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Konnektoren im Deutschen und im Sprachvergleich

2011
978-3-8233-7558-6
Gunter Narr Verlag 
Gisella Ferraresi

Das Thema "Konnektoren" stößt in letzter Zeit sowohl in funktionalen als auch in formalen Arbeiten auf großes Interesse. Das Hauptanliegen des vorliegenden Bandes besteht aus dem Bemühen, einen weiten Blickwinkel anzubieten - sowohl hinsichtlich des theoretischen Rahmens, in dem die einzelnen Beiträge entstanden sind, als auch der Auswahl der Schwerpunkte: Er vereint breit angelegte theoretische Beiträge mit solchen, die sich vorwiegend mit einer semantischen Gruppe von Konnektoren auseinandersetzen. Den Schwerpunkt bilden hierbei Kausalkonnektoren. Darüber hinaus widmen sich einzelne Beiträge den Temporalkonnektoren und Adverbkonnektoren aus verschiedenen Perspektiven oder untersuchen Konnektoren sprachvergleichend in unterschiedlichen Kontexten. Dabei zielen alle Beiträge trotz verschiedenartiger Theorieansätze darauf ab, verschiedene Klassen von Konnektorenin einer Weise zu analysieren, die in einer operationalisierbaren Methode etwa im DaF-Bereich angewendet werden.

Gisella Ferraresi (Hrsg.) Konnektoren im Deutschen und im Sprachvergleich Beschreibung und grammatische Analyse Studien zur Deutschen Sprache F O R S C H U N G E N D E S I N S T I T U T S F Ü R D E U T S C H E S P R A C H E S T U D I E N Z U R D E U T S C H E N S P R A C H E 5 3 Studien zur Deutschen Sprache F O R S C H U N G E N D E S I N S T I T U T S F Ü R D E U T S C H E S P R A C H E Herausgegeben von Arnulf Deppermann, Stefan Engelberg und Ulrich Hermann Waßner Band 53 Gisella Ferraresi (Hrsg.) Konnektoren im Deutschen und im Sprachvergleich Beschreibung und grammatische Analyse Redaktion: Franz Josef Berens Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. © 2011 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: Volz, Mannheim Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0949-409X ISBN 978-3-8233-6558-7 Inhalt Gisella Ferraresi Konnektorenforschung aus unterschiedlichen Blickwinkeln: Einleitende Bemerkungen ............................................................................... 7 Eva Breindl Nach Rom freilich führen viele Wege. Zur Interaktion von Informationsstruktur, Diskursstruktur und Prosodie bei der Besetzung der Nacherstposition.................................. 17 Ulrich Hermann Waßner Ausdrucksalternativen bei Konnektoren - Varianten oder Fehler? Protokoll eines fiktiven Gesprächs ............................................................... 57 Daniel Schnorbusch Komplexe Konnektoren - eine Annäherung................................................. 99 Anna Volodina Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie: Theoretische Überlegungen vor dem Hintergrund einer korpuslinguistischen Studie über konditionale und kausale Relationen .......................................................... 127 Karin Pittner Subsidiäre Begründungen ........................................................................... 157 Manuela Caterina Moroni Zur nicht-modalen und modalen Lesart von schon..................................... 183 Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn Die Kausalkonnektoren denn, weil, da im Deutschen und poichè, perchè, siccome im Italienischen............................................. 207 Giancarmine Bongo Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache (am Beispiel der Einleitungen zu wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen)............................................ 251 Inhalt 6 Silvia Dal Negro Satzverknüpfungen im Kontakt: Italienisches che im Walserdeutschen..... 289 Michail L. Kotin Konnektoren als prototypische Tempusmarker. Versuch einer kognitivistisch basierten Reanalyse ..................................... 311 Gisella Ferraresi Das Vorfeld als Baustelle im Deutschen. Zyklischer Wandel und Variation bei Adverbkonnektoren ........................................................ 325 Gisella Ferraresi Konnektorenforschung aus unterschiedlichen Blickwinkeln: Einleitende Bemerkungen Den Leitfaden dieses Bandes bildet das Thema ‘Konnektoren’, das sich in letzter Zeit sowohl in funktionalen als auch in formalen Arbeiten eines erneuten Interesses erfreut - auch dank der zahlreichen Publikationen des Instituts für Deutsche Sprache wie dem Handbuch der deutschen Konnektoren von Pasch u.a. (2003), auf das viele der Beiträge dieses Bandes selbst Bezug nehmen. Das Hauptanliegen in diesem Band besteht in dem Bemühen, einen weiten Blickwinkel anzubieten - sowohl hinsichtlich des theoretischen Rahmens, in dem die einzelnen Beiträge entstanden sind, als auch der Auswahl der einzelnen Schwerpunkte. Neben Aufsätzen, die sich mit theoretischen Fragen befassen (Breindl, Waßner, Moroni, Volodina, Pittner, Schnorbusch), finden hier auch die diachrone (Ferraresi, Dal Negro, Kotin) und die sprachvergleichende Perspektive (Ravetto / Blühdorn, Bongo) Beachtung. Um der Mehrdimensionalität der Konnektorenthematik Rechnung zu tragen, ist die Berücksichtigung unterschiedlicher Aspekte der Konnektorenforschung unumgänglich, die erst zu einem vollständigen Verständnis dieses facettenreichen Themenbereichs der Grammatik führen kann. Zu den theoretischen Fragen gehören solche, die sich - wie in Fabricius-Hansen (2011) angerissen - mit den syntaktischen und semantischen Eigenschaften von Satzverknüpfungen - asyndetisch, konjunktional und adverbial - befassen, wobei die Terminologie ein erstes Hindernis darstellt. Der Terminus ‘Satz’ im engeren Sinn bedeutet den Ausschluss von Verknüpfungen auf anderen Ebenen als der propositionalen, auf denen beispielsweise kausale oder konditionale Verbindungen interpretiert werden können: In einem Satz wie (1) wird beispielsweise mit dem wenn-Konditionalsatz die Einstellung des Sprechers geäußert und mit dem Hauptsatz verknüpft, eine Ebene, die abstrakter ist als die reine propositionale Verknüpfung: (1) Wenn ich es offen sagen darf, halte ich das Ganze für einen Schwindel (aus Pittner 2000, ex. 13b) Verberstkausalsätze mit doch - Thema von Pittners Beitrag - werden in Zifonun / Hoffmann / Strecker u.a. (1997) als Kommentierung auf der Ebene des Modus dicendi, worunter diese Autoren epistemische und sprechaktbezogene Bezüge subsumieren, beschrieben. Pittner allerdings merkt an, dass bei uneingeleiteten Nebensätzen der Sprechaktbezug gar nicht möglich ist, und dass Gisella Ferraresi 8 Zifonun / Hoffmann / Strecker (1997) dieses Faktum schlichtweg ignorieren. Wie bei Verberstkausalsätzen ist ein Sprechaktbezug auch bei Verberstkonditionalsätzen nicht möglich. Syntaktisch könnte man im Falle von sprechaktbezogenen Kausal- oder Konditionalsätzen auf die Verknüpfung auf einer höheren Ebene zurückgreifen - wie beispielsweise von Haegemann (2009) vorgeschlagen. Ein weiterer Fragekomplex im terminologischen Bereich betrifft die Begriffe ‘Nacherst-’, ‘Vorerst-’ und ‘Nullstelle’, wie sie in Pasch u.a. (2003) und den Veröffentlichungen der IDS -Mitarbeiter verwendet werden. Die ersten beiden dieser drei syntaktischen Positionen entsprechen im topologischen Modell jeweils dem Vorfeld und die dritte dem Vor-Vorfeld. Durch diese Terminologie wird aber nicht explizit gemacht, ob das Element im Vorfeld mit dem Konnektor eine einzige Konstituente bildet oder nicht. Dürscheid (1989, S. 26) z.B. spricht sich für zwei Konstituenten aus. Breindl (in diesem Band) hingegen analysiert den Komplex XP-Konnektor in der Nacherstposition als Konstruktion im Sinne von Goldberg (1995). Ferraresi (2008a, 2008b, 2010, in diesem Band) geht diese Frage aus der diachronen Perspektive an. Diachron betrachtet kann man nämlich die Entwicklung im Ausbau dieser peripheren Positionen sehr deutlich erkennen - wie im Beitrag von Ferraresi diskutiert - und daraus zum Schluss kommen, dass die diachrone Perspektive zur Mehrdimensionalität der Konnektorenforschung entscheidend beiträgt. In seinem Beitrag stellt Kotin (in diesem Band) deutlich dar, dass der Funktionsleistung vieler Konnektoren das temporale Konzept zugrunde liegt, das teilweise noch in der Lesart vorhanden ist. Die diachrone Perspektive erlaubt es auch, interessante und wichtige Korrelationen aufzudecken. Aus der Kontaktforschung ist z.B. bekannt, dass Konnektoren sehr häufig zu den ersten Elementen gehören, die entlehnt werden. Dies geschieht in vielen Fällen in einer geordneten Abfolge. So stellt Dal Negro (in diesem Band) die Implikation „unterordnende Konjunktion koordinierende Konjunktion Diskurspartikel“ auf, die die Autorin durch eine präzise empirische Studie zur Konjunktion che in drei walserdeutschen Dialekten belegt. Als problematisch erweist sich auch die Klassifizierung einiger Elemente als Konnektoren; zu diesen gehört doch, das im Handbuch eine Sonderstellung einnimmt. In Pittner (in diesem Band) wird anhand der so genannten Verberst- Kausalsätze, in denen die kausale Lesart durch das Zusammenspiel von Verbstellung und Semantik der Modalpartikel kompositional zustande kommt, dagegen argumentiert. Auch Schnorbusch (in diesem Band) will mit seinem Konnektorenforschung aus unterschiedlichen Blickwinkeln 9 Beitrag eine eingehendere Diskussion anregen in Bezug auf die Exklusion solcher komplexer Ausdrücke wie im Hinblick darauf, dass / unter der Voraussetzung, dass aus der Klasse der Konnektoren. Sie verbinden genauso wie andere Konnektoren Propositionen, teilen aber mit Präpositionen die Eigenschaft der Kasuszuweisung. Im heutigen Deutsch scheinen mehrere komplexe Präpositionen teilweise grammatikalisiert zu sein (vgl. Di Meola 2005). Deshalb erscheint es nicht abwegig, solche komplexen Konjunktionen als Konnektoren zu klassifizieren. Lexikologisch stellt sich natürlich die Frage, ab wann ein komplexer Ausdruck in die Wörterbücher aufgenommen werden soll. Ein weiterer, wichtiger Aspekt betrifft die Relation zwischen Norm und Gebrauch, die Waßner (in diesem Band) anhand von Konnektoren mit konzessiver Semantik wie nichtsdestotrotz, nichtsdestoweniger und nichtsdestominder ausführlich diskutiert. Ist das, was man in den Korpusdaten findet, relevant für die Feststellung der Norm? Die terminologische Diskussion wird nicht nur in der germanistischen Linguistik geführt. Für andere Sprachen stellt sich ebenso die Frage, ob die für das Deutsche festgelegten Klassifikationskriterien prinzipiell auf Konnektoren in anderen Sprachen anwendbar sind - selbstverständlich unter Ausschluss solcher, die deutschspezifisch sind, wie z.B. des topologischen Kriteriums. Wie Bongo (in diesem Band) allerdings deutlich macht, bleibt dies ein kompliziertes Unterfangen. Der einzige Ausweg ist eine detaillierte, konnektorenspezifische, sprachvergleichende empirische Untersuchung, wie sie Ravetto / Blühdorn (in diesem Band) in ihrer Studie zu ausgewählten Kausalkonnektoren im Deutschen und im Italienischen vorantreiben. Zu den Fragen, die im semantisch-pragmatischen Bereich diskutiert werden, gehören solche wie die in Breindl (in diesem Band) und Moroni (in diesem Band), welche Kategorien genau für eine präzise Beschreibung benötigt werden, z.B. wie feinkörnig die Definition von Topik oder von Modalität sein muss, um zunächst nur einen deskriptiv adäquaten Ansatz für die Verwendung von Konnektoren zu liefern. Nun zu den einzelnen Beiträgen dieses Bandes: Eva Breindl konzentriert sich in dem Beitrag „Nach Rom freilich führen viele Wege. Zur Interaktion von Informationsstruktur, Diskursstruktur und Prosodie bei der Besetzung der Nacherstposition“ auf die Nacherstposition, wie die Position direkt nach dem ersten Element im Satz im Handbuch der deutschen Konnektoren bezeichnet wird. Diese Bezeichnung ist weitgehend neutral so- Gisella Ferraresi 10 wohl in syntaxtheoretischem Sinn als auch in Bezug auf die Funktion der Elemente in dieser Position. Breindl analysiert deswegen die Abfolge XP- Konnektor in präverbaler Position als Konstruktion im Sinne von Goldberg (1995) und begründet ihre Entscheidung mit der Unmöglichkeit der kompositionellen Ableitung dieser Abfolge. Das Konnektorelement dient nämlich weiterhin der Verknüpfung, markiert aber in dieser Stellung Topikwechsel. „Topikwechsel durch Adverbkonnektoren in der Nacherstposition“ (TAN- Konstruktion genannt) wird im weiteren detailliert diskutiert. In dem Beitrag werden die nacherstfähigen Konnektoren auf ihre semantischen und syntaktischen Eigenschaften untersucht, und gleichzeitig werden die Unterschiede zu Fokuspartikeln und Adverbien herausgestellt, um zu der Schlussfolgerung zu kommen, dass die TAN-Konstruktion insbesondere in der geschriebenen Sprache die eindeutige Signalisierung des Topikwechsels für den Leser erleichtern soll. Ulrich Waßners Beitrag „Ausdrucksalternativen bei Konnektoren - Varianten oder Fehler? Protokoll eines fiktiven Gesprächs“ ist in dialogischer Form verfasst. Es handelt sich um eine Diskussion zwischen einem Sprachwissenschaftler, mehreren als Laien bezeichneten Personen und einer „Korpus“-Instanz über didaktische und sprachkritische Aspekte der Verwendung von Konnektoren mit konzessiver Semantik wie nichtsdestotrotz, nichtsdestoweniger oder nichtsdestominder. Ein weiterer Gesprächsteilnehmer ist der „Moderator“. Die Diskussion bewegt sich vor allem um die Frage, welche Vorgehensweise wichtiger sei, die Deskription oder die Präskription. Die Figur des „Sprachwissenschaftlers“ verteidigt den ersten Standpunkt, die „Laien“ stehen für das „System“. Ein weiterer Fragenkomplex betrifft die Korrelation zwischen dem aus der Generativen Grammatik stammenden Kompetenzprinzip und dem in der Korpuslinguistik viel diskutierten Häufigkeitsfaktor. Miriam Ravetto und Hardarik Blühdorn untersuchen in ihrem Beitrag „Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da im Deutschen und perchè, poichè, siccome im Italienischen“ kausale, durch denn, weil und da eingeführte Satzverknüpfungen im Deutschen anhand eines Korpus aus verschiedenen Textsorten und vergleichen sie mit den entsprechenden Konstruktionen im Italienischen, insbesondere mit perchè-, poichè- und siccome-Sätzen. Im Zentrum der Untersuchung steht die Interaktion mit der Informationsstruktur sowie die syntaktische Linearisierung und Hierarchisierung der verknüpften Teilsätze und die semantische Interpretierbarkeit der Verknüpfung. Die Ergebnisse zeigen, dass konjunktionale Kausalverknüpfungen im Deutschen und Italienischen ähnliche semantische Eigenschaften aufweisen, aber recht unterschiedliche Konnektorenforschung aus unterschiedlichen Blickwinkeln 11 syntaktische und informationsstrukturelle Merkmale. Die größte Ähnlichkeit besteht zwischen weil und perché, das aber auch Gemeinsamkeiten mit denn zeigt. Da scheint hingegen mehr semantische Affinität zu poiché und siccome zu haben. Gut 70% der Belege im Deutschen weisen die Nachstellung des Kausalsatzes auf. In den italienischen Belegen sind dagegen ca. 60% der Kausalsätze vorangestellt. Die Autoren machen vor allem informationsstrukturelle Faktoren dafür verantwortlich: im Italienischen wird die Voranstellung thematischer Ausdrücke viel häufiger eingesetzt als im Deutschen. Manuela Moronis korpusgestützte Studie „Zur nicht-modalen und modalen Lesart von schon“ untersucht die für die unterschiedlichen Lesarten verantwortlichen syntaktischen und semantischen Faktoren. Die Autorin unterscheidet die verschiedenen Varianten von schon auf der Basis von Löbners (1990) ‘Grenzüberschreitung’, die sie auf verschiedenen Ebenen annimmt. Im Fall von schon als Adverbkonnektor bzw. Fokuspartikel handelt es sich um die Grenzüberschreitung von einem temporalen Auswertungskontext zu einem anderen: hier operiert schon auf der Faktizitätsebene und wird nicht-modal gelesen. Die Daten zeigen auch, dass schon nicht-modal interpretiert wird, wenn es mit Zeitangaben bzw. Skalen assoziiert wird. In diesem Fall steht schon in Distanzstellung, einer Position, die der der Fokuspartikel im engeren Sinne entspricht. Bei der Grenzüberschreitung von einem epistemischen Auswertungskontext (dem eines hypothetischen Adressaten) zu dem des Sprechers wird schon modal gelesen. Die wichtigste Rolle bei der Interpretation von schon spielt die syntaktische Position. Das Vorfeld und das Nachfeld erlauben nur die nicht-modale Lesart. Im Mittelfeld kann schon sowohl nichtmodal als auch modal interpretiert werden. Hierfür ist die aspektuelle Umgebung relevant. „Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie: Theoretische Überlegungen vor dem Hintergrund einer korpuslinguistischen Studie über konditionale und kausale Relationen“ von Anna Volodina überprüft für das Deutsche Sweetsers (1990) Korrelation zwischen den drei Ebenen - ‘content level (A)’, ‘epistemic level (B)’ und ‘speech act level (C)’ - und syntaktischen sowie prosodischen Eigenschaften. Anhand von Explizitversionen der nach Sweetser metaphorisch induzierten Interpretationen versucht die Autorin, die Ebenenunterscheidung zu operationalisieren. Ihr Vorschlag besteht in einer dreistufigen Skala der syntaktischen und einer zweistufigen der prosodischen Integration kausaler und konditionaler Konstruktionen, auf der Basis derer sie die Integriertheit der Konstruktionstypen in beiden Dimensionen auf den angenommenen Sweetser'schen Ebenen vergleicht. Kausale Konstruktionen sind nach ihren Gisella Ferraresi 12 Ergebnissen syntaktisch / prosodisch auf den Ebenen B und C in ähnlicher Weise kodiert, während die konditionalen Gegenstücke eine ähnliche Kodierung auf den Ebenen A und B zeigen. Den unterschiedlichen sprachlichen Kodierungsweisen liegen Volodina zufolge „allgemeine pragmatische Eigenschaften“ zugrunde, die sie in Unterschieden der Informations- und Sprechaktstruktur wähnt. In seinem Beitrag „Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache (am Beispiel der Einleitungen zu wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen)“ diskutiert Giancarmine Bongo zunächst die verschiedenen Definitionen von ‘Konnektor’/ ‘connettivo’, wie sie in der italienischen Literatur vorgeschlagen werden, um zu einem vergleichbaren Konzept zu gelangen. Im zentralen Teil des Beitrags werden die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zur semantischen Funktion von Konnektoren in einem Korpus aus Einleitungen wissenschaftlicher Aufsätze vorgestellt. Das untersuchte Korpus besteht aus 20 deutschen und 20 italienischen Texten mit insgesamt ca. 10 000 laufenden Textwörtern für jede der beiden Sprachen. Zugrunde gelegt wurde ein Kategorienraster in Anlehnung an die Klassifikationen der Dudengrammatik (Duden 2005, S. 1085) und von Blühdorn / Breindl / Waßner (Hg.) (2004). Mithilfe des Differenzparameters ‘Symmetrische Relation’ wurden die Daten klassifiziert. Anhand dieser Neuklassifizierung ergab sich, dass die symmetrischen Relationen überwiegen, was an der speziellen Textsorte liegen dürfte. Im Mittelpunkt von Karin Pittners Beitrag „Subsidiäre Begründungen“ stehen so genannte Verberst-Kausalsätze. Es sind Sätze mit Verberststellung und doch im Mittelfeld, denen eine kausale Lesart zukommt, wie „Aufschlussreich sind Haiders Ausfälle allemal. Bestätigt er doch einmal mehr sein originelles Demokratieverständnis: [...]“ (St. Galler Tageblatt 2001, aus Pittner in diesem Band). Pittners Analyse für doch als Modalpartikel stellt sich gegen die Hypothese im Handbuch der deutschen Konnektoren, dass doch ein Konnektor sei. Sie schlägt stattdessen eine kompositionelle Analyse vor, in der die kausale Lesart durch verschiedene Faktoren wie Verbstellung und lexikalische Semantik zustande kommt. Die Funktion dieses Kausalsatztyps ist subsidiär: Damit werden Informationen als Argumentationsstütze der vorangehenden Sprechhandlung ausgedrückt. Subordiniert sind sie deshalb nur pragmatisch, aber nicht syntaktisch. Im Beitrag „Komplexe Konnektoren - Eine Annäherung“ von Daniel Schnorbusch werden Ausdrücke wie im Hinblick darauf, dass / unter der Voraussetzung, dass - die aus mehreren lexikalischen, teilweise flektierbaren Teilen Konnektorenforschung aus unterschiedlichen Blickwinkeln 13 bestehen und die sich aus so genannten phraseologischen Präpositionen zusammensetzen - als ‘komplexe Konnektoren’ analysiert, entgegen der Position der Standardliteratur, in der man keine einheitliche Bezeichnung findet. Dies zeigt Schnorbusch anhand der Widerlegung dreier Argumente, die nach dem Handbuch der deutschen Konnektoren gegen den Status dieser Ausdrücke als Konnektoren sprechen. Das Argument, dass Konnektoren keinen Kasus regieren können, ist nicht haltbar, denn Präpositionen und Konnektoren sind Kategorien unterschiedlicher Ebenen. Das zweite Argument, die Forderung nach Finitheit des Verbs, ist unmotiviert. Eine zeitliche Situierung einer Satzbedeutung kann nämlich auf vielfältige und keineswegs allein nur auf flexionsmorphologische Weise geschehen. Das dritte Argument, komplexe Präpositionen weisen den Kasus auf eine andere Art zu als einfache Präpositi- (2003) folgend schlägt Schnorbusch eine Raising-Struktur vor, in der das erste Nomen zunächst mit der ersten Präposition eine Konstituente bildet, an die dann das Komplement des ersten Nomens angebunden wird. Dies modelliert Schnorbusch in seiner Analyse nach den syntaktischen Prinzipien der HPSG . Silvia Dal Negro untersucht in ihrem Beitrag „Satzverknüpfung in Kontakt: Italienisches che im Walserdeutschen“ die subordinierende Konjunktion che im Walserdeutschen, einer alemannischbasierten Kontaktsprache, die von deutschen Sprachminderheiten in nordwestitalienischen Regionen gesprochen wird. Anhand einer Korpusuntersuchung an den Dialekten von Formazza und Rimella in Piemont und von Issime im Aostatal diskutiert die Autorin die verschiedenen Funktionen des italienischen polyfunktionalen Konnektors che als einfacher oder zusammengesetzter Konjunktion. Diese ersetzt - in unterschiedlichem Grade bei einzelnen Dialekten und Sprechern - in verschiedenen Satztypen den deutschen Konnektor dass. Damit verbunden sind auch syntaktische Veränderungen wie im Bereich der Verbstellung. Dal Negro stellt schließlich die Hierarchie „eingebettete Unterordnung > nicht-eingebettete Unterordnung > Beiordnung > Diskurspartikeln“ auf. Michail Kotin diskutiert in seinem Beitrag „Konnektoren als prototypische Tempusmarker. Versuch einer kognitivistisch basierten Reanalyse“ die ursprüngliche Funktion konjunktionaler Konnektoren und stellt die These auf, dass sich die prototypische Funktionsgeltung einer konjunktionalen Verknüpfung unmittelbar aus der Versprachlichung des Zeitkonzepts ergibt. Die von ihm betrachteten Konnektoren sind primär Tempusmarker, die als Signale der Satzlinearität interpretiert werden, die durch die temporale Abfolge ikonisch abgebildet wird. Die Konnektoren sind nach Kotin auf der Ebene der Prädika- Gisella Ferraresi 14 tion zu analysieren, unabhängig davon, ob sie oberflächlich Satzprädikate oder aber andere Satzglieder bzw. Satzgliedteile verbinden. Die originären und die abgeleiteten Funktionsleistungen der Konnektoren werden in dem Beitrag sowohl aus der etymologischen Perspektive als auch kategorialsemantisch und dependenzgrammatisch analysiert. Die prototypisch temporale Funktion wird zu einer kausalen, finalen, konzessiven und konsekutiven reanalysiert. In ihrem Beitrag „Das Vorfeld als Baustelle im Deutschen. Wandel und Variation bei Adverbkonnektoren“ untersucht Gisella Ferraresi die verschiedenen Stellungsvarianten im Vorfeld aus der diachronen Perspektive. Anhand einer Korpusuntersuchung zeigt sie, dass die verschiedenen Konnektoren je nach Grammatikalisierungsgrad unterschiedliche Stellungsmöglichkeiten aufweisen. Beispielsweise kann allerdings im Unterschied zu immerhin nicht mehr im Vorfeld von einer anderen Konstituente stehen, eine Position, die in historischen Daten belegt ist. Ein Vergleich mit funktional parallelen Elementen wie Adverbien im Alt- und im Gegenwartsdeutschen zeigt, dass nur Adverbien, die satzmodifizierend sind, als Quelle für Adverbkonnektoren dienen. Darunter gibt es solche, die fokussensitiv sind, und deshalb auch in verschiedenen Positionen des Vorfeldes stehen können. Wie aus dieser kurzen Einleitung hoffentlich klar geworden ist, sprechen die Beiträge dieses Bandes einige der oben angerissenen Problematiken an und werfen gleichzeitig neue Fragen auf. Dies soll aber auch die Aufgabe guter Forschung sein. So hoffe ich, dass dieser Band eine Reihe von weiteren Überlegungen hervorrufen wird. Daher möchte ich den Organisatoren der Tagung ‘Deutsche Sprachwissenschaft in Italien’ in Rom 2007 sowie den Teilnehmern der AG „Konnektoren im Deutschen: Grammatische Beschreibung und Analyse“ für anregende Diskussionen, den Autoren des Bandes für neue Einblicke in die Konnektorenforschung, dem IDS, das die SDS-Reihe für diese Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat, und insbesondere Franz Josef Berens und Norbert Volz für ihre Unterstützung meinen herzlichen Dank aussprechen. Konnektorenforschung aus unterschiedlichen Blickwinkeln 15 Literatur Blühdorn, Hardarik / Breindl, Eva / Waßner, Ulrich H. (Hg.) (2004): Brücken schlagen. Grundlagen der Konnektorensemantik. (= Linguistik - Impulse & Tendenzen). Berlin/ New York: de Gruyter. Di Meola, Claudio (2005): Entwicklungstendenzen im deutschen Präpositionalsystem: Rektion ‘entsprechend der Regeln’ oder ‘wider den Normen’? In: Di Meola, Claudio / Hornung, Antonie / Rega, Lorenza (Hg.): Perspektiven Eins. Akten der 1. Tagung Deutsche Sprachwissenschaft in Italien (Rom, 6.-7.2.2004). Roma: Istituto Italiano di Studi Germanici, S. 251-267. Duden (2005): DUDEN - Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. u. erweit. Aufl. Hrsg. v. der Dudenredaktion. (= Der Duden 4). Mannheim u.a.: Dudenverlag. Dürscheid, Christa (1989): Zur Vorfeldbesetzung in deutschen Verbzweit-Strukturen. (= FOKUS 1). Trier: Wissenschaftlicher Verlag. Fabricius-Hansen, Cathrine (2011): Was wird verknüpft, mit welchen Mitteln - und wozu? Zur Mehrdimensionalität der Satzverknüpfung. In: Breindl, Eva / Ferraresi, Gisella / Volodina, Anna (Hg.): Satzverknüpfungen. Zur Interaktion von Form, Bedeutung und Diskursfunktion. (= Linguistische Arbeiten 534). Tübingen: Niemeyer. Ferraresi, Gisella (2008a): Wandel in den Kohärenzstrategien des Deutschen: der Fall der Adverbkonnektoren. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 75.2, S. 133-157. Ferraresi, Gisella (2008b): Adverbkonnektoren und Modalpartikeln als Mittel der lokalen und globalen Informationsstrukturierung im Deutschen. Eine synchrone und diachrone Korpusuntersuchung mit einigen Anmerkungen zum Spracherwerb. Habilitationsschrift, Universität Dortmund. Ferraresi, Gisella (2010): Die deiktische Komponente bei Pronominaladverbkonnektoren: Was sie zeigt und was sie nicht mehr zeigen kann. In: Maaß, Christiane / Schrott, Angela (Hg.): Wenn Deiktika nicht zeigen: Deiktische Formen als Satzkonnektoren und Diskursmarker. Deixis, Pragmatik und Grammatikalisierung. Berlin: LIT , S. 309-329. Goldberg, Adele (1995): Constructions: A Construction Grammar approach to argument structure. Chicago: The University of Chicago Press. Haegemann, Liliane (2009): Parenthetical adverbials: the radical orphanage approach. In: Cook, Philippa / Frey, Werner / Maienborn, Claudia (Hg): Dislocated elements in discourse: Syntactic, semantic, and pragmatic perspectives. New York: Routledge, S. 331-347. Löbner, Sebastian (1990): Wahr neben Falsch. Duale Operatoren als die Quantoren natürlicher Sprachen. (= Linguistische Arbeiten 244). Tübingen: Niemeyer. Gisella Ferraresi 16 Pasch, Renate / Brauße, Ursula / Breindl, Eva/ Waßner, Ulrich Hermann (2003): Handbuch der deutschen Konnektoren: Linguistische Grundlagen der Beschreibung und syntaktische Merkmale der deutschen Satzverknüpfer (Konjunktionen, Satzadverbien und Partikeln). (= Schriften des Instituts für Deutsche Sprache 9). Berlin/ New York: de Gruyter. Pittner, Karin (2000): Sprechaktbedingungen und bedingte Sprechakte: Pragmatische Konditionalsätze im Deutschen. In: Linguistik Online 5,1. Internet: www.linguistikonline.de/ 1_00/ PITTNER.HTM (Stand: Dezember 2010). Sweetser, Eve (1990): From etymology to pragmatics. Metaphorical and cultural aspects of semantic structure. (= Cambridge Studies in Linguistics 54). Cambridge: Cambridge University Press. ! ! "#$ * + + < $ Bond, Francis / Korhonen, Anna / McCarthy, Diana / Villavicencio, Aline (Hg.): Proceedings of the ACL 2003 Workshop on Multiword Expressions: Analysis, Acquisition and Treatment, Sapporo Convention Center, Sapporo, Japan. Sapporo, S. 97-104. Internet: http: / / acl.ldc.upenn.edu/ W/ W03/ W03-1813.pdf (Stand: September 2010). Zifonun, Gisela / Hoffmann, Ludger / Strecker, Bruno u.a. (1997): Grammatik der deutschen Sprache. (= Schriften des Instituts für Deutsche Sprache 7.1-7.3). Berlin: de Gruyter. Eva Breindl Nach Rom freilich führen viele Wege Zur Interaktion von Informationsstruktur, Diskursstruktur und Prosodie bei der Besetzung der Nacherstposition 0. Gegenstand und Ziel Deutsch gilt als strikte V2-Sprache. Dieser Einschätzung steht entgegen, dass einer Konstituente im Vorfeld eines deklarativen Verbzweitsatzes bestimmte schwachtonige satzverknüpfende Adverbien (Adverbkonnektoren) folgen können, wie z.B. freilich im Titel dieses Beitrags. Der Beitrag beschreibt die syntaktischen, semantischen und informationsstrukturellen Eigenschaften der mit diesen Adverbien gebildeten Konstruktionen und plädiert dafür, sie als eigenständigen Konstruktionstyp (und nicht etwa als nachgestellte Fokuspartikeln) zu analysieren. Das Spezifikum dieser Konstruktionen erweist sich als eine Amalgamierung der für Konnektoren genuinen lokalen satzverknüpfenden Funktion mit einer informationsstrukturierenden Funktion, die sowohl auf der lokalen Ebene der Satzstruktur als auch global auf der Ebene der Diskursstruktur wirkt. Die in diesen Positionen möglichen satzverknüpfenden Adverbien werden mit Pasch u.a. (2003) als „nacherstfähige“ Adverbkonnektoren klassifiziert; der davor stehende Ausdruck wird hier mit Dimroth (2004) neutral bezüglich seines informationsstrukturellen Status als Bezugsausdruck bezeichnet. In der Füllung der Nacherstposition mit einem Adverbkonnektor ist eine Form mit spezifischen topologischen, syntaktischen und prosodischen Eigenschaften systematisch mit einer spezifischen informationsstrukturellen Funktion korreliert, die sich nicht kompositional aus ihren Bestandteilen ableiten lässt. Im Sinne der Konstruktionsgrammatik (vgl. etwa Goldberg 1995, Croft 2001, Fischer/ Stefanowitsch (Hg.) 2008) handelt es sich hier um eine Konstruktion. Diese erbt zum einen mit der Funktion der Satzverknüpfung die allgemeinen Eigenschaften von Konnektorkonstruktionen, zum anderen ist sie ein spezieller Typ informationsstruktureller Konstruktionen. Sie gehört zur Familie topikisolierender und topikmarkierender Konstruktionen, die im Deutschen (wie in vielen anderen Sprachen) typischerweise durch Herausstellungskonstruktionen wie Linksversetzung, Freies Thema oder Rechtsversetzung repräsentiert werden. Ihr spezieller informationsstruktureller Beitrag ist die Signalisierung eines Topikwechsels. Die Konstruktion des ‘Topikwechsels durch Eva Breindl 18 Adverbkonnektoren in der Nacherstposition’ sei im Folgenden als TAN-Konstruktion bezeichnet. Typische Beispiele für eine TAN-Konstruktion sind etwa die folgenden Belege: (1) „Da gibt es auch in technischer Hinsicht kaum Unterschiede.“ Die allerdings machen sich in der Ausstattung des Studios schnell bemerkbar. (Mannheimer Morgen, 12.06.1991) (2) Wir ließen den Stadtochsen vorsichtig wieder hinunter und wollten beim nächsten Versuch auch die Weiber zu Hilfe holen. Zu diesem Versuch aber kam es nicht. Unser Stadtochse nämlich - war tot! (PRS, 69) (3) Nachdem die Kegel gefallen sind, werden sie von einem Raster […] erfaßt und in kürzester Zeit in der richtigen Position aufgestellt. Dieses Raster nun entspricht in einer gewissen Weise einem Enzym. (LIM/ LI1.00110) (4) Den Arbeiterfilmern standen, abgesehen von Behinderungen durch die Gesetzgebung der Weimarer Republik oder die „Nazi-Filmzelle Berlin“, natürlich keine finanziellen Reserven zur Verfügung. Slatan Dudow zum Beispiel hatte es schwer mit „Kuhle Wampe“. Die Produzenten der Prometheus-Film mußten wegen Geldschwierigkeiten aufgeben, neue Geldgeber waren schwer zu finden. (die tageszeitung, 18.10.1996, S. 28) (5) Die übrigen Landesgruppen-Interessen werden über die Besetzung der parlamentarischen Staatssekretäre ausgeglichen werden müssen. Einen ewigen Widersacher wenigstens hat Merkel nicht mehr in ihrer Nähe. CDU-Finanzexperte Friedrich Merz ist noch nicht einmal bei den Vorbereitungen der Koalitionsverhandlungen dabei. (Berliner Zeitung, 17.10.2005, S. 5) An diesen Beispielen ist zunächst einmal festzuhalten, dass die fraglichen Einheiten Konnektorfunktion haben, insofern sie die Proposition ihres Trägersatzes in eine spezifische (kausale, adversative, explikative o.ä.) Relation zu einer Proposition des vorausgehenden Texts bringen. Zweitens tragen sie zu einer Art informationsstruktureller Hervorhebung der links von ihnen stehenden Konstituente bei. Darüber hinaus weisen die Beispiele einige Eigenschaften auf, aus denen die Fragestellungen für diesen Beitrag abgeleitet werden sollen. „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 19 i) Adverbkonnektoren in der Nacherstposition: postponierte Fokuspartikeln? Die TAN-Konstruktion ähnelt Konstruktionen mit postponierten Fokuspartikeln, zumal hier auch Konnektoren mit skalierender Bedeutung wie mindestens, zumindest, wenigstens auftreten können (siehe Beispiel 5). Als Fokuspartikelkonstruktion wurde das Phänomen, soweit überhaupt erwähnt, in der Literatur auch meist beschrieben (König 1991, Altmann 2007). (Eine der wenigen Ausnahmen sind Métrich (2003) und Métrich/ Courdier (1995).) In Breindl (2008) wurden Argumente dafür angeführt, dass es sich hier nicht um eine fokusmarkierende, sondern um eine Topik(wechsel) markierende Konstruktion handelt, deren formale, insbesondere prosodische Eigenschaften sich klar von Fokuspartikelkonstruktionen unterscheiden. Die unbezweifelbaren Ähnlichkeiten, die in der Literatur als notorische Abgrenzungsprobleme zwischen Fokuspartikeln und Konjunktionaladverbien ihren Niederschlag gefunden haben (siehe Altmann 1978, S. 59ff.), werfen jedoch auch die Frage auf, worin die Gemeinsamkeiten begründet sind. ii) Was determiniert das Auftreten von Adverbkonnektoren in Nacherstposition? Das Auftreten von Adverbkonnektoren in der Nacherstposition unterliegt Beschränkungen, wie man leicht durch einen einfachen Ersetzungstest an den obigen Beispielen ermitteln kann. In dieser Position können z.B. dennoch, trotzdem, demgegenüber, deshalb, stattdessen, ebenso, währenddessen, daraufhin, außerdem, obendrein u.v.m. nicht stehen. Sind diese Beschränkungen systematischer Natur und wenn ja, sind sie semantisch-funktionaler, morphologischer oder phonetischer Natur? iii) Welche Faktoren spielen beim Zustandekommen der speziellen informations- und diskursstrukturellen Eigenschaften der Konstruktion eine Rolle? Im Fokus stehen hier insbesondere die Rolle der prosodischen Realisierung der TAN-Konstruktion, die lexikalische Bedeutung der beteiligten Adverbkonnektoren und die referenzielle Natur des Bezugsausdrucks. Die Konstruktion ist zwar in der gesprochenen Sprache kaum üblich, schriftsprachliche Belege müssten aber in der ‘leisen Prosodie’ immer mit einem speziellen Muster vertont werden, nämlich einer Hutkontur (steigender Akzent auf der Vorfeldkonstituente, fallender Satzfokusakzent im Mittelfeld). Hutkonturen Eva Breindl 20 gelten als typische Realisierung von kontrastiven Topiks (Büring 1997) (siehe dazu Abschnitt 3.2). Sind damit sämtliche TAN-Konstruktionen Instanzen von kontrastiven Topiks? iv) Gibt es Gemeinsamkeiten der Nacherstposition mit anderen peripheren Positionen? Die Nacherstposition ist ein Fall einer ‘Ausbauposition’, die zwar an der Peripherie des Satzes, aber nicht satzextern angesiedelt ist, also nicht links oder rechts herausgestellt ist. Sie ist im klassischen Feldermodell ebenso wenig berücksichtigt wie im Konzept der Herausstellungsstrukturen (Altmann 1981) oder jüngeren Arbeiten zur linken (Lohnstein/ Trissler (Hg.) 2004) und zur rechten Satzperipherie (Averintseva-Klisch 2008, Vinckel 2006, Selting 1994). Formal zeigt sie allerdings nicht die Kennzeichen der satzinternen Herausstellungen der Parenthesen oder pränominalen Herausstellungen (Primus 2008). Den satzperipheren Positionen werden in der Regel besondere informationsstrukturelle und diskurssemantische Funktionen zugeschrieben. Die Frage nach der Gemeinsamkeit mit der Nacherstposition liegt auf der Hand. Der Beitrag ist wie folgt gegliedert: In einem ersten Schritt wird die Verteilung der nacherstfähigen Adverbkonnektoren auf semantische Klassen dargestellt. Abschnitt 2 widmet sich den formalen Eigenschaften der TAN-Konstruktion und grenzt sie von Fokuspartikeln ab. Abschnitt 3 beschreibt ihre (weitgehend lokalen) informationsstrukturellen Eigenschaften, Abschnitt 4 zeigt, wie sich die lexikalischen Bedeutungen einzelner Adverbkonnektoren für spezifische globale Diskursfunktionen eignen. Abschließend wird das Verhältnis der TAN-Konstruktion zu anderen Strategien der Informationsstrukturkodierung diskutiert. 1. Verteilung der nacherstfähigen Adverbkonnektoren auf semantische Klassen Im Handbuch der Konnektoren (Pasch u.a. 2003) wurden Adverbkonnektoren auf der Basis ihrer Stellungsmöglichkeiten in syntaktische Subklassen eingeteilt. Neben dem Vorfeld bildet die Nacherstposition eine kriteriale Position, die die Klasse der „nicht-nacherstfähigen“ von den „nicht positionsbeschränkten“ (und damit nacherstfähigen) scheidet. Diese Konnektoren werden in der folgenden Übersicht grob nach ihrer semantischen Klassenzugehörigkeit sortiert; die semantische Klassifikation orientiert sich weitgehend an dem in Arbeit befindlichen zweiten Handbuchband (Breindl/ Volodina/ Waßner i. Vorb.). „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 21 semantische Klasse syntaktische Klasse nacherstfähig nicht nacherstfähig temporal nun, dann, endlich, sodann, zu guter Letzt, schließlich, schlussendlich abermals, daraufhin, davor, danach, inzwischen, seitdem, vorher, währenddessen, wieder(um) adversativ aber, allerdings, andererseits, dafür, dagegen, freilich, hingegen, hinwieder(um), indes(sen), jedoch, wieder, wiederum währenddessen, demgegenüber, dementgegen kausal- GRUND markierend nämlich, schließlich kausal- FOLGE markierend also, folglich, mithin deshalb, deswegen, daher, darum, demzufolge, infolgedessen, dadurch metakommunikativ beispielsweise, zum Beispiel, m.a.W., etwa, übrigens skalierend (darunter kanonische Fokuspartikeln) allenfalls, auch, bereits, allein, besonders, bestenfalls, bloß, erst, gar, immerhin, insbesondere, in Sonderheit, jedenfalls, lediglich, mindestens, noch, nur, schon, vor allem, wenigstens, zumal, zumindest additiv außerdem, dazu, daneben, darüber hinaus, ebenfalls, ebenso, ferner, noch dazu, obendrein, zudem, überdies, darüber hinaus, weiterhin negativ-additiv stattdessen, vielmehr konditional und negativ-konditional gegebenenfalls; andernfalls, ansonsten konzessiv dennoch, dessen ungeachtet, gleichwohl, nichtsdestotrotz, trotzdem, ungeachtet dessen rein anaphorisch angesichts dessen, dementsprechend, demgemäß, diesbezüglich, hinsichtlich dessen, im Hinblick darauf, insofern, insoweit Tab. 1: Verteilung der nacherstfähigen Adverbkonnektoren auf semantische Klassen Eva Breindl 22 An dieser Verteilung ist zunächst festzuhalten: i) Einige semantische Relationen können überhaupt nicht mit Konnektoren in der Nacherstposition kodiert werden. ii) Bei denjenigen semantischen Relationen, die durch nacherstfähige und nicht-nacherstfähige Konnektoren signalisiert werden können, sind tendenziell Konnektoren, die die Form eines Pronominaladverbs haben, nicht nacherstfähig. iii) Bei den kausalen Adverbkonnektoren korreliert die Scheidung zwischen nacherstfähig und nicht-nacherstfähig weitgehend mit ihrer Klassifikation nach Verknüpfungsebenen bzw. Typ der verknüpften Entitäten. Diese Unterscheidung hat in der Kausalitätsliteratur eine lange Tradition. In der Diskursrelationen-Theorie von Knott (1999) etwa findet sie sich als Dichotomie von semantischen vs. pragmatischen Relationen; in Sweetsers (1990) trichotomischem Modell als Unterscheidung einer Sachverhaltsebene (bzw.) „propositionalen Ebene“ von einer epistemischen Ebene der Annahmen und einer dritten Ebene der Sprechaktverknüpfungen. (So auch in Blühdorn 2008, Pasch u.a. 2003, sowie im Beitrag von Volodina in diesem Band.) Die nacherstfähigen Kausalkonnektoren sind solche, die auf der epistemischen Ebene der Annahmen, Begründungen und Schlussfolgerungen verknüpfen. 2. Formale Eigenschaften der TAN-Konstruktion und Unterschiede zu Fokuspartikeln 2.1 Topologisches Potenzial von nacherstfähigen Adverbkonnektoren Topologisch unterscheiden sich die nacherstfähigen Adverbkonnektoren in drei Punkten von den Fokuspartikeln: i) Adverbkonnektoren haben Positionsvarianten im Vorfeld (außer aber und nämlich) und Vorvorfeld, wo kanonische Fokuspartikeln nicht auftreten können (Beispiel 6 vs. 7). ii) Adverbkonnektoren können ohne Änderung der Wahrheitsbedingungen durch den Satz wandern, bei Fokuspartikeln ändern sich Skopus und Bedeutung (Beispiel 8 vs. 9). iii) Fokuspartikeln können zu ihrem Bezugsausdruck nicht in beliebiger Entfernung stehen, da mit steigender Entfernung die Akzeptabilität sinkt (Beispiel 10). „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 23 ((6a) {Allerdings/ freilich/ nun/ schließlich/ z.B.} hält Anna in Rom einen VORtrag. (6b) {Allerdings/ freilich/ nun/ schließlich/ z.B.}: Anna hält in Rom einen VORtrag. (7a) *{Sogar/ ausgerechnet/ gerade/ lediglich} hält Anna in Rom einen VORtrag. (7b) *{Sogar/ ausgerechnet/ gerade/ lediglich}: Anna hält in Rom einen VORtrag. (8a) Anna hält {allerdings/ jedoch/ nun/ schließlich/ also} in Rom einen VORtrag. (8b) Anna hält in Rom {allerdings/ jedoch/ nun/ schließlich/ also} einen VORtrag. (9a) {Sogar/ ausgerechnet/ einzig und allein} ANna hat in Rom einen Vortrag gehalten. ^ # _ ` |sogar/ ausgerechnet/ einzig und allein} in ROM einen Vortrag gehalten. ^ # _ ` ~ |sogar/ ausgerechnet/ einzig und allein} einen VORtrag gehalten. ^# _ ` ~ |sogar/ ausgerechnet/ einzig und allein} versÄUMT. (10a) ANna\ {sogar/ ausgerechnet/ einzig und allein} hat in Rom einen Vortrag gehalten. (10b) ANna\ hat {sogar/ ausgerechnet/ einzig und allein} in Rom einen Vortrag gehalten. (10c) ? ANna\ hat in Rom {sogar/ ausgerechnet/ einzig und allein} einen Vortrag gehalten. (10d) *ANna\ hat in Rom einen Vortrag {sogar/ ausgerechnet/ einzig und allein} gehalten. 2.2 Prosodische Eigenschaften der TAN-Konstruktion Sätze mit einem Konnektor in Nacherstposition haben eine Hutkontur mit zwei Pitchakzenten: einem steigenden Akzent auf dem Bezugsausdruck im Vorfeld und einem fallenden Satzfokusakzent auf dem Fokusexponenten im Eva Breindl 24 Mittelfeld. Dieses prosodische Muster wird meist mit der Funktion eines kontrastiven Topiks assoziiert (Büring 1997, Krifka 2007). Sätze mit Fokuspartikeln haben dagegen im Normalfall nur einen fokalen Akzent auf dem Bezugsausdruck, es gibt keinen stärkeren Akzent im Satz und der nachfolgende Satzteil „geht sozusagen prosodisch unter“ (Métrich 2003, S. 184). (11a) Im / WINter {aber/ allerdings/ freilich/ jedenfalls} komme ich GERne\ nach Rom. (11b) Im / WINter\ {nur/ sogar/ allein} komme ich gerne nach Rom. Den obligatorisch schwachtonigen Pronomina es und man kann deshalb im Vorfeld kein Adverbkonnektor folgen, im Mittelfeld ist dies problemlos möglich. (12) Du solltest dich besser um das Mädchen kümmern. *Es schließlich ist deine Tochter. (vs. Es ist schließlich deine Tochter.) (13) Insulin ist in vielen Tieren vorhanden. *Man also kann sagen, ohne diesen Stoff könnte kein Säugetier existieren. (vs. Man kann also sagen, …) Der Konnektor selbst ist in der Nacherstposition nicht akzentuiert. Generell sind die meisten nacherstfähigen Adverbkonnektoren nicht fokussierbar; umgekehrt sind fokussierbare Pronominaladverbien meist nicht nacherstfähig. Kausale und kontrastive (adversative und konzessive) Adverbkonnektoren zerfallen unter diesem Aspekt in zwei Gruppen. Fokussierbarkeit und Nacherstfähigkeit eines Konnektors sind weitgehend komplementär distribuiert. (14a) Rom ist einfach eine phantastische Stadt. (Nur) / DEShalb\ kommen so viele Linguisten zu der Tagung. (14b) *Rom ist einfach eine phantastische Stadt. (Nur) / {ALso/ FOLGlich}\ kommen so viele Linguisten zu der Tagung. (14c) Rom ist eine phantastische Stadt. Eine / TAgung also sollte man am besten DORT\ veranstalten. (14d) *Rom ist eine phantastische Stadt. Eine / TAgung deshalb sollte man am besten DORT\ veranstalten. (15a) Rom ist einfach eine phantastische Stadt. TROTZdem\ kommen nur wenige Linguisten zu der Tagung. (15b) *Rom ist einfach eine phantastische Stadt. {JeDOCH/ Aber/ FREIlich/ AUßerdem}\ kommen nur wenige Linguisten zu der Tagung. „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 25 (15c) Zu den Linguistik-Tagen in Wanne-Eickel kamen nur wenige Linguisten. Nach / ROM {jedoch/ aber/ freilich/ allerdings} kommen sie fast ALle\. (15d) *Zu den Linguistik-Tagen in Wanne-Eickel kamen nur wenige Linguisten. Nach / ROM {trotzdem/ außerdem/ darüber hinaus} kommen sie fast ALle\. Die akzentuierbaren Adverbien sind allenfalls als parenthetische, prosodisch abgesetzte Einschübe in der Position zwischen Vorfeld und Finitum denkbar, wo sie nach Altmann (1981, S. 64) als Instanzen von Herausstellungskonstruktionen strukturell nicht zum Vorfeld gehören. 1 Müller (2003) führt entsprechende Fälle von parenthetischen sentenzialen Adverbialen an, die eine Ersetzung durch Adverbkonnektoren jedenfalls nicht mit dem prosodischen Muster der TAN-Konstruktion erlauben. 2 (16a) Reinhard, nachdem er alles erfahren hatte, stand auf. (16b) *Reinhard danach stand auf. (16c) ? Reinhard, danach, stand auf. (16d) Margarita, da ihr Umhang keine Tasche hatte, knotete das Hufeisen in eine Serviette. (16e) *Margarita deshalb knotete das Hufeisen in eine Serviette. (16f) ? Margarita, deshalb, knotete das Hufeisen in eine Serviette. Von den nacherstfähigen Adverbkonnektoren wiederum können sowohl die adversativen (17a) als auch die kausalen (17b) nur prosodisch integriert in der Nacherstposition erscheinen. Parenthetische Stellung, bei der der Konnektor durch einen Nebenakzent stärker hervorgehoben wird, erlauben nur einige skalierende und metakommunikative Konnektoren (18-21). (17a) Wir ließen den Stadtochsen vorsichtig wieder hinunter und wollten beim nächsten Versuch auch die Weiber zu Hilfe holen. *Zu diesem Versuch - aber/ jedoch/ dagegen/ indessen - kam es nicht. 1 Auch Analysen im Rahmen des „orphan“-Ansatzes (Haegeman 1991) gehen davon aus, dass Parenthesen nur in einer semantischen, nicht in einer hierarchisch-strukturellen Beziehung zu ihrem Trägersatz stehen und erst auf der Diskursebene in diesen integriert werden. 2 Paul (1958, S. 78) führt ähnliche Beispiele an und nennt die Stellung zweier Glieder vor dem Verb „ungehörig“: Henriette, wegen ihres vertrauten Umgangs mit Alwinen, sah Woldemarn öfter. Eva Breindl 26 (17b) *Unser Stadtochse - nämlich/ also/ schließlich/ nun - war tot! (PRS, 69) (18) „Jetzt bin ich gespannt, was passiert.“ Einen Trost, immerhin, hat Hinsken: „Wäre ich mit dem Zug gefahren, wäre ich noch später angekommen.“ (Mannheimer Morgen, 05.04.2003) (19) Das beweise schon die Tour-Begeisterung der Franzosen. Die, wenigstens, ist überprüfbar. (Berliner Zeitung, 27.07.1998, S. 40) (20) Die Londoner Times hat das Buch von dem Militärhistoriker Alan Clark besprechen lassen, 1930 geboren, bis vor kurzem noch Staatsminister im Verteidigungsministerium, vordem Handelsminister. Er, zumindest, ist ein geborener Feuerwerker und auf Radau aus. (S93/ H02.00182, S. 174) (21) Gleichwohl wird nicht verheimlicht, daß die Interessen in den unterschiedlichen Ländern verschieden und oft gegensätzlich sind. Die Betriebsräte in Wolfsburg, beispielsweise, kämpfen um den Erhalt ihres Standorts und wollen ihren Lebensstandard halten. (die tageszeitung, 10.11.1989, S. 5) Die nicht vor dem Finitum parenthetisch möglichen Adverbkonnektoren können auch im Mittelfeld nicht parenthetisch erscheinen. Die Tendenz scheint bei den Konnektoren in Richtung einer Korrelation von Parenthesenfähigkeit und Akzentuierbarkeit einerseits und Nicht-Parenthesenfähigkeit und Nicht- Akzentuierbarkeit andererseits zu weisen. 2.3 Syntaktische Eigenschaften und Umfang des Bezugsausdrucks Die Besetzung des Vorfelds in einer TAN-Konstruktion ist im Vergleich zur normalen Vorfeldbesetzung unauffällig. Bezugsausdruck kann eine Konstituente beliebigen Typs sein; auch nicht-kanonische Vorfeldfüllungen wie mehrfache Vorfeldbesetzung oder Konstruktionen mit gespaltener Topikalisierung sind mit einem nacherstgestellten Adverbkonnektor kompatibel. (22) [Gezielt] [Mitglieder] [im Seniorenbereich] allerdings wollen die Kendoka nicht werben. (Abwandlung eines Beispiels von Müller 2003) (23) Schnelles Handeln ist gefragt, [Mitbewerber] nämlich gibt es [viele]. (Abwandlung eines Beispiels von Nolda 2007, S. 73) „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 27 In den meisten Fällen ist der Bezugsausdruck eines nacherstgestellten Adverbkonnektors das Subjekt oder ein situierendes Adverbial. Auch dies entspricht dem normalen Vorfeld, allerdings ist der Subjektanteil in der TAN- Konstruktion etwas höher als bei normaler Vorfeldbesetzung (siehe die Daten in Breindl 2008, S. 31, unter Bezug auf Vergleichszahlen für normale topikale Vorfeldbesetzung in Speyer 2007, S. 102). Dem Umfang nach sind die Bezugsausdrücke meist kurze, allenfalls geringfügig erweiterte Nominal-, Präpositional- oder Adverbphrasen. Phonologisch schwere Vorfelder wie in (24) und (25) sind in TAN-Konstruktionen eher untypisch. Satzförmige Attribute zum Bezugsausdruck stehen meist im Vorfeld zwischen Adverbkonnektor und Finitum (26). (24) Die Nazischuld wurde nach ganz oben auf den bösen Willen einiger glücklicherweise Toter abgewälzt. Der Ulmer Prozeß über die Massaker der SS-Einsatztruppen im Jahre 1958 zum Beispiel hatte das Ergebnis: „Die Urheber für die Maßnahmen der ‘Sonderbehandlung der potentiellen Gegner’ sind nach den tatsächlichen Feststellungen des Schwurgerichts Hitler, Himmler, Heydrich und deren nähere Umgebung.“ (Die Zeit, 09.05.1997, S. 44) (25) Dörfer an der Ostküste wurden aus der Luft bombardiert, zahlreiche tamilische Zivilisten kamen ums Leben. Die von Jayewardene im August angekündigte administrative Eigenständigkeit der tamilischen Gebiete dagegen liegt wieder in weiter Ferne. (die tageszeitung, 12.11.1986, S. 9) (26) […] kurz: in seinem gesamten Oeuvre präsentiert sich Karl May als leckerer Mumpfback à la Sauce Redundante-Degoutante. Die Bärentatze beispielsweise, deren Zubereitung bereits in „Winnetou I“ beschrieben wird („Am feinsten schmecken sie, wenn sie schon von Würmern durchbohrt sind“), taucht auch in „Durch das wilde Kurdistan“ auf. (die tageszeitung, 18.07.2001, S. 249) In der Umfangsbeschränkung unterscheiden sich die Bezugsausdrücke nacherstgestellter Adverbkonnektoren nicht wesentlich von denen von Fokuspartikeln, für die die Nachstellung ohnehin die „Ausnahmeposition“ ist (Altmann 1978, S. 39). Anteponierte Fokuspartikeln lassen eher komplexe Bezugsausdrücke zu als postponierte: (27a) Nur [weil wir über Weihnachten Ruhe in der Partei haben wollten], ist dieser Unmut nicht nach draußen gedrungen. (Berliner Zeitung, 17.01.2002, S. 2) Eva Breindl 28 (27b) *[Weil wir über Weihnachten Ruhe in der Partei haben wollten] nur, ist dieser Unmut nicht nach draußen gedrungen. Diskursstrukturell lässt sich die Umfangsbeschränkung bei den Bezugsausdrücken nacherstgestellter Adverbkonnektoren mit dem Topikstatus begründen, wobei zunächst irrelevant ist, ob man Topik eher im Sinne von Paul (1960) und Gabelentz (1869) als das „psychologische Subjekt“, worüber etwas ausgesagt wird, versteht (Aboutness-Konzept) oder in der Tradition der Prager Schule als das im Diskurs Präsente, Kontextangebundene (Givenness- Konzept). Geht man vom Aboutness-Konzept aus, erscheint es kommunikativ weniger markiert, die zu treffenden Aussagen über einen Gegenstand einheitlich prädikativ zu kodieren, als sie aufzuspalten in attributiv und prädikativ kodierte Information. Mit dem Givenness-Konzept wiederum ist Erweiterung um neue Information schwer verträglich, während Erweiterung um zusätzliche kontextgegebene Information gegen das Relevanzprinzip verstößt. „Topikprojektion“ (Büring 1997) erfolgt deshalb meist in deutlich reduzierterem Umfang als Fokusprojektion. Bedenkenswert ist aber auch, ob die Beschränkung phonetisch-prosodischer Natur ist. Behaghel (1932, S. 156ff.) beobachtet eine vom Umfang der „herausgehobenen Größe“ abhängige topologische Distribution von Ausdrücken wie aber, auch, nämlich, namentlich: vor längeren, aber nach kürzeren und einsilbigen Einheiten, was er mit dem Gesetz der wachsenden Glieder erklärt. Unschwer erkennt man auch rhythmisch-prosodische Ähnlichkeiten mit der sog. Wackernagel-Position schwachtoniger Pronomina im Mittelfeld, die unmittelbar hinter dem Finitum bzw. dem linken Klammerteil stehen müssen (und allenfalls durch eine Subjekts-NP von diesem getrennt werden können). Die nacherstfähigen Adverbkonnektoren können im Mittelfeld alle auch unmittelbar nach dem Klammeröffner auftreten und scheinen damit in der Wackernagel-Position zu stehen (28a, 29c). Sie können dabei aber ein schwachtoniges Pronomen nicht aus seiner Position verdrängen (28b, 29b). (28a) Dieser Friede wurde nun auch viele Tage gehalten. Als aber den Sachsen Geld fehlte, dachten sie, das Bündnis wäre unnütz. (GRI/ KHM, S. 384) (28b) *Als aber ihnen Geld fehlte […] (28c) Als ihnen aber Geld fehlte […] (29a) Unter normalen Bildungsbedingungen kristallisiert Steinsalz aus einer wäßrigen Lösung stets in Würfeln aus. Setzt man jedoch zu der „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 29 Lösung Harnstoff, dann wird das Wachstum der Oktaederflächen gehemmt […]. (LIM/ LI1.00236, S. B1) (29b) *Setzt jedoch man zu der Lösung Harnstoff […]. (29c) Setzt jedoch der Chemiker zu der Lösung Harnstoff […]. Die Nacherstposition von Adverbkonnektoren ist mit der Wackernagel-Position der Pronomina im Mittelfeld darin vergleichbar, dass eine Einheit mit Nebenakzent von einer unakzentuierten und phonologisch schwachen Einheit gefolgt wird. Diese für das Deutsche als akzentzählende Sprache typische Kontur wird in der TAN-Konstruktion mit einer speziellen diskursstrukturellen Funktion ‘aufgeladen’. Zur Herstellung solcher prosodischen Muster können Adverbkonnektoren sogar syntaktisch normalerweise nicht dislozierbare Strukturen sprengen wie in (30). (30) Die […] Untersuchung von Franz Kafkas Oktavheften […] stellt nun endlich einen breit angelegten Versuch dar, […] den Blick für das freizugeben, was diese angeblichen „Texte“ wirklich sind: Bruchstücke nämlich eines an die Topographie des Schriftträgers gebundenen Schreibstromes. ( http: / / iasl.uni-muenchen.de/ ) Eine Restriktion für den Output einer TAN-Konstruktion auf der phonetischen Ebene könnte auch erklären, warum unter den adversativen Adverbkonnektoren, die einen kontrastiven Vergleich (das „semantic-opposition-but“ von Lakoff 1971) ausdrücken können, einige in der Nacherstposition nicht belegt sind, obwohl adversative Konnektoren in dieser Position immer einen kontrastiven Vergleich ausdrücken: es sind dies die silbenreicheren, pronominaladverbialen Konnektoren währenddessen, demgegenüber, dementgegen. (31a) Paralleler Datenverarbeitung zufolge ging ein Modell, das ausrangiert werden sollte, in Kalifornien gar nicht. In Texas hingegen war es der Renner. (Die Zeit, Januar 1997, S. 74) (31b) […] ? In Texas demgegenüber/ dementgegen/ währenddessen war es der Renner. 2.4 Semantische und referenzielle Eigenschaften des Bezugsausdrucks Als Bezugsausdrücke nachgestellter Adverbkonnektoren können nicht-referierende Ausdrücke wie Modaladverbien, Negationsausdrücke oder andere Konnektoren fungieren, die nie Bezugsausdrücke von Fokuspartikeln sein können. Eva Breindl 30 (32a) Man bekommt Wein in den Restaurants und man bekommt Wasser. Nie aber bekommt man Gläser für beides. (die tageszeitung, 10.09.1988, S. 3) (32b) *Sogar/ nur/ gerade NIE bekommt man Gläser für beides. (33a) Ebensowenig geben sie selber Störungen ab, was bei Kupferleitungen und hohen Datenübertragungs-Raten in erheblichem Umfang der Fall ist. Noch allerdings eignen sich die Bausteine, die für ein Glasfaser-Bordnetz erforderlich sind, nicht für den Einsatz in Autos. (Mannheimer Morgen, 02.05.1991) (33b) *Sogar/ nur/ gerade/ einzig und allein NOCH eignen sich die Bausteine […]. (34a) Das ist zwar richtig, aber nicht die ganze Wahrheit. Tatsächlich nämlich handelt es sich um eine handfeste Kriminalgeschichte, die nun von der 3. Strafkammer des Wiesbadener Landgerichts aufgeklärt werden soll. (die tageszeitung, 28.10.1988, S. 9) (34b) *Nur/ sogar/ gerade/ einzig und allein tatSÄCHlich handelt es sich um eine Kriminalgeschichte. Solche Bezugsausdrücke finden sich vorzugsweise in der Kombination mit adversativen Adverbkonnektoren. Treten hier andere Konnektoren auf, muss der Bezugsausdruck wie bei einer adversativen Verknüpfung ebenfalls als kontrastives Topik interpretierbar sein, zu dem implizit oder explizit ein inhaltlicher Kontrast inferierbar ist. Dieser Kontrast betrifft dann Aspekte der Geltung oder der raum-zeitlichen oder modalen Verankerung der Trägersatzproposition. Häufig enthalten diese Konstruktionen Negationsausdrücke. Für die obigen Beispiele sind die Kontrastierungen etwa so zu inferieren: (32c) Üblicherweise bekommt man in Restaurants Wein und Wasser. ABER : Nie bekommt man in Restaurants Gläser für Wein und Wasser. (33c) Bis jetzt geben die Bausteine keine Störungen ab. ALLERDINGS : Noch sind die Bausteine nicht für den Einsatz in Autos geeignet. (34c) Das im Vortext beschriebene Ereignis ist nicht die ganze Wahrheit. SONDERN : Die Wahrheit ist, dass es sich um eine Kriminalgeschichte handelt. „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 31 3. Semantische und informationsstrukturelle Eigenschaften der TAN-Konstruktion Satzverknüpfungen mit einem Konnektor in der Nacherstposition stehen in doppelter Verwandtschaft mit anderen ‘Konstruktionsfamilien’: Zum einen teilen sie Eigenschaften von Konnektorverknüpfungen, speziell den parataktischen, durch Adverbkonnektoren hergestellten. Zum anderen sind sie in ihrer informationsstrukturellen Funktion mit anderen topikmarkierenden und topikisolierenden Konstruktionen verwandt. 3.1 Die TAN-Konstruktion als Instanz einer Konnektorkonstruktion Adverbkonnektoren haben, wie alle Satzverknüpfer, die Aufgabe, dem Hörer die Art der semantischen Relation anzuzeigen, die er zwischen zwei aufeinanderfolgenden Äußerungen annehmen soll. Adverbkonnektoren in der Nacherstposition haben aber noch besondere semantische Eigenschaften. Gegenüber einer Position im Mittelfeld ist ein Konnektor in Nacherstposition insofern leserfreundlicher, als er früh anzeigt, wie eine Proposition an die vorausgehende semantisch anzuschließen ist. Gegenüber der skopusambigen Vorfeldposition wiederum ist er dadurch, dass er einem Bezugsausdruck zugeordnet ist, oft semantisch eindeutiger. Bekanntlich kann die Bedeutungsbeschreibung vieler Adverbien und Partikeln nicht unabhängig von ihrer Position in der Linearstruktur getroffen werden, oft ist positionelle Bedeutungsvariation gar Anlass für die Annahme von Polykategorialität. Bei Adverbkonnektoren ist zwar nicht von einer generellen Positions-Funktions- Korrelation auszugehen, doch scheinen genau zwei Positionen besonders sensitiv für Bedeutungsveränderungen: das Vorvorfeld und eben die Nacherstposition. i) temporal vs. adversativ: indes, indessen, wieder, wiederum (‘erneut/ inzwischen’ vs. ‘dagegen’) Diese Konnektoren haben in der Nacherstposition nicht mehr ihre ursprüngliche temporale Lesart, sondern können nur adversativ interpretiert werden (35a, 36a), während in anderen Positionen die temporale Lesart bevorzugt (35b, 36b), die adversative allerdings auch nicht ganz ausgeschlossen ist. (35a) Die einen sagen, daß die Pensionsgrenze bei uns viel zu hoch liege, und verweisen auf andere Länder [...]. Andere wiederum sagen, daß es gerade die Inaktivität ist, die den Menschen früher sterben lässt. (FKO/ XGN, Bericht SWF1, 3.2.1971) Eva Breindl 32 (35b) Einer dieser Konter führte schließlich zum 0: 2. Wiederum hieß der Torschütze Dadic. (Frankfurter Rundschau, 29.11.1999, S. 29) (36a) In den USA hat diese Kombination von Science und Fiction großen Erfolg. In Europa indessen ist der Versuch, „Omni“ in deutscher Sprache herauszubringen, vor kurzem kläglich gescheitert. (Mannheimer Morgen, 09.03.1989) (36b) Frau Fichte schenkt zum fünftenmal Kaffee ein. Mit süß-saurem Lächeln und einem verkniffenen Gesichtsausdruck frägt sie nach Zucker und Milch. Der Polizeipräsident stapft indessen außer sich vor Wut durch den Sitzungssaal. (Mannheimer Morgen, 25.01.1989) ii) temporal vs. textdeiktisch: nun Anders als im Vorfeld (37a) oder Mittelfeld kann nun in der Nacherstposition nicht ein Ereignis in Bezug auf ein anderes Ereignis temporal situieren (37b). Vielmehr leistet es eine textdeiktische Vergegenwärtigung des berichteten Ereignisses (38). (37a) Der 14-jährige wurde wiederholt beim Autoknacken erwischt. Nun kümmert sich das Jugendamt um ihn. (37b) #[…]. Das Jugendamt nun kümmert sich um ihn. (38) Nachdem die Kegel gefallen sind, werden sie von einem Raster […] erfaßt und in kürzester Zeit in der richtigen Position aufgestellt. Dieses Raster nun entspricht in einer gewissen Weise einem Enzym. (LIM/ LI1.00110, S.103) iii) Ausschluss der Konzessivitätslesart: aber, jedoch Die adversativen Adverbkonnektoren aber und jedoch lassen im Vorfeld und Mittelfeld auch konzessive Interpretationen (wie trotzdem, dennoch, vgl. 39b) zu. In der Nacherstposition stellt sich in der Regel die Lesart des kontrastiven Vergleichs von zwei Topiks (wie hingegen, wohingegen, während, vgl. 39a) ein. (39a) Wenn der Regen niederbraust, wenn der Sturm das Feld durchsaust, [bleiben] K1 [Mädchen oder Buben] T1 [hübsch daheim in Ihren Stuben] K1 . [Robert] T2 aber [dachte: Nein! Das muß draußen herrlich sein! ] K2 (STRUW) „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 33 (39b) Es stürmte und regnete heftig, aber/ jedoch Robert rannte ins Freie. (39c) Es stürmte und regnete heftig, Robert aber/ jedoch rannte ins Freie. Diese Verteilung ist in der Forschung öfter beobachtet worden: „aber and other ‘adversative’ connectors, if occurring in this [= post-initial EB] position, overtly mark the preceding constituent as contrastive topic.“ (Lang/ Adamíková 2007, S. 206). Eine eindeutige Korrelation von Position und Lesart ist aus den Daten aber nicht ablesbar, denn aber und jedoch können auch in konzessiv zu interpretierenden Kontexten in der Nacherstposition ohne Verlust der konzessiven Bedeutung auftreten (vgl. 39c). Die Funktion der Markierung eines Topikwechsels stellt sich hier zusätzlich ein. 3.2 Die TAN-Konstruktion als Instanz einer Topikmarkierungskonstruktion Die entscheidende Sonderstellung der Nacherstposition liegt in der informationsstrukturellen Dimension: Adverbkonnektoren haben in der Nacherstposition neben ihrer positionsunabhängigen semantischen Relationierungsfunktion einen informationsstrukturellen ‘Nebenjob’, den sie in anderen Positionen nicht ausüben: Sie leisten eine formale Isolierung des Topiks und markieren einen Topikwechsel. Die hier zugrunde gelegte Verwendung des Begriffs ‘Topik’ orientiert sich an Jacobs (2001). Ausgehend vom Befund, dass sich für Topik keine einheitliche funktionale Kerndefinition etabliert hat, wird dort das Konzept in Dimensionen von Topikalität aufgelöst, zwischen denen lediglich eine Art Familienähnlichkeit mit einer prototypischen Topik-Kommentar-Konstruktion besteht. Relevante Dimensionen sind: - informationelle Zweigliedrigkeit (kategorische, in einen Topikteil und einen Kommentarteil gegliederte Aussagen vs. eingliedrige, thetische Aussagen) - Bekanntheit (Givenness, K-Angebundenheit) - Adressierung, d.h. Speicherung der Information unter der ‘Adresse’ des Topiks (Aboutness, „psychologisches Subjekt“ (Paul 1960)) - Rahmensetzung (Frame-Adverbiale) Eva Breindl 34 Aufbauend auf diese Dimensionen werden im Folgenden vier Typen von Topiks unterschieden 3 und auf ihre Kompatibilität mit nachgestellten Adverbkonnektoren hin überprüft. Zum Vergleich mit den Fokuspartikelkonstruktionen wird zusätzlich fokales Material als Bezugsausdruck geprüft. - Konstantes Topik (Familiarity Topic) - Neu etabliertes Topik (Shifting Topic) - Kontrastives Topik (Contrastive Topic) - Rahmensetzungstopik (Frame-setting Topic) Keines der für Topiks genannten Merkmale kann man als gemeinsames (und gegenüber fokalem Material distinktives) Merkmal für alle vier Topiktypen in Anspruch nehmen. Dass es sich nicht notwendig um ‘alte’, ‘vorerwähnte’ Information handeln muss, ist bereits früh diskutiert worden. Es genügt aber auch nicht ‘Kontextangebundenheit’ im Sinne von Inferierbarkeit aus dem Kontext oder der Situation: Auf Rahmensetzungstopiks etwa muss das nicht zutreffen. Gerade auf diese trifft aber auch Aboutness nicht zu: Das vielzitierte Beispiel / GeSUNDheitlich geht es Hans GUT.\ ist, wie Krifka (2007) bemerkt, keine Aussage über Gesundheit, in dem Sinne, dass es als Information unter der Rubrik Gesundheit gespeichert würde, sondern wird unter dem Thema Hans verbucht. Vieles spricht dafür, den Aspekt der Rahmensetzung nicht  ‚ „ „  † „  ‡  ˆ nicht eigentlich die informationsstrukturelle Dimension des Spannungsfelds zwischen ‘diskursneu’ und ‘diskursgegeben’, sondern vielmehr den Denotattyp der betreffenden Konstituente. Für die übrigen Topiktypen bieten dann evtl. skalare Konzepte einen Ausweg, wie sie mit dem auf das Informationsmanagement zwischen den Gesprächsteilnehmern abhebende 3 In der einen oder anderen Form und Terminologie finden sich diese Topiktypen auch in der einschlägigen Literatur. Frascarelli/ Hinterhölzl (2007) unterscheiden „Familiarity Topic“, „Contrastive Topic“ und „Shifting Topic“. Das Familiarity Topic/ konstante Topik wird bei Reinhart (1982) nicht als Topik ausgewiesen, sondern ist unmarkierter Teil des Hintergrunds. Auch Büring (1997) und Féry (2007) beschränken den Topikbegriff auf prosodisch hervorgehobenes Material. Féry unterscheidet das „Familiar Topic“ vom „Contrastive Topic“, worunter „Aboutness Topics“ und „Frame-setting Topics“ fallen, die „mildly contrastive“ seien. Krifka (2007) unterscheidet unter den IS-Phänomenen Givenness, Topic, Framesetting und Delimitierung, was hier in etwa dem kontrastiven Topik entspricht. Generell ist der Topikbegriff wesentlich changierender als der Fokusbegriff; mitunter werden auch Instanzen von kontrastiven (mit steigendem Akzent markierten) Topiks als kontrastiver Fokus klassifiziert; so enthalten kontrastive Topiks nach Krifka (2007) eine Konstituente mit (steigendem) Fokusakzent. „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 35 Common-Ground-Konzept entwickelt wurden. Der Common Ground bezeichnet den von Sprecher und Hörer geteilten und wechselseitig angenommenen, sich im Laufe des Gesprächs verändernden Wissensstand (siehe Reinhart 1982, Lambrecht 2004, Krifka 2007). Der informationsstrukturelle Status einer Einheit kann dann durch den Grad ihrer Zugänglichkeit/ Aktiviertheit im Diskurs bestimmt werden: Topiks sind aktiv oder semiaktiv, aber nicht inaktiv. Die vier Topiktypen 4 sind nicht als exklusive Kategorien zu verstehen. So kann zwar ein konstantes Topik nicht gleichzeitig neu etabliert sein; ein kontrastives Topik ist aber immer auch neu etabliert, wenngleich über den Kontrast an ein anderes Topik kontextuell angebunden. Die Funktion der Rahmensetzung liegt quer dazu: rahmensetzende Topiks können konstant, neu und auch kontrastiv sein. Ihr Status als globale ‘Diskurstopiks’ ist umstritten. Strittig ist auch, ob prosodisch nicht hervorgehobene Einheiten überhaupt als Topiks betrachtet werden sollten. Für akzentuell markierte Topiks kann über das Konzept der Alternativeneröffnung (Büring 1997) wiederum eine Verbindung zum Fokuskonzept hergestellt werden. 3.2.1 Konstantes Topik Für diese informationsstrukturelle Kategorie finden sich in der Literatur auch die Termini „Continuing Topic“, „Familiarity Topic“ (Frey 2004, Frascarelli/ Hinterhölzl 2007); „konstantes, durchlaufendes Thema“ (Daneš 1974), „Themenfortführung“ (Zifonun/ Hoffmann/ Strecker u.a. 1997). Ein konstantes Topik führt ein unmittelbar vorausgehendes Topik unverändert fort; Givenness und Aboutness fallen hierbei zusammen. Es ist prosodisch nicht hervorgehoben und wird meist mit einer Anapher kodiert. Mit einem Konnektor in der Nacherstposition kann es nicht auftreten. (40a) [Die Mägde] T1a sind faul und [die Knechte] T1b aufsässig. [Sie] T2=T1a+T1b wollen nur essen und trinken, aber nicht arbeiten. (PRS, 10) (40b) *[Die Mägde] sind faul und [die Knechte] aufsässig. [Sie] nämlich wollen nur essen und trinken, aber nicht arbeiten. (vs. Sie wollen nämlich nur essen und trinken.) 4 ‘Topik’ wird hier nicht im Sinne von stellungstopikalisierter Konstituente verstanden. Topiks können durchaus auch im Mittelfeld oder an der rechten und linken Satzperiphierie auftreten, was hier aber nicht Gegenstand ist. Eva Breindl 36 3.2.2 Neu etabliertes Topik Ein neu etabliertes Topik („newly introduced, newly changed or newly returned to“, Givón 1983, S. 8) ist entweder eine Instanz von „linearer Themaprogression“ (Daneš 1974), das heißt in der Terminologie der Prager Schule, das Thema eines Satzes ist identisch mit dem Rhema des Vorgängersatzes, bzw. in Termini von Topik-Kommentar-Gliederung: das Topik ist identisch mit einem Bestandteil des Kommentars des vorausgehenden Satzes, oft mit der Fokuskonstituente selbst (41). Oder es handelt sich um die Rethematisierung eines zuvor bearbeiteten Themas (42). Neu etablierte Topiks sind prosodisch in der Regel (allerdings nicht obligatorisch) durch einen steigenden Akzent hervorgehoben, der schwächer ist als der Fokusakzent. Sie können durch alle nacherstfähigen Adverbkonnektoren markiert werden. (41) In der Vorbereitungsphase für diese Fahrt hatten wir verschiedene Personen eingeladen, so auch [einen engagierten Lehrer mit guten Kenntnissen und einer festen Position in der Sache] F1 . [Dieser Lehrer] T2=F1 nun ist genau auf die harte Tour vorgegangen und hat zu den Schülern gesagt: Ihr müßt doch sehen, welche Verantwortung ihr habt. (die tageszeitung, 03.10.1989, S. 11-12) (42) [Ich und mein Schwager Kalbfell, der Schreiner Quast und drei weitere Mitbürger] T1 nahmen die Tür auf die Schultern wie einen Tragtisch - drei rechts und drei links. [Der Schmied] T2 aber stieg hinauf, und nun schleppten wir sechs ihn aufs Feld hinaus, wo die Kühe immer noch weideten. (PRS, 62) Typische Kodierung sind Eigennamen, definite NPs und Demonstrativa. In der Präferenz für einen bestimmten Kodierungstyp des Bezugsausdrucks manifestiert sich eine parallele Strategie der Diskursstrukturmarkierung, die in jüngerer Zeit im Rahmen der „Centering-Theory“ (Speyer 2007) als Zugänglichkeitshierarchie beschrieben wurde. Während Anaphern bevorzugt Referenten wiederaufgreifen, die bereits als Diskurstopiks etabliert sind, werden Demonstrativa eher zur Etablierung neuer Topiks benutzt. Nun ist ein Topikwechsel, nach Aufweis psycholinguistischer Studien, schwieriger zu prozessieren als der Defaultfall des konstanten Topiks, sodass die Markierung eines Topikwechsels aus Hörer-/ Leserperspektive wünschenswert ist (Bestgen/ Vonk 2000). Topikmarkierungsstrategien gibt es in vielen Sprachen. Sprachen mit speziellen Topikpartikeln wie das Japanische verwenden diese im Zusammenhang mit neu etablierten Topiks; Sprachen ohne diese „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 37 benutzen Dislozierungskonstruktionen. In der TAN-Konstruktion des Deutschen wird quasi eine primär anderen Zwecken dienende Partikel zu einer Art Topikpartikel umfunktioniert. (43) Dann schliefen [sie] T1 ein, und am andern Morgen, als die Sonne sie aufweckte, [kam [ein Wagen] F1a herangefahren, [mit acht weißen Pferden] F1b bespannt], [die] T2=F1b hatten weiße Straußfedern auf dem Kopf und gingen in goldenen Ketten, und hinten stand [der Diener des jungen Königs, das war der treue Heinrich] F2 . [Der treue Heinrich] T3=F2 hatte sich so betrübt, als sein Herr war in einen Frosch verwandelt worden, daß er drei eiserne Bande hatte um sein Herz legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge. [Der Wagen] T4=F1a aber sollte den jungen König in sein Reich abholen; [der treue Heinrich] T5=T3 hob beide hinein, stellte sich wieder hinten auf und war voller Freude über die Erlösung. In diesem Textabschnitt aus dem Froschkönig liegt an vier Stellen ein neu aus dem vorherigen Kommentarteil abgeleitetes oder nach einer Unterbrechung wieder aufgenommenes Topik vor. In allen Fällen ist es die Subjekts-NP. An einer Stelle ist der Topikwechsel durch einen Adverbkonnektor markiert: T4 Der Wagen aber greift auf eine relativ weit zurückliegende, bereits im zweiten Satz fokal eingeführte Entität zurück. Beim Wechsel zu T2 (die = die Pferde) und T3 (der treue Heinrich) liegt der Fokus, den sie topikal weiterführen, unmittelbar davor, bei T5 (der treue Heinrich) wieder etwas weiter zurück. In allen Fällen könnte ein Adverbkonnektor zwischen Topik und Finitum eingefügt werden: - T2: […] mit acht weißen Pferden bespannt; die nun/ aber hatten weiße Straußfedern auf dem Kopf […] - T3: […] und hinten stand der Diener des jungen Königs, das war der treue Heinrich. Der treue Heinrich nun/ aber/ allerdings hatte sich so betrübt […] - T5: Der Wagen aber sollte den jungen König in sein Reich abholen; der treue Heinrich aber/ nun/ also hob beide hinein […] In diesem Textabschnitt bestätigt sich, was man bei der Durchsicht einer größeren Menge von Belegen mit Nacherstkonstruktion beobachten kann. Zwei Konstellationen begünstigen offenbar Topikwechselmarkierung durch Adverbkonnektoren: i) Das neu etablierte Topik ist gleichzeitig globales Diskurstopik für den Folgeabschnitt. Eva Breindl 38 ii) Das neu etablierte Topik ist das grammatische Subjekt. Die Relevanz von i) äußert sich auch darin, dass Sätze mit einem Adverbkonnektor in der Nacherstposition deutlich häufiger Absätze einleiten als Sätze mit Adverbkonnektoren in anderen Positionen. Anzeichen für die Relevanz von ii) ist der höhere Subjektanteil verglichen mit einfacher Vorfeldbesetzung. Der grammatische Defaultfall der Vorfeldbesetzung ist das Subjekt, und der informationsstrukturelle Defaultfall der Vorfeldbesetzung das konstante Topik - Subjekte sind im Vorfeld also überwiegend konstante Topiks (vgl. Speyer 2007). Eine Abweichung von diesem Zusammenfall wird dem Leser idealiter formal signalisiert. Gerade bei der Etablierung eines neuen Topiks aus dem unmittelbar vorausgehenden Fokusbereich und pronominaler Kodierung des Topiks erleichtert die durch den nachgestellten Adverbkonnektor erzwungene prosodische Hervorhebung die Dekodierung der informationsstrukturellen Gliederung und verhindert prosodische und interpretatorische Holzwege. 3.2.3 Kontrastives Topik Kontrastive Topiks signalisieren die Existenz einer geschlossenen Menge von Alternativen zum Topik, auf die der Kommentarteil nicht zutrifft. Damit bringen sie gleichzeitig zum Ausdruck, dass die Trägersatzproposition kommunikativ unabgeschlossen ist und die zur Debatte stehende ‘quaestio’ erst mit der Einführung des ergänzenden Topiks mit dazugehörigem Kommentar abgeschlossen sein wird; ein Thema wird hier also in Unterthemen aufgespalten. Eine Fortsetzung, in der das Resttopik bearbeitet wird, kann vom Hörer erwartet und eingeklagt werden, wenn die prosodische Hervorhebung durch die Hutkontur ihm Teiltopikstatus signalisiert. Dieses ergänzende Resttopik tritt nun häufig zusammen mit einem nacherstgestellten adversativen Konnektor wie aber, hingegen, jedoch auf; aber auch andere Adverbkonnektoren können in dieser Konstellation einen Kontrast signalisieren. Die Kommentare müssen dabei ebenfalls als im gegebenen Kontext kontrastierend interpretierbar sein. Prosodisch sind kontrastive Topiks obligatorisch durch einen steigenden Akzent markiert. (44) [Die Bohrmaschine unterm Weihnachtsbaum] T1 [hält den Mann verläßlich von der Frau fern, und zwar für ungezählte Stunden] K1 . [Die Reise nach Mallorca] T2 hingegen [bindet den Schenkenden und die Beschenkte für zwei Wochen aneinander.] K2 (Die Zeit, 27.12.1996, S. 35) (45) [Gut die Hälfte der etwa 200 Polizeidelegierten] T1 [bereiteten Schröder nach seiner Rede stehende Ovationen.] K1 [Die andere Hälfte] T2 „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 39 dagegen [blieb demonstrativ sitzen und rührte keine Hand] K2 . (die tageszeitung, 13.11.1986, S. 4) (46) [K: Scarlett O'Hara flieht während des amerikanischen Bürgerkriegs auf die heimatliche Plantage und trifft dort ihren verstörten Vater an, den sie nach der Familie fragt.] Scarlett: „Pa, sind sie wieder gesund? “ - Vater: „[Den / MÄDchen] T1 geht es BESser\. ...