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Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs

2009
978-3-8233-7471-8
Gunter Narr Verlag 
Daniela Heidtmann

Die Untersuchung präsentiert die multimodale Struktur und Komplexität eines besonderen Kooperationstyps, dem »Pitching«. Das Pitching ist eine Mischform aus Arbeits- und Lehr-Lern-Diskurs, bei der vier Studierende gemeinsam mit zwei Dozenten Filmideen entwickeln. Als empirische Grundlage dient ein Datenkorpus von 72 Stunden Videoaufnahmen, das methodisch mit einer Kombination aus ethnographischer Gesprächsanalyse, ethnomethodologischer Konversationsanalyse und deren Erweiterung um eine multimodale Analyseperspektive untersucht wird. Dabei wird detailliert der komplexe Gesamtzusammenhang von Verbalität, Mimik, Gestik, Körperpositur und anderen körperlichen Ausdruckformen in seiner Bedeutung für die gemeinsame Arbeit ersichtlich. Basierend auf den beiden zentralen Konzepten »Kooperation« und »Handlungsschema« werden die spezifischen Situationsmerkmale des Pitchings und die typischen Aufgaben und Probleme rekonstruiert, die von den Interaktionsbeteiligten durch unterschiedliche Verfahren bearbeitet werden. Aufgrund einer longitudinalen Perspektive gibt die Untersuchung zudem Einblicke in die Professionalisierung der Studierenden im Studienverlauf.

Daniela Heidtmann Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs Wie Ideen für Filme entstehen Gunter Narr Verlag Tübingen Studien zur Deutschen Sprache F O R S C H U N G E N D E S I N S T I T U T S F Ü R D E U T S C H E S P R A C H E S T U D I E N Z U R D E U T S C H E N S P R A C H E 5 0 Studien zur Deutschen Sprache F O R S C H U N G E N D E S I N S T I T U T S F Ü R D E U T S C H E S P R A C H E Herausgegeben von Arnulf Deppermann, Stefan Engelberg und Ulrich Hermann Waßner Band 50 Daniela Heidtmann Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs Wie Ideen für Filme entstehen Gunter Narr Verlag Tübingen Redaktion: Franz Josef Berens Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. © 2009 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: Hohwieler, Mannheim Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0949-409X ISBN 978-3-8233-6471-9 Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2007/ 2008 von der Philosophischen Fakultät der Universität Mannheim als Dissertationsschrift angenommen. Zu ihrem Zustandekommen haben verschiedene Personen und Institutionen beigetragen, denen ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. Mein ganz besonderer Dank gilt den Studierenden des Filmstudiums der Universität Hamburg sowie Prof. Hark Bohm und Dr. Rainer Berg für die Erlaubnis zur Dokumentation und wissenschaftlichen Auswertung der Pitchings. Ohne ihre Offenheit würde es diese Arbeit nicht geben. Prof. Hark Bohm und Dr. Rainer Berg sind zwei beeindruckende Lehrer, die ihre Studierenden mit großem Engagement unterrichten und von denen ich viel über die Kunst des Geschichtenentwickelns gelernt habe. Danke für das kleine Guckloch in die Welt der Dramaturgie und des Films! Die Arbeit wurde von zwei Institutionen finanziert. In der ersten Arbeitsphase durch ein Stipendium im Rahmen des Hochschul- und Wissenschaftsprogramms ( HWP ) der Universität Mannheim, im Anschluss daran durch eine Promotionsstelle des Instituts für Deutsche Sprache ( IDS ) in Mannheim. Wissenschaftliche Vortragsreisen und Forschungsaufenthalte wurden zudem durch ein HWP -Kontaktstipendium ermöglicht. Für diese Unterstützung und das mir und meinem Projekt entgegengebrachte Vertrauen möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Prof. Dr. Arnulf Deppermann, dem Erstgutachter meiner Dissertation, danke ich für genaue und kritische Lektüre, präzise Anmerkungen, lehrreiche Diskussionen sowie eine intensive Betreuung. Prof. Dr. Thomas Spranz-Fogasy danke ich für seine spontane Bereitschaft, das Zweitgutachten zu erstellen und für hilfreiche Gespräche in der Vorbereitung auf die Disputation. Dr. Reinhold Schmitt hat diese Arbeit von der ersten Idee an begleitet. Für zahlreiche Diskussionen, harte und stets konstruktive Kritik sowie die anhaltende Begeisterung für mein Projekt möchte ich mich herzlich bedanken. Die von Dr. Reinhold Schmitt organisierten Arbeitstreffen und Kolloquien zum Thema „Multimodalität“ im Institut für Deutsche Sprache, die mir Gelegenheiten boten, mein Dissertationsvorhaben und meine Videodaten zu präsentieren, waren für mich eine große Inspiration. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 6 Wesentliche Impulse für die Analyse der Videodaten erhielt ich zu Beginn meiner Arbeit in dem von Dr. Reinhold Schmitt und Prof. Dr. Reinhard Fiehler im Institut für Deutsche Sprache durchgeführten Doktorandenkolloquium „Intensivwoche Gesprächsanalyse“. Auch für diese Möglichkeit des wissenschaftlichen Austauschs bedanke ich mich herzlich. Zudem danke ich meinem Kollegen Dr. Ulrich Reitemeier für die kritische Auseinandersetzung mit meinen Ergebnissen und der daraus erfolgten intensiven Diskussion zum Abschluss der Arbeit. Für redaktionelle Unterstützung gilt mein Dank Julian Müller und Fabian Hörack. Und schließlich ein ganz großes Dankeschön an alle, die mir - insbesondere in der Endphase dieser Arbeit - den Rücken freigehalten und mich auf ihre Weise in unterschiedlicher Art unterstützt haben: meine Familie und meine Freunde. Inhalt 1. Einleitung ........................................................................................ 11 2. Methode........................................................................................... 15 2.1 Konversationsanalyse....................................................................... 15 2.2 Multimodale Analyseperspektive..................................................... 26 2.3 Ethnographische Verfahren .............................................................. 36 2.3.1 Die „klassische“ Ethnographie und das eigene ethnographische Vorgehen .......................................................................................... 37 2.3.2 Das Untersuchungsfeld und die Situation „Pitching“ ...................... 42 2.3.3 Feldkontakte und Datenkonstitution ................................................ 45 2.3.3.1 Der erste Kontakt zum Filmstudium ................................ 45 2.3.3.2 Der Feldeinstieg: Kommunikationsberatung ................... 45 2.3.3.3 Aufenthalte im Feld und Materialtypen ........................... 47 2.3.4 Reflexionen der eigenen Rolle im Feld............................................ 54 2.3.4.1 Zeitpunkt der Ethnographie im Forschungsprozess......... 54 2.3.4.2 Zwei Ethnographen im Feld: diskursiv-intersubjektive Ethnographie .................................................................... 55 3. Gegenstandskonstitution ............................................................... 57 3.1 Pitching als Kooperationsform......................................................... 61 3.1.1 Der Kooperationsbegriff in der Linguistik....................................... 61 3.1.2 Dimensionen linguistischer Kooperationskonzepte......................... 63 3.1.2.1 Kommunikation als Kooperation ..................................... 65 3.1.2.2 Kooperation mittels Kommunikation............................... 68 3.1.3 Die Fallspezifik der untersuchten Kooperationsform ...................... 71 3.1.4 Erster Definitionsversuch: Was ist ein „Pitching“? .......................... 74 3.2 Pitching als Handlungsschema......................................................... 77 3.2.1 Der handlungsschematische Ansatz ................................................. 77 3.2.1.1 Handlungsschematische Segmentierung des Pitchings..... 79 3.2.1.2 Die Schemakomponente „Stoffentwicklung“ .................. 84 3.2.2 Ergebnisse der handlungsschematischen Einsichten ....................... 89 3.3 Zusammenfassung............................................................................ 90 Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 8 4. Analysen .......................................................................................... 93 4.1 Herstellung der Situation „Pitching“................................................ 93 4.1.1 Arrangement des Sitzplatzes ............................................................ 95 4.1.2 Zusammenfassung.......................................................................... 111 4.2 Voraussetzungsklärung................................................................... 113 4.2.1 Teamsprecher bearbeitet dozentenseitige Initiierung..................... 114 4.2.2 Gesamtes Team bearbeitet dozentenseitige Initiierung.................. 118 4.2.3 Initiierung und Bearbeitung durch Teamsprecherin....................... 125 4.2.4 Zusammenfassung.......................................................................... 128 4.3 Präsentation des Pitches („Pitchen“).............................................. 129 4.3.1 Pitchen: Definition der Dozenten................................................... 131 4.3.2 Pitchen als interaktives Anforderungsprofil................................... 133 4.3.3 Zusammenfassung.......................................................................... 150 4.4 Die Kernaktivität „Stoffentwicklung“............................................ 152 4.4.1 Szenische Entwicklung .................................................................. 160 4.4.1.1 Szenische Konstruktion.................................................. 160 4.4.1.1.1 Kontext des Beispiels: Musiker .......................................... 160 4.4.1.1.2 Festlegung der als nächstes zu entwickelnden Szene (Dozent) ........................................................................... 161 4.4.1.1.3 Festlegung des Szenenendes (Dozentin/ Studentin) ............... 163 4.4.1.1.4 Szenische Vorüberlegung: Begründung des Vorschlags für das Szenenende (Studentin) .......................................... 164 4.4.1.1.5 Sprachliche Gestaltung der szenischen Vorüberlegung ......... 166 4.4.1.1.6 Übergang von szenischer Vorüberlegung zu szenischer Ausgestaltung (Studentin B) .............................................. 167 4.4.1.1.7 Abgleich mit Bedingungen (Studentin A) ............................ 170 4.4.1.1.8 Begrifflich-konzeptuelle Variation bei szenischen Vorüberlegungen (Studentin A) .......................................... 171 4.4.1.1.9 Abgleich mit Glaubwürdigkeitsbedingung (Dozent) ............ 174 4.4.1.1.10 Weitere szenische Vorüberlegungen (Studentin A) ............... 175 4.4.1.1.11 Auswirkungen unterschiedlicher Perspektiven auf die weitere Entwicklungsarbeit ................................................ 176 4.4.1.1.12 Szenenentwicklung und Beteiligungsstruktur ...................... 178 4.4.1.1.13 Verfahren der szenischen Ausgestaltung: „Enaktieren“ ......... 178 Inhalt 9 4.4.1.1.14 Konzeptdiskussion: Enaktieren, Replaying und Re-Inszenierung/ Prä-Inszenierung ...................................... 181 4.4.1.1.15 Erste Ergebnisse: Szenische Konstruktion und Ausgestaltung ................................................................... 183 4.4.1.2 Szenische Ausgestaltung ................................................ 185 4.4.1.2.1 Kontext des Beispiels: Heimkehrer ..................................... 185 4.4.1.2.2 Struktursetzung als Startpunkt für die szenische Ausgestaltung (Dozent/ Student) ......................................... 186 4.4.1.2.3 Szenische Ausgestaltung durch Situationsdetaillierung ......... 188 4.4.1.2.4 Bedingungsabgleich: Wechsel von szenischer Ausgestaltung zu dramaturgischer Reflexion (Student) ........ 189 4.4.1.2.5 Beendigung des Bedingungsabgleiches: Rückleitung zur szenischen Konstruktion (Dozent) ...................................... 190 4.4.1.2.6 Szenische Ausgestaltung durch Dialoge (Dozent/ Student) ..... 192 4.4.1.2.7 „Rekrutierungsversuch“ weiterer Mitspieler im Rahmen der Dialoggestaltung (Dozent) ........................................... 195 4.4.1.2.8 Wechsel von szenischer Ausgestaltung zu szenischer Konstruktion .................................................................... 199 4.4.1.2.9 Bedingungsabgleich: Glaubwürdigkeit/ Realitätsnähe (Dozent) ........................................................................... 200 4.4.1.3 Zusammenfassung: Die drei Basisoperationen der Szenenentwicklung ........................................................ 200 4.4.2 Vermittlung der Dramentheorie ..................................................... 204 4.4.2.1 Vermittlung im Kontext eines Umsetzungsproblems..... 208 4.4.2.2 Vermittlung im Kontext eines Wissensproblems ........... 213 4.4.2.3 Vermittlung im Kontext eines Relevanzproblems ......... 221 4.4.2.4 Zusammenfassung.......................................................... 227 4.5 Zusammenarbeit des studentischen Teams .................................... 229 4.5.1 Thematisierung von Teamproblemen als Behinderung der inhaltlichen Arbeit.......................................................................... 231 4.5.2 Produktive Perspektivendivergenz im Team.................................. 250 4.5.3 Funktionsrollenbasiertes Teamwork .............................................. 257 4.5.4 Zusammenfassung.......................................................................... 264 Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 10 4.6 Zusammenarbeit der Dozenten ...................................................... 266 4.6.1 Aspekte der Zusammenarbeit......................................................... 270 4.6.1.1 Zusammenarbeit bei der Eröffnung und der Voraussetzungsklärung................................................... 270 4.6.1.2 Zusammenarbeit beim Pitchen....................................... 271 4.6.1.3 Zusammenarbeit bei der Stoffentwicklung .................... 272 4.6.2 Zusammenarbeit bei der Reaktion auf gravierende Fehler ............ 274 4.6.3 Zusammenarbeit bei konkurrierenden eigenen Relevanzen .......... 281 4.6.4 Zusammenfassung.......................................................................... 297 4.7 Analysefazit ................................................................................... 299 4.7.1 Herstellung der Situation „Pitching“ (Kap. 4.1) ............................ 299 4.7.2 Voraussetzungsklärung (Kap. 4.2) ................................................. 300 4.7.3 Präsentation des Pitches (Kap. 4.3)................................................ 300 4.7.4 Die Kernaktivität „Stoffentwicklung“ (Kap. 4.4) .......................... 301 4.7.5 Szenische Entwicklung (Kap. 4.4.1) .............................................. 302 4.7.6 Dramentheoretische Vermittlung (Kap. 4.4.2) ............................... 303 4.7.7 Zusammenarbeit der Studierenden (Kap. 4.5) ............................... 304 4.7.8 Zusammenarbeit der Dozenten (Kap. 4.6) ..................................... 305 4.7.9 Ergebnis der Longitudinalperspektive: Professionalisierung der Studierenden ............................................................................ 306 4.7.10 Implikationen der gesprächsanalytischen Ergebnisse .................... 307 5. Reflexion ....................................................................................... 311 6. Literatur........................................................................................ 315 7. Anhang .......................................................................................... 335 7.1 Liste der verwendeten Transkriptionszeichen................................ 335 7.2 Korpusübersicht: Liste der verwendeten Ausschnitte .................... 336 7.3 Struktur der inhaltlich-thematischen Progression des dramentheoretischen Exkurses im Kontext des Relevanzproblems (siehe Kap. 4.4.2.3) ........................................................................ 337 7.4 Inhaltsverzeichnis der Studie „Pitching in Teams“: Bestandsaufnahme und erste Vorschläge ....................................... 340 1. Einleitung „... AND THE WINNER IS : D ER A USREISSER ! “ Im Juni 2005 erhielt ein deutsches Studenten-Filmteam für sein Werk „Der Ausreißer“ eine ganz besondere internationale Auszeichnung: den „Studenten- Oscar“. Diese Anerkennung war der Höhepunkt eines langen Arbeitsprozesses, dessen Anfänge zurückgehen auf ein Treffen, bei dem sich vier Studierende der Klassen „Drehbuch“, „Produktion“, „Regie“ und „Kamera“ des Hamburger Filmstudiums Gedanken über den Film machten, der ihr Diplom- Projekt werden sollte. In weiteren Zusammenkünften arbeiteten sie ihre Idee zu einer Geschichte aus. Ein erster „Prüfstein“ dieser Geschichte war das sogenannte „Pitching“. Das Pitching ist eine dreistündige Veranstaltung, in der das Team seine Geschichte mit zwei Dozenten - dem Leiter des Studiengangs und der Regieklasse, sowie dem Leiter der Drehbuchklasse, beides Filmprofis - besprechen und weiter ausgestalten kann. Grundlage eines Pitchings ist die gleich am Anfang der Sitzung von einem der Studierenden durchgeführte kurze Inhaltsangabe der vorgängig entwickelten Geschichte, der sogenannte „Pitch“: LI: gut also ähm wir haben einen arbeitstitel für unser LI: projekt und das ist der ausreißer äh hauptfigur LI: ist ein mann ende dreißig und äh: es klingelt an LI: seiner tür und da steht ein kind das äh mit sack LI: und pack behauptet sein sohn zu sein er kann sich LI: gar nicht daran erinnern ein kind zu haben […] Der Pitch konfrontiert die Dozenten erstmals mit der Geschichte der Studierenden. Mit der Diskussion des Pitches steigen Studierende und Dozenten in die gemeinsame Arbeit ein, in der im Folgenden die von den Studierenden vorgeschlagene Geschichte kritisch evaluiert und unter strenger Berücksichtigung dramaturgischer Vorgaben ausgearbeitet wird: Dieser Arbeitsgang, die sogenannte „Stoffentwicklung“, stellt die Kernaktivität des Pitchings dar. Die vorliegende Dissertation untersucht auf der Grundlage eines ethnographischen und multimodal-konversationsanalytischen Ansatzes - anhand eines Korpus von 72 Stunden Videoaufnahmen - Pitchings von insgesamt 24 Studierendenteams, zu Beginn, in der Mitte und zum Abschluss ihres viersemestrigen Aufbaustudiums. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 12 Die analytische Beschäftigung mit dem Pitching zielt darauf ab, die komplexen Konstitutionsmechanismen dieses Situationstyps umfassend - punktuell auch unter longitudinalen Gesichtspunkten - zu rekonstruieren. Die Arbeit besteht, neben dieser Einleitung (Kap. 1), aus vier Kapiteln: Zuerst werden die Methoden dargestellt (Kap. 2), die diese Arbeit hinsichtlich Fragestellung und Erkenntnisinteresse, Forschungsdesign und konkreter Analysepraxis prägen. Hierzu gehört als zentrales methodisches Werkzeug die Konversationsanalyse. Diese wird zunächst im Entstehungskontext mit ihrem ursprünglichen formal-strukturellen Erkenntnisinteresse beschrieben, das auf die Erforschung allgemeiner Erzeugungsmechanismen und Strukturierungsprinzipien von Interaktion (z.B. Sprecherwechsel) ausgerichtet ist. Anschließend wird das in der deutschen Rezeption und Anwendung entwickelte Interesse für die Bearbeitung handlungsbezogener Fragestellungen skizziert. Dieser Erkenntnisfokus bezieht sich auf die Rekonstruktion der kommunikativen Anforderungen und Aufgaben, die von den Interaktionsbeteiligten im Gespräch bearbeitet werden müssen. Das inhaltlich-substanzielle Erkenntnisinteresse dieser Arbeit wird empirisch mit einem konversationsanalytischen Vorgehen verfolgt, welches sich durch a) eine authentische Datengrundlage, b) eine sequenzielle Analyseorientierung und c) eine funktionsbezogene Analyseperspektive auszeichnet. Die konversationsanalytische Betrachtung wird an Stellen, bei denen sich außer der sprachlichen noch andere Modalitätsebenen als relevant erweisen, um eine multimodale Analyseperspektive erweitert. Dies geschieht vor dem Hintergrund, die Herstellung interaktiver Ordnung in ihrer tatsächlichen hochkomplexen Gesamtheit zu erfassen. Der theoretische Zusammenhang von klassischer Konversationsanalyse und multimodaler Analyseperspektive wird herausgearbeitet, wobei einige die klassisch-konversationsanalytischen Konzepte (wie z.B. Turn-Taking-Organisation, Display-Vorstellung, Overlap) theoretisch tangierende multimodale Forschungserkenntnisse kurz illustriert werden. Außerdem sind für die Arbeit ethnographische Wissensressourcen von Bedeutung; sowohl für die Gegenstandskonstitution und die Entwicklung einer Suchheuristik, als auch für die Interpretation der konversationsanalytisch gewonnenen Ergebnisse. Eine Darstellung von ethnographischen Erhebungsverfahren und eine Reflexion der im Kontext des Filmstudiums durchgeführten ethnographischen Erhebung ist ebenfalls Bestandteil dieses Kapitels. Sie liefert einen deskriptiven voranalytischen Aufriss der Institution „Filmstudium“ und verortet das Pitching in diesem Rahmen. Einleitung 13 Das nächste Kapitel (Kap. 3) beinhaltet die Gegenstandskonstitution dieser Arbeit. Hier wird zunächst der Kooperationsbegriff in linguistischen Untersuchungen erörtert. Auf der Grundlage dieser Auseinandersetzung mit dem Konzept „Kooperation“ wird das Pitching als Kooperationsform konzeptualisiert und anhand relevanter Situationsaspekte in einer ersten Arbeitsdefinition charakterisiert. Anschließend wird der handlungsschematische Ansatz präsentiert und das Pitching hinsichtlich seiner handlungsschematischen Ablaufslogik segmentiert. In diesem Zusammenhang weist das Pitching als mehrpersonales Interaktionsereignis mit einer komplexen Kernaktivität („Stoffentwicklung“) Unterschiede zu „klassischen“ handlungsschematisch untersuchten Interaktionstypen (wie Beratung, Schlichtung, Verkauf) auf, die kurz diskutiert werden. Die Beschäftigung mit beiden theoretischen Bezugsaspekten führt unter systematischem Einbezug des durch teilnehmende Beobachtung produzierten ethnographischen Wissens zu einer detaillierten Explikation der Situationsmerkmale. Sie charakterisiert das Pitching hinsichtlich seiner kooperativen und handlungsschematischen Spezifik. Dies ist ein heuristisch notwendiger methodischer Schritt, der die folgende Konstitutionsanalyse vorbereitet, da er die Auswahl der unter einer multimodal-konversationsanalytischen Perspektive zu analysierenden Stellen anleitet. Die empirischen Analysen (Kap. 4) befassen sich zum einen mit den handlungsschematisch relevanten Positionen „Herstellung der Situation ‘Pitching’“, „Voraussetzungsklärung“, „Präsentation des Pitches“ und „Stoffentwicklung“ (Kap. 4.1-4.4), zum anderen mit der für diese Kooperationsform relevanten Frage nach der Zusammenarbeit des studentischen Teams und der Dozenten (Kap. 4.5-4.6). In den ersten vier Teilkapiteln (Kap. 4.1-4.4) werden Ergebnisse präsentiert, die aus der Beschäftigung mit folgenden Fragen resultieren: Wie sieht das Aufgabenprofil der einzelnen Handlungsschritte aus? Welche Formen der interaktiven Bearbeitung lassen sich auf Seiten der Studierenden und auf Seiten der Dozenten rekonstruieren? Welche interaktiven und gruppendynamischen Implikationen - auch hinsichtlich der Interaktionsmodalität - haben bestimmte Bearbeitungsweisen für den Fortgang der gemeinsamen Arbeit? Wie sind die vier Handlungsschritte inhaltlich-thematisch aufeinander bezogen? Stehen sie in einem funktionalen Zusammenhang? Welche Aspekte des Aufgabenprofils können Indikatoren für die Frage nach der Professionalisierung der Studierenden sein? - - - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 14 Die Zusammenarbeit der Studierenden als Team und die Zusammenarbeit der Dozenten werden in den beiden anschließenden Teilkapiteln (Kap. 4.5-4.6) dargestellt. Hier interessieren folgende Fragen: Welche handlungsleitenden Orientierungen sind während der Bearbeitung der interaktiven Aufgaben bei den Studierenden erkennbar? Welche interaktiven Anforderungen sind mit der Teamkonstellation verbunden? Wie ist die Zusammenarbeit bzw. Aufgabenteilung unter den Dozenten organisiert? Wie ist das dozentenseitige didaktische De-facto-Konzept konturiert, das sie in der gemeinsamen Arbeit realisieren? Verfolgen sie die gleichen didaktischen Orientierungen oder sind diese unterschiedlich? Die Analyseergebnisse werden am Ende der jeweiligen Kapitel knapp zusammengefasst und anschließend in einem Analysefazit (Kap. 4.7), welches das empirische Kapitel abschließt, systematisch zusammengestellt. In diesem Kapitel wird auch die Frage diskutiert, wie sich die konstitutionsanalytisch gewonnenen Ergebnisse zu der vorab auf der Basis des ethnographischen Wissens, sowie der theoretischen Bezugsaspekte „Kooperation“ und „Handlungsschema“ durchgeführten Explikation der Situationsmerkmale verhalten. Den Abschluss dieser Arbeit bildet eine methodologische Reflexion (Kap. 5). Ausgehend von den empirischen Ergebnissen der Untersuchung des Pitchings wird dabei der Frage nach Leistungen und Grenzen handlungsschematischer Konzeptualisierungen komplexer Interaktionszusammenhänge nachgegangen. - - - - 2. Methode In diesem Kapitel werden die methodischen Grundlagen dargestellt, die bei der Analyse der zugrunde gelegten Daten eine Rolle spielen. Es handelt sich um die Konversationsanalyse (Kap. 2.1), die ich als zentrales methodisches Werkzeug für die Rekonstruktion der sprachlichen Anteile der Interaktionsstruktur nutze, um deren Erweiterung durch eine Perspektive, die der faktischen multimodalen Komplexität von Interaktion Rechnung trägt (multimodale Analyseperspektive, Kap. 2.2) und an ausgewählten Stellen neben dem sprachlichen Verhalten systematisch auch andere körperliche Ausdrucksformen der Beteiligten berücksichtigt sowie um die Ethnographie (Kap. 2.3), die den Zugang zu den untersuchten Ereignissen darstellt und die es erlaubt und notwendig macht, die Relevanzen der Beteiligten auf der Grundlage eigener teilnehmender Beobachtung zu reflektieren. Die Präsentation der drei Ansätze in der oben aufgeführten Reihenfolge impliziert jedoch keine Relevanzgewichtung und postuliert zudem keine trennscharfe Abgrenzung. Berührungsaspekte der Methoden miteinander werden in den folgenden Kapiteln an den dafür systematischen Stellen verdeutlicht. Insgesamt geht es bei der Darstellung der in dieser Arbeit verwendeten Methoden nicht darum, diese in ihrer gesamten Komplexität und wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung darzustellen. Vielmehr sollen die für den analytischen Zugang zu den Daten relevanten methodischen Prämissen und zentralen theoretischen Grundlagen im Kern verständlich gemacht werden. 2.1 Konversationsanalyse Die Konversationsanalyse (Conversation Analysis, CA ) ist eine Ende der 1960er Jahre in den USA entstandene und seither weltweit etablierte Methode zur empirischen Erforschung verbaler Interaktion, die ausschließlich mit authentischen Audio- und Videodaten 1 arbeitet. Ihr ursprüngliches Interesse galt 1 Harvey Sacks, einer der Gründungsväter der Konversationsanalyse, skizziert die Implikationen dieser Datentypen wie folgt: „I started to work with tape-recorded conversations. Such I started to work with tape-recorded conversations. Such materials had a single virtue, that I could replay them. I could transcribe them somewhat and study them extendedly - however long it might take. The tape-recorded materials constituted a ‘good enough’ record of what happened. Other things, to be sure, happened, but at least what was on the tape has happened. It was not from any large interest in language or from - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 16 der Erforschung von Gesprächsstrukturen und der Methoden, die Interaktionsbeteiligte systematisch anwenden, um im gemeinsamen interaktiven Tun Sinn und Ordnung herzustellen. Dieses Interesse zeigt ihre Verwandtschaft mit der Ethnomethodologie, die davon ausgeht, dass die Handelnden das, was sie im alltäglichen Handeln als vorgegebene soziale Tatsachen, als unabhängig von ihrem Zutun existierende Realität wahrnehmen und behandeln, erst in ihren Handlungen und Wahrnehmungen als solche hervorbringen. (Bergmann 1994, S. 6) Bei dieser Hervorbringung setzen Interaktionsbeteiligte sprachliche Techniken und Verfahren ein, um ihre Handlungen noch während sie produziert werden für die anderen Interaktionsbeteiligten verstehbar oder in den Worten Garfinkels (1967) „accountable“ zu machen. Ethnomethodological studies analyze everyday activities as members' methods for making those same activities visibly-rational-and-reportable-for-allpractical-purposes, i.e., ‘accountable’, as organizations of commonplace everyday activities. (Garfinkel 1967, S. VII) (Garfinkel 1967, S. VII) Die Konversationsanalyse geht davon aus, dass Gesprächsereignisse von den Beteiligten situativ hergestellt werden („Konstitutivität“) und aus wechselseitig aufeinander bezogenen Aktivitäten bestehen („Interaktivität“). Für die Konstruktion eigener Interaktionsbeiträge und die Organisation ihres Austausches verwenden die Interaktanten kulturell gegründete und sozial verankerte Methoden („Methodizität“). 2 In ihren Anfängen hat sich die Konversationsanalyse auf die systematische Rekonstruktion allgemeiner Erzeugungsmechanismen und generativer Praktiken konzentriert, die Interaktanten in Gesprächen systematisch anwenden (müssen). Ein wichtiges Ziel dieser Rekonstruktionsarbeit war der Nachweis, dass Gespräche ein eigenständiger wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand sind und dass sie von den Beteiligten gemeinschaftlich und systematisch erzeugt werden. some theoretical formulation of what should be studied that I started with tape-recorded conversations, but simply because I could get my hands on it and I could study it again and again, and also, consequentially, because others could look at what I studied and make of it what they could, if, for example, they wanted to be able to disagree with me.“ (Sacks 1984a, “ (Sacks 1984a, S. 26). 2 Zu den Aspekten „Konstitutivität“, „Interaktivität“ und „Methodizität“, siehe Deppermann (1999). Methode 17 Zu einem der ersten Erzeugungsmechanismen, der systematisch untersucht wurde und der bis heute „inspirierend“ geblieben ist, gehört die Organisation des Sprecherwechsels (Turn-Taking) und damit zusammenhängende Strukturphänomene, wie etwa gleichzeitiges Sprechen (Overlap). 3 Der Aufsatz von Sacks, Schegloff und Jefferson „A simplest systematics for the organization A simplest systematics for the organization of turn-taking for conversation“ (1974) ist der wohl bekannteste und wir- “ (1974) ist der wohl bekannteste und wirkungsgeschichtlich relevanteste Beitrag aus der Etablierungsphase der Konversationsanalyse. Weitere allgemeine Mechanismen der Interaktionskonstitution sind beispielsweise die Vorstellung von Sequenzpaaren (Adjacency Pairs) und damit zusammenhängend die grundlegenden Strukturierungsprinzipien „konditionelle Relevanz“ und „Präferenzorganisation“ sowie Reparaturmechanismen. 4 Auf der Grundlage umfangreicher Untersuchungen konnte der Nachweis geführt werden, dass diese Mechanismen prinzipielle Gültigkeit besitzen und nicht nur für bestimmte Formen von Gesprächen gelten. Die Mechanismen sind zudem unabhängig von den individuellen Zielen und Absichten wirksam, die die Gesprächsteilnehmer jeweils verfolgen. 5 3 Overlaps sind ein konstitutiver Bestandteil des Turn-Taking-Systems. Die Systematik des interaktiven Umgangs mit solchen eher kurzen Phasen, in denen mehrere Beteiligte gleichzeitig sprechen, sind bereits in Sacks/ Schegloff/ Jefferson (1974, S. 706ff.) skizziert und später beispielsweise in Jefferson (1984a) detailliert beschrieben worden. Schegloff hat sich in späteren Arbeiten (2000 und 2001) systematisch mit der interaktiven Struktur von Overlaps befasst. 4 Die Vorstellung von Adjacency Pairs geht davon aus, dass es Arten von Redebeiträgen gibt, die in spezifischer Weise zusammen gehören (wie Frage-Antwort, Gruß-Gegengruß etc.). Der erste macht den nachfolgenden „konditionell relevant“, also hochgradig erwartbar, siehe z.B. Schegloff (1972, 1992c). Die spezifische Realisierung von Beiträgen unterliegt dabei potenziellen Wahlmöglichkeiten, von denen einige präferiert sind, also eher gewählt werden, als andere. Dies ist in der Literatur als Präferenzorganisation beschrieben worden. Stellvertretend für die vielen Arbeiten zur Präferenzorganisation, siehe z.B. Schegloff/ Jefferson/ Sacks (1977), Sacks/ Schegloff (1979), Pomerantz (1984), Sacks (1987), Bilmes (1988), Lerner (1989), Frankel (1990), Kotthoff (1993), Boyle (2000), Stivers/ Robinson (2006). Zu Reparaturmechanismen, siehe folgende Auswahl: Schegloff/ Jefferson/ Sacks (1977), Jefferson (1975, 1983), Schegloff (1979, 1987b, 1992a), Goodwin (1980), Schwartz (1980), Drew (1981) und Levelt (1983). 5 In der Konversationsanalyse wurde metaphorisch von „machinery“ geprochen (vgl. Schegloff/ Sacks 1973, S. 293), um zu verdeutlichen, dass die Mechanismen unabhängig von den individuellen Entscheidungen der Gesprächsteilnehmer „in Gang sind“. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 18 In der Etablierungsphase der Konversationsanalyse wurden diese allgemeinen, strukturprägenden Mechanismen verbaler Interaktion zunächst auf der Grundlage von Telefongesprächen untersucht. In der weiteren Entwicklung - und nachdem die generelle Relevanz von z.B. Turn-Taking für jede Form von Interaktionskonstitution evident war - erweiterten sich die untersuchten Gesprächstypen systematisch um Interaktionen in institutionellen und professionellen Kontexten. 6 Die empirischen Daten, welche die Konversationsanalyse ihrer Arbeit zugrunde legte, dokumentierten also weitaus mehr als „Konversation“ im engeren Sinne: Der Terminus „conversation“ wurde in den Anfängen der Konversationsanalyse sehr offen verstanden: I mean to include chat as well as service contacts, therapy session as well as asking and getting the time of the day, press conferences as well as exchanged whispers of ‘sweet nothings’. I have used ‘conversation’ with this general reference in mind [...] (Schegloff 1972, S. 350) Später jedoch etablierte Schegloff (1987a) die Bezeichnung Talk-in-Interac- Talk-in-Interaction“, weil Conversation oft als Bezeichnung einer besonderen Kategorie von “, weil Conversation oft als Bezeichnung einer besonderen Kategorie von Gesprächen (z.B. private Gespräche) missverstanden wurde (vgl. Schmitt 2007a). In den 1970er Jahren wurde der konversationsanalytische Ansatz auch in Deutschland (v.a. in der Soziologie und in der Linguistik) rezipiert. Charakteristisch für diese Rezeption war eine zunächst noch deutliche Anlehnung an die soziologischen Erkenntnisinteressen, die dann in der Linguistik zugunsten einer Hinorientierung auf Aspekte des sprachlichen Handelns und der dabei produzierten sprachlichen Strukturen aufgegeben wurde. There are [...] clear differences between linguistic and CA conceptualizations. For linguists, the ultimate interest seems to lie in explicating the structures and functions of linguistic forms, while CA is interested in the actions that these forms are used to perform. (Ten Have 1999, S. 198) Die linguistische Schwerpunktsetzung in Deutschland zeigt sich auch in der terminologischen Veränderung von Konversationsanalyse über Gesprächsanalyse bis hin zu Gesprächsforschung. Sie führte relativ rasch zu unterschiedlichen Ausprägungen, die in vielen einschlägigen Veröffentlichungen aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt worden sind. 7 6 Für eine detaillierte Darstellung der Untersuchungsbereiche der ‘frühen’ Konversationsanalyse siehe Schmitt (2006). 7 Die Darstellung der Konversationsanalyse in Bergmann (1981, 1994) ist eng an den ursprünglichen Wurzeln der Ethnomethodologie orientiert und verweist auf die wesentlichen Methode 19 Die Rezeption in Deutschland war jedoch nicht nur mit terminologischen Veränderungen, sondern auch mit methodischen und inhaltlichen Implikation verbunden. In methodischer Hinsicht ist vor allem in den letzten Jahren eine Vielzahl von Arbeiten entstanden, die sich nicht mehr an den konstitutionsanalytischen Prämissen der Konversationsanalyse orientiert. Die Bezeichnung Gesprächsforschung steht [...] inzwischen für eine Vielzahl von Analyseverfahren, deren kleinster gemeinsamer Nenner die Tatsache ist, dass aufgezeichnete Gespräche ausgewertet werden, ohne dass in vielen Fällen die für die Konversationsanalyse zentrale Verpflichtung, die Kategorien in der Auseinandersetzung mit den Daten selbst zu gewinnen, noch zu erkennen wäre. Wenn jedoch Gesprächsanalyse nur noch als Auswertungsverfahren (teilweise deduktiv begründeter Forschungsinteressen) angewandt wird und nicht mehr als eigenständiges Forschungsparadigma, werden die spezifisch aufklärerischen Erkenntnismöglichkeiten dieses strukturanalytischen Ansatzes verschenkt. Es besteht dann die Gefahr, unter dem Begriff „Gesprächsanalyse“ eine ‘Scientisierung’ alltagsweltlicher Interpretation zu betreiben und damit einer Deprofessionalisierung Vorschub zu leisten. (Schmitt 2007a, S. 396) In thematischer Hinsicht haben sich in Deutschland die klassischen konversationsanalytischen Forschungsschwerpunkte der Etablierungsphase, die eher formal-strukturellen Interessen folgten, zugunsten inhaltlicher Fragestellungen und Erkenntnisinteressen verschoben. Die dokumentierten Gesprächsereignisse werden nun seltener zur Aufdeckung allgemeiner Erzeugungsmechanismen und Strukturphänomene (z.B. Turn-Taking) verwendet, sondern hinsichtlich ihrer eigenen Spezifik befragt (z.B. welche kommunikativen Anforderungen und Aufgaben müssen in einer Beratungssituation von den Beteiligten interaktiv gelöst werden? ). klassischen Arbeiten. Auch der Beitrag von Kallmeyer/ Schütze (1976) stellt die Grundprinzipien der Konversationsanalyse in ihrer soziologischen Prägung dar. Die Einführungen von Henne/ Rehbock (1979) und Brinker/ Sager (1989) sind demgegenüber deutlich linguistisch ausgerichtet, dementsprechend stärker form- und funktionsbezogen und methodisch weniger eng der klassischen konversationsanalytischen Methodologie verpflichtet. Streeck (1983) unternimmt den Versuch, die deutsche Rezeption wieder zur klassisch-konversationsanalytischen Perspektive zurückzuführen. Die sich seit den 1990er Jahren verbreitende und von Selting/ Couper-Kuhlen (2000 u. (Hg.) 2001) etablierte „Interaktionale Linguistik“ ist ein Versuch der Integration linguistischer und konversationsanalytischer Perspektiven, in dem Sinn, dass linguistische Strukturen im Bereich Prosodie, Syntax, Grammatik etc. als Ressourcen der Organisation natürlicher Interaktion herausgearbeitet werden (siehe z.B. Couper-Kuhlen 1996; Selting 1992, 1996). Beiträge, die auch das konkrete methodische Vorgehen der Konversationsanalyse umfassend beschreiben, sind Bergmann (1981) und Deppermann (1999). Schmitt (2001) widmet sich aus einer methodologischen Perspektive zwei wenig reflektierten Aspekten des Forschungsvorgehens, der vorsequenziellen Auswertung und der Ergebnispräsentation. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 20 Damit wird den sozialen, situationsstrukturellen und interaktionstypologischen Eigenheiten bzw. Besonderheiten der Untersuchungsgegenstände ein größerer Stellenwert eingeräumt, als bei klassischen konversationsanalytischen Untersuchungen. Zudem bleibt das methodische Vorgehen - gerade bei gesprächstypologisch ausgerichteten Untersuchungen - nicht in allen Fällen den strengen sequenz- und konstitutionsanalytischen Prämissen der klassischen Konversationsanalyse verpflichtet. Oftmals stehen stärker schemabezogene und auf die Rekurrenz der Handlungs- und Ablaufstruktur gerichtete Fragestellungen im Vordergrund, die beispielsweise zur Entwicklung handlungsschematischer Konzepte führen (vgl. z.B. Kallmeyer/ Schütze 1977, Kallmeyer 1985, 2000). Diese Arbeit bezieht soziale und situationsstrukturelle Aspekte systematisch in die Analyse ein und verfolgt ein inhaltlich-substanzielles Erkenntnisinteresse. Das problembezogene Erkenntnisinteresse fokussiert die zu untersuchende Pitching-Situation als einen Relevanzrahmen, in dem die Beteiligten spezifische interaktive Aufgaben zu bearbeiten haben. Die Bearbeitung der Aufgaben erfolgt auf der Grundlage der für die Interaktionskonstitution generell zur Verfügung stehenden Generierungsmechanismen (zur Gegenstandskonstitution siehe Kap. 3). Methodisch wird die inhaltlich-substanzielle Fragestellung mit dem Ansatz der klassischen Konversationsanalyse und der für diesen Ansatz grundlegenden strukturbezogenen Rekonstruktionsperspektive bearbeitet. Das methodische Vorgehen bei der konversationsanalytischen Rekonstruktion der Interaktionsstruktur ist sehr komplex und kann im Rahmen dieser Arbeit nicht detailliert dargestellt werden. 8 Es werden jedoch drei zentrale Orientierungen für die Analyse herausgestellt und diese mit theoretischen Grundannahmen der Konversationsanalyse begründet: Naturalistische Transkription und Analysegrundlage Um den von Natur aus „flüchtigen“ Interaktionsprozess (vgl. Bergmann 1985) „einzufrieren“, in seiner Komplexität zu erhalten und damit beliebig oft reproduzierbar zu machen, müssen Gesprächsereignisse für die Analyse zunächst mittels Audio- oder Videodokumentation konserviert und anschließend transkribiert, also verschriftlicht werden. Dies gewährleistet, dass die produzierten Äußerungen in ihrem tatsächlichen Wortlaut und in ihrer tatsächlichen Abfolge für die Analyse zugänglich gemacht werden. Die Protokollierung muss also so „naturalistisch“ wie möglich durchgeführt werden (siehe Deppermann 8 Eine systematische Einführung in die Methode bietet Deppermann (1999). - Methode 21 2000, S. 108), d.h. auch Korrekturen, Konstruktionsabbrüche, Pausen etc. werden nach einem speziellen System 9 notiert. 10 Die naturalistische Transkription ist eine Voraussetzung dafür, bei der späteren Analyse tatsächlich jedes Detail beachten zu können. Deren Notwendigkeit ergibt sich aus der theoretischen Annahme, Interaktion sei prinzipiell geordnet („order at all points“, vgl. Sacks 1984a, S. 22). Dadurch wird jeder „Baustein“ einer Äußerung als sinnvoll motiviert und daher für die Analyse als potenziell relevant angesehen. Bergmann betont in diesem Zusammenhang, dass kein in einem Interaktionstranskript auftauchendes Textelement als Zufallsprodukt betrachtet wird, sondern immer als Bestandteil einer sich im Handeln der Beteiligten reproduzierenden Ordnung. (Bergmann 1985, S. 311) Die einzelnen Phänomene eines Transkripts besitzen jedoch nicht nur aufgrund ihrer Existenz prinzipielle analytische Relevanz. Sie erhalten ihre spezifische Bedeutung vor allem auch aufgrund ihrer konkreten Platzierung im Interaktionsverlauf und müssen daher auch unter einer streng sequenziellen Perspektive analysiert werden, damit diese lokale Spezifik als wesentlicher Teil ihrer interaktiven Bedeutung erhalten bleibt. Sequenzielle Analyseorientierung Neben der generellen Geordnetheit von Gesprächsereignissen ist für die Analyse eine weitere theoretische Annahme zentral: Gespräche sind zeitlich strukturiert, entstehen durch aufeinander folgende Beiträge der Beteiligten und zeichnen sich durch eine Abfolge von Aktivitäten aus („Prozessualität“, vgl. Deppermann 1999). Für die konkrete Analyse ist auch diese Annahme implikativ, denn sie „folgt dem zeitlich sich aufschichtenden Konstitutionsprozess interaktiver Ereignisse“ (vgl. Schmitt 1992, S. 73) und fragt „what's next? “ (Schegloff/ Sacks 1973), d.h. die Analysierenden befinden sich während der 9 Die Transkriptionskonventionen dieser Arbeit befinden sich im Anhang. 10 Auch wenn der Anspruch besteht, ein Transkript möglichst „naturalistisch“ zu erstellen, wird es zwangsläufig schon eine Interpretation des Gesprächsereignisses sein, da bei der Verschriftung bereits in einem hermeneutischen Prozess Verständnis-Entscheidungen getroffen werden (vgl. Ehlich/ Rehbein 1976; Ehlich/ Rehbein 1979b, die ein Transkriptionssystem entwickelt haben, das HIAT („halbinterpretative Arbeitstranskription“) heißt und somit bereits mit seinem Namen auf den Interpretationsprozess beim Transkribieren rekurriert). Die Notation körperlicher Verhaltensweisen (z.B. Blickorientierungen, Gesten, räumliche Positionierungen) in einem Transkript unterliegt diesem „Interpretationszwang“ in besonderer Weise: Oftmals kann erst nach einem ersten analytischen Gang durch die Daten entschieden werden, an welcher Stelle welche Informationen, die körperliches Verhalten repräsentieren, in ein Transkript aufgenommen werden müssen. - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 22 Strukturrekonstruktion immer auf dem gleichen Entwicklungsstand wie die Gesprächsbeteiligten selbst und operieren nicht mit Informationen, die sie sich auf der Grundlage des weiteren Interaktionsverlaufs angeeignet haben: Das Transkript eines Gesprächs darf [...] bei der Analyse nicht als ‘zeitloser Text’ betrachtet werden, in dem der gleichsam allwissende Analytiker von einem Punkt zum anderen springen kann und nichts anderes zu tun braucht, als fertige Objekte einzusammeln; das Transkript ist vielmehr bei jedem analytischen Schritt gleichsam aus der Perspektive der Gesprächsteilnehmer als zeitliches Abbild einer linear ablaufenden, sich aufschichtenden sprachlichen Interaktion zu behandeln. (Bergmann 1981, S. 20) Kontextwissen darf zur Analyse nur dann herangezogen werden, wenn es aus dem Interaktionsgeschehen selbst entwickelt worden ist. Diese Orientierung beruht auf der konversationsanalytischen Konzeptualisierung von Kontext, wonach Äußerungen prinzipiell in einer spezifischen Relation zu Kontexten stehen. Sie werden zum einen als kontextabhängig betrachtet, d.h. ihre spezifische Realisierung reagiert auf lokal Vorgängiges. Zum anderen sind sie Kontext stiftend, da sie selbst wieder relevante Bezugspunkte für Folgeäußerungen darstellen. Auf dieses lokal wirkende Prinzip reagiert - methodisch gesehen - die sequenzielle Analyseorientierung: The basic orientation of conversation analytic studies may be summarized in terms of three fundamental assumptions: (1) interaction is structurally organized; (2) contributions to interaction are both context shaped and context renewing; and (3) these two properties inhere in the details of interaction so that no order of detail in conversational interaction can be dismissed a priori as disorderly, accidental or irrelevant. (Heritage 1985, S. 2) Sowohl die sequenzielle Analyseorientierung als auch die zuvor beschriebene naturalistische Analysegrundlage bilden das methodische Fundament der strukturanalytischen Rekonstruktion von Gesprächsereignissen. Aus konversationsanalytischer Perspektive kann die konstitutive Bedeutung von Kontext auf der Grundlage von Aufzeigepraktiken der Interaktionsbeteiligten rekonstruiert werden. Interaktionsbeteiligte verdeutlichen ihre eigenen Kontextbezüge, reagieren auf die Verdeutlichung anderer und setzen somit bestimmte Kontextbedingungen für den aktuellen interaktiven Austausch relevant (vgl. Schegloff 1991, 1992a, 1997; Watson/ Seiler (Hg.) 1992). Diese Sicht ist unproblematisch, wenn Analytiker/ innen - aufgrund ihrer kulturellen Kenntnisse - die Aufzeigepraktiken der Beteiligten erkennen. In Situationen jedoch, in denen solches Wissen nicht vorhanden ist, sind Analysierende Methode 23 auf ethnographische Informationen (siehe Kap. 2.3) angewiesen, die sie mit diesem Wissen ausstatten. Ohne adäquates Wissen um die Spezifik der Aufzeigepraktiken, mit denen sich die Beteiligten - nicht nur kontextuelle, sondern allgemeine - Relevanzen verdeutlichen, können Gespräche nicht angemessen analysiert werden. 11 Funktionsbezogene Analyse Die Analysen basieren weiterhin auf der theoretischen Annahme, dass Gesprächsteilnehmer im Gespräch Ziele und Zwecke verfolgen sowie Aufgaben und Probleme bearbeiten („Pragmazität“, vgl. Deppermann 1999). Die Interpretation von Gesprächen bezieht sich ausschließlich auf die Frage, wie interaktive Aufgaben/ Probleme im Gespräch gelöst werden und nicht darauf, aus welchen Gründen oder aufgrund welcher Intentionen sich Interaktionsbeteiligte in bestimmter Weise verhalten. Interaktive Ereignisse werden nicht reduktionistisch durch „verborgene“, „eigentlichere“ Wirklichkeiten (Persönlichkeitsstrukturen, Motive, Kognitionen oder sozialstrukturelle Gegebenheiten) erklärt, sondern durch bereichseigene, interaktionale Größen. Interaktive Praktiken werden durch interaktive Probleme erklärt. (Deppermann 1999, S. 82) Die konstitutionsanalytische Orientierung der Analyse ist verschiedenen Gefahren ausgesetzt: Hierzu gehören zum einen Erklärungen für Interaktionsverhalten, die auf Persönlichkeitsstrukturen der Beteiligten rekurrieren, ihrem Verhalten Motive unterstellen oder aber bestimmte Kognitionen als Ursache für Verhaltensweisen annehmen. Zum anderen gehören zu den Gefahren auch kategoriale Erklärungen, die theoretisch auf einer anderen Ebene liegen als die Transkript-Phänomene und daher nur bedingt miteinander vermittelt werden können. Dieses sog. „Mikro-Makro-Problem“ stellt sich immer dann, wenn einzelne sprachliche Oberflächenphänome (wie z.B. die Unterbrechung eines Beteiligten durch einen anderen) als Ausdruck einer allgemeinen - theoretischen oder zumeist auch alltagsweltlichen - Kategorie (z.B. Dominanz) betrachtet werden. 12 11 Zur Bedeutung ethnographischer Informationen für die konversationsanalytische Methode siehe beispielsweise Agar (1986), Bilmes (1992), Maynard (1989), Cicourel (1992), Billig/ Schegloff (1999), Auer (1995), Deppermann (2000). 12 Das „Mikro-Makro-Problem“ hat in der Gesprächsanalyse eine gewisse Tradition, siehe beispielsweise Schegloff (1987c, 1991, 1992b, 1997), Boden/ Zimmerman (Hg.) (1991), Cicourel (1981). Habscheid (2000) beschreibt zwei Strategien im Umgang mit dem Mikro- Makro-Problem in der Gesprächsanalyse. Schmitt/ Heidtmann (2002a) stellen einen empirisch-gesprächsanalytisch basierten Zugang zum Mikro-Makro-Problem vor. - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 24 Die für die strukturbezogene Konstitutionsanalyse zentrale Frage ist also weder individuell noch makrostrukturell gegründet. Sie richtet sich vielmehr auf die Funktionen der sich in der Interaktion abbildenden Phänomene: Jede gesprächsanalytische Untersuchung zielt in irgendeiner Weise darauf ab, Formen (kommunikative Gattungen, institutionelle Interaktionstypen, grammatische Einheiten etc.) typologisch zu beschreiben und verständlich zu machen, indem gefragt wird, welche Funktionen die Formen für Aufgaben, Probleme und Zwecke haben, mit denen Interaktanten in Gesprächen befasst sind. (Deppermann 1999, S. 49) Das Spektrum möglicher Formen erstreckt sich von kleinsten Mikrophänomenen der Interaktion bis hin zu komplexeren Äußerungszusammenhängen. Die Funktionen sind immer in Abhängigkeit vom lokalen Kontext zu sehen. Somit ist es also nicht möglich, bestimmten Ausdrucksformen, wie z.B. prosodischen Merkmalen (wie leises Sprechen) eine „gesprächstranszendierende“ Funktion zuzuweisen, die immer und grundsätzlich gilt. Die von den Interaktionsbeteiligten zu bearbeitenden Aufgaben sind komplex und betreffen eine ganze Reihe unterschiedlicher Aspekte der sozialen Realität. Diese für die Interaktionskonstitution relevanten Aspekte beschreibt Kallmeyer: - Gesprächsorganisation (Austausch von Sprechbeiträgen) - Gemeinsames Handeln (z.B. „eine Auskunft einholen“, „eine Verabredung treffen“) - Sachverhaltsdarstellung (z.T. in Form komplexer, in sich geschlossener Darstellungen wie Erzählungen, Beschreibungen und Argumentation) - Soziale Identitäten und Beziehungen (wie Arzt-Patient, Bekanntschaft, Kollegialität usw.) - Interaktionsmodalitäten (wie Ernst, Scherz, Spiel, institutionelle Verfahrensinteraktion usw.) - Reziprozitätsherstellung (Formen der Kooperation). Diese Aspekte werden bei ihrer Bearbeitung in komplexer Weise miteinander kombiniert, wobei die einzelnen Konstitutionsaspekte zum Teil als manifeste makrostrukturelle Rahmen realisiert werden. (Kallmeyer 1985, S. 85) In einem Gespräch werden jedoch nicht immer alle - bzw. gleichzeitig alle - der von Kallmeyer aufgeführten Ebenen von den Interaktanten relevant gesetzt. Darüber hinaus zeigt sich die Relevanz einzelner Ebenen für die Generierung der vorliegenden Interaktionsstruktur nicht in Phänomenen, die man an der Oberfläche einzelner Äußerungen ablesen kann. Vielmehr gibt oft erst die detaillierte konstitutionsanalytische Auseinandersetzung mit den Daten Methode 25 Auskunft darüber, welche der Ebenen in einem bestimmten Ausschnitt für die Beteiligten - und damit auch für Konversationsanalytiker/ innen - besondere Relevanz besitzen. Die Analyse wird aus diesem Grunde, auch wenn ihr ein klar motivierter Erkenntnisfokus zugrunde liegt, immer einen gewissen Überschuss produzieren, der [...] sich einfach daraus ergibt, dass man zu Beginn und während der Analyse oft noch nicht hinreichend weiß, welches die letztlich relevanten Phänomene sind, auf die es - bezogen auf das Erkenntnisinteresse - ankommt. Zudem können sich die Relevanzen der Konstitutionsebenen im Laufe der Analyse verschieben und so nach dem ersten vollständigen Durchgang in Teilen eine neufokussierte Reanalyse erforderlich machen. (Schmitt 2001, S. 159) Die drei dargestellten zentralen Orientierungen der Konversationsanalyse, die naturalistische Transkription und Analysegrundlage, die sequenzielle Analyseorientierung und die funktionsbezogene Interpretation sind für das methodische Vorgehen zentral. In der Konversationsanalyse ist jedoch zudem noch eine weitere theoretische Unterscheidung angelegt, die für meine Untersuchung relevant ist. Sie betrifft das Verhältnis struktureller und individueller Anteile an der Interaktionskonstitution und wird terminologisch als Differenzierung von „structural provistructural provisions“ und „participants' work“ gefasst. Um die Spezifik einer jeweiligen “ und „participants' work“ gefasst. Um die Spezifik einer jeweiligen participants' work“ gefasst. Um die Spezifik einer jeweiligen “ gefasst. Um die Spezifik einer jeweiligen Äußerungsrealisierung von Gesprächsbeteiligten zu verstehen, ist das Zusammenspiel von strukturellen Vorgaben (= Structural Provisions) und dem Umgang der Sprecher mit ihnen (= Participants' Work, vgl. Jefferson 1972) eine wichtige Ressource. Diese Differenzierung hängt eng mit dem Strukturierungsprinzip der konditionellen Relevanz zusammen. Dies besagt, dass bestimmte Gesprächshandlungen gewisse Anschlussimplikationen erwartbar machen. Wie die Interaktionsbeteiligten unter den lokal-spezifischen Bedingungen mit diesen Anschlussimplikationen umgehen, wird nicht primär von generellen Mechanismen bedingt, sondern von den Interaktionsbeteiligten ‘gewählt’ bzw. aktiv gestaltet. Fragt man nach dem Verhältnis von beiden Prinzipien in der analytischen Beschäftigung, so überwiegt in der klassischen Konversationsanalyse die Ausrichtung auf die Structural Provisions. Es gibt jedoch inzwischen auch Ansätze, die sich stärker das Erkenntnispotenzial zu Nutze machen, das mit der Vorstellung von Participants' Work als analytischer Ressource verbunden ist. Eine wichtige konversationsanalytische Erweiterung, die sich mit der Spezifik der Realisierungsformen der Beteiligten auseinandersetzt, ist die Gesprächsrhetorik. Sie konzentriert sich in spezifischer Weise auf die ‘Arbeit’ der Teilnehmer: Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 26 Die Beteiligten unterliegen dem interaktionsinhärenten Zwang zur Herstellung von Ordnung, aber ihre handlungspraktische Orientierung richtet sich auf das Verfolgen von Interessen. (Kallmeyer (Hg.) 1996, S. 10) So beschreiben gesprächsrhetorische Verfahren strukturell definierte Anstrengungen der Beteiligten, die unterschiedlichen Konstitutionsanforderungen für ihre aktuellen Ziele erfolgreich zu nutzen. Der gesprächsrhetorische Ansatz geht von zwei Prämissen aus: a) Interaktion findet systematisch und auf der Grundlage der strukturellen Wirksamkeit und sozialen Verbindlichkeit genereller Mechanismen statt und b) die Interaktionsbeteiligten besitzen einen großen Freiraum, diese Vorgaben in ihrem Sinne zu interpretieren. 13 Sowohl die klassische Konversationsanalyse, als auch die Gesprächsrhetorik haben sich primär auf die Relevanz verbaler Aktivitäten zur Herstellung interaktiver Ordnung konzentriert. 14 Die dieser Untersuchung zugrunde gelegten Videodaten zeigen jedoch in offenkundiger Weise, dass dazu auch andere Ausdrucksebenen als die verbale verwendet werden. Aus diesem Grund werde ich die inhaltlich-substanzielle Konstitutionsanalyse um eine multimodale Perspektive erweitern. 2.2 Multimodale Analyseperspektive Kommunikation als multimodales Ereignis zu betrachten, ist eine neue Entwicklung im Bereich der Konversationsanalyse (vgl. Schmitt 2004a). Sie ist eine Reaktion auf die „visuelle Revolution“ (vgl. Schmitt 2004b, S. 56), also auf die Tatsache, dass die Dokumentation sozialer Handlungszusammenhänge für konversationsanalytische Untersuchungen mittlerweile immer häufiger audio-visuell mittels Videokamera erfolgt. Zusätzlich zu den verbalen Anteilen von Interaktion rücken dadurch weitere Ausdrucksmöglichkeiten der Beteiligten in den analytischen Blick: Unter multimodaler Kommunikation wird eine Konzeption verstanden, die davon ausgeht, dass es für Interaktionsbeteiligte unterschiedliche Modalitäten gibt, sich in kommunikationsrelevanter Weise auszudrücken, Handlungsziele 13 Einen Überblick über die Konzeption der Gesprächsrhetorik bietet Kallmeyer (Hg.) (1996); zur gesprächsrhetorischen Arbeitsweise siehe z.B. Kallmeyer/ Schmitt (1996), Schmitt (1998) und Wolf (1999). 14 Es muss jedoch betont werden, dass es in der Konversationsanalyse bereits seit Beginn der 1970er Jahre vereinzelte Untersuchungen auf der Basis von Videoaufzeichnungen gab, siehe etwa die Arbeiten von Goodwin (1981) und Heath (1982, 1984, 1986). Methode 27 zu erreichen, soziale Bedeutung zu konstituieren und alle möglichen Arten interaktiver Arbeit zu betreiben. Hierzu zählen beispielsweise Verbalität, Prosodie, Mimik, Gestik, Körperpositur, Körperkonstellation und Blickverhalten. (Schmitt 2004b, S. 61) Die Videodokumentation ermöglicht nicht nur, alle auditiv und visuell wahrnehmbaren Verhaltensweisen systematisch in die Analyse einzubeziehen, sondern erfordert dies, wenn man Kommunikation in ihrer gesamten Komplexität ernst nimmt. Dausendschön-Gay/ Krafft vertreten die Auffassung, [...] dass man, will man face-to-face-Kommunikation angemessen beschreiben, die kommunikativen Handlungen in ihrer Gesamtheit erfassen muss. Dazu gehört natürlich die von der Linguistik immer schon untersuchte sprachliche Produktion im engeren Sinne [...] Dazu gehören auch alle körperlichen Aktivitäten, die wir als hörbare und sichtbare kommunikative Körpergesten wahrnehmen. (Dausendschön-Gay/ Krafft 2002, S. 54) Die multimodale Analyseperspektive erweitert die vorherrschende analytische Konzentration auf verbale Aktivitäten um die Möglichkeit, die Herstellung interaktiver Ordnung in ihrer komplexen Gesamtheit zu untersuchen. 15 Methodisch ist das Vorgehen eng an die Konversationsanalyse angelehnt: Die detaillierte konstitutionsanalytische Rekonstruktion, welche für die Analyse der mündlichen Ausdrucksebene entwickelt wurde, wird nun auf alle Konstitutionsebenen der Interaktion angewendet. Der konversationsanalytische Ansatz spielt für die Entwicklung der multimodalen Perspektive deswegen eine zentrale Rolle, weil ein Großteil der Linguisten, die an der Analyse, Konzeptualisierung und methodologischen Reflexion der multimodalen Qualität und Komplexität von Interaktion interessiert sind, einen konversationsanalytischen Hintergrund haben und auf der Basis der Methodologie und grundlagentheoretischen Ausrichtung dieses Ansatzes arbeiten. (Schmitt 2005, S. 20) 15 Theoretisch sind dabei alle Modalitätsebenen als gleichwertig zu betrachten, vgl. Kendon (1990) im Rahmen seiner Ausführungen zur Context Analysis: „It refuses to assume that any It refuses to assume that any particular modality of communication is more salient than another.“ (S. 16). Im empirischen “ (S. 16). Im empirischen Einzelfall hingegen treten i.d.R. in Abhängigkeit von den interaktiven Anforderungen, die von den Beteiligten bearbeitet werden, einzelne Modalitätsebenen in den Vordergrund. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 28 Die multimodale Analyseperspektive eröffnet einen neuen Blickwinkel 16 auf Interaktion und besitzt für die wissenschaftliche Untersuchung derselben (mindestens) drei zentrale Implikationen. 17 Sie führt zur: Etablierung neuer Untersuchungsgegenstände und Analysefoki, Reflexion der klassisch-konversationsanalytischen Konzepte, die aus der Beschäftigung mit dem sprachlichen Verhalten der Interaktionsteilnehmer entstanden sind, Entwicklung gegenstandsadäquater Untersuchungsmethoden als Ergänzung der bisherigen Analysepraxis. Diese drei Aspekte werden im Folgenden kurz erläutert: Ad 1: Zu den neuen Untersuchungsgegenständen, die bei der Analyse verbaler Daten keine Rolle gespielt haben, bei einer multimodalen Analyseperspektive jedoch ‘zwangsläufig’ in den Fokus geraten, gehören z.B. Raum, Materialität, Wahrnehmung, Gesprächspausen und Koordination (vgl. Schmitt 2007c). Für meine Fragestellung sind Arbeiten zum Bereich „Koordination“ 18 besonders interessant. Koordination ist eine permanente interaktive Aufgabe der Beteiligten. Diese müssen sowohl ihre eigenen Handlungen im verbalen, gestischen, mimischen etc. Bereich aufeinander abstimmen („intrapersonelle Koordination“) als auch ihre Verhaltensweisen zu den anderen Interaktionsbe- 16 Der Blickwinkel ist letztlich eine Erweiterung der Ebenen, die für die Konversationsanalyse von Interesse sind. Natürlich hat es auch schon vorher Untersuchungen zu anderen Modalitätsebenen als der Sprache gegeben. Die Gestikforschung hat hier Pionierarbeit geleistet. Zur Klassifizierung von Gesten, siehe z.B. Mandel (1977), Kendon (1980, 1988), Calbris (1990), Müller (1998); zum Zusammenhang von Gesten und Sprechen siehe McNeill (1979, 1985), Schegloff (1984) und Kendon (2004), weiterhin zu „redebegleitenden Gesten“ Müller (1998). Zum Zusammenhang von Blickkontakt und Sprechen vgl. Streeck (1993), sowie zu Blickorganisation Kendon (1967/ 1990, 1969). Während in der Gestikforschung der Fokus primär auf den aktuell Sprechenden/ Handelnden liegt (siehe „redebegleitend“), bezieht die multimodale Analyseperspektive einerseits alle an der Interaktion Beteiligten als theoretisch gleichwertig in die Untersuchung ein und betrachtet andererseits auch körperliche Ausdrucksweisen, die nicht den form- und funktionsbezogenen Status von Gesten haben. Außerdem ist die multimodale Analyseperspektive immer dem konstitutionsanalytischen Ansatz der Konversationsanalyse verpflichtet. 17 Die drei Implikationen beschreibt schon Schmitt (2004b, S. 75), detaillierte Ausführungen zu ihrer theoretischen und methodischen Reichweite bietet auch Schmitt (2007c). 18 Diese Arbeiten wurden auf dem Kolloquium „Multimodale Kommunikation. Koordination aus multimodaler Perspektive“ am Institut für Deutsche Sprache vorgestellt und diskutiert. Zum Bericht über das Kolloquium siehe Kesselheim/ Reitemeier (2006a, b), zu den Ergebnissen siehe Schmitt (Hg.) (2007). 1) 2) 3) Methode 29 teiligten in Bezug setzen („interpersonelle Koordination“). 19 Die wechselseitige Bezugnahme aufeinander und die Abstimmung der eigenen Verhaltensweisen mit denen anderer Gruppenmitglieder ist insbesondere in Mehr-Personen- Konstellationen eine vielschichtige Anforderung. Da die Beteiligten im Falle meines Untersuchungsmaterials miteinander kooperieren, um ein gemeinsames Produkt zu entwerfen, sind sie permanent vor die Aufgabe gestellt, sich zu den Handlungen der anderen zu verhalten, Ideen der anderen zu bewerten, aufzugreifen oder ihnen eigene Vorstellungen entgegenzusetzen. Auch für diejenigen, die zeitweise verbal nichts beitragen, gelten diese Koordinationsaufgaben. Die Beschäftigung mit Koordination berührt oftmals Fragen der Wahrnehmung (Heidtmann/ Föh 2007) und der Hervorbringung und Neuordnung von Interaktionsräumen (Mondada 2007, Müller/ Bohle 2007). Diese Aspekte, die erst durch audiovisuelle Interaktionsdokumente empirisch zugänglich und in ihrer interaktionskonstitutiven Bedeutung deutlich werden, sind in den nachfolgenden empirischen Kapiteln dieser Arbeit an unterschiedlichen Stellen relevant (zur Koordination und Wahrnehmung siehe insbesondere Kap. 4.5 und 4.6, zur Organisation des Raumes insbesondere Kap. 4.1). Ad 2: Die multimodale Analyseperspektive etabliert jedoch nicht nur neue Untersuchungsgegenstände, sie führt auch zur systematischen Reflexion konversationsanalytischer Konzepte. Diese bisher ausschließlich verbal definierten Konzepte werden um die Erkenntnisse aus den multimodalen Analysen ergänzt und neu fokussiert bzw. präzisiert. Zu ihnen gehören insbesondere: Die Turn-Taking-Organisation: Die für die Verteilung der Redebeiträge basale Vorstellung von der „Redegelegenheit als knappem Gut“ (vgl. Schmitt 2007c) muss unter einer multimodalen Analyseperspektive neu überdacht werden. Interaktionsbeteiligte zeigen oftmals deutlich und auf unterschied- 19 Zur Unterscheidung von intrapersoneller und interpersoneller Koordination siehe Deppermann/ Schmitt (2007). In den Bereich der interpersonellen Koordination fällt beispielsweise auch die Frage, wie Gesprächsbeteiligte aushandeln, wer spricht. Schmitt (2004b) zeigt, wie in einer 12-sekündigen Gesprächspause während einer Arbeitssitzung zwischen vier Personen mittels Blick- und Körperorientierung ausgehandelt wird, wer als nächstes den Turn übernimmt. Die Analyse verdeutlicht, dass in der Pause zwar nicht gesprochen wird, jedoch über andere Modalitätsebenen eine komplexe interaktive Aushandlung stattfindet, die nur auf der Grundlage audio-visueller Daten erkennbar wird. Die interaktive Organisation und Struktur von Gesprächspausen ist eine weitere Frage, die sich erst stellen kann, wenn die komplexen multimodalen Ausdrucksmöglichkeiten der Interaktionsbeteiligten in den Blick kommen. Dann werden auch Gesprächspausen zu einem neuen Untersuchungsgegenstand (zur Beschäftigung mit Pausen, die auf der Grundlage verbaler Daten analysiert werden siehe Bergmann 1982, zu Schweigephasen im Gespräch siehe Meise 1996). - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 30 liche Weise, dass sie gerade nicht sprechen wollen und daher nicht nur nicht um die Sprecherrolle konkurrieren, sondern verhindern, diese zugewiesen zu bekommen. Schmitt (2004b, S. 76) plädiert daher für die Erweiterung der Turn-Taking-Machinery im Sinne einer „simplest systematics for not taking turns in interaction“. Das Overlap-Konzept: Die Vorstellung von Overlap als simultanem Sprechen mindestens zweier Personen ist ausschließlich verbal gegründet. Wie können jedoch all die Aktivitäten konzeptualisiert werden, die simultan zum Sprechen, sei es vom aktuell Sprechenden selbst und/ oder von anderen Interaktionsbeteiligten auf anderen Modalitätsebenen vollzogen werden? Es wäre theoretisch nicht sinnvoll, die Spezifik von Overlap zu überlasten, indem das Konzept generell auf alle simultan ablaufenden Aktivitäten erweitert würde. Es ist jedoch möglich, analytisch spezielle Fälle von nichtverbalem Verhalten beispielsweise als „kinesischen Overlap“ zu konzeptualisieren und diese Variante kontrastiv zum verbalen Overlap zu definieren: Schmitt (2004b) beschreibt einen Fall, bei dem simultan zu einem Redebeitrag eines Sprechers eine andere Interaktionsteilnehmerin sich über einen längeren Zeitraum gestisch auffällig sowie deutlich störungsimplikativ verhält und damit, ähnlich lauten simultanen Sprechens, in eine Konkurrenz um das Rederecht tritt. Diese Konkurrenz erfolgt - und das macht den Unterschied zum verbalen Overlap aus - nicht im vokalen Medium. Das Display-Konzept: Anders als die zuvor dargestellten Konzepte, die strukturanalytische Phänomene auf der verbalen Modalitätsebene fokussieren, bezieht sich das Display-Konzept auf Aspekte des sichtbaren Verhaltens der Beteiligten. In der konversationsanalytischen Literatur wird für körperliche Aktivitäten eines Gesprächsbeteiligten, die sich auf sein Gegenüber beziehen, der Terminus „Display“ 20 verwendet. Das Display-Konzept erfasst auch diejenigen Interaktionsteilnehmer/ innen, die zeitweise sprachlich nichts zur laufenden Interaktion beitragen, jedoch über ihr sonstiges körperliches Ausdrucksverhalten ihren Beteiligtenstatus ausdrücken, die laufende Interaktion kommentieren und somit auch in die Äußerungsentwicklung des aktuellen Sprechers eingreifen können. Das Display-Konzept bereitet - bezogen auf meine Fragestellung - in seiner ursprünglichen Konzeption jedoch theoretische und methodische Probleme, da es aus der Analyse dyadischer Interaktionszusammenhänge mit face-to-face-Positionierung der Beteiligten hervorgeht. Es ist daher nur bedingt auf Interaktion 20 Siehe Goodwin (1981) zu Engagement- und Disengagement-Displays sowie Heath (1982, 1984) zu Recipiency- und Availibility-Displays. - - Methode 31 in Gruppen übertragbar. 21 Bei Mehrpersonenkonstellationen ist der Bezugspunkt von Display-Aktivitäten nicht immer eindeutig bestimmbar. Eine weitere grundsätzliche Frage ist auch, ob körperliche Verhaltensweisen, die bislang als Display-Realisierungen konzeptualisiert worden sind, tatsächlich immer für jemanden sind? 22 Die Frage nach dem Zusammenhang von multimodal beobachtbarem Verhalten und zielgerichteten, adressierten, multimodal realisierten Handlungen („to display“) wird in den Analysekapiteln verschiedentlich berührt (siehe insbesondere Kap. 4.5). Das Delay-Konzept: Als delay-Organisation werden Äußerungsrealisierungen beschrieben, die erkennbar Merkmale von „dispreferred turn shapes“ dispreferred turn shapes““ (vgl. Pomerantz 1984) besitzen. Sie werden i.d.R. nicht ‘glatt’ und ‘in einem Guss’ formuliert, sondern enthalten Pausen, Modalisierungen, Wortsucheaktivitäten, Formulierungsabbrüche, Reformulierungen etc. und zögern somit die Äußerungsproduktion hinaus. Meist sind es unangenehme oder kritische Sachverhalte, die im Delay-Format formuliert werden. Die Interpretation von Äußerungsrealisierungen im Delay-Format ist unter einer multimodalen Perspektive jedoch differenzierter. Bei ihrer funktionalen Rekonstruktion können dann beispielsweise auch außersprachliche Aspekte in die Analyse einbezogen werden. Mondada (2006, 2007) beispielsweise beschreibt einen Fall, in dem eine Teilnehmerin einer Arbeitsgruppe, die gemeinsam an einem Tisch über verschiedene Papiere arbeitet, ihren verbalen Turn und ihre Handbewegung (= Zeigegeste) sowohl aufeinander, als auch auf die Bewegungen eines anderen Interaktionsbeteiligten abstimmt. 23 Die Zeitlichkeit dieser verschiedenen Dynamiken wird koordiniert, indem das Wort „ici“ zunächst verzögert wird („eh iici“). Mondada interpretiert das Delay-Format als eine Methode der Interaktantin, ihre Bewegung mit der ihres Gegenübers zu synchronisieren und somit einen Raum herzustellen, in dem sich das deiktische Potenzial der Zeigegeste optimal entfalten kann. 21 Goodwin (1981) und Heath (1982, 1984) mussten in den von ihnen untersuchten Zwei-Personen-Konstellationen nicht danach fragen, an wen körperliche Ausdrucksformen eines Beteiligten gerichtet sind und von wem sie wahrgenommen werden können. 22 Für eine detaillierte Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen des Display-Konzeptes siehe auch Heidmann/ Föh (2007). 23 Mondada (2007, S. 80) beschreibt die Situation wie folgt: „Zu Beginn von Vivianes ‘turn’ ist Laurence noch dabei, sich Notizen zu machen. In der linken Hand hält sie ein halb geöffnetes Heft, in welchem sich das Objekt befindet, auf das Viviane sich bezieht. Als Viviane zu sprechen beginnt, bewegt sie ihren Arm und die vom Stift verlängerte Hand immer weiter auf das halb geöffnete Dokument zu, das Laurence in der Hand hält. Diese Bewegung bewirkt, dass Laurence das Heft öffnet. Erst als es vollständig geöffnet und der Referent somit sichtbar ist, spricht Viviane den deiktischen Ausdruck „ici“ vollständig und in einem Zug aus.“ - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 32 Die vier aufgeführten Aspekte sind bei weitem nicht alle, die durch den multimodalen Blick auf Interaktion ‘fragwürdig’ werden. Sie gehören jedoch zu den zentralen konversationsanalytischen Konzepten und werden im Empirieteil (Kap. 4) dieser Arbeit verschiedentlich relevant. Ad 3: Neben Fragen des Gegenstandes und der Gültigkeit traditioneller konversationsanalytischer Konzepte stellen sich auch neue Fragen, die dazu führen, das bisherige methodische Vorgehen zu ergänzen. Hierzu gehört beispielsweise die „visuelle Erstanalyse“ (vgl. Schmitt 2007a). Die Entwicklung der visuellen Erstanalyse reagiert auf die Tatsache, [...] dass das für die Koordination der verbalen Beiträge unterschiedlicher Sprecher zentrale Prinzip der Sequenzialität (d.h. der Nach-Zeitigkeit) bei Videoaufzeichnungen durch das Prinzip der Gleichzeitigkeit erweitert werden muss. Da man nicht alle wichtigen Aktivitäten auf den unterschiedlichen Modalitätsebenen gleichzeitig erfassen kann, ist man gezwungen, sich auf einzelne Ausdrucksebenen zu konzentrieren. (Schmitt 2007a, S. 407f.) Die visuelle Erstanalyse konzentriert sich auf das Sichtbare, indem das akustisch Wahrnehmbare motiviert ausgeblendet wird und findet noch vor der Beschäftigung mit dem Verbalen statt („Erstanalyse“). Sie führt zu Beschreibungskategorien, die nicht schon durch das sprachliche Geschehen vorgeprägt sind und eröffnet grundsätzlich die Möglichkeit, alle Verhaltensweisen aller Beteiligter gleichwertig zu untersuchen (zum methodischen Vorgehen siehe auch Heidtmann/ Föh 2007). Dieser neue methodische Zugang zu den Daten ist im Rahmen eines gegenstandsadäquaten methodischen Vorgehens verortet, das beispielsweise von Schmitt (2007c) als „Mehrebenenanalyse“ bezeichnet wird. Der Versuch, die multimodale Komplexität von Interaktion im konstitutionsanalytischen Verständnis der Konversationsanalyse zu rekonstruieren, macht es nötig, jeweils einzelne - zunächst voneinander unabhängige - Analysegänge durchzuführen, die jeweils spezifische Modalitätsebenen fokussieren. Erst in einem zweiten Schritt werden die Ergebnisse der einzelnen Analysegänge aufeinander bezogen. Eine systematische Mehrebenenanalyse ist die methodische Antwort auf die Notwendigkeit, neben dem für die Konversationsanalyse konstitutiven Prinzip der Sequenzialität auch der Tatsache gerecht zu werden, dass audio-visuelle Daten immer ein eng gewobenes Netz aus von verschiedenen Beteiligten gleichzeitig vollzogenen Verhaltensweisen sind. Nur wenn also das Prinzip Methode 33 der Simultanität dem Prinzip der Sequenzialität theoretisch ‘ebenbürtig’ ist, kommt man der faktischen Komplexität von Interaktion in einem konstitutionsanalytischen Sinne nahe. In diesem Zusammenhang wird eines der zentralen theoretischen Postulate der multimodalen Analyseperspektive auch methodisch relevant: Bei der analytischen Auseinandersetzung mit den empirischen Daten müssen alle Ausdrucksebenen als theoretisch gleichwertig begriffen werden. Die konkrete Entscheidung darüber, welche Modalitätsebenen primär untersucht werden, ist im Kontext konkreter Untersuchungen von den Relevanzen abhängig, die das Material selbst ausweist. 24 So ist es beispielsweise nicht nur möglich, zu untersuchen, auf welche unterschiedlichen modalen Ressourcen aktuelle Sprecher/ innen bei der Bearbeitung relevanter Aufgaben und Anforderungen zurückgreifen, sondern auch zu fragen, wie und unter Einsatz welcher Ressourcen zeitweise Nicht-Sprechende zur Konstitution interaktiver Ordnung beitragen. Das Vorliegen audio-visueller Daten führt nicht zwangsläufig dazu, dass in der Analyse immer alle Modalitätsebenen systematisch betrachtet werden. 25 Die Analyseorientierung und die Auswahl der zu analysierenden Modalitätsebenen folgen vielmehr den Relevanzen der Interaktionsbeteiligten selbst. Wenn diese beispielsweise bei der situativen Bearbeitung bestimmter Aufgaben - aufgrund der Aufgabenspezifik - primär mündliche Ressourcen einsetzen, können - je nach Fragestellung und Erkenntnisinteresse - auch klassische Transkriptanalysen ohne Integration anderer Ausdrucksebenen durchgeführt werden (vgl. Kap. 4.3). Somit ist die multimodale Analyseperspektive immer materialspezifisch motiviert und erkenntnisbezogen fokussiert. Die Etablierung neuer Untersuchungsgegenstände und Analysefoki, die Reflexion klassisch-konversationsanalytischer Konzepte und die Entwicklung adäquater Untersuchungsmethoden sind Ausdruck eines grundsätzlichen und weitgehenden Wandels theoretischer Annahmen über den Gegenstand „Interaktion“. Dieser betrifft u.a. 24 Bei meiner Untersuchung geraten beispielsweise bei der Analyse sprachlicher Prozesse im Kontext der Stoffentwicklung (vgl. Kap. 4.4) eher lexikalische und prosodische Aspekte in den Analysefokus. Zur Beantwortung der Frage, wie diejenigen Teilnehmer, die aktuell mündlich nichts beitragen, ihre Gruppenzugehörigkeit, prinzipielle Arbeitsbereitschaft und Position zum laufenden Geschehen ausdrücken, interessiert demgegenüber eher eine Analyse der gestischen, mimischen und proxemischen Verhaltensweisen (vgl. z.B. Kap. 4.5). 25 Die Auswahl der einer detaillierten Analyse unterzogenen Ausschnitte und der jeweils betrachteten Modalitätsebenen ist bei meiner Untersuchung beispielsweise durch spezifische Interessen an Kooperation motiviert, siehe auch Kap. 3. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 34 zentrale Beteiligungskonzepte, die Relevanz von Wahrnehmungs- und Interpretationsprozessen, sowie die Bedeutung handlungspraktischer Vorgänge. Unter einer multimodalen Perspektive, die das gesamte Interaktionsensemble als Handlungseinheit definiert, werden - anders als bei einer Sprecher-Hörer- Konzeption - alle Interaktionsbeteiligten als theoretisch gleichwertig angesehen. Dies führt zu einem Aufgeben der Sprecherzentrierung und zu einer differenzierten Betrachtung konstitutiver Beteiligungsrollen. Letztere ist eine Fortführung der Arbeiten Goffmans (1981) 26 und Levinsons (1988), die die Kategorien „Sprecher“ und „Hörer“ bereits aufgrund unterschiedlicher Beteiligungsweisen weiter spezifiziert haben. 27 Aus der Betrachtung des gesamten Interaktionsensembles ergeben sich weitere theoretische Implikationen, für die Wahrnehmungs- und Interpretationsprozesse entscheidend sind. 28 Das wechselseitige Anzeigen von Wahrnehmungs- und Interpretationsprozessen muss systematisch auf das Interaktionsgeschehen bezogen und als ein für die Interaktionskonstitution relevanter Vorgang aufgefasst werden. Dies führt dazu, Verhaltensweisen, die zuvor nicht konzeptionell verankert waren, wie z.B. Monitoring-Aktivitäten, interaktionstheoretisch anzubinden. Sowohl die Differenzierung von Beteiligungsweisen, als auch die damit zusammenhängende Relevantsetzung von Wahrnehmungs- und Interpretationsprozessen sind theoretisch letztlich eine Weiterführung des ethnomethodologischen Grundgedankens, wonach Interaktion als Accomplishment aller Beteiligten (Garfinkel 1967) verstanden wird. Ein letzter interaktionstheoretischer Aspekt betrifft den Stellenwert von handlungspraktischen Vorgängen in der Interaktion. Die Integration praxeologischer Aspekte in die Analyse führt zwangsläufig zur Änderung relevanter interpretatorischer Bezugsrahmen. 29 Oft werden von den Interaktionsbeteilig- 26 Siehe Goffman (1981, S. 129): „[...] the terms ‘speaker’ and ‘hearer’ imply that sound alone the terms ‘speaker’ and ‘hearer’ imply that sound alone is at issue, when, in fact, it is obvious that sight is organizationally very significant too, sometimes even touch.“ “ 27 Siehe z.B. „production roles“ und „reception roles“ bei Levinson (1988); „ratified participants“, „bystanders“, „eavedroppers“ etc. bei Goffman (1981). 28 Siehe hierzu auch Hausendorf (2003). 29 Die Analyse von Mandelbaum (1992) zum Thema „disattending another's complaint“ würde 's complaint“ würde s complaint“ würde unter einer multimodalen Perspektive anders interpretiert werden können. Mandelbaum (ebd., S. 99ff.) führt ein Beispiel an, in dem eine Mutter und ihre Tochter eine politische Diskussion führen, bei der die Tochter zu einer expandierten Erklärung ihres Erwachse- - - - Methode 35 ten Äußerungskonstitution, Sprecherwechsel usw. den zu vollziehenden praktischen Tätigkeiten ‘unterworfen’ bzw. zumindest mit ihnen koordiniert. Eine adäquate Interpretation, insbesondere sprachlicher Aktivitäten, ist in diesem Falle nur unter Berücksichtigung praxeologischer Notwendigkeiten möglich. Zusammenfassend wird Interaktion aus einer multimodalen Perspektive immer als ganzheitlicher, körperlicher und praxeologisch definierter Zusammenhang verstanden. Nur diese Auffassung wird theoretisch der Tatsache gerecht, dass Interaktion aus dem gleichzeitigen Zusammenspiel mehrerer Modalitäten besteht, die jeweils spezifische Möglichkeiten für Beteiligte darstellen, sich in kommunikationsrelevanter Weise auszudrücken, Handlungsziele zu erreichen und soziale Bedeutung zu konstituieren, der Körper die zentrale Ressource all dieser unterschiedlichen Ausdrucksebenen darstellt, sich Interaktion i.d.R. in praxeologischen Kontexten ereignet, die bestimmte Verhaltensweisen und Koordinierungsleistungen erfordern. Die multimodale Analyseperspektive hat unter einer solchen Konzeption von multimodaler Interaktion die Aufgabe, den Vollzug der durch das Zusammenspiel aller Interaktionsbeteiligten etablierten interaktiven Ordnung als Gesamtzusammenhang aller simultan realisierten und sequenziell strukturierten Beteiligungsweisen zu rekonstruieren. Die durch die Videodokumentation erhobenen „Vollzugsdaten“ (vgl. Schmitt 1992), die multimodal-konstitutionsanalytisch analysiert werden, sind jedoch nicht die einzigen Datentypen, die meiner Untersuchung zugrunde liegen. Zusätzlich zu den Videoaufnahmen habe ich Daten erhoben, die durch teilnehmende Beobachtung und in Gesprächen mit den Schauplatzakteur/ innen gewonnen wurden und beispielsweise in Protokollen fixiert sind. Sie enthalten neben wichtigen Selbstcharakterisierungen der Betroffenen auch Hintergrundinformationen, in denen die Beteiligten ihre Sicht der Pitchings sowie des Filmstudiums insgesamt darstellen („Darstellungsdaten“, vgl. Schmitt 1992). Diese Informationen sind für meine Suchheuristik und die weiterführende Interpretation der strukturanalytischen Erkenntnisse von Bedeutung. nenstatus und ihrer eigenen Entscheidungskompetenz ansetzt. Als sie drei Mal vehement erklärt, die Mutters könne sie politisch nicht beeinflussen („you can't make me“), platziert die Mutter in die dritte Wiederholung dieser Äußerung den Hinweis „eh there's a little or: ange marmalade“. Mandelbaum interpretiert die Aussage der Mutter als Nichtbeachtung der vorherigen Äußerung ihrer Tochter. Die Interpretation würde in ihrer Reichweite jedoch relativiert, wenn berücksichtigt würde, dass sich beide Beteiligte in der Küche befinden und somit der Verweis auf die Marmelade möglicherweise unabhängig von der aktuellen verbalen Aktivität übergeordnete Bedeutung, z.B. für die Essenszubereitung besitzt. - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 36 2.3 Ethnographische Verfahren Neben der um eine multimodale Perspektive erweiterten Konversationsanalyse, die die Grundlage für die Vollzugsanalyse der Pitching-Ereignisse darstellt, sind für meine Untersuchung auch ethnographische Verfahren relevant. Zu diesen ethnographischen Verfahren zählen sehr unterschiedliche Aufenthalte im untersuchten Feld, zum einen während der Konstitution derjenigen Daten, die mit den methodischen Verfahren der Konversationsanalyse in dieser Arbeit rekonstruiert werden. Hierzu zählt beispielsweise meine teilnehmende Beobachtung während der dokumentierten Pitchings, die zu detaillierten Beobachtungsprotokollen mit ersten interpretativen Eindrücken und vorreflexiven Kategorisierungen führte. Zum anderen zählen hierzu jedoch auch solche Präsenzformen im Feld, die selbst nicht zur Generierung analysierbarer Daten, wie Videoaufzeichnungen oder Beobachtungsprotokolle führten, sondern - für die Untersuchung nicht weniger relevant - mein Hintergrundwissen erweitert haben. Dazu gehört eine große Varianz informeller Gespräche mit Dozenten und Studierenden in sehr unterschiedlichen Situationen, meine Rolle als Kommunikationsberaterin, meine mehrjährige Dozententätigkeit und diverse beobachtende Teilnahmen als Gast des Filmstudiums bei diversen Festlichkeiten. 30 Die dabei gewonnenen Informationen über das Feld beziehen sich sowohl auf die Relevanz der Pitchings für die verschiedenen Beteiligten, den Stellenwert der Pitchings im Kontext der gesamten Ausbildung und den Unterschied von Pitchings zu anderen Ausbildungsformen innerhalb des Studiums. Ich werde im Folgenden diese - in der Ethnographie als methodisch-theoretischem Gesamtzusammenhang verankerten - ethnographischen Teilverfahren kontrastiv zu klassisch ethnographischen Vorstellungen skizzieren und die Diskussion um den Stellenwert ethnographischer Informationen für konversationsanalytische Fragestellungen kurz streifen (Kap. 2.3.1). Anschließend werde ich das Feld und die für meine Arbeit relevante Situation „Pitching“ vorstellen (Kap. 2.3.2). Danach stelle ich den Feldzugang dar und skizziere die unterschiedlichen Aufenthalte im Feld und die dabei angewandten methodischen Verfahren (Kap. 2.3.3). Dies geschieht mit dem Ziel, den Wissenshintergrund zu verdeutlichen, der vor allem für die Interpretation der sozialen 30 Ich verwende den Terminus „beobachtende Teilnahme“ in Abgrenzung zu „teilnehmender Beobachtung“. In Form von beobachtender Teilnahme war ich in verschiedene Ereignissen des Feldes (meist bei Festen) involviert, ohne jedoch im klassischen Sinne ethnographische Protokollierungen und Reflexionen anzufertigen. Schmitt (1992) charakterisiert solche Formen der Anwesenheit im untersuchten Feld als „erzählgenerierende Schauplatzpräsenz“. Methode 37 Implikationen der strukturanalytisch produzierten Ergebnisse/ Erkenntnisse eine Rolle spielt. Eine Reflexion der eigenen Rolle im Feld, wie sie für ethnographisches Arbeiten üblich ist, und einige Überlegungen zum Zeitpunkt der Ethnographie im Forschungsprozess werden den Abschluss dieses Kapitels bilden (Kap. 2.3.4). 2.3.1 Die „klassische“ Ethnographie und das eigene ethnographische Vorgehen Die klassische Ethnographie befasst sich mit „der Beobachtung und Analyse menschlicher Gruppen, [...] die in ihrer Besonderheit betrachtet werden“ (Lévi-Strauss 1969, S. 12). Ihre Entstehung im Forschungskontext der Anthropologie ist vor allem mit dem Namen Bronislaw Malinowski und seiner 1922 veröffentlichten Monographie „Argonauts of the Western Pacific“ verbunden. 31 Im Unterschied zu Völkerbeschreibungen der Antike oder den zu Informationszwecken durchgeführten Beschreibungen der Fremde und Reiseberichten des 18. und 19. Jahrhunderts ist das Ethnographie-Verständnis seit Malinowski in zwei wesentliche Richtungen modifiziert worden. Es ist erstens synchron ausgerichtet, [...] our purpose is neither to describe what has happend nor to predict what will happen, but to set forth what one needs to know in order to make sense of what does happen. (Frake 1980, S. 214f.) Zweitens sind die Forscher/ innen daran interessiert, Kategorien- und Relevanzsysteme der Untersuchten herauszuarbeiten und nicht eigene auf die Gruppe zu projizieren oder anhand derer die Gruppe zu beurteilen. Ziel ist die Ziel ist die Rekonstruktion eines „portrayal of the lifeways of the social group studied in ways that manifested their points of view“ (Erickson 1988, S. 1082; Hervorh. 1082; Hervorh. D.H.). Dieser Fokus ist methodisch implikativ. Malinowski selbst führt aus, wie Forscher/ innen vorgehen sollten, um die Perspektive der Angehörigen einer bestimmten Kultur einnehmen zu können: He must go into the villages, and see the natives at work in gardens, on the beach, in the jungle; he must sail with them to distant sandbanks and foreign tribes; and observe them in fishing, trading and ceremonial overseas expedi- 31 Die Entwicklung der Ethnographie hat sich aber nicht nur in der Anthropologie, sondern, parallel dazu, auch in der Soziologie vollzogen. In der „Chicago-Schule“ (Robert E. Park, Ernest W. Burges) wurden in den 1920er Jahren Feldforschungen durchgeführt, die ebenfalls auf teilnehmender Beobachtung basierten. Informationen über die untersuchten Gemeinschaften sollten nicht mehr über den „Umweg“ der standardisierten Befragung von Experten, wie z.B. Lehrern, Geistlichen, Polizisten etc., eingeholt werden, sondern die „Chicago-Soziologen“ suchten stattdessen die sie interessierenden Menschen selbst auf. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 38 tions. Information must become to him full-flavoured from his own observation of native life, and not been squeezed out of reluctant informants as a trickle of talk. (Malinowski 1926, S. 126f.) Ethnograph(inn)en nehmen also über einen gewissen Zeitraum hinweg am sozialen Leben einer Gemeinschaft Teil, um dadurch ein möglichst authentisches Bild von ihr zu erhalten. Diese Vorgehensweise wird als teilnehmende Beobachtung bzw. Participant Observation beschrieben. Neben dem Verfahren der teilnehmenden Beobachtung, dessen Ergebnisse klassischerweise in Feldtagebüchern oder als Feldnotizen fixiert sind, werden beispielsweise ethnographische Interviews, Settinganalysen, Analysen relevanter Dokumente und spontane informelle Gespräche durchgeführt. Ein solches Vorgehen, bei dem sich der Forscher dem „Untersuchungsobjekt“ aus mehreren Perspektiven nähert, wird in den Sozialwissenschaften als „Triangulation“ beschrieben und von Kallmeyer (1995, S. 31) auf das ethnographische Vorgehen übertragen. In Anlehnung an die klassische Ethnographie habe ich meine Daten selbst erhoben, mich in unterschiedlichen Aktivitätszusammenhängen in dem untersuchten Feld aufgehalten, meine Eindrücke notiert und damit das Feld aus mehreren unterschiedlichen Perspektiven kennen gelernt. 32 Allerdings weist mein Erkenntnisfokus und mein Umgang mit den ethnographisch erhobenen Daten sowie ihr Stellenwert im Forschungsprozess im Vergleich zu klassischen ethnographischen Arbeiten Besonderheiten auf, die ich nachfolgend darstellen werde. Die klassisch-ethnographischen Arbeiten haben einen gemeinsamen Erkenntnisfokus: Ihnen geht es im Kern um die Rekonstruktion der Relevanz- und Sinnstrukturen der untersuchten Gruppen oder Ortsgesellschaften in Begriffen „eigener Deutung“. Ethnographische Interviews und andere Beschreibungen werden vor allem im Hinblick auf Darstellungen ausgewertet, in denen die Betroffenen selbst Hinweise auf relevante Strukturen und Aspekte ihrer Welt liefern - zumeist handelt es sich um explizite Kategorisierungen 32 Grundsätzlich gibt es für das ethnographische Vorgehen keine Step-by-step-Anleitung, kein kanonisiertes Regelwerk (vgl. Spranz-Fogasy/ Deppermann 2001). Die forschungsleitende Prämisse, sich von den Relevanzen der Teilnehmer leiten zu lassen, führt dazu, dass das konkrete Vorgehen abhängig von unterschiedlichen untersuchten Gruppen jeweils unterschiedlich ausfällt. Auer (1995, S. 438) schreibt diesbezüglich: „(Linguistic) ethnography is cer- Linguistic) ethnography is certainly one of the areas of linguistic research in which ‘learning by doing’ is more valuable than reading methodological instructions. And, another truism: every ethnographic problem requires its own methodological solution.“ “ Methode 39 oder Handlungsbeschreibungen. Außerdem wurden Verwandtschaftsbezeichnungen untersucht, um daraus Rückschlüsse auf die Spezifik der sozialen Struktur zu ziehen. Auch in neueren ethnographischen Untersuchungen ist die Konzentration auf relevanzindikative Darstellungen und Kategorisierungen aktuell geblieben. 33 Im Unterschied zu klassisch-ethnographischen Arbeiten sind die unterschiedlichen Formen teilnehmender Beobachtung und vollzugspraktischer Partizipation in dieser Arbeit Teil einer Methodenkombination: Sie ergänzen in funktionaler Weise den konversationsanalytisch-multimodalen Analysezugang, indem sie für das Verstehen der sozialen Implikationen des dokumentierten Pitching-Geschehens relevante „ethnographische Informationen“ verfügbar machen, ohne sie jedoch selbst zum Gegenstand wissenschaftlicher Analyse zu erheben. 34 Meine Untersuchung zielt in diesem Sinne nicht auf die für Ethnographien typische Rekonstruktion sozialer Milieus oder sozialer Welten, 35 die im Kern als eigenständige kulturelle Gebilde konzipiert und großteils auf der Grundlage von Aussagen der Untersuchten über ihre eigene Welt (sogenannten Darstellungsdaten) 36 durchgeführt werden. Mein Erkenntnisinteresse konzentriert sich vielmehr a) auf nur eine spezifische soziale Situation, die keinen ortsgesellschaftlichen Ausschnitt repräsentiert und b) wird die Analyse ausschließ- 33 Zu expliziten Teilnehmerkategorisierungen als Ausdruck sozialer Typisierung und zur Verdeutlichung von Beziehungsstrukturen siehe beispielsweise die Bedeutung der Begriffe „Dummbabbler“ und „Lichtblicke“ für die Perspektive der Kioskführenden auf ihre Kunden in Schmitt (1992). 