Als Ergebnis des Inferenzprozesses könnten z. B. die Merkmale SKRUPELLOS und KARRIE- RISTISCH etabliert werden: Äußerungsbedeutung (Teil): BULLDOZER (x) & [PERSONEN IN FÜHRUNGSPOSITIONEN (x)] SKRUPELLOS (x) & KARRIERISTISCH (x) (109) Natürlich ist Fahrenheit 9/ 11 nicht das filmästhetische Meisterwerk, von dem ein solches Festival im Idealfall gekrönt wird. Es ist ein investigatives Stück Kino, das die Wirtschaftsinteressen der Bush-Familie zusammen mit den ökonomischen Schaltkreisen hinter dem Irak-Krieg anprangert. Ein in seiner offenen Polemik entwaffnender Wahlkampf- Film, der Zusammenhänge fröhlich verkürzt und die Dinge auf durchaus bewegende Weise beim Namen nennt. Dem Vorwurf, dass eine Jury 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale 170 die Filmkunst verrät, indem sie einen realpolitischen Bulldozer auszeichnet, ließe sich jedoch allerhand entgegensetzen. Etwa dass ein Film, der auf derart dialektische Weise mit den Beziehungen von Zuschauer, politischer Berichterstattung und Regisseur spielt, der Elastizität des Mediums zur Ehre gereicht. Oder dass Kino an Gewicht gewinnt, wenn es hin und wieder klar macht, dass es Wichtigeres als Kino gibt. (Katja N ICODEMUS , […] Michael Moore und Jean-Luc Godard lassen den politischen Film triumphieren, DIE ZEIT 23, 27.05.2004, Feuilleton) In (109) wird mit realpolitischer Bulldozer auf den Filmemacher Michael Moore referiert. Über die explizite Charakterisierung seines Filmes Fahrenheit 9/ 11 als investigatives Stück Kino und als Ein in seiner offenen Polemik entwaffnender Wahlkampf-Film, der Zusammenhänge fröhlich verkürzt, werden Hinweise geliefert, inwiefern die Bezeichnung realpolitischer Bulldozer zu deuten sei. Die Rezipienten werden beim Verstehen dementsprechend auch ihr konzeptuelles Wissen über die politischen Filme von Michael Moore und dessen Einsatz im letzten US-amerikanischen Wahlkampf aktivieren. Merkmale, die möglicherweise inferiert werden, sind daher z. B. PROVOKATIV, ENGAGIERT etc.: Äußerungsbedeutung (Teil): BULLDOZER (m), m = Michael Moore PROVOKATIV (m) & ENGAGIERT (m) (110) Und dann ist da noch sein Apfelstrudl-Englisch. Arnoldspeak heißt die Mischung aus zweisilbigen Wörtern, Bulldozersätzen und fallbeilartig heruntersausenden Konsonanten. Ob als vorzeitlicher Conan, russischer Cop oder futuristischer Cyborg, egal, in welchem Kulturkreis oder Jahrtausend er seine Gegner zu Klump schlägt, wenn Arnold "I'll do my tschopp" sagt, weiß man immer, woran man ist. (Katja N ICODEMUS , Amerikas liebster Einwanderer. […] Begegnung mit Arnold Schwarzenegger, DIE ZEIT 31, 24.07.2003 Feuilleton) In (110) bezieht sich Bulldozer ausnahmsweise nicht auf eine Person, sondern auf die Sätze (Bulldozersätze), die Arnold Schwarzenegger äußert. Im Kotext wird dessen Englisch scherzhaft-abwertend als Apfelstrudl-Englisch apostrophiert, wobei die negative Bewertung durch die Hervorhebung von zweisilbigen Wörtern und fallbeilartig heruntersausenden Konsonanten explizit bestätigt wird. Die Rezipienten werden zusätzlich auch ihr konzeptuelles Wissen über Arnold Schwarzenegger aktivieren. Als Bedeutung von Bulldozersätze können dann z. B. die Merkmale PRIMITIV und EINFÄLTIG inferiert werden: 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell 171 Äußerungsbedeutung (Teil): BULLDOZERSÄTZE (x) PRIMITIV (x) & EINFÄLTIG (x) Die Fallstudie hat gezeigt, dass sich für den metaphorischen Gebrauch von Bulldozer, abhängig vom jeweiligen textsemantischen Kotext und konzeptuell-pragmatischen Kontext verschiedene emergente konzeptuelle Merkmale inferieren lassen. Der Kotext stellt restringierende Informationen zur Verfügung, die die Menge der möglichen Merkmale zunächst einschränken. Durch sie werden die spezifischen Merkmale noch nicht festgelegt. Die Festlegung geschieht in einem elaborativen Inferenzprozess, in dem die kotextuellen