“. (M. Mitchell, Vom Winde verweht) In (44) sind die Topiks Alternativen einer Menge „Weihnachtsgeschenk für (Ehe-)Männer“ und die darüber ausgesagten Kommentare sind konträr bezüglich einer Dimension „Nähe zwischen Ehegatten“. In (45) ergibt sich der Status der Topiks als Teiltopiks schon aus ihrer lexikalischen Bedeutung. Und in (46) ist das Topik durch die vorherige Erwähnung eines Summentopiks sie als unvollständiges Teiltopik identifizierbar, und die aus Hörerperspektive erforderliche Fortsetzung könnte etwa lauten deiner Mutter aber geht es schlechter oder eben, wie es der Situation im Original des Romans entspricht, deine Mutter aber ist gestorben. Auch gespaltene Topiks haben Teiltopikstatus und eine Fortsetzung mit einem markierten Kontrasttopik ist naheliegend. (47) / ROTwein mag ich nur SPAnischen\, / WEISSwein aber mag ich auch HIEsigen.\ In (44)-(47) sind die Konnekte informationsstrukturell (und teilweise auch syntaktisch) parallel gebaut, Topiks und Kommentare kontrastieren paarweise. Die Kontrastkomponente zu einem durch einen adversativen Adverbkonnektor markierten kontrastiven Topik muss jedoch nicht unbedingt selbst Topik des Vorgängerausdrucks sein, sondern kann unmarkierter Teil des Hintergrunds sein, in einem weiter zurückliegenden Satz enthalten oder gar nicht explizit ausgedrückt sein. So verbirgt sich im folgenden Beispiel das Pendant zum markierten kontrastiven Topik die Sowjets relativ tief eingebettet (als Wortbestandteil! ) und prosodisch unmarkiert innerhalb des komplexen Topiks des vorausgehenden Satzes. (48) [Die beiden Schwerpunkte der dreigegliederten US-Atomstreitmacht, die Atom-U-Bootflotte und die mit Marschflugkörpern bestückten Atombomber,] T1 würden von den Kürzungen der zweiten Phase ausgenommen sein. [Die Sowjets] T2 hingegen wären verpflichtet, ihre nukleare Hauptstreitmacht, die ballistischen Raketen, vollkommen abzubauen. (die tageszeitung, 31.10.1986, S. 6) Eva Breindl 40 (49) Ich bin sicher, daß Margaret selbst im Haus Gottes noch weitergeschimpft hätte, [wenn sie an meiner Seite geblieben wäre.] HG1 [So] T2 aber machte die Sitzordnung ihr das unmöglich. (PRS, S. 94) Die Kontrastkomponente kann auch zum fokalen Bereich des Vorgängerausdrucks gehören. Dadurch kann sich eine Art chiastische Informationsstruktur ergeben, wenn wie in (51) auch der Kommentar des zweiten Konnekts mit dem Topik des ersten Konnekts kontrastiert. (50) Wie aus einem Bericht des Zentralen Amtes für Statistik hervorgeht, stieg die landwirtschaftliche Produktion gegenüber dem Vorjahr um 5,1 Prozent und mit 210 Millionen Tonnen wurde im Tschernobyljahr [die weitaus beste Getreideernte seit 1978] F1 erzielt. [Die durchschnittliche Getreideernte in den Jahren zwischen 1981 und 1985] T2 kontrastiv zu F1 hingegen hatte [nur 180,3 Millionen Tonnen] F2 betragen. (die tageszeitung, 21.01.1987, S. 8) (51) [Viele Stadtparks] T1 [sind seither verdorrt] F1 . [/ NICHT aber vertrocknet] T2 kontrastiv zu F1 [sind die Gärten in den Villenvierteln und die GOLFplätze.\] F2 kontrastiv zu T1 (Salzburger Nachrichten, 11.01.1993) Die Nachstellung eines adversativen Konnektors hinter einen Bezugsausdruck ist ein Signal für den Leser, im Vortext oder via Inferenz sowohl zum topikalen Bezugsausdruck als auch zum Kommentarteil der Trägersatzproposition kontrastierende Pendants zu suchen. Das lizenziert auch die Kontrastierung von Modalausdrücken und anderen Ausdrücken, bei denen die einschlägigen Tests zur Identifikation von Aboutness-Topiks (was x betrifft, apropos x) nicht greifen. Die Kontrastierung macht es möglich, dass z.B. Geltungsaspekte eines Ereignisses thematisiert werden können wie in (51) oder in den Beispielen (32)-(34) in Abschnitt 2.4. 3.2.4 Rahmensetzungstopik Neben Subjekten stellen Frame-Adverbiale die wichtigsten Vorfeldeinheiten. Durch sie wird ein Hintergrund für die Satzproposition eröffnet und diese wird situiert - lokal, temporal, modal usw. Adverbkonnektoren können selbst die Funktion solcher Frame-Adverbiale übernehmen. Die Kategorie liegt quer zu den anderen Topiktypen und kann jedes dieser drei Topiks repräsentieren. In der Nacherstkonstruktion können wieder nur solche Frame-Adverbiale auftreten, die neu etablierte (52-53) und/ oder kontrastive Topiks (54-55, 49 oben) sind. „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 41 (52) Wo Sie RADIO FFH hören können? Leider nur, [wenn Sie in Hessen wohnen] F1 . [In diesem Fall] T2=F1 allerdings müssen Sie einfach nur Ihr Radio auf UKW einschalten und eine der folgenden Frequenzen wählen […]. ( http: / / www.stcarchiv.de/ stc1990/ 07_radioffh.php ) (53) Der Meister Dudel sollte am nächsten Morgen durch Schilda ziehen, mit seiner Flöte die Ratten und Mäuse an sich locken und sie danach [an den Schildsee] F1 hinausführen. [Dort] T2=F1 aber werde ein Boot bereitstehen, das er besteigen solle. (PRS, S. 115) (54) Kurz bevor er auf seinem Weg nach Chile zu einem Zwischenaufenthalt in Uruguay landete, meinte Papst Wojtyla: „Jedes Land hat Probleme, wo gibt es keine Leiden? “ [In Chile] T1 gebe es, so fuhr er fort, ein System, „das diktatorisch, aber per definitionem vergänglich ist“. [In seiner Heimat] T2 kontrastiv zu T1 hingegen gebe es eine Diktatur ohne jedes Element der Hoffnung. (die tageszeitung, 02.04.1987, S. 6) (55) [Anfangs] T1 litt „Ebony“ an Anzeigenmangel. [Heute] T2 kontrastiv zu T1 jedoch inserieren 80 der 100 größten US-Unternehmen in der Farbigen-Illustrierten - meist mit farbigen Photomodellen. ( http: / / wissen.spiegel.de/ wissen/ dokument/ dokument.html ) 3.2.5 Fokales Material Informationsstrukturell eingliedrige, thetische Sätze können keinen Adverbkonnektor in Nacherstposition enthalten. (56a) *Heute gibt es nur kalte Küche. Der HERD\ nämlich ist kaputt. (56b) Heute gibt es nur kalte Küche. Der HERD\ ist nämlich kaputt. Wenn nacherstgestellte Adverbkonnektoren als Topikwechselmarker fungieren, ist zu erwarten, dass sie nicht mit fokalem Material im Vorfeld kompatibel sind. Einige skalierende Adverbkonnektoren wie zumindest, wenigstens, höchstens, die in der Literatur oft auch zu den Fokuspartikeln gerechnet werden (so bei König 1991, S. 788, Altmann 1978, S. 59ff., Altmann 2007, S. 361), können jedoch fokale (57) und topikale (58) Bezugsausdrücke haben. (57) Nur wenig ist bekannt, aber DAS\ zumindest wissen wir sicher. (58) Entmachtet sich der Gemeinderat heute selbst? / DAS zumindest befürchtet die FDP\. Eva Breindl 42 Auch also lässt beides zu. Der folgende Beleg kann im gegebenen Kontext prosodisch sowohl wie (60a) als auch wie (60b) realisiert werden. (59) Am gleichen Tag noch vertrieben sie alle Katzen aus Schilda, die schwarzen, die weißen, die grauen, die braunen, die scheckigen - alle! „Und nie wieder“, so bestimmten sie ein für allemal, „darf ein Katzenvieh dieses Städtchen betreten! “ Seit damals also war Schilda katzenleer. (PRS, 7) (60a) Seit DAmals\ also war Schilda katzenleer. [HG: Schilda ist katzenleer.] (60b) Seit / DAmals also war Schilda KAtzenleer\. [HG: Damals passierte etwas mit Schilda.] Umgekehrt gilt: Fokuspartikeln können unter bestimmten Umständen auch mit topikalen Bezugsausdrücken auftreten. Für einen Satz wie (61) beschreibt Krifka (1999) nachgestelltes betontes auch als Fokus, und den Bezugsausdruck als Topik. Dimroth (2004) analysiert in Sätzen mit mehrfachem Fokuspartikelvorkommen wie (62) das weiter rechts stehende Paar aus Bezugsausdruck und Fokuspartikel als eine Art „ehemaligen Kontrast“ der Diskursgeschichte, der zum Hintergrund gehört und ein Aboutness-Topik ist. (61) / ROM (was ROM betrifft) finde ich AUCH\ wunderschön. (62) Sogar / GERda\ hat nur einen Vortrag in Rom gehalten. Damit hat man einmal mehr einen Störfall in der notorischen Negativbilanz von Problemfällen für scharfe kategoriale Scheidungen im Partikelbereich. Statt einer Einteilung in (postponierbare) Fokuspartikeln und (nacherstfähige) Adverbkonnektoren könnte man alternativ Partikeln, die ihrem Bezugsausdruck nachgestellt werden, einheitlich nach dem Kriterium subklassifizieren, ob ihr Bezugsausdruck fokal oder topikal ist: i) ausschließlich fokusmarkierende Einheiten: Dies sind die kanonischen Fokuspartikeln (gebundener Fokus); ii) ausschließlich topikmarkierende Einheiten: Dies sind die nacherstfähigen Adverbkonnektoren (gebundenes Topik); iii) Einheiten, die fokale und topikale Bezugsausdrücke zulassen: also, auch, bestenfalls, höchstens, immerhin, jedenfalls, mindestens, wenigstens, zumindest. Mit Ausnahme von also und auch handelt es sich großteils um bisher noch wenig untersuchte ‘Stiefkinder’ der Fokuspartikelforschung. „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 43 4. Globale Diskursfunktionen von nacherstgestellten Adverbkonnektoren Die lokale informationsstrukturelle Funktion der TAN-Konstruktion kann sich mit der lexikalischen Bedeutung einzelner Konnektoren zu speziellen Funktionen im Rahmen der globalen Diskursstrukturierung amalgamieren. Die hier in der Folge exemplarisch gezeigten Typen lehnen sich an die Formen der „Themenentfaltung“ in Zifonun/ Hoffmann/ Strecker u.a. (1997, Kap. C 6) an. 4.1 also, nun: Einleitung eines neuen Diskurstopiks durch Rethematisierung oder Themensubsumtion Also und nun markieren in der Nacherstposition meist einen Wechsel in der Diskursstruktur. Treten sie in narrativen Texten auf, setzen sie eine erzählerische Zäsur: Sie signalisieren die Rückkehr zu einem durch eine Nebenhandlung oder einen anderen Diskurstyp unterbrochenen Haupthandlungsstrang und leiten oft einen Absatz ein. Sie haben temporal-deiktische Grundbedeutung, die in der Nacherstposition auf eine textdeiktische Ebene übertragen wird (siehe Abschnitt 3.1): dadurch bewirken sie eine ‘Vergegenwärtigung’ der Szene für den Leser. In (63) zeigt nacherstgestelltes also die Wiederaufnahme des Erzählfadens nach einer Unterbrechung durch einen Erzählerkommentar an, in (64) signalisiert der Autor damit das Ende einer Nebenhandlung und die Rückkehr zum Haupthandlungsstrang. (63) Dieses Gedicht sprach [der Sauhirt von Schilda, ein Mann namens Jonathan Widerborst] F , der bis dahin noch nie von sich reden gemacht hatte. (Um so mehr wird in Zukunft von diesem Mann zu berichten sein! ) [Jonathan Widerborst] T also trat vor die Wahlversammlung und sagte […]. (PRS, S. 80) (64) Nur eine war wirklich glücklich: [Lieselotte Nast] F , eine Dame im besten Alter, die seit einem Vierteljahr schräg gegenüber von uns wohnte. Jutta behauptete von ihr, sie sei eine eitle, alberne Gans und dumme Ziege. Sie hatte einmal beobachtet, wie ich mich am Fenster sehr galant verbeugt und wie Lieselotte Nast vom anderen Fenster aus herübergewinkt hatte, so, wie eine wirkliche Dame zu winken pflegt. Man kann das schwer beschreiben. [Dieser Lieselotte Nast] T also schenkte ich einen stattlichen Strauß Vergißmeinnicht, und das hätte ich nicht tun sollen […]. (Mannheimer Morgen, 01.07.1995) Eva Breindl 44 Auch in deskriptiven Texten können nun und also in der Nacherstposition - in (65) sogar kombiniert - zu einer großräumigeren Diskursgliederung beitragen. (65) Die Veranstaltung heißt […] Am Anfang war Karl May. Das Indianerbild zwischen Mythos und Wirklichkeit, und unter diesem Motto wird [ein Film] F gezeigt, der „Kola und Kanu“ heißt, der wiederum von Ralf Marschallek ist. Es handelt sich dabei um einen Film zum Thema Walfang. Die Makah nämlich, Indianer aus Neah Bay in den USA, hatten zum Erstaunen aller angekündigt, auch sie wollten jetzt wieder Wale fangen. Dies unter Berufung auf einen Vertrag mit der US-Regierung aus dem Jahr 1855, der den Makah Sonderrechte einräumt, von denen niemand mehr so recht etwas wissen möchte. [Dieser Film] T nun also wird heute abend im Berliner Haus der Kulturen der Welt vorgestellt. (die tageszeitung, 26.09.1995, S. 17) Insbesondere also wird in der Nacherstposition auch zur Zusammenfassung mehrerer Teilthemen unter einem übergeordneten Aspekt („Themensubsumtion“ nach Zifonun/ Hoffmann/ Strecker u.a. 1997) genutzt. Es bietet sich für diese Diskursfunktion aufgrund seiner identifizierend-erläuternden Bedeutung in Verwendungen wie (68) an. (66) Die Union der Traditionalisten (rund fünf Prozent) und auch die Radikalreformer der Nationaldemokratischen Partei (zweitstärkste Kraft), sind bereit zur Zusammenarbeit. [Insgesamt] also brachten die Wahlen einen großen Vertrauensvorschuß für Schewardnadse und die ihn im weitesten Sinne unterstützenden Parteien. (Mannheimer Morgen, 07.11.1995) (67) Nach einer Untersuchung der Universität Illinois von 1996 leitet ein Viertel der 500 führenden Unternehmen, die die Zeitschrift Fortune regelmäßig auflistet, vertrauliche Personalinformationen an Regierungsbehörden weiter, zwei Drittel informieren die Gläubiger ihrer Beschäftigten, drei Viertel gewähren ihren Angestellten keinen Einblick in ihre Personalakte, und ein Viertel verweigert ihnen die Einsichtnahme in betriebsärztliche Untersuchungsergebnisse. [Auf diese Weise] also äußert sich der Eigentumssinn moderner Großunternehmen gegenüber ihren Untergebenen; nach Gutdünken verfügen sie über Informationen, die den engsten Intimbereich „repräsentieren“. (die tageszeitung, 13.08.1999, S. 10-11) „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 45 (68) Der eine von beiden heißt übrigens Mike (sprich Meik), also Michael. (MK1/ WGS, S. 90) 4.2 beispielsweise, zum Beispiel: Einführung eines Subtopiks und Topikaufspaltung Die Konnektoren beispielsweise und zum Beispiel eignen sich aufgrund ihrer Bedeutung dafür, ein Topik in speziellere Subtopiks aufzuspalten - der zur Themensubsumtion umgekehrte Prozess. Mitunter wird nur ein Subtopik genannt, über das dann in der Folge Information angesammelt wird (70). (69) In den Geschichtsbüchern finden die Republikaner auch viel Ermutigendes: [Bill Clinton] SubT1 zum Beispiel hatte anderthalb Jahre vor seiner zweiten Wahl nur 45 Prozent Zustimmung und gewann später haushoch. [Ronald Reagan] SubT2 stand im dritten Jahr der ersten Amtszeit sogar nur bei gut 30 Prozent, und fuhr dann einen der höchsten Siege der jüngeren amerikanischen Geschichte ein. (Mannheimer Morgen, 07.08.2003) (70) Hier muß sicher [jeder von uns] T1 seinen eigenen Weg gehen. [Ich] T2 = SubT zu T1 zum Beispiel hatte mein Tagebuch über das Jahr einundvierzig, über die ersten hundert Kriegstage, bereits vor sieben Jahren vorbereitet. (DIV/ WC4, S. 388) 4.3 wieder, wiederum, aber, dagegen, hingegen: Kontrastives Topik und Fortsetzung einer Topikaufspaltung Werden wie in (71) mehrere Subtopiks nacheinander abgearbeitet, kann ein zweites Topik auch durch einen adversativen Konnektor als zum ersten Subtopik kontrastiv markiert werden. (71) Aber selbst [die großen Gitarristen unserer Tage] T1 sind gespalten. [John Williams] T2 = SubT zu T1 beispielsweise vermeldet eher Distanz, [andere] T3=SubT zu T1, kontr. zu T2 wiederum bekennen sich ungebrochen zu Segovia. (Frankfurter Rundschau, 02.08.1997, S. 19) Adversative Konnektoren in der Nacherstposition sind nicht auf Kontexte beschränkt, in denen auch die Kommentare kontrastiv interpretierbar sind. Sie können auch als reine Topikwechselmarker verwendet werden wie in (72), wo zwischen verlassen und nachschauen kaum ein sinnvoller inhaltlicher Kontrast interpretiert werden kann. Eva Breindl 46 (72) Damit verließ er uns. Wir aber schauten ihm nach und beneideten ihn. (PRS, S. 91) Mit aber ist diese Struktur in der Lutherbibel frequent. In älteren Grammatiken wird sie auf den Einfluss der griechischen und lateinischen Vorlagen, nämlich Postposition von de bzw. vero oder autem hinter einem Bezugsausdruck zurückgeführt. Dal (1966, S. 185) erachtet sie als „rein weiterführende Bindepartikel“ die „kaum ein echt deutscher Gebrauch“ sei. (73) Er aber, Johannes, hatte ein Kleid von Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Lenden; seine Speise aber war Heuschrecken und wilder Honig. (Mtth. 3, 3-4) (74) Und Kain erkannte sein Weib, die ward schwanger und gebar den Henoch. Und er baute eine Stadt, die nannte er nach seines Sohnes Namen Henoch. Henoch aber zeugte Irad, Irad zeugte Mahujael, Mahujael zeugte Methusael, Methusael zeugte Lamech. Lamech aber nahm zwei Weiber; eine hieß Ada, die andere Zilla. (1 Mose 4, 16-19) Wenn diese Struktur aus den fremdsprachigen Vorlagen übernommen werden konnte, dann deshalb, weil sie dem Deutschen nicht ganz fremd war. So konnten bereits im Ahd. bei Verbzweitstellung vor dem Finitum zusätzlich noch leichte Elemente (unbetonte Adverbien und Pronomina) stehen. (75) Isaias so festinoda, dhar ir qiihad. (Isidor, 105; nach Mansion 1912, S. 67) (Jesaia so bestätigte da er sprach.) Für eine Beurteilung der informationsstrukturellen Kodierungsmöglichkeiten des Ahd. sind insbesondere solche Textstellen aussagekräftig, die von der lateinischen Vorlage abweichen. Solf (2008) hat in einer Untersuchung zu den sprachlichen Formen der Wiederaufnahme von Diskursreferenten im Ahd. an der Tatian-Bilingue solche Stellen aufgezeigt, in denen ein Topikwechsel (eine Verschiebung auf der Salienzskala) - gegen die lateinische Vorlage - durch das einem Personalpronomen nachgestellte Adverb thô markiert wird, wo das Personalpronomen allein dies nicht leisten könnte. Solf schreibt folgerichtig diesem Adverb „allgemein eine Fähigkeit zur Instantiierung eines höheren Salienzgrades von Diskursreferenten“ zu (Solf 2008, S. 18). (76) (lat.) & dixit adulescentior / ex illis patri. pater da mihi / portionem substantiae / quae me contigit. / & diuisit illis substantiam „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 47 (ahd.) quad tho der iungoro / fon then themo fater. fater gib mir / teil thero éhti / thiu mir gibure. / her tho teilta thia éht. (T 154, 21- 25, nach Solf 2008, S. 18) Zu diachronen Aspekten der Nacherststellung siehe auch Ferraresi (in diesem Band). 4.4 Skalierende Adverbkonnektoren Skalierende Adverbkonnektoren wie wenigstens, mindestens, höchstens, immerhin, zumindest u.Ä. werden in der Regel zu den Fokuspartikeln gerechnet, trotz der für die kanonischen Vertreter dieser Klasse untypischen Vorfeldfähigkeit, die eher eine Klassifikation als Adverbkonnektoren (Konjunktionaladverbien) nahelegt. Da zudem ihre Bezugsausdrücke fokale und topikale Einheiten sein können, ist am besten von einem kategorialen Zusammenfall auszugehen (siehe 3.3.5). Ihrer Bedeutung nach sind sie ähnlich wie Fokuspartikeln mit skalierender Lesart zu interpretieren, d.h. sie präsupponieren die Existenz einer geordneten, skalar gerichteten Menge von Alternativen zum Bezugsausdruck, in der der Bezugsausdruck einen hohen (wie bei sogar) oder niedrigen Wert (wie in der skalierenden Lesart der restriktiven Fokuspartikel nur) einnimmt. (Siehe im Detail Altmann 2007). In der Nacherstposition haben sie keine einheitliche diskursstrukturierende Funktion. Sie können, besonders mit einem indefiniten Bezugsausdruck, Diskurstopiks einleiten, (77) Peter Struck deutete sogar das Bild vom Tauwetter an, das bislang dem Ost-West-Verhältnis im Kalten Krieg vorbehalten war: Der deutsch-amerikanische Streit sei „Schnee von gestern“, ließ der Verteidigungsminister wissen. Eines immerhin hat Struck mit seinem Kurztrip nach Washington am Freitag erreicht: Auf dem Nato-Gipfel, der am Donnerstag nächster Woche in Prag stattfindet, werden sich die hässlichen Szenen vom September nicht wiederholen. (die tageszeitung, 11.11.2002, S. 7) (78) So geht das oft minutenlang: Auf Behauptung folgt Gegen-Behauptung, ohne daß Aufklärung folgt. Ein Satz immerhin hat sich eingeprägt: „Das Schwein“, sagt Kultusminister Hartmut Holzapfel, „wird vom Wiegen nicht fetter“. (Frankfurter Rundschau, 23.01.1999, S. 1) Eva Breindl 48 können aber auch, etwa mit einem resumptiven Pronomen, das dann auch einen fallenden Fokusakzent tragen kann, einen Abschnitt beschließen. (79) Das war nicht zur Verteidigung des islamischen Fundamentalismus gesagt und auch nicht zur Verteidigung von Annemarie Schimmel. Die Torheit, die Professorin, die aus der Tradition eines romantischen Kulturrelativismus kommt, als Fundamentalistin oder auch nur Sympathisantin des Fundamentalismus zu bezeichnen, beging an diesem Nachmittag niemand; das immerhin hat die Debatte der letzten Monate erbracht. (F95/ 530.00030 Frankfurter Allgemeine, 1995) (80) Damit wird die Allianz wohl klaglos bei der Kartellbehörde durchgehen. Diese Prognose wenigstens ist nicht gewagt. (Oberösterreichische Nachrichten, 14.03.1997) In vielen Verwendungen ist neben der skalierenden Funktion überhaupt keine diskursstrukturierende Funktion zu erkennen; der Bezugsausdruck wäre mit fallendem Akzent zu realisieren und es liegt die reine Fokuspartikelverwendung vor. (81) „Einkaufen tu' ich nur mit diesen drei schwarzen Tüten […].“ Was er nicht ertragen kann: wenn jemand ihm eine neue Tüte unter die Nase hält und sagt „Ätsch, die kriegst du nicht! “. Hundert Doubletten höchstens sind in Jürgens Sammlung, denn tauschen ist gar nicht seine Sache […]. (die tageszeitung, 02.06.1993, S. 19) (82) Es steht außer Zweifel, dass Pfahls korrupt war als Staatssekretär, dass er Millionen kassiert und Steuern hinterzogen hat. Er wird dafür büßen, zwei Jahre und drei Monate höchstens hat ihm das Gericht in einem Vorgespräch in Aussicht gestellt, sofern er geständig ist und Reue zeigt. (Berliner Zeitung, 29.06.2005. S. 3) 5. Topikmarkierung durch nachgestellte Adverbkonnektoren als komplexe informationsstrukturelle Konstruktion Ich habe in den vorangegangenen Abschnitten gezeigt, dass es sich bei der Besetzung der Nacherstposition eines V2-Satzes durch einen Adverbkonnektor nicht um eine semantisch neutrale Positionsvariante eines Konnektors der Subklasse ‘nicht positionsbeschränkter Adverbkonnektor’ handelt, sondern dass hier immer besondere zusätzliche Eigenschaften ins Spiel kommen. Eine syntaktisch, lexikalisch und prosodisch wohldefinierbare Form ist systema- „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 49 tisch mit der informationsstrukturellen Funktion der Markierung eines Topikwechsels korreliert. Diese Funktion kann weder allein auf lexikalische Eigenschaften des Konnektors, noch allein auf funktionale Eigenschaften der Struktur zurückgeführt werden. Die Funktion der Topik-Markierung kann nicht ‘projektionistisch’ aus der Bedeutung der beteiligten Adverbkonnektoren abgeleitet werden, da diese in der Nacherstposition Bedeutungsspezialisierungen gegenüber ihren Bedeutungen im Vorfeld und Mittelfeld erfahren können. Sie kann aber auch nicht einer allgemeinen informationsstrukturellen Funktion der Nacherstposition zugeschrieben werden, da andere Fälle mehrfacher Vorfeldbesetzung wie postponierte Fokuspartikeln oder die in Müller (2003) diskutierten Fälle von Verbkomplementen und Adjunkten gerade nicht diese Funktion haben. Eine Beschreibung als Konstruktion lässt es dagegen zu, die Bedeutung einer größeren strukturellen Konstellation holistisch festzulegen. In der Typologie von Jacobs (2008) handelt es sich hier um eine konkrete komplexe Konstruktion mit eingeschränkter Produktivität. Bei einer Klassifizierung als ‘syntaktische’ Konstruktion ist allerdings die topologische und prosodische Fixierung schlecht erfassbar, sodass man vielleicht besser die Jacobs'schen Kategorien (morphologische, phraseologische, syntaktische Konstruktionen) um einen eigenen Typ informationsstrukturelle komplexe Konstruktionen erweitert (zur konstruktionsgrammatischen Beschreibung eines Vertreters dieses Typs im Frz. siehe Lambrecht 2004). Zu den informationsstrukturellen Konstruktionen, die mit der TAN-Konstruktion die Funktion der Topiketablierung und der Markierung der Topik-Kommentar-Gliederung teilen, gehören die Topikdislozierungskonstruktionen an der linken und rechten Peripherie und die Parenthesen. Bei diesen ist allerdings das Topik mehr oder weniger syntaktisch und prosodisch aus der Trägerstruktur herausgelöst, während bei der TAN-Konstruktion sowohl das Topik als auch der Adverbkonnektor selbst struktureller Bestandteil des Trägersatzes sind (letzterer ein S-Adjunkt). Auf die syntaktischen und prosodischen Unterschiede an der linken Peripherie zwischen Freiem Thema und Linksversetzung hat schon Altmann (1981) hingewiesen. Nach Frey (2004) ist Linksversetzung Bestandteil des Vorfelds und syntaktisch echter Teil des Satzes, Freies Thema dagegen steht im linken Außenfeld und ist syntaktisch unabhängig. Jacobs (1984) nimmt an, dass in Strukturen mit einem Freien Thema zwei illokutionäre Akte vollzogen werden und ‘Topikalisieren’ eine sprachliche Handlung ist. Oft wird auch ein diskursfunktionaler Unterschied der beiden Konstruktionen postuliert. Linksversetzung wirke ‘lokal’ und markiere das Satztopik, während das Freie Thema ‘global’ das Diskurstopik für Eva Breindl 50 den gesamten nachfolgenden Abschnitt festlege (Averintseva-Klisch 2008); dabei ist das Freie Thema auf neu etablierte oder wieder etablierte Topiks beschränkt - darin der Nacherstkonstruktion vergleichbar. Die syntaktische Desintegriertheit und illokutionäre Selbstständigkeit verbietet es jedoch in aller Regel, eine Konstruktion mit einem Freien Thema in eine TAN-Konstruktion umzuwandeln; zumal durch den Adverbkonnektor immer eine zusätzliche semantische Relationierung ins Spiel kommt (vgl. 83a vs. 83b). In (84) und (85) eröffnet das Freie Thema mit dem Diskurstopik einen Rahmen, der aber nicht im folgenden Satz als Satztopik wiederaufgegriffen wird; eine TAN-Konstruktion ist dann nicht möglich. (83a) „Skisport ist in Österreich beliebter als der Fußball“, hielt Bundeskanzler und Sportminister Viktor Klima beim Medientag des ÖSV fest. Und fügte als Bonmont an: „Man muß die Erfolge nicht wie die Schröcksnadel im Heu suchen.“ Apropos [Peter Schröcksnadel]. Der ÖSV-Präsident trieb für das heurige Budget knapp 90 Millionen Schilling auf. (Vorarlberger Nachrichten, 20.10.1997, S. C10) Š" # _ ‹Ž‘ Der Schröcksnadel nun/ nämlich/ also/ freilich trieb für das heurige Budget knapp 90 Millionen Schilling auf. (84) Der Waffenstillstand im früheren Jugoslawien wurde wesentlich durch zwei Faktoren begünstigt: die herannahende Präsidentenwahl in Amerika und den Wandel in der französischen Balkanpolitik durch Chirac. Apropos [Frankreich]. Internationalismus beginnt damit, die Politik des wichtigsten Nachbarn in ihren tieferliegenden Beweggründen zu erkennen. (F95/ 546.00046 Frankfurter Allgemeine) (85) Er erzählte mir, daß er mit seiner Frau und den beiden drei- und fünfjährigen Töchtern eine Vierzimmerwohnung gemietet hat. Verheiratet war er damals schon, als das passiert war. „Sehen Sie, was [das Unglück] betrifft“, sagt er, „bei einem Soldaten ist es so, wie überall woanders auch. Wenn er Initiative zeigt und etwas wagt, geht er immer und überall ein gewisses Risiko ein.“ (Bildzeitung, 10.03.1967, S. 4) Zur linken Peripherie vergleichbare diskursfunktionale Unterschiede macht Averintseva-Klisch (2008) auch an der rechten Peripherie zwischen einem Reparatur-Nachtrag und einer Rechtsversetzung im engeren Sinn geltend: Letztere dient wie das Freie Thema der Etablierung eines Diskursreferenten „Nach Rom freilich führen viele Wege“ 51 als Diskurstopik für den nachfolgenden Diskursabschnitt, wobei dies sowohl ein „diskursaltes“ wie ein „neu etabliertes“ Topik sein kann, ist aber syntaktisch und prosodisch stärker integriert als Freies Thema, unter anderem durch obligatorische morphologische Kongruenz zur pronominalen Kopie im Satz. Der Reparatur-Nachtrag, der die Funktion der Auflösung einer potenziell unklaren pronominalen Referenz hat, ist dagegen syntaktisch und prosodisch nicht integriert und wird als Teil des rechten Außenfelds analysiert. Belege mit solchen diskursfunktionalen Rechtsversetzungskonstruktionen lassen sich dann in TAN-Konstruktionen umwandeln, wenn sie ein neues Diskurstopik etablieren. Die beiden Konstruktionen unterscheiden sich aber in der Abfolge von Topik und Kommentarteil, die bei der Rechtsversetzung durch eine Art schweren Auftakt markiert ist. (86a) Wer weiß, wie beschwerlich der Heimweg für ihn und den Jungen geworden wäre, wenn ihnen das Glück nicht den Karpfen Cyprinus zur Hilfe geschickt hätte! Ahnungslos kam er dahergeschwommen, der Karpfen Cyprinus. Er war schon ein alter Herr, hatte Moos auf dem Rücken und liebte es, während des Schwimmens stillvergnügt vor sich hin zu blubbern. (O. Preußler, Der kleine Wassermann; zitiert nach Averintseva- Klisch 2008, S. 407) (86b) […] Der Karpfen Cyprinus nun kam ahnungslos dahergeschwommen. Im Vergleich zum Freien Thema spielt sich die informationsstrukturelle Funktion der TAN-Konstruktion also primär lokal, in der Gliederung eines Satzes in Satztopik und Kommentar, ab und ähnelt darin mehr der Rechtsversetzung, mit der sie auch die stärkere syntaktische und prosodische Integration teilt. Die Strategie, dass ein Adverb zusätzlich zu seiner Eigenbedeutung die Markierung der informationsstrukturellen Grenzziehung mitübernimmt, erinnert im Übrigen an den Fall der Abtönungspartikeln im Mittelfeld, die in der Regel an der Grenze zwischen Hintergrundbereich und Fokusbereich stehen. Modalpartikeln operieren bekanntlich nicht auf der propositionalen Ebene. Auffällig ist nun, dass die nacherstfähigen Adverbkonnektoren in dieser Position überwiegend ebenfalls nicht-propositionsbezogen, sondern epistemisch, metakommunikativ oder textdeiktisch interpretiert werden und viele rein propositional verknüpfende Konnektoren wie etwa die temporalen in dieser Position nicht auftreten können. Dass sich an die satzperipheren Positionen im Deutschen generell spezielle Diskursfunktionen knüpfen, ist communis opinio. In Eva Breindl 52 Breindl (2009) wurde dafür plädiert, dass sich für Konnektoren im Vorvorfeld, also in desintegrierter Position vor einem V2-Satz, unabhängig von ihrer syntaktischen Subklasse (Konjunktoren wie und, Adverbkonnektoren, Subjunktoren wie weil, obwohl, wobei, sentenziale Adverbiale wie Wenn du mich fragst, …) nicht nur eine einheitliche syntaktische Analyse anbietet, sondern dass ihr Auftreten auch identischen semantischen Restriktionen und Tendenzen gehorcht, die wiederum die gleichen sind, die bei der Einbettung von V2- Komplementsätzen unter Matrixsatzprädikate wirken. Ein wichtiger Faktor dabei ist, dass nicht-propositionaler Bezug Desintegration erleichtert bzw. dass bei diesbezüglich ambigen Konnektoren und Adverbialsätzen an der Nullstelle die propositionale Interpretation blockiert wird. Die Nacherstposition, in der die Adverbkonnektoren auftreten, ist zwar keine Position der Desintegration, sie teilt aber mit der Position für desintegrierte, herausgestellte Einheiten den Status einer „Ausbauposition“, einer strukturell nicht obligatorischen Position des einfachen Satzes. Und in Abschnitt 1 wurde gezeigt, dass Adverbkonnektoren in dieser Position eine Affinität zu einer nicht-propositionalen Lesart der Verknüpfung haben. Eine vorsichtige Generalisierung könnte an dieser Stelle lauten: Material in solchen „Ausbaupositionen“ von V2-Sätzen, d.h. in strukturell nicht obligatorischen Positionen, erhält vorzugsweise eine nicht-propositionale Interpretation und übernimmt spezielle Diskursfunktionen. Verifizierung und Begründung eines solchen Zusammenhangs könnte für die Zukunft ein lohnender Forschungsgegenstand sein. 6. 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Protokoll eines fiktiven Gesprächs 1 (Darbey Conely, , 25.1.2008) [Moderator: ] Elaboriertere, z.B. argumentierende, Texte stellen besondere Ansprüche an die „Vertextung“ des Gemeinten, die über das hinausgehen, was „spontan“, „naturwüchsig“ im Mutterspracherwerb gelernt bzw. was üblicherweise im allgemeinen Fremdsprachenunterricht gelehrt wird. Eine der auffälligsten Schwierigkeiten für fortgeschrittene Deutschlerner, aber auch für Muttersprachler, bei der Erlernung solcher Textsorten ist die korrekte Verwendung von Kohäsionsmitteln, insbesondere von Satzpronomen und Konnektoren. Häufig stehen dem Sprachproduzenten verschiedene Ausdrucksalternativen zu Gebote bzw. begegnet der Rezipient unterschiedlichen Formulierungen für vergleichbare Inhalte. Wir wollen in diesem Gespräch anhand konkreter Beispiele der Frage nachgehen, ob es allgemeine Prinzipien gibt, welche dieser Alternativen als akzeptable Varianten anzusehen sind, wo dagegen von einem Fehler die Rede sein muss. An dem Gespräch sind unter anderem beteiligt ein „theoretischer“ Sprachwissenschaftler, eine Person gewissermaßen als Sprachrohr eines Korpus, sowie einige „normale Sprachteilhaber“, linguistische Laien, deren Einlassungen auch in dieser Runde ernst genommen, aber wie auch die der anderen Diskutanten nicht ungeprüft übernommen werden sollen. [Sprachwissenschaftler: ] Ein besonderer Anlass meiner Teilnahme an diesem Gespräch ist die Tatsache, dass am Institut für Deutsche Sprache in den nächsten Jahren eine Gebrauchsgrammatik des Deutschen im Sinne einer „Sprachverwendungsgrammatik“ erstellt werden soll, die den aktuellen Sprachgebrauch in seiner Variationsbreite beschreiben, dokumentieren und analysieren und hohen Nutzwert, etwa für die Spracherlernung, mit wissenschaftlichem Anspruch verbinden soll. Um aber so etwas überhaupt leisten zu können, ist 1 Ich danke einem anonymen Gutachter für wertvolle Kommentare zu einer vorherigen Fassung dieses Textes. Ulrich Hermann Waßner 58 zunächst zu klären, ob gewisse Problem- und Zweifelsfälle bei der Verwendung gewisser sprachlicher Ausdrücke grammatisch gesehen „bloße“ Varianten zueinander sind oder ob legitimerweise von Fehlern die Rede ist, denn: „Eine Grammatik als Gebrauchsbuch soll Auskunft darüber geben, was richtig und was falsch ist.“ (Eisenberg 3 2006, S. 1). Dabei geht es in einem Zweig dieses Projekts vor allem um bestimmte Formen und Konstruktionen, an denen Konnektoren beteiligt sind. Sie eignen sich meines Erachtens besonders gut, um gewisse Überlegungen in diesem Zusammenhang zu demonstrieren und zu exemplifizieren. Dabei zeigt sich immer wieder, dass vergleichbare Zweifels- und Problemfälle wie bei Konnektoren auch in anderen Bereichen des Sprachsystems auftauchen. Auch das sollte in diesem Gespräch durchaus mit einbezogen werden. [Moderator: ] Beginnen wollen wir mit den Konnektoren selbst, also eher auf der lexikalischen Ebene. Kommen wir zu einem ersten Fall, der oft heftige Emotionen hervorruft: das Wörtchen nichtsdestotrotz (als Alternative zu den allgemein akzeptierten Wörtern nichtsdestoweniger und nichtsdestominder, aber auch zu anderen Konnektoren des konzessiven Bereichs). Es steht in verschiedenen Wörterbüchern, und … [Laie A: ] 2 … im Englischen beobachte ich den Gebrauch von nevertheless für das zungenbrecherische nichtsdestotrotz. [Laie B: ] Nichtsdestotrotz ist eine Seuche, die sich immer weiter ausbreitet. Wenn ich mich richtig erinnere, war es Tucholsky, der dieses Wortmonstrum aus satirischen Gründen erfunden hat, als Verballhornung oder Zusammenziehung von nichtsdestoweniger und trotzdem. Und jetzt werden wir das Ungetüm nicht mehr los. Häufiger Gebrauch macht es jedenfalls auch nicht schöner und sinnvoller. [Laie A: ] Himmel! Das ausgerechnet mir, wo ich mich so oft über verquastes Schwelldeutsch ärgere. Ich konnte Deine Anmerkung noch nicht im Detail nachprüfen, klingt aber beunruhigend plausibel. 3 2 Anm. d. Red.: Die „Laien“-Diskussionsbeiträge stammen aus einigen einschlägigen Diskussionen aus Internet-Foren. 3 Dialog A/ B aus http: / / dict.leo.org/ forum/ viewGeneraldiscussion.php? idThread=13327&idFor um=4&lp=ende&lang=en und http: / / dict.leo.org/ forum/ viewGeneraldiscussion.php? idThread =3899&idForum=4&lp=ende&lang=en (beide Stand: 23.12.2008). Erster Beitrag von mir aus dem Englischen übersetzt. Ausdrucksalternativen bei Konnektoren - Varianten oder Fehler? 59 [Laie C: ] Pfui! ! nichtsdestotrotz, grausig! Hat unser Lateinlehrer uns strengstens verboten! 4 [Laie D: ] Ja, warum eigentlich unternimmt niemand etwas gegen die fortschreitende nichtsdestotrotz-Plage in diesem Land? [Sprachpfleger: seufzt] Ach, D. Die Erosion der Grammatik der deutschen Sprache ist ein immerwährendes Problem, das wir auch ohne die Anglizismenflut hätten. Sie haben recht, nichtsdestotrotz ist ein Unwort, das sich immer weiter ausbreitet. Demnächst finden wir es vermutlich auch im Duden. Was können wir dagegen tun? Nur selbst sauber reden. D, nichtsdestotrotz ist ein Wortmonstrum, von dem ich hoffe, dass es sich irgendwann von selbst erledigt; in der Schriftsprache hat es nichts zu suchen. Aber wir sollten uns mal in 80 Jahren nochmal drüber unterhalten. 5 [Sprachwissenschaftler: ] Sie kommen jetzt schon ein wenig zu spät. (Oder sollte ich sagen: Sie hätten mal nachsehen sollen? ) Die Duden-Rechtschreibung enthält das Wort bereits seit langem, wenn auch mit dem Zusatz „ugs.“, nämlich mindestens seit der 14. Auflage 1954. Andere Wörterbücher allerdings verzeichnen es tatsächlich (noch) nicht. Das Deutsche Universalwörterbuch wiederum hat es in der letzten Auflage ( 6 2007) auch, mit dem Zusatz „ugs., oft scherzhaft“. Es erstaunt doch einigermaßen, dass immer wieder dieselben angeblichen Urheber und Bildungsmotive angeboten werden, die sich allesamt aber nicht nachweisen lassen. Nichtsdestotrotz soll nämlich bewusst konstruiert worden sein … [Laie K: ] 6 Die Verballhornung nichtsdestotrotz wurde IIRC 7 von Heinz Erhardt ersonnen und ist eine Mischung aus nichtsdestoweniger und aus trotzdem. [Laie L: ] Nein, nichtsdestotrotz war von Kurt Tucholsky zu satirischen Zwecken ersonnen worden! 4 http: / / pda.leo.org/ forum/ viewGeneraldiscussion.php? idThread=9608&idForum=4&lp=ende& lang=de (Stand: 25.8.2008). 5 http: / / www.vds-ev.de/ forum/ viewtopic.php? TopicID=33&page=1 (Stand: 18.6.2001). 6 Dialogquelle wie in Anm. 4. 7 If I Recall/ Remember Correctly („Wenn ich mich richtig erinnere“); vgl. die Formulierung von Laie B im Text. ! " 60 [Laie R: ] 8 Ich meine mich zu erinnern, dass Tucholsky in einer Glosse diese Bildung auf einen studentischen Ulk des 19. Jahrhunderts zurückgeführt hat. Auf irgendeine Weise ist er dann in den Sprachgebrauch linguistisch weniger bemittelter Zeitgenossen gelangt - um es mal freundlich auszudrücken. [Laie K: ] L, sicher? Ich kann im Web keinerlei Belege dafür finden. Für Heinz Erhardt aber auch nicht. Wäre schön, wenn du eine Quelle nennen könntest. [Sprachwissenschaftler: ] Das aber ist meines Wissens nie geschehen. Um chronologisch beim Jüngsten zu beginnen - Heinz Erhardt kann mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden. Im Werk von Kurt Tucholsky fand ich bisher nichts dieser Art. Studenten des 19. Jahrhunderts kann man natürlich alles mögliche in die Stiefel schieben, wirkliche Belege scheint es auch hierfür nicht zu geben. Der von K beschriebene Zustand besteht weiter. Die Urheberschaftszuschreibung bleibt im Zustand des Gerüchts, eine Art - # , wobei immer wieder merkwürdige abgesunkene Scheinerinnerungen eine Rolle spielen. [Moderator: ] Ja, es fällt auf, dass sich viele „zu erinnern glauben“, und man fragt sich, worauf diese „Erinnerungen“ beruhen, wer entsprechende „Informationen“ ursprünglich in die Welt gesetzt hat und auf welchen Wegen sie sich verbreitet haben. Aber das müssen Berufene klären. Im Augenblick bleibt uns festzuhalten: Manche Sprecher des Deutschen finden die Bildung furchtbar, aber andere gebrauchen sie unbefangen. Unterstellen wir, dass Laien nachsprechen, was sie gehört haben, und formulieren, wie es ihnen plausibel erscheint. Verallgemeinernd gefragt: Warum überhaupt nehmen auch Fachleute gewisse sprachliche Hervorbringungen von Laien als fehlerhaft an? [Sprachwissenschaftler: ] Zu den bisherigen Redebeiträgen: Ich finde bei Ihnen viel Apodiktik, wenige Argumente (außer Totschlagargumente aus der Ungeziefervernichtungstopik). Auffällig scheint mir die schnelle Bereitschaft gerade solcher Personen, die sich selbst als kritisch ansehen, wie Laie A, negative Wertungen von anderen auch ungeprüft zu übernehmen. Ebenfalls, dass die verwendeten Kategorien nicht allzu präzise sind: Um eine Verballhornung handelt es sich sicher nicht. Zu Ihnen allen: Ihr subjektives ästhetisches Empfinden kann Sie darin anleiten, dieses „Unwort“ für schön oder hässlich zu halten, seine Bildung für gelungen oder ungeschickt, und es zu benutzen oder es zu lassen, aber Ihr Ge- 8 Quelle siehe Anm. 9. Ausdrucksalternativen bei Konnektoren - Varianten oder Fehler? 61 schmacksurteil, Ihre persönliche Abscheu und Ihre Verzweiflung über den von Ihnen empfundenen Sprachverfall können sicherlich keine Maßgaben für mich als Sprachforscher sein, dieses Wort als fehlerhaft abzulehnen. Ein Wort bleibt es ja, auch wenn es mit der Beschimpfung Unwort belegt wird, wie ja auch ein Unmensch durchaus ein Mensch ist. Aber auch für die weniger wertenden, eher informativ scheinenden Aussagen gilt, dass der argumentative Stellenwert der Benennung eines Urhebers oder eines Bildungsmotivs höchst zweifelhaft ist, selbst wenn solche Unterstellungen belegt oder bewiesen wären. Macht die Tatsache, dass es sich nicht um eine „naturwüchsige“, sondern um eine bewusste Bildung handelt, und ich einen Erfinder namhaft machen kann, das gebildete Wort „falsch“? Und selbst wenn es bewusst zum Scherz gebildet wurde - kann es sich nicht von der ursprünglichen Absicht gelöst haben? Warum sollte nicht aus Spaß Ernst werden? Das geschieht in der Sprache oft genug und ist spätestens dann kein Argument mehr, wenn auch das Bewusstsein für das ursprüngliche Bildungsmotiv verloren gegangen ist, wie es bei nichtsdestotrotz weithin der Fall ist. Anders bei einem anderen Wort aus der Reihe unserer Alternativen, bei dem den meisten Sprechern heute noch deutlich sein dürfte, dass es absichtlich als Scherz gebildet wurde, weil hier auch das Moment der übertriebenen Häufung schier unübersehbar ist. Ich meine … [Laie R: ] … die hybride Bildung nichtsdestowenigertrotz - die ist natürlich vollkommen unter dem Strich. [Laie S: ] Ich kenne eigentlich nur nichtsdestotrotz - also ohne das weniger in der Mitte. Ist nichtsdestotrotz denn falsch? Aha, im Duden, den ich mal eben gezückt hab, steht nichtsdestotrotz als umgangssprachlich drin. Und gleich darüber etwas, das ich noch nie verwendet hab: nichtsdestominder - steht ja auch „selten“ im Duden dabei ... [Laie R: ] Nichtsdestominder ist schön - das kannte ich noch gar nicht, werde es aber vielleicht in meinen Wortschatz aufnehmen. Da fallen mir aber auch noch desungeachtet und - altertümelnd - desohngeachtet ein. Dies letztere verwende ich manchmal, allerdings meist bei Menschen, die es nicht verstehen. 9 [Laie O: ] nichtsdestoweniger steht auch in LEO … und heißt einfach nur ‘trotzdem’ oder ‘dennoch’. 9 Dialog aus http: / / www.wer-weiss-was.de/ theme143/ article4042784.html (Stand: 23.12.2008). Ulrich Hermann Waßner 62 [Laie P: ] nichtsdestotrotz: 1) nichts = steht hier als auf ein Wort reduzierte Ellipse; es bedeutet etwa so viel wie ‘das bedeutet nicht ...’ oder ‘das heißt nicht ...’ 2) desto = stellt einen Bezug her (vgl. je ... desto .../ engl.: the ... the ...) 3) trotz = von Trutz; Widerstand; Opposition (trotzdem, trotzdessen). [Sprachwissenschaftler: ] Vielen Dank, dass Sie uns hier auch gleich die Bildung motivieren - Ausdrücke wie „Verballhornung“ deuten ja darauf hin, dass man ihr unterstellt, völlig undurchsichtig zu sein. Ich möchte an dieser Stelle dann doch einen tabellarischen Überblick geben über das Vorkommen der Varianten in einigen gängigen Wörterbüchern: Duden I ( 24 2006), S. 728 Behaghel (1928), S. 220 HdG, S. 825 Grimm Paul nichtsdestoweniger X nichts desto weniger (im Text auch zusammengeschrieben) X X ( 2 1908), S. 383 (kein eigenes Lemma! Einträge unter nichts); ( 10 2002), S. 704 (eigenes Unterlemma) nichtsdestominder X nichts desto minder - X ( 2 1908), S. 383 (kein eigenes Lemma! ) „früher auch“; ( 10 2002), S. 704 (wörtlich identisch) nichtsdestotrotz X „ugs.“ - - - - sonstige verwandte Formen - nichts weniger - - ( 2 1908), S. 383 (kein eigenes Lemma! ): „früher auch einfacher“ nichtsweniger und nichtsminder; ( 10 2002), S. 704 (wörtlich identisch) Tab. 1: Varianten von nichtsdestotrotz Wir sehen: Anders als die Verwunderung der Laien R und S über die Existenz des Wortes erwarten lässt, ist nichtsdestominder ein allgemein akzeptiertes Wort, das z.B. - anders als nichtsdestotrotz - auch im Grimm-Wörterbuch steht. Dagegen wird es offenkundig von jüngeren Sprachteilhabern - viel- Ausdrucksalternativen bei Konnektoren - Varianten oder Fehler? 63 leicht weil es bzw. schon sein Bestandteil -minder edler/ seltener ist - noch weniger gelitten als nichtsdestotrotz. [Laie G: ] Ja, neulich habe ich mal im Internet das Wort nichtsdestoweniger verwendet und dafür den Kommentar „Witzige Worterfindung! “ kassiert. Der betreffende Kommentator kannte das Wort ganz offensichtlich nicht und wusste auch nicht, dass das bedeutend häufiger verwendete nichtsdestotrotz ursprünglich mal eine Scherzbildung war. 10 [Sprachwissenschaftler: ] Das Zitat zeigt: Auch nichtsdestoweniger ist heute wesentlich weniger bekannt als das angeblich falsche nichtsdestotrotz! Ich muss, um nicht missverstanden zu werden, noch eine Anmerkung einschieben: Natürlich gilt auch für positive Wertungen wie die von der Schönheit von nichtsdestominder dasselbe wie umgekehrt für die in den Äußerungen von Sprachkritikern häufig vorkommenden negativ wertenden Ausdrücke: Es sind keine wissenschaftlich tragfähigen Argumente für die „Güte“ einer Bildung oder gar die Existenz eines Wortes, bestenfalls stilistische Empfehlungen, es zu benutzen, oder Warnungen davor. Wobei, wie in Rhetorik und Stilistik so oft, derselbe Faktor für wie gegen den Gebrauch sprechen kann: Altertümliche Ausdrücke können störend wirken, dem Sprecher aber auch einen Distinktionsgewinn verschaffen, oder nach besonders „gepflegtem Deutsch“ klingen. [Moderator: ] Damit sind wir bei der Frage sachlicher Kriterien. Sie halten also „veraltet“ nicht für ein Argument, sowenig wie „umgangssprachlich“, um eine bestimmte Wortbildung zu kritisieren, die alternativ zu anderen vorkommt? [Korpus: ] Die Beleglage zeigt häufig bei Konnektoren, die man für altertümlich halten möchte, dass sie noch munter im Gebrauch, also keineswegs veraltet sind. [Sprachwissenschaftler: ] Natürlich berühren wir hier - ohne dass ich das ausführen möchte - die Problematik des Sprachwandels: Ausdrucksalternativen kommen ins Lexikon und fallen auch aus ihm heraus; komplexere Konstruktionen waren einmal grammatisch korrekt, sind es aber nicht mehr; oder sie waren es nicht, werden es aber. Was den anderen angebotenen Faktor angeht: Die Zuordnung zu Stilebenen wie „umgangssprachlich“ unterscheidet sicher 10 „Kommentar von Martin Gerdes, verfaßt am 27.04.2007 um 08.23 Uhr“. Aus Schrift & Rede (hrsg. von der Forschungsgruppe Deutsche Sprache, Brekle, Ickler, Kempowski u.a.); http: / / www.sprachforschung.org/ index.php? show=news&id=538#5862 (Stand: 31.8.2008). Die Rechtschreibung wurde angepasst. ! " 64 den Verwendungsbereich von Varianten, macht sie aber nicht zu fehlerhaften Ausdrücken. [Moderator: ] In Ihrem Arbeitsplan sind Sie gehalten, von einer kompetenzgeleiteten zu einer korpusbasierten Erforschung des Sprachgebrauchs überzugehen. Welche Konsequenzen hat das für die Unterscheidung von Varianten und Fehlern, und kann man auf die Kompetenz des Sprachforschers ganz verzichten, wenn man hinreichend große Korpora zur Verfügung hat? [Sprachwissenschaftler: ] Man kann grundsätzlich kompetenzbasierte von korpusbasierten Kriterien für die Grenzziehung zwischen fehlerhafter und korrekter sprachlicher Äußerung unterscheiden. Auf den Unterschied, Stärken und Schwächen dieser beiden Entscheidungsgrundlagen sollten wir im weiteren Gespräch näher eingehen. Etwas differenzierter stellt sich das wie folgt dar: Gruppen von Kriterien zur Unterscheidung von „falsch“ (Fehler) und „richtig“ (Variante): Kompetenzbzw. „intuitions-“basierte (hermeneutisch) 1) individuelle Kompetenz (Introspektion - Blick nach innen) - subjektiv 1') kollektive Kompetenz (Informantenbefragung) - intersubjektiv Korpusbasierte - objektiv (positivistisch) 2) Vorkommen von einschlägigen Belegen überhaupt (faktische Vorfindlichkeit in Korpora) („Beobachtung“ - Blick nach draußen) 2') Vorkommen von einschlägigen Belegen in einer gewissen absoluten Mindest-Anzahl oder relativen Häufigkeit; ggf. Mehrheitsgebrauch (Berechnung) Traditionell - vor der Entwicklung sehr großer maschinenlesbarer und somit schnell und zuverlässig erschließbarer Korpora - wurde fast ausschließlich die individuelle Kompetenz des Forschers herangezogen (Introspektion), was notwendig subjektiv blieb. Belege dienten weitgehend nur der Illustration, in glücklichen Fällen hatten sie heuristischen Wert. Auf dieser Grundlage kann man sich über die Akzeptabilität der Bildung ebenso dauerhaft streiten wie über die Grammatikalität von als Subjunktor oder die der Verwendung von mit Verbzweitsatz: Wenn ausschließlich die unterschiedliche sprachliche Intuition verschiedener Muttersprachler einer Einstufung zugrunde liegt, kann es zu keiner Einigung kommen - außer autoritär. $ % ' ( ) 65 Dabei wäre diese Festlegung (eine gegebene Äußerungsform ist grammatisch korrekt oder nicht) überhaupt die Grundlage jeder systematischen Grammatikschreibung. Introspektion lässt Beliebigkeit oder umgekehrt repressive Normativität befürchten. Nun ließ sich auch schon mit klassischen Mitteln über die subjektivindividuelle Introspektion hinausgehend eine gewissermaßen kollektive Kompetenz anzapfen, nämlich durch die Befragung anderer Sprachteilhaber, eine Introspektion in vielen Köpfen, womit man immerhin bereits eine gewisse intersubjektive Absicherung erreichte. Aber auch diese „verallgemeinerte Intuition“ hat ihre Grenzen. Die Informantenbefragung bessert die Lage nicht grundsätzlich. Über die Konstatierung einer Mehrheitsmeinung kommt man auch so nicht unbedingt hinaus, wenn auch gegebenenfalls bei geschickter Versuchsanordnung und Fragestellung bereits Tendenzen hinsichtlich der Korrelation von Varianten mit (z.B. regionalen) sprachlichen Varietäten sichtbar werden. Zwischen dem Vorliegen allgemeiner Einigkeit und der völlig unterschiedlichen Einschätzung von Fällen besteht ein Kontinuum von Abstufungen. [Moderator: ] Generell berufen sich die Laien - und aber auch die Fachkollegen - gerne auf Autoritäten, bzw. umgekehrt diese fordern Gehorsam ein. Solche Instanzen sind Lehrer und Wörterbücher; heutzutage die LEO-Seite im Internet oder de facto auch die Word-Rechtschreibhilfe. Aber welcher dieser Autoritäten soll man folgen, wenn z.B. Wörterbücher unterschiedliche Angaben machen? [Sprachwissenschaftler: ] Auch das # * ist zwar in der Argumentationstheorie durchaus bekannt, aber kein wissenschaftlich akzeptables oder gar zwingendes. Vor allem sind die Autoritäten der Laien nicht die der Linguisten. Aber ein „Argument“ wie „Steht auch in LEO“ entspricht von seinem Gehalt durchaus dem „Steht im Grimm-Wörterbuch (oder einem der anderen Standard-Wörterbücher)“ oder gar „in der Duden Rechtschreibung“. Auch ändern Autoritäten ihre Meinung: So wird die Verwendung von - als Subjunktor, übrigens laut HdK (S. 724) „überwiegend gesprochensprachlich“, „von der Grammatik seit 1959 nicht mehr verworfen“, wie man Paul ( 10 2002, S. 1026) entnehmen kann. Was ist 1959 nur geschehen? Zwischen beiden Arten von Entscheidungsgrundlagen, der individuellen und der kollektiven Kompetenz, stehen übrigens die Wörterbücher, in denen die geronnene Kompetenz, die Erkenntnisse anderer Forscher und Forschergruppen festgehalten sind; sie dienen häufig der Sprachwissenschaft als Bezugsin- ! " 66 stanz mit Autorität. Notwendig ist allerdings eine kritische Konsultierung auch dieser Informationsquellen, da nicht a priori klar ist, was tatsächlich auf irgendeine Art gewonnene Sachinformation ist und was nichts qualitativ Neues gegenüber Introspektion des/ der Wörterbuchautoren und Befragung oder gar rein willkürliche Norm darstellt. Mit der Frage nach der Autorität hängt auch die nach der (von ihr gesetzten) Norm und dem Unterschied zur wissenschaftlichen, beschreibenden Regel zusammen. Eine normsetzende Instanz wird sicherlich gebraucht bei nicht vollständig sachlich begründbaren, aber regelungsbedürftigen Dingen wie der Orthographie. Nehmen wir Konnektoren wie # + - oder + - das HdK bringt in seiner Wörterliste eine ganze Reihe weiterer vergleichbarer Beispiele. Deren Zusammen- oder Getrenntschreibung beruht sicherlich auf Annahmen, wie viele Wörter hier jeweils vorliegen, hat aber ihrerseits keine weiteren sachlichen Konsequenzen; es handelt sich um bloße Varianten, keine Fehler, sieht man davon ab, wie die jeweils aktuelle orthographische Norm sie einstuft. Bei anderen sprachlichen Phänomenen als der Rechtschreibung sollte es „theoretische“ und nicht nur normative Argumente geben. Und auch die Norm sollte zumindest in sich stimmig sein und ist ihrerseits insofern der sachlichen Argumentation zugänglich, als sich aus höherwertigen, allgemeineren Hauptnormen (ursprünglich rein gesetzt) konkretere, speziellere (Einzelanwendungen) „sachlich-logisch“ ableiten lassen können müssen. Die Norm ist wichtig für den normalen Sprachteilhaber und vor allem den Fremdsprachlerner, der natürlich auf Nummer sicher gehen will - zur Not auch auf Kosten einer gewissen übertriebenen Reduktion auf „sichere Formen“ -, aber absolut irrelevant für den Linguisten, der ja eher die ganze Vielfalt des Sprachsystems einfangen möchte. Das Deutsche scheint sich gerade in der Wortbildung größtmögliche Freiheit herauszunehmen, was also spricht wirklich gegen ? [Moderator: ] Ja, wenn (gerne zugestanden) nicht Ästhetik und Autorität das Entscheidungskriterium liefern - Was denn sonst? [Sprachwissenschaftler: ] Bisher war vor allem von kompetenzbasierten Argumenten die Rede. Das sieht so aus, als liege die Entscheidung über die Akzeptabilität bestimmter Formulierungen oft mehr an der Person des Urteilenden als an sachlichen Erwägungen. Das kann die (Sprach-)Wissenschaft nicht zufriedenstellen. Auf der Suche nach einem Entkommen aus dieser Falle möchte ich mich jetzt den korpusbasierten Kriterien zuwenden. [Moderator: ] Ich bin gespannt, ob wir dort besseres finden. Ausdrucksalternativen bei Konnektoren - Varianten oder Fehler? 67 [Sprachwissenschaftler: ] Korpusgestützte Argumente kann man in zwei Varianten unterscheiden. Die radikalere bemüht positivistisch die normative Kraft des Faktischen: Alles, was wir in einem Korpus finden, ist damit bereits nicht als fehlerhaft anzusehen, sondern (gleich) gut und muss in der sprachwissenschaftlichen Untersuchung Berücksichtigung finden. Konsequenz: Es gibt (in Korpora und damit allgemein in der Sprache) keine Fehler, nur Varianten. Allgemeiner geht es um das faktische Vorkommen in Texten. Wenn ein Wort verwendet wird, dann wäre es damit auch schon akzeptabel. [Moderator: ] Ein Beispiel? [Laie E: ] Aus dem Sprachgebrauch meiner Mutter kenne ich nichtsdestowenigertrotz. [Laie F: ] Davon wird es nicht richtiger. [Laie E: ] Ich weiß - habe es aber anfangs selber verwendet, und es hat einige Jahre gedauert, bis mich jemand darauf hingewiesen hat, dass es dieses Wort nicht gibt. 11 [Moderator: ] Das heißt, Sie akzeptieren das faktische Vorkommen nicht als Kriterium. Ein Wort kann in Texten auftauchen, aber dennoch als in irgendeinem Sinne fehlerhaft angesehen werden. (Dass es das Wort „nicht gibt“, ist sicherlich als Übertreibung gemeint.) Hat das etwas damit zu tun, ob Sie das Wort schon kannten oder nicht - Ihnen unbekannte Wörter sind falsch? [Laie G: ] Nein, ich tippe dann in der Regel eher auf eine Neubildung, die ich ganz individuell noch nicht kannte, wie es den Kollegen R und S mit nichtsdestominder und dem oben von mir zitierten Internetautoren mit nichtsdestoweniger gegangen ist. [Laie H: ] Außerdem hätten unsere Deutschlehrer die Wörter nicht erst verbieten müssen, wenn sie nicht schon bekannt und im Gebrauch gewesen wären. [Korpus: ] Individuelle Unkenntnis kann kein Argument sein. Hier kann ein Korpus heilsam sein. [Sprachwissenschaftler: ] Das setzt allerdings u.a. Korpora voraus, die bereits frei von offenkundigen, reinen Tippfehlern etc. gemacht wurden, und zwar wie anders als per Kompetenz (der Korpusbearbeiter)? Dass es sich bei Buch- 11 Beiträge aus http: / / dict.leo.org/ forum/ viewGeneraldiscussion.php? idThread=3899&idForum= 4&lp=ende&lang=en vom 10./ 11.9.2002 und wörtlich ebenso Thread 13327 (beide Stand: 31.8.2008). Ulrich Hermann Waßner 68 stabendrehern etc. um Fehler und nicht um Varianten handelt, dürfte unstrittig sein. Aber selbst in Korpora, die von solchen trivialen Fällen von Fehlern bereinigt wurden, haben wir noch fremdsprachliche Einsprengsel und ähnliches, bewusst - gerade als warnendes Beispiel! - zitierte Fehler etc. (1) […] und wenn er [Trapattoni] doch sprach, dann sorgte er eher für Verwirrung: „Musse spiele padabumm“ (Süddeutsche Zeitung, 14.6.2007, S. 35) Das zeigt: Bloßes faktisches Vorkommen in einem Korpus ist als Beweis der Richtigkeit deutlich zu wenig. Es kommt noch - was das umgekehrte Argument „kommt nicht vor, ist also falsch“ angeht - ein statistisches Problem hinzu: Selbst bei sehr großen Korpora ist der Unterschied zwischen 0 und 1 Vorkommen nicht signifikant, d.h. es kann reiner Zufall sein, ob eine bestimmte - durchaus korrekte - Wortform einmal vorkommt oder gar nicht. Das heißt, das faktische Nichtvorkommen in einem noch so riesigen Korpus ist auch kein Beweis für die Fehlerhaftigkeit einer erdachten Variante. Vielleicht hilft uns ja eine Verschärfung weiter: Nicht ob ein Wort oder eine Form überhaupt in Textkorpora vorkommt oder nicht, würde demnach über seine Akzeptabilität entscheiden, sondern seine absolute oder relative Vorkommenshäufigkeit, seine „Frequenz“. Das ist die zweite, nuanciertere Fassung der korpusbasierten Kriterien: das Frequenzkriterium. Nicht fehlerhaft ist demnach alles, was in möglichst großen Korpora in gewisser Mindest-Anzahl, mit einer bestimmten Gebrauchshäufigkeit vorkommt bzw. was dem empirisch ermittelten Mehrheitsgebrauch entspricht. Aber: Auch dieses Kriterium, wenn auch verführerisch, ergibt sowohl zu viel als auch zu wenig! [Sprachpfleger: ] Dass manche unserer Ansicht nach fehlerhafte sprachliche Ausdrücke „massenhaft verbreitet“ 12 sind, konzedieren auch Sprachkritiker. Schon im Redebeitrag von Laie B klang dieses Argument ja an. Ich kann es gemeinsam mit ihm aber nur zurückweisen. Es entwertet sich von selbst, bedenkt man, dass auch Millionen Fliegen durchaus irren können. [Moderator: ] Wie ist denn die Lage konkret bei den Ausdrucksalternativen der konzessiven Konnektoren, um auf die Funktionsklasse von Wörtern zurückzukommen, um die es uns ja vor allem geht? 12 So bezüglich nichtsdestotrotz im Zwiebelfisch-ABC auf Spiegel Online ( http: / / www. spiegel.de/ kultur/ zwiebelfisch/ 0,1518,314557,00.html ). Ausdrucksalternativen bei Konnektoren - Varianten oder Fehler? 69 [Korpus: ] Die untersuchten Korpora sprechen eine deutliche, vielleicht den einen oder anderen normativ orientierten Sprachkritiker überraschende statistische Sprache. Ich fasse die Ergebnisse einer Korpusuntersuchung wieder in einer Tabelle zusammen: Suchwort - gleichgültig ob groß oder klein geschrieben Anzahl der Belege in COSMAS II (W-gesamt), 31.7.2008 Anzahl der Belege in COSMAS II (W-öffentlich), 27.6.2007 Treffer in Google, 31.7.2008 (? ) nichtsdestotrotz 3 891 2 095 ca. 1 240 000 nichtsdestoweniger 921 522 ca. 220 000 nichtsdestominder 6 1 (in Worten: ein Beleg! ) ca. 1 680 * nichtsdestowenigertrotz 1 0 ca. 1 490 * nichtsdestomindertrotz 0 ? 0 Tab. 2: Ergebnisse der Korpusuntersuchung Die Tendenz ist einheitlich und eindeutig: nichtsdestotrotz : nichtsdestoweniger entspricht etwa 4 : 1. Nichtsdestowenigertrotz kommt in Google fast genauso häufig vor wie nichtsdestominder; die Frequenzverhältnisse von 6 : 1 in W-gesamt bzw. 1 : 0 in W-öffentlich dürften aufgrund der kleinen Zahlen im Rahmen der Fehlermarge einer Aussage liegen, dass beide etwa gleich häufig vorkommen. Die ebenfalls denkbare Bildung nichtsdestomindertrotz wurde offenkundig nie realisiert. Ist die Schnittmenge minder / trotz etwa zu gering? - Eine Anmerkung noch: Zwei der sechs Belege zu nichtsdestominder stammen aus sprachkritischem Kontext bzw. werden - wie wir sagen - erwähnt, nicht verwendet: es wird über sie, nicht mit oder mittels ihnen gesprochen. (2) Ist es […] nicht Aufgabe einer linken Zeitung, diesen Wörtern Schutz vor terminatorischen Gelüsten zu bieten? Nichtsdestoweniger, nichtsdestominder - ihr seid willkommen! (die tageszeitung, 18.3.2005, S. 15) Anführung als Gegenstand der Betrachtung, als Objekt von Metasprache („mention“, gegenüber dem normalen „use“) aber stellt wieder ein eigenes Problem für einen rein korpusorientierten Ansatz dar, vor allem, wenn, wie in diesem Beispiel, keinerlei sprachliches oder grafisches Indiz (Kursivierung, Anführungszeichen, entsprechende explizite Formeln oder ähnliches) für objektsprachliche Anführungen vorhanden ist. Sie sollten für semantische Erwägungen von richtig oder falsch generell ausgeschieden werden, da für sie besondere Bedingungen gelten; eine Sprachbeschreibung kann zunächst nicht auf sie bauen. ! " 70 0 ist in so geringer Zahl belegt, dass es einem bei kleineren Korpora völlig entgehen könnte. 0 # kommt rein gesprochensprachlich vor. Der eine Beleg in COSMAS stammt aus dem Weihnachtskrimi der 12 Es handelt sich um wörtliche Rede, also Imitation gesprochener Sprache. Hier scheint der Scherzcharakter der Bildung überwiegend noch bewusst zu sein, jedenfalls ist sie auch mir (noch? ! ) als - übertriebene und absichtlich übertreibende - Scherz-Kontamination deutlich. [Sprachwissenschaftler: ] D.h. alle drei sind nach dem reinen Vorkommenskriterium Varianten, nach dem Frequenzkriterium gilt: Das umstrittene - von der Word-Rechtschreibkontrolle aber akzeptierte! - ist mit Abstand das am häufigsten verwendete aus dieser Synonymenreihe! Die schiere Häufigkeit der Belege spricht dafür, dass das Wort in ein deutsches Wörterbuch gehört; die Frage ist dann aber: Sollte es als markiert gekennzeichnet werden? Auch dagegen spricht die Belegdichte. Das allseits akzeptierte - von Word als falsch unterkringelt! - kommt dagegen nur marginal vor, ist also insofern als markiert zu kennzeichnen! Würde man nur den oben dargestellten Stand der Korpora von W-öffentlich zugrundelegen, müsste man es sogar - da sein eines Vorkommen durchaus „wegerklärt“ werden kann - fehlerhaft nennen. Damit sollten sich alle Debatten darüber, wie unschön das Wort und wie sinnvoll die Bildung ist, erledigt haben. [Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrer: ] Empirischer Fakt ist aber auch: Nicht wenige Sprecher finden in manchen, zum Beispiel akademischen, Textsorten unangemessen. Das sollte man Fremdsprachenlernern doch wohl mitteilen, etwa in der Form „Das Wort, das ihr in der Umgangssprache als gebrauchshäufigstes unbefangen verwenden könnt (und dürft, ja womöglich sollt) und das ein jeder problemlos versteht, solltet ihr zumindest in wissenschaftlichen Texten vermeiden, wenn ihr nicht Sprachpflegern unangenehm auffallen wollt.“ [Sprachwissenschaftler: ] Nun, das mag ja sein, ist aber kein linguistisches, sondern ein soziologisches Kriterium und wie das ästhetische für die Linguistik irrelevant, bestenfalls ausschlaggebend in absoluten Pattsituationen, wenn also auf keinem anderen Weg eine Entscheidung herbeigeführt werden kann. Ja, die statistische Problematik geht noch weiter: Korpora sind immer nur Stichproben. Welche Arten müssen in der Stichprobe enthalten sein, um sie repräsentativ zu machen? Wie groß müssen die Korpora sein? Ja, was ist über- $ % ' ( ) 71 haupt die Grundgesamtheit? Geht es um Wort-tokens oder -typen, und wenn letzteres, in welchem Sinn? Selten sind korpusbasierte Aussagen bisher wirklich statistisch abgesichert, womöglich können sie in vielen Fällen gar nicht statistisch abgesichert werden. Was heißt etwa in einem bestimmten Fall „hinreichend große Zahl“, d.h. wie viele müssen es - absolut oder relativ - sein, damit die Zahlen signifikante Aussagen erlauben? Zusammengefasst: Häufigkeit des Vorkommens - ein korpuslinguistisch naheliegendes Kriterium - kann nicht das (alleinige) Unterscheidungsmerkmal zwischen Fehlern und Varianten sein. Zwar ist es nicht selten so, dass sich die Zahlen mit der Intuition decken und damit ihre Glaubwürdigkeit stützen. Oft aber besteht ein Widerspruch zwischen Zahlen und Intuition, und nicht immer muss letztere durch erstere korrigiert werden; die Zahlen können zum Beispiel auch durch eine falsche Fragestellung oder Methode zustandegekommen sein. Noch in anderen Fällen haben wir zwar Vorkommen eines bestimmten Phänomens in den Korpora, die Zahlen aber sind zu klein für eine definitive Aussage (auch nur über Tendenzen). Und nicht zuletzt gibt es eindeutig falsche Fälle, die deutlich häufiger belegt sind als vergleichbare korrekte Formulierungen. Auch Korpusdaten ist nicht „unbesehen zu trauen“, sachlicher gesagt: Sie können als Grundlage für heuristische Methoden dienen, aber sie sind oft fehlerhaft, und diese „Fehlerhaftigkeit“ kann oft nur mit spezifischen linguistischen Methoden und Verfahrensweisen aufgedeckt werden. Sie können nicht unkritisch als prinzipielle Grundlage der linguistischen Systematisierung etc. herangezogen werden, sondern müssen auf der Grundlage der muttersprachlichen Kompetenz des Forschers „korrigiert“ und insofern muss aus ihnen ausgewählt werden. So wie sie einerseits durchaus der Korrektur vorschneller linguistischer Annahmen und Verallgemeinerungen dienen können, kann und muss aber umgekehrt die Linguistik auf der Grundlage ihrer erprobten Methoden auch damit rechnen, tatsächlich vorgefundene Belege nicht als alternative Ausdrucksvarianten betrachten und damit verwenden zu können, sondern schlicht als Fehler zu entlarven und damit gerade nicht zur Grundlage ihrer Aussagen machen zu können. [Moderator: ] Es scheint sich als Zwischenergebnis unserer Runde zu zeigen: Die Einschätzung durch gebildete Sprecher und Fachleute, ob eine bestimmte sprachliche Form oder Formulierung als „korrekt“ oder als „falsch/ fehlerhaft“ angesehen wird, lässt sich nicht eins zu eins auf Vorkommen oder Frequenz in Korpora abbilden. ! " 72 [Sprachwissenschaftler: ] Ich möchte zusammenfassend postulieren: Keines der Kriterien - korpusbasierte wie kompetenzbasierte - ist für sich genommen ausreichend oder gar zwingend schlüssig. Eine Gebrauchsgrammatik des Deutschen muss vielmehr ein Zusammenspiel aller verfügbaren Kriterien nutzen. Korpora können zwar sicherlich heuristisch der Entscheidungsfindung dienen, auch Vorurteile korrigieren helfen, insbesondere neue Trends der Sprachentwicklung aufzeigen, und die Intuition des Sprachbeschreibers muss sich durchaus an ihnen messen; aber wir können nicht alles unserer Sprachbeschreibung zugrundelegen, nur weil es in Korpora vorkommt. Vielmehr muss einiges ausgefiltert werden. Dabei ist die muttersprachliche Kompetenz stets (ultimative) Kontrollinstanz - sie entscheidet letztlich, was Fehler, was korrekt und damit Variante ist. Allerdings wiederum: Was vorgefunden und nicht einbezogen wurde, muss „weg-“erklärt werden. Das heißt insbesondere: Die Existenz einer vorfindlichen sprachlichen Ausdrucksweise zu leugnen, geht zu weit. Andererseits kann eine Grammatik, die noch irgendwelche Regeln angeben will, auf den Begriff der Abweichung von diesen Regeln - vulgo Fehler - nicht sinnvoll verzichten. Verzichten sollte der Grammatikschreiber allerdings auf vorschnelle normative Festlegungen - hier kann der Blick in die Korpora, der ja auch heuristisch extrem nützlich sein kann, heilsame Korrekturwirkungen haben. Ganz besonders müssen beide Instanzen, Korpus und Kompetenz, zusammenspielen bei einem fundamentalen Problem, das sich bei der Beurteilung von richtig oder falsch immer wieder stellt, dem Sprachwandel! Die Sprache ist in steter Entwicklung, und das heißt, dass uns auch in der synchronen Beschreibung immer wieder Reste früherer Entwicklungsstufen in die Quere kommen und sich auch schon Keime neuer Entwicklungen zeigen. Stets führt das zu dem Problem, ob die Formulierung x „noch richtig oder schon falsch“ (altertümlich oder veraltet? ) bzw. „noch falsch oder schon richtig“ (unangemessener Modernismus oder neue Tendenz? ) ist. Der Fall ist ein solches Beispiel quasi sichtbaren Sprachwandels: Von vielen jüngeren Sprechern bis in meine Altersgruppe wird es völlig unbefangen verwendet. Auch Word akzeptiert es (im Gegensatz zu ! ), aber viele etwa 70jährige verabscheuen es geradezu. Ähnlich scheint es sich - unter dem Einfluss von Lehrern? - mit der Grammatikalisierung von , 3 , , etc. mit V2 zu verhalten, während mit VL eher eine regionale als eine diachrone Variante zu sein scheint. Ausdrucksalternativen bei Konnektoren - Varianten oder Fehler? 73 Lassen Sie mich exemplarisch zum damit eng verwandten Thema „Lexikalisierung oder ad-hoc-Neubildung nach vorgegebenem Schema“ einen Fall einer Bildung nennen, die gerade nicht lexikalisiert, aber deswegen nicht falsch ist, nämlich trotzdessen, das schon im Beitrag von Laie P auftauchte. Die Form scheint ihm also problemlos akzeptabel. [Korpus: ] Tatsächlich findet man in COSMAS II W-gesamt (28.8.2008) 15 Belege dafür (an denen sonst nichts weiter Auffälliges ist) - nicht ganz wenig, vergleicht man es mit gewissen sonst hier genannten Zahlen. Zwei Beispiele damit in verschiedenen Positionen im Satz: (3) Cornelia Drese schätzt diese Offenheit. Abneigung gegen doktrinär gefärbten Kunstgenuss ist hier herauszuhören. Distanz zur Rolle wahrt sie trotzdessen. (St. Galler Tagblatt, 16.10.1998) (4) Es existiert kein Verbundnetz der Kraftwerke mit anderen Emiraten (Inselnetz); trotzdessen ist die Stromversorgungssicherheit im Emirat Abu Dhabi sehr hoch. (Crux; B; BWBot u.a.: Abu Dhabi. In: Wikipedia, http: / / de.wikipedia.org , 2005). [Sprachwissenschaftler: ] Es handelt sich einwandfrei um einen Konnektor. Bezugskonnekt 13 ist in fast allen gefundenen Belegen ein ganzer Satz (bzw. sogar mehrere Sätze, wie in (4)) bzw. eine NP, die deutlich als Satznominalisierung gelten muss. Konventionell korrekt bzw. vielleicht eher zu erwarten wäre hier wie auch in zwei weiteren Belegen dennoch. In anderen eher trotzdem (aber sicher auch dennoch möglich) bzw. trotz + Nominalisierung oder obwohl mit pronominaler Wiederaufnahme des Bezugssatzes (in Form einer identischen Wiederholung des Bezugssatzes, eines Pronomens oder einer Re-/ De-Nominalisierung). Meist gelingt die Reparatur auch, indem man gleich obwohl ins erste Konnekt einbaut; dann ist im zweiten kein Konnektor mehr nötig (nur noch V1). Nun steht trotz z.B. nach HdG (Bd. II, S. 1170) „mit Gen., seltener mit Dat.“, so dass die Bildung trotzdessen geradezu eher zu erwarten wäre als trotzdem; nichtsdestotrotz verzeichnen die konsultierten Wörterbücher zwar trotzdem, nicht aber trotzdessen (das auch von Microsoft Word als falsch markiert wird). Weder HdG, der digitale Grimm, beide Auflagen von Paul, und auch weder 13 Die Terminologie der Konnektorenforschung, die unser Sprachwissenschaftler zugrundelegt, musste in diesem Gespräch vorausgesetzt und konnte nicht eigens eingeführt werden. Zu näheren Informationen ist auf HdK wie auch andere Beiträge in diesem Sammelband zu verweisen. ! " 74 das DUW noch der zehnbändige Duden (Duden 1999) haben einen Hinweis auf ein ; dgl. auch Behaghel (1928, S. 304f.). Laut Paul ( 2 1908, S. 556) ist allerdings der Dativ bei „das Ursprünglichere, doch ist statt dessen der Gen. allmählich das Häufigere geworden. Immer ist der Dat. geblieben in dem als ein Wort geschriebenen trotzdem (trotzalledem).“ So - diachron! - wird erklärbar, dass nur , nicht lexikalisiert zu sein scheint; diese Tatsache kann aber für das synchrone Sprachbewusstsein keine Konsequenzen haben, da entsprechende Kenntnisse bei normalen Deutschsprechern bei weitem nicht vorausgesetzt werden und daher nicht für allgemeine Spracherklärungen herhalten können. Wir haben also die Situation: es gibt Sprachteilhaber, die die Form akzeptieren; es gibt Belege für ihre Verwendung; die Bildung ist sinnvoll; aber Standard-Wortlisten wie die der Word-Rechtschreibung und die Wörterbücher suggerieren: das Wort „gibt es nicht“. [Moderator: ] Wann also liegt eine Variante, wann ein Fehler vor? Anders, als jetzt erscheinen mag, gibt es durchaus auch für die Wissenschaft relevante mögliche generelle (für alle Fälle gültige) oder doch wenigstens spezielle (in Einzelfällen oder Gruppen von Fällen anwendbare) Entscheidungskriterien für die Unterscheidung, ob es sich bei einer bestimmten Ausdruckalternative um einen Fehler oder neutral um eine Variante handelt. Dass es beides gibt, Variante wie Fehler, und dass zwischen beidem ein Unterschied besteht, soll zunächst einmal sichergestellt werden, denn oft ist der Unterschied eher gradueller Natur. Lassen Sie mich dazu einige exemplarische Fälle deutlicher, sicherer Fehler demonstrieren, einige Fälle klar korrekter Varianten auflisten und vor allem einige typische Zweifelsfälle nennen, anhand derer dann - durchaus übliche - Kriterien für die Entscheidung demonstriert werden sollen. Zunächst einige eindeutige Fehler, zum Teil Belege, die einschlägige Fälle selbst bereits als irgendwie abweichend kennzeichnen. Bisher haben wir uns auf Lexik und Wortbildungsmorphologie konzentriert. Hier sollten wir jetzt stärker auf syntaktisch-grammatische Phänomene eingehen! Vor allem wird es um im weiten Sinn (lexiko-, syntakto-, text-)semantische Fehler und Varianten bzw. zumindest solche mit semantischen Konsequenzen gehen. (5) Dem Spielertrainer gelang es, eine monogame Einheit aus älteren und jüngeren Spielern zu formen. ( 4 , 13.6.1998, Rubrik „Aufgespießt“) $ % ' ( ) 75 [Interpret: ] In (5) liegt eine Verwechslung mit einem formähnlichen Wort mit anderer Bedeutung ( # / # ) vor. Wir können (1) hinzunehmen; morphosyntaktisches Kauderwelsch, wie es für so genanntes „Ausländerdeutsch“ typisch und bezeichnend ist. [Sprachwissenschaftler: ] Man sollte aber deutlich vor Augen behalten: Auch wo klar zu sein scheint, dass ein Fehler vorliegt, gibt es oft verschiedene mögliche Analysen, Hypothesen, welche Art Fehler vorliegt. Die Fehlerdiagnose, d.h. die bei den Belegen dieser Liste genannten Kategorien, geben in der Regel nur je eine Möglichkeit wieder; wie Lüdeling (2007, S. 34ff.) erläutert, gibt es meist mehrere „Therapien“, d.h. gleich gute Korrekturvorschläge. [Moderator: ] Fälle wie diese scheinen mir aber jedenfalls für die These zu stehen, dass es in verschiedenen Bereichen der Sprache Fälle von Äußerungen gibt, die wir nach bestem Wissen und aktuellem Kenntnisstand für eindeutig falsch erklären und nicht einfach für Varianten halten würden, auch wenn sie in Korpusbelegen vorkommen. Dazu zählen auch Fälle - um auf die Konnektoren zu kommen -, wo die Satzverknüpfer durch ihre Anwesenheit oder auch durch ihr Fehlen den Satzzusammenhang unverständlich machen oder jedenfalls der Zusammenhang wahrscheinlich nicht so gemeint ist, wie der (fehlende oder anwesende) Konnektor nahelegt, also irreführender Gebrauch oder Nichtgebrauch von Konnektoren, letztlich auch solcher, der bei näherem Hinsehen ideologische Unterstellungen des Sprechers entlarvt, die dieser wahrscheinlich eher unter der Hand den Rezipienten „unterjubeln“ wollte, wie in (6): (6) Der neue bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) präsentiert ein Kabinett, das jünger, weiblicher und dennoch kompetent sein soll. ( 4 , 31.10.2008, S. 1) (7) Sie (die SPD) stellte bisher die stärkste Fraktion, obwohl zuletzt zwischen SPD und CDU/ FDP ein Patt herrschte. (! 3 0 13.10.1994, S. R PO 4) (8) „Glos sagte, für die CSU bleibe es dabei, dass Trittin ‘eine Schande für unser Land’ sei. Trittin habe bei den Landtagswahlen die Mobilisierung des bürgerlichen Lagers bewirkt.