34 Koole (1997) betrachtet ethnographische Informationen als unentbehrlich für die Analyse institutioneller Kommunikation. Zur Ethnographie von Meetings siehe auch Schwartzman (1989). 35 Hierzu siehe beispielsweise das „Stadtprojekt“ des IDS Mannheim (vgl. Kallmeyer 1995). Hier ging es um die soziolinguistische Untersuchung von Gruppen aus unterschiedlichen Milieus bzw. sozialen Welten in Mannheim (siehe auch Keim 1995, Schwitalla 1995a). Siehe auch die auf ethnographischen Erhebungen basierende Untersuchung von Schütte (1991) über Scherzkommunikation unter Orchestermusikern sowie die Arbeit über „Schwellensteher“ von Schmitt (1992), die sich mit der interaktiven Präsenz und dem sozialen Austausch von Kunden und Inhabern eines Kiosks befasst. Keim (2007) präsentiert eine ethnographisch-soziolinguistische Fallstudie, die einen detaillierten und umfassenden Einblick in die Lebenswelt, die sozialen Orientierungen und das Ausdrucksverhalten junger Migrantinnen eröffnet. 36 Zur Differenzierung der im Folgenden zentralen Unterscheidung von Vollzugs- und Darstellungsdaten siehe Schmitt (1992), vgl. auch die Unterscheidung von Primary Data und Sec- Secondary Data in Auer (1995). in Auer (1995). Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 40 lich auf der Grundlage von Vollzugsdaten durchgeführt. Sie unternimmt nicht den Versuch, aus den beschreibenden oder kategorisierenden Darstellungen der Beteiligten deren Relevanzsysteme zu rekonstruieren. Zudem richtet sich die Untersuchung c) - bezogen auf die soziale Situation „Pitching“ - auch nicht auf die vollständige Rekonstruktion situationsbezogener Relevanzen der Beteiligten. Sie ist in diesem Sinne keine „klassische Feldethnographie“, sondern wird durch eine objektspezifische Fokussierung charakterisiert, indem sie sich auf kooperative Prozesse in den Pitchings konzentriert. 37 Die bei meinen unterschiedlichen Anwesenheiten im Feld gesammelten ethnographischen Informationen spielen für die Untersuchung eine wichtige Rolle im Sinne des Konzeptes „ethnographische Konversationsanalyse“, wie es beispielsweise von Schwitalla (1986) propagiert und von Deppermann (2000) methodologisch reflektiert worden ist. „Ethnographische Gesprächsanalyse“ meint dabei nicht eine Kombination von Ethnographie und Konversationsanalyse im Sinn eines bloß additiven Nebeneinanders oder eines sequenziellen Nacheinanders zweier Methoden. Vielmehr soll die Spezifikation „ethnographisch“ drauf hinweisen, dass ethnographisches Arbeiten hier in den Dienst der Gesprächsanalyse gestellt wird. Nach dieser Konzeption wird also Ethnographie nicht um ihrer selbst willen betrieben, sondern als methodisches Hilfsmittel für die Gesprächsanalyse eingesetzt. (Deppermann 2000, S. 104, Hervorheb. D.H.) Ethnographisches Wissen über organisationsstrukturelle Relevanzen des gesamten Ausbildungsganges, die in die Pitching-Situation hineinwirken und als relevante Orientierungen der Beteiligten sichtbar werden, sind für mein inhaltlich-problembezogenes Erkenntnisinteresse unabdingbar. Dies ist der Annahme geschuldet, dass die Analyse von Gesprächen notwendigerweise eine interpretative Arbeit ist (vgl. auch Deppermann 2000, S. 118), die immer auch auf Wissen zurückgreifen muss, das nicht in den Daten selbst fixiert ist. Deppermann unterscheidet drei Typen gesprächsexternen Wissens: Alltagswissen, beispielsweise über grammatische Regeln, Praktiken des Sprechens, oder Sachverhalte der gegenständlichen Welt; ethnographisches Wissen über die sozialen, räumlichen, historischen und andere Gegebenheiten im Untersuchungsfeld, dem die Aufnahmen entstammen, über seine sprachlichen Formen und über seine Handlungsbeziehungsweise Interpretationsgepflogenheiten; 37 Dennoch ist sie mehr als eine „Situationsethnographie“, die sich nur auf die Pitchings bezieht, weil viele Kontexte außerhalb der Pitching-Situation, insbesondere auch die Feste, bei denen es zu vielen Gesprächen mit den Studierenden über die Pitchings kam, das ethnographische Wissen angereichert haben. Methode 41 theoretisches Wissen, vor allem über konversationsanalytische Konstrukte und Untersuchungsergebnisse. (Deppermann 2000, S. 103) Zusätzlich zu diesen drei Wissenstypen steht bei der Beschäftigung mit neuen Datenausschnitten auch immer das Wissen zur Verfügung, welches aus vorgängigen analytischen Rekonstruktionen von Material aus dem gleichen Korpus gewonnen wurde. Dieses gesprächsexterne Wissen darf jedoch ausschließlich (! ) in methodisch kontrollierter Weise eingesetzt werden: Es stellt keinen fraglosen ‘Input’ bei der konstitutionsanalytischen Rekonstruktion der Vollzugscharakteristik dar. 38 Eine solche Restriktion verhindert, dass das spezifische Potenzial der konversationsanalytischen Rekonstruktion, von vornherein durch bereits vorhandenes Wissen verschenkt wird. Ethnographisches Wissen muss seine Brauchbarkeit und Angemessenheit aus dieser Perspektive immer in der konkreten Analyse fundieren (können). 39 Demnach ist also das Ziel einer ethnographisch basierten Konversationsanalyse, die Erkenntnispotenziale zweier grundsätzlich in einem Spannungsverhältnis zueinander stehenden Ausgangspositionen zu nutzen: derjenigen des ethnographisch Wissenden, der anders kaum oder gar nicht zu gewinnendes Hintergrundwissen nutzen kann, und derjenigen des ethnographisch Unwissenden, der den unvoreingenommenen Blick auf die Daten einnehmen, ethnographisch unwahrscheinliche Hypothesen beibringen und die scheinbaren Selbstverständlichkeiten in Frage stellen kann. (Deppermann 2000, S. 117) Die konkrete ethnographische Praxis für diese Arbeit wird im Folgenden dargestellt. Sie beginnt mit einer Beschreibung des Feldes und der mich in besonderer Weise interessierenden Pitching-Situation. 38 Deppermann (2000, S. 108ff.) identifiziert sieben Einsatzstellen ethnographischen Wissens für die Gesprächsanalyse: „Sensibilisierung auf Phänomene“, „Schließung von Interpretationslücken“, „Schutz vor Fehlinterpretationen“, „Vertiefung von Interpretationen“, „Kriterien für die Entscheidung zwischen Interpretationen“, „Kalibrierung von Interpretationen“, „Validierung“. In dieser Arbeit ist das ethnographische Wissen primär relevant für die Gegenstandsdimensionierung und Gegenstandskonstitution sowie für die voranalytische Suchheuristik (siehe hierzu die Darstellung in Kap. 3). Außerdem werden ethnographische Wissensressourcen benötigt, um die strukturanalytisch rekonstruierten Ergebnisse weitergehend zu interpretieren und in einen größeren, durch die Organisationsstruktur und die Ziele der Ausbildung bedingten Zusammenhang zu stellen. 39 Diese Gedanken knüpfen an die Diskussion über die Rolle des Kontextwissens in der Konversationsanalyse an (Schegloff 1991, 1992b, 1997; Watson/ Seiler (Hg.) 1992; siehe auch Kap. 3 dieser Arbeit). Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 42 2.3.2 Das Untersuchungsfeld und die Situation „Pitching“ Das Filmstudium der Universität Hamburg wurde 1993 von Prof. Hark Bohm gegründet. Es ist als ein auf vier Semester begrenztes Aufbaustudium konzipiert und sehr stark praxisorientiert. Die Dozenten sind ausgewiesene, erfolgreiche „Filmemacher“, ein Teil der Lehrer reist zu Blockseminaren eigens aus den USA , Russland und Großbritannien an. Der Studiengang richtet sich an „herausragende filmische Begabungen“ mit längerer Erfahrung bei Film und Fernsehen. Von den zahlreichen Bewerber(inne)n werden nach einem sorgfältigen Auswahlverfahren ca. 60 Kandidaten zu den Aufnahmeprüfungen eingeladen, von denen dann nur 24 einen der begehrten Ausbildungsplätze bekommen. Die Aufgenommenen bleiben, anders als in anderen universitären Kontexten, für zwei Jahre die einzigen Studierenden des Filmstudiums. Sie verteilen sich jeweils in Sechsergruppen auf die vier Klassen „Drehbuch“, „Produktion“, „Regie“ und „Kamera“. Im Bereich Drehbuch werden die Studierenden mit den Arbeitsgegenständen und Verfahrensweisen des Drehbuchschreibens vertraut gemacht. Hierzu gehören Ideen- und Stofffindung, Materialsammlung und Recherche-Praxis sowie Übungen zur Fomat- und Stilsicherheit. Am Ende des Studienganges steht das abschließende Diplomprojekt, die Entwicklung eines Drehbuches für einen 90-Minuten-Film. Ein weiterer Studienzweig hat den Schwerpunkt Produktion. Produzenten führen als verantwortliche Instanz ein Filmprojekt durch dessen gesamte Entwicklung, von der Idee über das Drehbuch von der filmischen Umsetzung bis zur Vermarktung. Zentrale Gegenstände sind z.B. Finanz-Kalkulation, Grundlagen der Vertragsgestaltung und Marktanalyse von aktuellen Filmen, Serien, TV -Movies, Drehbüchern und Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt. In der Regieklasse ist ein wesentlicher Schwerpunkt die Dramaturgie, z.B. im Bereich Bild, Farbe, Licht und Musik. Hervorgehoben ist jedoch die Dramaturgie der Geschichte, also die Frage nach der Architektur filmischer Dramen sowie dem Hauptcharakter der Geschichte und seiner Konflikte. Studierende der Fachrichtung Kamera/ Bildgestaltung erhalten Unterricht, der sich vom chemischen Aufbau der Filmmaterialien über verschiedene Kameras und Aufhängungen bis hin zu Kopierwerksprozessen erstreckt. Eine große Bedeutung haben außerdem Lichtseminare mit unterschiedlichen Schwerpunkten (schwarz-weiß, Farbe, Beleuchtungssituationen, Lichtstimmungen etc.). Neben diesen fachspezifischen Studienangeboten existieren auch gemeinsame Lehrveranstaltungen für die Studierenden aller vier Bereiche. Hierzu gehören Methode 43 z.B. Seminare in Filmwissenschaft mit einem breiten Spektrum, von Dramaturgie über Bildtheorie und Filmanalyse bis zu Grundlagen der Filmarchitektur und Filmgeschichte. Die Studierenden müssen außerdem in fachübergreifender Zusammensetzung während ihres zweijährigen Studiums drei Filme produzieren: einen 5-Minüter in Schwarz-Weiß ohne Dialoge, einen 10-Minüter und letztlich den etwa 20-minütigen Diplomfilm. Zur Herstellung dieser Filme bilden sie Teams aus jeweils einem Vertreter/ einer Vertreterin der Klasse „Drehbuch“, „Regie“, „Produktion“ und „Kamera“. Die Teams arbeiten eine Idee für den Übungsfilm aus und präsentieren sie beim sog. „Pitching“. Der Terminus „Pitching“ bedeutet übersetzt „auf den Punkt bringen“, in der Medienbranche sind Pitchings die Gelegenheiten, einen Geldgeber von der Filmidee zu überzeugen, damit sie realisiert werden kann. 40 Das Pitching im Kontext des Hamburger Filmstudiums ist eine 3-stündige Veranstaltung, bei der die jeweils vier Studierenden gemeinsam mit zwei Dozenten - dem Bereichsleiter der Drehbuchklasse und dem Bereichsleiter der Regieklasse, der zudem Gründer und Leiter des gesamten Filmstudiums ist - an der Entwicklung eines von den Studierenden eingebrachten Filmstoffes arbeiten. Neben der konkreten Stoffentwicklung vermitteln die Dozenten wesentliche Grundlagen der Dramaturgie. 41 Abb. 1: Eine Pitching-Gruppe beim Arbeiten Abb. 2: Ausschnitt des studentischen Teams Zu Beginn des Pitchings besteht die zentrale Aufgabe eines Teammitglieds darin, zu „pitchen“, d.h. in wenigen Sätzen auf den Punkt zu bringen, worum es in der Geschichte geht. Anschließend wird der Stoff der Geschichte en detail vorgestellt und gemeinsam entwickelt. Phasenweise erinnert der Interaktionsverlauf dabei an Prüfungssituationen, die durch ein deutliches hierarchisches Gefälle zwischen Studierenden und Dozenten geprägt sind. Einzelne Studierende werden beispielsweise namentlich aufgerufen und müssen ad hoc bestimmte Bezüge des vorliegenden Stoffes zu anderen bekannten Dramen, wie z.B. 40 Zum Thema „Pitchings“ (auch unter einem Verkaufsaspekt) siehe den Ratgeber von Kurz (2000). 41 Zur Konstitutionslogik und interaktiven Struktur der „Pitchings“ siehe Kap. 3. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 44 „Hamlet“ erörtern. Alle Studierenden stehen unter hohem Leistungs- und Kreativitätsdruck. Dies brachte ein Student auf den Punkt, indem er das Pitching Pitching im Vorfeld des Ereignisses mit den Worten „Hamburger Tribunal“ beschrieb. Dass es nicht darum geht, in entspannter Atmosphäre spielerisch kreativ zu sein, sondern entsprechend der realen Konditionen im „harten Filmgeschäft“ zu kooperieren, schlägt sich in den Verhaltensweisen der Dozenten nieder: In einer Situation zu Anfang eines Pitchings beispielsweise war der von den Studierenden präsentierte Geschichtenentwurf problematisch und ein Dozent kommentierte ihn sachlich mit den Worten „Thema verfehlt“. Damit war für das studentische Team alle Vorarbeit nichtig und sie mussten in der Pitching- Situation mit einer neuen Geschichte ganz von vorn anfangen. Der von Härte und Sachorientierung geprägte Arbeitsmodus kann ein Hinweis auf die außerordentliche Relevanz der Pitching-Situation im Studienverlauf sein. Nach den Pitchings steht noch eine weitere Reihe von Arbeitsgängen an, bis schließlich das Endprodukt auf der Leinwand zu sehen ist. Die fertigen Übungsfilme entscheiden auch darüber, ob der Studienabschluss erreicht wird, und sie können außerdem die ‘Eintrittskarte’ in das spätere Berufsleben sein. Alle guten Filme eines Jahrganges nehmen an nationalen und internationalen Filmwettbewerben teil. Wenn sie dort vordere Plätze belegen, haben die vier für die Realisierung verantwortlichen Studierenden gute Chancen, sich nach dem Studium in der Filmbranche zu platzieren. Alle Filme des Filmstudiums werden unter professionellen Bedingungen produziert, die denen des ‘realen Geschäfts’ entsprechen. Dabei müssen die zur Verfügung stehenden Finanz-Etats und Zeitpläne zwingend eingehalten werden. Diese Nähe zum authentischen Berufsleben in der Filmbranche ist über eine finanzielle und organisatorische Unterstützung des Studienganges durch den Verein „Hamburger Filmwerkstatt e.V.“ möglich. Er finanziert und organisiert die Herstellung der Filme und einen Teil der Lehrveranstaltungen. Außerdem stellt er die nötige technische Ausrüstung zur Verfügung, vermittelt Praktika für die Studierenden in Film- und Fernsehproduktionen, vergibt Stipendien und unterstützt die Absolventen bei ihrem Übergang ins Berufsleben. Damit trägt er wesentlich dazu bei, dass der Studiengang sein Elitekonzept realisieren kann. Der Verein wird zu zwei Dritteln von der Stadt Hamburg und der Hamburger Filmförderung finanziert. Etwa 20% steuert die Medienstiftung bei, den Rest Sponsoren wie NDR -Media, RTL , Sat.1, ndF und Warner Bros. 42 42 Die universitäre Ausbildung, die Nachwuchsförderung in der Filmbranche, wird hier - anders als in vielen anderen Bereichen - bereits von relevanten Praxisfeldern finanziell unterstützt. Methode 45 2.3.3 Feldkontakte und Datenkonstitution Obwohl sich mein Erkenntnisinteresse primär auf die Pitching-Situation bezieht, konnte ich mir einen detaillierten Gesamtüberblick über das Filmstudium verschaffen, da ich mich zu unterschiedlichen Zeitpunkten und Zwecken im untersuchten Feld aufgehalten habe. Im Folgenden werden die Stationen auf meinem Weg in das untersuchte Feld in chronologischer Reihenfolge dargestellt. Alle ethnographischen Informationen, die aus meinen unterschiedlichen Aktivitäten im Feld resultieren, werden dabei hinsichtlich ihrer Relevanz für die Pitchings charakterisiert. 2.3.3.1 Der erste Kontakt zum Filmstudium Der erste Kontakt zum Feld ist zufällig entstanden. Mein Kollege Reinhold Schmitt lernte auf einer größeren Feier eines guten Freundes den Bereichsleiter der Drehbuchklasse des Filmstudiums, Dr. Rainer Berg, kennen. Bei einem Spaziergang haben sie sich über ihre beruflichen Aktivitäten unterhalten und relativ schnell festgestellt, dass beide in gewissem Sinn „Dialogschaffende“ sind und Drehbuchautoren gesprächsanalytische Kenntnisse für die Konstruktion ihrer Dialoge nutzen könnten. Aus der wechselseitigen Begeisterung für den Beruf des anderen ist es zu einer Verabredung gekommen, bei der in Hamburg eine mögliche Zusammenarbeit spezifiziert werden sollte. Da Reinhold Schmitt und ich bereits einige anwendungsbezogene Projekte gemeinsam durchgeführt hatten, beschlossen wir, diese Zusammenarbeit auch mit dem Filmstudium fortzusetzen. 43 Während unseres ersten gemeinsamen Treffens mit Rainer Berg in Hamburg erhielten wir den Auftrag, die Pitching-Situation auf Video aufzuzeichnen und auszuwerten. Dabei sollten die pitching-spezifischen Verlaufsstrukturen herausgearbeitet, problematische Stellen aufgedeckt und in ihrer Entstehung rekonstruiert werden. Die durchzuführende Studie hatte den Zuschnitt einer problemorientierten Kommunikationsberatung. 2.3.3.2 Der Feldeinstieg: Kommunikationsberatung Die Kooperation mit dem Filmstudium begann also mit unserer Anwesenheit bei den Pitchings für die 5-Minüter als Grundlage für eine anschließende Kommunikationsberatung. Unsere Arbeit verstand sich als Beitrag der „Ange- 43 Zu den vorangegangenden Projekten gehörten beispielsweise eine zweijährige anwendungsbezogene Kooperation mit einem Softwareunternehmen und einer Unternehmensberatung. Publikationen aus diesen Projekten sind u.a. Schmitt/ Brandau/ Heidtmann (1999), Schmitt (1999, 2000), Schmitt/ Heidtmann (2002a), Schmitt/ Heidtmann (2005). Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 46 wandten Gesprächsforschung“, die sich seit Mitte der 1980er Jahre in Deutschland etabliert hat. 44 Der wesentliche Unterschied zwischen der Angewandten Gesprächsforschung und der wissenschaftlichen Grundlagenforschung besteht im jeweiligen zentralen Erkenntnisinteresse. Der Gesprächsforschung als wissenschaftlicher Disziplin geht es darum, die grundlegenden Funktionsweisen von Kommunikation und die hierfür konstitutiven Aktivitäten der Beteiligten zu untersuchen und in Form verallgemeinerbarer Regularitäten zu formulieren. Die angewandte Gesprächsforschung hingegen ist problemorientiert. Ihr Erkenntnisinteresse besteht im Identifizieren und Analysieren von Kommunikationsproblemen. Für diese Probleme formuliert sie Lösungsvorschläge und konzipiert geeignete Maßnahmen zur Problembehebung, die sie beispielsweise als Kommunikationsberatung, Kommunikationstraining oder Coaching selbst durchführt. (Schmitt/ Heidtmann 2003a, S. 99f.) Die anwendungsbezogene Gesprächsforschung nutzt dabei systematisch Wissen, das in zahlreichen empirischen Untersuchungen in der wissenschaftlichen Grundlagenforschung zusammengetragen worden ist, ohne jedoch das strenge methodische Vorgehen der wissenschaftlichen Variante zu reproduzieren. 45 Diese Arbeit ist im Bereich der wissenschaftlichen Grundlagenforschung anzusiedeln und wird deshalb nicht die anwendungsbezogenen Ergebnisse der Studie „Pitching in Teams“ reproduzieren, auch wenn sie das gleiche Videomaterial zugrunde legt. Sie wird vielmehr unter wissenschaftlich-analytischer Perspektive das Pitching als komplexe Kooperationsform rekonstruieren. Hierbei werden neue und andere Ergebnisse generiert als bei der Kommunikationsberatung. Dennoch kann ich die ereignisstrukturellen Ergebnisse der Studie für meine Suchheuristik nutzen und auf deren Grundlage interessante Stellen für die Analyse identifizieren. Die Ergebnisse meiner wissenschaftlichen Analysen und die Erkenntnisse über kooperative Prozesse sind jedoch selbst auch wieder anwendungsrelevant, sowohl für das untersuchte Feld, als auch für andere Lehr-Lern-Situationen. Dies steht jedoch nicht im Vordergrund, sondern ist eher ein interessantes „Nebenprodukt“ meiner wissenschaftlichen Arbeit. 44 Zum aktuellen Stand der angewandten Gesprächsforschung siehe die Sammelbände Brünner/ Fiehler/ Kindt (Hg.) (1999), Becker-Mrotzek/ Fiehler (Hg.) (2002) und Becker-Mrotzek/ Brünner (2003). 45 Dies hat den Vorteil, dass die Ergebnisse schnell und ökonomisch produziert werden und daher auch kurzfristig in das untersuchte Feld transferiert werden können. Methode 47 2.3.3.3 Aufenthalte im Feld und Materialtypen Im Folgenden sollen die oben erwähnten Aufenthalte im Feld näher charakterisiert und hinsichtlich ihrer Relevanz für die Analyse der Pitching-Situationen betrachtet werden. Die Erhebung der für diese Arbeit zentralen Videodaten fand im Rahmen der Pitching-Situation statt. Videodokumentation der Pitchings: Die zentralen Daten Pitchings gehören zu den ersten „Stationen“ auf dem Weg zu einem Studentenfilm. Reinhold Schmitt und ich konnten bei allen Pitchings des Studienjahrgangs 2002-2004 anwesend sein. 46 Ein Pitching dauert in der Regel drei Stunden. Pro Tag arbeiten die Dozenten mit zwei Teams, so dass bei insgesamt sechs Teams immer drei Tage für die Pitchings veranschlagt werden müssen. Für die 5- und 10-Minuten-Filme wird die Team-Zusammensetzung durch das Filmstudium per Losverfahren festgelegt, beim 20-minütigen Diplomfilm konstituieren sich die Teams selbst. Wir hatten die Möglichkeit, schon vor dem eigentlichen Beginn der Pitching- Sitzungen vor Ort zu sein, um die nötigen technischen Geräte aufzubauen, Lichtverhältnisse zu prüfen und für uns und die Kamera einen Platz zu finden, an dem wir das Pitching am wenigsten stören. Dies ermöglichte uns auch, das Eintreffen der relevanten Personen aufzuzeichnen, die Platzwahl zu dokumentieren und auch den Übergang von ersten small-talk-ähnlichen Gesprächen zur „eigentlichen“ Arbeit zu dokumentieren. Abb. 3: Skizze des Raumarrangements während der Videodokumentation 46 Außerdem bei allen Pitching-Teams für den 10-Minuten-Film des Jahrgangs 2004-2006. - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 48 In dem kleinen Raum gab es zwei Tischgruppen, eine für die Pitching-Gruppe, eine für uns. Auf unserem Tisch befanden sich die Unterlagen: Listen mit Namen der Mitglieder einzelner Pitching-Teams, die Reihenfolge der Gruppen während der drei Tage, die eingereichten Pitches 47 in Form von 6-zeiligen Kurzbeschreibungen der von den Teams entwickelten Filmidee. Außerdem das Notebook, in das ich simultan zum Ereignis bereits die grobe Verlaufsstruktur eingeben sowie relevante Informationen und Notizen festhalten konnte. Während der dreistündigen Sitzungen habe ich meist kontinuierlich geschrieben. Die Kamera stand auf einem Stativ neben dem Tisch und wurde von Reinhold Schmitt bedient. Im Gegensatz zu anderen Feldaufnahmen, die ich bisher gemacht habe, gab es von Seiten des Filmstudiums kaum Restriktionen, die mit der Videodokumentation zusammen hingen. Wir durften uns hinter der Kamera bewegen und auch dynamisch/ analytisch filmen, also die Interaktionsentwicklung mit Zoom oder Kameraschwenk einfangen. Die Pitching-Gruppe wurde durch unsere Anwesenheit nicht gestört oder beeinträchtigt. Neben Aussagen der Interaktionsbeteiligten, die uns nicht als „Störfaktor“ wahrgenommen haben, zeigen auch die Videoaufnahmen sehr deutlich, dass die Dynamik des Arbeitens für alle Gruppenmitglieder sehr hoch ist und es eine Art „Sogwirkung“ um den Tisch der Pitching-Gruppe herum gibt. Nur ganz selten schaut ein Pitching-Teilnehmer während der Arbeit in die Kamera oder zu uns an den Nachbartisch herüber. Gleichwohl sind wir im Vorfeld der Sitzungen und nach deren Abschluss in die Gruppe einbezogen, derart, dass auch mit uns Small Talk betrieben wird, wir mit Kaffee versorgt werden und unsere mitgebrachten Kekse mit den Gruppenmitgliedern teilen. Die Rolle als Aufnehmende während der Pitching-Situation war angenehm. Mit einer klar definierten Aufgabe im Feld zu sein, hier als Kommunikationsberaterin, ist für die Materialbeschaffung ein Vorteil gegenüber der Feldforschung, die dezidiert für wissenschaftliche Forschung betrieben wird und von der die Beteiligten selbst keinen Nutzen haben. Eine Besonderheit des Materials besteht darin, dass alle drei relevanten Pitching- Situationen, die im Studium vorkommen, dokumentiert wurden und sie unmittelbar vergleichbar sind (zu den Aspekten der Vergleichbarkeit siehe Kap. 3). Die Daten unterscheiden sich deutlich von den meisten bisherigen gesprächsanalytischen Erhebungen, da sie nicht nur punktuell einzelne Arbeitssitzungen herausgreifen, sondern alle Pitchings eines Studienjahrganges dokumentieren. 47 Die Pitches lagen nur bei den 5-Minütern schriftlich formuliert vor. Methode 49 Ein solcher Longitudinal-Aspekt, der es ermöglicht, auch Entwicklungen analytisch zu erfassen, die aufgrund der zunehmenden Professionalisierung der Studierenden stattfinden, ist in gesprächsanalytischen Arbeiten eine Seltenheit. 48 Die Studie „Pitching in Teams“: Ergebnispräsentation im Feld In Auseinandersetzung mit den aufgezeichneten Daten der 5-Minuten-Pitch- Pitchings ist ein 46-seitiger Bericht, die Studie „Pitching in Teams“, für das Films ist ein 46-seitiger Bericht, die Studie „Pitching in Teams“, für das Filmstudium entstanden (Schmitt/ Heidtmann 2002b). 49 Die Studie zeigt zentrale Probleme der Pitching-Situationen auf. Diese betreffen zum einen organisationsstrukturelle, zum anderen kommunikative Aspekte. Für beide Problemarten haben wir mögliche alternative Vorgehensweisen zur Verbesserung und Effektivierung des Pitchings vorgestellt, die bereits in den folgenden Pitchings für die 10- und 20-Minüter umgesetzt werden konnten (Schmitt/ Heidtmann 2002c u. 2002d). Aber auch in Hinblick auf zukünftige Studierendengenerationen des Filmstudiums haben wir Effektivierungsvorschläge unterbreitet, z.B. die von uns entwickelten multimedialen Lehrunterlagen, 50 mit denen sich zukünftige Pitching-Teams sowohl inhaltlich als auch atmosphärisch auf ihr erstes Pitching einstellen können. Pitching einstellen können. einstellen können. Die Ergebnispräsentation der Studie fand an zwei aufeinander folgenden Tagen statt. Dabei haben wir immer jeweils einem studentischen Team, also vier Studierenden, zuerst die zentralen Ergebnisse der Studie in Form eines Power- Point-Vortrages vermittelt und anschließend Videomaterial aus dem eigenen Team vorgeführt. Zum Abschluss präsentierten wir die Ergebnisse der Studie für die beiden Dozenten und konfrontierten sie mit Videoausschnitten aus den unterschiedlichen Gruppen, in denen sie selbst in zentraler Weise beteiligt waren. Alle Präsentationen boten die Gelegenheit, sowohl mit den Studierenden als auch mit den Dozenten über die Erfahrungen in den Pitchings zu reden und unsere Einschätzungen und Vorschläge zu diskutieren. Bei dieser Gelegenheit konnte ich viel zusätzliches Wissen über die Vorbereitung der Pitchings, deren Relevanz im Studienverlauf und über das Erleben des Ereignisses aus Perspektive der Involvierten erfahren. 48 Siehe aktuell jedoch die ethnographisch-soziolinguistische Arbeit von Keim (2007). 49 Das Inhaltsverzeichnis der Studie „Pitching in Teams“ befindet sich im Anhang, siehe auch Schmitt/ Heidtmann (2003a, b). 50 Eine detaillierte Beschreibung der Multimedia- CD findet sich in Schmitt/ Heidtmann (2003a). - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 50 Unsere Vorschläge waren in den weiteren Pitchings sofort umsetzbar und die Beteiligten konnten deren Brauchbarkeit direkt erproben. Insbesondere für die Studierenden waren positive situative und interaktionsstrukturelle Veränderungen deutlich erlebbar. Dies haben sie uns mehrfach explizit mitgeteilt. Die Studie hat unser Verhältnis zu den Studierenden positiv beeinflusst und dazu beigetragen, dass wir bei den folgenden Pitchings (und später auch am Set der Abschlussfilme) wieder dabei sein durften. Wir bekamen den Auftrag, auch alle folgenden Pitching-Situationen des Studienjahrganges aufzuzeichnen, um Veränderungen zu dokumentieren und die Auswirkungen unserer Ratschläge zu evaluieren. Rückblickend war die Kommunikationsberatung der Schlüssel für den Einlass in das Feld. Dozenten-Tätigkeit: Dialogtraining und Dialog-Analyse Das Dialogtraining für Drehbuchautoren ist eine einwöchige Veranstaltung, die Reinhold Schmitt und ich gemeinsam für die Studierenden der Drehbuchklasse konzipiert und durchgeführt haben. Sie basiert auf der Idee, zwei Berufsfelder zusammenzubringen, die sich mit Dialogen beschäftigen: Drehbuchautoren konstruieren Film-Dialoge, Gesprächsforscher re-konstruieren authentische Alltagsgespräche. Drehbuchautoren setzen ihr Wissen über Sprechen und die signalisierenden, symbolisierenden, charakterisierenden Implikationen von kommunikativem Verhalten in der Regel mehr oder weniger intuitiv und mit Phantasie und Kreativität ein. Gesprächsforscher hingegen sammeln auf der Grundlage ihrer empirischen Arbeit kontinuierlich Wissen über all die Aspekte, Verfahren und Mechanismen, die Kommunikation ermöglichen und den sozialen Austausch und die Vergesellschaftung im Kleinen wie im Großen zu Stande bringen und aufrecht erhalten. Was liegt nun näher, als dass beide Dialogschaffende, Konstrukteure wie Re-Konstrukteure wechselseitig voneinander lernen und profitieren? (Schmitt/ Heidtmann 2003a, S. 116-117) Im Dialogtraining haben wir grundlegende Erkenntnisse der Gesprächsanalyse zu situationsbezogenem Sprachgebrauch vermittelt und gezeigt, wie dieses Wissen eingesetzt werden kann, um über eine bestimmte Sprech- und Kommunikationsweise Personen zu charakterisieren und soziale Situationen zu gestalten. Bei der im folgenden Semester stattfindenden Veranstaltung Dialoganalyse und Besprechung der Abschlussdrehbücher für den 20-Minuten-Film haben wir die Dialoge daraufhin überprüft, ob die Sprech- und Handlungsweise mit dem in der Exposition entworfenen Charakter übereinstimmt, ob sie stimmig ist in Hinblick auf das Ziel des Protagonisten, auf die Situation und die thema- - Methode 51 tische Entwicklung des Films. Während das Dialogtraining eine Gruppenveranstaltung für die gesamte Drehbuchklasse war, haben wir bei der Dialoganalyse im Einzelunterricht mit den sechs Drehbuchstudierenden gearbeitet. Die Arbeit mit der Drehbuchklasse eröffnete wichtige Einblicke in das Schreiben von Drehbüchern, über die Arbeitsweise von Drehbuchautoren und deren Status im Pitching-Team. Insbesondere wurde von den Autor(inn)en oft die Beziehung zum/ zur RegisseurIn im studentischen Team thematisiert. In den Pitching-Situationen sieht man dieses Tandem oft als kreativen Motor des -Situationen sieht man dieses Tandem oft als kreativen Motor des Teams. Es gibt aber auch Fälle, in denen die beiden nicht produktiv zusammenarbeiten, was sich schon in den Pitchings abzeichnet und sich in der Umsetzung des Filmes fortsetzt, wenn Regisseur/ innen das Drehbuch lediglich als ‘Spielwiese’ für eigene Improvisationen nutzen. Ein solches ethnographisches Wissen ist für die Interpretation der spezifischen Arbeitsweise unterschiedlicher Pitching-Teams hochgradig relevant. Beobachtende Teilnahme bei Feierlichkeiten: „Uni on Screen“, 10-Jahresfeier, Oscar-Feier Als Dozenten des Filmstudiums waren wir auch zu unterschiedlichen Events eingeladen. Beispielsweise konnten wir bei „Uni on screen“ dabei sein, einer Veranstaltung, bei der die Studierenden ihre Übungsfilme der Öffentlichkeit präsentieren. In abwechselnder Reihenfolge werden in einem Jahr die 5- und 10-Minuten-Filme präsentiert, im anderen Jahr die 20-Minuten-Filme. „Uni on screen“ ist eine kostenlose Veranstaltung, die im größten Kino Hamburgs stattfindet und so gut besucht ist, dass die Plätze dort nicht für alle Besucher ausreichen. Außerdem waren wir zur 10-Jahres-Feier des Filmstudiums und einige Monate später auch zur Oscar-Feier anlässlich der Verleihung des Studenten- Oscars für den Abschlussfilm „Die rote Jacke“ (Studien-Jahrgang 2000-2002) eingeladen. Diese Events boten mir die Gelegenheit, das Filmstudium von einer anderen Perspektive als der bisherigen zu betrachten: Die Institution „Filmstudium“ präsentierte sich der Öffentlichkeit in einer festlichen Atmosphäre. Anwesend waren neben Dozent(inn)en, ehemaligen Absolvent(inn)en, bekannten Schauspieler/ innen und Filmemacher/ innen auch Politiker/ innen und Medienvertreter/ innen. Für mich war es eine Möglichkeit, ungezwungen und ohne Zeitdruck mit den Studierenden zu reden. Hierbei konnte ich viel darüber erfahren, wie sie sich selbst und die Dozenten beim Pitching erleben, wie sie die Veränderungen nach der Studie „Pitching in Teams“ wahrgenommen haben, wie sie - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 52 ihre professionelle Beziehung zu den anderen Teammitgliedern definieren und wie die Arbeitsweise außerhalb der Pitchings abläuft. Außerdem erhielt ich viele Informationen über den zentralen Stellenwert der Pitchings, als die einzige Möglichkeit für die studentischen Teams, mit den beiden erfahrenen Lehrern gemeinsam drei Stunden am Stück zu arbeiten, sowie über den hohen Leistungs- und Zeitdruck, der damit zusammenhängt. Videodokumentation am Set Eine weitere Variante im Beobachtungsspektrum war das Set, also der Drehort, an dem die professionell organisierte Filmcrew den Studentenfilm umsetzt. Reinhold Schmitt und ich konnten bei drei verschiedenen Filmen an jeweils zwei Drehtagen anwesend sein und den Ablauf mit zwei Videokameras dokumentieren. Dabei fokussierte eine Kamera den Regisseur, folgte seinen Bewegungen; die andere Kamera war auf das Gesamtgeschehen ausgerichtet. 51 Die Erfahrungen am Set waren für meine Dissertation ethnographisch sehr interessant, da - neben der Regiearbeit - auch die Funktionsrollen der Produzenten und des Kameramanns in den Blick kamen. Beide sind bei den Pitchings oft in eher zurückhaltender Weise beteiligt. Dass sich die hohe Organisationsfähigkeit von Produzenten, wie sie im Zusammenhang mit dem Set offenkundig deutlich wird, auch in ihrem Kooperationsverhalten während des Pitchings niederschlägt, wird auch in einigen Analysen (Kap. 4) deutlich. Feldaufenthalte beim Folgejahrgang Nachdem die Kommunikationsberatung abgeschlossen und die Studierenden des von uns begleiteten Jahrgangs bereits ihre Diplome erworben hatten, erhielten wir die Möglichkeit, für den Folgejahrgang ebenfalls als Dozenten tätig zu werden. Wir haben ein einwöchiges Seminar zur Stofffindung für Produzenten und Drehbuchautoren konzipiert. Das Seminar enthielt einen hohen Praxisanteil, bei dem die Studierenden unter anderem mit Video- und Tonaufnahmen aus unterschiedlichen Settings konfrontiert wurden und diese als Stimulus für weitere Stoffentwicklungsideen verwenden mussten. Außerdem erhielten wir den Auftrag, das 10-Minuten-Pitching des Folgejahrgangs zu dokumentieren, ebenfalls im Zusammenhang mit einem anwendungsbezogenen Interesse. Die Pitchings wurden speziell ausgewertet, um anhand der Videos Einzelcoachings für die sechs Autoren und die sechs Produzenten zu konzipieren, die auch an sechs Tagen durchgeführt wurden. Dies 51 Eine ausführliche Beschreibung und Analyse der Arbeit am Set findet sich in Schmitt (2007b). - - Methode 53 war eine sehr gute Gelegenheit, um mit den einzelnen Funktionsträgern auch über ihr Rollenverständnis ins Gespräch zu kommen und ihre Interpretation der Videoausschnitte, in denen sie beteiligt waren, intensiv zu besprechen. Dabei wurden jahrgangsübergreifende strukturelle Probleme einzelner Funktionsrollen innerhalb des Pitching-Teams deutlich. Chronologie und Aktivitäten während der Aufenthalte im Feld Zu einem besseren Überblick sind im Folgenden alle Aufenthalte im Forschungsfeld chronologisch aufgelistet. Studienjahrgang 2002-2004 06.-08.05.2002: Pitching der 5-Minüter, Videodokumentation, Protokolle 06.05.2002: „Uni on Screen“, beobachtende Teilnahme 16.-17.07.2002: Präsentation der Studie „Pitching in Teams“, Durchführung/ Dozententätigkeit 11.-13.11.2002: Pitching der 10-Minüter, Videodokumentation, Protokolle 15.01.2003: 10-Jahresfeier des Filmstudiums, beobachtende Teilnahme 04.-06.06.2003: Pitching der 20-Minüter, Videodokumentation, Protokolle 16.-20.06.2003: Dialogtraining für Drehbuchautoren, Durchführung/ Dozententätigkeit 19.06.2003: Oscar-Feier, beobachtende Teilnahme 01.-03.12.2003: Dialoganalyse der Drehbücher für die Abschlussfilme, Durchführung/ Dozententätigkeit 19.-23.01.2004: Gast am Set von drei verschiedenen Abschlussfilmen, beobachtende Teilnahme, Videodokumentation Studienjahrgang 2004-2006 31.01.-04.02.2005: Seminar zur Stofffindung für Autoren und Produzenten Durchführung/ Dozententätigkeit 27.-29.06.2005: Kontrastmaterial: Pitching der 10-Minüter, Videodokumentation, Protokolle 11.-13.07.2005: Pitching-Training für Autoren Durchführung/ Dozententätigkeit 08.-10.08.2005: Pitching-Training für Produktionsstudenten, Durchführung/ Dozententätigkeit - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 54 Alle Erfahrungen im Feld sind für mich in Hinblick auf die durchzuführenden Analysen relevant. Das ereignisstrukturelle Wissen, welches die ethnographische Praxis eröffnet, ist notwendig, um interaktives Verhalten jenseits seiner formal-strukturellen Eigenschaften als soziale Praxis verstehen und deuten zu können. In den Analysen der Vollzugsdaten benötige ich es, um daran interpretierend anzuknüpfen, um analytische Befunde zu erklären und schließlich auch die Chancen und Risiken bestimmter Verhaltensweisen in Abhängigkeit der situativen Umstände zu reflektieren. Ruft man sich als Beispiel noch einmal die in Kap. 2.3.2 beschriebene Situation vor Augen, in der ein Dozent gleich zu Beginn eines Pitchings dem studentischen Team ohne Umschweife „Thema verfehlt“ mitteilt, so würde man als Analysierende vielleicht zunächst die Härte des Dozenten und den strikten Umgang mit den Studierenden auffällig finden, mit einem Wissen um situationstranszendierende Relevanzkriterien stellt sich die Situation jedoch anders dar: Der Dozent, der für das Team nicht mehr als drei Stunden Zeit zur Verfügung hat, vergeudet diese nicht mit vorsichtigem Beziehungsmanagement, sondern bringt die Kritik klar auf den Punkt. So wird die kostbare Zeit, die für das Würdigen des nicht angemessenen Pitches und das vorsichtige Eingehen auf die Studierenden nötig geworden wäre, gleich in die produktive Entwicklung einer neuen Idee investiert. Unter den realitätsnahen Bedingungen, die für die Studierenden die Normalform ihrer Ausbildung darstellen, ist das Verhalten des Dozenten zielorientiert und im Sinne der Studierenden motiviert. 2.3.4 Reflexionen der eigenen Rolle im Feld Im Folgenden möchte ich die Spezifik meines ethnographischen Arbeitens reflektieren. Es geht dabei um den Zeitpunkt der Ethnographie im Forschungsprozess und um die gleichzeitige Anwesenheit von zwei Ethnographen im Feld. 2.3.4.1 Zeitpunkt der Ethnographie im Forschungsprozess Die Idee zu dieser Arbeit entstand, nachdem ich das Feld schon über ein Jahr kannte und bereits detaillierte ethnographische Informationen zusammengetragen hatte. Das Pitching als Interaktionsform hat mich schon während der Beratungstätigkeit fasziniert, jedoch konnte ich diesem Fokus in der Studie aus inhaltlichen und zeitlichen Gründen nicht intensiv nachgehen. Schließlich war dieses Interesse dann der Startpunkt für mein Dissertationsprojekt. Methode 55 Im Gegensatz zum klassisch-ethnographischen Arbeitsprozess, in dem man motiviert über ein wissenschaftliches Interesse versucht, Zugang zu einem Feld zu bekommen, dann die Daten sammelt und sie schließlich auswertet, war für mich die Anwesenheit im Feld noch nicht mit meinem Dissertationsvorhaben verbunden, sondern aus dem Interesse an der Beratertätigkeit motiviert. Ein solches zunächst nicht auf eine spezifische wissenschaftliche Fragestellung zielendes Vorgehen hat für ethnographisches Arbeiten durchaus Vorteile. Diese betreffen beispielsweise die Wahrnehmungsperspektive. Als Forscherin war ich nicht auf einen gegenstandsspezifischen Fokus oder auf voranalytisch Erwartbares eingestellt. Dadurch sind Verhaltensaspekte der Untersuchten in den Vordergrund gerückt, die bei einer frühzeitigen Fokussierung beispielsweise auf den Aspekt „Kooperation“ möglicherweise nicht in den Blick gekommen wären. Die in der Ethnomethodologie formulierte Maxime, sich von den Relevanzen der Beteiligten leiten zu lassen, ist leichter zu befolgen, wenn man sich zunächst mit einer nicht bewusst hergestellten ‘tabula-rasa-Mentalität’ offen für alle Eindrücke im Beobachtungsfeld bewegt. Auch was die ‘Abhängigkeit’ zu den Untersuchten betrifft, hat es durchaus Vorteile, während der Feldforschung nicht zu wissen, dass die Daten für das eigene Dissertationsvorhaben produziert werden: Ich stand zu keiner Zeit unter dem Druck, brauchbare Materialien zu generieren. 2.3.4.2 Zwei Ethnographen im Feld: diskursiv-intersubjektive Ethnographie Obwohl ich die Rolle im Feld bisher eher aus meiner eigenen Perspektive geschildert und reflektiert habe, darf die Tatsache, dass Reinhold Schmitt und ich als „Beratungs- und Dozententeam“ von Anfang an zu zweit im Feld waren, nicht vergessen werden. Es ist ein Glücksfall ethnographischen Arbeitens, alle Ereignisse gemeinsam dokumentiert bzw. beobachtet und im Anschluss an die Situation auch reflektiert zu haben. Die ethnographischen Einsichten sind nicht nur aus meiner eigenen Wahrnehmung und meinen im Feld entwickelten Relevanzkriterien entstanden, sondern es gab zu jeder Zeit eine Fremdperspektive als Kontrollinstanz. Dies war zum einen ein erheblicher Vorteil für die Studie „Pitching in Teams“, zum anderen eine Erleichterung der gesamten ethnographischen Praxis. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 56 Eine solche Entlastung betrifft aber nicht nur das methodisch kontrollierte Fremdverstehen, sondern die Wahrnehmung relevanter Aspekte insgesamt. Die Befürchtung, in der Konzentration auf auffällige Aspekte Anderes, ebenfalls Relevantes, zu versäumen, wird durch die Gewissheit gemildert, dass „vier Augen mehr sehen, als zwei“. Ein gemeinsamer Feldaufenthalt von zwei Forschern führt zu ethnographisch relevanten Beobachtungen, die von Beginn an diskursiv und intersubjektiv gegründet sind. Das situations- und beobachtungsnahe Reden über Spezifika und Auffälligkeiten des Feldes im direkten Anschluss an die Ereignisse ermöglicht, die Beobachtungen schon sehr frühzeitig hinsichtlich ihres Stellenwertes zu hierarchisieren. Dies wiederum ist nicht nur retrospektiv für die bis dato existierenden Daten eine wichtige Interpretationsressource, sondern gibt prospektiv auch Hinweise auf das weitere Vorgehen: Es verweist auf Aspekte, die bei der gesprächsanalytischen Rekonstruktion der Pitching-Ereignisse genauer zu fokussieren sind. 3. Gegenstandskonstitution Ziel dieser Arbeit ist, einen bisher nicht untersuchten komplexen Handlungstyp, das Pitching, in seinen interaktiven Strukturen zu rekonstruieren. Der Untersuchung liegen insgesamt 72 Stunden Videoaufnahmen als empirische Basis zu Grunde. Für das Unternehmen, die Datenmenge motiviert zu strukturieren und relevante - konversationsanalytisch zu rekonstruierende - Ausschnitte auszuwählen, bilden ethnographische und theoretisch-konzeptuelle Wissensressourcen eine zentrale Grundlage. In diesem Kapitel wird die Gegenstandskonstitution beschrieben, die konsequent in Auseinandersetzung mit relevanten ethnographischen und theoretisch-konzeptuellen Wissensquellen erfolgt. Die zur Bearbeitung einer inhaltlich-substanziellen Fragestellung (vgl. Schmitt 2001) angewandte multimodal ausgerichtete Form der Konversationsanalyse folgt vorgängigen theoretischen Erkenntnisinteressen. Das für mein Erkenntnisinteresse relevante theoretisch-konzeptuelle Wissen bezieht sich zum einen auf den in der Linguistik verwendeten Kooperationsbegriff. Zum anderen handelt es sich um handlungsschematische Einsichten, wie sie bei der Konzeptualisierung unterschiedlicher Handlungstypen gewonnen worden sind. 52 Die Auswahl der beiden theoretischen Bezugskonzepte basiert auf vorgängigen ethnographischen Beobachtungen: Während der unterschiedlichen Feldaufenthalte und besonders bei der Dokumentation der Pitchings wurde deren außerordentliche Relevanz für die Ausbildung deutlich. Diese hängt mit der Tatsache zusammen, dass es nur die drei Situationen im Studium gibt, in denen als Vorbereitung auf den zu realisierenden Film die beiden Bereichsleiter intensiv drei Stunden lang mit einer Kleingruppe arbeiten können. Die Spezifik der gemeinsamen Gruppenarbeit unter hierarchischen Bedingungen und unter einer klaren Produktorientierung sowie die Rekurrenz des Ablaufes wurden schon während der ethnographischen Erhebung als konstitutive Merkmale des Interaktionstyps sichtbar. Die Rekonstruktion der Typikalität des Ablaufes und der Spezifik des kooperativen Miteinanders stellen zwei zentrale Aspekte meines Erkenntnisinteresses dar. Sie motivieren den theoretisch-konzeptuellen Bezug zum „Handlungsschema-Ansatz“ und zum „Kooperations-Konzept“. 52 Interessant ist hier, dass alle bekannten Arbeiten zum Handlungsschema (Literaturverweise siehe Kap. 3.2) solche Handlungstypen auswählen, über die schon alltagsweltlich ein großes Wissen besteht, z.B. Beratung, Behördensowie Verkaufsgespräche. Dadurch reduziert sich die Komplexität und ‘Fremdheit’ des Handlungstyps ebenso, wie bei einer in meinem Falle vorliegenden breit gefächerten ethnographischen Wissensbasis. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 58 Die vorgängige Ethnographie geht also zunächst auf dieser allgemeinen Ebene, bei der Auswahl der theoretischen Bezugskonzepte, in die Gegenstandskonstitution ein. Sie wird im Weiteren für die Spezifizierung des Interaktionsereignisses relevant: Auf der Grundlage der theoretischen Auseinandersetzung mit beiden Konzepten entsteht in den folgenden Teilkapiteln (Kap. 3.1 und 3.2) unter Rekurs auf ethnographische Beobachtungen im Rahmen dieser Gegenstandskonstitution eine erste voranalytische Beschreibung des Interaktionstyps „Pitching“. 53 Die Auseinandersetzung mit dem Material geschieht also nicht - wie beispielsweise Sacks und Psathas vorschlagen - im Rahmen einer „unmotivated examination“ bzw. eines „unmotivated looking“. 54 Sie erfolgt vielmehr auf methodisch kontrollierte und reflektierte Weise mit Bezug zur Ethnographie, zum Kooperationskonzept sowie zum handlungsschematischen Ansatz. Die reflexive Beschäftigung mit den drei Wissensressourcen führt im Rahmen des übergeordneten Untersuchungsinteresses, die grundlegenden Strukturen der Pitchings zu rekonstruieren, zu gegenstandsspezifischen Fokussierungen und Dimensionierungen, die der konversationsanalytischen Untersuchung zwangsläufig vorgelagert sind. Sie werden im Forschungsprozess zu einem Zeitpunkt generiert, der noch vor der Konstitutionsanalyse liegt und der mit Schmitt (2001) als „Phase der vorsequenziellen Auswertung“ (d.h. der Sequenzanalyse vorgängigen Phase) bezeichnet werden kann. In dieser Phase folge ich dem Vorgehen eines „motivated looking“: Unterschiedliche Wissensquellen werden so weitgehend verdeutlicht, dass sie Voraussetzungen für eine motivierte Stellenauswahl etablieren, die dazu beiträgt, die Komplexität des Gegenstandes im Dienste und in Vorbereitung der für die Untersuchung zentralen konversationsanalytischen Fragestellung gezielt zu reduzieren. Die unterschiedlichen Wissensquellen, die dem „motivated looking“ zu Grunde liegen, leiten die Suchheuristik und die Selektion der zu analysierenden Stellen an. 53 Zu den „Einsatzstellen“ der Ethnographie in gesprächsanalytischen Untersuchungen siehe die Ausführungen zur „ethnographischen Gesprächsanalyse“ nach Deppermann (2000) in Kap. 2.3.1. 54 Siehe z.B. Psathas (1995), Sacks (1984a), Schegloff (1996), Ten Have (1999). Psathas schreibt über das „unmotivated looking“: „The variety of interactional phenomena available The variety of interactional phenomena available for study are not selected on the basis of some preformulated theorizing, which may specify matters of greater or lesser significance. Rather the first stages of research have been characterized as ‘unmotivated looking’.“ (Psathas 1995, S. 24f.). Für die spätere Konstitu- .“ (Psathas 1995, S. 24f.). Für die spätere Konstitutionsanalyse wird methodisch wieder auf das „unmotivated looking“ zurückgegriffen. a) b) Gegenstandskonstitution 59 Sie sind zudem c) für die Interpretation der konversationsanalytisch produzierten Ergebnisse relevant. Der letzte Aspekt liegt auf einer anderen Ebene als die vorherigen, eher suchheuristischen und strukturierenden Relevanzen des vorgängigen Wissens. Er bezieht sich nicht auf die Gegenstandskonstitution, sondern ist bei der konkreten Analysepraxis für die Interpretation von Äußerungen relevant und verdeutlicht damit das dieser Arbeit zu Grunde liegende Interpretationsverständnis. Bei der Interpretation von Äußerungen wird sowohl auf ethnographische und gegenstandstheoretische Wissensbestände zurückgegriffen, als auch auf andere Wissensressourcen, wie z.B. Erkenntnisse, die bereits selbst aus der konversationsanalytischen Beschäftigung mit den Daten entstanden sind. In diesem Zusammenhang ist für die konkrete Analysepraxis das von Deppermann in der Auseinandersetzung mit „traditionellen Leitsätzen der Konversationsanalyse“ entstandene „Plädoyer für eine reflexive ethnomethodologische Konversationsanalyse“ (Deppermann 2001) relevant, das Gesprächsanalyse als „Konstruktionsprozess“ begreift. Die aus Transkriptanalysen hervorgehenden Interpretationen von Analytiker/ innen operieren - so Deppermann - mit jeweils unterschiedlichen „Hintergrundannahmen“, die für das Zustandekommen und die argumentative Gültigkeit einer Interpretation ausschlaggebend sind und daher als solche transparent gemacht werden sollten. Dies führt dazu, dass die „analysekonstitutiven Ressourcen des Untersuchers“ in ihrem Stellenwert aufgewertet werden: Statt Ergebnisse als zwangsläufige Resultate von Beobachtungen zu präsentieren, ginge es darum, eine potenzielle Interpretierbarkeit von Gesprächsereignissen zu plausibilisieren, indem gezeigt wird, wie Gesprächsereignisse als Prozesse verstanden werden können, die eine postulierte Sinn- oder Ordnungsstruktur aufweisen. Dies könnte geschehen, wenn stärker als bisher dargestellt würde, anhand welcher Interpretamente, unter welcher Voraussetzung welche Annahmen, mit welchen Heuristiken der Sinnbildung analytische Aussagen stimmig zu machen und zu begründen sind. (Deppermann 2001, S. 60) In diesem Kapitel geht es primär um die ethnographischen und theoretischkonzeptuellen Wissensressourcen im Kontext der Gegenstandskonstitution. Der Umgang mit ihnen führt zu einer ausführlichen voranalytischen Situationsexplikation 55 (Kap. 3.1 und 3.2). Diese bietet zum einen eine Orientie- 55 Der Status der Situationsexplikation als ‘voranalytisch’ bezieht sich darauf, dass er dem konversationsanalytischen Arbeitsgang, der die zentrale empirische Operation darstellt, vorgelagert ist. Die Situationsexplikation enthält jedoch Einsichten, die aus der Beschäftigung mit den Daten, z.B. bei der Erstellung von segmentalen Verlaufsanalysen entstanden sind. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 60 rungsmöglichkeit für Leser/ innen, zum anderen eine Form der Selbstkontrolle für die Forscherin. Konkret dient sie der Darstellung von bereits empirisch gewonnenen ersten Ergebnissen, die für eine fokussierte Gegenstandsdimensionierung notwenig sind, der Rekapitulation interpretationsrelevanter Rahmenbedingungen für die folgenden Analysen, der Motivierung der gewählten Bearbeitungsgesichtspunkte im Gesamtkontext des Ereignisses und der Selbstkontrolle in dem Sinn, dass die im konversationsanalytischen Arbeitsgang gewonnenen Ergebnisse immer hinsichtlich der Frage reflektiert werden, ob sie - bezogen auf das zu Beginn der Untersuchung vorhandene Wissen - tatsächlich neue Einsichten generieren oder lediglich präexistentes Wissen nunmehr materialgestützt abbilden. Der Zusammenhang zwischen ethnographischem, theoretisch-konzeptuellem und auch verlaufsanalytischem Wissen ist also ein hochkomplexer, in dem sich die verschiedenen Wissensquellen wechselseitig befruchten und gleichzeitig die ‘Trefferquote’ für gegenstandskonstitutive Aspekte und prototypische Analyseausschnitte erhöhen. Dadurch wird gewährleistet, dass für den konversationsanalytischen Arbeitsgang (Kap. 4) tatsächlich die für das Pitch- Pitching grundlegenden situativen und handlungsschematischen Aspekte in den grundlegenden situativen und handlungsschematischen Aspekte in den Fokus kommen. 56 Eine Arbeit, die dem voranalytischen Wissen explizit und ehrlich den Status einräumt, den es de facto für die Gegenstandskonstitution und später auch für die Interpretation der Analyseergebnisse 57 hat, kann Gefahr laufen, als deduktiv missverstanden zu werden. Um dem Missverständnis vorzubeugen, es handle sich bei meiner Untersuchung um eine deduktive Anlage, möchte ich betonen, dass ich mit Hilfe der voranalytischen Situationsexplikation den Versuch unternehme, den wissenschaftlichen Arbeitsprozess motiviert zu strukturieren und dabei die Wissensquellen, die voranalytisch den Gegenstand konstituieren und dimensionieren, Zur besseren Verdeutlichung des Stellenwertes der Konversationsanalyse und zur Abgrenzung unterschiedlicher „Arbeitsgänge“ möchte ich den Analysebegriff in dieser Arbeit ausschließlich für die konversationsanalytische Auseinandersetzung mit den Daten reservieren. 56 Gleichwohl sagt diese Fokussierung noch nichts über die lokale Konstitutionsspezifik der ausgewählten Aspekte aus. 57 Solche Wissensressourcen fungieren bei der analytischen Interpretation natürlich als „tentative Geltungen, deren Vereinbarkeit mit dem sequenziellen Verlauf der Interaktion ausgewiesen werden muss.“ (Deppermann 2001, S. 51). a) b) c) d) Gegenstandskonstitution 61 zu verdeutlichen. Ein solcher voranalytischer Prozess muss notwendigerweise in allen gesprächsanalytischen Arbeiten stattfinden, die ein inhaltlich-substanzielles Erkenntnisinteresse verfolgen. Dass er als eigenständiger methodisch notwendiger Arbeitsgang oft nicht unternommen und/ oder explizit ausgewiesen wird, ist eher als Desiderat zu betrachten. Die Verdeutlichung vorgängiger Wissensressourcen ist jedoch in ihrer spezifischen selektierenden Qualität ernst zu nehmen: Voranalytische Wissensressourcen dürfen nicht bereits als Ergebnisse angesehen werden. Meine Arbeit erhebt aus diesem Grund ganz explizit den Anspruch, dass die multimodalkonversationsanalytische Untersuchung des faktischen Vollzuges im Kontext der zuvor ausgewiesenen handlungstypologischen Relevanzen zu substanziell neuen Einsichten kommt. Die für diese Arbeit relevante Verdeutlichung von Wissensressourcen beginnt zunächst mit der Diskussion des Kooperationsbegriffs in der Linguistik und dessen Bedeutung für meine Arbeit (Kap. 3.1). Anschließend wird der Handlungsschema-Ansatz dargestellt und seine Implikationen für mein Vorhaben reflektiert (Kap. 3.2). Im Anschluss daran beginnt das Empirie-Kapitel dieser Arbeit (Kap. 4), in dem der faktische interaktive Vollzug des Pitchings untersucht wird. 3.1 Pitching als Kooperationsform Für die Entwicklung des Kooperationsverständnisses, das ich für diese Arbeit theoretisch zu Grunde lege und anhand meiner Analysen empirisch fundieren sowie im Anschluss reflektieren werde, stellen linguistische Forschungen zum Thema „Kooperation“ einen Bezugspunkt dar. Die begriffliche Klärung von „Kooperation“ ist zunächst die zentrale Voraussetzung dafür, a) meinen Gegenstand auf einer allgemeinen theoretischen Ebene zu konstituieren und b) seine zentralen sozial-pragmatischen Aspekte zu charakterisieren. Dies geschieht c) mit dem Ziel, die für das Pitching konstitutiven Kooperationsaspekte und damit situationskonstitutive Spezifika auszuweisen, die für die empirische Analyse relevante Vororientierungen darstellen. 3.1.1 Der Kooperationsbegriff in der Linguistik In der Linguistik existieren - insbesondere seit Grices Vortrag über das „Co- Cooperative Principle“ an der Harvard Universität im Jahre 1967 “ an der Harvard Universität im Jahre 1967 58 und im deutschsprachigen Raum angeregt durch die Publikation des Sammelbandes 58 Grices Konzept des „Cooperative Principle“ wurde erstmals 1975 in der bekannten Monographie „Logic and Conversation“ publiziert. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 62 „Kommunikation und Kooperation“ (Liedtke/ Keller (Hg.) 1987) - eine Fülle von Arbeiten, die sich - meist theoretisch - mit dem Thema „Kooperation“ befassen und dabei die Relevanz von Sprache bzw. Sprachverwendung für kooperatives Handeln erörtern. Dabei manifestieren sich unterschiedliche Ansichten über die Aspekte, welche für kooperatives Handeln konstitutiv sind und darüber, wie Kooperation grundsätzlich definiert werden kann. Zudem gibt es eine Fülle von Untersuchungen, die zwar den Terminus „Kooperation“ im Titel ihrer Arbeiten führen, ihn jedoch nicht definieren bzw. reflektieren, sondern als bekannt voraussetzen. Kooperation meint dann in allgemeiner Hinsicht „gemeinsam arbeiten“ bzw. „gemeinsam handeln/ etwas tun“ oder „gemeinsam ein Interaktionsthema bearbeiten“ (vgl. z.B. Selting 1985 u. 1987, Silverman 1994, Schwitalla 1996). In der Bedeutung von „gemeinsam arbeiten“ wird von „Kooperation“ bei der Erforschung schulischer Kommunikation oder Kommunikation in Lernergruppen allgemein gesprochen (vgl. Johnson/ Johnson/ Roy/ Zaidman 1985) und speziell im fremdsprachlichen Unterricht (vgl. Brütting 1983, Genzlinger 1982, Arnold 1980, Gwyn- Paquette/ Tochon 2003). Zudem ist der Begriff „Kooperation“ für die Untersuchung des „gemeinsamen Spiels“ von Kindern verwendet worden (vgl. Goodwin 1988, Kraft 1990, Kiger/ Cuzzort/ Johnson 1985, Biere 1980, Meng 1981). 59 Ehlich (1987) sieht den Grund für die vielen divergierenden Konzepte von Kooperation in der Tatsache, dass der Terminus „Kooperation“ kein „wissenschaftlich-terminologisches Kunstwort“, sondern eine begriffliche Anleihe aus der Alltagswelt ist (vgl. ebd., S. 19). Dies gilt meines Erachtens auch für den Terminus „Kooperativität“, der für die evaluative Qualifizierung einzelner sprachlicher Äußerungen (im Sinne von: „jemand verhält sich kooperativ“) verwendet wird. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit „Kooperation“ bzw. „Kooperativität“ unterliegt damit prinzipiell der Gefahr eines vorschnellen, nicht reflektierten kategorialen Rückgriffes auf alltagsweltliche Konzepte, die Einsichten suggerieren, obwohl eine wissenschaftliche, methodisch kontrollierte Analyse (noch) nicht durchgeführt wurde. 60 Damit wird die wissenschaftliche Erkenntnisgenerierung nicht befördert, sondern behindert. 59 Die Publikationen im schulischen und spielerischen Kontext entstammen neben linguistischen oft auch psychologischen und sozialpsychologischen Untersuchungen, die ihren Fokus auf die Sprachverwendung legen. Psychologische und sozialpsychologische Arbeiten haben experimentelle Forschungsdesigns, linguistische Arbeiten basieren überwiegend auf der Dokumentation authentischer Situationen. 60 Fiehler (1999, S. 52) definiert z.B. Kooperativität nicht aufgrund wissenschaftlicher Analyseergebnisse, sondern in Abhängigkeit von Beteiligtenkonzepten, die zwangsläufig alltagswelt- Gegenstandskonstitution 63 3.1.2 Dimensionen linguistischer Kooperationskonzepte Auf allgemeiner Ebene variieren bei den Publikationen zum Thema „Kooperation“ die Bezugsrahmen der Konzeptualisierungen. Kooperation wird zum einen auf makrostrukturelle gesamtgesellschaftliche Aspekte bezogen, zum anderen auf mikrostrukturelle Situationsaspekte. Rehbein (1977) beispielsweise argumentiert bei dem Entwurf seiner Handlungstheorie in makrostrukturellen gesellschaftlichen Zusammenhängen, die zunächst noch nicht auf verbale Kooperation zugeschnitten sind. Er geht davon aus, dass Handlungskonzepte von Individuen in Kooperation mit anderen Gesellschaftsmitgliedern erlernt werden (vgl. ebd., S. 102). Theoretisch differenziert er dabei zwischen „einfacher“ und „komplizierter“ Kooperation. Die „einfache Kooperation“ wie sie für frühere Gesellschaftsformen typisch war, zeichnet sich dadurch aus, daß jeweils eine Teilhandlung an eines der Mitglieder des Kollektivs delegiert bzw. von diesem übernommen und in der Ausführung zu der Gesamthandlung selbständig miteinander verkoppelt wird, so daß die Gesamthandlung zu einem Resultat führt. (Rehbein 1977, S. 104) Die „komplizierte Kooperation“ ereignet sich in weitaus komplexeren gesellschaftlichen Zusammenhängen. Sie gilt für Gesellschaften, die die Produktion und Reproduktion des Lebens ihrer Mitglieder hochgradig arbeitsteilig betreibt (vgl. Rehbein 1977, S. 112). Nach Rehbein basiert das Zustandekommen von Kooperation auf einem Wirkungszusammenhang, bei dem es unterschiedlicher, einzelner Funktionsträger bedarf, um eine Gesamthandlung zu vollziehen („Kooperationsreihe“). Damit begreift er Kooperation als prinzipiell arbeitsteilig. Jedoch wird in den Definitionen von „einfacher“ und „komplizierter Kooperation“ nicht verdeutlicht, ob im Rahmen der Arbeitsteilung tatsächlich soziale Interaktion stattfindet bzw. stattfinden muss. Man kann sich beispielsweise die Konstruktion eines Hauses als Kooperationsreihe vorstellen, bei deren Realisierung sich Architekt und Maurer niemals in einem gemeinsamen Interaktionszusammenhang begegnet sind. In Rehbeins Kooperationsverständnis wird sprachliche, also generell soziale face-to-face-Interaktion jedoch dann relevant, lich basiert sein müssen: „Kommunikative Kooperativität liegt vor, wenn die Beteiligten im Vollzug des Gesprächs oder nachträglich den Eindruck haben, daß andere Beteiligte oder sie selbst sich kooperativ verhalten haben.“ Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 64 wenn die einzelnen Funktionsträger in der Kooperationsreihe sich nicht allein auf ihr wechselseitiges Wissen und schweigendes Zusammenwirken verlassen können, sondern, wenn sie [...] ihre jeweiligen Teilhandlungen miteinander koordinieren müssen. (Rehbein 1977, S. 115) Die notwendige Koordination von Handlungen und die hierbei verwendete Sprache lenken also den Fokus auf multimodale Kooperation in konkreten Interaktionssituationen. Auch Ehlich (1987) argumentiert teilweise in makrosoziologischen Dimensionen. Er differenziert drei Arten von Kooperation, die unterschiedlich komplex sind und auf unterschiedlichen Ebenen liegen: die „materielle“, die „materiale“ und die „formale Kooperation“. Die „materielle Kooperation“ bezeichnet „Kooperation im Produktionsprozess“, also im Zusammenhang von arbeitsteilig organisierten Produktionszusammenhängen (Ehlich 1987, S. 27). Mit „materialer Kooperation“ bezieht er sich hingegen auf [...] alle möglichen Formen des Zusammenwirkens menschlicher Aktanten [...], die einem gemeinsamen Ziel sich unterordnen, einen gemeinsamen Zweck realisieren, welche freilich nicht unbedingt durch Arbeit im ökonomischen Sinn zu realisieren sind. (ebd.) Materiale Kooperation kann sprachlich realisiert werden. Die „formale Kooperation“ weist Ehlich schließlich als Grundlage jeder Form sprachlichen Handelns aus: Vielmehr ist alles sprachliche Handeln als Handeln, das im Normalfall mehr als einen Aktanten betrifft, ein Handeln, für das von elementaren Kennzeichen der Kooperativität gesprochen werden kann. (Ehlich 1987, S. 28) In Hinblick auf die Entwicklung meines Kooperationsverständnisses werde ich die makrostrukturellen gesellschaftlichen Bezüge der Kooperationsansätze (siehe Rehbein und „materielle Kooperation“ bei Ehlich) nicht berücksichtigen, da diese in meinem empirischen Material keine Rolle spielen. Den Grundgedanken von Rehbein jedoch, dass eine prinzipielle Arbeitsteilung für Kooperation konstitutiv ist, bei der es zur Koordinierung von Teilhandlungen sprachlich-interaktiver Prozesse bedarf, sowie die auf die Relevanz von Sprache bezogenen Differenzierung von materialer und formaler Kooperation bei Ehlich, werde ich weiter verfolgen. Damit wird eine auf gesellschaftliche Makrostrukturen gerichtete Perspektive verlassen und der Fokus auf soziale Interaktion gerichtet, die unter spezifischen situativen Bedingungen stattfindet. Gegenstandskonstitution 65 In diesem Rahmen lassen sich wiederum zwei Konzeptualisierungslinien von Kooperation differenzieren: Ehlichs Unterscheidung zwischen materialer und formaler Kooperation, also einerseits dem zielbzw. zweckgebundenen Zusammenwirken von Aktanten, bei dem kommuniziert wird und andererseits der elementaren basalen Kooperation beim Kommunizieren, ist für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema äußerst fruchtbar. Einer solchen theoretischen Differenzierung möchte ich mich anschließen, weil sie den Stellenwert des Kooperationskonzeptes in ganz grundsätzlicher Weise verdeutlichen kann und somit viele potenzielle Missverständnisse schon im Vorfeld beseitigt. Die Relevanz einer solchen Differenzierung sieht auch Falkenberg (1987), der eine Kategorisierung vorschlägt, die meines Erachtens eingängiger ist, als „materiale“ und „formale Kooperation“: „Sprachliche Kooperation“ kann offenbar mindestens zweierlei heißen: Kooperation mittels Sprache und Sprechen als Kooperation. (Falkenberg 1987, S. 161) Statt „Sprache“ möchte ich jedoch den Terminus „Kommunikation“ vorschlagen, um damit erkennbar die Gesamtheit der komplexen multimodalen Aktivitäten der Interaktionsteilnehmer zu berücksichtigen. Für die theoretische Differenzierung ergeben sich somit zwei voneinander zu trennende Gegenstandsbereiche, die sehr unterschiedliche Perspektiven auf Kooperation einnehmen, nämlich erstens „Kommunikation als Kooperation“ und zweitens „Kooperation mittels Kommunikation“. Mit beiden Konzeptualisierungen sind jeweils unterschiedliche Erkenntnisinteressen verbunden. Untersuchungen von „Kommunikation als Kooperation“ begreifen Kooperation als konstitutive Voraussetzung jeglicher Form von Kommunikation. Arbeiten zu „Kooperation mittels Kommunikation“ fokussieren hingegen spezifische soziale Handlungstypen. Die Auseinandersetzung mit den letztgenannten Arbeiten trägt dazu bei, das Pitching als spezifische Kooperationsform auszuweisen und ist daher für die Gegenstandkonstitution zentral. 3.1.2.1 Kommunikation als Kooperation Ende der 1960er Jahre entwickelte Grice im Kontext der Sprechakttheorie das „Cooperative Principle“: Make your conversational contribution such as is required, at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged. One might label this the COOPERATIVE PRINCIPLE . (Grice 1975, S. 45) Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 66 Das „Cooperative Principle“ ist ein theoretisches Rahmenkonzept, „for explaining how language users organize their linguistic behaviour in interaction and how they arrive at implicated meanings“ (Sarangi/ Slembrouck 1992, (Sarangi/ Slembrouck 1992, S. 122). Aus diesem Konzept leitet Grice die vier bekannten Maximen (‘qualquality’, ‘quantity’, ‘relation’, ‘manner’) ab, an denen sich Gesprächsbeteiligte ’) ab, an denen sich Gesprächsbeteiligte seiner Meinung nach orientieren, um Äußerungen zu verstehen und für andere verständliche Äußerungen zu produzieren. 61 Seit ihrem Entstehen ist die Theorie des „Cooperative Principle“ innerhalb der Linguistik vielfach rezipiert worden, z.B. in der Entwicklung der Höflichkeitsforschung, im Bereich der Gender Studies und im Zusammenhang mit Kommunikation in Unterrichtssituationen. 62 Viele Arbeiten berücksichtigen jedoch nicht, dass Grices Theorie zum einen nicht in Hinblick auf eine empirische Analyse formuliert wurde (sondern nach der Bedeutung von Sätzen fragt), zum anderen „Kooperativität“ nicht als evaluativen Terminus begreift: [...] many commentators have assumed that Grice's Cooperative Principle is built on some a priori notion of human benevolence and cooperativeness: that Grice is therefore making some kind of ethical claim about human behaviour [...]. But nothing is further from the truth. The CP is simply a device to explain how people arrive at meanings. (Leech/ Thomas 1988, S. 8) So handelt es sich bei dem „Cooperative Principle“ um eine grundlegende kommunikationstheoretische Annahme („presumptive framework for commupresumptive framework for communication“; Brown/ Levinson 1987, S. “; Brown/ Levinson 1987, S. 121), die, da sie innerhalb der Pragmatik im Zusammenhang der Sprechakttheorie formuliert wurde, auf einzelne Sätze zugeschnitten ist. Sie bezieht sich nicht explizit auf Gespräche mit systematisch aufeinander bezogenen Äußerungen mehrerer Sprecher/ innen und nicht auf komplexe Gesprächsverläufe, auch wenn Grice selbst von „conversation“ spricht. Einem solchen Verständnis von Kooperation als kommunikationstheoretischer Annahme schließe ich mich in meiner Arbeit an. 61 Grice reflektiert auch, dass Konversationsmaximen potenziell verletzt werden können. In diesem Fall kommt es zu sog. „konversationellen Implikaturen“, quasi einem „Schlussverfahren“, bei dem der Sinn einer Äußerung aufgrund situationsspezifischer Kontextindikatoren generiert wird. Konversationelle Implikaturen sind per definitionem nicht konventionell an Äußerungen gebunden. Eine gute Darstellung und Reflexion der Grice'schen Theorie bietet Attardo (1993 u. 1997a, b). 62 Einen aktuellen Überblick über die Vielzahl der Arbeiten, die sich mit dem „Cooperative Principle“ befassen, liefert Lindblom (2001). Die Relevanz des Grice'schen Konzepts zeigt sich auch in der Ausführlichkeit, in der es beispielsweise in dem klassischen Werk zur „Pragmatik“ (Levinson 1983) dargestellt wird. Siehe auch Mey (1993). Gegenstandskonstitution 67 Auch im Rahmen der Konversationsanalyse wird Kooperation als grundlegendes Konzept verstanden, mit dem in allgemeiner Hinsicht die gemeinsame und aufeinander bezogene Orientierung der Interaktionsbeteiligten gefasst wird. Demnach gehen Interaktionsbeteiligte davon aus, dass die Interaktionspartner ebenso wie sie selbst bereit und in der Lage sind, die Verfahren von Bedeutungskonstitution und der Durchführung von Aktivitätskomplexen anzuwenden, und daß ihre Partner ihnen dasselbe unterstellen. (Kallmeyer 1979, S. 63-64) In diesem Sinne manifestiert sich z.B. in der Bearbeitung der für die Gesprächskonstitution zentralen Anforderungen wie z.B. Sprecherwechselorganisation, Verständnissicherung etc. (vgl. Kallmeyer/ Schütze 1976, S. 9ff.) eine grundlegende Kooperation der Gesprächspartner. Die theoretische Annahme, dass Kommunikation ohne eine solche kooperative Basis nicht möglich ist, setze ich für meine Arbeit voraus. Sie ist für das zu Grunde liegende Interaktionsverständnis zentral, bildet thematisch jedoch nicht den Fokus meiner Untersuchung. 63 Es ist ein interessanter terminologischer Aspekt, dass in der klassischen Konversationsanalyse Interaktion zwar grundsätzlich als „gemeinsame Hervorbringung der Beteiligten“ konzeptualisiert, der Terminus „Kooperation“ jedoch hierfür äußerst selten verwendet wird. In der Literatur sind jedoch Phänomene beschrieben, die spezielle empirisch evidente Formen der Zusammenarbeit der Beteiligten darstellen: „Collaboratives“ bzw. „Joint Produc- Joint Productions“ (vgl. Sacks 1992, sowie in Bezug auf Sacks: Lerner 1991 und “ (vgl. Sacks 1992, sowie in Bezug auf Sacks: Lerner 1991 und Díaz/ Antaki/ Collins 1996). Collaboratives bzw. Joint Productions fokussieren im Rahmen der als grundständig kooperativ konzipierten Interaktion besondere Gemeinschaftsleistungen der Beteiligten (z.B. das gemeinsame Produzieren einer Äußerung) und stellen damit ein interaktionsstrukturell klar definierbares Phänomen dar. Dieses kann beispielsweise als Antwort der Beteiligten auf spezifische interaktive Anforderungen beschrieben werden. Damit sind Collaboratives bzw. Joint Productions auf der Äußerungsebene mit den Methoden der Konversationsanalyse als spezifische strukturanalytische Phänomene analysierbar und finden sich somit auch im Analyseteil dieser Arbeit (z.B. in Kap. 4.2). 64 63 Vgl. hierzu jedoch die Arbeit von Gärtner (1993), die sich mit Konkurrenz und Kooperation bei der Verteilung des Rederechts beschäftigt. 64 Ebenfalls auf der Äußerungsebene liegen sprachliche Merkmale, die Fiehler (1999) als Indikatoren für „Kooperativität“ auflistet, z.B. Rückmeldungen, Wiederholungen, zügiger Anschluss an vorangegangene Äußerungen, gemeinsames Formulieren, auf Äußerungen des Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 68 3.1.2.2 Kooperation mittels Kommunikation Diese Arbeit fokussiert die Perspektive von „Kooperation mittels Kommunikation“. Die meisten Untersuchungen innerhalb dieses Kooperationsverständnisses stellen unterschiedliche Definitionskriterien für Situationen und Handlungszusammenhänge auf, die als Kooperation bezeichnet werden können. Die Grundlagen dieser Überlegungen sind primär theoretischer Natur (z.B. Allwood 1987; Ehlich 1987; Keller 1987; Fiehler 1978, 1993; Rehbein 1977). 65 Für meine Fragestellung besitzen solche theoretischen Vorstellungen einen hohen Orientierungswert, weil sie auf allgemeiner Ebene Kriterien formulieren, mit denen kooperative Situationszusammenhänge von nicht-kooperativen unterschieden werden können. Bei der Frage nach den konstitutiven Merkmalen für Kooperation führen die meisten Arbeiten situative Aspekte an: 66 Die Frage, ob in einer gegebenen Situation ein Fall von Kooperation vorliegt, ist weit mehr von Eigenschaften der Situation selbst abhängig als von den Eigenschaften der Personen oder deren Beziehungen. (Keller 1987, S. 6) anderen eingehen und sie weiterführen/ vertiefen, kein Überlappen, Verständnissicherung betreiben (vgl. ebd., S. 54f.). Damit ordnet er spezifische sprachliche Realisierungen als kooperativ ein, andere hingegen nicht. Ohne den situativen Gesamtzusammenhang zu berücksichtigen, in dessen Rahmen einzelne Äußerungen als Teil des „Interaktionsganzen“ produziert werden, ist meines Erachtens eine methodisch ‘saubere’ Differenzierung von „Kooperativität“ vs. „Nicht-Kooperativität“ auf der Äußerungsebene nicht zu leisten und aus interaktionistischer Perspektive zudem nicht sinnvoll. Sie führt - anders als die strukturanalytische Konzeption der Collaboratives in der Konversationsanalyse - implizit eine evaluative Differenzierung von Äußerungs- und Interaktionsphänomenen ein, die interaktionsanalytisch betrachtet nicht zulässig ist. Ein evaluatives Konzept von Kooperation wird z.B. auch im Bereich der Sprecherziehung/ Kommunikationstrainingswissenschaft vertreten (siehe z.B. Geißner 1982, Mönnich/ Jaskolski (Hg.) 1999, Leuck 1996, Bartsch 1994). Mönnich/ Jaskolski (Hg.) (1999) sehen Kooperation als „Kommunikationsprinzip“ und schreiben diesbezüglich: „Kooperation als Kommunikationsprinzip - damit favorisieren wir für die Sprechkommunikation: Machtbalance statt Dominanz, Achtung der Würde und Freiheit des Anderen statt deren Missachtung; Verständigungsorientierung statt bloßer Durchsetzung eigener Interessen.“ (ebd., S. 13). 65 Nur wenige Beiträge legen authentisches Material zu Grunde und sind in diesem Sinne empirisch fundiert (z.B. Fiehler 1980 und Brünner 1978). 66 In der linguistischen Beschäftigung mit Kooperation spielen Persönlichkeitsdispositionen in Hinblick auf Kooperation keine Rolle. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu psychologischen und sozialpsychologischen Arbeiten. Gegenstandskonstitution 69 Diesen „situationsbezogenen“ Ansatz werde ich bei der Entwicklung meines Kooperationsverständnisses zu Grunde legen. Er ist ein Ausgangspunkt, auf dem die theoretisch-konzeptionellen Überlegungen und die empirischen Analysen basieren. Für eine Definition von Kooperation in meinem Verständnis möchte ich zunächst nochmals an die von Rehbein thematisierte „Arbeitsteilung“ und die von Ehlich postulierte Zielbzw. Zweckgebundenheit anknüpfen. Beide Aspekte finden sich auch in einem definitorischen Vorschlag von Fiehler (1978), der „Kooperation“ anhand von vier konstitutiven Aspekten beschreibt: Wir nennen einen Tätigkeitszusammenhang Kooperation, wenn (1) mindestens zwei Individuen (Teilnehmerkreis) (2) eine identische Zielvorstellung (3) arbeitsteilig (Tätigkeitsverteilung) realisieren und (4) der Tätigkeitszusammenhang einen produktiven Aspekt hat. (Fiehler 1978, S. 146) Die Definition von Fiehler umfasst zum Großteil die Aspekte, die auch in anderen Arbeiten zum Bereich „Kooperation mittels Kommunikation“ als konstitutiv angesehen werden, nämlich die Mindest-Teilnehmerzahl, die eine Voraussetzung für Arbeitsteilung darstellt, die Frage nach Produktivität, und die Zielvorstellung. Während der Aspekt der Mindest-Teilnehmerzahl, Arbeitsteilung und Produktivität meist unproblematisch ist, existieren hinsichtlich der Konzeption einer Zielvorstellung unterschiedliche Ansichten. Keller (1987) geht beispielsweise zwar davon aus, dass die beteiligten Personen auf ein Ziel orientiert sind, er entscheidet jedoch im Gegensatz zu Fiehler nicht, ob sie über eine „identische Zielvorstellung“ verfügen, bzw. legt nahe, dass dies nicht der Fall ist. Letzteres wird in dem folgenden Zitat durch Aufsplittung eines Ziels für A und eines Ziels für B (durch die Formulierung „sein Ziel erreichen“) nahegelegt: Eine kooperative Situation für zwei Personen A und B liegt vor, gdw.: entweder radikale Zielinterdependenz besteht, d.h. A sein Ziel nur erreichen kann, wenn B sein Ziel erreicht, und vice versa, oder bedingte Zielinterdependenz besteht, d.h. A sein Ziel nur mit höheren Kosten erreichen kann, wenn B sein Ziel nicht erreicht und vice versa. (Keller 1987, S. 9) Das „Ziel“ ist bei der Definition von Kooperation eine problematische Größe. Sowohl sein Bezug als auch sein Status werden sehr unterschiedlich gefasst. Hinsichtlich seines Bezuges verweisen unterschiedliche Konzeptionen entweder auf individuelle Ziele der Beteiligten oder auf allgemeine Ziele, die mit dem Kooperationsereignis selbst im Zusammenhang stehen. Hinsichtlich seines Status wird es entweder theoretisch als analysevorgängig postuliert oder als ausschließlich analytisch rekonstruierbar konzeptualisiert. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 70 In meinem Verständnis ist eine Differenzierung von individuellem Ziel und sozialem Zweck für die Analyse von Kooperationsformen notwendig. 67 Der soziale Zweck kann - auch voranalytisch - das Kooperationsereignis hinsichtlich seiner allgemeinen Funktion bzw. Aufgabe bestimmen. Dadurch kann der Zielbegriff ausschließlich für individuelle Ziele reserviert werden. Nur wenn die interaktive Bearbeitung eines individuellen Ziels von den Beteiligten tatsächlich empirisch manifest ist, können spezifische - analytisch rekonstruierte - Zielorientierungen angegeben werden. Für eine erste Spezifizierung von Interaktionssituationstypen als „Kooperation“ kann deshalb nur auf einer sehr allgemeinen Ebene ein mit der Situation im Zusammenhang stehender sozialer Zweck angegeben werden, der von individuellen Zielen zu unterscheiden ist. 68 Wie sich zu diesem Zweck individuelle Ziele verhalten, ist voranalytisch nicht entscheidbar. Um jedoch eine Situation generell als Kooperation zu charakterisieren, reicht meines Erachtens die Angabe eines Zweckes - auch wenn noch sehr generell und natürlich voranalytisch - aus. Aufgrund dieser Überlegungen ist Fiehlers Definition geeignet - wenn man die „identische Zielvorstellung“ im Sinne eines von allen geteilten, allgemeinen sozialen Zwecks interpretiert - eine grundsätzliche theoretische Differenzierung unterschiedlicher Handlungstypen zu treffen (Handlungszusammenhang A = Kooperation, Handlungszusammenhang B = keine Kooperation, z.B. Kampf, 69 Auseinandersetzung, Streit 70 ). 67 Eine solche terminologische Differenzierung trifft z.B. Rehbein (1977, S. 108): „Ziele sind [...] verbunden mit individuellen Tätigkeiten; ist das Individuum zielgerichtet tätig, so sucht es nach Wegen und probiert Mittel aus usw., wie es zu dem Ziel kommt. Von ‘Zwecken’ sollte man sprechen, wenn einzelne Ziele bereits kollektiv erarbeitet wurden und der ganze Handlungsprozess, der zur Erreichung des Ziels führte, in einem Muster fixiert und gewissermaßen konventionalisiert worden ist.“ (Hervorh.: D.H.), siehe auch ebd., S. 123: „Der in dem Muster realisierte Zweck hat für die Kooperanten nun die Bedeutung, dass durch Zweckrealisierung das Handlungsziel entweder eines einzelnen Kooperanten [...] oder von einigen oder von allen Kooperanten [...] realisiert worden ist“. Unter einer solchen terminologischen Differenzierung ist es möglich, auch im Rahmen von mehrpersonalen Interaktionskonstellationen von einer tatsächlichen gemeinsamen Übereinstimmung aller Beteiligten bzgl. des sozialen Zwecks bei gleichzeitig existierenden und ggf. kontrastierenden individuellen Zielen zu sprechen. 68 Der Zweck der Pitchings ist damit die gemeinsame Entwicklung einer Geschichte. 69 Eine solche generelle Unterscheidung formuliert auch Rehbein (1977, S. 102) mit Bezug auf den gesellschaftlichen Zweck. Er differenziert generell zwei Muster, eines, „in dem die Aktanten ihrem Handeln demselben gesellschaftlichen Zweck unterstellt sind“ (= Kooperation) und ein anderes, in dem „sie gegensätzliche Zwecke verfolgen“ (= Kampf). 70 Zu Streit im Gespräch siehe Spiegel (1995) und Gruber (1996). Gegenstandskonstitution 71 Bezogen auf das Pitching, sind alle Aspekte, die Fiehler als konstitutiv für Kooperation anführt, vorhanden. Es handelt sich um (1) eine Arbeitsgruppe von sechs Personen, 71 die (2) gemeinsam eine Filmidee entwickelt, 72 zu der (3) die Anwesenden arbeitsteilig und aus der Perspektive unterschiedlicher Funktionsrollen beitragen. 73 Es geht (4) um das Erstellen eines ‘immateriellen’ Produkts (= Geschichte). 74 Das Pitching wird anhand dieser Definition als Kooperationsform konzeptualisiert und dadurch, auf motivierte Weise, mit anderen sozialen Situationen vergleich- und kontrastierbar, für die die vier oben aufgeführten Definitionskriterien ebenfalls gelten. 75 Ein Vergleich mit anderen Kooperationsformen kann für die Spezifik des eigenen Materials sensibilisieren und dazu beitragen, die konstitutive Fallspezifik des eigenen Materials zu reflektieren. 3.1.3 Die Fallspezifik der untersuchten Kooperationsform Aufgrund der oben geführten konzeptbezogenen Diskussion kann nun die Kooperationsform Pitching in Hinblick auf folgende situationskonstitutive Aspekte, die aus der Auseinandersetzung mit dem umfangreichen ethnographischen Wissen hervorgehen, spezifiziert werden: Inhaltliche Aufgabe: Entwicklung einer Filmidee Die Gruppe arbeitet zusammen an der Lösung einer spezifischen inhaltlichen Aufgabe: Es muss eine Filmidee entwickelt werden, die als Grundlage einer späteren Produktion dient. Erwachsenenbildung Das Pitching kann als Form der Erwachsenenbildung bezeichnet werden, da sich das Filmstudium ausschließlich an Absolventen eines Hochschulstudiums mit längerer Erfahrung im Medienbereich richtet. Die Ausbildung ist als Aufbaustudiengang konzipiert, in dem sich die Studierenden in einer sehr kurzen Zeit, innerhalb von vier Semestern, professionell rasant entwickeln müssen. 71 Entspricht dem „Teilnehmerkreis“ i.S. Fiehlers (1978). 72 Entspricht dem sozialen Zweck („identische Zielvorstellung“ i.S. Fiehlers 1978). 73 Entspricht der „Tätigkeitsverteilung“ i.S. Fiehlers (1978). 74 Entspricht dem „produktiven Aspekt“ i.S. Fiehlers (1978). 75 Hierzu gehören Arbeitssitzungen in einer Unternehmensberatung (Schmitt/ Heidtmann 2002a) ebenso wie z.B. die Produktion eines Filmes am Set (Schmitt 2007b) oder das gemeinsame Auspacken von Kisten nach einem Umzug (Krafft/ Dausendschön-Gay 2007). - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 72 Zusammenarbeit von zwei Dozenten Eine Besonderheit des Pitchings besteht darin, dass immer zwei Dozenten zusammen mit den Studierenden arbeiten und sich in ihrer gemeinsamen Arbeit koordinieren müssen. Lehr-Lern-Diskurs Die Kernaktivität des Pitchings ist die Stoffentwicklung. Die Dozenten demonstrieren durch ihr eigenes Handeln, indem sie die Geschichte stellenweise selbst ausgestalten, wie Filmstoffe entwickelt werden. Zudem vermitteln sie den Studierenden notwendiges Wissen in Form theoretischer Exkurse, in denen sie zentrale Aspekte der zu Grunde gelegten Dramaturgie verdeutlichen. Insofern haben die Pitchings eine gewisse Ähnlichkeit zu schulischen Interaktionszusammenhängen 76 , jedoch eher im Bereich der Projektarbeit als im Zusammenhang mit Frontalunterricht. Arbeitsdiskurs Wenn der Lehr-Lern-Aspekt nicht im Vordergrund steht und die Gesamtgruppe intensiv und konzentriert gemeinsam arbeitet, trägt das Pitching durchaus auch Züge eines Arbeitsdiskurses, wie er beispielsweise in Projektgruppen innerhalb von Unternehmen stattfindet. Ausgedehnte Phasen, die sich primär als Arbeitsdiskurs bezeichnen lassen, sind in den Pitchings jedoch eher selten. 77 Formale Hierarchie und Wissenshierarchie zwischen Dozenten und Studierenden Im Unterschied zu Kooperationssituationen, in denen die Beteiligten auf gleichberechtigte und egalitäre Weise zusammen arbeiten, zeichnet sich das 76 Schon frühe Arbeiten im Bereich der Gesprächsforschung haben sich mit schulischer Kommunikation beschäftigt, jedoch war der analytische Fokus oft auf einzelne interaktive Phänomene gerichtet, nicht auf die kommunikative Spezifik dieser Kommunikationsform (z.B. Gumperz/ Herasimchuk 1973). Arbeiten, welche die kommunikative Spezifik von Lehr-Lern- Situationen herausarbeiten, sind z.B. im Bereich von Ausbildungssituationen Brünner (1987) und Brünner/ Fiehler (1983), sowie im Bereich der Schulkommunikation exemplarisch Ehlich/ Rehbein (1983, 1986) und Spiegel (2006). Arbeiten, die Überblicke über die Forschung zur schulischen Kommunikation geben, sind z.B. Becker-Mrotzek (1993), Paul (1999), Becker-Mrotzek/ Vogt (2001). 77 Da der Arbeitsablauf in den Pitchings selten Züge eines reinen Arbeitsdiskurses trägt, ist für meine Arbeit ein genereller Bezug zum Thema „Kommunikation in Arbeitsgruppen“ an dieser Stelle nicht unbedingt erforderlich. Viele ethnographische und gesprächsanalytische Arbeiten in diesem Erkenntniszusammenhang befassen sich mit Kommunikation in Wirtschaftsunternehmen (siehe z.B. Klein et al. (Hg.) 1991, Drew/ Heritage (Hg.) 1992, Brünner 2000, Becker-Mrotzek/ Fiehler (Hg.) 2002). - - - - Gegenstandskonstitution 73 Pitching durch zwei relevante Aspekte aus, die miteinander in Verbindung stehen: Es existiert eine formale Hierarchie (Schüler vs. Lehrer) und gleichzeitig eine Wissenshierarchie (Schüler = Laie vs. Lehrer = Experte). Die Dozenten sind erfahrene Regisseure bzw. Drehbuchautoren und gleichzeitig Ausbilder mit spezifischen Ausbildungsansprüchen und didaktischen Konzepten. Sie überblicken als erfahrene Lehrer, die schon mehrere Jahrgänge begleitet haben, den gesamten Studienplan und können die einzelnen Pitchings darin verorten. Die Studierenden sind diesbezüglich „Novizen“ und müssen auch das Pitchen sowie die gemeinsame Stoffentwicklung erst unter Anleitung einüben. Die formale Hierarchie und die Wissenshierarchie schlagen sich in Form einer Asymmetrie der Interaktionsgestaltung und Situationskontrolle nieder. Die interaktive Präsenz der Dozenten zeigt sich u.a. in folgenden Punkten: Sie legen Aktivitätsprofile fest (Frage-Antwort-Sequenzen, Dozieren über dramentheoretische Zusammenhänge und Probleme etc.), steuern die Themenentwicklung und kontrollieren das Rederecht. Striktes Zeitlimit Die Pitching-Sitzungen sind strikt auf jeweils drei Stunden begrenzt. Das Ende der Veranstaltung orientiert sich nicht an einem erreichten Arbeitsergebnis, sondern am Ablauf der zur Verfügung stehenden Zeit. Je weiter die Geschichtsentwicklung bis zum Ende der Sitzung fortgeschritten ist, desto leichter haben es die jeweiligen Teams, die folgenden Arbeitsschritte (also die Fertigstellung der Entwicklung) ohne Unterstützung der beiden Dozenten durchzuführen. Funktionsrollenspezifische Zusammensetzung des studentischen Teams Die vier Studierenden entwickeln ihre Geschichte zwar gemeinsam, werden jedoch, sobald diese in ihren Grundzügen steht, in ihre unterschiedlichen Funktionsrollen „Drehbuch“, „Produktion“, „Regie“ und „Kamera“ schlüpfen und z.B. a) das Drehbuch schreiben, b) die Crew zur Realisierung des Films zusammenstellen und die Locations auswählen, c) am Set die Regie übernehmen und d) die kameratechnische Seite betreuen. Im Pitching werden von den Studierenden teilweise rollenspezifische Perspektiven eingebracht. Ein Produktionsstudent fragt beispielsweise bei einer Idee nach, ob man einen so aufwändigen Drehort überhaupt bezahlen kann, ein Kamerastudent reflektiert an anderer Stelle, inwiefern das gewählte Setting auch als Bild interessant ist. - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 74 Die Explikation der situationskonstitutiven Aspekte ist - wie eingangs beschrieben - methodisch relevant für die weitere Gegenstandsdimensionierung, die Suchheuristik, die Orientierung bei der Analyse, aber auch für den longitudinalen Ansatz meiner Untersuchung. Die folgende Auflistung exemplifiziert die Arbeitsschritte, die durch die Fallexplikation unmittelbar beeinflusst werden. Gegenstandsdimensionierung: Hier geht es darum, zu entscheiden, in welchem Umfang, mit welcher Relevanzgewichtung und in welchem Zusammenhang fallspezifische Aspekte interaktionsanalytisch bearbeitet werden sollen (Aspektauswahl und -bündelung, z.B. Fokussierung der hierarchischen Grundstruktur oder der Verquickung von Arbeits- und Lehr- Lern-Diskurs). Suchheuristik: Auf der Grundlage der bei der Gegenstandsdimensionierung ausgewählten Aspekte können die Videoaufnahmen aspektspezifisch gesichtet und eine motivierte Auswahl für die nachfolgende Konstitutionsanalyse getroffen werden (z.B. systematische Analyse des interaktiven Verhaltens der Dozenten). Analyseorientierung: Der konstitutionsanalytische Arbeitsgang erfolgt immer auch bezogen auf die in der fallspezifischen Differenzierung relevant gesetzten Aspekte der Pitching-Situation als Kooperationsform (z.B. Reflexion des analysierten interaktiven Verhaltens der Dozenten unter den hierarchischen Besonderheiten). 78 Longitudital-Ansatz: Die Fallspezifik ermöglicht, motiviert Vergleichsaspekte auszuwählen, die über alle drei Stadien im Studienverlauf analytisch verfolgt werden. Hier stellt sich beispielsweise die Frage, ob die fallspezifischen Aspekte in den jeweiligen Stadien unterschiedlich relevant gesetzt und wie sie kombiniert werden (z.B. Analyse des hierarchie-indikativen Verhaltens der Dozenten während der Stoffentwicklung bei den 5-, 10- und 20-Minüter-Pitchings). 3.1.4 Erster Definitionsversuch: Was ist ein „Pitching“? Die oben aufgeführten situationsstrukturellen Aspekte konstituieren die Fallspezifik des Kooperationstyps „Pitching“. 78 Dieser Bezug zur Gegenstandsdimensionierung verhindert durch die objektbzw. aspekttheoretische Fokussierung, dass die Konstitutionsanalyse zu viel „analytischen Überschuss“ produziert. Zur Vorstellung und methodischen Begründung von „analytischem Überschuss“ siehe Schmitt (2001). - - - - Gegenstandskonstitution 75 Abb. 4: Fallspezifik des Pitchings Aufgrund der situationsstrukturellen Explikation ergibt sich zusammenfassend folgende voranalytische Definition: Das Pitching ist eine auf drei Stunden limitierte, unter hierarchischen Bedingungen stattfindende Mischform aus Lehr-Lern- und Arbeitsdiskurs im Bereich der Erwachsenenbildung, in der vier Studierende unterschiedlicher Studienfächer bzw. Funktionsrollen (Drehbuch, Produktion, Regie, Kamera) mit zwei Dozenten gemeinsam eine Filmidee entwickeln. Der in der Grafik grau gepunktete Kreis soll anzeigen, dass es neben den aufgeführten Aspekten natürlich noch weitere gibt. In Abhängigkeit von denkbaren anderen theoretischen Bezugskonzepten, die nicht unmittelbar mit Kooperation Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 76 im Zusammenhang stehen, können auch andere Aspekte relevant werden. Unter einer Fragestellung, bei der Prozesse der Wissensvermittlung im Vordergrund stehen, müsste z.B. die Nutzung von relevanten Medien (wie Tafel, Flipchart etc.) als situationsspezifischer Aspekt aufgenommen werden. Je nach Forschungsinteresse könnten zu den oben aufgeführten Aspekten aber nicht nur weitere hinzugefügt, sondern die aufgeführten Aspekte auch weiter differenziert werden. Würde mich beispielsweise eine komparatistische Untersuchung zweier ähnlicher Kooperationsformen, wie Pitching und projekt-orientierte Arbeit in schulischen Kommunikationszusammenhängen, interessieren, so müsste der Aspekt „Gruppenzusammensetzung“ spezifischer differenziert werden. Alle für das Pitching aufgeführten Aspekte sind zunächst gleichwertig, die Reihenfolge ihrer obigen Darstellung impliziert keine Relevanzgewichtung. Der Entwurf der situationsspezifischen und -konstitutiven Aspekte ist ein erster notwendiger Schritt zur Methodisierung und Modellierung der empirischen Untersuchung von Pitching als Kooperation. Zur empirischen Untersuchung ist es in einem zweiten Schritt unerlässlich, den Interaktionstyp auch in seiner Ablaufstruktur zu verstehen. Da es aus einer methodischen und ökonomischen Perspektive jedoch nicht realisierbar ist, die dreistündigen Ereignisse als Gesamtkomplexe konstitutionsanalytisch aufzuschließen, müssen zuvor, methodisch kontrolliert, einzelne diesen Kooperationstyp und seine aufgabenstrukturellen Besonderheiten konstituierende Segmente identifiziert werden. Für die Segmentierung hebe ich einen der für das Pitching in der Darstellung der Fallspezifik postulierten Aspekte - aus methodischen Gründen - hervor, nämlich den in der Grafik grau schraffierten Aspekt „Inhaltliche Aufgabe: Entwicklung einer Filmidee“. Die Bearbeitung der inhaltlichen Aufgabe manifestiert sich als Prozess, der aus unterschiedlichen Phasen besteht. Um diesen Prozess in seinem Ablauf zu rekonstruieren und dabei die für die Beteiligten zu bearbeitenden Aufgaben und Anforderungen innerhalb der Ablaufstruktur herauszuarbeiten, werde ich auf den „Handlungsschema-Ansatz“ zurückgreifen (vgl. Kap. 3.2). Die Differenzierung konstitutiver Aufgaben und Anforderungen ist eine Voraussetzung, um reflektieren zu können, ob und inwiefern bei deren Bearbeitung unterschiedliche situationskonstitutive Aspekte in den Vordergrund treten. Beides zusammen, die aspektuelle Detaillierung der situationskonstitutiven Spezifik und das Herausarbeiten des handlungsschematischen Ablaufs, sind Möglichkeiten einer schrittweisen Annäherung an die empirische Untersu- Gegenstandskonstitution 77 chung des Kooperationstyps Pitching: Sie sind der Versuch, einen konzeptuellen Rahmen zu entwerfen, der als zentraler Bezugspunkt für die empirische Analyse der Kooperationsform Pitching dient. 