Informationen einerseits sowie die darüber hinaus aktivierten konzeptuellen Weltwissensbestände aufeinander bezogen werden und zur Konstruktion der emergenten konzeptuellen Merkmale herangezogen werden. Als Fazit des Kapitels möchte ich festhalten: Ob und welche emergenten konzeptuellen Merkmale beim Verstehen von metaphorischen Äußerungen inferiert werden, ist eine empirische Frage, die experimentell beantwortet werden muss. Mein Modell der Merkmalsmengen, deren Teil die Bedeutungsmerkmale metaphorisch verwendeter Ausdrücke sein können, sowie mein Modell der Einflussfaktoren auf das Verstehen metaphorisch gebrauchter Ausdrücke stellen eine theoretische Grundlage zur Verfügung, auf der das Verstehen von metaphorischen Äußerungen im Allgemeinen modelliert werden kann. Im Besonderen lassen sich auch Fälle der Konstruktion von emergenten konzeptuellen Merkmalen erfassen. Beide Modelle könnten deshalb bei der Entwicklung von Experimentdesigns zum Metaphernverstehen hilfreich sein. Die Modelle sind des Weiteren nicht nur in Bezug auf das Verstehen von metaphorischen Äußerungen geeignet: Auch die Konstruktion von emergenten konzeptuellen Merkmalen beim Verstehen von nichtmetaphorischen Äußerungen kann mit ihrer Hilfe beschrieben werden. Folgendes Beispiel soll dies zum Schluss verdeutlichen: (111) Was er [= Heiner Müller] mir anbot, war ein mildes Lächeln, das von nun an immer sprungbereit lag, ein Lächeln das mir in diesem verbitterten Land noch nie einer gezeigt hatte. Etwas Fernöstliches, seltsam Indifferentes, trat damit zwischen uns, eine gewisse gütige Bosheit, wie ich sie aus den Tuschezeichnungen von Zen-Mönchen kannte. (Durs G RÜNBEIN , Antike Dispositionen, 88) 5. Textweltmodell und emergente konzeptuelle Merkmale 172 Der Textausschnitt (111) vermittelt eine innovative Konzeptkombination, die durch die ungewöhnliche Attribuierung des Nomens Bosheit durch das Adjektiv gütig ausgedrückt wird. Die Innovativität resultiert aus der Inkompatibilität der semantischen Merkmale von Bosheit und gütig. Während die Haltung der Bosheit als „Bösesein; Schlechtigkeit, üble Gesinnung“ (DDUW) bestimmbar ist, bedeutet gütig, „anderen mit Freundlichkeit u. Nachsicht begegnend, ihnen wohlwollend zugetan od. diese Haltung erkennen lassend“ (DDUW). 18 Die Konzepte BOSHEIT und GÜTIG, auf die die Lexeme Bosheit und gütig verweisen, sind inkompatibel, da sich Merkmale wie SCHLECHT und ÜBEL auf der einen und FREUNDLICH und WOHLWOLLEND auf der anderen Seite ausschließen. Wie in den besprochenen metaphorischen Äußerungen, die innovative Metaphern enthalten, wird auch in (111) eine Lesart durch restringierende Kotextualisierung nahe gelegt: Die gütige Bosheit wird als Etwas Fernöstliches, seltsam Indifferentes bezeichnet, sie wird zudem durch den Nebensatz wie ich sie aus den Tuschezeichnungen von Zen-Mönchen kannte näher erläutert. Mit Hilfe dieser sprachlich expliziten Hinweise sind Rezipienten, die über Weltwissen in Bezug auf Zen-buddhistische Erziehungsmethoden verfügen, in der Lage, durch elaborative Inferenzen eine konsistente Bedeutung zu konstruieren: Als Ergebnis wird die Attribuierung gütig wahrscheinlich so verstanden, dass dem Konzept BOSHEIT z. B. Merkmale wie GESPIELT und DIDAKTISCH zugesprochen werden: Äußerungsbedeutung (Teil): BOSHEIT (x) & GÜTIG (x) GESPIELT (x) & DIDAKTISCH (x) Es handelt sich um emergente konzeptuelle Merkmale, da sie weder Teil der Wortbedeutung von gütig und Bosheit noch Teil des Konzeptinhalts von GÜTIG und BOSHEIT noch Teil der im Kotext explizit ausgedrückten Merkmale sind. 18 In der linguistischen Stilistik werden solche ungewöhnlichen Attribute wie hier gütig als unerwartete Epitheta bezeichnet. Im vorliegenden Fall handelt es sich aufgrund der semantischen Inkompatibilität auch um ein Oxymoron (vgl. F LEISCHER / M ICHEL / S TARKE 1996: 271). 