“ Aus einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa. ( 4 , 28.3.2001, S. 2) [Interpret: ] (7) basiert auf einem Denkbzw. Rechenfehler; zu fragen wäre, inwiefern damit auch ein Sprachfehler vorliegt. Jedenfalls kann man sich hier nicht auf gewollte Indirektheit, Ironie oder ähnliches „herausreden“. Bei der Asyndese in (8), die man automatisch als ‘nämlich’-Relation liest, hätte die im ! " 76 Gegensatz zu dieser (sehr gut möglichen oder gar zwingenden) Interpretation wohl tatsächlich gemeinte Relation explizit gemacht werden müssen, hier fehlt also ein Konnektor oder funktionsgleiches Element. [Moderator: ] Auf der Gegenseite gibt es natürlich auch klare nicht-fehlerhafte Varianten, von denen einige auf den ersten und womöglich zweiten Blick höchst erstaunlich sind. Auch dafür habe ich ein paar Beispielgruppen mit Bezug zur Semantik vorbereitet, hier gleich ausschließlich aus dem Bereich der Konnektoren. Einen weiteren Typ von Konnektoren-Varianten, der sich rein formal ergibt, also durch verschiedene Betonungsverhältnisse, Wortbildungsformen und ähnliches ( vs. ; / - / ; (e)/ (e) ; # % ( ); / ( ); 5 / 6 ), lasse ich hier weg. 1. Variantentyp: dasselbe Wort mit unterschiedlichen Bedeutungen, aber in derselben syntaktischen Klasse (Polysemie / Homonymie) simultanes vs. adversatives 3 ; simultanes vs. adversatives vs. kausales ; „disjunktives“ vs. reformulatives 2. Variantentyp: dieselbe Wortform in verschiedenen Wortarten (syntaktosemantische Heterosemien) , # etc. als Adjektiv vs. als Adverbkonnektor; - 7 ; ( 3. Variantentyp: mehrteilige Konnektoren mit unterschiedlichem und manchmal auch fehlendem zweitem Teil bzw. sogar zweitem Konnekt (mehr dazu findet man bei Waßner 2008b! ): ( + + ; ( + + ; ( + 8 9 4. Variantentyp: Synonymenreihung: ( ( # ( [Sprachwissenschaftler: ] Ganze Reihen von Synonymen findet man ja auch bei den Hauptwortarten, und zwar sogar ebenfalls welche von der Art „Komposita mit einem konstanten, einem variablen Teil“: : < - : - Tor- ( : . Zu dem Konnektorenbeispiel: Man sollte annehmen, dass auch die völlig analoge Reihung ( ( # ( *wennwohl durchgehend akzeptabel ist - das ist sie aber nicht. Wir sehen hier schon Grenzen eines Argumentes auf der Grundlage von (hier wortbildungsmorphologischen) Analogien. ! wäre zwar prinzipiell und analog bildbar, „gibt“ es aber gar nicht, so sagt uns unsere Intuition. $ % ' ( ) 77 [Korpus: ] Die Belege sprechen eine andere Sprache. In W-gesamt finden wir einen (und durchaus leicht interpretierbaren): (9) Jetzt nahm die Linke, wennwohl gespalten, die Herausforderung an. ( # #, 16.6.1987, S. 7) ”  • –  — ˜  ’ ’’ ! ! Š — ™! š wennwohl. [Sprachwissenschaftler: ] Mit anderen Worten: Prinzipiell mögliche Bildungswege werden offenkundig auch genutzt; ob es sich um ad-hoc-Bildungen handelt oder ob die Resultate lexikalisiert werden, ist dann noch einmal eine andere Frage. Übrigens kann auch für die Frage der Lexikalisierung Häufigkeit oder Seltenheit einer Bildung kein Argument sein. Die -Varianten kommen sehr unterschiedlich häufig vor, sind aber unstreitig alle gleichermaßen lexikalisiert. Noch weniger das Vorkommen überhaupt: In Korpustexten finden sich lexikalisierte Formen und ad-hoc-Bildungen einträchtig nebeneinander, ohne dass man sie durch irgendein besonderes Merkmal auseinanderhalten könnte. [Moderator: ] In noch anderen Fällen haben wir verschiedene Grade der Akzeptabilität. Vom Anfang unseres Gesprächs kennen wir schon die Reihe # ( ( (? ) „ugs.“ - ? ? - # „nur scherzhaft“. [Sprachwissenschaftler: ] Auch beim 3. Variantentyp haben wir andere Fälle, bei denen eher eine Abstufung der Akzeptabilität bei verschiedenen Varianten in der Kombinatorik vorliegt, etwa ( + +>+ø; ( + # +>ø. Die Kombination … (10) scheint - außer vielleicht in gewissen Fällen, wo auch sonst und bedeutungsbewahrend gegeneinander ausgetauscht werden können, etwa in Beispiellisten oder in extensional oder intensional interpretierbaren Fällen - aus semantischen Gründen genauso wenig akzeptabel wie die Null-Fortsetzung zu - in (11) folgt jeweils kein oder ein anderer funktionsgleicher Ausdruck, in (11b) und (11c) noch nicht einmal ein zweites Konnekt: (10) Seine Flucht wurde durch den Umstand, daß die Bundesautobahnen mehr und mehr zu Großbaustellen werden, nicht gerade begünstigt. Dem Fahrer springen entweder Wallache ins Fahrzeug, und auf weiten Streckenabschnitten ist überhaupt kein Fortkommen. ( # #, 10.10.1987, S. 4-7) ! " 78 (11a) Die Schnellbahntrasse Mannheim-Stuttgart werde zwar erst 1991 eingeweiht, ein zusätzliches Gleis bis Waghäusel steht bereits früher zur Verfügung. (@ @ # , 13.1.1986, S. 13) (11b) Infolge von mannigfachen, vom Verfasser nicht zu vertretenden Verzögerungen bei der Drucklegung sind sie zwar z.T. noch nicht allgemein zugänglich. (Hansjakob Seiler, Der UNITYP -Ansatz zur Universalienforschung und Typologie. In: 7 # % # 46, 1993, S. 163: vollständige Anm. 2) (11c) Es steht wohl außer Frage, daß erzählende Literatur - arg reduziert zwar - ebenfalls auf diese Begriffe gebracht werden kann. (Siegfried Lenz, 3 ( 3 , Essay, datiert: 1986, in: Werkausgabe in Einzelbänden, Bd. 20, Essays. 2. 1970-1997. Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag, 1999, S. 165-182). [Sprachwissenschaftler: ] Allerdings wäre darüber nachzudenken, ob in (11c) nicht eine Bedeutungsvariante von und damit eben doch kein Fehler vorliegt. 2 kann hier ja bedeutungserhaltend durch wenn ersetzt werden. Demnach müsste in seine Wörterbuchbeschreibung eine mögliche Verwendung als irrelevanzkonditionaler Konnektor - und zwar ohne Paarpartner - aufgenommen werden. [Moderator: ] Viele Fälle sind hinsichtlich ihrer Falschheit oder Richtigkeit, also ihres Status als Variante oder Fehler, strittig oder könnten oder sollten es sein. Diese vor allem können als Grundlage für die weitere Diskussion dienen. Auch hierfür konkrete Beispiele aus dem Bereich der Konnektoren, die bereits diskutiert wurden - ich deute sie nur an: So z.B. die flektierten Formen in manchen Dialekten (bairisch ), die ja sogar der Grunddefinition der Konnektoren (Unflektierbarkeit z.B. von wenn) widersprechen. Oder die Heterosemien: derselbe Subjunktor mit Verbletztstellung (VL) vs. mit Verberst- (V1) oder der hier viel beklagten Verbzweitstellung (V2, (13)/ (14)); als Adverbkonnektor vs. als Subjunktor, was manche Muttersprachler als entsetzlich empfinden; als „koordinierender“ Einzelgänger vs. als Adverbkonnektor; (sowie . (15) etc.) als Konjunktor vs. als Adverbkonnektor (bekannt und gern kritisiert als „Satzdreh bei und“). [Moderator: ] Lassen sich nun aus Beispielen dieser Art, die quasi als Lackmuspapier dienen, potenzielle allgemeine Argumente für die Entscheidung über Variante oder Fehler ableiten? $ % ' ( ) 79 [Sprachwissenschaftler: ] Ich will ein paar kurz diskutieren, die anhand der bisherigen Beispiele hinreichend illustriert sein sollten. Dabei will ich mich nicht unbedingt bemühen, konstruktiv zu sein, sondern eher die Schwierigkeiten darlegen, die die einzelnen Kriterien mit sich bringen. Zunächst noch einmal im Anschluss an unsere obige Debatte: Kompetenz heißt nicht „unbegründete Einstufung eines Belegs als richtig oder falsch allein aufgrund der muttersprachlichen Intuition“. Und es muss ja auch nicht bei isolierten Einschätzungen einzelner Beispiele bleiben. Nicht umsonst hat die moderne Sprachwissenschaft schon seit ihren strukturalistischen Anfängen eine lange Tradition der Systematisierung. Ich behaupte, dass es so etwas wie eine „innere Logik“ der bzw. einer Sprache gibt und dass man dieser wissenschaftlich auf die Spur kommen kann durch operationale Verfahren der Segmentation und Klassifikation, methodische Anwendung von Substitution (Austausch), Permutation (Umstellung), Deletion (Tilgung), Insertion (Einfügung) und sprachliche Tests wie Koordination, Erfragung, Negation, Pronominalisierung. Auch Analogien können herangezogen werden. Oft gibt es diverse Varianten nach ein und demselben Muster. Über ein reines „Das ist so, weil ich Deutsch kann“ hinaus lassen sich im Rahmen kompetenzbasierter Urteile u.a. Argumente solcher - „theoretischer“ - Art zur Systematisierung und Absicherung nutzen. Dabei konzediere ich gern, dass kompetenzbasierte Kriterien häufig nur abhängig von einer bestimmten Sprachtheorie anwendbar sind. Sodann: Ein Argument dafür, dass eine gewisse Äußerungsform eine Variante darstellt und keinen Fehler, ist, ob sie kommunikativ, semantisch oder grammatisch gegenüber alternativen Formen eine eigene Funktion hat. Das ist im Kontrast zu entscheiden, geht aber über das hinaus, was ein Korpus mir sagen kann (unter anderem dafür brauchen wir Substitutionsproben). Aber selbst wenn es für dieselbe Funktion fast gleichlautende, absolut gleichbedeutende Alternativen gibt, wie zu # und - , und darüber hinaus auf bedeutungsähnliche Ausdrücke verwiesen wird, die sich als Formulierungsalternativen anbieten (hier die konzessiven Konnektoren wie , etc.), kann dies kein Argument gegen einen bestimmten Vertreter dieser Reihe sein, vor allem, da die einzelnen Items stilistische und ähnliche Spezifika haben können, die sie dann doch unverwechselbar und unverzichtbar machen. Analoges gilt für grammatische Erscheinungen wie - vorfeldfüllend mit V2 gegenüber auf Nullposition + VL - oder + VL gegenüber + V2. Für diesen letzteren Fall „sticht“ als Argument pro Variante, contra Fehler sowohl die verbreitete Erklärung, ! " 80 dass die beiden grammatischen Konstruktionen mit propositionalem versus epistemischem Bezug korrelieren wie auch die, dass es sich bei den Bedingungen für Hauptsatzstellung bei und Konsorten um eine Frage von Thema/ Rhema handelt, nämlich beide Konnekte fokal sein müssen. 14 Eine weitere Überlegung ist, wie es mit der Verständlichkeit aussieht. Sicher gilt: Wenn das Gemeinte rekonstruierbar ist, wenn der Sprecher verstanden wird, kann der Fehler nicht so schlimm sein - aber um einen Fehler kann es sich eben doch handeln. Was un-, missverständlich oder unbeabsichtigt mehrdeutig oder realistischerweise eines davon sein kann, kann nicht richtig sein. Wie stets, müssen wir aber bei diesem Kriterium die Betrachtung des Sprachsystems von der der Sprachverwendung und vor allem des „uneigentlichen“ Gebrauchs von Sprache unterscheiden. Schon Beispiel (1) zeigt: Verstehbarkeit einer Äußerung oder stattgefundene Verständigung kann nicht das Killer- Kriterium sein, denn verstanden wurde Trapattoni durchaus. Auch der Telegrammstil oder die Form stichwortartiger Notizen zeigen, dass wir im Deutschen grammatisch obligatorische Elemente wie Flexionsmorpheme, Kopula, Artikel, Pronomen, oft eben auch Konnektoren, weglassen können und uns trotzdem noch verständlich äußern. Das könnte den Fremdsprachler, aber auch den in einem konkreten Fall sprachunsicheren Muttersprachler auf den konsequenten Gedanken bringen, dass man sich doch um all diese grammatischen Regeln und Vorschriften gar nicht kümmern muss. Aber: es gibt dann eben doch viele Fälle, wo es einen semantischen Unterschied hinsichtlich der Verständlichkeit des Gemeinten, erwünschter Eindeutigkeit usw. gibt, je nachdem ob man # oder # oder # , ob 3 - #, 3 # oder 3 # sagt. Für diese Fälle sind die Regeln gemacht und notwendig. Also: Falsch ist nicht gleich unverständlich, es gibt alle Kombinationen: richtig-verständlich (trivialerweise), richtig-unverständlich, falsch-verständlich und falsch-unverständlich (trivialerweise); somit kann Verständlichkeit nicht als Kriterium für Richtigkeit dienen. Methodisch nutzbar kommt noch die Überlegung dazu, ob es relativ einfach oder eher ziemlich schwierig ist, einen passenden Verwendungskontext für eine gegebene Formulierung zu finden. Das muss so vorsichtig formuliert werden, weil es auch für die „klaren Fehler“ häufig Kontexte (und nicht nur metasprachliche) gibt, in denen sie akzeptabel sind. Die Abgrenzung zwischen Fehler und Variante ist nicht zuletzt schwierig aufgrund der kommunikativ an sich höchst nützlichen Tatsache, in welchem Ausmaß wir in der Lage sind, das Gemeinte „gegen“ das Gesagte zu interpretie- 14 Vgl. dazu HdK, S. 403ff. Ausdrucksalternativen bei Konnektoren - Varianten oder Fehler? 81 ren, es auch bei offenkundigen grammatischen oder anderen Fehlern zu rekonstruieren. Schon die bloße Möglichkeit des Korrekturlesens zeigt, dass wir aus fehlerhaften Äußerungen die tatsächliche Intention des Sprechers herausfinden können; dieses Vermögen ist geradezu Voraussetzung, eine Verbesserung der Formulierung im Sinne des Sprechers vorzuschlagen (und manchmal sogar überhaupt, zu bemerken, dass ein Fehler vorliegt: wenn das, was da steht, sprachlich auch richtig wäre, wohl aber nicht im Sinne des Schreibers ist). Ein radikal kommunikations-pragmatischer Ansatz würde demnach kaum noch wirklich Fehler konstatieren. Damit kann die Grammatik nicht zufrieden sein. [Laie M: ] Ich möchte einmal eine sprachkritische Internetseite zitieren, die sich über die Verwendung von nichtsdestotrotz im Morgenjournal des Österreichischen Rundfunks echauffiert: Daß diese studentische Scherzbildung ausgerechnet im Kulturjournal verwendet wurde, läßt Zweifel daran aufkommen, ob sich die Kulturberichterstatter tatsächlich mit Kultur auseinandersetzen. Das richtige Wort ist eine Übertragung des lateinischen nihilominus ins Deutsche und lautet nichtsdestoweniger. Aus Jux wurde dieses mit dem Wort trotzdem zu einem nichtsdestotrotz verbunden (kontaminiert), und aus Spaß wird beim ORF Ernst. 15 Lassen wir die Polemik im ersten Satz einmal beiseite. Meine Frage an den Sprachwissenschaftler: Sie haben oben selbst Etymologie als Argument gebraucht. Warum soll die Wortherkunft hier nicht zählen? Und was ist mit dem Argument, es handele sich um eine „Kontamination“, also doch wohl eine verunreinigende Verschmelzung, ist das nicht in anderen Fällen auch gültig? [Sprachwissenschaftler: ] Die Erklärung von nichtsdestoweniger/ -minder als Lehnübersetzung von nihilominus ist nur sehr beschränkt gültig, denn ein desto ist im Lateinischen nicht zu erkennen. Die beiden deutschen Bildungen, die allgemein akzeptiert werden, sind um nichts besser als nichtsdestotrotz: In allen drei Fällen werden drei unzusammengehörige Bestandteile aneinandergeklebt. Aber: Die Bildung nichtsdestotrotz ist - anders als B unterstellt - durchaus „sinnvoll“. Sinn hat das Wort als Ganzes (! ). Generell: Etymologie ist sicherlich ein sachliches „Argument“. Aber ist sie ein Argument dafür, ob sprachliche Ausdrücke „korrekt“ verwendet wurden? Die Frage ist, wieviel an Hintergrundinformationen über die Sprachstruktur wir vom Sprecher oder Schreiber erwarten können, an speziellem sprachlichen Sachwissen über diachrone Etymologie und Herkunfts-(Fremd-! )spra- 15 http: / / homepage.univie.ac.at/ goetz.fischer/ schauderstube.htm (Stand: 11.11.2008). Ulrich Hermann Waßner 82 chen gewisser Bildungen etc. Kann man ihm etwa einen Vorwurf machen, wenn ihm bestimmte Wortbildungsgründe nicht (mehr) durchsichtig sind? Kann nur jemand mit solchen Kenntnissen Sprache korrekt verwenden? [Laie N: ] Ich möchte noch etwas zu Laie M sagen. Wie hier schon festgestellt wurde, ist nichtsdestotrotz laut Duden umgangssprachlich verwendbar. Meiner Meinung nach sollte man es allerdings nicht im seriösen Zusammenhang verwenden, dort ist nichtsdestoweniger auf jeden Fall angemessener. 16 [Sprachwissenschaftler: ] Das würde bedeuten, dass nichtsdestotrotz nicht „an sich“ falsch ist, sondern dass seine Verwendung in der falschen Varietät (hier so etwas wie Stilebene) anzukreiden wäre. Wir hätten dann aber für das Sprachsystem als solches eine Variante, keinen Fehler. À propos Varietät: das oben genannte wennst ist mit Sicherheit eine rein dialektale Form und gehört damit eigentlich einem anderen Sprachsystem an, nicht der deutschen Standardsprache, ist also - wenn und soweit wir uns ausschließlich auf letztere beziehen - argumentativ irrelevant. Dasselbe gilt bei diachronen Veränderungen innerhalb einer Sprache, wenn wir synchrone Sprachbetrachtung betreiben. [Moderator: ] Wir haben jetzt schon verschiedentlich gesehen: Die empirische Arbeit am Sprachmaterial zeigt nicht selten Diskrepanzen auf zwischen grammatischen und lexikalischen Beschreibungen bzw. normativen Äußerungen in Grammatiken und Lexika einerseits und einer Sprachwirklichkeit andererseits, wie sie sich in vorfindlichen Korpusbelegen wiederfindet. Solche Abweichungen der deskriptiv gemeinten Regeln bzw. der Norm von den Fakten können zwei verschiedene Gründe bzw. Erklärungen haben. Der Schwarze Peter kann beim Sprachteilhaber oder beim Sprachwissenschaftler liegen. Tatsächlich macht der Autor einen Fehler; oder aber der Linguist stuft eine sprachliche Formulierung irrigerweise als abweichend ein. Mit beidem ist zu rechnen; für beides sollen im weiteren Beispiele angegeben werden, denn: Nicht immer sind die Karten so verteilt, wie man annehmen möchte. [Korpus: ] Und hier können ja, wie oben auch der Sprachwissenschaftler schon konzedierte, Korpora durchaus heilsam wirken. 16 Dialog dokumentiert unter http: / / forum.politik.de/ forum/ archive/ index.php/ t-135276.html (Stand: 11.11.2008). $ % ' ( ) 83 [Moderator: ] Lassen wir nun den Sprachwissenschaftler einmal ausführlich seine Sicht der Dinge darstellen. Unsere Frage an ihn ist also: Beschreibt die Linguistik gewisse Fälle falsch oder machen die Sprecher Fehler? Oder gibt es gar in das Sprachsystem eingebaute, also Systemfehler? [Sprachwissenschaftler: ] Ich will zunächst festhalten, dass es Fälle gibt, wo der Fehler eindeutig beim Textproduzenten liegt, dass also die Linguistik völlig korrekt beschreibt, aber der Sprachteilhaber die Sprache grammatisch, textuell oder anderweitig falsch anwendet. Das ist ein grundlegendes Problem für eine rein korpusdeterminierte Sprachbeschreibung: Sie müsste alle vorkommenden Fehler in ihre Beschreibung einbeziehen, was die Regelformulierung sehr erschwert, wenn nicht völlig unmöglich macht. Ein Ausfiltern von fehlerhaften Äußerungen bzw. Belegen kann aber wohl nur die Sprecherkompetenz bzw. die systematische Wissenschaft leisten. Häufig findet man auch in schriftlichen Texten Verwendungsweisen von Konnektoren, die auch der gutwillige Leser auf den ersten Blick nur als fehlerhaft, missverständlich, unsinnig oder gar absolut unverständlich bezeichnen kann, auch wenn sie sich, möglicherweise unter Mühen, hinsichtlich des intendierten Sinnes rekonstruieren lassen. Was wollte uns der Verfasser der folgenden Anzeige für einen „Papier/ Elektronik-Planer“ mit seiner Verwendung von sagen? Ich zitiere den Text unter der Produktabbildung: (12) Das Executive-Planer-System kombiniert auf ideale Weise die Effizienz der Elektronik mit dem Komfort eines Papier-Planers. Umfassend ausgestattet wie z.B. mit 2 Kalender [sic] für 1993/ 94, Notizblätter, Jahresplaner, Visitenkarten- und Kreditkartentaschen etc [sic], ist dieser Zeit-Manager fast unschlagbar. Auf Tastendruck zeigt das Groß-Display des Executive-Planers neben Datum, [sic] und Uhrzeit auch die volle Anschrift mit Telefon- und Fax-Nummer an und erinnert automatisch an wichtige Termine und Notizen. Einfach genial! Trotzdem können Sie Tag für Tag mit Hilfe des Papier-Planer-Systems Ihre Notizen und Termine verwalten. (Anzeige in J 7 # H. 48, 1992, S. 104) [Interpret: ] Welches : -Verhältnis soll hier wohl zu dem Satz oder Absatz vorher bestehen? Ich vermag keines zu erkennen. Wie so oft, ist die Bezugsgröße ganz woanders, ergibt sich das vermittelnde Moment, die „Gemeinsame Einordnungsinstanz“, aus einem ganz anderen Gedanken, den der Autor an anderer Stelle untergebracht hat. Der erste Satz liefert den Schlüssel, ! " 84 indem er gewissermaßen das Thema des ganzen Textes vorgibt: einerseits Vorteile der Elektronik, andererseits (und eigentlich eben nicht „trotzdem“! ) des Papiers. [Moderator: ] Aber muss die Frage „wessen Fehler? “ denn immer mit „des Sprechers“ beantwortet werden? [Sprachwissenschaftler: ] Nein, sicher nicht immer. Häufiger als ihr lieb sein kann liegt der Fehler bei der Linguistik (bzw. einer linguistischen Theorie oder einem sprachlichen Beschreibungsmodell) - sei es, dass sie unangemessene Normen postuliert, sei es, dass ihre Beschreibung (insbesondere der Bedeutung eines einfachen oder komplexen sprachlichen Ausdrucks) inkorrekt ist. Auf den Unterschied zwischen normativen und deskriptiv gemeinten Regeln möchte ich hier ebensowenig eingehen wie auf den zwischen Sprachverwendung und Sprachsystem, obwohl beides natürlich sorgfältiger Unterscheidung bedarf; aber auch nur ein Versuch in diese Richtung würde uns an dieser Stelle zu viel Zeit kosten. Die Fälle, wo die herkömmliche linguistische Beschreibung offenkundig den sprachlichen Tatsachen nicht gerecht wird, möchte ich ebenfalls durch einige Beispiele aus dem Bereich der Konnektoren illustrieren. In der sprachlichen Realität liegt gar kein Fehler (mehr) vor, sondern eine von mehreren nebeneinander existierenden synchronen (oder auch diachronen) Varianten oder auch eine (ggf. neue), sich von der gängigen Beschreibung in Grammatiken und Wörterbüchern unterscheidende Norm. Diese Fälle lassen sich durch eine Verbesserung der Linguistik anhand von Korpusdaten heilen. Ein inzwischen recht bekannter Beispielfall ist folgender: Prof. Dr. Günther Drosdowski, der damalige Leiter der Dudenredaktion, sprach laut einem Artikel in den ! 3 0 vom immerhin noch 17.7.1993 auf die Frage nach der Richtigkeit von 7 - O % von einer „Seuche“ - ein beliebtes Wort in diesen Zusammenhängen -, von „merkwürdigen Vorbildern und Anleihen aus einer grammatisch falschen Umgangssprache“. Demgegenüber kann man heute auf dem neueren und neuesten Stand der Forschung sagen, dass bei diesem berühmten Fall einer „Umstellung“ bei Konnektoren, hier also der Verbzweitstellung bei diversen Subjunktoren, eine Variante, kein Fehler, vorliegt. Man findet das Phänomen auch in schriftlichen Texten, in „Registern“ wie der Pressesprache: (13) Er kriegt keine Antwort, weil: Es hat keiner eine. ( 4 - , 9.11.1995, S. 3) $ % ' ( ) 85 [Korpus: ] Dazu wieder ein paar Zahlen: In W-gesamt finden sich immerhin 459 Belege von kleingeschriebenem (bei vorangestelltem -Satz tritt das Phänomen ja nicht auf! ) mit Doppelpunkt, die - wie Stichproben zeigen - überwiegend VL aufzeigen. Nebenbei: Dagegen führt der Versuch mit Gedankenstrich nach zwar zu 1.416 Belegen, aber darin sind viel mehr „unbrauchbare“, nämlich vor allem auf das folgende Parenthesen, also andere Gründe für diese Zeichenfolge als VL. Immerhin ein „gutes“ Beispiel sei angeführt: (14) Man trinkt leicht ein paar Bier dazu, klatscht für alle, alle Zugabe, weil - vielleicht spielt er ja noch das ganze alte Programm hintendrein. ( # #, 10.12.1988, S. 32) W-gesamt besteht nur aus schriftlichen Texten, aber natürlich ist vieles davon zitierte gesprochene Sprache (Interviews in Zeitungen etc.). Kleingeschriebenes findet sich insgesamt 1 001 499-mal. Zu den vermuteten VL-Fällen gehört mehr als nur die Belege mit Q, aber bei weitem nicht alle mit (; dafür müssen wiederum noch weitere Falltypen hinzuaddiert werden. Wir können also nur grob schätzen, aber die VL-Fälle dürften etwa 1 ‰ der gesamten schriftlichen -Belege ausmachen. Mehr dazu findet sich in Waßner (2008a). [Sprachwissenschaftler: ] Der Fall von + V2 ist inzwischen „in der Linguistik angekommen“, eben seit 1993 hat sich die Anzahl der Veröffentlichungen zu diesem Thema geradezu explosionsartig vermehrt. Was nicht so umfassend ins Bewusstsein der Linguisten gerückt ist und in diesem Zusammenhang in aller Regel bestenfalls in einem Nebensatz erwähnt wird, ist, dass auch andere Konnektoren demselben Effekt unterliegen, etwa und seine Varianten, 3 , O [Korpus: ] Bei den -Synonymen liegt der Anteil der Vorkommen mit folgendem Doppelpunkt - was auf die Variante mit V2 hindeutet - an den Vorkommen in W-gesamt überhaupt im 1bis 5-Promillebereich: bei und # je etwa 2 ‰, bei etwa 3 ‰, bei etwa 4 ‰. Nebenbei: „1 Promille Anteil“ klingt wenig, „über 1000 Belege“ klingt nach viel, und doch beziehen sich beide Aussagen hier auf denselben Sachverhalt. [Sprachwissenschaftler: ] Nur angedeutet werden soll als weiteres Beispiel, dass es „in der realen Sprache“ mit dem seit mindestens dem Anfang des 20. Jahrhunderts notorischen Fall des sog. „Satzdrehs nach “ weitere Satzstellungsvarianten bei Konnektoren gegenüber der kanonischen Norm gibt. Im ! " 86 selben Sinne wäre etwa auch - bisher weitgehend unbemerkt - von einem „Satzdreh nach .“ zu sprechen, d.h. dieser Konnektor wird in gewissen Fällen als Adverbkonnektor verwendet - was in der linguistischen Literatur nicht „vorgesehen“ ist. Ein Beleg ist: (15) Eine Bearbeitung Ihres Antrages ist aufgrund der vorgelegten Unterlagen nicht möglich bzw. ist eine weitere Sachaufklärung erforderlich geworden. (aus einem Formblatt des BAföG-Amtes Münster/ Westf.) Soll dieser „Satzdreh“ (schon die Bezeichnung ist pejorativ! ) als Fehler oder akzeptable Variante angesehen werden? Die Formulierung ist zugegebenermaßen eher der bürokratischen Stilebene zuzuordnen, aber das macht sie ja noch nicht falsch - höchstens „unschön“. Hat sie eine eigene spezifische Funktion? Das muss die einschlägige Forschung klären, hier müsste ich dazu zu weit ausholen … - Im Weiteren will ich mich nun auf zwei Beispielgruppen eher logisch-semantischer Natur konzentrieren. Zunächst soll es um Varianten bei Bedeutungszuordnungen gehen. Bei bestimmten Wörtern finden sich in Texten erstaunlich häufig Abweichungen von der linguistischen oder normativen Vorgabe. [Moderator: ] Haben Sie dafür auch wieder Beispiele aus dem Bereich der Konnektoren, der uns ja vor allem interessiert? [Sprachwissenschaftler: ] Ja. Hier ist z.B. das Verhältnis der gemeinsprachlichen Wörter , + und ( zur exklusiven vs. inklusiven Disjunktion der Aussagenlogik einschlägig. Zwischen diesen Konnektoren und den Junktoren besteht nicht, wie vielfach angenommen wird, eine 1 : 1-Abbildung. Insbesondere ist die übliche Gleichsetzung der Bedeutung von … -Konstruktionen mit der exklusiven Disjunktion der Aussagenlogik in Zweifel zu ziehen, wie spätestens schon 1979 bemerkt wurde, nämlich - mit theoretischen und empirischen Gründen - von Kohrt. Fälle wie dieser nähren dieses Misstrauen: (16) Wenn Sie also dieses Buch lesen, haben Sie entweder ein wenig Interesse an Philosophie, an den Simpsons oder an beidem (Irwin, William u.a. (2007): X < # @ < 7 # , S. 10. In: Irwin, William u.a. (Hg.): Die Simpsons und die Philosophie. Schlauer werden mit der berühmtesten Fernsehfamilie der Welt. Aus d. Amerikan. v. Nikolaus de Palézieux. 4. Aufl. Berlin: Tropen, S. 9-12) $ % ' ( ) 87 Solche Belege - und sie sind nicht so selten, dass man sie ignorieren könnte - wären nach diesem Interpretationsmuster als widersprüchlich anzusehen: das logisch exklusive schließt die Möglichkeit ‘oder beide’ gerade aus. Für die sprachwissenschaftliche Beschreibung der Bedeutung von hat das Konsequenzen: Auch ( ist im Kontext nicht immer exklusiv zu lesen. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen. Man kann die Lage einmal so analysieren, dass - wie hinsichtlich der Arten der logischen Disjunktion unterspezifiziert ist. [Korpus: ] Dafür spräche, dass die sprachliche Funktion des häufig eher in der Skopusmarkierung bei weit entferntem zu liegen scheint (wie im folgenden Beispiel; und auch dieser Text selbst ist ein Beispiel) als dass es obligatorisch exklusives ‘oder’ signalisierte. (17) Dabei gibt es nach Auskunft des Hamburger Rechtsanwalts Winfried Günnemann […] zwei mögliche Szenarien: Entweder: Die Betreibergesellschaft Preussen Elektra erhebt vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg Klage, die die Landesregierung verpflichten soll, die verweigerte Genehmigung doch zu erteilen („Verpflichtungsklage“). Gleichzeitig können die Betreiber vor dem gleichen Gericht versuchen, eine einstweilige Verfügung durchzusetzen, um das AKW schon vor der Entscheidung über die eigentliche Klage wieder in Betrieb nehmen zu können. Dies hält Günnemann für den „schlaueren und direkteren Weg“. Oder: Das Bundesumweltministerium weist die schleswig-holsteinische Landesregierung an, die Genehmigung zu erteilen. ( Y # #, 18.8.1988, S. 3) [Sprachwissenschaftler: ] Die alternative Erklärung wäre, dass der Unterschied zwischen und - gerade umgekehrt eingeebnet wird: Auch einfaches ist demnach stets exklusiv. Das wird, um nur zwei Beispiele zu nennen, etwa von Seuren (1977, S. 368) und darauf aufbauend Abraham (1979, S. 134/ 143) behauptet. Das scheint zunächst im Widerspruch zu - - -Formulierungen wie (16) und erst recht zu vielen mit einfachem zu stehen. Aber dieser scheinbare Widerspruch lässt sich durch ein Erklärungsmodell aufheben, das wie folgt aufgebaut ist: Wir bedenken, dass bei der Interpretation von Konnektoren als logische Junktoren neben „es ist möglich, dass beide Konnekte wahr sind“ und „es ist möglich, dass keines der beiden Konnekte wahr ist“ nicht etwa einfach die Wahrheitswerte der beiden Einzelkonnekte auf ihre Verträglichkeit mit der Formulierung (z.B. q) geprüft werden, sondern wieder Paare: nämlich „die Formulierung ist kom- ! " 88 patibel mit dem Fall (p und nicht-q)“ und desgleichen mit „…(q und nichtp)“. Mit anderen Worten, wir untersuchen vier Paare von Wahrheitswerten: ww oder wf oder fw oder ff. Zwischen all diesen vier Paaren aber besteht tatsächlich ein exklusiv-disjunktives Verhältnis; auf dieser Ebene gibt es überhaupt nur die exklusive Disjunktion. Wenn ww tatsächlich zutrifft, sind alle anderen unzutreffend, und so weiter. Die inklusive, exklusive (oder Sheffer-) Interpretation von [ wie von [ ergibt sich nach der Auswahl aus diesen vier disjunkten Fällen: welche davon sind zulässig bzw. wären im gegebenen Kontext mit der Formulierung ( ) [ verträglich, welche nicht. So erhalten wir als Formalisierung der inklusiven Lesart wie üblich ‘die ersten drei dieser Paare können wahr sein, das vierte ist ausgeschlossen’, für die exklusive ‘nur die beiden mittleren Paare können den Fakten entsprechen, die anderen beiden nicht’. Welche dieser Lesarten aber vorliegt, entscheidet nicht der gewählte Konnektor. \ an sich ist nach dieser Paarinterpretation stets exklusiv, und dennoch können Vorkommen sowohl von wie auch von - in Bezug auf die Einzelkonnekte exklusiv, aber auch inklusiv gemeint sein. Wir können somit ein einfaches, widerspruchsfreies Beschreibungsmodell für die Bedeutung von ( () angeben, das mit den sprachlichen Tatsachen übereinstimmt, auch an das Vorkommen von Belegen wie (16) angepasst ist. Gleichzeitig gibt uns dieses Modell einen Hinweis darauf, warum - (wie auch betontes ) geeignet sind, im Kontext kontrastiv die exklusive Lesart nahezulegen. An kann man übrigens auch noch einmal die Grenzen der etymologischen Argumentation erkennen. Obwohl es offenbar von ‘eines von beiden’ herzuleiten ist, 17 gibt es diverse Belege mit zwei- und mehrstelligem > > >, und auch logisch spricht nichts gegen eine Mehrstelligkeit. Das heißt, obwohl die Begründung „< ahd. ‘eins von beiden’“ wohl richtig ist, ist die daraus gefolgerte Angabe, „bedeute so viel wie ‘eine von zwei Möglichkeiten’“ (so etwa Duden VII, S. 918), als zu eng und damit falsch anzusehen. Zusammenfassend gesagt: In Fällen wie diesen muss sich die Linguistik in gewissen weitverbreiteten ihrer Thesen sachlich von Korpusdaten korrigieren lassen; aber auch hier ist zumindest eine Minderheitsfraktion der theoretischen Sprachwissenschaft, basierend auf Introspektion und daraus resultierenden Kompetenzurteilen und exemplarische Analyse selbstgebildeter Beispiele, selbst auf die „richtige Lösung“ gekommen; ihr dienen die Korpusbelege nur als stützende Argumentation für eine These, die zwar vom linguistischen 17 Vgl. etwa Paul ( 2 1908), S. 139: „entweder aus mhd. Y ] , ursprünglich Pron. = ‘eins von zweien’“. Ähnlich auch noch Paul ( 10 2002), S. 280. $ % ' ( ) 89 Mainstream abweicht, aber eben schon vor der Beobachtung von Korpora vorhanden war. [Moderator: ] So können also gewisse vorschnelle Identifikationen von sprachlichen Sachlagen mit bestimmten Beschreibungsmodellen anhand von Korpusdaten korrigiert werden. Sie haben uns eine zweite Beispielgruppe versprochen … [Sprachwissenschaftler: ] Ja, und wieder geht es um Semantik, jetzt aber nicht um Bedeutungszuordnungen zu Einzelwörtern, sondern um kombinatorische Semantosyntax, und hier - an einem konkreten Beispiel - um die Frage, welchen Stellenwert das so genannte Kompositionalitätsprinzip (auch als „Frege- Prinzip“ bekannt) in tatsächlicher Kommunikation hat. Es besagt bekanntlich, dass die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks sich aus den Bedeutungen der Teile, aus denen er besteht, zusammen mit der Art und Weise ihrer Zusammensetzung bestimmt, geradezu auf diese Weise eindeutig berechnet werden kann. Es gibt nun einen prominenten Fall, in dem Sprachbenutzer mit diesem Prinzip Schwierigkeiten zu haben scheinen, den der Negation. Sprecher des Deutschen haben generell Probleme mit der Verwendung von negierenden Ausdrücken; solchen, die schon eine Negation in ihrer eigenen Bedeutung enthalten, sowie solchen, die eine Negation in ihrer Umgebung fordern. Einschlägig hierfür sind Verben mit einem negativen Bedeutungsmoment, wie % , # , " , % 3 , ^ . Viele Sprecher scheinen unsicher zu sein, ob bei diesen Verben eine explizite Negation im abhängigen Satz stehen muss oder darf. Das führt zu Unmengen von Formulierungen, die nach Maßgabe des Kompositionalitätsprinzips als falsch und semantisch abweichend zu gelten haben, wie etwa: (18) Auf Erden verhindert es die Erdung, dass der Mensch keinen Stromschlag bekommt. ( $ # 2 #, 18.6.2007, S. 2) [Laie I: ] Oh, ich verstehe. % bedeutet ‘bewirken dass nicht’. Daher sind Sie der Meinung, dass eine Formulierung, die im Nebensatz ebenfalls eine Sachverhaltsnegation enthält ( nicht >), zunächst als - sei es logischer oder sei es sprachlicher - Fehler anzusehen ist. [Laie J: ] Und für (18) gibt es wieder zwei „Korrekturmöglichkeiten“: bewirkenO > oder % O > einen. ! " 90 [Sprachpfleger: ] Eben. Zur Annahme, solche Formulierungen seien fehlerhaft, ist allerdings zu sagen, dass sich entsprechende Belege auch bei Goethe finden. [Grammatiker: ] Das Beispiel zeigt: Es gibt Fälle, wo gewisse sehr weit verbreitete sprachliche Formulierungen insofern eindeutig falsch sind, als sie offenkundig - wörtlich, d.h. nach den Kompositionsregeln des Deutschen, genommen! - etwas anderes, ja das Gegenteil dessen besagen, was der Sprecher offenkundig (nach unserer besten Sachkenntnis und nach zwingenden Plausibilitätserwägungen) meint, also sagen und übermitteln wollte. [Pragmalinguist: ] Kommunikativ machen Fälle dieser Art allerdings in aller Regel keinerlei Schwierigkeiten - (18) etwa wird i.d.R. problemlos interpretiert und richtig verstanden, also so, wie es gemeint ist. Wenn es sich dabei also um einen Fehler handeln soll, dann „nur“ auf der logisch-semantischen Ebene, nicht auf der pragmatischen. Spätestens seit Grice und der „Entdeckung“ der Indirekten Sprechakte ist es ja ein vertrautes Phänomen, dass oft und auf verschiedenen Ebenen der Sprache das Gemeinte ungleich dem Gesagten ist. In der Kommunikationspraxis ist eher das Wörtlichnehmen falsch. Warum also soll man trotzdem auf der Fehlerhaftigkeit der Formulierung herumreiten? [Grammatiker: ] Nun, weil hier in gewissen Kontexten und vor allem bei elaborierteren Formulierungen und beim Fehlen von korrigierender (überschreibender) Sachkenntnis auf Seiten des Kommunikationspartners ein systematischer Quell potenzieller Missverständnisse liegt, da die Konstruktion % O (wie ^ O etc.) natürlich auch wörtlichkompositional verwendet werden kann. Dass es nämlich auch „richtig“ geht (und das heißt, dass die Regel nicht einfach lautet „negiere im Matrix- und im subordinierten Satz“), zeigen Beispiele wie das folgende: (19) Dadurch wird verhindert, dass die Studierenden automatische Rechtschreibkorrekturen etc. nutzen können. (Lüdeling 2007, S. 34, Anm. 10) Und die „Ausrede“ der Indirektheit zieht ja auch nicht immer, wie wir in Zusammenhang mit Beleg (10) bereits gesehen haben. Wir haben ja schon ziemlich am Anfang des Gesprächs festgestellt, dass der gesamte Bereich der rhetorischen Stilfiguren immer zwischen falsch und beabsichtigt schwankt, und das gilt ebenso bei Indirekten Sprechakten oder Ironie. Die Figuren und Tropen stellen nach klassischer Lehre stets Abweichungen von der „natürlichen“ Norm dar, diese Abweichungen können aber bewusst und wirkungsorientiert $ % ' ( ) 91 - „kunstvoll“ - eingesetzt sein oder dem Textproduzenten aus Versehen oder Unfähigkeit und Unkenntnis - gewissermaßen künstlich - unterlaufen. Wo der Rezipient ihnen Intendiertheit unterstellt, wird er sie akzeptabel finden; wo nicht, nicht. [Interpret: ] Und dazu gibt es ja auch in beiden Fällen immer wieder verschiedene Möglichkeiten, die „natürliche“ Form (wieder-)herzustellen. (6) kann man auch als einen Fall „einfach nur“ eines falschen Bezugs deuten, wenn man großzügigerweise dem Sprecher nicht Frauenfeindlichkeit unterstellen will; vielleicht hat der Sprecher den mittleren Ausdruck gedanklich übersprungen? „Jünger und dennoch kompetent“ würde mir sachlich eher als überraschender Zusammenhang einleuchten als (heutzutage! ) „weiblicher und dennoch kompetent“: Das darf und wird auch ein CSU-Chef nichtironisch nicht mehr sagen. Oder meint er womöglich doch, was er sagt? [Sprachwissenschaftler: ] An der sprachlichen Oberfläche ist das einfach nicht zu entscheiden. Das ist sicherlich eines unserer Grundprobleme. [Moderator: ] Damit sind wir aber nun wieder bei den Konnektoren. Kommen die auch bei unserem Thema Kompositionalitätsprobleme wieder ins Spiel? [Sprachwissenschaftler: ] Ja, auch speziell bei Konnektoren gibt es Probleme bei ihrem Zusammenspiel mit anderen sprachlichen Faktoren, die ich anhand der Kombination mit Negationsausdrücken exemplifizieren will. So findet man das interne Konnekt von temporalen Konnektoren oft sinnwidrig negiert, etwa bei , ehe und % , wie in folgendem Beleg: (20) Bis es keine überzeugenden Beweise gegen Bin Laden gibt, bleibe er Gast Afghanistans. (J 4 , 15.9.2001, S. 03_POLI) Wieder wörtlich genommen ist das Unsinn, gemeint ist mit Sicherheit das Gegenteil. In solchen Fällen müsste es entweder solange + heißen oder der Negator bei / % / ehe weggelassen werden. Auffällig ist: In manchen Fällen plädiert unser Sprachgefühl mehr für die „objektiv“ falsche als für die richtige Formulierung. Ein Beispiel dafür sind ähnliche „pleonastische Negationen“, nämlich wenn auch im externen Konnekt eine Negation steht. Man hat hier - und das ist eigenartig - entgegen jeder semantischen Einsicht das Gefühl, dass % passender ist als % , wie man im Kontrast dazu auch an korrekten, einen aber eher merkwürdig anmutenden Belegen sieht: (21) Bevor die Finanzierung nicht geregelt ist, komme ein Mietvertrag nicht in Frage. (7 : # , 28.5.1997) ! " 92 [Korpus: ] Belege aus bundesdeutschen (aus Nord wie Süd, Hamburg wie Mannheim) und österreichischen Zeitungen sowie aus der schöngeistigen Literatur (Martin Walser) zeigen dazu, dass es sich nicht um eine regional-dialektale oder registerspezifische Eigenheit handelt. [Sprachwissenschaftler: ] Das könnte bedeuten, dass in die Sprachbeschreibung eine Regel etwa folgender Art aufzunehmen ist: Bei Negation im externen Konnekt (und eben nur da! ) nehmen , % , ehe die Bedeutung von # an. Allerdings wäre eine solche Regel in vielerlei Hinsicht erstaunlich, nicht zuletzt, da sie sehr speziell, wenig motiviert und vor allem „rückwirkend“ ist. Und gegen eine solche Regel spricht auch, dass es auch hier ebenfalls Formulierungen gibt, wo die Negation bei % angebracht ist, d.h. auch kompositional mit verrechnet werden muss. (22) Bevor er nicht mehr mit der Jugend mitgolfen dürfe und zu den Elitespielern überwechseln müsse, „wollte er auch einmal eine Schweizer [Jugend-]Meisterschaft in Rheineck, auf seiner Heimbahn, spielen“, sagt Vater Koch. (7 : # , 24.7.1998) [Korpus: ] Man denke in diesem Zusammenhang auch an die biblischen Beispiele Ehe [ ] 3 O % # Ÿ  –„ - ¡ ™ "¢† ¡ ™ £“† ¡ ’¢ "! † ¡ 14, 72; Lk 22, 61) und umgekehrt: J nicht 3 O ehe/ bis % # (Lk 22, 34; Joh 13, 38; leicht vereinfacht.) [Interpret: ] Das vorherige dreifache Verleugnen ist eine notwendige und hinreichende Bedingung dafür, dass der Hahn kräht - er tut dies nur, wenn es stattgefunden hat (dann aber mit Sicherheit). 0 [O ist aber äquivalent zu O [; also ist das Krähen des Hahns eine hinreichende Bedingung dafür, dass Petrus vorher dreimal verleugnet hat. Ehe p, q entspricht also 0 O + [. Logisch-semantisch falsch wäre X 3 O % # (das wäre der „populäre“ Fehler); aber eben auch (und am leichtesten zu sehen): 3 O % # , was letzteres das Gegenteil des Beabsichtigten besagt. [Sprachwissenschaftler: ] Hier wird auch die Nähe von # / zu deutlich. Soweit der konditionale, nicht temporale, Bedeutungsanteil der Wörter betroffen ist, ist ja sogar wegen der Unterspezifikation hinsichtlich hinreichender oder notwendiger Bedingung die Negation „gleichgültig“, was den logikorientierten Sprachwissenschaftlern doch sehr erstaunen $ % ' ( ) 93 muss. Mit Negation liest man die Äußerung im Sinne der notwendigen, ohne sie als hinreichende Bedingung. [Moderator: ] Nun könnte man alledem wiederum das Gegenargument entgegenhalten: In der Kommunikation funktioniert's aber doch! [Sprachwissenschaftler: ] Nun, die Konsequenz aus alledem scheint mir zu sein: Das Kompositionalitätsprinzip hat in der Grammatik einen anderen Stellenwert als in der praktischen Kommunikation. Für erstere ist es fundamental, für letztere ist es von geringerem Gewicht, wenn überhaupt von einem. Aber: In den Belegen ist das Gemeinte immer relativ klar. Es kann aber Fälle geben, wo die „Falschverwendung“ un-, missverständlich (etwa unbeabsichtigt doppeldeutig) oder gar völlig irreführend ist. Deswegen bleibt es durchaus wichtig, auf der auch formal korrekten Verwendung sprachlicher Ausdrücke zu bestehen, auch wenn „Fehler“ häufig in praxe kein Problem darstellen. [Moderator: ] Können Sie uns noch ein anderes Phänomen dieser Art nennen? [Sprachwissenschaftler: ] Ja, und wieder hat es Bezug auf die Kombination von Negatoren mit bestimmten Konnektoren. Unter diesen gibt es ja so genannte negationsinkorporierende, d.h. solche, die in ihrer eigenen Bedeutung ein negatives Element enthalten, oder genauer gesagt: Sie induzieren Negation eines oder beider Konnekte. Ihre allgemeine Bestimmung lautet: Sie bedingen Kontrafaktizität für ihr internes Argument, ohne dass in diesem ein Negationsausdruck oder ein anderer Kontrafaktizität induzierender Ausdruck vorhanden ist. [Sprachwissenschaftler: ] Zu ihnen gehören etwa die negationshaltigen additiven Konnektoren, neben - noch, # # ( ), ( )/ - vor allem ohne (und analog das Infinitiv-Konnektiv ohne ), auf das ich hier im Weiteren eingehen möchte. Auch für diesen Konnektor finden sich Belege in großer Menge, wo - ganz ähnlich wie bei % , ehe, - im internen Konnekt ein expliziter Negationsausdruck steht - dieser ist überflüssig, redundant, pleonastisch, und logisch-semantisch betrachtet: falsch. Zwei Beispiele von vielen seien genannt: (23) Es gab keine Gruppe, die wegfuhr, ohne dass nicht zumindest ein Vertreter des Post-Teams dabeigewesen wäre. (2< : # - # , 27.4.1998, S. 47) Es vergehe kein Monat, ohne dass nicht ein Medium vor Gericht gezerrt werde. ( # #, 15.8.2002, S. 12) ! " 94 In allen Fällen dieser Art steht auch im externen Konnekt ein Negationsausdruck - (erst) dieser Faktor scheint diese „fehlerhafte“ Formulierung zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Aber auch der umgekehrte Fehler kommt vor - ein fehlendes, an sich notwendiges Negationswort: (24) „Oliver [Kahn] wird im Tor stehen, weil wir es ihm gönnen und ihm viel zu verdanken haben. Er hat eine maßgebliche Rolle im Hintergrund gespielt und hier fantastisch durchgezogen“, erklärte Klinsmann, ohne auch Lehmann über Gebühr zu loben: „Er ist für mich der Torhüter dieser Weltmeisterschaft. Er hat überragend gehalten, vielleicht steht Gianluigi Buffon noch auf einer Stufe.“ ( 4 , 8.7.2006, S. 18) [Interpret: ] Man sieht: Er lobt ihn doch! (Ob über Gebühr sei dahingestellt.) Möglicherweise gemeint ist: ohne zu vergessen, auch Lehmann zu loben (vielleicht mit dem mitgemeinten, unterstellten Zusatz „wenn auch nicht über Gebühr“). Vielleicht ist aber das Gemeinte aus dem Gesagten gar nicht rekonstruierbar. [Sprachwissenschaftler: ] Ich will abschließend noch auf einen weiteren Fall hinweisen, nämlich den offenkundig schwierigen, dass ein solcher negationsinduzierender Konnektor im Skopus einer Negation steht, wie es bei ( noch in folgendem Zitat aus einer - immerhin - sprachwissenschaftlichen Veröffentlichung der Fall ist: (25) [… ], denn keine Sprache läßt sich weder als nur e i n System auffassen noch als ein stabiles System. (Schmid , Wolfgang P. (1970): 7 # : ! Wiesbaden: Steiner, S. 6f.) Ich denke, dass man sich in solchen Fällen nicht auf eine doppelte Verneinung nach Art des Bairischen „herausreden“ kann, etwa nach dem Muster, diese sei zwar semantisch-informationstheoretisch eine Verdopplung ohne erkennbaren Informationsgewinn und nach dem Ökonomieprinzip überflüssig; kommunikativ habe sie aber eine eigene Funktion (Verstärkung/ Hervorhebung, Verdeutlichung) und rufe spezielle Konnotationen hervor, sei also absolut berechtigt. Wieder können wir in (mindestens) zwei Richtungen korrigieren, um das sicherlich Gemeinte (das geht auch aus dem Folgekontext hervor) sprachlich und logisch befriedigend zu formulieren: entweder wir betten das affirmativ Gegenstück des Konnektors unter die Negation ein (keine > entweder > $ % ' ( ) 95 oder (# …)) oder wir behalten den Konnektor bei, dann muss der einbettende Quantor affirmativ sein, also positiv statt negativ universal: für alle Spra- # O weder noch . Auch für gibt es solche Fälle; hier muss die Korrektur > oder > oder etwas umständlicher und > lauten: (26) Um die Prüfung zu bestehen, würde er sich diese Kräfte erschließen […] müssen, ohne sie weder zu vergeuden noch zu schwächen. (Langfield, Martin (2007): J3 . Thriller. Aus d. Engl. v. Fred Kinzel. München: Blanvalet, S. 215) Mir scheint, dass bei Fällen dieser Art Logiker Ansprüche an die Umgangssprache stellen, die diese weder erfüllen kann noch zu leisten braucht. Sie sehen, die Frage nach dem Besitzer des Schwarzen Peters berührt sich mit der nach dem korpus- oder kompetenzbasierten Kriterium, über die wir zuvor gesprochen haben. Festzuhalten bleibt: Es ist mit dem Fall zu rechnen, dass die Sprachwissenschaft mit ihren systematischen Methoden in den Korpusbelegen - und damit bei den Sprachbenutzern - tatsächliche Fehler aufdeckt, selbst wo das nicht weiter verfeinerte Sprachgefühl gar keinen bemerkt. Dieser Fall ist nun gerade für Lerner des Deutschen als Fremdsprache wichtig. Dies sei an einem letzten Beispiel verdeutlicht, dem Unterschied zwischen und # . Daraus, dass in Wörterbüchern und anderen Werken über die deutsche Sprache oft einfach beide als adversativ gekennzeichnet und weitere Bedeutungsunterschiede nicht benannt werden, ziehen DaF-Lerner häufig die Konsequenz, sich dann einfach das - bei weitem häufiger vorkommende - zu merken und # bestenfalls im passiven Wortschatz zu bewahren. Da tatsächlich in vielen Fällen ohne Bedeutungsverlust oder -veränderung für # stehen kann, findet diese Strategie sogar häufig Bestätigung. Dass es aber Fälle gibt, wo eben nur # , dagegen nicht passt, wie etwa Breindl (2004, S. 190) in Beispiel (18a) vs. (18b) demonstriert, zeigen erst gewisse operationale Verfahren der theoretischen Linguistik wie die Substitutions- (Austausch-) oder die Permutations- (Verschiebe-)probe. Ein Korpusbeleg alleine reicht hier nicht. [Moderator: ] Ich danke Ihnen allen für das aufschlussreiche Gespräch. ! " 96 Literatur Die Zitate aus dem Internet sind z.T. auf die für unser Thema einschlägige Stellen gekürzt, z.T. auch um offenkundige Schreibfehler korrigiert. Dass inhaltlich dabei nichts verfälscht wurde, lässt sich anhand der Quellenangaben prüfen. Belege, für die keine eigene Quelle angegeben wurde, stammen aus den Korpora des IDS ( https: / / cosmas2.ids-mannheim.de/ cosmas2-web/ ). Abraham, Werner (1979): Trakls „Trompeten“ - Spiel mit Syndesen und Asyndesen. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik 11, 1, S. 133-144. Behaghel, Otto (1928): Deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. Bd. III. Die Satzgebilde. (= Germanische Bibliothek 1. Sammlung germanischer Elementar- und Handbücher 1. Reihe: Grammatiken 10). Heidelberg: Winter. Breindl, Eva (2004): Polysemie und Invarianz bei Konnektoren: allerdings und andere Kontrastmarker. 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(M2') x vergibt keine Kasusmerkmale an seine syntaktische Umgebung. (M3') Die Bedeutung von x ist eine zweistellige Relation. (M4') Die Argumente der Bedeutung von x sind propositionale Strukturen. (M5') Die Ausdrücke für die Argumente der Bedeutung von x müssen Satzstrukturen sein können. Konnektoren sind demnach eine funktional bestimmte Klasse von Ausdrücken und bilden keine Wortart im traditionellen Sinne. 3 Typische Exemplare sind Konjunktionen wie und und oder, Subjunktionen wie weil, nachdem, während etc. sowie eine Reihe von adverbialen Ausdrücken (Pronominaladverbien, Relativadverbien). Im Folgenden soll es dagegen um Ausdrücke gehen, die aus mehreren lexikalischen Bestandteilen bestehen und als Ganze gleichfalls konnektierende Funktion haben, die jedoch nach Maßgabe der genannten Kriterien unter (1) keine Konnektoren sind und die bislang in der Lexikologie und Lexikographie des Deutschen ein eher stiefmütterliches Dasein fristen. Gemeint sind Ausdrücke, die mindestens aus einer Folge von Präposition und Nomen bzw. Nominalphrase sowie nicht selten weiteren Elementen gebildet werden. Die beteiligten Nomina sind dabei zumeist deverbale Ableitungen und entsprechend 1 Dies ist die schriftliche Fassung eines Vortrags unter dem Thema „Komplexe Konnektoren“, gehalten auf der 3. DSWI-Tagung im Februar 2008 in Rom. Ein herzlicher Dank an dieser Stelle an Gisella Ferraresi, die die Arbeitsgruppe „Konnektoren“ geleitet hat und ziemlich viel Geduld mit ihren Referenten haben musste. Ein Dank geht auch an eine/ n anonyme/ n Gutachter/ in für wertvolle Hinweise und Verbesserungsvorschläge. 2 Siehe HDK, S. 331. 3 Siehe HDK, S. 38. Daniel Schnorbusch 100 relational, sind also Valenzträger, deren freie Stellen im Normalfall syntaktisch durch Komplemente und semantisch durch Argumente zu sättigen wären. Ein paar Beispiele: 4 (2) (B1) Der Kapitän segelt nach Sansibar im Hinblick darauf, dass die Mannschaft eine Erholung braucht. (B2) Der Kapitän segelt nach Sansibar im Hinblick auf das Erholungsbedürfnis der Mannschaft. (B3) Der Kapitän segelt nach Sansibar zu dem Zweck, dass Proviant beschafft werde. (B4) Der Kapitän segelt nach Sansibar zum Zweck der Proviantbeschaffung. (B5) Der Kapitän segelt nach Sansibar unter der Voraussetzung, dass es schönes Wetter gibt. (B6) Der Kapitän segelt nach Sansibar unter der Voraussetzung von schönem Wetter. Die Autoren des HDK vertreten die Ansicht, dass es sich bei den hervorgehobenen Ausdrücken in (B1), (B3) und (B5) um Subjunktionen und damit um Konnektoren handelt, die „direkt oder indirekt aus Präpositionen abgeleitet“ sind. 5 Die Ableitungsbasis bilden dabei solche präpositionalen Mehr-Wort- Lexeme, die in der Literatur bisher keine einheitliche Bezeichnung gefunden haben sondern unter anderem als phraseologische Präpositionen (HDK 2003), komplexe Adpositionen (Lehmann 1998) oder komplexe Präpositionen firmieren, in Anlehnung an entsprechende Termini für vergleichbare Ausdrücke im Französischen (prépositions composées, Gross 1981) und im Englischen (complex prepositions, Hoffmann 2005). Diejenigen komplexen Präpositionen, von denen die entsprechenden Konnektoren in (B1), (B3) und (B5) abgeleitet sein sollen, sind in den Beispielen (B2), (B4) und (B6) wiedergegeben. Ziel dieses Aufsatzes ist es nun zunächst, einen modifizierten Konnektorbegriff vorzuschlagen, der auch die erwähnten komplexen Ausdrücke mit konnektierender Funktion, die hier komplexe Konnektoren genannt werden, 6 umfasst. Dazu sollen insbesondere auch die genannten komplexen Präpositionen gezählt werden, die nach der HDK-Definition außen vor bleiben. Im An- 4 Die Beispiele stammen vom Verfasser. 5 Siehe HDK (S. 340). 6 Das HDK spricht auch von phraseologischen Konnektoren. Komplexe Konnektoren - eine Annäherung 101 schluss daran wird der Phänomenbereich in groben Zügen beschrieben, es werden einige ausgewählte Probleme in Bezug auf Grammatikalisierung, Valenzstruktur, Semantik und lexikographische Erfassung angerissen, es wird also kaum mehr getan als erste Hinweise darauf zu geben, mit welchen Fragen sich zukünftige Forschung über komplexe Konnektoren befassen müsste. 2. Kategorisierung nach dem HDK Das HDK unterscheidet zwei Hauptgruppen von „frei bildbaren“, depräpositionalen Konnektoren. Erstens solche, die als Pronominaladverbien deklariert werden und aus einer relationalen und aus einer deiktischen Komponente bestehen sollen, die so genannten depräpositionalen pronominaladverbialen Konnektoren. 7 Beispiele sind: (B7) angesichts dessen; anhand dessen; in Anbetracht dessen; in Bezug darauf; in Übereinstimmung damit; mit Rücksicht darauf etc. Zweitens solche, die auf dass enden und die als subordinierende Konnektoren klassifiziert werden, da sie dank der Konjunktion dass Verbletztsätze regieren. Diese auf dass endenden Konnektoren werden im HDK nochmals untergliedert. Die erste Gruppe bilden die aus Pronominaladverbien ableitbaren Konnektoren auf dass: 8 7 Als Ableitungsregel R1 formuliert das HDK (S. 338): „Ein pronominaladverbialer Konnektor ist frei durch Präpositionalrektion aus einer Präposition P abzuleiten, die eine Sachverhaltsbezeichnung regiert, wenn P 1. phraseologisch ist oder 2. die Sachverhaltsbezeichnung im Genitiv steht bzw. suppletiv (besonders wenn die von P regierte Phrase den Genitiv nicht erkennen lässt) die Form einer durch von regierten Phrase hat. Wenn die Präposition P, aus der der pronominaladverbiale Konnektor abgeleitet werden soll, den Genitiv regiert, ist die deiktische Konstituente des pronominaladverbialen Konnektors das Pronomen dessen, ansonsten wird diese gebildet aus der deiktischen Komponente dabzw. dar-, und der auf diese folgenden Präposition P’, die für die Rektion von P verantwortlich ist. Dawird verwendet, wenn die nachfolgende Präposition P’ konsonantisch anlautet, darwenn sie vokalisch anlautet.“ 8 Siehe HDK (S. 342ff.). Als Ableitungsregel R2 formuliert das HDK (S. 344): „Aus einem nach Regel R1 aus einer Präposition abgeleiteten pronominaladverbialen Konnektor kann ein Subjunktor abgeleitet werden, indem das Pronominaladverb um dass erweitert wird, das einen Verbletztsatz anschließt, der als Attribut zur deiktischen Komponente des Pronominaladverbs fungiert.“ Daniel Schnorbusch 102 (B8) mit Rücksicht darauf (...), dass; in Bezug darauf (...), dass; in Anbetracht dessen (...), dass; in Übereinstimmung damit (...), dass; vorbehaltlich dessen (...), dass etc. Diese Subjunktoren sollen also Ableitungen von Ableitungen von komplexen Präpositionen sein. (3) Ableitungsweg I: + ¥ ‚ ¦  ‚  ˆ ¦   ˆ (B9) in Bezug auf ¦ in Bezug darauf ¦ in Bezug darauf, dass ... Eine zweite Gruppe bilden die aus nicht-pronominaladverbialen phraseologischen Präpositionalphrasen ableitbaren Konnektoren auf dass: 9 (B10) für den Fall (...), dass; im Falle (...), dass; unter der Bedingung (...), dass; unter der Voraussetzung (...), dass etc. (4) Ableitungsweg II: + ¥ ‚ ¦   ˆ (B11) im Falle ¦ im Falle, dass ... Im Überblick stellen sich die mutmaßlichen Ableitungsverhältnisse somit wie folgt dar: (5) phraseologische Präpositionen (im Hinblick auf; infolge; unter der Bedingung; unter der Voraussetzung; ...) nach R1 pronominaladverbialer Konnektor (im Hinblick darauf; infolge dessen; ...) nach R2 nach R3 pronominaladverbialer Konnektor auf dass (im Hinblick darauf, dass; infolge dessen, dass; …) nicht-pronominaladverbialer Konnektor auf dass (unter der Bedingung, dass; unter der Voraussetzung dass; ...) Abb. 1 9 Siehe HDK (S. 344ff.). Als Ableitungsregel R3 formuliert das HDK (S. 345): „Aus einer phraseologischen Präposition in der Form einer phraseologischen Präpositionalphrase kann ein Subjunktor auf dass abgeleitet werden, wenn der von dass regierte Verbletztsatz denselben Sachverhalt bezeichnet wie der nominale Kopf der Nominalphrase, die als Kokonstituente der Präposition der phraseologischen Präpositionalphrase fungiert.“ Komplexe Konnektoren - eine Annäherung 103 Nach Auffassung des HDK müssen allein die phraseologischen Präpositionen in einem Wörterbuch der Präpositionen aufgeführt werden, die nach R1, R2 und R3 abgeleiteten Konnektoren aufgrund ihrer Ableitbarkeit jedoch nicht. Die Regeln R1, R2 und R3 haben mithin den Status von lexikalischen Regeln, die das Lexikon frei von Redundanzen halten sollen. Allerdings setzte dies voraus, dass sich tatsächlich sämtliche wesentlichen Eigenschaften dieser Konnektoren aus den entsprechenden Präpositionen ableiten lassen. Wir werden sehen, dass dies nicht so ist und dass die Idiosynkrasien dieser Konnek-   § ¨  §© –  müssen. 3. Phraseologische Präpositionen als komplexe Konnektoren Zu den zentralen syntaktischen Eigenschaften von Präpositionen gehören (i) die Kasusrektion und (ii) ihre Stellung vor Nominal- oder Protermphrasen, mit denen zusammen sie Präpositionalphrasen (PP) bilden. Kopf der PP ist die Präposition. Dass die fraglichen Präpositionen „phraseologisch“ heißen, meint nicht mehr, als dass sie aus mehreren lexikalischen Komponenten bestehen („Polylexikalität“), deren gemeinsames Vorkommen syntaktisch nicht völlig frei ist. 10 Zusammen bilden diese Elemente mehr oder weniger fest gefügte syntagmatische Einheiten, denen als Ganzen die Rektionseigenschaften von Präpositionen zukommen. Damit verstoßen sie klar gegen das Konnektor-Merkmal M2', das bestimmt, dass Konnektoren keine Kasusmerkmale vergeben, und gegen das Konnektor-Merkmal M5', wonach die Konnekte finite Satzstrukturen sein müssten. Phraseologische Präpositionen sind nach dem HDK-Ansatz also keine Konnektoren. Dagegen lassen sich jedoch folgende Einwände erheben: 1. Präpositionen und Konnektoren sind Kategorien auf unterschiedlichen Ebenen (Wortartkategorie bzw. funktionale Kategorie). 2. Die Forderung verbaler Finitheit als notwendige Eigenschaft von Konnekten erscheint unmotiviert. 3. Komplexe Präpositionen unterscheiden sich von einfachen Präpositionen ohnehin deutlich in der Art ihrer Kasusrektion. 10 Zum Phraseologiebegriff siehe etwa Burger (2007, S. 11ff.). Daniel Schnorbusch 104 3.1 Zum ersten Einwand Das Merkmal M2', wonach Konnektoren keinen Kasus regieren dürfen, scheint allein aus dem Grund in die Merkmalsmenge aufgenommen worden zu sein, um den sehr heterogenen und umfangreichen Untersuchungsbereich irgendwie einzugrenzen. 11 Dieses eher forschungspraktische Motiv ist zwar ohne weiteres nachvollziehbar - insbesondere für jene, die sich einmal mit großen Datenmengen haben herumschlagen müssen -, zugleich aber dürfte es letztlich auch den Intentionen der HDK-Autoren widersprechen, eine funktionale Klasse über morphosyntaktische Merkmale zu definieren. Somit spricht von einem theoretischen Standpunkt aus auch nichts dagegen, Präpositionen als Konnektoren aufzufassen, wenn sie Syntagmen mit propositionalem Gehalt zueinander in Beziehung setzten (Konnektoren-Merkmal M4'). Eben das aber ist, wie unten deutlich wird, bei komplexen Präpositionen der Fall. 3.2 Zum zweiten Einwand Präpositionen sind im Sinne des HDK auch deshalb keine Konnektoren, weil sie keine so genannten „Satzstrukturen“ miteinander verbinden können (Merkmal M5'). Damit sind Syntagmen gemeint, die aus einer Instantiierung einer funktionalen Kategorie Finitheit sowie einem Verb samt seiner Komplemente bestehen. Als zentrales Kriterium für Finitheit gilt die Tempusmarkierung. 12 Auf der syntaktischen Oberfläche von Satzstrukturen müsste somit mindestens ein tempusmarkiertes Verb erscheinen samt all jener Komplemente, die sich aus den Anforderungen der spezifischen syntaktischen Valenz des Verbs ergeben. Präpositionen verlangen jedoch allein nominale Konstituenten als Komplemente. Diese tragen kein Tempusmerkmal, sind definitionsgemäß damit nicht finit, stellen entsprechend auch keine Realisierungen von Satzstrukturen dar und gelten damit auch nicht als Ausdrucksformen von „Satzstrukturbedeutungen“ oder „propositionalen Strukturen“ (Konnektor-Merkmal M4'). 13 11 Dass die Autoren des HDK tatsächlich weniger ein theoretisches als vielmehr ein praktisches Motiv hatten, hat mir Eva Breindl auf der DSWI-Tagung in Rom 2008 mündlich bestätigt. 12 „Dabei sehen wir die Kategorie Tempus als die zentrale Kategorie für den Begriff der Satzstruktur an.“ (HDK, S. 82). 13 Siehe HDK (S. 111): „Die Argumente der Bedeutung von Konnektoren sind Propositionen, und zwar Propositionen einer besonderen Art, die wir »Satzstrukturbedeutungen« nennen [...].“ Komplexe Konnektoren - eine Annäherung 105 Zugrunde liegt hier ein sehr enger Begriff dessen, was als Ausdruck einer Proposition fungieren kann. Trotz durchaus unterschiedlicher Verwendungsweisen des Propositionsbegriffs innerhalb der modelltheoretischen Semantik wird allgemein davon ausgegangen, dass Propositionen entweder wahr oder falsch sind. Ihr jeweiliger Wahrheitswert ergibt sich in Abhängigkeit der möglichen Welt, auf die sie bezogen werden. Das Finitheitskriterium für die Satzstruktur soll offenbar die zeitliche Auswertbarkeit der Bedeutung der Satzstruktur sicherstellen. Tatsächlich aber kann eine zeitliche Situierung einer Satzbedeutung auf vielfältige und keineswegs allein flexionsmorphologische Weise geschehen. So nehmen phraseologische Präpositionen vornehmlich Nomina abstracta als Komplemente, darunter nicht selten deverbale Nominalisierungen, die relational sind und die den semantischen Valenzrahmen ihrer Ableitungsbasis erben. Die Ereigniszeit einer solchen Prädikation kann ebensogut kontextuell gegeben sein oder in Form einer expliziten Zeitangabe wie im folgenden Beispiel: (B12) Der Kapitän änderte den Kurs mit Rücksicht auf die Wettervorhersage vom 08.02.2008, 09: 00 Uhr. bzw. alternativ dazu und mit besserer Wortstellung: (B13) Der Kapitän änderte mit Rücksicht auf die jüngste Wettervorhersage des Wetterdienstes vom 08.02.2008, 09: 00 Uhr, den Kurs. Eine im Wesentlichen bedeutungsgleiche Realisierung mit finiter Verbform lautete etwa wie folgt: (B14) Der Kapitän änderte den Kurs mit Rücksicht darauf, dass am 08.02.2008, 9: 00 Uhr, vom Wetterdienst schlechtes Wetter vorhergesagt worden war. Die semantische Valenz des zweiten Konnekts, ob nun als Nomen abstractum oder als Satz mit finiter Verbform realisiert, ist in den relevanten Hinsichten identisch und ebenso deren Repräsentation. Zur Verdeutlichung seien die Argumente durch ihre verbspezifischen semantischen Rollen gekennzeichnet: (6) x y z[ VORHERSAGE (x)(y)(z)] (x-Vorhersagender) (y-Vorhersageadressat) (z-Vorhersage) Daniel Schnorbusch 106 Im gegebenen Fall wird die Rolle der Vorhersage (z) durch das Spezifikat des Rektionskompositums Wettervorhersage, also durch das inkorporierte Wetter belegt. Die Rolle des Vorhersagenden (x) trägt implizit ein Wetterdienst oder dergleichen und die Rolle des Vorhersageadressaten (y) der Kapitän. Darüber hinaus ist es so, dass die Komplemente komplexer Präpositionen sogar dann einen propositionalen Gehalt haben können, wenn diese Komplemente - isoliert betrachtet - ein Individuum bezeichnen: (B15) Der Kapitän änderte mit Rücksicht auf John Silver den Kurs. Die Bedeutung des Eigennamens John Silver ist hier offensichtlich nicht allein eine bestimmte Person der (literarischen) Welt, sondern der Eigenname transportiert im gegebenen Kontext einen propositionalen Inhalt. Jemand, der John Silver nicht kennt und der nichts über ihn weiß, muss den Satz trotz allem so interpretieren, dass der Kapitän den Kurs änderte mit Rücksicht auf irgendeinen Sachverhalt, in dem jemand namens John Silver irgendeine Rolle spielt. Die komplexe Präposition ist semantisch mithin ein Prädikat, das den semantischen Default-Typ seines Komplements John Silver „überschreibt“ und diesem den semantischen Typ einer Proposition zuweist. Ein Einwand könnte hier sein, dass, wenn nicht nur Satzstrukturen Ausdruck von Propositionen sein können und wenn die zeitliche Auswertbarkeit auch auf anderem Wege gewährleistet werden kann, dann ja angesichts von Beispielen wie (B16) nicht nur komplexe, sondern auch einfache Präpositionen als Konnektoren gelten würden: (B16) Vor der Ernennung zum Admiral um 15: 00 Uhr musste der Kapitän noch seine Uniform bügeln. Bleiben wir bei dem Gedanken, dass Konnektoren eine funktionale Kategorie sind, deren Elemente Propositionen zueinander in Beziehung setzen, dann wäre das in der Tat die Konsequenz. Allerdings träfe das dann nur auf jene Teilmenge der einfachen Präpositionen zu, die Sachverhalte zueinander in Beziehung setzen können (vor, nach, während, seit, zwecks, gemäß, trotz, wegen, dank, infolge etc.). Und schließlich: Die Finitheitsbedingung des HDK grenzt nicht nur Präpositionalphrasen als Ausdrucksformen propositionaler Strukturen aus, sondern auch Infinitivgruppen: Komplexe Konnektoren - eine Annäherung 107 (B17) Der Kapitän ändert den Kurs unter der Voraussetzung, Sansibar so schneller erreichen zu können. Auch diese Konsequenz erscheint aus analogen Gründen unerwünscht. 3.3 Zum dritten Einwand Die Kasusbedingungen, die von phraseologischen Präpositionen ausgehen, folgen unter der Annahme üblicher Merkmalsvererbungsprozesse und gängiger syntaktischer Prinzipien (etwa der X-Bar-Syntax oder der HPSG) 14 anderen Mechanismen, als jene von einfachen Präpositionen. Dies liegt daran, dass sich phraseologische Präpositionen nicht wie Idiome als unanalysierte, opake lexikalische Einheiten auffassen lassen, denen als Ganzen bestimmte Rektionseigenschaften zukommen, denn dazu dürften sie beispielsweise nicht - etwa durch Modifikatoren - variierbar sein. Eben dies aber sind sie: (B18) mit ... besonderer / bewusster / ständiger / ... Rücksicht auf Als Alternative böte sich an, die interne syntaktische Struktur von phraseologischen Präpositionen gemäß der üblichen Regeln für Präpositionalphrasen zu analysieren. In der HPSG würde dies zu folgender Struktur führen: 15 14 Siehe Pollard / Sag (1994) und Sag / Wasow / Bender (2003). 15 In der HPSG werden grammatische Eigenschaften von lexikalischen Einheiten, Phrasen und Sätzen als Merkmal-Wert-Paare modelliert. Ich beschränke mich bei der Repräsentation hier allein auf die für unsere momentane Frage wesentlichen Merkmale. Dies sind: 1. das Kopfmerkmal HEAD mit einer Merkmalsstruktur als Wert, deren Typ in der Wortartangabe besteht, also etwa prep, noun etc.; 2. das Kasusmerkmal CASE als Untermerkmal des HEAD -Merkmals mit der Angabe des Kasus der jeweiligen Konstituente; 3. das Valenzmerkmal COMPS mit der Liste derjenigen Komplemente als Wert, die am jeweiligen Knoten noch anzubinden sind. Sind alle Valenzstellen eines Valenzträgers gemäß der HEAD-COMPLEMENT-RULE gesättigt, ist der Wert des COMPS -Merkmal die leere Liste, repräsentiert als „< >“; 4. das PHON -Merkmal, das die phonetische/ grafische Form des jeweiligen Ausdrucks als Wert hat. Gemäß des HEAD-FEATURE-PRINCIPLES stimmen in der syntaktischen Struktur die Kopfmerkmale der Kopftochter mit jenen der Mutter überein. Entsprechend „erben“ NP und PP ihre Kopfmerkmale respektive vom Nomen (N) und von der Präposition (P). Daniel Schnorbusch 108 (7) Der Vorteil dieser Analyse besteht darin, dass die Kasusbedingungen gut erfasst sind. Gegen diese Analyse spricht jedoch, dass sie sich nicht von der Analyse einer gewöhnlichen, freien Präpositionalphrase unterscheidet, zu sehen anhand der Beispielphrase mit schmachtendem Blick auf die neue Miss Universum. Dass es sich bei der Wortfolge mit Rücksicht auf um eine phraseologische Einheit handelt, geht in dieser Analyse unter. Eine alternative Strukturierung, die geeignet wäre, den Unterschied zwischen einer phraseologischen Präposition und einer simplen Präposition deutlich zu ‚ ! ! " ! ! " ! ! " # ˜ © die komplexe Präposition als Einheit retten, andererseits soll der Kasus der zweiten NP nicht von der ersten Präposition, sondern indirekt von dem ersten Nomen bedingt sein, indem sich dessen Subkategorisierung auf die zweite PP erstreckt. Dies soll eine Raising-Struktur bewerkstelligen, in der das erste Nomen zunächst mit der ersten Präposition eine Konstituente bildet, an die dann das Komplement des ersten Nomens angebunden wird: Abb. 2 Komplexe Konnektoren - eine Annäherung 109 (8) Ÿ  ª ˜ © ¥ „  das Kopfprinzip der HPSG umgeht oder doch so ergänzt, dass auch Merkmale der „Fußtochter“ (hier das Nomen Rücksicht) zum Mutterknoten weiterge-  ©  «`~•-˜ Mapping Lexical Principle“ für Präpositionen, 16 das es zulässt, dass in der PP- Projektion die Komplementierungsbedingungen des Nomens Rücksicht erscheinen, die dann bei der Verbindung mit der zweiten Präpositionalphrase auf die jüngste Wettervorhersage gesättigt werden. Technisch mag dieses Verfahren zwar unproblematisch sein, dem Sinne nach aber ist es ein Verstoß gegen ein weithin akzeptiertes Syntaxprinzip - wobei dies in meinen Augen allerdings eher gegen die umfassende Geltung des Kopfprinzips spricht und *© 17 Ich komme später noch einmal auf diese Thematik zurück. 16 ˜ ! ! " ! ! " # 17 Kiss (2007) untersucht die Produktivität und Idiomatizität von Präposition-Substantiv-Se- - „  ~ -*©   ¨ Vorbehalt ein sentenziales Komplement aufweise, dass aber die Sequenz unter Vorbehalt nicht sentenzial komplettiert werden könne (*unter Vorbehalt, dass niemand kommt) und dass es daher auch nicht sein könne, dass die Präposition die Argumente des regierten No- Abb. 3 Daniel Schnorbusch 110 Alles in allem scheint es somit gute Gründe genug zu geben, den Begriff des Konnektors auch auf die komplexen Präpositionen auszudehnen und die Menge der Merkmale, die nach dem HDK Konnektoren grundsätzlich kennzeichnen sollen, entsprechend zu modifizieren. Zentrale Merkmale bleiben die Merkmale M3' und M4' unter einem verallgemeinerten Propositionsbegriff. Komplexe Konnektoren sind somit Ausdrücke für zweistellige Prädikate höherer Stufe, deren Argumente Propositionen sind. 4. Eigenschaften komplexer Konnektoren Ein genereller Nachteil in der Diskussion über komplexe Präpositionen respektive Konnektoren ist, dass wir bislang keinen wirklichen Überblick über die Datenlage haben, sondern - nicht ganz untypisch für die Linguistik - mit den immer gleichen Beispielen hantieren. Es ist tatsächlich nicht bekannt, welche Folgen aus Präposition und Nominalphrasen überhaupt als komplexe Konnektoren in Frage kommen und infolgedessen auch nicht genau, welche syntaktischen und semantischen Eigenschaften diese im Einzelnen haben. Eine Typologie, die sich aus solchen Eigenschaften ergeben sollte, existiert erst Recht nicht. Immerhin ergibt sich auch aus den wenigen bisher gegebenen Beispielen, dass sich eine umfassendere und eingehendere Untersuchung mit folgenden Problembereichen auseinanderzusetzen hätte: 1) Grammatikalisierung und Lexikalisierung: Es müssen allgemeine und vor allem operationalisierbare Kriterien benannt werden, nach denen entschieden werden kann, ob und in welchem Maße ein polylexikaler Ausdruck tatsächlich phraseologisch ist. Die traditionelle Dichotomie von festen versus freien Verbindungen ist mit Sicherheit zu grob und kaum geeignet, die vielfältigen Übergangsphänomene zwischen solchen Syntagmen zu erfassen, die aus frei vorkommenden lexikalischen Einheiten nach allgemein geltenden syntaktischen und semantischen Regeln zusammengefügt werden, und solchen, die - wie echte Idiome - morphosyntaktisch invariabel und semantisch opak sind. mens erbe (Kiss 2007, S. 342). Mir scheint, dass hier unzulässig syntaktische und semantische Valenzeigenschaften in einem Topf landen. So ist die semantische Valenz von unter Vorbehalt und der artikelhaltigen Version unter dem Vorbehalt m.E. identisch, zu sehen auch an folgendem Beispiel: Das Gartenfest fällt unter Vorbehalt aus, nämlich unter dem Vorbehalt, dass niemand kommt. Dass sich die syntaktische Valenz eines relationalen Nomens im isolierten Vorkommen von jener, die das Nomen in Begleitung einer bestimmten Präposition kennzeichnet, unterscheiden kann, ist natürlich unbestritten, zumal da das ebenfalls nur dafür spräche, die entsprechenden Informationen an geeigneter Stelle in den lexikalischen Einträgen unterzubringen. Komplexe Konnektoren - eine Annäherung 111 Die morphosyntaktischen Eigenschaften der sich gemäß dieser Kriterien als komplexe Konnektoren erweisenden Ausdrücke sind je einzeln zu beschreiben. Zu diesen syntaktischen Eigenschaften zählen mindestens: a) der Spielraum der morphosyntaktischen Variierbarkeit jedes Ausdrucks; b) die Art der lexikalischen Einheiten, die den komplexen Ausdruck bilden; c) die möglichen Komplemente des komplexen Ausdrucks; d) die Valenzeigenschaften der lexikalischen Bestandteile des Ausdrucks und ihr Zusammenspiel mit den Bestandteilen der Konnekte; e) die Stellungseigenschaften des Konnektors relativ zu seinen Konnekten. 3) Semantik: Konnektoren setzen Syntagmen mit propositionalem Gehalt in bestimmte semantische Beziehungen zueinander. Die genaue Bestimmung der Konnektorenbedeutung wird nur durch bislang ausstehende Spezialuntersuchungen zu den einzelnen Konnektoren gelingen. Dennoch wäre es hilfreich, wenigstens eine semantische Vorsortierung vorzunehmen und dabei etwa auf Relationen zurückzugreifen, wie sie in der Adverbialsemantik etabliert sind. 4.1 Grammatikalisierung Offen ist zunächst, welche der fraglichen Ausdrücke in welchem Maße lexikalisiert oder sogar grammatikalisiert sind, wo sie also auf einer gedachten Skala anzusiedeln wären, die von freien Syntagmen, über festere Verbindungen und regelrechte Mehrwortlexeme bis hin zu Funktionswörtern reicht. Di Meola (2000) hat dazu folgende Prinzipien formuliert, die hier weiterhelfen können: (9) Prinzip der morpho-phonologischen Differenzierung 18 Je mehr sich der morpho-phonologische Bau einer Form von dem ursprünglichen Bau entfernt, desto höher ist der Grammatikalisierungsgrad der betreffenden Form. (10) Prinzip der semantischen Differenzierung Je mehr sich die Bedeutung einer Form von der ursprünglichen Bedeutung entfernt, desto höher ist der Grammatikalisierungsgrad der betreffenden Form. 18 Siehe Di Meola (2000, S. 141ff.). Daniel Schnorbusch 112 (11) ! " ## Je mehr sich die relevante syntaktische Umgebung einer Form von der ursprünglichen Umgebung entfernt, desto höher ist der Grammatikalisierungsgrad der betreffenden Form. Diese drei Prinzipien fasst er im „Prinzip der maximalen Differenzierung“ zusammen: (12) Prinzip der maximalen Differenzierung Im Zuge der Grammatikalisierung findet eine progressive Abkehr von der ursprünglichen morpho-syntaktischen Struktur, von der ursprünglichen Bedeutung sowie von der ursprünglichen syntaktischen Umgebung der betreffenden Form statt. Um die Differenz zwischen freier Form und grammatikalisierter Form auf den jeweiligen Beschreibungsebenen konkret festzustellen, benötigen wir robuste Testverfahren. Dabei dürfte ähnlich wie bei den operationalen Verfahren zur Ermittlung von Konstituenten gelten, dass das Bestehen eines einzelnen Tests keine notwendige oder gar hinreichende Bedingung für eine Grammatikalisierung ist. Zu erwarten ist vielmehr, dass die Ergebnisse der Tests lediglich Tendenzen angeben, die umso eindeutiger sind, je mehr Tests in dieselbe Richtung weisen. Folgende Tests dürften dabei mindestens zur Anwendung kommen: 19 1) Morphologietest: Weist mindestens ein Bestandteil eines komplexen Syntagmas eine nicht (mehr) zeitgemäße Form auf, die sie außerhalb von nicht hat, spricht dies für eine Grammatikalisierung von . (B19) im Falle / zum Zwecke 2) Flexionstest: Lassen sich flektierbare Bestandteile eines komplexen Syntagmas nicht in allen theoretisch möglichen Formen flektieren, so spricht dies für eine Grammatikalisierung von . (B20) *Der Kapitän segelte aus Interessen an neuen Abenteuern und satter Beute nach Sansibar. 19 Ich bin mir sicher, dass die folgenden Tests so oder auch etwas anders bereits von Kollegen an anderer Stelle formuliert wurden. Wie und wo genau ist mir leider im Moment nicht gegenwärtig. Hinweise dazu an daniel@cis.uni-muenchen.de sind jederzeit willkommen. Die hier angeführten Tests ergeben sich zumindest implizit auch aus den Ausführungen in Di Meola (2000). Komplexe Konnektoren - eine Annäherung 113 3) Artikeltest: Fehlt der Artikel vor Nomina, die Bestandteil eines komplexen Syntagmas sind, oder kommt er allein in einer mit einer Präposition verschmolzenen Form vor, so spricht dies für die Grammatikalisierung von . (B21) *Der Kapitän segelt mit der Rücksicht auf die Wetterlage nur noch in Küstennähe. 