3.2 Pitching als Handlungsschema 3.2.1 Der handlungsschematische Ansatz Seit den 1970er Jahren haben sich viele linguistische Arbeiten sowohl theoretisch 79 als auch empirisch 80 mit der Struktur ‘ganzer’ Gespräche befasst. Anders als zuvor die Sprechakttheorie oder die frühe Konversationsanalyse werden dabei nicht nur einzelne Sätze, Äußerungen oder Sequenzen, sondern komplexe Gesprächsverläufe in den Analysefokus gestellt. 81 In der Gesprächsanalyse ist von Kallmeyer/ Schütze (1976) das Konzept des Handlungsschemas entwickelt worden. Das Erkenntnisinteresse handlungsschematischer Untersuchungen besteht darin, die Struktur komplexer Gespräche zu identifizieren. Dies erfolgt durch die analytische Differenzierung unterschiedlicher in einer spezifischen Relation zueinander stehender Handlungsanforderungen, die von den Beteiligten interaktiv bearbeitet werden müssen. Methodisch betrachtet führt dies zu einer handlungsbezogenen Segmentierung des untersuchten Schemas. In ihrem klassischen Aufsatz zur Konversationsanalyse unterscheiden Kallmeyer/ Schütze (1976) zwei Typen von Handlungsschemata und führen hierfür Beispiele an: Vollausgebaute Handlungsschemata im Sinne alltagsweltlichen Handelns sind etwa: Eine Einladung Aussprechen, einen Vorschlag für gemeinsames Handeln Ablehnen [...] eine Erzählung zum Besten Geben, einen möglichen Schuldvorwurf Abwehren. Neben diesen alltagsweltlichen vollausgebauten Handlungsschemata gibt es auch institutionell-organisatorische: wie z.B. eine Prüfung Durchführen, eine Vernehmung Abwickeln, eine medizinische Untersuchung Vollziehen. (Kallmeyer/ Schütze 1976, S. 16) 79 Siehe z.B. Schank (1981), Hundsnurscher/ Franke (Hg.) (1985), Ehlich/ Rehbein (1972). 80 Siehe z.B. Ehlich/ Rehbein (1986), Nothdurft (1984). 81 Im gleichen Zeithorizont entstanden die Arbeiten von Ehlich/ Rehbein (1972, 1979a) zum Handlungsmuster und von Kallmeyer/ Schütze (1976, 1977) zum Handlungsschema. Für einen Überblick über die Entstehung (z.B. Welche Phasierungsmodelle gibt es, wann sind sie begründet worden, in welchen linguistischen Teil-Disziplinen? ), einzelne Schwerpunktsetzungen (z.B. themenorientierte oder handlungsorientiert strukturierte Phasierung? ) und zu methodischen Reflexionen der unterschiedlichen Ansätze siehe Spiegel/ Spranz-Fogasy (2000, 2001). Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 78 Das Herausarbeiten eines Handlungsschemas erfolgt auf der Basis detaillierter Verlaufsanalysen. Für das Handlungsschema „Beraten“ beispielsweise beschreibt Kallmeyer (1985) das Vorgehen wie folgt: Auf der Grundlage von Beispielfällen [...] kann man durch die Abstraktion von Spezifika des jeweiligen Gesprächsverlaufs, der Expansionen und Reduktionen einzelner Handlungsschritte, sowie spezifischen Besonderheiten der thematischen Struktur, den Bestand an Aufgaben ermitteln, welche die Beteiligten [...] bearbeiten müssen, wenn sie gemeinsam einen Handlungskomplex vom Typ „Beraten“ durchführen wollen. (Kallmeyer 1985, S. 91) Ab den 1980er Jahren ist eine Vielzahl von Arbeiten entstanden, die sich mit institutionell-organisatorischen Handlungsschemata befasst haben. Neben Beratungsgesprächen 82 , die in einem 4-jährigen Forschungsprojekt des IDS Mannheim intensiv untersucht wurden, waren u.a. auch Schlichtungsgespräche, 83 Verkaufsgespräche 84 und Reklamationsgespräche 85 Gegenstand der Untersuchung. Diese Arbeiten zeichnen sich alle dadurch aus, dass sie - neben ihrer institutionellen Verankerung - vornehmlich durch dyadische Teilnehmerkonstellationen (ausgenommen die Schlichtungsinteraktion) mit klar zuzuordnenden Beteiligungsrollen (Ratsuchender, Ratgebender/ Verkäufer, Käufer etc.) charakterisierbar sind. Da ein Handlungsschema als „geteiltes Alltagswissen“ (Gülich 1988, S. 46) bzw. als „kulturell verbreiteter und von den Gesellschaftsmitgliedern gewusster Vorstellungszusammenhang“ (Nothdurft/ Spranz-Fogasy 1991, S. 223) angesehen wird, ist ein Großteil der das Handlungsschema konstituierenden Aspekte voranalytisch prognostizierbar. Dies vor allem deswegen, weil das geteilte Wissen natürlich nicht nur den Interaktionsbeteiligten zugänglich ist, sondern auch den Analytiker(inne)n. Dadurch, dass Analytiker/ innen also sehr weitgehend hinsichtlich gegenstandskonstitutiver Aspekte „vorwissend“ sind, besteht für sie in zugespitzter Weise die Gefahr, bei der analytischen Beschäftigung mit dem empirischen Material in unreflektierter und nicht expliziter Weise auf vorhandenes Wissen zurückzugreifen. Aufgrund der allgemeinen Gegenstandsbestimmung von Handlungsschemata als handlungsförmig ausgeprägtem, kulturell basiertem Wissensbestand unterliegt die Analyse besonders ‘typischer Exemplare’ von Gesprächen („clear 82 Siehe z.B. Kallmeyer (1980, 1985), Nothdurft (1984), Nothdurft/ Reitemeier/ Schröder (1994). 83 Siehe z.B. Schröder (1997), Nothdurft/ Spranz-Fogasy (1991). 84 Siehe z.B. Pothmann (1997, 1998). 85 Siehe z.B. Fiehler/ Kindt/ Schnieders (1999). Gegenstandskonstitution 79 cases“) einer zweifachen Gefahr: Zum einen ist der Umfang und die Qualität tatsächlich neuer Einsichten bei der Untersuchung konkreter Fälle überschaubar, zum anderen ist der konzeptuelle Gewinn der analytischen Beschäftigung zwangsläufig nur in einem begrenzten Rahmen möglich und führt eher zur Konzeptbestätigung bzw. -sättigung als zu weitergehenden Reflexionen. 86 Zu den meisten der oben dargestellten Eigenschaften von bisher handlungsschematisch segmentierten institutionellen Interaktionsformen kontrastiert das Pitching deutlich: Es handelt sich um einen Interaktionstyp, über den kein weit verbreitetes allgemeines Wissen besteht, es ist nicht dyadisch, sondern mehrpersonal strukturiert, es weist zwar unterschiedliche hierarchiebasierte Beteiligungsrollen auf, die Positionen sind jedoch auf Seiten der Lehrenden doppelt, auf Seiten der Studierenden vierfach besetzt. Wenn ich das Pitching trotzdem als Handlungsschema konzeptualisiere, 87 hat dies vor allem zwei Gründe, die auf die oben dargestellten Gefahren der Erkenntniseinschränkung reagieren: Einerseits gibt es jenseits der beschriebenen Unterschiede einen Kernbereich von Übereinstimmungen, der es ermöglicht, den komplexen Interaktionstyp dennoch als Handlungsschema zu konzeptualisieren (siehe Kap. 3.2.1.1). Andererseits ermöglicht gerade die handlungsschematische Rekonstruktion eines komplexen, in vielerlei Hinsicht kontrastiven Interaktionstyps, das Konzept kritisch zu reflektieren und der Konzeptentwicklung durch die bei der Analyse zu erwartenden ‘Widerstände’ neue Impulse zu geben (siehe Kap. 5). 3.2.1.1 Handlungsschematische Segmentierung des Pitchings Die zentralen Definitionsmerkmale eines Handlungsschemas werden im Folgenden dargestellt und immer sogleich auf den Interaktionstyp Pitching bezogen reflektiert. Folgende drei Merkmale, die nach Kallmeyer/ Schütze (1977) für die Durchführung von Handlungsschemata relevant sind, können in den Pitchings nachgewiesen werden. 86 Inwieweit die handlungsschematischen Untersuchungen unterschiedlicher Handlungstypen tatsächlich auf detaillierten gesprächsanalytischen Rekonstruktionen basieren oder lediglich aus einer „Oberflächensequenzierung“ (vgl. Kallmeyer 2000, S. 248) resultieren, wird von Verfasser(inne)n nicht immer angegeben und ist von Rezipient(inn)en nicht überprüfbar, da aufgrund der Datenmenge der eigentliche Analyseprozess in den Untersuchungen nicht oder nur ausschnitthaft abgebildet werden kann. 87 Konversationsanalytische und ethnomethodologisch ausgerichtete Arbeiten, die Arbeitssitzungen, also einen ähnlichen Interaktionstyp, segmentieren und dabei nicht auf den Handlungsschema-Ansatz zurückgreifen, sind: Meier (1997), Bargiela-Chiappini/ Harris (1995), Cuff/ Sharrock (1985), Atkinson et al. (1978) und Peskett (1987). Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 80 1) Der Initiator muß das geplante Schema herauslösen, d.h. gegen andere, vorausgehende oder auch gleichzeitig ablaufende Aktivitäten abgrenzen, und er muß die geplanten Aktivitäten vorgreifend verdeutlichen. Sein Partner - der Rezipient - muß das Schema ratifizieren, d.h. er muß sich ausdrücklich darauf festlegen, seine Rolle im angekündigten Schema zu übernehmen. (Kallmeyer/ Schütze 1977, S. 161) Die Herauslösung des Schemas wird in den Pitchings durch die Dozenten angestoßen, die die Studierenden nach unterschiedlich verlaufenden Anbahnungsund/ oder Eröffnungsphasen zur Präsentation der Geschichte auffordern. Diese Aufforderung wird fraglos von Studierendenseite ratifiziert, wobei die Ratifikation durch die institutionelle Einbindung hochgradig erwartbar ist. 2) Im Schemakern steht eine prinzipiell begrenzte Anzahl von konstitutiven Schritten bzw. Teilaktivitäten. Die Gesamtmenge und die Reihenfolge der Teilaktivitäten ist den Beteiligten in einer Normalformerwartung gegenwärtig. In der praktischen Durchführung ist es nicht unbedingt erforderlich, daß die Normalabfolge eingehalten wird; die konstitutiven Aktivitäten müssen jedoch soweit manifestiert werden, wie es unter den gegebenen Umständen erforderlich ist, um sie auf die Normalerwartung beziehen zu können. (Kallmeyer/ Schütze 1977, S. 161) Für das Pitching existieren spezifische Teilaktivitäten, die als Normalformerwartung vorausgesetzt werden können. Es gilt, die Geschichtsidee zu pitchen, im Anschluss daran den jeweiligen Ablauf der Geschichte weiter zu entwickeln. 3) Handlungsschemata können - je nach der Natur des jeweiligen Schemas - mit einer ausdrücklichen Ergebnisfeststellung enden, sie können aber auch „still“ zu Ende gehen, wenn die Beteiligten übereinstimmend den Eindruck haben, daß die erforderlichen Schritte ausgeführt sind, und keine Sicherung des Ergebnisses notwendig erscheint. (Kallmeyer/ Schütze 1977, S. 161) Das Ende eines Pitchings ist immer erkennbar von weiteren Aktivitäten, wie der Angabe von Terminen für das Team und der Verabschiedung abgrenzbar. Jedoch ist es nicht aufgrund erreichter bzw. durchgeführter Handlungsschritte und deren Resultate motiviert, sondern aufgrund der begrenzten Zeit, die für das gemeinsame Arbeiten zur Verfügung steht. So kann die Entwicklung zwar am Ende des Geschichtsentwurfes aufhören, in den meisten Fällen geschieht dies jedoch innerhalb der zu entwickelnden Geschichte. Hier wird eine Besonderheit des Pitchings deutlich, die es von „klassischen“ Handlungsschemata unterscheidet. Für das Pitching ist keine Struktur der Abgeschlossenheit oder der Gestaltschließung konstitutiv, es ist nicht auf Abschluss und Ergebnis- Gegenstandskonstitution 81 sicherung ausgerichtet. Der immense Stellenwert der auf drei Stunden begrenzten Zeit, der auf den ersten Blick vielleicht merkwürdig erscheint, ergibt sich aus der für das gesamte Studium charakteristischen Simulation harter realitätsnaher Bedingungen der Professionswelt „Film“, welche sich durch eine extreme Zeitknappheit auszeichnet. In dieser Hinsicht ist es konstitutiver Bestandteil des Pitchings - und damit unter der hier eröffneten Perspektive konstitutiver Bestandteil eines Handlungsschemas -, ein offenes Ende zu haben. Gleichwohl ist die Kompatibilität des Pitchings mit den drei von Kallmeyer/ Schütze aufgeführten definitorischen Aspekten - neben der erkennbar aufgaben- und anforderungsbezogenen Segmentierbarkeit des Ereignisses - eine Motivierung dafür, das Pitching unter der für die Handlungsschemarekonstruktion charakteristischen Konzentration auf die verlaufsstrukturelle Spezifik zu betrachten. Das im Folgenden präsentierte Handlungsschema „Pitching“ basiert auf detaillierten Verlaufsanalysen der drei Pitching-Typen. 88 Diese Verlaufsanalysen werden gespeist von meinem voranalytischen Wissen, das ich mir bei der Dokumentation der Pitchings als Protokollantin erworben habe. 89 Zusätzlich wurden anhand von Video- und Tonaufnahmen sowie (in zwei Fällen) anhand des vollständigen Transkripts das Ereignis in seiner gesamten real-zeitlichen Verlaufsstruktur untersucht. Die Verlaufsanalyse führte zur Identifikation der für Pitchings relevanten konstitutiven Kernanforderungen und -aufgaben. Sie hat gezeigt, dass im Ablauf des Ereignisses unterschiedliche, voneinander klar abgrenzbare Phasen identifiziert werden können. Diese Phasen stellen spezifische Handlungsanforderungen an die Interaktionsbeteiligten. Eine erste Gliederung des Interaktionstyps „Pitching“, die sich an den Handlungsaufgaben orientiert, sieht wie folgt aus: Anbahnung/ Eröffnung, Voraussetzungsklärung: Reden über die vorgängige Arbeit, Präsentation des Pitches, Evaluation des Pitches/ Rückfragen, Stoffentwicklung, Beendigung der Pitching-Sitzung. 88 Pitchings für den 5-Minuten-Film, den 10-Minuten-Film und den 20-Minuten-Film. 89 Ich habe bei allen Aufnahmestaffeln den Verlauf der Pitchings detailliert festgehalten. - - - - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 82 Für das Handlungsschema „Pitching“ sind insbesondere die Segmente von Interesse, die seine Spezifik ausmachen und es von anderen Lehr-Lern-Diskursen unterscheiden. Ohne die Anbahnung- und Eröffnungssequenzen sowie die Bearbeitung der Voraussetzungsklärung aus den Augen zu verlieren (zur Analyse dieser Phasen siehe Kap. 4.1, 4.2), 90 möchte ich mich im Folgenden zunächst auf den „Schemakern“ 91 konzentrieren: Präsentation des Pitches, Evaluation des Pitches/ Rückfragen, Stoffentwicklung. Hinsichtlich der ablauflogischen Position der drei schemakonstitutiven Aufgaben wird folgendes deutlich: Die „Präsentation des Pitches“ (durch die Studierenden) und die „Evaluation des Pitches/ Rückfragen“ (durch die Dozenten) sind fest stehende Handlungsaufgaben, die immer zwischen Anbahnung/ Eröffnung sowie Voraussetzungsklärung und Stoffentwicklung zu bearbeiten sind. Zuerst kommt die Präsentation des Pitches durch die Studierenden, danach reagieren die Dozenten darauf. Es sind eindeutig erkennbare und isolierbare Aufgaben, die von den am Pitch- Pitching Beteiligten bewältigt werden müssen. Im Vergleich zum Handlungsschema Beteiligten bewältigt werden müssen. Im Vergleich zum Handlungsschema „Beraten“ (vgl. Kallmeyer 1985) ist die „Präsentation des Pitches“ eine ähnlich deutlich motivierte und konstitutive Aufgabe im Handlungszusammenhang „Pitching“ wie die „Problempräsentation“ im Fall von „Beraten“. 90 Jede Form der Gruppenarbeit bzw. gruppenbasierter Lehr-Lern-Diskurse beginnt mit einer Phase, in der die Teilnehmenden zusammen treffen und in der das Ereignis eröffnet wird. Anbahnung und Eröffnung sind daher keine Indikatoren für ein Pitching. Aus diesem Grund werde ich beides nicht als für die Typik des Pitchings konstitutiv betrachten, gleichwohl können pitching-spezifische Verhaltensweisen innerhalb der Anbahnungs- und Eröffnungsphasen beschrieben werden, die für den Fortgang des Ereignisses relevant sind (vgl. Kap. 4.1). Die Voraussetzungsklärung (Kap. 4.2), in der die vorgängige Teamarbeit und Geschichtsentwicklung von den Studierenden dargestellt wird, steht inhaltlich-thematisch schon eher im Zusammenhang mit der Stoffentwicklung. Jedoch stellt sie keine notwendige Bedingung für diese dar. Sie kommt zudem nicht in allen Pitchings vor. 91 In Anlehnung an Kallmeyer (1985 und 2000) zähle ich zum Kernschema nicht die Herstellung (z.B. wechselseitige Begrüßung) und Auflösung (z.B. Verabschiedung) des Interaktionsereignisses. Damit soll eine Fokussierung auf die zentralen schemakonstitutiven Handlungsschritte erreicht werden. Es existieren jedoch Arbeiten, die den Begriff „Handlungsschema“ in dieser Hinsicht weiter fassen. Dazu gehört z.B. Pothmann (1997), der in dem von ihm entwickelten Handlungsschema von Schuh-Verkaufsgesprächen die „Kontaktherstellung“ und „Beendigung des Verkaufsgesprächs“ explizit integriert (vgl. ebd., S. 59). - - - Gegenstandskonstitution 83 Im Anschluss an die Präsentation des Pitches und die dozentenseitigen Reaktionen darauf findet ein weniger deutlich segmentierter Übergang zur eigentlichen inhaltlichen Arbeit, der Stoffentwicklung, statt. Das Fehlen klarer Segmentgrenzen hängt damit zusammen, dass sich in der Regel aus ersten Fragen zur Geschichte eine intensive Auseinandersetzung mit Details entwickelt, die dann wiederum zu weiteren szenischen Überlegungen und Neuentwicklungen führt. Wo genau der Übergang von „Fragen zum Pitch“ zur „Stoffentwicklung“ stattfindet, kann im Einzelfall analytisch entschieden, nicht jedoch an Äußerungstypen oder Keywords abgelesen werden, wie Keywords abgelesen werden, wie abgelesen werden, wie dies im Fall der Pitch-Präsentation und der auf den Pitch bezogenen Fragen möglich ist. Wenn auch die Segmentgrenzen beim Übergang zur Stoffentwicklung fließend sind, so ist der Handlungstyp „Pitching“ makrostrukturell betrachtet insgesamt sehr gut zu gliedern. Dabei zeigen sich für das Gesamtereignis konstitutive Elemente, die das von Kallmeyer (1985) formulierte „Prinzip der logischen Abfolge“ erfüllen. Allgemein gilt ein Prinzip der logischen Abfolge. Danach können Folgeschritte erfolgreich nur vollzogen werden, wenn die vorangehenden Schritte die notwendigen Voraussetzungen erbracht haben. Fehlende Voraussetzungen müssen nachgeholt werden. [...] Unzureichende Bearbeitungen von Handlungsschritten führen regelmäßig später zu Blockaden, notwendigen Rückgriffen und Korrekturen. So sind viele Turbulenzen in Beratungsgesprächen dadurch zu erklären, daß die Problemdefinition und der Lösungsgegenstand nicht klar genug herausgearbeitet und ausgehandelt worden sind. (Kallmeyer 1985, S. 96) Da jedoch die Stoffentwicklung im Handlungsschema einen besonderen Stellenwert hat, sind die drei herausgearbeiteten konstitutiven Handlungsschritte sehr unterschiedlich gewichtet. Während der Pitch und seine Evaluation nur wenige Minuten der Arbeitszeit in Anspruch nehmen, werden durchschnittlich 95% des Gesamtereignisses durch die Entwicklung der Geschichte geprägt. Die Dominanz der Stoffentwicklung im Pitching kontrastiert deutlich mit Handlungsschemata wie „Beraten“ oder „Verkaufen“, deren Gliederungsstruktur hinsichtlich zeitlicher Dauer und Relevanzverhältnis der einzelnen Komponenten ausgeglichener ist. Statt von einer typischen Aufgabe muss - besonders im Rahmen der Kernaktivität „Stoffentwicklung“ - von einem komplexen Anforderungsbündel ausgegangen werden. Die einzelnen Anforderungen müssen zudem - teils zusammen, teils nacheinander - immer wieder neu bearbeitet werden, so dass es zu Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 84 keiner linearen, sondern zu einer rekurrenten Ablaufstruktur“ kommt. 92 Dies möchte ich anhand einer binnensegmentalen Ausdifferenzierung der Stoffentwicklung verdeutlichen. 3.2.1.2 Die Schemakomponente „Stoffentwicklung“ Die Stoffentwicklung ist in ihrer Genese strikt an der Ablaufstruktur eines filmischen Dramas orientiert. Die einzelnen Entwicklungsschritte der Geschichte sind in einer chronologischen Reihenfolge angeordnet, bei der zu Beginn die erste Szene, dann die zweite Szene etc. entwickelt wird. Diese Reihenfolge ergibt sich aus der für das jeweilige Filmformat (5-, 10-, 20-Minüter) gültigen dramaturgischen Struktur. Diese Struktur stellt eine nichthintergehbare und hochgradig relevante Grundlage bei der Konstruktion einer Geschichte dar. Sie ist Bestandteil der komplexen Dramentheorie, die im Studium von unterschiedlichen Lehrern in verschiedenen Seminaren außerhalb der Pitchings vermittelt wird. Zur Dramentheorie gehören neben dem oben erwähnten fixen Ablaufgerüst des jeweiligen Formats (Anzahl und Anordnung von Szenen, Bildern, Akten etc.) zudem relevante Strukturträger mit spezifischen Potenzialen (z.B. Protagonist und Antagonist), die über ihr Handeln das schematische Gerüst mit Leben füllen. Bei der Konstruktion einer Geschichte muss daher entschieden werden, welcher Strukturträger an welcher schematischen Stelle wie handelt, um was unter welchen Schwierigkeiten zu erreichen (= Antrieb des Handelns: Ziel des Protagonisten, sein Hindernis, die Konsequenzen, die es für ihn hat, wenn er sein Ziel nicht erreichen kann etc.). Die Dramentheorie wird in den Pitchings als grundlegende Orientierung für die Konstruktion einer Geschichte vorausgesetzt, nicht jedoch systematisch eingeführt. Sie wird nur dann explizit zum Thema, sobald für die Dozenten erkennbar wird, dass die Studierenden grundsätzliche dramaturgische Prin- 92 Nothdurft (1984) zeigt für Beratungsgespräche auf, dass die Schemakomponente „Problemdefinition“ ebenfalls keinem linear-temporalisierten Ablauf folgen muss, sondern in bestimmten Fällen so von den Beteiligten ausgehandelt wird, dass es dabei zu mehreren „Runden“ (ebd., S. 113) kommt: Die Beteiligten legen sehr kontrastive Problemdefinitionen zu Grunde, behandeln ihre eigene aber jeweils als „beidseitig anerkannt“. Sie legen dann für ihre jeweilige Problemsicht Lösungsvorschläge vor, deren Bearbeitung aufgrund der divergierenden Sichtweisen scheitert. Anschließend initiieren sie die Problemdefinition auf vergleichbare Weise von Neuem, entwerfen wieder Lösungsvorschläge und stoßen auf die gleichen Grenzen, bis sie sich schließlich explizit zunächst auf „den Weltausschnitt, der als Problem gelten soll“ (ebd., S. 113) einigen und auf dieser Basis dann einen gemeinsamen Lösungsvorschlag entwickeln. Gegenstandskonstitution 85 zipien nicht verstanden haben. 93 Ist dies der Fall, kommt es zu dozierenden dramentheoretischen Vermittlungsexkursen der Dozenten, bei denen das Grundlagenwissen ausführlich dargestellt und an konkreten Beispielen exemplifiziert wird. Diese dramentheoretischen Exkurse haben im Verlauf der Stoffentwicklung eine Sonderstellung, da sie zwar häufig im Pitching vorkommen, aber nicht notwendigerweise immer Bestandteil der Stoffentwicklung sein müssen. Auch an dieser Stelle zeigt sich eine weitere Besonderheit des Pitchings (als Handlungsschema): Es weist mit den dramentheoretischen Exkursen eine fakultative Schemakomponente auf, die - von privilegierten, mit besonderen Zuständigkeiten und Verantwortung ausgestatteten Beteiligten (Dozenten) - bei einer spezifischen Realisierung des Handlungsschemas initiiert werden: Das Pitching ist also ein Handlungsschema, das bei Bedarf Schemakomponenten selbst erzeugt. Zur Verdeutlichung der Komplexität und internen Segmentierung der Stoffentwicklung werden im Folgenden die Verläufe von drei Pitchings, jeweils für den 5-, 10- und 20-Minutenfilm, dargestellt. Hier wird ersichtlich, dass sich während der Stoffentwicklung die aktuelle Problemdefinition und der Bearbeitungsgegenstand ständig verändern. Dies resultiert aus der Orientierung an kleinen Entwicklungseinheiten, die sich auf unterschiedliche dramenarchitektonische Positionen im Verlauf der zu entwickelnden Geschichte und auf die Modellierung der relevanten Strukturträger beziehen. Die erste Segmentierung zeigt Stoffentwicklungs-Phasen am Beispiel eines 5-Minüters: Erste Szene Ziel des Protagonisten (A) Wechsel des Protagonisten (B) Dramentheoretischer Exkurs: Dramaturgisches Schema Erste Szene (mit B) 93 Es wird in den Pitchings nie auf ein bestimmtes Lehrbuch verwiesen (z.B. „Schlagen Sie doch noch einmal den Begriff des Ziels und des Motivs bei XY nach“), sondern die Dramaturgie wird behandelt, als sei sie jedem Anwesenden als Teil seines Allgemeinwissens selbstverständlich gegenwärtig. Im Rahmen der ethnographischen Arbeit habe ich auf die Frage nach der Dramentheorie ein einseitiges Papier mit der Auflistung und kurzen Erläuterung relevanter dramaturgischer Grundbegriffe erhalten (z.B. Ziel des Helden = was will er/ sie erreichen bzw. gewinnen? ). Fast alles, was ich über die Dramaturgie im Filmstudium weiß, habe ich während der Anwesenheit in den Pitchings gelernt, immer dann, wenn die Dozenten sie explizit thematisiert haben. - - - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 86 Dramentheoretischer Exkurs: „Ziel“ Dramentheoretischer Exkurs: „Protagonist“ Ziel des Protagonisten (mit B) Dramentheoretischer Exkurs: „aktiver Protagonist“ Dramentheoretischer Exkurs: „Spannung“ Dramentheoretischer Exkurs: „Verhältnis von Zuschauer und Ziel“ PAUSE What's at stake 94 (B) Dramentheoretischer Exkurs: „Bau von Märchen“ Neuer Protagonist (C) Ziel (von C) Konfrontationsszene (Protagonist und Antagonist) Nach der Beschäftigung mit dem Pitch kommt es zur Rekapitulation der ersten Szene. Hierzu stellen die Dozenten mehrere Fragen an das studentische Team, die von den Studierenden beantwortet werden. Die Fragen am Anfang dienen auch einer allgemeinen Orientierung der Dozenten und ihrer Verständnissicherung. In dieser Phase werden - neben der konkreten Entwicklungsarbeit - die spezifischen Interessen der Studierenden an der von ihnen mitgebrachten Geschichte von den Dozenten zum Thema gemacht. Bei der anschließenden Beschäftigung mit dem „Ziel des Protagonisten“ beginnen die Studierenden, Details ihrer Überlegungen zu explizieren, die im knappen Pitch noch keinen Platz bekommen haben. Hier modellieren sie die Charaktere weiter. Dabei herrschen weiterhin Frage-Antwort-Strukturen vor. Mit dem „Wechsel des Protagonisten“ 95 , einem häufigen Verfahren, mit dem das Potenzial der Figurenkonstellation abgesteckt werden kann, beginnen sich die kreativen Entwicklungsphasen zu vermehren. Es werden neue Ideen präsentiert und die Dozenten beteiligen sich - teils nachfragend, teils selbst Ideen beisteuernd - an der szenischen Gestaltung der Geschichte. 94 Die Frage „What's at stake“ bezieht sich auf die Reflexion dessen, was für den Protagonisten auf dem Spiel steht, wenn er sein Ziel nicht erreicht. 95 Wenn bei der Konstruktion der Geschichte Schwierigkeiten auftreten, beispielsweise wenn das Handeln der Charaktere unglaubwürdig scheint, die Antriebskraft für das Handeln eines Protagonisten als schwach eingestuft wird etc., wird versucht, einen neuen Protagonisten im Kontext des bis dahin entworfenen Dramas einzusetzen. Dieser ist meist eine Figur, die schon zuvor in der Geschichte eine Rolle gespielt hat. Häufig wird bei Paarkonstellationen (Konflikt zwischen Brüdern, Ehepaaren etc.) die Geschichte mit einem der beiden als Protagonist begonnen, zeigt sich dann jedoch mit dem anderen als spannender oder interessanter. - - - - - - - - - - - Gegenstandskonstitution 87 Die Entwicklung der Szenen wird von dramentheoretischen Exkursen abgelöst. Hierbei handelt es sich um monologische Passagen, in denen die Dozenten relevante dramaturgische Konzepte meist an Beispielen erörtern. Die dramentheoretischen Exkurse reagieren auf von den Dozenten als dramaturgisch fehlerhaft eingestufte studentische Entwicklungsvorschläge und problematisieren diese. In den Exkursen vermitteln die Dozenten allgemeine dramaturgische Grundlagen. Je häufiger in der Stoffentwicklung Exkurse vorkommen, desto einseitiger wird die Interaktionsstruktur von den Dozenten geprägt. Die Orientierung an der dramaturgischen Struktur führt zu Rekurrenzen: An jeder dramaturgischen Position (Szene 1, Szene 2 etc.) werden strukturell gesehen immer wieder die gleichen Anforderungen an die Gruppe gestellt: Ideen zum Fortgang der Geschichte müssen in Handlungen der Charaktere ihren konkreten Ausdruck finden. Zur Modellierung der Handlungen ist die Verdeutlichung und Reflexion von Zielen, Motiven und Hindernissen des Protagonisten hilfreich und nötig. Wird eine Entwicklungs- oder Reflexionsetappe zufriedenstellend abgeschlossen, beginnt der nächste Bearbeitungsschritt mit dem gleichen Anforderungs- und Handlungsprofil für die Pitching-Teilnehmer/ innen wieder von vorn. Die zweite Segmentierung zeigt Stoffentwicklungs-Phasen am Beispiel eines 10-Minüters: Protagonist (A) Ziel und Motiv (von A) Auslöser der Geschichte Charakter des Protagonisten Hindernis (von A) Backstory Protagonist Sozialpsychologischer Exkurs: „Charakter des Protagonisten“ PAUSE Backstory (von A) Dramentheoretischer Exkurs: „Drama und Charakter“ Hindernis (von A) Auslöser der Geschichte 2. Akt Geschichtsidee wird verworfen Pitch einer neuen Geschichte Protagonist (A neu) - - - - - - - - - - - - - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 88 Die Anzahl der differenzierbaren Segmente im Pitching für den 10-Minuten- Film ist im Vergleich zum 5-Minuten-Film deutlich reduziert. Dies liegt daran, dass die einzelnen Positionen jeweils wesentlich ausgiebiger behandelt werden. Nur ein einziges Mal kommt es zu einem dramentheoretischen Exkurs. Folglich variieren auch die Beteiligungsformate: Neben Frage-Antwort- Strukturen und monologischen Ausführungen der Dozenten kommt es vermehrt zu Sequenzen, in denen die Studierenden - ohne dass sie durch Fragen dazu aufgefordert werden - gemeinsam mit den Dozenten neue Ideen für den Fortgang der Geschichte entwerfen. In diesen Phasen des Pitchings entfaltet sich eine Dynamik, die die Differenzierung von studentischem Team und Dozenten stark in den Hintergrund treten lässt. Alle Interaktionsbeteiligten sind vielmehr als gemeinsam arbeitende Gesamtgruppe wahrnehmbar. Statusunterschiede werden - zumindest auf der Ebene der Gesprächsorganisation - offensichtlich als nicht relevant behandelt. Aufgrund der Beobachtung kann eine kategoriale Differenzierung der Gesamtgruppe in „Studentisches Team“, „Dozenten“ und „Gesamt-Gruppe“ (= Team + Dozenten) getroffen werden. Abhängig von den zu bearbeitenden Aufgaben im Rahmen der Stoffentwicklung sind unterschiedliche Beteiligungsformationen dominant: Die gesamte Gruppe treibt die Stoffentwicklung und Ideengenerierung voran, die Dozenten beenden die konkrete Stoffentwicklung an unterschiedlichen Stellen und stoßen grundsätzliche Problematisierungen an, auf die das studentische Team bzw. ein Mitglied des studentischen Teams mit Explikationen reagiert. 96 Die Gruppe beschäftigt sich inhaltlich-thematisch intensiv mit dem Charakter des Protagonisten und seiner Backstory und weniger eingehend mit der strukturellen Komposition eines Dramas. Auch in dem einzigen dramentheoretischen Exkurs dieses Pitchings geht es um den „Charakter“. Ein weiterer Exkurs, der ebenfalls den Charakter betrifft, ist sozialpsychologischer Art. Er reagiert auf die Reflexion der Gruppe, ob es aufgrund milieu- und geschlechtsspezifischer Annahmen über den Protagonisten glaubhaft motiviert werden kann, wie er handelt. Der Fokus auf den Charakter, der das Drama in zentraler Weise bestimmt (character driven drama), wird bei allen Pitchings der 10- Minutenfilme deutlich. 96 Die aufgabenbezogene Kategorisierung der Beteiligten in Gruppe, Team und Dozenten werde ich bei allen folgenden Analysen beibehalten. „Team“ und „Gruppe“ werden dann nicht als stilistische Variationsmöglichkeiten des schriftlichen Ausdrucks für „alle Beteiligten“ verstanden, sondern implizieren immer die erarbeitete Differenzierung (Team = nur Studierende; Gruppe = alle Beteiligten). Zu unterschiedlichen Beteiligungsrollen im Handlungsschema siehe auch Kallmeyer (2000, S. 236 u. 237). Gegenstandskonstitution 89 In diesem Beispiel scheitert die Entwicklung der Geschichte aufgrund von Glaubwürdigkeitsproblemen. Das Team erhält von den Dozenten die Gelegenheit, eine neue Idee zu pitchen. Die bisherige Stoffentwicklung wird aufgegeben und stattdessen wird wieder von vorn mit einer neuen Geschichte begonnen, welche wiederum zunächst gepitcht, dann evaluiert wird usw. Die dritte Segmentierung zeigt Stoffentwicklungs-Phasen am Beispiel eines 20-Minüters: Ziel des Protagonisten (A) Wechsel des Protagonisten (B) Exposition der Geschichte und Hauptfrage Wechsel des Protagonisten (zurück zu A) Motiv (von A) Wechsel des Protagonisten (B) erster Akt, Auslöser erster und zweiter Wendepunkt zweiter Akt dritter Akt Die Stoffentwicklung für den 20-Minüter verläuft strukturell gesehen sehr „schlank“. Es kommt nicht zu dramentheoretischen Exkursen und es wird auch keine Pause gemacht. Die oben aufgelisteten Segmente werden ausführlich bearbeitet, wobei die Dozenten nur selten Fragen an das Team stellen. Diese werden von den Studierenden auf eine andere Weise behandelt, als in den vorangegangenen Pitching-Typen: Es ist nicht nur ein Teammitglied, das eine Frage beantwortet, sondern es beteiligen sich oft nacheinander mehrere Studierende mit längeren Ausführungen an der Beantwortung einer Frage. Die Dozenten bringen zudem über weite Strecken viele eigene Entwicklungsideen ein. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass die Gruppe im Gegensatz zu den anderen beiden Beispielen auf eine Pause im Pitching-Verlauf verzichtet. 3.2.2 Ergebnisse der handlungsschematischen Einsichten Unter einer handlungsschematischen Perspektive ist es sinnvoll, das Pitching unter zwei Blickwinkeln zu betrachten: zum einen als Gesamtgeschehen, zum anderen unter Fokussierung der Kernaktivität „Stoffentwicklung“. Der Bereich der Stoffentwicklung, der quantitativ den größten Anteil des Ereignisses ausmacht, ist im Gegensatz zum gesamten Pitching-Geschehen hin- - - - - - - - - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 90 sichtlich seiner Ablaufstrukturen nur sehr eingeschränkt prognostizierbar. Eine ablaufslogische Segmentierung, die sich auf die Differenzierung unterschiedlicher Handlungsanforderungen stützt, ist aufgrund der dargestellten Komplexität und Rekurrenzstrukturen nur sehr begrenzt möglich. Das gesamte Pitching-Geschehen weist jedoch insgesamt klare ablauflogische Handlungsstrukturen auf, die auch bei den unterschiedlichen drei Filmformaten (5-Minüter, 10-Minüter und 20-Minüter) konstant sind. Die Pitchings Pitchings sind also durch die Identifizierung unterschiedlicher konstitutiver Aufgaben (z.B. Präsentation des Pitches, Evaluation des Pitches/ Rückfragen, Stoffentwicklung) eindeutig segmentierbar. Die verlaufsstrukturelle Klärung und die dabei deutlich gewordene Ablauflogik ermöglicht es, für die spätere Konstitutionsanalyse zielsicher Ausschnitte auszuwählen, die für die jeweils zu bearbeitenden Aufgaben der Interaktionsteilnehmer prototypisch sind. Zudem erleichtert sie die Einordnung unterschiedlicher Ausschnitte in den Gesamtzusammenhang „Pitching“, was auch für spätere Interpretationen der Ergebnisse des konstitutionsanalytischen Arbeitsgangs vorteilhaft ist. 3.3 Zusammenfassung Angeleitet durch ethnographische Beobachtungen werden zwei theoretische Bezugsrahmen für die Untersuchung des komplexen Interaktionstyps „Pitch- „Pitching“ ausgewiesen: der Handlungsschema-Ansatz und das Kooperations-Kon- “ ausgewiesen: der Handlungsschema-Ansatz und das Kooperations-Konzept. Die theoretische Auseinandersetzung mit beiden Bezugsrahmen führt zu einer detaillierten voranalytischen Situationsexplikation, die ebenfalls unter Rückgriff auf ethnographische Informationen herausgearbeitet wird: Bei der Modellierung des Pitchings als „Kooperation“ wird dessen situationsaspektuelle Spezifik erschlossen, bei der Modellierung von Pitching als „Handlungsschema“ dessen handlungslogische Spezifik. Diese theoretisch-konzeptuelle Vorklärung ist heuristisch von Bedeutung: Sie motiviert die Auswahl der Ausschnitte für den gesprächsanalytischen Arbeitsgang. Bei der Analyse wird - methodisch kontrolliert - im Rahmen der Interpretation der Befunde ebenfalls auf die Ethnographie zurückgegriffen. So ist der Prozess der Gegenstandkonstitution auf sehr unterschiedlichen Ebenen durch die ethnographischen Einsichten beeinflusst. Die folgende Grafik skizziert in groben Zügen die Abfolge der einzelnen Schritte, die nötig sind, um unter dem gegebenen Erkenntnisinteresse zu einer motivierten Auswahl analytisch relevanter Ausschnitte zu kommen, die gesprächsanalytisch untersucht werden können. Gegenstandskonstitution 91 Abb. 5: Schematische Darstellung der Gegenstandskonstitution Die Analyseergebnisse führen zu einer Reflexion der konzepttheoretischen Vorüberlegungen. Die konstitutionsanalytisch erarbeiteten Ergebnisse wirken zum einen detaillierend, präzisierend und relevanzgewichtend auf die situationsaspektuellen und handlungsschematischen Spezifika des Pitchings zurück (siehe Kap. 4.7). Die Ergebnisse eröffnen zum anderen die Möglichkeit, die theoretischen Konzepte „Kooperation“ und „Handlungsschema“ hinsichtlich ihrer Möglichkeiten, Grenzen und notwendigen Weiterentwicklungen zu diskutieren (siehe Kap. 5). 4. Analysen In diesem Analysekapitel werden die zentralen Aspekte des Pitchings konstitutionsanalytisch und - an ausgewählten Stellen - aus einer multimodalen Analyseperspektive detailliert rekonstruiert. 97 Die Struktur des Kapitels orientiert sich dabei an der handlungsschematischen Abfolge der einzelnen für das Pitching konstitutiven Teilanforderungen. Zuerst wird die Herstellung der Situation - das Einnehmen des Sitzplatzes und die formale Eröffnung - untersucht. Daran schließt sich eine Phase an, bei der über die vorgängige Teamarbeit gesprochen wird und die Voraussetzungen für das gemeinsame Arbeiten eruiert werden. Anschließend kommt es zur ersten pitchingtypischen Teilanforderung, der Präsentation des Pitches, anhand derer die Dozenten über die von den Studierenden in ihrer Vorbereitung entwickelten Geschichte informiert werden. Danach geht die Gruppe zur Ausarbeitung und Weiterentwicklung dieser Geschichte über, d.h. die zentrale Arbeitsphase, die Kernaktivität „Stoffentwicklung“, beginnt. Aus dieser Abfolge ergeben sich folgende vier Teilkapitel: Kapitel 4.1: Herstellung der Situation „Pitching“, Kapitel 4.2: Voraussetzungsklärung, Kapitel 4.3: Präsentation des Pitches, Kapitel 4.4: Stoffentwicklung. Zwei weitere Teilkapitel fokussieren die für die Kooperation der Gruppe relevanten Verhaltensweisen des studentischen Teams und der Dozenten. Dazu gehören die folgenden beiden Teilkapitel: Kapitel 4.5: Zusammenarbeit des studentischen Teams, Kapitel 4.6: Zusammenarbeit der Dozenten. Eine zusammenfassende Darstellung der Analyseergebnisse aus den einzelnen Teilkapiteln findet sich in einem Analysefazit (Kap. 4.7). 4.1 Herstellung der Situation „Pitching“ Bei der im vorangegangenen Kapitel („Gegenstandskonstitution“) dargestellten Anlage der Arbeit sind sowohl in der Auseinandersetzung mit dem Kooperationsbegriff, als auch mit dem Handlungsschema viele das Pitching cha- 97 Eine tabellarische Korpusübersicht, die aufzeigt, aus welchen Pitchings einzelne Ausschnitte für die Analyse entnommen sind, befindet sich im Anhang. - - - - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 94 rakterisierende Aspekte aufgeführt worden. Dabei wurde deutlich, dass das Pitching wesentlich mehr ist, als nur die Bearbeitung der zentralen inhaltlichen Aufgabe bzw. der Kernaktivität „Stoffentwicklung“. Aus diesem Grund beschränken sich die Analysen in dieser Arbeit nicht nur auf die Stoffentwicklung (siehe hierzu Kap. 4.4), sondern berücksichtigen ebenso die Herstellung der Interaktionssituation und den Austausch über die vorgängige Arbeit (Kap. 4.2). Die Situationsherstellung, die in diesem Teilkapitel behandelt wird, zeigt einen engen Bezug zur Stoffentwicklung: Die Aktivitäten der Beteiligten in dieser Phase projizieren bereits die Kernaktivität. Sie etablieren allgemeine Voraussetzungen und Grundlagen für die Bearbeitung derselben und sind dabei antizipatorisch auf potenzielle Anforderungen der Kernaktivität ausgerichtet. Bei der systematischen Durchsicht aller Pitchings wurde zudem deutlich, dass die im Rahmen der Situationsherstellung etablierte Interaktionsmodalität auch im folgenden Ereignisverlauf weiter wirkt. Wird bereits zu Beginn eine lockere Atmosphäre etabliert, so zieht sich diese - auch wenn es zwischenzeitlich kurze „kreative Durststrecken“ in der Stoffentwicklung geben kann - als Grundstimmung durch das gesamte Ereignis. Ist der Anfang hingegen eher träge und schwierig, so gestaltet sich die Stoffentwicklung ebenso. 98 Die Situationsherstellung besteht aus zwei Phasen, die nacheinander realisiert werden: Arrangement des Sitzplatzes Formelle Begrüßung durch einen Dozenten und offizieller Start In der folgenden Analyse wird das Sitzplatzarrangement und die Herstellung des für die gemeinsame Arbeit nötigen Interaktionsraumes 99 aus einer multimodalen Perspektive dargestellt. Die multimodale Analyseperspektive ist notwendig, da ein Großteil der von den Interaktionsbeteiligten eingesetzten Verfahren zur Situationsherstellung nicht hör-, sondern sichtbar ist. Der im Rahmen 98 Auf den Stellenwert von Eröffnungen für den Fortgang interaktiver Ereignisse weist beispielsweise Schiffrin (1977, S. 688) hin: „Opening encounters [...] are a micro-structural Opening encounters [...] are a micro-structural representation of focused interaction - a kind of dramatization in miniature - which can bracket an upcoming encounter by framing precisely that structure which is about to be required.“ “ 99 Zum Konzept des Interaktionsraumes, siehe Mondada (2007): „Das Konzept des Interaktionsraumes lenkt die Aufmerksamkeit auf die räumlichen Arrangements der Körper der Interaktanten und ihre wechselseitige Ausrichtung und damit auf die Verfahren, mit denen sie sich im Hinblick auf ihr gemeinsames Handeln im Raum koordinieren“ (Mondada 2007, S. 55). a) b) Analysen 95 dieser Vorbereitungsaktivitäten stattfindende sprachliche Austausch der Beteiligten ist inhaltlich-thematisch gesehen noch nicht unmittelbar arbeitsbezogen. Das Verhalten der Anwesenden markiert den „vorgängigen“ Status der Aktivitäten. Zur Herstellung einer gemeinsamen Grundlage für die Bearbeitung der Kernaktivität ist die Sitzplatzwahl am gemeinsamen Arbeitstisch und die Einnahme des Sitzplatzes strukturell gesehen die zentrale Komponente der Vorbereitung. Erst wenn alle sitzen - und einen gemeinsamen Interaktionsraum und Aufmerksamkeitsfokus etabliert haben - kann mit der inhaltlichen Arbeit begonnen werden. Die formelle Begrüßung der Studierenden durch den Dozenten Ralf eröffnet das Ereignis offiziell. Sie wird erst vollzogen, wenn beide Dozenten ihre Platzeinrichtungen abgeschlossen haben. Sprachlich wird der Übergang zum offiziellen Teil der Zusammenkunft durch eine förmliche Redeweise markiert. Oft wird diese Phase von dem Dozenten durch eine Grußformel eingeleitet (guten morgen zusammen), selbst wenn sich die Interaktionsteilnehmer einige Minuten zuvor schon bei Eintritt in den Sitzungsraum in einer informellen Modalität begrüßt haben (hi, hallo). Die Begrüßung und offizielle Eröffnung sind immer kurz und formelhaft. Sie werden in dieser Arbeit nicht detailliert analysiert, jedoch als relevante Segmentierung behandelt, die das Arrangement des Sitzplatzes (Kap. 4.1.1) von der Voraussetzungsklärung (Kap. 4.2) trennt. 4.1.1 Arrangement des Sitzplatzes Im Kontext der Pitching-Eröffnung muss zwischen der Sitzplatzwahl und der Einrichtung des Sitzplatzes für die gemeinsame Arbeit unterschieden werden. Die Sitzplatzwahl, die zeitlich gesehen vor der Einrichtung des Sitzplatzes stattfindet, unterliegt einigen Einschränkungen. Zum einen gibt es eine Festlegung durch die Dozenten. Sie sitzen immer nebeneinander und an der gleichen Tischseite. Zum anderen definiert die Kamera Plätze, die zur besseren Sichtbarkeit der Interaktionsteilnehmer frei bleiben müssen. Die Wahl des Sitzplatzes kann in diesem Kapitel nicht detailliert dargestellt werden, da sie meist schon abgeschlossen war, als die Videoaufzeichnung begann. 100 Aus meinem Wissen als beobachtende Anwesende in allen Pitchings kann ich jedoch festhalten, dass die Wahl des Sitzplatzes meist durch das Ablegen von Unterlagen auf dem Tisch geschieht und in einigen Fällen kurz thematisiert oder ausgehandelt wird. Nach der Markierung des Sitzplatzes blei- 100 Darin zeigt sich auch eine Orientierung des Kameramannes auf die erwartbare Kernaktivität. Da zum Zeitpunkt der Aufnahme noch kein spezifisches umfassendes Interesse an den Pitching-Eröffnungen vorhanden war, sind die meisten Aufnahmen erst nach der Belegung des Sitzplatzes entstanden. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 96 ben die Studierenden stehen, bewegen sich im Raum oder verlassen ihn noch einmal kurz. In dieser Phase sind die Dozenten i.d.R. noch nicht anwesend. Ihr Erscheinen im Besprechungsraum und ihre Orientierung auf den eigenen Sitzplatz führen dazu, dass sich alle Studierenden zum Arbeitstisch orientieren und mit der Einnahme ihres zuvor gewählten Sitzplatzes beginnen. Abb. 6: Sitzplatzverteilung Diese Sitzplatz-Einrichtungen sind systematisch auf Video aufgezeichnet. In den meisten Fällen werden sie von mündlichem Austausch einzelner Gruppenmitglieder begleitet. Solche mündlichen Aktivitäten sind strukturell als Vorbereitung auf die Kernaktivität nicht zwingend erforderlich, jedoch sozial relevant, z.B. in Hinblick auf die Etablierung von Atmosphäre oder die Verdeutlichung von Beziehungsstrukturen und hierarchischen Grundlagen. Die folgende Analyse zeigt den Abschluss der Sitzplatzeinrichtungen und die bevorstehende „offizielle Begrüßung“ der Studierenden durch einen Dozenten. Der Ausschnitt beginnt, nachdem bereits alle Gruppenmitglieder am Arbeitstisch sitzen und ihre Unterlagen auf den Tisch gelegt haben. 101 Sie sind 101 In der für die Durchführung der Kernaktivität gewählten Raumeinrichtung ist der Tisch eine zentrale Requisite, der die koordinativen und expressiven Möglichkeiten der Beteilig- Analysen 97 mit Aktivitäten beschäftigt, die sie am Arbeitstisch ausführen (z.B. Blättern in Unterlagen, Schreiben, Glas nehmen). Nur der Dozent Ralf und die Studentin Bea sind noch dabei, ihre Taschen, aus denen sie die Unterlagen geholt haben, zu verschließen und anschließend wieder am Boden abzustellen. Abb. 7: Bereits sitzende Gruppe Der Dozent Ralf ist offensichtlich noch nicht zum Arbeiten bereit. Er muss noch die letzten organisatorischen Dinge zur Einrichtung seines Sitzplatzes durchführen (Tasche verschließen und abstellen). Es kommt zu einer Setting- Talk-Phase, 102 die von einem Studenten (Torsten) initiiert wird, nachdem er sich selbst mit Mineralwasser versorgt hat und die beginnt, nachdem er seine Tasse von sich weg geschoben hat. ten definiert. So sind es weniger proxemische, als vielmehr gestische und dabei auf den oberen Körper bezogene Koordinierungsressourcen, die von den Beteiligten eingesetzt werden und sichtbar sind: Die Ausrichtung des Oberkörpers und die Kopfbewegung bzw. Blickrichtung spielen hier eine zentrale Rolle. 102 Zum setting-talk siehe beispielsweise Maynard (1980), Maynard/ Zimmermann (1984) und Schmitt (1992). Im vorliegenden Material werden die Phasen vor der offiziellen Eröffnung (1992). Im vorliegenden Material werden die Phasen vor der offiziellen Eröffnung des Ereignisses häufig von setting-talk begleitet, der entweder die Situation im engen Sinne betrifft (d.h. auf Aspekte reagiert, die im Raum wahrnehmbar sind), oder aber mit dem „Pitching“ bzw. „Filmstudium“ als für die aktuelle Situation relevanten Kontext zu tun hat. Im vorliegenden Fall wird die gerade durchgeführte Getränkeversorgung von Torsten thematisch aufgegriffen, indem er sich zu seinem Trinkverhalten äußert. Mirivel/ Tracy (2005) haben vergleichbare Situationen als „premeeting talk“ unter einem thematisch-funktionalen Erkenntnisinteresse untersucht und differenzieren aufgrund der Gesprächsinhalte „small talk“, „work talk“, „meeting preparatory talk“ und „shop talk“. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 98 # 10/ 04-06/ Motorrad 103 TO: dass ich das nicht bemerke↓ deswegen wenn ich tagsüber zu TO: wenig trinke↑ das passiert ja↓ * dass ich dann TO: nachts * so=ne flasche zwischendurch trinke↓ RA: +nachts↑ Während der Äußerungsrealisierung sind Torstens körperliche Verhaltensweisen auf das Sortieren der auf dem Tisch befindlichen Unterlagen ausgerichtet. Er beschäftigt sich dabei ausgiebig mit dem vor ihm liegenden Heft. Abb. 8: TO schiebt Tasse vor Abb. 9: TO öffnet Heft TO: deswegen 104 wenn ich tagsüber zu wenig trinke↑ Abb. 10: TO nimmt einige Seiten Abb. 11: TO blättert vor TO: das passiert ja↓ * dass ich dann 103 Die Transkriptnamen kennzeichnen die Aufnahmestaffel, den Ausbildungsjahrgang und die jeweilige Pitchinggruppe durch ein Schlagwort aus der entwickelten Geschichte. „10/ 04-06/ Motorrad“ bedeutet, dass es sich um ein Beispiel aus einem 10-Minüter-Pitching des Jahrgangs 2004-2006 handelt, in dem es um eine Motorradgang geht. Die Teamzusammensetzung wird aus Gründen der Anonymisierung nicht veröffentlicht. Alle Transkriptausschnitte beziehen sich so lange auf die angegebene Staffel, bis eine neue Kennzeichnungsziffer aufgeführt wird. 104 Abbildungen in Transkripten beziehen sich immer auf den im Transkript jeweils fett markierten Äußerungsteil. Analysen 99 Abb. 12: TO blickt zur Seite Abb. 13: TO blättert zurück TO: nachts * echt so=ne flasche zwischendurch trinke↓ Das Hin- und Herblättern (Abb. 11-13) scheint durch eine Suche nach unbeschriebenen Seiten motiviert zu sein. Offenbar ist der vordere Teil des Heftes bereits beschrieben. Diese Suche erklärt, warum Torsten während seiner Äußerung intensiv in das Heft blickt. Nur ein einziges Mal schaut er kurz in eine andere Richtung, nämlich während seines Hinweises, dass er nachts Wasser trinkt (siehe unten). TO: ich dann nachts * so=ne flasche zwischendurch TO: trinke↓ ja nachts- RA: +nachts↑ Dieser Seitenblick, erst direkt links/ unten neben sich (nachts), dann gleitend weiter nach links/ horizontal (*) stellt inszenatorisch die nächtliche Suche des Wassers direkt nach dem Aufwachen dar. Torsten strukturiert seine Äußerung insgesamt durch den Einsatz minimaler inszenatorischer Mittel, primär Kopfbewegungen und damit zusammenhängend auch Blickveränderungen. Die relevante Information, dass er nachts Wasser trinkt, wird dadurch darstellerisch untermauert. Auch die kurze Mikropause (*) in der Äußerungsrealisierung nach dem Wort nachts trägt zur Akzentuierung dieser Information bei. Obwohl er also primär mit seinem Heft beschäftigt ist, trägt die Äußerung durch den inszenatorischen Aspekt reduzierte Hinweise auf eine potenzielle Ad- Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 100 ressatenorientierung. Jedoch ist Torsten ganz offensichtlich nicht auf der Suche nach einem bestimmten Adressaten. Er richtet keinen (Kontroll-)Blick in die Gruppe, sondern liefert ein unspezifisch adressiertes Angebot, bei dem er nicht aktiv sicherstellt, dass es jemand in der Runde aufgreift. Das Angebot hat keine klaren gesprächsorganisatorischen Implikationen, sondern funktioniert gänzlich auf der Grundlage einer deutlichen Präferenz für Selbstwahl. Anders als in anderen Kontexten (siehe beispielsweise beim Filmset, Schmitt 2007) kann sich Torsten jedoch nicht auf ein Modell grundsätzlicher Mitadressierung verlassen, bei dem sich die relevanten Adressaten auf der Grundlage einer bestimmten funktionsrollenbedingten Zuständigkeit ‘automatisch’ selbst wählen. Die Anschlussimplikationen der „Wasser-Geschichte“ im aktuellen Kontext der Transition von Beendigung der Herstellungsphase zur offiziellen Eröffnung der Arbeitssitzung sind also eher schwach und vom Sprecher selbst in ihrer Relevanz zurückgestuft. Gleichwohl kommen zwei Reaktionen auf Torstens Beitrag: Zum einen eine kurze Nachfrage von Ralf (+nachts ↑ ), zum anderen ein Kommentar von Hans (da hat man=n trockenen mund ne). Man kann also festhalten, dass nur die Dozenten, jedoch kein Mitglied des studentischen Teams reagieren. TO: trinke↓ ja nachts- RA: +nachts↑ HA: |da hat man=n trock|enen mund ne TO: |wach ich auf | ja Beide Dozentenreaktionen beziehen sich auf den von Torsten auch darstellerisch relevant gesetzten Aspekt des nächtlichen Trinkens (obwohl weder Ralf noch Hans auf die körperliche Darstellung reagiert haben). Beide Reaktionen sind jedoch knapp und nicht auf Expansion angelegt, sondern kommentieren und gratifizieren lediglich die Ausführungen des Studenten, entwickeln sie jedoch thematisch nicht weiter. Dies korrespondiert auch mit der Reaktion von Torsten. Ralfs Nachfrage veranlasst ihn nicht zu weiteren Explikationen, sondern er bestätigt nur kurz, dass er tatsächlich nachts aufwacht ( ja nachtswach ich auf ). Hans' Hinweis auf den trockenen mund bestätigt er ( ja), 105 ebenfalls ohne darauf weiter einzugehen. Offenbar sind alle Beteiligten auf eine knappe Bearbeitung des Setting-Talks orientiert. Angesicht des bereits erreichten Standes der Situationsherstellung und des unmittelbar bevorstehen- 105 Solche knappen Reaktionen ( ja, mhmh etc.) werden in der Literatur als „minimal responses“ beschrieben. Eine Darstellung verschiedenster Arbeiten zum Themenkomplex „minimal responses“ bietet Fellegy (1995), die sich auch mit der Funktionalität dieser Ausdrucksformen befasst. Interessant im Rahmen der hier dargestellten Analysen ist das Potenzial dieser Ausdrucksformen, thematischen Expansionsverzicht zu dokumentieren. Analysen 101 den Arbeitsbeginns ist der Expansionsverzicht und die verbale Zurückhaltung eine klare Orientierung auf den offiziellen Anfang. Inzwischen sind auch Ralf und Bea, die beiden, die als letzte Gruppenmitglieder noch ihre Taschen arrangiert haben, ebenfalls am Tisch eingerichtet. Während alle anderen Gruppenmitglieder, ebenso wie der verbal aktive Torsten, jeglichen Blickkontakt mit anderen Interaktionsbeteiligten vermeiden (für eine detaillierte Darstellung der Verhaltensweisen siehe unten), ist Ralf auf den Sprecher fokussiert. Noch während er seine Tasche auf dem Boden abstellt, wendet er seinen Kopf direkt in Torstens Richtung. Danach richtet er sich auf und berührt mit beiden Händen seine Mappe, ohne dabei die Kopfausrichtung zu verändern. Mit kurzen Blicken begleitet er das Öffnen und Arrangieren seiner Mappe, während er danach immer wieder längere Zeit direkt zu Torsten schaut. Die folgenden Bilder zeigen Ralfs Kopfbewegungen. TO: das nicht bemerke↓ deswegen wenn ich tagsüber TO: zu wenig trinke dann das passiert TO: ja↓ * dass Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 102 TO: ich dann nachts * TO: so=ne flasche zwischendurch TO: trinke↓ ja nachts- RA: +nachts↑ TO: |wach ich auf | ja HA: |da hat man=n trock|enen mund ne Ralfs kurze Blicke auf die Unterlagen, die die Orientierung auf den Sprecher immer wieder ablösen, sind im Vergleich zu den Blicken zum Sprecher viel kürzer. Er richtet sich primär auf den Sprecher aus und ordnet diesem Wahrnehmungsaspekt seine intrapersonellen Koordinierungsaktivitäten unter Analysen 103 (Platzieren und Aufschlagen der Mappe). 106 Die Möglichkeit, sich auf den Sprecher auszurichten, hat sicherlich mit dem Abschluss seiner Arrangiertätigkeiten zu tun. Nachdem die Tasche unter dem Tisch verstaut wurde, beansprucht die Platzierung und das Aufschlagen der Mappe nur noch wenig Aufmerksamkeit. Auch wenn es zunächst paradox anmutet: Ralf zeigt sich implizit arbeitsbereit, weil er sich auf den Studenten konzentrieren kann und signalisiert gerade dadurch eine Präferenz für die Beendigung der verbalen Aktivitäten. Diese Präferenz wird auch durch Handbewegungen verstärkt. Beispielsweise fährt er, während Torsten spricht, zwei Mal mit der linken Hand von oben nach unten über eine Papierseite, als würde er ungeduldig warten („mit den Hufen scharren“). Ralfs kurze Rückfrage ( + nachts ↑ ) erfolgt schnell im direkten Anschluss an Torstens Äußerung, jedoch mit Blick auf seine Unterlagen und nicht zu Torsten. Durch die besondere Form der Blickorganisation wird die Rückfrage in ihrer Relevanz herabgestuft und damit verdeutlicht, dass eine expandiertere Bearbeitung der Thematik nicht präferiert ist. Sein letzter Blick zu Torsten, als dieser auf seine Frage antwortet, wird von einem Monitoring-Blick zu den anderen Studierenden abgelöst. Am Ende von Hans' Kommentar (da hat man=n trockenen mund ne) und der Bestätigung des Studenten ( ja), hebt Ralf seine linke Hand einige Zentimeter an und lässt sie wieder hörbar fallen. Anschließend, als niemand mehr spricht, nimmt er die Mappe hoch, klappt die beiden Außenseiten der Deckel aneinander (aus DIN-A3- wird DIN-A4 -Format), platziert die Mappe hörbar wieder auf dem Tisch und legt schließlich geräuschvoll seine Stifte auf die Mappe, während er ein deutliches und lautes Gliederungssignal (gut) 107 äußert. 106 Zur Differenzierung von intrapersoneller und interpersoneller Koordination siehe die Darstellung von Deppermann/ Schmitt (2007) zu Grundformen der Koordination. 107 Boden (1994) befasst sich mit Eröffnungen von Meetings und verweist auf die Relevanz von Übergangsmarkierungen für deren interne Segmentierung: „[…] a general orienting a general orienting pattern, in the immediate opening section, is an assessment of attendance and/ or proposal to ‘get started’, which is typically prefaced by standard topic transition markers such as: so, okay, uh, ehm.“ (S. 96). Siehe auch Meier (1997) zum Verwendungskontext von „so“. (S. 96). Siehe auch Meier (1997) zum Verwendungskontext von „so“. - - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 104 Ralfs Verhaltensweisen, die auf den Abschluss des Setting-Talk ausgerichtet sind, korrespondieren sehr gut mit den zuvor beschriebenen Merkmalen, die von Seiten des Sprechers dazu beitragen, seinem Beitrag einen subordinären Status zu verleihen (keine Expansionsorientierung, keine Fremdwahl, kein Blickkontakt und dadurch keine explizite Adressierung). Auch von den übrigen Studierenden wird diese Orientierung auf den Abschluss des Setting-Talk bzw. auf den nahenden Übergang zum Arbeiten ‘gespiegelt’. Alle drei sind während Torstens Äußerung bereits am Sitzplatz eingerichtet, verändern jedoch ihre jeweiligen Körperausrichtungen mehrfach. Impulse, die schließlich dazu führen, in einer Arbeitshaltung an den Tisch zu rücken, sind nicht auf den Sprecher Torsten bezogen, sondern reagieren offensichtlich auf die oben beschriebenen Verhaltensweisen des Dozenten Ralf. Insbesondere das hörbare Fallenlassen der linken Hand auf die Mappe, das deutliche Zusammenklappen, das geräuschvolle Ablegen der Stifte und schließlich die Äußerung des Gliederungssignals (gut) sind markante Stellen, die zu einer Veränderung der Körperpositur hin zu einer Arbeitshaltung bei den Studierenden führen. Von Hans, dem anderen Dozenten, gehen keine Koordinierungsimpulse für die Studierenden aus. Hans schreibt während des gesamten Ausschnitts. Selbst als er seinen Kommentar (da hat man=n trockenen mund ne) äußert, bleibt er in dieser Position, bewegt weder Oberkörper noch Kopf. Eine kurze methodische Anmerkung: Es ist eine aus der Analyse motivierte Entscheidung, die Standbilder, die die Veränderungen der Körperpositionen der Studierenden abbilden (siehe unten), nicht - wie etwa erwartet - mit dem Transkript zu verbinden. Verbalität, also primär das sprachliche Verhalten des Setting-Talk betreibenden Studenten Torsten, ist hier nicht die Modalitätsebene, auf die die Verhaltensweisen der Studierenden zu beziehen sind. Es ist vielmehr der spezifische Umgang des Dozenten Ralf mit den zur Arbeit relevanten Objekten (Tasche, Mappe und Stift). Die Manipulation dieser arbeitsrelevanten Objekte funktioniert im gewissen Sinne als ‘gestikulatorischer Countdown’, bei dem die Studierenden sehen können, dass es jetzt gleich mit der Eröffnung und dann im Anschluss mit der gemeinsamen Arbeit losgehen wird. Dieser fallspezifische Zusammenhang führt in der anschließenden Darstellung dazu, dass die Standbilder der Studierenden nur in Hinblick auf Ralfs (bereits detailliert dargestellte) Verhaltensweisen kommentiert und nicht mit dem Transkript synchronisiert werden. Analysen 105 Wann rücken die Studierenden also an den Tisch und zeigen sich arbeitsbereit? Karl schreibt schon in seinen aufgeschlagenen Block, während Ralf seine Tasche abstellt und noch während er seine Mappe arrangiert (Abb. 14). Sein Verhalten scheint zunächst nicht mit der ihn umgebenden Interaktion koordiniert zu sein: Nach dem Schreiben blättert er einige Seiten um und richtet sich auf. Er schließt seinen Füller (Abb. 15), behält ihn zunächst noch in der rechten Hand und greift dann mit beiden Händen gleichzeitig die vor ihm befindlichen Unterlagen (mit der rechten Hand einen Block, mit der linken Hand eine Mappe, Abb. 16), hebt sie einige Zentimeter an, legt sie einige Zentimeter weiter nach links und blättert in seinem Block. Als Ralf seinen Monitoringblick in die Runde beendet und seine linke Hand hörbar auf den Tisch fallen lässt, setzt Karl seinen rechten Ellenbogen auf dem Tisch auf und führt die rechte Hand, in der er noch immer den Stift hält, kurz zum Mund (Abb. 17). Abb. 14-16: Während Ralf seine Tasche abstellt und seine Mappe arrangiert, schreibt Karl, schließt seinen Füller und blättert in seinem Block Abb. 17: Nach Ralfs Monitoringblick zu den Studierenden stützt Karl seinen Ellenbogen am Arbeitstisch auf Bea verstaut zunächst, wie Ralf, ihre Tasche, benötigt dazu aber etwas länger als der Dozent. Während Ralf seine Mappe auf dem Tisch arrangiert und aufschlägt, lehnt sich Bea, die ihre Unterlagen bereits auf dem Tisch platziert hat, sitzend weit vom Tisch zurück und ist ca. 8 Sekunden lang mit ihrem Haar beschäftigt (Abb. 18). Dabei blickt sie gelegentlich zu Ralf. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 106 Während Ralf seine Mappe zusammenklappt und diese geräuschvoll auf den Tisch legt, setzt sich Bea - 1,4 Sekunden später als Karl - nach vorn, stützt ihren rechten Ellenbogen auf den Tisch, wobei sie mit der linken Hand ihren Stift berührt (Abb. 19). Abb. 18: Während Ralf seine Tasche abstellt und seine Mappe arrangiert, ist Bea ausgiebig mit ihrer Frisur beschäftigt Abb. 19: Als Ralf seine Mappe zuklappt und geräuschvoll auf den Arbeitstisch legt, stellt Bea mit beiden Armen Tischkontakt her und berührt mit der linken Hand einen Stift Peters Verhaltensweisen gliedern sich in fünf Phasen. Während Ralf seine Tasche verstaut, berührt Peter mit der linken Hand sein linkes Ohr und die Haare an der linken Kopfseite (Abb. 20). Als Ralf seine Mappe auf dem Tisch arrangiert, nimmt er sein Glas und trinkt (Abb. 21). Danach wendet er sich der Kamera zu (Abb. 22), um anschließend auf den Bildschirm des Notebooks zu blicken (Abb. 23). Als Ralf schließlich seine Mappe geräuschvoll auf den Tisch platziert und während er hörbar die Stifte darauf ablegt, setzt sich Peter - 0,9 Sekunden später als Bea - ebenfalls nach vorn und stützt den linken Unterarm auf den Tisch (Abb. 24). Die Abbildungen (Abb. 17, 19, 24) verdeutlichen, dass alle Studierenden zu dem Zeitpunkt, als Ralf erkennbar seine Einrichtungsaktivitäten am Tisch beendet, durch das Ablegen eines oder beider Arme auf dem Tisch eine Arbeitshaltung einnehmen. Analysen 107 Abb. 20-23: Während Ralf seine Tasche und seine Mappe arrangiert, berührt Peter sein Ohr, trinkt, blickt zur Kamera und zum Bildschirm seines Notebooks Abb. 24: Als Ralf Stifte und Mappe geräuschvoll ablegt, stützt Peter seinen Ellenbogen am Arbeitstisch auf Während sie sich deutlich mit den Verhaltensweisen des Dozenten koordinieren, zeigen alle Studierenden keine Reaktionen, die auf das verbale Setting- Talk-Angebot ihres Kommilitonen Torsten beziehbar sind. Dies ist eine inter- Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 108 essante Beobachtung, die von unmittelbarer Relevanz für die Rekonstruktion der Orientierungen der Studierenden im Kontext der aktuellen Situationsherstellung ist. Im Rahmen der Pitching-Sitzungen präsentieren sich die Studierenden als Teams, die gemeinsam für die Filmidee und deren Bearbeitung verantwortlich sind. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass sie Torstens Äußerung ganz offensichtlich noch nicht bereits als Teil der inhaltlichen kollektiven Leistung bzw. Anforderung interpretieren. Der fehlende Bezug auf Torsten signalisiert, dass sie sich noch nicht bei der Durchführung der Kernaktivität, bei der sie als Team agieren müssen, befinden, sondern in einer der Kernaktivität vorgelagerten Phase, für die die interaktive Verpflichtung wechselseitiger Unterstützung und gemeinsamer Verantwortung noch nicht besteht. Die Studierenden zeigen an, dass es für sie sitzplatzorganisatorisch nichts mehr zu tun gibt. Ihre Aktivitäten können als „doing waiting“ oder „doing being ready to start“ charakterisiert werden. 108 Insbesondere die lang ausgedehnten Selbstberührungen, das Trinken oder die Beschäftigung mit den Arbeitsutensilien lassen sich gut unter einer solchen Perspektive zusammenfassen. Die Aktivitäten sind erkennbar in die Relevanzen der Situation eingepasst und relativ zu den Anforderungen der Situation und der erwartbaren Kernaktivität gestaltet. Die Art der körperlichen Präsenz in der Phase des Wartens auf den Start symbolisiert gleichsam die Arbeitsbereitschaft der Studierenden und reagiert auf ihren hierarchischen Status. Sie selbst führen keine situationsstrukturierenden Aktivitäten durch, sondern engagieren sich in detailliertem Monitoring, um sensibel auf die Strukturierungsaktivitäten der Dozenten (den „Countdown“) reagieren zu können. 109 Nach dem Gliederungssignal ( gut) begrüßt Ralf die Studierenden offiziell und stellt eine erste Frage: 108 Das Warten bzw. das Anzeigen der Arbeitsbereitschaft werden in Anlehnung an Sacks (1984b) als „doing waiting“ bzw. „doing being ready to start“ konzeptualisiert. Warten wird „doing being ready to start“ konzeptualisiert. Warten wird somit verstanden als konkretes, situationsgebundenes, interaktives Verhalten, mit dem die Interaktionsbeteiligten auf relevante Situationsanforderungen reagieren: „So I am not going to be talking about an ordinary person as this or that person […] but as something that is the way somebody constitutes oneself, and, in effect, a job that persons and the people around them may be coordinatively engaged in, to achieve that each person of them, together, are ordinary persons.“ (Sacks 1984b, S. 415). “ (Sacks 1984b, S. 415). (Sacks 1984b, S. 415). (Sacks 1984b, S. 415). 109 Die Studierenden signalisieren durch ihr Verhalten auf unterschiedliche Weise, dass sie für die gemeinsame Arbeit zur Verfügung stehen. Zum Display von Availability siehe Heath (1982). Zum Display-Konzept allgemein siehe Kap. 2.2. Zur Diskussion des Display-Konzeptes aus seiner multimodalen Perspektive und in Mehr-Personen-Konstellationen siehe Heidtmann/ Föh (2007). Analysen 109 TO: guten morgen RA: ‹gut› gut=n morgen↓ PE: (…) BE: |guten morgen↓ | KA: |>guten morgen<| RA: zusammen↓ ** äh erzählt uns doch mal bitte wo ihr RA: steht als team↓ * wie- * ihr- * gearbeitet habt↑ Nach dem ersten Teil seiner Begrüßung (guten morgen) blickt er von links nach rechts und wieder zurück, so dass er alle mindestens einmal direkt angeschaut hat. Erst danach realisiert er den zweiten Teil (zusammen) und blickt wieder vor sich auf die Unterlagen. Zwischen dem ersten und zweiten Teil seiner Begrüßung grüßen die Studierenden zurück und blicken dabei direkt zum Dozenten. Ralfs Blicke führen dazu, dass die Studierenden ihre selbstbezogenen Aktivitäten beenden und sich auf den Dozenten orientieren. Neben den Blicken und kurzen Blickkontakten bei der Begrüßung ist der Umgang mit den auf dem Tisch befindlichen Objekten interessant. Torsten nimmt seinen Stift kurz vor der Begrüßung zur Hand, Bea legt während der Begrüßung ihre linke Hand auf das vor ihr liegende Papier und schiebt es etwas vor sich. Karl öffnet seinen Füller wieder (Abb. 25), den er gerade zuvor in der Wartephase geschlossen hatte und zieht zwei lange Striche auf dem Papier (Abb. 26) Abb. 25-26: Karl während Ralfs Begrüßung Die Studierenden manipulieren Objekte, die für ihre Partizipation an der Kernaktivität relevant und symbolisch markiert sind, und stellen mit ihren Händen - dem zentralen Werkzeug, um aktiv in die menschliche Umwelt einzugreifen - Kontakt zu diesen her. Alles ist auf den Anfang der gemeinsamen Arbeit ein- und hergerichtet: Papier und Stift sind für Notizen, bereits beschriebene Blätter können Informationen für den zu bearbeitenden Stoff enthalten. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 110 Das Verhalten der Studierenden in dieser Transitionsphase lässt sich jedoch adäquat nur als gegenläufige Gesamtdynamik beschreiben. Komplementär zur Orientierung hin auf relevante Arbeitsobjekte steht nämlich die Orientierung weg von zusätzlich auf dem Tisch befindlichen Objekten, die zwar das Arbeiten angenehmer machen, selbst jedoch nicht unmittelbar für die Arbeit gedacht sind: Tassen und Gläser, Mineralwasserflaschen, Zuckerdose und Milchpäckchen. Mit der Begrüßung schiebt beispielsweise Bea ihr Wasserglas von sich weg, Ralf hatte direkt nach der Begrüßung das Milchpäckchen und Torsten schon während seiner Äußerung sein Wasserglas von sich weg geschoben. 110 Diese funktional-symbolische Manipulation der unterschiedlichen Objekte 111 (was unmittelbar zum Arbeiten gebraucht wird, wird relevant gesetzt, was nicht unmittelbar gebraucht wird, wird etwas weg geschoben) ist - neben der offiziellen mündlichen Begrüßung - ein weiteres multimodales Aufzeigeverfahren zur Markierung des Übergangs von einer Phase, die sich durch eine multifokale und noch weitgehend arbeitsentlastete Interaktionsstruktur auszeichnet hin zu einer Phase, die durch eine monofokale Interaktionsstruktur gekennzeichnet ist und für die eine manifeste Orientierung auf den Beginn der gemeinsamen Arbeit konstitutiv ist. Und es ist eine modalitätsspezifische Ressource, auf die alle Beteiligten zurückgreifen (mit Ausnahme von Hans, der die ganze Zeit mit Schreiben beschäftigt ist): Ralf, der Dozent, benutzt das Verfahren primär zur Situationsstrukturierung und als eine Art Vorankündigung der kommenden Eröffnung; die Studierenden nutzen das Verfahren, um ihre Koordinierung mit der Orientierung des Dozenten als relevanter Fokusperson 112 zu symbolisieren. Im Rahmen relevanzhochgestufter Wahrnehmungswahrnehmung hat die kollektive Realisierung dieses sequenziell organisierten und systematisch aufeinander bezogenen Verdeutlichungsverfahrens die Qualität einer ‘stillschweigenden Aushandlung’. Die Beteiligten zeigen sich damit im Kontext der bereits sehr weit entwickelten Situationsherstellung wechselseitig an, dass sie nunmehr alle für den Start bereit sind. Als Ergebnis dieser Aushandlung realisiert Ralf die offizielle Begrüßung und startet damit den arbeitsbezogenen verbalen Austausch. 110 Zum Einsatz relevanter Objekte in einer Besprechung siehe beispielsweise die Handhabung von Keksschachteln und Aluminiumfolie bei Streeck (1996). 111 Siehe hierzu auch Goffman (1963) zu „focused gatherings“. 112 Das Konzept „Fokusperson“ und deren „koordinative Relevanz“ ist von Schmitt/ Deppermann (2007) zur Beschreibung der herausragenden Position der Funktionsrolle „Regisseurin“ am Film-Set entwickelt worden. Die Fokusperson „steht im Zentrum der Monitoringaktivitäten: Alle Funktionsrollen und Mitarbeiter am Set müssen beobachten, in welchem Arbeitszusammenhang die Regisseurin gerade involviert ist, um ihre eigene Arbeit möglichst antizipatorisch strukturieren und „timen“ zu können.“ (ebd., S. 109f.). Analysen 111 4.1.2 Zusammenfassung Die Analyse der Situationsherstellung aus einer multimodalen Perspektive zeigt, dass lange vor der formellen, d.h. sprachlichen Situationseröffnung mittels Begrüßungs- oder anderen Eröffnungsritualen bereits Interaktion zwischen den Beteiligten stattfindet. Bei der Analyse dieses - der pragmatischthematisch bestimmten fokussierten Interaktion vorgängigen - Geschehens wird deutlich, dass die Situation „Pitching“ zum einen von allen Beteiligten gemeinsam hergestellt und strukturiert wird; zum anderen, dass die Art und Weise der Herstellung bereits die spätere Kernaktivität projiziert. Der aktuell erreichte Stand der Situationsherstellung hat für alle Beteiligten eine weitgehend übereinstimmende Projektivität, die sich nicht nur auf die Spezifik des nächsten Handlungszusammenhangs, sondern auch auf die zeitliche Einschätzung bezieht, wann dieser Zusammenhang aktualisiert wird. 113 Der auf die Kernaktivität bezogene Status der Herstellungsphase als „sehr nahe dran“ oder „unmittelbar davor“ wird von den Beteiligten durch unterschiedliche Verhaltensweisen symbolisiert, wobei die dabei eingesetzten Ressourcen eine relativ klare interne Gliederung der Herstellungsphase erlauben. Die realisierten Verhaltensweisen machen eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen dem allgemeinen Involviert-Sein in vorbereitende Aktivitäten, das noch Platz für andere, nicht unmittelbar arbeitsassoziierte Aktivitäten zulässt, und dem manifesten Warten auf den offiziellen Start möglich. Ad 1) Allgemeines Involviert-Sein in vorbereitende Aktivitäten: In dieser Phase können Themen behandelt werden, die zwar aus Aspekten der aktuellen Situation motiviert sind, selbst jedoch Ereignisse bearbeiten, die die Situation transzendieren. Setting-Talk stellt dabei die primäre thematische Ressource dar. Durch unterschiedliche Formen der Relevanzrückstufung bei der interaktiven Bearbeitung solcher Setting-Talk-Themen wird der subordinierte Status dieser Aktivitäten im Vergleich mit der zentralen Vorbereitung auf die Arbeit ausgedrückt. 113 Die projektive Qualität von Interaktion ist für die Konversationsanalyse ein konstitutiver Untersuchungsaspekt (stellvertretend Sacks/ Schegloff/ Jefferson (1974) und Schegloff (2006); siehe weiterhin Streeck (1995), Selting (2000) und Krafft/ Dausendschön-Gay (i. Dr.)). 1) 2) Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 112 So enthält die interaktive Bearbeitung des Mineralwasser-Themas auf unterschiedlichen Ebenen Relevanzrückstufungen: Die Beiträge des Studenten sind relativ leise gesprochen, nicht auf Expansion angelegt, ohne Anschlussprojektionen, ohne gesprächsorganisatorische Implikationen in Richtung Fremdwahl und etablieren keine konditionellen Relevanzen. Der Sprecher ist zudem während seiner verbalen Aktivitäten auf seine Unterlagen orientiert, er hat keinen Blickkontakt zu anderen Gruppenmitgliedern. Es handelt sich eher um ein ungerichtetes „to whom it may concern“-Angebot, als um eine ernsthafte thematische Offerte zur interaktiven Bearbeitung. Auch die reduktionistischen dozentenseitigen Reaktionen auf die Äußerung konvergieren mit den studentischen Relevanzsetzungen: Es handelt sich um eine „Einwort-Nachfrage“ und einen kurzen Einwurf. Beide Reaktionen werden ohne körperliche Hinwendung auf die Studierenden formuliert, und es gibt auch keinen Blickkontakt. Insgesamt verweist die Art der Themenbearbeitung auf den bereits erreichten Stand der Situationsherstellung. Sie zeigt durch eine nicht-projektive Anlage den Entwicklungsstand der Situationsherstellung als unmittelbare Vorbereitung der gemeinsamen Arbeit an, wodurch die Bereitschaft für den folgenden Aktivitätswechsel gesichert bleibt. Ad 2) Manifestes Warten auf den offiziellen Start: Die Phase verbaler Aktivitäten wird von einer Phase abgelöst, in der die schon zum Arbeiten bereiten Teilnehmer - während sie auf Gruppenmitglieder warten, die noch etwas Zeit für ihre eigene Vorbereitung benötigen - verdeutlichen, dass sie sich für die unmittelbar bevorstehende Eröffnung bereit halten. In diesem Zusammenhang können zwei Arten von Vorbereitungsaktivitäten differenziert werden: obligatorische Vorbereitungsaktivitäten, wie das Einrichten des Sitzplatzes und fakultative Vorbereitungsaktivitäten, wie das Bewegen der Unterlagen, das Öffnen und Verschließen von Stiften etc. Vor allem mit letzteren Aktivitäten, die eine Form von „doing waiting“ darstellen, signalisieren die Beteiligten (in erster Linie sind dies die Studierenden) deutlich ihre Bereitschaft zum inhaltlichen Arbeiten. Alle von den Studierenden eingesetzten Verfahren reagieren auf eine „paradoxe Anforderung“: Die Interaktionsteilnehmer handeln, ohne durch ihr Handeln Aktivitätsprojektionen und interaktive Konsequenzen zu etablieren. Ihr Handeln ist punktuell und ohne weitgehende zeitliche Erstreckung bzw. ohne Aufmerksamkeitsforderung. Die spezifischen Aktivitäten sind dazu geeignet, Analysen 113 solche paradoxen Erfordernisse zu erfüllen: Sie können jederzeit abgebrochen werden, nehmen keine bzw. kaum Aufmerksamkeit in Anspruch und signalisieren damit ein Bereithalten für die jederzeit mögliche, bevorstehende formale Eröffnung. Die verstärkte Orientierung der Studierenden auf den bevorstehenden offiziellen Beginn des Ereignisses zeigt sich besonders darin, dass alle verhältnismäßig schnell und auf vergleichbare Weise auf die nonverbalen Gliederungssignale des Dozenten (das deutliche Fallenlassen einer Hand, das Zuklappen der Mappe und das geräuschvolle Platzieren der Mappe) als unmittelbare Startvorbereitung reagieren: Sie stellen mit einem Arm Kontakt zum Tisch, dem zentralen Arbeitsbereich, her. Die formelle Begrüßung durch den Dozenten, mit der er die Phase der Situationsherstellung beendet und den Übergang zur tatsächlichen inhaltlichen Arbeit herstellt, wird von mehreren Gruppenmitgliedern durch die Manipulation relevanter Objekte begleitet: Arbeitsrelevante Objekte werden berührt (Stifte, Papiere), Objekte, die nicht unmittelbar für die Arbeit von Bedeutung sind (Tassen, Getränke) werden beiseite geschoben. Im ethnomethodologischen Verständnis ist dies der letzte lokal spezifische Zug in der wortlosen, kollektiven Aushandlung des geeigneten Zeitpunktes der offiziellen Begrüßung durch den Dozenten: Dieser wird - eher symbolisch als pragmatisch implikativ - von den Studierenden übereinstimmend bestätigt. 4.2 Voraussetzungsklärung Im Folgenden werden drei Beispiele vorgestellt, die sich auf Aktivitäten unmittelbar nach der offiziellen Begrüßung beziehen. Es handelt sich dabei um die Klärung von Voraussetzungen für die gemeinsame Arbeit: In allen Ausschnitten sind die vorgängige Teamarbeit und deren Ergebnisse, d.h. die von den Studierenden entwickelte Geschichte/ entwickelten Geschichten, thematisch. In der Terminologie Schegloffs (1968) handelt es sich bei der Thematisierung der vorgängigen Arbeit um die Bearbeitung eines „first topic“. 114 114 Während im Rahmen der von Schegloff untersuchten dyadischen Telefoninteraktionen das „first topic“ eher lokal begrenzt initiiert und bearbeitet wird („A promising candidate as a A promising candidate as a general first topic might seem to be the ritual inquiry ‘How are you? ’ or some common vari- ’ or some common varior some common variant of thereof.“, Schegloff 1968, S. 1078), kann die Bearbeitung der Voraussetzungsklärung “, Schegloff 1968, S. 1078), kann die Bearbeitung der Voraussetzungsklärung als erstes Thema nach der offiziellen Begrüßung im Pitching sehr expandiert behandelt werden. Außerdem unterscheidet sie sich von den von Schegloff beschriebenen Aktivitäten durch ihren deutlichen Kernaktivitätsbezug. Sie projiziert bereits die folgende Stoffentwicklung und kontextualisiert sie, beispielsweise durch Informationen über die Qualität und mögliche Probleme der Geschichte. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 114 Die Beispiele zeigen unterschiedliche Realisierungsformen der Voraussetzungsklärung, die sich insbesondere hinsichtlich der Initiierung und der Beteiligungsstruktur unterscheiden. Die ersten beiden Beispiele zeigen den Umgang der Studierenden mit einer von einem Dozenten initiierten Voraussetzungsklärung. Im ersten Beispiel (Kap. 4.2.1) wird diese Voraussetzungsklärung durch einen einzelnen Teamsprecher, im zweiten Beispiel (Kap. 4.2.2) vom gesamten studentischen Team bearbeitet. Im dritten Beispiel (Kap. 4.2.3) findet keine dozentenseitige Initiierung der Voraussetzungsklärung statt. Eine Studentin organisiert sich jedoch selbstbestimmt einen Rahmen, um relevante Informationen über die vorgängige Arbeitsweise des Teams darzulegen. 4.2.1 Teamsprecher bearbeitet dozentenseitige Initiierung Der folgende Ausschnitt zeigt die in Kap. 4.1 während ihrer Sitzplatzeinrichtung dargestellte Gruppe im direkten Anschluss an Ralfs Begrüßung. Ralf fordert die Studierenden auf, vor dem Pitchen Aussagen über den vorgängigen Arbeitsprozess zu machen: # 10/ 04-06/ Motorrad RA: äh erzählt uns doch mal bitte wo ihr steht als RA: team * wie- * ihr- * gearbeitet habt Die offenen Fragen (erzählt uns doch mal bitte wo ihr steht als team wie- * ihr- * gearbeitet habt) lassen den Studierenden weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten. Sie können selbst entscheiden, welchen der Aspekte sie bearbeiten, worüber sie in diesem Rahmen berichten und wer dies auf welche Weise tut. Der Student Torsten, der bereits im Rahmen der Sitzplatzeinrichtungen sprachlich mit einem Setting-Talk-Angebot aktiv war, greift von den aufgeführten Aspekten des Dozenten den ersten ( RA : wo ihr steht als team) auf und geht zunächst auf den „Stand des Teams“ ein. 115 TO: ja als tea″m stehnwir bisschen ähm- ** nicht vor TO: dem nichts aber hinter dem nichts 115 Im gesamten Korpus zeigen sich oft solche Fälle: Studierende, die in der Anbahnungs- und Eröffnungsphase schon aktiv sind, kommen im folgenden Pitchingverlauf vergleichsweise oft zu Wort bzw. werden häufiger von den Dozenten adressiert als diejenigen, die sich verbal zurückgehalten haben. Torstens Funktionsrolle als „Produzent“ kann ein Grund dafür sein, dass er als Teamsprecher agiert und niemand anderes aus dem Team die Sprecherrolle übernimmt: Einige (nicht alle) der Produktionsstudent(inn)en interpretieren ihre Zuständigkeit als Teamverantwortliche und vertreten ‘ihr Team’ entsprechend nach ‘außen’. Analysen 115 Torsten lehnt sich in seiner Antwort (als tea“m stehn wir) an die vorgängige Äußerung des Dozenten (wo ihr steht als team) an. Er formuliert bildbzw. formelhaft (nicht vor dem nichts aber hinter dem nichts) und lässt dabei Probleme mit der Geschichtsentwicklung (das nichts) erkennen, die er jedoch als in der aktuellen Situation bereits überwunden darstellt (hinter dem nichts). 116 Der Student nutzt seine Äußerung nicht nur, um Auskünfte über das Team zu geben, sondern auch, um sich selbst darzustellen und zwar als formulierungs- und sprachgewandter Teamsprecher, der diplomatisch auf die Frage eingehen kann. Beide Dozenten kommentieren seine Darstellung positiv. HA: ›verständlich↓‹ RA: LACHT Im Folgenden erklärt Torsten, wie die Filmstoffe entstanden sind und geht damit zu Ralfs zweiter Frage (wie ihr gearbeitet habt) über. TO: also wir ähm * hab=n bei #theo wild# einen stoff K #BEKANNTER FILMEMACHER# TO: entwickelt äh mit dem wir irgendwie en bisschen äh TO: nicht weiter gekommen sind oder vielmehr uns nicht TO: drauf einigen konnten wie wir weiter * damit verfah“ren Als Ausgangspunkt seiner Erklärungen rekurriert Torsten auf das Stoffentwicklungsseminar bei dem externen Dozenten Theo Wild, das alle Teams in Vorbereitung auf dieses Pitching durchlaufen haben. Er gibt an, aus welchem Grund das Team in der aktuellen Situation keinen Stoff aus dem Wild-Seminar vorstellen wird: mit dem wir irgendwie en bisschen äh nicht weiter gekommen sind. Die Begründung für die Abwahl des zuvor mit dem externen Dozenten bearbeiteten Stoffes ist auf eine Weise formuliert (irgendwie en bisschen äh), die die Information, das Team sei nicht weitergekommen modalisieren. Anschließend konkretisiert der Student das „Nicht-Weiterkommen“: oder vielmehr uns nicht darauf einigen konnten wie wir weiter * damit verfah“ren. In dieser Beschreibung der zurückliegenden Arbeit verweist er auf divergente Perspektiven der Teammitglieder, die im Laufe der Geschichtenentwicklung (wie wir weiter * damit verfah“ren) entstanden sind. Hierbei ist er sachlich 116 Vor dem nichts kann implizit auf die Schwierigkeit verweisen, überhaupt eine Geschichte zu entwickeln. Nach dem nichts ist zwar eine Geschichte vorhanden, d.h. das Problem der Stofffindung ist überwunden, welche Qualität jedoch die Geschichte hat, bleibt offen. Wenn sich der Student in seiner Äußerung spielerisch auf ein Zitat von Walter Ulbricht bezieht („Gestern standen wir am Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter“), so kann das nach dem nichts durchaus als problematisch verstanden werden. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 116 und fokussiert ausschließlich den Arbeitserfolg: Er thematisiert keine interpersonellen Probleme im Team, es erfolgen keine Schuldzuweisungen, seine Darstellung ist nicht emotional aufgeladen und er stellt das aufgeführte Problem als ein kollektives dar. 117 Torstens bisherige Ausführungen dienen auch als Begründung der anschließenden Information, das Team habe in den letzten tagen noch mit etwas neuem angefangen: TO: und haben da″nn eigentlich in den letzten tagen noch TO: mit etwas neuem angefangen mit einer neuen idee die TO: vorher schon- * im raum stand Die Neuigkeit des mitgebrachten Stoffes kann ein impliziter Hinweis auf den aktuellen Arbeitsstand und die Qualität des kommenden Pitches für die Dozenten sein: Man darf nicht zu viel von ihm erwarten. Anders als bei einem Stoff, der schon mit Theo Wild intensiv bearbeitet wurde, kann eine neue Idee aufgrund der mangelnden Bearbeitungszeit nur rudimentär entwickelt sein. Nach der Bearbeitung der durch die Dozentenfrage etablierten konditionellen Relevanz expandiert Torsten aktiv und selbstbestimmt seine Äußerung, indem er einen Vorschlag zur Vorgehensweise beim Pitchen unterbreitet. Er teilt den Dozenten mit, welche Stoffe das Team gern pitchen würde und wer 118 aus dem Team dies in welcher Reihenfolge tun könnte: TO: mit einer neuen idee die vorher schon- * im raum TO: stand und würden diese gerne als erstes pitchen- RA: hmhm TO: das würde der peter machen↓ die wild-idee da TO: gibt=s zwei″ richtungen eigentlich also da sind TO: wir noch nicht ganz übereins↓ ** äh HOLT LUFT TO: äh das würde zunächst der karl machen da gibt=s 117 Dies ist ein relevanter Aspekt, der auch für die Orientierung der Dozenten zentral ist: In vielen Teams bestehen zwischenmenschliche Probleme, die, wenn die Studierenden nicht professionell mit ihnen umgehen können, den Arbeitsprozess im Pitching weitgehend hemmen können (vgl. Kap. 4.5). Rein inhaltliche Divergenzen, die die Beziehungsgrundlagen nicht tangieren, können hingegen oft als produktive Ressourcen für die Stoffentwicklung fungieren. 118 Durch den Verweis auf bestimmte Zuständigkeiten werden alle Teammitglieder von Torsten „aufgestellt“ und nacheinander benannt. Auch wenn sie sich mündlich bisher nicht beteiligt haben, sind sie zumindest alle über ihre Namen präsent. Analysen 117 TO: allerdings noch ne variante zu der bea gerne was sagen TO: würde- * und was ich noch äh da halt noch fa″lls TO: wir soweit kommen so“llten das=is eine dramaturgieübung TO: * die also zumindest ähm zwei″ von uns ganz witzig fanden TO: * die wir im äh dramaturgie zwei seminar gemacht haben↑ RA: hmhm TO: +einfach nur um zu gucken ob das strukturell TO: funktioniert- * und das wäre praktisch de: der dritte TO: stoff falls wir mit den ersten beiden scheitern TO: sollten Die selbstbestimmte Festlegung von zu pitchenden Stoffen, ihrer Rangfolge, studentenseitiger Verantwortlichkeiten und der Reihenfolge ihrer Präsentation zeigt, dass sich das Team im Vorfeld Gedanken über das Pitching gemacht hat. Der Verweis auf den „Rettungsanker“ (das wäre praktisch de: der dritte stoff falls wir mit den ersten beiden scheitern sollten) verweist auf eine teamseitige Antizipation möglicher Probleme in der Pitching-Situation. Ralf ratifiziert Torstens Vorschläge (>gut<), kommt jedoch zunächst auf den mehrfach von Torsten angesprochenen Aspekt zurück, im Team gäbe es keine Einigkeit bezüglich der Stoffe. RA: >gut< aber es gibt keine einigkeit über eine RA: geschichte die ihr besonders li“ebt↑ Ralf fokussiert mit der Thematisierung der einigkeit genau den Aspekt, den Thorsten zuvor mehrfach erwähnt hatte: oder vielmehr uns nicht darauf einigen konnten wie wir weiter * damit verfahren da gibt=s zwei“ richtungen eigentlich da sind wir noch nicht ganz übereins die also zumindest ähm zwei“ von uns ganz witzig fanden Ralfs zusammenfassende paraphrastische Frage (aber es gibt keine einigkeit über eine geschichte die ihr besonders lie“bt) zeigt an, dass es für ihn ein relevanter Aspekt ist, zu wissen, wie die Teammitglieder zu den Geschichten stehen. 119 Torsten verneint Ralfs Frage und spezifiziert die „Koalitionstypik“ innerhalb seines Teams: 119 Dies ist für die dozentenseitige Orientierung auf die folgende Arbeit in vielerlei Hinsicht bedeutsam: Wenn das gesamte studentische Team hinter einer Geschichte steht, so ist die - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 118 TO: nee es gibt eigentlich immer so ne drei- * drei leute TO: mögen da eine und da machen sie |(... ...)| so dass es RA: |okay↓ | TO: sich quer verschiebt ›immer↓‹ Beide Dozenten reagieren darauf jedoch nicht negativ, sondern verständnisvoll ( RA : gut; HA : >das is nicht unnormal<). Anschließend fordert Ralf, der schon die offizielle Begrüßung und die Frage nach dem Stand eingeleitet hatte, die Gruppe auf, zu pitchen, woraufhin Peter, der als Verantwortlicher für den ersten Stoff von Torsten eingeführt ist, direkt mit der Darstellung der Geschichte beginnt. 4.2.2 Gesamtes Team bearbeitet dozentenseitige Initiierung War im vorangegangenen Beispiel nur ein Teammitglied sprachlich aktiv, beteiligen sich in dem folgenden Ausschnitt alle Teammitglieder. Ralf fragt sie explizit nach dem Stofffindungsseminar bei Theo Wild. # 10/ 04-06/ Hochzeit RA: wie wart ihr- *2* bei theo wild wie erfolgreich Seine Frage nach dem Erfolg hat, im Vergleich zur wesentlich neutraleren Frage nach dem Stand im Team (vgl. Kap. 4.4.1), bereits positive Implikationen und verdeutlicht eine spezifische Hypothese: Ralf verhält sich dem Team gegenüber, als gehe er davon aus, dass es erfolgreich war, lediglich die Größe des Erfolges (wie) ist spezifizierungsbedürftig. Das Gesprächsangebot des Dozenten eröffnet für dieses Team unterschiedliche thematische Möglichkeiten. Es kann über den Verlauf des Wild-Seminars reden, über dessen Ergebnisse, über die mitgebrachten Stoffe aus dem Wild-Seminar etc. Ralfs Frage wird im direkten Anschluss zunächst von Frederick, dann von den anderen Studierenden beantwortet. Wahrscheinlichkeit, dass diese für alle Beteiligten zufriedenstellend weiterentwickelt werden kann, recht groß. Wenn nicht alle Studierenden die Geschichte vertreten, ist der Entwicklungsprozess schwierig, weil neben der kreativen Anstrengung zusätzlich Überzeugungsarbeit geleistet bzw. latenter Widerstand gegen eine nicht-geliebte Geschichte überwunden werden muss. Das Verhältnis der Studierenden zu ihrer Geschichte kann potenziell auch das dozentenseitige Engagement in den drei Arbeitsstunden beeinflussen. Wenn Teams offensichtlich „für ihre Geschichte brennen“, sieht man auf Seiten der Dozenten eine deutlich höhere Bereitschaft, selbst in verstärktem Maße Ideen und Entwicklungsvorschläge beizusteuern. Analysen 119 RA: wie wart ihr- *2* bei theo wild wie erfolgreich FE: mittel VI: mittel bis ganz |(...)