5.2 Metaphernverstehen und Textweltmodell 173 Das Beispiel zeigt: Emergente konzeptuelle Merkmale können keineswegs nur beim Verstehen von metaphorischen Äußerungen konstruiert werden. Auch das Auftreten von emergenten Merkmalen beim Verstehen von nicht-metaphorischen Äußerungen kann mit meinen Modellen erfasst werden. 6. Zusammenfassung und Ausblick In meiner Arbeit habe ich Emergenz als ein Phänomen der linguistischen Semantik allgemein erläutert und am Beispiel des Metaphernverstehens exemplifiziert. Für die linguistische Semantik habe ich folgenden theorierelativen Begriff der Eigenschaftsemergenz vorgeschlagen: Der Emergenz-Begriff bezieht sich auf konzeptuelle Merkmale der Äußerungsbeutung, die von Rezipienten im Sprachrezeptionsprozess durch elaborative Inferenzen konstruiert werden. Sie sind emergent, weil sie weder Teil der kombinierten Wortbedeutungen noch der an sie gekoppelten Konzepte sind. Beim Textverstehen sind diese Merkmale außerdem emergent gegenüber den semantischen Informationen der Textbasis. Die Konstruktion emergenter konzeptueller Merkmale im Sprachrezeptionsprozess habe ich am Beispiel des Metaphernverstehens dargestellt. Prominente kognitive Metapherntheorien habe ich kritisch diskutiert und dabei gezeigt, dass sie keine überzeugenden Ansätze darstellen. Ich habe auch belegt, dass die pragmatische Verstehenstheorie die Elaboration emergenter Merkmale nicht adäquat beschreiben und erklären kann. Das Verstehen metaphorischer Äußerungen habe ich als ein Phänomen der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle charakterisiert. Der Gegenstandsbereich dieser Schnittstelle ist die Äußerungsbedeutung. Emergente konzeptuelle Merkmale sind ein Teil dieser Bedeutung, der nicht durch kompositionelle Berechnung erzeugt werden kann. Das Auftreten emergenter konzeptueller Merkmale habe ich vor dem Hintergrund der kognitiven Textverstehenstheorie dargelegt. Zu diesem Zweck habe ich ein Modell der Verankerung von Bedeutungsmerkmalen metaphorisch gebrauchter Ausdrücke vorgeschlagen, mit dessen Hilfe emergente konzeptuelle Merkmale als inferierte Kontextmerkmale beschrieben werden können. Des Weiteren habe ich ein Modell der Einflussfaktoren beim Metaphernverstehen vorgestellt, das die relevanten Wissenskomponenten erfasst. Für die Zukunft besteht noch erheblicher Forschungsbedarf in Bezug auf Emergenz als Phänomen der linguistischen Semantik. Durch korpuslinguistische Studien sollte z. B. aufgezeigt werden, in welchen textsortenspezifischen Zusammenhängen und mit welcher Häufigkeit sprachliche Ausdrücke so verwendet werden, dass Rezipienten im Verstehensprozess emergente konzeptuelle Merkmale inferieren können. Für spezifische metaphorische Verwendungen wie die von Bulldozer oder Teflon sollte auch gezeigt werden, wie sich über längere Zeiträume in der massenmedialen 6. Zusammenfassung und Ausblick 175 Öffentlichkeit spezifische metaphorische Lesarten herausbilden und stabilisieren. In psycholinguistischen Experimenten sollte genauer untersucht werden, welche Faktoren den Inferenzprozess beeinflussen und ob sich für die konstruierten emergenten Merkmale systematische Zusammenhänge nachweisen lassen. Mein Modell der Verankerung der Bedeutungsmerkmale metaphorisch gebrauchter Ausdrücke und mein Modell der Einflussfaktoren beim Metaphernverstehen können für die Entwicklung von neuen Experimentdesigns als theoretische Grundlage dienen. Bibliografie Sigle: DDUW Duden. Deutsches Universalwörterbuch. 5., überarbeitete Aufl. Mannheim u. a.: Dudenverlag 2003. A LEXANDER , S., 1920. Space, Time and Deity. The Gifford lectures at Glasgow 1916- 1918. 2 Vols. London: Macmillan. A SCH , S., 1955. On the use of metaphor in the description of persons. In: W ERNER , H. (ed.), 1955. On Expressive Language. Worcester: Clark Univ. Press. A SCH , S., 1958. 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