4) Modifizierbarkeitstest: Lässt sich ein Nomen als Bestandteil eines komplexen Syntagmas nur sehr beschränkt oder gar nicht modifizieren, so spricht dies für die Grammatikalisierung von . (B22) Der Kapitän segelte aus dem berechtigten Grund, dass es Sturm geben sollte, nur mit halber Besegelung. (B23) *Der Kapitän segelte auf berechtigten Grund von Sturmwarnungen nur mit halber Besegelung. 5) Pronominalisierbarkeitstest: Lässt sich auf einen nominalen Bestandteil eines komplexen Syntagmas nicht mit pronominalen Anaphern Bezug nehmen, so spricht dies für die Grammatikalisierung von . (B24) Der Kapitän segelte in der Hoffnung i auf gutes Wetter nach Elba. Diese i erfüllte sich jedoch nicht. (B25) ? Der Kapitän segelte mit Rücksicht i auf das schlechte Wetter nach Elba. Diese i war jedoch unnötig. Der Grad der Grammatikalisierung eines komplexen Konnektors ließe sich dann entsprechend aus der Gesamtheit der jeweiligen Testergebnisse bestimmen. Nicht alle Kriterien mögen dabei dasselbe Gewicht haben. In welchem Maße die einzelnen Kriterien schließlich zu gewichten sind und welche Gründe dabei die jeweilige Gewichtung rechtfertigen - zu denken wäre beispielsweise an statistische Verfahren -, dies zu ermitteln bleibt Aufgabe zukünftiger Forschung. $% 4.2.1 Variierbarkeit Morphosyntaktisch variieren komplexe Konnektoren in unterschiedlichem Maße, und zwar in Bezug auf (i) die morphophonologische Form ihrer Bestandteile, (ii) ihre lexikalische Zusammensetzung sowie (iii) ihre Erweiterbarkeit durch Attribute: Daniel Schnorbusch 114 (13) (i) nach dem Grundsatz von / nach den Grundsätzen von (ii) in der Vermutung / mit der Vermutung / unter der Vermutung (iii) mit Blick auf / * mit schmachtendem Blick auf / in der Hoffnung auf / in der berechtigten Hoffnung auf Die morphosyntaktischen Variationsmöglichkeiten der Konnektoren spiegeln dabei den Grad ihrer Grammatikalisierung wieder und es handelt sich offenbar ferner um idiosynkratische Eigenschaften, die lexikographisch erfasst werden müssen. 4.2.2 Kanonische Form Um lexikalische Einheiten gleich welcher Art miteinander vergleichen und sie klassifizieren zu können, ist es notwendig, sich auf Regeln dafür zu einigen, welche von mehreren möglichen Erscheinungsformen als kanonische Form gelten soll und welche als Varianten davon. Die hier betrachteten komplexen Konnektoren werden allesamt aus einer Präposition und einem relationalen Nomen gebildet. Sie unterscheiden sich jedoch darin, dass die beteiligten Nomen teils einen Determinator (B26) verlangen, teils nicht (B27) oder auch mit einer verschmolzenen Form von Präposition und Determinator vorkommen (B28): (B26) in der Hoffnung, mit der Absicht, unter der Voraussetzung ... (B27) mit Rücksicht, im Hinblick, nach Maßgabe ... (B28) zum Zwecke, im Falle, im Unterschied ... Weitere Unterschiede ergeben sich durch die Art der Komplemente, die die zweite der beiden freien Stellen des Konnektors als Ergänzung füllen. Eine Vielzahl der Konnektoren lassen sich beispielsweise durch Präpositionalphrasen sättigen, deren Präposition vom relationalen Nomen bestimmt wird. So wird der Konnektor in der Hoffnung dann auch nicht selten als in der Hoffnung auf angegeben, also unter Erwähnung der charakteristischen zweiten Präposition. In Oliveira u.a. (2003) ist bezogen auf analoge Konstruktionen im Portugiesischen (em face de, em favor de ...) entsprechend von Prep 1 -N 1 - Prep 2 - oder von Prep 1 -N 1 -Prep 2 -N 2 -Strukturen die Rede. Diese Bezeichnungsweise liegt zwar auch aus Sicht der maschinellen Sprachverarbeitung nahe, da dort verarbeitungsbedingt möglichst flache, lineare Strukturen favorisiert werden. Da es sich aber bei der zweiten Präposition um den Kopf des Kom- Komplexe Konnektoren - eine Annäherung 115 plements handelt, wird sie hier nicht als Bestandteil des Konnektors aufgefasst und damit auch nicht als Bestandteil der kanonischen Form. 4.2.3 Valenz Für jeden Konnektor ist einzeln festzustellen, welche Komplementierungen er zulässt bzw. verlangt. Verallgemeinerungen über die Komplementierungsmöglichkeiten lassen sich gegebenenfalls im Anschluss formulieren, wie etwa jene, dass ein Konnektor, der sich durch eine spezielle Präpositionalphrase sättigen lässt (in der Hoffnung auf einen Wetterwechsel), dann auch eine Komplementierung durch einen dass-Satz mit Korrelat im Hauptsatz zulässt, wobei das Korrelat aus der besagten Präposition unter Hinzufügung einer deiktischen Komponente abgeleitet wird (darauf). Grundsätzlich begegnen folgende mögliche Komplementierungen: Der Kapitän änderte den Kurs ... Konnektor 2. Komplement (Beispiele) & ' ' Sigle im Hinblick … auf einen Wetterwechsel spezielle Präpositionalphrasen auf-n im Hinblick … darauf, dass das Wetter wechselt dass-Satz mit präpositionalem Korrelat darauf-d im Hinblick … darauf, sonst dem Sturm ausgesetzt zu sein < – präpositionalem Korrelat darauf-i im Hinblick … darauf, wie sich das Wetter entwickeln wird w-Satz mit präpositionalem Korrelat darauf-w im Zweifel … darüber, ob das Wetter umschlagen wird ob-Satz mit präpositionalem Korrelat darüber-o in Erwartung … dessen, dass das Wetter wechselt dass-Satz mit pronominalem Korrelat dessen-d in Erwartung … dessen, wie das Wetter wechselt w-Satz mit pronominalem Korrelat dessen-w unter der Voraussetzung … dass das Wetter wechselt dass-Satz ohne Korrelat d mit der Frage … ob das Wetter wechselt ob-Satz o mit der Frage … wie das Wetter wechselt w-Satz w in der Sorge … jemand falle über Bord uneingeleiteter Verb-Zweit- Satz u in der Absicht … den Maat loszuwerden < – -• i unter der Voraussetzung … eines Wetterwechsels Genitiv-NP g unter der Voraussetzung … von Strömungsveränderungen von-PP als Alternative zur Genitiv-NP pp-von mit der Devise … „Alle für einen! “ direkte Rede dr Tab. 1 Daniel Schnorbusch 116 Tab. 2 Komplexe Konnektoren - eine Annäherung 117 Die unterschiedlichen Komplementierungsmöglichkeiten einzelner Konnektoren seien exemplarisch in nebenstehender Tabelle 2 aufgeführt. Die Tabelle umfasst nur eine kleine Auswahl aus der schätzungsweise zwischen 500 und 800 Exemplaren umfassenden Gesamtmenge komplexer Konnektoren aus komplexen Präpositionen, bestätigt jedoch schon bei nur oberflächlicher Betrachtung, dass dieser Phänomenbereich vielfältiger und idiosynkratischer ist, als gemeinhin angenommen wird. 20 4.3 Semantik Blühdorn (2004, S. 125ff.) fordert von einer Theorie der Bedeutung der Konnektoren, dass sie sich mit folgenden fünf Problembereichen befasst, nämlich knapp gesagt mit 1. der Bestimmung semantischer Konnektorenklassen 2. der Polysemiebzw. Homonymieproblematik der Konnektoren 3. der Synonymieproblematik von Konnektoren 4. der semantischen Strukturierung von Konnektorinventaren 5. der syntaktisch-semantischen Kompositionalität von morphologisch komplexen Konnektoren sowie von komplexen Sätzen, die durch Konnektoren zusammengefügt sind. Anschließend stellt er ernüchtert fest, dass der gegenwärtige Forschungsstand für keinen dieser Fragenkomplexe vollständig befriedigende Antworten bereithält. Bedenkt man, dass er an dieser Stelle vor allem „einfache“ Konnektoren im Sinne hat, ist klar, dass sich die Situation für komplexe Konnektoren noch deutlich düsterer ausnimmt. Umfassende Arbeiten zur Semantik komplexer Präpositionen bzw. komplexer Konnektoren des Deutschen existieren nicht und Arbeiten zur Bedeutung einzelner Exemplare ebensowenig. In einer solchen Situation empfiehlt es sich den Gegenstandsbereich zunächst nur sehr grob, aber möglichst vollständig vorzusortieren, ehe man sich mit den seman- 20 Die Abkürzungen bedeuten im Einzelnen: POS - part of speech, also Wortart; PN - Präposition + Nomen; PdN - Präposition mit verschmolzenem Determinator + Nomen; PDN - Präposition + Determinator + Nomen. Das Korrelat für die Präposition gegenüber wird mit der deiktischen Komponente demgebildet. Es heißt demgegenüber. Ferner kommt für die überwiegende Anzahl jener komplexen Konnektoren, die eine Genitiv-NP als Komplement zulassen, auch eine Komplementierung mit dem Korrelat dessen + dass- Satz in Frage. Die Zeichensequenz „.*“ deutet an, dass an dieser Stelle noch Modifikatoren eingefügt werden können Daniel Schnorbusch 118 tischen Details befasst. Die relativ wenigen klassischen Kategorien bzw. Relationen, die wir aus der Adverbialsemantik kennen, wie etwa final, kausal, konditional, etc. mögen für eine semantische Vorsortierung des Gegenstandsbereichs vorerst genügen. Für Konnektoren, deren Interpretation sich erst aus dem konkreten Satz ergibt, ist es sinnvoll, zunächst eine unspezifische Defaultrelation vorzusehen, die hier „koinzident“ heißen soll. Ein paar Beispiele in einer vorläufigen Kategorisierung: Konnektor semantische Klasse in dem .* Bewusstsein koinzident in der .* Erinnerung koinzident in dem .* Gefühl koinzident mit dem .* Zweifel koinzident in dem .* Wohlwollen koinzident im .* Widerspruch adversativ im .* Gegensatz adversativ „ ' † adversativ in dem .* Bestreben – in dem .* Willen – in der .* Absicht – mit dem .* Ziel – in der .* Erwägung kausal in der .* Hoffnung kausal mit der .* Begründung kausal in der .* Einsicht kausal mit Rücksicht kausal unter der .* Bedingung konditional unter der .* Annahme konditional unter der .* Prämisse konditional unter der .* Voraussetzung konditional mit der .* Folge konsekutiv mit dem .* Resultat konsekutiv mit der .* Wirkung konsekutiv mit der .* Konsequenz konsekutiv in Verkennung konzessiv in dem .* Irrtum konzessiv in dem .* Irrglauben konzessiv in der .* Fehlmeinung konzessiv Tab. 3 Komplexe Konnektoren - eine Annäherung 119 Was die semantische Valenz der Konnektoren angeht, wird diese, wie erwähnt, durch die Merkmale M3' und M4' des HDK erfasst. Die Bedeutung eines Konnektors ist danach eine zweistellige Relation, deren Relata „propositionale Strukturen“ sind. Mit diesen Feststellungen sind die Valenzeigenschaften von komplexen Konnektoren jedoch nur sehr unvollständig umrissen, denn tatsächlich herrschen zwischen den Konnektoren und ihren Konnekten sowie zwischen den jeweils vorkommenden Bestandteilen sowohl der Konnektoren als auch der Konnekte mitunter äußerst vielfältige Valenzbeziehungen. Ein Beispiel: (B29) Der Kapitän ändert den Kurs unter der Voraussetzung, dass der Wind von Nord auf Süd dreht. Der Satz (B29) enthält mindestens die unter (17) aufgeführten Valenzträger. Ich will dabei annehmen, dass valenztragende lexikalische Einheiten zumindest ihre semantischen Valenzeigenschaften bewahren, und zwar auch dann, wenn sie als Bestandteil festgefügterer Syntagmen vorkommen: (17) Valenzrelationen in (B29) ÄNDERN [x (der Kapitän), (den Kurs)] DREHEN [u (der Wind), v( VON [u(der Wind), m(Nord)]), w( AUF [m(Nord),w(Süd)])] VON [u(der Wind), m(Nord)] AUF [u(der Wind), w(Süd)] VORAUSSETZEN [r(? ? ), s( DREHEN )] UNTER [q( ÄNDERN ) , p( VORAUSSETZEN )] Daniel Schnorbusch 120 Grafisch ließe sich das näherungsweise wie folgt verdeutlichen: 21 Abb. 4 Das Beispiel zeigt nicht nur ein verwickeltes Gewebe von Valenzbeziehungen, sondern auch, dass aus dem Satz nicht ganz klar hervorgeht, welches Argument die Rolle des Voraussetzenden einnimmt (gestrichelte Pfeile). Dies könnte einerseits der Kapitän selbst sein oder aber auch der (implizite) Sprecher des Satzes. 22 Diese Ungewissheit kommt bei einer ganzen Reihe von komplexen Konnektoren vor, etwa bei in Bezug auf, mit Rücksicht auf, in Anbetracht von usw. Die Frage stellt sich in all diesen Fällen, wer auf was Bezug nimmt, wer auf wen oder was Rücksicht nimmt, wer was „betrachtet“ etc. Es muss hier noch offen bleiben, unter welchen Umständen welche Analyse am plausibelsten ist und ob in solchen Fällen überhaupt eine Entscheidung gefällt werden kann, denn möglicherweise haben wir es hier nicht so sehr mit Ambi- 21 Erläuterung: Von den Valenzträgern (unterstrichen) gehen stärkere Kanten ab, die sich verzweigen und mit Pfeilen auf ihre jeweiligen Komplemente zeigen. Zu sehen ist u.a., dass Konstituenten quasi in Personalunion auch Valenzstellen mehrerer Valenzträger füllen können (u), dass es Valenzträger gibt, die zugleich Komplement sind (p), und dass gesättigte Valenzträger vorkommen, die samt ihrer Komplemente eine Valenzstelle eines anderen Valenzträgers füllen (q, s). 22 Als dritte Möglichkeit käme eventuell auch noch in Frage, dass unter der Voraussetzung gar keine voraussetzende Instanz impliziert, sondern so gut wie synonym zum konditionalen wenn ist. Komplexe Konnektoren - eine Annäherung 121 guitäten im klassischen Sinne zu tun, sondern sind mit etwas konfrontiert, das man „systematische Unschärfe“ nennen könnte. Beide Interpretationen und möglicherweise auch noch andere würden danach - gewissermaßen mit dem Einverständnis des Sprechers - zugleich Geltung haben. Interpretationsschwierigkeiten haben wir ferner dort, wo die beteiligten relationalen Nomen Geisteszustände bezeichnen, die im Satz erwähnten Personen oder Personengruppen zugeschrieben werden können (Hoffnung, Erinnerung, Bewusstsein, Vermutung ...): (B30) Der Kapitän ändert den Kurs in der Vermutung, dass der Wind von Nord nach Süd dreht. (B30) ist wohl vornehmlich so zu verstehen, dass die mutmaßliche Drehung des Windes Ursache für die Kursänderung ist und wir es daher mit dem Ausdruck einer kausalen Beziehung zwischen beiden Sachverhalten, einer bestimmten Vermutung einerseits und einer bestimmten Handlung andererseits, zu tun haben. Dies wäre ja auch jene Deutung, die die Bestimmung von in der Vermutung als Konnektor rechtfertigte. Vergleichen wir damit jedoch die Beispiele (B31) bis (B33) : (B31) Der Kapitän - in der Vermutung, dass der Wind von Nord nach Süd dreht - ändert den Kurs. (B32) Der Kapitän - in der Hoffnung, dass der Wind von Nord nach Süd dreht - ändert den Kurs. (B33) Der Kapitän - in dem Glauben, dass der Wind von Nord nach Süd dreht - ändert den Kurs. Die veränderte Wortstellung samt der durch die Gedankenstriche angedeuteten Satzprosodie lässt die alternative Deutung zu, wonach das gesamte parenthetische Syntagma lediglich Attribut zu Kapitän ist und dass nicht etwa eine kausale Lesart, sondern eine „koinzidente“ Lesart nahegelegt wird, sich die Vermutung, die Hoffnung, der Glaube des Kapitäns und seine Kursänderung also einander lediglich temporal überlappen. Zudem sind hier auch noch andere Permutationen zulässig, bei denen eine bloß koinzidente Lesart kaum möglich erscheint: (B34) In der Vermutung, dass der Wind von Nord nach Süd dreht, ändert der Kapitän den Kurs. (B35) Der Kapitän ändert in der Vermutung, dass der Wind von Nord nach Süd dreht, den Kurs. Daniel Schnorbusch 122 Damit wird ein weiterer Problembereich deutlich, dem sich zukünftige Forschung zuzuwenden hätte - der der Wortstellungseigenschaften. Komplexe Konnektoren müssen nicht „mittig“ und damit ikonisch zwischen ihren Konnekten platziert werden, sondern lassen je unterschiedliche topologische Varianten zu, die, wie die oben genannten Beispiele zeigen, mit der Konnektorbedeutung interferieren. 5. Komplexe Konnektoren im Lexikon Es wurde bereits mehrfach deutlich, dass eine Vielzahl der betrachteten Ausdrücke über idiosynkratische Eigenschaften verfügt, die sich im lexikalischen Eintrag dieser Einheiten wiederzufinden hätten. Da eine ganze Reihe darunter jedoch morphosyntaktisch variierbar ist, kommt eine lexikographische Erfassung als unveränderliches Mehrwortlexem nach dem Muster von echten Idiomen oder Simplizia nicht in Frage. Vielmehr kommt es darauf an, einen Weg zu finden, wie ihrem Charakter als festere Fügung einerseits und ihrer Variabilität andererseits Rechnung getragen werden kann. Die lexikographische Erfassung solcher Ausdrücke stellt mithin ein besonderes Problem dar, und dies umso mehr, wenn der Lexikon-Eintrag den Anforderungen maschineller Sprachverarbeitung genügen soll. Immerhin hat sich in diesem Bereich in den letzten Jahren einiges getan. Zu erwähnen sind hier in der Nachfolge von Erbach/ Krenn (1994) vor allem aber die jüngeren Arbeiten von Sailer (2003), Soehn/ Sailer (2003), Buch (2005) und Soehn (2006), die allesamt Vorschläge für die lexikographische Erfassung von Idiomen und anderen komplexen Ausdrücken im Rahmen der HPSG unterbreitet haben. Soehn/ Sailer (2003) befassen sich beispielsweise mit „unikalen nominalen Komplementen von Präpositionen“ wie um Haaresbreite, zum Steinerweichen, ohne Unterlass etc., also solchen Ausdrücken, in denen das jeweilige Nomen ausschließlich in Begleitung einer bestimmten Präposition vorkommt. Sie formulieren dazu im HPSG-Rahmen ein „Prinzip der externen Selektion“, das es ermöglicht, dass auch Nichtköpfe (hier die unikalen Nomina) ihre Köpfe (hier bestimmte Präpositionen) selegieren. Die Anwendung dieses Prinzips wird über ein „ XSEL “ genanntes Attribut innerhalb des HEAD -Merkmals des betreffenden Selegierers gesteuert, das als Wert eben jene Merkmalsstruktur hat, die selegiert wird. 23 Überträgt man diese Idee auf die komplexen Konnektoren, dann bedeutete dies beispielsweise für unter der Voraussetzung, dass der Nicht-Kopf Voraussetzung den Kopf unter selegierte: 23 Zu den Details der Analyse siehe Soehn (2006, S. 78ff.) Komplexe Konnektoren - eine Annäherung 123 Abb. 5 Die Merkmalsstruktur in Abbildung 5 bringt zum Ausdruck, dass die Präposition unter via XSEL -Merkmal vom Nomen Voraussetzung selegiert wird. Das XSEL -Merkmal gehört hier wie das CASE -Merkmal zu den HEAD -Merkmalen. Wenn man so will, haben wir es hier mit einer kleinen lokalen Revolution zu tun, denn die Fußkonstituente sucht sich ihren Kopf selbst aus. Die sonstigen Subkategorisierungsbedingungen des Nomens bleiben davon unberührt. Zugleich bleiben die Rektionsbedingungen, die die Präposition als Kopf der PP an die regierte NP stellt, unangetastet. Die Präposition unter verlangt als Komplement eine NP im Dativ. Diese Forderung wird von der Voraussetzung tatsächlich erfüllt. Diese Art der wechselseitigen Selektion - Voraussetzung selegiert unter, unter verlangt den Dativ von Voraussetzung - will ich abkürzend Ping-Pong-Selektion nennen. Ping-Pong-Selektion scheint mir ein deutlich verbreiteteres syntaktisches Phänomen zu sein als es bisher den Anschein hatte. Sie kommt nicht nur bei Idiomen mit unikalen Bestandteilen vor, nicht nur bei komplexen Konnektoren, sondern auch, wie Soehn (2006, S. 78) andeutet, bei der Auxiliar-Wahl im Perfekt, wo einerseits das Vollverb bestimmt, ob es mit haben oder mit sein analytische Verbformen bildet, während andererseits das Partizip ein Komplement zum Hilfsverb bildet. Und ebenso lassen sich die Beziehungen zwischen Determinierer und Nomen bei der Bildung von Nominalphrasen als Ergebnis einer wechselseitigen Selektion auffassen. Das Nomen verlangt (zumindest im Singular) die Begleitung durch einen Determinierer und bestimmt dessen Genus, der Determinierer verlangt die Ergänzung durch ein Nomen. Daniel Schnorbusch 124 Das kleine Beispiel in Abbildung 5 ist gewiss noch nicht der Weisheit letzter Schluss und wie die Merkmalsstrukturen für andersartige komplexe Konnektoren gestaltet werden müssten, darüber kann ich hier ebenfalls keine Aussage getroffen. Die Arbeiten von Soehn und Sailer scheinen mir dennoch in die richtige Richtung zu weisen. 6. Ausblick Ich habe im Vorangegangenen, wie der Titel dieses Aufsatzes bereits versprechen bzw. vorwarnen sollte, lediglich eine Annäherung an einen Phänomenbereich versucht, der ohne Frage weiterer Aufmerksamkeit bedarf. Ich hoffe, dass mir das einigermaßen geglückt ist. Dennoch: viele Fragen mussten unbeantwortet bleiben, vieles blieb offen, wurde nur angedeutet oder fiel gleich ganz unter den Tisch. Das Gefühl der Unzufriedenheit sei daher jedem gerne zugestanden. Mir geht es genauso. Ein Trost ist vielleicht, dass Unzufriedenheit mit dem Gegebenen ein gutes Motiv dafür ist, die Probleme anzugehen. Es sind alle herzlich dazu eingeladen. 7. Literatur Blühdorn, Hardarik (2004): Einleitung. In: Blühdorn u.a. (2004), S. 125-136. Blühdorn, Hardarik/ Breindl, Eva/ Waßner, Ulrich Hermann (2004): Brücken schlagen. Grundlagen der Konnektorensemantik. (= Linguistik - Impulse & Tendenzen 5). 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HDK = Pasch, Renate/ Brauße, Ursula/ Breindl, Eva/ Waßner, Ulrich Hermann (2003): Handbuch der deutschen Konnektoren. Linguistische Grundlagen der Beschreibung und syntaktische Merkmale der deutschen Satzverknüpfer (Konjunktionen, Satzadverbien und Partikeln). (= Schriften des Instituts für Deutsche Sprache 9). Berlin/ New York: de Gruyter. Komplexe Konnektoren - eine Annäherung 125 Hoffmann, Sebastian (2005): Grammaticalization and English complex prepositions. A corpus-based study. London/ New York: Routledge. Kiss, Tibor (2007): Produktivität und Idiomatizität von Präposition-Substantiv-Sequenzen. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 26, S. 317-345. Lehmann, Christian (1998): German abstract prepositional phrases. In: Korzen, Iørn/ Herslund, Michael (Hg.): Clause combining and text structure. (= Copenhagen Studies in Language 22). Frederiksberg: Samfundslitteratur, S. 87-106. 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Einleitung ¨ ˜ ’^^! # ~  —  Sachverhaltsebene  #  epistemischen Ebene  #   Sprechaktebene  # —  -  <   ˆ ˜ ¡  ` © ± 3  „ -  Ÿ ˜ ` „  š + - ”  „  ˆ ˆ  „ -  ˆ „ ±  ˜ ² - „  „ < ` „ ± 4 „   ` - ’ ± ` „ ˆ ±  ! ! £#  ! ’’  «ˆ  ‚  ˆ ‚ ± ˜  „ ˜¯ +  ¥   < + ³ ´ °  ~ «˜  „  ˜ ° § ª „ š  ` „    µ ” ª § ´ • ¶  ¯ • `  ”    ˆ -  š ` ª  ¯·ª ’^£™ ¥ ’^Š" • ’^Š¢# „  „  „  ¡  ˜  - -  • š  š  ¥ „  ` „ ˜ - - ! ! £ ˜ ¢’† „ ˆ  ` „ ˜ * ! ! ! ˜ „ ’^^Š† ! ! ’ ˆ ! ! ™  ! ! £  ·§ ! ! ^# 3  ‚ ` ·˜ ·  ˜  ·§  ˜ „ `• ’ Formen und Funktion von Satzverknüpfungen  "’ ±• ˜- ! ! ^  ·- ·  ! ! ^# 4 ¶ ¸ š   ` „ ˜  ` ¥ ! ! "#   ·§ ! ! ^ ˜ ’ # Anna Volodina ’ Š  Ÿ „ ~ ˜ ” - „  * ! ! ! # ˆ ’^^" ˜ „ ’^^Š† ! ! ’ š  ! ! ™ ` ·˜ ! ’! — ´  ¥ ! ! " „ ¨  ‚  ±  ˆ ! ! ™ „ • - ˜ ! ! “ „ ¨  ‚  #  ¥ ’^^^ ! ! !  ! ! ™ — ´  `  ·± ! ! ! „ - # „ •š ! ! !  ! ! ¢#   ! ! Š# ~ <   ‚ „  „ - „  ~ ª ˜ „    -  -  ‚  ˜ ² ¡   „ - - $ ’# • ¯   ‚ -  • ˆ  „ ¹ • ˆ „ ˜¯ + ˜  ¥   ˆ š   ~   ˜    ~   ¹ # -  ˆ š  ˆ  ”  „     ¹ "# ˆ  + ”  „  ˆ - ˆ „ „ weil denn  da# -   `  š „ š š  ¹ ˆ  ` „ •  š  ˆ -  ¹ `  ˆ ± “   ` „ ¯      ~    ˜  ™ “ ± •   ˆ  ¢ • ‚ • - ‚ ! ˜   š • ‚ $ «• -  ° «˜  ‚ ° « ° «` °  «• ‚ ˆ °  ! ! £# š ‚  ˆ ™ ¶ ” if- since-  because-~ ± ¯ ·˜ ! ! ! # Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie ’ ^ < ` „  „  ¯   ˜ -   ~  ˜ „     ± š  „  -„ - - ‚ „  § ¯   ¡    `      š ‚-  ˜ „ ¶ ’^^£ ±  -• ! ! “# `  $ • š  „ -  ±   ˆ  § „ ¯   ¡  -  ª© „  ~ „  ˜    ”  •  „ - ˆ   < -  ˜ - „ ±  ±  ˜ - „    ~ „  ¡  š  * ` -    ` „ ‚ ˆ ˜ ` „ „ ± ` „ $ < ˆ   ` „ ˜ š    „ ˜  < „ ˆ   - µ    - ˆ  ª ˆ  „  „ „ -   © <  ˆ    ˆ - ‚  ´  1. Theoretischer Rahmen: Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie ± `  ˜ ² ` „  * ² ´  ¥ ¯  - - ` „ š š ‚ * ·º ’^Š! * ’^Š£# ˆ ` ‚ „  •  - „   „ + ˆ -# -   - ¡ ˜ * ·º ’^Š! #  ˜ -  „ ‚  ¡  Metaphorisierung ‚  *  „ ˜   `  „ „  „ -  ± ¥ „  kognitiven Metapher Anna Volodina ’"! š  ` „ ˜ „ ˜ ‚  ª -  ¡  - ˆ $ ˜ ‚  ¡  ¡     ± ‚   ¥ „ - © `    ˜ ˆ   - „ ˜‚ „ ˜  š  „     - ~  •  ¡ + „  ` -  ¡ + „  š ¥   -  ˜ „  ± š  „  š  „     „  ¨ ‚ „  š     „ ¥  ¡ + „ š  epistemischen Ebene „  ¥   ¨ „ ˜ ˜ š  Sprechaktebene `  Sachverhaltsebene  š „  • < „      ˆ  ˜    „  -   „   ˆ ‚ - „ ˆ  - ‚ ‚ †    ˆ 1.1 Konditionale und kausale Relationen auf der Sachverhaltsebene ± Sachverhaltsebene  ˜  ~ „ „ ¥  ˜  © § ± ± „   ~ „  •  ˆ - £ „  ± ’#  „ š  ¥  ˆ -  ˜ ˜ #  #  < -  ¥˜#  • „ ’#†  "#  ¢# „ ˜  ±   - ~ £ ± Konnekt  § ˜  Handbuchs der deutschen Konnektoren ª±ˆ ¥ ! ! "# ” Konnekt   ~  ~  ˆ  š ~  Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie ’"’ ’# John came back because he loved Mary ˆ`”˜ ˜ # John loved Mary, because he came back ˆ`”˜ ¥˜ "# If Mary goes, John will go ˆµ¨± ˜ ¢# If she's divorced, she's been married ˆµ¨± ¥˜ ‚  ˜ ’^^! # ± „ ”  „ ’#  # š ˜     º ¡ ¯ ’#  ”   º „ š ˜ ‚ ’#  $ ’# John came back because he loved Mary » º ¡ ¯ - » º „ š ˜ $ º „ š ¡ ¯ ˆ`”˜ -# ±  º „ š # ”  „  ¡ ¯ ˜ š   ˆ „ $ + ‹ #‘  ¯  †  -    ‹ ’#‘ ¯ ~ ‹ #‘ ¯   ²  º ² # º  ˜ ’^^! ˜ ££# ˜  ˜ ’# š # © -  ”  *   `  * º ¡ ¯ š $ # John loved Mary, because he came back » º „ š - » º ¡ ¯ º ¡ ¯ „ š ˆ`”˜ `¨¨`ª¡ -## ± `¨¨`ª¡ ˜  © ¡  -  ˆ - ªµ--¨”¨• ±`” ~¨ §”¨˜®ª -¸~®ª- ”¨•   µ „   ¡    „ „ ˜ # ²# John liebt Mary, weil er zurückgekommen ist ˆ`”˜ -## Anna Volodina ’" ˜     ˜   ¡©  ~ ~  „   ~ - $ ~  ” -§ - ‚  ±   - ˆ`”˜ ˆ`”˜ -#  ” -  ± „ ˜ „    ˜ „$ “# Peter trank einen teuren Wein, weil er sich das leisten konnte ˜ “#  ” -§ - ‚  ~     ¥ + -   ©   § ˜  - © Teil ˜ - ’^^“# „ ˆ`”˜ -#  +  -  -‚ „ „ © º  ´   “#  ˜   `  - ‚ ‚ # ~ „  •  ˆ < - ˆ  ˜  ¥  -  ~ ± ˜ ˆ ‚  -  ˆ š  •    ˆ  ‚ ˆ ‚ „ š $ "# If Mary goes, John will go ˆµ¨± ˜ » ¡ ¯ - » º  § º ¹# º  weil ¡ ¯ ˆ`”˜ -# ¢# I f she's divorced, she's been married ˆµ¨± ¥˜ » ˜  - » ˜ §    ¹# ˜ weil  ˆ`”˜ -## Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie ’"" ±   ”  „ "#  ¢# š ˜  "#  „  •  ˆ - „  ‚   ¢# © $ ª ‹ "#‘   - ¯ $ ¡ ¯² º ² ¡ ¯²  ¯ º ² ° ˜ ’^^! ˜ ’’¢# ‚   „  ¡ ¯ ¢#      -   ~  „   ~ ± ¯ ·˜ ! ! ! # š  ¶  „ ˜ -  „    §  ¥  ¡ + „  ¥  ¨ „ ˆ   ~  ˜ „  ¡      š  „   ` „   ` „   -  ˆ - -  „    š 1.2 Konditionale und kausale Relationen auf der epistemischen Ebene ±   ˜ - *     ~ „    ˆ  š ¥  -   ~   ˜ „ •  ˆ     ¨ „    ¡ + „  š ¥ „    `  ¥ µ  ¨ „  š ¥  „   - $ ` ’$ „ „  -  ¥˜# ` ~ © ‚  ~  ˜   ±   ” -  Ÿ  š  - #     ¥ ¡  „ ¯ - Anna Volodina ’"¢ - ˆ  ‚  ˆ ‚   ˜ ™#  £#  $ ™# Er ist zu Hause, weil die Lichter brennen ˆ`”˜  ˜ » ± * - » „ ª ˆ`”˜ -## £# Wenn die Lichter brennen, ist er zu Hause ˆµ¨±  ˜ » ± * - » „ ª ˆ`”˜ -## ±   *  Ÿ  „ ª - < •   Ÿ  „ ª  •   - š   * ± ` „   ~š ˆ ¥ ‚ „  `   ˜ š ‚  ˜ „     ¨ „  š ¥     ¡ + „  š ” - ‚ ˜   - $ ±   ¨ „  š ¥ ˜¯ ª  ¡ + „  š ¥ ±   ±   š  ˆ ‚ „ -  š  - ~ # „  ¥  ` „  -  ~ #  -  „ ¥ `   ± ˜ „ ~ -  ˜  ~  ¥˜ © ± •   š   ~  ˜ ~  ¥˜ „ $ -   ˜ ´   ˜  §  - ´ ¡ -  -# ¶ ˜  ¥ + „  • ` ‚     -  ¶  „    ~ -  „ „ ¥  © -   `  ˜ ~   ¥˜ „   ˆ +   ˜ Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie ’"“ ` š    ” ˜ © 1.3 Konditionale und kausale Relationen auf der Sprechaktebene „ ˆ ‚  ˆ  ‚   ¡ + „ „ ˜   ¨ „  ¥   ˜ „ ~ - „ š   ` $ „ „  -  ˜ ˜¥`# ±  ˜  * ‚  ˜¥`  ` ’^™’#  *  ˜ „$ Š# There are biscuits on the sideboard, if you want them ` ¯  ‹ Š#‘ - ¯   ²  < ¯ ‹Ž‘   ‹ Š#‘ «< ¯  # < ¯   ° ˜ ’^^! ˜ ’’^# < ‚ ˜    ˆ   -  • ² ˆ + ‚  $ Sei relevant   ¡  ˆ ˆ +      ª© <  ˆ Š ± ±  ± ˆ   ˜ ˜¥`# - ª „ ˜ „ ~ - ¡ +   • ˜  - ^#$ ^# Wenn du schon seit 8 im Büro bist, hast du Theresa gesehen? Š º -*  ’^Š™#  ˆ  ‚ „ Relevanzkonditionalen  *  pragmatische Konditionale „ ¯ `  ·± ! ! ! # ± + ˆ  -  - ^##  ˜ „ „ ± ¥ ! ! ! # Anna Volodina ’"™ ˜       ª© š  „ ‚ š   - Hast du Theresa gesehen? „    -  ¥ ‚   ˜    ª© š ‚ © ± -   -  ˜   ª© ‚  š ¡ š ‚ ‚  `  -  ˜          ~  ˜¥` ¥  ”  ~  ˜   ¥˜ - ˜ -‚ ” -§ - ‚  ~ „ ˆ   ~  ˜¥`  ¯ ¥ ‚  š  ˆ -  „ „ ~ ‚ - ª©   ˆ ‚ „ „ „ ~ ˜  ±   ~ -‚  •   ` š  ˜  ˜  ¥   ˜  + „ „  ˜  ` ¯-  ~ š  ‚ „ - „ ~ „ š ’’#  ’"#  © ¥ - ’! #  ’ #  ˜   - ˆ`”˜ -# „ $ ’! # Was machst du heute Abend? Denn ich möchte etwas unternehmen ˆ`”˜ ˜¥` ’’# Ich frage, was du heute Abend machst, weil ich etwas unternehmen will ˆ`”˜ ˜ » < - » <  `  ¹ˆ`”˜ -# ’ # Wenn ich fragen darf: Wie alt sind Sie? ˆµ¨± ˜¥` ’"# ¹Ich frage, wie alt Sie sind, wenn ich fragen darf ˆµ¨± ˜ » <  - » < ˜  ¹ˆ`”˜ -# Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie ’"£ § ª  ~ + „ ~ ¯ š   © ” -§ - ‚ „ š - š   „   - ~ š `  „ ˜ -  ~  • ‚   „ § • ~ š  ˜ © - <  „ ˆ „ -  „ „ „   ~  ˜ - ¥ ª±ˆ ¥ ! ! "# ¥ ! ! " š  ! ! Š# ¥ „ ’’#$ Der Grund, für meine Frage, was du heute Abend machst, ist, dass ich mit dir etwas unternehmen will aber selbstverständlich nur wenn du Zeit und Lust dazu hast usw # ¥ „ ’"#$ Entschuldigen Sie meine Frage, wie alt Sie sind, falls diese Sie stören sollte `  §  ± „ ˆ  -  ˆ „ ± ‚ ` ‚  - ˆ ‚ „  - š ¶ „  ~  Š# „ $ ± ~ „ `    š    ¨ „  š ¥  ‚ „  ” -§ - ~ ‚ š  2. Operationalisierung der Ebenenzuordnung 2.1 Zur Notwendigkeit der Operationalisierung ¨  š  ˜    -   „ ˆ - š  ± nicht © -  —  `  — „ ~ -‚   „   ± ª   ˆ   ˜   ¡ „ ~ -‚     ± ¥  $ ˜ <  ˆ   ¥˜  ˜¥`    Anna Volodina ’"Š •  ¡ + „ „   „ ¥  ˜ §  ˜  ¡  < - „ ` + „    ¡ + „  ˜ ¹ ¥  ˜‚ „  ` ‚ ~   ˜  †  „ + „ ± ¯ ·˜ ! ! ! ##$ ’¢# Ich hoffe, dass er zu Hause ist, weil ich sein Auto brauche ’“# Er ist hoffentlich zu Hause, denn das Licht brennt ’™# Er ist hoffentlich zu Hause, denn ich brauche sein Auto ` hoffentlich möglicherweise  vielleicht  - - ¡ ¥ ’^Š£ ª ·ª ’^^! ¶ ’^^£# ˜ ’“#  ’™#  ¡ ~ „ `   • ±  - „   ”  $ ’¢# ˜ ±   ˜ „ „ -   ˆ ‚ „  •  ˆ $ ± ~  Er ist zu Hause #  Ich brauche das Auto -#  Ich hoffe, dass er zu Hause ist #  Ich brauche das Auto -# ± ª ‚    š š     „ „ ª ¶ ’“#  ’™#  ”  • hoffentlich „ š $ < ’“# „  ˆ ‚  ¡© · §  ˜  Ÿ  „ ª ‚  ’™#  š    „ ` - „ ‚    ˜ š <  •  š  < ’“#  ’™#   ˆ denn š ¹ µ ` ‚  ¶   „     ¹ ± ` -   ‚ ¡ -  ` Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie ’"^ 2.2 Epistemische Operatoren ¨  ˜ „      š „  ¥  ¨ „    „ ¥  ¡ + „ §  ¥  ¡ + „ - „   ˆ - „ ˆ   ¥  -   ¥ ± -  + - „ ¥ ‚ „  µ — hoffentlich wahrscheinlich —  „ µ — ich hoffe ich glaube —  „   <  „   ~ ‚   `   -   ` ‚ $ <  ¥ ‚ „ - µ ^   ~ ˜ š  ¶  „  ¹ ’! `  ”  „  ¥ ‚ „ µ ˆ   ’£#  ’Š#  $ ’£# ‹ ‹deshalb - weil ‘‘ Ich glaube, dass Peter  nervös ist, weil seine Hände zittern. / Er hat nämlich Angst, dass er wie sein Vater an Parkinson erkranken wird · ’Š# ‹‹ deshalb -‘‹weil ‘‘ Ich glaube  , dass Peter nervös ist, weil seine Hände zittern. / Generell gilt: Wenn Peter nervös ist, zittern seine Hände · ` ¡  µ ich glaube  ` „  ich glaube glaub' ich ˜  - ´ ’¢#   -  ˆ ˜ ˜ ’Š#  ¥˜   ’£#  ¥ ! ! " ˜ ’™£ š -  ! ! Š# µ © ˆ ˜ - ˜ ’£²# ’Š²# $ ^ ` ¡  © µ š  ! ! Š „ ¸ ¡ ¼ ! ! ^# ”  ~  ` „ „ š  + „ µ  ’! ± *   + ˆ  „  ±  ~  µ + ˆ - Anna Volodina ’¢! ’£²# ‹ ‹- weil ‘‘ ˆ`”˜ ˜ Ich glaube, dass Peter nervös ist, weil seine Hände zittern. Er hat nämlich Angst, dass er wie sein Vater an Parkinson erkranken wird # ’Š²# ‹‹ -‘‹weil ‘‘ ˆ`”˜ ¥˜ Ich glaube, dass Peter nervös ist, weil seine Hände zittern. Generell gilt: Wenn Peter nervös ist, zittern seine Hände # ¨  + „ µ ich glaube Ÿ   ¯ µ ‚   µ - vielleicht, hoffentlich, wahrscheinlich < ”  „  ’£#  ’Š# vielleicht  - ˜ ˜ ’^# ! ##$ ’^# Peter ist vielleicht nervös, weil seine Hände zittern ½˜ ! # Peter ist vielleicht deswegen nervös, weil seine Hände zittern ½ ¥˜ ± Ÿ  « µ ° ˜ š ˆ  -   ˜ ©  ˜ ¡     • ± ”  ‚ „ ‚  ˜ - „ š š Vielleicht  deswegen - vielleicht ˜ © <  š  - ` ˜ vielleicht —  — ˆ  ˆ §‚  - es ist möglich  ich glaube  weil-~  •   š  š  # © „   š vielleicht  möglicherweise  -  ’#  #  $ ’# Es ist möglich, dass Peter krank ist, weil er ein Mensch ist. ‹Und Menschen sind manchmal krank.‘ # ½Peter ist möglicherweise krank, weil er ein Mensch ist ‹Und Menschen sind manchmal krank ‘ <   •    ¡© -  ~  •  ¡ + „ - „ ` ‚   š es ist möglich  ˜ „   möglicherweise „  Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie ’¢’ ## ’’ ± ´  ˜ „  - ˜ š   ˆ ¡ +- „ < - µ  š  ¡  -  ˜ ˜ „ $ ¡ hoffentlich  „  ¥     § š    $ "# Er ist hoffentlich zu Hause, denn das Licht brennt ¥˜ ¢# Er ist hoffentlich zu Hause, denn ich brauche sein Auto ’ ˜ §  ˆ   „ ¥ - „  hoffentlich ¡  -  "# §  ˆ  ‚ -  µ „  `   ˜ - š # ¢#   ~ „ ˜  µ  ˜  ’" 2.3 Sprechaktoperatoren ± ~ „ ˜ š   ¥ „ ~  µ •  ‚ „   ˜ ” ‚    ~ „ * ” ˜ -     ˜   µ ich behaupte ich befehle dir ich frage ’’ § ¯ ‚ Ÿ  ¡  - š  ¡     š  ±  ¨  - ‚  ¨ ¯ ! ! ’ ˜ ““ # „ ˜ ¨ ¯    `Ÿ probably ”  „ ` probable -   ’# < ¯ ¹ # ¾¥ ¯ ¯ ¹ "# ¾± ·ª ¯ ¯ ¹  ˜ “^# ’ ±   ˆ denn „ ‚  ¥˜    ` ¯  ·§ ! ! ^#  ª±ˆ ¥ ! ! "## ’" š  ! ! Š# š ‚ ± „  `   ¨ - š  ”  „  ~ Anna Volodina ’¢ ˜   ˜ ‚ - µ # $ “# Ich behaupte  , dass Peter krank ist, weil er nicht zur Schule kam. ™# Ich behaupte, dass Peter  krank ist, weil er nicht zur Schule kam ± ”  „ µ ˜ „  - bitte# ¯ ˜   ‚ „š ˜ -  ˜ ©   ~ - „ * § ˜  *  ~  ˜ „      ~ -  ~ ˜ ‚ $ £# Ich würde vorschlagen, dass Peter mit mir kommt ¦ wenn es ihm recht ist ˜ ¦ Ich schlage vor, dass Peter genau dann mit mir kommt, wenn es ihm recht ist Š# Ich würde vorschlagen, dass Peter mit mir kommt ¿ wenn es ihm recht ist ˜¥` ¦ Ich schlage vor, dass Peter mit mir kommt. Und wenn es ihm nicht recht ist, dann ist dieser Vorschlag nicht relevant §   ~  ˜  ~ - „ ˜ ±  ˜ „  <  -  ˜ - ˜ §  ˜ ˜  ~  ˜    µ - ich meine ich glaube # ‚ ˜   © ’¢ ˜ µ  -‚  ©  §   „     ˆ ˜ — —   ˜ ¯ ´ - $ ’¢ ± < ! ! ™# ± ¯ glaub ich  ¯ µ  Glaub ich ‚ „ ich glaube$ ¯ - ‚  ´ ¡   ˜  š denk ich, meine ich ` ·•š - ! ! " •š ·< ! ! "  ¨ ¯ ! ! ’ „ ¨  ‚  ±  # Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie ’¢" ^# Ich meine, warum gehst du nicht nach Hause, wenn du jetzt müde bist  ^#  ˜  ˜   Ÿ     § ich meine  - ´ ± - ˜ ` ·•š ! ! "#  „   µ 2.4 Zwischenfazit ¨  ±  š ¥ ‚ -  -  $ ˜  ˜ „    `        ˆ -   + „ <  `  ` ˆ š  ¶  „  ± *©    µ  ˜  `  š ` „ ˜ + „  ¡   ˜  © ˜   ˜   ˆ   š  ~  ‚  -   µ „    - 3. Korpusevidenzen ± ¶  `  ˆ „ ¯   ¡ •   ˆ -    ˜ „ š š ’“ ”  „  ˆ ±  ˆ ’™ ± „   ¯ -   ˆ „  ˆ ¯ - ’“ ˜  + „ ˆ  ¯   ¡ -  š š  ˆ - ¸ „ < „ ˜¯ +  ¥  ~ ± ˜ „ ! ! ’ • ! ! ™# ’™ ±  ¶  ˆ  „  ˆ ¯ „ „   ˜ š „ „ „ — „ „ ¥ „ š  — ˆ -  š ± š   ! ! £# Anna Volodina ’¢¢   ¡  „ © ±  „  •  ¯   <  3.1 Grade syntaktischer Integration ” syntaktischer Integration   •    ’£ ˆ  ˜  + ˆ  ¡ + „ -  < `  ª±ˆ ¥ ! ! "#  Ÿ  Position » ˜ ¥# ’Š  ˆ  ¸ ’ Ÿ kursiv „ # +  Einbettung » ˜ #  ˆ -  ˜  +   Subordination » ˜ ˜#  - ˆ  •  ¯ < < -    „  •  ¯ <  ¥ ˜ Hoher Grad syntaktischer Integration: # Weil es stark regnet ® „ ª + + Mittlerer Grad syntaktischer Integration: # Wenn es stark regnet  ® „ ª # ® weil es stark regnet „ ª # ® „ ª weil es stark regnet + + + + + + Niedriger Grad syntaktischer Integration: # Weil du es unbedingt wissen willst$ ® „ ª # ® „ ª weil es regnet stark — — + — ¸ ’$ ` ‚  •  ¯ < ± weil-~ ¯ ¡ š  wenn-~ ± wenn-˜‚ „ -  ‚ „    •  ¯ < wenn-~ - - ¯ ±  ˆ ’£ <  `    ª±ˆ ¥ ! ! "#$ ”  internen Konnekt   ˆ    ˆ   ˆ ´ ±  ˆ   externe ’Š <   ª±ˆ  ˆ ante » links » „ eing »  post » + ˆ - Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie ’¢“ # ©  ¯ ¡ #   ~ - 3.2 Grade prosodischer Integration ±  • „ ¯ ˆ „ ‚  • „ < „ š  ~ -  •  ¯ < „ ˜ š š  §    ~  ¸ - ˆ „   § $   • „  ® ’^ŠŠ# „ © - ©   ˆ  ˜ ® -ˆ ’^^™ ® -ˆ ·˜ ’^^™#$ -  „    ¸ ‚ period intonation comma intonation#† + ˜ „   ¸ - „ < "’##  „ "! #  "! ²## º  ~  • „  ~   $ "! # Er KOMMT ‰ # FRAGT habe.  • „ # Interpretation$ <  < ´   ½˜ "! ²# Er KOMMT Š # FRAGT habe  • „ # Interpretation$ < š  < © ½˜ "’# X ‹ # FRAGT habe  ¸ # Interpretation$   ˜ ±  ¶ © „ ~   „  • „ „  ˆ  ¸   ª©   ˜ „  š ± - # ’^ ± •     „  #  • „ „ Ÿ  „ ’^ ±  <  § continuation rise# Turn-- „ -§ ! ! # Anna Volodina ’¢™ ¨ „  "! #  "! ²## ±  ”  „ ˆ  • „  „ <   ˆ -  • „  „  < -  „ ~  •   <  š   „   •  -š ±   ` ¯   ! ! £ ˆ " # 3.3 Kausale vs. konditionale Relationen: Interaktion syntaktischer und prosodischer Merkmale -š  - `  ¡   ~  ` ¯ „ ! ±  ˆ ± ` - „š  ¶ ¯   ¡ š  ~ ¸ #$ •   < ¢Á "Á ’Á ™’Á ’^Á  ¢ŠÁ ¢Á ’Á ’ Á £Á   •  ¯ < ¸ $ ˆ   ~ < ”  „   ~ ’ Á#  ª‚ ¢ŠÁ# ~ ˆ  •    ¯ < - ¯ š  ±  ~    •   <  · •  ¯ < - „ ` ‚  ˜  š  ˜ ¯ wenn-dann-¡  ! ±    „  ˆ wenn " Š   weil, da denn  nämlich "™¢ ˆ`”˜ ˆµ¨± Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie ’¢£ •  ‚  ˜  ˜ -  ¡  ‚  -   ‚  š 3.4 Korrelation syntaktischer und prosodischer Merkmale mit den Sweetser'schen Ebenen ¨  ˆ „  •  ¯  -  <   `  ˆ ‚  ˆ  ‚   „   ˆ   ˜¯ +  ¥  ¶ - " ¢ ’ ˜ `   ˆ  ‚  ˜ ‚ ˜  •  ¯ < -   ˜ •   < ¢Á ¢Á ! ™Á “"Á ’ŠÁ  ’Á £Á ! "Á ! "Á £Á   •  ¯ < ¸ "$ ˆ   ~  ˜ §   ~  ~  ˜  •  ¯ < - •   < " ¢ ˜ -š  ˜  ˜ •  ¯ < ¯ ˆ ~  ˜   ˜ $ ˜ © •   <  ± ˆ ¯ -  „  ‚     ¨  ¡  ˆ -   ˆ   ˜  ± ˆ`”˜ ˆµ¨± Anna Volodina ’¢Š `  wenn-~  „ < -  © •   < ™Á  Á ™Á ’ Á £Á   •  ¯ < ¸ ¢$ ˆ   ~  ˜ " ¢ " ` • š    ˜ ² ¡  ¡ „  ˜   ˜ - š   ± - „   ~ ¶  ~  •   < -   •   - < ±  ~ ¡  ˜   ˜ - •   < ! ™Á ! "Á Á ’Á  “Á ^Á ! "Á   •  ¯ < ¸ “$ ˆ   ~  3.5 Generalisierung §  `   ±  ~   Ÿ  ± ‚      §    ¯ ¡   -   ˆ`”˜ ˆµ¨± ˆ`”˜ ˆµ¨± Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie ’¢^ • „  „    ~  ˜   ˜ ‚    §‚  - ~  ‚  ˜ ‚ -  ~ - ‚  ˜ ±   ¸ ™ „ -  $ ˆ`”˜ ˆµ¨± ˜ — + ¥˜ + + ˜¥` + — ¸ ™$ ˜ ˆ   $ ·—- ¸ ¡  ~ ± `  ‚ `    „ 4. Fazit und Interpretation der Ergebnisse ± `  ` „  ˜ ² ¡  -  ”  „   ~ „ „  ˆ „   ¯ ¡  ~ ~  -   „ ©    -   `   ˆ  ‚  ˜ - š    ¯ ~ -   ~  • ‚ -  -„ - -ˆ   „ • š  ˜   - -  ~   ~ š  - „    ±    ~  „  # -  §  š ª¯ - ˜ š  ¯   ~   ~     š   ~  ¡  - ± ±  -  - Anna Volodina ’“! §‚   ‚ ”   ¨   ~ ‚ ‚  ¥  „   -  - - ~ ±  „ ¡  § - ~  „ -  ˜   š   ¯ -   -  ~ „  ˜   š  -‚ „    ˜ ± -  §  ˜ ˜ ‚ ´ „  - $  ˜   „   „   ”  „  ˜   `  -   ~ - „    „ $ ˜    ”  „    -  „  `   ‚   Ÿ   ¯   <  ±   ~  š   ¶ - „  „ ˜ ¶ ˆ -   ˜ ² ± -     ”   ¯   ±   ~  „ „ ‚  -       ¯ -   ¡  ¶  ` „  š `  -  ´  ª¯  ` š  ` Hypothese: ± ¯    -  ~ -  ~    ”  „ -   ~  <   ˜ ± ˆ „ - ˜   ¯   ¡ - Sweetsers Drei-Ebenen-Theorie ’“’  ˆ  ¶  „  „ ˜ ²   < „ ˜ ± ª¯  ¥ „   „ ‚ ~ -  ` „  ` ¯  „   ”  „  ˜   ˜ -  - ~  „   ˜ ¯ -    ` ~ „ ˜ - © ± ˆ „  ` „ ˜   ¶  „ ˜  „ ˜ -  ‚ „ š   -  „    -   ”   -  <  ~  ~ ‚ - ±  - š  ˜ Ÿ  š      ` š   § ` š      «§ ° „ ±  ‚ `  ”  „  ˜   ‚  ` ¯   ~  ¯     š   ‚- ®    ˆ „ `    < • „  „ ©  ~  ~ ‚-  ± ´ š  ~  ª ¸ „  ˜  ‚ ± š    ” -  „  ~  ˜   „  - ~ §  ª¯     ˜ ² š  -  ˆ š š   ` -  ~ ‚  ˜ ² Anna Volodina ’“ „   ˜ ² - ”   < -  ˜   ~     ª š  ~ ‚  ¡ ˜ 5. Literatur ` ¡ ·˜ ¡ ! ’! #$ ±  < $ weil- -˜‚ „  ˜ „ ˜¯ + ˜  ¥ < $ ¶ - š ˜ ^ ’ ˜ ’-"£ `  ` ·± ~¼ ! ! ! #$ ¥  < $ - `·  * -  ª #$ ® ® * » ®<* ’£Š# `  ·¥  $ Ÿ ˜ ’- ™ ` ¥ ·•š ˜ ! ! "#$ ± ± ± - — - • ¹ < $ < * ˜ — <  * ˜ "Š < $ http: / / kops.ub.uni-konstanz.de/ volltexte/ 2003/ 1145/ ˜ $ ± „ ! ’! # ` º * ’^™’#$ <  < $ ” º µ ·§ • ¯ º ª #$ ¥ ¥ µ+ $ µ+  ” ¯ ¥ ˜ ’“"-’Š! -§ ± ! ! #$ Weil die Hälfte eben erst die Hälfte ist — „ -  • ¥ Ÿ „ ˆ < $ ¶ š `  * "£ ˜ ££-’! “ š  ª  ! ! ™#$ ˆ ˜ „ š ± < $ ¥  - • ~   • à ’! ˜ “"- Š š  ª  ! ! Š#$ * ˜ „ — § „   < $ ¥ ª # ˜ ’£- “  ! ! ¢#$ ¥ ¯  < „ ˆ $    - ˆ < $ ¥ < ·ˆ  ˆ -¥ ª #$ ˜ ‚  - + ‚  ˜ ˜  ¥ - ¡ $ * ˜ ’£’-’^£  ! ! 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Kausalen Konnektoren wurde in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit gewidmet, vor allem auch im Zusammenhang mit den weil-Sätzen, die Verbzweitstellung aufweisen. 1 Relativ unbeachtet geblieben ist dagegen eine Erscheinung im Bereich der Kausalsätze, die in mehrfacher Hinsicht aus dem Rahmen fällt. Die Rede ist hier von uneingeleiteten Sätzen mit Verberststellung, denen eine begründende Funktion zukommt, illustriert durch Beispiele aus den IDS-Korpora: (1 a) Das aktuelle Thema „Neues Weiterbildungsgesetz und öffentliche Finanzierung“ hatten die Initiatoren des Zukunftsforums noch kurzfristig dazugenommen, will die Landesregierung doch 7,2 Millionen Mark für die Erwachsenenbildung und die Volkshochschulen streichen. (R99/ NOV.95549, Frankfurter Rundschau, 24.11.1999, S. 33) (b) Aufschlussreich sind Haiders Ausfälle allemal. Bestätigt er doch einmal mehr sein originelles Demokratieverständnis: Er glaubt immer noch, alles anordnen zu können, selbst Fussballsiege. (A01/ NOV.40827, St. Galler Tagblatt, 06.11.2001) (1(c) Die Übernahme von 263 000 Franken durch die umliegenden Gemeinden Berg, Roggwil und Steinach finde ich grossartig, beträgt doch der Anteil der Bewohner dieser Gemeinden nur gerade rund 20 Prozent (A01/ NOV.43268, St. Galler Tagblatt, 15.11.2001; „Bandles Mammutprojekt“, Bodensee Tagblatt vom 13.11.01) Kausalsätze mit Verberststellung (im Folgenden V1-Kausalsätze) 2 weisen obligatorisch das Element doch in einer Mittelfeldposition auf. Dies könnte zu der Vermutung Anlass geben, dass diesem Element die Funktion eines Konnektors zukommt. Eine solche Einordnung findet sich bei Pasch u.a. (2003), die die hier interessierenden Sätze an verschiedenen Stellen erwähnen. Sie gehen davon aus, dass doch in zwei Varianten als Konnektor existiert: „Doch1 ist als adversativer Konnektor zu interpretieren (d.h. als ein Konnektor, der ausdrückt, dass sein internes Konnekt einer aus seinem externen Konnekt abzuleitenden Erwartung widerspricht), doch2 - zusammen mit dem topologischen Satztyp 1 Stellvertretend für viele andere seien hier die Arbeiten von Wegener und Uhmann genannt. Eine neuere Überblicksdarstellung zu kausalen Konnektoren bietet Frohning (2007). 2 Diese Sätze werden hier unabhängig davon, wie die kausale Bedeutung zustande kommt, und auch unabhängig davon, ob sie als subordiniert und damit als Adverbialsätze gewertet werden können, als Kausalsätze bezeichnet. Karin Pittner 158 Verberstsatz seines internen Konnekts - als kausaler Konnektor.“ (Pasch u.a. 2003, S. 684). Doch wird „in Verbindung mit der Verberststellung eine spezielle kausale Bedeutungskomponente“ zugeschrieben (ebd., S. 580 und passim). Obwohl dies an verschiedenen Stellen erwähnt wird, wird kein Versuch unternommen, zu erklären, wie diese kausale Bedeutungskomponente zustande kommt. Eine Erklärung wird wohl aus dem Grund nicht angestrebt, dass dieser Band des Konnektoren-Handbuchs nicht auf eine Beschreibung der Semantik, sondern auf die syntaktische Subklassifikation der Konnektoren zielt. Aufgrund seiner Stellung und seiner Kombinatorik wird doch2 eine Sonderstellung zugeschrieben. Pasch u.a. rechnen es nicht zu der Klasse der „nicht vorfeldfähigen Adverbkonnektoren“, sondern betrachten es „wegen der sonst für nicht vorfeldfähige Adverbkonnektoren nicht geltenden Beschränkung auf einen Satztyp“ als „Einzelgänger in der syntaktischen Großklasse der Adverbkonnektoren“ (ebd., S. 580). Damit stellt sich dann aber die Frage, ob gegenüber einer Klassifikation als Modalpartikel etwas gewonnen ist, da sich aus einer Einordnung als Modalpartikel sowohl die Stellung im Mittelfeld wie auch die Beschränkung auf bestimmte Satztypen ergeben. Eines der Ziele dieses Beitrags ist es, zu zeigen, dass doch in den V1-Kausalsätzen die Funktion einer Modalpartikel zukommt, deren Bedeutungsbeitrag exakt dem in anderen Satztypen entspricht, in denen diese Modalpartikel auftritt. Da weder ein positioneller noch ein semantischer Unterschied zwischen doch in V1-Kausalsätzen und der Modalpartikel in anderen Satztypen besteht, gibt es keinen guten Grund, hier einen Konnektor mit idiosynkratischen Eigenschaften anzusetzen. Vielmehr handelt es sich um ein ordentliches Mitglied der Klasse der Modalpartikeln mit allen üblichen Eigenschaften. Wenn die Modalpartikel nicht als kausaler Konnektor gewertet werden kann, stellt sich die Frage, wie die begründende Funktion der V1-Kausalsätze zustande kommt. Es soll gezeigt werden, dass sich die kausale Interpretation dieser Sätze aus einem komplexen Zusammenspiel der Modalpartikel, der Verberststellung und der für diese Sätze geltenden Nachstellungsrestriktion ergibt. Die kausale Bedeutung dieser Sätze kann damit kompositionell gedeutet werden. Außerdem soll gezeigt werden, dass es sich bei V1-Kausalsätzen um Begründungen mit einer sehr speziellen Funktion handelt, die gegenüber dem im vorangehenden Satz ausgedrückten Sachverhalt eine stützende Funktion haben. Sie stellen eine eigene Informationseinheit dar, die gegenüber der Informationseinheit des vorangehenden Satzes ein geringeres Gewicht hat. Insofern sie eigene Illokutionen tragen, handelt es sich dabei um subsidiäre Illokutionen, deren Zweck es ist, die Akzeptanz der vorangehenden Sprechhandlung zu sichern. Subsidiäre Begründungen 159 1. Eigenschaften der V1-Kausalsätze Für die hier interessierenden V1-Kausalsätze ist verschiedentlich beobachtet worden, dass es sich um einen in seinen pragmatischen Funktionen stark spezialisierten Satztyp handelt. Von einigen Autoren wurde bereits darauf hingewiesen, dass diese Art von Kausalsätzen sehr spezifischen Verwendungsbedingungen unterliegt. Altmann (1993, S. 1020) vermerkt dazu: „Es handelt sich dabei um einen funktional hochgradig spezialisierten Satztyp: er wird als Schlußsatz einer Argumentationssequenz benutzt, um einen Sachverhalt mitzuteilen, der die gesamte Argumentationskette motiviert.“ Durch die Modalpartikel doch werde „der Inhalt als unkontrovers, längst akzeptiert gekennzeichnet und damit an die Einsicht des Hörers appelliert“ (ebd.). Auch laut Engel (2004, S. 147) nennen diese Sätze „einen allgemein akzeptierten oder zu akzeptierenden Grund“. Zifonun u.a. (1997) siedeln die V1-Kausalsätze - zusammen mit wo-Sätzen mit der Partikel doch - an „der Peripherie der kausalen Nebensätze“ an und bemerken zu ihrer Funktion: Die beiden peripheren Formen werden verwendet, um stützende Argumente und Plausibilisierungen für das Gesagte oder die vollzogene Sprechhandlung nachzuschicken. In der Regel wird man sie als Kommentierungen auf der Ebene des Modus dicendi einordnen. 3 (ebd., S. 2299). Zifonun u.a. (1997) siedeln Sätze dieser Art nicht auf einer propositionalen Sachverhaltsebene an, sondern auf der Ebene des „Modus dicendi“, worunter sie epistemische und sprechaktbezogene Bezüge subsumieren. Ein Kausalsatz mit Bezug auf die Proposition benennt einen Realgrund für den Sachverhalt, wie etwa eine physikalische Ursache oder ein psychologisches Motiv. Ein epistemischer Bezug liegt vor, wenn ein Sprecher eine Begründung dafür nennt, warum er einen Sachverhalt für wahr hält. Da Realgründe jedoch als Begründung verwendet werden können, können auch diese in V1-Kausalsätzen genannt werden. Ein Bezug auf den Sprechakt ist dagegen für V1-Kausalsätze nicht möglich. Begründungen für Sprechhandlungen können nur durch eingeleitete Kausalsätze gegeben werden: 4 (2) Wo bist du denn gestern gewesen? - weil ich dich gerade sehe/ *sehe ich dich doch gerade. 3 Wo-Sätze weisen jedoch eine Reihe von Unterschieden zu den V1-Kausalsätzen auf. So können sie auch andere als kausale Bedeutungen annehmen, sie sind positionell flexibler und die Modalpartikel muss nicht obligatorisch stehen. Siehe Günthner (2002) für eine genaue Beschreibung dieser Sätze. 4 Beispiele für sprechaktbezogene Kausalsätze mit anderen kausalen Konjunktionen finden sich bei Zifonun u.a. (1997, S. 2306). Karin Pittner 160 Ein Sprechaktbezug ist auch für V1-Konditionalsätze ausgeschlossen. Es scheint also generell so zu sein, dass uneingeleitete Nebensätze nicht mit Sprechaktbezug auftreten können. Ein Erklärungsansatz dafür steht jedoch noch aus. In Bezug auf Subordination stellen die V1-Kausalsätze eine hybride Erscheinung dar. Reis (1985, S. 285) konstatiert bei diesen Sätzen „merkwürdige Besonderheiten, die sie aus der Hauptsatz-Nebensatz-Einteilung praktisch herausfallen lassen“. Wie eingangs schon erwähnt, soll hier argumentiert werden, dass es keine klaren Hinweise auf eine syntaktische Subordination dieser Sätze gibt, dass sie jedoch pragmatisch subordiniert sind. Zunächst soll gezeigt werden, dass V1-Kausalsätze keine Konstituenten des vorangehenden Satzes sind. Damit hängt es zusammen, dass zu ihnen auch keine Korrelate auftreten können und dass sie nicht fokussierbar sind. Im Anschluss daran soll die Bedeutung dieser Sätze aus dem Zusammenspiel der obligatorischen Modalpartikel, der Verberststellung und der Nachstellungsrestriktion erklärt werden. 2. Fehlende Konstituenteneigenschaften Nebensätze sind üblicherweise Konstituenten ihres übergeordneten Satzes. Im Fall der hier interessierenden Kausalsätze gibt es keine Hinweise dafür, dass diese Sätze als Konstituente ihres Bezugssatzes gelten können. Konstituententests wie Erfragbarkeit, Pronominalisierbarkeit und Verschiebbarkeit fallen negativ aus. Daher kann Önnerfors (1997) zugestimmt werden, der diesen Sätzen einen Status als Satzglied bzw. Konstituente des vorangehenden Satzes abspricht. Diese fehlenden Konstituenteneigenschaften teilen die V1-Kausalsätze mit anderen Nebensätzen wie durch so dass eingeleiteten Konsekutivsätzen und sog. weiterführenden Nebensätzen. Trotzdem werden Konsekutivsätze und weiterführende Nebensätze meist zu den subordinierten Sätzen gerechnet, da sie ein Einleitungselement und Verbendstellung aufweisen. Eng verknüpft mit dem fehlenden Konstituentenstatus der V1-Kausalsätze sind die in den nächsten Abschnitten erläuterten Eigenschaften. 3. Das Fehlen von Korrelaten Während zu weil-Kausalsätzen ein Korrelat im übergeordneten Satz auftreten kann, ist dies bei V1-Kausalsätzen generell nicht möglich: Subsidiäre Begründungen 161 (3 a) Er hat sie lange angesehen, weil er sie liebt. (b) Er hat sie deswegen lange angesehen, weil er sie liebt. ( (c) *Er hat sie deswegen lange angesehen, liebt er sie doch. Es stellt sich die Frage, welche Funktionen den Korrelaten zu Adverbialsätzen zukommen. Vergleicht man die Sätze (3a) und (3b) im Hinblick auf ihre Intonation, so zeigen sich für (3a) zwei Möglichkeiten: Entweder kann jeder Teilsatz mit einer eigenen Intonationskontur versehen werden oder beide Teilsätze haben eine gemeinsame Intonationskontur. Im ersten Fall handelt es sich um zwei separate Informationseinheiten, d.h. um zwei Einheiten, die jeweils eine eigene Fokus-Hintergrundgliederung und einen eigenen Nuklearakzent aufweisen. Im zweiten Fall stellen beide Teilsätze eine Informationseinheit mit einer internen Fokus-Hintergrund-Gliederung dar, z.B. wenn der Matrixsatz Hintergrundinformation enthält und die fokussierte Information im Nebensatz steht. Im Falle von (3b) verhindert das Korrelat jedoch, dass der Nebensatz mit einer eigenen Intonationskontur versehen werden kann. Der über- und der untergeordnete Satz bilden daher in jedem Fall eine Informationseinheit mit einer gemeinsamen Fokus-Hintergrund-Gliederung. 5 Das Korrelat trägt dabei häufig den Nuklearakzent und bildet den Fokusexponenten für den Kausalsatz. Zudem ermöglicht das Auftreten eines Korrelats die Auflösung von möglichen Skopusambiguitäten. Intonatorisch integrierte Adverbialsätze können im Skopus von Elementen aus dem Matrixsatz wie z.B. der Negationspartikel stehen. (4 a) Er hat sie nicht umgebracht, weil er sie liebt. (b) Er hat sie deshalb nicht umgebracht, weil er sie liebt. (c) Er hat sie nicht deshalb umgebracht, weil er sie liebt (sondern...) Während (4a) prinzipiell ambig ist, sind die Varianten (4b) und (4c) durch das Auftreten des Korrelats eindeutig, wobei im letzteren Fall eine kontrastive Negation vorliegt, die einer Fortsetzung bedarf. Da Korrelate im Fall der Adverbialsätze bewirken, dass diese Sätze keine eigene Intonationskontur haben und damit auch keine eigene Informationseinheit darstellen (siehe Pittner 1999, S. 224), kann das Fehlen von Korrelaten bei V1-Kausalsätzen dahingehend gedeutet werden, dass diese Sätze prinzipiell eigene Informationseinheiten darstellen, die nicht im Skopus von Elementen des vorangegangenen Satzes liegen können. 5 Vgl. Brandt (1989), die die Fokus-Hintergrund-Gliederung von komplexen Sätzen am Beispiel verschiedener Typen von Kausalsätzen behandelt, jedoch die V1-Kausalsätze nicht berücksichtigt. Karin Pittner 162 4. Keine Fokussierung möglich V1-Kausalsätze können nicht im Skopus von fokussierenden Elementen aus dem Bezugssatz liegen, wie etwa Fokuspartikeln oder Negationspartikeln bei kontrastierender Verwendung: (5 a) Er fuhr ihr nach Paris nur (deswegen) nach, weil er sie wieder einmal sehen wollte/ *wollte er sie doch wieder einmal sehen. (b) Er hat sie nicht geheiratet, weil er sie liebt (sondern weil er reich werden wollte)/ *liebt er sie doch. Auch die kausale Relation selber, die durch einen Akzent auf der Konjunktion fokussiert werden kann, wie etwa im Fall der weil-Sätze, kann bei den V1- Kausalsätzen mangels eines geeigneten betonbaren Elements nicht fokussiert werden: (6 a) Er fuhr ihr nach Paris nach, WEIL sie dort einen Liebhaber hatte/ *hatte sie DOCH dort einen Liebhaber. (b) Er fuhr ihr nach Paris nach, nicht OBWOHL, sondern WEIL sie dort einen Liebhaber hatte/ *sondern hatte sie doch dort einen Liebhaber. Die Fokussierung von Adverbialsätzen ist nur möglich, wenn diese mit dem Bezugssatz eine Informationseinheit bilden, da nur in diesem Fall eine gemeinsame Fokus-Hintergrund-Gliederung vorliegt, in der der Adverbialsatz (oder auch nur die adverbiale Relation) den Fokus und der Rest den Hintergrund bildet. Die Unmöglichkeit der Fokussierung kann also als Konsequenz davon gesehen werden, dass diese Sätze eigene Informationseinheiten darstellen, die nicht als Teil der Informationseinheit des Bezugssatzes aufgefasst werden können. Auch die Interpunktion liefert Hinweise auf die Unabhängigkeit der V1-Kausalsätze. Statt eines Kommas steht vor den V1-Kausalsätzen häufig ein Punkt, Doppelpunkt oder Gedankenstrich (vgl. Önnerfors 1997, S. 163). 6 5. Der Bedeutungsbeitrag von doch Das Ziel dieses Abschnitts ist es, zu zeigen, dass der Bedeutungsbeitrag von doch zu V1-Kausalsätzen exakt dem Beitrag der Modalpartikel in anderen Satztypen entspricht. 6 In meinem Sample von V1-Kausalsätzen aus den IDS-Korpora folgen von 14 V1-Kausalsätzen acht auf ein Komma, sechs auf einen Punkt. Subsidiäre Begründungen 163 Doch kann sowohl unbetont als auch betont im Mittelfeld verschiedener Satztypen auftreten. Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, wie betontes doch im Mittelfeld zu kategorisieren ist, 7 wie der Zusammenhang zwischen der betonten und unbetonten Variante zu erfassen ist und ob es einen gemeinsamen Bedeutungskern dieser Verwendungsweisen von doch gibt. Dies sind sehr interessante Fragestellungen, die jedoch in diesem Zusammenhang nicht weiter verfolgt werden müssen, 8 da doch in V1-Kausalsätzen stets als unbetontes Element auftritt. Lütten (1979) spricht bei unbetontem doch von einer Konsens-konstituierenden Partikel, die die Proposition im Prinzip als unkontrovers kennzeichnet und in dieser Hinsicht ähnlich wie ja funktioniert. Nach Meinung einer ganzen Reihe von Autoren verfügt doch neben dieser affirmativen noch über eine zweite Bedeutungskomponente, die als adversativ oder korrigierend gesehen wird. Doherty (1982, 1985) geht davon aus, dass doch eine positive Haltung (meist vom Sprecher) und eine negative Haltung (die in der Regel dem Rezipienten zugeschrieben wird) zur Proposition des Satzes ausdrückt. Thurmair (1989, S. 112) setzt die beiden Merkmale ‘bekannt’ und ‘Korrektur’ an. ‘Bekannt’ kann sich auf den Wissensstand des Hörers oder - in Fragen - auf den Wissensstand des Sprechers beziehen. Sie geht davon aus, dass Äußerungen mit doch Propositionen enthalten, die für den Hörer unkontrovers sind. In dieser Hinsicht ähnelt doch der Modalpartikel ja, die auch die Funktion hat, zu signalisieren, dass die Proposition dem Hörer oder der Hörerin schon bekannt und völlig unkontrovers ist. Aber bei doch liegt eine zusätzliche Annahme des Sprechers oder der Sprecherin vor, nämlich die, dass er oder sie Gründe hat anzunehmen, dass der Adressat die Proposition im Moment nicht berücksichtigt. Auf diese Weise beinhalte die Partikel eine Anweisung an den Adressaten, seine Annahmen und Erwartungen auf der Basis der ihm bereits bekannten Tatsachen zu korrigieren. Eine ähnliche Erklärung gibt Ormelius-Sandblom (1997), die für die Modalpartikel doch die zwei Bedeutungskomponenten „Affirmativität“ und „Adversativität“ ansetzt. Ihre Formel unter (7) drückt aus, dass in Sätzen mit der Modalpartikel die Proposition als Tatsache präsentiert wird, was von einer konventionellen Implikatur begleitet wird, dass eine im Kontext vorhandene Proposition q die Negation von p impliziert. 7 Thurmair (1989) spricht bei betontem doch von einem Affirmationsadverb, Meibauer (1994) liefert Argumente für einen Status als Modalpartikel. 8 Hierzu kann auf die Diskussion in Meibauer (1994) und Pittner (2007b) verwiesen werden. Karin Pittner 164 £# Ê ‹ ` ˜`®ª ‘ < ‹ - ‹- ¦ ‘ µ -˜  ’^^£ ˜ Š"# Önnerfors, der auf diese Beschreibung der Bedeutung von doch zurückgreift, sieht sich gezwungen, das Bedeutungselement der Adversativität als eine konversationelle Implikatur anzusehen, die in den V1-Kausalsätzen gelöscht wird, da sie kein Element der Adversativität enthalten. Es bleibt aber eher vage, aufgrund welcher Umstände diese „Widerspruchsimplikatur“ (Önnerfors 1997, S. 168) gelöscht wird. Seine Vermutung ist, dass die Streichung genau bei V1-Kausalsätzen möglich ist. Er belässt es bei etwas spekulativen Überlegungen, die die Gründe in der speziellen Kombination von Verberststellung, der Modalpartikel und zwei aufeinander folgenden Propositionen suchen, die kausal aufeinander beziehbar sind. Es bleibt unklar, wieso in V1- Kausalsätzen „die ‘Bezugsdomäne’ des rückverweisenden doch nicht, wie im Standardfall, der Kontext ist, sondern der Kotext, genauer: die Proposition des Bezugssatzes“ (ebd.). Die Annahme einer „rückverweisenden“ Modalpartikel erscheint problematisch, denn damit läge streng genommen gar keine Modalpartikel vor, sondern eher eine koordinierende Konjunktion bzw. ein Konjunktionaladverb. Önnerfors' Analyse kommt daher einer Einordnung von doch als Konnektor, wie sie von Pasch u.a. vorgeschlagen wurde, sehr nahe. In eine generellere Diskussion der Frage, ob es sinnvoll ist, einige der traditionell als Modalbzw. Abtönungspartikeln klassifizierten Elemente zu den Konnektoren zu rechnen, soll hier nicht eingetreten werden. Leider bleibt die Darstellung der Elemente, für die Pasch u.a. (2003, S. 579 und passim) dies postulieren (nämlich „uneingeschränkt“ für aber, denn, eh und etwa und teilweise eben auch für andere wie doch oder auch), dort etwas kursorisch. Hier sei nur kurz angemerkt, dass damit Unterschiede in der Verwendung verwischt werden, die auf bestimmte Grammatikalisierungsprozesse, wie die Entwicklung von Modalpartikeln aus Konjunktionen, zurückgehen. Während subordinierende Konjunktionen in der Regel Sätze miteinander verknüpfen, stellen Modalpartikeln nach Auffassung einiger Autoren Beziehungen zu Propositionen her, die implizit bleiben und dennoch als in der Kommunikationssituation präsent angesehen werden können. 9 Gut illustrieren lässt 9 Siehe Diewald (2007, S. 130f.) und die dort zitierte Literatur. Dort finden sich auch weitere Hinweise zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Konjunktoren und Modalpartikeln (alias Abtönungspartikeln). Subsidiäre Begründungen 165 sich der Zusammenhang der Verwendung als Konjunktion mit der Verwendung der Modalpartikel am Beispiel von aber, das als adversative Konjunktion zwei explizit ausgedrückte Propositionen miteinander verknüpft, und zwar in der Weise, dass die zweite Proposition einer Erwartung widerspricht, die durch die erste hervorgerufen wird. Die Modalpartikel aber, hier illustriert durch ihr Auftreten in einem Exklamativsatz, nimmt dagegen nicht Bezug auf eine explizit ausgedrückte Proposition, sondern auf eine implizite Erwartung, die dem Exklamativsatz in (8b) zugrunde liegt: (8 a) Er ist groß, aber nicht besonders stark. (b) Der ist aber groß! Mit dem Exklamativsatz wird also eine Abweichung von einer Erwartung ausgedrückt (z.B. hinsichtlich einer Größe), wobei diese Erwartung aber selbst nicht explizit versprachlicht wird. Aber nimmt Bezug auf die Diskrepanz zwischen dieser Erwartung und dem versprachlichten Sachverhalt. Eine ähnliche Diskrepanz zwischen einem momentanen Wissenszustand und einem versprachlichten Sachverhalt legt die weiter unten skizzierte Bedeutungsanalyse von doch nahe, die auch den Zusammenhang zur adversativen Konjunktion doch erkennen lässt. 10 Auch wenn man annimmt, dass es Modalpartikeln mit satzverknüpfenden Funktionen gibt, liegt ein entscheidender Nachteil der Analyse von Önnerfors in der Unmotiviertheit der Streichung der „adversativen“ Bedeutungskomponente von doch. Im Folgenden soll eine Bedeutungsanalyse von doch skizziert werden, die ohne die Annahme der Streichung einer Bedeutungskomponente oder „Widerspruchsimplikatur“ auskommt und seinen Charakter als Modalpartikel verdeutlicht. Eine Grundannahme ist dabei, dass sich Modalpartikeln von Konjunktionen dadurch unterscheiden, dass sie nicht wie Konjunktionen textuelle Bezüge, sondern Bezüge auf den Wissensstand und 10 Molnár (2002) sieht in der adversativen Konjunktion bzw. dem Adverb den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Modalpartikel doch, die bereits im Althochdeutschen belegt ist: „Das (logische) adversative Verhältnis von zwei Sätzen, das durch die Konjunktion oder durch das Adverb angezeigt werden konnte, wurde auf die kommunikative Situation übertragen, auf das Sprecher-Hörer-Verhältnis. So konnte die Präsupposition des Sprechers, dass nämlich der Hörer entgegengesetzter Meinung sein könnte, signalisiert werden.“ (ebd., S. 116). Karin Pittner 166 die Einstellungen der Beteiligten herstellen. 11 Sie entstehen durch einen Grammatikalisierungsprozess 12 aus anderen Wortarten, u.a. aus Konjunktionen, in dessen Verlauf ihre ursprüngliche lexikalische Semantik reduziert werden kann, wobei eine Stärkung ihrer pragmatischen Funktionen stattfinden kann. Vorzuziehen ist in jedem Fall eine Beschreibung der Bedeutung von doch, die für das Auftreten der Modalpartikel in allen Kontexten zutrifft und keine Elemente enthält, die in bestimmten Umgebungen gelöscht werden. Ansätze zu einer solchen Bedeutungsbeschreibung finden sich bei Lindner (1991), die den gemeinsamen Bedeutungskern aller Verwendungen der Modalpartikel doch wie folgt formuliert: 13 (9) (It is necessary that) If the speaker uses MP doch in an illocution type IT Ë · Ë  *  ’^^’ ˜ ’^! # ± Ë š  ¥ ` -  + ‚ „ Für Imperativsätze steht das erste Auftreten der Variable für die Proposition p, das zweite Mal für „bringing about p“. 14 Lindners Formulierung enthält kein Element des Widerspruchs bzw. der Adversativität, sondern bezieht sich lediglich auf aktuelle Bewusstseinszustände, wobei es sich dabei um das Bewusstsein des Sprechers oder des Hörers handeln kann. Pittner (2007b) zufolge signalisiert die unbetonte Modalpartikel doch stets, dass der benannte Sachverhalt im Kontext nicht präsent ist, dies jedoch korrigiert werden soll. Was es dabei bedeutet, im Kontext nicht präsent zu sein, lässt sich anhand des von Clark (1996) vertretenen Konzepts von „common ground“ explizieren. Clark führt eine Unterscheidung zwischen persönlichem und kulturellem „common ground“ ein. Kultureller „common ground“ exis- 11 Siehe dazu die Tendenzen der „pragmatischen Verstärkung“ während des Grammatikalisierungsprozesses, die Traugott (1988) herausgearbeitet hat. Ihr zufolge spielen für diesen Prozess drei semantisch-pragmatische Tendenzen eine Rolle: 1. Meanings based in the external described situation > meanings in the internal (evaluative, perceptive, cognitive) situation 2. Meanings based in the external or internal situation > meanings based in the textual situation 3. Meanings tend to become increasingly situated in the speaker's subjective belief-state/ attitude toward the situation. 12 Wegener (1997) zeigt, welche Eigenschaften der Modalpartikeln dafür sprechen, dass diese Partikeln durch Grammatikalisierung aus anderen Wortarten entstanden sind. 13 V1-Kausalsätze werden bei Lindner allerdings nicht explizit berücksichtigt. 14 Zu einer Kritik in Bezug auf die Anwendung auf Wunschsätze siehe Meibauer (1994, S. 112). Subsidiäre Begründungen 167 tiert zwischen den Mitgliedern von bestimmten Gruppen wie den Sprechern einer Sprache oder den Mitgliedern einer Nation oder Klasse. Ein persönlicher „common ground“ kann dagegen nur durch Interaktion zwischen Individuen zustande kommen und existiert daher nicht zwischen Fremden. Der persönliche „common ground“ ist zu unterscheiden vom „dialogue common ground“, der das aktivierte wechselseitige Wissen in einer aktuellen Interaktion ist und im Wesentlichen dem entspricht, was bei Thomason (1992) „conversational record“ genannt wurde. Der „dialogue common ground“ wird ständig aktualisiert und, wenn notwendig, revidiert durch eine Operation, die Clark „ground- °   $ «  ‹Ž‘ part of common ground well enough for current purposes.“ (Clark 1996, S. 221). Es kann davon ausgegangen werden, dass die Teilnehmer an einer Kommunikation auf einen generellen (kulturellen oder persönlichen) „common ground“ zurückgreifen können, dass die entsprechenden Annahmen, das gemeinsame Wissen etc. aber aktiviert werden müssen, um im „dialogue common ground“ wirksam zu werden. In Pittner (2007b) habe ich argumentiert, dass die Modalpartikel doch ein Element ist, das dem „grounding“ dient, indem es einen an sich unkontroversen Sachverhalt im „dialogue common ground“ verankert. Dies geschieht, indem der Sachverhalt des die Modalpartikel enthaltenden Satzes als unkontrovers (d.h. im „general common ground“ vorhanden oder zumindest damit kompatibel), aber als nicht im „dialogue common ground“ präsent gekennzeichnet wird. Kurz gesagt, signalisiert die Modalpartikel doch, dass eine Proposition des generellen „common ground“ im „dialogue common ground“ aktiviert werden soll. Je nach Satztyp soll dabei der Wissensstand des Sprechers oder des Hörers angepasst werden. Als gemeinsamer Bedeutungskern aller Verwendungsweisen der Modalpartikel doch im Sinne einer „metapragmatischen Anweisung“ (König 1997) kann Folgendes formuliert werden: (10) Ersetze p durch p Bevor gezeigt werden soll, wie doch mit den anderen Eigenschaften der V1- Kausalsätze bei der Konstitution der kausalen Bedeutung zusammenwirkt, möchte ich den Beitrag von doch zu verschiedenen Satztypen kurz erläutern. Da ich darauf in Pittner (2007b) ausführlicher eingehe, werde ich mich auf einige Beispiele beschränken. In Aussagesätzen signalisiert doch, dass das aktuelle Wissen des Hörers angepasst werden soll: Der Sprecher will dem Hörer etwas ins Bewusstsein rufen, von dem er annimmt, dass der Hörer es eigentlich weiß, aber momentan Karin Pittner 168 nicht berücksichtigt, oder dass es zumindest mit seinem Wissen kompatibel ist, wie in dem folgenden Beispiel: ’’# ‹ º • - ‘ 15 Du bist noch nicht groß genug. Du kannst doch nicht eine Flasche Wein allein austrinken. Indem der Sprecher im zweiten Satz doch verwendet, signalisiert er dem Jungen, dass er ihm etwas sagt, was er eigentlich weiß, an das der Junge im Moment aber nicht denkt. Bei Thurmair wird der Beitrag der Modalpartikel doch in Aussagesätzen treffend formuliert: „Das vom Sprecher beim Hörer angenommene Wissen wird durch den Gebrauch von doch weniger assertiert, sondern der Hörer wird angewiesen, dieses Wissen zu berücksichtigen.“ (Thurmair 1989, S. 112). In einer differenzierten Sichtweise von „common ground“, wie sie oben skizziert wurde, bedeutet dies, dass der Junge aufgefordert wird, seinen aktuellen Wissensstand, den „dialogue common ground“, aus dem „general common ground“ zu aktualisieren. Auch bei Imperativsätzen signalisiert doch eine Aufforderung, den Wissensstand anzupassen, wobei hier mit „Wissensstand“ das Wissen des Hörers über seine momentan beabsichtigten Handlungen gemeint ist. Der Sprecher geht davon aus, dass der Hörer die bezeichnete Handlung aktuell nicht geplant hat. Man könnte nun einwenden, dass Imperativsätze ohnehin nur dann verwendet werden, wenn der Hörer die Handlung nicht ohnehin ausführen würde, da sonst eine Verletzung der Maxime der Relation vorläge. Die spezielle Charakteristik von Imperativsätzen mit doch kann durch einen Vergleich mit Imperativsätzen, die andere Modalpartikeln wie eben, halt oder ruhig enthalten, verdeutlicht werden. Eben und halt treten in Imperativsätzen auf, die eine Handlung bezeichnen, die eine Konsequenz aus einer vorangegangenen Äußerung des Hörers sind: In Sätzen mit eben wird sie als die einzige mögliche Lösung dieses Problems präsentiert, in Sätzen mit halt als eine sehr plausible (siehe Thurmair 1989, S. 122ff.). Die Modalpartikel ruhig tritt in Aufforderungssätzen auf, wenn für den Sprecher ersichtlich oder leicht erschließbar ist, dass der Hörer bereits einen entsprechenden Handlungsplan hat (ebd., S. 187). In meinem Sample tritt doch sieben Mal in einem Imperativsatz auf, in dem der Hörer aufgefordert wird, mehr über ein bestimmtes Thema zu sagen (Erzählen Sie doch mal). In diesen Fällen ist es ziemlich klar, dass dies ein initi- 15 Beispiel aus dem IDS-Korpus ‘Deutsche Mundarten’ (leicht verändert). Subsidiäre Begründungen 169 ativer Sprechakt ist, der eine neue Sprechaktsequenz eröffnet, und dass der Hörer von sich aus aber nicht weiter zu diesem Thema sprechen würde. In diesem Sinn wird der Hörer aufgefordert, seinen „dialogue common ground” zu aktualisieren, indem er einsieht, dass es keine Gründe gibt, die Handlung nicht auszuführen und durch diese Einsicht nicht-p durch p zu ersetzen. Etwas anders verhält es sich in Fragesätzen. Doch kann in Informationsfragen, bei denen der Sprecher keine bestimmte Einstellung zur Wahrheit der Proposition hat, nicht auftreten. Tritt doch in Entscheidungsfragesätzen auf, so handelt es sich dabei um den besonderen Typ der assertiven Frage, gekennzeichnet durch die Verbzweitstellung, bei der der Sprecher eine positive Antwort erwartet. Nicht-p erscheint ihm als Möglichkeit, soll jedoch durch die Antwort auf die Frage durch p ersetzt werden (Du kommst doch morgen? ). Tritt doch in w-Fragen auf, so handelt es sich um deliberative Fragen, zu denen der Sprecher die Antwort momentan nicht weiß, obwohl sie ihm eigentlich bekannt ist (Wie hieß er doch noch? ), oder aber es sind rhetorische Fragen, mit denen signalisiert wird, dass die Antwort zum „general common ground“ gehört (Wie sagte doch Goethe so treffend? ). In beiden Fällen ist also die Proposition mit der instantiierten w-Variable im dialogue common ground nicht präsent, obwohl sie als im „general common ground“ bekannt vorausgesetzt wird. Auf diese Weise signalisiert doch in Fragesätzen die Ersetzung von nicht-p durch p. Im Fall der w-Fragen soll die Proposition mit einer Variable durch eine Proposition, in der die Variable instantiiert ist, ersetzt werden. Hier sollte verdeutlicht werden, dass doch immer auf eine Aktualisierung des „dialogue common ground“ hin ausgerichtet ist, wobei es sich je nach dem Satztyp, in dem die Modalpartikel auftritt, um den aktuellen Wissensstand des Hörers oder des Sprechers handeln kann. 16 Um aber den Bedeutungsbeitrag speziell von doch zu V1-Kausalsätzen verstehen zu können, muss zunächst auf die Funktion der Verbstellung näher eingegangen werden. 6. Verberststellung Ungewöhnlich ist die Verbstellung in V1-Kausalsätzen, da Verberststellung sonst bei unselbstständig auftretenden Sätzen auf Konditional- und Konzessivsätze beschränkt ist. Scholz (1991) hat aus diesem Grund sogar eine Interpretation dieser Sätze als Konditionalsätze in Erwägung gezogen, was 16 Das Zusammenwirken von doch mit dem Satzmodus anderer Satztypen wird in Pittner (2007b) diskutiert. Karin Pittner 170 aber nicht überzeugen kann. Konditional- und auch Konzessivsätze mit Verberststellung sind im Gegensatz zu den V1-Kausalsätzen in ihrer Position nicht eingeschränkt, da sie sowohl im Vorfeld als auch im Mittelfeld und Nachfeld auftreten können (siehe Pittner 1999). Da, wie bereits gezeigt wurde, V1-Kausalsätze keine Konstituenten des vorangehenden Satzes sind, ist die Verberststellung bei selbstständigen Deklarativsätzen in Betracht zu ziehen, der die Studie von Önnerfors (1997) gewidmet ist. V1-Kausalsätze nennt Önnerfors „Verb-erst-Deklarativsätze in der Funktion der inhaltlichen Begründung“. Wie Önnerfors in seiner umfassenden Studie zur Verberststellung bei Aussagesätzen zeigt, kann durch die Verberststellung in Deklarativsätzen eine enge Anbindung an den vorherigen Kontext bewirkt werden (ebd., S. 170). Aufgrund der fehlenden Konstituenteneigenschaften der hier interessierenden V1-Kausalsätze ist davon auszugehen, dass auch bei diesem Typ der deklarativen V1-Sätze durch die Verbstellung eine enge Anbindung an den vorangegangenen Satz hergestellt wird. Die Verberststellung trägt entscheidend zur pragmatischen Unterordnung der V1-Kausalsätze bei. Reis (2000) geht davon aus, dass V1-Deklarativsätze nur eine abgeschwächte assertive Kraft aufweisen. Sie argumentiert, dass mit V1- Deklarativsätzen „wahre Propositionen ausgesagt werden, während mit V2- ±˜ ‹± ‚ „ ˆ ¥ ‘   ° §‚  V1-Deklarativsätzen „der konstitutive Wahrheitsanspruch für die ausgedrückte Proposition im ‘Hintergrund’“ stehe, stehe er in V2-Deklarativsätzen „‘im Vordergrund’, so daß nur mit Deklarativen in V2-Form die Wahrheit des DS buchstäblich ‘assertiert’ werden“ könne (ebd., S. 224). Wendet man dies auf die V1-Kausalsätze an, so bedeutet dies, dass diese Sätze nicht primär der Assertion des von ihnen bezeichneten Sachverhalts dienen - dessen Wahrheit wird quasi vorausgesetzt -, sondern dass V1-Kausalsätze die Akzeptanz der Proposition des Bezugssatzes stützen sollen. 7. Das Zusammenspiel von Verbstellung und doch Mit der Beschreibung der Bedeutung der Verberststellung in Deklarativsätzen und der Bedeutungsanalyse von doch liegen nun die wichtigsten Ingredienzien vor, die am Zustandekommen der kausalen Interpretation der V1-Kausalsätze beteiligt sind. Der Partikel selbst kann keinerlei kausale Semantik zugeschrieben werden, wie auch Önnerfors (1997) bemerkt. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass eine kausale Beziehung zwischen zwei Sätzen auch ganz ohne lexi- Subsidiäre Begründungen 171 kalische Markierung durch ein Räsonnement hergestellt werden kann, wie (12a) zeigt: (12 a) Hans konnte gestern nicht kommen. Er war krank. (b) Hans konnte gestern nicht kommen. Er war doch krank. (c) Hans konnte gestern nicht kommen, war er doch krank. Dass eine kausale Relation auch ohne Modalpartikel oder eine explizite lexikalische Markierung der Kausalität erschlossen werden kann, muss im Blick behalten werden, wenn man den Beitrag der Modalpartikel bestimmt. In (12b) kennzeichnet sie den Sachverhalt des zweiten Satzes als unkontrovers, aber momentan nicht präsent. Während jedoch in (12b) der Sachverhalt durch die Verbzweitstellung als selbstständiges Faktum assertiert wird, fehlt dem zweiten Satz in (12c) durch die V1-Stellung die volle Kraft einer eigenen Assertion, zudem signalisiert die V1-Stellung eine enge Anbindung an den vorangehenden Satz. 17 Die enge Anknüpfung des V1-Satzes an den vorangehenden Satz lässt auf der Basis der Relevanzmaxime den Schluss zu, dass ein enger inhaltlicher Zusammenhang zwischen beiden Sätzen besteht. Die Art des Bezugs zum vorangegangenen Satz kann erst durch die Modalpartikel erschlossen werden. Ihr kommt hier genau die gleiche Funktion zu, wie sie für die Modalpartikel doch in anderen Satztypen skizziert wurde. Sie kennzeichnet den Sachverhalt als im Prinzip bekannt bzw. unkontrovers (also als Teil des „general common ground“ oder als zumindest kompatibel damit), aber zugleich auch als im aktuellen Kontext („dialogue common ground“) nicht präsent. Dies stimmt mit der eingangs schon zitierten Beschreibung von Engel (2004, S. 147) überein, dass V1-Kausalsätze „einen allgemein akzeptierten oder zu akzeptierenden Grund“ nennen. Die Sachverhalte, die zur Stützung eines anderen, eventuell kontroversen Sachverhalts dienen sollen, müssen 17 Die enge Anbindung zeigt sich auch darin, dass der V1-Kausalsatz nicht in einen eigenen Turn verlegt werden kann, wie das bei einem V2-Satz, der doch enthält, möglich ist, der als Antwort auf eine Frage auftreten könnte: (i) A: Konnte Hans gestern nicht kommen? - B: Er war doch krank. Die Äußerung von B benennt einen Grund dafür, dass Hans nicht kommen konnte und stellt damit eine implizite Antwort auf die Frage von A dar. Dies ist mit einem V1-Kausalsatz nicht möglich: (ii) A: Konnte Hans gestern nicht kommen? - B: *War er doch krank. V1-Kausalsätze setzen eine explizite oder implizite Assertion (z.B. in einer rhetorischen Frage) im Vorgängersatz voraus, siehe dazu Abschnitt 9. Karin Pittner 172 selbst relativ unkontrovers sein, da ihre Erwähnung sonst vielleicht eher zu einer Ablehnung des im Bezugssatz formulierten Sachverhalts führen würde. Es überrascht daher nicht, wenn auch die affirmative Partikel ja in solchen Kausalsätzen auftreten kann, was aber auf frühere Sprachstufen beschränkt ist (siehe Önnerfors 1997, S. 158 und die dort zitierte Literatur). Die Partikel doch hat die Partikel ja in dieser Funktion völlig verdrängt. Aufgrund der „adversativen“ Bedeutungskomponente von doch, die hier expliziert wurde als Diskrepanz zwischen dem aktuellen Wissensstand und dem „general common ground“, scheint diese Partikel für diese Funktion besser geeignet zu sein als ja. Wenn die Sachverhalte im V1-Kausalsatz auch unkontrovers sein müssen, so können sie andererseits aber im Moment als nicht aktiviert gelten, denn in diesem Fall wäre ihre Erwähnung zur Stützung des Sachverhalts nicht notwendig, da sie ohnehin als präsent vorausgesetzt werden können. Warum ist die Modalpartikel in V1-Kausalsätzen nun aber in jedem Fall obligatorisch? Der Grund für das obligatorische Auftreten der Modalpartikel ist in einer Unterdetermination der Relation des V1-Satzes zum Bezugssatz zu sehen. Die Art der Relation wird erst durch die Modalpartikel, die einen Argumentationszusammenhang herstellt, gekennzeichnet. Sie kennzeichnet einen Sachverhalt als nicht präsent, aber unkontrovers. Indem der Rezipient auf einen Sachverhalt hingewiesen wird, der als unkontrovers, aber in seinem momentan aktualisierten Wissen nicht präsent gekennzeichnet wird, kann in Zusammenhang mit der engen Anbindung an den Bezugssatz durch die V1- Stellung die Relation der stützenden Begründung erschlossen werden. 