| FE: |ja | mittel mittel gerade die struktur RA: aha FE: wir haben ganz weit (unten) angefangen LACHT und MO: guys I think you have nothing LI: ich äh LACHT RA: |der ist doch sowieso| MO: but three times nothing could LI: |war der erste satz | RA: |LACHT | FE: |ja | MO: be something |meinte er noch| *3* und das war |unser| MO: ausgangspunkt Beim Lesen des oben abgebildeten Transkripts kann man ein eingespieltes Quartett 120 assoziieren. Jedes Teammitglied spielt seinen Part und ergänzt die anderen, ohne sich selbst dabei in den Vordergrund zu drängen. Gesprächsorganisatorisch zeigen sich viele Simultanpassagen, die keine Konkurrenzen um Redegelegenheiten sind, sondern sehr „eng getaktete“ Turn-Übernahmen mit inhaltlich-thematisch gleichsinnigen Anschlüssen. Die erste Antwort auf Ralfs Frage nach dem Erfolg ist die knappe Einschätzung von Frederick (mittel), die im sofortigen Anschluss mittels Wortwiederholung gleichsinnig von Viktoria aufgenommen wird (mittel bis ganz ...). Leider ist der Abschluss ihrer Äußerung unverständlich, da Frederick simultan hierzu mit einem zustimmenden ja fortfährt und weiter ausführt, wie mittel zu verstehen ist (mittel mittel gerade die struktur wir haben ganz weit (unten) angefangen). Er rekurriert auf die Struktur der Geschichte und signalisiert damit, dass sich die Studierenden mit der relevanten Dramaturgie auseinander gesetzt haben. 120 Der Rückgriff auf Metaphern aus der Musik (wie „eingespieltes Quartett“) zur Beschreibung und Verdeutlichung sprachlicher Verhaltensweisen ist in der Linguistik keine Seltenheit. Schwitalla (1993) spricht beispielsweise von „fugalem Sprechen“ und „chorischem Sprechen“ zur Charakterisierung der Redeweise mehrere Interaktionsbeteiligter. Nothdurft/ Schwitalla (1995) kategorisieren mündliche Kommunikation sogar ganz allgemein als „gemeinsames Musizieren“. Die abwechselnde Beteiligung aller Studierenden mit gleichsinnigen Beiträgen an der Darstellung der vorangegangenen Teamarbeit kann in Anlehnung an Mandelbaum (1987) als ‘shared telling’ bezeichnet werden. Mandelbaum analysiert, wie zwei Personen gemeinsam anderen Anwesenden von vorgängigen Erlebnissen berichten und dabei eng aufeinander orientiert sind („[...] produce the appearance of being ‘with’ each produce the appearance of being ‘with’ each other.“, ebd., S. 164). .“, ebd., S. 164). Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 120 Im direkten Anschluss an Fredericks Aussage, das Team habe ganz weit (unten) angefangen, belegt Mirko dessen Einschätzung durch ein englischsprachiges Zitat des Dozenten Theo Wild: 121 guys I think you have nothing. Er selbst kontextualisiert seine Äußerung jedoch nicht als Zitat. Dies übernimmt - nachdem sie ihre eigene Äußerungsprogression aufgegeben und kurz über Mirkos Äußerung gelacht hat (ich äh LACHT ) - die Regiestudentin Lisa (war der erste satz) 122 . Mit ihrem Hinweis war der erste satz ordnet sie Mirkos Äußerung in zweierlei Hinsicht ein. Zum einen markiert sie, dass es sich bei seiner Äußerung um eine Redewiedergabe handelt, zum anderen verortet sie diese zeitlich. Die gewählte Form zur Markierung der Redewiedergabe, die nicht auf ein verbum dicendi zurückgreift und keine personale Referenz enthält, fokussiert nicht die zitierte Person, sondern die temporale Spezifizierung des Zitates als erste[n] satz. Dieser Verweis auf den Beginn der Arbeit mit Theo Wild ist bereits durch Frederick ( ganz weit (unten) angefangen) angelegt und wird im Folgenden von Mirko semantisch nochmals aufgenommen (und da war unser ausgangspunkt). Alle drei Hinweise auf den Anfang relativeren die eingangs durchgeführte Evaluation, der Erfolg bei Theo Wild sei mittel gewesen. Denn wenn der Anfang weit (unten) bzw. nothing war, muss das jetzige Produkt mindestens gut sein, damit die Gesamtwertung nach einfachen logischen Grundsätzen als mittel bezeichnet werden kann. 121 Der Dozent ist einer der vielen ausländischen Experten, bei denen die Unterrichtssprache Englisch ist. 122 Die Fortführung der Äußerung durch eine zweite Sprecherin ( MO : guys I think you have guys I think you have nothing; ; LI : war der erste satz) ist an die von Lerner (1991) und Díaz/ Antaki/ Collins (1996) gemachten Beobachtungen zur gemeinsamen Äußerungsproduktion anschließbar, unterscheidet sich jedoch auch in einigen Aspekten von ihnen. Lerner (1991) spricht von „joint joint production“ („to jointly produce a single syntactic unit“, S. 441), wobei ein erster Äuße- “, S. 441), wobei ein erster Äußerungsteil (Sprecher A) einen zweiten Äußerungsteil projiziert, der von Sprecher B im direkten Anschluss realisiert wird. Die Projektion ist entweder inhaltlich (z.B. „prefaced disprefaced disagreement“, S. 453) oder strukturell (bei zweiteiligen Äußerungsformaten, wie z.B. Wenn- , S. 453) oder strukturell (bei zweiteiligen Äußerungsformaten, wie z.B. Wenndann-Strukturen) basiert. Díaz/ Antaki/ Collins (1996) sprechen von „collective formulation“ collective formulation“ “ (S. 525), die sich im Gegensatz zu den von Lerner beschriebenen Strukturen dadurch auszeichnet, dass es nach der Fortführung durch einen zweiten Sprecher zusätzlich eine dritte Strukturkomponente gibt: die Ratifizierung des zweitens Teils durch Sprecher A. Lisas Ergänzung (war der erste satz) wird erst realisiert, nachdem sie zunächst eine eigene Äußerung begonnen hat (ich äh), diese jedoch abbricht, um über Mirkos Zitat zu lachen. Erst danach schließt sie an Mirkos Äußerung an. Hier findet kein „weicher“ direkter Sprecherwechsel statt, wie Lerner ihn beschreibt. Eine Ratifikation von Mirko erfolgt ebenfalls nicht. Mirkos Äußerung ist zudem nicht projektiv im Sinne Lerners. Lisa behandelt sie jedoch als ‘kontextualisierungsbedürftig’ und liefert so in der gemeinsamen rekonstruierenden Darstellung der vorgängigen Arbeit einen für das Verständnis der Dozenten relevanten Hinweis. Analysen 121 Auch Mirkos Ergänzung (but three times nothing could be something meinte meinte er noch), die er nun selbst mittels eines verbum dicendi als Redewiedergabe ausweist, impliziert, dass aus dem Seminar mit Theo Wild Teamergebnisse vorliegen, die potenziell (could ) „etwas sind“ (could be something). Ohne sich selbst explizit zu loben, gelingt es den Teammitgliedern zu vermitteln, dass sie eine gute Geschichte zum Pitching mitgebracht haben. Durch ihre spezifische Bearbeitung der konditionellen Relevanz etablieren die Studierenden eine positive, spaßig-lockere Atmosphäre. Unter diesem Aspekt ist es interessant, das Transkript noch einmal hinsichtlich des Lachens der Gruppenmitglieder zu betrachten: FE: |ja | mittel mittel gerade die struktur VI: mittel bis ganz |(...)| RA: aha FE: wir haben ganz weit (unten) angefangen LACHT und MO: guys I think you have nothing LI: ich äh LACHT RA: |der ist doch sowieso| MO: but three times nothing could LI: |war der erste satz | RA: |LACHT | FE: |ja | MO: be something |meinte er noch|*3* und da war |unser| MO: ausgangspunkt […] Nicht nur zwei Teammitglieder lachen während ihrer Ausführungen, sondern auch der Dozent Ralf lacht in Reaktion auf Mirkos englisches Zitat, nachdem er die positive Einschätzung (but three times nothing could be something) formuliert. Anschließend fragt Ralf nach dem Ausgang des Seminars: RA: und was habt ihr am ende wie seid ihr RA: da wie seid ihr rausgegangen↑ VI: ja eigentlich dann wieder ganzgut ne↑ LI: ja ganz FE: |mit breiter unterstützung| für die geschichten MO: |im prinzip mit dem | MO: was wir hier jetzt auch erzählen↓ Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 122 In Reaktion auf Ralfs Frage kann man das Team wieder als eingespieltes Quartett sehen, in dessen Rahmen die Studierenden jeweils gleichsinnige und weitgehend aufeinander bezogene Beiträge liefern. Viktoria bearbeitet die Frage als erste mit einer modalisierten (eigentlich), aber positiven Antwort ( ja eigentlich dann wieder ganz gut ne ↑ ). Mit der Modalisierung vermeidet sie ein explizites Selbstlob. Viktorias Rückversicherung an das Team (ne ↑ ), zeigt das Bemühen, nicht allein mit der positiven Teamevaluation dazustehen. Lisa unterstützt ihre Kommilitonin prompt durch eine Wortwiederholung ( ja ganz). So wird aus der vorsichtigen Einschätzung eigentlich wieder ganz gut, eine klare Bewertung ja ganz [gut], die direkt von Frederick konkretisiert wird (mit breiter unterstützung für die geschichten). Hier erfahren die Dozenten auch, dass das Team mehrere Geschichten entwickelt hat und diese alle (! ) von dem externen Dozenten positiv bewertet und unterstützt wurden. Simultan mit Fredericks Äußerungsbeginn formuliert auch Mirko - als vierter der Studierenden - seine Antwort auf Ralfs Frage, die wiederum neue Informationen enthält (im prinzip mit dem was wir hier jetzt auch erzählen ↓ ). 123 Die Äußerungen der Studierenden weisen nicht nur semantisch weitgehende Übereinstimmungen (bis hin zu Wortwiederholungen) auf, sondern sind aufgrund ihrer elliptischen Struktur auch syntaktisch vergleichbar. Viktoria bezieht sich im Folgenden auf eine dieser Geschichten: VI: trotz einer geschichte die er uns gleich na I think you RA: mhm aha VI: can't make it haben wir jetzt doch gemacht↓ und RA: |LACHT das ist-| VI: *2* wir sagen nicht weshalb LI: |LACHT | Viktoria formuliert hier eine Einschränkung der zuvor durchweg positiven Selbstevaluation (trotz einer geschichte die er uns gleich na I think you can't I think you can't make it). 124 Obwohl es eine Geschichte gab, die der externe Dozent problematisiert hat, hat das Team an ihr festgehalten (haben wir jetzt doch gemacht ↓ ). 123 Dies ist eine Vororientierung der Dozenten darauf, dass das Team in der Pitching-Situation mehrere Geschichten vortragen möchte, dies bereits im Vorfeld entschieden und sich gut vorbereitet in die Situation begeben hat. 124 Bei der Wiedergabe von Äußerungen des externen Dozenten verwendet Viktoria, wie zuvor auch Mirko, direkte Rede und wechselt dabei ins Englische, die Unterrichtssprache mit dem ausländischen Dozenten. Hier sieht man, dass die Darstellungstechnik in der Gruppe bezüglich dieses Aspektes in einer spezifischen gleichbleibenden Weise umgesetzt wird. Dies verstärkt den Gesamteindruck des eingespielten Teams. Analysen 123 Sie stellt das Team als eigenständig und an eigenen Relevanzen orientiert dar. Anschließend zeigt sie durch den Konnektor und eine potenzielle Expansion ihrer Äußerung an, macht dann jedoch nach der Projektion eine im Kontext ihrer bisherigen Äußerungsdynamik verhältnismäßig lange Pause von zwei Sekunden und ergänzt: wir sagen nicht weshalb. Mit der Pause baut sie eine Spannung auf, bevor sie den Dozenten ein Rätsel aufgibt: Sie sollen selbst herausbekommen, warum Theo Wild die Geschichte abgelehnt hat bzw. warum das Team an ihr festhält. Dies ist eine sehr selbstbewusste Umkehrung der „Schüler-Lehrer-Rollen“, die Ralf mit einem weiteren Lachen goutiert. 125 Wie zuvor steigen anschließend auch die anderen Teammitglieder in die Beschäftigung mit diesem Aspekt ein: RA: |LACHT das ist| LI: |LACHT | und wir haben sie auch anders gemacht als VI: wenn er die MO: |genau| paar mal überarbeitet jetzt LI: er sie |kennt| RA: man muss ja auch spaß haben MO: jetzt VI: jetzt hören würde- FE: |und damit| lässt sich VI: ja das glaube |ich auch | MO: wäre er begeistert Dieses Segment enthält formulierungsdynamisch viele Parallelen zu den bereits analysierten und zeigt nochmals den ausgeprägten wechselseitigen Bezug der Studierenden aufeinander bis hin zu Phasen von „joint production“ innerhalb von Konditionalsätzen im Sinne Lerners (1991) ( VI : wenn er die jetzt hören würde- (= Protasis)/ MO : jetzt wäre er begeistert (= Apodosis)). Interessant ist Ralfs Kommentar man muss ja auch spaß haben. Gerade den Aspekt des Spaßes bei der Arbeit realisiert die Gruppe schon in der Herstellung der Pitching-Situation, noch vor der Bearbeitung der Kernaktivität. Im 125 Noch bevor er lacht, verfolgt er Viktorias Äußerung sehr genau und platziert während der Äußerungsentwicklung zwei Rückmelder an systematischen Stellen. Den ersten (mhm), nachdem sie den externen Dozenten in Englisch zitiert hat, den zweiten (aha) nach der Expansion, in der sie angibt, das Team habe die Geschichte trotz des gegenteiligen Rates weiterentwickelt. Die Information bezüglich der teamseitigen Orientierung an eigenen Relevanzen wird viel deutlicher kommentiert (aha), als die Information über die Ablehnung der Geschichte durch Theo Wild (mhm) und ist für ihn offensichtlich die relevantere Information. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 124 Korpus existiert keine Eröffnung, bei der vergleichsweise viel gelacht wird. Die etablierte Interaktionsmodalität ist sicher ein wesentlicher Aspekt, der dazu beiträgt, dass sich auch in der Phase der Stoffentwicklung die Dozenten bei dieser Gruppe weitgehend auf die Studierenden einlassen, ihnen sehr viel Raum geben, auch dramaturgisch-theoretisch „mal ein Auge zudrücken“ und sich intensiv mit eigenen Ideen an der Stoffentwicklung beteiligen. Im Folgenden nimmt Frederick die Thematisierung der Geschichte, die das Team zusätzlich zu Theo Wilds Rat ausgearbeitet hat (haben wir jetzt doch gemacht ), zum Anlass, um die Anzahl der mitgebrachten Geschichten zu spezifizieren: FE: und damit lässt sich auch * kombinieren dass wir drei“ FE: ** vorstellungen machen würden Wie schon mehrfach zuvor, wird auch hier ein weiterer Student, Mirko, aktiv und untermauert Fredericks Strukturierungsvorschlag: MO: ja drei stück ich weiß nicht wie man das zeitlich dann- RA: gut ** äh ja |müssen wir sehen zügig aber äh | MO: |aufbaut ob wir die alle erzählen oder| Während Frederick die Anzahl der zu pitchenden Geschichten ankündigt, beschäftigt sich Mirko mit der zeitlichen Realisierung des Vorhabens, drei Geschichten zu präsentieren. Ralf reagiert auf den organisatorischen Aspekt (Zeit), stellt aber nicht zur Debatte, ob drei Geschichten tatsächlich nötig sind und nimmt insofern die teamseitigen Vorschläge an. Er ermöglicht den Studierenden also, alle drei Geschichten zu erzählen und reagiert ähnlich wie bei Torsten (vgl. Kap. 4.2.1) offen auf eigenständige Strukturierungsvorschläge der Teams. Er macht nur eine Vorgabe, nämlich zügig zu sein. Ralf leitet nach der Formulierung seiner Bedingung (zügig) zum Pitchen über, indem er nach der Rangfolge und Reihenfolge der Geschichten fragt. RA: wer trägt vor habt ihr irgend=ne rangfolge VI: wir würden sie erstmal als gleichwertig * pitchen VI: |und dann | MO: |wir haben uns| eigentlich ne reihenfolge überlegt RA: |ach so ihr | VI: wenn=s völlig ja also wir haben jetz ne |reihenfolge| RA: bre“nnt nicht für die eine oder andere son|dern| FE: |wir | Analysen 125 Ralfs Deklarativfrage ach so ihr bre“nnt nicht für die eine oder andere sondern wird von den Teammitgliedern positiv gewendet. Noch bevor er den zweiten Teil der Äußerung, der durch sondern projiziert ist, formulieren kann, reagiert Frederick, indem er sich eng an das Formulierungsmaterial des Dozenten anlehnt: wir brennen für alle drei, wobei ihn Lisa gleich (in „gewohnter Manier“) mit einer ebenso metaphorischen Äußerung, die semantisch nahe ist, unterstützt: wir sind voll entflammt: RA: hey PFEIFT |das is| FE: wir brennen für alle drei |ja | LI: |wir| sind |voll | RA: |super | LACHT das ist super dann erzählt mal los LI: ent|flammt| Ralf pfeift anerkennend, formuliert zwei Mal hintereinander das ist super und fordert das Team dann auf zu pitchen (dann erzählt mal los). Schon vor dem inhaltlichen Arbeiten ist damit in dieser Gruppe eine deutlich positive Haltung des Dozenten Ralf gegenüber den Teamgeschichten zu sehen. Das Team wurde außerdem bereits vor der Präsentation der Pitches explizit gelobt. Dies ist eine Ausnahme, die bei keiner weiteren Gruppe zu finden ist, gleichzeitig ist jedoch offensichtlich, wie sich das Team diesen „Kredit“ zu großen Teilen selbst erarbeitet hat. Die positive Selbstpräsentation des Teams basiert im Wesentlichen auf vier Aspekten. Erstens sind alle vier Studierenden sprachlich aktiv, zweitens sind sie auf der Ebene der Gesprächsorganisation hochgradig synchronisiert (schnelle Anschlüsse, viele Simultanpassagen), drittens beziehen sie sich inhaltlich-thematisch aufeinander - sogar indem sie kollaborative Äußerungen produzieren -, und sie beziehen sich auf den Dozenten, indem sie seine Äußerungen aufgreifen bzw. sich formulatorisch eng an diese anlehnen; viertens zeigen sie über den Umgang miteinander, dass sie sich gut verstehen, keine Teamprobleme mit ins Pitching tragen (siehe hierzu Kap. 4.5) und zudem inhaltlich reflektiert und selbstbewusst mit ihrer Aufgabe umgehen. 4.2.3 Initiierung und Bearbeitung durch Teamsprecherin Im folgenden Beispiel wird die Voraussetzungsklärung nicht von Ralf initiiert. Die Studierenden haben bereits ihre Sitzplätze eingenommen, ohne dass hierbei ein sprachlicher Austausch stattgefunden hat. Ralf begleitet den Abschluss seines Platzarrangements mit einem Gliederungssignal ( gut), das die Anwesenden auf den bevorstehenden Aktivitätswechsel orientiert. Nach einem Uptake ( ja) eröffnet er die Sitzung: Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 126 # 10/ 04-06/ Moskauticket RA: gut *3* ja wir freuen uns dass ihr da seid und AS: SEUFZT ja RA: wir freuen uns auf eine schöne geschichte von euch *2* RA: am besten fangt ihr gleich an ** ne Ralf begrüßt die Studierenden hier nicht wie gewohnt ( guten morgen etc.) und gibt ihnen dadurch keine Möglichkeit, seinen Gruß zu erwidern, sondern referiert in positiver Weise auf die Anwesenheit der Studierenden, was jedoch keine konditionelle Relevanz etabliert (wir freuen uns dass ihr da seid ). Es kommt nicht zu einer formellen bzw. routinehaften Eröffnung der Situation. Auch eine für den Beginn typische Frage nach dem Stand im Team oder dem aktuellen Arbeitsstand bleibt aus. Die Orientierung des Dozenten ist sehr stark auf den inhaltlichen Arbeitsprozess gerichtet. All die Schritte, die in den zuvor analysierten Beispielen hinsichtlich teamseitiger Positionierungs- und Strukturierungsleistungen möglich waren, entfallen. Auf Ralfs Aufforderung, „gleich anzufangen“, reagiert die qua Funktionsrolle für den Pitch zuständige Autorin Michaela. Da das Pitchen i.d.R. in den Aufgabenbereich der Autoren fällt, interpretiert sie die Aufforderung des Dozenten, gleich anzufangen, hinsichtlich ihrer rollenspezifischen Zuständigkeit. Sie beginnt jedoch nicht sofort mit dem Pitch, sondern gibt Hinweise auf den Status der Geschichte: MI: also erst mal will ich dazu sa“gen das ist jetzt die MI: geschichte mit der wir ähm ne woche lang mit theo wild MI: gearbeitet haben * wir haben verschiedene varianten in MI: der woche ähm entwickelt und wir fangen jetzt erst einmal MI: mit einer an und wir haben auch noch en paar andre also MI: wir waren uns da * an einigen punkten nicht so ganz MI: sicher * wie wir das am besten bauen könnten↓ *0,8* erst MI: mal ganz kurz * es ist ne geschichte einer frau" * MI: die einen traum hat Kontrastiv zu den beiden oben dargestellten Fällen, in denen der Dozent explizit nach der vorgängigen Arbeit fragt, ist es hier eine Studentin, die selbstbestimmt den vorgängigen Arbeitsprozess thematisiert. Sie kommt zunächst der dozentenseitigen Aufforderung, gleich (mit der Geschichte) anzufangen, Analysen 127 nicht nach. Stattdessen beschäftigt sie sich metaperspektivisch mit der Geschichte und der vorgängigen Teamarbeit. Sie kündigt einleitend ein mehrteiliges Format an (erst mal will ich dazu sa“gen ...) und kontextualisiert, dass sie die Aufforderung des Dozenten erst nachrangig (frühestens an zweiter Stelle) bearbeiten wird. Interessanterweise präsentiert Michaela viele Informationen, die in den vorherigen Beispielen durch Ralfs Fragen elizitiert wurden. Hierzu gehören die Auskunft über die Stoffentwicklung bei Theo Wild, der aktuelle Stand der Geschichte und die vorgängige Teamarbeit: Sie verweist darauf, dass das Team eine Geschichte aus dem Wild-Seminar präsentieren wird, also keine neue, sondern eine bereits durchgearbeitete. Sie präsentiert das Team als geschlossen, indem sie nicht auf unterschiedliche Perspektiven zu sprechen kommt, sondern durch die gewählte Referenz (wir) alle inkludiert. Sie zeigt die Orientierung des Teams an der Dramenstruktur (wie wir das am besten bauen können). Dies ist ein bedeutsamer Punkt. Nahezu alle Gruppen haben Schwierigkeiten damit, während der kreativen Arbeit einen dramaturgischen Fokus auf ihre Geschichte zu richten und beizubehalten. Für die Positionierung des Teams ist es positiv, wenn es als dramaturgisch sensibel dargestellt wird. Die von Michaela formulierten Aspekte beinhalten zum einen eine positive Positionierung des Teams als geschlossen und reflektiert, zum anderen die positive Vorankündigung, eine bereits weitgehend durchgearbeitete Geschichte zu vertreten, die sich seit dem vorbereitenden Seminar bei Theo Wild nur in Varianten verändert hat. Die Dozenten befassen sich jedoch - im Gegensatz zu den beiden vorherigen Beispielen - nicht mit den Informationen zur vorgängigen Arbeit: Sie reagieren während Michaelas Äußerungsproduktion nicht erkennbar auf die von ihr thematisierten Aspekte, kommentieren die Äußerung nicht und formulieren auch keine Nachfragen. Obwohl Michaela, die ansonsten sehr flüssig formuliert, am Ende ihrer Darstellung eine kurze Pause (*0,8*) einlegt, die durchaus als Transition Relevance Place 126 interpretiert werden kann, zeigen beide Dozenten keine Reaktion. MI: das am besten bauen könnten↓ *0,8* erst mal ganz kurz * es MI: ist ne geschichte einer frau“ * die einen traum hat 126 Zur detaillierten Beschreibung von Transition Relevance Places, d.h. der Markierung redeübergaberelevanter Stellen in der Äußerung eines Sprechers, siehe Sacks/ Schegloff/ Jefferson (1974). - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 128 Im Anschluss an die Pause kommt Michaela Ralfs eingangs formulierter Aufforderung nach und pitcht (das ist ne geschichte einer frau“). Beide Dozenten verzichten in diesem Beispiel auf eine Vororientierung über die vorgängige Teamarbeit und halten konsequent an der von Ralf etablierten Aufforderung am besten fangt ihr gleich an, die sich auf die Präsentation des Pitches bezieht, fest. Sie geben somit der selbstbestimmten studentenseitigen Strukturierung der Eröffnungssituation keinen Raum, selbst wenn sie deshalb auf Informationen verzichten müssen. Sie markieren damit implizit einen hierarchierelevanten Aspekt: Die Situationsstrukturierung in der Eröffnung fällt ausschließlich in ihren Zuständigkeitsbereich, d.h. dass sie entscheiden, ob es zu Voraussetzungsklärungen kommen soll oder nicht. Die selbstinitiierte Bearbeitung der Voraussetzungsklärung durch die Studentin, bei der sie genau die Aspekte liefert, die Ralf bei den anderen Teams durch seine Fragen elizitiert hat, zeigt jedoch die Relevanz einer solchen Klärung für das Team. Es kann damit Rezeptionshinweise für die Geschichte liefern, die sowohl für das Pitchen als auch für die Stoffentwicklung wichtige Verständnisvoraussetzungen etablieren. 4.2.4 Zusammenfassung Die Voraussetzungsklärung bietet, wenn sie von den Dozenten initiiert wird, den Studierenden positive Möglichkeiten der sozialen Positionierung. 127 Die Relevanz dieser Möglichkeiten zeigt sich beispielsweise, wenn die Dozenten den Teams, die ihre vorgängige Teamarbeit positiv dargestellt und sich als selbst innovativ, kreativ und ‘wach’ präsentiert haben, mehr Raum für eigene Strukturierungsvorschläge für die folgende Pitch-Präsention einräumen und sie im Rahmen der Stoffentwicklung weitgehend unterstützen. Bei der Voraussetzungsklärung lassen sich grundsätzlich zwei studentische Beteiligungsformate unterschieden: einer der Studierenden fungiert als Teamsprecher, alle Teammitglieder (oder mindestens mehrere) beteiligen sich. Die Teams, in denen sich nicht nur ein Teamsprecher, sondern alle Studierenden aktiv beteiligen und die zudem durch kollaborative, witzig-selbstbewusste Darstellungen eine positive Interaktionsmodalität etablieren, erarbeiten sich 127 Zum gesprächsrhetorischen Konzept der „sozialen Positionierung“ siehe Wolf (1999), die sprachlich-interaktive Aktivitäten der sozialen Zuordnung hinsichtlich ihrer interaktionsstrukturierenden Potenziale untersucht. a) b) Analysen 129 vergleichsweise große Freiheiten für das folgende Vorgehen: Die Dozenten lassen sich weitgehend auf ihre Strukturierungsversuche ein (Wie viele Geschichten werden gepitcht, wer tut dies, in welcher Reihenfolge? ) und gratifizieren die interaktive Präsenz der Teammitglieder durch häufiges Lachen und - in einem Fall - durch explizites Lob. Wird die Voraussetzungsklärung nicht von den Dozenten initiiert, erhalten die Studierenden keine Darstellungs- und Positionierungsmöglichkeiten vor der inhaltlichen Arbeit. Der selbstinitiierte Versuch einer Autorin (Kap. 4.2.3), vor der Präsentation des Pitches über die vorgängige Teamarbeit zu berichten, wird von den Dozenten durch ihre ausbleibenden Reaktionen als dispräferiert behandelt. Die Dozenten verdeutlichen, dass allein sie über die Durchführung der Voraussetzungsklärung entscheiden. Auch der dozentenseitige Umgang mit der vorhergehenden Begrüßung enthält unterschiedliche Möglichkeiten für die Studierenden. Die formelle Eröffnung wird in den meisten Fällen durch einen offiziellen Gruß des Dozenten Ralf vollzogen, der dazu führt, dass die Studierenden zurückgrüßen. Dies ist auf den ersten Blick vielleicht ein trivialer Vorgang, seine Relevanz zeigt sich jedoch, wenn die Studierenden nicht begrüßt werden, sondern der Dozent lediglich positiv auf deren Anwesenheit rekurriert. Für sie entfällt dann eine Möglichkeit, sich sprachlich oder mimisch-gestisch an der offiziellen Eröffnung der Sitzung zu beteiligen. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die offizielle Begrüßung nicht nur eine systematische Zäsurstelle darstellt, die das Arrangement des Sitzplatzes von der Voraussetzungsklärung trennt, sondern dazu beiträgt, die Interaktionsmodalität zu etablieren. Damit zeigt sich sowohl die Bedeutung der Begrüßung als auch der Voraussetzungsklärung für den Vollzug der nachfolgenden Kernaktivität, wobei die Voraussetzungsklärung als Kontextualisierung der folgenden Präsentation des Pitches (Kap. 4.3) und der Stoffentwicklung (Kap. 4.4) dient. 4.3 Präsentation des Pitches („Pitchen“) Das „Pitchen“ gibt dem Gesamtereignis („Pitching“) seinen Namen, obwohl nur ein relativ geringer Teil der Sitzung dem ‘eigentlichen’ Pitchen, also der Kurzpräsentation der Geschichtsidee, zukommt. In der Übersetzung aus dem Englischen heißt „to pitch“ ‘eine Sache auf den Punkt bringen’ (vgl. Kurz 2000, S. 16). Im realen Filmgeschäft ist das Pitching die zentrale Situation, in der die Drehbuchautoren und/ oder Produzenten (meist unter Zeitdruck) versuchen, potenzielle Geldgeber für ihr Filmprojekt zu begeistern. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 130 Im Filmstudium hat das Pitchen ebenfalls mit ‘Überzeugungsarbeit’ zu tun. Für die Studierenden geht es darum, ihre vorab gemeinsam entworfene Geschichte in Kürze verständlich und interessant für die Dozenten darzustellen. Je klarer und ansprechender der Stoff vom studentischen Team präsentiert wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Dozenten schnell zur szenischen Entwicklung übergehen und sich intensiv mit der Idee des Teams auseinandersetzen. Während Situationseröffnung und Voraussetzungsklärung primär die Interaktionsmodalität etablieren, die Teambeziehung symbolisieren und erste Hinweise auf die Qualität der Geschichte liefern, verdeutlicht die Präsentation des Pitches das inhaltlich-dramaturgische und kreative Potenzial der Studierenden. Mit der Präsentation des Pitches kann sich das Team als gut vorbereitet, kompetent und innovativ darstellen - oder aber Hinweise darauf geben, dass es mit der Entwicklung der Geschichte nicht zu einem befriedigenden Ergebnis gekommen ist, dass die Geschichte den dramaturgischen Vorgaben nicht genügt und dass insgesamt keine ansprechenden Ideen vorhanden sind. Die Dozenten können anhand des Pitches die Qualität der Vorbereitung abschätzen und das Team hinsichtlich seiner Orientierung an dramentheoretischen Grundlagen sowie hinsichtlich seines Ideenreichtums bewerten. Somit besitzt die Präsentation des Pitches für beide Seiten - für die Studierenden wie für die Dozenten - konvergierende Implikationen in Hinblick auf Selbstpräsentation einerseits und Fremdeinschätzung andererseits. Im Kontext der 5-Minüter wurde der Pitch von den Teams schriftlich fixiert und einige Tage vor der Sitzung an die Dozenten weitergeleitet. Mit Beginn der 10-Minüter-Pitchings sind die Dozenten dazu übergegangen, eine mündlich vorgetragene Pitch-Präsentation zu verlangen. 128 Bei der mündlichen Pitch-Präsentation handelt es sich um eine Aufgabe, bei der einer der Studierenden in Form eines längeren monologischen Beitrags aktiv wird und die Filmidee als Ergebnis der vorgängigen Teamarbeit darstellt. In der Regel kommt diese Aufgabe dem Drehbuchstudenten bzw. der Drehbuchstudentin zu. Das Teammitglied, welches die Geschichte pitcht, ist vor eine doppelte Anforderung gestellt. Zum einen muss die Geschichte in einer Weise präsentiert werden, die inhaltlich-strukturell gesehen verständlich und nachvollziehbar ist. Zum anderen sollte die Geschichte interessant erzählt und das Pitchen 128 Beim Folgejahrgang wurden schon die 5-Minuten-Pitches mündlich durchgeführt. Analysen 131 auch als Werbung für die Team-Idee genutzt werden. Das Pitchen kann somit in einer ersten Annäherung als inhaltlich-strukturelle und rhetorische Aufgabe charakterisiert werden. 4.3.1 Pitchen: Definition der Dozenten Die Dozenten rekurrieren an unterschiedlichen Stellen, insbesondere in den Pitchings zu den 5-Minuten-Filmen, auf das Pitchen und definieren dabei selbst zentrale Aspekte: „Pitchen heißt, eine Story so knapp zu erzählen, dass man im Zuhörer das Interesse erweckt, diese Geschichte wirklich in ihrer Ausführlichkeit kennen zu lernen.“ „Ein Pitch ist die Kunst, einen Filmstoff in zentralen Aspekten so kurz zu fassen, dass jemand Lust bekommt, ihn entwickeln zu lassen.“ In der ersten Definition wird ersichtlich, dass es sich beim Pitchen um eine Aufgabe handelt, die mündlich zu bearbeiten ist. Beide Definitionen behandeln das Pitchen als Anforderung, bei der es darum geht, eine Geschichte/ einen Filmstoff auf das Wesentliche zu kondensieren und in Kurzform interessant darzustellen. Mit der Anforderung an Kürze geht eine Relevanzgewichtung der verwendeten sprachlichen Formen einher. „Jeder Satz, jeder Halbsatz in einem Pitching 129 hat eine zentrale Bedeutung.“ Die Kondensierung der Information und letztlich die Forderung nach Kürze gibt den einzelnen Konstituenten einer Äußerung im Kontext des Pitchens eine immense Bedeutung. Solche expliziten Hinweise der Dozenten verdeutlichen ihr Konzept von Pitchen und verweisen auf konstitutive Aspekte der Aktivität. Dass solche expliziten Thematisierungen des Pitchens fast ausschließlich in den Pitchings für die 5-Minüter vorkommen, hängt mit einer organisationsstrukturellen Besonderheit zusammen. Die Studierenden haben als Vorbereitung auf die 5-Minü- 129 Die Dozenten differenzieren terminologisch nicht immer zwischen „Pitch“, „Pitchen“ und „Pitching“. Bei ihren Definitionen verwenden sie die Termini als Synonyme. Die Äußerung “. Bei ihren Definitionen verwenden sie die Termini als Synonyme. Die Äußerung beispielsweise, dass jeder Halbsatz in einem Pitching zentrale Bedeutung habe, ist in diesem Fall erkennbar auf die Aktivität des Pitchens bezogen und nicht auf die Situation „Pitching“, also auf die dreistündige Gesamtveranstaltung. Analytisch könnte man „Pitchen“ “, also auf die dreistündige Gesamtveranstaltung. Analytisch könnte man „Pitchen“ als verbalen Vollzug konzipieren und „Pitch“ als sein mündliches oder ggf. auch schriftliches Resultat. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 132 ter-Pitchings die Aufgabe erhalten, ihren Pitch noch vor dem Ereignis in schriftlicher Form bei den Dozenten einzureichen. 130 Damit lagen den Dozenten fixierte Fassungen der Team-Ideen vor, die sie in Vorbereitung auf die Sitzung rezipiert und über die sie sich ausgetauscht haben. Diese vorgängige Entscheidung führt zu einer Ablaufstruktur, die durch zwei Aspekte gekennzeichnet ist: Zum einen kann man die Phase der Voraussetzungsklärung nicht eindeutig von der Beschäftigung mit dem jeweiligen Pitch trennen. Erste Fragen nach der Vorgehensweise und dem Stand des Teams enden meist in einer Diskussion des vorliegenden schriftlichen Pitches. Zum anderen kommt es nicht dazu, dass einer der Studierenden mündlich pitcht, d.h. die Geschichte des Teams in eigenen Worten vorträgt. Die Aufgabe auf Studierendenseite liegt vielmehr darin, die schriftliche Vorlage zu erläutern und gegen die kritischen Nachfragen der Dozenten zu verteidigen. Dabei zeigen sich divergente Orientierungen hinsichtlich der konkreten Interaktionsaufgabe: Die Dozenten verpflichten die Studierenden auf den eingereichten Pitch und legen ihn für die Diskussion zu Grunde, die Studierenden hingegen definieren ihre Aufgabe offener. Sie sind primär auf die weitere Stoffentwicklung orientiert und behandeln den vorliegenden Pitch-Text als Variationsfolie für die Darstellung möglicher Geschichtsvarianten. Dies hängt auch damit zusammen, dass die schriftliche Vorlage, die die Dozenten einige Tage vor dem Pitching erhalten haben, für die Studierenden an Aktualität verloren hat, da sie ihre Ideen zwischenzeitlich weiter entwickelt haben. Die für die Analysen ausgewählten Pitch-Präsentationen stammen alle aus Pitchings für die 10- und 20-Minuten-Filme. Die Entscheidung, auf die analytische Beschäftigung mit den 5-Minüter-Pitches zu verzichten, liegt darin begründet, dass das Reden über den eingereichten Pitch andere Anforderungen an die Beteiligten stellt, als das Pitchen selbst: Das mündliche Pitchen und das Reden über den Pitch sind unter einer handlungsschematischen Perspektive zwei unterschiedliche Handlungaufgaben, die nicht unmittelbar miteinander vergleichbar sind. Vom Handlungstyp her gesehen ist die Beschäftigung mit der schriftlichen Vorlage im Rahmen der 5-Minüter vergleichbar mit den ersten Fragen zur Geschichte im direkten Anschluss an den mündlichen Pitch im Kontext der 10- und 20-Minüter. Die Durchsicht der Pitches hat gezeigt, dass ihre Güte primär von folgenden Aspekten abhängt: Von der Qualität der Geschichtsvorbereitung und des Ideenpotenzials im Team, der Eloquenz und des rhetorischen Geschicks des/ der 130 Dies ist eine Ausnahme im Korpus. In allen anderen dokumentierten Pitchings wird zuvor mündlich gepitcht und die Dozenten haben vor dem Pitching keine Informationen über die von den Studierenden in der Vorbereitung auf das Ereignis entwickelten Geschichten. Analysen 133 Präsentierenden, und vor allem von der Fähigkeit, den Pitch nach dramenstrukturellen Anforderungen zu modellieren. Es lassen sich hingegen keinerlei signifikante Qualitätsunterschiede zwischen den Staffeln, d.h. zwischen den 10- und 20-Minütern, feststellen. Aus diesem Grund wird bei der Analyse der Pitchings auf eine staffelspezifische Differenzierung verzichtet. 4.3.2 Pitchen als interaktives Anforderungsprofil Die Analysen konzentrieren sich auf das Pitchen als sprachlich-interaktive Aufgabe und als spezifische professionelle Anforderung. Dies führt dazu, dass nur ein Pitch vollständig analysiert wird, andere Pitches in ihrem Ablauf so weit rekonstruiert werden, bis typische Strukturelemente sichtbar werden, weitere hingegen nur ausschnittsweise kontrastiv zu den bereits bearbeiteten Beispielen analysiert werden. In dem folgenden ersten Beispiel stellt die Autorin Silke die Geschichte ihres Teams vor: # 10/ 02-04/ Musiker SI: also wir möchten gerne die geschichte erzählen von armin SI: einem bekannten jazzmusiker der nach einem * der bei einem SI: unfall seine hand verloren hat und nicht mehr musik machen SI: kann *1,5* ähm armin möchte * deshalb seinem leben ein ende SI: setzen und genau in dem moment wird sein geliebter bass SI: das einzige was ihm was er auf dieser welt * noch liebt SI: gestohlen und er macht sich auf die suche nach dem dieb und SI: findet in dem dieb einen * begeisterten schüler und im SI: unterrichten einen neuen ** lebensmut lebenssinn *5* HA: mhm *4,5* RA: gut *1,5* Die Autorin wählt eine Einstiegsformulierung, die in spezifischer Weise den folgenden Aktivitätstyp verdeutlicht (also wir möchten gern die geschichte erzählen von ...). Dass sie nicht die Gesamt-Geschichte erzählen, sondern metaperspektivisch über sie berichten wird, ist in der Formulierung „die Geschichte von xy“ angelegt. Die Autorin beschreibt ihre Aktivität jedoch nicht explizit als „Pitchen“. Zudem verweist die Autorin implizit auf den inhaltlichen Stand im Team: Der Rekurs auf eine vorliegende Geschichte (die geschichte) verdeutlicht, dass Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 134 das Team nicht nur eine Stoffidee mitgebracht hat, sondern bereits auf ein strukturell durchgearbeitetes Resultat der vorherigen Arbeit zurückgreifen kann. Eine „Geschichte“ besitzt in dem Sinn Gestaltcharakter, als sie jenseits ihrer konkreten detaillierten Struktur aus den Komponenten Auslöser, Wendepunkt(e) und Lösung besteht sowie einen spezifischen Ablauf aufweist. Damit gibt die Einstiegsformulierung zum einen Hinweise auf das Stadium der vorgängigen Teamarbeit, zum anderen auf die Selbstdefinition ihrer Aufgabe. Die Autorin macht implizit kenntlich, dass sie im Folgenden „pitchen“ wird, wobei sich ihr Verständnis von Pitchen auf die metakommunikative Darstellung der Gesamtgeschichte bezieht. Eine Projektion dieser Einstiegsformulierung ist, dass die Rezipienten im Vergleich zur Gesamtgeschichte eine kondensierte prägnante Version zu hören bekommen. In diesem Sinne leitet die Einstiegsformulierung bereits die Rezeptionshaltung der Zuhörer an. Der Übergang zur inhaltlichen Darstellung erfolgt durch die Einführung des Protagonisten der Geschichte: ... von armin einem bekannten jazzmusiker - ein gleichermaßen einfacher, wie implikationsreicher thematischer Zug. Die Einfachheit besteht in der knappen Benennung des Namens und der anschließenden kurzen sozialen Kategorisierung als einem bekannten jazzmusiker. Die Verwendung der Kategorie evoziert ein hohes Potenzial möglicher Konnotationen. Armin wird durch seinen „Beruf“ als Künstler exponiert, außerdem als jemand, der in einer bestimmten Musikrichtung sozialisiert und erfolgreich ist, die wiederum milieuspezifische Eigenheiten aufweist. Die gewählte Kategorie kann ein hohes imaginatorisches Potenzial entfalten und ermöglicht es, ohne Detailbeschreibungen, einen speziellen Weltausschnitt für die Geschichte relevant zu setzen bzw. diesen von den Zuhörern imaginieren zu lassen. Auch die zweite thematische Spezifizierung (der nach einem * der bei einem unfall seine hand verloren hat und nicht mehr musik machen kann) ist konnotationsreich, selbst wenn sich die Autorin diesmal nicht einer Kategorisierung, sondern einer Beschreibung bedient. Ein erfolgreicher Musiker, der aufgrund eines Unfalls seinem Beruf/ seiner Berufung nicht mehr nachkommen kann, steht vor einem existentiellen Problem, mit dem - je nach Charakter - auf sehr unterschiedliche Weise umgegangen werden kann. 131 Die weitere Darstellung besteht aus zusätzlichen Informationen über den Protagonisten und enthält seinen persönlichen „Lösungsansatz“ aus der biographischen Krise: 131 Der Verlust von Gliedmaßen ist für Betroffene immer ein gravierender Einschnitt in ihr bisheriges Leben. Bei einem Musiker, der von seiner Hand jedoch professionsbedingt in hohem Maße abhängig ist, ist die aus dem Verlust resultierende Problematik erheblich zugespitzt. Analysen 135 SI: ähm armin möchte * deshalb seinem leben ein ende setzen Mit dieser weiteren Beschreibung ist der Charakter von Armin über die geplante Selbstmordabsicht weiter spezifiziert. Armin ist kein Kämpfer, der aktiv versucht, sich umzuorientieren, er ist niemand, der eine berufliche und/ oder private Alternative zu seinem bisherigen künstlerischen Tun sieht. Damit können weitere Hypothesen über Armins emotionale und psychische Verfassung assoziiert werden. Bisher sind also im Kontext der inhaltlichen Darstellung drei Segmente geliefert worden, die alle auf prägnante Weise den Protagonisten charakterisieren und dabei zugleich ein hohes Imaginationspotenzial freisetzen und sich systematisch aufeinander beziehen: Segment 1: armin einem bekannten jazzmusiker Segment 2: der nach einem * der bei einem unfall seine hand verloren hat und nicht mehr musik machen kann Segment 3: armin möchte * deshalb seinem leben ein ende setzen Nach der Charakterisierung des Protagonisten und der Explizierung seiner Lebensumstände, die ihn zum Entschluss führen, sich umzubringen, wird ein Ereignis aufgeführt, welches seinem Leben eine Wendung gibt: Segment 4: und genau in dem moment wird sein geliebter bass das einzige was ihm was er auf dieser welt * noch liebt gestohlen Über die Information, der Bass sei das einzige, was er noch liebt, wird seine Verfassung und Anhaftung an das „Leben als Musiker“ untermauert. Außerdem wird auch seine soziale/ familiäre Situation angedeutet. Wenn der Bass das einzige ist, was er liebt, so scheint er keine Liebesbeziehung zu einem anderen Menschen zu haben. Mit großer Wahrscheinlichkeit lebt er allein. Zugleich ist die erste aktive Handlung, die von der Autorin erwähnt wird, für den Protagonisten konsequenzenreich. Er wird in seinen Selbstmordabsichten behindert und dadurch aktiv: Segment 5: und er macht sich auf die suche nach dem dieb Ohne die Suchaktivitäten genauer auszugestalten wird hier der Protagonist als aktiv Handelnder dargestellt, der seine Suche in zweierlei Hinsicht erfolgreich beendet. Zum einen findet er den Dieb, zum anderen gibt die erfolgreiche Suche und das Kennenlernen des Diebs seinem Leben einen neuen Sinn: Segment 6: und findet in dem dieb einen * begeisterten schüler und im unterrichten einen neuen ** lebensmut lebenssinn *5* Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 136 Ähnlich der konnotationsstarken Charakterisierung des Protagonisten als bekanntem Jazzmusiker ist der Entwurf eine Schüler-Lehrer-Beziehung, in der nicht nur der Schüler etwas von dem Lehrer lernt, sondern sich auch der Lehrer durch den Schüler weiterentwickelt. Die Konstellation Schüler-Lehrer und deren Auswirkungen auf das Leben des Protagonisten haben eine erkennbare, auch den konkreten Fall transzendierende, ‘Botschaft’. Außerdem erfährt das Leben des Bassisten eine deutliche Wendung, 132 wenn er eine Beziehung zu einem anderen Menschen aufbaut. Er ist folglich nicht mehr allein und projiziert seine Gefühle damit potenziell nicht mehr ausschließlich auf ein Objekt, auf den Bass, sondern auf einen Menschen. Damit wird erstens ein Charakter herausgestellt, zweitens ein zentraler Handlungstyp („Suchen & Finden“) angeboten, drittens der Ausgang der Geschichte festgelegt (Happy End) und viertens eine „Botschaft“ der Geschichte erkennbar. Die von der Autorin realisierte Darstellung erfolgt in Anlehnung an eine potenzielle Szenenlogik im Film. Zuerst wird der Protagonist in seiner spezifischen Ausgangslage exponiert, dann setzen Ereignisse ein, die in einer bestimmten Sequenzialität ablaufen und zu einem erkennbaren Ende führen. Die Verknüpfung der einzelnen Segmente erfolgt dabei systematisch durch den Konnektor und: SI: LACHT also wir möchten gerne die geschichte SI: erzählen von armin einem bekannten jazzmusiker SI: der nach einem * der bei einem unfall seine hand SI: verloren hat und nicht mehr musik machen kann *1,5* SI: ähm armin möchte * deshalb seinem leben ein ende setzen SI: und genau in dem moment wird sein geliebter bass SI: das einzige was ihm was er auf dieser welt * noch SI: liebt gestohlen und er macht sich auf die suche nach SI: dem dieb und findet in dem dieb einen * begeisterten SI: schüler und im unterrichten einen neuen ** lebensmut SI: lebenssinn *5* HA: mhm *4,5* RA: gut *1,5* 132 Die Wendung basiert auf der paradoxen „Fügung“, dass zweimaliges Unglück (nicht mehr selbst Bass spielen können und Diebstahl des geliebten Basses) zu Glück führt (Unterricht als Lebenssinn). Analysen 137 Der Pitch weist eine Abfolgestruktur auf, in der und als generalisierender Konnektor sehr unterschiedliche Funktionen übernimmt, z.B. als „aber“ („aber genau in dem Moment wird sein geliebter Bass ...“), als „deshalb“ („deshalb macht er sich auf die Suche“, oder als „dabei“ („dabei findet er in dem Dieb einen begeisterten Schüler“). Die invariante Wahl des Konnektors und kann als Ausdruck einer Orientierung verstanden werden, die dem linearen Ablauf des Films entspricht (es könnte dementsprechend auch mit dem Konnektor „dann“ verknüpft werden). Die neben der Linearität relevanten Bezüge der einzelnen Informationen zueinander - beispielsweise deren Abhängigkeit voneinander, deren Beziehung zueinander usw. - werden in diesem Pitch nicht in der möglich gewesenen Klarheit verdeutlicht. Dennoch erfüllen die sechs herausgearbeiteten Segmente weithin alle von den Dozenten geäußerten formalen Definitionskriterien eines Pitches, sowohl hinsichtlich der Kürze als auch der Relevanzen einzelner angebotener Kategorien und Beschreibungen („Jeder Halbsatz in einem Pitching hat eine zentrale Bedeutung“). Betrachtet man die Verhaltensweisen der Dozenten, die sich während der Ausführungen der Autorin konzentriert Notizen gemacht haben, sind zwei Beobachtungen relevant. Zum einen sind sie während der Darstellung verbal nicht aktiv (auch nicht in Form kurzer Einwürfe oder Rückmelder), zum anderen ratifizieren sie aber den Abschluss der Darstellung, den die Autorin intonatorisch und durch Äußerungsverzicht markiert. SI: lebenssinn *5* HA: mhm *4,5* RA: gut *1,5* Im Anschluss an die Dozentenreaktionen formuliert der Produktionsstudent eine explizite Positivevaluation: RO: das war ne knackige zusammenfassung K& ALLE LACHEN *8* Die Kategorisierung des Vorgängigen als knackige zusammenfassung ist ein erkennbarer Bezug auf die relevanten Aspekte des Pitchens. Der Student lobt damit die Autorin in der Gruppenöffentlichkeit. Das anschließende acht Sekunden andauernde Lachen aller Beteiligten reagiert darauf, dass hier ein Student spielerisch die Perspektive der Dozenten übernimmt und an ihrer Stelle explizit bewertet. Er signalisiert damit Sicherheit: Das Team hat mit dem Pitch der Autorin genau das geliefert, was die Dozenten erwarten. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 138 Die Äußerung des Produktionsstudenten rahmt zusammen mit der Einleitung der Autorin (die geschichte erzählen) die inhaltlichen Ausführungen zur studentischen Geschichte. Zwei Teammitglieder verweisen also auf den relevanten Aktivitätstyp, zuerst prospektiv, dann retrospektiv. Dies verdeutlicht eine klare teamseitige Vorstellung von der zu bearbeitenden Aufgabe, die von der Autorin auf sehr strukturierte Weise durchgeführt und vom Produktionsstudenten kategorial formuliert wird. Zu Kontrastierungszwecken werden nachfolgend Ausschnitte aus anderen Pitchings im Kontext der 10- und 20-Minutenfilme präsentiert. im Kontext der 10- und 20-Minutenfilme präsentiert. Im zweiten Beispiel („Vater & Sohn“) beginnt die Autorin nach der dozentenseitigen Aufforderung mit einer detaillierten inhaltlichen Darstellung der Geschichte. Sie verzichtet auf eine eigene Rahmung ihrer Aktivitäten, die deren Status verdeutlichen könnte. Auch sie startet mit der Fokussierung eines Protagonisten, der - nach einem Uptake (also) - turn-initial namentlich eingeführt wird (leo). Jedoch wird leo nicht weiter kategorial bestimmt, sondern in einer spezifischen Situation dargestellt: # 10/ 04-06/ Vater & Sohn CH: also * leo wird von seinem vater zum flughafen CH: * gefahren Die Rezipienten erfahren hier, dass der Protagonist passiv als Beifahrer unterwegs ist. Es wird eine Verwandtschaftsbeziehung thematisch, nämlich von Vater und Sohn. Diese ist relativ offen, sie verweist weder auf das spezifische Alter der beiden, noch auf deren Herkunft, oder auf deren emotionales Verhältnis zueinander. Leo, der vom Vater gefahren wird, kann minderjährig sein und noch keinen Führerschein besitzen, er kann aber auch erwachsen sein und nur deshalb gefahren werden, weil er seinen Führerschein wegen Alkohol am Steuer abgeben musste, weil er eine Krankheit hat, die ihm das Autofahren verbietet, oder weil es praktisch ist und er dann kein Parkproblem am Flughafen hat. Diese imaginären, aber potenziell möglichen Hypothesen zeigen, dass der von der Autorin gewählte Einstieg vage ist, letztlich wenig Informationsgehalt besitzt und in sehr verschiedene Richtungen ausgestaltet werden kann. Diese dysfunktionale Diffusität kontrastiert deutlich mit der knappen Kategorisierung bekannter jazzmusiker in dem zuvor analysierten Beispiel. Eine andere Möglichkeit, den Einstieg in den Pitch zu organisieren, wählt der Autor in einem Pitching für den 20-Minüter. Analysen 139 # 20/ 02-04/ Ausreißer LI: gut also ähm wir haben einen arbeitstitel für unser LI: projekt und das ist der ausreißer äh hauptfigur LI: ist ein mann ende dreißig Nach der expliziten Benennung eines Arbeitstitels (der ausreißer), der als potenzieller Filmtitel im Vorfeld auf eine konkrete Problematik verweist, wird kategorial die Position des Filmes besetzt, um die es primär gehen wird: hauptfigur ist ein mann ende dreißig. Während die weitere Charakterisierung ein mann ende dreißig weniger spezifisch imaginatorisch aufgeladen ist als die Kategorie jazzmusiker, gibt sie doch über die Altersnennung mehr Informationen als die Kategorie sohn im Pitch „Vater & Sohn“. Der Autor bringt nach der Orientierung auf die hauptfigur dann ein erstes Bild, indem er eine konkrete Situation, das Zusammentreffen zweier Charaktere, beschreibt. LI: ist ein mann ende dreißig und äh: es klingelt an LI: seiner tür und da steht ein kind das äh mit sack LI: und pack behauptet sein sohn zu sein er kann sich LI: gar nicht daran erinnern ein kind zu haben Die knappe Schilderung der Tür-Szene ist bereits hochgradig spannungsgeladen. Der Protagonist wird mit einem Kind konfrontiert, das behauptet sein Sohn zu sein, obwohl er selbst nicht glaubt, ein Kind zu haben! Hier wird eine Vater-Sohn-Beziehung etabliert, die weitreichende Implikationen für das bisherige Leben des Protagonisten hat. 133 Zusammen mit dem Titel der ausreißer ist man als Zuhörer bereits vororientiert. Das Kind hat den Vater aus eigenem Antrieb aufgesucht und damit wahrscheinlich verbotenerweise sein bisheriges Zuhause verlassen. Eine Handlung, die potenziell Probleme verursacht und das bisherige Leben des Mannes verändern wird. Hier ist es nicht die Kategorie für die Hauptfigur, die ein hohes Imaginationspotenzial in einem spezifischen Problemrahmen entfaltet, sondern die Kategorie für den Filmtitel zusammen mit einer konkreten Situationsbeschreibung, in der zwei Filmcharaktere aufeinander treffen. 133 Mit der Tür-Szene ist bereits ein großes Konfliktpotenzial angelegt. Der Autor verweist jedoch nicht reflexiv auf dramentheoretisch relevante Positionen oder Überlegungen (i.S.v. „mit einem Kind konfrontiert, das behauptet sein Sohn zu sein und damit ist bereits das Potenzial für eine Komplikation, die zu xy führt, vorhanden“). Stattdessen wird ohne dramaturgische Reflexionen die Geschichte in ihrem Ablauf von Anfang bis Ende erzählt. Diese ist aber dennoch strikt nach spezifischen dramaturgischen Prinzipien aufgebaut. Alle Pitches zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Geschichte ohne dramenstrukturelle Reflexionen als Ablauf erzählen. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 140 An den drei verglichenen Beispielen wird deutlich, dass der Anfang des Pitches sehr weitgehende Orientierungs- und Verdeutlichungsmöglichkeiten enthält, die unterschiedlich produktiv für die Darstellung des gesamten Pitches genutzt werden können. Insofern hat der Einstieg in das Pitchen eine herausragende Bedeutung für die gesamte Aufgabe. Während der knappe kategoriale Einstieg im Pitch „Jazzmusiker“ quasi den Auftakt zu einem komprimierten Pitch darstellt, entwickelt sich die Darstellung bei „Vater & Sohn“ detailreich und unfokussiert. Die weiteren Ausführungen der Autorin im Pitch „Vater & Sohn“ zeigen das Ziel einer Reise an (brüssel). Damit wird ersichtlich, dass der Weg zum Flughafen in der Absicht, einen Flug zu erreichen, zurückgelegt wird. Leo arbeitet offensichtlich nicht als Bodenpersonal am Flughafen ... # 10/ 04-06/ Vater & Sohn CH: * gefahren und zwar * soll er dann äh nach brüssel und dort CH: ein praktikum beim europäischen parlament anfangen Anschließend wird der Zielort brüssel motiviert, nämlich durch die Information, dass leo dort ein praktikum beim europäischen parlament anfangen [soll]. Diese Information lässt nun konkretere Rückschlüsse auf die Person zu. Möglicherweise ist Leo Student, also zwischen 20 und 30 Jahre alt, und interessiert sich für Politik, Wirtschaft und/ oder Jura. Vielleicht muss er im Rahmen seines Studiums ein Praktikum nachweisen (soll er ... ein praktikum anfangen). Oder aber er ist erfolgloser Künstler, hat keine Interessen an dem Praktikum und wird von seinem Vater, der ein bekannter Jurist ist und von dem er finanziell abhängig ist, dazu „gezwungen“, endlich etwas Ernsthaftes zu tun: (= soll) das Praktikum absolvieren. All diese Lesarten sind potenziell möglich, sie und weitere können von den Zuhörenden imaginiert werden. Sie demonstrieren nochmals die Offenheit und fehlende Präzision, die in der Bekanntgabe von Details wurzelt, deren Relevanz schwer abzuschätzen ist bzw. die „falsche Fährten“ legen. Einer der Dozenten, Ralf, platziert sehr früh eine Bemerkung, die sich auf den Sitz des Europäischen Parlaments bezieht. CH: parlament anfangen * und ähm * RA: was nicht in brüssel ist Dieser frühe korrektive Einwurf betrifft nur ein Detail, nämlich den Sitz des Europäischen Parlaments. Er ist in seiner Qualität eher als Zwischenbemerkung zu werten, die sich - in Form eines dependenten Relativsatzes - als un- Analysen 141 markierte Fortführung in die von der Studentin begonnene Äußerungsstruktur eingliedert (ein praktikum beim europäischen parlament anfangen [...] was nicht in brüssel ist). Ralf wählt ein Äußerungsformat, mit dem er den gesamten Informationsfluss nur marginal irritiert. Es stellt sich hier die Frage, warum der Dozent jedoch nicht wartet, bis der Pitch zu Ende ist, um diese Richtigstellung zu platzieren. Eine so frühe verbale Reaktion während des Pitchens ist - wenn man alle dokumentierten Pichings in Betracht zieht - äußerst selten. Nur gelegentlich äußern die Dozenten Verständnisfragen. Ralfs Einwurf kann als Kommentar bezüglich der unfokussierten und undurchsichtigen Darstellung der Autorin interpretiert werden. Er kritisiert nicht den gesamten Pitch, gibt jedoch, indem er sich auf ein Detail bezieht und nur die wenig gründliche vorgängige Recherchepraxis (brüssel) moniert, auf eine unmarkierte Weise dennoch seiner Unzufriedenheit Ausdruck. Inwiefern der Reiseort tatsächlich wichtig ist, kann aufgrund der Schilderung noch nicht bestimmt werden. Man kann im Verhalten des Dozenten auch eine didaktisch motivierte indirekte Evaluation der bislang vorgebrachten detailreichen Darstellung sehen. Indem er ein aktuell in seiner Relevanz noch nicht deutliches Detail als falsch bewertet, zahlt er der Autorin gewissermaßen mit gleicher Münze zurück: Wenn schon im Detail gearbeitet wird, dann müssen die Details wenigstens stimmen. Die indirekte Kritik bezieht sich nicht nur auf eine Bildungslücke, sondern fungiert auch als Bewertung der bisherigen Präsentation. Die Reaktion der Studentin auf Ralfs Bemerkung ist vage: CH: na ja * irgendwie da so ME: (FLÜSTERT) Offensichtlich ist es für die Autorin nicht wirklich von Bedeutung, wohin Leos Flug geht, ob nach Brüssel oder Straßburg; 134 die beiden Orte liegen aus ihrer Perspektive tendenziell in der gleichen Richtung (irgendwie da so). Dass das Flugziel für ihren Pitch unwesentlich ist, zeigt sich auch in dem Hinweis, es solle später recherchiert werden. CH: das recherchieren wir dann noch genau Nach einer kurzen Re-Organisationsphase (und äh *2* ach so und äh) fährt die Autorin mit einer weiteren Beschreibung der Situation im Auto fort. CH: und äh *2* ach so und äh der vater bemerkt dann halt gleich CH: am anfang dass halt der tank wieder mal leer ist weil der sohn 134 Das Europäische Parlament hat seinen Sitz in Straßburg. Dort finden die monatlichen Plenartagungen einschließlich der Haushaltstagung statt. Zusätzliche Plenartagungen finden in Brüssel statt. Die Ausschüsse des Europäischen Parlaments treten in Brüssel zusammen. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 142 CH: den äh tank vorher nich also nicht richtig getankt hatte * CH: und äh * ob und darüber streiten also er ist nicht ganz voll CH: nicht ganz leer und nicht ganz voll und darüber streiten sie CH: sich halt so=n bisschen und auf dem Nachdem Leo als erste Person eingeführt wurde und deshalb für die Zuhörenden als potenzieller Protagonist in Frage kommt, also auch als derjenige, der in der Geschichte aktiv handelt und damit das Drama vorantreibt, wird nun jedoch der Vater „aktiv“, zumindest verbal: Er bemerkt ein Tankproblem, für das der Sohn verantwortlich sei. Auf Leo wird nun kategorial rekurriert (sohn) und nicht mehr namentlich. Die Verhaltensweisen der beiden Charaktere werden, abgesehen von der Tatsache, dass sie miteinander streiten, nicht weiter spezifiziert. Insgesamt ist auch hier die Relevanz der Information „leerer Tank“ nicht klar. Die Beliebigkeit dieses Details wird auch sprachlich manifest: CH: so und äh der vater bemerkt dann halt gleich am anfang CH: dass halt der tank wieder mal leer ist weil der sohn den CH: äh tank vorher nich also nicht richtig getankt hatte * CH: und äh * ob und darüber streiten also er ist nicht CH: ganz voll nicht ganz leer und nicht ganz voll und CH: darüber streiten sie sich halt so=n bisschen und auf dem Was bedeutet „nicht richtig zu tanken“, welche Relevanz hat es für die Fahrt zum Flughafen, dass der Tank nicht ganz voll und nicht ganz leer ist? Mit einem halbvollen Tank wird man - zumindest in Deutschland - ohne Probleme bis zur nächsten Tankstelle kommen, wenn nicht direkt bis zum Flughafen. Die Tankinformation könnte unter einer zeitlichen Perspektive interessant sein. Zeitnot scheinen Vater und Sohn jedoch nicht zu haben, jedenfalls wurde dies bisher nicht erwähnt. Neben der inhaltlichen Vagheit tragen Abtönungspartikeln wie halt dazu bei, die Informationen beiläufig erscheinen zu lassen. Auch die Abschwächung streiten sie sich halt so=n bisschen untermauert diesen Eindruck. Die Anhäufung von Abtönungspartikeln und Gradausdrücken ist hier besonders prägnant und bezogen auf die Definitionskriterien von Pitchen in zweierlei Hinsicht problematisch: Zum einen sind diese nicht geeignet, Interesse beim Rezipienten zu wecken. Zum anderen entsprechen sie in einem Analysen 143 Kontext, in dem es um eine klar strukturierte Zusammenfassung geht, und unter einer Rezeptionserwartung, bei der „jeder Halbsatz“ wichtig ist, nicht der Erwartung. Im Folgenden geht es wieder um den Sohn: CH: darüber streiten sie sich halt so=n bisschen und auf dem CH: weg dorthin sieht dann der sohn dass halt CH: da am straßenrand halt irgendwie sowas komisches Neben der weiteren Verwendung von Abtönungspartikeln und unpräzisen Beschreibungen (irgendwie so was komisches) ist interessant, dass ein unmarkierter Perspektivenwechsel vollzogen und nun aus der Perspektive des Sohnes erzählt wird (sieht dann der sohn), während zuvor der Vater im Fokus war (der vater bemerkt). Die Autorin beschreibt, was der Sohn sieht. Im Gegensatz zum „Jazzmusiker“, der sich aktiv handelnd auf die Suche nach dem Dieb macht, wird der Sohn rezeptiv dargestellt. Er sieht etwas, er nimmt wahr, handelt jedoch nicht. Dass er der Protagonist des Dramas sein soll, kann bisher nur aus der namentlichen Einführung (leo) an erstmöglicher Stelle in der Äußerung erschlossen werden. Was der Sohn genau sieht, bleibt ebenfalls diffus. CH: also wo er sich nicht ganz sicher ist ist das CH: jetzt ein wagen oder ist das jetz kein wagen * und der CH: vater will aber weiterfahren weil die zeit CH: ja auch drängt sie müssen ja zum flughafen CH: und es ist schon zeitlich knapp 135 Das wahrgenommene Objekt wird nicht eindeutig benannt (ist das jetzt ein wagen oder ist das jetz kein wagen). Die Relevanz des Visuellen für den Sohn bleibt ebenfalls unklar. Im weiteren Äußerungsverlauf sieht der Sohn zum zweiten Mal etwas. CH: * und dann sieht der sohn * äh eine junge hübsche CH: frau am straßenrand- * und äh * bittet den vater CH: halt anzuhalten * 135 Hier wird nun Zeitknappheit als relevante Information für die beschriebene Situation im Auto explizit erwähnt, während man bei der Diskussion um den Tank nur hypothetisch annehmen konnte, dass sie eine Rolle spielt. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 144 Der Bezugspunkt des „Sehens“ wird diesmal eindeutig bestimmt: junge hübsche frau. Damit wird kategorial ein Angebot gemacht, das jedoch nicht die gleiche ‘imaginatorische Tiefe’ wie der jazzmusiker oder ausreißer in den beiden anderen Beispielen besitzt. Im Verhältnis zum Sohn kann junge hübsche frau potenziell auf einen Beziehungskontext zwischen Mann und Frau hindeuten, ob das Drama jedoch die Beziehung zwischen der junge[n] hübsche[n] frau und dem sohn, oder dem sohn und dem vater oder der junge[n] hübsche[n] frau und dem vater zum Thema macht, ist bis zu diesem Zeitpunkt nicht entschieden. Zusammenfassend sind bisher eine Menge ungewichteter Details vorgetragen worden, aber noch immer kein eindeutiger Protagonist und kein Antagonist bestimmt und es ist nicht ersichtlich, von welcher Beziehungskonfiguration das Drama leben wird. 136 Bei der weiteren Entwicklung des Pitchs „Vater & Sohn“ reproduziert die Autorin alle bislang identifizierten Aspekte in musterhafter und rekurrenter Weise: Anhäufung von Details, Diffusität in Bezug auf Details und in Hinblick auf die zentralen Charaktere, keine Relevanzgewichtungen von Informationen, keine explizite Markierung von Dependenzverhältnissen einzelner Informationen und Handlungszüge. Letzterer Aspekt zeigt sich auch an der Verknüpfung der gelieferten Darstellungen durch den Konnektor und. Die Verknüpfungsform zeigt zwar die temporale Abfolge der Aktivitäten auf (und ist in dem Sinne keine Auffälligkeit des Erzählens), eine alternativ mögliche explizite Präzisierung des komplexen Bedingungsgefüges wird jedoch nicht vorgenommen. Ein weiterer interessanter Aspekt, den man im Verlauf der Präsentation beobachten kann, ist eine Form manifester Selbstorganisation, mit der sich die Autorin selbst wiederholt auf den Fortgang der Geschichte einstimmt: CH: der vater ruft dann halt irgendwie noch so ob CH: denn irgendwie dieser reservekanister halt äh äh drin CH: ist oder das gefüllt ist und äh der sohn setzt sich CH: dann wieder dazu- ** und an n=er an=er an=er tankstelle CH: * ähm * genau da zahlt der vater den äh ** die die CH: tankfüllung genau und der der sohn und das mädchen CH: unterhalten sich halt und sie wollen halt ach so und das CH: das mädchen hatte vorher gesagt dass sie halt äh nicht genau CH: weiß wo sie eigentlich hin will 136 In der zugrunde liegenden Dramentheorie heißt es, dass der Hauptcharakter das Drama durch seine Handlungen „antreibt“. Analysen 145 Mit Interjektionen, wie genau und ach so markiert die Autorin ihren Reflexionsbzw. Erinnerungsprozess und markiert damit die kognitive Anstrengung bei der Darstellung einzelner Informationen. Offensichtlich ist die Aufgabe, die Teilschritte der Geschichte zu präsentieren, bereits so schwierig, dass die rhetorische Darstellungsform vernachlässigt wird. Probleme mit der Darstellung/ Portionierung der Informationen können in einem strukturellen Problem wurzeln. Meist haben die Teams eine Geschichte noch nicht sehr weit ausgearbeitet, wenn sie in die Pitching-Situation gehen. Wenn es nicht möglich ist, den Pitch knapp zusammenfassend darzustellen, z.B. weil er kategorial noch nicht klar ist, muss die Darstellung zwangsläufig detaillierter werden. Ist sie dann jedoch noch nicht an allen dramaturgischen Positionen ausgearbeitet, muss dasjenige Teammitglied, welches die Darstellung übernommen hat, „improvisieren“. Hier verhält sich die Autorin so, als müsste sie in situ die einzelnen Bausteine der Geschichte zusammenfügen. Diese Hypothese wird durch die Videoaufnahme gestützt. Die Autorin blickt nur am Anfang in ihre Unterlagen, danach berichtet sie frei und schaut oft in Richtung der Dozenten, die links von ihr sitzen und in Richtung ihrer Kommilitonen, die rechts von ihr sitzen. Die Blicke zu den Kommilitonen sind oft hilfesuchend und treten häufig vor Äußerungsteilen auf, die durch das Anzeigen von Selbstorganisation (z.B. genau, ach ja) charakterisiert sind. Die Kommilitonen reagieren auf die Suche nach Blickkontakt, indem sie auf ihre Unterlagen blicken, auf die vor ihnen liegenden Papiere schreiben (! ), oder aber sie halten dem Blick der Autorin „stand“, ohne mit einem Lächeln oder Nicken unterstützend aktiv zu werden. Würde man die Aufnahme ohne das Kontextwissen anschauen, dass die Autorin die gemeinsam erarbeitete Idee des Teams präsentiert, könnte der Eindruck entstehen, die übrigen Gruppenmitglieder seien von den Ausführungen der Autorin nicht tangiert. Dies wird besonders durch ihre unbewegte Mimik („Poker-face“) nahe gelegt. Inwieweit das Team beispielsweise auch darauf reagiert, dass der gemeinsam erarbeitete Stand aus ihrer Perspektive nicht korrekt oder nicht ansprechend genug wiedergegeben wird, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Nur einmal wird die Autorin bei einer Wortsuche von einem Kommilitonen unterstützt. CH: eigentlich * gerade auf dem boden also gera#de re/ rea/ # K #BLICK ZU MA# Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 146 MA: reanimiert von den rettungssanitä|tern| CH: reanimiert wird |von | CH: den rettungssanitätern Während die übrigen Teammitglieder keine Unterstützungsaktivitäten bei der Strukturierung von Informationen bieten, springt der Kameramann bei der durch den Blickkontakt deutlich auffordernden Suche nach dem richtigen Begriff sofort zur Seite. Das Team zeigt damit eine Orientierung an der von der Autorin zu lösenden Aufgabe an: Die Strukturierung des Pitches, d.h. die konkrete Entscheidung darüber, welche Informationen zu welchem Zeitpunkt geliefert werden, überlassen sie ausschließlich der Autorin, lokale Hilfsangebote werden jedoch fraglos unterbreitet. Dabei liefert der Kameramann nicht nur den gesuchten Begriff (reanimiert), sondern spezifiziert zusätzlich die Agenten (von den rettungssanitätern). Dies wird von der Autorin wiederholt, die sogleich die Weiterführung des Pitches übernimmt. In anderen Pitchings kommt es nicht oft vor, dass die Präsentierenden zu ihren Kommilitonen schauen. Meist blicken sie konzentriert in die mitgebrachten und vor sich auf dem Tisch liegenden Unterlagen. Blickkontakt mit den Dozenten wird ebenfalls selten gesucht. Die Dozenten sind meist selbst auf das vor sich liegende Blatt konzentriert und schreiben fast pausenlos. Während des Pitchens zeigen sie kaum Reaktionen, an denen man die Evaluation des Gehörten ablesen kann. Im Ausschnitt „Rucksacktouristen“ beispielsweise wirkt sich eine starke Orientierung an den Schreibaktivitäten der Dozenten auf die Präsentationsweise des Studenten aus: # 10/ 04-06/ Rucksacktouristen KL: es geht um ein junges deutsches päarchen das: also KL: tim und lena ** die reisen mit dem rucksack durch polen KL: *4* auf einer gottverlassenen tankstelle ** ähm fährt KL: ihnen der bus davon mit samt dem ganzen gepäck *7* KL: das geld ist weg die papiere sind weg und ähm es kommt KL: zwischen den beiden zum streit weil e“r ihr die schuld KL: daran gibt *3* während sie“ eher ähm praktischer mit dem KL: problem umgeht Aufgrund der vielen und zudem verhältnismäßig langen Pausen scheint das Präsentierte sehr zäh und der Autor wirkt, als wäre er selbst nicht sonderlich Analysen 147 begeistert von der Geschichtsidee. Bei einem Blick in das Video fällt jedoch auf, dass die langen Pausen seiner Orientierung auf die Dozenten geschuldet sind. Er hat den Text vor sich liegen und diktiert ihn quasi den Dozenten. Ähnlich eines Lehrers, der Kindern das Schreiben beibringt, wartet er mit der Formulierung neuer Äußerungsteile ab, bis die ‘Schüler’ mit dem Schreiben des bereits Diktierten zum Abschluss gekommen sind. Seine Pausen dauern so lange, bis einer der Dozenten seinen Stift absetzt. Erst dann spricht er weiter und orientiert sich dabei wieder an den Schreibaktivitäten. Besonders deutlich wird die Diktat-Orientierung, wenn er eine Äußerung segmentiert, die eigentlich zusammenhängend formuliert werden könnte, da auf eine Dichotomie verwiesen wird, in der zuerst der eine Charakter, dann der andere Charakter thematisch ist. Die Progression der Äußerung wird durch eine dreisekündige Pause gegliedert (weil e“r ihr die schuld daran gibt *3* während sie“ eher praktischer mit dem problem umgeht). Das Verhalten der Dozenten während des Pitchens, insbesondere das reduzierte Körperdisplay und die Reduktion von Blickkontakt zu Gunsten eines konzentrierten Schreibens, wirken sich in diesem Beispiel auf die Präsentationsweise des Autoren aus. Nur selten werden die Dozenten im Rahmen des Pitchens verbal aktiv, dies geschieht beispielsweise, wenn das Verständnis des Pitches problematisch ist. Im Beispiel „Vater & Sohn“ kommt es nach der Wortsuche (reanimiert ) zu einem expliziten Account des Dozenten Hans, der sein Nicht-Verstehen thematisiert. # 10/ 04-06/ Vater & Sohn MA: reanimiert von den rettungssanitä|tern| CH: reanimiert wird |von | CH: den rettungssanitätern HA: nicht verstanden CH: LACHT KURZ MA: nee das wird auch also sie ist HA: also ich CH: weiter ja HA: bin zuletzt * sohn fährt dennoch Die Autorin hatte im Vorfeld, wie bereits gezeigt, viele Möglichkeiten der Verständnissicherung ungenutzt gelassen. An dieser Stelle, als das Verständnis explizit thematisch wird und der Dozent angibt, bis zu welchem Informations- Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 148 stand er „auf dem Laufenden ist“ (also ich bin zuletzt * sohn fährt dennoch), beteiligen sich auch die übrigen Teammitglieder aktiv an der Explikation der Darstellung. In diesem Zusammenhang, in dem primär die Aktivitäten der Pitchenden betrachtet werden sollen, möchte ich nicht detaillierter auf die Bearbeitung des Verständnisproblems eingehen. Für das Pitchen sind an der Verstehensproblematisierung und deren Bearbeitung jedoch zwei generelle Aspekte relevant: Zum einen die Aufgabenorientierung innerhalb des studentischen Teams: Die Autorin wird als alleinig Verantwortliche für die Geschichtsdarstellung angesehen, die von ihrem Team nur dann Unterstützung erhält, wenn es um punktuelle Wortsucheaktivitäten geht, oder wenn die Dozenten grundsätzlich anzeigen, dass sie die Ausführungen der Autorin nicht verstehen und es dadurch für ihre gemeinsame Geschichte problematisch wird. Zum anderen sieht man in der Verständnisthematisierung eine Ausnahme des dozentenseitigen Verhaltens. In der Regel halten sich die Dozenten während des Pitchens sehr zurück und sind primär mit Zuhören bzw. Schreiben beschäftigt und produzieren dabei wenig Displays, die auf die Qualität der Geschichte hinweisen. Bei Verständnisproblemen werden sie jedoch sofort aktiv und reagieren unmodalisiert und direkt. Häufiger folgen die Dozentenreaktionen erst nach dem deutlich erkennbaren Abschluss der Pitch-Präsentation, und zwar als konkrete Nachfragen hinsichtlich des Stoffes (z.B. im Pitch „Moskauticket“: warum moskau, im Pitch „Musiker“: wieso tragik-komisch wo ist der ansatz tragik-komisch). Konkrete inhaltlich-thematische Evaluationen des Pitches oder des Pitchens sind - auch im Anschluss an die Präsentation - absolute Ausnahmen. Ein Beispiel hierfür ist der Pitch „Moskauticket“, den die Autorin zu Beginn deutlich kontextualisiert: Sie gibt zunächst Informationen über den Stand der Stoffdiskussion und über relevante Orientierungen im Team, die sich auf die Struktur des Dramas beziehen. # 10/ 04-06/ Moskauticket MI: wir haben verschiedene varianten in der woche ähm MI: entwickelt und wir fangen jetzt erst einmal mit einer an MI: und wir haben auch noch en paar andre also wir waren uns MI: da * an einigen punkten nicht so ganz sicher * wie wir MI: das am besten bauen könnten↓ * erst mal ganz kurz * es Analysen 149 Noch vor dem Pitchen erfahren die Dozenten, dass das Team auf mehrere Varianten zurückgreifen kann und dass zunächst eine dieser Varianten gepitcht werden wird. Zudem stellt die Autorin das Team als problemorientiert und selbstreflexiv dar (an einigen punkten nicht so ganz sicher). Der Hinweis auf das bauen der Geschichte zeigt die Berücksichtigung der zugrunde liegenden Dramenarchitektur. Eine weitere, im Kontext des Pitchens relevante Information bezieht sich auf die Äußerung erst mal ganz kurz. Die Autorin verdeutlicht den Status ihrer kommenden Ausführungen als knappe Zusammenfassung und zeigt damit eine explizite Beachtung der von den Dozenten geforderten Kürze des Pitches an. MI: das am besten bauen könnten↓ * erst mal ganz kurz * es MI: ist ne geschichte einer frau“ * die einen traum hat * äh MI: der traum * ist es nach moskau zu gehen um da zu le“ben MI: ** äh eines tages bekommt sie die äh möglichkeit diesen MI: traum zu verwirklichen- * dadurch dass sie ein ticket MI: geschenkt bekommt- * […] Obwohl der Pitch, den ich in seiner Gesamtheit aus Fokussierungsgründen nicht darstellen möchte, insgesamt thematisch und dramenarchitektonisch nicht unproblematisch ist, gestaltet sich die erste Reaktion von Hans ausgesprochen positiv. Nach einer Rückfrage der Autorin, die eine Entscheidung für weitere Details von den Dozenten abhängig macht und gleichzeitig das Ende der angekündigten knappen Darstellung anzeigt, kommt es zu einer expliziten Positivevaluation. MI: nach moskau fährt * und da kommt=s dann halt ich weiß MI: nicht * ob ich jetzt en bisschen so in=s detail gehe MI: sonst- |na ich darf noch| RA: du kannst noch en bisschen |wenn du willst | MI: na da ist zum beispiel der kiosk * der kiosk ist zum MI: beispiel- |ja | HA: vorbildliches pitching |muss| man erst RA: ja HA: einmal sagen das ist genau so: * kurz * fünf sätze HA: undaber gerne die details MI: äh wir hatten uns überlegt MI: das wir anfangen wie sie auf dem bahnsteig * sitzt […] Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 150 Hans' positive Evaluation bezieht sich nicht auf die Qualität des Pitches, sondern auf die Durchführung des Pitchens, auf die Kürze der Präsentation. Für die Dozenten ist der Aspekt der Kürze und Prägnanz der zentrale, den sie bei ihren expliziten Verweisen auf das Durchführen eines Pitches immer wieder betonen, obwohl er im gesamten Anforderungsprofil - wie oben dargestellt - nur ein Aspekt ist. 4.3.3 Zusammenfassung Pitchen ist eine besondere, professionsspezifische Form der meta-narrativen Kurzpräsentation, bei der die folgenden zwei Anforderungen gleichzeitig bearbeitet werden müssen: Zum einen muss der Nachweis erfolgen, dass die Geschichte auf die dramenstrukturellen Vorgaben orientiert ist, d.h. Pitchen muss strukturindikativ sein. In der Regel werden hierzu soziale Kategorisierungen bzw. Kategorien benutzt, die von vornherein in ihrer Qualität als Ausfüllung einer dramenarchitektonischen Position, wie z.B. „Held“, fungieren (siehe bekannter jazzmusiker). Eine Präsentationsweise, die kategorial geprägt ist, ist gegenüber einer szenisch-beschreibenen Variante „ökonomischer“. Die szenische Beschreibung produziert aufgrund ihrer spezifischen Konstitutionslogik, die durch kleinschrittige Expansion und damit verbundenen „Detaillierungszwängen“ (vgl. Kallmeyer/ Schütze 1977) charakterisiert ist, ein strukturell zu kompliziertes Gebilde. Zum anderen ist es notwendig, die strukturindikativen Positionen fallstrukturell interessant auszugestalten. Die Pitchenden stehen hier unter einem Innovationszwang. Dies bedeutet, die Geschichte muss in ihrer Fallspezifik auf eine interessante Art und Weise die dramenstrukturellen Positionen umsetzen. Nur wenn es gelingt, die immer gleichen dramenstrukturellen Vorgaben fallspezifisch ansprechend zu modellieren, ist die Voraussetzung für eine interessante Geschichte gegeben. Es ist der fallspezifische Aspekt, der in bestimmte soziale Weltausschnitte, Milieus, menschliche Grundkonflikte etc. führt und auf direkte Weise an den Erfahrungshorizont des Filmzuschauers anknüpft. Betrachtet man das Pitchen unter einer handlungstypologischen Perspektive, so wird folgendes Charakteristikum deutlich: Der Pitch ist eine präsentative Kurzform, für die es klare dramenstrukturelle Bezugspunkte und Bewertungskriterien gibt. Diese werden jedoch in keinem Pitch thematisiert, auch wenn sie als zentrale Kompositionsprinzipien der Geschichte zugrunde liegen. Hinsichtlich dieses Aspektes und hinsichtlich der Tatsache, dass die Geschichten Analysen 151 immer in einem strikt chronologischen Ablauf erzählt werden (von der Exposition bis zum Schluss), stimmen alle Pitches - unabhängig von ihrer Qualität - überein. Der Pitch wird i.d.R. von einem einzelnen Teammitglied realisiert. Phasen kollaborativen Erzählens sind anders als im Alltag keine Technik, um die Erzählung interessant zu gestalten, sondern eher ein Symptom für ‘dramenstrukturelle Schwäche’. Andere Teammitglieder zeigen ihre Orientierung an dieser monologischen „Ein-Personen-Anforderung“ durch weitgehenden interaktiven Rückzug an. Präsentierende laufen Gefahr, ihre Zuständigkeit für den Pitch zu verlieren, wenn sie metakommunikative Exkurse anstoßen, z.B. durch die Erklärung und Begründung von ausgewählten fallspezifischen Details. Diese Exkurse unterbrechen das Pitchen, und es ist für den Darstellenden nicht unproblematisch, wieder zur Aufgabe zurückzuleiten und das alleinige Darstellungsrecht zu behalten. Das Pitchen ist zudem eine Präsentationsform, die sich die Studierenden erst als Kompetenz aneignen müssen, wobei sie nicht automatisch auf alltagsweltliche Techniken des Erzählens zurückgreifen dürfen. Im Alltag erworbene Techniken des konversationellen Erzählens, wie z.B. affektive und emotionale Sprachformen (vgl. Quasthoff 1980), dramatisierende Mittel (vgl. ‘replaying’ bei Goffman 1974), direkte Rede als rhetorisches Verfahren zur szenischen Vorführung kommunikativer Ereignisse (vgl. Günthner 2000), gelten als unprofessionell und sind daher dispräferiert. Der Pitch als „Meta-Erzählung“ weist eher Ähnlichkeiten mit Berichten als mit Erzählungen auf. Dennoch hat das Pitchen auch eine „rhetorische Seite“. Durch die Art der Darstellung können die Studierenden anzeigen, dass sie selbst für ihre Geschichte „brennen“ und sie können die beiden Dozenten als engagierte Mitarbeiter für ihre Idee werben. Die Begeisterung für die Geschichte kann von den Studierenden durch einen bestimmten Darstellungsduktus ausgedrückt werden, bei dem Informationen prägnant formuliert werden, oder durch ein gewisses Sprechtempo und die Aufrechterhaltung eines konstanten Sprechflusses, bei dem es nicht zu langen Erzählpausen kommt. Auch die Intonation kann als Überzeugungsmittel eingesetzt werden: Über einen „Duktus der Fraglosigkeit“ und die Vermeidung von Vagheit können die Studierenden ausdrücken, dass sie uneingeschränkt hinter der Geschichte stehen. Diejenigen, die ihre Begeisterung beim Pitchen zum Ausdruck bringen, genießen bei den Dozenten einen gewissen Bonus, unabhängig davon, wie innovativ und dramenstrukturell konsistent die Geschichte erzählt wird. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 152 Die dozentenseitige Bewertung bezieht sich in erster Linie auf die von der Fallspezifik unabhängige Darstellung des Pitches als eine für den Kontext zentrale - kurze - Präsentationsform. Erst in zweiter Linie und von dem ersten Aspekt relativ unabhängig wird die Fallspezifik in Hinblick auf Logik, Realitätsnähe und Durchführbarkeit bewertet. 4.4 Die Kernaktivität „Stoffentwicklung“ Was ist Stoffentwicklung? Stoffentwicklung ist die Genese einer filmischen Geschichte unter erschwerten Bedingungen. Die zentrale Anforderung dabei besteht in der szenischen Exemplifizierung abstrakter Ideen durch konkrete, für einen potenziellen Zuschauer nachvollziehbare Handlungen von Filmcharakteren, und zwar im Rahmen eng gesteckter, spezifischer Vorgaben (= „erschwerte Bedingungen“). Diese Vorgaben beziehen sich zum einen auf dramaturgische Restriktionen, d.h. die Handlungen der Charaktere müssen dramaturgische Konstruktionsprinzipien berücksichtigen, zum anderen beziehen sie sich auf die Kompatibilität der szenischen Vorschläge mit Restriktionen des Settings, der Backstory, 137 des entworfenen Charaktertyps, der Nachvollziehbarkeit/ Glaubwürdigkeit, der strukturierenden Implikationen vorgängiger Handlungen etc. Dazu ein Beispiel für die szenische Gestaltung einer Exposition, das der Dozent Hans in einem Pitching zur Entwicklung des 5-Minuten-Films liefert: # 05/ 02-04/ Taschendieb HA: okay #frau meier# hat vorgegeben es kommt drauf an K #Drehbuch-Studentin# HA: ähm am anfang zu erzählen dass er seiner frau HA: etwas vorspielt was nicht äh der wirklichkeit HA: entspricht […] Hans gibt zunächst die studentische Idee in eigenen Worten wieder. Kurz gefasst geht es um einen Mann, der seine Frau belügt. Dies ist eine abstrakte Vorlage, die nun szenisch dargestellt werden muss. Wie dies geschehen soll, beschreibt Hans im Weiteren. HA: […] dafür müsst ihr eine situation suchen ** HA: oder ein bild also ne konkretion oder wie immer ihr 137 Die Backstory beinhaltet relevante Hintergrundinformationen über das Leben der Charaktere (z.B. Lebensumfeld, Bildungsniveau, Weltsicht, Erfahrungen etc.), die nicht unmittelbar im Film thematisch werden, jedoch für die Geschichtsentwicklung wichtig sind, da sie Verhaltensweisen der Charaktere im Film motivieren. Analysen 153 HA: das nennen wollt mh und wie wir das machen was HA: ralf sagt wir machen das immer so wir spinnen HA: jetzt einfach los wir spinnen einfach rum so wir HA: wir ham eine wir wissen da is=n typ da is ne frau HA: und der frau äh und der typ äh macht der frau etwas HA: vor was er habe ein beruf den er in wirklichkeit HA: nicht ausübt *2* also Nach der theoretischen Darstellung der anstehenden Aufgabe (situation [...] bild [...] konkretion [...] suchen) gibt Hans explizit ein Konzept für sie an (rumspinnen) und liefert etwas später ein Beispiel: HA: es is * es is auch nur ein beispiel darum äh da/ HA: dafür wie wir rumspinnen also wie wir einfach so *3* HA: wie man rumspinnt ne ich hab zum beispiel vorhin so HA: gedacht die bringt ihn an den bahnhof er steigt in den HA: zug und steigt auf der andern seite wieder aus ja Hans lässt in seinem Beispiel den Protagonisten in einem konkreten Setting (Bahnhof) handeln, um durch dessen Tun zu exemplifizieren, dass er etwas anderes tut, als er zunächst vorgibt. Dabei bedient er sich mit dem Zug-Beispiel eines gängigen alltagsweltlich bekannten Aktivitätszusammenhangs. Jeder potenzielle Zuschauer verbindet das Einsteigen in einen Zug mit einem Ortswechsel. Einen Zug zu nehmen heißt, von A nach B gelangen zu wollen. Gerade diese in der alltäglichen Erfahrung gegründete Fraglosigkeit bezüglich der Intention von Menschen, die einen Zug nehmen, kollidiert in Hans' Beispiel mit dem Handeln des Protagonisten, der auf der anderen Seite des Zuges wieder aussteigt. Damit wird durch die Wahl des Settings und der dort stattfindenden Handlungen des Protagonisten gezeigt, dass dieser sich - aus welchen Gründen zunächst auch immer - nicht erwartungskonform verhält. Dies kann der Zuschauer sehen (er sieht ihn auf der anderen Seite aussteigen), seine Frau im Film, die ihn zum Zug gebracht hat, jedoch nicht (sie sieht ihn auf der anderen Seite nicht aussteigen). Durch eine Anknüpfung an gängige Erfahrungen verdeutlicht Hans: der typ [..] macht der frau was vor (s.o.). Die Grundoperation der Stoffentwicklung - und dies wird durch dieses einfache Beispiel schon ersichtlich - ist die Transformation und szenische Exemplifizierung einer abstrakten kategorialen Idee in einen unmittelbar wahrnehmbaren und verstehbaren konkreten Handlungsvollzug. Diese Transformation Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 154 geschieht unter einer medienspezifischen Perspektive, d.h. in Hinblick darauf, dass ein potenzieller Filmrezipient aufgrund seiner Alltagserfahrung sofort die Implikationen des Handelns begreift. Die Dozenten rekurrieren im Pitch- Pitching systematisch auf den szenisch-darstellerischen Charakter der Aufgabe, insystematisch auf den szenisch-darstellerischen Charakter der Aufgabe, indem sie die Studierenden mit der Frage „Wie kann das aussehen? “ oder der Aufforderung „Zeig es mir, ich will das sehen! “ konfrontieren. Stoffentwicklung heißt Sichtbarmachen von Ideen. Die Aufgabe, eine Geschichte sichtbar und damit verstehbar zu machen, ist für die Studierenden sehr schwierig umzusetzen. Sie verlangt Kompetenzen, die sich vom Reden über eine Geschichte oder von der Interpretation von Filmen grundlegend unterscheiden. Die Diskrepanz zwischen dem Reden über eine Geschichte und der Entwicklung einer Geschichte durch Visualisierung soll nachfolgend anhand eines kurzen Transkriptausschnittes demonstriert werden. Die Studentin Antje erörtert ihre Geschichtsidee: 138 # 05/ 02-04/ Bernd AN: […] also die geschichte ganz am anfang also so wie ich sie verstanden hab zumindest war ähm es gab dieses paar was sich äh innerhalb der beziehung so=en bisschen festgefahren is ein bisschen wortkarg geworden is untereinander also die kommunikation is verstummt und ähm * es gibt diesen bernd * ähm er hat so=ne art lebenslüge also führt ein doppelleben und ganz am anfang war=s mal so so ähm: dass er sich verkleidet * also sich zu einer anderen person sozusagen verkleidet und ähm damit rausgeht oder also wir ähm eswir warn uns nich ganz schlüssig aber so sodamit fing das an * und dass die martina eben irgendwann entdeckt- * dass er=n zweites leben führt ** und ähm dass er eben * sozusagen so=ne lebenslüge hat und am amalso in der geschichte in der ersten die wir hatten war=s eben so dass sie=s akzeptiert und ähm ihm stillschweigend sozusagen klar macht dass sie sein geheimnis erfahren hat und ähm dass sie ihn so auch annimmt * und damit endete der film Die Darstellung der Studentin ist ein prototypisches Beispiel für eine „abstrakte Idee“ und daher relativ zu den Anforderungen nach Konkretisierung und Sichtbarmachung unzureichend. Die von ihr angebotenen Vorschläge drücken sich nicht in Handlungen von Charakteren aus. Sie liefern vielmehr Be- 138 Es handelt sich dabei nicht um das Pitching, in dem Hans das vorher dargestellte Zugbeispiel liefert, dennoch geht es inhaltlich-thematisch wieder um eine Lebenslüge. Da es sich um längere Ausführungen der beiden Sprecher handelt, werde ich das Transkript zur besseren Lesbarkeit nicht in Partiturschreibweise abbilden. Analysen 155 schreibungen für die Paarbeziehung und für die das Paar konstituierenden Personen. Dazu gehört die Charakterisierung des Paares als in der Beziehung festgefahren, ein bisschen wortkarg geworden, sowie der Verweis auf den Austausch zwischen den beiden Charakteren durch die Angabe: Die kommunikation is verstummt. Der Mann (bernd ) wird als jemand beschrieben, der eine lebenslüge hat und ein doppelleben führt. Zur möglichen Visualisierung dessen wird die Idee in den Raum gestellt, dass er sich verkleidet. Die Idee wird jedoch nicht weiter spezifiziert. Bernds Frau (martina) ist diejenige, die entdeckt- * dass er=n zweites leben führt. Wie dies geschieht, bleibt jedoch offen. Ihr Umgang mit dem Problem wird ebenfalls nur als generelle Idee, die sich nicht handlungsförmig objektiviert, erkennbar: dass sie=s akzeptiert und ähm ihm stillschweigend sozusagen klar macht dass sie sein geheimnis erfahren hat und ähm dass sie ihn so auch annimmt. Hans problematisiert Antjes Schilderung (aber das is auch wieder wahnsinnig ähm abstrakt) und liefert ein Beispiel, mit dem er demonstriert, wie eine Konkretisierung für die von der Studentin angegebenen Idee exemplarisch aussehen kann, indem er eine Szene aus dem Film „The Full Monty“ (dt. Titel: „Ganz oder gar nicht“) beschreibt: HA: [...] also ich nehm so=ne situation aus [...] ~full monty~ da gibt es einen charakter der geht jeden morgen äh zieht er sich ordentlich an weil er irgendwo im mittleren management oder abteilungsleiter war und der geht zur arbeit * und ähm in wirklichkeit geht er nicht zur arbeit sondern er hängt irgendwo rum und abends kommt er wieder nach hause und eines tages entdeckt seine frau dass er ** das wäre ne konkrete situation * kann ich mir sofort was drunter vorstellen * [...] das is=en sehr korrekter preußischer gar nich unsympathischer mann der der zieht sich oder geht jeden morgen richtig mit schlips und kragen aus=em haus [...] kann man sich sofort vorstellen ja * man weiß was das für=en typ is * is nett gibt seiner frau noch=nen kuss is also ganz lieb zu seiner frau auch ** und da ises is=ne bombe wenn die platzt weiß man nicht was äh was los sein wird * und dasich glaube da sprech ich auch für alle * sie müssen versuchen den charakter zu so sosie müssen wissen das is so=en typ wie unser nachbar * also so so sie müssen wissen wie groß der is er hat schwarze haare ähm [...] Hans konkretisiert das „Führen eines Doppellebens“ (das wäre ne konkrete situation). Die Konkretisierung bemisst sich dabei an der Verstehbarkeit und Nachvollziehbarkeit der konkreten Ideen (kann ich mir sofort was drunter vorstellen). Wenn die Studentin für die Verdeutlichung des Doppellebens anführt, dass sich der Protagonist verkleidet, so ist dies zwar eine Exemplifizie- Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 156 rungsmöglichkeit. Ein Konzept wie „Verkleiden“ ist jedoch für sich genommen noch nicht indikativ für das Führen eines Doppellebens, sondern kann sehr unterschiedliche Motivierungen aufweisen. Anders hingegen ist es in Hans' Beispiel. Dort handelt der Protagonist für potenzielle Zuschauer sichtbar: der geht jeden morgen äh zieht er sich ordentlich an weil er irgendwo im mittleren management oder abteilungsleiter war und der geht zur arbeit * und ähm in wirklichkeit geht er nicht zur arbeit sondern er hängt irgendwo rum und abends kommt er wieder nach hause. Außerdem gibt Hans sehr detaillierte Informationen zum Aussehen des Charakters und situiert ihn somit auch in einem sozialen Milieu: * das is=en sehr korrekter preußischer gar nich unsympathischer mann der der zieht sich oder geht jeden morgen richtig mit schlips und kragen aus=em haus [...] man weiß was das für=en typ is * is nett gibt seiner frau noch=nen kuss is also ganz lieb zu seiner frau auch. Die Anforderung der Stoffentwicklung, eine Geschichtsidee durch Handlungen zu konkretisieren und zu verbildlichen, ist für sich genommen schon komplex. Sie wird jedoch durch die oben erwähnten - auf sehr unterschiedlichen Ebenen angesiedelten - ‘erschwerten Bedingungen’ zusätzlich verkompliziert. Diese Bedingungen betreffen vier Aspekte, die sich unterschiedlich auf die Genese der Stoffentwicklung auswirken: Dramaturgisch-kompositive Bedingungen Die Dramaturgie ist zentrale Grundlage der Stoffentwicklung. Eine Idee muss in den Rahmen der im Studium vermittelten Dramaturgie passen, damit aus ihr tatsächlich eine Geschichte wird, die filmisch umgesetzt werden kann. Für die Konzeption einer Geschichte liefert die Dramenarchitektur relevante strukturelle Vorgaben (Szenen, Akte, Wendepunkt etc.) sowie kompositive Bausteine (Held, Ziel, Hindernis, Antagonist, Alternativer Faktor etc.), die bei der Stoffentwicklung berücksichtigt werden müssen: Die strukturellen Vorgaben betreffen Handlungsabfolge und -logik der Geschichte. Sie definieren die Anzahl der Szenen und Akte für das jeweilige Filmformat, die Platzierung des Wendepunktes, 139 das Verhältnis von Wendepunkt und Ausgang etc. Die kompositiven Bausteine liefern die jeweiligen für die Handlung relevanten Handlungsträger/ Charaktere und definieren auch deren Beziehung zueinander (z.B. Protagonist/ Antagonist). Weiterhin geben sie dem Handeln des Protagonisten eine Motivierung („Was ist sein Ziel? “) und bestimmen dadurch beispielsweise auch den Spannungsgrad oder die Fallhöhe 139 Der Wendepunkt (Peripetie) ist in der Konstruktion des Dramas ein besonders relevanter Bestandteil, da sich dort die Glücksumstände des Protagonisten zum Guten oder zum Bösen wenden und die Handlung ihren Höhepunkt erreicht. - Analysen 157 („Was ist, wenn der Held sein Ziel nicht erreicht? “). Die strukturellen Vorgaben und die kompositiven Bausteine tragen gemeinsam dazu bei, dass sich eine Geschichte konsistent entwickeln kann. 140 Die Fähigkeit, eine Geschichte unter Berücksichtigung der dramaturgischkompositiven Bedingungen zu entwickeln, gehört zu den wichtigsten Lernzielen des Studiums. Wenn von den Studierenden in der szenischen Entwicklungsarbeit strukturelle Fehler im Zusammenhang mit der Dramentheorie gemacht werden, z.B. wenn für die Dozenten ersichtlich wird, dass die Studierenden zentrale Aspekte der Dramenarchitektur nicht verstanden haben, wird die konkrete szenische Entwicklung angehalten und es kommt zu dramentheoretischen Ausführungen der Dozenten (vgl. Kap. 4.4.2). Diese sind vor allem in den Pitchings zu den 5-Minuten-Filmen häufig und sehr elaboriert. Sie führen zu einer Interaktionsstruktur, die weitgehend einseitig durch die Dozenten geprägt ist und in der die Studierenden sich primär rezeptiv verhalten. Mit zunehmender Professionalisierung der Studierenden im Verlauf der Ausbildung nehmen die Exkurse an Dauer und Häufigkeit ab. Konsistenzbedingungen Die Stoffentwicklung unterliegt in verschiedener Hinsicht Konsistenzbedingungen. Erstens betreffen diese die Entwicklungslogik der Geschichte. Vorgängige Ideen und Entwicklungsschritte etablieren einen Kontext, an dem sich nachgängige Weiterentwicklungen zwangsweise orientieren müssen, damit die Geschichte nachvollziehbar und realistisch bleibt. Zweitens ist auch eine auf die Filmcharaktere bezogene Konsistenz zu berücksichtigen. Sie müssen so handeln, dass es zum vorher gezeigten Typus passt. Dies hängt drittens auch mit der Gestaltung der Backstory, also den Informationen zu Personen, Orten, Biographien etc. zusammen, die nicht unmittelbar im Film gezeigt werden, jedoch bei der Entwicklung der Geschichte imaginiert werden müssen, um Handlungen der Charaktere zu plausibilisieren. Viertens verlangt auch das gewählte Setting eine Anpassung der szenischen Ideen an seinen spezifischen situativen Rahmen. Das Überprüfen der Konsistenzbedingungen ist ein systematisches Verfahren, das dazu führen kann, die konkrete szenische Entwicklung aufzugeben, um 140 Eine alltagsweltliche Analogie zu diesem Vorgang wäre das Backen von Kuchen: Die Ebene Analogie zu diesem Vorgang wäre das Backen von Kuchen: Die Ebene der für die Geschichte konstitutiven Elemente (wie Held, Ziel, Hindernis etc.) sind die Backzutaten, die Ebene der Handlungsabfolge (Szenen, Wendepunkte) entspricht der Reihenfolge, in der sie verarbeitet werden. - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 158 detaillierter über die Backstory nachzudenken. Die Festlegung der Backstory beeinflusst die weitere szenische Ausgestaltung insofern, als bestimmte Charaktere auf jeweils spezifische Verhaltensweisen oder Problemlösungsressourcen zurückgreifen. In einem Pitching diskutiert eine Gruppe beispielsweise sehr ausgiebig, warum sich ihre Protagonistin entschieden hat, zur Bundeswehr zu gehen und ob sie den Aspekt des potenziellen Tötens zuvor reflektiert hat. Dabei fragen sich die Gruppenmitglieder, ob die Protagonistin ihre Wahl aus emanzipatorischen Überlegungen getroffen hat, bei denen sie andere interessante Berufsperspektiven zu Gunsten dieser Entscheidung abgewählt hat, oder ob sie sich aus ihrer beruflichen Misere (Kassiererin in einer unattraktiven, wenig zukunftsfreundlichen Stadt) befreien wollte und die Entscheidung für die Bundeswehr aus ihrer Perspektive hier der einzige Ausweg war. Glaubwürdigkeitsbedingungen Die Frage der Glaubwürdigkeit ist eng an die Anforderung an Konsistenz gebunden. Nur wenn das Handeln der Charaktere hinsichtlich der kontextuellen Vorgaben und im Rahmen des Settings und der Backstory konsistent ist, ist es für einen Zuschauer auch glaubwürdig. Es gibt jedoch im Rahmen der Konsistenzbedingungen durchaus Fälle, in denen mehrere Entwicklungsvorschläge für die szenische Gestaltung denkbar sind, einige davon jedoch unter Aspekten der Glaubwürdigkeit eher in Frage kommen, als andere. Innovationsbedingungen Ein großes Problem der Stoffentwicklung ist der ‘Innovationszwang’. Die Geschichten, die den oben dargestellten engen Vorgaben unterliegen, sollen trotzdem interessant und neu sein, damit sie potenzielle Zuschauer fesseln können. Dazu ein Zitat von Hans: # 05/ 2004-2006/ Bernd HA: wenn der hund den briefträger beißt * entsteht keine HA: geschichte * wenn der briefträger den hund beißt HA: entsteht ne geschichte * warum sag ich das >das zweite HA: jetzt< *2* weil sie müssen was neues erzählen * wenn sie HA: das erzählen was jeder weiß erwecken sie keine neugierde HA: * sie können eine geschichte nur dann erzählen wenn HA: sie bei ihrem zuhörer * das bedürfnis erwecken HA: was ist was kommt jetzt was kommt jetzt was kommt jetzt * - - Analysen 159 Die verschiedenen Bedingungen stellen eine permanente in der Struktur der Stoffentwicklung verankerte ‘potenzielle Gefährdung’ für die konkrete szenische Entwicklung dar. Wenn szenische Vorschläge unterbreitet werden, die mit den Bedingungen nicht kompatibel sind, führt dies immer zum Ausstieg aus der Entwicklung und zu unterschiedlich ausgeprägten szenen-reflexiven Phasen. Während die Überprüfung der dramaturgisch-kompositiven Bedingungen oft in dramentheoretischen Ausführungen der Dozenten (vgl. Kap. 4.4.2) mündet, regt der Abgleich mit anderen Bedingungen zu einem Austausch über relevante Charaktere oder das thematische Umfeld der Geschichte an. Hier werden nicht nur die Charaktere schärfer konturiert, z.B. durch die Frage nach dem familiären und sozialen Hintergrund des Protagonisten (= „Er ist Sohn eines Apothekers“; „Sie ist Kapitänsgattin“). Auch relevantes inhaltlich-thematisches Wissen/ vorherige Recherchen zum Themenkreis der Geschichte, die das Handeln der Filmcharaktere in irgendeinem Sinne beeinflussen, werden durch gezielte Fragen der Dozenten abgesteckt („Wie viele Frauen sind denn aktuell bei der Bundeswehr? “; „In welchem Monat der Schwangerschaft kann man Trisomie 21 erkennen? “). Hierbei werden Brainstorming-Prozesse angestoßen, deren Ergebnisse sich auf die weitere szenische Entwicklung auswirken. Die notwendige Auseinandersetzung mit den o.g. Bedingungen führt zu einer Konturierung der Geschichtsidee und der verschiedenen Charaktere. Die szenische Entwicklung hingegen ist der ‘Ort’, an dem sich die Anforderung nach Konkretisierung und Sichtbarmachen von Ideen - als ‘Vorversion des Filmes’ - primär niederschlägt. Die Aufgabe „Stoffentwicklung“ kann somit als Entwicklung von Szenen und Lösung von Problemen, die unmittelbar mit der Szenenentwicklung zusammenhängen, beschrieben werden. Somit hat die Szenenentwicklung innerhalb der Gesamtaufgabe „Stoffentwicklung“ einen herausragenden Stellenwert. Aus diesem Grunde werde ich mich im folgenden Analysekapitel zunächst ausführlich der szenischen Entwicklung zuwenden (Kap. 4.4.1). Dabei werden zwei Beispiele vorgestellt, in denen die Studierenden konkret und szenisch an der Geschichte arbeiten und dabei unterschiedliche Problemlösungsverfahren anwenden. Die Auswahl der Beispiele orientiert sich an zwei systematisch zu bearbeitenden Anforderungen bei der szenischen Entwicklung. Das erste Beispiel zeigt primär Verfahren der szenischen Konstruktion (Kap. 4.4.1.1), das zweite Beispiel primär Verfahren der szenischen Ausgestaltung (Kap. 4.4.1.2). Beide Beispiele verdeutlichen zudem den Zusammenhang von szenischer Konstruktion, szenischer Ausgestaltung und dem Abgleich mit den oben aufgeführten Bedingungen. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 160 Anschließend wird die Spezifik der dramentheoretischen Exkurse anhand mehrerer Beispiele verdeutlicht, die jeweils unterschiedliche Verfahren der Vermittlungspraxis aufzeigen (Kap. 4.4.2). 4.4.1 Szenische Entwicklung Die interaktive Praxis der szenischen Entwicklung wird im Folgenden anhand zweier Beispiele dargestellt. Beide Beispiele sind länger als die bisher in der Arbeit gewählten Ausschnitte, um die für die szenische Entwicklung typische schrittweise Genese über einen gewissen Zeitraum zu erfassen. Die Beispiele sind grobstrukturell gesehen ähnlich. Sie sind charakterisiert durch eine vorgängige Aufgabendefinition eines Dozenten und zeigen die anschließenden Bearbeitungsbemühungen einiger Teammitglieder, die Vorschläge für die Gestaltung einer Szene entwickeln. Dabei wechseln abstrakte (vorgängige) Überlegungen ab mit konkreter szenischer Gestaltung. Aus den Konkretisierungsvorschlägen emergieren wiederum Relevanzen, die mit den oben aufgeführten erschwerten Bedingungen zusammenhängen und zu neuen Überlegungen führen, die sich ihrerseits auf die weitere szenische Konkretisierung auswirken. Beide Beispiele unterscheiden sich primär aufgrund der eingesetzten multimodalen, insbesondere sprachlichen und gestisch-mimischen Verfahren und sind geeignet, ein differenziertes Anforderungsprofil der szenischen Entwicklung zu entwerfen. Beginnen möchte ich mit einem für die szenische Entwicklung prototypischen Ausschnitt aus dem 10-Minüter-Pitching. In der detaillierten Analyse der multimodalen Realisierung der Entwicklungsvorschläge werden zentrale Verfahren der Szenenentwicklung sichtbar, die anschließend durch die Ergebnisse aus der Analyse des zweiten Beispiels vervollständigt werden. 4.4.1.1 Szenische Konstruktion Die Analyse des ersten Beispiels eröffnet Einsichten in Basisoperationen der Szenenentwicklung und zeigt, welche unterschiedlichen Aspekte für die Aufgabe konstitutiv sind, wie diese interaktiv bearbeitet werden und welche Beteiligungsprofile sich dabei etablieren. Im Fokus stehen Verfahren der szenischen Konstruktion. 4.4.1.1.1 Kontext des Beispiels: Musiker In dem ausgewählten Ausschnitt ist das Team mitten in der Stoffentwicklung und gerade dabei, eine zentrale Szene zu entwerfen. Die Filmidee handelt von einem erfolgreichen Musiker (Bassist), der bei einem Unfall einen Arm verlo- Analysen 161 ren hat. Da er nicht mehr in der Lage ist, Musik zu machen, will er sich das Leben nehmen. Bevor er dies in die Tat umsetzen kann, wird sein Bass von einem Jungen entwendet, der vorab versuchte, den Musiker dazu zu bewegen, ihn als seinen Schüler anzunehmen. Als der Musiker dies ablehnt, flüchtet der Junge mit dem Bass. Es kommt zu einer Verfolgungsjagd. Abb. 27: Pitching-Gruppe „Musiker“ Die Gruppe hat schon über weite Strecken an der Entwicklung des Stoffes gearbeitet, wobei zwischenzeitlich sehr schwierige Phasen zu überwinden waren, in denen keine zufriedenstellenden Ergebnisse produziert wurden. Mit einer neuen Idee konnte dann der Anfang der Geschichte weitgehend ausgearbeitet werden. Hierzu hat die Gruppe engagiert zusammengearbeitet. Nach einiger Zeit fasst der Dozent Ralf den erreichten Stand zusammen und lobt, dass die Geschichte, die zuvor von Äußerlichkeiten bestimmt war, nun endlich in dem Handeln der Charaktere gegründet ist (character driven drama). 4.4.1.1.2 Festlegung der als nächstes zu entwickelnden Szene (Dozent) In dem ausgewählten Segment schließt der Dozent Ralf die vorgängige Aktivität (Reden über den erreichten Stand) ab und fordert die Studierenden auf, die Geschichte weiter zu entwickeln und eine Verfolgungsszene zu entwerfen. Interaktionsstrukturell betrachtet ist die Stoffentwicklung in den meisten Fällen eine Verkettung von strukturierenden Fragen der Dozenten und Antwortbemühungen der Studierenden. Durch ihre fokussierenden Fragen legen die Dozenten kleinere Entwicklungseinheiten fest und portionieren durch diese Fokussierung die komplexe Aufgabe der szenischen Entwicklung. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 162 Das Ende des vorhergehenden monologischen Beitrags des Dozenten enthält eine deutliche Abschlussmarkierung und die Frage an die Studierenden, wie die szenische Entwicklung weiter gehen kann: # 10/ 02-04/ Musiker RA: * so <gut> soweit sind wir und äh: * wie kann das denn RA: aussehen jetz diese *4* >die< verfolgung *8,5* Die Frage bezieht sich thematisch auf einen kleinen Ausschnitt innerhalb der Geschichte, nämlich die Verfolgung des Jungen durch den Bassisten. Der Dozent verweist kategorial auf den zu entwickelnden Handlungstyp (verfolgung) und fordert das Team explizit zur szenischen Sichtbarmachung auf (wie kann das denn aussehen). Diese strukturierende Aktivität setzt den Anfangspunkt und legt den Rahmen fest, in dem sich die Folgeaktivität bewegen soll. Anschließend entsteht eine verhältnismäßig lange Sprechpause von achteinhalb Sekunden. Die Offenheit der Frage macht es schwierig, sie adäquat zu beantworten. Dies zeigt auch der gestische Ausdruck der Studierenden: Drei von ihnen haben eine „Denkerpose“ 141 eingenommen. Sie zeigen kognitives Involvement an und verdeutlichen, dass sie über die Frage reflektieren, jedoch noch nicht bereit sind, sie zu beantworten. Abb. 28: Drei Studierende in Denkerpose 141 Die Denkerpose ist eine Möglichkeit, sich in Reaktion auf die konditionelle Relevanz als kognitiv absorbiert darzustellen und damit anzuzeigen, dass man sich zwar inhaltlich auf die Anforderung orientiert (man denkt darüber nach), jedoch nicht zu einer Antwort bereit ist. Dieses Beteiligungsformat kann mit Schmitt (2003, S. 200) als Inszenieren wie folgt beschrieben werden: Der Interaktionsbeteiligte „[...] realisiert nicht einfach nur die Handlung (nämlich Nachdenken) und verlässt sich auf die selbstexplikative Darstellungsqualität seiner Handlungsdurchführung. [...] [er] formuliert auch nicht einfach, dass er nachdenkt, und verlässt sich somit auf einen expliziten Account. [...] [er] inszeniert vielmehr seine kognitive Orientierung mit spezifischen Mitteln: Er stützt den Kopf in eine Hand, sitzt dabei etwas abgewandt, lässt seinen Blick zu einem in der Ferne liegenden Punkt schweifen und reagiert in dieser Phase nicht auf eventuelle Ansprache seines Gegenübers.“ Analysen 163 Es ist für die Studierenden durchaus funktional, zunächst zurückhaltend und vorsichtig zu sein, weil der erste Zug in Richtung Beantwortung der Frage eine Reihe weiterer Erklärungsverpflichtungen nach sich ziehen kann. Die externe Dozentin 142 beendet die Sprechpause, indem sie ebenfalls eine Frage formuliert (kriegt er ihn oder kriegt er ihn nicht). Mit ihrer Entscheidungsfrage interpretiert sie das Verhalten der Studierenden so, als könnten sie mit dem Potenzial der Selbstdefinition, das in der offenen Frage enthalten ist, nicht umgehen. Ihre Alternativ-Frage thematisiert nicht die Verfolgungsszene als solche mit all ihren szenischen Gestaltungsmöglichkeiten, sondern den Endpunkt der Verfolgung, die Konfrontation der zentralen Charaktere. Damit schreibt sie Ralfs Frage eine mögliche Lesart zu. Ihre Äußerung trägt dazu bei, die Studierenden bei der Bearbeitung der komplexen Aufgabe zu unterstützen, indem sie eine potenzielle Antwort erleichtert. Jedoch etabliert sie mit ihrer Frage auch eine neue konditionelle Relevanz. Für die Studierenden bestehen nun zwei unterschiedliche Verpflichtungen. Der Dozent Ralf fragt nach der (gesamten) Verfolgung, die externe Dozentin nach deren Endpunkt. Die Resultate der Engführung durch die externe Dozentin zeigen sich in der folgenden Interaktionsentwicklung. 4.4.1.1.3 Festlegung des Szenenendes (Dozentin/ Studentin) Für die Studierenden sind mit den beiden Fragen Grenzen für die Bearbeitung ihrer Aufgabe gesetzt. Die Portionierung des Teilsegmentes der Geschichte, das nun szenisch entwickelt werden soll, erstreckt sich vom Anfang 143 bis zum Ende der Verfolgung und macht die Entscheidung nötig, ob der Bassist in der Verfolgung des Diebes erfolgreich ist oder nicht. Durch die Frage der Dozentin ist das Ende der zu entwickelnden Einheit in diesem Beispiel explizit thematisch. Hier wirken sich die dramaturgisch-kompositiven Bedingungen quasi „von hinten“ auf die szenische Entwicklung aus. Wenn die strukturelle Entscheidung für einen Ausgang getroffen ist, muss der Verlauf der Verfolgungsszene so komponiert werden, dass er genau zu diesem theoretisch festgelegten Ende führen kann. Vergleicht man verschiedene „Portionierungen“ für die szenische Entwicklung, so gibt es neben solchen rückwirkenden dramatur- 142 Die externe Dozentin ( EX ) ist nur in den Pitchings zu den 10-Minuten-Filmen anwesend. Sie beteiligt sich im Verlauf der gesamten Arbeitssitzung nur selten. Ihre Aufgabe ist es, sich über die relevanten Reflexionsprozesse der Gruppe zu informieren, um nach dem Pitching die weitere Betreuung des studentischen Teams zu übernehmen. die weitere Betreuung des studentischen Teams zu übernehmen. 143 Wie die Verfolgungsszene ausgelöst wird, also wie der Junge den Bass entwendet und damit flieht, ist bereits besprochen worden. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 164 gisch-kompositiven Bedingungen auch Fälle, in denen die Ausschnittbildung eher implizit verläuft. Oft ist dann unkritisch, welche Handlungen die Filmcharaktere als erstes vollziehen müssen (= Anfang und erste Schritte der Entwicklung); auf welches Ende hin sich die szenische Ausgestaltung bewegt, ist hingegen nicht immer antizipierbar. Die Regiestudentin Ulla beantwortet die Frage der Dozentin. Ihre Antwort erfolgt - nach einem kurzen Seitenblick zu Ralf - sehr schnell und benennt eine der beiden aufgeworfenen Alternativen (kriegt er ihn oder kriegt er ihn nicht) eindeutig und intonatorisch in einem Modus fragloser Sicherheit: er kriegt ihn. EX: kriegt er ihn oder kriegt er ihn nicht UL: er kriegt ihn * er muss ihn also ähm muss ihn also ähm UL: am besten wär=s wenn er an/ also mit dem bass ist es ja UL: nicht so einfach zum beispiel über mauern zu klettern UL: oder an über zäune rüber zu kommen und er würde den bass UL: niemals loslassen Wenn nicht nur die sequenzielle Position einer Äußerung im Interaktionsverlauf ihre Bedeutung mitkonstituiert, sondern auch die Geschwindigkeit ihres Anschlusses an die Vorgängeräußerung, so hat die hier zu erkennende Dynamik spezifische Implikationen. Im Kontrast zur vorherigen langen Sprechpause als Folge von Ralfs Frage zeigt sich für Ulla keine Notwendigkeit, ausgiebiger über die Frage der Externen zu reflektieren. Die Entscheidung über eine Konfrontation der Charaktere am Ende der Verfolgung ist offensichtlich nicht der schwierige Aspekt. 144 Die Unstrittigkeit bezüglich des Verfolgungsausganges wird durch den folgenden Äußerungsteil, insbesondere durch die Verwendung des Modalverbs „müssen“ untermauert (er muss ihn also ähm muss ihn also). 4.4.1.1.4 Szenische Vorüberlegung: Begründung des Vorschlags für das Szenenende (Studentin) Ulla begründet im Folgenden ihre Entscheidung für den Ausgang der Verfolgung und bewegt sich dabei stückweise - in fünf Etappen - von dem „Formulierungsmaterial“ der Dozentin und deren Fokus weg: Zuerst bedient sie sich noch des Verbs „kriegen“, das auch die Dozentin gewählt hat (er kriegt ihn) und lehnt sich damit semantisch eng an die vorgängige Frage an. 144 Damit kann die Schnelligkeit, in der Ulla reagiert, die Frage der Dozentin in ihrer inhaltlichen und didaktischen Relevanz zurückstufen. - Analysen 165 Im zweiten Formulierungssegment wird das Verb „kriegen“ bereits getilgt, die Fraglosigkeit der von Ulla gewählten Alternative durch das Modalverb „müssen“ untermauert (er muss ihn also). Anschließend erfolgt, nachdem durch also eine Explikation angekündigt, jedoch nicht eingelöst wird, eine Wiederholung (also ähm muss ihn). Danach kommt es, nach nochmaligem Uptake durch also, zu einer Neuorientierung, die sich durch die Wahl einer Einleitungsformulierung ankündigt (also am besten wär=s wenn er an/ ), dann jedoch abgebrochen wird. Schließlich geht Ulla nach der Äußerung des dritten also zur Begründung des von ihr postulierten Verfolgungsausgangs über (also mit dem bass ist es ja nicht so einfach zum beispiel über mauern zu klettern ...). Die einzelnen Etappen ihrer Äußerung sind durch folgende äußerungsstrukturelle Merkmale bestimmt: Wiederholungen, gefüllte Pausen, Formulierungsabbrüche, Strukturierungsauffälligkeiten und mehrfaches Verwenden von also in der Funktion eines Explikationsindikators. Diese sprachlichen Merkmale können mit der Komplexität der Anforderung, gleichzeitig zwei unterschiedliche konditionelle Relevanzen bearbeiten zu müssen, zusammenhängen und bilden Ullas Doppelorientierung ab. Dabei macht die Studentin selbst durch ihre Formulierungsentwicklung deutlich, dass sie zwar die Frage der externen Dozentin berücksichtigt, primär jedoch auf die Beantwortung von Ralfs Frage (die Gestaltung der Verfolgung) hinarbeitet. Als sie zur Beantwortung von Ralfs Frage übergeht, beugt sie sich leicht nach vorne (um an Roland vorbei zu Ralf schauen zu können) und wendet sich Ralf auch körperlich zu (Abb. 29). Während der folgenden Elaborierung ihrer Äußerung verbleibt sie in dieser Haltung. Abb. 29: besten - - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 166 Die Überleitung (am besten wär=s ...) ist unmittelbar anschließbar an Ralfs Frage (wie kann das denn aussehen jetzt) und wäre auch ein möglicher Formulierungsbeginn gewesen, um diese zu beantworten. Der Vorschlag, der von Ulla unterbreitet wird, ist inhaltlich gesehen eine Motivierung dafür, dass es in der Geschichte schließlich zu einer Konfrontation kommen wird. Da es mit dem Bass schwierig ist zu fliehen, und der Junge sich aufgrund des bisherigen Charakterentwurfs nicht vom Bass trennen würde, wird er an einen Punkt kommen, an dem er aufgrund geographischer Gegebenheiten nicht weiter kann und schließlich von dem Verfolger „gekriegt“ wird. Diese Schlussfolgerung („er kann nicht weiter“) wird von Ulla jedoch nicht explizit formuliert, sondern nur nahe gelegt durch die Benennung potenzieller Hindernisse (mauern, zäune). UL: am besten wär=s wenn er an/ also mit dem bass ist es ja UL: nicht so einfach zum beispiel über mauern zu klettern UL: oder an über zäune rüber zu kommen und er würde den bass UL: niemals loslassen 4.4.1.1.5 Sprachliche Gestaltung der szenischen Vorüberlegung Der Status von Ullas Vorschlag als szenische Vorüberlegung wird durch die Verwendung des Konjunktivs (am besten wär=s) und durch die explizite Kategorisierung ihrer Idee als Beispiel (mit dem bass ist es ja nicht so einfach zum beispiel über mauern zu klettern) sprachlich markiert. Sie liefert eine mögliche Idee, die den Szenenausgang (er kriegt ihn) implizit motiviert und zwar hinsichtlich einer Realitätsmaxime, die ggf. an die „Glaubwürdigkeitsbedingung“ anknüpfbar ist. Der mit dem Bass Fliehende kann aufgrund der Größe und des Gewichtes des Instruments nicht schnell und wendig sein und wird daher in seiner Flucht behindert. Dies ist eine logische Überlegung, die die konkrete Szenengestaltung beeinflusst. Ullas Beitrag ist bezüglich seiner sprachlichen Ausgestaltung weiterhin hinsichtlich der verwendeten personalen Referenzen interessant. Wenn die externe Dozentin kriegt er ihn fragt und Ulla er kriegt ihn antwortet, können beide nur den Musiker meinen, der den Jungen verfolgt. Wenn Ulla hingegen kurz darauf und er würde den bass niemals loslassen formuliert, referiert sie mit dem Personalpronomen er auf den flüchtenden Jungen. Dies ist eine Form der ‘sprachlichen Ökonomisierung’, die es den Gruppenmitgliedern ermöglicht, gerade bei großer kognitiver Anstrengung und unter Analysen 167 bereits etablierten Kontexten, in denen das angebotene semantische Potenzial aufgrund des bisherigen Wissens für das Verständnis ausreicht, möglichst viel Kapazität auf die Ideengenerierung und möglichst wenig auf die Formulierungsarbeit zu verwenden. In diesem konkreten Fall ist die Grundstruktur der Verfolgungsszene bereits im Vorfeld so klar abgesteckt, dass die Verwendung gleicher personaler Referenzen für unterschiedliche Charaktere das Verständnis des Vorschlages nicht erschwert. 145 Jedoch sind solche szenischen Vorüberlegungen nicht zwangsläufig durch eine sprachliche Ökonomisierung charakterisiert. Im direkten Anschluss an Ullas Äußerung formuliert Silke eine Überlegung, die sich gerade durch ihren hohen Grad an Explizitheit und durch erkennbare Verdeutlichungsanstrengungen auszeichnet. 4.4.1.1.6 Übergang von szenischer Vorüberlegung zu szenischer Ausgestaltung (Studentin B) Sowohl Ulla als auch Silke formulieren szenische Vorüberlegungen. Silke fokussiert in ihrer Äußerung jedoch einen anderen Aspekt als Ulla. Ihre Idee gründet in einer im Unterschied zu Ulla anders konzipierten Beziehungsstruktur der beiden zentralen Charaktere und setzt an einem anderen Stadium der Verfolgung an. Aus ihrer Vorüberlegung entwickelt sie einen ersten konkreten szenischen Entwicklungsvorschlag. UL: niemals loslassen SI: aber der junge hat jetz ne wahnsinnige SI: macht * er hat nämlich den bass * er hat das liebesobjekt SI: dieses alten das heißt der alte is erpressbar * der junge SI: könnte zum beispiel sagen * äh * jetz plakativ an=er SI: brücke stehen und sagen okay entweder du hörst mir jetzt SI: zu oder der bass fliegt ins wasser 145 Die zuhörenden Interaktionsteilnehmer haben die Aufgabe, interpretative Bezüge selbst herzustellen und sind in diesem Sinne zum Mitdenken gefordert. Dies kann man auch an ihrem Körperdisplay sehen. Haltungen, wie beispielsweise die Denkerpose, zeigen eine aktive Form der Wahrnehmung und des kognitiven Involviertseins an. Auch über andere Ausdrucksebenen, beispielsweise durch die Blickorganisation zu primären Sprechern und durch die Kommentierung von Vorschlägen durch Nicken, können die Zuhörenden anzeigen, dass sie konzentriert am Geschehen partizipieren. Eine detaillierte Fokussierung auf einen Studenten, der „verbal abstinent“ ist, sich jedoch auf anderen Modalitätsebenen aktiv in das Geschehen einbringt, findet sich in Kap. 4.5 und in Heidtmann/ Föh (2007). Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 168 Silkes Äußerung bildet in äußerungsstruktureller, prosodischer und referenzieller Hinsicht einen erkennbaren Kontrast zu Ullas vorhergehender Äußerung. Ihr Beitrag ist im Vergleich zu Ullas sehr elaboriert und zeichnet sich durch eine komplexe Äußerungsstruktur aus, sehr langsam und betont gesprochen, enthält Konkretisierungen sowie explizite Benennungen und gibt Schlussfolgerungen explizit an, statt sie durch Hinweise nahe zu legen. Die Unterschiedlichkeiten beider Äußerungsformate lassen sich funktional erklären. Ulla hat für die studentische Gruppe die interaktionsstrukturell schwierige Aufgabe übernommen, wieder aktiv in die szenische Entwicklung einzusteigen und beide konditionellen Relevanzen zu bearbeiten. Sie ‘darf’ daher unpräzise formulieren. Aufbauend auf Ullas Grundlage besetzt Silke alle ‘Uneindeutigkeiten’ anschließend explizit und kategorial (der junge, dieses alten). Das studentische Team funktioniert bei der Bearbeitung der Aufgabe in gewisser Weise arbeitsteilig. Silkes Beitrag ist durch einen oppositiven Konnektor (aber) eingeleitet. Will man dieses aber nicht nur als Uptake oder als Markierung eines neuen Aspektes auffassen, so kann es potenziell eine inhaltliche Gegenposition eröffnen. Diese Gegenposition ist möglicherweise der von den beiden Studentinnen unterschiedlich gewichtete Status des Jungen. Während Ulla den Jungen als durch den Bass in gewisser Weise ‘gehandicapt’ darstellt (also mit dem bass ist es ja nicht so einfach zum beispiel über mauern zu klettern), betont Silke den mit dem Besitz des fremden Basses verbundenen herausgehobenen Status (aber der junge hat jetz ne wahnsinnige macht). Sie geht also von einer wesentlich stärkeren Position des Jungen aus als ihre Kommilitonin. Wie kommt es zu den unterschiedlichen Sichtweisen? Eine mögliche Erklärung hängt mit den von Ulla beantworteten konditionellen Relevanzen zusammen. Sie handelt die Frage der externen Dozentin nach der Konfrontation (kriegt er ihn oder kriegt er ihn nicht) nur kurz ab (er kriegt ihn) und wendet sich dann inhaltlich Ralfs Frage nach der Gestaltung der Verfolgung zu. Diesbezüglich macht sie einen Vorschlag, der den späteren Ausgang der Szene motiviert: Der Musiker „kriegt“ den Jungen. Da eine Flucht für den Jungen mit dem Bass nicht einfach ist, wird er von dem Musiker an einer Mauer oder einem Zaun erreicht. Silke hingegen befasst sich mit der Ausgestaltung der Konfrontation: Der Musiker hat den Jungen bereits erreicht, ist diesem jedoch, da - - - - Analysen 169 dieser seinen geliebten Bass in den Händen hält, in gewisser Weise ausgeliefert. Silke setzt an der Stelle an, die direkt nach der Entscheidung, der Musiker kriegt den Jungen (= Frage der externen Dozentin), entwickelt werden muss, Ulla hingegen bewegt sich ablaufslogisch gesehen noch vor der Konfrontation und imaginiert Etappen des eigentlichen Verfolgungsverlaufs (= Frage von Ralf). Zusammengefasst sieht dies wie folgt aus: Vor der Konfrontation (= Die Verfolgung): Der Junge hat es schwer, mit dem Bass zu fliehen (Ulla). Konfrontationsszene: Der Musiker kriegt den Jungen mit dem Bass. Direkt nach der Konfrontation: Der Junge erpresst den Musiker (Silke). Silkes Vorschlag gründet zwar in der Frage der externen Dozentin nach dem Ausgang der Verfolgung, zeigt jedoch zugleich, dass die Entscheidung für ein „Kriegen“ oder „Nicht-Kriegen“ nicht das Ende der Szene ist. Das Erreichen des Jungen durch den Musiker hat die Szene dramen-architektonisch noch nicht entschieden, denn es sind, je nach weiterer Ausgestaltung, unterschiedliche Ausgänge möglich. Dies relativiert gleichsam die Relevanz der „Kriegens-Entscheidung“ für die zu entwickelnde Szene. Silkes gesamte Äußerung ist klar strukturiert: Zuerst stellt sie den Ausgangspunkt ihrer Überlegungen dar, der mit Ullas Sichtweise bezüglich der Position des Jungen kontrastiert: aber der junge hat jetzt ne wahnsinnige macht. Dann begründet sie ihre Machtzuschreibung und konkretisiert sie: er hat nämlich den bass * er hat das liebesobjekt dieses alten. Anschließend legt sie die potenziellen Möglichkeiten dar, die entworfene Machtposition für die Geschichtsentwicklung zu nutzen: das heißt der alte ist erpressbar. Im Anschluss an die Klärung relevanter Voraussetzungen und Zusammenhänge präsentiert Silke ihren konkreten szenischen Vorschlag: SI: der junge könnte zum beispiel sagen * äh * jetz plakativ SI: an=er brücke stehen und sagen okay entweder du hörst SI: mir jetzt zu oder der bass fliegt ins wasser - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 170 Eingeleitet durch eine weitere Vorüberlegung, bei der die Vorschlagsmarkierung sprachlich mittels Verwendung des Konjunktivs ausgedrückt wird (der junge könnte ...) und der Vorschlagscharakter durch Indikatoren, wie zum beispiel (= es könnte auch anders sein) und plakativ (= es muss noch detaillierter ausgearbeitet werden) angezeigt wird, kommt Silke zu einem ersten szenischen Gestaltungsvorschlag. Sie untermauert ihre mündliche Präsentation mit deutlichen Gesten. Hatte sie zuvor einige Male während der Formulierung der junge könnte zum beispiel kurz mit ihrem linken Arm eine Positionsveränderung nach oben angedeutet und wieder rückgängig gemacht, hebt sie simultan mit der Äußerung des Verbs sagen den linken Arm hoch und nimmt mit der linken Hand eine Greif- Haltung ein, als sei sie selbst der Junge, der den Bass hielte. Damit agiert sie gestisch als Filmcharakter und drückt diese Rolle auch durch die Verwendung direkter Rede aus (entweder du hörst mir jetzt zu oder der bass fliegt ins wasser). Der Wechsel von szenischer Vorüberlegung zu konkreter szenischer Entwicklung zeigt sich also auf zwei verschiedenen Ausdrucksebenen: gestisch durch den Einsatz expressiver und verdeutlichender Arm- und Handbewegungen, die aus der Perspektive des Filmcharakters durchgeführt werden und durch den spezifischen Einsatz von Hand- und Fingerhaltungen, die einen Bass pantomimisch repräsentieren. Sprachlich wird der Wechsel durch den Einsatz direkter Rede markiert (ausführliche Reflexion zum Einsatz der direkten Rede, siehe unten). 4.4.1.1.7 Abgleich mit Bedingungen (Studentin A) Silkes szenischer Entwicklungsvorschlag wird von Ulla hinsichtlich der Konsistenzbedingung überprüft. Sie thematisiert die Entwicklungslogik innerhalb der zu entwickelnden Szene: SI: der bass fliegt |ins wasser | UL: |gut aber da|für muss er ihn erstmal UL: stellen ** also er müsste * der mü/ der müsste UL: ihn erreichen Zu einem Zeitpunkt, an dem aufgrund äußerungsstruktureller Indikatoren und aufgrund des semantischen Gehalts das Ende von Silkes Äußerung antizipierbar ist, beginnt Ulla simultan mit Silkes Äußerungsabschluss ihren nächsten Beitrag. Körperlich ist sie Silke bereits zugewandt, während diese ihren Beitrag formuliert und auch während ihrer nun folgenden eigenen Äußerung redet Analysen 171 sie in deutlicher Hinwendung zu Silke. Mit einem kurzen gut ratifiziert sie Silkes szenische Überlegungen und leitet anschließend zu einer Aspektualisierung über. Der adversative Anschluss hat spezifische Implikationen. In diesem Kontext geht es nicht darum, Silkes Ansatz generell zu kritisieren (gut), sondern die Voraussetzung zu klären, unter der dieser Ansatz tragfähig ist: aber dafür muss er ihn erstmal stellen. Damit fokussiert Ulla ihre zuvor entworfene Handlungslinie, die noch vor der eigentlichen Konfrontation der Charaktere stattfindet. Sie setzt dramaturgisch gesehen an einem anderen Entwicklungsstadium der Geschichte an. Sie befasst sich also nicht mit Silkes szenischem Vorschlag, sondern leitet zurück zu den Vorüberlegungen, welche sie hinsichtlich ihrer Platzierung in der Szene thematisiert (Gestaltung der Verfolgung und nicht der Konfrontation). Hinweise auf Ullas konstante Orientierung an der konditionellen Relevanz, die von Ralf etabliert wurde, sind bereits erkennbar, wenn man sich in einem Analysegang auf ihr nicht-sprachliches Verhalten während Silkes Äußerung konzentriert. Wie oben beschrieben, war sie Silke körperlich deutlich zugewandt, nur an einer Stelle ihrer Äußerung, nämlich kurz nach Beginn ihrer Szenenbeschreibung (der junge könnte zum beispiel sagen) wendet Ulla ihren Kopf schnell zu Ralf und dann wieder zurück. Diese auffällige Drehbewegung und Blickorientierung - Ulla muss ihren Kopf um 180 Grad wenden, um Ralf anzublicken - ist offensichtlich nicht auf Reaktionen von Ralf zurückzuführen. Vielmehr scheint für sie durch Silkes Handlungsbeschreibung, in der die Filmcharaktere miteinander sprechen (er könnte ... sagen), deutlich geworden zu sein, dass ihre Kommilitonin an einer Konfrontationsszene arbeitet: Da die Charaktere miteinander sprechen, müssen sie bereits nah zusammen sein. Man kann diesen Blick zum Dozenten als „Vergewisserungsmöglichkeit“ deuten. Ulla prüft, ob der Dozent, der ja nach der Verfolgung und nicht nach der Konfrontation gefragt hatte, irgendeine Form von Unzufriedenheit oder Missfallen ausdrückt. Dies geschieht jedoch nicht. Ralf zeigt keine Veränderung seines Rezeptionsverhaltens. Seine ausbleibende Reaktion kann eine Motivierung dafür sein, dass Ulla ihren dann folgenden verbalen Beitrag sehr schnell und in Überlappung mit Silkes Abschlussorganisation platziert. 4.4.1.1.8 Begrifflich-konzeptuelle Variation bei szenischen Vorüberlegungen (Studentin A) Ullas Äußerung in Reaktion auf Silkes Beitrag ist sprachlich hinsichtlich der Verwendung unterschiedlicher Verben, die auf spezifische Weise substituiert werden, interessant. Dabei geht es zum einen um die Verwendung des Modal- Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 172 verbs müssen (gut aber dafür muss er ihn erstmal stellen ** also er müsste * der mü/ der müsste ihn erreichen), zum anderen um die zur Charakterisierung der Handlung verwendeten Verben stellen und erreichen (gut aber dafür muss er ihn erstmal stellen ** also er müsste * der mü/ der müsste ihn erreichen). In Hinblick auf das Modalverb wählt Ulla zunächst den Indikativ (muss) und führt gleichzeitig durch den zeitlichen Hinweis (erstmal ) eine notwendige Bedingung an, die der Klärung bedarf, bevor Silkes Handlungsentwurf tragfähig ist. Der anschließende Wechsel zum Konjunktiv (also der müsste) kann in zwei Richtungen interpretiert werden. Zum einen drückt der Konjunktiv Bedingungen aus und ist damit eine gleichsinnige Weiterführung ihres ersten Äußerungsteils. Zum anderen kann sich in der Verwendung des Konjunktivs der hypothetische Charakter ihrer Idee niederschlagen. Sie unterbreitet einen Vorschlag. Angebotscharakter hat auch die Variation der Verben stellen und erreichen, die semantisch betrachtet aus dem gleichen Wortfeld stammen. Beide Verben beschreiben das Aufeinandertreffen der Charaktere. Die Unterschiedlichkeit dieser Verben wird von Ulla durch zwei verschiedene Gesten untermauert. Bei stellen streckt sie den rechten Arm mit zu sich gedrehter Handinnenfläche fast aus (Abb. 30), bei erreichen bedient sie sich beider Arme, beugt sie jedoch in einer nur halb so großen Distanz und führt beide Hände zusammen, so dass auch hier ihre Handflächen zu ihrem Körper zeigen (Abb. 31). Abb. 30: stellen Abb. 31: erreichen Die semantischen Implikationen dieser Verben sind im Kontext der vorangegangenen Interaktionsentwicklung interessant. Warum benutzt Ulla nicht das zuvor von der externen Dozentin angebotene Verb kriegen? Schließt man dieses in die folgenden Interpretationen mit ein, so stehen zu diesem Zeitpunkt drei semantisch ähnliche Verben im Raum: kriegen, stellen, erreichen. Analysen 173 Die Verben kriegen und stellen unterscheiden sich in Hinblick auf die „Schuldigkeit“ der Charaktere. In stellen, einem Verb, das häufig im polizeilichen Kontext verwendet wird, ist die Frage von Schuld immer thematisch: Der Unschuldige stellt den Schuldigen. Bei kriegen hingegen ist die Frage der Schuld nicht eindeutig einer Seite zuschreibbar, außerdem bietet es viel breitere Verwendungsmöglichkeiten als stellen, beispielsweise das „Kriegen“ im Sinne von „Fangen als Kinderspiel“. Stellen impliziert eine ungleiche Beziehung der Charaktere, die sich meist emotional niederschlägt (z.B. Wut und Ärger des Verfolgers, Angst des Schuldigen). Ein weiterer Aspekt des Verbs stellen ist seine potenzielle Verbindung mit einem folgenden sprachlichen Austausch. Derjenige, der gestellt wurde, wird zur Rechenschaft gezogen und muss sich verantworten. Für die szenische Gestaltung der Geschichte hat die Beschreibung der Handlung als stellen deshalb auch spezifische Implikationen für das weitere (sprachliche) Handeln der Charaktere. Vergleicht man anschließend das Potenzial von kriegen und erreichen, dann sind diese Verben weniger unterschiedlich als kriegen und stellen. Sowohl kriegen als auch erreichen lassen die oben thematisierte Schuldfrage und die damit zusammenhängenden emotionalen Verstrickungen außen vor. Zudem fokussieren sie eher denjenigen, der hinter dem anderen her ist, beispielsweise wenn jemand versucht, einen anderen zu erreichen, der unbemerkt etwas verloren hat. Möglicherweise ist es demjenigen, den es zu erreichen gilt, überhaupt nicht bewusst, dass der andere ‘hinter ihm her ist’. Das, was man erreichen oder kriegen möchte, muss zudem nicht zwangsläufig ein Mensch sein, sondern kann sich auch auf Objekte beziehen (z.B. einen Zug erreichen). Hierbei wird noch offensichtlicher, dass kriegen und erreichen eher monoperspektivisch denjenigen fokussieren, der dem anderen zugewandt ist. Ein Unterschied beider Verben liegt auch in der möglichen Beendigung der Flucht. Während durch kriegen eine weitere Flucht vereitelt wird, muss erreichen keine Form der Handlungsverfügung über den Erreichten implizieren. Die interpretatorische Spannweite der drei Verben hat für die szenische Ausgestaltung Konsequenzen, da mit der Wahl des Verbs unterschiedliche Konzeptualisierungen verbunden sind. In gewisser Weise handelt es sich dabei um unterschiedliche Modelle, die Situationen und die Beziehungskonstellation zwischen den Charakteren zu gestalten. Folgt die Konfrontation auf eine Hetzjagd, die letztlich der Musiker, der um den Bass leichter ist, gewinnt, oder handelt es sich um einen geistigen Akt, bei dem das ‘Sich-Annähern’ auf einer gedanklichen Ebene anzusiedeln ist? Ist es eher eine Liebesbeziehung oder ist es eine Opfer-Täter-Beziehung? Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 174 Das Potenzial zur szenischen Ausgestaltung wird in den szenischen Vorüberlegungen angelegt. Es kann sich bei der Variation der Verben um eine tentative Annäherung an potenzielle Entwicklungen der Geschichte handeln, die dadurch erreicht wird, dass verschiedene Konzepte angeboten werden. Durch die Verwendung semantisch ähnlicher Verben wird ein Möglichkeitsraum für die szenische Gestaltung eröffnet. In diesem Sinne hat Ullas Beitrag zwei wesentliche Implikationen: Zum einen klärt er die Voraussetzungen für Silkes szenischen Vorschlag, zum anderen stellt er kreatives Potenzial in den Raum, das für die weitere Entwicklung genutzt werden kann. 4.4.1.1.9 Abgleich mit Glaubwürdigkeitsbedingung (Dozent) Mit einem schnellen Anschluss an Ullas Äußerung steigt Ralf in die Diskussion der Szene ein. Er reagiert nicht auf Ullas Hinweis, im Vorfeld von Silkes Idee müsse die Hinführung zur Konfrontationsszene gestaltet werden, sondern bezieht sich auf Silkes vorhergehenden Vorschlag. RA: +ja moment aber dafür muss ich auch wissen UL: ihn erreichen RA: ob der junge das wirklich ernst meinen kö“nnte Ralf zeigt zwar - genau wie Ulla - an, dass er sich kritisch auf Silkes Vorschlag bezieht und Bedingungen formuliert, unter denen dieser tragfähig ist (aber dafür). Er thematisiert jedoch einen anderen Aspekt in Silkes Entwicklungsvorschlag. Die unterschiedlichen Sichtweisen von Ulla und Ralf zeigen sich in folgenden Aspekten: Ullas Beitrag thematisiert die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zu der von Silke entworfenen Szene kommen kann, Ralf hingegen fokussiert die Glaubwürdigkeit der von Silke formulierten Überlegung (aber dafür muss ich auch wissen ob der junge das wirklich ernst meinen kö“nnte). Ulla evaluiert Silkes Vorschlag als potenziell möglich (gut), aber in der Entwicklung zu früh, Ralf formuliert einen grundlegenderen Einwand, der die Glaubwürdigkeitsbedingung betrifft. RA: ob der junge das wirklich ernst meinen kö“nn|te in|dem UL: |>könnte<| RA: er das das bricht sich ja in dem moment bin ich ja UL: >ja< RA: völlig orientierungslos an der figur * äh dass si/ - - Analysen 175 RA: meint er das jetz wirklich ernst würde der den RA: runterfallen lassen oder nich sonst macht diese szene RA: keinen sinn also * da würd ich wär ich sehr vorsichtig UL: |>mhm<| HA: |aber | bevor er ihn gar nich haben kann * Während Ralf zuvor die durch seine Frage angestoßene Ideengenerierung hat „laufen lassen“, interveniert er, als für ihn eine Glaubwürdigkeitsbedingung nicht erfüllt ist. Nur, wenn für ihn das Handeln der Figuren konsistent ist und er sich in diesem Sinne an ihnen orientieren kann, haben Entwicklungsvorschläge einen Sinn. Die Glaubwürdigkeitsbedingung unterliegt einer viel größeren interpretatorischen Freiheit als beispielsweise dramaturgische Restriktionen. Dies sieht man an Hans' Einwurf (aber bevor er ihn gar nicht haben kann). Für Hans ist es durchaus nachvollziehbar, dass der Junge den Bass ins Wasser wirft und er relativiert damit die Glaubwürdigkeitsthematisierung seines Kollegen. Die für die Stoffentwicklung aufgeführten Bedingungen sind also sehr unterschiedlich gewichtet und wirken unterschiedlich strikt auf die Genese der Geschichte ein. 4.4.1.1.10 Weitere szenische Vorüberlegungen (Studentin A) Nach Ralfs Kritik an Silkes Idee bezieht sich Ulla noch einmal auf ihre anfängliche Perspektive, die Vorüberlegung zur Verfolgungsszene. UL: aber ich SEUFZT UL: ich glaube es is umgekehrt er muss der andere muss ihn UL: stellen also der andere muss ihn muss ihn erwischen SI: mhm UL: also e/ eigentlich haben +also erreichen Mit einem adversativen Anschluss (aber ich SEUFZT ich glaube es is umgekehrt) kommt Ulla auf ihren schon vor Ralfs Kritik gemachten Versuch zurück, die konkrete Szenengestaltung vor die Konfrontationsszene zu verlagern (gut aber dafür muss er ihn erstmal stellen). Dieser Vorschlag (= Hinführung zur Konfrontationsszene) wurde zuerst von Silke nicht bearbeitet und dann auch von Ralf, dessen konditionelle Relevanz sie ja bedient, nicht gewürdigt, da er sich in seiner Glaubwürdigkeitsthematisierung auf Silkes Vorschlag bezieht. Mit der Referenz auf sich als Person (aber ich SEUFZT ich glaube) markiert sie nun ihre Idee zum ersten Mal explizit als eigene/ persönliche Auffassung. Die Anbindung der Idee an ihre Person steht im Zusammenhang mit dem Insistieren auf die von ihr konsequent vertretene Sichtweise. Durch die Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 176 deutliche „Individualisierung“ ihrer Idee untermauert sie die eigene Perspektive, macht sich gleichzeitig jedoch auch viel stärker als Person angreif- und kritisierbar. Sie verdeutlicht, aktuell nicht als Sprecherin des studentischen Teams zu agieren, welches im Kern für die Geschichte verantwortlich ist, sondern als Einzelperson. Gleichzeitig formuliert Ulla jedoch auch eine Modalisierung (ich glaube) und signalisiert damit eine gewisse Vorsicht. In dem Äußerungsteil, in dem Ulla in modalisierter Weise ihre eigene Perspektive formuliert, wendet sie sich Ralf zu. Interessant ist ihr erhobener Zeigefinger. Er ist zum einen eine Aufmerksamkeitsgeste, die die Relevanz der kommenden Ausführungen unterstreicht, zum anderen auch ein Warnsignal für den Dozenten („Vorsicht, wir müssen zurück zur Verfolgung und nicht schon die Konfrontation bearbeiten! “). Orientierung zu Ralf: aber ich SEUFZT ich glaube es is Umorientierung: umgekehrt Orientierung zu Silke: er muss der andere muss ihn stellen (...) UL: aber ich SEUFZT UL: ich glaube es is | umgekehrt |er muss der andere muss ihn K ULLA BLICKT ZU RA| |ULLA BLICKT ZU SI UL: stellen also der andere muss ihn muss ihn erwischen Ihre Hinwendung zu Silke während der Äußerung des Wortes umgekehrt verweist auf ihre nochmalige Beschäftigung mit Silkes Vorschlag. Diesmal ist es nicht der explizite Hinweis auf die Szenenlogik (gut aber dafür muss er ihn erstmal stellen), sondern ein impliziter Hinweis, dessen Bezug nicht eindeutig definiert ist (ich glaube es ist umgekehrt). 4.4.1.1.11 Auswirkungen unterschiedlicher Perspektiven auf die weitere Entwicklungsarbeit Die unterschiedlichen Sichtweisen, die Ulla und Silke bei der Entwicklung zu Grunde legen, betreffen nicht nur die Szenenlogik, sondern wirken sich auch auf die Entscheidung aus, welcher der beiden Filmcharaktere als Protagonist des Dramas konzipiert wird. Das heißt, sie tangieren dramaturgische Grundlagen der zu entwickelnden Geschichte. - - - Analysen 177 Das einleitende zu Ralf gesprochene aber in Ullas Äußerung markiert eine oppositive Haltung. Diese bezieht sich offensichtlich nicht auf den Inhalt von Ralfs Kritik, denn diesem hatte sie zuvor ersichtlich zugestimmt. Ihre Äußerung problematisiert Ralfs Perspektive innerhalb der chronologischen Entwicklung. Diese muss nach Ullas Auffassung umgekehrt, d.h. erst im Anschluss an die Verfolgungsszene, ausgestaltet werden und nicht vorher. Bei der Analyse von Ullas körperlicher Orientierung befindet sich umgekehrt an einer „Schaltstelle“. Es wird in der Phase der Umorientierung von Ralf zu Silke realisiert und hat somit das Potenzial, sich tendenziell auf beide zu beziehen. Zum einen auf Ralf, bei dem sie an die Szenenlogik appelliert, zum anderen auf Silke, die wegen ihres Konfrontationsvorschlages auch im Kontext der Szenenlogik angesprochen ist, die jedoch zusätzlich bezüglich des Protagonisten eine andere Auffassung vertritt als Ulla. Silke nämlich stärkt die Position des Jungen und entwirft seinen Handlungsstrang in der Erpressungsszene, Ulla beschreibt die Aktivität des Musikers (er muss der andere muss ihn stellen also der andere muss ihn muss ihn erwischen also e/ eigentlich haben also erreichen ...). Die Frage, wer überhaupt der im dramaturgischen Sinne aktiv Handelnde ist (oder in den Worten der Dozenten: „wer den beat hat“), ist - neben der Szenenlogik - problematisch. Innerhalb der szenischen Entwicklung kommt es, wie die Verlaufsanalysen in Kap. 3.2 gezeigt haben, oft zu Phasen, in denen ein bereits entworfener Handlungsstrang bis zu einem gewissen Punkt entwickelt wird, dann jedoch zu Gunsten einer nochmaligen Entwicklung mit einem anderen Charakter als Protagonisten aufgegriffen und neu konzipiert wird. Dies ist ein gängiges Verfahren, mit dem die Ressourcen unterschiedlicher Charaktere für die Gestaltung des Dramas überprüft werden. In diesem Beispiel kann man sehen, wie unterschiedliche Ansätze innerhalb der Szenenlogik einen Protagonistenwechsel bewirken können. War in diesem Beispiel während der bisherigen Stoffentwicklung und in der ursprünglichen Teamidee konsequent der Musiker der Protagonist und aktiv Handelnde, so hat vor der Verfolgungsszene plötzlich der Junge durch seine Aktivitäten das Drama vorangetrieben (er hat den Bass gestohlen und damit einen entscheidenden Impuls gesetzt). Die unterschiedlichen Ansätze während der Verfolgungsszene (Ist der Junge der Aktive oder der Alte? ) können dazu führen, dass im Folgenden über eine neue Bestimmung des Protagonisten nachgedacht werden muss, die dann auch auf bereits entwickelte Szenen rückwirken kann. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 178 4.4.1.1.12 Szenenentwicklung und Beteiligungsstruktur Die Beteiligung mehrerer Personen an der szenischen Entwicklung (in diesem kurzen Ausschnitt waren fünf verschiedene Interaktionsteilnehmer sprachlich aktiv) macht es für die Gruppenmitglieder nötig, unterschiedliche Sichtweisen zu koordinieren. Dazu gehören - neben gesprächsorganisatorischen Koordinierungsleistungen - das Aufrechterhalten eigener Foki und das gleichzeitige kognitive und sprachliche Verarbeiten von Fremdideen. 146 Hinzu kommt die relevante Differenzierung der Beteiligten hinsichtlich ihres hierarchischen Status sowie die studentenseitige Notwendigkeit, Vorschläge als eigene aktuelle oder vorgängig generierte Teamideen zu verdeutlichen bzw. zu unterscheiden, wann eine solche Verdeutlichung angemessen und notwendig ist. 4.4.1.1.13 Verfahren der szenischen Ausgestaltung: „Enaktieren“ Ein weiteres Mal bedient sich Ulla bei der Entwicklung unterschiedlicher Verben zur Beschreibung des zentralen Moments, in dem beide Charaktere miteinander in Kontakt kommen. Das unterschiedliche semantische Potenzial der vier Verben drückt sich auch gestisch aus: UL: ich glaube es is umgekehrt er muss der andere muss ihn UL: stellen also der andere muss ihn muss ihn erwischen SI: mhm UL: also e/ eigentlich haben +also erreichen Abb. 32: stellen Abb. 33: erwischen 146 Die beteiligungsstrukturellen Besonderheiten erschweren die Szenenentwicklung zusätzlich, auch wenn sie natürlich im Gegensatz zu den oben beschriebenen „erschwerten Bedingungen“ inhaltlich nicht so eng an dramaturgische Grundlagen geknüpft sind. Analysen 179 Abb. 34: haben Abb. 35: erreichen Jede der Möglichkeiten kann der zu entwickelnden Geschichte eine eigene Wendung geben und Assoziationen wachrufen, die die Weiterentwicklung beeinflussen. 147 Alle vier angebotenen Alternativen haben eines gemeinsam: Sie bilden die Voraussetzung dafür, dass über die Aktivität des Alten der Junge in die Konfrontationssituation gebracht wird. UL: und da“durch äh is der so in die enge getrieben UL: dass er dass er äh handeln muss Ulla klärt hier also nochmals die Voraussetzungen, die zur Konfrontation führen, und macht dann einen Vorschlag, der sich auf das Verhalten des Jungen in der Konfrontation bezieht. Nach dieser weiteren Verdeutlichung, dass sie der Verfolgung einen zentralen Stellenwert beimisst, wechselt sie nun ihre Perspektive. Sie gestaltet nun ebenfalls die Konfrontation und macht dabei den Jungen zum aktiv Handelnden. Sie konkretisiert ihre dramenstrukturell-theoretische Vorüberlegung (dass er äh handeln muss), indem sie zur szenischen Darstellung übergeht. UL: also und zwar nich se/ sondern dass er sagt okay“ dann UL: ähm f/ f/ ich/ also ihn a/ abhält und dann ä/ spielt ** UL: also i/ ihm vorspielt *3* 147 Die Implikationen der Verben stellen und erreichen wurden bereits ausdifferenziert. Zusätzlich kommen nun erwischen und haben aus dem gleichen semantischen Wortfeld dazu. Haben ist für den Jungen aussichtslos, seine Flucht ist beendet. Erwischen fokussiert zwar auch den für den Jungen negativen Ausgang der Verfolgung, hat zusätzlich jedoch ein spannendes Element, bei dem danach gefragt wird, wie es dazu kommt: Bei erwischen gibt es einen Moment, an dem es fraglich ist, ob der Alte den Jungen stellen kann oder ob er noch entwischt. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 180 Der zweite Teil von Ullas Äußerung (sondern dass er sagt okay“ ...) bietet im Folgenden zwar eine neue szenische Lösung an, hat jedoch die gleiche Zielrichtung wie Silkes Vorschlag. Beide Studentinnen bringen den Jungen in eine Situation, die es ihm ermöglicht, dem Musiker auf dem Bass etwas vorzuspielen und ihn dadurch zum Zuhören zu bewegen ( SI : entweder du hörst mir zu oder der bass fliegt ins wasser). Der wesentliche Unterschied beider szenischen Vorschläge ist jedoch folgender: Silke lässt den Charakter verbal drohen (entweder du hörst mir jetzt zu oder ...). Ulla hingegen legt zwar die Möglichkeit, dass der Junge sprachlich aktiv wird, an (er sagt okay“), benötigt sie jedoch eher als Ausdruck der Ausweglosigkeit („Okay, jetzt hast Du mich“), die zum körperlichen Handeln führt: Mit dem Einsatz des Bogens hält der Junge den Alten dann davon ab, an ihn heran zu kommen und so gelingt es ihm, dem Alten auf dem Bass vorzuspielen. UL: also und zwar nich se/ sondern dass er sagt okay“ dann UL: dann ähm f/ f/ ich/ also ihn a/ abhält und dann ä/ spielt UL: ** also i/ ihm vorspielt *3* Wie zuvor Silke wird auch Ulla während der Formulierung der konkreten und neuen szenischen Idee gestisch-gestalterisch aktiv. Sie ‘zitiert’ Silkes pantomimische Geste des Bass-Haltens mit dem rechten Arm und verwendet gleichzeitig den linken Arm und die linke Hand, als hielte sie darin einen Bogen. 148 148 Fornel (1992, S. 168) bezeichnet solche Gesten, die ich als „zitierte Gesten“ charakterisiert habe, als „return gestures“: „The return gesture is a nice way of displaying an understanding The return gesture is a nice way of displaying an understanding of both the speaker's utterance and the fact that he used an iconic gesture“. Sein Konzept der “. Sein Konzept der „return gesture“ ist allerdings - im Gegensatz zu der hier vorliegenden Geste - auf iko- Analysen 181 Noch bevor sie beschreibt, dass der Junge den Alten abhält, dreht sie die linke Hand nach vorne, als wäre der imaginierte Bogen nun wie ein Degen beim Fechten auf den Gegner gerichtet, um diesen auf Distanz zu halten. Als sie schließlich nach einigen Wortfindungsproblemen (ähm f/ f/ ich/ also ihn a/ ) 149 das Verb abhält formuliert, bringt sie beide Hände nach außen geöffnet vor ihren Körper, wobei einige Finger der linken Hand noch so angeordnet sind, als hielten sie immer noch einen Bogen. Durch die gestische Ausgestaltung der Situation wird noch vor der sprachlichen Formulierung verständlich, wie der zentrale gestalterische Aspekt des Vorschlages aussieht (und filmisch umgesetzt werden könnte). 4.4.1.1.14 Konzeptdiskussion: Enaktieren, Replaying und Re-Inszenierung/ Prä-Inszenierung Die szenische Ausgestaltung mittels Enaktieren weist Ähnlichkeiten zu Goffmans Konzept des „Replaying“ auf (Goffman 1974). Mit Replaying bezeichnet er den Einsatz dramatisierender sprachlicher Mittel, mit deren Hilfe Gesprächsteilnehmer anderen vermitteln - nicht nur berichten -, was sie erlebt haben, indem sie es reproduzieren („to reproduce a scene, to replay it“): A tale or anecdote, that is, a replaying, is not merely any reporting of a past event. In the fullest sense, it is such a statement couched from the personal perspective of an actual or potential participant who is located so that some temporal, dramatic development of the reported event proceeds from that starting point. A replaying will therefore, incidentally, be something that listeners can empathetically insert themselves into, vicariously reexperiencing what took place. A replaying in a brief, recounts a personal experience, not merely reports an event. (Goffman 1974, S. 504) Auch wenn sich das Enaktieren im Kontext des szenischen Entwickelns nicht auf vorgängig Erlebtes bezieht, so hat es mit dem Replaying gemeinsam, dass nicht über Handlungen berichtet wird, sondern dass diese auf eine bestimmte Art präsentiert bzw. für andere Interaktionsbeteiligte dargeboten werden. Linguistische Arbeiten haben auf den Wechsel zwischen berichtenden und dar- nische Gesten bezogen. Dennoch gilt es auch in dem hier analysierten Fall, in dem Ulla das pantomimische „Bass-Halten“ von Silke aufgreift. 149 Die Wortfindungsprobleme können nicht nur als Ausdruck einer hohen kognitiven Anforderung angesehen werden, sie können auch den Prozess der Perspektivenübernahme abbilden. Ulla findet sich in die Perspektive des Protagonisten ein. Dieser ist in einer prekären Situation, in der er mündlich vielleicht nicht mehr hervorbringen kann als die Worte ähm f/ f/ ich, da er primär damit beschäftigt ist, den Verfolger mit Hilfe des Bogens davon abzuhalten, an ihn (und/ oder den Bass) heranzukommen. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 182 stellenden Anteilen während mündlicher Erzählungen 150 hingewiesen (vgl. dazu die Differenzierung von szenischem Muster und Berichtsmuster bei Hausendorf/ Quasthoff 1996). In der Stoffentwicklung kann der Wechsel zwischen der berichtenden Beschreibung von Handlungen und dem Enaktieren bei der Ausgestaltung der Szene strukturell auch mit „Re-Inszenierungs“-Aktivitäten in der Alltagsinteraktion verglichen werden. Nach Bergmann (2000) wird das Erzählmuster durch inszenatorische Praktiken durchbrochen: Vergangenes wird mit Darstellungsmitteln eigener Art in Szene gesetzt, die narrative Darstellung geht in eine dramatische Darstellung über: Es kommt zu einem Wiederaufleben-Lassen und einer Reinszenierung von Erfahrungen oder Ereignissen. (ebd., S. 207) Das Konzept der Re-Inszenierung ist im Kontext der Szenenentwicklung interessant. Lucius-Hoene/ Deppermann (2002) bezeichnen mit Re-Inszenierungen solche Erzählpassagen, „in denen das vergangene Geschehen so dargestellt wird, als ob es unmittelbar in der Gegenwart, vor den Augen des Gesprächspartners abliefe.“ (ebd., S. 228). Zu den Darstellungsstrategien im Rahmen von Re-Inszenierungen gehören nach Lucius-Hoene/ Deppermann (2002) das szenische Präsens, Dialogwiedergabe, Reaktualisierung der deiktischen Erlebnisperspektive und der früheren Wahrnehmung- und Wissensbasis, sowie kleinschrittige und sehr detailreiche Wiedergaben von Handlungssequenzen. In der Stoffentwicklung finden sich beim Enaktieren die aufgezählten Strategien, die Verwendung des szenisches Präsens kommt ebenso vor, wie Passagen mit direkter Rede ( SI : entweder du hörst mir jetzt zu oder der bass fliegt ins wasser) und ein kleinschrittiges und detailreiches Vorgehen. Allein der Bezugsfokus ist nicht auf die Vergangenheit, auf eine frühere Wahrnehmungsbasis gerichtet, die in der aktuellen Situation noch einmal ‘auflebt’, sondern die durch das Enaktieren inszenierten Handlungen verweisen auf Zukünftiges und sind in diesem Sinne keine Re- Inszenierungen, sondern „Prä-Inszenierungen“. Sie können definiert werden als versuchsweise imaginative Inszenierungen in Hinblick auf eine potenzielle filmische Inszenierung. 151 Sie haben Versuchscharakter, da sie dem Durchfüh- 150 Die erste größere empirische Arbeit zum konversationellen Erzählen im Deutschen ist Quasthoff (1980). Frühere Arbeiten zum mündlichen Erzählen mit linguistischem Hintergrund sind beispielsweise Labov/ Waletzky (1967) sowie Labov (1972). Zu Alltagserzählungen und Narration siehe beispielhaft auch die Arbeiten von Gülich (1980), Gülich/ Quasthoff (1985 u. 1986), Gülich/ Hausendorf (2000) und Quasthoff (2001). 151 Der Terminus „Inszenierung“ kommt ursprünglich aus der Theater- und Filmwelt, ist in der linguistischen Theoriebildung jedoch aufgrund der ähnlichen Darstellungsprinzipien auf Gespräche übertragen worden. In meinem Material hat „Inszenieren“ - neben dem linguis- Analysen 183 renden und den anderen Interaktionsteilnehmern bildlich vor Augen führen, wie die Szene, die der Filmcharakter als Handelnder bestimmt, aussehen könnte. Damit wird ein Gefühl für die Szene angelegt. Die Prä-Inszenierung von Ideen ist eine produktive Ressource für die szenische Ausgestaltung, die es den anderen Gruppenmitgliedern ermöglicht, sich das Handeln der Charaktere bildlich vorzustellen und sich davon für die weitere Ideengenerierung inspirieren zu lassen. 4.4.1.1.15 Erste Ergebnisse: Szenische Konstruktion und Ausgestaltung Die szenische Konstruktion gehört zu den Basisoperationen der Szenenentwicklung. Sie dient auf zweierlei Weise der Strukturierung der zu entwickelnden Szene. Zum einen, indem - meist auf Initiative der Dozenten - Anfang und Ende der Szene abgesteckt werden und damit der Umfang der zu bearbeitenden Einheit festgelegt wird. Zum anderen - und dies ist die primäre rekurrente Anforderung der szenischen Konstruktion für alle Gruppenmitglieder - indem die Elemente entworfen werden, die unabhängig von der konkreten Ausgestaltung notwendigerweise als Strukturelement in der Szene enthalten sein müssen. 152 Hierzu werden verschiedene Verfahren eingesetzt. Neben solchen Verfahren, die auch in anderen Interaktionszusammenhängen vorkommen, bei denen es um die Darstellung von Ereigniszusammenhängen geht (wie z.B. Verfahren der Handlungsbeschreibung), geht es im Folgenden um Verfahren, die für die Szenenkonstruktion spezifisch sind. In der zurückliegenden Analyse konnten drei Verfahren identifiziert werden. Dazu gehören „hypothetische Exemplifizierungen“, „Konzeptvariationen“ und „Implikationsexplikationen“. „Hypothetische Exemplifizierungen“ sind Vorschläge für potenzielle Handlungen der Charaktere, die einen Möglichkeitsraum im Kontext der Geschichte eröffnen, innerhalb dessen sie sich verhalten können. Wenn die Vorschläge nicht von den anderen Gruppenmitgliedern problematisiert und/ oder abgelehnt wertischen Konzept - aus einer Beteiligtenperspektive natürlich primär mit der Orientierung auf eine tatsächliche filmische Inszenierung zu tun. Das Enaktieren verweist potenziell schon auf die spätere Inszenierungsarbeit am Set. Inszenieren ist in diesem Zusammenhang nicht zu verwechseln mit dem konversationsanalytischen bzw. gesprächsrhetorischen Konzept des Inszenierens (vgl. Schmitt 2003), bei dem inszenatorische Verhaltensweisen für die Bearbeitung interaktiver Aufgaben relevant werden. 152 Die Vorschläge im Kontext der szenischen Konstruktion orientieren sich nicht immer an der Handlungslogik der Geschichte. Hier sind die Interaktionsteilnehmer vor die zusätzliche Aufgabe gestellt, eigene und fremde Ideen in Hinblick auf ihre Verortung innerhalb der Szene zu überprüfen und zu reflektieren. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 184 den, bilden sie eine Grundlage für weitere Spezifizierungen und Konkretisierungen. Sprachlich werden „Hypothetische Exemplifizierungen“ durch Verwendung des Konjunktivs II gekennzeichnet. Sie sind in ihrem Geltungsanspruch explizit als Exempel charakterisiert (zum beispiel, plakativ). Diese sprachlichen Realisierungsformen fungieren auch als contextualization cue (vgl. Gumperz 1992) zur Verortung des aktuellen Tuns im Kontext der drei Basisoperationen. Eine zentrale Aufgabe der Szenenstrukturierung und -konstruktion ist der Umgang mit ähnlichen, vergleichbaren Alternativen innerhalb des Möglichkeitsraumes. Auf diese prinzipielle Potenzialität, die immer in der Grundstruktur der Geschichte vorhanden ist, reagiert als weiteres Verfahren die „Konzeptvariation“. Hierbei werden im analysierten Beispiel unterschiedliche Verben, die semantisch aus dem gleichen Wortfeld stammen, hintereinander aufgelistet. Sie beschreiben alle den gleichen Sachverhalt, rufen aber unterschiedliche Konnotationen hervor, die sich auf den Fortgang der Geschichte auswirken, indem beispielsweise Beziehungsrelationen neu austariert werden müssen oder indem sie bestimmte Folgehandlungen notwendig machen bzw. nahelegen. Der Zusammenhang von vorgängiger Handlungsfestlegung und den daraus resultierenden Relevanzen für Folgehandlungen ist im Rahmen der szenischen Konstruktion von grundlegender Bedeutung. Die Auswirkungen bereits entwickelter vorgängiger Entscheidungen auf das aktuelle Tun zeigen sich als Verfahren in der „Implikationsexplikation“. Dabei werden Begründungen geliefert und Schlussfolgerungen für weitere Entwicklungsschritte gezogen (der junge hat jetzt ne wahnsinnige macht er hat nämlich den bass das heißt ...), die dann hypothetisch, ebenfalls durch konjunktivische Formulierungen, dargestellt werden. Das Verfahren operiert retrospektiv-prospektiv. Es geht um die Implikationen der bisherigen Anlage für weitere Vorschläge im Sinne der Formel „Man erntet, was man sät.“ (oder in den Worten der Dozenten: plant and pick). Die zweite Basisoperation „szenische Ausgestaltung“ ist eine weitgehende Konkretisierung der beispielhaften Vorschläge, welche die szenische Konstruktion hervorbringt. Das Handeln der Charaktere wird aus deren Perspektive dargestellt. Hierbei ist das „Enaktieren“ als Verfahren von zentraler Bedeutung. Zur Verdeutlichung von Handlungen der Charaktere bedienen sich die Gruppenmitglieder entweder expressiver darstellender gestisch-mimischer Elemente, oder sie gestalten ihre Idee in Form direkter Rede. In Anlehnung an das linguistische Konzept der Re-Inszenierung in narrativen Kontexten kann Enaktieren in Bezug auf den zu realisierenden Film auch als Prä-Inszenierung bezeichnet werden. Analysen 185 Zu den Basisoperationen gehört weiterhin der Abgleich szenischer Konstruktions- und szenischer Ausgestaltungsvorschläge mit den für die Entwicklung eines filmischen Dramas konstitutiven Bedingungen (vgl. Kap. 4.4). Der Bedingungsabgleich bezieht sich im vorgängigen Beispiel primär auf Glaubwürdigkeits- und Konsistenzbedingungen (Szenenlogik und Festlegung des Protagonisten). Er wird sowohl von den Dozenten als auch von den Studierenden durchgeführt, beschränkt sich auf kurze Thematisierungen und wird nicht expandiert (wie z.B. in den Vermittlungsdiskursen der Dozenten, vgl. Kap. 4.4.2). Dabei fungiert im sprachlichen Bereich der adversativ gebrauchte Konnektor aber als Indikator für einen Bedingungsabgleich. Diese ersten Einsichten in die Basisoperationen der szenischen Entwicklung sollen im Weiteren spezifiziert werden. 4.4.1.2 Szenische Ausgestaltung Während das vorgängige Beispiel „Musiker“ primär Verfahren der szenischen Konstruktion gezeigt hat, ist das folgende Beispiel vor allem hinsichtlich der konkreten szenischen Ausgestaltung interessant. Es wird dazu beitragen, diese weitergehend zu differenzieren, insbesondere hinsichtlich ihrer sprachlichen und gestikulatorischen Merkmale. In dem ausgewählten Beispiel wird eine Szene entwickelt, in der der Konflikt zweier Charaktere angelegt werden soll. Zuvor hat die Gruppe bereits ausgiebig über den Pitch geredet, jedoch - anders als im ersten Beispiel - noch keine Szenenentwicklung betrieben. 4.4.1.2.1 Kontext des Beispiels: Heimkehrer Das studentische Team hat für den 20-Minuten-Film eine Heimkehrergeschichte entwickelt, die auf einem großen Hofgut spielt: Im Fokus ist eine Bauernfamilie, bestehend aus dem Bauernehepaar und seinen beiden erwachsenen Söhnen. Einer der beiden Söhne hat den Hof verlassen und ist aus Abenteuerlust mehrere Jahre ‘in die Welt gezogen’, hat seine Familie zwischenzeitlich nicht besucht und ihr folglich auch nicht geholfen, als es ihr wirtschaftlich schlecht ging. Nach langer Zeit kehrt er nun unerwartet zurück, um wieder auf dem Hof zu leben. Sein Bruder, der mittlerweile den Hof mitbewirtschaftet, will verhindern, dass der Heimkehrer wieder von den Eltern aufgenommen wird. Es kommt zu einem Konflikt zwischen den Brüdern, der mit dem Tod des ansässigen Bruders enden soll. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 186 Der anfängliche Pitch des Teams ist von den Dozenten sehr kritisch aufgenommen worden. Sie haben viele problematisierende Nachfragen gestellt und den Pitch negativ evaluiert, z.B. durch Äußerungen, wie „Ich hab keine Geschichte gehört, nur Situationen ...“, „... das sind verrückte Charaktere! “, „... das wirkt so lächerlich! “, „... das ist ein triviales Muster! “, „... das ist ein Klischee, wo ist das Heutige, Jetzige, das 2003? “. Da die Studenten jedoch ihre Idee vehement verteidigen, fordert Ralf sie schließlich auf, die Geschichte von Beginn an darzustellen (erzählt mir doch bitte wie diese geschichte anfängt) und initiiert damit den Anfang szenischer Entwicklung. Von der Aufgabenstruktur her betrachtet fungiert die Szenenentwicklung - anders als im vorgängigen Beispiel - hier auch als Prüfstein der gepitchten Geschichtsidee. Da die Studierenden trotz der kritischen Fragen und Problematisierungen ihrer Dozenten nicht dazu bereit sind, die Geschichte aufzugeben, wird nun anhand der szenischen Entwicklung ihre Tragfähigkeit überprüft. Dabei spielt die szenische Konstruktion als Prinzip der vorgängigen Strukturierungen eine geringere Rolle als im vorangegangenen Beispiel, da es primär darum geht, die Strukturvorgabe des Pitches (als Konstruktionsvorgabe) szenisch zu gestalten. In Reaktion auf die dozentenseitige Aufforderung beschreibt der Regiestudent Steve, wie der Heimkehrer aus dem Zug aussteigt, auf den elterlichen Hof zuläuft und dort ankommt. Am Hof treffen nun die relevanten Charaktere aufeinander. 4.4.1.2.2 Struktursetzung als Startpunkt für die szenische Ausgestaltung (Dozent/ Student) Der ausgewählte Ausschnitt beginnt mit einer Vorgabe des Dozenten Ralf, der die von Steve beschriebene Ankunft des Heimkehrers fortführt, bis ins Innere des Bauernhauses: er kommt in die stube rein da sitzen die zum essen. Nach dieser „Struktursetzung“ 153 wendet er sich in Steves Richtung, woraufhin dieser sogleich aktiv wird. Er stimmt dem Dozenten kurz zu (+ja), reorganisiert die Beschreibung jedoch im Folgenden, indem er die Begrüßung der Akteure 153 Die Struktursetzung basiert hier nicht auf spontanen Ideen, die zum Startpunkt der Szenenentwicklung deklariert werden, sondern sie bezieht sich auf vorgängig thematisierte Vorschläge, die entweder aus einer vorherigen Szenengestaltung oder aus dem Pitch hervorgehen. Sie kann daher auch eine implizite Rekapitulation eines bereits erreichten Standes sein. Analysen 187 chronologisch vorverlegt und den Schauplatz derart variiert, dass die Akteure nicht in der stube, sondern außerhalb des Hauses aufeinander treffen: also die ham sich draußen begrüßt jetzt sitzen sie drinnen jetzt gibt=s essen. # 20/ 02-04/ Heimkehrer RA: er kommt in die stube rein da sitzen die zum essen ST: +ja also die ham sich draußen begrüßt jetzt sitzen ST: sie drinnen jetzt gibt=s essen genau ähm Vergleicht man die Struktursetzung des Dozenten mit der des Studenten, so unterscheiden sie sich hinsichtlich der Relevanzgewichtung des Protagonisten. Bei Ralf ist der Heimkehrer aktiv in Bewegung und im Fokus des Geschehens, er kommt in die stube rein, während die anderen Familienmitglieder beim Essen sind. Dies wird zwangsläufig zu einer Begrüßung führen, die im Folgenden entwickelt werden muss. In der Begrüßung ist es potenziell möglich, die Problematik der Brüder anzulegen, beispielsweise indem sie sich auffällig kalt oder gar nicht begrüßen. Steve hingegen erwähnt die Begrüßung zwar (die ham sich draußen begrüßt), gestaltet sie jedoch nicht weiter aus. Die Begrüßung ist schon vorbei, als die Familie gemeinsam isst. Zudem ist die Fokussierung auf den Protagonisten nicht mehr erkennbar. In Steves Eingangsbildern sah man den Protagonisten den Zug verlassen und auf den Hof zulaufen. Am Hof angekommen, wird jedoch die Familie als „undifferenzierte Einheit“ beschrieben (die ham sich draußen begrüßt jetzt sitzen sie drinnen). An den Vorschlägen sind für die Szenenentwicklung grundsätzlich zwei Aspekte interessant. Zum einen liefert die Struktursetzung als Verfahren der szenischen Konstruktion einen möglichen Start- und Bezugspunkt für die im Weiteren zu entwickelnden Ideen. 154 Zum anderen zeigen sich - ähnlich dem vorgängigen Beispiel - die strukturellen Komplikationen, die mit unterschiedlichen Perspektiven der Gruppenmitglieder bei der Entwicklung zusammenhängen. Auch in diesem Beispiel betreffen sie wieder die Szenenlogik (siehe dazu auch Kap. 4.4.1.1: Arbeit an Verfolgung oder an Konfrontation). Indem der Student den Vorschlag des Dozenten nicht als Startpunkt für eigene Über- 154 Während die Konstruktionsvorschläge, die als hypothetische Exemplifizierung potenzielle und weiter auszugestaltende Möglichkeiten für das Handeln der Charaktere anbieten, im Präsens und konjunktivisch formuliert werden (er könnte ...; er würde ...), handelt es sich bei der Struktursetzung um einen nicht weiter zu gestaltenden Ausgangspunkt für weitere Überlegungen, die (bei dem studentischen Vorschlag) in einer Vergangenheitsform präsentiert wird. Die Differenzierung von Setzung und weiterer Ausgestaltung bildet sich ebenfalls in der Tempuswahl ab: Die Setzung erfolgt im Perfekt (die ham sich draußen begrüßt ), die weiteren Ideen werden im Präsens (Indikativ) aufgeführt ( jetzt sitzen sie drinnen). Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 188 legungen nutzt, sondern seinen Startpunkt selbstbestimmt organisiert, etabliert er einen neuen Fokus für die Entwicklung: Er gestaltet nicht den Erstkontakt (Begrüßung), sondern das später stattfindende gemeinsame Essen der Akteure. 155 Der Verlust der Fokussierung auf den Heimkehrer wird im Folgenden verstärkt, da Steve die Perspektive nun auf den zu Hause gebliebenen Bruder richtet (sagt gleich der eine was willst du hier eigentlich). 156 4.4.1.2.3 Szenische Ausgestaltung durch Situationsdetaillierung Hinsichtlich der szenischen Ausgestaltung zeigt dieser Transkriptausschnitt einen neuen interessanten Aspekt: Die von Steve für diese Szene relevant gesetzte Situation (in der stube) wird in ihren unterschiedlichen Details ausgearbeitet. Der rekurrente Verweis auf die immer gleich bleibende ‘aktuelle’ Situation geschieht durch die systematische Verwendung des Temporaladverbs jetzt. Dadurch wird die Perspektive - innerhalb der Situation - sukzessiv verengt. ST: +ja also die ham sich draußen begrüßt jetzt sitzen ST: sie drinnen jetzt gibt=s essen genau ähm und jetzt bricht ST: gleich der konflikt auf jetzt sagt gleich der eine RA: mhm ST: was willst du hier eigentlich hau doch wieder ST: ab wir brauchen dich hier nicht du hast du warst nicht ST: da als wir dich gebraucht haben jetzt brauchen wir dich RA: mhm ST: auch nicht Die Information, dass sich die Akteure drinnen befinden, wird durch den Hinweis auf das essen konkretisiert, der die Charaktere am Tisch (sitzen) verortet. Dort ist der Ort, an dem der Streit zwischen den Brüdern ( jetzt bricht gleich der konflikt auf ) seinen Lauf nimmt, indem er sich sprachlich, durch die Ini- 155 Anders als im ersten Beispiel „Musiker“ werden die unterschiedlichen Perspektiven in diesem Fall nicht thematisiert und wirken sich auch nicht weiter auf die Genese der Geschichte aus. 156 Im Kontext dieser Entwicklung kommt es - wie im vorgängigen Beispiel - auch zu referenziellen Uneindeutigkeiten (sprachliche Ökonomisierung). Wer ist mit der eine gemeint? Auch hier treten keine Verständigungsprobleme auf, denn durch die Angabe dessen, was der eine sagt, wird ersichtlich, dass es sich nur um den Daheimgebliebenen handeln kann. Analysen 189 tiative des daheim gebliebenen Bruders manifestiert (sagt gleich der eine). Hiermit ist - neben dem Enaktieren - ein weiteres Verfahren für die konkrete Szenengestaltung erkennbar, das als „Situationsdetaillierung“ bezeichnet werden kann. 4.4.1.2.4 Bedingungsabgleich: Wechsel von szenischer Ausgestaltung zu dramaturgischer Reflexion (Student) Nach der konkreten Ausgestaltung wechselt Steve die Perspektive und liefert eine theoretische Reflexion seiner bisherigen Ideen im Kontext der Dramentheorie, die als Bedingungsabgleich fungiert. Er bricht die weitere szenische Darstellung (und dann hat er/ ) zu Gunsten einer Metaperspektive ab (dann is das problem sozusagen da). ST: […] jetzt brauchen wir dich auch nicht ST: und dann hat er/ dann ist das problem sozusagen da ** ST: und ich glaube damit is auch das äh genau ST: die hauptfrage hier aufgebaut Der Wechsel von der Situationsdetaillierung zur dramaturgischen Reflexion wird sprachlich verdeutlicht, indem das vorgängig verwendete Temporaladverb jetzt durch dann 157 und damit substituiert wird und dramaturgisch relevante Positionen, wie problem und hauptfrage, konkretisiert werden. Beide dramaturgischen Kategorien werden modalisierend eingeführt: Vor der Benennung des problem[s] kommt es zu einer Selbstkorrektur (dann hat er/ dann ist das problem sozusagen), die hauptfrage wird anschließend als Reformulierung der Kategorie problem zögerlich eingeführt (und ich glaube damit is auch das äh genau die hauptfrage hier aufgebaut). Steve modalisiert seine Einschätzung (ich glaube) und formuliert vorsichtig, als es um die explizite Benennung des dramaturgischen Bezugspunktes geht. In der Formulierung zeigt sich die Anstrengung der Beurteilung des Vorschlages als hauptfrage. Die explizite Selbstvergewisserung, die sich in der Interjektion genau ausdrückt, bildet den Prozess von Unsicherheit zu Sicherheit ab. 157 Hinsichtlich der temporal-deiktischen Adverbien jetzt und dann ist eine Beobachtung interessant: Sie können auf einer imaginierten Orientierungsachse unterschiedlich verortet werden (vergleichbar beispielsweise den Adverbien „hier“ (Nahbereich) und „da“/ „dort“ (Fernbereich)). Während bei der Verwendung von jetzt auf eine konkrete Situation innerhalb der Geschichte verwiesen wird, ist der Bezugsaspekt bei der Verwendung von dann die der Geschichte zu Grunde gelegte abstrakte Dramentheorie. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 190 4.4.1.2.5 Beendigung des Bedingungsabgleiches: Rückleitung zur szenischen Konstruktion (Dozent) Hans evaluiert daraufhin nicht die Angemessenheit von Steves dramaturgischer Reflexion, sondern „bremst“ diese insgesamt (neenee warte mal ) durch eine deutliche Intervention. ST: äh genau die hauptfrage hier aufgebaut HA: neenee warte mal HA: wir brauchen dich überhaupt nicht was macht er denn jetzt Die Entscheidung des Studenten, die konkrete szenische Ausgestaltung zu Gunsten eines Bedingungsabgleiches aufzugeben, wird von Dozentenseite zurückgewiesen. Hans' linke Hand vollführt hierbei eine „Stoppgeste“ (Abb. 37), er hebt die Hand mit gestreckten Fingern an. 158 Abb. 36: Hans während der Äußerung des Studenten Abb. 37: Hans mit „Stoppgeste“ Die Funktionalität der Geste als „Haltesignal“ ist auch durch die gleichzeitige Verbalisierung (neenee warte mal) bestimmbar. Sie kann als gleichsinnig zur mündlichen Äußerung verstanden werden. Die Geste ist eindeutig an Steve gerichtet. Nicht nur, weil Steve sie aus seiner Position am Tisch deutlich sehen kann, sondern auch, weil Hans' Finger in seine Richtung zeigen und er Steve gleichzeitig anblickt. Für die anderen Beteiligten hat sie fokussierende Qualität, alle wenden sich dem Dozenten zu. Hans refokussiert anschließend die konkrete szenische Gestaltung: wir brauchen dich überhaupt nicht was macht er denn jetzt. Indem er die von Steve entworfene Rede des einen Bruders zitiert (wir brauchen dich überhaupt 158 Aus der Kameraperspektive, die auch Hans' Hand unter der Tischkante erfasst, kann man erkennen, dass er vor der Geste seine rechte Hand kurz bewegt, als der Student von hauptfrage spricht. Möglicherweise gibt diese Kategorie den Impuls für seine folgende Reaktion. Die multimodale Analyseperspektive ermöglicht somit einen neuen Blick auf „redebegleitende Gesten“. Der Bezugspunkt ist nicht die eigene Rede, sondern die der Anderen, die durch gestische Reaktionen/ Kommentare begleitet wird. Analysen 191 nicht), startet er seine Frage mit einer Struktursetzung. Mit der folgenden Verwendung des Temporaladverbs jetzt, das in Steves Äußerung als Indikator für die Situationsdetaillierung fungierte, leitet der Dozent zur szenischen Ausgestaltung zurück. 159 Durch seine Frage evaluiert er Steves Vorschläge implizit als unfertig. Dies kann damit zusammenhängen, dass der Konflikt der beiden Brüder nur latent angelegt und (für einen potenziellen Zuschauer) nicht erkennbar ist, solange sich nur einer der beiden Brüder äußert. Als Hans' Frage von Steve nicht beantwortet wird, führt der Dozent seine Äußerung fort. HA: wir brauchen dich überhaupt nicht was macht er denn jetzt HA: *1,5* im augenblick spielen wir doch das spiel der ST: mhm ja HA: eindringling is unser protagonist was macht er denn HA: jetzt Hans' expliziter Hinweis, der eindringling sei der protagonist, kann auf zwei Problemaspekte in Steves Ausführungen bezogen werden. Zum einen war der Protagonist schon bei der entworfenen Begrüßung nicht mehr als solcher erkennbar (s.o), zum anderen lässt Steve zuerst den Daheimgebliebenen reden (hau doch wieder ab) und verzichtet danach zu Gunsten einer dramaturgischen Reflexion darauf, den Protagonisten auf die barsche Äußerung seines Bruders reagieren zu lassen. So ist der Protagonist nicht als zentraler Handlungsträger erkennbar. Hans charakterisiert das aktuelle Tun als „Spiel“ (im augenblick spielen wir doch das spiel). Dabei ist spiel nicht in erster Linie als Kontrast zu „Ernst“ zu verstehen. 160 Das, was der Dozent als spielen bezeichnet, wurde im vorgängigen Beispiel als Enaktieren beschrieben. Durch das Zitieren der Äußerung, die der Student für den Daheimgebliebenen entworfen hatte, also durch den prä-inszenierenden Einsatz direkter Rede, „spielt“ Hans bereits mit. 159 In Hans' Äußerung hat das jetzt die gleiche Funktion wie in Steves Äußerung. 160 Wobei die Beschreibung des Tuns als spiel kontrastiv zu „Ernst“ auch eine mögliche Lesart darstellt. Erinnert man sich an den Kontext des Ausschnittes, so wurde die studentische Geschichte von den Dozenten bereits mit deutlichen Negativevaluationen abgewählt. Die Aufforderung, die Geschichte von Anfang an zu erzählen, ist eine Reaktion der Dozenten auf die vehemente Verteidigung der Geschichte durch die Studierenden. Unter der Voraussetzung, dass für die Dozenten jedoch das Scheitern der Geschichte bereits feststeht, können sie die neuen Darstellungsversuche von Steve als „Spiel“ betrachten, mit dem sie sich nicht mehr ernsthaft auseinandersetzen müssen. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 192 4.4.1.2.6 Szenische Ausgestaltung durch Dialoge (Dozent/ Student) Steve beginnt, einen Vorschlag für die Reaktion des Protagonisten zu formulieren (er sagt dann ich brau: ch), der eine starke Orientierung an den Vorgaben des Dozenten zeigt. Der Student ist auf den Protagonisten orientiert (er), 161 lässt ihn - im spiel - wieder sprechen (sagt) und kontextualisiert die potenzielle Rede als Fortgang des bisher Entworfenen (dann). Doch noch bevor Steve zur angekündigten direkten Rede kommt, wird er von Hans unterbrochen: ST: er sagt dann ich |brau: ch | HA: |er sagt sag=mal| äh äh und äh äh und HA: wann RÄUSPERT SICH und wie lange möchtest du wie HA: lange bleibst du bei uns ** Hans beantwortet im Folgenden seine Frage (was macht er denn jetzt) selbst, indem er den Daheimgebliebenen sprechen lässt (er sagt ... und wie lange möchtest du wie lange bleibst du bei uns). 162 Er beantwortet jedoch nicht die Frage, was der Protagonist jetzt macht, sondern formuliert zunächst die Reaktion von Seiten des daheimgebliebenen Bruders und gibt diesem neue Worte bzw. andere Worte als zuvor Steve angeboten hat. Damit etabliert er einen neuen, selbstdefinierten Kontext, auf den er die Antwort des Protagonisten beziehen kann. Steves Vorschlag (hau doch wieder ab wir brauchen dich hier nicht), der für die Darstellung des Konfliktes der Brüder eine gute Vorlage ist, wird durch die wesentlich neutralere Frage nach der geplanten Aufenthaltsdauer ersetzt. Die Umorientierung des Dozenten auf den eigenen thematischen Fokus dient nicht dazu, dem Studenten eine neue Vorlage für die Beantwortung der Frage zu liefern, sondern dazu, dies für sich selbst zu tun. HA: wie lange bleibst du bei uns ** ja ich hab eigentlich gedacht HA: äh *2* für immer wie“ bitte *3* für immer *1,5* wie hier HA: auf=m hof *2* für immer * der hof ernährt kaum uns drei 161 Das Pronomen er ist in diesem Äußerungsbeginn nicht eindeutig dem Protagonisten zuzuweisen. Da es jedoch im Kontext von Hans' ermahnender Fokussierung auf den Protagonisten geschieht und zudem als Reaktion auf die zuvor dargestellte Rede des Daheimgebliebenen verstanden werden kann, ist der Bezug zum Protagonisten sehr wahrscheinlich. 162 Insbesondere die vielen Hesitationsphänomene (er sagt sag=mal äh äh und äh äh und wann RÄUSPERT SICH und wie lange …) und die inhaltlichen Umorientierungen (wann ⇒ wie lange) verweisen darauf, dass es für den Dozenten wichtig ist, schnell selbst mit eigenen Ideen initiativ zu werden. Insofern kann man die Frage nach dem Fortgang der Entwicklung nicht nur als an Steve gerichtet und in diesem Sinne didaktisch motivierte Elizitierungsfrage interpretieren, sondern auch als rhetorisch-selbstorganisatorische Frage des Dozenten. Es findet eine Umorientierung statt, weg von der didaktischen Aktivität hin zur eigenen Antwortrealisierung. Analysen 193 Hans verdeutlicht nicht, dass der Heimkehrer antwortet (z.B. durch eine Formulierung wie „daraufhin antwortet der Heimkehrer“), sondern spielt stattdessen den Charakter. Dies bildet sich intonatorisch durch einen Übergang von überraschtem zu selbstverständlichem Tonfall ab. Der prosodische Übergang wird inszenatorisch durch eine 2-sekündige Pause realisiert ( ja ich hab eigentlich gedacht *2* für immer). Zur Darstellung der anschließenden Reaktion des Daheimgebliebenen werden neben intonatorischen Gestaltungsmöglichkeiten auch gestische eingesetzt. Der Dozent lässt den Akteur des Films quasi auf der Leinwand sprechen und handeln. Er hat sich zum Schauspieler „verwandelt“ und spielt abwechselnd beide Charaktere als „Ein-Mann-Ensemble“. HA: wie lange bleibst du bei uns ** ja ich hab eigentlich gedacht HA: äh *2* für immer wie“ bitte *3* für immer *1,5* wie HA: hier auf=m hof *2* für immer * der hof ernährt kaum uns HA: drei Nachdem Hans den Heimkehrer aus einer sehr entspannten und zurückgelehnten Position hat sprechen lassen, drückt er die Überraschung des Daheimgebliebenen durch abruptes Aufrichten des Oberkörpers aus. Die 3-sekündige Sprechpause nach der Frage wie“ bitte nutzt der Dozent, um zunächst den Kopf nach rechts zu richten und ihn von dort aus langsam nach links und dann wieder zurück nach rechts schweifen zulassen. Dabei blickt er alle studentischen Teammitglieder der Reihe nach zwei Mal an. Er bringt auf sehr offenkundige Weise das Erstaunen des Daheimgebliebenen zum Ausdruck, der - im Film - neben dem Bruder auch noch seine Eltern deutlich anblickt und damit potenziell zu einer Reaktion auffordert. Mit seinen Blicken bezieht Hans die Studierenden in das „Spiel“ ein. Sie werden durch seine Monitoring-Aktivität selbst zu „Spielfiguren“, nämlich zur Bauernfamilie am Tisch in der Stube. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 194 Hans verwendet alle längeren Pausen zur gestischen Inszenierung des Charakters. Bei der folgenden 1,5-sekündigen Pause blickt er Steve lange ungläubig an und hält diese Fokussierung aufrecht, wenn er die Nachfrage wie hier auf=m hof stellt und anschließend eine weitere 2-sekündige Pause einlegt. 163 Neben der gestikulatorischen Gestaltung der Sprechpausen untermauert der Dozent auch seine Rede durch Gesten. Die Frage wie hier auf=m hof wird von einer deutlichen Handgeste (flache Hand nach oben geöffnet) 164 begleitet, die über fünf Sekunden beibehalten wird. Abb. 38: Hans' Geste Hans bedient sich zur szenischen Ausgestaltung des Enaktierens, das sich in diesem Fall insbesondere durch folgende Aspekte auszeichnet: Spielen des Charakters durch inszenatorische Elemente (insbesondere mimisch-gestische und prosodische Mittel; nicht pantomimisch, wie in Kap. 4.4.1.1); Verwendung direkter Rede 165 in einer dialogischen Struktur, mit der dargestellt wird, wie die unterschiedlichen Charaktere (Bruder A/ Bruder B) miteinander über einen gewissen Zeitraum sprechen, so dass es zu zwei (! ) Sprecherwechseln kommt; „Verwandlung“ der anderen Interaktionsbeteiligten in Filmcharaktere durch einen spezifischen Umgang mit ihnen (zu letzterem Aspekt folgt eine detaillierte Analyse). 163 Die Pausen sind - dies ist sehr deutlich erkennbar - keine transition relevance places, die Steve eine Möglichkeit böten, die abgebrochene Beantwortung der vorgängigen Frage doch noch zu Ende zu bringen. Hans hält den floor über sein körperliches Ausdrucksverhalten (zum Floor-Konzept siehe Edelsky 1981 a, b). 164 Diese Geste kann mit Müller (2003) als „Palm Up Open Hand“ bezeichnet werden. Müller beschreibt unterschiedliche Formen und kommunikative Funktionen dieser Geste. 165 Zur Redewiedergabe in Form direkter Rede siehe Tannen (1991), zu direkter Rede als rhetorischem Verfahren der szenischen Vorführung kommunikativer Ereignisse siehe z.B. Günthner (2000). - - - Analysen 195 Durch verschiedene prosodische Mittel, wie der spezifischen Variation der Lautstärke, durch überdeutliche Betonung, ungläubige Wiederholung des Gesagten und der gestischen Gestaltung längerer Sprechpausen (s.o.), wird das Verhältnis der Brüder zueinander und die Dispräferenz des Daheimgeblieben für die Rückkehr des Weltenbummlers verdeutlicht. So werden nicht nur die Inhalte der Rede, sondern auch Redeintentionen, Einstellungen und Befindlichkeiten erkennbar. Lucius-Hoene/ Deppermann (2002) beschreiben einen solchen Einsatz prosodischer Mittel im Kontext der Re-Inszenierungen bei der Redewiedergabe: „Der Erzähler animiert verschiedene prosodische Stimmen, indem er den Äußerungen der Beteiligten unterschiedliche prosodische und sprachliche Profile verleiht“ (ebd., S. 228). 166 4.4.1.2.7 „Rekrutierungsversuch“ weiterer Mitspieler im Rahmen der Dialoggestaltung (Dozent) Außer zur szenischen Weiterentwicklung trägt die direkte Rede des Dozenten auch zur Dynamisierung der Interaktionsstruktur im Pitching bei. Während sich der Regiestudent Steve engagiert darum bemüht, die Geschichte zu verteidigen und neue Vorschläge einzubringen, verhalten sich die anderen drei Teammitglieder passiv. Hans' Spiel und seine animierenden Blicke in die Runde während der Sprechpausen (s.o.) sind eine Art „Fishing-Technik“, mit der die anderen Studierenden in die Geschichtsentwicklung eingebunden werden können. Auch die im Folgenden dargestellte explizite Adressierung eines Studenten als Filmcharakter (= Vater) kann dazu beitragen. HA: auf=m hof *2* für immer * der hof ernährt kaum uns drei HA: *2* papa sag doch was *2,5* was sagt er jetzt *3,5* Hans formuliert seine Aufforderung an den Vater im Film ( papa sag doch was), indem er Florian, den Studenten, der ihm gegenüber sitzt, lange anschaut. Die im Anschluss entstehende 2,5-sekündige Pause kann als potenzieller „integrativer“ transition relevance place verstanden werden. Jedoch bleibt der Adressierte völlig unbewegt und statisch. 167 Daraufhin fragt Hans: was sagt er jetzt. Dabei nickt er Steve zu, dem Studenten, den er zuvor unterbrochen hatte. Der Zuwendung zu Steve folgt ein demonstratives Zurücklehnen des Oberkörpers zur Stuhllehne. Hans signalisiert, dass er Steve den Turn diesmal tatsächlich überlässt. 166 Zu prosodischen Phänomenen bei der Redewiedergabe siehe auch Couper-Kuhlen (1999), Klewitz/ Couper-Kuhlen (1999) und Günthner (2000). 167 Die Adressierung papa sag doch was kann Florian auffordern, den Vater „reden zu lassen“, bzw. sich insgesamt auch mehr an der szenischen Entwicklung zu beteiligen. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 196 Steve antwortet im Folgenden, indem er die Frage von Hans (was sagt er jetzt) auf den Heimkehrer bezieht (und nicht etwa auf den papa, der ja zuvor thematisch war). 168 ST: jetzt würde er sagen ja ich möchte ** ich möchte euch ST: jetzt helfen ich war nicht für euch da damals aber jetzt ST: bin ich zurück und jetzt möchte tun was ich kann um hier ST: meine heimat wieder zu finden HA: papa er ka“nn nichts HA: ich meine das hat er doch gezeigt *2* ST: ich kann immer noch ST: ** säen und ich kann immer noch den mähdrescher ST: fahren ich kann Ohne hier detaillierter auf die inhaltlich-thematischen Vorschläge der Spielenden einzugehen, kann man gesprächsorganisatorisch eine interessante Beobachtung machen. Nachdem Steve in direkter Rede den Heimkehrer hat sprechen lassen, reagiert Hans darauf aus der Rolle des Daheimgebliebenen und adressiert nochmals explizit den Studenten Florian als papa, dem er, wie schon zuvor, die Rolle des Vaters zuschreibt. Bei der Formulierung papa er ka“nn nichts ich meine das hat er doch gezeigt, blickt Hans Florian lange und deutlich an, gleichzeitig weist er dabei mit der Hand zu Steve (= Heimkehrer), auf den er sich bezieht. Abb. 39: Hans blickt zu Florian (ihm gegenüber) und weist mit der linken Hand auf Steve (rechts von ihm). 