18 Doch nimmt Bezug auf den aktuellen Wissensstand des Rezipienten und enthält die Anweisung, diesen dem Kommunikationsziel entsprechend zu aktualisieren. Die Obligatorizität der Modalpartikel kann darauf zurückgeführt werden, dass sie eine Interpretation des V1-Satzes als Konditionalsatz verhindert, da sie einerseits die Proposition als gültig kennzeichnet und zudem anzeigt, dass diese Proposition selbstständig mit der Wissensbasis des Rezipienten interagiert und nicht als Teil einer anderen Proposition, nämlich der Proposition des Bezugssatzes aufzufassen ist. Inwieweit dies bedeutet, dass V1-Kausalsätze eigene Illokutionen tragen, wird in Abschnitt 9 zu diskutieren sein. 18 Dabei kommt eine Tendenz zum Tragen, die von Riedl (1990) experimentell nachgewiesen wurde. Er beobachtet, dass zwischen zusammen auftretenden Ereignissen ein Kausalnexus hergestellt wird, falls keine andere „Interpretationsvorschrift“ vorliegt (vgl. auch Wöllstein 2008, S. 56). Ähnliches gilt dann auch für in unmittelbarer Nachbarschaft versprachlichte Ereignisse, wie die kausale Interpretation der Satzfolgen in (12) zeigt. Subsidiäre Begründungen 173 8. Die Nachstellungsrestriktion - ein Deutungsversuch Für die V1-Kausalsätze gilt eine strikte Nachstellungsrestriktion: Sie können stets nur nach ihrem Bezugssatz auftreten. Zur Nachstellungsrestriktion ist zu bemerken, dass diese nicht völlig ungewöhnlich ist, sondern auch bei anderen Typen von Adverbialsätzen auftritt. Dazu gehören die Konsekutivsätze und sogenannte „prospektive“ um-Sätze, die Leys (1988) zufolge Teil eines Verlaufsschemas sind, in dem der zweite Teil die Fortsetzung des ersten darstellt, wobei Bestimmtheit bzw. Vorbestimmtheit vorliegt. (13 a) Es hatte stark geregnet, so dass wir alle klatschnass wurden. (a') *So dass wir alle klatschnass wurden, hatte es stark geregnet. (a'') *Es hatte, so dass wir alle klatschnass wurden, stark geregnet. (14 a) Er siedelte nach München um, um dort schließlich überfahren zu werden. (a') *Um dort schließlich überfahren zu werden, siedelte er nach München um. (a") *Er siedelte, um dort schließlich überfahren zu werden, nach München um. Bei den Konsekutivsätzen handelt es sich um eine Restriktion, die für diesen Satztyp generell gilt. Kneip (1978) argumentiert, dass Konsekutivsätze weniger „Folgesätze“ sind, sondern eher Schlussfolgerungen darstellen und sieht für die obligatorische Nachstellung dieser Sätze ikonische Motivation (ebd.). Eine ikonische Motivation kann auch für die Nachstellungsrestriktion bei prospektivem um angenommen werden, das ja stets eine zeitliche Abfolge impliziert. 19 Für Kausalsätze gibt es dagegen keine generelle Restriktion dieser Art: Kausalsätze mit weil oder mit gewissen Einschränkungen auch da sind frei positionierbar. Die Stellungsbeschränkung der V1-Kausalsätze ist daher in besonderen Verwendungsbedingungen dieser Sätze zu suchen, die jedoch nicht für Kausalsätze generell gelten. In der Nachstellungsrestriktion kann ein Hinweis auf syntaktische Subordination gesehen werden, da es zwischen selbstständigen Sätzen keine derartigen Abfolgebeschränkungen gibt. 20 Allerdings muss 19 Ikonische Motivation für die Stellung von Temporalsätzen zeigt Diessel (2005, S. 463) auf, der konkurrierende Faktoren bei der Positionierung von Adverbialsätzen diskutiert. 20 Ein Vorteil der Beschreibung von doch als Konnektor könnte darin gesehen werden, dass Konnektoren Sätze an vorangehende Sätze anknüpfen können, wie dies z.B. bei koordinierenden Konjunktionen der Fall ist, woraus sich dann auch eine Erklärung für die Nachstellungsrestriktion ergeben würde. Allerdings wurde hier argumentiert, dass die Anknüpfung an den vorangehenden Satz durch die Verberststellung geleistet wird. Allenfalls könnte da- Karin Pittner 174 festgehalten werden, dass es sich hierbei um die einzige Eigenschaft handelt, die als Hinweis auf eine Subordination in syntaktischer Hinsicht gewertet werden kann. Im Folgenden soll eine Erklärung dieser Nachstellungsrestriktion aus der pragmatischen Funktion dieser Sätze skizziert werden. Wenn sich die Nachstellungsrestriktion im Fall der V1-Kausalsätze nicht auf eine ikonische Motivation zurückführen lässt, wie etwa bei den obligatorisch nachgestellten Konsekutivsätzen, stellt sich die Frage nach anderen Erklärungsmöglichkeiten. Pittner (1999, S. 237) argumentiert, dass eine Vorfeldstellung der V1-Kausalsätze voraussetzen würde, dass es sich um kontextuell präsente Hintergrundinformationen handelt. 21 Da aber der Inhalt dieser Sätze durch doch als im Kontext nicht präsent gekennzeichnet ist, könnten diese Sätze, da sie nicht-fokussierbare Hintergrundinformationen enthalten, nur nachgestellt auftreten. Die Nachstellungsrestriktion lässt sich aus den besonderen pragmatischen Funktionen dieser Sätze erklären, die keine rahmensetzende, orientierende Funktion, wie sie bei satzinitialen Adverbialsätzen Ford (1993) zufolge häufig zu finden ist, sondern eher eine Art Reparaturfunktion ausüben. Ford (1994) untersucht die Verwendung von nachgestellten Kausalsätzen mit because im Englischen sowohl in der gesprochenen als auch in der geschriebenen Sprache. Sie stellt fest, dass nachgestellte Kausalsätze in der gesprochenen Sprache häufig verwendet werden, um eine nicht-präferierte Reaktion im Rahmen einer Sprechaktsequenz zu begründen und diese Reaktion auf diese Weise für den Hörer akzeptabler zu machen. Ausgehend von dieser Beobachtung stellt sie die These auf, dass den nachgestellten Kausalsätzen in der geschriebenen Sprache eine ähnliche Funktion zukommt. Sie beobachtet, dass Kausalsätze häufig nach kontrastierenden und negativen Sätzen vorkommen und schreibt ihnen die Funktion zu, die Wirkung dieser Sätze, die in gewisser Weise Erwartungen der Rezipienten zuwiderlaufen, abzuschwächen und sie dadurch akzeptabler zu machen, dass Gründe für den im vorangehenden Satz benannten Sachverhalt nachgeliefert werden. Dies deutet sie als eine Art Dialog mit einem projizierten Rezipienten: „in the more monologic and edited text sampled here, the use of because seems to regularly result from an internal dialogue with an intended recipient“ (Ford 1994, S. 549). her also der Verbstellung ein Status als Satzverknüpfer zugewiesen werden, womit dieser Begriff jedoch über lexikalische Kategorien hinaus erweitert werden würde. 21 Dies wird gestützt durch folgende Beobachtung von Diessel (2005, S. 463f.): „Temporal and causal clauses precede the main clause if they function to provide a thematic ground for the subsequent discourse.“ Subsidiäre Begründungen 175 Fords These von einem internen Dialog erhält durch die Modalpartikel in entsprechenden deutschen V1-Kausalsätzen Nahrung, für die es in den übrigen germanischen Sprachen keine Entsprechung gibt. Durch die Modalpartikel wird auf den Wissensstand des Rezipienten Bezug genommen, der aktualisiert werden soll, was als ein kleiner Dialog gedeutet werden kann. Es ist davon auszugehen, dass V1-Kausalsätze genau die von Ford festgestellten Funktionen von nachgestellten Kausalsätzen im Englischen erfüllen und den Sachverhalt im Vordersatz akzeptabler machen. Es ergibt keinen Sinn, eine noch nicht gemachte Aussage schon „reparieren“ zu wollen, erst einmal muss der potenzielle Störfaktor in der Kommunikation auftreten, bevor er beseitigt werden kann. In diesem Sinn kann also die Nachstellungsrestriktion als Reflex der pragmatischen Funktion dieser Sätze gedeutet werden. Entscheidend ist aber auch, dass die Verberststellung in Deklarativsätzen eine Anbindung an den unmittelbar vorhergehenden, nicht jedoch an den nachfolgenden Satz leisten kann. Die V1-Kausalsätze sind durch die Verberststellung inhaltlich eng an den vorangehenden Bezugssatz geknüpft, ohne jedoch zu einer Konstituente dieses Satzes zu werden. Wie schon erwähnt, könnte in der Nachstellungsrestriktion ein Hinweis auf eine Subordination der V1-Kausalsätze gesehen werden, da selbstständige Sätze normalerweise keinen syntaktischen Stellungsrestriktionen in Bezug auf andere selbstständige Sätze unterliegen. Ansonsten fehlen jedoch alle Hinweise auf syntaktische Subordination, so dass sich die Frage stellt, worin die Nebensatzeigenschaften bestehen, die diese Sätze aus der „Hauptsatz-Nebensatz-Einteilung praktisch herausfallen lassen“, wie Reis (1985, S. 285) konstatiert. 9. Pragmatische Unterordnung Im Folgenden soll dafür argumentiert werden, dass V1-Kausalsätze pragmatisch untergeordnet sind. Brandt (1989) zufolge, die die Subordination zu den wichtigsten Mitteln der kommunikativen Gewichtung zählt, enthalten Nebensätze, die selbstständige Informationseinheiten darstellen, im Vergleich zu ihrem Bezugssatz eine weniger wichtige Information, eine „Hintergrundinformation“. 22 Vordergrund- und Hintergrundinformationen sind dabei Elemente einer „Reliefgebung“ (Hartmann 1984), einer Art von globaler In- 22 Dies gilt nicht für subordinierte Sätze, die zusammen mit ihrem Bezugssatz eine Informationseinheit bilden, innerhalb derer sie den fokussierten Teil darstellen können. Karin Pittner 176 formationsstruktur, deren Gegenstück auf lokaler Ebene die Fokus-Hintergrund-Gliederung innerhalb einer Informationseinheit ist. „Die kommunikative Gewichtung als Phänomen der globalen Informationsstrukturierung äußert sich darin, daß g a n z e Informationen relativ zueinander hervorgehoben oder heruntergestuft werden. Ihr lokales Gegenstück ‹ ‘  - -ª -•   š  ª  ª unterstufung innerhalb der Informationseinheit maßgeblich zuständig ist.“ (Brandt 1994, S. 15) Geht man also davon aus, dass V1-Kausalsätze und ihre Vordersätze in irgendeinem Sinn ein Satzgefüge bilden, so enthalten die V1-Sätze weniger wichtige Informationen. 23 Ich möchte nun einen Schritt weiter gehen und zeigen, dass V1-Kausalsätze nicht nur eigene Informationseinheiten darstellen, sondern auch eigene Illokutionen tragen können. Es wurde kontrovers diskutiert, ob Nebensätze, die eigene Informationseinheiten darstellen, auch eigene Illokutionen ausdrücken, denen in einer Illokutionshierarchie eine stützende Funktion gegenüber der im Hauptsatz ausgedrückten Illokution zukommt. In der Regel kann man davon ausgehen, dass subordinierte Sätze keine eigene Illokution ausdrücken, sondern quasi unter den Illokutionsoperator des übergeordneten Satzes fallen. Wie schon deutlich wurde, sind die Hinweise auf eine syntaktische Unterordnung der V1-Kausalsätze äußerst mager. Es scheint daher keine müßige Fragestellung zu sein, ob sie eigene Illokutionen beinhalten. Wenn man nachweisen kann, dass dies so ist, kann das als ein weiterer Hinweis auf die Selbstständigkeit dieser Sätze gewertet werden. Als heuristisches Kriterium zur Identifizierung von illokutionstragenden sprachlichen Einheiten soll zunächst angesetzt werden, dass alles, was nicht unter den Illokutionsoperator einer anderen Einheit fallen kann, eine eigene Illokution enthält, da es andernfalls ja sprachliche Äußerungen ohne Illokution gäbe. 24 Nun könnte aber die Tatsache, dass V1-Kausalsätze und ihre 23 Weil-Kausalsätze können entweder eigene Informationseinheiten darstellen oder aber zusammen mit ihrem übergeordneten Satz eine Informationseinheit bilden. Dies kann entweder durch die Intonation oder auch durch Partikeln wie nämlich eindeutig gekennzeichnet werden. Im Fall der da-Kausalsätze kann dagegen davon ausgegangen werden, dass sie in der Regel Hintergrundinformation enthalten (Brandt 1989). Für diese Auffassung spricht, dass bei da-Sätzen kaum ein Korrelat auftreten kann, das die Begründung fokussieren würde. 24 Der Umkehrschluss gilt jedoch nicht: Elemente, die normalerweise unter einen Illokutionsoperator einer anderen Einheit fallen können, können unter bestimmten Bedingungen auch eigene Illokutionen tragen. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn ein Element, das eine Konstitu- Subsidiäre Begründungen 177 Bezugssätze in der Regel beide im Deklarativmodus stehen, Anlass zu der Vermutung geben, dass V1-Kausalsätze stets unter den Illokutionsoperator des vorangehenden Satzes fallen. Hier gilt es zunächst zu zeigen, dass diese Übereinstimmung im Satzmodus nicht ausnahmslos gilt und anschließend einen Erklärungsansatz für die beobachteten Beschränkungen im Satzmodus zu skizzieren. Dass V1-Kausalsätze ausnahmslos im Deklarativmodus stehen, ist auf ihre pragmatische Funktion zurückzuführen: Da sie eine Begründung liefern, die zur Stützung der Aussage im vorangegangenen Satz dient, muss der genannte Sachverhalt (zumindest schwach) assertiert sein und kann nicht als Frage, Befehl, Wunsch etc. formuliert werden, da er ja in diesem Fall nicht als wahr und unkontrovers vorausgesetzt werden könnte und seinen Zweck so verfehlen würde. Wie sieht es aber nun mit den Modusbeschränkungen des vorangehenden Satzes aus? Da eine Begründung für den Sachverhalt im Bezugssatz geliefert wird, die seine Akzeptanz stützen soll, würde es auch hier wieder keinen Sinn ergeben, diesen Sachverhalt als Frage zu formulieren und damit seinen Wahrheitswert offen zu lassen. Allerdings scheint eine rhetorische Frage durchaus möglich zu sein, wie die folgenden Beispiele illustrieren: (15 a) Wer wollte ihm das glauben? - Ist er doch einer der am wenigsten vertrauenswürdigsten Leute in der ganzen Gruppe. (b) Den deutschen Lesern erscheint die Comédie humaine Bellows, übrigens eines Bewunderers der deutschen Literatur, niemals fremd oder gar exotisch. Wie sollte sie es auch? Erzählt er doch von Menschen, die, irrend, solang sie streben, erkennen wollen, was die Welt im Innersten zusammenhält. (Marcel Reich-Ranicki in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Nr. 21, 24.5.09, S. 27) Da diese rhetorischen Fragen eine Aussage enthalten, ist es möglich, sie durch die Angabe einer Begründung zu stützen. Dass V1-Kausalsätze prinzipiell in einem anderen Satzmodus stehen können als der vorangehende Satz, zeigt, dass sie als selbstständige Informationseinheiten prinzipiell illokutionstragend sein können. 25 ente des umgebenden Satzes darstellt, durch Pausen oder Gedankenstriche als Parenthese markiert wird. In diesem Fall kann dieses Element auch eine eigene Illokution tragen, vgl. das folgende Beispiel aus Pittner (1995): (i) Denn nicht zuletzt liegt es - auch? - daran, wie wir Sachen anpacken. 25 Ein anonymer Gutachter weist darauf hin, dass dies noch nicht beweist, dass sie immer eigene Illokutionen tragen. Karin Pittner 178 Für die Beziehungen verschiedener Illokutionen untereinander werden hierarchische Verhältnisse angesetzt: Nach Brandt/ Rosengren (1992) treten in der Illokutionsstruktur von Texten dominante und stützende Sprechhandlungen auf. Stützende Illokutionen, die „direkt darauf abzielen, den Erfolg der dominierenden Illokution zu sichern“ (ebd., S. 18), bezeichnen sie als subsidiär. 26 Hier soll dafür argumentiert werden, dass V1-Kausalsätze eigene Illokutionen enthalten, denen eine stützende Funktion zukommt. Die V1-Kausalsätze benennen einen als unkontrovers betrachteten Sachverhalt, der die Akzeptanz der Proposition des Bezugssatzes fördern soll, und können damit als subsidiäre Sprechhandlung gelten. Auch durch die fehlende Integration in den Bezugssatz und die damit einhergehende fehlende Fokussierbarkeit können diese Sätze nicht als Kern der Aussage missverstanden werden. Vielmehr ist durch diese Eigenschaften ihre subsidiäre Relation zum Bezugssatz deutlich markiert. Damit bieten V1-Kausalsätze eine Möglichkeit der Disambiguierung in der geschriebenen Sprache, die in der gesprochenen Sprache durch die Intonation möglich ist. Ein Grund dafür, warum V1-Kausalsätze in konzeptionell mündlicher Sprache kaum oder gar nicht auftreten, kann also darin liegen, dass in der gesprochenen Sprache andere Mittel herangezogen werden können, um das Informationsgewicht einer Begründung zu kennzeichnen. 27 Der hybride Charakter der V1-Kausalsätze zwischen Koordination und Subordination ergibt sich also daraus, dass diese Sätze nicht in einem strengen Sinn syntaktisch subordiniert, jedoch pragmatisch untergeordnet sind. Sie stellen Hintergrundinformationen und subsidiäre Sprechhandlungen des Begründens dar, die die Akzeptanz der Proposition ihres Bezugssatzes sichern sollen. 26 Neben subsidiären sehen Brandt/ Rosengren (1992) auch stützende Illokutionen vor, die sie als komplementär bezeichnen und die nur indirekt auf die Erfolgsbedingungen von Illokutionen zielen, wobei diese Unterscheidung jedoch nicht völlig klar wird (siehe Schröder 2003, S. 8ff. für eine neuere Auseinandersetzung mit den Vorschlägen von Brandt/ Rosengren). 27 In einem aus den IDS-Korpora extrahierten Sample von jeweils 60 Belegen von Sätzen mit der Modalpartikel doch in der geschriebenen und gesprochenen Sprache finden sich 14 Belege für V1-Kausalsätze in der geschriebenen, jedoch keine in der gesprochenen Sprache. Subsidiäre Begründungen 179 10. Zusammenfassung der Ergebnisse Es wurde gezeigt, dass die kausale Bedeutung der hier behandelten V1-Sätze durch ein Zusammenspiel der obligatorischen Modalpartikel doch und der Verbstellung zustande kommt. Der Beitrag der Modalpartikel liegt darin, den in dem V1-Satz erwähnten Sachverhalt als unkontrovers, d.h. mit dem gemeinsamen Hintergrundwissen kompatibel, jedoch momentan nicht aktiviert zu kennzeichnen. Sie enthält die Anweisung, eine im aktuellen Dialogkontext nicht präsente Proposition, die aber mit dem Hintergrundwissen der Kommunikationsteilnehmer kompatibel ist, zu berücksichtigen. Da der Bedeutungsbeitrag von doch genau dem der Modalpartikel in anderen Satztypen entspricht und auch keine positionellen Unterschiede vorliegen, erscheint eine Klassifikation von doch als Konnektor mit idiosynkratischen Eigenschaften als nicht gerechtfertigt. Die hier vorgeschlagene Analyse bietet zudem den Vorteil, dass der Zusammenhang der Modalpartikel mit der adversativen Konjunktion doch deutlich wird und auf die Annahme einer kausalen Bedeutung von doch verzichtet werden kann. Durch die V1-Stellung wird ein enger Bezug zu dem vorangehenden Satz hergestellt, der jedoch unterdeterminiert bleibt. Ein kausales Verhältnis wird nicht explizit benannt, sondern muss erschlossen werden. Die kausale Bedeutung dieser Sätze wird inferiert aus ihrem engen Bezug zu dem vorangegangenen Satz, ihrer durch die V1-Stellung ausgedrückten abgeschwächten assertiven Kraft und der Modalpartikel doch, die den Sachverhalt als zwar unkontrovers, aber als im aktuellen Bewusstseinszustand des Hörers nicht aktiviert kennzeichnet. Es wurde argumentiert, dass V1-Kausalsätze eigene Illokutionen enthalten, die jedoch aufgrund ihrer abgeschwächten assertiven Kraft und der Anbindung an den vorangehenden Satz eine subsidiäre Rolle einnehmen. Die mit V1-Kausalsätzen ausgedrückten Begründungen dienen dazu, die Akzeptanz des Sachverhalts im vorangehenden Satz zu stützen. Da V1-Kausalsätze keine Konstituenteneigenschaften aufweisen und auch nicht intonatorisch oder durch Korrelate in den vorangehenden Satz integriert werden können, sind sie nicht syntaktisch, jedoch pragmatisch subordiniert. Karin Pittner 180 11. Literatur Altmann, Hans (1993): Satzmodus. In: Jacobs, Joachim / Stechow, Arnim von / Sternefeld, Wolfgang / Vennemann, Theo (Hg.): Syntax. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. 1. Halbbd. Berlin: de Gruyter, S. 1006-1029. Brandt, Margareta (1989): Zur Fokus-Hintergrund-Gliederung in komplexen Sätzen. In: Sprache und Pragmatik 13, S. 43-53. Brandt, Margareta (1994): Subordination und Parenthese als Mittel der Informations- + < $ ˜  ¥ " ˜ ’-"£ ‹ © $ Motsch, Wolfgang (Hg.) (1996): Ebenen der Textstruktur. 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Besonders schwierig ist die Ermittlung einer Grundbedeutung, die für alle Satzmodi gelten soll. Unabhängig vom theoretischen Ansatz ist man sich über Folgendes einig: Schon kann je nach syntaktischer Position und Kontext nicht-modal oder modal interpretiert werden. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, der Frage nachzugehen, welche Faktoren für die Lesart von schon bestimmend sind. An Löbner anknüpfend (1990, S. 107-113) wird die These vertreten, dass neben der Syntax die inhärente Zeitstruktur des Verbs in Interaktion mit Tempus, Modus und Zeitangaben eine große Rolle bei der Interpretation von schon spielt. Die Tatsache, dass schon im Gegensatz zu Partikeln wie ja und doch, die aus rein deiktischen Elementen stammen, eine temporale Komponente (vgl. hierzu Diewald/ Ferraresi 2008; Ferraresi 2006) enthält, macht die These plausibel, dass die temporale Bedeutungskomponente von schon mit den weiteren Elementen interagiert, die zur zeitlichen Strukturierung des Satzes beitragen. Der Aufsatz ist wie folgt aufgebaut: Im ersten Teil wird ein Überblick über das Stellungsverhalten und die Verwendungen von schon gegeben. Im zweiten Teil wird das Korpus beschrieben. Im dritten Teil folgt die Auswertung des Korpus. Dabei wird in zwei Schritten vorgegangen. Erstens werden die Belege nach der syntaktischen Position von schon klassifiziert. Zweitens wird auf die Frage nach der Interaktion zwischen Aspekt des Satzes im Sinne von Löbner (1990, S. 107-113) und nicht-modaler bzw. modaler schon-Lesart eingegangen. 1 Ich danke recht herzlich Vahram Atayan für die kritischen Hinweise und wertvollen Anregungen zu einer früheren Fassung dieses Aufsatzes. Mein Dank gilt auch zwei anonymen Gutachtern für wertvolle Hinweise und konstruktive Vorschläge. Manuela Caterina Moroni 184 1. Syntaktisches Verhalten und Grundbedeutung von schon In der Literatur wird schon unterschiedlichen Wortklassen zugeschlagen. Betrachten wir zur Illustration die Beispiele (1) bis (5). Adverbkonnektor: (1) Kein Monat ist seit dem Amtsantritt von Barack Obama vergangen, und schon wirbt er wieder um die Unterstützung des Volkes. http: / / www.sueddeutsche.de/ politik/ 97/ 457754/ text/ (Stand: Februar 2009) Fokuspartikel: (2a) Schon die Samstagsausgabe der Bild-Zeitung prophezeite, dass die neueste Folge von „Wetten, dass...“ keine gewöhnliche werden würde [...] http: / / www.sueddeutsche.de/ kultur/ 289/ 455961/ text/ (Stand: Februar 2009) (2b) Seit Tagen schon wird innerhalb und außerhalb der Partei heftig debattiert, ob und wie die Regierung unter Angela Merkel auf die Wirtschaftskrise weiter reagieren soll. http: / / www.sueddeutsche.de/ politik/ 999/ 449725/ text/ (Stand: Februar 2009) (2c) Die Osnabrückerin Steiner, die die Landespartei schon seit Januar 2007 führt, kündigte einen harten Bundestagswahlkampf um die Atompolitik an. http: / / www.welt.de/ welt_print/ article3170878/ Kuenast-Die-Asse-zeigt-dass-Atomausstieg-sein-muss.html (Stand: Februar 2009) Modalpartikel: (3) Auf den Einladungen der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit für die bevorstehende „Woche der Brüderlichkeit“ steht noch das Motto „So viel Aufbruch war nie“. Derzeit wird aber mehr von Abbruch als von Aufbruch geredet. Alles nur ein Missverständnis? Angela Merkel, die christdemokratische Kanzlerin, hat schon recht: Es braucht glasklare Klarstellungen aus Rom. Die Enttäuschung über diesen Papst wächst. http: / / www.sueddeutsche.de/ politik/ 336/ 456998/ text/ (Stand: Februar 2009) Fokussiertes schon - Affirmationsadverb (Thurmair 1989, S. 146) oder Modalpartikel (Meibauer 1994, S. 186): (4) „Wir leben in einer Gesellschaft voller Vorurteile“, erklärt sie [= Kate Winslet] gleich zu dem ewig virulenten Schönheitsthema, „und es macht mich traurig, dass jeder nur noch über seine Außenwirkung definiert wird. Wäre es nicht schön, wenn wir alle so frei und wir selbst sein könnten, nicht länger als zwei Minuten am Tag über unsere Kleidung nachzudenken? “ Zur nicht-modalen und modalen Lesart von schon 185 Kate Winslet kann das schon - fast. Ihr unkorrekter Humor jedenfalls wird nicht gegen sie verwendet - sie ist nach fünf vergeblichen Nominierungen bei den Oscars schlicht an der Reihe. http: / / www.sueddeutsche.de/ kultur/ 607/ 457268/ text/ (Stand: Februar 2009) Antwortpartikel (Duden 2005, S. 603): (5) SZ: Ob Sie eine ernsthafte Schauspielerin werden? Engelke: Haben Sie bei „Ladyland“ gar nicht viel gelacht? SZ: Schon, aber der Schwerpunkt liegt auf dem „ernsthaft“. Können Sie auch ohne Komik? http: / / www.sueddeutsche.de/ panorama/ 438/ 374248/ text/ 3/ (Stand: Februar 2009) Anhand der hier angeführten Beispiele gehe ich in den folgenden zwei Abschnitten jeweils auf Syntax und Semantik von schon ein. 1.1 Syntax Im Handbuch der deutschen Konnektoren von Pasch u.a. (2003, S. 513; 553- 554; 579) wird schon als nicht positionsbeschränkter Adverbkonnektor klassifiziert. Demnach kann es folgende syntaktische Positionen einnehmen: (i) Schon kann alleine das Vorfeld besetzen wie in Beispiel (1) und kann ohne Bedeutungsveränderung ins Mittelfeld verschoben werden: (1) / KEIN Monat ist seit dem / AMTsantritt von Barack O/ BAma vergangen, und / SCHON wirbt er wieder um die Unterstützung des VOL\kes 2 http: / / www.sueddeutsche.de/ politik/ 97/ 457754/ text/ (Stand: Februar 2009) (1a) / KEIN Monat ist seit dem / AMTsantritt von Barack O/ BAma vergangen, und er wirbt schon wieder um die Unterstützung des VOL\kes. Der Unterschied zwischen (1) und (1a) betrifft die Informationsstruktur. Während schon in (1) mit dem Vorfeld eine informationsstrukturell hochprominente Position besetzt (vgl. Lambrecht 1994, S. 31f.) und dazu einen steigenden Akzent trägt, steht schon in (1a) mitten in einem unbetonten und somit in den Hintergrund der Information gerückten Abschnitt. (ii) Schon kann im Vorfeld einer Konstituente voran- oder nachgestellt sein wie in den Beispielen (2a)-(2b). 2 An den Stellen, wo die Akzentuierung relevant ist, werden Akzente durch Großschreibung der Akzentsilbe gekennzeichnet. Dabei steht der steigende Schrägstrich „/ “ vor der Akzentsilbe für einen steigenden Akzent und der fallende Schrägstrich „\“ nach der Akzentsilbe für einen fallenden Akzent. Manuela Caterina Moroni 186 (iii) Schon kann im Mittelfeld stehen. Dies ist in den Beispielen (2c), (3) und (4) der Fall, wobei es in (4) Fokus-Akzent tragen muss: (4a) / KAte Winslet kann das SCHON\ In Beispiel (5) ist schon syntaktisch isoliert und trägt Akzent. Darauf komme ich weiter unten zurück. 1.2 Semantik Als Konnektor im engeren Sinne, d.h. als Element, das zwei Sätze verknüpft, dient schon nur in Beispiel (1). Seine Verknüpfungsfunktion kann in Anlehnung an Löbner (1990, S. 115) durch folgende Paraphrase explizit gemacht werden: In dem temporalen Auswertungskontext, in dem der Sachverhalt KEIN MONAT IST SEIT DEM AMTSANTRITT VON BARAK OBAMA VER- GANGEN 3 faktisch ist, ist für den (im zweiten Konnekt kodierten) Sachverhalt BARAK OBAMA WIRBT UM DIE UNTERSTÜTZUNG DES VOLKES die Grenze von nicht-faktisch zu faktisch überschritten. Die durch die zwei Konnekte kodierten Sachverhalte KEIN MONAT IST SEIT DEM AMTSANTRITT VON BARACK OBAMA VERGANGEN und BARAK OBAMA WIRBT UM DIE UNTERSTÜTZUNG DES VOLKES werden also durch schon miteinander verknüpft, indem der erste Sachverhalt den Auswertungskontext für die Faktizität des zweiten liefert. Schon, wie alle Adverbkonnektoren, beeinflusst die Syntax seiner Konnekte nicht (vgl. Pasch u.a. 2003, S. 521). Die Verknüpfung, die durch schon zustande kommt, ist nicht syntaktischer, sondern referenzieller Art (vgl. Blühdorn 2008, S. 66). Der Adverbkonnektor schon bildet eine Konstituente seines zweiten Konnekts und zeigt lediglich an, dass links von ihm das erste Konnekt der Verknüpfung zu suchen ist. Fungiert schon als Fokuspartikel wie in den Beispielen (2a) bis (2c), kodiert es die gleiche semantische Relation wie in (1). So kann (2a) etwa wie folgt paraphrasiert werden: Für die Samstagsausgabe der Bildzeitung ist für den Sachverhalt DIE BILD-ZEITUNG PROPHEZEITE, DASS DIE NEUESTE FOL- GE VON „WETTEN, DASS...“ KEINE GEWÖHNLICHE WERDEN WÜRDE die Grenze von nicht-faktisch zu faktisch überschritten. 3 Sachverhalte werden durch Großschreibung gekennzeichnet. Zur nicht-modalen und modalen Lesart von schon 187 Bei der Verwendung von schon als Fokuspartikel, ist der Auswertungskontext, in dem für den kodierten Sachverhalt die Grenze von nicht-faktisch zu faktisch überschritten ist, nicht durch einen Satz (das erste Konnekt), sondern durch eine Konstituente unterhalb der Satzebene kodiert, in (2a) durch die Nominalphrase die Samstagsausgabe der Bildzeitung, in (2b) und (2c) jeweils durch die Präpositionalphrasen seit Tagen und seit Januar 2007. Auch die Bedeutung von schon als Modalpartikel in Beispiel (3) kann mit Rückgriff auf Löbners Grenzüberschreitung erklärt werden mit dem Unterschied, dass bei der Modalpartikelverwendung schon als „indexikalisches Sprachzeichen“ (Diewald 2006, S. 407) funktioniert, d.h. das erste Konnekt von schon bleibt implizit, wobei nicht Sachverhalte, sondern modale Objekte (Propositionen) verknüpft werden. Demnach kann Beispiel (3) wie folgt paraphrasiert werden: Im epistemischen Auswertungskontext des Sprechers ist für die kodierte Proposition ‘Angela Merkel, die christdemokratische Kanzlerin, hat Recht’ 4 die Grenze von nicht-wahr zu wahr überschritten. Dabei wird der epistemische Auswertungskontext eines hypothetischen Adressaten mitgedacht, in dem für die besagte Proposition die Grenze von nicht wahr zu wahr nicht überschritten ist. In (4) und (5) trägt schon Akzent. Auch in diesen Verwendungsweisen kodiert schon eine Grenzüberschreitung auf der epistemischen Ebene der Satzsemantik, die zusätzlich durch den fallenden Akzent fokussiert, d.h. in den Vordergrund der Information gesetzt wird. Beleg (4) kann wie folgt paraphrasiert werden: Das, was Kate Winslet dem Journalisten sagt, legt es nahe, dass in ihrem epistemischen Auswertungskontext für die Proposition ‘Kate Winslet kann frei und sich selbst sein, nicht länger als zwei Minuten am Tag über ihre Kleidung nachzudenken’ die Grenze von nicht-wahr zu wahr NICHT überschritten ist. Der Journalist hingegen hebt durch das fokussierte schon hervor, dass in seinem epistemischen Auswertungskontext für diese Proposition die Grenze von nicht-wahr zu wahr überschritten ist. Beispiel (5) kann wie folgt paraphrasiert werden: Anke Engelkes Frage an den SZ-Journalisten legt es nahe, dass im epistemischen Auswertungskontext von Anke Engelke für die Proposition ‘der SZ-Journalist hat bei „Ladyland“ viel gelacht’ die Grenze von nicht-wahr zu wahr NICHT überschritten ist. Durch fokussiertes schon hebt der SZ-Journalist hingegen hervor, dass in seinem epistemischen Auswertungskontext für diese Proposition die Grenze von nichtwahr zu wahr überschritten ist. 4 Propositionen werden in einfache Einführungsstriche gesetzt. Manuela Caterina Moroni 188 1.3 Zusammenfassung An den hier illustrierten Beispielen wird Folgendes deutlich: (i) In allen schon-Verwendungen ist die semantische Komponente der Grenzüberschreitung erkennbar. Schon verweist stets auf den Auswertungskontext, bei dem die Grenzüberschreitung eines Sachverhalts bzw. einer Proposition von nicht-faktisch bzw. nicht-wahr zu faktisch bzw. wahr überschritten ist. Bei der Verwendung als Adverbkonnektor wird der Faktizitätskontext durch das erste Konnekt kodiert. Bei der Verwendung als Fokuspartikel wird der Faktizitätskontext durch eine Konstituente unterhalb der Satzebene kodiert. In allen anderen Verwendungen handelt es sich um den epistemischen Kontext des Sprechers. Mitgedacht wird der epistemische Auswertungskontext des Adressaten, bei dem die Grenzüberschreitung nicht gilt. (ii) In Verwendungen wie in den Beispielen (1) bis (2c) operiert schon auf der Sachverhaltsebene der Satzsemantik. In Verwendungen wie in den Beispielen (3) bis (5) operiert schon auf der modalen Ebene. (iii) Das Vorfeld ist der nicht-modalen Lesart von schon vorbehalten. In anderen Worten, steht schon alleine oder mit einer Konstituente im Vorfeld, kann es nur nicht-modal interpretiert werden. (iv) Das Mittelfeld lässt sowohl die nicht-modale als auch die modale Lesart von schon zu. In den folgenden Abschnitten wird an einer Korpusanalyse gezeigt, wie Syntax und semantische Signale in der Umgebung von schon, vor allem die inhärente Zeitstruktur des Verbs, Tempus und Modus, miteinander bei der Kodierung der schon-Lesart interagieren. 2. Das Korpus Für die vorliegende Untersuchung wurden die ersten 200 schon-Vorkommen aus dem Freiburger Korpus der Datenbank Gesprochenes Deutsch des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim 5 ausgewertet. Es handelt sich um eine Sammlung von Interviews, Reportagen und privaten Gesprächen, die zwischen 1960 und 1974 an der Forschungsstelle Freiburg des Instituts für Deutsche Sprache gesammelt und transkribiert wurden. Da die modale schon-Lesart satzmodusbeschränkt ist (vgl. Thurmair 1989, S. 146-154), mussten die 5 Die Datenbank Gesprochenes Deutsch ist frei zugänglich unter der Internetadresse http: / / dsav-oeff.ids-mannheim.de/ DSAv/ ZUGANG1.HTM . Für eine ausführliche Beschreibung der Datenbank Gesprochenes Deutsch verweise ich auf Fiehler/ Wagener (2005, S. 139ff.). Zur nicht-modalen und modalen Lesart von schon 189 Korpusbelege zunächst nach Satzmodus klassifiziert werden. Tabelle 1 zeigt, wie die schon-Vorkommen auf die Satzmodi verteilt sind: schon-Vorkommen Aussagesätze 138 Entscheidungsfragesätze 9 (Nebensätze unterschiedlichen Typs) 53 ; 200 Tab. 1 In den 9 Entscheidungsfragen und 53 Nebensätzen unterschiedlichen Typs weist schon eindeutig eine nicht-modale Lesart auf. Da also im Korpus modale schon-Vorkommen nur in Aussagesätzen auftreten, konnte der Frage nach den Faktoren, die die schon-Lesart steuern, nur in Bezug auf diesen Satzmodus nachgegangen werden. Aus der Literatur ist aber bekannt, dass die modale Lesart von schon nicht nur in Aussagesätzen möglich ist, sondern zumindest auch in Ergänzungsfrage- und Imperativsätzen. 3. Auswertung der Korpusdaten Im Korpus sind 16 schon-Vorkommen, die aufgrund ihrer Syntax eindeutig nicht-modal interpretiert werden. Darüber hinaus sind 5 Vorkommen syntaktisch isoliert bzw. stehen in elliptischen Konstruktionen. Die übrigen 179 Belege stehen im Mittelfeld. Davon weisen 25 eine modale und 154 eine nichtmodale Lesart auf. Tabelle 2 fasst diese Verteilung zusammen: schon-Vorkommen im gesamten Korpus 200 davon im Vorfeld, mit einer Konstituente im Nachfeld oder in einer Präpositionalphrase 16 syntaktisch isoliert 5 im Mittelfeld 179 davon mit modaler Lesart 25 davon mit fallendem Fokus-Akzent 3 mit nicht-modaler Lesart 154 Tab. 2 Manuela Caterina Moroni 190 In Abschnitt 3.1 wird auf die 16 Vorkommen, die im Vorfeld, Nachfeld oder in einer Präpositionalphrase stehen, eingegangen. In Abschnitt 3.2 werden die Belege im Mittelfeld analysiert. 3.1 Syntax Im Korpus werden zunächst die Belege gesucht, in denen schon aufgrund seiner syntaktischen Stellung nur nicht-modal interpretiert werden kann. Es handelt sich lediglich um 16 von 200 Vorkommen. Hierzu ein Beispiel für jede belegte syntaktische Position, die die nicht-modale Lesart erzwingt: Vorfeld: (6) und da zeigte George Best wie man Tore erzielt er ließ ganz einfach zwei HSVer stehen und schoß dann flach an Öczan vorbei ins Tor (Pause) da war nichts zu halten und schon stand es Null-zu-Eins zum Entsetzen der Hamburger Zuschauer (FR013 Fußballspiel Hamburger SV gegen Manchester United. Reportage.) 6 Vorfeld mit nachgestellter Bezugskonstituente: (7) ich gehöre zu den Mitarbeitern im Rahmen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Pause) als Chefredakteur der Neuen-Gesellschaft bin ich mit Brandt verbunden denn er ist Herausgeber der Neuen-Gesellschaft schon daraus ergibt sich eine enge Verbindung aber auch im Rahmen sonstiger Arbeiten innerhalb der Sozialdemokratischen-Partei arbeite ich mit Willi Brandt zusammen (FR032 Beruf und Person Leo Bauers. Interview.) Vorfeld mit vorangestellter Bezugskonstituente: (8) nun seit Tagen schon gingen Meldungen durch die Zeitungen (Pause) Gerüchte gingen von Mund zu Mund und seit zehn Uhr heute Morgen realisieren sich diese Gerüchte (FR038 Bundeswehrübung in Wales. Reportage.) Ausgeklammert mit vorangestellter Bezugskonstituente: (9) die geschichtliche Entwicklung hat ein derartiges Tempo angenommen in unserer Generation schon (Pause) und in ihrer Generation wird sich das Tempo wahrscheinlich noch beschleunigen (FR009, Gespräch über die Denkschrift der EKD . Diskussion.) 6 Die Dialoge des Freiburger-Korpus sind von FR001 bis FR222 fortlaufend nummeriert. Zur nicht-modalen und modalen Lesart von schon 191 In einer Präpositionalphrase: (10) die Frage der Teilnahme war hier auch bei der Pressekonferenz der Teilnahme der sagen wir mal Drittpartner eben der der der Befreiungsfront und der Südvietnamesen war auch Gegenstand der hiesigen Pressekonferenz die Nordvietnamesen haben wieder mit der eben schon stereotyp mit der schon stereotypen Antwort daß nur der bedingungslose Bombenstop irgendwelche weiteren Verhandlungen zuließ geantwortet (FR039 Telefongespräch Washington - Paris über das Vietnamproblem. Interview.) 3.2 Aspekt des Satzes Im diesem zweiten Schritt der Korpusanalyse werden die 179 Belege mit schon im Mittelfeld analysiert. Von den 25 schon-Vorkommen im Mittelfeld mit modaler Lesart tragen drei einen fallenden Fokus-Akzent. Von den 154 Belegen mit nicht-modaler Lesart trägt keiner einen fallenden Fokus-Akzent. Bei der Ermittlung der Interaktion zwischen Aspekt des Satzes und schon- Lesart werden die drei modalen schon-Vorkommen mit fallendem Fokus-Akzent zunächst außer Acht gelassen. Darauf komme ich in Abschnitt 3.2.3 zurück. 3.2.1 Theoretische Grundlage In seiner Studie setzt Löbner (1990, S. 107-113) die Semantik von schon in Relation zum Aspekt des Satzes. Unter Aspekt des Satzes versteht Löbner das Zusammenspiel von der lexikalisch kodierten Zeitstruktur des Verbs (Aktionsart) und deren eventuellen Modifizierung durch Modus, Tempus und weitere Elemente wie z.B. Adverbialia. Sätze können imperfektiv oder perfektiv sein. Imperfektive Sätze beschreiben einen Zustand, der zu einer bestimmten Zeit herrscht. Der Zustand kann statisch wie in (11) (11) Sie ist zu Hause. oder dynamisch sein wie in (12) (12) Sie joggt. Perfektive Sätze beschreiben hingegen ein abgeschlossenes Ereignis wie z.B. (13) (13) Er ist um 17: 00 abgefahren. Manuela Caterina Moroni 192 Ausschlaggebend für die Perfektivität bzw. Imperfektivität eines Satzes ist die inhärente lexikalische Zeitstruktur des Verbs. Zur Einordnung der lexikalischen Zeitstrukturen von Verben stütze ich mich auf die Klassifikation von Vendler (1967) in der Weiterentwicklung von Rothstein (2007, S. 8-11). In der untersten Zeile der Tabelle werden die Tests exemplifiziert, durch die die inhärente Zeitstruktur eines Verbs ermittelt werden kann: lexikalische Zeitstruktur des Verbs Aktionsarten Eigenschaften atelisch telisch statischer Zustand dynamischer Zustand (Aktivität) Achievement Accomplishment in Berlin sein lachen erwachen schreiben blond sein * Peter ist am in Berlin sein. Peter ist am Lachen. aber *Peter lachte in einer Stunde. * Sie erwacht in einer Stunde. (nur Zukunftslesart möglich) Sie schreibt die Email in einer Stunde. (im Sinne von ‘sie braucht eine Stunde’) UND Sie war die Email am Schreiben. * Peter ist zwei Wochen lang blond (Eigenschaft) vs. Peter ist zwei Wochen lang in Berlin (Zustand) Tab. 3 Bei atelischen Verben, die im Ind. Präteritum, Perfekt oder Plusquamperfekt stehen, können Sätze perfektiv sein. Ein Beispiel: (14) (Kontext: Melli hat ihn gefragt, ob es stimmt, dass sie nächstes Jahr selbst auf Tour gehen. „Ja geplant haben wir's“ „Wo? “ „[...] Wir fangen an bei uns im Saarland, da machen wir sechs Stück, ja dann mal schauen.“ Wir haben ihm dann Frankfurt oder noch besser Kassel vorgeschlagen.) Daraufhin hat er gelacht. http: / / www.chicks-artists.de/ dokumente/ tourb_pod_kref.html (Stand: November 2009) Lachen ist an sich ein atelisches Verb des Typs Aktivität (dynamischer Zustand). Die Perfektform ergibt einen perfektiven Satz. Umgekehrt können telische Verben in einem imperfektiven Satz stehen wie in (15) (15) Damals erwachte er häufig schweißgebadet mitten in der Nacht. Zur nicht-modalen und modalen Lesart von schon 193 Der Quantifikator häufig ist dafür zuständig, dass in Satz (15) ein wiederkehrendes Ereignis und somit eine Art Zustand kodiert wird. Solche Fälle sind in meinem Korpus allerdings nicht belegt. 3.2.2 Verteilung der schon-Vorkommen im Hinblick auf den Aspekt des Satzes Hier gehe ich der Frage nach, auf welche Weise der Aspekt des Satzes im Sinne von Löbner (1990, S. 107-113) die Lesart von schon steuert. Zusätzlich zu Aktionsarten und Eigenschaften unterscheide ich auch Modalverben in ihrem nicht-epistemischen bzw. epistemischen Gebrauch. Über die Aktionsart der Modalverben des Deutschen und ihre Relation zum Aspekt des Satzes herrscht in der Literatur keine Einigkeit. Abraham (2005, S. 248-252; 2001, S. 17) 7 hat gezeigt, dass die Ereignisstruktur der Modalverben wollen, müssen, sollen und mögen in nicht epistemischem Gebrauch Ähnlichkeiten mit der der telischen Vollverben aufweist. Nach dieser Auffassung wären also diese Modalverben 8 in ihrer nicht-epistemischer Verwendung den telischen Verben zuzuschlagen. Modalverben in epistemischer Verwendung wären den atelischen Verben zuzuordnen. Zur Relation zwischen Modalverben und Aspekt des Satzes gilt nach Abraham (2001, S. 11) Folgendes: Die Telizität des regierten Verbs erzwingt die nicht-epistemische Lesart der Modalverben. Bei atelischen Verben können Modalverben hingegen nicht-epistemisch oder epistemisch interpretiert werden. Während Modalverben in nicht-epistemischer Verwendung in perfektiven Sätzen stehen können, sind Modalverben in epistemischem Gebrauch nur mit Imperfektivität verträglich. Mit Diewald 9 (1999, S. 18f., 259) halte ich es für plausibel, dass Modalverben (in nicht-epistemischem und epistemischem Gebrauch) grundsätzlich einen Zustand denotieren. Daher müssten sie m. E. den atelischen Verben zuge- 7 Ein anonymer Gutachter hat mich auf die Komplexität des Themas Modalverben-Aktionsart-Aspekt und auf die Arbeiten von Abraham zu diesem Thema hingewiesen. Dafür möchte ich mich bei ihm bedanken. 8 Können hat in dieser Hinsicht einen Sonderstatus, vgl. hierzu Abraham (2005, S. 251). 9 Diewald (1999, S. 19) schreibt hierzu: „Die Modalverben sind in jedem Fall stative Verben: sie denotieren einen Zustand [...]. Im nicht-deiktischen Gebrauch [d.h. im nicht-epistemischen Gebrauch, MM] ist dies der modale Zustand des Satzsubjekts, im deiktischen Gebrauch [d.h. im epistemischen Gebrauch, MM] ist dies der aktuelle Faktizitätswert der Proposition“. Weiter heißt es bei Diewald (ebd., S. 259) in Bezug auf den nicht-epistemischen Gebrauch der Modalverben: „er muss einen Brief schreiben bedeutet nicht ‘er schreibt einen Brief’ [...] sondern es prädiziert über das Subjekt den Zustand des Direktive-bekommen- Habens bezüglich des inneren Ziels, also in diesem Fall des Briefschreibens.“ Manuela Caterina Moroni 194 schlagen werden. Da aber auf Modalverben die Tests zur Ermittlung der lexikalischen Zeitstruktur von Verben (Tabelle 3) nicht anwendbar sind, werden sie für die vorliegende Untersuchung als separate Gruppe betrachtet. Bei jedem Satz wird dann nach der Aktionsart des regierten Verbs und dem Kontext bestimmt, ob es sich um einen perfektiven oder imperfektiven Satz handelt. Tabelle 4 zeigt die Verteilung der (nicht-akzentuierten) modalen schon- Vorkommen auf imperfektive bzw. perfektive Sätze. modale Lesart von schon im Mittelfeld Verb Ind. Präsens Ind. Futur Konj. II ; Imperfektive Sätze atelisch 1 1 2 Eigenschaft 11 11 Modalverb 7 2 9 ; 19 1 2 22 Perfektive Sätze 0 Tab. 4 Als Vergleich schauen wir die Verteilung der schon-Vorkommen mit nichtmodaler Lesart an: nicht-modale Lesart von schon im Mittelfeld Verb Ind. Präs. Ind. Prät. Ind. Perf. Ind. Pperf. Konj. II Î ; Imperfektive Sätze atelisch 21 9 3 33 94 Eigenschaft 36 10 1 47 Modalverb 7 4 1 2 14 Perfektive Sätze telisch 2 12 27 7 2 50 60 atelisch 1 6 2 9 Modalverb 1 1 ; 66 37 37 9 5 154 154 Tab. 5 Schon mit modaler Lesart ist nur in imperfektiven Sätzen belegt. Im Vergleich dazu ist schon mit nicht-modaler Lesart sowohl in imperfektiven als auch in perfektiven Sätzen belegt und weist eine breitgefächerte Verteilung auf Aktionsarten bzw. Eigenschaften und Verbformen auf. Zur nicht-modalen und modalen Lesart von schon 195 Für alle Sätze des Korpus mit modalem schon gilt Folgendes: (i) Die inhärente Zeitstruktur des Verbs ist entweder atelisch oder eine Eigenschaft, oder das Verb ist ein Modalverb, das wiederum ein atelisches Verb oder eine Eigenschaft regiert. (ii) Das Verb steht in den meisten Fällen (in 19 von 22 Belegen) im Indikativ Präsens. (iii) Der Aspekt des Satzes ist durchgängig imperfektiv, d.h. es wird ein dynamischer bzw. statischer Zustand (auch durch ein Modalverb) oder eine Eigenschaft beschrieben. Hierzu zwei Beispiele: Imperfektiver Satz, Indikativ Präsens, Eigenschaft (16) großartige Einzelleistung des Rechtsaußen von Manchester-United und ich glaube dieser Georg Best ist schon das Eintrittsgeld wert (FR013 Fußballspiel Hamburger SV gegen Manchester United. Reportage.) Imperfektiver Satz, Indikativ Präsens, atelisches Verb (17) Hellfritz marschiert durch die englischen Reihen wird ein bißchen links abgedrängt und bringt das Leder doch noch an den Querbalken von dort springt es allerdings zurück und niemand is zur Stelle der HSV spielt schon eifrig aber im Sturm fehlte das Verständnis (FR013 Fußballspiel Hamburger SV gegen Manchester United. Reportage.) In imperfektiven Sätzen im Indikativ Präsens ist modales schon auch mit Modalverben belegt. In 6 von 7 Fällen handelt es sich um Modalverben in ihrer nicht-epistemischen Verwendung. Die regierten Verben sind atelisch oder kodieren eine Eigenschaft. Hierzu zwei Beispiele: Imperfektiver Satz, Indikativ Präsens, Modalverb müssen in nicht-epistemischer Verwendung + atelisches Verb aufpassen (18) das sind jetzt zwei Spieler des HSV die ohne Rückennummern spielen und wir müssen schon genau aufpassen damit wir die richtigen Spieler erwischen (FR013 Fußballspiel Hamburger SV gegen Manchester United. Reportage.) Imperfektiver Satz, Indikativ Präsens, Modalverb können in epistemischer Verwendung + atelisches Verb (19) wie hat man sogar im vergangenen Jahr in Hessen gesagt? Marx hat in seinem ganzen Leben sicher nich mal ne Ziege oder Kuh gemolken das das Manuela Caterina Moroni 196 weiß ich nich ob er das gemacht hat aber ich habe geantwortet liebe Leute das kann schon sein aber ihr seid bißchen ungerecht nich wahr Marx hat zumindestens folgendes gewußt daß man die Macht erobern muß daß man Bündnis mit den Bauern machen muß (FR018 Landwirtschaft in der DDR . Interview.) Genauso wie modales schon kann auch nicht-modales schon in imperfektiven Sätzen im Indikativ Präsens mit atelischen Verben, Eigenschaften oder Modalverben auftreten. Es muss also ermittelt werden, welche Faktoren bei einer durch diese drei Eigenschaften gekennzeichneten Umgebung für die schon- Lesart entscheidend sind. Wir konzentrieren uns also zunächst auf die schon- Vorkommen in dieser Umgebung. Sie sind wie folgt verteilt: schon-Vorkommen im Mittelfeld von imperfektiven Sätzen mit Verb im Indikativ Präsens schon-Lesart atelisch Eigenschaft Modalverb ; modal 1 11 7 19 nicht-modal 21 36 7 64 ; 22 47 14 83 Tab. 6 Bei genauerer Betrachtung der Umgebung, in der die 64 nicht-modalen schon- Vorkommen auftreten, stellt man fest, dass die nicht-modale Lesart von schon durch die Assoziation mit einer Zeitangabe in Form von einem Satz bzw. einer Konstituente oder mit einer Skala ausgelöst wird. Die Zeitangabe, die die nicht-modale Lesart von schon begünstigt, kann als typische Bezugskonstituente der Fokuspartikel auftreten und zu schon direkt adjazent stehen (wie in den oben diskutierten Beispielen (2a) bis (2c)) oder sie kann aber auch in Distanzstellung zu schon stehen. Beispiele: Zeitangabe in Distanzstellung rechts (20) der hat den Lauf drei geschmissen das ist eine Leistung weil er ja auch schon sehr müd ist gegen Abend für den langen Lauf (FR014 Faschingsbrauchtum in der Steiermark. Erzählung.) Zeitangabe als Nebensatz in Distanzstellung links (21) sobald ein Romanentwurf solch ein Schema fertig ist ist es schon wieder überholt muß ein neues anfangen (FR012 Schulklassengespräch mit Günter Grass. Interview.) Zur nicht-modalen und modalen Lesart von schon 197 Skala (an den Publikumszurufen - an der Stimme des Berichterstatters - an dem, was der Berichterstatter sagt) (22) das Spiel sie hören es schon an den Publikumszurufen is jetzt doch ein bißchen ruhiger geworden (FR013 Fußballspiel Hamburger SV gegen Manchester United. Reportage.) Auch in Sätzen mit Modalverben sind Angaben, die mit schon assoziiert werden, für seine nicht-modale Interpretation verantwortlich. Darüber hinaus regieren alle Modalverben, die in imperfektiven Sätzen mit Verb im Indikativ Präsens und nicht-modalem schon stehen, ein telisches Verb. Hierzu ein Beispiel: Imperfektiver Satz, Indikativ Präsens, Modalverb können in nicht-epistemischer Verwendung + telisches Verb: (23) und die Titelverteidigerin Rosemarie Seidel gleichfalls vom Europapokalsieger DTC Kaiserberg sie unterlag im Viertelfinale Inge Harst doch nun zwanzig zu vierzehn der Stand für Agnes Simon ein Punkt trennt sie noch von der deutschen Meisterschaft sie kann ihn jetzt vielleicht schon machen (FR006. Deutsche Einzelmeisterschaften in Tischtennis. Reportage.) Wenn man die Verteilung der modalen schon-Vorkommen mit der der nichtmodalen vergleicht, kann man Folgendes feststellen: In imperfektiven Sätzen ist sowohl die modale als auch die nicht-modale Lesart belegt. Insbesondere scheinen imperfektive Sätze mit Verben im Indikativ Präsens eine Umgebung zu bilden, die für beide schon-Lesarten in gleichem Maße geeignet ist. Das Vorhandensein von Zeitangaben bzw. Skalen, mit denen schon assoziiert werden kann, begünstigt die nicht-modale Lesart. An dieser Stelle ist es angebracht, (wenn auch nur kurz) auf den Begriff der Skala und dessen Relation zur Semantik von schon einzugehen. Unter Skala versteht man eine Alternativenmenge, die hierarchisch organisiert ist. Zum Beispiel kann eine Skala temporaler Art sein und aus chronologisch angeordneten Zeitpunkten bestehen. In seiner nicht-modalen Lesart kodiert schon eine Grenzüberschreitung auf der Faktizitätsebene der Satzsemantik. Schon kann eine „reine“ Grenzüberschreitung kodieren, ohne dass eine Skala eröffnet wird. D.h. zur Debatte steht lediglich, ob etwas im einem bestimmten Auswertungskontext schon der Fall ist oder (wie präsupponiert) noch nicht der Fall ist. Löbner (1990, S.110) spricht hierzu von Satzpolarität bzw. einfachen polaren Alternativen. Steht schon alleine im Vorfeld, kann es nur eine einfache Manuela Caterina Moroni 198 Grenzüberschreitung kodieren. Keine Skala wird eröffnet. Steht schon im Mittelfeld, ist die Lage komplizierter. Hier kann schon mit einer Konstituente assoziiert werden, die als ein Punkt auf einer Skala interpretiert wird. D.h., in diesem Fall kodiert schon nicht nur eine polare Alternative, sondern verweist auch auf andere kontextuell erschließbare Alternativen, die hierarchisch angeordnet sind und eine Skala bilden. Die Skala, die typischerweise mit schon assoziiert ist, ist temporaler Art, wie in (2b) und (2c). Sie kann aber auch nicht-temporal sein, wie in (22). Die Skala wird eröffnet, wenn schon als Fokuspartikel verwendet wird. Wenn schon mit seiner Bezugskonstituente im Vorfeld steht, kann es nur als Fokuspartikel fungieren und eine Skala wird also immer eröffnet. Wenn schon aber im Mittelfeld steht, muss jeder Fall durch den Kontext disambiguiert werden. Dies kann erfolgen, indem man einen Test anwendet. Er ist auf Sätze anwendbar, bei denen breits klar ist, dass ein nichtmodales schon vorliegt. Test: Kann der Satz negiert werden, indem man schon durch noch nicht ersetzt, so dient schon als Adverbkonnektor, es assoziiert mit keiner Konstituente und keine Skala wird eröffnet. Wenn schon durch erst ersetzt werden kann, so liegt die Fokuspartikel schon vor und eine Skala wird eröffnet. Wenden wir den Test auf Beleg (23) an: (23) und die Titelverteidigerin Rosemarie Seidel gleichfalls vom Europapokalsieger DTC Kaiserberg sie unterlag im Viertelfinale Inge Harst doch nun zwanzig zu vierzehn der Stand für Agnes Simon ein Punkt trennt sie noch von der deutschen Meisterschaft sie kann ihn jetzt vielleicht schon machen (FR006. Deutsche Einzelmeisterschaften in Tischtennis. Reportage.) (23a) […] sie kann ihn jetzt vielleicht noch nicht machen (23b) […] sie kann ihn jetzt vielleicht erst machen Wenn die Negation von (23) durch (23b) erfolgt, dann wird (23) so verstanden, dass schon sich auf jetzt bezieht und somit als Fokuspartikel mit Bezugskonstituente (jetzt) in Distanzstellung fungiert. Dabei werden bei der Interpretation weitere Zeitpunkte des Wettkampfs mitgedacht. Wird (23a) als Negation von (23) interpretiert, so kodiert schon in (23) eine einfache polare Alternative und keine Skala wird eröffnet. Im gegebenen Kontext erscheint mir die einfache polare Alternative plausibler. Schauen wir nun die schon-Vorkommen in imperfektiven Sätzen, in denen das Verb nicht im Indikativ Präsens steht. Im Vergleich zu den Vorkommen in imperfektiven Sätzen mit Verb im Indikativ Präsens, insgesamt 83, handelt es sich um lediglich 33 Belege. Diese sind wie folgt verteilt: Zur nicht-modalen und modalen Lesart von schon 199 schon-Vorkommen im Mittelfeld von imperfektiven Sätzen mit Verb NICHT im Indikativ Präsens schon-Lesart Verb Ind. Prät. Ind. Perfekt Ind. Plus- Perfekt Ind. Futur I Konj. II ; modal atelisch 1 1 nicht-modal atelisch 9 3 12 modal Eigenschaft 0 nicht-modal Eigenschaft 10 1 11 modal Modalverb 2 2 nicht-modal Modalverb 4 1 2 7 ; 23 4 0 1 5 33 Tab. 7 Ich gehe nun der Reihe nach auf die schon-Vorkommen in imperfektiven Sätzen ein, in denen das Verb im Indikativ Präteritum, Perfekt, Futur und im Konjunktiv II steht. Die Spalten von Tabelle 7 werden einzeln von links nach rechts besprochen. In imperfektiven Sätzen mit Verb im Indikativ Präteritum tritt schon im Korpus durchgehend in seiner nicht-modalen Lesart auf. Auch in diesen Belegen sind in der Umgebung von schon Zeitangaben bzw. Skalen vorhanden, mit denen schon assoziiert wird und die dazu führen, dass schon nicht-modal interpretiert wird. Ein Beispiel: Imperfektiver Satz, Eigenschaft, Ind. Präteritum (24) S4: [...] meine Frage ist jetzt weiter die (Pause) glauben Sie wenn die Menschen dort noch in diesem Sprachgebiet leben würden, daß dann nicht auch höchste Zeit sein würde diese Dinge wissenschaftlich zu erfassen ? . S2: es war auch schon zu den Zeiten meines Lehrers Ziesemer höchste Zeit denn wir konnten damals schon immer die Beobachtung machen daß in vielen nordostdeutschen Mundarträumen die Mundart sehr stark zurückging (FR005 Preußisches Wörterbuch. Interview) Obwohl in meinem Korpus nicht belegt, ist modales schon mit imperfektiven Sätzen im Indikativ Präteritum durchaus verträglich. Hierzu ein Beispiel aus dem Internet: Manuela Caterina Moroni 200 (25) Mein Prüfer war schon nett aber er hat mich überall fahren lassen Autobahn, Landstrasse, Ortschaft, 30-Zone und zum Schluss wollte er mich auch durch den Markplatz fahren lassen. Aber so weit sind wir nicht gekommen. http: / / www.fahrschulforum.de/ ? reload=/ fuehrerschein/ 187549_msg.html (Stand: Februar 2009) Auch in imperfektiven Sätzen im Indikativ Perfekt tritt in meinem Korpus nur nicht-modales schon auf. Folgender Beleg ist Teil eines Abschnitts, in dem der Sprecher über sein Gespräch mit einer alten Nonne erzählt, die ihm vorwirft, am ökumenischen Gottesdienst kein Interesse zu haben: (26) S2: [...] sie hatte nen Zettel ich möchte sie doch ganz freundlich wieder einladen vom Nansen-Haus s hat se erzählt am Sonntag is um elf Uhr dreißig ökumenischer Gottesdienst [...] war auch n bißchen wütend auf diese alte Tante [...] und dann fing se ganz plötzlich an ne und fragte mich [...] sind sie eigentlich interessiert ? hab ich se angeguckt und ich sag ja schönen Dank aber ich hab wirklich kein Interesse [...] da meint se [...] wenn sie mal n bißchen älter werden dann werden sie auch von dem Kelch etwas nippen und ich sage (ich habe schon Böses geahnt) ich sage entschuldigen se bitte woran werd ich nippen? S1: an dem wo sie jetzt kein Interesse haben S2: [...] tja schönen Dank aber es tut mir leid habe nich mehr gegrüßt bin weggegangen In diesem Kontext wird schon nicht-modal interpretiert. Damit möchte der Sprecher ausdrücken, dass er bereits in dem Moment, in dem die Nonne den Satz über den Kelch sagt, ahnt, dass das Gespräch nicht gut enden wird. Es ist aber ein Kontext denkbar, in dem schon modal interpretiert wird: (27) A: Es hat doch alles gut geklappt. B: Ja, aber ich habe schon Böses geahnt. Schon kommt im Korpus in imperfektiven Sätzen im Indikativ Futur nur ein mal vor. Das Verb ist dabei atelisch (Aktivität). (28) ganz kühne Optimisten in Bremen glauben noch an die deutsche Meisterschaft aber die Nürnberger werden schon aufpassen werden sich ihren Drei-Punkte-Vorsprung in den letzten drei Spielen nicht mehr abnehmen lassen (FR008 Fußballspiel Werder Bremen gegen Borussia Dortmund. Reportage.) Zur nicht-modalen und modalen Lesart von schon 201 Hier weist schon eine modale Lesart auf. Im Kontext ist keine Zeitangabe bzw. wird keine Skala suggeriert, mit der schon assoziiert werden könnte. Plausibel ist, dass in Abwesenheit von Signalen wie Zeitangaben bzw. Skalen, die auf eine nicht-modale Lesart von schon hinweisen, das Futur grundsätzlich die modale Lesart von schon begünstigt, da es an sich eine Komponente der Unsicherheit aufweist und Unsicherheit zur modalen Ebene der Satzsemantik gehört. 10 Ein oft in der Literatur für modales schon angeführtes Beispiel ist (29): (29) Du wirst es schon schaffen. In (29) scheint schon unabhängig vom Kontext durchgängig nur eine modale Interpretation zuzulassen. D.h. auch bei telischen Verben wie (es) schaffen scheint das Futur die modale schon-Lesart zu begünstigen. In unserem Beleg (28) ist ein Zukunftsbezug vorhanden, d.h. der Kontext deutet darauf hin, dass es sich um einen Sachverhalt handelt, der zu einem Zeitpunkt situiert ist, der später als der Sprechzeitpunkt liegt. Werden + Infinitiv kann aber auch verwendet werden, um Hypothesen auszudrücken. In diesem Zusammenhang spricht man von epistemischem Futur. In seiner Studie zum Futur im Französischen und Italienischen weist Rocci (2001) darauf hin, dass in diesen Sprachen die inhärente Zeitstruktur des Verbs und weitere kontextuelle Faktoren, wie Temporalangaben, die sich auf die Sprechzeit beziehen, die epistemische Lesart von werden+Infinitiv erzwingen können. Dies trifft auch auf das Deutsche zu. So erzwingen Verben, die einen permanenten Zustand eines Individuums kodieren, die epistemische Lesart von werden + Infinitiv: (30) Er wird von einer adligen Familie stammen. In solchen Kontexten kann schon ebenfalls nur modal interpretiert werden: (30a) Er wird schon von einer adligen Familie stammen (wenn ihm sogar ein Schloss gehört) Genauso wie bei schon in imperfektiven Sätzen im Indikativ Perfekt und Futur liegen auch für schon in imperfektiven Sätzen im Konjunktiv II wenige (5) Belege vor. Modales und nicht-modales schon scheinen beide möglich zu sein. Die nicht-modale schon-Lesart wird auch in diesem Fall durch Zeitangaben begünstigt: Imperfektiver Satz, Konjunktiv II, Modalverb können in nicht-epistemischer Verwendung + telisches Verb 10 In dieser Hinsicht herrscht in einem Teil der Literatur die Meinung, dass die Konstruktion werden + Infinitiv keine temporale, sondern eine modale Bedeutung hat. Hierzu verweise ich auf Comrie (1995, S. 1248) und Rothstein (2007, S. 41-45). Manuela Caterina Moroni 202 (31) und es is so man könnte theoretisch nach der Approbation sich schon niederlassen als Arzt aber da steht dem im Wege daß man von den Krankenkassen noch nicht anerkannt wird (FR025 Berufsausbildung und -aussichten der Mediziner / Ferienpläne, Klettern in den Alpen, Skilaufen. Private Unterhaltung.) Als Vergleich ein Beispiel für modales schon: Imperfektiver Satz, Konjunktiv II, Modalverb müssen in nicht-epistemischer Verwendung + atelisches Verb (32) und die Hamburger müßten schon schneller operieren wenn sie ihre illustren Gegner noch in Gefahr bringen wollen (FR013 Fußballspiel Hamburger SV gegen Manchester United. Reportage.) Nun zu den schon-Vorkommen in perfektiven Sätzen. Tabelle 8 fasst ihre Verteilung auf die Verbformen zusammen: schon-Vorkommen im Mittelfeld von perfektiven Sätzen schon-Lesart Verb Ind. Präs. Ind. Prät. Ind. Perfekt Ind. Plus- Perfekt Ind. Futur I Konj. II ; modal telisch 0 nicht-modal telisch 2 12 27 7 2 50 modal atelisch 0 nicht-modal atelisch 1 6 2 9 modal Modalverb 0 nicht-modal Modalverb 1 1 ; 2 14 33 9 2 60 Tab. 8 In allen perfektiven Sätzen des Korpus wird schon durchgehend nicht-modal verwendet. In perfektiven Sätzen scheint die präferierte schon-Lesart - unabhängig vom Vorhandensein von Zeitangaben bzw. Skalen - die nicht-modale zu sein. Ein Beispiel: (33) aber es gibt viele Sachen die kann man gar nicht alleine machen (Pause) obwohl (Pause) die ich weiß die Eigernordwand hat man ja auch schon im Alleingang gemacht nich (FR025 Berufsausbildung und -aussichten der Mediziner / Ferienpläne, Klettern in den Alpen, Skilaufen. Private Unterhaltung.) Zur nicht-modalen und modalen Lesart von schon 203 3.2.3 Fokussiertes schon im Mittelfeld Im Korpus ist fokussiertes schon im Mittelfeld dreimal belegt: (34) zur Bildhauerei komm ich seit Jahren nicht mehr [...] aber das Zeichnen nebenbei und zwischendurch das läßt sich ohne weitere einbauen genauso wie man Bildhauerei und Lyrik sich nicht ausschließen also rein als Arbeitsprozeß aber / AUSgefüllt ist mein tagesablauf SCHON\ ja (FR012 Schulklassengespräch mit Günter Grass. Interview.) (35) es ist dann eine Filmgesellschaft gekommen und hat das Fasching da hier in der Krakau hat s gefilmt hat den Leuten dann natürlich etwas gegeben dafür hat s bezahlt was war das Ergebnis davon? daß sie nächstes Jahr gesagt haben mir rennen SCHON\ aber zuerst muß wer kommen uns was zahlen dafür das hat natürlich sehr sie beeinträchtigt (FR014 Faschingsbrauchtum in der Steiermark. Erzählung.) (36) S2: und ist allein hingefahren also ich kann s nie verstehen ich glaube daß die Leute wenigstens immer zu zweit sind S3: oh nein es gibt ganz chronische Al/ LEINgänger das gibt es SCHON\ aber die sind (FR025 Berufsausbildung und -aussichten der Mediziner/ Ferienpläne, Klettern in den Alpen, Skilaufen. Private Unterhaltung.) In allen drei Fällen operiert schon auf der epistemischen Ebene der Satzsemantik. So kann zum Beispiel Beleg (30) wie folgt paraphrasiert werden: Im epistemischen Auswertungskontext des Sprechers (Günter Grass) ist für die kodierte Proposition ‘der Tagesablauf des Sprechers ist ausgefüllt’ die Grenze von nicht-wahr zu wahr überschritten. Dabei wird ein Adressat postuliert, in dessen epistemischem Auswertungskontext für die Proposition die Grenze von nicht-wahr zu wahr NICHT überschritten ist. Durch die Fokussierung von schon wird gerade die Diskrepanz zwischen dem Auswertungskontext des Sprechers und dem eines hypothetischen Adressaten in den Vordergrund der Information gesetzt. Bei allen drei Belegen handelt es sich um imperfektive Sätze mit Verb im Indikativ Präsens. Analoge Beispiele lassen sich aber auch mit perfektiven Sätzen bilden, etwa: (37) A: ist er überhaupt / AUF\gestanden? B: er ist SCHON\ aufgestanden, zur / ARbeit ist er aber NICHT\ gegangen (38) A: ist er überhaupt / AUF\gestanden? B: SCHON\, zur / ARbeit ist er aber NICHT\ gegangen Fokussiertes schon erzwingt also unabhängig von der aspektuellen Umgebung die modale Lesart. Manuela Caterina Moroni 204 4. Schluss Ziel des vorliegenden Aufsatzes war es, der Frage nachzugehen, welche Faktoren für die nicht-modale bzw. modale Lesart von schon bestimmend sind. In Anlehnung an Löbner (1990) wurde die These aufgestellt, dass neben der Syntax der Aspekt des Satzes die eine oder andere Lesart begünstigen bzw. erzwingen kann. In Abschnitt 1 habe ich versucht zu zeigen, dass mit Rückgriff auf die Komponente der Grenzüberschreitung der Bedeutungsbeitrag von schon (zumindest in Aussagesätzen) einheitlich explizit gemacht werden kann. Handelt es sich um die Grenzüberschreitung von einem temporalen Auswertungskontext zu einem anderen, operiert schon auf der Faktizitätsebene und wird nichtmodal gelesen. Das ist der Fall von schon als Adverbkonnektor bzw. Fokuspartikel. An den Korpusbeispielen wurde klar, dass schon als nicht-modal interpretiert wird ebenfalls in Fällen, in denen es mit Zeitangaben bzw. Skalen assoziiert wird, zu denen es in Distanzstellung steht und somit nicht eine Position aufweist, die der der Fokuspartikel im engeren Sinne entspricht. Wenn die Grenzüberschreitung von einem epistemischen Auswertungskontext (dem eines hypothetischen Adressaten) zu dem des Sprechers stattfindet, wird schon modal gelesen. Ausgangspunkt für die Interpretation von schon ist seine syntaktische Position. Das Vorfeld und das Nachfeld erlauben nur die nicht-modale Lesart. Steht schon im Mittelfeld, kann es hingegen nicht-modal oder modal gelesen werden. Hierfür ist die aspektuelle Umgebung bestimmend. In dieser Hinsicht konnte Folgendes festgestellt werden: (i) Im Mittelfeld der perfektiven Sätze des Korpus wird nicht-fokussiertes schon durchgängig nicht-modal interpretiert. Dies deutet auf eine Präferenzbeziehung zwischen nicht-modalem schon und Perfektivität im Sinne von Löbner (1990) hin. (ii) Im Mittelfeld von imperfektiven Sätzen mit Verb im Indikativ Präsens und in Abwesenheit von kontextuellen Hinweisen auf Zeitangaben bzw. Skalen kann nicht-fokussiertes schon NUR modal interpretiert werden. (iii) Der Indikativ Futur scheint grundsätzlich die modale Lesart von schon zu begünstigen. Dies wurde damit begründet, dass das Futur an sich eine modale Umgebung bildet. Wird schon in einem Satz mit epistemischem Futur verwendet, so kann es nur modal gelesen werden. (iv) Fokussiertes schon im Mittelfeld operiert durchgängig auf der epistemischen Ebene der Satzsemantik. In anderen Worten, schon im Mittelfeld Zur nicht-modalen und modalen Lesart von schon 205 kann nur dann Fokus-Akzent tragen, wenn es Folgendes kodiert: Für die kodierte Proposition ist im epistemischen Auswertungskontext des Sprechers die Grenze von nicht-wahr zu wahr überschritten. Dabei wird ein Adressat postuliert, in dessen epistemischem Auswertungskontext für dieselbe Proposition die Grenze von nicht-wahr zu wahr NICHT überschritten ist. 5. Literatur Abraham, Werner (2001): Modals: towards explaining the ‘epistemic non-finitness gap’. In: Müller, Reimar/ Reis, Marga (Hg.): Modalität und Modalverben im Deutschen. Hamburg: Buske, S. 7-36. Abraham, Werner (2005): Event arguments and modal verbs. In: Maienborn, Claudia/ Wöllstein, Angelika (Hg.): Event arguments: Foundations and applications. (= Linguistische Arbeiten 501). Tübingen: Niemeyer, S. 243-276. Blühdorn, Hardarik (2008): Subordination and coordination in syntax, semantics and discourse. Evidence form the study of connectives. In: Fabricius-Hansen, Cathri- ·~ § ª #$ Ϙ  È Ï®  È  text. A cross-linguistic perspective. Amsterdam: Benjamins, S. 59-85. Comrie, Bernard (1995): Tense and aspect. 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Einleitung Gegenstand des vorliegenden Aufsatzes sind die deutschen Kausalkonjunktionen denn, weil und da und ihre (partiellen) italienischen Äquivalente perché, poiché und siccome. Sie werden vergleichend in syntaktischer und semantischer Hinsicht untersucht, mit dem Ziel, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihnen aufzuweisen. Crespi Günther (1998, S. 166ff.) hat in ihrer Untersuchung zum Zweitspracherwerb der deutschen Konjunktionen bei Muttersprachlern des Italienischen gezeigt, dass der Gebrauch der Kausalkonjunktionen besondere Schwierigkeiten bereitet. Von daher versprechen wir uns von unserer Untersuchung Nutzen für die Fremd- und Zweitsprachendidaktik wie auch für die zweisprachige Grammatik- und Wörterbuchschreibung. Nach den gängigen Darstellungen sind die ausgewählten sechs Konnektoren die prototypischen Kausalkonjunktionen der beiden Sprachen (vgl. z.B. Duden 2005, S. 631, 638; Renzi u.a. 1995, Bd. II, S. 740). Daneben gibt es in beiden Sprachen weitere Kausalkonjunktionen, z.B. dt. zumal, wo (doch), um so mehr als, it. giacché, dacché, visto che, dato che, dal momento che (vgl. Renzi u.a. 1995, Bd. II, S. 743; Kortmann 1997, S. 51ff., 70ff., 161ff.), die wir hier aber aus Platzgründen ausblenden. Die Arbeit gliedert sich folgendermaßen: Im ersten Abschnitt werden der Gebrauch und das Verhalten der sechs Konjunktionen in Bezug auf die Informationsstruktur (bekannte und neue Information in den verknüpften Teilsätzen) untersucht. Im zweiten Abschnitt wird die mögliche lineare Stellung des Teilsatzes, der die Ursache kodiert, in Bezug auf den Teilsatz betrachtet, der die Wirkung ausdrückt. Im dritten Abschnitt werden die hierarchisch-syntaktischen Beziehungen zwischen den Teilsätzen (Unter- oder Nebenordnung) diskutiert. Im vierten Abschnitt werden die sechs Kausalkonjunktionen im Hinblick auf mögliche Verknüpfungslesarten untersucht. Dabei beziehen wir uns auf die von Blühdorn (2006) in Anlehnung an Sweetser (1990) postulierte Unterscheidung zwischen dispositionellen, epistemischen und deontisch-illo- 1 Für nützliche Kommentare und wertvolle Hinweise danken wir herzlich Edoardo Lombardi Vallauri, Marina Castagneto, Stefan Rabanus, Marina Foschi Albert und zwei anonymen Gutachtern. Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 208 kutionären Verknüpfungen. Der letzte Abschnitt fasst die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung zusammen. Unsere Arbeit konzentriert sich auf sechs Konjunktionen. Für das Deutsche werden der Konjunktor denn sowie die Subjunktoren weil und da behandelt. Für das Italienische wurden perché, poiché und siccome ausgewählt. Die deutschen weil-Sätze mit Verbzweitstellung, die seit einigen Jahren immer wieder diskutiert worden sind (vgl. z.B. Keller 1993, 1995; Pasch 1998; Wegener 1999; Dittmar/ Bressem 2005), werden nur am Rande berücksichtigt. Sie verhalten sich insgesamt ähnlich wie denn-Sätze. Wir untersuchen weil hier in erster Linie als Subjunktor bzw. als Einleiter von Verbletztsätzen. Das Datenkorpus, das wir für unsere Untersuchung zusammengestellt haben, besteht aus insgesamt 510 deutschen und 510 italienischen Beispielsätzen (170 Satzbelege für jeden Konnektor). Sie wurden mit der Suchmaschine Google im Internet gefunden. 2 Das Korpus bietet ein breites Spektrum von Verwendungen der behandelten Konnektoren in den unterschiedlichsten Textsorten. Die Beispiele stammen aus Zeitungen, Zeitschriften, literarischen Texten, wissenschaftlichen Aufsätzen, Interviews, Online-Kommentaren, Online-Werbeanzeigen und Foren. Das Korpus soll sicherstellen, dass die Verwendungsweisen der untersuchten Konnektoren authentisch abgebildet und dass die unterschiedlichen Faktoren, die ihren Gebrauch beeinflussen, erkennbar werden. Vor der vergleichenden Analyse ist der folgende Hinweis auf die unterschiedliche Verwendung der deutschen und italienischen Konjunktionen notwendig. Denn, weil und da treten in der geschriebenen und der gesprochenen Sprache auf. In ihrer Untersuchung über den Konnektor weil im gesprochenen Berliner „Wendekorpus“ der neunziger Jahre haben Dittmar und Bressem ein geringeres Vorkommen von denn im Vergleich zum Gebrauch in Korpora der sechziger Jahre dokumentiert. Der Rückgang von denn steht nach Meinung dieser Autoren in Zusammenhang mit dem häufigeren Vorkommen von weil mit Verbzweitsätzen (vgl. Dittmar/ Bressem 2005, S. 119). Dennoch kommt denn im geschriebenen und gesprochenen Deutsch weiterhin vor. Italienisch poiché ist zwar nicht ausschließlich auf die Schriftsprache beschränkt, ist aber für einen gehobenen Stil bzw. die geschriebene Sprache typisch (vgl. Renzi u.a. 1995, Bd. II, S. 740; Ferraris 1999, S. 68; Serianni 2000, S. 401). 3 Im gespro- 2 Die Beispielsätze wurden teilweise behutsam gekürzt und orthographisch / grammatisch korrigiert. Zu allen italienischen Beispielen werden wörtliche Glossen und literarische Übersetzungen auf Deutsch gegeben. 3 Für eine ausführliche Diskussion über den Gebrauch von poiché im geschriebenen Italienisch und seine Bedeutungsentwicklung sei auf Patota (2005) verwiesen. Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 209 chenen Italienisch treten häufiger perché und siccome auf. 4 Genaue korpusbasierte Frequenzuntersuchungen zu den italienischen Kausalkonjunktionen in der geschriebenen und gesprochenen Sprache fehlen noch. Wir haben eine kleine Stichprobe anhand eines Korpus geschriebener und gesprochener Texte 5 durchgeführt, deren Ergebnisse die relativ höhere Häufigkeit von poiché im Schriftlichen bestätigen. Das Korpus besteht aus 24 203 laufenden Wörtern der geschriebenen und 24 821 laufenden Wörtern der gesprochenen Sprache. Im geschriebenen Korpus sind 66 Vorkommen von poiché, 62 von perché und 25 von siccome belegt. Während poiché und perché hier etwa gleich häufig sind, sind die perché-Belege im gesprochenen Korpus deutlich zahlreicher als die poiché-Belege. Hier kommen 9 mal poiché, 103 mal perché und 37 mal siccome vor. Im vorliegenden Beitrag sehen wir von diesen Verwendungsunterschieden ab und berücksichtigen die Vorkommenshäufigkeit der untersuchten Konjunktionen nicht. Dieser Aspekt kann Thema weiterer zukünftiger Forschungen sein. Wir untersuchen gleich große Stichproben von jeder Konjunktion, wobei es unser Ziel ist, ihre Syntax und Semantik unter möglichst breit gestreuten Gebrauchsbedingungen zu vergleichen. 1. Bekanntheit vs. Neuheit der Information in den verknüpften Teilsätzen Wie in der Literatur wiederholt festgestellt wurde, treten denn, weil und da unter anderem in Abhängigkeit davon auf, ob der Sprecher annimmt, dass Ursache oder Wirkung 6 dem Adressaten bereits bekannt sind, oder nicht (vgl. Blühdorn 2006, S. 261; Weinrich 1993, S. 756ff.). Denn zeigt die Annahme 4 Einer der Gutachter schlägt infatti als mögliches Äquivalent für dt. denn vor. Allerdings kann infatti, anders als denn, nicht nur satzinitial, sondern auch im Mittelfeld stehen (fa un gran caldo, la temperatura, infatti, è salita, DIT 1996, S. 434) und scheint von daher noch mehr adverbiale als konjunktionale Eigenschaften zu besitzen (vgl. Dardano/ Trifone 1997, S. 339f.). Unserer Meinung nach ähnelt es in kausaler Verwendung dem deutschen nämlich (vgl. Pons 2008, S. 1719). 5 Das Korpus geschriebener Sprache besteht aus Zeitungsartikeln des Sole 24 ore (Banche dati: Il Sole 24 ore CD-ROM 2001-3, Milano, Media Impresa); für die gesprochene Sprache wurde ein Teil des digitalen Korpus in www.parlaritaliano.it und ein Teil des LIP Corpus (Lessico di Frequenza dell'Italiano Parlato) in http: / / languageserver.uni-graz.at untersucht. 6 Wir verwenden den Terminus Ursache als Bezeichnung für den Inhalt des Kausalsatzes und Wirkung als Bezeichnung für den Inhalt des anderen verknüpften Teilsatzes. In linguistischer Hinsicht ist Ursache das, was durch sprachliche Mittel einer Wirkung als Ursache zugeordnet wird. Die Wirkung ist ein Ergebnis, das einen Faktizitäts-, Wahrheits- oder Erwünschtheitswert annimmt. Eine Ursache ist eine Bedingung, die den Wert festlegt, den die Wirkung annimmt (vgl. hierzu Blühdorn 2006, S. 263ff.). Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 210 des Sprechers an, dass sowohl die Ursache als auch die Wirkung für den Adressaten neu sind: 7 0 (1) Ich kenne nur wenige Bücher, die man einerseits vor Spannung nicht mehr aus der Hand legen will, gleichzeitig aber mit jeder gelesenen Seite trauriger wird, da nun bald alles zu Ende ist. Harry Potter 7 ist so ein Buch! Bei den letzten 100 Seiten ist es besonders schlimm, denn es scheint fast unmöglich zu sagen: „Ich trink erst noch schnell nen Kaffee, dann les ich weiter.“ 0(2) Hallo, ich habe 3 Jahre in Hurghada gelebt und muss sagen, dass das Felfela eines meiner Lieblingsrestaurants war. Die Umgebung ist super schön, denn man hat direkten Blick aufs Meer. In Beispiel (1) lautet das erste Konnekt 8 bei den letzten 100 Seiten ist es besonders schlimm. Das zweite Konnekt ist der denn-Satz. Durch den Gebrauch von denn signalisiert der Sprecher seine Annahme, dass beide Konnekte für den Adressaten im Kontext neu sind. 9 Das Gleiche gilt für Beispiel (2). Hier lautet das erste Konnekt die Umgebung ist super schön, das zweite man hat direkten Blick aufs Meer. Auch der Subjunktor weil kann Konnekte verknüpfen, deren Inhalt nach Meinung des Sprechers für den Adressaten neu ist, wie in (3): 0(3) Ein Grieche wurde jetzt von einem Athener Gericht zu einer Haftstrafe von drei Monaten verurteilt - weil er zwei gefälschte CDs kaufte. Dieses Beispiel kann so verstanden werden, dass Ursache und Wirkung für den Adressaten neu sind. In Beispiel (4) dagegen ist deutlich, dass der Adressat die im ersten Konnekt ausgedrückte Wirkung (ich habe Angst) aus dem vorhergehenden Satz schon kennt. Hier ist nur die Ursache (ich so viel falsch gemacht habe) für ihn neue Information: 0 (4) Ich habe jedoch Angst, dass sie nicht mehr bei mir sein will sondern nur noch bei ihrer Oma. Ich habe Angst, weil ich so viel falsch gemacht habe. 7 Koordinierendes weil als Einleiter eines Verbzweitsatzes verhält sich diesbezüglich wie denn. In Verknüpfungen mit koordinierendem weil signalisiert der Sprecher die Annahme, dass weder Ursache noch Wirkung dem Adressaten bekannt sind (vgl. Blühdorn 2006, S. 261). 8 Der Terminus Konnekt wird in Anlehnung an das Handbuch der deutschen Konnektoren (Pasch u.a. 2003) als Bezeichnung für einen verknüpften Teilsatz verwendet. 9 Bekanntheit und Neuheit werden hier nur für die Konnekte als ganze geprüft. Bei den untersuchten Konnektoren sind die Bekanntheit und Neuheit der einzelnen Referenten nicht relevant. Es werden immer nur Sprecherannahmen über den Status der Satzinformation insgesamt angezeigt. Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 211 Umgekehrt kann auch die Ursache in weil-Verknüpfungen für den Adressaten schon bekannte Information sein, wie Beispiel (5) beweist: 0 (5) Im Computerbild-Forum wird immer wieder nach neuen PCs usw. gefragt und es gibt im (Unter-)Forum PC & Hardware schon ein Thema PC Kaufberatung. Wenn es schon so ein Thema gibt, es aber keiner nutzt, kann man es doch als eigenes (Unter-)Forum machen. Das fände ich persönlich besser geordnet, weil wie gesagt im Forum immer wieder nach PC Kaufberatung usw. gefragt wird. In (5) ist der Inhalt des zweiten Konnekts (im Forum immer wieder nach PC Kaufberatung usw. gefragt wird) schon vorher erwähnt worden. Der Ausdruck wie gesagt zeigt explizit an, dass der Sprecher die Information als bekannt behandelt. Das erste Konnekt (das fände ich persönlich besser geordnet) kodiert dagegen neue Information. Betrachten wir nun da. Dieser Konnektor wird häufig verwendet, wenn der Sprecher annimmt, dass die Ursache dem Adressaten schon bekannt bzw. für ihn aus dem Kontext erschließbar ist (Weinrich 1993, S. 756ff.; Duden 2005, S. 638; Blühdorn 2006, S. 273). Die Wirkung dagegen ist, wie bei denn-Verknüpfungen, für den Adressaten stets neu: 0 (6) Die einzige, die ich gefunden hatte, war die von Gutfried. Es war eine 400g Packung […] mit einer farblosen Hülle, in der die Fleischwurst eingepackt war und Gutfried groß draufstand. Da sie die einzige Fleischwurst war, die ich fand, nahm ich sie eben mit zur Kasse und bezahlte. In Beispiel (6) kodiert der da-Satz die aus dem vorausgehenden Text schon bekannte Information, dass der Sprecher nur eine einzige Fleischwurst finden konnte. Das zweite Konnekt (nahm ich sie eben mit zur Kasse und bezahlte) ist neu. Die Bekanntheit der Information des da-Satzes muss nicht auf Vorerwähntheit beruhen. Sie kann sich auch aus vorausgesetztem Weltwissen ergeben. Man vergleiche Beispiel (7): 0(7) Da die Studiengebühren für Ausländer in den USA sehr hoch sind, sollte man schauen, dass man ein Stipendium bekommt. (7) kann so verstanden werden, dass der Sprecher annimmt, dass der Inhalt des ersten Konnekts zum Weltwissen des Adressaten gehört. Die Wirkung dagegen (die Aufforderung, ein Stipendium zu beantragen) behandelt er als neu. Da ist aber nicht auf Verknüpfungen beschränkt, in denen die Ursache bekannt ist. Betrachten wir den folgenden Beleg: Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 212 0 (8) Die Quästoren beaufsichtigen nach den Weisungen des Präsidenten das Zeremoniell, die Wahrung der Ordnung und der Sicherheit im Parlamentshaus. Da die Polizei die Parlamentsgebäude ohne Genehmigung des Präsidenten nicht betreten darf, erteilen die Quästoren den Saaldienern der Kammer die erforderlichen Anweisungen. Der Beleg stammt aus einem deutschen Lexikon-Artikel über die italienische Abgeordnetenkammer. Im Text war vorher weder von der Polizei, noch von ihren Rechten, das Parlamentsgebäude zu betreten, die Rede. Es kann auch nicht vorausgesetzt werden, dass der Leser über dieses Thema bereits informiert ist. Der Inhalt des Kausalsatzes ist für den Adressaten im Kontext eindeutig neu. Trotzdem hat da auch in solchen Fällen etwas mit Bekanntheit zu tun. Es zeigt die Annahme des Sprechers an, dass der Adressat über geeignetes Wissen verfügt, um die Abhängigkeit zwischen der im da-Satz genannten Bedingung und der im Hauptsatz beschriebenen Folge ohne weiteres nachzuvollziehen: Wenn das der Fall bzw. wahr ist, was im da-Satz beschrieben wird, dann ist es aufgrund von voraussetzbarem Weltwissen plausibel, dass auch das der Fall bzw. wahr ist, was im Hauptsatz beschrieben wird. Da-Verknüpfungen appellieren also stets an verfügbares Wissen des Adressaten, entweder in der Weise, dass ihm nach Meinung des Sprechers die Ursache schon bekannt ist, oder in der Weise, dass ihm Hintergrundinformationen zur Verfügung stehen, die ihm die Aussage des Hauptsatzes im Kontext des da-Satzes plausibel machen. Weil-Verknüpfungen sind nach diesen Beobachtungen die einzigen, in denen die Wirkung für den Adressaten schon bekannt sein kann. Deshalb kann nur weil die Antwort auf eine warum-Frage (Frage nach der Ursache bei bekannter Wirkung) einleiten: 0 (9) Warum ist der Spot in Spanisch? - Weil uns die deutsche Sprache und Nation ziemlich egal ist. 10 Ein da-Satz kann nicht auf eine warum-Frage antworten, denn in da-Verknüpfungen ist die Wirkung stets neue Information. Aus dem gleichen Grund kann auch ein denn-Satz nicht als Antwort auf eine warum-Frage dienen. Denn signalisiert, dass Ursache und Wirkung beide neu sind. 10 Beispiel (9) gehört nicht zu dem Belegkorpus, das wir für die vorliegende Untersuchung zusammengestellt haben. Die statistischen Auswertungen beziehen sich auf 170 syntaktisch vollständige weil-Verknüpfungen mit Haupt- und Nebensatz. Belege, die als Antworten auf warum-Fragen nur aus einem Nebensatz bestehen, haben wir nicht ins Korpus aufgenommen. Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 213 Tabelle 1 gibt einen Überblick über die quantitative Verteilung von bekannter und neuer Ursache und Wirkung bei denn, weil und da in unserem Korpus: Ursache bekannt Ursache neu Wirkung bekannt Wirkung neu denn 00000(0%) 1700(100%) 00000(0%) 1700(100%) weil 7400(44%) 09600(56%) 4400(26%) 12600(74%) da 8600(51%) 08400(49%) 00000(0%) 1700(100%) Tab. 1: Status der Information - Deutsch Die da-Sätze in unserem Korpus geben je etwa zur Hälfte bekannte und neue Ursachen. Bei vorangestellten da-Sätzen zeigt sich ein minimales Übergewicht bekannter, bei nachgestellten da-Sätzen ein minimales Übergewicht neuer Ursachen. Unser Korpus ist aber zu klein, um aus dieser Verteilung Schlussfolgerungen ziehen zu können: Ursache vorerwähnt oder allgemeines Weltwissen Ursache nicht eindeutig als bekannt zu betrachten vorangestellte da-Sätze 580(52%) 530(48%) nachgestellte da-Sätze 280(48%) 310(52%) Tab. 2: Bekanntheit der Ursache in da-Verknüpfungen Betrachten wir nun das Verhalten der italienischen Konnektoren. Perché verknüpft typischerweise Konnekte, deren Inhalte nach Ansicht des Sprechers für den Adressaten beide neu sind (vgl. Salvi/ Vanelli 2004; Gruppo di Padova 1979, S. 332ff.), wie in Beispiel (10). Es kann aber auch nur die Ursache neu und die Wirkung schon bekannt sein (vgl. Renzi u.a. 1995, Bd. II, S. 740), wie in (11): (10) Intanto il concorrente di Chi vuol essere milionario? è andato a casa perché non sapeva da che film è tratta la citazione. inzwischen der Mitspieler von Chi vuol essere milionario? [Wer wird Millionär? ] ist ausgeschieden Konnektor nicht wusste aus welchem Film ist genommen das Zitat ‘Inzwischen ist der Mitspieler von Wer wird Millionär? ausgeschieden, weil er nicht wusste, aus welchem Film das Zitat stammte.’ (11) Vi invitiamo a sceglierci […] costiamo meno. Costiamo meno perché siamo una azienda snella. Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 214 ihnen schlagen wir vor zu wählen-uns […] wir kosten weniger. wir kosten weniger Konnektor wir sind ein Betrieb schlanker ‘Wir schlagen Ihnen vor, uns zu wählen […] wir kosten weniger. Wir kosten weniger, weil wir ein schlanker Betrieb sind.’ Anders als es in den Grammatiken gewöhnlich dargestellt wird, haben wir in unserem Korpus darüber hinaus auch perché-Verknüpfungen gefunden, in denen die Wirkung neu und die Ursache bekannt ist. So ist die Ursache in (12) schon im Vortext explizit erwähnt worden. Perché verhält sich in dieser Hinsicht offenbar ähnlich wie das deutsche weil: (12) Oggi i figli, purtroppo, non costituiscono una ricchezza, ma un debito. Costano molto di più. […] Molte donne non fanno il secondo figlio […] perché i figli costano troppo. heute die Kinder, leider, nicht bilden einen Reichtum, sondern eine Schuld. Kosten viel mehr […] viele Frauen nicht machen das zweite Kind […] Konnektor die Kinder kosten zu viel ‘Heutzutage sind Kinder leider kein Reichtum, sondern eine Schuld. Sie sind zu teuer geworden. […] Viele Frauen bekommen kein zweites Kind […] weil Kinder zu viel kosten.’ In poiché-Verknüpfungen ist die Ursache dem Adressaten typischerweise schon bekannt (vgl. Renzi u.a. 1995, Bd. II, S. 740ff.; Schwarze 1988, S. 393; Lombardi Vallauri 2000, S. 64), während die Wirkung neu ist: (13) Molti consigliano all'uomo, poiché è mortale, di limitarsi a pensare a cose umane e mortali. viele empfehlen dem Menschen, Konnektor ist sterblich, einschränkensich zu denken an Dinge menschliche und sterbliche ‘Viele empfehlen dem Menschen, da er sterblich ist, nur an menschliche und sterbliche Dinge zu denken.’ (14) Nelle distrofie raramente viene coinvolta in modo significativo la muscolatura respiratoria, mentre resta rilevante il problema di quella cardiaca. […] Poiché, come detto, il coinvolgimento della muscolatura cardiaca è un aspetto molto importante in queste malattie, saranno opportuni attenti controlli clinici e strumentali periodici. in den Dystrophien selten kommt hineingezogen in Art bedeutend die Atmungs-Muskulatur, während bleibt relevant das Problem jener des Herzens […] Konnektor, wie gesagt, die Betroffenheit der Herz-Muskulatur ist ein Aspekt sehr wichtig in diesen Krankheiten, werden sein angezeigt sorgfältige Untersuchungen klinische und instrumentelle regelmäßige Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 215 ‘Bei den Dystrophien ist die Atmungsmuskulatur selten auf bedeutende Weise mitbetroffen, während das Problem mit der Herzmuskulatur relevant bleibt. […] Da, wie gesagt, die Auswirkungen auf die Herzmuskulatur ein sehr wichtiger Aspekt bei diesen Krankheiten sind, sind regelmäßige sorgfältige klinische und instrumentelle Untersuchungen angezeigt.’ In (13) ist der Inhalt des poiché-Satzes (die Sterblichkeit des Menschen) aufgrund von allgemeinem Weltwissen bekannt. Die Wirkung (der Ratschlag, deshalb nur an menschliche und sterbliche Dinge zu denken) ist dagegen neu. In (14) enthält der poiché-Satz (poiché il coinvolgimento della muscolatura cardiaca è un aspetto molto importante in queste malattie) eine vorher schon erwähnte Information, wie auch durch come detto (‘wie gesagt’) angezeigt wird. Die Aussage des zweiten Konnekts (saranno utili attenti controlli clinici e strumentali periodici) ist wiederum neu. Daneben kommen auch poiché-Verknüpfungen vor, in denen Bekanntheit der Ursache nicht angenommen werden muss: (15) Questo blog non rappresenta una testata giornalistica poiché viene aggiornato senza alcuna periodicità. dieses Blog nicht stellt dar eine Zeitung journalistische Konnektor kommt aktualisiert ohne einige Periodizität ‘Dieses Blog ist nicht als journalistische Zeitung zu verstehen, denn es wird nicht regelmäßig aktualisiert.’ In Beispiel (15), das am Anfang eines Textes steht, ist die Ursache nicht vorerwähnt, und es ist auch nicht ersichtlich, dass sie zum voraussetzbaren Weltwissen des Adressaten gehören muss. Die Ursache kann hier also als neu interpretiert werden. Siccome-Verknüpfungen zeigen typischerweise an, dass der Sprecher voraussetzt, dass die Ursache dem Adressaten schon bekannt ist (vgl. Renzi u.a. 1995, Bd. II, S. 740f.; Lonzi 1986; Schwarze 1986). Die Wirkung ist dagegen neue Information: (16) Ecco la mia prima creazione, un moderno set per GM! Siccome è la mia prima creazione non sono sicuro che funzioni. hier die meine erste Kreation, ein modernes Set für GM! [= General Motors] Konnektor ist die meine erste Kreation nicht bin sicher dass funktioniert ‘Hier meine erste Kreation, ein modernes Set für GM! Da es meine erste Kreation ist, bin ich nicht sicher, dass es funktioniert.’ Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 216 In (16) kodiert der siccome-Satz eine Information, die schon im vorausgehenden Satz ausgedrückt war. Siccome wird aber nicht immer in Kontexten verwendet, in denen die Ursache bekannt ist. Das Korpus zeigt, dass der Inhalt von siccome-Sätzen auch neu sein kann: (17) Siccome non tornavo a casa dal 2 ottobre 2006, mentre ero a Pesaro mi è venuta l’idea di rientrare a Cagliari il 19 dicembre. Konnektor ich nicht kehrte zurück nach Hause seit dem 2. Oktober 2006, während ich war in Pesaro mir ist gekommen die Idee wieder zu fahren nach Cagliari am 19. Dezember ‘Da ich seit dem 2. Oktober 2006 keinmal zu Hause gewesen war, kam mir, während ich in Pesaro war, die Idee, am 19. Dezember mal wieder nach Cagliari zu fahren.’ Der siccome-Satz in (17) steht am Anfang eines Briefes, in dem der Sprecher von seinem Besuch in Cagliari erzählt. Der Inhalt des Kausalsatzes ist weder vorerwähnt noch dem Adressaten aufgrund von voraussetzbarem Weltwissen bekannt. Ähnlich wie da-Sätze haben aber auch siccome-Sätze trotzdem stets mit Bekanntheit zu tun, auch in Fällen, in denen sie eine neue Ursache einführen. Ist die Ursache nicht bekannt oder aus dem Kontext erschließbar, so zeigt siccome die Annahme des Sprechers an, dass der Adressat über geeignetes Hintergrundwissen verfügt, um die Abhängigkeit zwischen Ursache und Wirkung nachzuvollziehen. Tabelle 3 gibt einen Überblick über die quantitative Verteilung von Bekanntheit und Neuheit von Ursache und Wirkung bei perché, poiché und siccome: Ursache bekannt Ursache neu Wirkung bekannt Wirkung neu perché 0 26 0 (15%) 144 0 (85%) 62 0 (36%) 108 00 (64%) poiché 124 0 (73%) 0 46 0 (27%) 0 0 00 (0%) 170 0 (100%) siccome 136 0 (80%) 0 34 0 (20%) 0 0 00 (0%) 170 0 (100%) Tab. 3: Status der Information - Italienisch Siccome zeigt eine deutliche Bevorzugung bekannter Ursachen, ist aber auch mit neuen Ursachen kompatibel. Auch poiché wird typischerweise in Kontexten verwendet, in denen die Ursache bekannt oder erschließbar ist. In unserem Korpus korrelieren Bekanntheit bzw. Neuheit der Ursache relativ deutlich mit der Stellung des poiché-Satzes. Vorangestellte poiché-Sätze geben typischerweise bekannte Ursachen (112 von 128 Belegen; 88%). Nachgestellte poiché- Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 217 Sätze liefern typischerweise Ursachen, deren Bekanntheit nicht vorausgesetzt wird (30 von 42 Belegen; 71%): Ursache vorerwähnt oder allgemeines Weltwissen Ursache nicht eindeutig als bekannt zu betrachten vorangestellte poiché-Sätze 112 0 (88%) 0 16 0 (12%) nachgestellte poiché-Sätze 0 12 0 (29%) 0 30 0 (71%) Tab. 4: Bekanntheit der Ursache in poiché-Verknüpfungen Die möglichen Verteilungen von Bekanntheit und Neuheit von Ursache und Wirkung bei den sechs untersuchten Konnektoren stellen sich im Überblick wie folgt dar: Ursache bekannt Ursache neu Wirkung bekannt Wirkung neu denn × × weil × × × × da × × × perché × × × × poiché × × × siccome × × × Tab. 5: Status der Information - Überblick Wie man aus der Übersicht erkennt, sind weil und perché die Kausalkonnektoren mit der höchsten Flexibilität in Bezug auf die Informationsstruktur. Sie können unabhängig von der Bekanntheit oder Neuheit von Ursache und Wirkung verwendet werden. Poiché ist wie da festgelegt auf neue Wirkungen. Während aber da mit bekannten und unbekannten Ursachen gleichermaßen kompatibel ist, bevorzugt vorangestelltes poiché bekannte Ursachen. Bei nachgestelltem poiché ist die Ursache typischerweise neu. Hier besteht Ähnlichkeit zu denn (vgl. Langenscheidt 1981, S. 372; Pons 2008, S. 250, 261). Siccome ähnelt ebenfalls dem deutschen da (vgl. Crespi Günther 1998, S. 76), zeigt aber eine deutlich stärkere Präferenz für bekannte Ursachen (vgl. Tabellen 1 und 3). Tabelle 5 zeigt, dass die Wirkung bei poiché- und siccome-Verknüpfungen immer neu ist. Poiché- und siccome-Sätze können deshalb keine perché-Fragen (Fragen nach der Ursache bei bekannter Wirkung) beantworten. Als Antwort auf perché-Fragen sind nur perché-Sätze möglich. Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 218 2. Lineare Stellung des Kausalsatzes In denn-Verknüpfungen stehen Ursache und Wirkung in voneinander unabhängigen Hauptsätzen (Parataxe). Als Konjunktor (vgl. Uhmann 1998) leitet denn den Nachsatz ein, steht also linear zwischen seinen Konnekten. Die Voranstellung 11 eines denn-Satzes ist ungrammatisch: (18) Die Flexibilität finde ich sehr gut, denn man hat sehr viele Möglichkeiten den Kredit zu gestalten. (18a) *Denn man hat sehr viele Möglichkeiten den Kredit zu gestalten, finde ich die Flexibilität sehr gut. Weil und da leiten demgegenüber Nebensätze mit Verbletztstellung ein. 12 Kausale Nebensätze können nachgestellt werden, können aber auch im Vorfeld ihres anderen Konnekts (des Hauptsatzes) stehen: (19) Weil Glück gesunde Ernährung braucht, bietet Milupa alles, was ein Kind für ein optimales Großwerden benötigt. (20) Da Sie uns Ihre persönlichen Daten mitgeteilt haben, ist das Passwort Ihr Geburts-Datum. Im Italienischen können Kausalsätze mit allen drei Konjunktionen vorangestellt werden. Für poiché ist Voranstellung typisch, bei siccome gilt sie praktisch ausnahmslos (vgl. Schwarze 1986, S. 150; Serianni 2000, S. 402): (21) Poiché l'autunno è stagione di Viaggi di Nozze, riteniamo di fare cosa gradita e utile inviando 2 programmi “classici” già “confezionati”. Konnektor der Herbst ist Saison von Hochzeitsreisen, glauben wir zu machen Sache erwünschte und nützliche schickend 2 Programme „klassische“ schon „zugeschnittene“ ‘Da der Herbst die Zeit der Hochzeitsreisen ist, glauben wir, dass Sie sich darüber freuen, wenn wir Ihnen 2 „klassische“ fertig „zugeschnittene“ Programme anbieten.’ (22) Siccome non ho niente da fare ho fatto una ricerca. Konnektor nicht habe ich nichts zu tun habe ich gemacht eine Untersuchung ‘Da ich nichts zu tun habe, habe ich eine Untersuchung gemacht.’ 11 In diesem Abschnitt werden nur Voranstellung und Nachstellung der Kausalsätze betrachtet. Auf die mögliche Positionierung von Kausalsätzen im Mittelfeld bzw. als parenthetische Einschübe wird hier nicht eingegangen. 12 Durch weil eingeleitete Verbzweitsätze können ebenso wie denn-Sätze nur nachgestellt verwendet werden (vgl. Uhmann 1998; Dittmar/ Bressem 2005, S. 109). Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 219 Einen nachgestellten poiché-Satz haben wir in (15) gesehen. Nachgestellte siccome-Sätze kommen in unserem Korpus nicht vor und wären für unser Sprachgefühl kaum akzeptabel: (22a) ? Ho fatto una ricerca siccome non ho niente da fare. Nach Ansicht einiger Grammatiker ist die Nachstellung von siccome-Sätzen allerdings nicht vollkommen ausgeschlossen (vgl. Salvi/ Vanelli 2004, S. 275). Der folgende Beleg stammt aus einem Interview im Kanal 5 des italienischen Fernsehens: (23) Ho sentito, ora danno la cittadinanza a un terrorista, sì già, siccome sono democratici. ich habe gehört, jetzt geben sie die Staatsbürgerschaft einem Terroristen, ja schon, Konnektor sie sind demokratisch ‘Ich habe gehört, jetzt geben sie einem Terroristen die Staatsbürgerschaft, ja also, da sie demokratisch sind.’ Der nachgestellte siccome-Satz hat hier die Funktion, bekannte Information nachzutragen, die der Sprecher für interpretationsrelevant hält, die er zuvor aber nicht gegeben hat (als afterthought im Sinne von Averintseva-Klisch 2009, S. 151). Renzi u.a. (1995, Bd. II, S. 747) weisen auf die Möglichkeit hin, siccome- Sätze in Parenthesen zu verwenden. Die von ihnen diskutierten Beispiele sind jedoch keine Korpusbelege: (24) Gianni - siccome non ha frequentato regolarmente - non è stato promosso. Gianni - Konnektor nicht hat teilgenommen regelmäßig - nicht hat bestanden ‘Gianni - da er nicht regelmäßig teilgenommen hat - hat nicht bestanden.’ Perché-Sätze sind typischerweise nachgestellt. Ihre Voranstellung ist sehr selten (vgl. Ferraris 1999, S. 68; Lombardi Vallauri 2000, S. 65f.; Serianni 2000, S. 401), allerdings nicht, wie etwa Previtera (1996, S. 35) annimmt, gänzlich ausgeschlossen. In unserem Korpus sind immerhin 7 von 170 perché-Sätzen vorangestellt (vgl. auch Schwarze 1986): (25) “Breakfast In America” […] è un disco che per un intero anno ha dominato le radio. […] Perché, come detto, per un anno praticamente non si è ascoltato altro, ovunque e comunque, è riuscito a raggiungere una delle massime vette cui aspira il pop. Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 220 „Breakfast In America“ […] ist eine Platte die für ein ganzes Jahr hat beherrscht die Radios […] Konnektor, wie gesagt, für ein Jahr praktisch nicht sich ist gehört anders, irgendwo und jedenfalls, hat sie geschafft zu erreichen einen der höchsten Gipfel nach denen strebt der Pop ‘„Breakfast In America“ […] ist eine Platte, die für ein ganzes Jahr die Radios beherrscht hat. […] Da, wie gesagt, ein Jahr lang überall und immer praktisch nichts anderes zu hören war, konnte sie einen der höchsten Gipfel erreichen, nach denen der Pop strebt.’ In (25) kodiert der vorangestellte perché-Satz bekannte Information (vgl. den Ausdruck come detto, ‘wie gesagt’). Das zweite Konnekt bietet neue Information. Einige Belege im Korpus zeigen, dass ein perché-Satz auch dann vorangestellt werden kann, wenn ein Kontrast erreicht werden soll (vgl. dazu Renzi u.a. 1995, Bd. II, S. 747). Im Korpus bilden 3 der 7 vorangestellten perché- Sätze Kontraste mit nachgestellten Kausalsätzen, die durch non perché (‘nicht weil’) eingeleitet sind (vgl. 26): (26) Secondo me darebbe maggiore visibilità ad Apple un grande edificio indipendente, altro che centri commerciali tipo questo. […] Perché collaboro con questo centro ne so qualcosa, non perché lavoro alla Miele. nach mir gäbe größere Sichtbarkeit für Apple ein großes Gebäude selbständig, anders als Zentren kommerzielle Typ dieses […] Konnektor ich zusammenarbeite mit diesem Zentrum davon weiß ich etwas, nicht Konnektor ich arbeite bei Miele ‘Meiner Meinung nach gäbe ein großes frei stehendes Gebäude Apple mehr Sichtbarkeit, anders als Geschäftszentren wie dieses. […] Weil ich mit diesem Zentrum zusammenarbeite, weiß ich etwas davon, nicht weil ich bei Miele arbeite.’ In diesem Fall kodiert der vorangestellte perché-Satz die neue Information und bildet den Fokus des Gesamtsatzes. Das zweite Konnekt (ne so qualcosa) enthält dagegen alte Information und bildet den Hintergrund. Auch perché-Sätze, die als Fokus eines Spaltsatzes mit dem Kopulaverb essere (‘sein’) fungieren, werden vorangestellt (vgl. Renzi u.a. 1995, Bd. II, S. 747). Das Korpus enthält ein Beispiel einer solchen Struktur: (27) È perché Freud sa leggere, che la psicoanalisi è nata. ist Konnektor Freud kann lesen, dass die Psychoanalyse wird geboren ‘Es ist weil Freud lesen kann, dass die Psychoanalyse entsteht.’ Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 221 Auch hier ist der vorangestellte Kausalsatz fokussiert und enthält die neue Information. Der zweite Teilsatz bildet den Hintergrund des Gesamtsatzes. Ein anderer Korpusbeleg zeigt die Verwendung des wiederaufnehmenden Adverbs perciò (‘deshalb’) im zweiten Teilsatz nach einem vorangestellten perché-Satz: (28) Perché le risorse non sono inesauribili, è perciò necessario preservare quanto più possibile il capitale naturale e culturale. Konnektor die Ressourcen nicht sind unerschöpfliche, ist es deshalb notwendig zu schützen so viel mehr möglich das Kapital natürliche und kulturelle ‘Weil die Ressourcen nicht unerschöpflich sind, deshalb ist es notwendig, das natürliche und kulturelle Kapital so weit wie möglich zu schützen.’ In diesem Beleg kodiert der perché-Satz alte Information. Perciò 13 hat hier die Funktion, den zweiten Teilsatz zu fokussieren. Die quantitative Verteilung von Voranstellung und Nachstellung des Kausalsatzes in unserem Korpus ist für die untersuchten Konnektoren des Deutschen und des Italienischen in den Tabellen 6 und 7 dargestellt: Voranstellung Nachstellung denn 00 0 00 (0%) 170 0 (100%) weil 0 42 0 (25%) 128 00 (75%) da 111 0 (65%) 0 59 00 (35%) Tab. 6: Stellung des Kausalsatzes - Deutsch Voranstellung Nachstellung perché 00 7 000 (4%) 163 0 (96%) poiché 128 00 (75%) 0 42 0 (25%) siccome 170 0 (100%) 00 0 00 (0%) Tab. 7: Stellung des Kausalsatzes - Italienisch Wie die Übersicht zeigt, ist im deutschen Korpus insgesamt Nachstellung der Kausalsätze deutlich häufiger, im italienischen Korpus dagegen Voranstellung. Das Deutsche besitzt mit denn einen Konnektor, der den Kausalsatz immer nachstellt, aber keinen Konnektor, der ihn immer voranstellt. Bei weil ist Nachstellung stark bevorzugt, bei da macht sie noch mehr als ein Drittel der Vorkommen aus. Das Italienische besitzt umgekehrt mit siccome einen Konnektor, der den Kausalsatz so gut wie immer voranstellt, aber keinen, der ihn 13 Für interessante Bemerkungen über den Gebrauch von perciò in Kausalverknüpfungen sei auf Gruppo di Padova (1979, S. 339) verwiesen. Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 222 immer nachstellt. Immerhin zeigt perché eine starke Präferenz für die Nachstellung. Bei poiché ist Voranstellung stark bevorzugt. Denn, siccome und perché sind vollständig oder sehr stark auf eine bestimmte Stellung festgelegt. Die Voranstellung eines denn-Satzes ist ungrammatisch. Die Nachstellung eines siccome-Satzes kommt nur in sehr speziellen Kontexten vor und ist im Korpus nicht belegt. Perché-Sätze werden in der Regel nachgestellt, aber ihre Voranstellung ist nicht ausgeschlossen und kommt auch in unserem Korpus vor (vgl. Lombardi Vallauri 1996, S. 141ff.). Die Stellung von da-, weil- und poiché-Sätzen ist relativ freier. Weil-Sätze werden ebenso häufig nachgestellt, wie poiché-Sätze vorangestellt werden (75% der Belege). Da zeigt mit 65% der Belege eine Präferenz für die Voranstellung, die weniger deutlich ausfällt als bei poiché. Hinsichtlich der Stellungseigenschaften zeigt sich eine Ähnlichkeit zwischen denn und perché. Bei dem Konjunktor denn ist die Stellung zwischen den Konnekten durch rein syntaktische Faktoren bedingt. Perché als Subjunktor kann syntaktisch gesehen auch vorangestellt werden. Hier sind informationsstrukturelle Faktoren dafür maßgeblich, dass Nachstellung bevorzugt ist (vgl. Gruppo di Padova 1979, S. 331). In den Wörterbüchern wird denn nicht immer als mögliches Äquivalent zu perché gegeben (vgl. Langenscheidt 1981, S. 361). Gelegentlich wird es aber aufgeführt (z.B. Pons 2008, S. 261; DIT 1996, S. 182). 14 Lombardi Vallauri (2000, S. 13ff.) vertritt die Ansicht, dass perché-Sätze rhematisch sein müssen. Er unterscheidet zwischen bekannter vs. unbekannter Information einerseits und Thema vs. Rhema andererseits. Bekannte Information ist demnach Information, die im Gedächtnis des Rezipienten vorhanden ist und/ oder aus dem Kobzw. Kontext erschlossen werden kann. Thema ist dagegen unakzentuiertes Sprachmaterial und Rhema durch Akzent hervorgehobenes Sprachmaterial. Nach dieser Darstellung hat das Thema die Funktion, das Rhema zu situieren und zu kontextualisieren. Das Rhema wird in thematische Information eingebettet. Wichtig für die Unterscheidung zwischen Bekanntheit und Unbekanntheit ist also der Kobzw. Kontext. Wichtig für die 14 Die konsultierten zweisprachigen Wörterbücher scheinen die Äquivalenzen zwischen den Kausalkonjunktionen überwiegend aufgrund von Stellungskriterien zu bestimmen. Als Äquivalente zu denn werden perché und poiché geführt (vgl. DIT 1996, S. 182; Pons 2008, S. 261), die beide den Kausalsatz nachstellen können. Siccome, das den Kausalsatz immer voranstellt, wird nicht als Äquivalent zu denn, sondern neben poiché als Äquivalent zu da geführt (vgl. DIT 1996, S. 170; Pons 2008, S. 2189). Weil wird wie denn durch perché und poiché übersetzt, nicht aber durch siccome (vgl. DIT 1996, S. 1087; Pons 2008, S. 1159), obgleich hier ebenfalls Entsprechungen möglich sind. Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 223 Unterscheidung zwischen Thema und Rhema ist die Akzentuierung sowie die Abfolge von Satzgliedern und Teilsätzen. Typischerweise gibt das Thema bekannte und das Rhema unbekannte Information, aber auch Informationen, die schon bekannt sind, können im Satz als Rhema fungieren. Lombardi Vallauri (2000, S. 126) wendet diese Unterscheidungen auf perché-Verknüpfungen an (vgl. auch Renzi u.a. 1995, Bd. II, S. 747): (29a) È stanco perché non ha DORMITO . (Thema + Rhema) er ist müde Konnektor nicht hat GESCHLAFEN ‘Er ist müde, weil er nicht GESCHLAFEN hat.’ (29b) È STANCO , perché non ha DORMITO . (Rhema + Rhema) er ist MÜDE Konnektor nicht hat GESCHLAFEN ‘Er ist MÜDE , weil er nicht GESCHLAFEN hat.’ (29c) È perché non ha DORMITO , che è stanco. (Rhema + Thema) ist Konnektor nicht hat GESCHLAFEN , dass er ist müde ‘Weil er nicht GESCHLAFEN hat, ist er müde.’ (29d) *Perché non ha dormito è STANCO . (Thema + Rhema) Konnektor nicht er hat geschlafen ist MÜDE ‘Weil er nicht geschlafen hat, ist er MÜDE .’ (29e) *È STANCO , perché non ha dormito. (Rhema + Thema) er ist MÜDE , Konnektor nicht hat geschlafen ‘Er ist MÜDE , weil er nicht geschlafen hat.’ Die Großbuchstaben in den Beispielen dienen zur Anzeige akzentuierter (fokussierter) Konstituenten. In (29a) trägt der nachgestellte perché-Satz den Hauptakzent, ist also rhematisch. Der erste Teilsatz ist thematisch und bleibt unakzentuiert. In (29b) tragen sowohl das erste als auch das zweite Konnekt einen eigenen Hauptakzent. Beide Teilsätze sind rhematisch. In (29c) tritt der perché-Satz als Fokus eines Spaltsatzes auf. Er bildet das Rhema der Satzverknüpfung. (29d) und (29e) sind nach Lombardi Vallauri (2000) unabhängig von der Voran- oder Nachstellung des perché-Satzes inakzeptabel, weil der perché-Satz in beiden Fällen thematisch ist. Solche Satzverknüpfungen sind nach Lombardi Vallauri ungrammatisch. Für Sätze des Italienischen ist die Abfolge Thema - Rhema typisch. Dem entspricht die Voranstellung von siccome-Sätzen, die vorzugsweise thematisch sind. Voranstellung des Rhemas in Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 224 Spaltsätzen wie (27) und (29c) oder in Kontrastkontexten wie (26) ist im Italienischen stark markiert. Da perché-Sätze rhematisch sein müssen, ist ihre Nachstellung der Regelfall. Betrachten wir nun erneut die oben angeführten Korpusbelege mit vorangestellten perché-Sätzen. In (26) ist durch den Kontrastkontext, in (27) durch die Satzspaltung deutlich, dass die Kausalsätze rhematisch sind. Für die Kausalsätze in (25) und (28) ist das weit weniger klar. Sie kodieren bekannte Information und sind vorangestellt, ohne dass eine markierte Thema-Rhema-Struktur vorzuliegen scheint. Hier scheinen die Kausalsätze also im Sinne von Lombardi Vallauri (2000) eher thematisch zu sein. Es ist kaum erkennbar, warum sie einen Fokusakzent erhalten sollten. Sowohl in (25) als auch in (28) könnte perché ohne Bedeutungseffekte durch siccome oder poiché ersetzt werden. Nach Ansicht von Lombardi Vallauri sind thematische perché-Sätze inakzeptabel. Nach unserem Sprachgefühl sind Belege wie (25) und (28) nicht absolut ungrammatisch. Unserer Meinung nach sind sie eher als untypisch und stilistisch fragwürdig einzustufen. Der Sprecher hat sich ungeschickt, aber nicht unkorrekt ausgedrückt. Anstelle von perché wären poiché oder siccome passender gewesen. Im Vergleich zwischen dem Italienischen und dem Deutschen zeigt sich, dass Beschränkungen der Stellungsfreiheit bei den Kausalkonjunktionen im Deutschen typischerweise von der Syntax ausgehen (obligatorische Nachstellung des Konjunktors denn und von weil mit Verbzweitsatz), während im Italienischen die Informationsstruktur maßgeblich ist. Alle drei untersuchten Konnektoren des Italienischen zeigen Präferenzen in Bezug auf den informationellen Status des von ihnen eingeleiteten Konnekts. Siccome und poiché sind zwar auch mit neuen Ursachen kompatibel, zeigen aber eine deutliche Bevorzugung bekannter Ursachen. Perché bevorzugt neue Ursachen. Da für das Italienische die Abfolge Thema vor Rhema typisch ist, ergibt sich aus den informationsstrukturellen Präferenzen der Konnektoren ihr charakteristisches Stellungsverhalten (vgl. Serianni 2000, S. 399f.; Berretta 1995, S. 155f.; Gruppo di Padova 1979, S. 333f.). 3. Unterordnungsverhältnisse Nachdem wir die lineare Stellung von Kausalsätzen im Deutschen und Italienischen untersucht haben, wollen wir kurz auf die Unterordnungsverhältnisse zwischen den Konnekten in Kausalverknüpfungen eingehen. Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 225 Wie in Abschnitt 2 schon festgestellt wurde, sind im Deutschen in denn-Verknüpfungen (wie auch in weil-Verbzweitsatz-Verknüpfungen; vgl. Uhmann 1998) die Konnekte syntaktisch koordiniert, also gleichrangig. Die Teilsätze sind syntaktisch voneinander unabhängig und jeder für sich syntaktisch vollständig. Im Gegensatz dazu leiten die Subjunktoren weil und da Nebensätze ein, ordnen also den Kausalsatz dem Konnekt, das die Wirkung ausdrückt, syntaktisch unter (etwa nach den Kriterien für syntaktische Unterordnung bei Haspelmath 1995, S. 12ff.). Weil- und da-Nebensätze können ins Vorfeld (und auch ins Mittelfeld) des anderen Konnekts treten, wodurch sie als syntaktische Konstituenten des übergeordneten Konnekts ausgewiesen sind. Die Stellung des finiten Verbs ist im Deutschen ein wichtiges Signal für die Unterscheidung zwischen selbständigen und subordinierten Sätzen (vgl. Pasch u.a. 2003, S. 230ff.; Blühdorn 2008b, S. 63ff.). Konjunktionen, die wie denn (informell auch weil) Verberst- oder Verbzweitsätze einleiten, sind Konjunktoren (vgl. Uhmann 1998); solche, die wie da und kanonisches weil Verbletztsätze einleiten, sind Subjunktoren: (30) Bewegt euch, denn wir brauchen eure ganze Begeisterung. (31) Heute studiere ich Mathematik, weil mich die Themen, insbesondere die algebraische Topologie, faszinieren. (32) Es folgte eine halbjährige Haftzeit im York Castle, da sie in Pontefract erneut gepredigt hatte. In den Grammatiken des Italienischen werden perché, poiché und siccome als Subjunktoren behandelt (vgl. z.B. Renzi u.a. 1995, Bd. II, S. 738ff.; Lombardi Vallauri 2000, S. 64ff.). Die Verhältnisse sind aber auf den ersten Blick nicht so klar wie im Deutschen, da die Stellung des Finitums im Italienischen kein Kriterium für die Unterscheidung zwischen subordinierten und selbständigen Sätzen ist. Im Italienischen haben Sätze, die durch Subjunktoren eingeleitet sind (vgl. 33), die gleiche Syntax wie Sätze, die durch Konjunktoren eingeleitet sind (vgl. 33a): (33) Poiché il testo è il fulcro di un atto comunicativo, esso deve trasmettere al destinatario una o più informazioni. Subjunktor der Text ist der Dreh- und Angelpunkt eines Sprechakts, dieser muss übermitteln an den Empfänger eine oder mehrere Informationen ‘Da der Text der Dreh- und Angelpunkt eines Sprechakts ist, muss er dem Empfänger eine oder mehrere Informationen übermitteln.’ Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 226 (33a) Il testo è il fulcro di un atto comunicativo ed esso deve trasmettere al destinatario una o più informazioni. der Text ist der Dreh- und Angelpunkt eines Sprechakts, Konjunktor dieser muss übermitteln an den Empfänger eine oder mehrere Informationen ‘Der Text ist der Dreh- und Angelpunkt eines Sprechakts, und er muss dem Empfänger eine oder mehrere Informationen übermitteln.’ Als Kriterium für die Unterscheidung zwischen selbständigen und subordinierten Sätzen kommt stattdessen vor allem die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit in Betracht, den konnektor-eingeleiteten Teilsatz voranzustellen (vgl. Haspelmath 1995, S. 13f.). Ist Voranstellung möglich, so ist der Teilsatz subordiniert und sein Einleiter ist ein Subjunktor; ist Voranstellung nicht möglich, so ist der Einleiter ein Konjunktor und beide Teilsätze sind koordiniert (vgl. Renzi u.a. 1995, Bd. I, S. 228f.): (34) Non esco se piove. nicht ich ausgehe Subjunktor es regnet ‘Ich gehe nicht aus, wenn es regnet.’ (34a) Se piove non esco. Subjunktor es regnet nicht ich ausgehe ‘Wenn es regnet, gehe ich nicht aus.’ (35) Prendi la tua macchina o vieni con noi? du nimmst das dein Auto Konjunktor du kommst mit uns ‘Nimmst du dein Auto oder kommst du mit uns? ’ (35a) *O vieni con noi prendi la tua macchina? Konjunktor du kommst mit uns du nimmst das dein Auto ‘Oder kommst du mit uns nimmst du dein Auto? ’ In (34) kann der se-Satz vorangestellt werden. Es handelt sich also um einen Nebensatz, und se ist ein Subjunktor. In (35) kann der durch o eingeleitete Teilsatz nicht vorangestellt werden. O ist ein Konjunktor; beide Teilsätze sind koordiniert. Wie wir in Abschnitt 2 gesehen haben, sind poiché-Sätze im Vergleich zu anderen Kausalsätzen relativ frei beweglich. Poiché kann also als ein typischer Subjunktor gelten. Auch siccome wird durch die obligatorische Voranstellung als Subjunktor ausgewiesen. Im Gegensatz dazu ist die Voranstellung von Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 227 perché-Sätzen selten und stark markiert. Demnach ist perché kein typischer Subjunktor. Möglicherweise ist es auf dem Weg, sich zu einem Konjunktor zu entwickeln (vgl. auch Moretti 1982, S. 190). Allerdings zeigen perché-Verknüpfungen noch das subordinations-typische Verhalten bei der Bindung leerer Subjekte (vgl. Renzi u.a. 1995, Bd. II, S. 749): (36a) Giovanni i era ubriaco perché Ø i aveva bevuto molto. Giovanni i war besoffen Konnektor Ø i hatte getrunken viel ‘Giovanni i war besoffen, weil er i viel getrunken hatte.’ (36b) È perché Ø i aveva bevuto molto che Giovanni i era ubriaco. ist Konnektor Ø i hatte getrunken viel dass Giovanni i war besoffen ‘Es ist weil er i viel getrunken hatte, dass Giovanni i besoffen war.’ (36c) È perché Giovanni i aveva bevuto molto che Ø i era ubriaco. ist Konnektor Giovanni i hatte getrunken viel dass Ø i war besoffen ‘Es ist weil Giovanni i viel getrunken hatte, dass er i besoffen war.’ (36d) *Ø i era ubriaco perché Giovanni i aveva bevuto molto. Ø i war besoffen Konnektor Giovanni i hatte getrunken viel ‘Er i war besoffen, weil Giovanni i viel getrunken hatte.’ Der Index i soll die Koreferenz der gekennzeichneten Ausdrücke und leeren Subjekte anzeigen. (36a/ b) zeigen, dass ein leeres Subjekt im perché-Satz unabhängig von dessen Stellung koreferent mit dem expliziten Subjekt des anderen Teilsatzes sein kann. Dagegen kann ein leeres Subjekt im anderen Teilsatz nur dann koreferent mit dem expliziten Subjekt des perché-Satzes sein, wenn der perché-Satz vorangestellt ist (vgl. 36c/ d). Diese Asymmetrie ist typisch für Subordinations-Verknüpfungen (vgl. Renzi u.a. 1995, Bd. II, S. 749; Kortmann 1996, S. 29). In Koordinations-Verknüpfungen kann grundsätzlich nur ein leeres Subjekt im zweiten Teilsatz koreferent mit einem expliziten Subjekt im ersten Teilsatz sein, wie (37a-d) zeigen: (37a) Sandra i vuole andar a letto adesso e Ø i deve alzarsi presto domani. Sandra i will gehen ins Bett jetzt Konnektor Ø i muss aufstehen früh morgen ‘Sandra i will jetzt ins Bett gehen und Ø i muss morgen früh aufstehen.’ Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 228 (37b) *Ø i vuole andar a letto adesso e Sandra i deve alzarsi presto domani. Ø i will gehen ins Bett jetzt Konnektor Sandra i muss aufstehen früh morgen ‘Ø i will jetzt ins Bett gehen und Sandra i muss morgen früh aufstehen.’ (37c) Sandra i deve alzarsi presto domani e Ø i vuole andar a letto adesso. Sandra i muss aufstehen früh morgen Konnektor Ø i will gehen ins Bett jetzt ‘Sandra i muss morgen früh aufstehen und Ø i will jetzt ins Bett gehen.’ (37d) *Ø i deve alzarsi presto domani e Sandra i vuole andar a letto adesso. Ø i muss aufstehen früh morgen Konnektor Sandra i will gehen ins Bett jetzt ‘Ø i muss morgen früh aufstehen und Sandra i will jetzt ins Bett gehen.’ Nach diesem Kriterium ist es gerechtfertigt, auch perché gegenwartssprachlich noch als Subjunktor zu behandeln. 4. Mögliche Lesarten von Kausalverknüpfungen Im Hinblick auf das semantische Verhältnis zwischen den Konnekten sind in der Literatur für kausale Satzverknüpfungen drei Typen von Lesarten postuliert worden (Sweetser 1990, S. 74ff.; Blühdorn 2006, S. 265ff.): (i) dispositionelle Lesarten (ii) epistemische Lesarten (iii) deontisch-illokutionäre Lesarten Bei dispositionellen Lesarten liefert der Kausalsatz eine Ursache für die Faktizität des im anderen Konnekt beschriebenen Sachverhalts. Manche Autoren sprechen hier auch von Sachverhaltsbegründung (Dittmar/ Bressem 2005, S. 112) bzw. von Realgründen (Zifonun u.a. 1997, S. 2296ff.). Bei epistemischen Lesarten gibt der Kausalsatz eine Evidenz, die den Sprecher zu der im anderen Konnekt ausgedrückten Schlussfolgerung führt. Die Plausibilität einer Aussage wird gerechtfertigt. Zifonun u.a. (1997, S. 2296ff.) sprechen in diesem Zusammenhang auch von Erkenntnisgründen. Bei deontisch-illokutionären Lesarten bezieht sich der Kausalkonnektor auf den ausgeführten Sprechakt (Aussage, Frage, Aufforderung o.Ä.). Für diesen liefert der Kausalsatz ein Motiv (vgl. auch Lo Cascio 1991, S. 254ff.). Es geht um die Rechtfertigung sprachlicher Handlungen. Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 229 In Anlehnung an Blühdorn (2006, S. 266) bezeichnen wir dispositionelle Lesarten als nicht-modal und fassen epistemische und deontisch-illokutionäre als modale Lesarten zusammen. Epistemische und deontisch-illokutionäre Kausalverknüpfungen geben Erklärungen (Rechtfertigungen), dispositionelle geben Ursachen an. Die unterschiedlichen Verknüpfungslesarten sind immer wieder mit syntaktischen Unterschieden in Verbindung gebracht worden (vgl. Haegemann 1985; Kortmann 1996, S. 28ff.). Demnach können adverbiale Nebensätze, die in einer tiefen Strukturposition (z.B. an die Verbalphrase) adjungiert sind, nur dispositionell gelesen werden. Modale Verknüpfungslesarten sind nur bei Nebensätzen möglich, die in einer hohen Strukturposition (an den Satz) adjungiert sind (vgl. Blühdorn 2008a, S. 231ff.). Für das Italienische machen Renzi u.a. (1995, Bd. II, S. 350, 384) die Unterscheidung zwischen „avverbiali di predicato“ (Prädikatsadverbialia) und „avverbiali di frase“ (Satzadverbialia), die sie auch auf Kausalsätze anwenden (ebd., S. 739). Berretta (1984, S. 245ff.) spricht von „connettivi semantici“ (semantischen Konnektoren) und „connettivi pragmatici“ (pragmatischen Konnektoren). Im Gegensatz zu den semantischen Konnektoren verknüpfen die pragmatischen ihrer Darstellung nach keine Sachverhalte, sondern Sprechakte. An der Satzoberfläche ist es oft nicht entscheidbar, ob ein Kausalsatz in einer hohen oder einer tiefen Strukturposition adjungiert ist. Beispielsätze wie (38) erlauben dispositionelle, epistemische und deontisch-illokutionäre Interpretationen, wie die Paraphrasen in (38i-iii) zeigen: (38) Sie muss arbeiten, weil ihr Einkommen nicht so viel ist und sie Miete zahlen müssen, und ihr Mann auch nicht so viel Pension hat. (38i) ‘Es ist der Fall, dass sie arbeiten muss, und die Ursache dafür ist, dass es der Fall ist, dass ihr Einkommen sowie die Pension ihres Mannes gering sind und sie Miete bezahlen müssen.’ (dispositionelle Lesart) (38ii) ‘Der Sprecher ist davon überzeugt, dass sie arbeitet, und die Evidenz, die ihn davon überzeugt (mit der er seine Überzeugung rechtfertigt), ist das Wissen, dass ihr Einkommen sowie die Pension ihres Mannes gering sind und dass sie Miete bezahlen müssen.’ (epistemische Lesart) (38iii) ‘Der Sprecher fordert, dass sie arbeitet, und das Motiv für diese Forderung (mit dem er seine Forderung rechtfertigt) ist, dass ihr Einkommen sowie die Pension ihres Mannes gering sind und dass sie Miete bezahlen müssen.’ (deontisch-illokutionäre Lesart) Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 230 Analoge Lesarten lassen sich auch vielen Kausalverknüpfungen im Italienischen zuordnen (vgl. 39i-iii): 15 (39) I bambini non mangiano, perché non sono a casa loro. die Kinder nicht essen, Konnektor nicht sind in Haus ihr ‘Die Kinder essen nicht, weil sie nicht bei sich zu Hause sind.’ (39i) ‘Es ist nicht der Fall, dass die Kinder essen, und die Ursache dafür ist, dass es nicht der Fall ist, dass sie bei sich zu Hause sind.’ (dispositionelle Lesart) (39ii) ‘Der Sprecher ist davon überzeugt, dass die Kinder nicht essen, und die Evidenz, die ihn zu dieser Überzeugung führt (mit der er seine Überzeugung rechtfertigt), ergibt sich aus dem Wissen, dass sie nicht bei sich zu Hause sind.’ (epistemische Lesart) (39iii) ‘Der Sprecher fordert, dass die Kinder nicht essen, und das Motiv für seine Forderung (mit dem er seine Forderung rechtfertigt) ergibt sich daraus, dass sie nicht bei sich zu Hause sind.’ (deontisch-illokutionäre Lesart) Dispositionelle und epistemische Lesarten sind durch allgemeine Schlussfolgerungsregeln miteinander verbunden. Wenn ein Sachverhalt der Fall ist, so kann sich der Sprecher ohne weiteres davon überzeugen, dass eine Proposition, die ihn beschreibt, wahr ist. Umgekehrt impliziert die Wahrheit einer Proposition, dass der Sachverhalt, den sie beschreibt, der Fall ist. Deontisch-illokutionäre Lesarten können bei Deklarativsätzen nicht immer so unmittelbar abgeleitet werden. Der Sprechakt, der mit einem Deklarativsatz typischerweise ausgeführt wird, ist der Akt des Behauptens. Für Kausalverknüpfungen wie (39) bietet sich aber keine Interpretation an, in der der Kausalsatz den Akt des Behauptens rechtfertigt, bzw. eine solche Lesart wäre von der epistemischen nicht zu unterscheiden. Deklarativsätze können aber unter bestimmten Umständen als indirekte Aufforderungen verstanden werden. Wenn eine solche Lesart möglich ist (vgl. 39iii), so ist sie von der epistemischen Lesart deutlich verschieden. Bei vielen Kausalverknüpfungen sind nicht alle drei Lesarten möglich. Eine deontisch-illokutionäre Interpretation kann zum Beispiel ausscheiden, wenn die Interpretation eines Deklarativsatzes als indirekte Aufforderung nicht plausibel ist: 15 Nach Berretta (1984, S. 250) zeichnet sich im gesprochenen Italienisch die Tendenz ab, die dispositionelle Lesart von den anderen Lesarten durch lexikalische Einheiten zu unterscheiden, die die kausale Konjunktion ersetzen oder zusammen mit ihr vorkommen (z.B. ecco la ragione per cui, ‘hier der Grund dafür, dass’; proprio perché, ‘gerade weil’ u.a.). Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 231 (40) Intanto il concorrente di Chi vuol essere milionario? è andato a casa perché non sapeva da che film è tratta la citazione. inzwischen der Mitspieler von Chi vuol essere milionario? [Wer wird Millionär? ] ist ausgeschieden Konnektor nicht wusste aus welchem Film ist genommen das Zitat ‘Inzwischen ist der Mitspieler von Wer wird Millionär? ausgeschieden, weil er nicht wusste, aus welchem Film das Zitat stammte.’ Für Beispiel (40) ist nur eine dispositionelle oder eine epistemische Deutung plausibel: (40i) ‘Es ist der Fall, dass der Mitspieler von Wer wird Millionär? inzwischen ausgeschieden ist, und die Ursache dafür ist, dass es der Fall war, dass er nicht wusste, aus welchem Film das Zitat stammt.’ (dispositionelle Lesart) (40ii) ‘Der Sprecher ist davon überzeugt, dass der Mitspieler von Wer wird Millionär? inzwischen ausgeschieden ist, und die Evidenz, die ihn davon überzeugt, ergibt sich aus dem Wissen, dass der Mitspieler nicht wusste, aus welchem Film das Zitat stammt.’ (epistemische Lesart) Eine deontisch-illokutionäre Lesart dieses Beispiels ist deshalb kaum plausibel, weil das erste Konnekt im Perfekt steht (è andato a casa, ‘ist ausgeschieden’). Deklarativsätze in einem Vergangenheitstempus können nicht als indirekte Aufforderungen interpretiert werden. Ersetzte man das Perfekt durch das Präsens, so wäre für diesen Satz auch eine Lesart als indirekte Aufforderung möglich: (40a) Intanto il concorrente di Chi vuol essere milionario? va a casa perché non sa da che film è tratta la citazione. inzwischen der Mitspieler von Chi vuol essere milionario? scheidet aus Konnektor nicht weiß aus welchem Film ist genommen das Zitat ‘Inzwischen scheidet der Mitspieler von Wer wird Millionär? aus, denn er weiß nicht, aus welchem Film das Zitat stammt.’ (40aiii) ‘Der Sprecher fordert, dass der Mitspieler von Wer wird Millionär? ausscheidet, und das Motiv für diese Forderung ergibt sich daraus, dass der Mitspieler nicht weiß, aus welchem Film das Zitat stammt.’ (deontischillokutionäre Lesart) Ein weiterer Faktor, der die Möglichkeit deontisch-illokutionärer Lesarten beeinflusst, ist die Intentionsfähigkeit des besprochenen Subjekts. Nur intentionsfähige Subjekte kommen als Adressaten von Aufforderungen in Frage. Ist das Subjekt intentionsunfähig, so kann ein Deklarativsatz nicht als indirekte Aufforderung gedeutet werden: Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 232 (41) Il libro presenta un racconto interessante per gli studenti, perché la vicenda si svolge in una scuola. das Buch stellt vor eine Erzählung interessant für die Schüler, Konnektor die Handlung sich abspielt in einer Schule ‘Das Buch erzählt eine Geschichte, die für Schüler interessant ist, denn die Handlung spielt in einer Schule.’ In diesem Beispiel ist das Subjekt des ersten Konnekts ein Buch, also ein intentionsunfähiger Gegenstand. Der Deklarativsatz kann somit nicht als Aufforderung gelesen werden, da es sinnlos wäre, ein Buch dazu aufzufordern, interessant zu sein. Eine deontisch-illokutionäre Lesart ist dennoch möglich, und zwar in dem Sinne, dass der Sprecher mit dem Kausalsatz ein Motiv für seine Bewertung des Buches anführt. Auch die Möglichkeit dispositioneller Interpretationen wird durch den Kontext beeinflusst. Betrachten wir zur Illustration Beispiel (42): (42) Gibt es nun irgendeinen Befehl mit dem ich ein Divtag unsichtbar machen kann? […] Aber das weisst du sicherlich, weil du ja fortgeschrittene Flasherfahrung hast. Für dieses Beispiel kommt nur eine epistemische Lesart in Frage: (42ii) ‘Der Sprecher ist davon überzeugt (sicherlich), dass es wahr ist, dass der Adressat X weiß, und er leitet diese Überzeugung daraus ab, dass er weiß, dass der Adressat fortgeschrittene Flasherfahrung hat.’ Eine deontisch-illokutionäre Interpretation ist hier nicht naheliegend, da es nicht sinnvoll ist, jemanden dazu aufzufordern, etwas zu wissen. Auch das epistemische Satzadverb sicherlich spricht gegen eine deontisch-illokutionäre Deutung. Eine dispositionelle Lesart von (42) wäre folgendermaßen zu paraphrasieren: (42i) ‘Es ist der Fall, dass der Adressat X sicherlich weiß, und die Ursache dafür ist, dass es der Fall ist, dass er ja fortgeschrittene Flasherfahrung hat.’ Eine solche Lesart ist ganz ausgeschlossen. Verantwortlich dafür sind die epistemische Modalpartikel ja im Kausalsatz und das epistemische Adverb sicherlich im Hauptsatz. Sicherlich kann nicht als Modifikation des Verbs wissen interpretiert werden. Es kann sich nur auf die Sicherheit beziehen, mit der der Sprecher die Proposition aussagt. Die epistemische Modalpartikel ja weist darauf hin, dass die Wahrheit der Proposition des Kausalsatzes zwischen den Kommunikationspartnern unstrittig ist. Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 233 Nach Blühdorn (2008a) kommen epistemische Lesarten von Satzverknüpfungen dann zustande, wenn der Konnektor Skopus über epistemische Operatoren in den verknüpften Konnekten hat. Hat dagegen ein epistemischer Operator Skopus über den Konnektor, so kann die Verknüpfung nur dispositionell gelesen werden. (42) kann nur so gelesen werden, dass sowohl sicherlich als auch ja im Skopus von weil liegen. Aus dieser Konstellation ergibt sich die epistemische Interpretation. Das Satzadverb sicherlich kann nicht Skopus über weil nehmen, weil der Nebensatz eine Modalpartikel enthält. Modalpartikeln im Nebensatz müssen im Skopus des Konnektors liegen und können nicht selbst Skopus über den Konnektor nehmen. Deshalb ist in (42) eine dispositionelle Interpretation ausgeschlossen. Ein weiteres Beispiel, diesmal aus dem Italienischen: (43) Il dottore non chiederà oltre, perché sicuramente conosce molto bene la sintomatologia. der Arzt nicht wird fragen weiter, Konnektor sicherlich kennt sehr gut die Symptome ‘Der Arzt wird nicht weiter fragen, weil er sicherlich die Symptome sehr gut kennt.’ Zu diesem Beispiel ist die epistemische Deutung (43ii) naheliegend, die dispositionelle (43i) dagegen unplausibel: (43i) ‘Es ist der Fall, dass der Arzt nicht weiterfragen wird, und die Ursache dafür ist, dass es der Fall ist, dass er sicherlich die Symptome sehr gut kennt.’ (43ii) ‘Der Sprecher erwartet, dass der Arzt nicht weiterfragen wird, und die Evidenz, die ihn zu dieser Erwartung führt, ergibt sich aus seiner Annahme, dass der Arzt die Symptome sehr gut kennt.’ Das epistemische Adverb sicuramente (‘sicherlich’) im Nebensatz kann nicht als Modifikator des Verbs conosce (‘kennt’) verstanden werden. Als solcher müsste es wie molto bene rechts des Verbs stehen. Sicuramente bezieht sich auf die Sicherheit, mit der der Sprecher annimmt, dass der Arzt die Symptome gut kennt. Aus dem Nebensatz heraus kann sicuramente nicht Skopus über den Konnektor perché nehmen, sondern muss selbst im Skopus des Konnektors liegen. Das Verb des Hauptsatzes chiederà (‘wird fragen’) steht im Futur, einem Tempus, das eine epistemische Interpretation begünstigt (Erwartung). Da der Konnektor Skopus über den epistemischen Operator des Nebensatzes nimmt, muss er auch Skopus über den epistemischen Operator des Hauptsatzes nehmen. So ergibt sich die epistemische Lesart der Verknüpfung. Die dis- Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 234 positionelle Lesart (43i) wäre nur möglich, wenn der epistemische Operator des Hauptsatzes (Futur) Skopus über den Konnektor hätte. In diesem Fall könnte sicuramente nicht auf das Wissen des Sprechers, sondern müsste auf die Kenntnisse des Arztes bezogen werden. Diese Interpretation ist jedoch durch seine Stellung links des Verbs ausgeschlossen. Auch eine deontisch-illokutionäre Lesart von (43) ist nicht unbedingt naheliegend. Das Futur im Hauptsatz könnte zwar auch deontisch im Sinne einer Empfehlung verstanden werden: (43iii) ‘Der Sprecher empfiehlt dem Arzt, nicht weiterzufragen, und das Motiv für seine Empfehlung ergibt sich aus seiner Überzeugung, dass der Arzt die Symptome sehr gut kennt.’ Das Adverb sicuramente im Nebensatz ist aber auf jeden Fall epistemisch zu lesen. Es entsteht also eine Konkurrenz zwischen einer epistemischen und einer deontisch-illokutionären Lesart der Verknüpfung. Eine deontisch-illokutionäre Lesart wäre präferiert, wenn sicuramente weggelassen würde. Eine dispositionelle Verknüpfungslesart ist auch dann weniger naheliegend, wenn der Kausalsatz eine Bewertung kodiert: (44) Mein Freund bleibt hier, weil es hier viel schöner ist. Als dispositionelle Verknüpfung wäre dieses Beispiel folgendermaßen zu paraphrasieren: (44i) ‘Es ist der Fall, dass mein Freund hier bleibt, und die Ursache dafür ist, dass es der Fall ist, dass es hier viel schöner ist.’ Der Kausalsatz dass es hier viel schöner ist enthält eine Bewertung. Bewertungen können nicht einfach als Beschreibungen von Sachverhalten verstanden werden, die zu einem bestimmten Zeitpunkt der Fall sind. Bewertungen nehmen Bezug auf Wertesysteme, aus denen Abstufungen der Erwünschtheit für Ereignisse und Handlungen abgeleitet werden können. Vor diesem Hintergrund liegen für Beispiele wie (44) deontisch-illokutionäre Lesarten viel näher: (44iii) ‘Die Sprecherin fordert, dass ihr Freund am Sprechort bleibt, und das Motiv für ihre Forderung ergibt sich aus der Bewertung, dass es dort viel schöner ist.’ Auch eine epistemische Lesart von (44) ist möglich: (44ii) ‘Die Sprecherin ist davon überzeugt, dass ihr Freund am Sprechort bleibt, Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 235 und die Evidenz, die sie zu dieser Überzeugung führt, ergibt sich aus der Bewertung, dass es dort viel schöner ist.’ Eine dispositionelle Lesart von (44) kann sich aber daraus ergeben, dass der Kausalsatz als Bewertung des Subjekts, d.h. hier: des Freundes, interpretiert wird. Diese Bewertung wäre dann ein Motiv, das seine Entscheidung, am Sprechort zu bleiben, motiviert (berichtetes Motiv). Diese Variante einer dispositionellen Lesart kommt auch für Verknüpfungen in Frage, in denen der Kausalsatz eine Bewertung kodiert. Im Folgenden untersuchen wir die sechs Kausalkonnektoren etwas genauer in Bezug auf mögliche Verknüpfungslesarten. 4.1 Denn Denn ist sprachgeschichtlich zunächst ein temporales Adverb, das eine Relation der zeitlichen Abfolge zwischen Sachverhalten bezeichnet (vgl. Eroms 1980, S. 107ff.). Als Konjunktor hat es Erklärungsbedeutung angenommen. Das von ihm eingeleitete Konnekt führt eine Evidenz oder ein Motiv ein, das geeignet ist, das andere Konnekt verständlich zu machen (vgl. ebd., S. 92ff.), d.h. der Konjunktor denn ist auf epistemische und deontisch-illokutionäre Verknüpfungen spezialisiert. Einfache dispositionelle Verursachungsrelationen zwischen Sachverhalten kann er nicht kodieren. Er kann aber dispositionell verknüpfen, indem er Motive oder Evidenzen einführt, die das besprochene Subjekt zu einer Überzeugung oder einer Handlung führen (berichtete Evidenz bzw. berichtetes Motiv). Nach Pasch u.a. (2003, S. 176) „bildet denn keine Propositionen“. Damit ist gemeint, dass dieser Konnektor seine Konnekte nicht zu einer komplexen Aussage vereinigt. Jedes Konnekt bleibt als Aussage selbständig. Denn stiftet lediglich eine Verknüpfung auf der epistemischen Ebene und/ oder auf der Sprechaktebene. Diese Eigenschaft ist möglicherweise zum Teil syntaktisch bedingt, und zwar dadurch, dass denn als Konjunktor syntaktisch außerhalb beider Konnekte steht und nur V1- oder V2-Sätze verknüpfen kann (ebd., S. 585ff.). Betrachten wir zur Illustration das folgende Beispiel: (45) Dort stehen die junge Frau und ihr Mann. […] Sie gehen sofort weg von hier, denn sie wissen genau, was sie im Moment brauchen. Das Beispiel erlaubt die folgenden Lesarten: Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 236 (45ii) ‘Der Sprecher ist davon überzeugt, dass die junge Frau und ihr Mann sofort weggehen, und die Evidenz, die ihn zu dieser Überzeugung führt, ergibt sich aus dem Wissen, dass die besprochenen Personen genau wissen, was sie im Moment brauchen (nämlich etwas anderes als am Sprechort zu bleiben).’ (epistemische Lesart) (45iii) ‘Der Sprecher fordert, dass die junge Frau und ihr Mann sofort weggehen, und das Motiv für seine Forderung ergibt sich daraus, dass er sich zu der Annahme berechtigt fühlt, dass die besprochenen Personen genau wissen, was sie im Moment brauchen (nämlich etwas anderes als am Sprechort zu bleiben).’ (deontisch-illokutionäre Lesart) Eine einfache dispositionelle Lesart wäre folgendermaßen zu paraphrasieren: (45i-a) ‘Es ist der Fall, dass die junge Frau und ihr Mann sofort weggehen, und dies wird dadurch verursacht, dass es der Fall ist, dass sie genau wissen, was sie im Moment brauchen.’ Eine solche Lesart von (45) ist nicht naheliegend. Sie wäre eher denkbar, wenn die Teilsätze durch weil verknüpft wären, aber auch in diesem Fall würde der Inhalt des Kausalsatzes einer einfachen dispositionellen Interpretation im Wege stehen. Der Kausalsatz enthält einen epistemischen (wissen) und einen deontischen Ausdruck (brauchen). Von daher legt er vor allem eine Erklärungs- und keine Ursache-Lesart nahe. Dispositionell kann (45) deshalb in erster Linie als berichtetes Motiv, d.h. im Sinne von (45i-b), interpretiert werden: (45i-b) ‘Es ist der Fall, dass die junge Frau und ihr Mann sofort weggehen, und das Motiv, das ihr Weggehen erklärt, ergibt sich daraus, dass sie genau wissen, was sie im Moment brauchen.’ In (45) ist von einem typischen intentionsfähigen Subjekt (Personen) die Rede. Der Kausalsatz beschreibt Sachverhalte, die typische Handlungsmotive darstellen: Wissen und Brauchen. Es geht um Intentionen und Zielsetzungen sowie um die Mittel, mit denen sie erreicht werden können. Zusammenfassung: Denn ist spezialisiert auf Erklärungen und legt modale (epistemische oder deontisch-illokutionäre) Verknüpfungslesarten nahe. Dispositionell kann es nur im Sinne von berichteten Evidenzen oder Motiven interpretiert werden. Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 237 4.2 Weil und perché Bei weil und perché sind dispositionelle, epistemische und deontisch-illokutionäre Lesarten gleichermaßen möglich. Ausgangslesart ist aber stets die dispositionelle. (46) Microsoft spart, weil die Geschäfte weltweit schlechter gehen. (46) ist bevorzugt im Sinne von (46i) zu lesen, aber epistemische (46ii) und deontisch-illokutionäre (46iii) Fortinterpretationen sind möglich: (46i) ‘Es ist der Fall, dass Microsoft spart, und die Ursache dafür ist, dass es der Fall ist, dass die Geschäfte weltweit schlechter gehen.’ (46ii) ‘Der Sprecher ist davon überzeugt, dass Microsoft spart, und die Evidenz, die ihn davon überzeugt, ergibt sich aus dem Wissen, dass die Geschäfte weltweit schlechter gehen.’ (46iii) ‘Der Sprecher fordert, dass Microsoft spart, und das Motiv für diese Forderung ergibt sich daraus, dass die Geschäfte weltweit schlechter gehen.’ Der weil-Satz in (46) ist nachgestellt. Das Beispiel zeigt, dass nachgestellte weil-Sätze zunächst eine dispositionelle Deutung ermöglichen und dann auch epistemisch und deontisch-illokutionär fortinterpretiert werden können. Ist aber der weil-Satz vorangestellt, so scheiden modale Interpretationen aus (vgl. Blühdorn 2006, S. 267). (47) kann also nur dispositionell im Sinne von (47i) verstanden werden. Epistemische oder deontisch-illokutionäre Lesarten im Sinne von (47ii) und (47iii) sind hier nicht möglich: (47) Weil die Stadt ein reiches und vitales kulturelles Angebot […] bereithält, ist die Wissenschaftsstadt Jena ein hervorragender Standort für die Universität. (47i) ‘Es ist der Fall, dass Jena ein hervorragender Standort für die Universität ist, und die Ursache dafür ist, dass es der Fall ist, dass die Stadt ein reiches und vitales kulturelles Angebot bereithält.’ (dispositionelle Lesart) (47ii) ‘Der Sprecher ist davon überzeugt, dass Jena ein hervorragender Standort für die Universität ist, und die Evidenz, die ihn davon überzeugt, ergibt sich aus dem Wissen, dass die Stadt ein reiches und vitales kulturelles Angebot bereithält.’ (epistemische Lesart) (47iii) ‘Der Sprecher behauptet, dass Jena ein hervorragender Standort für die Universität ist, und das Motiv, dass ihn zu dieser Behauptung veranlasst, ergibt sich daraus, dass die Stadt ein reiches und vitales kulturelles Angebot bereithält.’ (deontisch-illokutionäre Lesart) Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 238 Auch bei perché-Verknüpfungen ist die Ausgangsinterpretation dispositionell. Andere Lesarten sind möglich, wenn ein geeigneter Kontext vorliegt (vgl. Berretta 1984, S. 245ff.): (48) Lei non scrive e-mail perché riesce solo a leggerle alla sera e non a rispondere. sie nicht schreibt E-Mails Konnektor schafft es nur zu lesen sie am Abend und nicht zu antworten ‘Sie schreibt keine E-Mails, weil sie es abends nur schafft, sie zu lesen, und nicht, sie zu beantworten.’ Der Konnektor perché begünstigt hier zunächst eine dispositionelle Lesart: (48i) ‘Es ist nicht der Fall, dass sie E-Mails schreibt, und die Ursache dafür ist, dass es der Fall ist, dass sie es abends nur schafft, die Nachrichten zu lesen, und nicht, sie zu beantworten.’ Wie auch bei weil sind epistemische und deontisch-illokutionäre Fortinterpretationen möglich, wenn der perché-Satz nachgestellt ist. Seine Voranstellung schließt modale Lesarten aus. Da perché aber fast immer nachgestellt ist, sind modale Deutungen bei perché-Verknüpfungen in der Regel möglich (vgl. Berretta 1984, S. 250). So ermöglicht Satz (48) neben der dispositionellen auch eine epistemische und eine deontisch-illokutionäre Interpretation: (48ii) ‘Der Sprecher ist davon überzeugt, dass sie keine E-Mails schreibt, und die Evidenz, die ihn zu dieser Überzeugung führt, ergibt sich aus dem Wissen, dass sie es abends nur schafft, die Nachrichten zu lesen und nicht, sie zu beantworten.’ (48iii) ‘Der Sprecher fordert, dass sie keine E-Mails schreibt, und das Motiv für diese Forderung ergibt sich daraus, dass sie es abends nur schafft, die Nachrichten zu lesen und nicht, sie zu beantworten.’ Zusammenfassung: Weil und perché legen dispositionelle Lesarten nahe. Wenn der Kausalsatz vorangestellt ist, sind epistemische und deontisch-illokutionäre Deutungen ausgeschlossen. Nachgestellte weil- und perché-Sätze können epistemisch und deontisch-illokutionär fortinterpretiert werden. 4.3 Da, poiché und siccome Der Subjunktor da weist darauf hin, dass die Information des von ihm eingeleiteten Konnekts dem Adressaten schon bekannt ist oder dass der Adressat zusätzliches schon bekanntes Hintergrundwissen nutzen kann, um den Zusammenhang zwischen den Konnekten nachzuvollziehen. Die Wirkung ist Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 239 dagegen bei da stets neue Information. Die Bedeutungskomponente der Bekanntheit und der Hinweis auf die Nachvollziehbarkeit des Zusammenhangs zwischen den Konnekten begünstigen bei da-Verknüpfungen grundsätzlich epistemische Interpretationen. Dispositionelle Lesarten werden per Implikation zugänglich: In vielen Fällen liefert die Wahrheit einer Proposition p gerade deshalb eine Evidenz für die Wahrheit einer Proposition q, weil die Faktizität eines der beschriebenen Sachverhalte auf die Faktizität des anderen zurückgeführt werden kann (vgl. Zifonun u.a. 1997, S. 2303f.). Hierzu ein Beispiel: (49) Sicherlich ist von einem Film des Kalibers „Lebenszeichen“ kaum ein großer Umsatz zu erwarten, da er nicht nur sperrig [...] ist, sondern eben auch recht unbekannt. Die da-Verknüpfung ist hier so zu verstehen, dass aus dem Wissen, dass der Film „Lebenszeichen“ sperrig und recht unbekannt ist, geschlossen wird (bzw. aufgrund von voraussetzbarem Hintergrundwissen geschlossen werden kann), dass von ihm kein großer Umsatz zu erwarten ist. Die Schlussfolgerung ist dadurch gerechtfertigt, dass auch zwischen den beschriebenen Sachverhalten ein Kausalnexus besteht. Die geringe Bekanntheit des Films ist eine mögliche Ursache für geringen Umsatz bzw. eine reale Ursache für geringe Umsatzerwartungen. Deontisch-illokutionäre Deutungen werden bei da-Verknüpfungen ebenso wie bei weil-Verknüpfungen durch Fortinterpretation möglich: (50) Da er neugierig und mutig ist, bleibt er für das ganze Jahr im Ausland. Beispiel (50) erlaubt die folgenden Paraphrasen: (50ii) ‘Der Sprecher ist davon überzeugt, dass die besprochene Person für das ganze Jahr im Ausland bleibt, und die Evidenz, die ihn zu dieser Überzeugung führt, ergibt sich daraus, dass die besprochene Person mutig und neugierig ist.’ (50iii) ‘Der Sprecher fordert, dass die besprochene Person für das ganze Jahr im Ausland bleibt, und das Motiv für seine Forderung ergibt sich aus seinem Wissen, dass die besprochene Person mutig und neugierig ist.’ Eine dispositionelle Lesart wäre folgendermaßen zu paraphrasieren: (50i) ‘Es ist der Fall, dass die besprochene Person das ganze Jahr im Ausland bleibt, und die Ursache dafür ist, dass es der Fall ist, dass die besprochene Person neugierig und mutig ist.’ Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 240 Eine Interpretation im Sinne von (50i) ist für (50) nicht die nächstliegende, aber sie ist möglich, weil Neugier und Mut auch als sachliche Voraussetzungen für lange Auslandsaufenthalte interpretierbar sind und insofern zwischen den beschriebenen Sachverhalten ein Kausalnexus konstruiert werden kann. Wären die Teilsätze durch weil verknüpft, so wäre bei Voranstellung des Nebensatzes die dispositionelle Lesart (50i) die einzig mögliche. Bei Nachstellung des weil-Satzes kämen auch epistemische oder deontisch-illokutionäre Fortinterpretationen im Sinne von (50ii) und (50iii) in Frage. Poiché und siccome ähneln dem deutschen da. Sie werden vor allem in Kontexten verwendet, in denen die Ursache dem Adressaten schon bekannt ist. Aufgrund der Bekanntheits-Komponente sind epistemische Lesarten naheliegend. 16 Poiché- und siccome-Sätze können auch deontisch-illokutionär fortinterpretiert werden. Ein Beispiel: (51) A questo utente viene assegnato un codice colore. […] Attende poiché il suo problema di salute implica un minor livello di rischio. diesem Patienten kommt zugeteilt ein Farbcode. […] er wartet Konnektor das sein Gesundheitsproblem bedeutet ein geringeres Risiko ‘Diesem Patienten wird ein Farbcode zugeteilt. […] Er wartet, denn sein Gesundheitsproblem bedeutet nur ein geringes Risiko.’ Für (51) liegen vor allem die folgenden Lesarten nahe: (51ii) ‘Der Sprecher glaubt, dass der Patient wartet, und die Evidenz, die ihn davon überzeugt, ist das Wissen, dass sein Gesundheitsproblem nicht so schlimm ist.’ (epistemische Lesart) (51iii) ‘Der Sprecher fordert, dass der Patient wartet, und das Motiv für diesen Sprechakt ergibt sich aus dem Wissen, dass sein Gesundheitsproblem nicht so schlimm ist.’ (deontisch-illokutionäre Lesart) Eine dispositionelle Lesart ist nur im Sinne eines berichteten Motivs plausibel: (51i) ‘Es ist der Fall, dass der Patient wartet, und das Motiv dafür ergibt sich daraus, dass er selbst weiß, dass sein Gesundheitsproblem nicht so schlimm ist.’ 16 Nach Renzi u.a. (1995, Bd. II, S. 738) haben poiché und siccome die gleiche Bedeutung. Beide führen Evidenzen ein, die zu einer Schlussfolgerung führen (vgl. den Gebrauch von poiché und siccome in Beispielen wie Il vaso era fragile, poiché si è rotto, ‘Die Vase war [offensichtlich] zerbrechlich, da sie zerbrach.’). Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 241 Eine gewöhnliche dispositionelle Lesart in dem Sinne, dass die Ungefährlichkeit des Gesundheitsproblems das Abwarten unmittelbar verursacht, ist unplausibel. Gesundheitsprobleme und -risiken sind prototypische Handlungsmotive. Das Subjekt des Satzes ist intentionsfähig. Ein weiteres Beispiel: (52) Poiché si è concesso il lusso di non avere figli, l'avventuroso Burlador deve avere avuto […] numerosi fratelli. Konnektor sich hat gegönnt den Luxus nicht zu haben Kinder, der abenteuerlustige Verführer soll haben gehabt [...] zahlreiche Geschwister ‘Da er sich den Luxus gegönnt hat, keine Kinder zu haben, muss der abenteuerlustige Verführer (wohl) zahlreiche Geschwister gehabt haben.’ Beispiel (52) erlaubt nur eine epistemische Lesart: (52ii) ‘Der Sprecher vermutet, dass es wahr ist, dass der abenteuerlustige Verführer zahlreiche Geschwister hatte, und er leitet diese Überzeugung aus dem Wissen ab, dass besagter Verführer sich den Luxus gegönnt hat, keine Kinder zu haben.’ Eine deontisch-illokutionäre Interpretation ist nicht naheliegend, da es sinnlos wäre, jemanden dazu zu verpflichten, viele Geschwister gehabt zu haben. Eine dispositionelle Lesart wäre folgendermaßen zu paraphrasieren: (52i) ‘Es ist der Fall, dass der abenteuerlustige Verführer es jemandem schuldig ist, zahlreiche Geschwister gehabt zu haben, und die Ursache dafür ist, dass es der Fall ist, dass er sich den Luxus gegönnt hat, keine Kinder zu haben.’ Auch eine solche Lesart ist offensichtlich unplausibel. Das Modalverb deve (‘muss’) im Hauptsatz lässt schon grammatisch im Grunde keine dispositionelle Lesart zu, weil es das Perfekt einbettet. In Periphrasen mit eingebettetem Perfekt sind Modalverben in aller Regel epistemisch oder deontisch zu lesen. Ebenso wie bei poiché-Sätzen sind auch bei siccome-Verknüpfungen epistemische Deutungen meist besonders naheliegend: (53) Il Manchester United [...] ha acquistato tre centrocampisti, che possono sostituirlo. Siccome abbiamo tre giocatori C. Ronaldo non si ferma più. der Manchester United [...] hat erworben drei Mittelfeldspieler, die können ersetzen-ihn. Konnektor wir haben drei Spieler C. Ronaldo nicht sich hält mehr ‘Manchester United [...] hat drei Mittelfeldspieler gekauft, die ihn ersetzen können. Da wir drei [andere] Spieler haben, bleibt C. Ronaldo nicht mehr hier.’ Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 242 (53) kann epistemisch oder deontisch-illokutionär gelesen werden: (53ii) ‘Der Sprecher ist davon überzeugt, dass C. Ronaldo nicht bleibt, und die Evidenz, die ihn zu dieser Überzeugung führt, ergibt sich aus seinem Wissen, dass drei andere Spieler zur Verfügung stehen.’ (53iii) ‘Der Sprecher fordert, dass C. Ronaldo nicht bleibt, und das Motiv für diese Forderung ergibt sich daraus, dass drei andere Spieler zur Verfügung stehen.’ Eine deontisch-illokutionäre Lesart ist möglich, weil der mit dem Kausalsatz verknüpfte Teilsatz im Präsens steht und das Verb fermarsi (‘bleiben’) kein epistemisches Verb ist. So kann der Satz als Forderung des Sprechers verstanden werden. Eine dispositionelle Lesart von (53) würde der folgenden Paraphrase entsprechen: (53i-a) ‘Es ist der Fall, dass C. Ronaldo nicht bleibt, und die Ursache dafür ist, dass es der Fall ist, dass drei andere Spieler zur Verfügung stehen.’ Eine solche Lesart ist nicht naheliegend, da zwischen dem Weggehen eines Spielers und dem Vorhandensein von drei Spielern nur schwer ein unmittelbarer Kausalnexus konstruiert werden kann. Wäre ein solcher Nexus von der Sache her gegeben, so wäre Lesart (53i-a) für (53) aber möglich. Im übrigen kann (53) ohne weiteres dispositionell im Sinne eines berichteten Motivs interpretiert werden, da der Subjektsreferent C. Ronaldo intentionsfähig ist: (53i-b) ‘Es ist der Fall, dass C. Ronaldo nicht bleibt, und das Motiv, das ihn dazu veranlasst, ergibt sich daraus, dass drei andere Spieler zur Verfügung stehen.’ Zusammenfassung: Da, poiché und siccome führen vorzugsweise bekannte Information als Erklärung an. Sie legen epistemische Lesarten besonders nahe. Dispositionelle Interpretationen ergeben sich durch Implikation, wenn ein Kausalnexus zwischen den beschriebenen Sachverhalten konstruierbar ist. In vielen Fällen sind sie auch im Sinne einer berichteten Evidenz oder eines berichteten Motivs möglich. Deontisch-illokutionäre Deutungen können durch Fortinterpretation zugänglich werden, wenn ein geeigneter Kontext vorliegt. 