168 Steve war in der bisherigen Entwicklung primär für die Dialoggestaltung der Brüder zuständig und interpretiert seine Zuständigkeit auch in diesem Kontext und nicht bezogen auf den Vater (der ja Florian zugewiesen wurde). Analysen 197 Da Hans seine multimodalen Ressourcen aufteilt (Blick zu Florian, Geste zu Steve und Reden zu Florian ( papa) über Steve (er = „Heimkehrer“)), werden beide Studenten fokussiert. Beide könnten als jeweilige Filmfigur auf Hans' Doppeladressierung reagieren. 169 Was hat Hans durch seine Adressierung eines weiteren Teammitgliedes ( papa = Florian) erreicht? Die einzige Veränderung im Team ist, dass Florian seine zuvor eher entspannte Haltung aufgibt und mit dem Oberkörper an den Tisch rückt. 170 Abb. 40: Entspannte Haltung Abb. 41: Vorgerückte Haltung Nach einer 2-sekündigen Pause übernimmt jedoch wieder Steve den Turn und spielt den Heimkehrer. Hans' Versuch, ein weiters Teammitglied in die Spielmodalität zu integrieren, bleibt erfolglos. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass gute szenische Einfälle und deren Darstellung nicht erzwungen werden können. Gerade die Doppelanforderung im Spiel, zum einen ad hoc gute Ideen zu entwickeln und diese zum anderen szenisch-künstlerisch darzustellen, macht diese Form des Enaktierens als Mittel der Szenenentwicklung schwierig. Dies ist auch in Steves Vorschlägen sichtbar. Er kommt zwar schnell in die vom Dozenten verlangte Rolle hinein und spricht dann aus der ihm zugewiesenen Rolle, jedoch sind seine Vorschläge inhaltlich-thematisch nicht besonders innovativ: Auf Hans' Vorwurf, er könne nichts, listet er (bzw. der Heimkehrer) Tätigkeiten auf, die er kann (säen, mähdrescher fahren). Diese 169 Neben der inhaltlichen Weiterentwicklung des Filmdialoges betreibt der Dozent hier auch eine Art Gruppenmanagement und verdeutlicht, dass grundsätzlich alle Studierenden ‘dran sind’, d.h. dass auch diejenigen, die sich über eine längere Zeit nicht verbal beteiligt haben, damit rechnen müssen, jederzeit wieder gefordert zu werden. 170 Das Vorrücken kann als Arbeitshaltung gesehen werden und ist eine Möglichkeit dem Dozenten zu zeigen, dass man sich ‘nicht ausruht’, sondern durchaus ‘dabei ist’, auch wenn man verbal nicht reagiert. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 198 sind keine originellen Einfälle im Rahmen der von den Dozenten so oft formulierten Maxime („Sie müssen etwas Neues erzählen! “ = Innovationsbedingung), sondern sie speisen sich offenbar aus stereotypen, gemeinhin bekannten Aufgaben der Landwirtschaft (gemäß dem bekannten Volkslied: „er pflüget den Boden, er egget und sät ...“). Auch Hans ist dieser inhaltlich-thematischen Beliebigkeit ausgeliefert, was seine folgende Reaktion zeigt: ST: ich kann immer noch ** säen und ich kann immer noch den ST: mähdrescher fahren ich kann HA: den mähdrescher fahren du weißt HA: doch überhaupt nicht mehr wie die mähdrescher von heute HA: aussehen willst du in die fahrschule gehen vorher *1,5* ST: |soll ich=s | soll HA: es gibt keine fahrschule |für mähdrescher| ST: ich=s dir beweisen gib mir den mähdrescher und ich ST: fahr damit und so HA: ja okay ja *1,5* Ein Drama, in dem die Akteure ernsthaft über die Mähdrescher-Fahrkompetenz eines auf dem elterlichen Bauernhof sozialisierten erwachsenen Menschen diskutieren (soll ich=s dir 171 beweisen) und über die Existenz einer fahrschule für mähdrescher reden, ist für potenzielle Zuschauer nicht besonders ansprechend. Damit ist letztlich auch die Produktivitätsgrenze des Spiels erreicht, es kommt zu einem - produktiven - Scheitern. Der Dialog bringt die Entwicklung der Geschichte nicht weiter. Zudem ist Hans' vorherige dramaturgisch motivierte Fokussierung auf den Protagonisten nur noch darüber erkennbar, dass dieser überhaupt mitredet: 172 Zur Entscheidung über den Konflikt zwischen den Brü- 171 Neben den oben aufgeführten Charakteristika des Enaktierens kommt hier eine weitere hinzu, die sich auf die personalen Referenzen bezieht: Der Heimkehrer im Film duzt natürlicherweise seinen Bruder und dies bedeutet im Spiel, dass der Student, den Dozenten (als Bruder) duzt, während beide in der ‘Pitching-Realität’ per Sie sind. Da im Deutschen der Wechsel von „du“ zu „Sie“ hochgradig sozial implikativ ist, stellt er zum einen eine potenzielle Hürde für die Studierenden dar, sich auf das Spiel einzulassen, zum anderen bietet das Spiel soziale Gefahren, denn die Studierenden müssen absolut sicher sein, dass sie sich tatsächlich im Kontext des Enaktierens befinden, wenn sie den Dozenten duzen. 172 Auch der Fokussierungsverlust hinsichtlich des Protagonisten gründet sich letztlich in der Unkontrollierbarkeit des Spiels. Analysen 199 dern wird zwei mal papa 173 aufgefordert, der Protagonist selbst trifft keine relevanten Entscheidungen. Schließlich übernimmt Hans nun die dritte Spielrolle als papa bzw. mama. HA: <also nun hört au“f jungs> er bleibt hier *3,5* sagt HA: papa oder mama Hans' lauter gesprochene Äußerung (also nun hört au“f jungs) setzt das Ende der Spielsequenz. Mit den Worten er bleibt hier entscheidet der Vater oder die Mutter im Film über den Konflikt zwischen den Brüdern. 174 4.4.1.2.8 Wechsel von szenischer Ausgestaltung zu szenischer Konstruktion Sowohl Steve, als auch Ralf, der andere Dozent, beenden daraufhin die szenische Ausgestaltung: ST: da muss er sein verhalten HA: sagt papa oder mama ST: nicht mehr radikal ändern würd ich sagen ja RA: der bruder steht auf geht raus er sitzt *2* so dann wird RA: irgend=ne phase kommen wo er sich den hof wieder anguckt RA: (…) was hat sich verändert was ist geblieben *3,5* so und RA: jetzt muss er ** muss er mal zum wendepunkt kommen *3* Ralf löst die bis dahin gestaltete Situation auf, indem er die Brüder aus der stube herausgehen lässt. Anschließend unterbreitet er einen Vorschlag zur szenischen Konstruktion. In Form einer hypothetischen Exemplifizierung liefert er eine Idee für das weitere Verhalten des Charakters (so dann wird irgend=ne phase kommen wo er sich den hof wieder anguckt). 175 Anschließend thematisiert er - weiterhin im Rahmen der szenischen Konstruktion - die notwendige baldige Gestaltung des „Wendepunktes“ (muss er mal zum wendepunkt kommen). 173 Auch die Wahl der Kategorie papa für den wirtschaftenden Bauern passt nicht in die entworfene soziale Situation. Eher könnte man sich vorstellen, dass er mit „Vater“ angesprochen wird. 174 Zugleich ist latent auch eine weitere interaktionsreflexive Lesart in der Äußerung vorhanden. Es ist der Appell an die Studierenden, ihre Anhaftung an die Geschichte aufzugeben. Das produktive Scheitern verdeutlicht plakativ die Probleme der bisherigen Geschichte. 175 Hier wird die „hypothetische Exemplifizierung“ nicht konjunktivisch, sondern im Futur realisiert. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 200 4.4.1.2.9 Bedingungsabgleich: Glaubwürdigkeit/ Realitätsnähe (Dozent) Hans befasst sich im Anschluss an Ralfs Äußerung nicht mit dem Wendepunkt, sondern stellt eine Frage an die Studierenden, mit der er die szenische Entwicklung völlig aufgibt: HA: wisst ihr was ich gerade denke wer von euch stammt denn HA: von einem hof Die Frage nach dem persönlichen Bezug der Studierenden zum Leben auf einem Hof ist eine Form des Bedingungsabgleiches, die sich nicht auf Elemente der szenischen Konstruktion oder Ausgestaltung bezieht, sondern die gesamte Geschichte tangiert. Die im Rahmen der szenischen Ausgestaltung produzierten Ideen wirken - was auch in der hohen gestalterischen Anforderung des Enaktierens wurzelt - sehr konstruiert und wirklichkeitsfremd. Die von Hans initiierte thematische Klärung der Erfahrungen der Teammitglieder mit dem gewählten Setting ist deshalb nicht überraschend. Selbst wenn das Enaktieren keine bewusste dozentenseitige Entscheidung, sozusagen der Einsatz einer didaktisch motivierten Hidden Agenda war, so sieht man doch seine unmittelbare Auswirkung. Kurze Zeit nach dem Abbruch der anfänglich von Ralf initiierten szenischen Entwicklung kommt es zur Abwahl der Geschichtsidee. Das Team liefert einen neuen Alternativ-Pitch. 4.4.1.3 Zusammenfassung: Die drei Basisoperationen der Szenenentwicklung Anhand der Analysen lassen sich drei Basisoperationen der Szenenentwicklung rekonstruieren: die szenische Konstruktion, die szenische Ausgestaltung und der Bedingungsabgleich. Diese drei Basisoperationen stehen nicht in einem handlungsschematisch-linearen Zusammenhang, sondern in einem dynamischen Wechselverhältnis zueinander. Welche der drei Operationen durchgeführt wird, ist immer eine lokale Reaktion auf den aktuellen Verlauf der Szenenentwicklung und ist aus diesem Grund in keiner Weise prognostizierbar. Weder lässt sich vorhersagen, an welcher Stelle, mit welcher dieser drei Basisoperationen - zumeist initiiert durch die Dozenten - die Entwicklungsarbeit beginnt, noch ist der weitere Verlauf, der sich aus der Bearbeitung der ersten Basisoperation entwickelt, antizipierbar. Zwar erfolgt die Entwicklung der Geschichte chronologisch beginnend mit der Exposition über verschiedene Szenen und Wendepunkte bis zum Schluss. Eine Orientierung an dieser allgemeinen Linearität im Sinne einer handlungsschematischen Rekonstruktion kann jedoch die Spezifik der Szenenentwick- Analysen 201 lung, die sich aus der dynamischen Kombination der drei Basisanforderungen ergibt, nicht erfassen. Dies liegt daran, dass grundsätzlich an jeder Entwicklungseinheit die Basisoperationen in je spezifischer Abfolge, unterschiedlicher Relevanzgewichtung und unterschiedlicher zeitlicher Erstreckung durchgeführt werden. Eine zu stark an Oberflächenstrukturen orientierte Rekonstruktion und Segmentierung ist also nicht in der Lage, den komplizierten Konstitutionsmechanismus zu rekonstruieren, der für die Szenenentwicklung als zentrale Anforderung der Kernaktivität „Stoffentwicklung“ wesentlich ist. Abb. 42: Kreismodell: Basisoperationen der szenischen Entwicklung Wie in der Darstellung zu sehen ist, kann die szenische Konstruktion unmittelbar zu einer szenischen Ausgestaltung führen, oder einen Bedingungsabgleich notwendig machen. Vorschläge im Kontext der szenischen Gestaltung können wiederum neue szenische Konstruktionsvorgaben relevant machen oder einen (erneuten) Bedingungsabgleich hervorrufen. Der Bedingungsabgleich kann also sowohl auf szenische Konstruktionsvorschläge, als auch auf szenische Gestaltungsvorschläge reagieren. Möglich ist auch, dass ein Bedingungsabgleich die gesamte Geschichte (z.B. hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit) betrifft. Die Basisoperationen sind aus Gründen der Modellkonstruktion deutlicher voneinander getrennt, als dies bei der faktischen Szenenentwicklung der Fall ist. Bei der Szenenentwicklung können durchaus zwei Basisoperationen in einer einzelnen Äußerung bearbeitet werden. Bearbeitungsverfahren: Im Rahmen der szenischen Konstruktion konnte zusätzlich zu den bereits rekonstruierten Verfahren „hypothetische Exemplifizierung“, „Konzeptvariation“ und „Implikationsexplikation“ ein weiteres Verfahren identifiziert werden: die Struktursetzung. Sie definiert einen Ausgangspunkt für szenische Überlegungen und zwar entweder als neue Idee oder als (implizite) Rekapitulation bereits zuvor formulierter Vorschläge. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 202 Hinsichtlich der szenischen Ausgestaltung wurde zum einen ein weiteres Verfahren, die Situationsdetaillierung, herausgearbeitet. Zum anderen kann das Verfahren des Enaktierens detailliert werden. Eine Szene kann (muss aber nicht) aus unterschiedlichen Situationen bestehen (Szene = Sit1 + Sit2 + Sit3). 176 Die jeweilige Situation muss im Dienste der szenischen Weiterentwicklung hinsichtlich ihrer räumlichen, personalen und handlungsstrukturellen Spezifik ausgestaltet werden. Dies wird mit dem Verfahren der Situationsdetaillierung realisiert. Hierbei kann ein „strukturelles Problem“ entstehen, wenn die Beteiligten ihre Vorschläge in unterschiedlichen Situationen verorten, ohne dies hinreichend kenntlich zu machen. Die Situationsdetaillierung wird durch die Verwendung des temporal-deiktischen Adverbs jetzt als relevante Teilanforderung innerhalb der szenischen Entwicklung ausgewiesen, wodurch ein konsistenter Referenzrahmen markiert wird. Für das im Kontext der szenischen Ausgestaltung verwendete Verfahren des Enaktierens ist der Einsatz direkter Rede von Bedeutung. In diesem Zusammenhang können zwei Formen der Redegestaltung differenziert werden: Zum einen gibt es die monologische handlungsbegleitende Rede, bei der Handlungen von Charakteren durch einzelne Äußerungen untermauert werden, die zentrale pragmatische Implikation der Handlung verdeutlichen. Zum anderen wird die verbale Interaktion mehrerer Charaktere durch die Pitching-Teilnehmer dialogisch -Teilnehmer dialogisch 177 gestaltet und das Reden selbst zur zentralen Handlung gemacht (dialogische handlungskonstituierende Rede). 178 Die dialogische handlungskonstituierende Rede kann hinsichtlich der Beteiligungsweisen der Pitching-Teilnehmer differenziert werden. Entweder wird sie von einem Sprecher durchgeführt, der abwechselnd in die Rolle der unterschiedlichen Charaktere schlüpft und sich unterschiedliche Stimmen leiht (dialo- 176 Im ersten Beispiel besteht die Szene aus einer Verfolgung (Sit1) und einer Konfrontation (Sit2), im zweiten Beispiel aus einer Begrüßungssituation vor dem Haus (Sit1) und einer nach der Begrüßung stattfindenden Situation im Haus (Sit2). 177 Dabei kann es zu mehreren Sprecherwechseln kommen und es werden Strukturierungsprinzipien und Anforderungen der Interaktionskonstitution erkennbar, die auch in alltagsweltlichen Interaktionszusammenhängen vorkommen, beispielsweise das Prinzip der konditionellen Relevanz (Fragen werden von Charakter A gestellt und von Charakter B beantwortet), Mechanismen des Sprecherwechsels sowie der Selbst- und Fremdwahl etc. 178 Die Differenzierung zwischen handlungsbegleitender und handlungskonstituierender Rede ist hier nicht im handlungstheoretischen Sinn gemeint (wonach jede Form des Sprechens selbst als Handlung gesehen wird). Sie ist relevant in Bezug auf unterschiedliche Funktionalitäten, die die Darstellung von Sprechen im Rahmen der Stoffentwicklung hat. Analysen 203 gische handlungskonstituierende Rede durch einen Sprecher). Oder jeweils ein Sprecher steht für einen spezifischen Charakter: Sprecher A verkörpert Charakter A, Sprecher B verkörpert Charakter B (dialogische handlungskonstituierende Rede durch mehrere Sprecher). 179 Des Weiteren zeigen sich für das im Rahmen der szenischen Ausgestaltung verwendete Verfahren des Enaktierens unterschiedliche mimisch-gestische Ausdrucksweisen: Redebegleitende Gesten (i.S. Müllers 1998): Diese Gesten untermauern die direkte Rede. Sie ergänzen und unterstützen zusammen mit inszenatorischen prosodischen Mitteln die mündlich präsentierten Inhalte gleichsinnig. Pantomimische Gesten: Dabei handelt es sich um körperliche Darstellungen, die Handlungszusammenhänge eigenständig symbolisieren und in der spezifischen Ausdrucksweise relevante in der aktuellen Situation nicht materiell vorhandene Gegenstände repräsentieren. Inszenatorische Gestikulation: In Sprechpausen kommt es zu gestischen und mimischen Ausdrucksweisen, die das Verhalten eines Filmcharakters zeigen. Bedingungsabgleich: Neben der problematisierenden Funktion des Bedingungsabgleichs im ersten Beispiel hat die Analyse des zweiten Beispiels eine weitere wichtige Funktion gezeigt. Der Abgleich funktioniert auch als reflexives Instrumentarium, mit dem sich die Pitching-Teilnehmer selbst vergewissern, ob ihre Vorschläge mit den relevanten Bedingungen kompatibel sind. In dieser Funktion wird der Bedingungsabgleich nicht als eigenständige, expandierte und segmentierte Einheit realisiert, sondern in die laufende Äußerungsentwicklung inkorporiert. Nachfolgend werden jedoch Beispiele analysiert, in denen es zu expandierten Formen der expliziten Thematisierung dramentheoretischer Zusammenhänge kommt. Diese gehen sowohl hinsichtlich ihrer Struktur als auch ihrer Relevanz für die Stoffentwicklung weit über die bislang beschriebenen Formen des Bedingungsabgleichs hinaus: Es handelt sich dann um eigenständige dramentheoretische Exkurse. 179 Nur in wenigen Fällen scheitert die Identifikation der direkten Rede, beispielsweise in einem Pitching, in dem Hans im Kontext der szensichen Ausgestaltung plötzlich fragt: „Wie alt bist du? “ und dabei einen der Studenten anblickt. Mit dieser Frage soll der Protagonist des Filmes auf das Auftauchen eines Jungen reagieren, der behauptet, sein Sohn zu sein. Auf die Frage antwortet der Student im direkten Anschluss: „Ich? 28! “, was zu allgemeinem Lachen führt. - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 204 4.4.2 Vermittlung der Dramentheorie Neben der im vorangegangenen Kapitel dargestellten Szenenentwicklung, die für die Stoffentwicklung konstitutiv ist, finden sich in allen Stoffentwicklungs-Phasen Aktivitäten, die zwar systematisch auftauchen und empirisch evident sind, jedoch nicht über einen vergleichbaren konstitutiven Status verfügen: Es handelt sich um die Vermittlung der Dramentheorie. Diese dozentenseitige Vermittlung ist eine reflexive, auf die Szenenentwicklung bezogene und diese evaluierende Aktivität. Sie reagiert auf Probleme der Studierenden hinsichtlich der Anforderung, ihre Geschichte nach den spezifischen dramenarchitektonischen Vorgaben zu gestalten. Sie können in Bezug auf die folgende Beteiligungsdifferenzierung (Dozenten vs. Studenten) charakterisiert werden: Dozenten: Die Dozenten bestimmen, wann dramentheoretische Vermittlungen stattfinden, welcher thematische Aspekt behandelt wird und wie die Vermittlung gestaltet wird. Es handelt sich also um eine einseitige aus der Ausbildungsperspektive erwachsende Intervention der Dozenten, die auf die vorgängige Szenenentwicklung reagiert und diese in Bezug auf die dramaturgische Architektur als defizitär evaluiert. Studierende: Anders als bei der Szenenentwicklung, bei der erwartet wird, dass sich die Studierenden aktiv mit eigenen Vorschlägen beteiligen, ist ihre primäre Aufgabe im Kontext der dramentheoretischen Vermittlung das Zuhören, ggf. zusätzlich noch die Beantwortung einzelner Fragen. Die Szenenentwicklung kann aus der Perspektive der Studierenden als „learnlearning by doing“ charakterisiert werden; die Studierenden erlernen die relevanten “ charakterisiert werden; die Studierenden erlernen die relevanten Verfahren, indem sie sie praktisch anwenden. Die Beschäftigung mit der Dramentheorie hingegen ist - um in der Terminologie zu bleiben - eine Art „learning by listening“. Die Beteiligungsweisen der Studierenden wechseln learning by listening“. Die Beteiligungsweisen der Studierenden wechseln “. Die Beteiligungsweisen der Studierenden wechseln von primär aktiv-gestalterischen Formen bei der Arbeit an der Geschichte zu primär passiv-verarbeitenden Formen während der Vermittlungssequenzen. Dort agieren die Dozenten deutlich in der Rolle des Lehrers bzw. Prüfers, die Studierenden in der Rolle des Schülers bzw. Prüflings. Die Platzierung und formale Ausgestaltung der dramentheoretischen Vermittlung reagiert auf den aktuellen Verlauf der Szenenentwicklung. Wenn ersichtlich wird, dass sich die Studierenden bei der Ausarbeitung ihrer Geschichte nicht an den dramaturgischen Grundlagen orientieren, initiieren die Dozenten einen Aktivitätswechsel und leiten zur Vermittlung über. Die Vermittlungsphasen sind also insofern reflexiv, als dass sie die Qualität der vorgängigen szenischen Entwicklung spiegeln. In diesem Sinne ist der Über- 1) 2) Analysen 205 gang zu dramentheoretischer Vermittlung immer kontextuell motiviert und trägt Züge eines Monitums. Die Charakterisierung der dramentheoretischen Vermittlungssequenzen als kontextuell motiviert bedeutet in der Regel nicht, dass es sich hierbei um einen nahkontextuellen oder gar sequenziell rekonstruierbaren Kontext handeln muss. Die Sequenzen unterliegen vielmehr einer kontextuell „tiefer gestaffelten“ Motivierung: Die Dozenten greifen nicht immer gleich bei ersten Hinweisen auf dramaturgische Unzulänglichkeiten in den Stoffentwicklungsprozess ein. Insofern kann man einen Großteil der dramentheoretischen Vermittlungssequenzen als „späte Verfahren“ definieren, die präferenziell keine sofortige Reaktion auf ein diagnostiziertes Defizit darstellen. Dies geschieht vor allem vor dem Hintergrund, die Dynamik der Szenenentwicklung zunächst nicht zu behindern. Die Vermittlungssequenzen unterscheiden sich erkennbar von den bereits dargestellten Formen des Bedingungsabgleichs (Kap. 4.4.1). Selbst in Fällen, in denen es um dramaturgisch-kompositive Bedingungen geht, die ja in der Dramentheorie gründen, operiert der Bedingungsabgleich viel lokaler als die Vermittlungssequenzen. Der Bedingungsabgleich wird im direkten Anschluss an einen Entwicklungsvorschlag vorgenommen und ist vergleichsweise kurz. Die dramentheoretischen Vermittlungssequenzen hingegen können sich über mehrere Minuten hinziehen und haben „Exkurscharakter“. Aus diesem Grunde bezeichne ich sie im Folgenden auch als „dramentheoretische Exkurse“. Die Art und Weise, wie dramentheoretische Exkurse realisiert werden, gibt oft Hinweise, auf welche Form von Defizit sie reagieren bzw. wie schwerwiegend oder brisant der vorherige Verstoß gegen die zugrunde liegende Dramentheorie war. In den folgenden Analysen soll jedoch nicht der relevante Kontext über viele Transkriptseiten zur Verfügung gestellt werden, sondern die problematischen Aspekte, auf die der dramentheoretische Exkurs reagiert, werden kurz beschrieben und/ oder aus der Spezifik des Exkurses rekonstruiert. Abhängig von den Defiziten, auf die sie reagieren, nehmen die dramentheoretischen Exkurse unterschiedliche Formen an und unterscheiden sich hinsichtlich folgender Aspekte: Hinsichtlich des Explizitheitsgrads, mit dem Vorgängiges (negativ) evaluiert wird. Hinsichtlich des relevanten Bezugsobjektes: Erfolgt die Verdeutlichung mit Bezug auf die studentische Geschichte, oder wird ein bekannter Film als Exempel gewählt, der dann gemeinsam geteiltes Wissen unterstellt bzw. relevant macht? a) b) Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 206 Hinsichtlich des Durchführungsmodus: Wird der Exkurs eher sachlicherzählend, analytisch-argumentativ oder enaktierend durchgeführt? Hinsichtlich interaktionsstruktureller Aspekte: Kommt es zu einem Wechsel von dozentenseitigen Fragen und studentenseitigen Antworten oder doziert einer der Lehrer über lange Zeit im Stil einer Universitätsvorlesung? Hinsichtlich der Beteiligungsstrukturen: Sind die Studierenden im Rahmen der monologischen Ausführungen eher Zuhörer, oder müssen sie sich (beispielsweise im Rahmen der Frage-Antwort-Sequenzen) auch mündlich beteiligen? Sind die Exkurse dialogisch strukturiert und haben sie Prüfungscharakter? Hinsichtlich des recipient designs: Wie werden die relevanten Inhalte (didaktisch) für die Studierenden aufbereitet? Die Tatsache, dass die Dozenten mehrfach von der inhaltsbezogenen Arbeit an der Geschichte zur dramentheoretischen Vermittlung überleiten, ist auch auf die im Typus Lehr-Lern-Diskurs angelegte strukturelle Perspektivendivergenz zwischen Dozenten und Studierenden zurückzuführen. Während die Studierenden in erster Linie darauf orientiert sind, eine interessante und anspruchsvolle Geschichte zu konstruieren, legen die Dozenten ihren Fokus primär auf die Entwicklung einer dramaturgisch korrekt konzipierten Geschichte. Erst anschließend wird die Frage nach Anspruch und Innovation gestellt. Die Dramentheorie ist in allen Pitchings und in jedem Stadium der gemeinsamen Arbeit der relevanteste Bezugsrahmen für die Dozenten. Sie vermitteln ihren Studierenden handwerkszeug, welches sie auch in ihrem zukünftigen Berufsfeld im Medienbereich anwenden können. Dazu eine explizite Thematisierung von Hans: HA : RÄUSPERT SICH wir * Ralf und ich in unterschiedlichen * funktionen manchmal zusammen wie hier und manchmal uns auch widersprechend * wollen ihnen handwerkszeug beibringen ** In der dozentenseitigen Orientierung, den Studierenden die Anwendung des dramaturgischen Handwerkszeugs beizubringen, manifestiert sich der Lehr- Lern-Aspekt in besonderer Weise: HA : die anwendung der dramaturgischen * des dramaturgischen handwerkszeugs ist völlig unabhängig von jedem inhalt * das [...] müssen sie lernen * dafür sind die nächsten zwei jahre * das is schwer [...] c) d) e) f) Analysen 207 Erst wenn sich die Studierenden im Laufe ihrer Professionalisierung auf die permanente Relevanz dramaturgischen Denkens einlassen und diese für sie ebenfalls zur zentralen Orientierung wird, nehmen die Vermittlungsaktivitäten der Dozenten erkennbar ab und/ oder werden wesentlich kürzer als zuvor. Gründe für die mangelnde dramentheoretische Fundierung studentischer Vorschläge können auf drei mögliche Problemaspekte zurückgeführt werden: Wissensproblem: Die Studierenden äußern gemessen an der Dramentheorie ungenügende Vorschläge, weil sie die zentralen Aspekte und Relevanzen nicht kennen oder nicht verstanden haben. 180 Umsetzungsproblem: Die Studierenden kennen die Theorie, können sie jedoch praktisch nicht umsetzen und anwenden. Relevanzproblem: Die Studierenden orientieren sich nicht an der Dramentheorie, obwohl sie ihnen geläufig ist. Dies geschieht z.B. wegen eigener thematischer Ansprüche, Vorlieben und Relevanzen, die mit dramaturgischen „Restriktionen“ kollidieren. Zusätzlich zu den oben aufgeführten Problemaspekten ist die Spezifik der Vermittlungsdiskurse auch von allgemeinen situativen und lehrplanbezogenen Aspekten abhängig. Was ist dramentheoretisch gesehen das Haupt-Lernziel für das jeweilige Filmformat? Bei den 5-Minütern ist beispielsweise die strukturelle Komposition des Dramas (ein Held, ein Ziel, ein Hindernis und „what's at what's at stake“) besonders relevant, bei den 10-Minütern die detaillierte und strin- “) besonders relevant, bei den 10-Minütern die detaillierte und stringente Modellierung des Charakters, der das Drama durch seine Handlungen vorantreibt („character driven drama“). character driven drama“). “). Wie weit ist die Professionalisierung der Studierenden fortgeschritten? Bei den 5-Minüter-Pitchings werden bestimmte dramentheoretische Fragen ausführlich geklärt, die bei den 20-Minütern nicht mehr zur Sprache kommen, weil die Studierenden sie fraglos berücksichtigen. Welcher Dozent vermittelt die Dramentheorie? Die beiden Dozenten haben unterschiedliche Präferenzen bezüglich des Explizitheitsgrades ihrer Intervention, Dauer der Vermittlung, sowie hinsichtlich des Bezugsaspektes der Vermittlung anhand dessen sie ihre Ausführungen exemplifizieren (studentische Geschichte oder Film). 180 Die Dramentheorie wird bereits vor den Pitching-Sitzungen im Unterricht von verschiedenen Dramaturgielehrern vermittelt (siehe Kap. 3.2.1.2). - - - - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 208 Alle aufgeführten Aspekte können sich auf die Art und Weise der Vermittlungsaktivitäten auswirken. Von der Dauer der jeweiligen Vermittlungsaktivitäten ist die weitere Dynamik der gemeinsamen Arbeit abhängig. Wenn die Studierenden sehr lange zuhören mussten, ist der Übergang zur weiteren Entwicklungsarbeit tendenziell schwierig, da der Ideenfluss unterbrochen wurde. Auch die in die theoretischen Ausführungen implementierte Kritik an Ideen oder Verhaltensweisen der Studierenden wirkt sich auf die weitere gemeinsame Arbeit der Gruppe aus. Im Anschluss an dramentheoretische Exkurse sind die Studierenden mit Initiativen sehr zurückhaltend und die weitere Szenenentwicklung kommt nur „schleppend“ wieder in Gang. Der Wechsel innerhalb der Stoffentwicklung von gemeinsamer szenischer Entwicklung zu Vermittlungsphasen ist auch ein typologischer Wechsel zwischen „Arbeits- und Lehr-Lerndiskurs“. Selbst wenn der Aspekt des Lehrens auch in anderen Pitching-Phasen relevant ist, so zeigt er sich in den Vermittlungsphasen am deutlichsten. In longitudinaler Perspektive und hinsichtlich des studentischen Ausbildungsstandes kann die Anzahl, die Expansion und die Art dramentheoretischer Vermittlungsphasen als ‘Lackmustest’ für die Professionalisierung der Studierenden im Verlauf ihres Studiums angesehen werden. Im Folgenden werden unterschiedliche Vermittlungsweisen dargestellt und ihre strukturellen Charakteristika herausgearbeitet. Die Beispiele sind unter Berücksichtigung der drei oben aufgeführten Problemaspekte ausgewählt. Das erste Beispiel zeigt ein Umsetzungsproblem, das zweite ein Wissensproblem und das dritte ein Relevanzproblem. Die Realisierung des jeweiligen Vermittlungsdiskurses reagiert auf den spezifischen Problemtyp. Alle Beispiele stammen aus dem Kontext der 5-Minüter-Pitchings, da sich hier zum einen die meisten Vermittlungsdiskurse finden und zum anderen fast immer der gleiche inhaltlich-thematische Aspekt problematisch ist, nämlich die Anwendung der dramaturgischen Grundlagen für die Stoffentwicklung. Insofern sind die Beispiele trotz ihrer unterschiedlichen Problemqualität sehr gut miteinander vergleichbar. 4.4.2.1 Vermittlung im Kontext eines Umsetzungsproblems Das erste Beispiel zeigt die Beschäftigung der Pitching-Gruppe mit einem zentralen dramentheoretischen Aspekt, dem Ziel des Protagonisten. Als Thema für ihre Geschichte haben die Studierenden eine Suchtproblematik gewählt und im Vorfeld versucht, den Dozenten die einzelnen Handlungsschritte der Protagonistin zu verdeutlichen. Im Rahmen der szenischen Entwicklung Analysen 209 macht der Regiestudent Niklas einen Vorschlag für das Ziel 181 der Protagonistin (sie möchte ein normales leben führen). Dieser Vorschlag wird von Hans aufgegriffen und zum Ausgangspunkt seiner Beschäftigung mit dramaturgischen Grundlagen gemacht. Im Kontext der Reflexion, in der Hans die Abstraktheit von Niklas Zieldefinition problematisiert (ein normales leben führen), äußert die Studentin Vera einen Alternativvorschlag: # 05/ 02-04/ Koabhängigkeit VE: ähm was * jetzt eine idee is die jetzt erst so in der letzten VE: also seit wir jetzt abgegeben haben entstanden is dass ähm VE: sie äh dass man ihr ihr ziel * mehr sichtbar machen kann dass VE: sie zum beispiel ne ganz normale glückliche familie beobachtet Der Wunsch der Protagonistin, ein normales leben zu führen, soll im Film ersichtlich werden, indem sie eine normale glückliche familie beobachtet. Auf ihre Idee reagiert Hans mit folgender problematisierender Einschätzung: HA: mhm ** wirkt immer noch * wahnsinnig abstrakt VE: mhm HA: schauen sie * den äh den dramatiker interessiert ähm HA: ähm ** ein ziel was jeder zuschauer sofort als HA: ein konkretes ziel | er|kennt VE: |mhm| Auch mit Veras Vorschlag ist Hans also nicht zufrieden (wirkt immer noch * wahnsinnig abstrakt ). Die im weiteren Äußerungsverlauf eingeführte Kategorie des „Dramatikers“ verortet Hans' vorherige Einschätzung des Vorschlages in einem spezifischen Bewertungsrahmen. Er befragt die Ideen der Teammitglieder als dramatiker (den dramatiker interessiert), als jemand, der in einem spezifischen künstlerischen Rahmen denkt und dabei auf eine imaginäre potenziell-evaluierende Instanz, den zuschauer, orientiert ist (ein ziel was jeder zuschauer sofort als ein konkretes ziel erkennt). Hans stellt im Folgenden eine weitere Frage im Kontext des Ziels an ein anderes Teammitglied (Ilka = frau Holz), die sich auf ein bekanntes Drama und nicht mehr auf die studentische Geschichte bezieht. 181 Die Relevanz des Ziels als zentraler dramaturgischer Position zeigt sich an unterschiedlichen Stellen im Pitchingverlauf diverser 5-Minüter-Pitchings. Dabei wird konsequent auf die strukturelle Dramenkomposition ein held ein ziel ein hindernis und what's at stake (= was steht auf dem Spiel, wenn der Held sein Ziel nicht erreicht) verwiesen. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 210 HA: ** also * sagen sie mir mal ähm ähm sagen sie mir mal frau HA: |holz| * wenn sie an hamlet denken was ist das ziel K& |IL | HA: von hamlet↓ *14* Mit der an Ilka gerichteten Frage (wenn sie an Hamlet denken was ist das ziel von Hamlet) bewegt sich Hans jetzt in dem von ihm durch den Verweis auf den dramatiker etablierten Kontext „Drama“ und rekurriert explizit auf Hamlet - eines der bekanntesten Dramen - und damit auf Shakespeare - einen der wichtigsten Dramatiker. Die 14-sekündige Pause nach der Etablierung der konditionellen Relevanz zeigt, wie schwierig diese Frage zu beantworten ist. HA: das ziel von hamlet↓ *14* IL: >mhm * vielleicht ähm< IL: ** ja die wahrheit zu finden * er sucht nach HA: |welche IL: der wahrheit aber das is ja auch |eine sehr HA: wahrheit | |welche wahrheit | * das stimmt IL: abstrakte| |ein sehr abstraktes| HA: |schon * | welche wahrheit *1,5* IL: |vorgehen| Ilka beginnt zunächst in deutlich reduzierter Lautstärke (>mhm * vielleicht ähm<) zu antworten und modalisiert ihre Äußerung als Vorschlag (vielleicht). Anschließend gibt sie das Ziel Hamlets an (die wahrheit zu finden), reflektiert dies aber gleich in Hinblick auf den zuvor problematisierten Aspekt des „zu abstrakten Ziels“ (aber das ist ja auch eine sehr abstrakte ein sehr abstraktes vorgehen). Hans reagiert darauf mit einer weiteren an Ilka gerichteten Frage, die dazu beitragen kann, ihre vorherige Antwort zu präzisieren: HA: |schon * | welche wahrheit *1,5* welche wahrheit *3,5* IL: |vorgehen| Die Wiederholung (welche wahrheit *1,5* welche wahrheit ) markiert die dringende Notwendigkeit einer Konkretisierung. Auch hier entsteht eine relativ lange Pause (*3,5*). IL: wer ihn wer ihn dort ähm das äh salopp gesagt irgendwie IL: reinlegen will also wer irgendwas HA: mhm Ihre Antwort enthält Reformulierungen (wer ihn wer ihn), Hesitationsphänomene (dort ähm das äh), unpräzise Formulierungen (irgendwie ... irgendwas) Analysen 211 und gibt Hinweise darauf, dass Ilka den relevanten Punkt nicht adäquat formulieren kann (salopp gesagt) bzw. dass sie vorsichtig ist, weil die Anforderung, die vom Dozenten gewünschte Antwort genau zu treffen, schwierig zu realisieren ist. Sie beendet die weitere Äußerungsprogression, nachdem Hans einen Rückmelder (mhm) platziert hat. Niklas, der zuvor den abstrakten Vorschlag für das Ziel der Protagonisten gemacht hatte (sie möchte ein normales Leben führen), gibt im Folgenden die richtige konkrete Antwort: NI: wer seinen vater getötet hat HA: wer seinen vater getötet hat * Hans gratifiziert die Antwort, indem er sie formulatorisch völlig invariant und zustimmend wiederholt (wer seinen vater getötet hat). Die Beschäftigung mit Hamlet ist jedoch an dieser Stelle noch nicht beendet, denn nachdem Hans zu einer Begründung des Ziels ansetzt, unterbricht er die eigene Äußerung und stellt eine weitere Frage: 182 HA: vater getötet hat * er will rauskriegen ob das wirklich stimmt HA: weil * er is ein wo kommt er her Wenn es dem Dozenten nur um die Verdeutlichung dessen ginge, was ein abstraktes Ziel von einem konkreten unterscheidet, hätte er den dramentheoretischen Diskurs an dieser Stelle beenden können: Die Studierenden konnten exemplarisch sehen, was - am Beispiel von Hamlet - ein konkretes ziel ist (nämlich, dass der Protagonist herausfinden möchte, wer seinen Vater getötet hat). Das Thema Hamlet ist jedoch mit der Benennung des konkreten Ziels nicht erschöpft. Hans beschäftigt sich weiter mit diesem Drama, indem er mehrere „Frage-Antwort-Sequenzen“ initiiert. Es kommt dabei zu vier Wissensfragen: 183 Frage nach der Herkunft Hamlets: wo kommt er her wo kommt hamlet her am anfang der geschichte *1,5* äh woher kommt hamlet wenn er wenn die geschichte beginnt Frage nach der Relevanz Wittenbergs: was war wittenberg Frage nach der Spezifizierung der Universität: aber welche universität war das in der zeit Frage nach der „Symbolik“ Luthers: wofür stand luther 182 Hans verzichtet auf die eigene Charakterisierung des Protagonisten (er ist ein) und fragt stattdessen relevantes Wissen über Hamlet ab. 183 An der Beantwortung der Fragen arbeiten alle Studierenden mit. - - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 212 HA: her wo kommt hamlet her am anfang der geschichte *1,5* so äh HA: woher kommt hamlet wenn er wenn die geschichte beginnt NI: +heidelberg oder so wittenberg HA: * der kommt doch aus wittenberg NI: |ah so| IL: | wit|tenberg universität wittenberg HA: was war wittenberg HA: ja das war eine univer/ |aber welche BE: |(... ... HA: universität war das| * |in der zeit | * BE: ... ... ... ... .).| |martin luther zeit| IL: sehr modern HA: das war die z/ äh wofür stand luther Seine abschließende Frage (wofür stand luther) hat im Gegensatz zu den an das Team gerichteten Wissensfragen eher rhetorische Qualität und wird von ihm selbst ausführlich beantwortet: HA: äh wofür stand luther * luther stand für das individuum das HA: sagte * hier stehe ich ich kann nicht anders * und er * wollte HA: also er war das er ist die * eine der ersten großen HA: klassischen ähm äh charaktere die aus einer ganz individuellen HA: befindlichkeit handelt * jeder andere um ihn hätte wenn der HA: vater als verkörperung der ahnen als geist * als verkörperung HA: des gewissens gesagt hätte du musst den claudius umlegen * der HA: hat mich umgebracht äh * dann hätte der das gemacht aber der HA: student aus wi“ttenberg ** der konnte das nicht IL: mhm In einer dozierenden Explikation, die erörtert, warum Hamlet seinen Vater nicht rächen kann, werden alle der zuvor abgefragten Aspekte wieder relevant. Will man Hamlets Charakter verstehen, ist sowohl das Wissen über die Lutherzeit als historischer Bezugspunkt, als auch über die Relevanz der Universität Wittenberg zentral. Jede Information, die Hans durch die Beschäftigung mit seinen Fragen zur Verfügung stellt, führt jedoch ein Stück weiter von der konkreten Geschichte des Teams und letztlich von dem spezifischen dramentheoretischen Kernaspekt „Ziel“ weg. Analysen 213 Hans beendet seine Ausführungen mit einer Generalisierung, die als Rahmung wieder auf das Ziel bezogen ist. HA: mit anderen worten ** wenn sie die shakespeareschen dramen HA: befragen oder irgendeinen film werden sie immer sehen * die HA: typen ham ein ganz konkretes * bestimmbares * ziel nich Mit seinem abschließenden Rekurs auf das konkret bestimmbare ziel befindet sich Hans thematisch wieder bei dem Aspekt, der den Anlass für seine Vermittlungsaktivitäten gegeben hat. Nach diesem deutlichen Abschluss des Wissenstransfers greift Ralf, der andere Dozent, den szenischen Vorschlag, den Vera vor den Frage-Antwort-Kaskaden unterbreitet hatte, auf („die Protagonistin beobachtet eine normale Familie“). Ralf knüpft wieder an die studentische Geschichte an, indem er sich mit dem Vorschlag problematisierend auseinandersetzt. HA: | ziel| nich IL: |mhm | VE: +ja RA: und dann zuerst noch das erkennbare das für RA: jeden erkennbare * das is auch entscheidend wichtig RA: also wenn du sagst zum beispiel * äh der versuch von euch RA: jetzt äh so ein bild * sie beobachtet eine glückliche RA: familie ** dann is das interpretiert * dass äh dass äh es RA: diese bedeutung hat für sie * i“ch sehe aber nur eine frau RA: die eine familie beobachtet warum auch immer Ralfs Äußerung bewirkt eine Rückführung von der Beschäftigung mit Hamlet zur Beschäftigung mit der studentischen Geschichte. 4.4.2.2 Vermittlung im Kontext eines Wissensproblems Anders als im vorherigen Beispiel, in dem der studentische Vorschlag für das Ziel des Helden abstrakt und dies für den Dozenten ein deutlich erkennbarer Fehler bei der szenischen Ausgestaltung war, ist das Wissensdefizit der Studierenden in folgendem Beispiel für den Dozenten schwieriger zu diagnostizieren. Mehrere Fragen des Dozenten zeigen eine schrittweise Hypothesenprüfung bezüglich des problematischen Aspekts. Bei dem Beispiel handelt es sich nicht um ein Umsetzungsproblem, bei dem die Studierenden die Theorie zwar Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 214 kennen, sie jedoch nicht konkret in ihrer Geschichte anwenden können. Vielmehr liegt hier ein Wissens- und Verständnisproblem vor. Diese spezifische Problemqualität schlägt sich in der Art und Weise des Wissenstransfers nieder, die durch eine deutliche Reduktion von Komplexität und Abstraktion gekennzeichnet ist. Der Student Leon ( LE ) spricht über die struktur der von seinem Team entworfenen Geschichte und rekurriert dabei auch auf Strukturelemente, wie ende und rückblende. Dies ist der Impuls, der Hans im Folgenden aktiv werden lässt. # 05/ 02-04/ Bernd LE: mh: ja=ja also wenn man=s im großen und ganzen sieht LE: ich weiß nich also wir ham uns natürlich oder ich hab=s mit LE: im hintergrund diese struktur * geschrieben die ich wirklich LE: ganz spannend finde weil sie im grunde ne geschichte ne dü“nne LE: geschichte bis zum ende erzählt und dann in dieser rückblende LE: dann noch=ne zusätzliche bedeutung bekommt Die Komponenten ende und rückblende sind keine für eine dramaturgische Struktur konstitutiven Bausteine. Ne geschichte [...] bis zum ende zu erzählen, impliziert nicht, dass sie auch die zentralen Bestandteile eines Dramas (Szenen, Akte, Exposition, Wendepunkt etc.) enthält und diese Bestandteile zudem an der richtigen Strukturstelle platziert sind. Die thematisierte rückblende ist ein technisches Mittel, das variabel an sehr unterschiedlichen Strukturstellen eingesetzt werden kann. Es liefert keinen Hinweis darauf, ob der Student von einer Struktur im dramaturgischen Sinne spricht. Mit einem schnellen Anschluss an Leons Äußerung und einer expliziten Adressierung reagiert der Dozent Hans: HA: +herr #sonntag # ich bin nicht sicher ob sie das wort struktur K #MEINT LE# HA: wirklich inhaltlich meinen im |augenblick||weil sie| LE: |mhm: ||wieso | Hans problematisiert die Äußerung des Studenten in Bezug auf dessen Strukturbegriff (ich bin nicht sicher ob sie das wort struktur wirklich inhaltlich meinen). Dies ist ein erster expliziter sprachlicher Ausdruck einer Hypothese, der Student verwende möglicherweise keinen inhaltlichen (d.h. hier: dramaturgisch basierten) Strukturbegriff, sondern - was der implizierte Gegensatz ist - einen formalen (im Sinne von ‘inhaltsleer’). Analysen 215 Der Student reagiert auf Hans' Äußerung mit einer erstaunten Rückfrage (wieso) und macht so implizit deutlich, dass er aus seiner Perspektive den Strukturbegriff adäquat einsetzt und daher nicht versteht, warum es überhaupt zu einer problematischen Einschätzung auf Dozentenseite kommen kann. In Überlappung mit der Reaktion des Studenten führt Hans seine Äußerung mit weil sie fort, bricht jedoch diese Konstruktion wieder ab. Die Äußerungsfortführung (weil sie) verweist auf eine nachfolgende Begründung der Vermutung des Dozenten. Diese angefangene Begründung wird zugunsten einer offenen Frage an den Studierenden aufgegeben. Statt selbst zu erklären, wie es zu seiner Hypothese kommt, der Student verwende den Strukturbegriff anders als von ihm behauptet, initiiert der Dozent im Folgenden eine komplexe „Hypothesenprüfung“, mit der er anhand mehrerer Fragen die Strukturvorstellung des Studenten abklärt. HA: ja sagen sie mir doch mal ähm ** wenn sie jetzt struktur HA: meinen sie das im sinne von dramaturgischer struktur LE: +jaja Seine erste Frage wird äußerungsstrukturell ‘umgebaut’. Zunächst legt der Dozent eine offene Frage an, die er abbricht ( ja sagen sie mir doch mal ähm ** wenn sie jetzt struktur). Der Teil, der vor der Sprechpause (**) formuliert wird, könnte wie folgt beendet werden: „Sagen sie mir doch mal, was eine dramaturgische Struktur auszeichnet! “ Der Teil nach der Pause könnte wie folgt weitergehen: „Wenn sie jetzt Struktur sagen, was heißt das für sie konkret? “ Beide Varianten einer potenziell offenen Frage werden jedoch nicht zu Ende formuliert. So wird der Student nicht vor die interaktiv komplexe Aufgabe gestellt, eigenständig sein Strukturkonzept zu definieren. Dies würde ein weitgehendes Wissen bezüglich der inhaltlichen Verwendung des Begriffs voraussetzen. Stattdessen stellt der Dozent eine Entscheidungsfrage (meinen sie das im sinne von dramaturgischer struktur), die der Student lediglich verneinen oder - was präferenziell nahe gelegt wird - bejahen muss. Leon beantwortet die Frage zustimmend (+jaja). Mit dieser sich in dem gewählten Frageformat abbildenden Reduktion von Anforderungskomplexität und Wissensvoraussetzung für den Studenten zeigt sich implizit die dozentenseitige Defizit-Hypothese. Diese beinhaltet zwei Aspekte. Erstens, der Student weiß nicht, was ein inhaltlich-dramaturgischer Strukturbegriff ist. Zweitens, der Student geht fälschlicherweise davon aus, dass sein ‘diffuses’, nicht dramaturgisch basiertes Strukturkonzept mit dem dozentenseitigen inhaltlichen Strukturbegriff gleichzusetzen sei. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 216 Hans stellt eine weitere Frage: HA: okay * in welchem moment lernen wir den hauptcharakter kennen HA: mhm *2* LE: in welchem moment äh: wenn wir ihn das erste mal sehen↑ HA: in szene drei nicht LE: +ja: Mit okay signalisiert der Dozent indirekt, dass seine Hypothese bezüglich des studentischen Problems durch dessen Reaktionen bestätigt wurde. Er fährt dann mit seinem „Prüfverfahren“ fort, indem er eine Frage zum Einsatz des Protagonisten stellt (in welchem moment lernen wir den hauptcharakter kennen). Hier geht es also nicht mehr um die dramaturgische Struktur im allgemeinen Sinn, sondern um einen konkreten strukturellen Aspekt innerhalb der studentischen Geschichte. Hans senkt das Schwierigkeitsniveau seiner Fragen systematisch und erleichtert dem Studenten dadurch die Beantwortung. Zur Eruierung des Zeitpunktes, an dem der Hauptcharakter eingeführt wird, gibt der Dozent das ‘alltagsweltliche’ (dramenunspezifische) Konzept moment vor. Er bedient sich selbst also keiner dramaturgischen Kategorie (z.B. Akt, Szene). Stattdessen wählt er die dramaturgisch unspezifische Sprache des Studenten. Leon hat jedoch mit der Frage nach dem Zeitpunkt, an dem der Hauptcharakter eingeführt wird, ein Problem - zumindest kann er die Frage nicht unmittelbar beantworten. Er wiederholt einen Teil der Frage (in welchem moment), anschließend formuliert er fragend und unsicher: wenn wir ihn das erste mal sehen ↑ . Hans gibt daraufhin die relevante Antwort selbst. Seine Angabe (in szene drei) markiert implizit, welches die präferierte Antwort gewesen wäre. Er verortet also die Einführung des Hauptcharakters in einer szene und bedient sich bei seiner Antwort der dramaturgischen Terminologie. Durch die Kontrastierung der alltagsweltlichen Redeweise in seiner Frage an den Studenten und einer terminologisierten bei seiner Antwort führt der Dozent dem Studenten gewissermaßen vor, was die adäquate Antwort gewesen wäre. Anschließend fragt Hans nach der bis zu szene drei verbrauchten Erzählzeit. Mit dieser Frage wird das Schwierigkeitsniveau weiter gesenkt und Leon kann die Frage nunmehr ohne Zögern beantworten. HA: szene drei nicht das isdawieviel erzählzeit is von den LE: +ja: Analysen 217 HA: fünf minuten da ungefähr vergangen↑ LE: dreißig sekunden↑ * HA: |>ja<| * also nich↑ |wenn wir jetzt LE: |vier|zig↑ obwohl ja |(… … HA: das ganze auf drei|hundert sekunden das sind |also| zehn LE: ... ... ... ... ) | |mhm↓| HA: prozent der erzählzeit- die die äh der der mülltransporter LE: ja HA: * erzählt uns über unseren hauptcharakter nix Die Frage nach der verbrauchten Erzählzeit dient dem Dozenten als Ausgangspunkt, um einen vorherigen Vorschlag Leons (Einsatz eines mülltransporters) zu problematisieren. Die Kritik des Dozenten bezieht sich auf die mangelnde Ausnutzung von Ressourcen zur Darstellung des Hauptcharakters: Die ersten 10% der Erzählzeit haben keinen Bezug zum Protagonisten. Mit der Fokussierung des Protagonisten werden weitere Einsichten in Hans' Strukturkonzept möglich: Das dramaturgische Strukturkonzept bezieht sich in Hans' Verständnis nicht nur auf den Ablauf der Geschichte durch Aneinanderreihung verschiedener Szenen, 184 sondern impliziert zudem relevante Handlungsträger (hauptcharakter). Leon jedoch hat den Hinweis des Dozenten nicht verstanden. Er berücksichtigt die Relevanz des Protagonisten nicht und rechtfertigt im Weiteren den Einsatz des mülltransporter[s]. LE: hm=ne * der derlegt=en bisschen stimmung an * einfach HA: ja aber sie reden ja grade v/ über über struktur * HA: |also| in der exposition muss ja irgendwas ähm LE: |mhm | HA: ich mach mal ein beispiel damit sie mich verstehen ** ähm Durch Leons Hinweis auf eine stimmung im Kontext der Strukturreflexion wird Hans' „Defizithypothese“ weiter bestätigt. Der Student versteht immer noch nicht, worauf es dem Dozenten ankommt. Hans ändert daraufhin seine Vermittlungsstrategie. Zunächst beginnt er eine Erklärung, führt diese jedoch nicht weiter aus (also in der exposition 185 muss ja irgendwas ähm). Statt die relevanten Sachverhalte in einem theoretisch-kategorialen Modus zu explizie- 184 Durch den Verweis auf das ende und die rückblende hat der Student den Geschichtsablauf für die Struktur des Dramas relevant gesetzt. 185 Der sprachliche Verweis auf die exposition zeigt den konsistenten Orientierungsfokus des Dozenten auf dramaturgische Konzepte. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 218 ren, geht er dazu über, diese anhand eines Beispiels zu verdeutlichen (ich mach mal ein beispiel damit sie mich verstehen): Er führt im Folgenden en detail das Verhalten spezifischer Filmcharaktere als Strukturexplikation einer Exposition vor. Bevor er mit der Vermittlung beginnt, klärt der Dozent die Wissensvoraussetzungen des Studenten bezüglich des filmischen Dramas ab, auf das er sich im Weiteren beziehen wird. Anschließend beginnt die Phase des Wissenstransfers. HA: wissen sie wie romeo und julia anfängt↑ okay LE: hm: : : HA: da geht=ne ~gang~ die straße runter |ja↑| *3,5* LE: |mhm| Zunächst formuliert Hans in einer entspannten Sitzposition (da geht=ne ~gang~ die straße runter). Sein Oberkörper berührt die hintere Stuhllehne, während seine Hände ineinander verschränkt auf den Oberschenkeln ruhen. In einer dann folgenden 3,5-sekündigen Sprechpause beginnt er die zuvor beschriebene Situation aus der Perspektive eines Gangmitgliedes nachzuspielen. In provozierender Weise hebt er die Hände mit leicht geöffneten Handflächen und leicht gekrümmten Fingern auf Brusthöhe. Hierbei werden die Hände einige Zentimeter rechts und links neben dem Oberkörper gehalten, was die gespielte Person groß und kräftig erscheinen lässt. Die Haltung des Oberkörpers wirkt dabei kämpferisch, so, als könnte das dargestellte Gangmitglied jederzeit die Fäuste ballen, um zu kämpfen. Hans bewegt dann einige Male den Oberkörper, so dass abwechselnd die linke und die rechte Schulter und damit die jeweilige Hand ein Stück weiter vorn ist. Er drückt damit die Bewegung des Gangmitgliedes aus (geht ... die straße runter). In einem unmittelbaren Nacheinander liefert der Dozent gleiche Informationen auf unterschiedlichen Ausdrucksebenen: Zuerst stellt er das Geschehen mündlich dar ( geht ne gang die straße runter), anschließend spielt er das gerade Formulierte mit großem schauspielerischem Einsatz. Analysen 219 Nach der 3,5-sekündigen Darstellung des gehenden Gangmitglieds richtet Hans seinen Oberkörper wieder nach vorn aus und beginnt in direkter Rede aus der Perspektive dieses Gangmitgliedes zu sprechen: HA: ey was=s los alder * wo is randale * nich↑ LE: mhm Mit der Äußerung ey was=s los alder * wo is randale bedient er sich einer milieuspezifischen Sprechweise. Während seiner Frage wo is randale dreht er den Oberkörper und den Kopf suchend nach rechts. Damit untermauert er die direkte Rede simultan mit körperlichen Bewegungen: Das dargestellte Gangmitglied sucht etwas. Hans' Verhalten kann mit dem im Kontext der szenischen Entwicklung herausgearbeiteten Verfahren des Enaktierens beschrieben werden. Enaktieren wurde dort als Verfahren der szenischen Ausgestaltung präsentiert, das die Funktion hat, Handlungen von Charakteren als Anregung für die kreative Entwicklungsarbeit vorstellbar und bewertbar zu machen. In diesem Zusammenhang haben die Verdeutlichungsleistungen des Dozenten jedoch keine vergleichbare funktionale Einbindung. Die Darstellung der gang kann im Rahmen des Wissenstransfers ebenso gut ausschließlich mündlich beschreibend erfolgen. Die eingesetzten enaktierenden Verfahren sind nicht notwendig, um die Sachverhaltsdarstellung für die Studierenden verstehbar zu machen (damit sie mich verstehen). Das Enaktieren in diesem Kontext qualifiziert hier vielmehr das Wissensdefizit des Studenten und reagiert auf die vorgängige interaktive Bearbeitung des Problems. Die vorangegangenen Verstehensprobleme sind eine mögliche Motivierung für die spezifische Realisierung der Vermittlung. Sie zeigt ein ‘unpassendes’ Verhältnis zwischen der hohen Dichte an Verfahren, die zur Verständigungssicherung eingesetzt werden und der Einfachheit der zu vermittelnden Sachverhalte. Der Dozent gestaltet seine Vermittlungsaktivität gewissermaßen ‘hyperverdeutlichend’ und sichert zudem kontinuierlich ab, ob seine Ausführungen auch verstanden werden. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 220 Im gesamten Darstellungsverlauf der Exposition von „Romeo & Julia“, während sich längere enaktierende mit kürzeren beschreibenden Darstellungen abwechseln, platziert er immer wieder explizite Nachfragen ( ja ↑ , nich ↑ , ~right ~ ↑ ) oder richtet ‘nachfragende Blicke’ an Leon, auf die dieser systematisch mit Rückmeldern (mhm) reagiert. All diese verstehensbezogenen Aktivitäten erfolgen ungeachtet des niedrigen Komplexitätsgrades der zu vermittelnden Sachverhalte. Im Anschluss an die Darstellung stellt Hans die relevanten Strukturaspekte der Exposition zusammenfassend heraus und leitet zurück zur studentischen Geschichte. HA: da“s is=ne exposition wo esda wird exponiert aha da sind HA: zwei t/ zwei gruppen die knallen aufeinander * da is die LE: mhm HA: warnung wenn das nochmal passiert |*| fliegt ihr aus der K |SCHNIPST MIT DEN FINGERN| HA: stadt da hat alles schon |ganz| unmittelbar was mit unserer LE: |mhm | HA: geschichte zu tun * Die Rückleitung vom filmischen Drama zur studentischen Geschichte erfolgt in Form einer kontrastierenden evaluativen Gegenüberstellung. Die Eingangsszenen von „Romeo & Julia“, welche die relevanten Strukturkomponenten „Protagonist“, „Antagonist“ und „Konflikt“ enthalten, werden als gelungener Prototyp einer Exposition bewertet: da“s is=ne exposition wo esda wird exponiert. Die studentische Idee (Stichwort: mülltransporter) wird kontrastiv dazu herabgesetzt: HA: |was| aber sie“ in bei einem kurzfilm von fünf minuten LE: |ja-| HA: vergeuden sie ihre zeit mit einer atmosphäre LE: mhm Mit atmosphäre rekurriert der Dozent abwertend auf die von Leon thematisierte stimmung. Der späte Bezug zum Protagonisten in der studentischen Geschichte wird als Zeitvergeudung (... vergeuden sie ihre zeit) bezeichnet und damit indirekt als Fehler kategorisiert. Analysen 221 4.4.2.3 Vermittlung im Kontext eines Relevanzproblems In folgendem Beispiel haben die Studierenden eine Geschichte entwickelt, die von den Dozenten sehr kritisch aufgenommen worden ist. Einer der Studenten, Chris, hat sich bereits während der Evaluation des Pitches deutlich gegen die dozentenseitige Kritik gewehrt und gegen die problematisierten Aspekte argumentiert. Im Rahmen der szenischen Entwicklung macht er anschließend immer wieder Vorschläge, die der Anforderung nach Konkretisierung und Sichtbarmachung nicht genügen (z.B. „Die Protagonistin will einen Status quo aufrechterhalten“, „Sie verbraucht ihre Liebe und ihre Bequemlichkeit, bei dem Mann zu bleiben“, „Es ist eine Anstrengung nach der nichts mehr ist, wie es vorher war und sie verlässt ihn dann“). Der Dozent Ralf hat sich im Rahmen der Szenenentwicklung intensiv mit Chris auseinandergesetzt und ihn dazu angehalten, seine Vorschläge im dramaturgischen Sinne filmisch repräsentierbar zu machen, d.h. in konkrete Handlungen der Charaktere zu überführen. Nachdem dies dem Studenten mehrfach nicht gelungen ist, thematisiert dieser das aktuelle Tun im Bereich der Stoffentwicklung aus einer Meta-Perspektive. # 05/ 02-04/ Koabhängigkeit CH: […] ich frage mich ob ob die geschichten nicht * i“mmer * und CH: andauernd also de“rart ausgeprägt sein mü“ssen Damit beendet er die aktuelle szenische Entwicklung und strukturiert eigeninitiativ einen neuen Aktivitätsfokus, was sonst ausschließlich in den Aufgabenbereich der Dozenten fällt. Statt die Geschichte weiter zu entwickeln, wird ihre dramaturgische Fundierung zum Thema. Chris formuliert seinen eigenen Reflexionsprozess (ich frage mich) hinsichtlich der von den Dozenten vertretenen strikten Anwendung des dramaturgischen „Handwerkszeugs“ (ob ob die geschichten nicht * i“mmer * und andauernd also de“rart ausgeprägt sein mü“ssen). Seine Abneigung gegenüber der Allmacht dramenstruktureller Vorgaben, die im Pitchingverlauf bereits als mangelnde Orientierung an dramaturgischen Grundlagen in seinem Verhalten deutlich geworden ist, wird hier nun von ihm selbst thematisiert. Diese Thematisierung und die darin zum Ausdruck kommende Kritik (an der Allmacht der Vorgaben) erfolgt in einer sehr vorsichtigen Weise. Chris stellt keine bereits vorhandene faktische Ablehnung dar, sondern beginnt seine Thematisierung mit der Beschreibung eines noch laufenden Prozesses (ich frage mich). Chris verweist zudem nicht explizit auf die dramaturgische Grundlage oder die Dramenstruktur, sondern umschreibt sie unpräzise (die geschichten [...] de“rart ausgeprägt). Das Ver- Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 222 halten des Studenten ist als Form „kommunikativer Selbstbeschränkung“ (Schmitt/ Heidtmann 2002a) interpretierbar. Unter den vorliegenden hierarchischen Gegebenheiten, ist es für ihn problematisch, den Dozenten gegenüber explizit zu äußern, dass er sich der strikten Orientierung an der Dramaturgie nicht beugen will. Obwohl Chris sehr vorsichtig formuliert, finden seine negative Evaluation und seine Ablehnung des von den Dozenten auferlegten Zwanges, jede Geschichte dramaturgisch-strukturell zu fundieren (i“mmer und andauernd also de“rart ausgeprägt sein mü“ssen), durchaus einen Ausdruck. Er stellt somit grundsätzlich das dozentenseitige Stoffentwicklungskonzept und damit auch das Konzept des Ausbildungsganges in Frage. Dadurch definiert er sein aktuelles Problem implizit als Relevanzbzw. Akzeptanzproblem. Dieses wurzelt jedoch - das hat Chris' Verhalten in der vorherigen Arbeitsphase deutlich gezeigt - in einem Wissensund/ oder Umsetzungsproblem. Er war mehrfach mit unkonkreten Vorschlägen gescheitert. Die Thematisierung der Dramaturgie bietet eine potenzielle Möglichkeit für ihn, sich aus der aktuellen szenischen Entwicklungsarbeit zu ‘befreien’ und das eigene Scheitern metakommunikativ zu bearbeiten. Nachdem Hans sich dem Studenten zuwendet, indem er Chris namentlich adressiert (herr homann), verlässt Ralf, eine leere Wasserflasche greifend, den Sitzungsraum: CH: andauernd also de“rart ausgeprägt sein mü“ssen ** |also-| HA: |herr | HA: #homann- # * was ist eine geschichte ** wann entsteht eine K #MEINT CH# HA: geschichte * gro/ ganz grundsätzlich zwischen * grönland und HA: kapstadt ** In Überlappung mit dem Studenten, der durch also eine Explikation seiner Frage ankündigt, platziert Hans die Adressierung. Dies führt dazu, dass ihm der Student sofort das Rederecht überlässt. Die namentliche Adressierung (herr homann) unterscheidet sich intonatorisch von den vorherigen Adressierungen im Kontext der Frage-Antwort-Sequenzen. Der Student herr homann wird in einem leicht ‘genervten’, betont ruhigen, aber latent aggressiven Tonfall angesprochen. Die Adressierung erhöht die Schärfe der Kritik (vgl. Schwitalla 1995b, S. 501) und kann als Ermahnung verstanden werden. Im Anschluss daran stellt Hans eine grundlegende erste Frage (was ist eine geschichte), die er durch eine zweite Frage (wann entsteht eine geschichte) reformuliert. Die erste Frage bezieht sich auf die Definition von „Geschichte“, Analysen 223 die zweite zielt auf die Bedingungen für eine Geschichte ab. Beiden Fragen ist gemeinsam, dass es um grundsätzliche und allgemeine Aspekte geht. Hans redet generell (ganz grundsätzlich) über das Konzept „Geschichte“, wobei es hierbei nicht um ein in der Ausbildung relevant gesetztes Konzept, sondern um ein überall auf der Welt gültiges geht (zwischen grönland und kapstadt). Damit verdeutlicht der Dozent seine Einschätzung, für Chris noch einmal ‘ganz unten’ anfangen und Basiswissen sichern zu müssen. Er behandelt das Insistieren des Studenten auf die mitgebrachte Geschichte des Teams primär als Wissens- und Verstehensproblem. Chris' Antwort fällt relativ knapp aus, da ihn der Dozent schon nach kurzer Zeit unterbricht, um ihn zu korrigieren. CH: wenn verschiedene protagonisten irgendwas tun miteinander tun CH: äh |oder HA: nee nicht verschiedene protagonisten * dann |entsteht CH: einer | protago/ HA: kei|ne geschichte ** Schon die ersten Definitionsaspekte, die Chris als konstitutiv für eine Geschichte anführt (wenn verschiedene protagonisten irgendwas tun miteinander tun), werden von Hans als falsch zurückgewiesen (nee nicht verschiedene protagonisten * dann entsteht keine geschichte). Chris benennt, anders als der Student Leon im vorangegangenen Beispiel, zwar gleich die relevante Kategorie „Protagonist“ als zentralen Strukturträger. Nur ist er diesbezüglich nicht auf die Spannung, die das Drama antreibt, nämlich auf den Konflikt zwischen Protagonist und Antagonist, orientiert. Stattdessen entwirft er gleichartige Charaktere (verschiedene protagonisten), die miteinander agieren. Dieses miteinander wird dabei nicht spezifiziert (irgendwas). Oberflächlich scheint dem Studenten also die Kategorie „Protagonist“ als relevantester Strukturbaustein klar zu sein, welche dramaturgische Ressource sich hierin verbirgt, jedoch nicht. Nach seiner schnellen Unterbrechung und Negativbewertung der studentischen Antwort lässt der Dozent Chris keine neue Möglichkeit der Erklärung, obwohl sich Chris sehr schnell korrigiert, indem er die Anzahl der Protagonisten berichtigt (oder einer). Auch mit seinem weiteren Versuch ( protago/ ) kann er sich nicht durchsetzen, weil Hans nun selbst zu erklären beginnt, wann eine Geschichte entsteht. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 224 HA: wenn verschiedene protagonisten entweder ein einzelner oder HA: ne gruppe ** auf eine andere * gruppe stößt * die das HA: gegenteil von dem will was die protagonisten wollen * nu“r HA: da“nn entsteht eine geschichte *2* punkt eins Der Dozent beginnt seine Definition, indem er die Formulierung des Studenten, die er zuvor bemängelt hatte, selbst zitiert und als Einleitung nutzt (wenn verschiedene protagonisten ...). Er bezieht sich mit verschiedene[n] protagonisten jedoch nicht wie der Student auf eine ‘homogene’ Kategorie, sondern differenziert zwischen der Möglichkeit, eine Einzelperson oder eine Gruppe zum Protagonisten des Dramas zu machen. Den Protagonisten konfrontiert er gleich mit einem Antagonisten (auf eine andere ** gruppe stößt * die das gegenteil von dem will was die protagonisten wollen) und verweist damit indirekt auf den für ein Drama konstitutiven Konflikt. Anhand einer Listenkonstruktion, die eine Zählung der relevanten inhaltlichen Aspekte für die Definition einer Geschichte enthält ( punkt eins ... punkt zwei), beginnt der Dozent eine komplexe monologische Darstellung. 186 Zuerst gibt er an, was eine Geschichte ist bzw. was sie nicht ist. Im dozierenden Duktus verdeutlicht er anschließend - vergleichbar einem wissenschaftlichen Vortrag oder einer Vorlesung - worauf es bei der Konstruktion einer Geschichte ankommt. Diese Belehrung dauert insgesamt elf Minuten. 187 Zunächst beschäftigt sich der Dozent auf allgemeiner Ebene mit drei zentralen Bedingungen für eine Geschichte („Protagonist und Antagonist darstellen“ (s.o), „Neues erzählen“, „Menschen im Konflikt zeigen“) und führt diese - teils anhand von Beispielen - aus. Dann bezieht er sich explizit auf den Studenten Chris und führt eine mögliche Begründung für dessen Thematisierung der Dramaturgie an: Er habe ein Glaubwürdigkeitsproblem mit der aktuellen Geschichte. Diese Einschätzung wird jedoch nicht weiter behandelt. Stattdessen definiert Hans die aktuelle Aufgabe in der Pitching-Situation, nämlich die einzelnen Konfliktschritte der studentischen Geschichte zu entwickeln. Dies bereitet er vor, indem er zunächst anhand einer Metapher das 186 Zu Listenkonstruktionen siehe z.B. Jefferson (1990), Lerner (1991, 1994). 187 Lesehinweis: Da ich die inhaltlich-thematische Progression des Exkurses aus Platzgründen nicht in Form eines Transkripts darstellen werde, habe ich sie stark gekürzt in Form einer Inhaltswiedergabe zusammengefasst. Diese Darstellung findet sich im folgenden Analysetext. Eine dreiseitige auflistende Darstellung der Aspekte, die in Hans' Exkurs thematisch werden, wird im Anhang dieser Arbeit abgebildet. Dort sind die einzelnen „Etappen“ des Exkurses in Überschriften zusammengefasst, die durch Zitate von Hans verdeutlicht werden. Analysen 225 grundsätzliche Problem bei der Geschichtenentwicklung verdeutlicht. Er vergleicht die Struktur einer Geschichte mit dem Skelett eines Menschen (das gerippe aller menschen ist zum verwechseln ähnlich [...] aber die äußere erscheinung * der menschen ist millia“rdenfach verschieden). Anschließend formuliert er seine Einschätzung, Chris sträube sich gegen die Entwicklung der Konfliktschritte, woraufhin er die einzelnen bis dahin in der studentischen Geschichte entwickelten Konfliktschritte rekapituliert. Er stellt dabei heraus, dass durch die verschiedenen dramaturgischen Wendungen strukturell gesehen eine Geschichte erzählt wird, deren konkrete Ausgestaltung jedoch noch offen ist (wir wissen noch nicht einmal ob das ne frei/ frau ist die in nem reihenhaus wohntob das ne kapitänsgattin ist). Danach macht er weitere theoretische Ausführungen zur Dramaturgie (dramatisches Denken, Drama als Kunstform, Variationen des Dramas, Verhältnis von Drama und Essay), die er anschließend an einem ausführlichen Beispiel (Brecht: Der kaukasische Kreidekreis) untermauert. Das Beispiel selbst macht einige Exkurse zum Verständnis notwendig (z.B. bzgl. der Umwandlung von Steppenland in Bauernland in der Sowjetunion, bzgl. der Geschichte von „Salomons Urteil“) und wird somit sehr ausgiebig abgehandelt. Die exkursartigen monologischen Ausführungen entwickeln bereits sehr früh eine Eigendynamik. Bestimmte Aussagen machen Erklärungen oder Beispiele nötig, die selbst wieder zu Exkursen führen. Dadurch gerät Hans immer wieder in teilweise sehr expandierte Detaillierungen, die weit von der eigentlichen Geschichte des Teams wegführen, jedoch argumentationslogisch begründet sind und das Verständnis der Studierenden absichern. 188 Durch den logischen Aufbau und das Wechselspiel von theoretischen Ausführungen und Exemplifikationen ist dieser Vermittlungsdiskurs ‘adressatenfreundlich’, sehr gut verständlich und nachvollziehbar. Die Kompetenz, solch einen Vortrag spontan zu halten, spiegelt das Wissen, die Erfahrung und das didaktische Geschick des Dozenten wider. All dies kann sich situativ jedoch nicht entfalten: Die Studierenden produzieren kaum stimmliche Rückmelder während Hans' monologischer Ausführungen, außer, wenn sie direkt von ihm angeschaut werden. Zudem sitzen sie über lange Zeit alle völlig bewegungslos. Rezeptionssignale, die durch körperliche Bewegungen ausgedrückt werden (wie z.B. Nicken, aufmerksame Blicke), sind kaum zu sehen. Die Studie- 188 Hans' Darstellung unterliegt den von Schütze (1984, 1987) im Rahmen von Erzählungen herausgearbeiteten „Zwängen“. Deutlich wird der „Detaillierungszwang“, bei dem Hans immer weitere erklärende Informationen nachliefert, sowie der „Gestaltschließungszwang“, die Verpflichtung, einen angefangenen Erzählstrang konsequent zu Ende zu führen. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 226 renden zeigen nicht an, ob und wie sie die dargestellten Inhalte verarbeiten. Sie verhalten sich, als würden sie den dramentheoretischen Ausführungen wenig Wert beimessen. Als Fazit seines Exkurses fasst Ralf, der andere Dozent, die Ausführungen seines Kollegen zusammen: wir wollen nicht leute zeigen die gefühle haben sondern wir wollen erlebnisse schaffen. Hier bezieht er sich implizit auf die vorherigen abstrakten Vorschläge des Studenten, die sich dadurch auszeichneten, dass die Protagonistin in einem emotionalen Ausnahmezustand (Stichwort: „größer als alles bisher Dagewesene“, „Liebe verbrauchen“) beschrieben worden ist. Diesen Ansatz wählt er eindeutig ab. Das primäre Ziel des Dramatikers (erlebnisse schaffen) hat hingegen eine manifeste Zuschauerorientierung und ist zugleich ein impliziter Hinweis auf die dramentheoretischen Wurzeln. 189 Hans stimmt Ralf zu (so ist es) und reformuliert Ralfs Fazit. RA: das lässt sich auch äh *2* in einem satz so sagen wir wollen RA: nicht äh leute zeigen die gefühle haben sondern wir wollen RA: gefühle in den zuschauern wecken ja HA: so ist es *2* wir wollen HA: nicht zeigen sondern wir wollen erlebnisse schaffen Bevor Hans die Reformulierung weiter expandieren kann, wendet sich Ralf explizit an Chris und leitet mit einem Lösungsvorschlag für dessen Problem zur studentischen Geschichte zurück. RA: und deine *1,5* deine vorbehalte oder was das immer sein mögen RA: die die dramaturgie hier das ist ganz einfach du äh musst uns RA: nur=ne gute geschichte erzählen ** ja ich meine es ist alles RA: vom tisch worüber wir hier reden wenn du mir=ne gute RA: geschichte erzählst Der Dozent beschreibt Chris' Problem als vorbehalt gegenüber der Dramaturgie. Nicht dieser vorbehalt ist jedoch laut Dozent in der Pitching-Sitzung pro- 189 Die Zuschauerwirkung des Dramas, die Ralf sehr allgemein als erlebnisse schaffen thematisiert, kann beispielsweise an die aristotelische Dramentheorie (Aristoteles 2002) und das „Katharsis-Konzept“ angeknüpft werden: Dort sollen die szenisch dargestellten Handlungen auf den Zuschauer wirken, indem sie Furcht und Mitleid („Jammern“ und „Schaudern“) auslösen und dadurch eine Reinigung von diesen Affekten hervorrufen (= Katharsis). Analysen 227 blematisch, sondern die Tatsache, dass keine gute Geschichte von den Studierenden entwickelt wird (es ist alles vom tisch worüber wir hier reden wenn du mir=ne gute geschichte erzählst). Die bisherige Geschichte wird damit implizit als ‘schlecht’ qualifiziert und macht den Bedarf der Studierenden nach einem Hilfsinstrument (wie der Dramaturgie) offensichtlich. 4.4.2.4 Zusammenfassung Die Vermittlung der Dramentheorie unterscheidet sich hinsichtlich ihrer Interaktionsstruktur und Beteiligungsformate deutlich von den kurzen Bedingungsabgleichen, obwohl beide die konkrete szenische Entwicklung beenden. Der Übergang von szenischer Entwicklung zur Beschäftigung mit der Dramaturgie wird - dies ist ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zum Bedingungsabgleich - ausschließlich von dem Dozenten Hans initiiert und in der weiteren Entwicklung von ihm strukturiert. Formen, in denen dies geschieht, sind beispielsweise Frage-Antwort-Abfolgen mit starkem Einbezug der Studierenden oder monologische Beiträge, in denen die Studierenden als Zuhörer agieren. Für alle analysierten Beispiele dramentheoretischer Vermittlung ist eine Ablaufstruktur konstitutiv, die aus drei aufeinander folgenden Aspekten besteht: 1) Dramentheoretische Wissensprüfung ⇓ 2) Dramentheoretischer Wissenstransfer ⇓ 3) Rückführung zur studentischen Geschichte Ein Defizit in der Anwendung dramaturgischer Regeln, das aufgrund dramaturgisch ungenügender szenischer Entwicklungsvorschläge der Studierenden für den Dozenten sichtbar wird, führt zu einer expliziten dramentheoretischen Wissensprüfung. Anhand dieser erhärtet der Dozent seine anfängliche Defizithypothese und spezifiziert sie: Handelt es sich um ein Wissensproblem, um ein Umsetzungsproblem oder um ein Akzeptanzproblem? Während bei der szenischen Entwicklung prinzipiell immer alle Studierenden angesprochen sind, selegieren die Wissensfragen des Dozenten jeweils nur einen Studierenden. In der von dem Dozenten definierten Situation agiert dieser primär als Lehrer bzw. Prüfer. So werden neben formal-hierarchischen Strukturen die zu Grunde liegenden wissenshierarchischen Verhältnisse relevant. Das Wissensgefälle zwischen Dozenten und Studierenden macht die Beschäftigung mit der Dramaturgie nötig. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 228 Der Wissenstransfer reagiert auf die Qualität und Spezifik des durch die Wissensüberprüfung offenkundig gewordenen Problems auf Seiten der Studierenden. Er wird anhand bekannter Klassiker der Dramaturgie (Hamlet, Romeo & Julia) und nicht mit Bezug auf die studentische Geschichte durchgeführt. Die Analyse hat gezeigt, dass die spezifischen Vermittlungsverfahren, die der Dozent einsetzt, und die Sequenzialität, in der diese zum Einsatz kommen, unmittelbar auf die Qualität des vorliegenden dramentheoretischen Problems reagieren. Der Wissenstransfer im Kontext des Umsetzungsproblems wird von dem Dozenten dialogisch gestaltet. Die Studierenden partizipieren aktiv an der Beantwortung der dozentenseitigen Fragen (Was war Wittenberg? , Wofür stand Luther? etc.) und kommen aufgrund der Beschäftigung mit einem dramatischen Klassiker zu Einsichten, die der Dozent abschließend kurz zusammenfasst. Demgegenüber sind die monologischen Exkurse im Kontext des Wissens- und Relevanzproblems ausgedehnt und führen weit von der studentischen Geschichte weg. Die Aktivitäten des Dozenten bei der Behebung des studentischen Wissensproblems zeichnen sich durch eine zunehmende Reduktion von Komplexität bei gleichzeitiger Konkretisierung der Wissensinhalte aus. Auch solche ausgedehnten monologischen Vermittlungsexkurse werden in ihren zentralen Aspekten am Ende zusammengefasst, bevor eine Rückleitung zur studentischen Geschichte erfolgt. Diese geht teilweise mit einer Negativbewertung der studentischen Geschichte im Kontrast zum Klassiker einher. Die Rückführung zur studentischen Geschichte wird häufig von Ralf, dem anderen Dozenten, organisiert. Der Übergang von dramentheoretischen Exkursen zur weiteren szenischen Entwicklung gestaltet sich nach langen monologischen Exkursen interaktionsdynamisch oft schwierig, da diese bei den Studierenden zu einer Passivität führen. Während der Monologe produzieren sie kaum Verhaltensweisen, die die Verarbeitung der dozentenseitigen Ausführungen anzeigen; beim Übergang zur Szenenentwicklung fällt es ihnen oft schwer, sich wieder aktiv zu beteiligen. Anders als bei den beiden vorherigen Problemtypen wird das Relevanzbzw. Akzeptanzproblem durch die explizite Thematisierung des Studenten und nicht durch einen defizitären szenischen Entwicklungsvorschlag für den Dozenten ersichtlich. Es kommt zu einer dozentenseitigen Frageaktivität. Bei der Frageaktivität handelt es sich jedoch nicht um die Diagnose des vorliegenden Problems, sondern darum, dieses gezielt als Wissensproblem zu „entlarven“. Die Spezifik des Relevanzbzw. Akzeptanzproblems, das grundlegend die theoretische Fundierung des gemeinsamen Pitchings tangiert, führt dazu, dass beide Analysen 229 Dozenten hierauf reagieren: Hans, indem er - wie bei der dramaturgischen Vermittlung üblich - demonstriert, exemplifiziert und verdeutlicht, Ralf, indem er die Problemspezifik selbst zusätzlich zu Hans evaluiert und erst danach einen Übergang zur studentischen Geschichte organisiert. 4.5 Zusammenarbeit des studentischen Teams In den vorangegangenen Kapiteln wurde mehrfach erwähnt, wie schwierig die gemeinsame Arbeit der vier studentischen Teammitglieder unter gruppendynamischen Gesichtspunkten ist. Besonders im Rahmen der 5- und 10- Minüter-Pitchings, bei denen die Teams per Losverfahren zusammengestellt werden, gehören zwischenmenschliche Probleme zum Regelfall. Diese wurzeln primär in zwei Aspekten. Zum einen müssen die Studierenden oftmals mit Menschen arbeiten, die sie selbst nicht ausgewählt haben und mit denen sie unter anderen Umständen aufgrund persönlicher Vorlieben nicht kooperieren würden. Zum anderen kann es jederzeit passieren, dass im Team Entscheidungen gefällt werden, die sie persönlich nicht präferieren, aber als Teammitglied vertreten müssen, um überhaupt zu einem gemeinsamen Ergebnis zu gelangen. Eine hohe Kompromissbereitschaft und das Einüben eines professionellen Umgangs mit organisationsstrukturell angelegten Perspektivendivergenzen ist dabei für die produktive Arbeit unabdingbar. Teamprobleme entstehen häufig bereits in den Vorbereitungen auf das Pitch- Pitching, wenn die Teams ihre Geschichte gemeinsam und unter Zeitdruck zusam- , wenn die Teams ihre Geschichte gemeinsam und unter Zeitdruck zusammen entwickeln. Zum Zeitpunkt des Pitchings ist die erste substanzielle Arbeitsphase für das Team bereits abgeschlossen, die Studierenden haben einige Höhen und Tiefen gemeinsam meistern müssen. Perspektivendivergenzen kommen dabei in allen Teams vor. Sie führen jedoch nicht in allen Teams zu Krisen, werden auch nicht in allen Teams zum Thema gemacht und zeigen sich in unterschiedlicher Weise während der gemeinsamen Arbeit mit den Dozenten. Stellenweise werden Beziehungsprobleme zwischen den Studierenden schon in der Phase der Voraussetzungsklärung sichtbar, teils indem sie von den Studierenden selbst explizit thematisiert werden („Wir waren uns nicht immer einig“), teils indem die Dozenten diesbezüglich nachfragen („Ihr habt Stress miteinander, oder? “). Während der Stoffentwicklung hemmen Teamprobleme den Entwicklungsfortschritt, beispielsweise, wenn ein Student fast alle Vorschläge seiner Kommilitonen problematisiert, ablehnt oder thematisiert, dass er mit ihren Ideen ‘nichts anfangen’ kann. Ein derartiges Verhalten ist besonders gravierend, wenn es sich um die für das Drehbuch oder die Regie Verantwortlichen han- Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 230 delt. Die Inhaber dieser Funktionsrollen sollten für die filmische Umsetzung der Idee in ganz besonderer Weise einen Bezug zur Geschichte haben, um diese authentisch und für potenzielle Zuschauer fesselnd zu gestalten. Die ‘typische’ Verteilung divergenter Positionen innerhalb der studentischen Teams besteht aus einer 3: 1-Konstellation. Meist sind sich drei der vier Studierenden in Bezug auf die Geschichte einig, einer jedoch leistet Widerstand. Dieser Widerstand gründet oft in eigenen Vorstellungen hinsichtlich der ausgewählten Stoffe („Ich mache keine Liebesfilme“) oder des künstlerischen Anspruchs. Problematisch ist auch, wenn ein Studierender in der Vorbereitungsphase die drei anderen Teammitglieder von seiner Geschichtsidee nicht überzeugen konnte, er jedoch weiter an ihr festhält und die Pitching- Pitching- - Sitzung dazu nutzt, um die Dozenten im Alleingang von seiner Idee zu überzeugen. 190 Hinweise auf Probleme im Team werden beispielsweise ersichtlich, wenn einer der Studierenden nicht zur Entwicklung der von den anderen Teammitgliedern vertretenen Geschichte beiträgt. Meist werden diese Studierenden jedoch sofort aktiv und zeigen sich plötzlich sehr präsent, wenn diese Geschichte aufgrund unüberwindlicher Konstruktionsprobleme abgewählt und eine neue Geschichte gepitcht werden muss. Sie versuchen dann, eigene Ideen zu platzieren. Neben Problemen zwischen Studierenden, die bereits vor der Pitching-Situation entstanden sind, kann auch die gemeinsame Arbeit mit den Dozenten zu inhaltlichen oder persönlichen Spannungen führen. Dieser Fall ist jedoch seltener und wurzelt oft in einer nicht hintergehbaren und für diese Arbeitsform konstitutiven Anforderung: Die Einzelnen müssen sich zum einen als kreatives und autonomes Individuum mit eigenen guten Ideen präsentieren, zum anderen als gruppen- und konfliktfähige ‘Teamplayer’ agieren, die sich auch auf andere Denkweisen einstellen können. Hierbei kann es zu Problemen kommen, wenn beispielsweise die Selbstpräsentation Einzelner auf Kosten anderer Teammitglieder geht. Der unterschiedliche Umgang mit den oben dargestellten erschwerten Kooperationsanforderungen wird im Folgenden anhand von drei Beispielen demonstriert. Das erste Beispiel aus einem 5-Minüter-Pitching zeigt manifeste Teamprobleme, die schon in der Vorbereitung auf das Pitching entstanden sind und sich während der Arbeit an der eingebrachten Geschichte deutlich dokumentieren. Es kommt zu einer Spaltung des Teams in Form einer 3: 1-Konstella- 190 In keinem der von mir beobachteten Fälle sind die Dozenten auf solche „Fraternisierungsversuche“ eines einzelnen Studierenden eingegangen. Analysen 231 tion, bei der sich ein Student von den anderen distanziert. Dieses Beispiel wird ausführlich behandelt, um neben den offensichtlichen und durch explizite Thematisierung verdeutlichten Distanzierungsweisen auch die teilweise subtilen und impliziten Verhaltensweisen darzustellen, mit denen Studierende, die sich verbal nicht beteiligen, auf anderen Ausdrucksebenen ihr Verhältnis zu Inhalten und zu einzelnen Teammitgliedern dokumentieren. Das zweite Beispiel stammt aus einem 20-Minüter-Pitching. Das Team arbeitet während der gesamten Zeit sehr produktiv und gibt keine Hinweise auf Beziehungsirritationen in der Vorbereitungsphase. Zwei der Studierenden nutzen ihre unterschiedlichen Perspektiven konstruktiv für die Entwicklung der Geschichte und thematisieren dies. Das dritte Beispiel im Rahmen eines 10-Minüter-Pitchings zeigt eine unmarkierte Form der studentischen Zusammenarbeit mit einer gut funktionierenden Aufgabenverteilung innerhalb des Teams. Im Gegensatz zu den beiden vorherigen Beispielen handelt es sich nicht um eine „reflexive Situation“, in der das Teamverhalten explizit thematisch ist. Vielmehr befindet sich das Team in einer zentralen Phase der szenischen Entwicklung, in der primär zwei Studentinnen am Fortgang der Geschichte arbeiten. Der Analysefokus liegt auf einem Studenten, der die Entwicklungsarbeit seiner Kommilitoninnen aufmerksam verfolgt und gestisch-mimisch kommentiert. Auch hier werden unterschiedliche Perspektiven erkennbar, diese behindern jedoch - genau wie im zweiten Beispiel - die inhaltliche Arbeit nicht. Die Thematisierung von Problemen im Team während des Pitchings ist eine heikle Angelegenheit. Fast ausschließlich werden hierzu nicht-sprachliche Mittel eingesetzt. Wird auf Verbalität zurückgegriffen, so zeigt sich eine Präferenz für implizite Thematisierungen. Aus diesem Grund fokussieren die folgenden Analysen oft auch diejenigen Interaktionsteilnehmer, die gerade nicht verbal aktiv sind. 4.5.1 Thematisierung von Teamproblemen als Behinderung der inhaltlichen Arbeit Der folgende Ausschnitt stammt aus den ersten Minuten eines Pitchings für den 5-Minuten-Film. Der Dozent Ralf fragt die Studierenden im Kontext der Voraussetzungsklärung (vgl. Kap. 4.2) nach der Vorgehensweise im Rahmen ihrer Vorbereitung (und da habt ihr jeweils alle vier zusammen gesessen oder wie hat das ausgesehen). Ralfs Initiative kann erste Hinweise auf die Zusammenarbeit des Teams elizitieren. Waren immer alle anwesend oder gab es auch „Alleingänge“? Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 232 Cornelius, der Produktionsstudent, reagiert mit der Auskunft meistens sehr knapp auf Ralfs Frage, woraufhin dieser eine zweite Frage formuliert: und lars hat aufgeschrieben. Alle Teammitglieder nicken und bestätigen, dass der Autor (lars) auch Protokollant war. Im Folgenden setzt Cornelius dann zu einem etwas längeren Beitrag an: # 5/ 02-04/ Bernd CO: es gab aber kein wirkliches so wie ich das in erinnerung CO: hab kein wirkliches brainstorming oder dass man über CO: verschiedene ansätze gesprochen hat * wir waren dann ziemlich CO: schnell sind wir bei einem * gewesen * und dazu gab=s dann CO: auch nicht immer gleiche meinungen aber dann gab=s immer CO: wieder neue äh drehfassungen auch *2* und- Cornelius beginnt seine Äußerung mit einem adversativen Anschluss (es gab aber kein ...), der erste Hinweise auf eine oppositive Haltung des Sprechers gibt. Diese wird im Folgenden auch inhaltlich-thematisch spezifiziert: Nachdem Cornelius gleich am Anfang seiner Äußerung eine Perspektivierung formuliert, in der er auf seine persönliche Sichtweise rekurriert (so wie ich das in erinnerung hab), liefert er anschließend unterschiedliche Informationen zur Arbeitsweise des Teams. Er führt zuerst an, was das Team nicht gemacht hat und gibt damit implizit zu erkennen, was aus seiner Perspektive hätte getan werden sollen (es gab [...] kein wirkliches brainstrorming oder dass man über verschiedenen ansätze gesprochen hat). Weiterhin thematisiert er die schnelle Festlegung des Teams auf eine Geschichte (wir waren dann ziemlich schnell sind wir bei einem * gewesen) und deutet in einer agenslosen Formulierung Meinungsdivergenzen an, ohne diese konkreter anzugeben (und dazu gab=s dann auch nicht immer gleiche meinungen). Meinungsdivergenzen können eine produktive Ressource für die Stoffentwicklung sein und gehören ‘natürlicherweise’ zur kreativen Entwicklungsarbeit. Werden sie jedoch wie hier explizit thematisiert, drücken sie oftmals Spannungen im Team aus. Mit seinem Hinweis aber dann gab=s immer wieder neue äh drehfassungen beschreibt Cornelius den Umgang mit den unterschiedlichen meinungen. Auch wenn die agenslose Formulierung (gab=s) keine explizite Schuldbzw. Verantwortungszuweisung vornimmt, bezieht sich Cornelius hier indirekt auf ein bestimmtes Teammitglied, nämlich den Autor (Lars). Dieser ist qua Funktionsrolle der Verantwortliche für die schriftliche Fixierung der Ideen. Er hat Analysen 233 durch die Produktion von drehfassungen Tatsachen geschaffen und damit die nicht immer gleiche[n] meinungen selbstbestimmt in eine bestimmte Richtung interpretiert. 191 Cornelius stellt sich im Rahmen seiner Beschreibung der vorgängigen Teamarbeit nicht als aktiv gestaltend dar, sondern als jemand, der mit den Ergebnissen des Autors und dem Verhalten der anderen Mitglieder konfrontiert wird, ohne selbst Einfluss nehmen zu können (aber dann gab=s). Die Dozenten gehen im Folgenden nicht auf die indirekten und andeutenden Problematisierungen von Cornelius ein, sondern befassen sich primär mit der Tatsache, dass das Team anstelle eines Pitches gleich ein ganzes Drehbuch abgegeben hat. Hans kondensiert die Geschichte dieses Drehbuchs in provokanter Weise zu einem Pitch. Den Pitch des Dozenten nutzt Cornelius dazu, um sich weiter implizit von seinem Team zu distanzieren, was man in den folgenden Bildern sehen kann. HA: ähm ich würde nur mal versuchen zu ~pitchen~ aus RA: ja HA: dem stand was ich gelesen hab in dem buch↓ Abb. 43: Das studentische Team während Hans' Ankündigung zu pitchen Als Hans zum Pitchen übergeht, richten die Studierenden ihren Blick zu ihm und bleiben während einer langen Zeit völlig statisch in ihren jeweiligen Körperhaltungen am Tisch sitzen: Lars und Anita haben je einen Ellenbogen auf dem Tisch platziert, den Unterarm parallel zum Oberkörper angehoben und stützen mit der oberen Hand das Kinn. Martin hält einen Stift in beiden Händen und Cornelius hat die Hände vor sich auf dem Tisch übereinander gelegt. Das Team sitzt abwartend. Die einzige minimale Bewegung sieht man bei Martin, der seinen Stift langsam mit den Fingern dreht. 191 Eine Drehfassung ist bereits ein sehr weit fortgeschrittenes Ausarbeitungsstadium der studentischen Geschichtsidee, das ausschließlich in den Aufgabenbereich des Autors fällt. Eine Drehfassung zu produzieren war jedoch nicht die Aufgabe des Teams: Es sollte lediglich eine Geschichte zum Pitchen vorbereitet werden. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 234 Simultan zu Hans' Hinweis, dass er sich auf das zuvor negativ bewertete buch bezieht - auf das schon Cornelius mit seinem Hinweis auf die drehfassungen verwiesen hat und welches in den Verantwortungsbereich des Autoren fällt - kann man in Cornelius Gesicht eine deutliche Veränderung wahrnehmen. Er grinst kurz und zieht dann die Lippen nach vorn zusammen, so dass sie sich kurz vorwölben. Anschließend bewegt er die Lippen aufeinander gepresst einige Male. Sein Verhalten, das sich insgesamt über vier Sekunden erstreckt, kontrastiert deutlich zu dem der übrigen Teammitglieder, die mit ernstem Gesichtsausdruck die Äußerungen des Dozenten verfolgen bzw. auf die Expansion seiner Äußerung warten. Cornelius' mehrfache Mundbewegungen sind eine direkte Reaktion auf sein vorheriges Grinsen und bearbeiten dies in einer Weise, als wolle er ein weiteres Grinsen unterdrücken. Sein Verhalten kann als Form der Selbstkontrolle beschrieben werden. Als Hans nach einem tiefen Seufzen zum eigentlichen Pitch übergeht, ist Cornelius' Gesicht wieder unbewegt. HA: […] #*3*# bernd ein typ der ** auf der arbeit zurückgewiesen K #SEUFZT TIEF# HA: wird und von seiner frau ähm ** nicht akzeptiert wird ** Hans charakterisiert nach einem tiefen Seufzen zuerst den von den Studierenden entworfenen Protagonisten. Während seiner Beschreibungen (bernd ein typ der ** auf der arbeit zurückgewiesen wird ) ist Cornelius - wie die anderen Teammitglieder - unbewegt. Als Hans jedoch auf die frau des Protagonisten zu sprechen kommt, sieht man ausschließlich bei Cornelius eine deutliche Veränderung der Körperpositur. Auf unterschiedlichen Ausdrucksebenen wird er im Folgenden aktiv: Abb. 44: CO richtet sich auf HA: und von seiner frau Analysen 235 Abb. 45: CO verschränkt die Arme HA: * ähm ** Abb. 46: CO reibt sich die Hände und rutscht auf dem Stuhl zwei Mal hin und her HA: nicht akzeptiert wird Abb. 47: CO schiebt seine Brille zurück HA: entdeckt dass seine frau Abb. 48: CO legt Daumen ans Kinn und verschränkt die Finger HA: vergewaltigt werden möchte * Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 236 Sowohl das Aufrichten und Verschränken der Arme, als auch das Grinsen, Händereiben, Brille-Zurückschieben und Daumen-ans-Kinn-Legen kontrastieren mit dem Verhalten der anderen Teammitglieder, die völlig statisch in ihren jeweiligen Haltungen verbleiben (was die abgebildeten Standbilder dokumentieren). Cornelius ist das einzige Teammitglied, das selbstbezogene Verhaltensweisen durchführt. Er ist auf unterschiedlichen Ausdrucksebenen aktiv: Zuerst verändert sich seine Mimik, dann die Körperpositur/ Aufrichtung, anschließend die Arm- und Handposition. Diese Verhaltensweisen sind analytisch deutlich voneinander unterscheidbar und werden in einer Abfolge realisiert, bei der die einzelnen Verhaltensweisen ineinander übergehen. Dies lässt Cornelius im Kontrast zu den anderen Studierenden aktiv erscheinen. In alltagsweltlichen Begriffen könnte die Geste des Händereibens (Abb. 46) als heimliche Freude interpretiert werden. Die Heimlichkeit dieser Freude wird dadurch nahe gelegt, dass die Geste relativ schnell durch das beidhändige Zurechtschieben der Brille überwunden wird. 192 Dass sich Cornelius heimlich über irgendetwas freut, korrespondiert mit seinem anfänglichen Grinsen zu Beginn von Hans' Äußerung, welches ebenfalls durch das Vorwölben der Lippen suspendiert wurde. Nur, worüber freut er sich? Die Interpretation des Verhaltens als heimliche Freude kann zwar an dieser Stelle nicht erhärtet werden, sie kann jedoch als mögliche Lesart zunächst stehen bleiben. Es ist darüber hinaus möglich, erste Hypothesen bezüglich der Koalitionen innerhalb des studentischen Teams zu bilden. Die offensichtliche Unterschiedlichkeit der körperlichen Präsenzformen während der Ausführungen von Hans deutet auf eine 3: 1-Konstellation hin. Ohne die unterschiedlichen Verhaltensweisen zu evaluieren, lässt sich feststellen, dass drei Studierende in ihren statischen Ausdruckweisen synchronisiert sind und sich ein Studierender simultan dazu erkennbar anders verhält. Nachdem der Dozent formuliert hat, dass die Frau des Protagonisten vergewaltigt werden möchte, grinst Cornelius offen und hält diesen Gesichtsausdruck über sieben Sekunden aufrecht. Hans' Formulierung ist provokativ, da sie zum einen mit dem gängigen Interpretationsrahmen, der beim Thema ‘Vergewaltigung’ assoziiert wird, kollidiert, indem er der Frau einen Wunsch nach Vergewaltigung unterstellt. Zum anderen entwirft der Dozent offensichtlich 192 Die unterschiedlichen Beobachtungsdimensionen, die durch die multimodale Analyseperspektive in den Blick kommen, werden durch das konkrete Verhalten der Interaktionsteilnehmer selbst relevant gesetzt. Nicht nur die einzelnen Ausdrucksebenen für sich genommen, sondern auch der Wechsel zwischen unterschiedlichen Ausdrucksebenen kann dabei reflektiert werden. Analysen 237 einen Protagonisten, der für Zuschauer wenig sympathisch sein dürfte. Wenn dieser Protagonist annimmt, seine Frau wolle vergewaltigt werden, so ist der Protagonist ein Mensch, mit dem sich die Allgemeinheit der Zuschauer nicht identifizieren kann. 193 Durch Hans' Pitch wird die Geschichte des Teams - zusätzlich zu der vorherigen Problematisierung des Vorgehens im Rahmen der Vorbereitung (Drehbuch statt Pitch) - inhaltlich-thematisch negativ evaluiert. In der gleichen provokanten Modalität pitcht der Dozent auch im Folgenden weiter: Abb. 49: CO grinst lange und nickt mehrmals HA: fickt sie ordentlich durch und führt in zukunft ein * HA: angenehmes leben↓ *4,5* Sowohl durch die sprachliche Stilebene, die von einem neutral-erzählerischen zu einem vulgär-umgangssprachlichen Modus wechselt (fickt sie ordentlich durch), als auch durch das zu dieser Stilebene kontrastierende Fazit (und führt in zukunft ein * angenehmes leben), wird die Negativbewertung verdeutlicht. 