5. Zusammenfassung und Ausblick Die Ergebnisse unserer Analyse können für die sechs untersuchten Kausalkonnektoren in den folgenden Verwendungsprofilen zusammengefasst werden: Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 243 - Denn signalisiert die Annahme des Sprechers, dass Ursache und Wirkung für den Adressaten neu sind. Als Konjunktor leitet es immer einen nachgestellten Kausalsatz ein. Denn-Verknüpfungen legen nicht-dispositionelle Lesarten nahe. Dispositionell können sie nur im Sinne von berichteten Motiven oder Evidenzen interpretiert werden. - Weil ist bezüglich Bekanntheit und Neuheit seiner Konnekte nicht festgelegt. Es leitet Verbletztsätze ein, die voran- oder nachgestellt werden können. Nachstellung ist bevorzugt. Die Ausgangslesart von weil-Verknüpfungen ist stets dispositionell. Bei Nachstellung des weil-Satzes sind epistemische und deontisch-illokutionäre Fortinterpretationen möglich. - Perché ist im Italienischen der bevorzugte Kausalkonnektor, wenn Ursache und Wirkung neu sind. Eines von beiden kann aber auch im Kontext schon bekannt sein. Die Voranstellung von perché-Sätzen ist sehr selten, jedoch nicht völlig ausgeschlossen. Perché legt stets dispositionelle Interpretationen nahe, erlaubt aber auch modale Fortinterpretationen. - Da signalisiert die Annahme des Sprechers, dass der Adressat auf schon bekannte Information zurückgreifen kann, um den Zusammenhang zwischen den Konnekten nachzuvollziehen. Häufig ist die Ursache bekannt. Die Wirkung ist immer neu. Da-Sätze werden häufiger voranals nachgestellt. Die Ausgangsinterpretation ist bei da-Verknüpfungen epistemisch. Deontisch-illokutionäre Fortinterpretationen und dispositionelle Lesarten im Sinne von berichteter Evidenz bzw. berichtetem Motiv oder einem rekonstruierten Kausalnexus zwischen den beschriebenen Sachverhalten sind möglich. - Poiché wird bevorzugt in Kontexten verwendet, in denen die Ursache für den Adressaten bekannt ist. In diesem Fall werden poiché-Sätze typischerweise vorangestellt. Die Ursache kann aber im Kontext auch neu sein. Dann ist Nachstellung des poiché-Satzes typischer. Poiché-Verknüpfungen legen stets epistemische Interpretationen nahe. In geeigneten Kontexten können sie deontisch-illokutionär fortinterpretiert werden. Dispositionelle Deutungen sind im Sinne eines berichteten Motivs oder einer berichteten Evidenz möglich. - Siccome bevorzugt stark bekannte Ursachen, kann aber auch in Kontexten verwendet werden, in denen die Ursache neu ist. Die Wirkung ist immer neu. Siccome signalisiert die Annahme des Sprechers, dass dem Adressaten voraussetzbares Hintergrundwissen zur Verfügung steht, das ihm die Wirkung im Kontext der Ursache plausibel macht. Die Nachstel- Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 244 lung eines siccome-Satzes ist praktisch ausgeschlossen. Bei siccome-Verknüpfungen liegen epistemische Lesarten immer am nächsten. Deontischillokutionäre Deutungen sind durch Fortinterpretation möglich. Dispositionell können siccome-Sätze als berichtete Evidenzen bzw. Motive gelesen werden, oder es kann ein Kausalnexus zwischen den beschriebenen Sachverhalten rekonstruiert werden. In Bezug auf die Vergleichssprachen Deutsch und Italienisch hat die Gegenüberstellung folgendes deutlich gemacht: (i) Jede der beiden Sprachen verfügt über ein Kerninventar von drei konjunktionalen Kausalkonnektoren mit deutlich unterschiedlichen Gebrauchs- und Funktionsprofilen. (ii) Die Anordnung kausal verknüpfter Teilsätze wird im Deutschen hauptsächlich von der Syntax bestimmt. Informationsstrukturelle Faktoren können sich nur bei da und weil auswirken, zeigen aber hier nur relativ schwache Effekte. Nachstellung des Kausalsatzes ist im Deutschen insgesamt typischer als Voranstellung. Im Italienischen wird die Anordnung der Teilsätze deutlich stärker durch die Informationsstruktur bestimmt (vgl. Renzi u.a. 1995, Bd. II, S. 743f., 746f.). Keiner der italienischen Kausalkonnektoren ist syntaktisch absolut auf eine bestimmte Abfolge festgelegt. Allerdings ist bei siccome die Nachstellung des Kausalsatzes sehr stark und bei perché seine Voranstellung stark dispräferiert. Insgesamt scheint im Italienischen Voranstellung von Kausalsätzen typischer zu sein als im Deutschen. (iii) Weil ist der kausale Allzweckkonnektor des Deutschen (vgl. Frohning 2007, S. 136). Es kann unabhängig davon auftreten, ob Ursache und/ oder Wirkung informationell neu sind. Weil-Sätze können sowohl voranals auch nachgestellt werden. Weil-Verknüpfungen erlauben Interpretationen auf allen drei Verknüpfungsebenen. Im Italienischen zeigt perché relativ große semantische Vielseitigkeit (vgl. Berretta 1984, S. 250). Es verhält sich neutral in Bezug auf die informationelle Neuheit seiner Konnekte und erlaubt Interpretationen auf allen drei Verknüpfungsebenen. Im Gegensatz zu weil ist sein Gebrauch aber syntaktisch beschränkt: Vorangestellte perché-Sätze sind stark markiert. (iv) Anders als denn, das nur Verberst- und Verbzweitsätze einleiten kann und daher als Konjunktor zu gelten hat (vgl. Uhmann 1998), verlangen weil und da die Letztstellung des Finitums und sind dadurch als Subjunktoren ausgewiesen. Im Italienischen haben Nebensätze die gleiche Syntax wie Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 245 Hauptsätze. Das Vorkommen eines Subjunktors hat keine Folgen für die Verbposition. Die Möglichkeit der Satzvoranstellung und die Bindung leerer Subjekte können aber als Kriterien für die Subordination genutzt werden. Sie zeigen, dass poiché und siccome typische Subjunktoren sind. Dagegen ist perché ein weniger typischer Subjunktor, der möglicherweise auf dem Weg ist, sich zu einem Konjunktor zu entwickeln. In dieser Hinsicht zeigt perché Ähnlichkeit zu denn. Im Folgenden werden die Korpus-Vorkommen von denn, perché, weil, da, poiché und siccome nach der Bekanntheit bzw. Neuheit von Ursache und Wirkung (Tabellen 8 und 9) sowie nach der Stellung des Kausalsatzes (Tabelle 10) synoptisch miteinander verglichen. Dabei verwenden wir die folgenden numerischen Werte: 1 - unmöglich (0% der Korpusbelege), 2 - stark dispräferiert (1-14% der Korpusbelege), 3 - dispräferiert (15-29% der Korpusbelege), 4 - leicht dispräferiert (30-44% der Korpusbelege), 5 - möglich (45-54% der Korpusbelege), 6 - leicht präferiert (55-69% der Korpusbelege), 7 - präferiert (70-84% der Korpusbelege), 8 - stark präferiert (85-99% der Korpusbelege) 9 - obligatorisch (100% der Korpusbelege): denn perché weil da poiché siccome neue Ursache 9 8 6 5 3 3 bekannte Ursache 1 2 4 5 7 7 Tab. 8: Bekanntheit vs. Neuheit der Ursache - Überblick denn perché weil da poiché siccome neue Wirkung 9 6 7 9 9 9 bekannte Wirkung 1 4 3 1 1 1 Tab. 9: Bekanntheit vs. Neuheit der Wirkung - Überblick denn perché weil da poiché siccome nachgestellt 9 8 7 4 3 1 vorangestellt 1 2 3 6 7 9 Tab. 10: Lineare Stellung - Überblick Tabelle 8 ordnet die sechs Kausalkonjunktionen auf einer Skala zwischen denn und poiché bzw. siccome an. Die italienischen Konnektoren tendieren insgesamt stärker zu bekannten Ursachen, die deutschen zu neuen Ursachen. Im italienischen Inventar nimmt perché mit seiner Spezialisierung auf neue Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 246 Ursachen eine Sonderstellung ein. Das deutsche Inventar enthält keinen Konnektor, der auf bekannte Ursachen spezialisiert ist. Da nimmt eine mittlere Stellung auf der Skala ein. Perché zeigt in dieser Tabelle Ähnlichkeit mit denn und in geringerem Maße mit weil. Tabelle 9 zeigt, dass alle sechs Konnektoren neue Wirkungen bevorzugen. Denn auf der einen und da, poiché und siccome auf der anderen Seite stimmen darin überein, dass sie mit bekannten Wirkungen überhaupt nicht kompatibel sind. Nur weil und perché lassen bekannte Wirkungen zu und können damit als Antworten auf warumbzw. perché-Fragen dienen. Tabelle 10 zeigt Ähnlichkeiten zu Tabelle 8. Offenbar steht die Stellung des Kausalsatzes bei allen sechs Konnektoren in einem gewissen Zusammenhang mit der Bekanntheit bzw. Neuheit der Ursache. Im Italienischen ist dieser Zusammenhang enger als im Deutschen. Perché zeigt gleich starke Präferenz für neue Ursachen und für Nachstellung, poiché gleich starke Präferenz für bekannte Ursachen und Voranstellung. Bei siccome ist die Präferenz für Voranstellung stärker als die für bekannte Ursachen. Bei den deutschen Konnektoren zeigt weil eine relativ stärkere Präferenz für die Nachstellung als für neue Ursachen und da eine stärkere Präferenz für Voranstellung als für bekannte Ursachen. Hier sind syntaktische Faktoren also offenbar wichtiger für die Stellungseigenschaften als die Informationsverteilung. In Bezug auf die Verknüpfungslesarten haben wir gesehen, dass deutliche Ähnlichkeiten zwischen weil und perché sowie zwischen da, poiché und siccome bestehen. Weil und perché haben dispositionelle Ausgangslesarten, von denen man durch Fortinterpretation zu modalen Lesarten gelangen kann. Da, poiché und siccome haben epistemische Ausgangslesarten. Von dort aus werden dispositionelle Lesarten durch Implikation, deontisch-illokutionäre durch Fortinterpretation möglich. Denn legt zunächst deontisch-illokutionäre und epistemische Lesarten nahe. Dispositionelle Lesarten werden durch Implikation zugänglich. Wie auch Berretta (1984, S. 250f.) gezeigt hat, ist im Italienischen kein Konnektor vorhanden, der dem deutschen denn (und englischem for bzw. französischem car/ puisque) entspricht. Deontisch-illokutionäre Deutungen werden bei perché-, poiché- und siccome-Verknüpfungen nur durch Fortinterpretation möglich. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die unterschiedlichen semantischen Eigenschaften der Kausalkonjunktionen: Die Kausalkonjunktionen denn, weil, da und perché, poiché, siccome 247 Lesart Impli- Fortkation interpr. dispositionell weil/ perché epistemisch da poiché siccome deontischillokutionär denn Tab. 11: Verknüpfungslesarten - Überblick Insgesamt hat unsere Untersuchung gezeigt, dass zwischen den deutschen und italienischen Kausalkonnektoren keine direkten Äquivalenzen bestehen. Wenn wir Syntax, Informationsstruktur und Semantik berücksichtigen, so zeigen sich vielfältige Ähnlichkeiten und Unterschiede. Denn ähnelt vor allem perché, aber auch poiché. Zu poiché zeigt es andererseits auch deutliche Unterschiede. Überwiegend im Gegensatz steht es zu siccome. Weil zeigt vor allem Ähnlichkeit zu perché. Zu poiché und siccome zeigt es klare Unterschiede in den Stellungspräferenzen, geringere bezüglich der Informationsstruktur. Da weist Gemeinsamkeiten mit poiché und siccome auf. Von perché ist es relativ verschieden. Perché zeigt Ähnlichkeiten zu weil und zu denn; zu da überwiegen die Unterschiede. Poiché zeigt die größten Übereinstimmungen mit da. Mit denn gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede. Relativ verschieden ist poiché von weil. Auch siccome ähnelt am stärksten da. Relativ deutlich ist seine Verschiedenheit von weil; der stärkste Gegensatz besteht zu denn. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen können die von Crespi Günther (1998, S. 166ff.) beobachteten Lernschwierigkeiten bei Kausalkonjunktionen im italienisch-deutschen Zweitspracherwerb nicht verwundern. Wir hoffen, dass die vorliegende Untersuchung dazu beitragen kann, die Verhältnisse für Lehrer und Lerner durchsichtiger zu machen. Miriam Ravetto / Hardarik Blühdorn 248 6. Literatur Averintseva-Klisch, Maria (2009): Rechte Satzperipherie im Diskurs. Die NP-Rechtsversetzung im Deutschen. Tübingen: Stauffenburg. 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Fragestellung Die vorliegende Untersuchung geht vom Versuch aus, die Mechanismen der Satzverknüpfung in deutschen und italienischen wissenschaftlichen Texten (genauer in Einleitungen zu wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln) zu analysieren und zu vergleichen. Insbesondere sollen hier die sprachlichen Ausdrücke, die als explizite semantische Satzverknüpfer (‘Konnektoren’) fungieren, sowie die Art der Relation, die sie herstellen, in den Vordergrund rücken, um ihren Gebrauch in den genannten Texten näher zu erfassen. Bei einer derartigen Fragestellung soll natürlich im Voraus ausdrücklich gemacht werden, 1) was unter ‘Konnektor’ verstanden wird und aus welchen Gründen; 2) welche die Bedingungen des kontrastiven Vergleichs Deutsch-Italienisch sind, und insbesondere mit welchen theoretischen Schwierigkeiten ein solcher Vergleich konfrontiert ist; 3) was ganz spezifische Teiltexte wie die Einleitungen zu wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln charakterisiert und was sie gerade im Hinblick auf den Konnektorengebrauch interessant macht. Eine Untersuchung über den deutschen und italienischen wissenschaftssprachlichen Gebrauch von Konnektoren könnte unter unterschiedlichen Gesichtspunkten von Belang sein: Einerseits als Beitrag zur Wissenschaftssprachforschung, und dabei insbesondere zur Beschreibung und Gegenüberstellung der deutschen und der italienischen Wissenschaftssprache - im Rahmen einer allgemeinen „Wissenschaftssprachkomparatistik“, 1 von der es immer noch nur erste Ansätze gibt; relevant wäre in dieser Hinsicht z.B. die Erstellung eines zweisprachigen Lexikons wissenschaftssprachlich bedeutender Konnektoren. Andererseits als Beitrag zur Konnektorenforschung, und dabei insbesondere als Beitrag zu einer umfassenden vergleichenden Analyse von deutschen und italienischen Konnektoren, die insgesamt noch aussteht. 1 Vgl. dazu z.B. Ehlich (2001) , auch in Bezug auf die sprachpolitische Bedeutung einer Wissenschaftssprachkomparatistik. Giancarmine Bongo 252 Darüber hinaus könnte aber die vorliegende Untersuchung (obwohl eher auf indirekte Weise) auch einen Beitrag zur Didaktik des Deutschen als Fremdsprache für fortgeschrittene italienische Lerner (insbesondere Studenten der höheren Semester) darstellen: Der Umgang mit der deutschen Wissenschaftssprache bildet eine wichtige Herausforderung für ausländische Studierenden sowohl im Rahmen ihres Spracherwerbsprozesses als auch im Hinblick auf eine „wissenschaftliche Sozialisation“ in der Fremdsprache. Die Reflexion über den Gebrauch von Konnektoren in der Fremdsprache könnte bei italienischen Lernenden auch dazu beitragen, einen besseren Gebrauch von Konnektoren in der Muttersprache zu fördern, der - wie einige Untersuchungen zeigen - noch an der Studiumsgrenze (etwa bei Abiturienten) besonders problematisch ist. 2 2. Was sind Konnektoren? Die Abgrenzung einer Klasse expliziter semantischer Satzverknüpfer, d.h. sprachlicher Ausdrücke, deren „Bedeutung [...] im Normalfall mindestens die Bedeutungen zweier Sätze zueinander in eine spezifische Relation“ setzt, „welche eine spezifische Beziehung zwischen den von den Sätzen beschriebenen und bezeichneten Sachverhalten identifiziert“ (Pasch u.a. 2003, S. 3 ), sowie deren Klassifizierung hat sowohl der deutschen als auch der italienischen linguistischen Forschung erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Solche Schwierigkeiten hängen grundsätzlich vom Versuch ab, die traditionelle Klasse der Konjunktionen um weitere, ebenfalls verknüpfende Elemente zu ergänzen. Unter die Bezeichnung ‘Konnektoren’/ ‘connettori’ (bzw. ‘Konnektive’ oder ‘Satzverknüpfer’ für das Deutsche, ‘connettivi’ für das Italienische) sind nämlich recht unterschiedliche Ausdrücke zusammengefasst worden (von den Konjunktionen und Subjunktionen über Adverbien und Fokuspartikeln bis zu den Relativpronomen und den so genannten ‘Gliederungssignalen’), die im Allgemeinen eine kohäsive, textstiftende Funktion durch eine explizite Satzverknüpfung ausüben. 2.1 Die deutschen Konnektoren: Zum Stand der Forschung Den definitorischen Schwierigkeiten liegt eine fehlende Ausarbeitung der klassifikatorischen Kriterien zugrunde. Für das Deutsche hat dieser Situation insbesondere das Handbuch der deutschen Konnektoren (HDK, Pasch u.a. 2003) Abhilfe geschaffen, 3 das ein klares, konsistentes und gut operationali- 2 Vgl. z.B. Bertocchi (1993) . 3 Vgl. aber auch wenigstens Cambourian (Hg.) (2001) und Fabricius-Hansen (2000). Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 253 sierbares Merkmalraster zur Bestimmung der Konnektoren zur Verfügung gestellt hat (in eckigen Klammern sind einige daraus resultierende wichtige Konsequenzen für die Abgrenzung der Konnektorenklasse angegeben): (M1') x ‡ ‹ ”  „  ~ ‘ (M2') x vergibt keine Kasusmerkmale an seine syntaktische Umgebung [im Unterschied etwa zu den Präpositionen]. (M3') Die Bedeutung von x ist eine zweistellige Relation [im Unterschied etwa zu Adverbien wie tatsächlich, offenbar oder vielleicht, die Sachverhalte  –„   „ „ auch im Unterschied zu dass und ob]. (M4') Die Argumente der Bedeutung von x sind propositionale Strukturen [im Unterschied etwa zu den Präpositionen, die nur Dinge miteinander verknüpfen können]. (M5') Die Ausdrücke für die Argumente der Bedeutung von x müssen Satz- © ‹   `  š  – regierende um ... zu aus der Klasse der Konnektoren ausgeschlossen]. Tab. 1: Konnektorenkriterien nach dem HDK 4 Dieses Merkmalraster hat zur Bestimmung einer Liste deutscher Konnektoren geführt - sprachlicher Ausdrücke, die wortartenmäßig als Konjunktionen oder Adverbien klassifiziert werden. Die so determinierten Konnektoren werden dann aufgrund ihrer syntaktischen Eigenschaften in sieben syntaktische Klassen (Subjunktoren, Postponierer, Verbzweitsatz-Einbetter, Konjunktoren, nicht positionsbeschränkte Adverbkonnektoren, nicht nacherstfähige Adverbkonnektoren, nicht vorfeldfähige Adverbkonnektoren) eingeteilt, außerhalb deren noch einige „Einzelgänger“ wie z.B. denn oder außer bleiben. 5 Auf diese allgemeine Klassifikation sowie auf die ihr zugrunde liegenden Kriterien wird hier nicht weiter eingegangen. Sie werden vielmehr vorausgesetzt; ebenso wird auf die im HDK verwendete Terminologie zurückgegriffen, soweit das möglich ist. Es sei nur ausdrücklich unterstrichen, dass aufgrund der vom HDK gewählten Klassifikationskriterien die Konnektoren „keine morphosyntaktisch begründete Wortart“, sondern eine wortartenübergreifende, „semantisch-funktional begründete“ Klasse von sprachlichen Ausdrücken darstellen: Eine derartige Bestimmung bietet einen geeigneten Ausgangspunkt 4 Es handelt sich hier um „verfeinerte Konnektorenkriterien“ (vgl. Pasch u.a. 2003, S. 331). 5 Für eine Liste der Konnektoren nach dem HDK (mit Beispielen) vgl. Pasch u.a. (2003, S. 696-732). Giancarmine Bongo 254 „für Sprachvergleich und Typologie“ an, wobei die „Konnektorfunktion“, die darin besteht, „eine spezifische semantische Relation zwischen Sätzen herstellen zu können“ (Pasch u.a. 2003, S. 38f.), als tertium comparationis dient. Insofern bildet sie den idealen Ausgangspunkt für eine vergleichende Analyse Deutsch-Italienisch. Zugleich stellt die im HDK vorgeschlagene Konnektorenbestimmung den geeigneten Ausgangspunkt auch für eine noch weiter gefasste funktionale Betrachtung dar, innerhalb derer nach der Rolle gefragt wird, die die Konnektoren z.B. in Bezug auf die komplexen Funktionen eines wissenschaftlichen Textes spielen. Mit anderen Worten: man kann die Frage stellen, ob und wie die Art und Weise der semantischen Satzverknüpfung durch Konnektoren mit den spezifischen Funktionen wissenschaftlicher Einleitungen zusammenhängt (siehe dazu aber unten). Im Hinblick auf eine vergleichende Beschreibung der Konnektoren (auch in wissenschaftlichen Texten) steht also auf deutscher Seite dank des HDK eine angemessene Begrifflichkeit sowie ein Inventar der einzelnen Ausdrücke zusammen mit ihren syntaktischen Gebrauchsbedingungen zur Verfügung. Anders verhält es sich hinsichtlich des Italienischen. Eine entsprechende breit angelegte Untersuchung, der eine vergleichbare semantisch-funktionale Klassenbildung zugrunde liegt, wurde noch nicht ausgeführt. Es gibt zwar Versuche, neben der traditionellen Klasse der congiunzioni auch weitere Satzverknüpfer zu bestimmen und zu analysieren; es liegen aber vor allem einzelne Studien vor, 6 die unterschiedlich aufgefasste Klassen sprachlicher Ausdrücke zum Gegenstand haben und die nicht imstande sind, eine Klasse von ‘Konnektoren’ einheitlich und systematisch zu beschreiben (vgl. dazu den Überblick in Ferrari/ Manzotti 2002, S. 422ff.). Im Folgenden wird kurz geschildert, was in der Forschung unter connettori bzw. connettivi der italienischen Sprache (die zweite Bezeichnung ist bei weitem geläufiger) verstanden wird. 2.2 Die italienischen Konnektoren: Zum Stand der Forschung Die folgende Übersicht zielt nicht auf Vollständigkeit, sondern darauf, unterschiedliche Ansatzpunkte darzustellen, die als repräsentativ für die Forschung der letzten zwanzig Jahre gelten können. 6 In einigen Studien werden einzelne Konnektoren des Italienischen (z.B. a meno che, poi) und deren deutsche Äquivalente untersucht (vgl. Manzotti 1987, Hölker 1993). Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 255 Bei Serianni/ Castelvecchi (1988), einer stattlichen, traditionell orientierten Grammatik der italienischen Sprache, wird darauf hingewiesen, dass sich in der neueren Forschung eine Klasse von connettivi herausgebildet hat, die zusammen mit den Konjunktionen diejenigen sprachlichen Ausdrücke mit einbezieht, die „svolgono funzione di raccordo tra le varie parti del testo, contribuendo alla pianificazione sintattica del discorso“ (S. 307). Solche connettivi sind wiederum Teil der umfassenden Klasse der segnali discorsivi (Terminus nach Lichem 1985), d.h. derjenigen Elemente, denen die Aufgabe zukommt, die Textorganisation nach „criteri dimensionali (formule di apertura e chiusura del discorso) e logico-narrativi (rinvii a quanto già detto o a quanto si dirà in seguito, elementi di giunzione ecc.)“ (ebd.) zu gestalten. Neben den connettivi gehören zu den segnali discorsivi die so genannten demarcativi, die Anfang oder Ende eines Textes signalisieren, wie im folgenden Beispiel: (1) Dico, ti sembra questo il modo di comportarsi? Die Klasse der connettivi ist dabei nicht deutlich umrissen: es wird keine Klassifikation angeführt, noch werden neben der genannten „logisch-narrativen“ Funktion weitere Klassifizierungskriterien genannt. Es gibt segnali discorsivi, die sowohl als demarcativi als auch als connettivi anzusehen seien, wie im folgenden Beispiel die Interjektion eh, die in der gesprochenen Sprache als riempitivi (‘Füllsel’) dient: (2) Eh, questa macchina è proprio bella / Questa macchina è proprio bella, eh? (demarcativo) (3) Questa macchina ... eh ... è proprio bella (connettivo/ riempitivo) Bemerkenswert ist ferner, dass laut Serianni/ Castelvecchi (1988) die congiunzioni nur unter bestimmten Bedingungen als connettivi angesehen werden können, und zwar dann, wenn sie nicht die Satzverknüpfung in syntaktischer Hinsicht hierarchisch (nach den traditionell aufgefassten Prinzipien der Koordination und der Subordination) organisieren, sondern „pianificano [...] porzioni testuali più ampie di un periodo“ [wenn sie Textabschnitte organisieren, die größer als komplexe Sätze sind]. Das angeführte Beispiel ist der folgende Abschnitt aus einer Vorlesung: (4) [...] lui Ministro della Pubblica Istruzione ebbe a dichiarare in pubblico che tutte le scienze in realtà gli interessavano, meno, diceva, quella casta, insignificante signora che risponde al nome di Pedagogia: ed era Ministro della Pubblica Istruzione [...] Giancarmine Bongo 256 Die Klasse der connettivi lässt sich somit nicht als gemeinsame Klasse aller satzverknüpfenden Elemente verstehen, sondern enthält Ausdrücke, die im Grunde andere Eigenschaften und Funktionen im Vergleich zu den traditionellen Satzverknüpfern aufweisen. Neben der starken Orientierung an der gesprochenen Sprache ist für diese Klassenbildung charakteristisch, dass sie zwar funktional (und damit wortartenübergreifend), nicht aber semantisch, sondern textuell begründet ist: Die connettivi und im Allgemeinen die Diskurssignale verbinden keine Sachverhalte bzw. Propositionen (vgl. Bazzanella 1995, S. 228). Als allgemeine syntaktische Eigenschaften weisen sie die Unmöglichkeit der Erfragbarkeit sowie der Substitution durch Pronomen (ebd., S. 228ff.) auf; darüber hinaus gehören sie nicht in den Skopus einer Negation. Als avverbi connettivi werden in der von Renzi, Salvi und Cardinaletti herausgegebenen Grande grammatica italiana di consultazione im Rahmen der Diskussion der „strutture coordinate“ (vgl. Scorretti 1988, S. 231f. u. 242f.) einige Adverbien wie perciò, però, tuttavia, dunque, quindi bezeichnet. Solchen Adverbien kommt ein besonderer Status zu: Einerseits unterscheiden sie sich von den restlichen Adverbien dadurch, dass sie (genauso wie die koordinierenden Konjunktionen bzw. Konjunktoren) zwei „koordinierte Strukturen“ allein verknüpfen können: (5) Luca gioca bene però/ tuttavia/ e/ ma/ *peraltro/ *finalmente perde. (6) Luca gioca bene perciò/ dunque/ quindi/ e/ *infatti/ *conseguentemente vince. Man könnte ungefähr das gleiche Beispiel auch mit Nichtsatzkonnekten machen: (7) Luca gioca bene però/ ? tuttavia/ e/ ma/ *peraltro/ *finalmente poco. (8) Luca gioca bene perciò/ dunque/ quindi/ e/ *infatti/ *conseguentemente tanto. Bei den restlichen Adverbien ist laut Scorretti die Koordination nur dann möglich, wenn es wenigstens eine „Pause“ (vgl. Scorretti 1988, S. 231) zwischen den Konnekten gibt - man könnte auch sagen: wenn sich die beiden Konnekte deutlich als zwei voneinander unabhängige Satzstrukturen interpretieren lassen. Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 257 Andererseits unterscheiden sich die Adverbien, auf die Scorretti aufmerksam macht, von den koordinierenden Konjunktionen auf syntaktischer Ebene, und zwar dadurch, dass sie nicht positionsbeschränkt sind und mit Konjunktionen kombiniert werden können, während eine Kombination von Konjunktionen ausgeschlossen ist (das hängt wohl eher von semantischen als von syntaktischen Gründen ab: vgl. *ma però). (9) Penso e dunque sono. (10) *Penso e ma sono. Aufgrund der angeführten Eigenschaften nehmen diese Adverbien (von denen aber keine umfassende Liste zusammengestellt wird) eine Art Zwischenstellung zwischen Adverbien und Konjunktionen ein, so dass sie als operatori di coordinazione avverbiale bezeichnet werden können. In diesem Sinne lassen sie sich als connettivi definieren. Es handelt sich also nicht um eine funktional abgegrenzte wortartenübergreifende Klasse von Ausdrücken wie bei Serianni/ Castelvecchi (1988), sondern einfach um eine bestimmte Unterklasse von Adverbien, bei denen sich jedoch interessante syntaktische Gemeinsamkeiten mit den koordinierenden Konjunktionen feststellen lassen. Darüber hinaus wird in der Grande grammatica italiana di consultazione auf die so genannten relativi pro-frase aufmerksam gemacht (vgl. Cinque 1988, S. 459). Es handelt sich um den besonderen Gebrauch des Relativpronomens cui zusammen mit einer Präposition wie in den folgenden Beispielen: (11) Il gas si è solidificato in meno di cinque minuti, da cui si può dedurre che non conteneva il composto. (12) Giorgio non è venuto, per cui me ne andrò. Charakteristisch für diese cui pro-frase ist die Tatsache, dass sie sich als deiktisches Element auf einen ganzen Satz bezieht und zusammen mit der jeweiligen Präposition eine Einheit bildet, die sich mit den deutschen Relativadverbien sehr gut vergleichen lässt. Auch in syntaktischer Hinsicht weisen die relativi pro-frase einen Parallelismus mit den deutschen Relativadverbien auf, da sie sich wie diese als Postponierer verhalten. Bemerkenswert ist aber die Tatsache, dass die relativi pro-frase keineswegs mit den avverbi connettivi oder mit den Konjunktionen in Verbindung gesetzt werden, sondern nur im Rahmen der Analyse der ‘frase relativa’ behandelt werden. Insgesamt geht es also in der Grande grammatica italiana di consultazione um die Konnektivi- Giancarmine Bongo 258 tät von bestimmten Ausdrücken, und nicht um die Ausarbeitung einer umfassenden Klasse von connettivi bzw. Satzverknüpfern. Auch bei Dardano/ Trifone (La nuova grammatica della lingua italiana, 7 2006) ist von einer Klasse der connettivi die Rede (vgl. S. 373). Diese Bezeichnung wird zuerst im Rahmen einer Diskussion über das Verhältnis zwischen der Klasse der congiunzioni und derjenigen der preposizioni als möglicher Sammelbegriff für alle Ausdrücke (Konjunktionen und Präpositionen) eingeführt, die die Funktion ausüben, Konstituenten auf den unterschiedlichen syntaktischen Ebenen zu verbinden. Danach wird auch die Bezeichnung connettivi testuali (ebd., S. 374) eingeführt; darunter werden sowohl einals auch mehrteilige Adverbien verstanden, die nicht zur Modifikation einer Konstituente, sondern zur Verknüpfung von Textabschnitten unterschiedlicher Art und Länge dienen. Als Beispiele werden folgende Adverbien erwähnt: (13) ebbene, eppure, infatti, inoltre, insomma, nondimeno, oltretutto, peraltro, perciò, sennò, tuttavia, a ogni modo, con ciò, d'altronde, del resto, in breve, in conclusione, in effetti, in realtà, in fin dei conti, tutt'al più, appunto, allora, dunque, anzi, bene, ancora, così Als connettivi oder connettori werden schließlich (vgl. Dardano/ Trifone 7 2006, S. 692) zusammen mit solchen Adverbien nicht Präpositionen, sondern Konjunktionen und Ganzsätze wie come abbiamo già visto oder come dirò tra poco klassifiziert. Es handelt sich somit um eine ziemlich heterogene Klasse von Ausdrücken, die eine nicht näher bestimmte Verknüpfungsfunktion im Text ausüben. Bemerkenswert ist jedoch, dass hier - im Gegensatz zu den oben dargestellten Ansätzen - Konjunktionen und bestimmte Adverbien in eine gemeinsame funktionale Klasse zusammengefasst werden. Lo Duca (2003) bezieht sich auf Berretta (1984) und auf die dort eingeführte, wenn auch nicht weiter spezifizierte Unterscheidung von connettivi semantici und connettivi testuali. Letztere entsprechen im Grunde den connettivi, so wie sie bei Serianni/ Castelvecchi definiert werden; erstere verbinden dagegen laut Berretta „elementi contenutistici in quanto tali“ (Berretta 1984, S. 238). Diese Bestimmung deutet eine semantisch-funktionale Klassenbildung an, die jedoch noch vage bleibt. Auch die von Lo Duca eingeführten Beispiele sind nicht imstande, Klarheit zu schaffen: Unter den connettivi semantici werden Adverbien wie all’improvviso ‘plötzlich’ oder una volta ‘einmal’, aber auch Adverbiale wie dopo due anni ‘nach zwei Jahren’ sowie im Allgemeinen Konjunktionen und Präpositionen verstanden (vgl. Lo Duca 2003, S. 187). Bei fehlender genauer Bestimmung der Klassifikationskriterien wird von Lo Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 259 Duca selbst unterstrichen, dass eine zufrieden stellende Definition unmöglich ist (vgl. Lo Duca 2003, S. 188). Die connettivi semantici (über deren syntaktischen Gebrauchsbedingungen nichts gesagt wird) werden aufgrund der semantischen Relation - additiv, adversativ, temporal, explikativ/ konklusiv, konsekutiv, komparativ -, die sie ausüben, in Gruppen eingeteilt, wobei aber auch diese semantischen Relationen nicht näher definiert werden. Im Rahmen der deutschsprachigen romanistischen Forschung soll vor allem auf Gil (1995) hingewiesen werden. Das Ziel seiner Arbeit besteht darin, die Klasse der „Textadverbiale“ in den romanischen Sprachen (Spanisch, Französisch und Italienisch) zu definieren und zu beschreiben. Unter „Textadverbialen“ versteht er jene Adverbiale (d.h. Adverbien, „adverbiale Verbindungen“, „präpositionale“ und „verbale Syntagmen“ wie d’altro canto und vale a dire, sowie den „Ablativus absolutus“ wie tutto sommato), „die eine Konnektor- und Modalisatorfunktion im Textgeflecht ausüben“ (ebd., S. 5). Unter den Textadverbialen lassen sich laut Gil Diskursbrücken und Diskurskommentare unterscheiden, „je nachdem ob ihre Funktion in der Verknüpfung bzw. Überbrückung liegt oder darin, eine Sprecherhaltung bzw. einen Kommentar auszudrücken“ (ebd.). Die Diskursbrücken, die die Konnektorfunktion ausüben, werden wie folgt definiert: „Sie sorgen - dank ihrer vorhandenen Bedeutung - für explizite logische Vertextung.“ Diese Definition ist mit der HDK-Bestimmung der Konnektoren z. T. kompatibel: Bei den Diskursbrücken handelt es sich nämlich um eine funktional abgegrenzte Klasse sprachlicher Ausdrücke, die eine explizite semantische Verknüpfung herstellen. Sie können auch deutlich von den Gliederungssignalen unterschieden werden, die wie gezeigt in der italienischen Forschung geläufig als connettivi eingestuft werden: die Gliederungssignale sind im Grunde semantisch leer, ihre ‘konnektive’ Funktion hat deshalb mit der Konnektorfunktion nichts zu tun. Eine umfassende Erörterung der Konnektorfunktion findet aber bei Gil nicht statt; außer Acht bleibt darüber hinaus bei der von ihm vorgeschlagenen Bestimmung der Diskursbrücken auch das Format der Konnnekte. Im Rahmen der Beschreibung der Diskursbrücken (die auf syntaktischer, semantischer und pragmatischer Ebene erfolgt) soll hier auf zwei syntaktische Eigenschaften der Diskursbrücken in den romanischen Sprachen hingewiesen werden, so wie sie von Gil herausgearbeitet werden. Die erste Eigenschaft betrifft die Position der Diskursbrücken. Laut Gil sind fünf unterschiedliche Positionen möglich (vgl. Gil 1995, S. 109ff.): - 1. Stelle - 2. Stelle Giancarmine Bongo 260 - 3. Stelle - Innenbereich der Texteinheit - Endbereich der Texteinheit Diese Liste weist auf die größere topologische Freiheit von adverbialen Konnektoren in den romanischen Sprachen im Vergleich zum Deutschen hin; sie bleibt aber noch vage, sowohl im Hinblick auf die Bestimmung der ersten drei Stellen (Was bedeutet eigentlich 1., 2. und 3. Stelle? Werden Phrasen gezählt oder einzelne Konstituente oder sogar einzelne Wörter? Spielt das Verb bzw. der Verbalkomplex eine besondere Rolle? Usw.), als auch im Hinblick auf die Bezeichnung „Innenbereich der Texteinheit“ (Heißt das eigentlich alles, was nach der 3. Position steht? Und was genau ist eine „Texteinheit“ im Vergleich zu einem Satz? ). Die zweite Eigenschaft besteht in der möglichen ‘Segmentierung’ der Diskursbrücken durch Kommas wie im folgenden Beispiel: (14) La questione, dunque, è più complessa. Der Gebrauch der Kommata ist hier nicht grammatikalisiert, sondern hängt von individuellen und stilistischen Faktoren ab und korreliert mit einer symmetrischen Pausierung. Dadurch gelangt man zu einer „Exposition“ der Diskursbrücke und somit ihrer verknüpfenden Funktion (vgl. Gil 1995, S. 106f.). Laut Gil können starke und schwache Diskursbrücken unterschieden werden, je nachdem, ob sie segmentiert verwendet werden können oder nicht (vgl. ebd., S. 112). Eine systematische Klassifizierung wird aber nicht durchgeführt. 3. Bedingungen des kontrastiven Vergleichs und Möglichkeit einer parallelen Klassenbildung Aus der geschilderten Forschungslage resultiert für das Italienische eine schwankende Gegenstandsbestimmung sowie die Unmöglichkeit, eine mit dem Deutschen vergleichbare Liste der italienischen Konnektoren - wenn auch nur eine provisorische - zusammenzustellen. Was ist diesem diffusen Bild zu den Zwecken des hier geplanten kontrastiven Vergleichs entgegenzusetzen? Als möglicher Ausweg bietet sich der folgende: 1) Es wird auch im Hinblick auf das Italienische an der semantisch-funktionalen Bestimmung der Konnektoren festgehalten, die dem Klassifikationsvorschlag des HDK zugrunde liegt. Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 261 2) Davon ausgehend wird die Frage gestellt, von welchen Klassen von Ausdrücken die ‘Konnektorfunktion’ im Italienischen tatsächlich ausgeübt wird. Dabei wird einerseits geprüft, ob die für das Deutsche verwendeten Klassifikationskriterien auch für das Italienische nutzbar gemacht werden können, und andererseits, ob die unterschiedlichen Klassen von Ausdrücken, denen in der italienischen Forschung der Status von connettivi zugeschrieben worden ist, als Konnektoren im genannten Sinne angesehen werden können. 3) Auf dieser Basis wird dann die Frage nach dem Konnektorengebrauch in den gewählten wissenschaftlichen Texten gestellt, von der die ganze Untersuchung ausgegangen ist. Es liegt nahe, dass das geschilderte methodologische Verfahren weder zu einer umfassenden Klassifizierung der Konnektoren des Italienischen noch zu einer angemessenen Beschreibung ihrer syntaktischen oder semantischen Eigenschaften führen kann. Die Möglichkeit, die prinzipielle Zugehörigkeit bestimmter Klassen von Ausdrücken zu einer semantisch-funktionalen Klasse der Konnektoren auch im Italienischen zu bestimmen (worum es hier geht), dient lediglich dazu, einzelne Kandidaten zum Status von Konnektoren in den gewählten wissenschaftlichen Texten zu prüfen - und somit auch einen ersten Beitrag zu einer systematischen Klassifikation der italienischen Konnektoren zu leisten. Mit anderen Worten: das angedeutete Verfahren sollte den minimalen Rahmen für einen kontrastiven Vergleich der Konnektoren schaffen; Hauptanliegen der Untersuchung bleibt aber die Erforschung von deren Gebrauch im Hinblick auf Struktur und Funktion der Einleitungen zu wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen. Es stellt sich nun die Frage, ob die für das Deutsche verwendeten Kriterien sic et simpliciter auf das Italienische angewendet werden können, so dass eine parallele Klassenbildung resultiert, was natürlich zu den Zwecken eines kontrastiven Vergleichs am günstigsten wäre. Mithilfe des ersten Kriteriums (M1'; vgl. oben, Kap. 2.1) können die Relativpronomen il quale, la quale bereits ausgeschlossen werden. Im Grunde könnte aber auch das Relativpronomen che ausgeschlossen werden, das üblicherweise (vgl. z.B. Serianni/ Castelvecchi 1988, S. 267) als „invariabile“ (‘unflektierbar’) klassifiziert wird. Dem hinsichtlich Genus und Numerus unflektierbaren che, das als Subjekt und direktes Objekt verwendet wird, steht nämlich die Form cui gegenüber, mit deren Hilfe Dativ- und Präpositionalobjekte ausgedrückt werden. Die beiden Formen, die komplementär sind, bilden eigentlich ein Paradigma. Giancarmine Bongo 262 (15) L'uomo che ho visto. (Direktes Objekt) (16) L'uomo che mi ha visto. (Subjekt) (17) L'uomo (con) cui ho parlato. (Dativbzw. Präpositionalobjekt) Die so genannten relativi pro-frase, die sich semantisch und syntaktisch mit den Pronominaladverbien des Deutschen vergleichen lassen (vgl. oben, Kap. 2.2), stellen unter den Relativpronomen einen Sonderfall dar. Morphologisch handelt es sich nämlich um lexikalisierte bzw. stark lexikalisierte Einheiten; davon zeugt auch die Tatsache, dass nur wenige theoretisch mögliche Kombinationen „Präposition + cui“ in dieser Funktion vorkommen (vgl. Cinque 1988, S. 459). Das Beispiel der Relativpronomen che und cui weist zugleich auf die Reste der Kasusvergabe im Italienischen hin, die gerade von Präpositionen gesteuert wird. Ein typischer Fall ist mit Personalpronomen: (18) Tu sei venuto, ma tranne te non si è visto nessuno. Schon deshalb lassen sich also die Präpositionen - gerade wie im Deutschen - aus der Klasse der Konnektoren ausschließen (vgl. M2'). Noch wichtiger als dieses morphologische Kriterium sind aber im Hinblick auf die Präpositionen des Italienischen die semantisch-funktionalen Merkmale M4' und M5'. Argumente der Bedeutung von Präpositionen sind nämlich wie im Deutschen Nominalphrasen und nicht Sätze; höchstens handelt es sich um nominalisierte Ausdrücke, denen u.U. ein propositionaler Charakter zugeschrieben werden kann, die aber als solche nicht mehr Satzstrukturen sein können. Die aufgrund des Kriteriums M3' determinierte Unterscheidung zwischen semantisch zweistelligen (konnektoralen) und semantisch einstelligen Ausdrücken lässt sich ohne Weiteres auf das Italienische übertragen und ist - genauso wie im Deutschen - besonders im Hinblick auf eine Binnendifferenzierung der Klasse der Adverbien relevant. Sie zeigt die Heterogenität der Adverbien, die in bestimmten Klassifikationen (vgl. oben Dardano/ Trifone 7 2006) als connettivi zusammengefasst werden; zugleich lassen sich dadurch die segnali discorsivi (vgl. oben, Kap. 2.2) aus der Klasse der Konnektoren endgültig ausschließen. Prinzipiell lassen sich also die für das Deutsche verwendeten Kriterien zur Bestimmung einer Klasse von Konnektoren insgesamt sinnvoll und mit ähnlichen Ergebnissen auch auf das Italienische anwenden. Wenn man nämlich die herkömmlichen Wortarten zusammen mit den Hinweisen der bisherigen For- Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 263 schung durch das angeführte Merkmalraster sozusagen filtert, so lassen sich als Konnektoren die Gesamtheit der italienischen Konjunktionen (einschließlich der Adverbien, die traditionell als ‘koordinierende Konjunktionen’ klassifiziert werden, und darunter insbesondere die operatori di coordinazione avverbiale) sowie die relativi pro-frase einstufen. Diese Ausdrücke entsprechen im Grunde schon der ganzen Palette der deutschen Konnektoren: ITALIENISCH DEUTSCH Congiunzioni coordinanti (e „operatori di coordinazione avverbiale“), congiunzioni subordinanti Konjunktoren, Subjunktoren, Adverbkonnektoren, Verbzweitsatz- Einbetter, Teil der Postponierer Relativi pro-frase Relativadverbien Tab. 2: Bestandteile der semantisch-funktionalen Klasse der Konnektoren auf Italienisch und Deutsch Die parallele Klassenbildung ist offensichtlich noch ziemlich grob und stark asymmetrisch; zu einer genaueren Einteilung und zu einem systematischen Vergleich sollte man auch hinsichtlich des Italienischen angemessene syntaktische Merkmale heranziehen und noch im Voraus zu strittigen Problemen wie der Unterscheidung von Koordination und Subordination im Italienischen Stellung nehmen. Darauf wird nicht weiter eingegangen, da eine syntaktische Klassifikation hier weder angestrebt wird noch eigentlich möglich ist. Im Vordergrund bleibt die Art der semantisch-funktionalen Satzverknüpfung in den gewählten wissenschaftlichen Texten in Bezug auf deren Funktion. 4. Die Einleitungen zu wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln Wissenschaftliche Zeitschriftenartikel stellen eine wohl vertraute und zugleich funktional komplexe Form wissenschaftlicher Kommunikation dar. Es handelt sich dabei um eine funktionale Komplexität, die für jede wissenschaftliche Kommunikation konstitutiv, ja sogar unabdingbar ist: fehlt sie, ist die Kommunikation selbst nicht mehr wissenschaftlich (oder, anders gesagt: die wissenschaftliche Kommunikation lässt sich als solche erst aufgrund ihrer eigentümlichen funktionalen Komplexität bestimmen). Solche Komplexität spiegelt sich sehr deutlich in der prototypischen Grundstruktur eines wissenschaftlichen Zeitschriftenartikels wider, so wie sie von Weinrich (1995, S. 160) geschildert wird. Weinrich geht davon aus, dass ein wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsatz, dessen Aufbau „als allgemeines Modell des wissen- Giancarmine Bongo 264 schaftlichen Verfahrens“ überhaupt verstanden werden kann, eine fundamentale Vierteilung aufweist: I. Einleitung II. Mitteilung (Darstellung) der Forschungsarbeit III. Diskussion der Forschungsarbeit IV. Anschluss an den weiteren Forschungsprozess „[D]ie beiden Teile II und III, in denen die [jeweilige, G.B.] Forschungsarbeit mitgeteilt und diskutiert wird, sind in aller Regel [...] von einem Teil I, der in den Forschungsstand einführt, und einem Teil IV, der den Anschluß an den weiteren Forschungsprozeß herstellt“, umgeben. „Vorzüglich durch die beiden letztgenannten Textteile“, so setzt Weinrich fort, „ordnet sich ein Forscher in den Kommunikationszusammenhang seiner Disziplin ein und definiert sich als ein Glied in der Kette dieser Wissenschaft.“ Obwohl es bei Weinrich nicht ausdrücklich wird, handelt es sich dabei um eine funktionale Dichotomie: wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen kommt nicht einfach die Funktion der Mitteilung (Darstellung) und Diskussion neuer Erkenntnisse und Hypothesen zu, die üblicherweise mit dieser Kommunikationsform assoziiert wird, sondern auch die Funktion, einen Bezug auf den jeweiligen Forschungszusammenhang herzustellen, ohne den keine Erkenntnis auf Wissenschaftlichkeit beansprucht werden kann. Insbesondere soll die Einleitung eines wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsatzes sozusagen in die Menge des Bereits-Formulierten und dessen Bedingungen einführen, dabei Elemente aus dieser Menge als solche in zusammenhängenden Beziehungen darstellen, insoweit als sie für die jeweilige Fragestellung relevant sind. Dieses Bereits-Formulierte als Bestandteil eines wissenschaftlichen „Kommunikationszusammenhangs“ bezeichne ich (in Anlehnung an Foucault) als Diskurs, 7 die Funktion, die eine Einleitung ausübt, als Diskursfunktion. Dabei ist die Einleitung als 7 Michel Foucault befasst sich mit der Dimension des Diskurses unter einem theoretischen Gesichtspunkt insbesondere in der Archäologie des Wissens (1969, dt. 1973). Das, was er unter „Diskurs“ versteht und worauf hier nicht detailliert eingegangen werden kann, unterscheidet sich z.T. erheblich von dem, was die linguistische Forschung geläufig als „Diskurs“ bezeichnet (z.B. „Text“ bzw. „Textreihenfolge“ in der Textlinguistik, „gesprochene Sprache“ in der Funktionalen Pragmatik usw.). Bei Foucault ist der Diskurs wesentlich von seiner Materialität (bzw. „Positivität“) geprägt: er besteht aus bereits formuliertem „sprachlichem Material“, aus „Aussagen“, die sich innerhalb einer bestimmten „diskursiven Praxis“ (vgl. Foucault 1973, S. 171) gebildet haben und unter denen mit Ausnahme der Tatsache, dass sie aus derselben diskursiven Praxis stammten, keine vorgegebene Konnexion besteht. Der Diskurs ist also laut Foucault kein an sich zusammenhängendes sprachliches Material; zwischen den „Aussagen“ besteht sozusagen keine Konnexion, sondern nur Konnektivität. Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 265 eine funktionale Größe, d.h. als eine auch ohne einen entsprechenden ausgegliederten Textteil vorkommende Größe, zu verstehen. Einleitungen sind also insofern von besonderer Bedeutung, als ihnen eine spezifische, für die wissenschaftliche Kommunikation unentbehrliche Funktion zukommt, die sich vermutlich wohl auch in wissenschaftssprachlichen Phänomenen auswirkt. Da setzt eigentlich die Frage nach dem Konnektorengebrauch in den Einleitungen zu wissenschaftlichen Aufsätzen an, genauer die Frage, ob und wie ein Zusammenhang zwischen dem Gebrauch der Konnektoren und der Diskursfunktion besteht. Dabei wird freilich keine spezifische Konnektorfunktion, sondern ein spezifischer Gebrauch der Konnektoren angenommen, der mit der angedeuteten Funktion der Einleitungen, Elemente der ungeheuren Menge des wissenschaftlich Gesagten zusammenzuhalten und zum Ausgangspunkt der Forschungsarbeit zu machen, in Korrelation gebracht werden kann. Darüber hinaus wird angenommen, dass eine solche Korrelation (wenn sie sich überhaupt feststellen lässt) sowohl auf Deutsch als auch auf Italienisch besteht, was natürlich sprachspezifische Unterschiede im Konnektorengebrauch nicht ausschließt. 5. Konnektoren in Einleitungen zu wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln Dieses Kapitel gliedert sich in drei Teile: Im ersten Unterkapitel (5.1) werden das Korpus der analysierten Texte sowie die Kriterien seiner Zusammenstellung kurz vorgestellt; danach (Kap. 5.2) werden die Daten über den Konnektorengebrauch in solchen Texten zusammengefasst; im dritten Unterkapitel (5.3) findet schließlich der Versuch statt, die gewonnenen Daten im Hinblick auf den Zusammenhang von Konnektorengebrauch, Struktur der Einleitungen zu wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen und deren Funktion zu interpretieren. 5.1 Das Korpus Das Korpus, das der Analyse unterzogen wurde, besteht aus 40 Einleitungen zu wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen (jeweils 20 für das Deutsche und für das Italienische) und insgesamt aus 22 907 Textwörtern. Solche Einleitungen sind unterschiedlich umfangreich (die kürzere beträgt für das Deutsche 182 Textwörter, für das Italienische 140 Textwörter, die längere 1209 bzw. 1392); ihr Umfang hängt aber nicht unbedingt von der Länge des gesamten Aufsatzes ab. Ein vollständiges Verzeichnis der analysierten Texte findet man im Anhang. Giancarmine Bongo 266 Bei der Zusammenstellung des Korpus wurden folgende Kriterien beachtet: 1) möglichst breites Spektrum von unterschiedlichen Disziplinen (jeweils die selben für das Deutsche und für das Italienische), sowohl aus den Geistesals auch aus den Sozial- und den Naturwissenschaften; 2) die Tatsache, dass die wissenschaftliche Debatte noch (wenigstens zum Teil) auf Deutsch bzw. Italienisch und nicht nur auf Englisch stattfindet (aus diesem Grund mussten viele naturwissenschaftliche Disziplinen ausgeschlossen werden); 3) hinsichtlich Länge und Zusammensetzung vergleichbare Subkorpora (Deutsch/ Italienisch); 4) Relevanz der Fachzeitschriften; 5) Auswahl von Autoren, die jeweils Deutsch bzw. Italienisch als Muttersprache haben. Disziplin Deutsch (Wörter) Italienisch (Wörter) Geschichte 01 Texte (1 209) 01 Texte (905) Linguistik 02 Texte (929) 02 Texte (688) Literaturwissenschaft 01 Texte (476) 01 Texte (371) Medizin 03 Texte (876) 03 Texte (1778) Musikwissenschaft 01 Texte (241) 01 Texte (375) Philosophie 02 Texte (1 248) 02 Texte (1640) Politikwissenschaft 02 Texte (1 325) 02 Texte (2166) Recht 04 Texte (1 851) 04 Texte (2601) Soziologie 02 Texte (1 286) 02 Texte (1456) Wirtschaft 02 Texte (741) 02 Texte (745) Gesamt 20 Texte (10 182) 20 Texte (12725) Tab. 3: Analysierte Texte nach Disziplinen 5.2 Konnektorenbestand im Korpus Die Ergebnisse der Analyse wurden jeweils in ein nach Häufigkeit geordnetes Verzeichnis der deutschen bzw. italienischen Konnektoren (mit absoluten Zahlen) zusammengefasst. In die Liste wurden auch sämtliche hapax legomena eingetragen; diejenigen Konnektoren, die zwar mehrmals, aber nur in einem einzigen Text vorkommen, werden durch ein „E“ in der dritten Spalte der Tabelle deutlich signalisiert. In den folgenden Tabellen werden außerdem auch knappe Hinweise vor allem auf die Kookkurrenzen der einzelnen Kon- Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 267 nektoren sowie (für das Italienische) auf ihre syntaktische Exposition (vgl. oben, Kap. 3.2) gegeben. Es liegt nahe, dass angesichts des Umfangs des Korpus die Befunde nicht im Hinblick auf ihre statistische Bedeutung, sondern im Hinblick auf die Tendenzen, die sich an ihnen (eventuell) feststellen lassen, relevant sein können. VERZEICHNIS DER VERWENDETEN KONNEKTOREN (DT. TEXTE) Konnektor Anzahl Bemerkungen und 312 auch 049 oder 044 1 mit auch aber 029 3 mit auch, 2 mit zunächst, 1 mit indem, 1 mit v.a., 1 mit dennoch, 1 mit während, 1 vgl. wenn wenn 020 17 konditional; 1 mit Korrelat dann, 1 mit Korrelat nur dann, 1 mit beispielsweise, 1 mit dabei, 2 mit nicht, 1 mit selbst, 1 mit besonders, 1 mit Korrelat so, 1 in der Kookkurrenz wenn also zum Beispiel ..., dann auch ..., 1 in der Kookkurenz wenn ... damit zwar ..., so ... aber ... auch ... dabei 016 2 mit insbesondere bzw. 015 sondern 015 5 mit nicht nur und auch damit 012 immer modal-instrumental, 5 mit und, 1 mit und und zumindest, 1 mit wiederum, 1 vgl. wenn also 011 jedoch 011 1 in uneingeleitetem Nebensatz, 1 mit sobald, 1 mit falls da 010 10 kausal, 5 im Text 17 insbesondere 010 1 mit und, 1 mit und und dabei sowie 009 weil 009 1 mit Ellipse zunächst 008 1 mit einmal, 2 mit aber so 006 1 in der Fügung so ... aber auch ... sein mag; 1 mit zwar und jedoch und 1 mit doch im Sinne von obwohl; 3 als Adverbkonnektor im Sinne von deshalb somit 006 5 mit und, 1 mit auch Giancarmine Bongo 268 zwar 006 1 allein, 1 mit so und jedoch, 1 mit aber, 1 mit jedoch und auch, 1 mit aber und dennoch, 1 vgl. wenn zum Beispiel, z.B. 005 dagegen 004 dann 004 1 in Korrelation mit zunächst, 1 mit und so dass so ... dass 003 001 vielmehr 004 während 004 3 adversativ, 1 mit aber wenn auch 004 denn 003 dennoch 003 1 vgl. wenn entsprechend 003 1 mit und, 1 mit und und auch entweder ... oder 003 E hingegen 003 insofern 003 Adverbkonnektor nämlich 003 wiederum 003 E zudem 003 E; 1 mit und, 1 mit sondern zugleich 003 allerdings 002 1 mit unterdessen beispielsweise 002 E dafür 002 daher 002 verbindet komplexe Sachverhaltsketten demnach 002 E doch 002 1 mit so im Sinne von obwohl gleichzeitig 002 1 in der Kookkurrenz gleichzeitig ... wie auch im Sinne von sowohl ... als auch indem 002 obwohl 002 sowohl ... als auch 002 trotzdem 002 verbindet komplexe Sachverhaltsketten und zwar 002 vor allem, v.a. 002 zumindest 002 1 mit und damit alsdann 001 danach 001 daneben 001 darüber hinaus 001 dazu 001 dementsprechend 001 demgegenüber 001 Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 269 des Weiteren 001 ebenfalls 001 ebenso 001 falls 001 1 mit jedoch ferner 001 1 mit und folglich 001 freilich 001 immerhin 001 indes 001 Adverbkonnektor (adversativ) indessen 001 Adverbkonnektor (adversativ) insofern ... als 001 ’ ¡  – nur insoweit 001 Adverbkonnektor noch 001 temporal schließlich 001 sobald 001 1 mit jedoch sowohl ... wie 001 übrigens 001 und/ oder 001 unterdessen 001 1 mit allerdings weshalb 001 wie auch 001 wobei 001 Verträglichkeit der Konnekte worauf 001 in der Kookkurrenz worauf nachfolgend auch zusätzlich 001 VERZEICHNIS DER VERWENDETEN KONNEKTOREN (IT. TEXTE) Konnektor Anzahl Bemerkungen e 320 1 mit ancora, 2 mit insieme o 044 ma [‘aber’] ma [‘sondern’] 027 010 1 mit anche und Konj. 1 mit pure, 3 mit solo und anche anche anche [‘zwar’] 024 001 mit konzessiver Bedeutung perché 016 2 mit proprio ’ – infatti 013 9 syntaktisch ‘exponiert’ quindi 013 6 mit e, 1 syntaktisch ‘exponiert’ (ohne e) cioè 009 2 mit e però 009 poi 009 3 mit e se 009 1 mit non tuttavia 009 3 syntaktisch ‘exponiert’, 1 mit e Giancarmine Bongo 270 inoltre 008 4 syntaktisch ‘exponiert’ sia ... che 008 invece 007 3 syntaktisch ‘exponiert’ ovvero 007 6 im Sinne von vale a dire, 1 im Sinne von oppure così 006 2 syntaktisch ‘exponiert’, 1 konsekutiv mit Inf. in particolare 006 2 syntaktisch ‘exponiert’ sia ... sia 006 dunque 005 5 syntaktisch ‘exponiert’ né ... né, né 005 3 né ... né benché 004 da un lato ... dall’altro 004 1 dall’altro syntaktisch ‘exponiert’ e/ o 004 prima 004 1 mit ancor anzi 003 2 mit e  003 2 syntaktisch ‘exponiert’ mentre 003 3 adversativ poiché 003 una volta 003 3 mit Ellipse ad esempio 002 1 syntaktisch ‘exponiert’ al tempo stesso 002 1 mit e anche se 002 d’altra parte 002 1 syntaktisch ‘exponiert’ dapprima 002 E del resto 002 1 syntaktisch ‘exponiert’, 1 mit e di conseguenza 002 1 syntaktisch ‘exponiert’ innanzi tutto 002 oltre tutto, oltretutto 002 1 syntaktisch ‘exponiert’ ossia 002 E parimenti 002 per questo 002 pertanto 002 quando 002 sebbene 002 soprattutto 002 E tanto che 002 tanto ... quanto 002  001 1 syntaktisch ‘exponiert’ bensì 001 1 mit non solo come se 001 comunque 001 1 syntaktisch ‘exponiert’ Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 271 con ciò 001 così come [‘sowie’] 001 d'altronde 001 1 syntaktisch ‘exponiert’ di converso 001 dopo 001 e anche [‘selbst wenn’] 001 T9 egualmente 001  6 001  001 1 mit Negation non giacché 001 in breve 001 1 syntaktisch ‘exponiert’ in quanto [‘da’] 001 in seguito 001 malgrado ciò 001 1 syntaktisch ‘exponiert’ nonché 001 o ... o 001 per altri versi 001 per quanto 001 purché 001 solo [‘erst’] 001 tranne nel caso in cui 001 Tab. 4 u. 5: Konnektorenbestand im Korpus In den beiden Verzeichnissen kommen insgesamt 81 (auf Deutsch) bzw. 76 (auf Italienisch) Konnektoren vor. Die Konnektoren wurden streng onomasiologisch klassifiziert - an dieser Stelle wurde also z.B. nicht zwischen temporalem und konditionalem wenn oder zwischen ma [im Sinne von aber] und ma [im Sinne von sondern] unterschieden. Lediglich Varianten wie z.B. so dass ... / so ... dass oder vor allem / v.a. auf Deutsch oder oltre tutto / oltretutto auf Italienisch wurden als ein einziger Konnektor gezählt. Dagegen wurden z.B. sowohl ... als auch / sowohl ... wie oder finché / fintanto che trotz der Bedeutungsidentität als zwei unterschiedliche Konnektoren betrachtet. Unter einem rein statistischen Gesichtspunkt lässt sich eine leicht höhere Frequenz von Konnektoren in den deutschen Texten feststellen, sowohl insgesamt (711 Konnektoren gegen 663 in den italienischen Texten) als auch v.a. im Verhältnis zur Anzahl der Textwörter (1 Konnektor pro 14,32 Textwörter gegen 1 Konnektor pro 19,19 Textwörter). Dabei soll aber die Rolle unterstrichen werden, die im Italienischen das gerundio als Alternative zu einer expliziten Satzverknüpfung spielt (insgesamt ließen sich 26 Okkurrenzen des gerundio in den analysierten Giancarmine Bongo 272 Texten feststellen). Im Allgemeinen kann man auch den hohen Anteil an mehrteiligen Konnektoren im Italienischen beobachten, die z.T. besonders komplex sind (vgl. z.B. tranne nel caso in cui, der dem dt. außer entspricht). 5.3 Der Gebrauch der Konnektoren unter der Perspektive der semantischen Relation Wie lässt sich nun die Leistung der Konnektoren in den analysierten Texten beschreiben und verstehen? Welche Art von semantischen Relationen stellen sie her? Die Frage nach der von Konnektoren hergestellten semantischen Relation weist selbstverständlich auf den gesamten Bereich der Konnektorensemantik hin, auf ihre Grundlagen, Kategorien und Methoden, an deren Erforschung in den letzten Jahren intensiv gearbeitet wird (vgl. z.B. Blühdorn/ Breindl/ Waßner (Hg.) 2004), obwohl eine zufrieden stellende Gesamttheorie noch aussteht (vgl. z.B. Blühdorn 2004, S. 125). Die Frage nach der Art der Relation lässt sich aber schon prinzipiell gegenüber einer solchen umfassenden Fragestellung abgrenzen. Das ist bereits aus einer sehr allgemeinen Begriffsbestimmung der Konnektoren wie diejenige, die eingangs angeführt wurde (vgl. Pasch u.a. 2003, S. 1), zu entnehmen: ein Konnektor ist ein sprachlicher Ausdruck, dessen „Bedeutung [...] im Normalfall mindestens die Bedeutungen zweier Sätze zueinander in eine spezifische Relation [Hervorhebung durch mich, G.B.]“ setzt. In Bezug auf die semantisch-funktionale Klasse der Konnektoren lassen sich also drei unterschiedliche semantische Ebenen ausmachen: 1) Die Semantik des sprachlichen Ausdrucks, d.h. des Konnektors selbst als lexikalischer Einheit; 2) die Semantik der Relata bzw. der Konnekte; 3) die Semantik der Relation selbst, die eine spezifische Beziehung identifiziert. Diese Unterscheidung, die vor allem als methodologisch anzusehen ist und heuristischen Wert hat, dient dazu, die allgemeine Frage nach der Konnektorensemantik zu präzisieren und zu differenzieren. Diese semantisch begründete Dreiteilung entspricht im Grunde der Klassifikation der ‘Struktureinheiten der Interpretationen’ - Funktionen, Funktoren, Argumente von Funktionen und Funktionswerte (vgl. Pasch u.a. 2003, S. 100 und die dort angeführte Definition von ‘Funktion’ aus Kondakow 1978) - unter der Bedingung aber, dass trotz der möglichen terminologischen Missverständnisse der Terminus ‘Funktion’ beibehalten wird und somit der Unterschied von Funktionen und Ausdrü- Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 273 cken für Funktionen, d.h. Funktoren, deutlich bleibt. Untersucht man also Funktionswerte, so untersucht man die Semantik der Relata (z.B. deren Wahrheitswert); untersucht man Funktoren, so untersucht man die Semantik der lexikalischen Einheiten ‘Konnektoren’ (z.B. die unterschiedlichen Bedeutungen von wenn); untersucht man schließlich die Semantik der Relation, so untersucht man die Funktion selbst. Insofern erweist sich eine Semantik der Relation als zentral und unumgänglich. Beim Versuch einer Beschreibung und Erfassung der durch Konnektoren hergestellten semantischen Relationen steht ein reichliches Inventar an Begriffen und Termini zur Verfügung, die größtenteils auch der ‘Laiengrammatik’ angehören (wie ‘kausal’, ‘temporal’, ‘konditional’ usw.), hinsichtlich derer aber immer noch kein allgemeiner Konsens besteht: Für die Rollen der Argumente von Konnektoren gibt es in noch weit geringerem Maße als für die der Verbargumente ein konsensfähiges Inventar; es findet sich eine Vielzahl von Begriffen wie »Grund«, »Folge«, »Ziel«, »Bedingung«, »unwirksamer Gegengrund« etc., die aber durchwegs nicht terminologisiert und definiert sind. (Breindl 2004b, S. 234). Hier wird insbesondere auf zwei Klassifikationen Bezug genommen: Zum einen auf die Konnektorensynopsis der Dudengrammatik (Duden 7 2005, S. 1082-1114), zum anderen auf die (freilich weniger systematische) Einteilung in Blühdorn/ Breindl/ Waßner (Hg.) (2004, Teile B bis D). Die Dudengrammatik unterscheidet sieben semantische Hauptklassen von Konnektoren, innerhalb derer sich noch mehrere Subklassen herausarbeiten lassen. Im Folgenden wird ein Überblick über diese Klassifikation geboten (vgl. Fritz 2005, S. 1085): Giancarmine Bongo 274 kopulativ additiv alternativ temporal vorzeitig nachzeitig gleichzeitig konditional % %<% ! = i.e.S. kausal konsekutiv modal-instrumental  % %<% = adversativ konzessiv = explikativ restriktiv vergleichend komparativ proportional Tab. 6: Semantische Relationen nach der Dudengrammatik (Duden 7 2005) Für jede Klasse bzw. Subklasse werden dann sämtliche Konnektoren aufgelistet, wobei unter ‘Konnektor’ auch Präpositionen und sogar Abtönungspartikeln verstanden werden. Bei Blühdorn/ Breindl/ Waßner (Hg.) (2004) lässt sich die folgende Zusammenschau (mit jeweils typischen Klassenvertretern) rekonstruieren, wobei aber zu unterstreichen ist, dass nicht alle semantische Relationen in Betracht gezogen werden: Additivität (und) Kontrast Adversativität (aber) Konzessivität (obwohl) Temporalität Kausalität (i.w.S.) bzw. Konditionalität K ausalität i.e.S. (da, weil, denn, zumal) Konsekutivität (so dass) Konditionalität (wenn) Konsequentialität (dann) Instrumentalität (indem) Finalität (damit) Konklusivität (also, folglich) Prämissivität (schließlich, auch da, denn) Tab. 7: Semantische Relationen nach Blühdorn/ Breindl/ Waßner (Hg.) (2004) Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 275 Die beiden Klassifikationen können miteinander zu einem Raster von semantischen Hauptrelationen kombiniert werden, das aus sechs Kategorien besteht: 1. Kopulativ (wie in der Dudengrammatik) 2. Kontrast (nach Breindl 2004b) 3. Kausal ˜ Ç ‚ – È#  konditional 4. Temporal ( wie in der Dudengrammatik) 5. < = ( wie in der Dudengrammatik) 6. Vergleichend ( wie in der Dudengrammatik) Tab. 8: Semantische Hauptkategorien (kombinierte Klassifikation) Die Zusammenfassung von Kausalität i.w.S. und Konditionalität in einer einzigen Kategorie erfolgt unter der Annahme, dass „[e]ine kausale Beziehung [...] zwischen individuellen Ereignissen a und b“ besteht, diese jedoch auf einer „Gesetzeshypothese“ basiert, „die sich nur als Aussage über Mengen von Ereignissen eines bestimmten Typs A und B formulieren lässt. Seit David Hume [...] wird das gewöhnlich über Konditionalaussagen versucht“ (Ballweg 2004, S. 325f.). „Die Formulierung der Gesetzeshypothese mit Hilfe von wenn-dann-Verknüpfungen hat den angenehmen Nebeneffekt, dass dadurch der systematische Zusammenhang von weil- und wenn-dann-Verknüpfung erfasst wird. Das ist natürlich für eine Beschreibung des Systems der Konnektoren vorteilhaft.“ (ebd., S. 327). Die aufgelisteten kausalen i.w.S./ konditionalen Subklassen stellen paarweise „Konversenklassen“ dar (vgl. z.B. Waßner 2004, S. 315), die jeweils sozusagen aus der Umkehrung einer konditional interpretierbaren Relation entstehen. Konversenbeziehungen (hinsichtlich Vor- und Nachzeitigkeit) gibt es auch im Rahmen temporaler Relationen. Die im Korpus vorhandenen Konnektoren lassen sich wie folgt in das angeführte Raster einordnen: Giancarmine Bongo 276 SEMANTISCHE RELATIONEN (DEUTSCHE TEXTE) Kopulativität Kontrast Kausalität i.w.S./ Konditionalität Temporalität auch (49) beispielsweise (2) bzw. (15) daneben (1) darüber hinaus (1) dazu (1) des Weiteren (1) ebenfalls (1) ebenso (1) entweder ... oder (3) ferner (1) gleichzeitig 2 (1) insbesondere (10) oder (45) sowie (10) sowohl (...) als auch (2) sowohl (...) wie (1) übrigens (1) und (312) und/ oder (1) vor allem (2) wie auch (1) wobei (1) zudem (3) zusätzlich (1) aber (29) allerdings (2) dafür (2) dagegen (4) demgegenüber (1) dennoch (3) doch (2) freilich (1) hingegen (3) immerhin (1) indes (1) indessen (1) jedoch (11) obwohl (2) so 1 (3) sondern (15) trotzdem (2) vielmehr (4) während 1 (3) wenn (...) auch (4) zwar (6) also (11) da (10) daher (2) damit (12) dementsprechend (1) demnach (2) denn (3) falls (1) folglich (1) indem (2) insofern (...) als (1) nämlich (3) schließlich (1) so dass (4) so 2 (3) somit (6) weil (9) wenn 1 (17) weshalb (1) alsdann (1) dabei (16) danach (1) dann (4) gleichzeitig 1 (1) noch (1) sobald (1) unterdessen (1) während 2 (1) wenn 2 (3) wiederum (3) worauf (1) zugleich (3) zunächst (8) gesamt: 467 (65,68%) gesamt: 100 (14,06%) gesamt: 90 (12,66%) gesamt: 45 (6,34%) < = Vergleich insofern (3) insoweit (1) und zwar (2) entsprechend (3) gesamt: 6 (0,84%) gesamt: 3 (0,42%) Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 277 SEMANTISCHE RELATIONEN (ITALIENISCHE TEXTE) Kopulativität Kontrast Kausalität i.w.S/ Konditionalität Temporalität ad esempio (2) anche (24) così come (1) d’altra parte (2) d’altronde (1) da un lato (...) dall'altro (4) del resto (2) e (320) e/ o (4) in particolare (6) innanzi tutto (2) inoltre (8) né (...) né (5) nonché (1) o (...) o (1) o (44) oltre tutto, oltretutto (2) ossia (2) ovvero 2 (1) per altri versi (1) sia (...) che (8) sia (...) sia (6) soprattutto (2) tanto (...) quanto (2) anche se (2) anzi (3) benché (4) bensì (1) comunque (1) di converso (1) invece (7) ma (37) malgrado ciò (1) mentre (3) per quanto (1) però (9) sebbene (2) tuttavia (9)  (1) con ciò (1) così (6) di conseguenza (2) dunque (5) giacché (1) in quanto (1) per questo (2) perché (16) pertanto (2) poiché (3) purché (1) quindi (13) se (9) tanto che (2) al tempo stesso (2) dapprima (2) dopo (1)  6 (1)  (1) in seguito (1)  (3) poi (9) prima (4) quando (2) una volta (3) gesamt: 453 (68,33%) gesamt: 81 (12,22%) gesamt: 65 (9,80%) gesamt: 29 (4,37%) < = Vergleich cioè (9) in breve (1) infatti (13) ovvero 1 (6) solo (1) tranne nel caso in cui (1) come se (1) egualmente (1) parimenti (2) gesamt: 31 (4,68%) gesamt: 4 (0,60%) Tab. 9 u. 10: Einteilung der Konnektoren hinsichtlich der semantischen Hauptkategorien Giancarmine Bongo 278 Unter den deutschen Konnektoren wurde zwischen einem während 1 und einem während 2 (konzessiv bzw. temporal), einem wenn 1 und einem wenn 2 (konditional bzw. temporal), einem so 1 (das in konzessiven Fügungen auftritt wie im folgenden Beispiel aus Text 13: „So richtig das ist, tendiert diese Sichtweise doch dazu, ...“) und einem so 2 (das als Adverbkonnektor im Sinne von deshalb, infolgedessen verwendet wird), und schließlich zwischen einem gleichzeitig 1 und einem gleichzeitig 2 unterschieden, das einmal temporal und einmal echt additiv als Korrelat von wie auch verwendet wird (Beispiel aus Text 16: „Die Rolle Webers in Voegelins intellektueller Biographie hat also gleichzeitig Züge von Diskontinuität und Wandel wie auch solche von Kontinuität.“). Unter den italienischen Konnektoren wurde dagegen zwischen einem ovvero 1 (spezifizierend, im Sinne von d.h.) und einem ovvero 2 (disjunktiv, im Sinne von oder) unterschieden. Temporale Varianten von mentre kommen nicht vor. Diesen Tabellen ist ein deutliches Übergewicht kopulativer Relationen (und darunter insbesondere der additiven Relation; zur Additivität vgl. Breindl 2006) leicht zu entnehmen. Die Bedeutung dieses Übergewichts lässt sich aber nicht unmittelbar erfassen: Fraglich ist insbesondere die Möglichkeit, die Gesamtheit der anderen semantischen Relationen der kopulativen Relation gegenüberzustellen. Eindeutig sind dagegen die Ergebnisse in Bezug auf den Vergleich Deutsch/ Italienisch: die Charakteristika der semantischen Relation sind in den beiden Subkorpora auch quantitativ fast identisch. Der einzige bedeutende Unterschied besteht in einem statistischen Gesichtspunkt hinsichtlich der spezifizierenden Konnektoren, die im Italienischen zahlreicher als im Deutschen sind. Das hängt nicht zuletzt von der Rolle ab, die der Konnektor infatti (dem lateinischen nam entsprechend) im Italienischen spielt; der Konnektor infatti kann als ‘spezifizierend’ bezeichnet werden, obwohl seine Semantik noch komplexer ist. Die Rolle der Konnektoren und sozusagen ihre Hauptaufgabe in den analysierten Texten lassen sich besser beschreiben und erfassen, wenn man die erworbenen Daten im Hinblick auf die Symmetrie der Relation analysiert. Unter „Symmetrie der Relation“ wird hier in Anlehnung an Breindl (2004b, S. 234) die Möglichkeit verstanden, „die lautlich realisierten Konnekte »über Kreuz« den semantischen Rollen zuzuordnen, die den Konnekten als relationale Bedeutungen durch die Konnektorbedeutungen zugewiesen werden“, wobei diese Möglichkeit - wie Breindl selbst betont - nicht mit einer bloßen Vertauschbarkeit der Konnekte auf topologischer Ebene zu verwechseln ist. Die Symmetrie der Relation ist ein binäres ‘Differenzparameter’, das die Grund- Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 279 struktur selbst einer durch Konnektoren hergestellten semantischen Relation als binär charakterisieren kann und den weiteren Unterscheidungen (wie den oben angeführten) vorausgeht. Insofern ermöglicht es eine Gegenüberstellung zweier semantisch-funktionaler homogener Klassen. Hinsichtlich des Parameters ‘Symmetrie der Relation’ ergibt sich folgendes Bild der in den beiden Subkorpora vorkommenden Konnektoren: SEMANTISCHE RELATION (DEUTSCHE TEXTE) SYMMETRISCHE RELATION ASYMMETRISCHE RELATION additiv auch (49) daneben (1) darüber hinaus (1) dazu (1) des Weiteren (1) ebenso (1) ebenfalls (1) ferner (1) gleichzeitig 2 (1) sowie (10) sowohl (...) als auch (2) sowohl (...) wie (1) übrigens (1) und (312) wie auch (1) zudem (3) zusätzlich (1) kausal i.w.s./ konditional also (11) da (10) daher (2) damit (12) dementsprechend (1) demnach (2) denn (3) falls (1) folglich (1) insofern (...) als (1) nämlich (3) schließlich (1) so dass (4) so 2 (3) somit (6) weil (9) wenn 1 (17) weshalb (1) disjunktiv entweder ... oder (3) oder (45) konzessiv aber 2 (5) dennoch (3) immerhin (1) obwohl (2) so 1 (3) trotzdem (2) während 1 (3) wenn (...) auch (4) zwar (6) Giancarmine Bongo 280 kontrastiv vergleichend aber 1 (15) dagegen (4) demgegenüber (1) hingegen (3) indes (1) indessen (1) kontrastiv bewertend aber 3 (9) allerdings (2) dafür (2) doch (2) freilich (1) jedoch (11) temporal (gleichzeitig) dabei (16) gleichzeitig 1 (1) unterdessen (1) während 2 (1) wiederum (3) zugleich (3) temporal (vor- und nachzeitig) alsdann (1) danach (1) dann (4) noch (1) sobald (1) wenn (3) worauf (1) zunächst (8) vergleichend entsprechend (3) komitativ wobei (1) indem (2) korrektiv sondern (15) vielmehr (4) Sonstiges (kopulativ i.w.s.) beispielsweise (2) bzw. (15) insbesondere (10) und/ oder (1) und zwar (2) vor allem (2) Sonstiges insofern (3) insoweit (1) gesamt 532 gesamt 179 Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 281 SEMANTISCHE RELATION (ITALIENISCHE TEXTE) SYMMETRISCHE RELATION ASYMMETRISCHE RELATION additiv anche (24) così come (1) d’altra parte (2) d’altronde (1) da un lato (...) dall’altro (4) del resto (2) e (320) inoltre (8) né (...) né (5) nonché (1) oltre tutto, oltretutto (2) per altri versi (1) sia (...) che (8) sia (...) sia (6) tanto (...) quanto (2) kausal i.w.s./ konditional  (1) con ciò (1) così (6) di conseguenza (2) dunque (5) giacché (1) in quanto (1) per questo (2) perché (16) pertanto (2) poiché (3) purché (1) quindi (13) se (9) tanto che (2) tranne nel caso in cui (1) disjunktiv o (...) o (1) o (44) konzessiv anche se (2) benché (4) ma 2 (6) malgrado ciò (1) mentre (3) per quanto (1) sebbene (2) kontrastiv vergleichend anzi (3) di converso (1) invece (7) ma 1 (20) però 1 (7) kontrastiv bewertend comunque (1) ma 3 (11) però 2 (2) tuttavia (9) temporal (gleichzeitig) al tempo stesso (2) temporal (vor- und nachzeitig) dapprima (2) dopo (1)  6 (1)  (1) in seguito (1)  (3) poi (9) prima (4) quando (2) una volta (3) Giancarmine Bongo 282 vergleichend come se (1) egualmente (1) parimenti (2) komitativ - korrektiv bensì (1) Sonstiges (kopulativ i.w.S.) ad esempio (2) e/ o (4) in particolare (6) innanzi tutto (2) ossia (2) ovvero 2 (1) soprattutto (2) cioè (9) ovvero 1 (6) Sonstiges in breve (1) infatti (13) solo (1) gesamt 510 gesamt 153 Tab. 11 u. 12: Einteilung der Konnektoren hinsichtlich der Symmetrie der Relation Im Hinblick auf den Parameter „Symmetrie der Relation“ findet z. T. eine Aufspaltung der oben angeführten Konnektorenklassen statt. Das betrifft insbesondere die Klassen der Kontrast- und der Temporalkonnektoren (zu den Kontrastkonnektoren vgl. Breindl 2004a); als problematisch erweist sich aber auch die Klasse der spezifizierenden Konnektoren. Unter den Kontrastkonnektoren wird es notwendig, kontrastiv vergleichende (vgl. Breindl 2004b, S. 235) sowohl von kontrastiv bewertenden (ebd.) als auch von korrektiven (vgl. Breindl 2006, S. 5), als auch noch von konzessiven Konnektoren zu unterscheiden (vgl. Breindl 2004b, S. 236; zu den konzessiven Konnektoren vgl. auch Di Meola 1997); dabei wurden auch die kontrastiv vergleichend interpretierbaren von den kontrastiv bewertend und konzessiv interpretierbaren Vorkommen von aber bzw. ma und però unterschieden. Unter den Temporalkonnektoren lassen sich Gleichzeitigkeit kodierende Konnektoren von denjenigen trennen, die Vor- und Nachzeitigkeit kodieren; unter den spezifizierenden Konnektoren ist schließlich die Unterscheidung von explikativen und restriktiven Konnektoren zu beachten. Als symmetrische Relationen lassen sich deshalb die additive, die disjunktive, die kontrastiv vergleichende, die vergleichende und die temporal-gleichzeitige Relation klassifizieren. Dazu kommt noch eine Relation, die als kopulativ i.w.S. bezeichnet worden ist: sie wird einerseits durch Adverbkonnektoren wie insbesondere oder vor allem hergestellt, die auch der „Hervorhebung“ dienen, aber als „additive Konnexionsmittel eingeordnet werden“ (vgl. Fritz 2005, S. 1087), andererseits von den explikativen Konnektoren. Konnektoren in der deutschen und in der italienischen Wissenschaftssprache 283 Als asymmetrische Relationen lassen sich dagegen die i.w.S. kausale/ konditionale, die kontrastiv bewertende, die konzessive, die temporale (Vor- und Nachzeitigkeit) und die korrektive Relation klassifizieren. Dazu kommen noch eine i.w.S. restriktive Relation (für das Deutsche z.B. insofern oder insoweit) sowie die Komitativrelation, „bei der eines der Argumente zu einem »Begleitumstand« zu einem vorher eingeführten Sachverhalt bzw. einer »Nebenrolle« neben dem Protagonisten heruntergestuft ist“ (Breindl 2006, S. 5). Symmetrische Relationen sind in den analysierten Einleitungen zu wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen bei weitem häufiger als asymmetrische. Das ist mit der Annahme kompatibel, dass der Einleitung hauptsächlich die Funktion zukommt, ‘diskursive’ (im oben angeführten Sinne) Einheiten zueinander in Relation zu setzen (und deshalb zu solchen zu erklären), noch bevor weitere Faktoren der Relation (Grund, Folge, Ursache, Bedingung usw.) ins Spiel kommen. In diesem Sinne lässt sich ein möglicher Zusammenhang zwischen Funktion der wissenschaftlichen Einleitungen und dem Konnektorengebrauch herstellen, an dem eine entscheidende wissenschaftliche Operation, sogar die erste Voraussetzung der Wissenschaftlichkeit, abgelesen werden kann. 6. Fazit Ausgehend von der Frage nach dem Gebrauch der Konnektoren in der deutschen und italienischen Wissenschaftssprache (und insbesondere in Einleitungen zu wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen) wurde zunächst versucht, vergleichbare Konnektorenklassen des Deutschen und des Italienischen zu bestimmen. Das hat sich als nicht einfach erwiesen, da es für das Italienische (im Gegensatz zum Deutschen) keine systematische Untersuchung gibt, die eine umfassende Klassifikation der Konnektoren liefert. Als erster Schritt eines systematischen, zufrieden stellenden Vergleichs wurde hinsichtlich des Italienischen die prinzipielle Zugehörigkeit bestimmter Klassen von Ausdrücken zur Klasse der Konnektoren auf semantisch-funktionaler Basis geprüft. Das erfolgte mithilfe der Kriterien, die für das Deutsche verwendet worden sind und die auch für das Italienische nutzbar gemacht werden können. Das führte zu einer homogenen Bestimmung des Konnektorenbestandes im Korpus der analysierten Texte (jeweils 20 Einleitungen zu wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen für das Deutsche und für das Italienische). Die beiden Subkorpora (Deutsch/ Italienisch) ließen sich quantitativ insgesamt gut vergleichen. Unter einem qualitativen Gesichtspunkt wurde die Frage nach der Art der semantischen Relationen gestellt, die die Satzverknüpfung in den analysierten Giancarmine Bongo 284 Texten charakterisieren. Verwendet wurde dabei ein Kategorienraster, das in Anlehnung an die Klassifikationen der Dudengrammatik (Duden 7 2005, S. 1085) und von Blühdorn/ Breindl/ Waßner (Hg.) (2004) entwickelt wurde. Die erworbenen Daten und Konnektorenklassen wurden mithilfe des Differenzparameters ‘Symmetrie der Relation’ sozusagen gefiltert und z.T. neu organisiert; symmetrische Relationen erwiesen sich als deutlich zahlreicher als asymmetrische. Dieser Befund deutet auf eine mögliche Korrelation zwischen Konnektorengebrauch und der Funktion wissenschaftlicher Einleitungen hin, die darin besteht, in einen bestimmten Forschungszusammenhang einzuführen und Sachverhalte als dazu gehörende zu erklären und miteinander in Relation zu setzen, noch bevor weitere Faktoren der Relation (Grund, Folge, Ursache, Bedingung usw.) ins Spiel kommen. 7. Anhang: Verzeichnis der analysierten wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätze [1] Kertscher , Jens (2007): Pragmatik oder Hermeneutik - einige neuere Arbeiten zur Sprachphilosophie. In: Philosophische Rundschau 54, 4, S. 330-356. [2] Schumacher, Ralph (2006): Locke über die Intentionalität sinnlicher Ideen. In: Aufklärung 18, S. 21-36. [3] Hickmann, Ellen (2003): Musikarchäologie - Forschungsgrundlagen und Ziele. In: Die Musikforschung 2, S. 121-134. [4] Kanduth, Erika (1995) : Die Erkenntnis des Schmerzes bei Dante. In: Deutsches Dante-Jahrbuch 70, S. 29-45. 