194 Der formelhafte unspezifische Abschluss (und führt in zukunft ein * angenehmes leben) stellt dabei einen Bezug zu Märchen her, deren Ausblicke oft lauten: „... und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“. Hans' Hinweis auf das Genre „Märchen“ ist für die Studierenden ebenfalls provozierend, da es mit ihrem Anspruch, ein sozialkritisches, aufrüttelndes Drama mit „Botschaft“ zu entwerfen, kontrastiert. 193 Eine zentrale Aufgabe bei der Geschichtsentwicklung ist es, einen Protagonisten zu entwerfen, dessen Handlungen vom Zuschauer nachvollzogen werden können und der sympathisch ist. 194 Diese Stilebene wird durch die Szenengestaltung im Drehbuch nahe gelegt, jedoch nicht in dieser Deutlichkeit formuliert. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 238 Auf diesen Pitch des Dozenten reagieren die anderen drei Studierenden wieder nicht wahrnehmbar. Cornelius' Verhaltensweisen hingegen zeigen einen systematischen Bezug zu den Äußerungen des Dozenten: HA: fickt sie ordentlich durch ## CO: #NICKT EINMAL STARK# HA: #und führt in zukunft ein angenehmes leben# #*4,5*# CO: #NICKT MEHRMALS, WENIGER STARK# #NICKT ZWEI CO: MAL STARK MIT BLICK ZU HA; DANACH NOCH EINIGE MALE WENIGER CO: STARK MIT BLICK AUF DEM TISCH# Im Anschluss an den Äußerungsteil fickt sie ordentlich durch beginnt Cornelius nicht nur über eine lange Zeit zu grinsen, sondern auch zu nicken. Dabei ist sein erstes Nicken ein deutlich zustimmendes, das von weiteren, weniger starken Nicken, abgelöst wird. In der langen Pause von 4,5 Sekunden, die den Abschluss von Hans' Pitch markiert, nickt er in dem gleichen Muster, zunächst wieder zwei Mal deutlich, danach folgen weitere kürzere Nick-Aktivitäten, zunächst mit Blick zu Hans, anschließend mit Blick auf dem Tisch. Cornelius reagiert mit seinem Grinsen und Nicken auf die implizite negative Bewertung, die der Dozent durch seine Reformulierung des Drehbuchtextes ausdrückt. Cornelius' Verhalten ist vergleichbar mit dem Verhalten eines Interaktanten, der lange Zeit auf ein bestimmtes Argument gewartet hat, es selbst aus bestimmten Gründen nicht formulieren konnte/ durfte und nun einem anderen Redner, der es schließlich formuliert hat, deutlich zustimmt. Im Rahmen der Pitching-Situation, unter den gegebenen sozialen, hierarchischen und handlungstypischen Strukturen, benutzt Cornelius situationsabhängig nicht-sprachliche Ausdrucksrepertoires, um eine „Koalition“ mit dem Lehrer statt mit seinem Team einzugehen und auszudrücken. In der 4,5-sekündigen Pause nach Abschluss des Pitches verändert sich auch bei dem Studenten Martin der Gesichtsausdruck: Er grinst ebenfalls. Im Kontrast zu Cornelius wird dieses Grinsen aber nicht von einem Nicken begleitet. Damit ist Martin zwar auf der Ebene der Mimik mit Cornelius vergleichbar, beide mimischen Ausdrucksweisen haben jedoch unterschiedliche interaktive Qualitäten und Funktionen in der aktuellen Situation. Martin schmunzelt über die provozierende Formulierung des Dozenten, er koaliert jedoch nicht mit ihm. 195 195 Interessant ist hier, dass aufgrund kontextueller Einblicke das gleiche mimische Verhalten zweier Interaktionsteilnehmer, die momentan mündlich nichts beitragen, unterschiedlich interpretiert werden muss. Analysen 239 Die Spaltung des Teams (Cornelius vs. übrige Studierende) wird nicht nur von Cornelius selbst, sondern komplementär auch vom Restteam verdeutlicht. Betrachtet man ein Standbild und reflektiert die Implikationen der Sitzpositionen am Tisch, so ergeben sich hinsichtlich dieser Frage interessante Einsichten: Zum einen wird ein großer Sitzabstand von der Studentin Anita zum Dozenten Ralf ersichtlich. Diese „Lücke“ bildet quasi den Trennungsbereich von hierarchisch Über- und Untergeordneten. Ein solcher Abstand ist zwar in allen Gruppen zu sehen, in diesem Beispiel ist er jedoch deutlich größer als in anderen Teams. Abb. 50: ca. 1/ 2 des 2. Tisches ist zu RA hin frei Beispiele zur Kontrastierung: Abb. 51: ca. 1/ 3 des Tisches ist zu RA hin frei Abb. 52: ca. 1/ 5 des Tisches ist zu RA hin frei Neben der verhältnismäßig großen Lücke, die Anita zu Ralf lässt, fällt auf, dass sie ihren linken Arm mit dem Ellenbogen auf dem Tisch aufstützt, die Finger der linken Hand vor dem Mund zur Faust geballt hat und das Kinn auf dem Handballen aufstützt. Diese Geste ist von Schmitt (2004b) als „Denkerpose“ beschrieben worden, die eine Form des Rückzugs aufgrund kognitiver Aktivität repräsentiert. Offensichtlich hat die Denkerpose in dem hier analysierten Ausschnitt auch eine weitere Funktion: Der vor dem Oberkörper aufgerichtete Unterarm kann durchaus als eine Art „Schutzschild“ interpretiert werden, zum einen bezogen auf das Territorium der Studierenden, zum anderen - metaphorisch betrachtet - als „Schutz“ vor der manifesten negativen Kritik der Dozenten. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 240 Abb. 53: Denkerpose als „Schutzmauer“ Lars' Denkerpose, die er mit seinem rechten Arm einnimmt, kann entsprechend als „Schutzmauer“ in Richtung von Cornelius betrachtet werden. Das Standbild (Abb. 53) zeigt zwei Studierende, die sich nach außen, das heißt zu der Seite, an der entweder ein Dozent oder der „teaminterne Kontrahent“ sitzt, abschotten und nach innen (zu Martin) ihre Körperhaltung geöffnet haben. Insofern wird auch die Denkerpose situativ mit spezifischer Bedeutung aufgeladen. 196 Nicht nur die Kontrastivität zwischen den „bewegungslosen Dreien“ und dem auf unterschiedlichen Ausdrucksebenen aktiven Cornelius legt also eine 3: 1- Team-Konstellation nahe, sondern auch die spezifische Art, in der sich die drei „Unbewegten“ zueinander und den anderen gegenüber positioniert haben. 197 Nach der Pause von 4,5 Sekunden richtet Hans explizit eine Frage an das Team: ist das die ~story~ die ihr erzählen wolltet ↑ . Während seiner Formulierung bewegt er den Kopf leicht von links nach rechts, so dass sein Blick von 196 Das körperliche Verhalten kann in interaktionsreflexiver Weise und nicht aufgrund von außersituativen „Annahmen“ beschrieben werden. Die dazu verwendete deskriptive Metaphorik ist analytisch gehaltvoll (vgl. Denkerpose als „Schutzschild“, „Händereiben“ als heimliche Freude). 197 In diesem Ausschnitt erhält die „Denkerpose“ eine „situative Aufladung“, da sie nicht nur kognitive Absorption ausdrückt, sondern auch dazu beiträgt, für einzelne Individuen (Anita, Lars und auch Martin) einen Schutz aufzubauen und Untergruppenzugehörigkeit zu symbolisieren. Für die „klassische Denkerpose“ ist es nicht relevant, welcher Arm für die Realisierung der Geste eingesetzt wird. Unter der Perspektive, Gruppenzugehörigkeiten zu symbolisieren und Schutz aufzubauen, ist dies hingegen ein zentraler Aspekt. Mit dieser Sicht auf die Geste als Schutzschild wird das Verhalten der Dozenten analog als „Angriff“ beschreibbar. Die Studierenden reagieren im Kontext der gehäuften Negativevaluationen mit Verhaltensweisen, die gleichzeitig das Verhalten der Dozenten kategorisieren. Durch die Berücksichtigung der Kontext-Spezifik kann die „Standardinterpretation“ zugunsten einer „situativ-reflexiven Interpretation“ überwunden werden. Eine solche Sicht auf Gesten folgt der konversationsanalytischen Prämisse, die „Äußerungen“ im Rahmen ihrer konkreten Realisierung und Platzierung im Interaktionsverlauf zu interpretieren. Analysen 241 Cornelius zu Lars, zu Martin, zu Anita und wieder zurück wandert. In einer anschließenden 7-sekündigen Pause bleibt sein Blick unspezifisch auf die Studierenden gerichtet. Er untermauert damit die Gültigkeit der mit seiner Frage etablierten konditionellen Relevanz für das gesamte studentische Team. Während dieser Pause könnte unter den Teammitgliedern ausgehandelt werden, wer die Frage beantwortet. Cornelius stellt sich dafür jedoch nicht zur Verfügung, denn er blickt nicht in die Richtung des übrigen Teams. Seine Hände sind ineinander gefaltet, seine Ellenbogen auf dem Tisch aufgestützt und er blickt über längere Zeit auf seine Finger und zwei Mal kurz zu Hans. Dieses Verhalten kann als implizite Form der Selbstabwahl beschrieben werden. 198 Abb. 54: Cornelius mit kurzem Blick zu Hans Lars, der neben Cornelius sitzt, wird im Folgenden aktiv: Zunächst blickt er zu Martin und Anita, die bewegungslos und auf die Dozenten orientiert bleiben. Anschließend antwortet er. HA: die ~story~ die ihr erzählen wolltet↑ *7* LA: äh * im grunde LA: schon oder↑ * #kann das sein dass es das is oder-# K& #GELÄCHTER # Lars antwortet auf die provokante Frage des Dozenten, indem er ihr zustimmt, was insbesondere bei Ralf zu einem lauten Lachen führt. Die anderen Teammitglieder lachen leise mit. Interessant ist die Positionsveränderung bei den Dozenten und der Wechsel im Gesichtsausdruck von Anita und Martin in Reaktion auf Lars' Äußerung. 198 Zwar war Cornelius im Vergleich zu den anderen Teammitgliedern körperlich auf unterschiedlichen Modalitätsebenen sehr aktiv, dies ist jedoch nicht als Vorbereitung auf die Turnübernahme zu interpretieren (vgl. Jefferson 1993 zum „Caveat Speaker“), sondern primär als Symbolisierung seiner Distanzierung vom Team und der Geschichtsidee zu verstehen. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 242 LA: im grunde schon LA: oder Ralf lehnt sich mit Schwung direkt bis an die Wand zurück. Hans wendet den Blick von Lars und den anderen Studierenden weg und starrt unbewegt „ins Leere“ außerhalb des gemeinsamen Arbeitstisches. Alle Reaktionen zeigen an, dass Lars' Antwort ‘frech’ war. Er hat ein Antwortformat gewählt, dass den Pitch von Hans als neutrale Zusammenfassung der Geschichte, nicht aber als negativ evaluierende Provokation behandelt. Dies kann auch als Behauptungsversuch gegen das dozentenseitige Verhalten gesehen werden. Jedoch benötigt er bei seinem Vorgehen Unterstützung, was durch die abschließende Formulierung von oder deutlich wird, bei dessen Äußerung er Martin und Anita, nicht jedoch Cornelius anblickt. An dieser Stelle erfolgt eine Turnaushandlung unter den drei Studierenden. Dass Anita nicht bereit ist, mündlich aktiv zu werden, sieht man an ihrer unbewegten Haltung. Sie schaut Lars zwar an, zeigt aber keinerlei körperliche Regung. Martin verdeutlich noch offensichtlicher, dass er nicht als Sprecher zur Verfügung steht. Während er zuvor seine beiden Hände auf Bauchhöhe gehalten und seinen Stift langsam gedreht hatte, hebt er jetzt die Lars zugewandte Hand an sein Kinn und verdeckt damit seinen Mund. 199 199 Auch hier sieht man wieder die „Denkerpose“, diesmal aber weder in der Funktion, kognitive Absorption auszudrücken, noch als Schutzhaltung. Hier hat die Geste, die als „Aus- Analysen 243 Daraufhin wendet sich Cornelius Lars zum ersten und einzigen Mal in diesem Ausschnitt direkt zu und fragt ihn wolltest du das. Seine Wortwahl ist genau auf die vorherige Frage des Dozenten zugeschnitten (ist das die story die ihr erzählen wolltet), lediglich die personale Referenz wird geändert. War die Frage von Hans an das gesamte studentische Team gerichtet (ihr), adressiert Cornelius ausschließlich Lars (du). CO: wolltest du das Wenn Cornelius Lars fragt, ob er das wollte, so impliziert dies dreierlei: Erstens sind die übrigen Teammitglieder nicht adressiert, zweitens wird Lars als Verantwortlicher explizit genannt, drittens wollte das Cornelius nicht. Speziell zwischen Lars und Cornelius scheint es inhaltliche, aber auch beziehungsmäßige Spannungen zu geben. Immerhin hat Cornelius ja schon zu Beginn implizit auf Lars' Zuständigkeitsbereich verwiesen, als er sich bei den Dozenten über die immer wieder neue[n] drehfassungen ‘beschwert’ hat. Lars übergeht Cornelius' Einwurf und fährt fort, den Pitch des Dozenten zu evaluieren. Was macht Cornelius währenddessen? LA: es ist das * ich finde es gut wiedergegeben * blenden des Sprechwerkzeuges“ beschrieben werden kann, eher eine gesprächsorganisatorische Funktion: Martin symbolisiert, dass er den nächsten Turn nicht beanspruchen wird. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 244 LA: und äh kann man sicher noch LA: nuanciell verschieben und äh * aber ohne jetzt irgendwie das LA: moralisch ** äh interpretieren zu wollen * LA: es is schon * es is das eigentlich beinahe oder↑ Analysen 245 Während der Ausführungen von Lars zeigt Cornelius durch unterschiedliche Verhaltensweisen sein Desinteresse. Zunächst betrachtet er mit großer Aufmerksamkeit seine Fingernägel und ‘knibbelt’ anschließend mit den Fingern der anderen Hand an den zuvor betrachteten Nägeln. Während er weiter mit einer Hand die Nägel der anderen Hand bearbeitet, rutscht er mit dem Gesäß einige Male auf dem Stuhl hin und her, drückt sich weiter nach hinten gegen die Lehne und schiebt den Oberkörper vom Arbeitstisch weg. Er dreht seinen Kopf anschließend, genau wie der Dozent, in die Richtung außerhalb des Arbeitstisches, blickt kurz direkt in die Kamera 200 und starrt dann rechts von sich auf den Boden. Hier ‘kopiert’ Cornelius deutlich Hans' Bewegungen. Auch als Hans sich anschließend wieder zum Tisch zurück orientiert und in Lars' Richtung blickt, wendet sich mit einer halben Sekunde Verzögerung auch Cornelius zurück, schaut jedoch nicht zu Lars, sondern lässt seinen Blick nach unten auf den Tisch sinken. An Cornelius' Verhalten zeigt sich seine deutliche Nichtbeachtung und Nichtorientierung zu Lars bei gleichzeitig deutlicher Synchronisierung mit dem Dozenten. Hier manifestiert sich über das spezifische körperliche Ausdrucksrepertoire von Cornelius nochmals sein Koalitionsversuch mit dem Dozenten, der zuvor schon durch das mehrfache Nicken und Grinsen in Reaktion auf den dozentenseitigen Pitch etabliert wurde. Der Unterschied dieses Verhaltens zu dem Verhalten während der monologischen Sequenz des Dozenten ist jedoch, dass es speziell in Bezug auf Lars mit Beziehungsimplikationen verbunden ist. Während Lars die schwierige Aufgabe übernommen hat, ‘Schadensbegrenzung’ zu betreiben und dabei ist, das Team vor der Negativkritik ‘zu retten’, betont Cornelius durch sein ignorierendes Verhalten, dass ihn Lars' Anstrengungen nicht tangieren. 201 Im weiteren Interaktionsverlauf reproduziert Cornelius ähnliche Verhaltensweisen, die sich auf seine Koalition mit dem Dozenten und seine Distanzierung vom Team beziehen lassen. Aus Platzgründen möchte ich dies allerdings nicht in der gleichen Detailliertheit wie oben herausarbeiten. Für diese Analyse ist jedoch eine abschließende Äußerung von Hans interessant, in der er formuliert, dass er Cornelius' Verhaltensweisen bemerkt hat: 200 Die Kamera ist ein deutlich wahrnehmbarer Bestandteil der Situation. Cornelius' kurzer Blick zur Kamera ist meines Erachtens in diesem Rahmen eher ein weiterer Ausdruck dafür, dass seine Primärorientierung nicht bei Lars und seinem Team ist, als eine Irritierung durch die Kamera, wie sie oft in den wissenschaftlichen Diskussionen über die Dokumentation authentischer Situationen als „Beobachterparadoxon“ (Labov 1966) diskutiert wird. 201 Anita und Martin hingegen sind Lars aufmerksam zugewandt. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 246 HA: ich hab einfach versucht zu pitchen was ich mir vorstelle in HA: den köpfen äh des teams war↓ * ich hab allerdings auch das HA: team beobachtet eben *1,5* und habe gesehen dass da so ein HA: merkwürdiges ähm ja * ihr habt so * so komisch gegrinst↓ * HA: und äh jetzt sag ich mal * ihr habt mir so durch euer HA: * durch euren gesichtsausdruck eigentlich so was ähnliches HA: erzählt wie ** neulich ham wir ** mit äh mit mehreren familien HA: zusammen gesessen weil unsere * töchter was ausgefressen HA: hatten ** und die töchter sollten von sich aus sagen was los HA: gewesen ist ** und dann erzählt die so und dann seh ich wie HA: meine tochter immer so * immer so grinst ja↑ * und dann HA: sag ich lisa was ** also was ist da * >losgewesen< nee HA: ich nich ich nich ich nich ** und sagtschließlich HA: * gesteht dann ein anderes mädchen * sie habe ** irgendwie mit HA: * einem unbekannten zwanzigjährigen rumgeknutscht * ähm * aber HA: woraus hab ich das geschlossen weil ich ähm * ich hab gesehen HA: dass lisa mit ihrem grinsen was erzählen wollte Nicht nur aus der externen analytischen Perspektive ist Cornelius' Verhalten wahrnehmbar, sondern Hans liefert durch seine Thematisierung des komisch[en] Grinsens einen expliziten Account: Ihm sind Cornelius' Verhaltensweisen nicht nur aufgefallen, sondern er bewertet sie in spezifischer Weise. In Analogie zu dem von Hans geschilderten Fall seiner Tochter zieht er den Schluss, Cornelius wolle mit dem Grinsen was erzählen. Hans verwendet in seiner Formulierung jedoch den Plural und bezieht das gesamte Team ein (ihr habt so * so komisch gegrinst ↓ ). Damit nivelliert er die etablierte 3: 1- Konstellation und projiziert das Verhalten eines Einzelnen auf das gesamte Team. Cornelius reagiert hierauf nicht. Er drückt weiterhin seine Distanzierung zur Geschichte und zum Team aus, indem er sich über eine lange Zeit mündlich nicht beteiligt und sich auch nicht bei den ‘Rettungsversuchen’ des Teams engagiert. Er arbeitet bei der weiteren Stoffentwicklung nicht mit. Mal lehnt er sich mit dem Stuhl zurück, mal lässt er den Kopf deutlich von links nach rechts wandern, mal rollt er lockernd seine Schultern, lässt den Kopf zuerst zu einer Seite sinken, so dass sich sein rechtes Ohr zur rechten Schulter bewegt, dann wechselt er die Seiten und sein linkes Ohr bewegt sich zur linken Schulter. In einem längeren Segment putzt er aufwändig seine Brille. Er nimmt seine Brille ab, haucht einmal das linke Glas an und dann das rechte, zieht das vordere untere Ende seines Pullovers hoch und putzt damit akribisch 5 Sekunden lang auffällig seine Brille. Analysen 247 Abb. 55-56: CO haucht die Brillengläser an und bewegt die andere Hand zu seinem Pullover, putzt dann lange und gründlich seine Brille Im Gegensatz zu seinen körperlichen Ausdrucksformen während Hans' Pitch kann man Cornelius' Verhalten nun viel weniger an die Äußerungen von aktuellen Sprechern zurückbinden. Auch über ‘Grenzen’ des Sprecherwechsels hinweg bleibt er stark auf sich bezogen und zeigt keinerlei Umorientierungen. Die unterschiedlichen Ausdrucksweisen lassen sich letztlich als ein Ignorieren der aktuellen Interaktionsentwicklung durch starke Eigenorientierung zusammenfassen: Cornelius hat sich weitgehend ausgeklinkt. Erst nach 25 Minuten (! ), als Ralf die Studierenden auffordert, aus dem gesamten Themenkomplex ihrer Geschichtsidee für die weitere Stoffentwicklung ein bearbeitbares Stück auszuwählen, startet Cornelius einen ersten Versuch, eine neue Geschichtsidee zu platzieren (wollen wir jetzt weiter noch über diese geschichte sprechen oder die sozusagen zerreißen 202 ). Im Folgenden fragt Cornelius nach, ob auch über Alternativen geredet werden kann (oder können wir auch über alternativen sprechen). Die Beschäftigung mit alternativen Stoffen ist nach wie vor sein zentrales Anliegen. Schon zu Beginn hatte er ja beklagt, dass es kein brainstorming gab und man nicht über verschiedene ansätze gesprochen habe. Dieses Anliegen scheint sich für ihn wie ein roter Faden durch die Teamvorbereitung, den Beginn und den weiteren Verlauf des Pitchings zu ziehen. Auch an dieser Stelle ermöglichen die Dozenten ihm nicht, Alternativen einzubringen, sondern wählen den stofflichen Kontext der mitgebrachten Geschichte als Ressource für die weitere Arbeit (nee wir würden gerne nochmal über bernd [= Protagonist] sprechen). 202 Interessant ist seine Alternativformulierung (oder die sozusagen zerreißen). Durch das Verb zerreißen (statt „verwerfen“, „aufgeben“) macht er implizit noch einmal einen Verweis auf das von Lars entworfene Drehbuch, indem er indirekt vorschlägt, es wie ein Stück wertloses Papier zu zerreißen. Außerdem impliziert das Konzept zerreißen einen aktiven Zerstörungsprozess (beispielsweise im Gegensatz zu „weglegen“) und zeigt damit auch Cornelius' starkes emotionales Involvement. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 248 Sie behandeln die „alte Geschichte“ mit Priorität, was sicher auch mit den intensiven Verteidigungsbemühungen von Lars (mit punktueller Unterstützung von Anita und Martin) zusammenhängt. Die Ablehnung alternativer stoffe führt dazu, dass sich Cornelius für die nächsten 15 (! ) Minuten wieder zurückzieht, während die Restgruppe über die Figur „Bernd“ diskutiert. Nachdem die Gruppe an dem Protagonisten gearbeitet hat und es ihr nicht gelungen ist, einen einfachen und klaren Charakter zu gestalten, entsteht eine lange, 10-sekündige Pause, die Cornelius mit einem zweiten Versuch, über Alternativen zu reden, beendet: CO: ich würd wirklich gern hier mal einhaken * (... ...) CO: wir merken ja dass es also dass wir sojetzt hier nicht CO: weiter kommmen und das is jazäh irgendwie jetzt auch CO: find ich und- […] jetzt diese geschichte auseinander zu CO: nehmen die ja auch äh die wir jetzt schon äh zum großen teil CO: auch äh angesprochen haben und ich finde wir drehen uns jetzt CO: so=en bisschen jetzt auch irgendwie im kreis * Cornelius stellt die vorherigen Bemühungen des Teams, derer er sich konsequent enthalten hatte, als ergebnislos dar und evaluiert damit die aktuelle Arbeit an der Geschichte negativ. Anschließend wendet er sich zu Lars und adressiert ihn nun zum zweiten Mal direkt. CO: und #du# erinnerst dich ja an an deinean deinen wunsch K& #MEINT LARS# CO: ähm als ich vor zwei wochen gesagt hab lass uns vielleicht CO: nochmal über andere |alternative ideen (reden? )| LA: |du hastdu hast das | CO: |lars| LA: zwölf stunden vor abgabe |des | ~pitches~ gesagt * das fand LA: ich=en bisschen spät Hier wird Lars nun als derjenige dargestellt, der in der Vorbereitungsphase verhindert hat, über alternative ideen zu reden. Damit geht eine deutliche Schuldzuweisung an den Autor einher. Dieser verteidigt sich mit der Begründung, Cornelius habe seinen Wunsch im Rahmen der gemeinsamen Vorbereitungszeit zu kurzfristig geäußert. Hierauf kommt es zu einer detaillierten Rekapitulierung seitens Cornelius, wann genau er dem Team seinen Wunsch über alternative Ideen zu sprechen, mitgeteilt hat (wir waren in dem kino * das war also mindestens vor einer woche [...] da waren wir alle zusammen). Mit dem Verweis auf den Zeitpunkt seiner Bitte widerspricht er Lars' vorheriger Analysen 249 Darstellung, es sei nur zwölf stunden vor Abgabe des Pitches gewesen. Die inhaltliche Beschäftigung mit der Geschichte tritt nun in den Hintergrund, da Teamkonflikte, Perspektivendivergenzen und Schuldzuweisungen thematisch werden. Bevor Cornelius weiter fortfahren kann, adressiert ihn Ralf namentlich und fordert ihn ungeduldig auf, die Geschichte zu erzählen (Cornelius was ist die andere geschichte * kannst du die andere geschichte mal erzählen). Damit insistiert er auf der Bearbeitung von Inhalten statt von Beziehungsproblemen, lässt jedoch diesmal Raum für Cornelius' Alternative. Auseinandersetzungen und Schuldzuweisungen, die aus der gemeinsamen Vorbereitungszeit resultieren, werden von dem Dozenten in der Pitching-Sitzung nicht zugelassen. Noch bevor Cornelius zu erzählen beginnt, fragt Ralf, ob die anderen Teammitglieder, also Lars, Martin und Anita, seine Geschichtsidee schon kennen (hast du die grundidee den andern schon erzählt). Cornelius bejaht die Frage des Dozenten, Martin und Anita verneinen sie: CO: +doch hab ich erzählt * wir MA: #ja↑# ich hab das nicht mehr K #ERSTAUNT FRAGEND# K& #ANITA SCHÜTTELT KOPF# CO: war=n auf dem weg zusammen da hab ich diese beiden grundideen CO: erzählt * wir war=n auf derwir war=n ganz normal auf dem CO: rückweg vom kino AN: dann erzählst du jetzt * ich kenn sie auch CO: |okay | AN: noch nicht RA: +gut |erzähl| sie Das Verhalten von Martin und Anita kann im Sinne Goffmans (1971) als „ritueller Ausgleich“ beschrieben werden. Beide geben explizit an, Cornelius' Idee noch nicht zu kennen. Damit haben alle drei übrigen Teammitglieder geäußert, dass das, was Cornelius formuliert, nicht stimmt, wodurch sie ihn implizit als „Lügner“ kategorisieren. Martin und Anita können sich nicht an seine Grundidee erinnern, Lars behauptet, Cornelius' Wunsch über alternative Stoffe zu reden, habe nicht eine Woche, sondern zwölf Stunden vor Abgabe des Pitches stattgefunden. Damit wird nun auch über die konkreten verbalen Äußerungen einzelner Teammitglieder die zuvor herausgearbeitete 3: 1-Konstellation auf Seiten der Studierenden verdeutlicht. Cornelius ist innerhalb des Teams ein Einzelkämp- Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 250 fer, der sich gegen die anderen Drei in der Vorbereitungsphase nicht behaupten konnte und auch in der aktuellen Situation allein gegen sie argumentiert. Er hat jedoch erreicht, dass sich die Dozenten im Pitching bereit erklären, seinen Ideen zuzuhören und dafür die aktuelle Stoffentwicklung, die sich an den Figuren der eingereichten Geschichte orientierte, zunächst aufzugeben. Während Cornelius seine Idee präsentiert, produzieren die drei übrigen Teammitglieder ihrerseits Verhaltensweisen, die Desinteresse signalisieren (gelangweiltes Kratzen am Kopf, Trinken). Auch dies kann als Form des „rituellen Ausgleichs“ interpretiert werden. Cornelius' Vorschlag wird von allen Gruppenmitgliedern sofort abgewählt, weil er den dramentheoretischen Grundlagen nicht genügt. Nach der Negativ-Evaluation von Cornelius' Ideen erklärt Hans noch einmal grundsätzlich die Dramentheorie. Ralf unterstützt ihn dabei, indem er zentrale Aspekte an ein Flip-Chart schreibt und anschließend zurückleitet zu „Bernd“, dem Protagonisten der ursprünglich eingereichten Geschichte. Cornelius signalisiert seine Unzufriedenheit mit diesem Fokus auf die alte Geschichte, indem er sich weit und resigniert vom Tisch zurücklehnt und nochmals formuliert, er hätte es schön gefunden, auch über andere ideen zu sprechen. Er gibt seinen Widerstand erst auf, nachdem Hans explizit auf die Beziehungsprobleme innerhalb des studentischen Teams zu sprechen kommt und herausstellt, dass er sich mit diesen im Rahmen des Pitchings nicht befassen wird: HA: wir können imalso Ralf und ich können im augenblick keine HA: äh gruppentherapeutische gruppendynamische sitzung mit HA: euch machen und die mediatoren spielen * das können wir im HA: augenblick nicht * wir können jetzt nur anstoß geben für ein HA: ~brainstorming~ und Ralf hat vorgegeben lass uns noch mal HA: nachdenken ob wir für den Bernd- […] Nachdem Cornelius' Alternatividee von der Gruppe abgewählt ist und Hans Cornelius' Einsatz für alternative Geschichten im Grunde als Teamproblem bzw. -konflikt bewertet (gruppentherapeutische gruppendynamische sitzung; mediatoren), beendet Cornelius seine Versuche, die Teamproblematik weiter als Thema zu bearbeiten. 4.5.2 Produktive Perspektivendivergenz im Team Die folgende Analyse aus einem Pitching für den 20-Minuten-Film ist ein deutlicher Kontrastfall zu Cornelius' Team. In dem Ausschnitt ist die Gruppe seit einer guten halben Stunde bei der Arbeit. Die Autorin hat sehr detailliert Analysen 251 gepitcht und beide Dozenten haben gleich begonnen, sich produktiv mit dem Stoff auseinanderzusetzten und die weitere Stoffentwicklung durch Fragen an das Team voranzutreiben. Thematisch geht es um eine Journalistin, die unter dem Druck steht, eine gute Story für ihren Sender zu produzieren. Sie soll eine Reportage in Anatolien drehen. Da sie dort jedoch keine „interessanten News“ produzieren kann, ergibt sich die spontane Idee, dass sie unschuldige Hirten dazu bewegt, sie als Geisel zu nehmen, um damit eine „brandheiße Story“ zu bekommen. Dies gelingt ihr, die Medienmaschinerie springt auf die Geschichte an und nach einiger Zeit bekommt sie Probleme, ihre inszenierte Geiselnahme wieder zu beenden. Im Rahmen der kritischen Auseinandersetzung der Dozenten mit der Geschichte formuliert Hans folgende Äußerung: # 20/ 02-04/ Journalistin HA: versteht ihr ich ich merke zwar ihr wollt erzählen dass HA: äh dass das mi/ das mittel fernsehen uns eine eine welt HA: vorgaukelt die mit der realen welt überhaupt nichts äh zu HA: tun hat und die an primitivste bedürfnisse von menschen HA: nach sensation schadenfreude und so weiter anknüpft Hans' Äußerung ist strukturell gesehen durch ein „Zwar-aber-Format“ zweiteilig angelegt. In dem einräumenden Teil, der mit zwar eingeleitet wird, formuliert er die Einschätzung, das Team wolle die Medienwelt kritisch beleuchten. Dies ist gleichsam die Message des Filmes, sein sozialbzw. medienkritischer Anspruch (dass das mi/ das mittel fernsehen uns eine welt vorgaukelt die mit der realen welt überhaupt nichts äh zu tun hat). Noch bevor Hans seinen zweiten Äußerungsteil formuliert, der im Rahmen der begonnenen Struktur den „Widerspruchsteil“ 203 der Äußerung enthalten würde, also mit großer Wahrscheinlichkeit eine Kritik an der Geschichte bzw. an Aspekten der Geschichte beinhaltet, setzt Vera zu einem Beitrag an: HA: |mhm| VE: da möchte |ich| kurz einhaken also das ist schon auch Vera kontextualisiert ihre Unterbrechung als kurz(es) einhaken. Damit markiert sie zum einen die begrenzte Dauer ihrer Initiative, zum anderen zeigt sie an, dass sie keine legitimierte, jedoch eine inhaltlich systematische Redeübernahme durchführt. Dies ist auf den ersten Blick unter den gegebenen hierarchischen Bedingungen erstaunlich, verweist jedoch zugleich auf die Qualität der gemeinsamen Stoffentwicklung. Die vorhergehende produktive gemeinsame Arbeit der Gruppe hat dazu geführt, dass die Dozenten nicht primär als 203 Zu „Einräumungs- und Widerspruchsformaten“ siehe beispielsweise Kallmeyer/ Schmitt (1991) oder Couper-Kuhlen/ Thompson (2000). Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 252 Lehrer agieren, sondern stark mit eigenen Ideen in die Geschichtsentwicklung involviert sind. Hierbei wird weitgehend auf die Verdeutlichung hierarchischer Strukturen verzichtet. Bereits als Vera ihre ersten beiden Wörter da möchte formuliert hat, gibt Hans ihr durch einen bejahenden Rückmelder (mhm) die Möglichkeit, fortzufahren. Die Notwendigkeit für Vera, an dieser Stelle einzuhaken, hängt mit ihrer Erfahrung aus den 5- und 10-Minuten-Pitchings zusammen. Sie kann antizipieren, um welchen Aspekt es in dem von Hans noch nicht formulierten „aber- Teil“ der zweiteiligen Äußerung gehen wird. Die Dozenten haben im Laufe der Ausbildung viel Wert darauf gelegt, zu verdeutlichen, dass sich die intendierte Botschaft eines Filmes nicht entfalten kann, wenn die entworfenen Charaktere sie nicht durch ihr Handeln hervortreten lassen. Der Zusammenhang zwischen dem Handeln der Charaktere und der Botschaft des Filmes liegt für Vera aufgrund ihrer Professionalisierung und Erfahrung mit den Lehrern nahe. Sie kommt im weiteren Verlauf explizit auf die Protagonistin zu sprechen. HA: |mhm| VE: da möchte |ich| kurz einhaken also das ist schon auch VE: unterschiedlich vertei“lt innerhalb der gruppe von uns VE: also mi“r steht nah und im vordergrund die geschichte VE: von dieser journali“stin Der medienkritische Fokus, also die Orientierung auf die relevante Botschaft der Geschichte, ist ihrer Darstellung nach unterschiedlich vertei“lt innerhalb der gruppe. Damit spricht Vera nun inhaltliche Positionen einzelner Teammitglieder an und spezifiziert ihre eigene als auf die Protagonistin ausgerichtet (mi“r steht nah und im vordergrund die geschichte von dieser journali“stin). Damit stellt sie der Einschätzung des Dozenten (ich merke ihr wollt erzählen [...] dass das mi/ das mittel fernsehen uns eine welt vorgaukelt die mit der realen welt überhaupt nichts äh zu tun hat) ihre Orientierung auf den handelnden Charakter entgegen. Diese Orientierung korrespondiert mit der von den Dozenten im Rahmen der Ausbildung immer wieder postulierten dramaturgischen Grundlage des character driven drama. Veras Fokus auf die journali“stin verdeutlicht ihre Orientierung an der Protagonistin als zentrale Antriebskraft des Dramas. Der Verweis auf andere Teammitglieder setzt im Kontext von Hans' vorhergehender Äußerung jedoch kontrastiv zum Fokus auf die Protagonistin auch die „Medien-Message“ relevant. Im Folgenden spezifiziert Vera die Teamaufteilung: Analysen 253 VE: ähm * das is auch so wenn wir äh entwickeln an der geschichte VE: dann vertritt manfred zum beispiel immer die den medien den VE: medienaspekt und ich den aspekt dieser frau“ also es ist jetzt VE: nicht so dass wir da nich von verschiedenen richtungen VE: draufgucken Manfred ist also derjenige im Team, der auf die Botschaft orientiert ist, während sie selbst die Protagonistin im Auge behält. Durch die anschließende gruppen-reflexive Ergänzung (also es ist jetzt nicht so dass wir da nich von verschiedenen richtungen draufgucken) stellt Vera diese Aufteilung innerhalb des Teams jedoch als produktiv dar. Anders als in Cornelius' Gruppe hat man nicht den Eindruck, das Team sei in irgendeiner personalen Konstellation ‘gespalten’. In Veras Äußerung kommt vielmehr zum Ausdruck, dass unterschiedliche Perspektiven, die Einzelne einbringen, als Ressource für das gemeinsame Entwickeln genutzt werden. Vera stellt jedoch nicht nur das Team als arbeitsteilig funktionierend dar, sondern auch sich als Autorin, als diejenige, die während der gemeinsamen Entwicklung den Fokus auf den Hauptcharakter relevant setzt. Damit ist im gegebenen Lehr-Lern-Kontext auch eine positive Selbstdarstellung verbunden. In Hinblick auf ihre Funktionsrolle als Entwicklerin des Drehbuches ist ihr Fokus auf die Protagonistin zentral. Eine positive Selbstdarstellung Einzelner hat im Teamkontext jedoch immer auch das Potenzial, andere Teammitglieder negativ(er) darzustellen. Da dieser Aspekt im gegebenen Fall Manfred betrifft, ist sein Verhalten während Veras Äußerung interessant: Manfred zeigt durch mehrfaches Nicken sein Einverständnis mit Veras Äußerung an. Zuerst nickt er, nachdem sie formuliert hat, dass sie gern einhaken würde. Damit unterstützt er ihre Initiative, die die Äußerungsprogression von Hans unterbricht. Ein weiteres Nicken erfolgt, nachdem Vera auf die journalistin zu sprechen kommt. VE: da möchte ich kurz einhaken #also das# ist schon auch K #MA NICKT# VE: unterschiedlich vertei“lt innerhalb der gruppe von uns VE: also mi“r steht nah und im vordergrund die geschichte VE: von dieser journali“stin #** ähm *# das is auch so wenn K #MA NICKT# Mit seinem Nicken symbolisiert Manfred nicht nur Zustimmung zu Veras Initiative, sondern zeigt seine Antizipation bezüglich ihres inhaltlichen Fokus auf die Journalistin. Dies kann ein erster latenter Hinweis auf die Richtigkeit von Veras Äußerung sein. Manfred kennt sie aus den vorangegangenen Team- Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 254 sitzungen als jemand, die auf die Journalistin orientiert ist und in diesem Sinne Hans' Einschätzung, die „Medienmessage“ sei allen Teammitgliedern besonders wichtig, nicht stehen lassen kann. Sein zweites Nicken, das erst nach der Formulierung ihres inhaltlich zentralen Aspektes platziert ist, untermauert die Richtigkeit und Wahrheit von Veras Äußerungen. Dies ist ein weiterer Unterschied zu Cornelius' Gruppe, in der die Teammitglieder teils explizit darum gestritten haben, wer die Unwahrheit spricht, Cornelius oder die anderen drei. Manfred nickt noch zwei weitere Male: VE: von dieser journali“stin ** ähm * #das is auch so wenn K #VE WENDET SICH ZU MA VE: wir äh #entwickeln an der# geschichte dann vertritt K # K #MA NICKT # VE: manfred zum beispiel immer die den medien den VE: medienaspekt und ich den aspekt dieser frau“ also es ist VE: jetzt nicht so dass wir da nich von verschiedenen VE: richtungen draufgucken K MA NICKT Manfreds Nicken erfolgt an systematischen Stellen im Interaktionsverlauf. Entweder sind dies Stellen, an denen semantisch deutlich oder antizipierbar ist, worauf Veras Äußerung hinausläuft, oder es geschieht dort, wo Vera sich mit einer deutlichen Kopfdrehung Manfred zuwendet. Hier kann sein Nicken die Orientierung von Vera auf ihn und das Reden über ihn ratifizieren: Er selbst schaut Vera nicht an, sondern nickt mit Blick auf dem Tisch. Bezüglich des Blickkontaktes innerhalb des Teams ist dies ein interessanter Ausschnitt. Abb. 57: Team v.l.n.r: Vera, Manfred, Olaf, Roland Analysen 255 Olaf und Roland, die beide am linken Tischrand und damit nicht direkt neben Vera sitzen, blicken sie von Zeit zu Zeit direkt an, dann wieder auf den Tisch, zurück zu ihr, zum Tisch und auch mal zu den Dozenten. 204 Alle drei Teammitglieder signalisieren, dass sie Veras Äußerungen aufmerksam verfolgen. Dies ist ein weiterer Aspekt, der mit Cornelius' Team kontrastiert. Während Lars sich bemühte, die Geschichte des Teams zu verteidigen, hat Cornelius durch starke Orientierung auf sich (Nägel säubern, Brille putzen, Muskeln dehnen) angezeigt, dass ihn Lars' Bemühungen nicht tangieren. Im Folgenden möchte ich noch einmal zur Betrachtung von Manfreds Nicken zurückkehren: Im Rahmen seiner körperlichen Aktivitäten gibt es eine längere Phase, in der er seine Bewegungen „einfriert“, nämlich als Vera namentlich auf ihn als Vertreter des medienaspekt(es) verweist. An dieser Stelle stimmt er ihr nicht durch Nicken zu, sondern bleibt völlig unbewegt. Dies kann damit zusammenhängen, dass im vorgängigen Kontext der medienaspekt eher der problematische Punkt ist und Vera gerade über ihre Abgrenzung zu diesem Aspekt eine positive Selbstdarstellung vornimmt. Wenn Manfred ihr hier durch Nicken beipflichten würde, würde er selbst aktiv dazu beitragen, sich im Kontrast zu Vera negativ darzustellen und sich als Angriffspunkt für Hans' Kritik anzubieten. Damit ist sein Verhalten eine situationssensitive Möglichkeit, mit der von Vera formulierten Teamdifferenzierung umzugehen. Er lässt jedoch die Positionierung, die damit einher geht, kommentarlos geschehen. Im weiteren Verlauf konkretisiert Vera ihre Sicht auf die Protagonistin und entwirft einzelne Handlungen im Rahmen der Geschichte, um die Journalistin zu charakterisieren, die in den Konflikt gerät, zwischen ihrem beruflichen Erfolg und der Menschlichkeit zu entscheiden. Nach kurzen weiteren Entwicklungsschritten, die von Ralf und Roland formuliert werden, ergreift anschließend Manfred das Wort und macht weitere Vorschläge. Interessant ist dabei, dass er seinen Fokus auf die Journalistin, also auf die Protagonistin legt (nicht auf den Medienaspekt! ) und dies an unterschiedlichen Stellen sehr deutlich markiert: 204 Olaf und Roland signalisieren über ihr körperliches Verhalten, dass sie aufmerksam zuhören und das Gehörte verarbeiten. Beide bewegen nachdenklich die Hände am Kinn oder an der Lippe. Sie nicken aber nie. Manfred hingegen sitzt direkt neben Vera. Er ist ihr zwar deutlich mit dem Kopf zugewandt, sein Blick bleibt jedoch während ihres gesamten Beitrages auf den Tisch gesenkt. Er schaut sie nicht an, signalisiert aber auf einer anderen Ebene seine Aufmerksamkeit: Er nickt. Das unterschiedliche Verhalten von Manfred einerseits und Olaf und Roland andererseits lässt sich auf ihre jeweilige Nähe bzw. Distanz zur aktuellen Sprecherin erklären. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 256 MA: +aber da waren einige von dem chara/ von der journalistin MA: aus am schluss ähm sie versteigt=s ja sie sie sie sie kann MA: nicht mehr mit dem leben was ständig aus dem gemacht wird MA: was hier aus i/ aus ihrem/ ihr/ ihr/ sie hat ja auch die MA: beziehung zu denen aufgenommen was denen passiert dass sie“ es MA: platzen lässt ist ja ne gute idee und das da war noch ei/ eine MA: weitere idee dass sie“ quasi auch diesem system den rücken MA: kehren muss am schluss und dass sie“ wieder da ist wo man am MA: anfang war Manfreds konkrete Formulierungen und Bezüge zeigen, dass er hier nicht als Vertreter des medianspekt(s) agiert, sondern die Journalistin in den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellt. Seine erste abgebrochene Formulierung, von dem chara, d.h. vom Charakter, die durch von der journalistin aus suspendiert und dadurch konkretisiert wird, verdeutlicht seinen Fokus auf die Protagonistin. Diese Perspektive wird durch den wiederholten und meist betonten Gebrauch des Pronomens sie manifest. In dem gegebenen Kontext ist Manfreds Äußerung eine Reaktion auf Veras positive Selbstpositionierung. Sie hat im Vergleich die „bessere Rolle“ im Hinblick auf ihre Orientierung an dem von den Dozenten vermittelten dramaturgischen Handwerkszeug eingenommen. Dem Verweis auf sich als Vertreter des medienaspekt (s) hatte Manfred zwar nicht widersprochen, durch seine statische Haltung hatte er ihn jedoch auch nicht explizit bestätigt. Mit seiner Äußerung macht er nun Vorschläge, die die Protagonistin betreffen und bewegt sich somit in dem Rahmen, den Vera in ihrer Darstellung der Teamaufteilung für sich beansprucht hatte. Hier verquickt Manfred quasi seine Kompetenzen und blickt auf beides: auf die medienkritische Message, für die er laut Vera steht und auf die handelnde Protagonistin. Dies verdeutlicht der folgende Äußerungsteil: MA: idee und das da war noch ei/ eine weitere idee dass MA: sie“ quasi auch diesem system den rücken kehren muss Die Protagonistin muss dem Mediensystem den Rücken kehren, das heißt also, die aktiv Handelnde überwindet die Zwänge der Medienmaschinerie. Wie hätte Manfred seine Perspektivenvielfalt und Orientierung auf die zentralen dramentheoretischen Grundlagen sowie der Medienmessage besser demonstrieren können? Analysen 257 4.5.3 Funktionsrollenbasiertes Teamwork Das Team befindet sich in folgendem 10-Minüter-Pitching in einer Phase szenischer Entwicklung. Zwei Studentinnen liefern Vorschläge, wobei es zu einem intensiven Austausch unter ihnen kommt, der sie als Dyade innerhalb der Arbeitsgruppe wahrnehmbar macht. Es handelt sich konkret um einen Ausschnitt, der - unter einer anderen Perspektive - schon in Kap. 4.4 bearbeitet wurde („Musiker“: kriegt er ihn oder kriegt er ihn nicht). In diesem Beispiel liegt jedoch der analytische Fokus auf einem Teammitglied außerhalb dieser Dyade: Roland. Abb. 58: Teamzusammensetzung Betrachtet man Rolands Verhalten während der Szenen-Entwicklung durch seine Kommilitoninnen, so sind seine Kopfbewegungen und sein Blickverhalten in spezifischer Weise auf das interaktive Geschehen abgestimmt: Er folgt immer deutlich verzögert den vollzogenen Sprecherwechseln, wobei er nicht übergangslos von einer Sprecherin zur anderen schaut, sondern zwischendurch kurze Blickphasen auf den Tisch einlegt. Die folgende Reihe von Schaubildern zeigt Rolands Verhalten während der laufenden Interaktionsentwicklung. Da er seine Körper- und Blickorientierung immer über längere Zeit ‘einfriert’, gibt im Folgenden jedes Bild (auf der rechten Seite) Rolands statische Position während der von seinen Gruppenmitgliedern produzierten Äußerungen (auf der linken Seite) wieder. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 258 # 10/ 02-04/ Musiker UL: am besten wär=s wenn UL: er an/ also mit dem UL: bass ist es ja nicht UL: so einfach zum beispiel UL: über mauern zu Abb. 59: RO blickt auf den Tisch UL: klettern oder an über Abb. 60: RO blickt zu UL UL: zäune rüber zu kommen UL: und er würde den bass UL: niemals loslassen SI: aber SI: der junge hat jetzt ne Abb. 61: RO blickt auf den Tisch SI: wahnsinnige macht * Rolands Blickveränderungen reagieren analytisch auf die inhaltliche Entwicklung. Er präsentiert sich als aufmerksam zuhörendes Teammitglied. Die Abbildung 59 zeigt Roland, der seinen Blick während der Äußerung von Ulla auf den Tisch gesenkt hat. Zwischendurch hebt er den Kopf in ihre Richtung und schaut, während sie an ihm vorbei zu Ralf blickt, kurz in ihr Gesicht (Abb. 60). Dies geschieht, während Ulla die Wörter (klettern oder an über) äußert. Gleich darauf senkt er den Blick zurück auf den Tisch (Abb. 61) und bleibt in dieser Haltung, d.h. er folgt nicht unmittelbar der weiteren Interaktionsentwicklung, bei der sich Silke im direkten Anschluss an Ulla als neue Sprecherin etabliert (aber der junge hat jetzt ne wahnsinnige macht). SI: er hat nämlich den SI: bass er hat das SI: liebesobjekt dieses SI: alten das heißt der SI: alte is Abb. 62: RO blickt zu SI Analysen 259 Erst nachdem Silke den ersten Teil ihrer Äußerung produziert hat, blickt Roland kurz in ihre Richtung (Abb. 62), um anschließend den Blick wieder zurück zum Tisch zu senken. Gesprächsorganisatorisch gesehen erfolgt Rolands Änderung der Blickrichtung im weiteren Verlauf systematisch ‘posttransitional’, also immer dann, wenn ein neuer Sprecher bereits die ersten Teile seiner Äußerung formuliert hat. 205 SI: erpressbar * der junge SI: könnte zum beispiel SI: sagen * äh *jetzt Abb. 63: RO blickt auf den Tisch SI: plakativ an=er brücke SI: stehen und sagen okay SI: entweder du hörst SI: mir jetzt zu oder der SI: bass fliegt |ins UL: |gut Abb. 64: RO blickt zu SI Der Wechsel des Blicks vom Tisch zur aktuellen Sprecherin und zurück setzt sich im Folgenden fort. Betrachtet man die Stellen in Silkes Äußerung, an denen Roland sich ihr zuwendet, sind es Erklärungen (er hat nämlich den bass; Abb. 62) oder exemplarische Ausgestaltungen der Szene ( plakativ an=ner brücke stehen ...; Abb. 64). In Abbildung 64 erfolgt sein Blick simultan mit einer deutlichen Geste (hochgehobene Hand) der Sprecherin. SI: wasser | UL: aber da|für muss er UL: ihn erstmal stellen ** UL: also er müsste *der mü/ UL: der müsste ihn Abb. 65: RO senkt seine Augen 205 Die Blickzuwendung kann in Gesprächen grundsätzlich an verschiedenen Stellen erfolgen. Neben der hier beschriebenen Variante z.B. auch ‘turn-antizipatorisch’, also bevor der nächste Turn verbalisiert wird, oder aber gleichzeitig mit der Turnübernahme, quasi ‘turngenau’. Zur Erarbeitung einer Koordinierungssystematik im Rahmen von Turn-Taking sind weitere Analysen nötig. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 260 In Abbildung 65 dreht Roland zwar seinen Kopf weiterhin in die Richtung der beiden Sprecherinnen, seinen Blick senkt er jedoch nach unten. Erinnert man sich an dieser Stelle daran, dass der Blick zu Ulla während ihres längeren Beitrags (Abb. 60) auch nur ausgesprochen kurz war, so kann der deutliche Verzicht auf dauerhafte Blickzuwendung zu Ulla auf eine mögliche Nähe-Distanz-Regulierung und deren Implikationen zurück zu führen sein: Die Person, die sehr nah zu ihm platziert ist, blickt er kürzer an als Personen, die in einiger Entfernung von ihm sitzen. RA: +ja moment UL: erreichen RA: aber dafür muss ich RA: auch wissen ob der RA: junge das wirklich RA: ernst Abb. 66: RO blickt auf den Tisch RA: meinen kö“nn|te in| UL: |>könnte<| RA: dem er das in dem RA: moment bin bin ich ja RA: völlig Abb. 67: RO blickt zu RA RA: orientierungslos an RA: der figur […] Abb. 68: RO blickt auf den Tisch Die letzten drei Bilder dieser Folge (Abb. 66-68) setzen das oben gezeigte Muster der ‘post-transitionalen’ Koordination und die anschließende Orientierung zum Tisch fort. Roland ist nun auf Ralf, den Dozenten, orientiert. Inhaltlich gesehen erfolgt seine Umorientierung, als Ralf auf die Glaubwürdigkeit von Silkes szenischer Idee zu sprechen kommt (dazu muss ich auch wissen ob er das wirklich ernst meinen kö“nnte). In Rolands Blickverhalten zeigt sich folgende Systematik: Jeder Blick zu einem aktuellen Sprecher wird von einem Blick auf den Tisch abgelöst. Erst danach erfolgt eine erneute Zuwendung. - Analysen 261 Die Blickorientierung zu einem neuen Sprecher erfolgt immer erst, nachdem dieser bereits erste Teile seiner Äußerung produziert hat (‘posttransitional’). Die Blickorganisation reagiert auf Exemplifizierungen ( SI : plakativ), deutliche Gesten sowie Äußerungen zentraler Kritikpunkte ( RA : ernst meinen). Der direkte Blickkontakt zu denjenigen, die weiter von Ralf weg sitzen, geschieht über längere Zeit, der zu Ulla, die direkt neben ihm sitzt, nur sehr kurz bzw. mit Kopfhinwendung und gleichzeitigem Augensenken. Das inhaltliche Alignment seines Blickverhaltens gibt Hinweise auf die Aspekte, die er wahrnimmt und auf die er reagiert, wobei die Art und Weise seiner körperlichen Ausrichtung auch als Verfahren einer Nähe-Distanz- Regulierung interpretiert werden kann. 206 Ein solches Verhalten ist nicht ausschließlich gesprächsorganisatorisch gegründet, es hat jedoch spezifische gesprächsorganisatorische Implikationen: Roland signalisiert, dass er sich nicht als Sprecher zur Verfügung stellt, denn er reagiert nicht turn-antizipatorisch (z.B. mit einer körperlichen Variante der „caveat speaker-Technik“) 207 und scheint außerdem immer wieder mit der Verarbeitung der Ideen anderer Gruppenmitglieder befasst. Er hält die Orientierung auf die wechselnden Sprecher nicht konstant während ihres gesamten Beitrags aufrecht, sondern schaut zwischenzeitlich immer wieder nachdenklich und konzentriert vor sich auf den Tisch. Dieses Verhalten ist eine Möglichkeit, den aktiven Studentinnen Folgendes zu verdeutlichen: Er enthält sich momentan zwar der verbalen Ideengenerierung, bezüglich ihrer Entwicklungsaktivitäten und Vorschläge ist er jedoch präsent, aufmerksam und damit in den gemeinsamen Arbeitsprozess involviert. Im weiteren Verlauf der szenischen Entwicklung zeigt Roland nicht nur Aufmerksamkeit an, sondern kommentiert die Vorschläge seiner Kommilitoninnen. Die Ausgestaltung der Verfolgungsszene lag bisher hauptsächlich bei Silke und Ulla. In einem längeren Beitrag zeigt Ulla diese Beziehung auch durch eine deutliche körperliche Zuwendung zu Silke und eine direkte Adressierung (weißt du was ich meine) an. Die beiden Studentinnen etablieren eine Interaktionsdyade innerhalb der Pitching-Gruppe. Inhaltlich wird die Ideenentwicklung, bei der Ulla versucht, zwei im Raum stehende Vorschläge zu verbinden, immer undurchsichtiger und die Referenzen auf die handelnden Personen immer unklarer. 206 Zu Auswirkungen körperlicher Nähe auf das Blickverhalten der Beteiligten siehe Tiittula (2007). 207 Siehe Jefferson (1993). - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 262 Abb. 69: Interaktionsdyade von Ulla und Silke Roland reagiert, nachdem er 27 Sekunden unbewegt war und vor sich auf den Tisch geschaut hat, mit deutlichen Anzeichen von Nicht-Verstehen, aber auch von Missfallen und Distanzierung: UL: #is der so in die enge getrieben dass er dass er äh K #RO BLICKT DIE GANZE ZEIT UNBEWEGT AUF DEN TISCH UL: handeln muss also und zwar nich se/ sondern dass er UL: sagt okay“ dann i/ ihm vorspielt *3* also vielleicht UL: is es in der verbi“ndung also vielleicht is es in UL: der verbindung dass er *1,5* sich gemeinsam #damit K #RO HEBT UL: runterschmeißt ** aber er müsste sich also […]# K HAND VOR DIE STIRN (Abb. 69) # Roland hebt, während Ulla damit sagt, seine rechte Hand vor die Stirn und blickt dabei angestrengt nachdenkend an die Decke. Dann löst er seine Hand, führt sie kurz vor die Augen, als wolle er durch das Ausblenden visueller Eindrücke seine Konzentrationsfähigkeit erhöhen und fährt sich anschließend durch das Haar. Danach bringt er die Hand weiter über den Kopf nach hinten, lässt sie kurz am Hinterkopf liegen und bewegt sie weiter Richtung Nacken. Er lehnt seinen Körper insgesamt weiter nach hinten und entfernt sich damit von dem Arbeitsgeschehen am Tisch. 208 208 Es ist in den Pitchings zu beobachten, dass die Arbeitsdynamik weitgehend mit der körperlichen Orientierung der Beteiligten synchronisiert ist. Diese Orientierung bildet sich u.a. in der Nähe-Distanz-Regulierung zum gemeinsamen Tisch ab. Der Tisch ist das Objekt, das die Teilnehmer verbindet und zugleich die „Gruppenmitte“ konstituiert. In Phasen engagierter Zusammenarbeit rücken die Beteiligten näher zusammen und stützen meist die Arme auf den Tisch und beugen den Oberkörper nach vorn in Richtung Tischmitte, den Kopf meist zu aktuellen Sprechern gedreht. Zurücklehnen vom Tisch und Körperöffnung (z.B. durch ausladende Positionierung der Arme hinter den Kopf) hat in den meisten Fällen Analysen 263 Abb. 70-74: Selbstberührungssequenz Die Selbstberührung sowie die Dehnung des Oberkörpers stehen im deutlichen Kontrast zu Rolands vorherigen minimalistischen Blickwechseln und haben potenziell Kommentar-Qualität. Simultan mit einer Nachfrage von Silke, die zeigt, dass auch sie Ullas Argumentation nicht mehr folgen kann ( SI fragt: der junge ↑ ), stellt Ralf, der Dozent, eine Frage: wo wollt ihr denn hin. Die Adressierung der Frage (ihr) ist in diesem Kontext mehrdeutig. Sie kann die Dyade Ulla-Silke adressieren, die im unmittelbaren Kontext mündlich aktiv war, sie kann jedoch auch an das gesamte studentische Team gerichtet sein und wäre dann der Versuch, wieder alle Studenten am Geschehen zu beteiligen. Roland wird nun selbst auch verbal aktiv, indem er die Frage des Dozenten zitiert: wo wollt ihr denn hin. Dabei wendet er sich körperlich Ulla und Silke zu. Auf den ersten Blick scheint sich Roland auf unmarkierte Weise an den Dozenten „anzuhängen“. Dies könnte für ihn als Teammitglied auf der Beziehungsebene problematisch werden, denn Ralfs Intervention ist didaktisch motiviert und hat damit spezifische Statusimplikationen. Im Kontrast zu Cornelius (Kap. 4.5.1) liegt die Interpretation einer Koalitionsbildung mit dem Dozenten hier jedoch nicht nahe. Roland hatte über sein erkennbares inhaltliches Interesse und das sichtbare Verfolgen der Interaktionsentwicklung schrittweise angezeigt, wie ihm die Vorschläge immer unklarer werden. Seine Frage hat in diesem Zusammenhang eine deutliche Motivierung, die zwar nicht unbedingt das Zitat-Format erklärt, jedoch inhaltlich für Rolands Aktivität spricht: Auch er - als Mitglied des studentischen Teams - versteht Ullas szenische Argumentation nicht und kämpft mit dem gleichen Verständnisproblem wie der Dozent. Noch während Roland seine Frage formuliert, dreht er seinen Kopf in Richtung der Dyade, belässt die rechte Hand jedoch weiterhin im Nacken und hält damit seine Distanzierungsgeste für die anderen präsent. Indem er als Teammitglied die Frage des Dozenten wiederholt, kommt es zu einer Reduktion auch mit einer Distanzierung vom aktuellen Arbeitsgeschehen oder von behandeltenen Inhalten zu tun. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 264 möglicher Adressaten. Waren in Ralfs Frage noch potenziell zwei Adressatenkreise angelegt, nämlich zum einen die Dyade und zum anderen das gesamte studentische Team, so schließt sich Roland nun durch eine explizite Selbstabwahl als möglicher Adressat aus: Er reicht Ralfs Frage an die Dyade weiter. Dies ist eine interaktive Technik, die Jefferson/ Schenkein (1978) als „Passing“ bezeichnet haben. Mittels Passing gibt Roland indirekt zu verstehen, dass Ralfs Frage nicht an ihn, sondern nur an seine beiden Teamkolleginnen gerichtet sein kann und fordert ihn indirekt auf, bei den beiden nachzufragen („you might ask you might ask them, I don't know“; ebd., S. 157). Das Passing ist somit gesprächsorganisato- “; ebd., S. 157). Das Passing ist somit gesprächsorganisatorisch implikativ. Es verweist außerdem retrospektiv auf seine vorherige mündliche Passivität während der Szenen-Gestaltung. Da er nicht aktiv in die Planung der Verfolgungsszene involviert war, kann er auch nichts zu deren Endpunkt sagen. Damit immunisiert er sich gleichsam gegen die in Ralfs Frage angelegte Kritik („Euer Ziel in der szenischen Argumentation ist nicht klar“). Dies führt jedoch nicht zu erkennbaren „Beziehungsproblemen“ mit den Studentinnen. Sehr sachorientiert stellt Silke im Anschluss an Ralfs und Rolands Frage die Grundlage und Intention ihrer szenischen Überlegungen dar und das Team arbeitet anschließend gemeinsam an der Geschichte weiter. Dieser Ausschnitt zeigt eine fortgeschrittene Professionalisierung des studentischen Teams, das über eine stabile Beziehungsgrundlage verfügt. Rolands Aktivität wird nicht auf der Beziehungsebene interpretiert, sondern als inhaltlich relevanter Kommentar behandelt. Dies ist auch möglich, weil Roland zuvor die Interaktionsentwicklung sehr aufmerksam verfolgt und signalisiert hat, dass für ihn die Vorschläge sukzessive unklarer werden. Sein Nichtverstehen ist der Endpunkt eines längeren Prozesses der Auseinandersetzung mit den Ideen der Kommilitoninnen und als solcher primär inhaltlich fundiert. 4.5.4 Zusammenfassung Das Pitching ist ein Interaktionstyp, für den konkurrierende Ansätze und Ideen der Teammitglieder konstitutiv sind. Unterschiedliche Perspektiven und auch Meinungsverschiedenheiten sind organisationsstrukturell aufgrund der Zusammensetzung der Teams induziert: Die Teams für die 5- und 10-Minüter werden per Losentscheid konstituiert, nur bei den 20-Minütern können die Studierenden ihr Team selbst zusammenstellen. Dies führt dazu, dass gerade zu Beginn der Ausbildung, wenn die Studierenden am wenigsten Erfahrung mit den komplexen Aufgaben Pitchen und Stoffentwicklung haben und zudem noch nicht mit den Dozenten und deren Arbeitsweise, Präferenzen sowie Bewertungskriterien vertraut sind, die schwierigsten gruppendynamischen Bedingungen herrschen. Analysen 265 Bei den 5-Minütern führt die Anstrengung, die komplexen unterschiedlichen Anforderungen zu bearbeiten, oft zu manifesten Irritationen im Team. Es kommt häufig vor, dass die Einschätzungen der Teammitglieder hinsichtlich der Qualität der vor dem Pitching gemeinsam entwickelten Geschichte weit auseinander gehen. Solche unterschiedlichen Einschätzungen führen zwangsläufig dazu, dass nicht alle ihre Interessen durchsetzen können. Dies ist oft mit einer persönlichen Betroffenheit oder Verletztheit einzelner verbunden, die sich von ihrem Team nicht fair behandelt fühlen. Für die gemeinsame Arbeit mit den Dozenten führen vorgängige Teamprobleme zu einem Dilemma, da die Studierenden zugleich einem gewissen ‘Loyalitätszwang’ ihrem Team gegenüber unterworfen sind: Die Dozenten machen explizit klar, dass sie sich nicht mit Teamproblemen auseinandersetzen, sondern ausschließlich auf die gemeinsame Arbeit fokussiert sind. Eine solche Arbeitsorientierung verbietet es den Studierenden, Teamprobleme explizit zu kommunizieren und sich explizit von der gemeinsamen Geschichte zu distanzieren. Viele Studierende können - besonders bei den 5-Minüter-Pitchings - unter den gegebenen gruppendynamischen Konstellationen jedoch keine Arbeitsorientierung einnehmen bzw. aufrechterhalten. Sie demonstrieren dann ihre Distanzierung vom Team und von der Geschichte nicht durch verbale Thematisierungen, sondern indem sie ihre individuelle Haltung auf anderen Modalitätsebenen ausdrücken, beispielsweise durch mimische und gestische Kommentare, wie Grinsen, Nicken etc., mit denen sie beispielsweise eine Koalition mit den Dozenten bilden, während diese die Geschichte des Teams massiv kritisieren. Solche individuellen Relevanzen, die die eigene Position im Kontrast zur Teamposition ausdrücken, kollidieren meist mit der Arbeitsorientierung. Sie verhindern die Konzentration auf die gemeinsame Arbeit und hemmen dadurch den Prozess der Stoffentwicklung. Ausgeprägte Formen einer Individualorientierung kommen bei den 10-Minüter-Pitchings nur noch selten vor. Die Studierenden können nach der ersten Pitching-Staffel ihre Aufgaben besser einschätzen. Daher sind die Relevanzen der einzelnen Studierenden bei der vorgängigen Geschichtsentwicklung ähnlicher. Die Teams kommen selten mit massiven Problemen in das Pitching. Dies führt dazu, dass während der Stoffentwicklung im Pitching selbst kritische Anmerkungen, Fragen und Reflexionen einzelner Teammitglieder nicht zu Beziehungsirritationen im Team führen, sondern als produktive Ressource für die kreative Entwicklungsarbeit gesehen werden. Reaktionen auf kritische Anmerkungen sind daher meist sachbezogen und tangieren nicht die Beziehung. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 266 Bei den 20-Minütern, also wenn die Professionalisierung der Teams schon weit fortgeschritten ist und sich die Studierenden zudem eigenständig zu einem Team zusammengeschlossen haben, sieht man kaum individuelle Relevanzen, die den Teamzusammenhalt gefährden können. Eine spezifische Art der Individualorientierung drückt sich hier vielmehr als positive Selbstdarstellung aus, die nicht auf Kosten anderer Kommilitonen geht. Zudem ist eine ausgeprägte Funktionsrollenorientierung erkennbar: Bestimmte Verhaltensweisen werden als Ausübung der Funktionsrolle sichtbar und auch von den übrigen Beteiligten als solche interpretiert, z.B. wenn primär Regie- und Drehbuchstudent(inn)en Vorschläge für die Entwicklung des Charakters machen und dabei Kamerastudent(inn)en auf bildlich interessante Settings achten oder Produktionsstudent(inn)en den Entwicklungsprozess kritisch reflektieren. Insgesamt gilt für alle Pitching-Staffeln, dass die Dozenten das gemeinsame Tun primär auf der Grundlage einer ausgeprägten Arbeitsorientierung definieren, die einen klaren Fokus etabliert: die sachbezogene Konzentration auf die Entwicklung der Geschichte. Alle anderen Orientierungen und Relevanzen müssen dieser Arbeitsorientierung untergeordnet werden. Dies ist der Grund, weshalb gerade bei der Frage nach der Teamarbeit primär die Beteiligten in den analytischen Fokus rücken, die sich nicht oder kaum mündlich beteiligen. Die Arbeitsorientierung verlangt, dass sie andere Relevanzen weitgehend implizit ausdrücken. Dieses nonverbale Verhalten hat jedoch im Rahmen des Teamworks wesentliche Implikationen für den Fortgang der inhaltlichen Arbeit und für die Kooperationsgrundlage des Teams. 4.6 Zusammenarbeit der Dozenten Die Zusammenarbeit der Dozenten wurde in den vorangegangenen Kapiteln mehrfach berührt, auch wenn der Analysefokus nicht darauf ausgerichtet war. Dieses Kapitel stellt zunächst synoptisch die Aspekte dar, die sich bei der Untersuchung der handlungsschematisch für das Pitching konstitutiven Phasen im Kontext der dozentenseitigen Zusammenarbeit ergeben haben. In Analogie zum Aufbau des Analysekapitels dieser Arbeit werden zuerst die Ergebnisse aus der Phase der Situationseröffnung präsentiert, dann aus der Phase der Pitch-Präsentation bzw. dem Reden über den Pitch und letztlich aus der Phase der Stoffentwicklung sowie der dramentheoretischen Vermittlung. Anschließend werden zwei Sequenzanalysen durchgeführt, die die Spezifik der dozentenseitigen Zusammenarbeit detailliert aufzeigen. In der ersten Analyse reagieren beide Dozenten nacheinander kritisch, aber unterschiedlich auf Analysen 267 ein studentisches Defizit in der Pitch-Phase. Der Ausschnitt ist prototypisch hinsichtlich der Unterschiedlichkeit beider Lehrer im Kontext der Problemthematisierung (siehe Kap. 4.6.2). Die zweite Analyse ist ein Ausnahmenfall. Sie zeigt die Bearbeitung eines Dissens zwischen den Dozenten, der während der Stoffentwicklung aufgrund unterschiedlicher didaktischer Präferenzen entsteht (siehe Kap. 4.6.3). Beide Beispiele verweisen auf eine dozentenseitige Arbeitsteilung, die auf zwei Ebenen differenziert werden kann. Zum einen können klare Zuständigkeiten für unterschiedliche Aufgaben konturiert werden (z.B. ist Ralf immer zuständig für die Eröffnung des Pitchings), zum anderen existieren viele Situationen, in denen beide Dozenten nacheinander vergleichbare Aktivitäten durchführen, diese jedoch unterschiedliche didaktische Funktionen haben (z.B. das Aufzeigen eines inhaltlichen Fehlers vs. die grundsätzliche Demonstration erwünschter bzw. unerwünschter Verhaltensweisen im Pitching (‘Einsozialisieren’)). Die Zusammenarbeit der Dozenten basiert auf einer grundlegenden Übereinstimmung hinsichtlich ihres dramaturgischen Verständnisses. In keiner der dokumentierten Pitching-Sitzungen kommt es zu Auseinandersetzungen oder Irritationen hinsichtlich zentraler dramaturgischer Fragen. Lediglich Glaubwürdigkeitsthematisierungen oder unterschiedliche Präferenzen beim Vorliegen mehrerer Alternativvorschläge werden als für die Geschichtsentwicklung produktive Ressource sichtbar, jedoch selten thematisiert und verhandelt. Hans bezieht sich in einem Pitching scherzend-spielerisch auf die Relevanz von Konflikten: wie ralf mal gesagt hat * wir lieben konflikte. 209 Die Affinität zu Konflikten verweist dabei auf die dramaturgische Grundlage, für die ein Held, der in einen Konflikt gerät, die antreibende Kraft der Geschichte ist. Außerdem bezieht sie sich auf die Produktivität der teils unterschiedlichen Blickwinkel und Erfahrungen, auf die die Dozenten bei der konkreten inhaltlichen Entwicklungsarbeit zurückgreifen, ohne dass - wie bereits ausgeführt - die dramaturgische Basis hiervon tangiert wird. Beide Dozenten stimmen vollkommen in ihrer Orientierung überein, was die Studierenden in Hinblick auf die Dramentheorie während ihrer Ausbildung bei der Entwicklung einer Geschichte lernen sollen. 209 Beide Dozenten agieren - wie im Folgenden mehrfach sichtbar werden wird - mit starkem Bezug aufeinander; auch, indem sie sich beispielsweise gegenseitig zitieren. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 268 Dies formuliert Hans in einem 5-Minüter-Pitching explizit (Ralf und ich in unterschiedlichen * funktionen manchmal zusammen wie hier und manchmal uns auch widersprechend * wollen ihnen handwerkszeug beibringen). Das Zitat verweist auf drei relevante Aspekte. Erstens ist es der gemeinsame Wille, handwerkszeug zu vermitteln. Sowohl in ihrem Vermittlungsanspruch, als auch bezüglich der zu vermittelnden Inhalte agieren die Dozenten zusammen. Beide verhalten sich hierbei hochgradig professionell und sind hinsichtlich ihrer handwerklichen Relevanzen und Qualitätseinschätzungen in hohem Maße miteinander konform. Ihre jeweilige formale Funktionsrolle im Filmstudium als Leiter der Drehbuchklasse (= Ralf) bzw. Leiter der Regieklasse (= Hans) schlägt sich im Pitching nicht in einer rollenbasierten Arbeitsteilung nieder. Beide übernehmen an den Stellen, an denen es die Stoffentwicklung verlangt, sowohl die Perspektive eines Autoren, als auch die eines Regisseurs. Zudem können sie auch professionell auf Probleme im Bereich von Produktion und Kamera eingehen. In diesem Sinne zeichnen sie sich als multiperspektivisch agierende Profis aus, die sich als Experten nicht explizit wechselseitig voneinander abgrenzen und nicht miteinander konkurrieren. Zweitens verweist das Zitat auf die oben beschriebenen produktiven inhaltlichen Differenzen (manchmal uns auch widersprechend ), die die Stoffentwicklung konstruktiv voranbringen. Drittens - und dies ist der zentrale Aspekt der dozentenseitigen Arbeitsteilung - zeigen sich die unterschiedlichen funktionen im Rahmen der Vermittlungsaktivitäten (handwerkszeug beibringen). Bezüglich ihrer didaktischen Präferenzen, Einschätzungen und Vorgehensweisen differieren beide Dozenten erkennbar. Dies manifestiert sich an unterschiedlichen Stellen im Pitching- Verlauf immer wieder. Diese Unterschiedlichkeit drückt sich auch in der Beziehungsdefinition zu den Studierenden aus, die die Dozenten in einem 5-Minüter-Pitching selbst thematisieren: # 05/ 02-04/ Bernd RA: ähm * bei mir sind wir per du ** also ** HA: ich bin RA: |auf dieser seite des tisches| HA: |eine eine generation | älter ich sieze sie und ** HA: sie siezen mich↓ Analysen 269 Ralfs Verweis auf die seite des tisches ist eine strukturreflexive Beschreibung, bei der die Sitzplatzverteilung am Tisch die Beziehungsdefinitionen symbolisiert. Ralf, der auch aufgrund seines Platzes räumlich näher an den Studierenden sitzt, duzt diese, Hans, der weiter von ihnen entfernt ist, siezt sie. Genau wie die Beziehungsdefinition, die sich sprachlich durch die Verwendung der Anredepronomina „du“ und „Sie“ ausdrückt, in allen Pitchings konstant bleibt, verändert sich auch die Sitzplatzverteilung der Dozenten nicht. Die Dozenten sitzen immer nebeneinander, aus der Kameraperspektive sitzt Hans vor Ralf und Ralf damit näher an den Studierenden. Abb. 75: Sitzplätze der Dozenten (Ralf am Tisch, Hans mit Hand vor dem Gesicht) Das Nähe-Distanz-Verhältnis zu den Studierenden schlägt sich, wie die folgenden Darstellungen zeigen werden, auch in der konkreten Arbeitsteilung der Dozenten und in ihrer Vermittlungspraxis nieder. Die Arbeitsteilung ist jedoch nicht vorgängig formal definiert, beispielsweise indem die Dozenten klare Zuständigkeiten für unterschiedliche Anforderungen im Pitching festgelegt hätten, sondern sie ergibt sich im jeweiligen Handlungsvollzug. Hans formuliert dies wie folgt: und wir ham auch eine arbeitsteilung * die werden sie sodie is nicht ähm ganz genau zu definieren aber sie werden die auch ähm erleben. Den Studierenden wird kein reflexivtheoretisches und formalisiertes Konzept von Arbeitsteilung angeboten. Dies ist eine weitere „erschwerte Bedingung“ 210 im Kontext des Pitchings, die als 210 „Erschwerte Bedingungen“ finden sich auf unterschiedlichen Ebenen im Pitching. Die inhaltlich-dramaturgische Arbeit wird durch zusätzliche Bedingungen, die die Studierenden berücksichtigen müssen, erschwert (siehe Kap. 4.4). Die Zusammenarbeit der Teams wird durch die Relevanz unterschiedlicher konstitutiver Orientierungen verkompliziert (siehe Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 270 Komplexitätsbedingung charakterisiert werden kann: Die Studierenden werden mit zwei sehr unterschiedlichen Lehrern konfrontiert, die teilweise sehr unterschiedlich im Dienste derselben Sache agieren, und müssen sich flexibel auf beide gleichermaßen einstellen. Wie die Zusammenarbeit im konkreten Handlungsvollzug genau realisiert wird, zeigen die folgenden Analysen. 4.6.1 Aspekte der Zusammenarbeit Die folgenden Teilkapitel stellen die Zusammenarbeit der Dozenten im Rahmen unterschiedlicher Anforderungen dar. Hierbei werden zwar auch Aspekte berücksichtigt, die beide Dozenten ohne erkennbare Unterschiede und ohne spezifische Zuständigkeiten durchführen, insbesondere rückt jedoch die sich im Verhalten der Dozenten abbildende Arbeitsteilung in den Fokus. 4.6.1.1 Zusammenarbeit bei der Eröffnung und der Voraussetzungsklärung Die offizielle Eröffnung der Pitchings ist die am deutlichsten formalisierte Phase des gesamten Ereignisses. Dort findet nach der Sitzplatzwahl, welche meist von Smalltalk begleitet wird, die dozentenseitige Begrüßung der Studierenden und damit die offizielle Eröffnung der Arbeitssitzung statt (guten morgen; herzlich willkommen zur zweiten runde; wir freuen uns dass ihr da seid und wir freuen uns über eine schöne geschichte von euch). Die Begrüßung wird immer von Ralf durchgeführt. Auch für erste Fragen nach der Arbeitsweise und dem Vorgehen des Teams ist ausschließlich Ralf zuständig (äh erzählt uns doch mal bitte wo ihr steht als team ↓ * wie- * ihr- * gearbeitet habt ↑ ; ja ** erzählt uns bitte kurz wie ihr wie der stand bei euch im team ist). Die Überleitung zur inhaltlichen Arbeit, zur Präsentation des Pitches, wird ebenfalls von Ralf vorgegeben (dann bitte schön ↓ ; am besten fangt ihr gleich an ** ne ↑ ; wir machen=s am besten so dass ihr ihr entscheidet mal zunächst wer von euch vorträgt). Die Entscheidung über das formal-strukturelle Vorgehen, darüber, wann die drei für die Eröffnungsphase konstitutiven Strukturelemente (Begrüßung, Voraussetzungsklärung, Aufforderung zum Pitchen) platziert werden, liegt ausschließlich in Ralfs Händen. Wann und wie die drei Strukturelemente platziert Kap. 4.5) und auch die Arbeitsteilung der Dozenten bringt für die Studierenden zusätzliche Komplikationen mit sich (s.o). Analysen 271 werden, hängt dabei entscheidend von den interaktiven Verhaltensweisen der Studierenden ab. Ralf nutzt die Eröffnungsphasen erkennbar auch zum Warm- Warming-Up und zur ‘Beziehungspflege’ mit den Studierenden. und zur ‘Beziehungspflege’ mit den Studierenden. Hans beteiligt sich in dieser Phase - wenn überhaupt - primär mit lakonischen Einwürfen, die Kommentarqualität haben. Beispielsweise als die Studierenden berichten, sie seien sich hinsichtlich ihrer Geschichte nicht einig, kommentiert er dies mit den Worten das=is nicht unnormal oder als sie positiv über die Präsentation ihrer 5-Minutenfilme im Kino berichten, wirft Hans war ja auch family und friends ein. Hans' Einwürfe tragen oft dazu bei, Einschät- ' Einwürfe tragen oft dazu bei, Einschät- Einwürfe tragen oft dazu bei, Einschätzungen und Bewertungen von Studierenden in ihrer Relevanz zurückzustufen oder diese bezogen auf Relevanzen der Ausbildung zu ‘normalisieren’. In den wenigen Fällen, in denen Hans schon in der Eröffnungsphase aktiv ist und auf die Äußerungen der Studierenden eingeht, kann es auch dazu kommen, dass er den Übergang zum Pitchen initiiert: HA: wer fährt |wer f/ wer fährt los | RA: |erzählt uns mal die geschichte| Beide Dozentenäußerungen, die zur Situationsstrukturierung beitragen, überlappen sich hier. Insgesamt ist die Arbeitsteilung der Dozenten von einer großen Übereinstimmung hinsichtlich ihrer Einschätzungen geprägt, was aktuell bzw. als nächstes am besten zu tun ist. Im gesamten Pitchingverlauf zeigen sich solche äquivalenten Orientierungen des Dozenten-Tandems immer wieder. 4.6.1.2 Zusammenarbeit beim Pitchen Auf die studentenseitige Präsentation des Pitches reagieren immer beide Dozenten im unmittelbaren Anschluss mit einer ersten Einschätzung, Frage oder Problematisierung. Wer von ihnen anfängt, ist unterschiedlich und folgt keiner erkennbaren Logik. Zuerst setzen sich die Studierenden mit der ersten dozentenseitigen Reaktion auseinander, anschließend wird der zweite Dozent aktiv und die Studierenden befassen sich mit den von ihm eingebrachten Aspekten. Der Übergang vom Pitchen zur Stoffentwicklung vollzieht sich dabei fließend, ohne dass von Dozentenseite explizite Aktivitäten der Situationsstrukturierung durchgeführt werden. Bei den 5-Minüter-Pitchings, bei denen noch nicht mündlich gepitcht wird, sondern zuvor ein schriftlicher Pitch bei den Dozenten eingereicht wurde (siehe Kap. 4.3), kommt es auf Dozentenseite oft zu Verhaltensweisen, die als Form der Einsozialisierung rekonstruiert werden können. Diese werden ausschließlich von Hans durchgeführt. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 272 Ausgelöst werden Einsozialisierungsaktivitäten meist durch inhaltliche Kritikpunkte. Die Beschäftigung mit diesen führt zu einer Demonstration dessen, wie sich die Studierenden in der Pitching-Situation oder im Umgang mit ihrer Aufgabe professionell verhalten sollen. Hans stellt oft explizite Verhaltensregeln auf (ich will nicht dass sie mir erzählen ...), die meist unmittelbar mit ihm als Person in Zusammenhang stehen (ich will, ich sage, ich denke). Wenn Studierende eigeninitiativ Vorschläge zur Strukturierung des Ereignisses machen, wenn sie beispielsweise von der Darstellung ihrer vorgängigen Teamarbeit zu der Beschäftigung mit ihrem Pitch überleiten, wird dies von Ralf eher akzeptiert als von Hans. Dieser gibt den Studierenden immer sehr klar vor, welche Aktivitäten wann bearbeitet werden müssen. Bei gravierenden Fehlern der Studierenden reagieren grundsätzlich beide Dozenten mit eigenen Beiträgen. Hier zeigt sich die weitreichende Übereinstimmung hinsichtlich ihrer Qualitätseinschätzungen. Während Ralf primär inhaltsbezogen reagiert, ist bei Hans neben seiner Inhaltsorientierung vielfach die oben beschriebene grundsätzliche Verpflichtung der Studierenden auf professionelle Standards sichtbar, die sich in Formen der Einsozialisierung ausdrückt. Ein solcher Fall wird im Beispiel 4.6.2. detailliert beschrieben. 4.6.1.3 Zusammenarbeit bei der Stoffentwicklung An den Basisoperationen der Stoffentwicklung 211 beteiligen sich beide Dozenten gleichermaßen und leiten durch gezielte Fragen die Studierenden zur Genese einzelner Entwicklungsschritte an. Sie initiieren szenische Konstruktionen bzw. Ausgestaltungen und portionieren dadurch die Entwicklungsarbeit, sie problematisieren Vorschläge der Studierenden und beteiligen sich selbst intensiv mit eigenen Ideen. Beide Dozenten sind hier in ihren Zuständigkeiten und Beteiligungsweisen weitgehend vergleichbar. Im Rahmen der Platzierung eigener Ideen bei der szenischen Ausgestaltung präferieren die Dozenten jedoch unterschiedliche Vorgehensweisen. Hans verwendet häufig enaktierende Verfahren, bei denen er aus der Perspektive der Filmcharaktere deren Handeln - auch unter Einsatz direkter Rede - vorspielt (wie bitte wie hier auf=m hof ). Ralf verwendet eher Verfahren der beschreibenden Situationsdetaillierung („jetzt macht er dies, jetzt das“). 211 Zu den Basisoperationen der Stoffentwicklung gehören drei Aspekte: szenische Konstruktion (= Entwurf von Elementen, die strukturell in der Szene vorkommen müssen), szenische Ausgestaltung (= weitgehende inszenierende Konkretisierung des Handelns der Akteure) und Bedingungsabgleich (= Frage nach Konsistenz, Glaubwürdigkeit der Vorschläge); vgl. Kap. 4.4. Analysen 273 Ihre intensive Zusammenarbeit bietet für beide Dozenten Gelegenheiten, phasenweise kurz die interaktive Präsenz einzuschränken und sich zurückzuziehen, während der jeweils andere aktiv mit den Studierenden weiterarbeitet. Bei Ralf kann man Phasen beobachten, in denen er intensiv und konzentriert schreibt, bei Hans sieht man neben Schreibaktivitäten auch Haltungen, in denen er regungslos auf seinem Stuhl sitzt und eine Hand an die Stirn hält, als denke er intensiv nach. Dass beide Dozenten in diesen Phasen weiter an dem aktuellen Interaktionsgeschehen partizipieren, wird deutlich, wenn sie von einer Sekunde zur nächsten wieder sprachlich aktiv werden und eigene Ideen oder Problematisierungen systematisch platzieren. Auf gravierende studentische Fehler während der Entwicklungsarbeit reagieren die Dozenten unterschiedlich: Ralf, indem er anhand der studentischen Geschichte das Problem exemplifiziert, Hans, indem er das Problem grundsätzlich anhand der Dramentheorie erörtert und die Vermittlung anhand bekannter Klassiker (Hamlet, Romeo & Julia etc.) vornimmt. In Kap. 4.4 wurden drei zentrale Problemtypen identifiziert, die Hans zu den Vermittlungsdiskursen veranlassen. Erstens das Umsetzungsproblem, bei dem die Studierenden bestimmte dramaturgische Prinzipien theoretisch kennen, jedoch praktisch bei der Stoffentwicklung nicht anwenden können, zweitens das Wissensproblem, bei dem defizitäre Vorschläge daraus resultieren, dass die Studierenden bestimmte Grundlagen nicht kennen und daher nicht berücksichtigen und drittens das Relevanzproblem, bei dem die Studierenden dramaturgische Grundlagen zwar kennen, sie jedoch aufgrund eigener Relevanzen nicht anwenden. Nach einer meist anhand von mehreren Fragen eingeleiteten Problemdiagnose gestaltet Hans den Vermittlungsdiskurs, der sich je nach Problemspezifik über mehrere Minuten bis zu einer Viertelstunde erstrecken kann und der die Studierenden meist zu passiven Zuhörern oder aber zu Prüflingen macht, die Fragen zu bestimmten Klassikern beantworten müssen. Ein Spezifikum von Hans' Lehre ist sein starker Rückbezug auf relevantes ' Lehre ist sein starker Rückbezug auf relevantes Lehre ist sein starker Rückbezug auf relevantes Allgemeinwissen. Im Kontext der Dramaturgie ist dies der Abgleich von aktuellen Entwicklungsfragen der studentischen Geschichte mit den erwähnten dramaturgischen Klassikern. Im Bereich der Backstoryentwicklung doziert Hans des Öfteren über „archaische menschliche Verhaltensmuster“, die den Handlungen der Filmcharaktere zu Grunde liegen. Hierbei kommt es ebenfalls zu längeren monologischen Ausführungen und Reflexionen über das Leben von Sippen, über Sexualverhalten, Männer- und Frauenrollen usw. Hans verdeutlicht in allen Pitchings mehrfach, dass er die Geschichtenentwicklung auch unter Rückbezug auf wissenschaftliche Erkenntnisse der Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 274 Literaturwissenschaft, Anthropologie, Biologie etc. reflektiert und dass Allgemeinbildung in unterschiedlichen Funktionen eine wichtige Ressource bei der Entwicklung der Geschichte darstellt. Solche Vermittlungsdiskurse werden von Ralf nicht durchgeführt. Er bleibt auch in seinen didaktischen Interventionen immer nah an der studentischen Geschichte und bewegt sich in seinen Erklärungen meist exemplarisch im Kontext des bisher Entworfenen. Es kommt daher oft vor, dass er es ist, der die Rückführung von Phasen dramentheoretischer Vermittlung oder der Reflexion archaischer Muster zur Arbeit an der studentischen Geschichte organisiert. Beide Dozenten ergänzen sich bei der Stoffentwicklung in ihrer Arbeitsteilung: Hans als ‘Hüter der Dramentheorie’, der das grundlegende Verständnis anhand von Klassikern der Weltliteratur absichert, sowie als ‘Vermittler anthropologischer Erkenntnisse’, die dazu beitragen, Filmcharaktere authentisch zu modellieren; Ralf als ‘Interaktionsmanager’, der die Anbindung an die studentische Geschichte überwacht und zu ausgiebigen Reflexionen seines Kollegen Einhalt gebietet. 4.6.2 Zusammenarbeit bei der Reaktion auf gravierende Fehler Das folgende Beispiel aus einem 5-Minüter-Pitching zeigt die Reaktionen beider Dozenten auf das Vorliegen eines gravierenden studentischen Fehlers. Die Gruppe hatte den Dozenten als Vorbereitung auf das Pitching nicht einen wenige Zeilen umfassenden Pitch als Kurzzusammenfassung ihrer Geschichte abgeliefert, sondern gleich ein komplettes Drehbuch verfasst. Die Dozenten würdigen nicht die zusätzliche immense Arbeit des Autoren bei der Erstellung des Drehbuches, sondern evaluieren seine Aktivitäten negativ als nicht korrekte Bearbeitung der gestellten Aufgabe. Ralf ist der erste, der sich mit dem Verfahrensfehler befasst, indem er die Abgabe des Drehbuches implizit und allgemein bewertet: # 05/ 02-04/ Bernd RA: ich meine was was * was ist ein ~pitch~↓ ** ein ~pitch~ RA: ist die kunst einen filmstoff in zentralen aspekten RA: so kurz zu fassen dass jemand lust kriegt den entwickeln RA: zu la“ssen ** >ein entscheidungsträger jemand der geld RA: hat< * oder wie auch immer und äh ein ~pitch~ ist RA: sicherlich nicht etwas wo man menschen zwingt viele seiten RA: zu lesen die sie nich lesen wollen *2* insofern ist der RA: ansatz hier * nich ganz * richtig sagen wir mal * ja↑ *2* Analysen 275 Ralf beginnt - eingeleitet durch eine rhetorische Frage (ich meine was was * was ist ein ~pitch~ ↓ ) - mit einer allgemeinen Definition von „Pitch“ (ein pitch ist ...). In deutlich paralleler Formulierungsweise folgt anschließend eine Negativdefinition (ein pitch ist sicherlich nicht ...). Die Allgemeingültigkeit seiner beiden Definitionen kommt durch die Wahl der Begrifflichkeit zum Ausdruck: Ralfs Formulierung wo man menschen zwingt kann nur sehr implizit auf die konkrete Situation bezogen werden. Der Gebrauch der Personalreferenz man lässt die Teammitglieder ebenso außen vor wie die Referenz menschen ihn selbst und seinen Kollegen außen vor lässt. Erst im Anschluss an die allgemeingültigen Definitionen kommt er auf den konkret vorliegenden Fall zu sprechen, wobei auch hier noch eine sehr allgemeine Terminologie bestimmend ist (der ansatz). RA: insofern ist der ansatz hier * nich ganz * richtig sagen wir RA: mal * ja↑ *2* Obwohl klar ist, dass die studentische Vorarbeit den Dozentenerwartungen nicht entspricht und die Bewertung nur deutlich negativ ausfallen kann, wird eine explizite Formulierung dessen vermieden (z.B. „Es war falsch, gleich ein komplettes Drehbuch abzugeben“). Dies zeigt sich auch in der am Ende seiner Äußerung nachgeschobenen Modalisierung sagen wir mal. Ralf verweist hierbei nicht auf sich selbst als konkreten Sprecher, sondern benutzt eine kollektive Referenz (wir), um den Agenten der Äußerung zu kennzeichnen. Zunächst entsteht eine Pause von zwei Sekunden. Niemand von den Studierenden versucht sich als Sprecher zu etablieren, um eventuell auf die Kritik des Dozenten zu reagieren. Hans beendet die Pause mit einer Äußerung, die an dieser Stelle aufgrund der Anschlussimplikationen des vorgängigen Dozentenbeitrags nicht unbedingt erwartbar ist: HA: ich der ich per sie bin mit ihnen sage * thema * verfehlt Das Interessante an dieser Äußerung ist ihre inhärente Kontrastivität zu der Bewertung des ersten Dozenten. Sie ist so deutlich, dass sie insgesamt - im Sinne der konversationsanalytischen Vorstellung von Formulation 212 - als metakommunikative Thematisierung der Erstbewertung durch Ralf gesehen werden kann. 212 Im Verständnis der Konversationsanalyse sind Formulations explizite Accounts. Zu Accounts Accounts siehe Lyman/ Scott (1968) sowie Heritage (1988), der Erklärungen als Accounts untersucht. Zur interaktionsreflexiven Bedeutung von Formulations siehe beispielsweise Garfinkel/ Sacks (1970) und Heritage/ Watson (1979 u. 1980). Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 276 Hans' allererste Reaktion auf die Präsentation der Studierenden startet mit ' allererste Reaktion auf die Präsentation der Studierenden startet mit allererste Reaktion auf die Präsentation der Studierenden startet mit einer expliziten Thematisierung der gemeinsamen Beziehungsgrundlage ich der ich per sie bin mit ihnen. Die Äußerung ist als implizit kontrastiver Kommentar bezüglich der von Ralf zuvor formulierten Kritik zu verstehen. Sie nutzt Ralfs vorgängige Äußerung systematisch als relevanten Kontext für die eigene Sinnkonstitution. Der implizite Kommentar liest sich wie folgt: „Mein Kollege, der per du ist mit Ihnen, formuliert seine Kritik viel zu weich. Ich hingegen komme ohne Umschweife zur Sache und konfrontiere Sie unmittelbar mit meiner Kritik.“ Der explizite Rekurs auf die gemeinsame Beziehungsgrundlage fungiert auch als legitimierende Kontextualisierung. Die Legitimierung besteht darin, dass die größere soziale Distanz (das sie) eine deutlichere Formulierung der Kritik ermöglicht. Mit der Formulierung thema * verfehlt wird ein intersituativer Vergleich etabliert, der als dominante Assoziation den Kontext ‘Schule’ hervorruft. So wie ein Lehrer in der Schulklasse eine Klassenarbeit mit genau diesen Worten zurückgeben kann, klassifiziert Hans damit einen kategorialen Fehlgriff des studentischen Teams. Die mit der expliziten Beziehungsgrundlage thematisierte soziale Distanz wird dadurch noch verstärkt und das studentische Team kategorial infantilisiert bzw. als ‘Schüler-Team’ klein gemacht. Man erkennt hier eine deutliche Differenzierung auf Dozentenseite: Es gibt einen Dozenten, der näher und dadurch modalisierter an den Studenten (und mit ihnen ‘per du’) ist, und es gibt einen, der eine größere Distanz zu den Studenten hat (und mit ihnen ‘per Sie’ ist). Beide Dozenten reagieren auf den gleichen inhaltlichen Fehler, jedoch unterschiedlich explizit und im Rahmen unterschiedlicher Beziehungsdefinitionen. Nach Hans' Äußerung entsteht eine Pause von dreieinhalb Sekunden, die ' Äußerung entsteht eine Pause von dreieinhalb Sekunden, die Äußerung entsteht eine Pause von dreieinhalb Sekunden, die strukturell vergleichbar ist mit der zweisekündigen Pause nach der ersten Dozentenevaluation. Während die Studierenden offensichtlich darauf warten, was an inhaltlicher Spezifizierung der negativen Evaluation noch alles folgt, besitzt die Pause für den ersten Dozenten die Qualität eines möglichen Abschlussindikators und damit einer möglichen Übernahmestelle. Beide Dozenten behandeln ihre Kritik als inhaltlich spezifizierungsbedürftig und starten gleichzeitig mit eigenen Beiträgen. HA: verfehlt *3,5* |also die die ersten| die ersten RA: |ihr seid- >äh: < | HA: fünf zeilen * das sind äh auf dem deckblatt * Analysen 277 Beide Aktivitäten produzieren eine kurze Überlappung, deren Struktur jedoch deutlich macht, wer hier legitimer erster Sprecher ist. Ralf bricht seine Äußerung nach kurzer Zeit ab und überlässt Hans das Feld: Der offensichtliche Verzicht auf Äußerungsexpansion und das leiser gesprochene und gedehnte äh: zeigen deutlich die von Schegloff (2000 u. 2001) beschriebenen Aspekte, die für einen überlappenden Sprecher und dessen grundsätzlicher Orientierung am Status des legitimen ersten Sprechers charakteristisch sind. 213 Hans seinerseits ‘recycelt’ 214 nach Abschluss der Überlappung einen Teil seiner Äußerung (also die die ersten die ersten). Dadurch ist sichergestellt, dass der Beginn seiner neuen Äußerung akustisch verstanden wird und nicht durch die Überlappung mit Ralfs Äußerungsteil verloren geht. Hans beginnt anschließend seine inhaltlichen Ausführungen zu der bereits formulierten kategorialen Kritik (thema * verfehlt), indem er nun doch nach dem Positiven in der Präsentation der Studierenden sucht: HA: die ersten fünf zeilen * das sind äh auf dem deckblatt * HA: das is eine art ~pitch~ ** nich↑ * das is eine art ~pitch~ * HA: aber eine art sag ich mal weil * sie in der gewissheit HA: dass sie eigentlich nun erzählen werden was sie ähm ähm HA: rüberbringen wollen *2* äh den ~pitch~ ** ähm sehr ähm * HA: eben in zwei sätze * äh gefasst haben↓ ** Mit seiner zweimaligen Formulierung das ist eine art ~pitch~ evaluiert er den studentischen Pitch im Rahmen der von Ralf formulierten Frage (was ist ein pitch) und seinen beiden Definitionen dessen, was ein Pitch ist bzw. was nicht. Für Hans enthält das studentische Produkt in diesem Sinne (immerhin) einige Charakteristika eines Pitches (eine art~ pitch~). 213 „Overlap“ bezeichnet eine Gesprächsphase, in der die grundlegende Orientierung „overoverwhelmingly, one party talks at a time“ (Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974, S. 706) außer Kraft “ (Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974, S. 706) außer Kraft gesetzt ist und zwei oder mehr Interaktionsbeteiligte gleichzeitig sprechen. Overlaps sind konstitutiver Bestandteil der Turn-Taking-Organisation. Die Systematik des interaktiven Umgangs mit solchen eher kurzen Phasen, in denen mehrere Beteiligte gleichzeitig sprechen, sind bereits in Sacks/ Schegloff/ Jefferson (ebd., S. 706ff.) skizziert und später beispielsweise in Jefferson (1984a) detaillierter beschrieben worden. Schegloff hat sich in späteren Arbeiten (2000, 2001) systematisch mit der interaktiven Struktur von Overlaps beschäftigt. Siehe auch Schmitt (2005), der das Overlap-Problem aus multimodaler Sicht diskutiert. 214 Siehe Schegloff (1987b) zu „recycled turn beginnings“. recycled turn beginnings“. “. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 278 Diese implizite Anerkennung wird jedoch sogleich mit aber adversativ gekontert und Hans erklärt im Folgenden, was er von dieser art ~pitch~ hält: Der Pitch ist deswegen so kurz geraten, weil die Studenten durch ihre Konzentration auf das Drehbuch als dem eigentlichen Text die prägnante Formulierung der Idee viel zu kurz gefasst und sie nicht dem Drehbuch vorgängig erarbeitet haben. Aus Hans Äußerung kann man schließen, dass der Pitch seine eigentliche Aufgabe, nämlich neugierig auf das zu machen, was die Studierenden rüberbringen wollen, nicht erfüllt hat. Nach diesem Abschluss entsteht eine kurze Pause, die nun eine Möglichkeit für die Studierenden signalisiert, sich selbst aktiv einzubringen. Es ist Lars, der Autor und für das Drehbuch Verantwortliche, der sich als erster zu Wort meldet. LA: mhm ja des is eher so=ne art wie nennt man das * ~logline~ LA: oder so was ** Lars klassifiziert das, was Hans als so eine art ~pitch~ dargestellt hatte, als ~logline~. 215 Seine Kategorisierung ~logline~ wird von einer Modalisierungsklammer umschlossen, durch die der fragliche Ausdruck vorgängig (wie nennt man das) und nachträglich (oder so was) gerahmt wird. Der Student signalisiert damit deutlich Unsicherheit hinsichtlich der Angemessenheit seiner Kategorisierung. Darüber hinaus greift er mit so=ne art einen Teil des Formulierungsmaterials des Dozenten auf. Es handelt sich genau um den Teil, in dem der Dozent, wenn auch in deutlich aspektualisierter Weise, die Arbeit der Studenten als Pitch würdigt (eine art ~pitch~). Lars' Reaktion kann als Versuch gesehen werden, einerseits die Kritik der Dozenten nicht einfach ohne Reaktion stehen zu lassen, sich andererseits außer mit einer Neuklassifikation nicht inhaltlich mit der Kritik zu beschäftigen. Die anschließende Reaktion von Ralf auf Lars' Beitrag verdeutlicht die Unangemessenheit der auffällig moda- ' Beitrag verdeutlicht die Unangemessenheit der auffällig moda- Beitrag verdeutlicht die Unangemessenheit der auffällig modalisierten Kategorie ~logline~. RA: mhm ja wenn=s denn das is * was is denn da was is d/ is RA: denn diese fünf zeilen sind entstanden nachdem der text RA: ** da war * dass dieser drehbuchtext da war das merkt LA: jaja↓ RA: man weil der is eben aberwitzig abstrakt und |ähm| ähm LA: |mhm| 215 Unter logline versteht man in der Drehbuchtheorie eine sehr kurze inhaltlich komprimierte Zusammenfassung eines Textes. Analysen 279 Ralf befasst sich in seiner Reaktion zunächst mit der studentischen Kategorie ~logline~ und problematisiert sie (mhm ja wenn=s denn das is). Er wendet sich dann - nicht ohne merkliche Formulierungsschwierigkeiten (was is denn da was is d/ is denn) - erneut der inhaltlichen Auseinandersetzung zu. Dabei stellt er eine Frage nach der Sequenzialität der Entstehung von Pitch und Drehbuch: diese fünf zeilen sind entstanden nachdem der text ** da war * das dieser drehbuchtext da war. Er thematisiert mit dieser Frage genau den Punkt, auf den Hans zuvor in seiner Reaktion zu sprechen gekommen war: die Abhängigkeit des Pitches vom Drehbuch bzw. die Nachgängigkeit des ersteren ( HA : weil * sie in der gewissheit dass sie eigentlich nun erzählen werden was sie ähm ähm rüberbringen wollen *2* äh den ~pitch~ ** ähm sehr ähm * eben in zwei sätze * äh gefasst haben ↓ ). Man kann hier also zum wiederholten Male deutlich sehen, dass die beiden Dozenten sehr gut aufeinander abgestimmt sind, sich quasi wechselseitig die Bälle zuspielen und mit ihren inhaltlichen Bezügen - jedoch nicht unbedingt mit der konkreten Formulierung - sehr treffsicher an den Ausführungen des anderen ‘andocken’. Lars antwortet auf die mit der Frage etablierte konditionelle Relevanz wie auf eine Entscheidungsfrage ( jaja), nutzt also die Antwort nicht zu einem Start für eine inhaltliche Reaktion oder eine Erklärung. Ralf reagiert anschließend auf Lars' Antwort mit der Einschätzung, der einge- ' Antwort mit der Einschätzung, der einge- Antwort mit der Einschätzung, der eingereichte Pitch sei aberwitzig abstrakt. Dies ist ein weiterer Aspekt, der für die Negativevaluation ausschlaggebend ist. Insbesondere durch die Verwendung des Adjektivs aberwitzig wird die Bewertung offensichtlich. Die Prädikation abstrakt kann im etablierten Kontext auch die negative Nichterfüllung von Ansprüchen an eine interessante konkrete Filmgeschichte sein (siehe hierzu auch Kap. 4.4). In die durch und angedeutete Progression der Äußerung hinein reagiert Lars noch einmal mit einem Rückmelder, ansonsten erfolgen an dieser Stelle keine weiteren Reaktionen von den Studierenden. RA: abstrakt und |ähm| ähm |dann| * RÄUSPERT SICH film is K |LEICHT LACHEND| LA: |mhm| RA: konkre“t * das weil fotografisch und film ist sinnlich * RA: das heisst emotional und spannend↓ und diese * äh RA: aspekte * weder etwas konkretes noch etwas sinnliches is Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 280 RA: äh in diesen fünf zeilen zu finden ** nich das is äh es is RA: es sind zustandsbeschreibungen * es ist irrsinnig abstrakt ** RA: >ja und das is=es auch schon↓< * Vergleichbar seiner Einstiegsevaluation, die er mit einer allgemeinen Definition von „Pitch“ eröffnet hatte, beginnt Ralf nun erneut eine allgemeine Aussage über das Wesen von „Film“: film ist konkre“t * das weil fotografisch und film ist sinnlich * das heißt emotional und spannend ↓ . Und auch hier formuliert er seine Aussagen fast rhythmisch und in einer Parallelisierung der zentralen Informationen. Ebenfalls wie zu Beginn des Transkriptausschnittes folgt dieser Formulierung allgemeinen Wissens die fallspezifische negativ kontrastierende Wendung: und diese * äh aspekte * weder etwas konkretes noch etwas sinnliches is äh in diesen fünf zeilen zu finden. Das von den Studierenden gelieferte Angebot genügt also den zentralen Anforderungen an eine interessante Geschichte nicht. Damit wird zunächst der negative Befund im Hinblick darauf formuliert, was nicht der Fall ist; unmittelbar darauf folgt die negative Evaluation in Bezug auf das, was stattdessen vorliegt: das is äh es is es sind zustandsbeschreibungen * es ist irrsinnig abstrakt. Zustandsbeschreibungen und Abstraktheit, eine Kategorie die kurz zuvor schon einmal als zentraler Negativaspekt bei der Entwicklung von Geschichten eingeführt worden war, bilden hier den Abschluss der inhaltlichen Bewertung. Abgeschlossen wird die Evaluation nach einer kurzen Pause mit dem leiser gesprochenen Teil >ja und das is=es auch schon ↓ <, der nochmals auf die Dürftigkeit der studentischen Präsentation verweist. Das Beispiel zeigt die inhaltlich gleichsinnige Kritik der Dozenten und ist ein Beleg für den weitgehenden Konsens hinsichtlich ihrer Qualitäts- und Relevanzeinschätzungen. Auf unterschiedliche Weise formulieren sie die gleichen kritischen Sachverhalte und ergänzen sich in der Problematisierung einzelner Aspekte. Während Ralf zunächst sehr allgemeine Aussagen macht und von der konkreten Fallspezifik losgelöst formuliert, bezieht sich Hans' Kritik sehr direkt auf den konkreten Fehler der Studierenden. Zudem ist Hans explizit als kritisierende Person zu erkennen (ich sage). Die Herausstellung seiner Person und die Thematisierung der distanzierten Beziehungsgrundlage zu den Studierenden, mit der Hans seine Reaktion einleitet ( per sie), kontrastieren mit Ralfs Äußerung, in der er nicht als Individuum „sichtbar“ wird, sondern eine kollek- Analysen 281 tive Referenz am Ende seiner Äußerung platziert (sagen wir mal). Hans' Re- ' Re- Reaktion auf das studentische Vorgehen zeichnet sich durch eine weitaus größere Härte aus als Ralfs Thematisierung. Jedoch war es Ralf, der im Rahmen einer ersten Beschäftigung mit der Geschichtsidee der Studierenden diesen Fehler überhaupt zum Thema gemacht und damit entschieden hat, nicht gleich in die Beschäftigung mit der Geschichte einzusteigen, sondern zunächst das Vorgehen zu bewerten. Dadurch stiftet er einen Kontext für Hans' deutliche Reaktion. ' deutliche Reaktion. deutliche Reaktion. Die Dozenten sind nicht einseitig einer Aufteilung verpflichtet, die sich in einer alltagsweltlichen Kategorie als ‘good guy’ und ‘bad guy’ bezeichnen lässt. Nach seiner harten Kritik sucht Hans beispielsweise auch das Positive in der studentischen Leistung, Ralf hingegen konkretisiert seine zuvor modalisierte Kritik, indem er den studentischen Pitch explizit abwertend als wahnsinnig abstrakt und nicht gehaltvoll (das is=es auch schon ↓ ) charakterisiert. Die Dozenten nutzen wechselseitig ihre ‘Vorlagen’ für eigene Folgereaktionen bzw. liefern dem Anderen durch die Art und Weise ihrer Reaktion spezifische Möglichkeiten, selbst aktiv zu werden. Diese Systematik, in der die Dozenten sehr engmaschig aufeinander abgestimmt sind und damit ein großes Variationsspektrum an Verdeutlichungsleistungen produzieren, ist kein Einzelfall, sondern zeigt sich auch an anderen Stellen, insbesondere im Rahmen der Reaktion auf studentische Fehler. 4.6.3 Zusammenarbeit bei konkurrierenden eigenen Relevanzen Im folgenden Beispiel bearbeiten beide Dozenten gemeinsam einen vorangegangenen Dissens, der aufgrund unterschiedlicher Einschätzungen bezüglich ihrer didaktischen Vorgehensweisen bei der Stoffentwicklung entstanden ist. Sie arbeiten zusammen an der Wiederherstellung 216 eines gemeinsamen Fokus und verdeutlichen dabei, dass unter einer professionsbezogenen Perspektive eine ausgeprägte Handlungsorientierung der ausgedehnten diskursiven bzw. metakommunikativen Auseinandersetzung übergeordnet ist. Die explizite Bearbeitung und Re-Fokussierung des Arbeitsdiskurses sind als Ausnahmen interessant, insbesondere auch deshalb, weil sie es ermöglichen, die ansonsten unproblematische dozentenseitige Zusammenarbeit - sozusagen die „Normalform“ - als gelungene Bearbeitung interaktiver Anforderungen verstehbar zu machen. 216 Zur interaktiven Herstellung („interactional achievement“) siehe z.B. Schegloff (1982) und interactional achievement“) siehe z.B. Schegloff (1982) und “) siehe z.B. Schegloff (1982) und Sacks (1992). Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 282 Es zeigt sich, dass die Zusammenarbeit der beiden Dozenten im Pitching nicht nur auf der inhaltlich-thematischen Ebene geschieht, sondern insgesamt eine komplexe interaktive Anforderung darstellt. Sie verlangt eine situationssensitive, an der Interaktionsstruktur und -modalität orientierte wechselseitige Koordination des didaktischen Vorgehens in der Gruppenöffentlichkeit und vor allem ein Beziehungsmanagement, das sich nicht nur auf den jeweils anderen Dozenten bezieht, sondern auch die Studierenden einschließt und daher - wie die nachfolgende Analyse zeigen wird - spezifisch gestaltet werden muss. Der Ausschnitt beginnt nach ca. eineinhalb Stunden gemeinsamer Arbeit. Das studentische Team hat vor der Sitzung eine Geschichtsidee entwickelt, in der eine Frau bei der Bundeswehr die Protagonistin ist. Die Gruppe arbeitet an der Modellierung des Charakters und der hierfür notwendigen Entwicklung der Backstory. Konkret geht es um die Motivation der Protagonistin, sich beruflich für die Bundeswehr zu entscheiden. Hans betont, dass mit der Entscheidung zur Bundeswehr zu gehen, immer auch die Bereitschaft verbunden sei, andere Menschen zu töten. Um dies zu verdeutlichen, hält er einen langen explikativen Monolog über Kriegerbündnisse und Gangs sowie deren archaische Verankerung. Dieser Exkurs wird von Ralf mehrfach unterbrochen und problematisiert („Ich weiß gar nicht, worauf du hinaus willst! “ und später: „Worüber reden wir jetzt, Hans? “). Hans fährt jedoch in seinen Ausführungen immer weiter fort, bis Ralf in Konkurrenz zu Hans' Aktivität vehement zu der Modellierung des Charakters zurück- ' Aktivität vehement zu der Modellierung des Charakters zurück- Aktivität vehement zu der Modellierung des Charakters zurückleitet („Wir waren gerade dabei, den Charakter zu entwickeln, da bist du mit deinem Grundsatzvortrag da rein gekommen.“). Daraufhin zieht sich Hans erkennbar zurück, während Ralf mit den Studierenden weiter an der Gestaltung des Charakters (Biographie, Bildungsniveau, Familienkonstellation) arbeitet. Hans verhält sich dabei wie ein Beobachter, der von außen den Fortgang der weiteren Sitzung beobachtet, jedoch nicht involviert ist. Sprachlich beteiligt er sich nicht mehr und auch körperlich ist er statisch, er macht keine den Interaktionsverlauf kommentierenden Bewegungen. 217 217 Für die Studierenden bedeutet eine lange ‘Auszeit’ eines Dozenten, dass sie nicht mehr die Ressourcen beider Profis für die Entwicklung ihrer Geschichte zur Verfügung haben. Damit sind sie im Vergleich zu Gruppen, in denen keine manifesten Divergenzen zwischen den Dozenten vorkommen, deutlich im Nachteil. Analysen 283 Abb. 76: Hans zurückgelehnt, linke Hand vor dem Mund, rechte Hand fest zur Faust geballt Die für die Analyse ausgewählte Stelle beginnt, als sich die Entwicklung des Charakters nach etwa sieben Minuten thematisch von der Biographie weg und wieder in Richtung der Frage des Tötens entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt löst Hans seine „eingefrorene Körperhaltung“ auf und nickt ab und zu. Als sich der Student Martin ( MA ) auf das töten bezieht, wird Hans auch gestisch aktiv: # 10/ 02-04/ Bundeswehr MA: aber vielleicht interessant für uns ist dann genau MA: dieses dass dass dass äh dass sie geht #hin# ohne zu K #ZUR BUNDESWEHR# MA: denken was das bedeutet und da“ wird sie * vielleicht MA: für sie klar * dass es heißt töten HA: NICKT, HEBT HAND Hans signalisiert auf zweifache Weise sein Einverständnis mit den Ausführungen des Studenten: Als dieser den zentralen Terminus (töten) formuliert, zieht er erkennbar die Augenbrauen hoch und nickt zustimmend mit dem Kopf leicht nach rechts. Anschließend hebt er seine linke Hand kurz ein Stück hoch, öffnet sie dabei und lässt sie wieder sinken (Abb. 77). Die Geste im direkten Anschluss an das Nicken untermauert seine Zustimmung. Er evaluiert den Vorschlag des Studenten als eine potenzielle Möglichkeit für die Geschichte. 218 218 Ob die Geste primär intrapersonelle Koordinationsprozesse (vgl. Deppermann/ Schmitt 2007) abbildet oder auch Anzeigecharakter hat, ist nicht immer eindeutig zu klären. Dennoch muss reflektiert werden, welche Gruppenmitglieder die - aus Kameraperspektive deutlich wahrnehmbaren - Verhaltensweisen überhaupt bemerken können. Dies ist ein grundsätzliches Problem der multimodalen Analyseperspektive. Für die Analysierenden ist nicht immer eindeutig entscheidbar, ob die Phänomene, die sie aus der Kameraperspektive wahrnehmen, für die Interaktionsbeteiligten ebenso manifest bzw. ob sie überhaupt wahr- Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 284 Abb. 77: Hans hebt die linke Hand an und öffnet sie gleichzeitig Durch Hans' Verhaltensweise wird Folgendes deutlich: Erstens stimmt er dem ' Verhaltensweise wird Folgendes deutlich: Erstens stimmt er dem Verhaltensweise wird Folgendes deutlich: Erstens stimmt er dem Vorschlag des Studierenden zu und ist insofern inhaltlich-thematisch zufrieden. Zweitens partizipiert er nun wieder aktiv an der Stoffentwicklung, kommentiert diese durch sein Verhalten und steht somit prinzipiell und erkennbar wieder für die gemeinsame Arbeit zur Verfügung. Dies kann eine Voraussetzung dafür sein, dass Ralf im Folgenden die Frage des Tötens explizit aufgreift. MA: dass dass dass äh dass sie geht #hin# ohne zu denken K #ZUR BUNDESWEHR# MA: was das bedeutet und da“ wird sie * vielleicht für sie MA: klar * dass es heißt töten RA: töten * okay gut Ralf evaluiert den Vorschlag des Studenten positiv (okay gut) und damit auch indirekt die von Hans zuvor in seinem Exkurs vertretene Position. Dies wird insbesondere durch die explizite Nennung des Kernkonzeptes töten verdeutlicht. Hans hat den Aspekt des Tötens zuvor in seinem Exkurs über Kriegerbündnisse als den zentralen herausgearbeitet. Dieser Exkurs hatte jedoch im Vorfeld - wie beschrieben - zu dissenten Orientierungen zwischen den Dozenten geführt. Während seiner Positivevaluation (okay gut) wendet sich Ralf deutlich zu Hans (Abb. 79), indem er nicht nur seinen Kopf in die Richtung des Kollegen dreht, sondern den Oberkörper ebenfalls mitbewegt und damit den Kontakt zum Tisch aufgibt: nehmbar sind und - weitergedacht - ob sie Display-Qualität besitzen (zu Display: siehe Goodwin 1981, Heath 1982, Heidtmann/ Föh 2007). Eine Reflexion der Relevanz der Videokamera und Videodokumentation für konversationsanalytische Untersuchungen findet sich auch in Schmitt/ Fiehler/ Reitemeier (2007); für weitere Anmerkungen zur Relevanz der Kamera in diesem Beispiel siehe Heidtmann (2007). Analysen 285 Abb. 78: Ralf am Tisch Abb. 79: Ralf vom Tisch entfernt, zu Hans gewandt Mit der Aufgabe seiner Arbeitshaltung am Tisch und der Zuwendung stellt er sich inhaltlich-thematisch nicht mehr als primär Zuständiger, sondern als Zuhörender/ Abwartender dar. Dies kann als implizite Aufforderung an Hans verstanden werden, Ralf abzulösen und sich wieder verbal zu beteiligen. Erinnert man sich daran, dass es Ralf war, der seinen Kollegen vehement unterbrochen und dann mit den Studierenden weiter gearbeitet hatte, so kann die Zuwendung nun den Abschluss dieser Phase verdeutlichen und das Ende seiner Einzelarbeit mit den Studierenden symbolisieren. Jedoch erfolgt keine explizite Einladung an den Kollegen, sich wieder zu beteiligen. Die Aufforderung wird ausschließlich durch die Veränderung seiner Körperpositur realisiert. 219 Hans übernimmt im Folgenden sehr schnell den Turn und akzeptiert damit Ralfs Fremdwahl-Initiative: MA: klar * dass es heißt töten RA: töten * okay gut HA: ja HA: vielleicht ** und dann * nur dass ähm ich deshalb SU: genau HA: * hämmer ich ja selbst gegen seinen widerstand 219 Dies ist ein interessanter Fall der Turn-Taking-Organisation (vgl. Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974). Ralfs Verhalten kann als Form der körperlichen bzw. nicht-sprachlichen Fremdwahl beschrieben werden. Aus einer multimodalen Perspektive sind also Turnübernahmen als Fremdwahl identifizierbar, die bei einer auditiven Datengrundlage nicht offenkundig als solche in den Blick gekommen wären. Hier trägt die Grundlage audio-visueller Daten dazu bei, die von Sacks, Schegloff und Jefferson herausgearbeitete Systematik zusätzlich zur mündlichen um weitere Modalitätsebenen zu erweitern. Zu weiteren Implikationen der multimodalen Analyseperspektive für die Turn-Taking-Organisation siehe Schmitt (2003 u. 2004b) sowie Heidtmann/ Föh (2007). Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 286 Hans Äußerung weist mehrere Umorientierungen auf: Zunächst evaluiert er den Vorschlag des Studenten als potenziell möglich ( ja vielleicht), nach einer Pause projiziert er die Weiterentwicklung des Vorschlages (und dann). Anschließend wird die Formulierung jedoch nach einer Mikropause nochmals umstrukturiert (nur dass), wobei der Dozent schließlich auf sich referiert (ähm ich). Danach leitet er eine Erklärung ein, welche die zurückliegende Divergenz zwischen den beiden Dozenten und sein vor dem Rückzug ‘resistentes’ Verhalten in Hinblick auf den Exkurs thematisiert: deshalb * hämmer ich ja selbst gegen seinen widerstand. Hans nimmt die thematische Entwicklung, die sich auf den von ihm zuvor relevant gesetzten Aspekt der Tötens hinbewegt, zum Anlass, die inhaltlichthematische Arbeit aufzugeben 220 und stattdessen selbstreflexiv sein vorheriges Verhalten zu thematisieren (deshalb * hämmer ich ja selbst gegen seinen widerstand ). Dabei richtet er seine Äußerung an das studentische Team: Hans spricht über Ralf und referiert dabei nicht namentlich auf ihn, sondern macht dessen Verhalten nur pronominal thematisch (selbst gegen seinen widerstand obwohl er). Hans ist nun mit den vier Studierenden im Gespräch und konstituiert eine ‘5: 1-Konstellation’, in der Ralf thematisch ist und gerade dadurch exkludiert wird. Dieses Verhalten von Hans kann als korrektiver Prozess und rituelle „Ausgleichshandlung“ im Sinne Goffmans (1967) verstanden werden. Hans dreht nun die Beteiligungsverhältnisse um: Zuvor war er derjenige gewesen, der von Ralf temporär exkludiert wurde und sich daraufhin zurückgezogen hatte, nun etabliert er durch seine Adressierung der Studierenden eine Situation, in der Ralf ‘außen vor’ bleibt. Seine Äußerung hat zudem „forcierende Züge“ (vgl. Kallmeyer/ Schmitt 1996), da er explizit über jemanden redet, der in der Situation anwesend ist. Während seiner Äußerung führt Hans den rechten Arm nach oben und legt seine Hand auf Ralfs Rücken. Damit teilt er seine multimodalen Ressourcen im Dienste einer „Mehrfachadressierung“ 221 auf. Oberkörper und Blick sind 220 Das Aufgeben der inhaltlich-thematischen Orientierung erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem ein brauchbarer Vorschlag von Studentenseite formuliert worden ist. Möglicherweise macht die Qualität des Vorschlages es überhaupt nur möglich, dass die Stoffentwicklung zu Gunsten einer interaktionsreflexiven Aktivität kurz abgebrochen werden kann. Die strenge inhaltliche Orientierung der Dozenten hätte dies bei einem unbrauchbaren Vorschlag mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zugelassen. 221 Unter „Mehrfachadressierung“ (Kühn 1995) werden Aktivitäten verstanden, die nicht nur einen, sondern mehrere potenzielle Adressatenkreise haben (z.B. in Talkshows: die Teilnehmer, das Studio- und das Fernsehpublikum). In diesem Fall liegt aber eine Form der Mehrfachadressierung vor, bei der die multimodale Organisation der Ausdrucksebenen unterschiedliche Orientierungen des Sprechers abbildet und unterschiedliche Ressourcen Analysen 287 den Studierenden zugewandt, die auch verbal adressiert werden. Zugleich berührt Hans jedoch seinen Kollegen. Und zwar nicht nur flüchtig, sondern einige Sekunden lang. Abb. 80: Hans legt rechte Hand auf Ralfs Rücken Hans legt seine Hand nur für den Bruchteil einer Sekunde still auf Ralfs Rücken ab, dann streicht er nach unten, wieder hoch, noch einmal nach unten und bringt sie dann auf Ralfs linker Schulter zur Ruhe. Die Berührung wirkt sehr freundschaftlich. Aufgrund ihrer Dauer und Sichtbarkeit für die Studierenden sowie aufgrund der Spürbarkeit für Ralf ist sie als Verhaltensweise manifest. Hans kontextualisiert mit der freundschaftlichen Geste in der Gruppenöffentlichkeit seine verbale Aktivität, nämlich das forcierende Reden über eine anwesende Person. Zwischen dem Gesagten und den gestischen Aktivitäten besteht eine deutliche Diskrepanz. Hans' Äußerung erhält durch die Geste - neben ' Äußerung erhält durch die Geste - neben Äußerung erhält durch die Geste - neben der durchaus formulierten, jedoch auch deutlich modalisierten Kritik - eine latent ironische Dimension. Diese spiegelt sich in dem Verhalten der Studierenden. Fast alle sind auf ihn orientiert und man kann bei einigen ein leichtes Lächeln erkennen. Abb. 81: Studierende orientieren sich auf Dozenten und lächeln für jeweils unterschiedliche Adressaten benutzt werden. Deppermann/ Mondada/ Schmitt (i.Vorb.) sprechen diesbezüglich von „divided recipient design“. divided recipient design“. “. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 288 Auch die Wortwahl und die dabei verwendete Metaphorik (deshalb * hämmer ich ja selbst gegen seinen widerstand ) geben dem Gesagten einen spielerischen Akzent. Mit der Beschreibung hämmer[n] kommt es zum einen zu einer deutlichen Übertreibung, zum anderen wird der beschriebene widerstand des Kollegen indirekt qualifiziert: Nur ein ausgeprägter widerstand macht es notwendig und situativ angemessen, gegen ihn zu hämmer[n]. Ralfs Verhalten als widerstand und sein eigenes als hämmer[n] zu bezeichnen, ist aber nicht nur übertrieben, sondern entspricht nur partiell der Realität. Im Nahkontext war es Ralf, der dem Exkurs von Hans immer wieder Einwürfe entgegen gesetzt und gegen Hans' Ignoranz bzw. das Fortfahren seiner Aktivitäten ' Ignoranz bzw. das Fortfahren seiner Aktivitäten Ignoranz bzw. das Fortfahren seiner Aktivitäten ‘gehämmert’ hat. Die Fremd- und Selbstpositionierungen, die Hans in seiner Äußerung vornimmt und die sich auf den vorgängigen Kontext, also die Divergenz zwischen den beiden Dozenten beziehen, werden also ironisch gebrochen. 222 Fragt man an dieser Stelle nach der Reaktion von Ralf, so sieht man, dass er seinen Blick auf ein Blatt gesenkt hat, das vor ihm auf dem Tisch liegt und dass er schreibt. Er verzichtet zunächst darauf, auf Hans' Äußerung und seine ' Äußerung und seine Äußerung und seine Berührung zu reagieren bzw. hält an seinem eigenen Aktivitätsfokus (dem Schreiben) fest. Im übertragenden Sinne hält er damit - zumindest lokal - auch an seiner eigenen Perspektive fest. Möglicherweise ist für Ralf an dieser Stelle die Qualität von Hans' Äußerung ' Äußerung Äußerung noch nicht klar bzw. er reagiert zunächst abwartend auf den rituellen Ausgleich. Zudem findet die Bearbeitung der Divergenz zwischen den Dozenten, von Hans deutlich markiert, in der Gruppenöffentlichkeit statt (s.o.). Dies macht es für Ralf umso brisanter, situativ angemessen zu reagieren. Erst als Hans im Folgenden an die Studierenden adressiert 223 nachträgt obwohl er ihr habt ja gemerkt jetzt eingeschwenkt ist auf mich, beginnt Ralf zusammen mit allen anderen Gruppenmitgliedern zu lachen, so dass es zu einer langen, acht Sekunden dauernden Phase kommt, in der die Gesamtgruppe gemeinsam und laut lacht. 222 Die konkrete Formulierung gibt nicht in analytischer Weise das faktische zurückliegende Verhalten möglichst präzise wieder; sie ist nicht metakommunikativ. Die Wahl der metaphorischen Beschreibung hämmern[n] und deren Passungsverhältnis zu widerstand ist hier primär im Rahmen des Versuchs zu sehen, das zurückliegende Verhalten beider Dozenten in einer allgemeinen unspezifischen und nur implizit evaluativen Weise zu verbildlichen. 223 Die Adressierung ist nicht segmental markiert, beispielsweise durch Pausen oder eine spezifische Intonation, sondern prosodisch integriert. Analysen 289 HA: selbst gegen seinen widerstand obwohl er ihr habt ja HA: gemerkt jetzt eingeschwenkt ist auf mich #*8*# K #ALLE LACHEN# Die Darstellung, Ralf sei eingeschwenkt, wird von den anderen Gruppenmitgliedern und auch von Hans selbst als ironisch behandelt. Natürlich wissen alle Beteiligten, dass Ralf seine Perspektive im Nahkontext durchgesetzt hatte. Das gemeinsame Lachen reagiert jedoch nicht nur auf den unmittelbaren Kontext, also auf Hans' Äußerung und die gleichzeitige Berührung des Kollegen, ' Äußerung und die gleichzeitige Berührung des Kollegen, Äußerung und die gleichzeitige Berührung des Kollegen, sondern kann insgesamt als Auflösung der angespannten Situation zwischen den Dozenten interpretiert werden. Es ist ein Ventil für die zuvor über lange Strecken schwierige Entwicklungsphase, in der gute Ideen fehlten, und ein Ventil für die entstandenen dissenten Orientierungen der Dozenten. Der Aspekt der emotionalen Entlastung zeigt sich auch in der hohen Lautstärke und ausgedehnten Dauer des Lachens. 224 Für die Studierenden ist es ebenfalls eine Möglichkeit, sich von der vorgängigen schwierigen Situation zu befreien. Das gemeinsame Lachen der Gruppenmitglieder hat auch beteiligungsspezifische Implikationen: Studierende und Dozenten sind damit als Gesamtgruppe wieder in einem gemeinsamen Rahmen aktiv. Was geschieht zwischen den Dozenten während des Lachens? Mit Beginn des Lachens lässt Hans seine Hand von Ralfs Rücken zu dessen linker Schulter gleiten und übt mit der Hand Druck auf die Schulter aus, indem er sie nach hinten zieht und den Kollegen damit zu sich dreht. Abb. 82, 83: Hans legt Hand auf Ralfs Schulter und „dreht ihn zu sich“ 224 Die multimodale Analyseperspektive ermöglicht hier eine Interpretation des Lachens, die über bisherige Arbeiten zum Thema hinausgeht. Zum Lachen aus konversationsanalytischer Perspektive siehe z.B. Jefferson (1979, 1984b) und Jefferson/ Sacks/ Schegloff (1987). Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 290 Abb. 84: Maximale Drehposition von Ralf Die Beschreibung von Hans' Aktivität mit den Worten „Er dreht Ralf zu sich“ ' Aktivität mit den Worten „Er dreht Ralf zu sich“ Aktivität mit den Worten „Er dreht Ralf zu sich“ oder „Er orientiert Ralf auf sich“ erfasst durchaus die relevanten pragmatischen Implikationen des Verhaltens. 225 Durch die Divergenzen waren die Dozenten weitestgehend separiert und haben jeweils nacheinander (und dabei unterschiedlich lang und mit unterschiedlicher thematischer Ausrichtung) die beschriebenen 5: 1-Koalitionen mit den Studierenden etabliert. An dieser Stelle arbeitet Hans nun aktiv an der Veränderung der vorangegangenen Arbeitskonstellationen und signalisiert seine Bereitschaft, wieder gemeinsam mit Ralf zu arbeiten. Die Sequenz endet damit, dass er seine Hand von Ralfs linker Schulter zu dessen rechter Schulter schiebt und ihm damit freundschaftlich den Arm umlegt. Beide Dozenten sitzen nun lachend nebeneinander und sind dabei körperlich durch Hans' Umarmung miteinander verbunden. ' Umarmung miteinander verbunden. Umarmung miteinander verbunden. Aus dieser Position heraus wird nun auch Ralf aktiv, indem er seinen linken Arm nach oben bewegt und die Hand auf Hans' Kopf legt. ' Kopf legt. Kopf legt. Abb. 85, 86: Ralf führt seine Hand zu Hans' Kopf 225 Zur inhärenten Pragmatik von Verhaltensdeskriptionen siehe Schmitt (2006): „Die Regisseurin dreht ihre Kamerafrau um“. Analysen 291 Ralf berührt sehr kurz Hans' Kopf, streicht mit der Hand minimal nach hinten ' Kopf, streicht mit der Hand minimal nach hinten Kopf, streicht mit der Hand minimal nach hinten und löst dann gleich die Haltung auf, indem er Hans noch leicht mit der Hand gegen den Kopf stößt, woraufhin beide die gegenseitigen Berührungen abschließen. Abb. 87, 88, 89: Auflösung der wechselseitigen Berührungen Die Phase des Lachens kann nicht nur als Reaktion auf Vorheriges und allgemein als Ventil verstanden werden. Sie kann vielmehr als spezifische, von allen Beteiligten etablierte Modalität beschrieben werden, die den Kontext für die besondere Form der körperlichen Aushandlung beider Dozenten stiftet. Die Modalität des Lachens ermöglicht den beiden Dozenten, sich symbolisch und für die Studierenden sichtbar ihre wechselseitige Konsensorientierung und die Wiederherstellung von Gemeinsamkeit anzuzeigen. Beide re-etablieren durch ihre körperliche Koordination eine gemeinsame Basis, die mit einem kurzen wechselseitigen Blick in die Augen endet. Der direkte Blickkontakt ist der Höhepunkt und Abschluss der Berührungs-Sequenzen in dieser Phase der Wieder-Annäherung. Abb. 90: Kurzer Blickkontakt am Ende der Berührungssequenzen Der direkte Blickkontakt 226 markiert das Ende der Wieder-Annäherung; im Anschluss daran erfolgt ein Modalitätswechsel: Ralf beginnt, noch während 226 Phasen des direkten Blickkontaktes zwischen zwei Personen, die sich räumlich eng beieinander befinden, sich aber ansonsten nicht ‘nahestehen’, sind oft kurz und kommen selten Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 292 die Studierenden lachen, zu Hans gewandt etwas leiser zu reden. Er verdeutlicht durch seine Sprechweise und die Hinwendung zum Kollegen, dass er ihn adressiert und nicht zu der Gesamtgruppe spricht: Abb. 91: Ralf beginnt zu sprechen RA: #es ging nur# darum dass es keinen sinn hat jetzt K #LACHEN # RA: hier=n grundsatzvortrag über irgendein (rudel) zu RA: halten das hilft ihnen nicht Ralf referiert auf die zurückliegende Divergenz (es ging nur darum) und liefert anschließend eine Erklärung für sein zurückliegendes Verhalten. Damit positioniert er sich implizit auch zu der von Hans formulierten Verhaltensbeschreibung, Ralf habe widerstand geleistet. Ralf wählt ein potenziell zweiteiliges Äußerungsformat („es ging nicht um x, sondern nur um y“), verzichtet jedoch darauf, den ersten Teil, der die explizite Zurückweisung von Hans' Kategorie ' Kategorie Kategorie widerstand implizieren würde, zu formulieren (z.B. „Es ging nicht darum, Widerstand zu leisten, sondern nur ...“). Der Verzicht auf die Formulierung des ersten Äußerungsteils ist eine Möglichkeit, die zuvor konstruktiv durch körperliche Verhaltensweisen re-etablierte Gemeinsamkeit nicht wieder durch sprachliche Aktivitäten aufzuheben. Auch die Relevanzrückstufung seines vorgängigen Verhaltens durch die Partikel nur (es ging nur darum) führt zur Modalisierung seiner Äußerung. Dennoch untermauert er die Wichtigkeit seines eigenen Fokus, indem er einmal sehr deutlich und fest mit seinem Stift auf den Tisch klopft, bevor er zu seiner Begründung kommt (darum dass). vor (vgl. z.B. Tiittula 2007, die Blickkontakt in einer Geschäftsbeziehung aus einer multimodalen Analyseperspektive analysiert). Der direkte Blickkontakt der Dozenten ist auch vor diesem Hintergrund interessant. Er markiert eine Grenze zwischen den unterschiedlichen Aktivitäten der Dozenten. Analysen 293 Sein folgendes Argument wird auf interessante Weise formuliert: dass es keinen sinn hat jetzt hier=n grundsatzvortrag über irgendein (rudel) zu halten das hilft ihnen nicht. So wie Hans zuvor Ralfs Verhalten als widerstand [leisten] bezeichnet hat, kategorisiert Ralf nun Hans' Verhalten als ' Verhalten als Verhalten als grundsatzvortrag [...] halten. Mit der als „sinnlos“ (dass es keinen sinn hat) bezeichneten Aktivität „Grundsatzvortrag halten“ verweist er auf unterschiedliche didaktische Konzepte für die Lösung der Probleme, die während der Modellierung des Charakters entstanden sind: Hans hatte versucht, durch Dozieren den Studierenden eine Einsicht in das Problem zu ermöglichen; Ralf, indem er konkret mit ihnen weiter an der biographischen Detaillierung gearbeitet hatte. Es ging also um lokale Präferenzen für unterschiedliche didaktische Vorgehensweisen bei der Suche nach der adäquaten Lösung für ein Problem. Ralf wertet dabei nicht den grundsatzvortrag generell als Mittel zur Problemlösung ab, sondern verweist auf die situative Spezifik der aktuellen Stoffentwicklungssequenz (keinen sinn hat jetzt hier=n grundsatzvortrag über irgendein (rudel)). Mit dem Fazit das hilft ihnen nicht, redet er in Anwesenheit der Studierenden über sie. Damit ist nochmals deutlich die zuvor beschriebene 5: 1-Konstellation aufgehoben, die zuerst Ralf mit den Studierenden ‘gegen’ Hans und anschließend Hans mit den Studierenden ‘gegen’ Ralf etabliert hatte. Die Dozenten sind wieder als Team wahrnehmbar und somit ist die für das Pitching Pitching konstitutive 2: 4-Konstellation (= 2 Dozenten, 4 Studierende) nun auch verbal re-etabliert worden. Dennoch vertritt Ralf mit der Äußerung das hilft ihnen nicht weiterhin seine Meinung, nach der ein Vermittlungsexkurs, wie Hans ihn durchgeführt hatte, die Studierenden an dieser Stelle nicht weiterbringt. Er interpretiert damit Hans'' grundsatzvortrag als ein für die aktuelle Aufgabe nicht angebrachtes didaktisches Mittel. Ralfs Thematisierung erfolgt leise und zu Hans gebeugt, aber dennoch in der Gruppenöffentlichkeit. Dadurch wird die Qualität der Divergenz auch für die Studierenden deutlich: Die Dozenten sind hinsichtlich der aktuell zu lösenden Aufgabe (= motivierte Entwicklung der Backstory) einer Meinung, nicht aber hinsichtlich ihrer didaktischen Vorgehensweise bei der Aufgabenbearbeitung. Während das Lachen auf der Studierendenseite langsam verebbt, reagiert Hans auf Ralfs Problematisierung des grundsatzvortrag[s]. RA: hilft ihnen nicht HA: gut #äh: das# ist nun mal meine natur K #VEREINZELT LACHEN# HA: ich kann halt #vortragen nur >und sonst gar nichts<# K #LACHEN # Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 294 Nach einem Uptake (gut), der den Bezug zu Ralfs Äußerung verdeutlicht und markiert, dass er diese berücksichtigt, produziert Hans nun eine zweiteilige Äußerung, die seine Perspektive ausdrückt. Der erste Teil (das ist nun mal meine natur) kann auf den ersten Blick als eine Rechtfertigung seines Verhaltens gesehen werden. Nach der Äußerung des zweiten Teils (ich kann halt vortragen nur) wird er jedoch als parodistisches Zitat erkennbar: Die übrigen Gruppenmitglieder beginnen erneut zu lachen. Hans zitiert aus dem Film „Der blaue Engel“ das von Marlene Dietrich gesungene Lied „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“: Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, denn das ist meine Welt und sonst gar nichts. Das ist, was soll ich machen, meine Natur; ich kann halt lieben nur und sonst gar nichts. Liedtext und Äußerungssegment 1 „Das ist, was soll ich machen, meine Natur“ HA: das ist nun mal meine natur Im ersten Äußerungssegment ist die Formulierung „was soll ich machen“ durch nun mal ausgetauscht. Der Zitatcharakter ist durch diese Varianz nicht eindeutig ersichtlich, auch, weil Hans stimmlich und intonatorisch in seiner „Normallage“ formuliert. Liedtext und Äußerungssegment 2 „... ich kann halt lieben nur und sonst gar nichts.“ HA: ich kann halt vortragen nur >und sonst gar nichts< Das zweite Äußerungssegment weist eine wesentlich größere Übereinstimmung mit dem Originaltext auf als das erste. Lediglich das relevante Bezugskonzept („lieben“) wird situationsadäquat ausgetauscht (vortragen). Hier wird dann auch der Zitatcharakter durch eine spezifische Intonations- und Rhythmuskontur verdeutlicht. Diese erkennbare ‘Anlehnung’ an Marlene Dietrich, eine ‘Diva der Filmgeschichte’, impliziert zwei Aspekte. Zum einen verweist sie im Kontext der Stoffentwicklung spielerisch auf das Genre Film und verdeutlicht damit interdiskursiv den relevanten Bezugsrahmen der Äußerung und des aktuellen Tuns (Filmemachen), zum anderen ‘leiht’ sich Hans über das Zitat neben der Stimme auch den Status der Schauspielerin und positioniert sich als jemanden, der seinem Tun (vortragen) selbst ausgeliefert ist (meine natur) und dessen Konsequenzen sich die anderen im Umgang mit dem ‘Star’ anpassen müssen. Der - - Analysen 295 Bezug zu seinem Status ist - auch wenn er im Kontext der spielerischen Äußerung platziert ist - durchaus auch als ein Beharren auf seiner Position zu interpretieren. Er als Lehrer bietet den Studierenden und auch dem Kollegen in der aktuellen Situation sein didaktisches Konzept von Stoffentwicklung an und keine Alternative (>und sonst gar nichts<). Das Aufrechterhalten der eigenen Position in der ansonsten spielerischen Bearbeitung der dissenten Orientierungen setzt sich auch im Folgenden fort. Das Dietrich-Zitat beendet die spielerische Divergenz-Bearbeitung, und Hans leitet nach einer kurzen Segmentierung zur ernsthaften Weiterentwicklung des Charakters des Protagonisten über. HA: äh: m ** das äh *1,5 * nein aber es geht darum genau die HA: motivation und und und die sehnsüchte und die hoffnungen HA: von katra äh von katja äh * jetzt * miteinander * hoffentlich HA: auch noch ein bisschen zu definieren und festzulegen um zu HÄ: wissen äh wo die reise hingeht Interessant ist diese Überleitung zum weiteren Arbeiten insbesondere aufgrund der sprachlichen Merkmale, die seine eigene Überzeugung durchscheinen lassen. Nach einer kurzen Phase der Orientierung (äh: m ** das äh *1,5*) führt Hans seine spielerische Äußerung nicht weiter fort, sondern beendet sie (nein) und beschreibt, worum es ihm bei der folgenden Entwicklung geht: aber es geht darum genau die motivation und und und die sehnsüchte und die hoffnungen [...]. Mit dieser Darlegung seiner Perspektive verhält er sich ähnlich wie zuvor sein Kollege Ralf. Auch er hatte in die Bearbeitung der Divergenz kurz seine Sichtweise eingebracht (es ging nur darum dass es keinen sinn hat jetzt hier=n grundsatzvortrag [...] zu halten). Zur metakommunikativen Explikation des vorherigen Tuns wird von beiden Dozenten die gleiche Formulierung gewählt: es geht bzw. ging darum. Beide Formulierungen haben außerdem einen untergeordneten Status. Ralf hatte seine Perspektive weitgehend modalisiert und dadurch in ihrem Geltungsanspruch zurückgenommen. Hans leitet zum weiteren Arbeiten über. Diese Überleitung enthält jedoch implizite Relevanzrückstufungen der Ergebnisse, die das studentische Team in der Einzelarbeitsphase mit Ralf hervorgebracht hatte. Sie werden nämlich nicht berücksichtigt. Hans geht vielmehr zurück an den Startpunkt der Modellierung des Charakters, indem er vage die relevanten Aspekte (motivation, sehnsüchte, hoffnungen) auflistet, die im Folgenden dazu dienen sollen, die Protagonistin zu spezifizieren. Er charakterisiert das zukünftige Tun offen (ein bisschen zu definieren), aber auch als er- Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 296 gebnisorientiert (festzulegen). Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Einzelarbeit seines Kollegen mit den Studierenden noch kein definitives Ergebnis hervorgebracht hat. Die zuvor in der Phase des Lachens symbolisierte Gemeinsamkeit wird nun auch mündlich markiert ( jetzt * miteinander * hoffentlich auch noch ein bisschen zu definieren). Durch die beiden Mikropausen, die den zentralen Aspekt des Miteinanders rahmen, wird dieser hervorgehoben. Hans markiert damit, dass er im Folgenden keinen erneuten „Alleingang“ in Form eines einseitigen Vermittlungsdiskurses anstrebt, sondern mit der Gesamtgruppe zusammen an dem Entwurf der Backstory arbeiten will. Die Art und Weise, wie die beiden Dozenten nach einer Phase divergenter Orientierungen hinsichtlich ihrer didaktischen Präferenzen wieder einen gemeinsamen Fokus re-etablieren, verweist in unterschiedlicher Hinsicht auf ihre professionellen Handlungsgrundlagen: Die Re-Etablierung stellt einen Beitrag zur beiderseitigen Annäherung dar, ohne dass jeweils die faktischen eigenen Überzeugungen und Relevanzen aufgegeben werden. Dabei geht es nicht primär um die Durchsetzung der eigenen Vorstellung im Sinne von „Recht bekommen bzw. behalten“, sondern auch darum, wieder produktive Grundlagen für eine zielorientierte gemeinsame Weiterarbeit im Dienste der Stoffentwicklung aufzubauen. Unter der Voraussetzung, dass im Lehr-Lern-Diskurs das Verhalten der Dozenten immer auch Vorzeige-Charakter und Vorführqualitäten für die Studierenden besitzt („hier handeln die Profis“), demonstriert der Umgang der Dozenten mit ihrer lokalen Divergenz generell eine praktikable Lösung für die interaktive Bearbeitung unterschiedlicher Perspektiven als faktisch nicht hintergehbare Folgen gemeinsamer kreativer Arbeit. Die Konkurrenz der beiden unterschiedlichen didaktischen Konzepte beider Lehrer und der interaktive Umgang mit ihr stellt somit eine produktive Ressource für die Professionalisierung der Studierenden dar. Das Beispiel zeigt eine Möglichkeit, wie Konflikte spielerisch-solidarisch und dabei strikt sachbezogen ausgetragen werden. Die Bearbeitung symbolisiert zudem modellhaft, wie in einem professionellen Kontext unter Zeit- und Leistungsdruck zielorientiert gehandelt werden kann. Dies ist ein nicht zu unterschätzender Wert für die Ausbildung der Studierenden, die in ihrem späteren Berufsfeld, das hochgradig arbeitsteilig organisiert ist, immer vor die Aufgabe gestellt sein werden, sich unter hohem Druck professionell und zielorientiert in Gruppen zu verhalten. Analysen 297 Die von den Dozenten eingesetzten multimodalen Verfahren (Übertreibung, Ironisierung, Metaphorisierung im verbalen Bereich sowie manifeste spielerische Berührungen und inszenatorisch-indikative Gesten) führen zu einer spaßigen und ‘unterhaltsamen’ Interaktionsmodalität, die dazu beiträgt, alle sechs Beteiligten im Lachen wieder ‘zu vereinen’ 227 und die zuvor angespannte Atmosphäre im positiven Sinn aufzulösen. 4.6.4 Zusammenfassung Die konkrete Form der Zusammenarbeit der Dozenten ist nicht vorgängig aufgrund pädagogisch-didaktischer Überlegungen ausgearbeitet und fixiert. Die Studierenden erfahren unterschiedliche Zuständigkeiten und Vorgehensweisen der Dozenten ausschließlich im praktischen Vollzug. Dies ermöglicht den Dozenten einen weitgehenden situativen Handlungsspielraum. Gleichzeitig konfrontiert es die Studierenden in situ mit zuvor nicht unbedingt antizipierbaren Verhaltensweisen und gibt ihnen daher keine stabile Orientierung an die Hand. Von den Studierenden wird erwartet, dass sie interaktiv flexibel sind, sich schnell auf neue Herausforderungen einstellen und selbstständig die implizite Logik des dozentenseitigen Handelns erkennen. Diese Implizitheit entspricht der für die Gesamtkonzeption des Studiums charakteristischen „Simulation harter Bedingungen“, bei der die Studierenden mit Anforderungen konfrontiert werden, die sie in ähnlicher Form in ihrem zukünftigen Berufsfeld ebenfalls meistern müssen (z.B. Zeitknappheit, Leistungsdruck und enge Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Persönlichkeiten). Für die Zusammenarbeit der Dozenten haben sich in den zurückliegenden Analysen folgende zwei Aspekte als besonders relevant herausgestellt: zum einen die Struktur ihrer inhaltlich-organisatorischen Zusammenarbeit, zum anderen deren Hierarchieimplikationen. Die Struktur der inhaltlich-organisatorischen Zusammenarbeit der Dozenten kann hinsichtlich ihres Beteiligungsprofils in Bezug auf die folgenden drei Aspekte näher bestimmt werden: Exklusive Zuständigkeit bei der Bearbeitung von Anforderungen Die Zusammenarbeit der Dozenten wird zunächst durch eine partielle Arbeitsteilung im Sinne einer exklusiven Zuständigkeit charakterisiert: Es gibt be- 227 Siehe hierzu auch Holmes (2006, S. 27): „Spontaneous, collaborative humor [...] provides Spontaneous, collaborative humor [...] provides an excellent illustration of the way participants in workplace interaction use discourse to construct different aspects of their identity, and especially their social relationships with fellow workers or colleagues.“ “ - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 298 stimmte Anforderungen, die ausschließlich und systematisch nur von einem der Dozenten bearbeitet werden. Ralf übernimmt beispielsweise in der Phase der Eröffnung die Situationsstrukturierung und ist für das Beziehungsmanagement mit den Studierenden verantwortlich. Hans hingegen obliegt die ausführliche (teils exkursartige) dramentheoretische Vermittlung und die Einsozialisierung der Studierenden. Im Rahmen dieser Aufgabenteilung agiert Ralf immer mit einer größeren ‘Nähe’ zu den Studierenden und ihrer Geschichte. Will man die Exklusivbereiche weiter differenzieren, so kann man dies hinsichtlich ihrer Pitchingspezifik tun. Die Exklusivbereiche von Hans zeichnen sich durch einen deutlicheren Bezug auf die Kernaktivität aus als die Bereiche von Ralf: Situationseröffnungen und Beziehungsmanagement sind viel universaler, d.h. sie kommen tendenziell in vielen verschiedenen Situationen vor. Hans' Aktivitäten sind hingegen eng an das Pitching als Aktivitätskomplex mit spezifischen Anforderungen gebunden. Während der Arbeit ist es gelegentlich möglich, dass es zwischen den Dozenten zu erkennbaren Konflikten kommt, wenn sie lokal deutlich unterschiedliche didaktische - nicht inhaltlich-dramaturgische (! ) - Ansichten vertreten. Nur äußerst selten werden diese explizit bearbeitet. Wenn dies jedoch geschieht, so haben die Bearbeitungen einen gewissen Demonstrationscharakter, der den Studierenden einen professionellen und sachorientierten Umgang mit Divergenzen vorführt. Unterschiedliche Bearbeitung vergleichbarer Anforderungen mit Bezug aufeinander Neben Exklusivbereichen lässt sich jedoch auch ein großer Bereich erkennen, in dem die Dozenten vergleichbare Aufgaben bearbeiten bzw. vergleichbare Aktivitäten unterschiedlich realisieren (z.B. evaluieren und kritisieren). Hierbei wird deutlich, dass Hans eher direkt und hart kritisiert, Ralf allgemeiner und in der Regel deutlich modalisiert. Die Dozenten sind jedoch in dieser Bearbeitung funktional aufeinander bezogen und ergänzen sich wechselseitig. Dieses Zusammenspiel trägt oftmals dazu bei, Sachverhalte für die Studierenden zu verdeutlichen oder besser verstehbar zu machen. Es wurzelt in den sich unterscheidenden didaktischen Konzepten der beiden Lehrer. Ähnliche Bearbeitung gleicher Anforderungen Drittens gibt es Anforderungen, die beide Dozenten sehr ähnlich bearbeiten, insbesondere während der zentralen Kernaktivität „Stoffentwicklung“. Zwar ist bei Hans eine Tendenz erkennbar, Vorschläge im Rahmen der szenischen - - Analysen 299 Entwicklung mittels enaktierender Verfahren zu gestalten, während Ralf eher auf Mittel der Situationsdetaillierung zurückgreift, meistens sind die Dozenten in ihrer konkreten Beteiligung an der Entwicklung der Geschichte jedoch nicht unterscheidbar. Hierarchieimplikationen der Zusammenarbeit Die Zusammenarbeit der Dozenten reflektiert auch deren unterschiedliche Zuständigkeiten für studienspezifische Belange und betrifft ihren allgemeinen Status in der Struktur des Filmstudiums: Ralf ist Leiter der Drehbuchklasse, Hans hingegen nicht nur Leiter der Regieklasse, sondern Gründer und Leiter des gesamten Ausbildungsganges. Er ist derjenige, der primär formal definiert, was die Studierenden im Studium und im Pitching zu lernen haben. Im Pitch- Pitching gibt er - insbesondere im Rahmen der Einsozialisierung - oft explizite Vergibt er - insbesondere im Rahmen der Einsozialisierung - oft explizite Verhaltensanweisungen für die Studierenden, die über die inhaltliche Arbeit hinausgehen. Er konstituiert dadurch deutlich eine Meister-Schüler-Beziehung. In diesem Rahmen ist er auch die zentrale „Fokusperson“ 228 des Pitchings, auf die sich die Studierenden prinzipiell und in allen Arbeitsphasen orientieren. Was seine Beziehung zu Ralf betrifft, agiert er als ‘primus inter pares’. 4.7 Analysefazit Das Analysefazit fasst die Ergebnisse der detaillierten konstitutionsanalytischen Rekonstruktion zentraler Aspekte des Pitchings zusammen. Mit einer abschließenden Reflexion wird die Frage „Was ist ein Pitching? “ im Hinblick auf die interaktive Vollzugscharakteristik sowie die sozialen und thematischpragmatischen Relevanzen des Interaktionstyps beantwortet. 4.7.1 Herstellung der Situation „Pitching“ (Kap. 4.1) Die Situationsherstellung kann in zwei Phasen gegliedert werden: das Arrangement des Sitzplatzes und die offizielle Eröffnung des Ereignisses. 228 Das Konzept „Fokusperson“ ist von Schmitt/ Deppermann (2007) zur Beschreibung der herausragenden Position der Funktionsrolle ‘Regisseurin’ am Film-Set entwickelt worden. Die Fokusperson „steht im Zentrum der Monitoring-Aktivitäten: Alle Funktionsrollen und Mitarbeiter am Set müssen beobachten, in welchem Arbeitszusammenhang die Regisseurin gerade involviert ist, um ihre eigene Arbeit möglichst antizipatorisch strukturieren und ‘timen’ zu können“ (ebd., S. 109f.). Im Falle des Pitchings ist Hans deutlich erkennbar eine solche Fokusperson. Während der gemeinsamen Arbeit zieht er sich oft gänzlich zurück, begibt sich in eine „Denkerpose“ (siehe Schmitt 2003, S. 200) und bleibt darin völlig statisch. Die Studierenden richten neben der Arbeit auch einen ‘personalen Fokus’ auf Hans und sind sofort auf ihn orientiert, sobald er sich auch nur minimal wieder in das Geschehen integriert. - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 300 Arrangement des Sitzplatzes: Das Arrangement des Sitzplatzes wird i.d.R. von Setting-Talk begleitet, der nicht expandiert wird, und an dem sich nur wenige der Gruppenmitglieder beteiligen. Zentral für diese Phase ist die von allen geteilte Orientierung auf den offiziellen Beginn der Sitzung, der von den Vorbereitungen der Dozenten abhängig ist: Sobald sie ihr Sitzplatzarrangement beendet haben, erfolgt die offizielle Begrüßung. Das Warten auf den Anfang wird von den Studierenden durch primär selbstbezogene Verhaltensweisen und den spezifischen Umgang mit ihren Arbeitsutensilien symbolisiert: Für die Arbeit notwendige Objekte wie Papier und Stifte werden kurz vor der offiziellen Eröffnung berührt bzw. bewegt. Offizielle Eröffnung: In der offiziellen Eröffnung werden die Studierenden von dem Dozenten Ralf, der zuvor und währenddessen deutlich zu den Studierenden blickt („Monitoringblicke“), formal begrüßt. Dabei löst sich die multifokale Interaktionsstruktur, die für das Arrangement des Sitzplatzes typisch ist und bei der jedes Teammitglied primär auf sich bezogen ist, auf. Es kommt zu einer monofokalen Interaktionsstruktur, bei der sich alle auf den begrüßenden Dozenten orientieren. 4.7.2 Voraussetzungsklärung (Kap. 4.2) Die Voraussetzungsklärung (das „first topic“) bietet für die Dozenten eine Vororientierung auf die inhaltliche Qualität der studentischen Geschichte und auf die Zusammenarbeit des Teams. Für die Studierenden ist sie eine Möglichkeit des ‘warming up’, bei dem sie sich als kreativ, dramaturgisch reflektiert, witzig und ‘wach’ darstellen können. Beteiligen sich alle vier Studierenden an der Voraussetzungsklärung, so wird i.d.R. auch eine positive Interaktionsmodalität etabliert, die sich im weiteren Interaktionsverlauf fortsetzt. Dieses Potenzial kann sich jedoch nur entfalten, wenn die Dozenten die Voraussetzungsklärung initiieren und zulassen. Fordern sie direkt nach der offiziellen Eröffnung zum Pitchen auf, können die Studierenden die Voraussetzungsklärung selbstbestimmt nicht durchsetzen. 4.7.3 Präsentation des Pitches (Kap. 4.3) Der Pitch durch ein Mitglied des studentischen Teams (meist Autor/ Autorin) ist die inhaltlich-thematische Grundlage für die Szenenentwicklung und als solche zentraler Bezugs- und Ausgangspunkt der gemeinsamen Arbeit an den einzelnen Szenen der Geschichte. Pitchen ist eine Form der narrativen Kurzpräsentation, anhand derer die Studierenden zum einen den Nachweis erbringen, dass sie sich beim Entwurf ihrer Geschichte an zentralen dramenarchitek- - - Analysen 301 tonischen Strukturvorgaben orientiert („Pitchen ist strukturindikativ“) und diese zum anderen fallspezifisch interessant und ansprechend modelliert haben („Pitchen unterliegt einem Innovationszwang“). Die Kompetenz, einen Pitch kurz und prägnant zu präsentieren, müssen sich die Studierenden im Laufe ihrer Professionalisierung aneignen. Dabei dürfen sie nicht auf alltagsweltliche Techniken des Erzählens (wie emotionale Sprachformen, dramatisierende Mittel, direkte Rede, kollaboratives Sprechen) zurückgreifen. Das Pitchen hat eher Ähnlichkeit mit Berichten, weist jedoch auch eine rhetorische Seite auf. Durch die Art der Darstellung (Darstellungsduktus, Sprechtempo, Intonation etc.) können die Studierenden für ihre Idee werben. Die Qualität des Pitches wirkt sich entscheidend auf die Szenenentwicklung aus. Ein Pitch, der beiden zentralen Anforderungen nach Strukturerfüllung und Innovation nicht gerecht wird, führt dazu, dass lange über die Geschichte geredet wird, bevor es überhaupt zur Szenenentwicklung kommt. Diese wird dann oft von dramentheoretischen Vermittlungsdiskursen unterbrochen. 4.7.4 Die Kernaktivität „Stoffentwicklung“ (Kap. 4.4) Die Stoffentwicklung umfasst die gemeinsame Entwicklung von Szenen, in die alle Gruppenmitglieder aktiv involviert sind und die Vermittlung der Dramentheorie, die von den Dozenten initiiert und durchgeführt wird. Die Szenenentwicklung stellt so lange den zentralen Arbeits- und Interaktionsbezug dar, bis es zu gestalterischen Problemen kommt, welche die Dozenten zu Vermittlungsaktivitäten veranlassen. Sind diese beendet, folgt eine Rückleitung zur Szenenentwicklung und die gemeinsame Arbeit an der Geschichte wird fortgesetzt. Der Wechsel von Szenenentwicklung und Vermittlung der Dramentheorie impliziert jedoch kein Gleichgewicht der beiden Aktivitätstypen: Rein quantitativ überwiegen Phasen der Szenenentwicklung deutlich, und es gibt auch Pitchings, in denen es kaum oder gar nicht zu Vermittlungssequenzen kommt. , in denen es kaum oder gar nicht zu Vermittlungssequenzen kommt. Wenn sie jedoch initiiert werden, können sie mitunter sehr komplex sein und bis zu einer Viertelstunde dauern. Sie sind jedoch niemals autonom, sondern stehen immer in einem Funktionsverhältnis zum Verlauf der Szenenentwicklung, durch die sie motiviert sind. In dieser Hinsicht haben sie einen - in der sprachlichen Form oftmals nicht ausgewiesenen - interaktionsreflexiven und interaktionsevaluativen Status. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 302 4.7.5 Szenische Entwicklung (Kap. 4.4.1) Die szenische Entwicklung zeichnet sich durch drei Basisoperationen aus, durch die szenische Konstruktion, die die zu entwickelnde Szene portioniert und Strukturelemente vorgibt, die in der Szene enthalten sein müssen, die szenische Ausgestaltung als weitgehende Konkretisierung der beispielhaften Vorschläge im Rahmen der szenischen Konstruktion und den Bedingungsabgleich, der die Entwicklungsvorschläge hinsichtlich ihrer Kompatibilität mit dramaturgischen Restriktionen, Konsistenz- oder Glaubwürdigkeitsbedingungen evaluiert, jedoch nur lokal operiert und daher strukturell nicht mit den o.g. Vermittlungsdiskursen vergleichbar ist. Die Analysen im Kontext der Szenenentwicklung haben typische interaktive Verfahren sowohl der szenischen Konstruktion, als auch der szenischen Ausgestaltung und des Bedingungsabgleichs identifiziert: Verfahren der szenischen Konstruktion Hypothetische Exemplifizierung: Die hypothetische Exemplifizierung liefert Vorschläge für Handlungen der Charaktere, die einen Möglichkeitsraum im Kontext der Geschichte eröffnen, innerhalb dessen sich die Charaktere verhalten können. Konzeptvariation: Die Konzeptvariation reagiert auf die prinzipielle Potenzialität, die in der Grundstruktur jeder Geschichte vorhanden ist. Durch die Verwendung mehrerer semantisch ähnlicher Verben aus einem Wortfeld werden im Rahmen eines Vorschlages gleichzeitig mehrere Möglichkeiten für das Verhalten eines Filmcharakters eröffnet. Implikationsexplikation: Die Implikationsexplikation verdeutlicht die Auswirkung von bereits festgelegten Handlungen eines Charakters für Folgehandlungen. Struktursetzung: Die Struktursetzung definiert einen Ausgangspunkt für szenische Überlegungen. Meist wird auf eine Situation rekurriert, die im Weiteren ausgestaltet werden soll. So wird beispielsweise der Ort erwähnt, an dem sich die Charaktere befinden, oder eine relevante Handlung benannt, die ein Protagonist ausgeführt hat und auf die im Folgenden andere Charaktere reagieren sollen. Verfahren der szenischen Ausgestaltung Situationsdetaillierung: Die Situationsdetaillierung ist für die Modellierung von Situationen innerhalb einer Szene relevant. Eine Szene kann - - - - - - - - Analysen 303 aus mehreren Situationen bestehen. Die jeweilige Situation muss hinsichtlich ihrer räumlichen, personellen und handlungsstrukturellen Spezifik ausgearbeitet werden. Enaktieren: Das Enaktieren zeigt das Handeln der Charaktere aus deren Perspektive. Es geschieht entweder unter Einsatz direkter Rede und/ oder durch den Einsatz von Gesten. Beim Einsatz direkter Rede kann zwischen monologischer handlungsbegleitender Rede (= Handlungen der Charaktere werden sprachlich begleitet) und dialogischer handlungskonstituierender Rede (= Darstellung der sprachlichen Interaktion mehrerer Charaktere) unterschieden werden. Letztere kann entweder durch einen Sprecher dargestellt werden, der abwechselnd in die Rolle der unterschiedlichen Filmcharaktere schlüpft (= dialogische handlungskonstituierende Rede durch einen Sprecher), oder durch mehrere Sprecher, die jeweils für unterschiedliche Filmcharaktere sprechen (= dialogische handlungskonstituierende Rede durch mehrere Sprecher). Das Enaktieren mit Einsatz von Gesten kann in drei Typen differenziert werden: 1) redebegleitende Gesten, die die direkte Rede gleichsinnig ergänzen, 2) pantomimische Gesten, die in der aktuellen Situation nicht vorhandene Gegenstände eigenständig symbolisieren, um dadurch Handlungen zu verdeutlichen, und 3) inszenatorische Gestikulation, bei der in Sprechpausen spezifische Verhaltensweisen der Filmcharaktere durch körperliche Darstellungen ausgeführt und symbolisiert werden. Bedingungsabgleich Der Bedingungsabgleich problematisiert szenische Vorschläge hinsichtlich Konsistenz, Glaubwürdigkeit etc. Er kann entweder die Vorschläge anderer betreffen oder als Reflexion eines Sprechers auch in dessen laufenden Beitrag zur Szenenentwicklung inkorporiert sein. 4.7.6 Dramentheoretische Vermittlung (Kap. 4.4.2) Während der Bedingungsabgleich lokal begrenzt operiert, weist die dozentenseitige monologische Wissensvermittlung im Kontext dramentheoretischer Ausführungen stellenweise sehr expandierte Formen auf. Analytisch konnten drei Problemtypen identifiziert werden, die aus Sicht der Dozenten eine dramentheoretische Vermittlung auslösen: Wissensproblem: Die Studierenden kennen relevante Aspekte der Theorie nicht. Umsetzungsproblem: Die Studierenden kennen die relevante dramaturgische Theorie, können sie jedoch nicht auf ihre Geschichte anwenden. - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 304 Relevanzproblem: Die Studierenden kennen die dramentheoretischen Aspekte, sehen aber aufgrund eigener dominanter Orientierungen deren Relevanz für die aktuelle Szenenentwicklung nicht. Grundsätzlich reagieren die dozentenseitigen Vermittlungsverfahren auf die spezifische Qualität des vorliegenden Problems. Die dramentheoretische Vermittlung zeichnet sich durch eine typische Struktur aus: Nach der dramentheoretischen Überprüfung kommt es zum dramentheoretischen Wissenstransfer, anschließend erfolgt die Rückführung zur studentischen Geschichte. Frage-Antwort-Sequenzen, bei denen die Studierenden hintereinander mehrere Wissensfragen beantworten müssen, dienen zum einen als Diagnosemöglichkeit für den Dozenten („Welche Art von Problem liegt vor? “), zum anderen als implizite Verdeutlichung für die Studierenden, wie der Dozent ihr Problem einschätzt („Ihr Problem ist nicht ein Akzeptanzproblem, sondern eigentlich ein Wissensproblem! “). Der Wissenstransfer wird anhand von Klassikern der Dramaturgie (z.B. Hamlet) exemplifiziert. Die Verdeutlichung bei einem Umsetzungsproblem erfolgt vergleichsweise kurz und mit hohem Einbezug der Studierenden. Das Wissensproblem wird vom Dozenten monologisch bearbeitet, wobei Verfahren zur Verständigungssicherung eingesetzt und einfache Sachverhalte oft hyperexplizit dargestellt werden. Das Relevanzproblem führt zu expandierten dozentenseitigen Monologen, die oft mit Einsozialisierungsaktivitäten einhergehen. 4.7.7 Zusammenarbeit der Studierenden (Kap. 4.5) Aufgrund der zufälligen Teamzusammensetzung kommt es insbesondere bei den Pitchings für die 5-Minüter, bei denen die Studierenden zudem noch nicht mit ihrer inhaltlichen Aufgabe vertraut sind und die Relevanzen der Dozenten nicht einschätzen können, oft zu Meinungsverschiedenheiten unter den Studierenden, die zu manifesten Irritationen im Team führen. Die Dozenten verdeutlichen, dass eine Bearbeitung von Teamproblemen in der Pitchingsituation dispräferiert ist. Sie verlangen eine strikte Arbeitsorientierung, welche die Studierenden unter den erschwerten gruppendynamischen Bedingungen jedoch nicht immer einnehmen und aufrechterhalten können. Distanzierungen Einzelner von ihrem Team, die eher eine Individualorientierung ausdrücken, werden deshalb selten sprachlich, sondern primär durch mimisch-gestische Verhaltensweisen ausgedrückt. - Analysen 305 Meist gelingt es den Teams schon bei den 10-Minütern, spätestens jedoch bei den 20-Minütern, selbst eine konsequente Arbeitsorientierung einzunehmen und der Szenenentwicklung grundsätzlich alle anderen Aktivitäten unterzuordnen. Es zeigt sich eine größere Loyalität zum Team sowie eine ausgeprägtere Funktionsrollenorientierung, bei der Vorschläge aus der jeweiligen rollenbezogenen Perspektive als Autor/ in, Regisseur/ in, Kameramann/ -frau oder Produzent/ in diskutiert werden und das Team die szenische Entwicklung multiperspektivisch reflektiert. 4.7.8 Zusammenarbeit der Dozenten (Kap. 4.6) Die Zusammenarbeit der Dozenten ist nicht vorgängig geplant oder festgelegt, sondern ergibt sich in situ durch die jeweiligen Anforderungen. Die unterschiedlichen Beteiligungsprofile beider Dozenten im Pitching wurzeln in ihren unterschiedlichen didaktischen Präferenzen und Konzepten. Sie können in Bezug auf drei Aspekte näher bestimmt werden: Exklusive Zuständigkeiten: Ralf ist für die Strukturierung der Eröffnungsphase und für das Beziehungsmanagment mit den Studierenden verantwortlich; Hans übernimmt die dramentheoretische Vermittlung und die Einsozialisierung der Studierenden. Selten kommt es zwischen den Dozenten zu Konflikten, wenn sie lokal deutlich unterschiedliche didaktische - nicht inhaltlich-dramaturgische (! ) - Ansichten vertreten. Werden diese von ihnen bearbeitet, zeigt sich ein professioneller und sachorientierter Umgang miteinander. Unterschiedliche Bearbeitung vergleichbarer Anforderungen: Im Rahmen von Evaluation und Kritik studentenseitiger Vorschläge oder Verhaltensweisen agiert Hans eher hart und direkt, Ralf dagegen eher modalisiert. Jedoch ergänzen sie sich funktional, da Evaluation und Kritik meist von beiden nacheinander vollzogen werden. Das Zusammenspiel trägt dazu bei, gemeinsam Sachverhalte zu verdeutlichen und für die Studierenden verstehbar zu machen. Ähnliche Bearbeitung vergleichbarer Anforderungen: Bei der konkreten szenischen Entwicklung - also während der primären Aktivität des Pitch- Pitchings - sind die Aktivitäten der Dozenten nicht unterscheidbar. Lediglich im - sind die Aktivitäten der Dozenten nicht unterscheidbar. Lediglich im Kontext der szenischen Ausgestaltung ist bei Hans eine Präferenz für enaktierende Verfahren zu beobachten, bei Ralf für Verfahren der Situationsdetaillierung. - - - Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 306 Die Form der Zusammenarbeit beider Dozenten reagiert auch auf einen relevanten Statusunterschied zwischen ihnen. Zwar sind beide Profis im Filmbereich und Leiter je einer Klasse im Studium (Drehbuchklasse und Regie), jedoch ist Hans zudem Gründer und Leiter des gesamten Ausbildungsganges. Im Rahmen der Einsozialisierung formuliert er für die Studierenden Verhaltensregeln, die teils deutlich über die konkrete Pitchingsituation hinausgehen und auf grundlegende Strukturen des Filmgeschäfts bezogen sind. Er konstituiert dadurch eine Meister-Schüler-Beziehung. Für die Studierenden ist er die zentrale Fokusperson der Pitchings, bezüglich seiner Beziehung zu Ralf agiert er als ‘primus inter pares’. 4.7.9 Ergebnis der Longitudinalperspektive: Professionalisierung der Studierenden Während für die Aktivitäten im Kontext der Situationsherstellung (z.B. im Rahmen des Setting-Talk) allgemeine soziale und kommunikative Kompetenzen der Studierenden relevant sind, hinsichtlich derer sich keine Professionalisierungstendenzen zeigen, lassen sich im Rahmen der Szenenentwicklung und der Pitch-Präsentation deutliche Professionalisierungsschübe erkennen. Diese beziehen sich bei der Entwicklung vom 5-Minüter zum 10-Minüter vor allem auf den Umgang mit der inhaltlichen Aufgabe, während vom 10zum 20-Minüter deutliche Veränderungen hinsichtlich des Teamverhaltens manifest werden. Professionalisierungsindikatoren hinsichtlich der Pitch-Präsentation: Im Zuge ihrer Professionalisierung orientieren sich die Studierenden immer konsequenter an zentralen dramenarchitektonischen Strukturvorgaben. Dies wirkt sich auf den Pitch aus, denn dieser verdeutlicht zunehmend die dramaturgisch relevanten Strukturkomponenten. Ein sicherer Umgang mit der Konstruktion des Pitches führt dazu, dass die Studierenden während ihrer Präsentation gezielter rhetorische Mittel einsetzen und für ihre Idee werben. Professionalisierungsindikatoren hinsichtlich der Szenenentwicklung: Deutliche Fortschritte im Kontext der Szenenentwicklung zeigen sich durch die seltener und insgesamt auch kürzer werdenden dozentenseitigen dramaturgischen Vermittlungsaktivitäten. In wenigen Pitchings für den 10- und einigen Pitchings für den 20-Minüter entfallen sie sogar ganz. Dies ist ein Hinweis auf die Einschätzung der Dozenten, nicht mehr im Sinne der zu Grunde gelegten Dramaturgie intervenieren zu müssen. Professionalisierungsindikatoren hinsichtlich des Teamverhaltens: Je weiter sich die Studierenden professionalisieren, desto konsequenter stellen sie ihr Verhalten in den Dienst der Szenenentwicklung. Dies führt dazu, - - - Analysen 307 dass es zu weniger Einsozialisierungsaktivitäten auf Dozentenseite kommt. Als Professionalisierungsindikatoren zeigen sich insbesondere zwei studentenseitige Orientierungen: eine konsequente Arbeitsorientierung, welcher Teamproblematisierungen erkennbar untergeordnet werden, und eine ausgeprägte Funktionsrollenorientierung. Je deutlicher sich rollenbezogenes Handeln abbildet und als Orientierungsbasis aller Teammitglieder erkennbar wird, desto weniger kommt es zu Beziehungsirritationen im Team und emotionalen Reaktionen, die in einer persönlichen Betroffenheit wurzeln. 4.7.10 Implikationen der gesprächsanalytischen Ergebnisse Aufgrund der in den detaillierten Konstitutionsanalysen produzierten Einsichten in die Vollzugscharakteristik des Ereignisses kann eine abschließende Reflexion vorgenommen werden. Hierzu wird noch einmal an die im Rahmen der Gegenstandskonstitution herausgearbeitete Fallspezifik der Kooperationsform, die als vorläufige, analysevorgängige Arbeitsdefinition zusammengefasst wurde, erinnert: Erste Arbeitsdefinition im Kontext der Gegenstandskonstitution: Das Pitching ist eine auf Pitching ist eine auf ist eine auf drei Stunden limitierte, unter hierarchischen Bedingungen stattfindende Mischform aus Lehr-Lern- und Arbeitsdiskurs im Bereich der Erwachsenenbildung, in der vier Studierende unterschiedlicher Studienfächer bzw. Funktionsrollen (Drehbuch, Produktion, Regie, Kamera) mit zwei Dozenten gemeinsam eine Filmidee entwickeln. Von den aufgeführten Merkmalen haben sich die drei folgenden Aspekte in den Vollzugsanalysen als besonders relevant herausgestellt: Hierarchische Bedingungen; Mischform aus Arbeits- und Lehr-Lern-Diskurs; Entwicklung einer Filmidee. Die „Entwicklung einer Filmidee“ konnte als Szenenentwicklung in ihrem komplexen Anforderungsprofil präzisiert werden. Die Spezifik des interaktiven Verlaufes der Szenenentwicklung wird in grundlegender Weise von dem Verhalten der Dozenten bestimmt. In Abhängigkeit von der dozentenseitigen Situationsdefinition hinsichtlich der Güte der Szenenentwicklung (d.h. hinsichtlich des Ausmaßes ihrer dramentheoretischen Verankerung) produzieren sie zwei sich unterscheidende Beteiligungsformate, die das aktuelle Tun als Arbeits- oder als Lehr-Lern-Diskurs ausweisen. Das Pitching ist insofern - a) b) c) Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 308 keine „Mischform aus Arbeits- und Lehr-Lern-Diskurs“, sondern ein soziales Ereignis, das sich durch einen von der Interaktionsentwicklung abhängigen Wechsel von Arbeitsphasen und Phasen der Lehre („Vermittlungsphasen“) auszeichnet: Erfüllen die Studierenden im Rahmen ihrer szenischen Entwicklungsvorschläge die Erwartungen der Dozenten, so lassen die Dozenten ihnen einen verhältnismäßig großen gestalterischen Freiraum, halten sich mit lokalen Problematisierungen in Form von Bedingungsabgleichen zurück, beenden die konkrete Entwicklungspraxis nicht durch dramaturgische Vermittlungen, führen keine Einsozialisierungsaktivitäten durch, geben keine Hinweise auf die hierarchischen Grundlagen und beteiligen sich intensiv mit eigenen konstruktiven Vorschlägen an der szenischen Entwicklung. Erfüllen die Studierenden die dozentenseitigen Erwartungen an die Szenenentwicklung hingegen nicht, kommt es zu Vermittlungs- und Einsozialisierungsaktivitäten. In diesem Falle werden die organisationsstrukturell zu Grunde liegenden „hierarchischen Bedingungen“ interaktiv auch tatsächlich relevant gesetzt. Das Pitching zeichnet sich also durch eine vom konkreten Interaktionsverlauf abhängige Relevantsetzung der hierarchischen Strukturen aus. Dramenstrukturbezogene Entwicklung Nicht dramenstrukturbezogene Entwicklung Symbolisierung hierarchischer Strukturen nein ja Einsozialisierung nein ja Vermittlungsexkurse zur Dramentheorie nein ja Abb. 92: Modell: Beteiligungsformate der Dozenten bei dramenstrukturbezogener Szenenentwicklung vs. nicht dramenstrukturbezogener Entwicklung Die Kontrollaktivitäten der Dozenten und die daraus folgenden Beteiligungsweisen sind Ausdruck einer im Lehr-Lern-Diskurs verankerten hierarchischen Ordnungsstruktur mit spezifischen Zuständigkeiten und Verantwortungen: Als Lehrer stehen beide Dozenten kontinuierlich vor der Aufgabe, die Szenenentwicklung hinsichtlich ihrer dramaturgischen Qualität einzuschätzen, um bei Problemen intervenieren zu können. Dies führt dazu, dass die interaktive und soziale Dynamik im Pitching nicht stabil ist, sondern sich in Abhängigkeit von den dozentenseitigen Qualitätseinschätzungen der Geschichtsentwicklung permanent verändert. Analysen 309 Die eingangs präsentierte Arbeitsdefinition hatte die Funktion, aus einer zwar auf die ethnographische Erfahrung gestützten, grundsätzlich jedoch voranalytischen Perspektive die Gegenstandskonstitution abzuleiten. Dies geschah mit dem Ziel, relevante Untersuchungsaspekte zu identifizieren und für die Analyse auszuwählen. Die konstitutionsanalytischen Ergebnisse der zurückliegenden Analysen eröffnen detaillierte Einblicke in den Vollzug des Pitchings und der spezifischen Beteiligungsweisen der Interaktionsteilnehmer. Diese Ergebnisse tragen dazu bei, das Pitching als spezifische Kooperationsform insbesondere hinsichtlich seines komplexen Anforderungprofils für die Gruppenmitglieder und seiner spezifischen Konstitutionslogik zu präzisieren. Das Anforderungsprofil der „Szenenentwicklung“ konnte ausdifferenziert und bezüglich der dabei eingesetzten interaktiven Verfahren und der zu Grunde liegenden handlungsleitenden Orientierungen der Studierenden und Dozenten rekonstruiert werden. Hinsichtlich der spezifischen Konstitutionslogik wurde deutlich, dass die sequenzielle Ordnung der das Pitching konstituierenden Aspekte nur bedingt als lineare Abfolge prognostizierbar ist. Stattdessen beeinflussen auf die Qualität der Szenenentwicklung bezogene interaktionsreflexive Entscheidungen der Dozenten lokal den weiteren Fortgang des Pitchings. Mit den dozentenseitigen Entscheidungen sind sowohl bestimmte Beteiligungsformate auf Seiten der Dozenten als auch - zwangsläufig in Reaktion auf diese - auf Seiten der Studierenden verbunden. Eine rein handlungsschematische Konzeptualisierung des Pitchings stellt nicht nur wegen der beschränkten Prognosemöglichkeit der Ablaufslogik, sondern auch wegen der interaktiven und sozialen Komplexität des Ereignisses, eine unangemessene Reduktion dar. Der analytische Umgang mit der faktischen Komplexität einer solchen Kooperationsform muss deshalb - neben einer handlungsschematischen Strukturexplikation - auch auf die Rekonstruktion des sozial strukturierten Relevanzzusammenhangs ausgerichtet sein. Nur dadurch können Aspekte wie Hierarchie, Einsozialisierungsaktivitäten, Professionalisierungstendenzen etc. als strukturgenerierende Einflüsse auf das Pitching rekonstruiert werden. - - 5. Reflexion Untersuchungen von Handlungsschemata zielen auf die Rekonstruktion fallübergreifender allgemeiner, ablauflogisch geordneter Handlungsanforderungen, die die Interaktionsbeteiligten bei der Konstitution gesellschaftlich relevanter Handlungstypen bearbeiten müssen. Es ist also ein allgemeines Charakteristikum des Erkenntnisinteresses, nicht die interaktive Komplexität bestimmter Ereignisse zu erfassen, sondern deren handlungsbezogenes „Gerüst“. Methodisch gesehen werden dabei auf der Grundlage der empirischen Analyse von Einzelfällen lokal produzierte Handlungskomplexe und Handlungszusammenhänge abstrahiert, systematisiert und in einem abfolgelogischen Zusammenhang rekonstruiert. Die konkrete Anwendung des Ansatzes variiert zwischen einer eher oberflächennahen Segmentierung, die sich an den von den Interaktanten selbst produzierten Segmentierungshinweisen orientiert, und stärker thematisch-handlungsbezogen ausgerichteten Vollzugsanalysen. Angewandt wurde der handlungsschematische Ansatz primär auf Interaktionsereignisse, die eine i.d.R. dyadische Beteiligungsstruktur bzw. ein klares rollenspezifisches interaktives Beteiligungsformat und zumeist eine institutionelle Anbindung aufweisen (z.B. Beratungs- und Schlichtungsgespräche). Für diese Handlungstypen ist zudem charakteristisch, dass bezüglich ihrer Ablaufstruktur und allgemeinen Funktionalität ein weit verbreitetes gesellschaftliches Wissen existiert. Die relative Vertrautheit des Analytikers mit dem Untersuchungsgegenstand mag ein Grund dafür sein, dass in vielen handlungsschematischen Untersuchungen methodologische Ausführungen zum konkreten Analysevorgehen weitgehend offen geblieben sind. Die weitgehenden impliziten Annahmen, die mit dem handlungsschematischen Ansatz hinsichtlich der Ablauforganisation von Interaktionsereignissen gemacht werden, expliziere ich im Folgenden auf der Grundlage einiger Ergebnisse meiner Analysen des Pitchings. Dies erfolgt mit dem Ziel, die Reichweite des handlungsschematischen Ansatzes im Rahmen professioneller Interaktion zu bestimmen. Bei einer solchen Reflexion werden folgende - in der Regel nicht explizit thematisierte - Annahmen der handlungsschematischen Konzeption als Idealisierungen deutlich: Transparenz-Idealisierung: Dieser Aspekt thematisiert die Annahme einer gesellschaftlich verbreiteten allgemeinen Wissensbasis, aufgrund derer Handlungsschemata hinsichtlich ihrer allgemeinen Funktionalität und der Charakteristik ihres Ablaufes als für alle Beteiligten bekannt, antizipierbar und Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 312 transparent charakterisiert werden. Eine solche Annahme kann hinsichtlich des Interaktionstyps Pitching nicht geteilt werden. Die Pitchings zeichnen sich vielmehr durch eine komplexe, multipersonal strukturierte und professionsbezogene Interaktionsstruktur aus, über die kein vergleichbares kulturell verbreitetes Wissen existiert. Die Einsozialisierung der Studierenden in den Interaktionstyp Pitching erfolgt erst im Pitching selbst. Insbesondere bei den 5-Minütern wissen die Studierenden nicht genau, was sie im Pitching erwarten wird. Die Dozenten haben hingegen - auch aufgrund ihrer Erfahrung mit mehreren Vorgängerjahrgängen - eine sehr genaue Vorstellung von den zu bearbeitenden Aufgaben, ihrer Abfolge und ihrer Spezifik. Gleichheits-Idealisierung: Dieser Aspekt verweist auf die implizite Vorstellung, Handlungsschemata würden von allen Beteiligten gemeinschaftlich hervorgebracht (siehe zu diesem Aspekt auch die Reflexion von Nothdurft/ Spranz-Fogasy 1991). Eine solche Ansicht kollidiert weitgehend mit der den Interaktionstyp Pitching prägenden „Definitionsmächtigkeit der Dozenten“. Jenseits der grundlegenden ethnomethodologischen Vorstellung der „gemeinsamen Hervorbringung von Interaktion“ existieren gravierende Unterschiede zwischen den Beteiligten. Es sind ausschließlich die Dozenten, die die Aufgaben- und Handlungsstruktur des Interaktionstyps bestimmen. Reflexivitäts-Idealisierung: Dieser Aspekt zielt auf die Annahme, die Interaktionsbeteiligten verdeutlichten sich wechselseitig die zurückliegenden, aktuellen oder zukünftig zu bearbeitenden Handlungsschritte und machten dadurch nicht nur sich selbst den aktuellen Stand deutlich, sondern ermöglichten auch den Analytiker(inne)n eine relativ oberflächennahe Rekonstruktion relevanter Wechsel im Handlungsablauf. Solche reflexiven Hinweise unterbleiben im Pitching mit wenigen systematischen Ausnahmen (Übergang zum Pitchen). Das weitgehende Ausbleiben solcher reflexiven Bezüge hat seine Bedeutung als Bestandteil der ‘Simulation harter Bedingungen’, die für das Studium insgesamt charakteristisch ist. Die Studierenden müssen von sich aus jeweils rekonstruieren, in welchem Handlungszusammenhang sie sich aktuell gerade befinden und als Beitrag zu welchem Handlungsstrang die Ausführungen der Dozenten zu ‘verrechnen’ sind. Relevanz-Idealisierung: Dieser Aspekt bezieht sich auf die Annahme, Handlungsschemata seien durch eine Primärrelevanz (wie Beraten, Verkaufen) definiert. Das Pitching ist jedoch ein Situationstyp, der neben der allgemeinen Orientierung, gemeinsam eine Filmidee zu entwickeln, wichtige weitere soziale Relevanzen besitzt. Diese sind für das Pitching zwar konstitutiv, haben Reflexion 313 jedoch keine handlungsschematische Gestalt. Bei einer Fokussierung der Handlungsebene würden beispielsweise die Aspekte der Einsozialisierung und der Verdeutlichung zentraler Relevanzen und Kompetenzen, die im späteren Professionsfeld benötigt werden, nicht in den Blick gelangen. Diesbezüglich wird deutlich, dass für die Rekonstruktion des Interaktionstyps Pitch- Pitching neben handlungsbezogenen Konzepten notwendigerweise auch auf solche neben handlungsbezogenen Konzepten notwendigerweise auch auf solche Vorstellungen Bezug genommen werden muss, mit denen es möglich ist, auch die spezifisch soziale Qualität der Interaktion z.B. hinsichtlich Hierarchie und Wissensverteilung zu erfassen. Prognostizierbarkeits-Idealisierung: Dieser Aspekt verweist auf die unterstellte Stabilität der ablaufbezogenen Konstitution von Handlungsschemata und auf die relative Starrheit der Ablauflogik. Entgegen einer solchen Annahme hat vor allem die Rekonstruktion konstitutiver Aspekte der Kernaktivität „Stoffentwicklung“ gezeigt, dass es keinen prognostizierbaren Handlungsablauf gibt. Stattdessen wurde deutlich, dass im Kontext der Kernaktivität ein dynamisches Modell den Ablauf und die Dominanz bestimmter Handlungszusammenhänge strukturiert. Dieses Modell basiert grundsätzlich auf der situationssensitiven Einschätzung des aktuellen Interaktionsverlaufes durch die Dozenten. Der faktische Konstitutionsgang und die von den Dozenten definierten einzelnen Handlungsschritte sind dabei von sehr unterschiedlichen Faktoren abhängig. Dies verstärkt sich noch dadurch, dass diese privilegierte Position mit ihrem einseitigen Strukturierungspotenzial doppelt besetzt ist. Da grundsätzlich immer beide Dozenten die Möglichkeit der situationssensitiven Strukturierung besitzen - und sie zudem sehr unterschiedliche Präferenzen bezüglich ihrer didaktischen Vorgehen haben -, ist die Prognostizierbarkeit des Interaktionsverlaufs vor allem im Kontext der Stoffentwicklung besonders gering. Pitching ist ein Interaktionstyp, bei dem privilegierte Beteiligte in der Reaktion auf den aktuellen Interaktionsverlauf über den weiteren Interaktionsgang entscheiden. Mit anderen Worten: Der Interaktionstyp Pitching verfügt in dieser Hinsicht über einen „autogenerativen Mechanismus“. Der handlungsschematische Ansatz ist zwar geeignet, einige Komponenten des Pitchings und ihre funktionalen Bezüge zu bestimmen, nicht jedoch solche Mechanismen der Situationsgestaltung zu erfassen, die im positionalen Gefüge der Beteiligten gründen. Die Ausführungen zu den impliziten Idealisierungen der handlungsschematischen Konzeption machen zusammenfassend Folgendes deutlich: Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 314 Ausgehend von den Ergebnissen der konstitutionsanalytischen Untersuchung des Situationstyps Pitching scheinen dem handlungsschematischen Ansatz bei der Untersuchung komplexer Interaktionsereignisse relativ enge Grenzen gesteckt zu sein. Die Fruchtbarkeit des Ansatzes besteht nicht so sehr im analytischen Bereich, sondern zeigte sich vor allem in seinem heuristischen Beitrag zur Gegenstandskonstitution und der Auswahl relevanter Stellen für die konstitutionsanalytische Untersuchung lokaler Mechanismen der Produktion interaktiver Ordnung. Ein Erkenntnisinteresse, das sich auf die Rekonstruktion nicht nur der handlungsspezifischen, sondern auch der sozialen Qualität eines Interaktionstyps bezieht, muss zwangsläufig also andere Konzepte integrieren. In dieser Untersuchung wurde dies mit dem Konzept „Kooperation“ geleistet. Durch den Bezug auf Kooperation konnte das Handlungsgerüst Pitching um die Komponenten erweitert werden, die den ‘Import’ institutions-, organisations- und sozialstruktureller Bedingungen ermöglichten. Erst dadurch konnten Aussagen über den komplexen Zusammenhang von Handlungs-, Organisations- und Sozialstruktur gemacht werden, der den Situationstyp Pitching insgesamt auszeichnet. 6. 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Anhang 7.1 Liste der verwendeten Transkriptionszeichen RA: Sprechersigle K Sigle für einen Kommentar bezogen auf eine Spre- cherin/ einen Sprecher RA: |ja aber | simultan gesprochene Äußerungen stehen unterei- HA: |nein nie| nander * kurze Pause ** etwas längere Pause (bis max. 1 Sekunde) *3,5* längere Pause mit Zeitangabe in Sekunden = Verschleifung eines Lautes oder mehrerer Laute zwischen Wörtern (z.B. sa=mer für sagen wir ) / Wort- oder Konstruktionsabbruch (...) unverständliche Sequenz + sehr schneller Anschluss ↑ steigende Intonation (z.B. kommst du mit↑ ) ↓ fallende Intonation (z.B. jetzt stimmt es↓ ) - schwebende Intonation (z.B. ich sehe hier- ) “ auffällige Betonung (z.B. aber ge“rn ) : auffällige Dehnung (z.B. ich war so: fertig ) ← immer ich → langsamer (relativ zum Kontext) → immerhin ← schneller (relativ zum Kontext) >vielleicht< leiser (relativ zum Kontext) <manchmal> lauter (relativ zum Kontext) RA: #ach so: # K #IRONISCH# Kommentar zur Äußerung (auf der Kommentarzeile) ~backstory~ englische Bezeichnungen [ ] Auslassungen im Transkript Zitate aus dem Transkript werden im Text kursiv gekennzeichnet. Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 336 7.2 Korpusübersicht: Liste der verwendeten Ausschnitte Pitchingtyp Transkriptname Jahrgang Kapitel 1 10er Motorrad 04-06 Herstellung der Situation (4.1) 2 10er Motorrad 04-06 Voraussetzungsklärung (4.2) 3 10er Hochzeit 04-06 Voraussetzungsklärung (4.2) 4 10er Moskauticket 04-06 Voraussetzungsklärung (4.2) 5 10er Musiker 02-04 Präsentation des Pitches (4.3) 6 10er Vater & Sohn 04-06 Präsentation des Pitches (4.3) 7 20er Ausreißer 02-04 Präsentation des Pitches (4.3) 8 10er Rucksacktouristen 04-06 Präsentation des Pitches (4.3) 9 10er Moskauticket 04-06 Präsentation des Pitches (4.3) 10 5er Taschendieb 02-04 Stoffentwicklung (4.4) 11 5er Bernd 02-04 Stoffentwicklung (4.4) 12 10er Musiker 02-04 Stoffentwicklung (4.4) 13 20er Heimkehrer 02-04 Stoffentwicklung (4.4) 14 5er Koabhängigkeit 02-04 Stoffentwicklung (4.4) 15 5er Bernd 02-04 Stoffentwicklung (4.4) 16 5er Koabhängigkeit 02-04 Stoffentwicklung (4.4) 17 5er Bernd 02-04 Zusammenarbeit Team (4.5) 18 20er Journalistin 02-04 Zusammenarbeit Team (4.5) 19 10er Musiker 02-04 Zusammenarbeit Team (4.5) 20 5er Bernd 02-04 Zusammenarbeit Dozenten (4.6) 21 10er Bundeswehr 02-04 Zusammenarbeit Dozenten (4.6) Anhang 337 7.3 Struktur der inhaltlich-thematischen Progression des dramentheoretischen Exkurses im Kontext des Relevanzproblems (siehe Kap. 4.4.2.3) 1) Bedingung (1) für eine dramatische Geschichte: Protagonist und Antagonist „Eine Geschichte entsteht nur dann, wenn verschiedene Protagonisten, ein einzelner oder eine Gruppe auf eine andere Gruppe stößt, die das Gegenteil von dem will, was die Protagonisten wollen.“ 2) Bedingung (2) für eine dramatische Geschichte: Etwas Neues erzählen „Eine Geschichte muss etwas Neues erzählen und im Zuschauer Neugierde erwecken: Wenn der Hund den Briefträger beißt, entsteht keine Geschichte, wenn der Briefträger den Hund beißt, entsteht eine Geschichte.“ 3) Bedingung (3) für eine dramatische Geschichte: Menschen im Konflikt „Eine Geschichte braucht Menschen, die in einen Konflikt geraten. Das Drama reduziert das Leben auf die ihm innewohnenden Konflikte.“ 4) Redefinition des Problems des Studenten „Womit Sie [= Chris] kämpfen ist eher die Glaubwürdigkeit.“ 5) Lernziel „Pitching“: Struktur und Inhalt (Gerippe-Metapher) „Wir reden mit Ihnen über das Gerippe. Das Gerippe aller Menschen ist zum Verwechseln ähnlich, die äußere Erscheinung milliardenfach verschieden.“ Ausführungen zur menschlichen Evolution. „Wir müssen ein Gerippe schaffen, auf dem die Last einer neuartigen Geschichte sicher stehen kann.“ 6) Definition der aktuellen Aufgabe und Definition des studentischen Problems „Im Augenblick entwickeln wir die Konfliktschritte. Dagegen sträuben Sie sich.“ 7) Rekapitulation der Konfliktschritte am Beispiel der eingereichten Geschichte („Was wir bisher gemacht haben“) „Wir haben eine Frau, die packt einen Koffer. Das heißt: Sie will weg. Ein Mann kommt nach Hause, er ist wahnsinnig lieb zu der Frau. Die Frau stellt den Koffer weg. Das heißt, ihre Absicht ist unterbrochen. Der Mann setzt sich einen Megaschuss, liegt im Halbkoma. Sie geht wieder zu ihrem Koffer Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 338 und kehrt damit zum ursprünglichen Ziel zurück. Sie raucht eine Zigarette und kämpft mit sich. Sie geht zu dem Mann zurück, verabreicht ihm das Gegenmittel, röchelnd kommt er zu sich, sie nimmt ihren Koffer und geht. Da haben wir schematisch durch verschiedene Wendungen eine Geschichte erzählt.“ 8) Strukturell-schematische Konstruktion und inhaltlich-fallspezifische Realisierung „Wie die Geschichte konkret aussieht, wissen wir jedoch noch nicht. Wir wissen nicht, ob sie [= die Protagonistin] in einem Reihenhaus wohnt oder Kapitänsgattin ist ...“ 9) Zentrale Definition: „Dramatisches Denken“ „Dramatisch denken heißt: In Konflikten denken, heißt in Krisen denken.“ 10) Drama als spezifische Kunstform „Im Gegensatz zum epischen oder lyrischen Denken ist das Drama eine andere Kunstform. Diese Kunstform gehorcht anderen Erfahrungsregeln.“ 11) Ausführungen zu Variationen innerhalb der Dramaturgie „Und auch die Erfahrungsregeln sind ständig dabei zu variieren. Wenn Sie die Dramaturgie von Gustav Freitag nehmen, die er vor 130 Jahren formuliert hat, dann ist das eine Variation von dem was Aristoteles formuliert hat und was wir heute machen ist auch wieder eine Variation. Aber die Grunderfahrung ist ähnlich, so, wie das Gerippe ähnlich gebaut ist.“ 12) Verhältnis Drama und Essay „Wenn sie nicht am Anfang dem Publikum mitteilen was ihr Held will, kriegen sie kein Drama, kann sein, dass sie einen wunderschönen Essay schreiben.“ 13) Beispiel: Kaukasischer Kreidekreis; Verhältnis von Drama und epischem Erzählen „Also wenn Bert Brecht den Kreidekreis macht, muss er am Anfang sagen, was sein Thema ist. Sein Thema ist, dass diejenigen die Verfügungsgewalt haben sollen, die sich mehr um das Land kümmern und mehr aus dem Land rausholen und nicht diejenigen, die das angestammte traditionelle Besitzrecht haben. Bei diesem Thema - das eine große Rolle gespielt hat bei der Umwandlung von Hirten- und Viehzüchterland, also Steppenland in Bauernland, in Getreideanbauland in der Sowjetunion - benutzt er die Sage vom Kind, das von der Pflegmutter aufgezogen worden ist und jetzt kommt die Geburtsmutter und will das Kind zurückhaben. Da benutzt er ein Drama innerhalb der epischen Erzählung, um Ihnen sein Thema näher zu bringen, aber er hat das Thema erst anders exponiert.“ Anhang 339 14) Exkurs innerhalb des Beispiels „Kaukasischer Kreidekreis“ „Sie kennen die Geschichte von Salomons Urteil: Eine Pflegemutter und eine biologische Mutter streiten um das Kind und aus Einsicht um das Wohl des Kindes verzichtet die Pflegemutter auf ihr „Gewohnheits-Recht“. Und da erklärt Salomon, dass diese Frau zwar nicht das Urrecht an dem Kind hat, aber sie wird für das Kind das Bessere tun.“ 15) Eigentliches Thema des Kaukasischen Kreidekreises „Aber eigentlich beginnt die Geschichte damit, dass sich die Viehzüchter und die Bauern um ein Tal streiten.“ 16) Zusammenfassung: Unterschied Epos und Drama „Also ich will damit folgendes sagen, ich fasse das noch mal zusammen und beende das dann: Es gibt unterschiedliche Erzählformen und die epische Erzählform ist eine argumentative, sie setzt ein Thema und jetzt nimmt der Autor Sie bei der Hand und will Sie davon überzeugen, dass seine These richtig ist. Der Autor ist gegenwärtig im Epos. Bei uns ist es so, wir wollen den Zuschauer dazu verführen, sich mit dem Protagonisten zu identifizieren und das Thema entwickelt sich im Zuschauer, aus der emotionalen Bewegung entsteht eine rationale Erkenntnis.“ 17) „Grundbewegung“ des Dramas: Peripetie „Gestern hat Horst Neumann gesagt zu dem Nina Hof-Film (Horst Neumann ist einer ihrer Lehrer, er ist der Projekt-Entwicklungschef bei XY -Film), der Film habe ihm besonders gut gefallen, weil er eine überraschende Wendung hat. Die Peripetie ist sozusagen die Grundbewegung des Dramas. Plötzlich ist es wieder anders.“ 18) Zusammenfassung und Abschluss „Wir wollen nicht Leute zeigen, die Gefühle haben, sondern wir wollen Erlebnisse schaffen.“ Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs 340 7.4 Inhaltsverzeichnis der Studie „Pitching in Teams“: Bestandsaufnahme und erste Vorschläge Inhalt ........................................................................................................................................2 1. Einleitung: Zielsetzung der Studie und Vorgehensweise........................ 3 2. Ergebniszusammenfassung..................................................................... 5 3. Pitching als inhaltlich-dramaturgische Aufgabe und Teamwork .......... 10 3.1 Die didaktische Grundstruktur: learning by doing ................... 12 3.2 Pitching als Teamveranstaltung ................................................ 14 3.2.1 Vorbereitung im Team ................................................................. 14 3.2.2 Präsentation der Geschichte im Team ............................................ 16 4. Pitching als Kommunikationsereignis .................................................. 18 4.1 Asymmetrie der Interaktionsgestaltung und Situationskontrolle ................................................................................... 19 4.2 Verlaufsstruktur der Teamsitzungen ......................................... 22 4.3 Arbeitsteilung der Dozenten..................................................... 25 4.4 Pitching in Teams als „Initiationsritus“ .................................... 29 4.5 Irritations- und Frustrationserfahrungen .................................. 33 5. Lehrunterlagen für Pitching-Arbeitssitzungen ..................................... 36 5.1 Pitch-Formular (als Anleitung und Diagnose-Instrument)....... 37 5.2 Glossar (für das Pitch-Formular).............................................. 40 5.3 Zitatsammlung der Dozenten ................................................... 41 5.4 Erwartbare Fragen der Dozenten.............................................. 46 5.5 Multimedia- CD ......................................................................... 47 6. Ausblick................................................................................................ 48