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Sprachkontakt und Konnektoren Die Entlehnung diskursiver sowie syntaktischer Konnektoren ist eine verbreitete Erscheinung in Sprachkontaktsituationen, die in bilingualen Kontexten relativ früh auftritt. Strukturelle Kriterien, wie die syntaktische und morphologische Unabhängigkeit der Konnektoren, ihre formelle Stabilität und kategoriale Optionalität können als erste Erklärungen gelten, um die relative Frequenz und Ausbreitung dieses Kontaktphänomens im Vergleich mit der Entlehnung anderer Funktionswörter zu beleuchten (Weinreich 1968, S. 29- 31). Kein Wunder, dass eben Weinreich (ebd., S. 30) das amerikanische Jiddisch / / ‘nicht er sondern ich’ als Paradebeispiel der Entlehnung von Morphemen anführt. Dasselbe Phänomen kann auch unter einer anderen Perspektive untersucht werden, wie z.B. in Matras (2007), der die Fähigkeit (bzw. Unfähigkeit) bilingualer Sprecher betrachtet, zwei Systeme separat zu halten. Infolgedessen erklärt ein solches Modell des Sprachkontaktes „the link between the processing function which the category triggers, and the degree to which speakers allow its structural representation to converge or fuse among the two (or more) components of their linguistic repertoire“ (ebd.). Um die Reichweite des Phänomens darzulegen, werden hier Beispiele einer Reihe von Kontexten genannt, in denen Deutsch (oder besser gesagt, lokale, bzw. dialektale Varianten des Deutschen) in (untergeordnetem) Kontakt mit romanischen Sprachen und Dialekten steht. 1 (1) [...] u kennsch mi jo, olles ondere im kopf... ma, mir geahts af die nerven... [...] ma dai, des geaht schun... bilanzanalys usw. isch net schwar. „und du kennst mich, alles andere im Kopf... aber mir geht es auf die Nerven... [...] aber es geht schon, Bilanzanalyse usw. ist nicht schwer.“ [Südtirolerisch, MySpace] 1 Alle Beispiele stammen aus deutschen Sprachinseln oder -halbinseln in Italien, was die Daten soziolinguistisch homogener macht. Silvia Dal Negro 290 (2) tö-s hiä bringä ds jungi, dai! „Bring doch hier dein Baby! “ [Walserdeutsch, Formazza] (3) ecco, z Adelini êsch mêttum gotti amica ksê „also, Adelina war mit meiner Patin befreundet“ [Walserdeutsch, Formazza] (4) Kóupar piutosto éipaz un Getzan „Saget mir eher etwas von Giazza“ [Zimbrisch, Giazza] (Rapelli 1983, S. 191) (5) alora hånne khöt... „da habe ich gesagt...“ [Zimbrisch, Lusern] (Dar Foldjo 2007) (6) Barándare táuccian, ma bar sain guat anca tza béliscian „wir sprechen deutsch, aber wir können auch italienisch“ [Zimbrisch, Giazza] (Rapelli 1983, S. 191) (7) òlls dòs za mòchen sechen, nèt ignoranza nèt ma de òrmekhet van lait „all das, um nicht die Unwissenheit, sondern die Armut der Menschen zu zeigen“ [Mòcheno, Fersental] (Rowley 2003, S. 260) (8) oh haje hebet werh parka haje macht der weg „oh wir hatten eine schwere Arbeit, denn wir haben den Weg (vom Schnee) befreit“ [Walserdeutsch, Rimella] Schon anhand dieser kleinen Auswahl von Beispielen werden unmittelbar zwei Tatsachen klar. Erstens tauchen dieselben Funktionswörter in verschiedenen, voneinander unabhängigen Mundarten auf. Erstaunlicherweise kommen dieselben Elemente sowohl in anderen Sprachen und Dialekten vor, die Satzverknüpfung in Kontakt: Italienisches che im Walserdeutschen 291 im Kontakt mit dem Italienischen stehen (z.B. Albanisch, Griechisch, Slowenisch, Serbokroatisch, Okzitanisch), 2 als auch weltweit in zahlreichen anderen Kontaktsituationen. Zweitens lassen sich solche Lehnwörter nach dem Grad ihrer Gebundenheit zum System unterscheiden: Die Liste enthält vor allem unabhängige Diskurspartikeln (wie zum Beispiel ecco, ma dai, insomma, allora) aber auch koordinierende und subordinierende Konjunktionen wie ma, perché, anche se. Die erwähnten Elemente (zusammen mit anderen, die ebenfalls häufig vorkommen) können schwer einer linguistischen Kategorie im engeren Sinne zugeordnet werden. In diesem Zusammenhang bevorzugt zum Beispiel Matras (2007, S. 35) eine funktionale Bestimmung vom Begriff ‘Kategorie’: „Categories are understood here to be operational devices that trigger mental processing activities in communicative interaction.“ Was Konnektoren betrifft, entwickelt Matras (1998, S. 282) eine Kategorie auf funktionaler Basis, nämlich die der utterance modifiers, wobei er „an extended grouping of various discourse-regulating elements, discourse markers, and focus particles“ meint. Obwohl funktionale Erklärungen begründen können, warum Konnektoren sehr oft und in den verschiedensten Kontaktsituationen entlehnt werden und in welcher Folge (z.B. die Hierarchie ‘und’ ‘oder’ ‘aber’) sie vorkommen (Matras 2007, S. 54 und Matras 1998), verlangen jedoch feinere Klassifizierungen auch die Betrachtung von systemspezifischen Faktoren, die sich eventuell auf empirische bzw. quantitative Beweise stützen. Auf der Basis voriger Forschungen in diesem Bereich (siehe Dal Negro 2001 und 2005) scheint es z.B. die folgende Implikation zu geben: unterordnende Konj. koordinierende Konj. Diskurspartikeln Dieselbe Implikation gilt auch für Mehrzweckwörter, wie z.B. italienisches ma ‘aber’: Die syntaktischen Kontexte, in denen das Lehnwort ma die Funktion einer adversativen Konjunktion ausübt, implizieren in Kontaktdialekten die pragmatisch-diskursiven Funktionen (siehe Dal Negro 2001). Außerdem kommen Diskurspartikeln oft in zwei- oder mehrsprachigen Texten vor, die auch durch Codewechsel und/ oder Codemischung gekennzeichnet sind. Daher sind oft eigentliche Entlehnungen von Codemischung schwer zu unterscheiden, wie z.B. die zwei italienischen Einsätze in (1) beweisen. In solchen Fällen kann nur die relative Häufigkeit eines Elements herangezogen 2 Siehe z.B. Dal Negro (2005) und Stolz (2007). Silvia Dal Negro 292 werden, um dasselbe als voraussehbar, und deshalb Teil des Systems, zu beurteilen. Die linguistische und soziolinguistische Komplexität der meisten Situationen, in denen ein andauernder und intensiver Sprachkontakt zu beweisen ist, weist deshalb eine Vielzahl von verschiedenen Phänomenen gleichzeitig auf, die analytisch schwer trennbar sind: wie bereits erwähnt Codemischung und lexikalische Entlehnungen, aber auch Mischformen, grammatisches Entlehnen und Konvergenz, siehe zum Beispiel Hill/ Hill (1986, S. 245f.): < -  –  borrowing and cases of code-switching. Since code-switching occurs in situations where two languages are in contact, foreign material in the usage of bilinguals can be of both types. Dagegen scheint es, was entlehnte Konjunktionen (besonders Nebensatzeinleiter) betrifft, jedoch klar, dass sie mit Codemischungsphänomenen wenig zu tun haben; dass sie im Zielsystem eingebettet werden und ihre Stelle neben den anderen, autochthonen, Konnektoren finden müssen. Was hier ins Spiel kommt, ist eher die grammatische Konvergenz und insbesondere die Beziehung zwischen der materiellen Entlehnung eines Funktionswortes und der Entlehnung von dessen Funktion und Distribution. In anderen Worten handelt es sich darum, ob mit dem „Matter“ (dem Funktionswort selbst) auch das grammatische „Pattern“ entlehnt wird (siehe Sakel 2007), und weiter, ob das Lehnwort eine (funktional und formal) perfekte Kopie des Modells ist oder ob es sich um eine partielle Kopie handelt, die ein neues, autonomes Leben im Zielsystem entwickelt. Man kann in der Literatur eine Anzahl von Beispielen finden, in denen das Lehnwort syntaktische Informationen in die Zielsprache überträgt. Ein extremer Fall ist der des Nahuatl (einer mexikanischen, stark vom Spanischen beeinflussten Sprache): Hier führt die Entlehnung von spanischen Präpositionen (wie de) in einer präpositionslosen Sprache zu gründlicher syntaktischer Restrukturierung (Hill/ Hill 1986). Die Entlehnung von spanischen Konnektoren in vielen mesoamerikanischen Sprachen wird jedoch auch in einer typologischen Perspektive von Stolz/ Stolz (1996) behandelt: Der Umfang von Kontaktkontexten, die betrachtet werden, zeigt deutlich, dass die meisten Sprachen dieselben Elemente vom Spanischen entlehnen; was aber die Funktionen betrifft, weisen diese einen hohen Grad an sprachspezifischer Variation auf. Sehr bekannt ist auch der Fall des iranischen ki, das in verschiedenen türkischen Sprachen zusammen mit Nebensatzmodellen entlehnt worden ist, die Satzverknüpfung in Kontakt: Italienisches che im Walserdeutschen 293 vom türkischen Sprachtyp abweichend, darin nicht vorhanden oder sehr selten sind (Johanson 2002). Das Interessante in der Sprachkontaktperspektive liegt darin, dass der Kontakt fast wie ein chemisches Reaktionsmittel wirkt, indem er die Strukturen beider teilnehmenden Sprachen (deren Asymmetrien, Hierarchien, Lücken) sichtbar(er) macht, so dass die Resultate der Kontaktforschung letzten Endes auch zu einer breiteren Kenntnis der Sprache führen können. Die Entlehnung von che in deutschen Dialekten wird daher zeigen, wie die verschiedenen Funktionen untereinander geordnet sind, aber auch inwiefern die beobachteten Kontaktsituationen unterschiedlich sind. 2. Die Kontaktsituation Der Fall, der hier behandelt wird, ist der einer extremen Kontaktsituation. Im Bereich der deutschen Sprachminderheiten Italiens wird hier von alemannischen Mundarten berichtet, d.h. von mittelalterlichen Auswanderungsdialekten, die zum so genannten Walserdeutsch gehören und die noch heute in wenigen kleinen Bergsiedlungen Piemonts und des Aostatals neben Italienisch und anderen romanischen Varietäten gesprochen werden. In diesem Aufsatz wird insbesondere von drei Dialekten die Rede sein, die trotz der sprachhistorischen Ähnlichkeiten unterschiedliche Sprachkontakttypen bzw. -grade darstellen, wozu aber auch eine reiche und zugängliche linguistische Dokumentation existiert. Es handelt sich um den Dialekt von Formazza (Hohes Piemont, Ossola), der dem Alemannischen am nächsten kommt und der erst in (relativ) neuerer Zeit (seit einem Jahrhundert? ) die Kontakte mit dem benachbarten Wallis verloren und andererseits jene mit dem Italienischen verstärkt hat. 3 Der zweite Fall ist der deutsche Dialekt von Rimella (im hohen Valsesiatal, ebenfalls in Piemont), der sich seit mindestens 200 Jahren mit dem lokalen gallo-italischen Dialekt stark vermischt hat 4 und der in den letzten Jahrzehnten wegen fortschreitender Entvölkerung schwer gefährdet ist. Zuletzt werden wir uns mit dem alemannischen Dialekt von Issime beschäftigen, einer kleinen Ortschaft im Aostatal, in der die Bevölkerung seit Jahrhun- 3 Zur sprachlichen und soziolinguistischen Lage des Walserdeutschen in Formazza siehe Dal Negro (2004). 4 Zum Thema siehe Bauen (1978). Aber schon in einem Bericht von 1810, im Rahmen einer vom französischen (napoleonischen! ) Innenministerium verlangten linguistischen Umfrage, wurde die Mundart von Rimella als die „schlechteste“ aller deutschen Sprachinseln Piemonts bezeichnet, indem es schon damals keine Beziehung zur (deutschen) Hochsprache zu geben schien (vgl. Keller 1975). Silvia Dal Negro 294 derten mehrsprachig ist und wo die deutsche Mundart trotz des engen Kontakts mit dem Italienischen, Französischen, Piemontesischen und Franko- Provenzalischen noch sehr lebendig ist. 5 In den drei Gemeinschaften wird der örtliche Dialekt von der Bevölkerung titsch (Formazza), tittschu (Rimella) oder töitschu (Issime) genannt, alles lokale Ableitungen des Wortes deutsch. Auch auf Italienisch sprechen sie von tedesco ‘Deutsch’, oder il nostro tedesco‚ ‘unser Deutsch’. Solche Benennungen zeigen, dass das Bewusstsein einer deutschen Sprachidentität trotz der achthundertjährigen Migration bewahrt ist. 6 Obwohl die soziolinguistische Lage solcher Sprachinseln per se interessant und vielschichtig ist, scheint aber der spezifische linguistische Gesichtspunkt besonders lohnend, in dem deutsche Sprachinseldialekte zum breiteren deutschen Sprachraum und dessen Sprachgeschichte gehören. Das erlaubt sowohl einen ständigen Vergleich mit dem Deutschen und dem dialektalen Kontinuum, als auch die Möglichkeit, interne Entwicklungen viel besser in Bezug auf die Spezifika des Sprachkontakts in Betracht zu ziehen. Walserdeutsch kennzeichnet sich durch einen extremen Sprachkontakt mit romanischen Sprachformen auf allen Ebenen, die, wie bezüglich anderer Sprachen schon erwähnt, oft nicht einfach zu unterscheiden sind. Es seien hier zu Beginn einige Beispiele der alemannischen Mundart von Rimella vorgestellt, die solche Erscheinungen am stärksten aufweist: Codemischung im Diskurs (9), phonologische Konvergenz (10), syntaktische Konvergenz (11), lexikalische Entlehnungen (z.B. pumma ‘Äpfel’ in (11), vom Piemontesischen), Entlehnung von Funktionswörtern (12). (9) ah i costum schind hepschu, esch hant hebet di bei custum „die Trachten sind hübsch, sie hatten schöne Trachten“ [Piem.-Alem., Rimella] (10) vanj et-s schnuwt „wenn es geschneit hat“ [nn > nj; h > Ø, Rimella] 5 Zur Sprachlage in den zwei deutschsprachigen Gemeinschaften in Aostatal (Issime und Gressoney) siehe Zürrer (1999) . 6 Die Entstehung der ersten stabilen Siedlungen von walisischen Bauern in den piemontesischen Alpen datiert man an den Anfang des 13. Jahrhunderts. Zur Geschichte, geografischen Verteilung und sprachlichen und kulturellen Überlieferung der Walsersiedlungen siehe umfassend Zinsli (1991). Satzverknüpfung in Kontakt: Italienisches che im Walserdeutschen 295 (11) ni e vard hen-e gschit ich bire un pumma „nicht einmal habe ich Birnen und Äpfel gesehen “ [pleon. ich; Ausklammerung, Rimella] (12) ah mier walt-s anche schöta „Mir gefällt es auch so“ [Entlehnung des Fokuspartikels anche ‘auch’, Rimella] Das Thema dieses Aufsatzes ist die Rolle des italienischen Funktionsworts che im Alemannischen und die sich daraus ergebenden Unterschiede in den drei erwähnten Dialekten. Insbesondere werden Okkurrenzen des Lehnworts che und seiner autochthonen Konkurrenten in drei umfangreichen Korpora von gesprochenen Daten (je um die 100.000 Wörter) aufgesucht und erforscht, die in Rimella, Formazza und Issime 7 aufgenommen und anschließend transkribiert wurden. 8 ‚ –   `   Korpora stützen, aus semi-formellen Interviews unter Dialektsprechern (überwiegend Personen mittleren und fortgeschrittenen Alters) bestehen. Da das –„ ¶ <  ˜  „ „ und aufzubewahren, waren alle Beteiligten tendenziell sehr darauf bedacht, « ° ± „ ˜  š cherweise heißt, so wenig wie möglich die Kontaktsprache(n) zu benutzen und dieselbe(n) mit dem Deutschen zu mischen. Das bedeutet, dass solche Daten eine (relativ) hohe und aufmerksame Varietät des lokalen Deutschen belegen. Außerdem wurden auch sprachliche Äußerungen in Betracht gezogen, die aus gezielten Aufgaben (z.B. Übersetzungen) stammen, um verschie-  ˜  ˜  Ÿš  ‚ ˜ - „ ˜ ´   ‚ licheren) älteren Texte, die aus den Walserorten stammen, für die Untersu- „ ¶    ” dieser Materialien erlaubt, die Varietät von Kontexten und Funktionen des Lehnworts che ausführlich darzustellen und womöglich auch grob zu bewerten. Insbesondere trägt die Kombination zwischen einem sehr umfassenden ˆ  „ ±  „ ¯ ˜ „ sen, die, wie man weiß, viel seltener als andere linguistische Erscheinungen vorkommen. 7 Das Korpus von Issime, das auch größer ist, enthält zudem schriftliche Texte und besteht ‚ ˜ +   *  º  ¶ Augusta erschienen sind. 8 Vgl. Dal Negro u.a. (2006) für Rimella und Formazza, Dal Negro/ Valenti (2008) für Issime. Silvia Dal Negro 296 3. che Wie auch einige der zitierten Beispiele deutlich zeigen, ist die Entlehnung von Funktionswörtern in den drei Varianten des Walserdeutschen möglich und alles andere als selten. Was che im Bereich des Sprachkontakts interessant macht, ist seine Rolle als Mehrzweckwort im Italienischen; eine Rolle, die in umgangssprachlichen und populären Varietäten noch stärker ausgeprägt ist. Im Sinne von Sakel (2007) kann daher gefragt werden, wie viel ‘Pattern’ mit der konkreten Entlehnung von che im piemontesischen Deutschen mitgetragen worden ist und ob sich verschiedene Entwicklungsstufen in den drei Dialekten beobachten lassen. Obwohl hier die Funktion von che in der Satzverknüpfung thematisiert wird, sei kurz erwähnt, dass che im Italienischen auch als Adjektiv in Interrogativ- und Ausrufesätzen und als Pronomen in Interrogativsätzen vorkommt. Außerdem kommt che (mit di konkurrierend) als Einleiter der zweiten Vergleichsform und in Korrelativsätzen (mit sia konkurrierend) vor. Trotz der Salienz der Stellung und der Funktion kommt che als Adjektiv oder Pronomen in Interrogativ- und Ausrufesätzen in unseren Daten nie vor; was man eher findet, sind che + Adjektiv-Folgen, die ganz auf Italienisch (oder in einer anderen romanischen Varietät) formuliert sind (wie in 13). Sonst sind die geerbten w-Wörter (wie, was, welcher etc.) in diesen Funktionen noch ganz üblich, sowohl im konservativeren Formazza als auch im innovativeren Issime und Rimella. 9 (13) che impiastro ischt gsinh in am piellje „was für einen Matsch gab es in der Stube! “ [Issime] Viel häufiger kommt che beim Komparativ (14) und, wenn auch viel seltener, in Korrelativstrukturen (15) vor: (14) äs êscht me härd ksê che... che... che schteina „es gab mehr Erde als Steine“ [Formazza] 9 Siehe z.B.: lög wêtä hêpschä tag hit öw ‘guck, was für ein schöner Tag auch heute ist! “ (Formazza), wi hübschi séider höit! ‘wie hübsch seid ihr heute! ’ (Issime), wäls hëps tjëërlji bësch den dòòch duu! ‘Welch hübsches Tierchen bist du denn doch! ’ (Rimella, Gysling/ Hotzenköcherle 1952, S. 23). Satzverknüpfung in Kontakt: Italienisches che im Walserdeutschen 297 (15) sia van ouf im Pian che ouf in Simulettu „sowohl oben in Pian als auch oben in Sim.“ [Issime] Die anderen Funktionen von che, die in diesem Kontext relevanter sind, können hauptsächlich folgenden drei Bereichen zugeordnet werden: Relativpronomen, Subjekt- oder Objektsatzeinleiter, allgemeine unterordnende Konjunktion, mit kausalen, explikativen und konsekutiven Bedeutungen. Schließlich ist che sehr oft Bestandteil zusammengesetzter Konjunktionen, die einen variablen Grad an Grammatikalisierung aufweisen: benché ‘obwohl’, affinché ‘damit’, dopo che ‘nachdem’, prima che ‘ehe’ etc. Was den Relativsatz betrifft, kann che in der Standardsprache nur als Subjekt und als direktes Objekt auftreten; dazu dient che auch als Relativierungsstrategie für Temporalangaben. In der Umgangssprache vertritt che auch weitere Funktionen, 10 oft mit der Einfügung eines resumptiven Pronomens, das den Kasus anzeigt, und - eventuell - einer Präposition oder eines Adverbs. Schließlich gibt es zahlreiche Fälle, besonders im so genannten italiano popolare, in denen die Funktion von che schwer zu bestimmen ist: Fälle, die die Grenze zwischen Subordination und Koordination, Pronomen und unflektiertem Bindewort überschreiten. In diesem Zusammenhang spricht man in der italienischen Sprachwissenschaft von „che polivalente“ (‘Mehrzweckche’). 11 3.1 che als Konjunktion in Walserdialekten Anders als in den meisten deutschen Minderheiten in Italien deckt che im Dialekt von Rimella alle subordinierenden Funktionen des Italienischen ab, die oben kurz vorgestellt wurden. Im Korpus leiten che oder mundartliches ca sehr oft Objektsätze nach Verba dicendi oder Verba putandi (16-17) ein. In wenigen Fällen ist che Teil einer komplexeren Zusammensetzung (Verb + che) auf Italienisch, die die Funktion eines diskursiven Konnektors zu haben scheint und die schwer von ‘Code-Switching’-Sequenzen zu unterscheiden ist (18). 10 „Weitere“ im Sinne der sehr bekannten Accessibility Hierarchy (Keenan/ Comrie 1977), die voraussagt, welche Positionen eher und mit einfacheren Mitteln relativiert sind: Subjekt > Direktes Objekt > Indirektes Objekt > Obliques Objekt > Possessiv. 11 Zur Variabilität des Relativsatzes im heutigen Italienischen siehe u.a. Berruto (1987) und Bernini (1989). Silvia Dal Negro 298 (16) schei het paisart ca esch gait schech hakchu „sie hat gemeint, dass sie sich schneiden konnte“ [Rimella] (17) hed-er-me schad che bid-er kangut werhu nella piantagiun „Ihr habt (Sie haben) mir gesagt, dass Sie in die Plantage arbeiten gegangen sind “ [Rimella] (18) guarda che bi chomut enher s dir nonna assu „schau mal, ich kam unten zu deiner Oma zum Essen“ [Rimella] Viel spärlicher als in Rimella findet man Beispiele des Lehnworts che in Formazza, sowohl als Teil einer Zusammensetzung (19) als auch allein (20). Jedoch darf nicht übersehen werden, dass solche Beispiele im Korpus von Formazza sehr schwer zu finden sind, und dass (20) eigentlich in den Übersetzungssätzen einer jungen Sprecherin mit reduzierter Dialektkompetenz vorkommt. Che scheint also hier eine Kompensationsstrategie zu sein, um eine Lücke im System zu füllen, wenn die Aufgabe besonders anspruchsvoll (wie beim Übersetzen) ist. (19) sai che schi machut-där z fêrtä „du weißt, dass du vor ihr erschrickst“ [Formazza] (20) t mötter töt säge che isch besser che ich ässä nowos „die Mutter sagt, dass es besser ist, wenn ich etwas esse“ [Formazza] Noch seltener sind die Beispiele der Lehnkonjunktion che (oder que, oder ca) im töitschu von Issime. Hier gibt es auch Fälle wie (21), die sich eher den Codemischungstypen als den Entlehnungen im engeren Sinn nähern: (21) sai che mi tuosunh chruoni mu muss go ljieis „weißt du, dass man mit tausend Kronen (in den Taschen) vorsichtig sein muss (weil es eine große Summe ist)? “ [Issime] Satzverknüpfung in Kontakt: Italienisches che im Walserdeutschen 299 In dieser dass-Funktion kommt che auch in den bairischen Sprachinseln des nordöstlichen Italiens vor. Insbesondere im Zimbrischen, wo Sprachmischungs- und Sprachverfallsphänomene wahrscheinlich so weit fortgeschritten sind wie im tittschu von Rimella, spielt che nämlich eine sehr wichtige Rolle als Subjekt- oder Objektsatzeinleiter und konkurriert mit lokalem az ‘dass’. (22) Alle gloam starch ke ünsar zung mocht net gian vorlort „Alle glauben fest daran, dass unsere Sprache nicht verloren werden darf“ [Zimbrisch, Lusern] (Dar Foldjo 2007) Wie die Beispiele (16-22) zeigen, folgt die Wortstellung nach der Konjunktion che dem Modell eines Hauptsatzes, d.h. das finite Verb kommt in der zweiten Position anstatt in der letzten vor. 12 Ob dies von der entlehnten Konjunktion abhängt oder von einer syntaktischen Konvergenz der Wortstellung in Richtung des Italienischen, ist in diesen Kontexten schwer festzustellen. Ein genauerer Blick auf die Daten zeigt aber, dass in Rimella und in Issime alle Nebensätze (und nicht nur dass-Sätze) wie Hauptsätze gebildet werden (vgl. 24), während es in Formazza noch eine Variation gibt und eben beide Wortstellungen zu finden sind, auch wenn die Endstellung viel seltener und konservativer (d.h. typisch für ältere und traditionellere Sprecher) ist (vgl. 23). Außerdem wird che (und umso weniger guarda che, sai che usw.) nie von der Endstellung gefolgt. 13 (23) är will dass das chline nit wälsch zellä „er will, dass die Kleine kein Italienisch spricht (sondern nur Deutsch)“ [Formazza] (24) as joar bsinn-i-mi dass he-wer töischut as söiri mit gotta Moata „ein Jahr erinnere ich mich, dass ich und Frau Moata uns (bei der Arbeit) abgewechselt haben“ [Issime] 12 Wie die meisten Beispiele zeigen, wirkt auch das Pro-Drop-Parameter in solchen Dialekten anders als im Deutschen. 13 Die Unverträglichkeit zwischen che und Endstellung wird auch von Kolmer (2005) bezüglich des Zimbrischen gemerkt. Silvia Dal Negro 300 Che und besonders ca (in Rimella) treten auch in anderen Nebensatzstrukturen auf, in denen sie die Funktion einer kausalen, finalen (25) oder allgemeinen (26) Konjunktion übernehmen. In allen diesen Kontexten wäre der Gebrauch von che im gesprochenen Italienischen üblich; besonders der zweite (vgl. 26) ist im so genannten italiano popolare bekannt: Hier drückt che eine semantisch unspezifizierte und syntaktisch schwache Bindung zwischen den Sätzen aus. (25) hescht schjocht la grazia ca esch hattet walju es anders chend „man hat (du hast) um die Gnade gebeten, ein anderes Kind zu kriegen“ [Rimella] (26) e fri hepter, zekker und s derz malp, che nu derz malp isch nemme „ein bisschen Heidelbeeren, Zucker und das dürre Mehl, aber jetzt gibt es dürres Mehl nicht mehr“ [Rimella] Um die Übersicht der Konjunktion che im Walserdeutschen zu vollziehen, betrachten wir nun einige Beispiele von zusammengesetzten Konnektoren, die das Lehnwort che enthalten und diejenigen Fälle, in denen che als doppelter Konnektor erscheint (wie mentre che ‘während dass’, quanti che ‘wie viele dass’ etc.). Wie im Italienischen und im Deutschen werden Präpositionen und Adverbien mit dem Zusatz einer Konjunktion (che bzw. dass) zu Nebensatzeinleitern. Ein typischer Fall ist invece che ‘anstatt dass’, das in dem Dialekt von Formazza einen Infinitivsatz einleitet (27). Viel interessanter ist aber der Fall von finché / fino che ‘bis, solange’. Im gesprochenen Korpus von Rimella sind nämlich alle möglichen Kombinationen zu finden, die die italienische zusammengesetzte Konjunktion nachahmen: finché (ital.+ital.), ussu che (dt.+ital.), ussu das (dt.+dt.). Was jedoch fehlt, ist die umgekehrte Kombination, *fin das (ital.+dt.): Dass diese Lücke zufällig ist, kann man nicht völlig ausschließen; es ist aber sinnvoll, zu behaupten, dass die Entlehnung von che als innovative, kontaktinduzierte Satzverknüpfungsstrategie Vorrang vor der Entlehnung des ersten temporalen Elements hat. In solchen Zwischenphasen, in denen zwei Systeme an der syntaktischen und textuellen Zusammensetzung des Diskurses teilnehmen, sind auch Fälle wie (29) zu finden, in denen eine Verdoppelung von dass zu sehen ist, einmal als Teil des italienischen Konnektors, ein weiteres Mal als Einleiter des zweiten Teils der Korrelation. Satzverknüpfung in Kontakt: Italienisches che im Walserdeutschen 301 (27) invece che mêlläch ris z machu, hescht-s in dän ofä ênni ta „anstatt Milchreis zu machen, hast du es in den Ofen getan“ [Formazza] (28) ich he gmacht alje dische werhene jere en d alpu, ussu che he hebet disdot anni „ich habe alle diese Arbeiten hier auf der Alm gemacht, bis ich achtzehn war“ [Rimella] (29) es get me gäld de de suscht ... in modo che dass der atto äso zfrido ischt „es (die Tochter) nimmt mehr Geld als sonst..., so dass dass der Vater so zufrieden ist“ [Formazza] In diesem Zusammenhang können auch die mehr oder weniger lexikalisierten Sperrsätze erwähnt werden, die teilweise konzessive, teilweise adversative Werte ausdrücken oder die Polarität der Aussage fokussieren: Auch hier werden die italienischen Strukturen ausgebaut und mit Mischmaterialien wiederaufgebaut. Im Dialekt von Rimella enthalten solche Strukturen anscheinend immer die Konjunktion che. (30) in z Dörf schtan-ech geru, es isch nuwa che nu, we schege-der, nu isch nemme lit „im Dorf (Weiler) bin ich gern, es ist nur dass jetzt, wie kann ich dir sagen, jetzt gibt es keine Leute mehr“ [Rimella] (31) parca ich und mi ma ha-wer keft es hüsch, nid che haje ereditart njanka fri „denn ich und mein Mann haben ein Haus gekauft, nicht dass wir etwas geerbt haben“ [Rimella] Silvia Dal Negro 302 3.2 che als Relativpronomen in walserdeutschen Dialekten Die Entlehnung von che in Kontexten, in denen es die Funktion eines Relativpronomens hat, scheint ein viel selteneres Phänomen zu sein. In unseren Daten findet man eigentlich nur im Korpus von Rimella Belege für relativisches che, während in den anderen zwei Dialekten Relativsätze nur mit autochthonem Material gebildet werden. Bemerkenswerterweise verhalten sich diese drei eng verwandten deutschen Varietäten unter diesem Aspekt ganz unterschiedlich, sowohl bezüglich Kontaktphänomenen als auch im Hinblick auf das ererbte System. Im töitschu (Issime) werden alle Relativsätze, außer den Lokativen, durch den allgemeinen Konnektor das eingeleitet, der mit der Konjunktion dass zusammenfällt. In den folgenden Beispielen werden Belege für das Subjekt (32), die temporale Angabe (33) und das indirekte Objekt (34) 14 aufgeführt. In (32) wird besonders deutlich, dass es keine Konkordanz zwischen dem Relativwort das und dem Bezugswort (dar attu, maskulin) gibt. Lokative (und nur diese! ) werden dagegen durch woa ‘wo’ eingeleitet (wie auch im gesprochenen Italienischen). Häufig ist das von der lokativen Partikel doa ‘da’ gefolgt (35): da kommt nämlich in Kombination mit dem Relativpronomen der, die, das und was in verschiedenen deutschen Dialekten vor (Fleischer 2004). (32) [...] beitun dam atte das ischt arrivurut ouf dan tag darnoa mit dar spéis „warten auf den Vater, der am folgenden Tag mit dem Essen hinaufgekommen ist“ [Issime] (33) ischt gsinh z'joar das hen mi gmannut „es war das Jahr, als ich heiratete“ [Issime] (34) ischt etwa gcheemen dall'Olanda das dsch' hen mu gseit l'olandese „etwas ist aus den Niederlanden gekommen, das [lit. dem] sie den Niederländer genannt [lit. gesagt] haben“ 14 Allerdings wird hier die Kasusform durch ein resumptives Pronomen im Dativ (mu ‘ihm’) ausgedrückt. Satzverknüpfung in Kontakt: Italienisches che im Walserdeutschen 303 (35) ischt bljibben as söiri chiesch, das doa ischt gcheen hérts „es blieb ein bisschen Käse, den (da) hart wurde“ [Issime] Wie diese kleine Auswahl von Belegen zeigt, hat das eine sehr ähnliche Distribution im töitschu wie che im (gesprochenen) Italienisch. Das Wort selbst (che) kommt aber in unserem Korpus in der Funktion eines Relativums nie vor. Wie auch sonst im Alemannischen, und als alternative Strategie der Relativisierung in den meisten deutschen Mundarten, weist das titsch von Formazza das allgemeine Relativwort wa ‘wo’ in allen möglichen (oder besser gesagt beobachteten) Positionen der oben erwähnten Accessibility Hierarchy auf. 15 In den Positionen von Subjekt, direktem Objekt und temporalen 16 Angaben kommt wa in unseren Daten ohne weitere Pronomina vor (vgl. 36-37). Leider sind im Korpus keine Belege von indirektem Objekt zu finden, was aber weitere syntaktische Rollen betrifft, kommen z.B. anaphorische Adverben vor, die den Kasus anzeigen (38). Schließlich weist auch das reiche Korpus von Formazza keinen einzigen Beleg von che anstelle von wa auf, und zwar auch nicht in Übersetzungsaufgaben oder im Diskurs von Individuen mit reduzierter Dialektkompetenz. 17 (36) sêchär äs êscht a schprach wa êscht plêbä „sicher ist sie eine Sprache, die geblieben ist“ [Formazza] (37) un das jar wan-i hätti sollä ga, sên dö t partigiani ksê „und in dem Jahr, als ich hätte gehen sollen, waren dann die Partisanen“ [Formazza] 15 Der innovative Charakter von wo auf Basis der sprachgeografischen Verbreitung wurde letztlich von Fleischer (2004) betont. Zum Thema siehe u.a. Schirmunski (1962, S. 410) und den klassischen Weise (1917). 16 Bei Temporalangaben findet man auch das: z letscht jar das bên-i ksê z alp ‘das letzte Jahr, als ich zur Alm ging’. Jedoch ist der relativische Wert in diesem Kontext nicht immer eindeutig. 17 Was man in solchen „extremen“ Kontexten findet sind dagegen (spärliche) Belege von anderen Relativwörtern, wie z.B. wer und was anstatt von wa. Silvia Dal Negro 304 (38) z früdowald ist äs hüs wa hät niemand drin gwonet „in Frudowald gibt es ein Haus, in dem niemand wohnte“ [Formazza] Kommen wir jetzt zu dem interessantesten Fall, bei dem sich Sprachkontakt und innere Evolution kreuzen. Im tittschu von Rimella nehmen verschiedene Wörter an der Bildung von Relativsätzen teil: das distale Demonstrativum de ‘jener’ (Neutrum des, Femininum und Plural dei), das anaphorische Pronomen das, das Lehnwort che und unterschiedliche Kombinationen dieser Elemente. Beiläufig sei erwähnt, dass alle diese Formen (im Fall des Demonstrativums aber nur das Neutrum, des) auch in der Funktion der Konjunktion dass vorkommen können. Was das Demonstrativum (de(n), des, dei) betrifft, ist es schwierig zu bestimmen, inwiefern es immer eine eigentliche relativische Funktion ausübt, oder ob es sich um zwei syntaktisch unabhängige Sätze handelt, die durch ein anaphorisches Pronomen verbunden werden. 18 Dabei hilft auch die Wortstellung nicht, da alle Satztypen nach dem italienischen Muster eine vergleichbare Wortstellung teilen. Das scheint der Fall in (39) zu sein, der auch die oben beobachtete Partikel da aufweist. Eine deutliche relativische Funktion wird dagegen durch dei in (40) ausgedrückt. Bemerkenswerterweise bewahrt das Pronomen in beiden Fällen Numerus- und Genusopposition (unklar, ob auch Kasus, da es hier neutralisiert ist): Es kennzeichnet sich  ‡ - (39) isch gschit der Flippu Toru bunanima den da het alzit hebet glivrut noch bhantur „(es) war der selige Flippu Toru, der immer noch früher fertig war“ [Rimella] (40) de mörgund da hattent hebet z gan allu d manna dei hant walju ga „morgens hätten alle Männer gehen können, die gehen wollen haben“ Die Beispiele (41) und (42) zeigen die Kombination von Demonstrativum (auch in der Form von unflektiertem das) und dem italienischen che, das vermutlich in der Rolle der Partikel da vorkommt. Wenn man solche Beispiele 18 Der Zusammenhang zwischen Demonstrativum, Artikel und Relativpronomen hat natürlich historische Gründe im Rahmen des Germanischen (Ramat 1984). Satzverknüpfung in Kontakt: Italienisches che im Walserdeutschen 305 genauer betrachtet, hat man den Eindruck, dass das Demonstrativum die anaphorische Funktion ausübt, während che den zweiten Satz einleitet. In diesem Sinn wirkt das Demonstrativum als Kopf des Relativsatzes, so dass die syntaktische Beziehung zum eigentlichen Bezugswort (tutti i cantanti ‘alle Sänger’, mein Bruder) eher locker wird. (41) poi dopu schind gschit tutti i cantanti, dei che schind gschit en voga danj „dann kamen alle Sänger, die damals berühmt waren“ (42) min brjöder das che isch töt en du chrieg, s-he-mer lakt in e schaccht „mein Bruder, der im Krieg starb, legte mich in einen Rucksack“ Viel häufiger ist der Gebrauch des Neutrums des (seltener das), das den Wert einer unflektierten Relativpartikel übernimmt, wie man am Bezug zu manna ‘Männer’ (Maskulinum Plural) in (43) erkennen kann. (43) nu schind-ru nemme manna des gant werhu schlachtin „nun gibt es keine Männer mehr, die ins Ausland arbeiten gehen“ Schließlich werden die meisten Relativsätze im tittschu einfach durch unflektiertes che eingeleitet. Wie erwartet, kommt che sehr oft in den hohen Positionen der Hierarchie (Subjekt und direktes Objekt) vor, aber man kann es auch bei anderen Angaben, wie z.B. bei Temporalangaben (44) und Partitiven (45) beobachten - letzteres ohne resumptives Pronomen (wie im Substandarditalienischen) - und bei Lokativen (46), hier aber mit resumptivem Adverb. (44) isch gschit proprio das jar che isch wörtut el me nivut „es war gerade das Jahr, als mein Enkelkind geboren wurde“ (45) isch gschit na classe che schie alje gschit hemmu „es gab einen Jahrgang, der komplett zu Hause geblieben ist“ (46) isch nuwa gschit zwai hischer che schind nid drin schtannut lit „(damals) gab es nur zwei Häuser, in denen keine Leute gewohnt haben“ Silvia Dal Negro 306 Gegen alle Erwartungen kann ein (zusätzliches) Pronomen auch im Fall der Relativisierung des Subjekts vorkommen. 19 Dieses Phänomen, das eigentlich in der breiteren Diskussion über verbale Kongruenz in solchen Minderheitsdialekten zu besprechen wäre, scheint mir hier mit der Entwicklung vom Relativwort verbunden zu sein, indem che eher den Charakter einer Konjunktion als den eines Pronomens hat. (47) ma isch gschit d Laura bunanima embrin en dun Grund che s-het malut z höru „ja, es war die selige Laura vom Grund, die das Korn mahlte“ [Rimella] 4. Schlussfolgerungen Die Daten von drei deutschen Minderheitsdialekten in Italien haben im Bereich einiger Satzverknüpfungsstrategien gezeigt, welche unterschiedlichen Effekte Sprachkontakt auf das grammatische System haben kann. Das Modell der Prestigesprache(n) kann nämlich sowohl offensichtliche (z.B. direkte Lehnwörter) und weniger offensichtliche (z.B. Konvergenz) Wirkungen auf die Kontaktsprache ausüben, als auch komplexere Mischstrategien fordern. Welche Entlehnungstypen und wie oft solche im Gespräch vorkommen, hängt vom soziolinguistischen Profil einer Sprachgemeinschaft und insbesondere von der Geschichte und Konstellation ihrer Zwei- oder Mehrsprachigkeit ab. Unter diesem Aspekt zeigen sich unsere drei Gemeinschaften trotz des ähnlichen Ursprungs sehr unterschiedlich. Isolierung Mehrsprachigkeit Assimilierung Rimella sehr früh früh ja Issime sehr früh früh ja/ nein Formazza sehr spät spät ja/ nein Tab. 1: Soziolinguistische Kriterien Wenn wir die drei einschlägigen Kriterien der Isolierung (vom deutschen Sprachraum), der historischen Mehrsprachigkeit und der Assimilierung (zu benachbarten Gemeinschaften) annehmen, ist es klar, dass nur Rimella positiv allen drei Kriterien entspricht. Dagegen ist ein intensiver Sprachkontakt in 19 Solche Strukturen kommen auch bei ‘schwächeren’ Dialektsprechern in Formazza vor, die ein Subjektpronomen in Relativsätzen einfügen, die von wa (in einer Subjekt-Funktion) eingeleitet sind. Satzverknüpfung in Kontakt: Italienisches che im Walserdeutschen 307 Formazza ein eher neues Phänomen, und das gilt auch für die Assimilierung in der sprachlichen und kulturellen Mehrheit. Was die sozio-historische Lage von Issime im Aostatal dagegen zeigt, ist, dass langfristiger Sprachkontakt und intensive Mehrsprachigkeit nicht unbedingt zu sprachlicher Assimilierung führen, sondern zur Entwicklung von Strategien, die eine ausreichende Differenzierung sichern. 20 Kommen wir nun zu den Daten, die in diesem Aufsatz erläutert worden sind und die hier in Tabelle 2 zusammengefasst werden. Formazza Rimella Issime ‘dass’ das; (che) das; des; ca; che das; ((che)) komplexe Konj. das; che das; des; ca; che das Rel. Subjekt wa de (da/ che); des; das; che das (doa) Rel. Objekt wa de (da/ che); des; das; che das Rel. Temp. wa; das des; che das andere Rel. wa + Pro/ Präp che (+ Pro/ Präp) das + Pro/ Präp Tab. 2: Datenüberblick Was in der Tabelle 2 fehlt, führt ebenfalls zu interessanten Ergebnissen: Wie schon erwähnt, sind andere Funktionen von che (insbesondere als Interrogativwort) trotz der scheinbaren Salienz in unseren Daten völlig abwesend. Was che ‘attraktiv’ macht, ist seine Satzverknüpfungsrolle: Die Kontaktsprachen, wie diese drei Walserdialekte, wählen von der funktionalen Vielfalt von che nur solche Funktionen aus. Leider ist es nicht möglich, eine diachronische Perspektive für solche Dialekte einzunehmen, da die Quellen zu spärlich sind. Was sich aber beobachten lässt, ist die Abwesenheit von direkten Lehnformen (d.h. che) sowohl in den Texten vom Anfang des 19. Jahrhunderts (Schott 1842, Keller 1975), als auch in den Transkriptionen von 1929, die in Gysling/ Hotzenköcherle (1952) gesammelt sind. Außerdem zeigen sich in den älteren Texten klare Zeichen einer flektierten (für Genus und Numerus differenzierten) Form für das Relativum sowohl in Issime als auch in Rimella, obwohl Relativsätze eher vermieden werden oder Pronomina einen zweideutigen Status zwischen (nur) anaphorischen und (auch) relativischen Werten aufweisen. In den (noch spärlicheren) Texten von Formazza scheint dagegen die Situation schon dieselbe wie heute (d.h. wa für Relativsätze). 20 Zur besonderen Lage von Issime vgl. Zürrer (1999) und Dal Negro (2002). Silvia Dal Negro 308 Der Kontakt mit anderen Sprachen und insbesondere mit einer Standardsprache hat klare Einflüsse auf die Entwicklung der Textualität und auf komplexere Satzgefüge: In stark asymmetrischen Kontaktsituationen, wie in den drei, die hier vorgestellt worden sind, ist es klar, dass solche Einflüsse ausschließlich einseitig sind; und wenn man von Konvergenz spricht, ist eigentlich eine Art von Advergenz (Mattheier 1996) im Spiel. Was die Verbreitung von spezifischen Lehnwörtern betrifft, in diesem Fall che, scheint der Weg ziemlich klar. Dies erlaubt unsere oben erläuterte Hierarchie (subordinierende Konjunktion koordinierende Konjunktion Diskurspartikel) zu präzisieren: Che kommt in allen drei Kontexten zuerst als Konjunktion (‘dass’, aber auch in anderen unspezifischeren Kontexten) vor und erst danach (wenn überhaupt) als Relativwort. Die Daten von Rimella zeigen auch, dass die dialektale (und ältere) Form ca nur als Konjunktion vorkommt, während che viel häufiger und in allen Kontexten auftritt. Die Hierarchie präzisiert sich deshalb auf folgende Weise: eingebettete Unterordnung nicht eingebettete Unterordnung Beiordnung Diskurspartikel Die Einflüsse des Italienischen sind aber weniger offensichtlich: Die Vielseitigkeit und die Unflektierbarkeit von che werden mit autochthonem Material nachgeahmt, und zwar in den zwei Dialekten, die eine intensivere Kontaktsituation kennen (Issime und Rimella), aber keine autochthone konkurrierende Form (wie wa für Formazza) bereits im System haben. Das und des sind lokale (deutsche) Varianten von che geworden, ein Phänomen, das in Issime besonders sichtbar ist. Schließlich kann man sich fragen, wie es möglich ist, dass in der Mundart von Issime so wenig Belege von che zu finden sind, 21 obwohl eine solche Gemeinschaft seit Jahrhunderten in engem Kontakt mit (unterschiedlichen) Sprachvarietäten ist. Intensiver Sprachkontakt, wenn die ethnische bzw. sprachliche Identität differenziert bleibt, oder wenn es sprachliche Tabus gibt (Aikhenvald 2002), fordert andere Formen von Entlehnungen, die eher das „Pattern“ als das „Matter“ angehen, so dass die codes zumindest oberflächlich so distinkt wie möglich gehalten werden können. 21 Eigentlich fast nur auf einer diskursiven Ebene. Dies legt die Vermutung nahe, dass ein neuer Kontaktzyklus bevorsteht, der auch direkte Lehnwörter betrifft. Satzverknüpfung in Kontakt: Italienisches che im Walserdeutschen 309 5. Literatur Aikhenvald, Alexandra Y. (2002): Language contact in Amazonia. 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Daher werden die Konnektoren auf der Ebene der Prädikation platziert, unabhängig davon, ob sie oberflächlich Satzprädikate oder aber andere Satzglieder bzw. Satzgliedteile verbinden. Die ursprüngliche und die davon abgeleiteten Funktionsleistungen der Konnektoren werden etymologisch, kategorialsemantisch, konzeptorientiert und dependenzgrammatisch analysiert. Es wird u.a. gezeigt, wie die prototypische temporale Funktion der Konnektoren im Laufe der Sprachentwicklung in die kausale, finale, konzessive, konsekutive etc. umschlägt. Darüber hinaus wird der genuine Unterschied zwischen Konnektoren und Relatoren (Präpositionen) postuliert, welcher ebenfalls etymologisch, kognitiv-semantisch und dependenzgrammatisch begründet wird. Die Hauptthese beruht hier darauf, dass den Relatoren im Unterschied zu den Konnektoren das Raumkonzept als deren genuine Funktionsleistung zugewiesen wird. Das Wesen der konjunktionalen Konnexion von Satzgliedern und Sätzen lässt sich am besten durch deren Vergleich mit der präpositionalen Relation bestimmen. Die Präpositionalgruppe wird grundsätzlich dem Nomen als deren „Kern“ zugewiesen. Bei den adverbialen Ergänzungen und den Angaben ist diese Zuordnung konstruktionell wie semantisch relativ plausibel. Bei den Präpositionalobjekten, d.h. in verbdependenten Präpositionalgruppen, ist sie zwar nicht so eindeutig, aber nichtsdestotrotz ebenfalls nachweisbar. Im Gegensatz dazu sind Konjunktionen und konjunktionsähnliche Konnektoren generell den Verbalgruppen bzw. Propositionen beizuordnen. Dies betrifft nicht nur koordinierende und subordinierende Konjunktionen, die Teilsätze zu einem Satzganzen, respektive Parataxe bzw. Hypotaxe, verbinden, sondern auch Konjunktionen, die die Satzglieder innerhalb eines Syntagmas koordinieren. So kann z.B. der Satz Peter und Wolfgang haben sich am Hauptbahnhof getroffen interpretiert werden als a) Peter hat Wolfgang am Michail L. Kotin 312 Hauptbahnhof getroffen und b) Wolfgang hat Peter am Hauptbahnhof getroffen. Selbst ausdrücklich symmetrische Koordinationen lassen sich zu redundanten „doppelten Propositionen“ ergänzen, vgl. Peter und Wolfgang spielen Schach ¦ Peter spielt Schach mit Wolfgang und Wolfgang spielt Schach mit Peter; Allergiker dürfen nur grüne oder gelbe Äpfel essen ¦ Allergiker dürfen grüne Äpfel essen oder sie dürfen gelbe Äpfel essen. Noch einfacher lässt sich diese Eigenschaft der Konjunktionen bei sog. „zusammengezogenen“ Sätzen demonstrieren, vgl. Peter liest komplizierte polnische Texte ohne Wörterbuch und spricht fließend Russisch. Man kann unschwer nachweisen, dass jeder konjunktionale Konnektor - gleichgültig, ob er Verben, verbdependente Ergänzungen bzw. Angaben oder Attribute verbindet, - eine zusätzliche Proposition impliziert. Die Präpositionen haben diese Eigenschaft nicht, und gerade darin besteht der genuine ontologische Unterschied zwischen den beiden Typen von Syntagmen-Konnektoren. Der genuine „Verb-Bezug“ der Konjunktionen und der genuine „Nomen- Bezug“ der Präpositionen haben tiefe ontologische Wurzeln, die die Genealogie dieser Konnektoren und ihre Rolle im Sprachwandel bestimmen. Die präpositionale Relation hat nämlich ihren Ursprung in der räumlichen (lokal-direktionalen) Orientierung. Im Weiteren soll nun gezeigt werden, dass der Ursprung der konjunktionalen Relation in der temporalen Dimension liegt. Dies hat natürlich nicht zu bedeuten, dass sämtliche Bedeutungen und Funktionen von Präpositionen im Bereich des Raum-, während sämtliche Bedeutungen und Funktionen von Konjunktionen im Bereich des Zeitkonzepts zu suchen sind. Es handelt sich hierbei lediglich um ontologisch-genealogische Richtlinien bei der Bestimmung von ursprünglichen wesenhaften Zügen beider Konnektoren-Typen. Die Bezeichnung des Verbs als „Zeitwort“ ist zwar traditionell damit verbunden, dass aus allen Wortarten nur das Verb die grammatische Kategorie des Tempus besitzt und somit die Zeitrelationen zu kodieren vermag. Das Verb ist aber noch in einer anderen Hinsicht ein „Zeitwort“: Es schafft nämlich eine overte Proposition, die in der Zeit so orientiert ist, dass sie mit anderen Propositionen lineare temporale Beziehungen eingeht. Die Linearität des Satzes spiegelt daher die Linearität der durch die darin enthaltene(n) Proposition(en) bezeichneten Ereignisse, Handlungen, Sachverhalte etc. wider. Enthält der Satz statt der overten eine implizite Proposition, bleibt das „temporale Linearitätsprinzip“ natürlich erhalten. Korrekter wäre daher die Konjunktionen und sonstige konjunktionale Konnektoren nicht beim Verb, sondern bei der Propo- Konnektoren als prototypische Tempusmarker 313 sition schlechthin unterzubringen. Aus sprachontologischer Sicht ist dies allerdings sekundär, ist ja jede Proposition - ob explizit oder implizit - „verbal“ regiert. In den Termini der Dependenzsyntax kann also festgestellt werden, dass die Konjunktionen in die Gruppe der Regentia, während die Präpositionen in die der Dependentia gehören. Aus ontologisch-genealogischer Sicht liegt den Ersten das Raum-, den Letzteren aber das Zeitkonzept zu Grunde. Diese Eigenschaft der Konjunktionen liegt u.a. deren suprasegmentaler Funktion als Textverketter zu Grunde (vgl. Lang 1977; Abraham 1979; Eroms 2000, S. 489f.), aber auch dem Ausbildungsprozess von „syntaktisch hervorgehobenen Konnektoren“ wie übrigens, indes, allerdings etc. (vgl. Ortner 1983, Thim-Mabrey 1985, Glück/ Sauer 1997). Die genuine temporale Grundfunktion der Konjunktionen ergibt sich aus dem ontologischen Zeitbezug des Verbs bzw. der Proposition. Eine Konnexion von zwei oder mehreren Propositionen kann nur als deren Gleichzeitigkeit oder Aufeinanderfolge konzipiert werden. Die Erste weist dabei den imperfektiven, die Letztere den perfektiven Aspektbezug auf, vgl. (i) Sie aßen und tranken am Teetisch / und sprachen von Liebe viel (H. Heine) vs. (ii) Sie erschrak und lief davon. Der Aspektbezug ist hier keine strenge Regel, wohl aber eine eindeutige Tendenz. Besonders deutlich lässt sich die Affinität von temporaler und aspektualer Differenzierung bei koordinativer Konnexion der Propositionen bei den Aspektsprachen verfolgen, vgl. russ. ‘’ “’”•–’ —˜ “™š–š› ’ œ’–’ ˜ž (imperfektiver Aspekt) „sie saßen am Tisch und tranken Tee“ vs. ”•Ÿš-˜ ’“œ¡¢˜ –˜“£ ’ ¡¤•¥˜–˜ (perfektiver Aspekt) „das Mädchen erschrak und lief davon“; ‘ “’- ”•– Ÿ -¦•“–• ’ “›š™¦•– ™•–• Ÿ’ —š¦ (imperfektiver Aspekt) „er saß im Sessel und sah fern“ vs. ‘ œš“›š ™¦•– ™•–•Ÿ’—š¦ ’ œš§¨– “œ˜™£ (perfektiver Aspekt) „er hatte ferngesehen und ging schlafen.“ Nun muss die Kodierung eines zeitlichen Gleichlaufs bzw. einer zeitlichen Aufeinanderfolge von mehreren Propositionen nicht unbedingt über die konjunktionale Konnexion erfolgen. Es reicht hier im Prinzip eine einfache aufzählende Nebenordnung von Propositionen oder - elliptisch - deren Gliedern. Dies ist ein Grund dafür, dass die ursprüngliche Form der koordinierenden Verbindung von Propositionen eine asyndetische Parataxe gewesen ist (vgl. Ebert 1978, S. 16ff.; Schmidt 1993, S. 216f.). Über Gleichlauf oder Aufeinanderfolge der Teilpropositionen entscheidet dabei in aller Regel die jeweils imperfektive resp. perfektive Lesart bzw. der Kontext, vgl. Hild. 4-5: sunufa- # O # # © O # Michail L. Kotin 314 „Sohn und Vater bereiteten ihre Waffen vor, zogen sie ihre Kriegsgewänder an, banden sich ihre Schwerter an.“ Die zeitlichen Verhältnisse werden mit der Sprachentwicklung auf unterschiedliche Art und Weise umgedeutet - zunächst bereits in der asyndetischen Parataxe. Die am nächsten liegende Bedeutungsübertragung ist hier die kausale - gemäß dem bekannten Syllogismus post hoc ergo propter hoc, welcher in der Logik als Paradebeispiel für eine unkorrekte Verallgemeinerung gilt, in der (darunter sprachlichen) Realität jedoch im Prinzip eine fast uneingeschränkte Geltung haben kann. Eine Interpretation des Umdeutungsmechanismus ist dabei nicht immer einfach. So nimmt Fritz Tschirch (1983-1989, Bd. 1, S. 172) die folgende Entwicklung am Beispiel eines Tatian-Verses an. Obwohl im Tatian generell die syndetische Parataxe vorherrscht, wird manchmal in Anlehnung an das lateinische Original asyndetisch übersetzt: Jesus ergo fatigatus ex itinere sedebat sic super fontem > der heilant uuas giuueigit fon dero uuegeverti, saz sô oba themo brunno „Jesus [war] der Wanderung müde, setzte sich an den Brunnen.“ Der erste Teilsatz wird durch die Verwendung der finiten Verbform (die im lateinischen Text fehlt, da die entsprechende Proposition implizit durch die partizipiale Form kodiert wird) „aufgewertet“. Durch das Aussparen des kausal verwendeten ergo entsteht eine asyndetische Satzverbindung, in der statt einer kausalen Relation zwei gleichwertige Aussagen auftreten. Meines Erachtens soll dieser Beleg prinzipiell anders interpretiert werden. Die Übersetzung des behandelten Verses aus dem Lateinischen in Form einer asyndetischen Parataxe erfolgt gerade nicht in Anlehnung an das Original, sondern gemäß dem altgermanischen Muster einer konjunktionslosen Reihung, welches für die autochthone altgermanische Dichtung typisch ist. Ergo wird hier nicht einfach „ausgespart“, sondern darauf wird zu Gunsten der ältesten germanischen Konnexionsform verzichtet. Die lateinische Verbindungsart beider Propositionen ist dagegen in ihrem Wesen nicht asyndetisch. Es gibt hier eine deutliche syndetische Verbindungsart von der impliziten und der overten Proposition, welche durch ergo - das unverkennbare Züge einer konjunktionalen Partikel bzw. (in der Terminologie von Ortner 1983) eines „syntaktisch hervorgehobenen Konnektors“ aufweist - explizit indiziert wird. Die Verbindung von zeitlich aufeinander folgenden Ereignissen zu einer kausalen Kette ist eine relativ späte Entwicklung und hat unverkennbare kognitive Gründe. Das kausale Konzept entstammt zweifelsohne dem temporalen und ist seine besondere Spezifizierungsform. Die älteste Darstellungsform von Ereignissen, welche im mythologischen Bewusstsein archaischer Konnektoren als prototypische Tempusmarker 315 Sprachgemeinschaften verankert war, war eine temporal bzw. aspektual konzipierte Reihung von Propositionen. Dahinter stehen wohl entsprechende Anschauungstypen der Sprachträger, die sich von dem modernen konzeptuellen Paradigma nicht unwesentlich unterscheiden. Die beschriebenen und erzählten Ereignisse, ja sogar menschliches Tun, wurden nämlich als schicksalhafte, von höherer Gewalt herbeigeführte und dieser unterlegene Teile eines nur schwer gliederbaren Kontinuums dargestellt (vgl. Brinkmann 1963, S. 65). Eine Ursache-Folge-Relation war dabei kaum greifbar. Der erste Schritt im Paradigmenwechsel war eine - zunächst vorwiegend wiederum nur temporale - Gliederung der dargestellten Ereignisse mittels der Konnektoren. Diese traten ursprünglich als spezifische Mittel zur „genaueren“ Gliederung des einst unbestimmten, „fließenden“ mythologischen Diskurses auf. Die ältesten Konnektoren können wohl kaum als Konjunktionen im modernen Sinn dieses Begriffs bezeichnet werden. Vielmehr handelt es sich um Konnexions-Entitäten mit äußerst weiter Semantik, die sogar durch den Kontext nur sehr allgemein und ungenau disambiguiert werden konnte. Zu den Konnektoren dieser Art gehören im Germanischen z. B. got. jah ‘und, dann, aber, deshalb, auch’, auk ‘und, auch, wieder, so(mit)’, iba(i) ‘wenn, ob, als ob, obwohl’, ahd. mhd. dô ‘und, dann, wenn, als, da, nachdem, während’ u.a. Der ebenfalls sehr alte Konnektor ahd. inti, anti, unti, mhd. ente, unte, nhd. und hat die ursprüngliche Bedeutungsweite bis heute beibehalten. Die Etymologie von und ist unbekannt. Die Konjunktion ist nur in der Westgermania bezeugt, vgl. - außer ahd./ mhd. - niederl. en, ne. and; aisl. en(n) ‘auch, und, aber’. Die etymologischen Wörterbücher vermuten die Verwandschaft mit aind. átha ‘darauf; dann’ (vgl. Duden 2001, Kluge 1999, Pfeifer u.a. 1993), was mit der oben postulierten Abfolge der Konzepte Raum-Zeit (also ‘darauf’ zu ‘dann’, vgl. nhd. dar-auf beruhen > dar-auf folgen und nach X gehen > da-nach geschehen) sowie mit der These über die temporale Quelle der koordinativen Konnexion (also ‘dann’ zu ‘und’) einhergeht. Die weitere Entwicklung stand in Zusammenhang mit der Umdeutung einer zeitlichen Aufeinanderfolge als Kausalität/ Konsekutivität (er ist auf Glatteis ausgerutscht und hat sich das linke Bein verstaucht), Finalität (er will heute eher kommen und muss unbedingt ein Taxi nehmen), Adversativität (es ist peinlich, wenn sich ein einziger Fluggast verspätet und alle anderen auf ihn warten müssen), Konzessivität (es regnet in Strömen, und du gehst ohne Schirm aus! ), Axiomatizität bzw. damit vergleichbare weiterführende Konnexionen (du bist ja endlich da, und das ist das Wichtigste), Multiplikation (die Fahrkarten sind gekauft und die Koffer sind gepackt) etc. Michail L. Kotin 316 Parallel dazu bilden sich zunehmend Konjunktionen mit mehr oder weniger spezifischer Semantik heraus bzw. alte semantisch diffuse Konjunktionen werden spezifiziert, z. B. oder (ausschließende Alternation), auch (Kumulation), denn (Kausalität/ Finalität) etc. Andere Konjunktionen behalten die ursprüngliche Weite ihrer Semantik gänzlich oder teilweise bei, z.B. aber (vgl. Lang 1977, Bublitz 1977, Abraham 1979, Eroms 2006). In den meisten Fällen kann der - direkte oder indirekte - temporale Ursprung der koordinierenden Konjunktionen an deren Etymologie verfolgt werden. So wird aber (ahd. avar, avur, abur, ava, abe, mhd. aber, aver, avor, got. afar) zur ide. Wurzel *apo- ‘ab, weg’ gestellt, die u.a. in der Präposition nhd. ab vertreten ist. Diese ursprünglich lokal-direktionale Bedeutung wurde temporal umgedeutet, und zwar zunächst im formgleichen Adverb mit der Bedeutung ‘nachher, später’ (aus lok. ‘weiter weg’), dann ‘wieder, nochmals’, und später wiederum in der Konjunktion. Die Bedeutung des Gegensatzes hat sich wohl aus der einer Wiederholung entwickelt, vgl. dazu wider zu wieder sowie das ahd. Verb avarôn ‘wiederholen’ (vgl. die aber-Artikel bei Duden 2001, Kluge 1999, Pfeifer u.a. 1993). Oder (ahd. odo, eddo, mhd. od(e), ags. ©© , got. aiþþau) bildet seine Semantik, wie die etymologischen Wörterbücher (opera cit.) zu Recht betonen, unter dem Einfluss von aberbzw. wieder/ wider/ weder-Stämmen aus. Die (moderne) Bedeutung der ausschließenden Alternation ist allerdings schon sehr früh bezeugt, vgl. schon Hilt. 53-54: nu scal mih suasat chind suertu hauwan,/ breton mit sinu billiu, eddo ich imo ti banin werdan „nun soll mich mein eigener Sohn mit dem Schwert erschlagen, töten mit seinem Schwert, oder ich [soll] sein Mörder werden.“ Auch (ahd. mhd. ouch, ags. êak, got. auk) wird zu zwei ide. Stämmen gestellt, welche resp. ‘zunehmen’, ‘vermehren’ und ‘wieder, abermals, hingegen’ bedeuteten (opera cit. sowie Feist (1909) und Feist (1939), Stichw. auk ‘auch’ bzw. aukan ‘mehren, vermehren’). Denn ist direkt zum temporalen Adverb dann zu stellen. Aus dependenzgrammatischer Sicht sind die koordinativen Konnektoren als primäre Koordinationssignale zu behandeln und werden als Nektive bezeichnet. Die Leistung der Nektive besteht u.a. in der Komprimierung der primären syntaktischen Struktur. Da sich nun die Valenztheorie und die Generative Grammatik gerade mit dieser Letzteren befassen, geht es bei der Erstellung von Stammbäumen bzw. Dependenzstemmata um deren Rekonstruktion. Den Nektiven kommt dabei logischerweise eine untergeordnete Stellung zu (vgl. Eroms 2000, S. 464). In Lobin (1993) werden Lösungsvorschläge für die stemmatische Darstellung einfacher (addierender) und kontrastierender Koordinationen einschließlich der Platzierung des jeweiligen Nektivs (NEK) gemacht. Im Mit- Konnektoren als prototypische Tempusmarker 317 telpunkt valenzorientierter Untersuchungen stehen Duplikationen bzw. Mehrfachsetzungen (Engel 1994, S. 271) von verschiedenen Satzgliedern, welche sowohl asyndetisch als auch syndetisch erfolgen können. Bei Satzgebilden mit overter Prädikation wird dabei in der Regel so verfahren, dass die verbdependenten Ergänzungen bzw. Angaben mit koordinativer Verknüpfung grundsätzlich „in einem Block“ mit jeweils waagerechten internen Verknüpfungslinien der koordinierenden Elemente dargestellt werden (vgl. Abb. 1). reisen x x: Präsident und Kanzler nach Polen Präsident und Kanzler reisen nach Polen. Abb. 1 Dieses Stemma ist mit einigen für die hier behandelte Problematik unwesentlichen Abweichungen in Anlehnung an die in Eroms (2000, S. 466ff.) vorgeschlagenen Modelle erstellt worden. Die koordinierende Konnexion wird in diesem und ähnlichen Stemmas deutlich unter die Verbebene gesetzt, was zwar der oberflächlichen Koordination entspricht, dabei aber nicht der Tatsache Rechnung trägt, dass sie, wie oben argumentiert, aus ontologisch-genealogischer Sicht nicht verbdependente Ergänzungen, sondern Prädikationen miteinander verbindet. Das Aussparen tautologischer Regentia schafft komprimierte Strukturen, denen eine vermeintliche Doppelung bzw. Mehrfachsetzung entsprechender Dependentia statt dahinter stehender realer Doppelung bzw. Mehrfachsetzung der Proposition selbst zu Grunde gelegt wird. Dieser Eindruck wird zusätzlich durch die pluralische Verbalflexion verstärkt. Eine relativ einfache Analyse zeigt jedoch, dass das Prinzip der „nominalen Multiplikation“ an und für sich - d. h. ohne Bezug auf das hinter der Prädikation stehende Zeitkonzept - kaum einleuchtend ist. Jede kumulative Aufzählung von „Objekten“ geht nämlich unmittelbar auf deren lineare, d.h. an die Zeitachse gebundene, gleichzeitige oder aufeinander folgende Wahrnehmung dieser Objekte zurück. Offensichtlich ist eine stemmatische Darstellung derart reduzierter Korrelationen problematisch Michail L. Kotin 318 und gehört daher zu den Eselsbrücken von Dependenzstemmata. Nichtsdestotrotz müsste - selbst auf Kosten einer grafisch scheinbar optimalen Darstellung - den oben behandelten Fakten Rechnung getragen werden. Einen Vorschlag zeigt Abbildung 2: <reist> x1 und <reist> x2 reisen x1,x2 x1: Präsident x2: Kanzler nach Polen Präsident und Kanzler reisen nach Polen. Abb. 2 Damit wird die koordinierende Konjunktion bei den Prädikationen einer komprimierten Proposition gesetzt. Dieser Lösungsvorschlag setzt voraus, dass wir bei Koordinationen verbdependenter Glieder stets davon auszugehen haben, dass eigentlich nicht diese, sondern deren Regentia miteinander koordinieren. Die Tautologie dieser Korrelation, welche oberflächlich darin zum Ausdruck kommt, dass statt zweier oder mehrerer Prädikate (jeweils im Singular) eins (im Plural) verwendet wird, kann dennoch nicht die Tatsache schmälern, dass der einheitlich dargestellte Vorgang sich in Wirklichkeit aus dem Gleichlauf von identisch bezeichneten Vorgängen zusammensetzt, vgl. das Beispiel aus Lobin (1993, S. 171): Paul erzählte uns von dem Fest unserer Freunde im letzten Jahr und Katrin von dem im vorletzten und seine dependenzielle Interpretation als „Gapping-Fall“ (ebd. und in Eroms 2000, S. 464f.). Aber selbst wenn sich erzählen in Lobins Beispiel auf dasselbe Ereignis beziehen würde (Paul und Katrin erzählten uns von dem Fest unserer Freunde im letzten Jahr), läge im Grunde genommen ebenfalls ein - wenngleich nicht so offensichtlicher - semantischer Gapping-Fall vor: Auch über dasselbe Fest hätte nämlich jeder Erzähler anders erzählt. Das beschriebene Prinzip der Aufstellung von Dependenzrelationen bei koordinativen Verknüpfungen kann nicht nur addierenden, sondern mutatis mutandis auch sonstigen (kontrastierenden, paarigen und vergleichenden) Nektionen (vgl. Eroms 2000, S. 466-478) zu Grunde gelegt werden. Sie werden hier daher nicht speziell behandelt. Konnektoren als prototypische Tempusmarker 319 Die Subordinationen von „Teilsätzen“ im Rahmen des „Satzganzen“ können ebenfalls sowohl asyndetisch als auch syndetisch indiziert werden. Im ersten Fall kann allerdings zwischen Satzverbindung und Satzgefüge erst dann unterschieden werden, wenn die Unterordnung durch andere Mittel (z. B. Verbstellung) ausgedrückt wird. Es ist daher eher daran zu zweifeln, ob z.B. im Altgermanischen eine Einteilung von asyndetisch zusammengesetzten Sätzen in Parataxen und Hypotaxen sinnvoll ist. Dagegen ist die asyndetische Hypotaxe bei einer Reihe von Satzgefügen des Neuhochdeutschen durchaus üblich. An den Satzgebilden dieser Art kann die unmittelbare Ableitung der „engeren“ Konzepte wie Ursache-Folge oder Bedingung-Folge von dem „weiteren“ temporalen Konzept „früher-später“ bzw. „davor-danach“ besonders gut verfolgt werden, vgl. bist du pünktlich, schaffen wir den Zug; bereitest du dich wirklich ordentlich vor, verläuft die Prüfung ohne unnötigen Stress; fang'n die Tage an zu langen, kommt der Winter erst gegangen (Sprichw.); darüber brauchen wir nicht lange zu diskutieren, ist die Entscheidung sowieso schon getroffen. Die konjunktionale Verbindung bei Kausal-, Final-, Konzessiv- und Konsekutivsätzen zeigt die entsprechende metaphorische Umdeutung der zu Grunde liegenden Zeitrelation häufig entweder bereits in Synchronie oder aber nach einer einfachen Reanalyse, vgl. wenn du schneller bist/ wärest, kommen/ kämen wir rechtzeitig an; sie kann heute nicht arbeiten, weil [die Konjunktion geht auf denselben Stamm wie das nhd. Substantiv Weile zurück] sie Fieber hat; während Peter stets ausgewogene und gut durchdachte Lösungen vorschlägt, ist Wolfgang in dieser Hinsicht eher unberechenbar. Die größte Anzahl von subordinierenden Konjunktionen weist verständlicherweise die temporale Relation selbst auf: als, wenn, nachdem, seit(dem), seither, indem, bis, bevor, ehe, sobald, solange, sooft, während. Aus genetischer Sicht lassen sich viele temporale Konjunktionen auf lokale Adverbien bzw. Präpositionen zurückführen, was grundsätzlich mit dem konstanten Übertragungsmotiv des Raumkonzeptes auf das Zeitkonzept einhergeht, vgl. seit zu ahd. sîd, mhd. sît (eigentlich ‘später als’, urspr. komparativisches Adverb, vgl. Duden (2001, S. 664), ags. -© ‘spät(er)’, aisl. -© ‘weniger, kaum’, got. seiþus ‘spät’, lat. sêtius ‘später’ < ide. *sê[i]- ‘schleudern, werfen’, dann ‘säen’, d. h. eigentlich ‘in die Erde werfen’, also mit lokal-direktionaler Deutung, die in Seite fortlebt (vgl. die Stichwörter seit, säen, Saat und Seite in DWB 1960, Pokorny 1959, Duden 2001, Kluge 1999, Pfeifer 1993). Hinzu kommt häufig das demonstrative Deiktikum (ide. Stamm *to-/ *so-) in verschiedenen Kasusformen, vgl. seit-dem, nach-dem, in-dem, so-lange. Bei Michail L. Kotin 320 sooft haben wir mit der Kombination von (ursprünglich adverbialem) so und dem Adverb-Stamm oft zu tun, der seinerseits - wie das damit wahrscheinlich etymologisch verbundene ob - wohl auf die ide. Wurzel mit lokaler Bedeutung zurückgeht, welche dem Adverb oben, der Präposition über und dem Präpositionaladverb oberzu Grunde liegt. Sobald ist Ergebnis einer Kontamination von so und dem Adverbialstamm bald, welcher ursprünglich und noch im Mhd. ‘schnell’ bedeutete. Eine weitere zu Grunde liegende Kombination sind zwei kontaminierte Stämme mit ursprünglich lokaler bzw. direktionaler Semantik: be-vor (aus bezu ahd. mhd. bî, nhd. bei zu um-bî ‘umher, rings um’, vgl. gr. ‘-® ¯°, und vor), seit-her sowie bis (kontaminiert aus bi- (siehe be-vor) und -s < ahd. zuo, zi, ze, mhd. zuo, ze, nhd. zu; vgl. ahd. bî ze ‘dabei zu’, mhd. biz, bitze ‘bis zu, bis an, bis’, nhd. bis zu - vgl. die Lemmata bis, bei, zu, bein den o.g. etymologischen Wörterbüchern). Wenn < wann entstand aus dem interrogativen Deiktikum (ide. *k u e-/ *k u o-, vertreten u. v. a. in lat. quod, got. h u as, nhd. wer, was, ne. who) und dem alten ide. Adverbialsuffix *-n mit temporaler Semantik (vs. *-r mit lokaler Bedeutung, vgl. dann, wann vs. dar, dort). Als ist eine verkürzte Form von also zu al (urspr. ‘ganz’, ‘gesamt’) und so (urspr. ‘auf diese Art’), d.h. der temporalen Übertragung liegt die aspektual-modale Lesart zu Grunde. Während ist eine Partizip-I-Form des Verbs währen, die zunächst als temporale Präposition (während der Versammlung) und später als temporale Konjunktion (während Peter sprach ...) auftritt. Es kann daher als genuin temporaler subordinierender Konnektor behandelt werden. Genuin temporal ist auch die Konjunktion ehe, die als Adverb in der Bedeutung ‘vormals, früher’ bereits im Mhd. (ê) und noch bei Luther auftritt. Es ist eine Verkürzung aus dem Komparativ eher, welcher seinerseits mit dem im Deutschen verloren gegangenen Adjektiv mit der Bedeutung ‘früh’ zusammenhängt, vgl. got. air, aisl. âr ‘früh’, gr. ‘²³° ‘morgens’, awest. ´ µ ‘Tag’ (vgl. die Lemmata ehe, eher in den o.g. etymologischen Wörterbüchern). Zu erwägen wäre m.E. außerdem eine evtl. Verwandtschaft mit awest. ¶ µ ‘Jahr’, griech. ‘·³¸ ‘Tageszeit, Jahreszeit, Stunde’, aksl. ¹¦˜ ‘Frühling’ zu ide. *iêro-s, das in nhd. Jahr und Uhr vertreten ist. Die konjunktionale Subordination von adverbial verwendeten Nebensätzen ist eine relativ junge Erscheinung in der Syntax. In den älteren Entwicklungsetappen der Sprache (hier wird es am Beispiel der Germania verfolgt) wurde stattdessen eine asyndetische Verbindung bzw. eine Verbindung mit anaphorischkataphorischen Indikatoren wie die adverbialen bzw. partikelhaften Konnektoren ahd. sô (auch verdoppelt: sô - sô bzw. sôse), dô (dû, thû, thô), got. swa, ei, iþ, ak etc. verwendet. Die jeweilige Lesart wurde dabei durch den engeren oder weiteren Kontext bestimmt, vgl. 2. Mers.: Konnektoren als prototypische Tempusmarker 321 Phol ende Uuodan vuorun zi holza. du uuart demo Balderes volon sin vuoz birenkit. thu biguol en Sintgunt, Sunna era suister; thu biguol en Friia, Volla era suister; thu biguol en Uuodan, so he uuola conda: sose benrenki, sose bluotrenki, sose lidirenki: ben zi bena, bluot zi bluoda, lid ze geliden, sose gelimida sin! Du/ thu bedeutet zugleich ‘als’, ‘dann’, ‘danach’; so ‘so’, aber auch ‘da’, ‘weil’; sose ‘sowohl - als auch’, ‘sei es [dies], sei es [das]’, aber auch ‘so dass’ bzw. ‘als ob’. Die primäre temporale Lesart kann in passenden Kontexten unschwer –     ± ` ältester mythologischer Texte strebten dabei wohl kaum danach, die jeweilige Deutung gegen andere Deutungen abzuheben, ihnen ging es vor allem um eine allgemein-narrative lineare Darstellung der Ereignisse oder deren magische Verbindung miteinander und nicht um die Kodierung von den für spätere Texte typischen Ursache-Folge-, Bedingung-Folge- oder Zweck- Handlung-Relationen. Die ältesten Konnektoren waren daher vielmehr weitals mehrdeutig. Bei rein temporalen Relationen wurden häufig archaische ide. Muster übernommen, die in dem jeweiligen Originaltext standen, wie z. B. die beinahe uneingeschränkt-wörtliche Übersetzung der im griechischen Bibeltext verwendeten Dativfügungen mit temporaler Funktion (Dativus absolutus) in der gotischen Evangelien-Übersetzung, vgl. Mt. 8, 1: dalaþ þan atgaggandin imma af fairgunja, laistidedun afar imma iumions managos „als Er dann von dem Berge hinunterging [wörtl. ‘hinunter dann Ihm gehendem von dem Berge’] folgten Ihm viele Menschen.“ Stellenweise findet sich der temporale Dativ auch im ahd. Tatian, vgl. 45, 1: thó ziganganemo themo uuîne quad thes heilantes muoter zi imo: si ni habent uuîn „als dann der Wein zu Ende war [wörtl. ‘dann ausgegangenem dem Wein’], sagte die Mutter des Heilands zu Ihm: sie haben keinen Wein.“ Mussten Ursachen, Folgen, Bedingungen o.Ä. dennoch eindeutig indiziert werden - was vor allem bei Übersetzungen aus dem Latein (bei gotischen Texten aus dem Griechischen) der Fall war - war dies für die Übersetzer eine schwere Aufgabe. Es wurden zunächst Präpositionen, Adverbien und Demonstrativa bemüht, welche nicht selten gemeinsam erschienen, wie z. B. ahd. bî thiu huuanda, bîthiu uuanta, wörtlich ‘bei dem dann da’, was als ein Michail L. Kotin 322 komplexer kausaler Konnektor verwendet wurde, vgl. Tat. 2, 2: [...] inti ni uuard in sun, bithiu uuanta Elisabeth uuas unberenti [...] „[...] und sie hatten keinen Sohn, weil Elisabeth unfruchtbar war [...].“ Diese mehrgliedrigen Formen sind dann verkürzt (bei dem angeführten Konnektor zu bithe bzw. uuanta) und später oft durch andere, jüngere Konjunktionen ersetzt worden, welche ihrerseits oft ebenfalls aus längeren Konnektoren entstanden sind (wie weil aus in die weil, dieweil, wörtl. ‘in die(se) Weile’ bzw. ‘die(se) Weile’ - vgl. Gohl/ Günthner 1999). Bei einigen subordinierenden Konjunktionen und konjunktionsähnlichen Konnektoren des Nhd. kann die entsprechende Reanalyse unschwer durchgeführt werden, vgl. - neben den schon oben behandelten temporalen Konnektoren - das finale da-mit (früher daneben auch auf dass), das konsekutive al(l)-so, die konzessiven ob-wohl, ob-zwar, ob-gleich, trotz-dem etc. (vgl. di Meola 1997, 2000; Günthner 1999). Manche davon werden auch heute noch als komplexe Indikatoren empfunden, vgl. als dass in irrealen Komparativsätzen. Literatur Abraham, Werner (1979): But. In: Studia Linguistica 33, S. 89-119. Brinkmann, Henning (1963): Geschehen, Person und Gesellschaft in der Sprache des deutschen Rittertums. In: Wirkendes Wort. Sammelband II: Ältere deutsche Sprache und Literatur. Düsseldorf: Schwann, S. 64-73. Bublitz, Wolfram (1977): Deutsch ‘aber’ als Konjunktion und als Modalpartikel. In: Sprengel, Konrad/ Bald, Wolf-Dietrich/ Viethen, Heinz Werner (Hg.): Semantik und Pragmatik. Akten des 11. Linguistischen Kolloquiums in Aachen 1976. Bd. 2. Tübingen: Niemeyer, S. 199-209. di Meola, Claudio (1997): Grammatikalisierungsprozesse am Beispiel subordinativer Konzessivkonnektive. In: Papiere zur Linguistik 57, S. 183-203. di Meola, Claudio (2000): Die Grammatikalisierung deutscher Präpositionen. (= Studien zur deutschen Grammatik 62). Tübingen: Stauffenburg. 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Ein Beispiel hierfür bietet sich in (1) aus Goethe, in dem nach allerdings keine Inversion folgt: (1) Weder Zärtlichkeit, noch Geist, noch Witz, bloße hendes geschrieben; was ich aber auch darüber denke, will immer nicht fördern. Allerdings etwas Geheimnisvolles war in der Figur. (Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, Bd. 8, S. 267, 18. Jh.) 2 Im heutigen Deutsch ist die Abfolge in (1) ohne Pause zwischen dem Konnektor und dem Restsatz nicht mehr grammatisch. Adverbkonnektoren sind einerseits keine reinen Adverbiale, 3 da sie zusätzlich eine satzverbindende Funktion haben, die sie in die Nähe von subordinierenden Konjunktionen rücken lässt. Diese sind traditionell keine Konstituenten, bilden aber auch keine Konstituente mit dem darauf folgenden Element, wie es z.B. für Fokuspartikeln vorgeschlagen worden ist (z.B. NP + Fokuspartikel wie in [nur Peter] sorgte für Aufregung). 4 Adverbkonnektoren unterscheiden sich außerdem von subordinierenden Konjunktionen aufgrund ihrer syntaktischen Flexibilität und zeigen eher Eigenschaften, die teilweise Fokuspartikeln aufweisen (vgl. Breindl in diesem Band). 1 Für das Italienische vgl. Renzi/ Salvi/ Cardinaletti (Hg.) (2001) und Bongo (in diesem Band), für das Französische und andere romanische Sprachen Maaß/ Schrott (2010), für das Englische Lenker/ Meurman-Solin (Hg.) (2007) u.a. 2 Die Korpustexte sind in Ferraresi (2008a, b) im Einzelnen aufgeführt. 3 In manchen Grammatiken werden einige der Lexeme, die im HdK unter den Adverbkonnektoren aufgelistet werden, als Adverbien klassifiziert (vgl. Helbig/ Buscha 2005). 4 Auch für Fokuspartikeln stellt sich in der Diskussion die Frage der Konstituenz (vgl. Altmann 2007, Jacobs 1986, Reis/ Rosengren 1997, Büring/ Hartmann 2001, Reis 2005). Gisella Ferraresi 326 Dabei ergibt sich jedoch das Problem der variablen Stellung im Satz. Insbesondere stellt sich die Frage, wie die Abfolgen Konn XP V und XP Konn V zu analysieren sind, die bei vielen Adverbkonnektoren durchaus möglich sind: (2a) Viel Rauch um nichts, schreien die Befürworter. Und das sind nicht wenige. Immerhin 37 Prozent der Bevölkerung in Deutschland können die Finger nicht von ihr, die mal blond, mal dunkel ist, lassen, und bereits 31 Prozent der unter 18jährigen sind Fans, obwohl sie immer wieder für dicke Luft sorgt. (Berliner Morgenpost, 24.01.1999) (2b) Bezieht der amtierende Kanzler die alte, bundeseigene Dienstvilla in der herrschaftlichen Dahlemer Pücklerstraße 14, um hier zu repräsentieren und zu wohnen, so wird sich der Privatmann Helmut Kohl in einem eher mittelständischen Kiez von Wilmersdorf niederlassen. Ruhig immerhin sind beide Gegenden (Berliner Morgenpost, 18.06.1999) Die Stellung des Konnektors in (2a) wird in Pasch u.a. (2003, S. 69) als ‘Vorerstposition’ bezeichnet und wie die ‘Nacherstposition’ (d.h. XP Konn V) in (2b) als Teil des Vorfelds analysiert. Die Frage, ob XP-Konn bzw. Konn-XP eine Konstituente bildet - wie es im Falle der Fokuspartikeln von manchen Autoren vorgeschlagen wird - oder ob Konnektor und XP zwei unabhängige Kategorien realisieren, hängt einerseits von der Klassifizierung der Adverbkonnektoren und andererseits vom syntaktischen Modell ab. Im syntaktischen Modell der generativen Grammatik werden im so genannten kartographischen Ansatz (Rizzi 1997, Grewendorf 2002, Frey 2004 u.a.) spezielle syntaktische Positionen in der linken Satzperipherie innerhalb der CP weiter spezifiziert, in denen pragmatische Kategorien wie Topik und Fokus realisiert werden. 5 Die zugrunde liegende Idee dabei ist, dass die verschiedenen Projektionsebenen im Satz unterschiedliche Funktionen haben: In der VP wird die Ereignisprädikation mit den Argumenten realisiert, und oberhalb der VP - in der IP (bzw. TP) - wird die Proposition temporal verankert. Erst in der CP wird die Illokutionskraft kodiert und somit die Schnittstelle zum Diskurs. In Rizzis Modell stehen in der CP mehrere syntaktische Positionen zur Verfügung, die im Satz integriert sind. So wäre es denkbar, dass Konnektoren im Vorfeld, die mit speziellen markierten informationsstrukturellen Einheiten interagieren, eine dafür vorgesehene Position besetzen (vgl. auch Ferraresi i.Vorb.). 5 Frey (2004) sieht im Mittelfeld die ausgewiesene Position für Topiks im Deutschen. Diese können dann durch Bewegung in die C-Positionen bewegt werden. Das Vorfeld als Baustelle im Deutschen 327 Viele der Adverbkonnektoren können aber auch eine unintegrierte Position einnehmen, wie in (3a). Dem Adverbkonnektor folgt in diesem Fall eine Pause, die in der Schriftsprache auch grafisch notiert wird, meistens durch ein Komma, einen Gedankenstrich oder einen Doppelpunkt (Pasch u.a. 2003, S. 499). Die Satzintonation ist steigend. Ohne Pause und mit fallender Intonation ist der Satz im heutigen Deutsch ungrammatisch, wie (3b) veranschaulicht: (3a) Bis zum Mittwoch steigen die Temperaturen wieder auf frühlingshafte sieben Grad. Allerdings: Die Freude am Spaziergang wird durch Regenschauer und böigen Wind getrübt. (Berliner Morgenpost, 30.01.1999) (3b) *Allerdings die Freude am Spaziergang wird durch Regenschauer und böigen Wind getrübt. Die Belege (2) und (3) zeigen, dass es mehrere Ebenen der Adjunktion von Adverbkonnektoren gibt. Bei der unintegrierten Stellung, und nur hier, können z.B. andere Satztypen als nur Deklarativsätze folgen: (3c) Nur noch fünf Tage Zeit für die Vorbereitungen jenes Tages, an dem der Mutter für ihre ganzjährige Aufopferung für die Familie gedankt werden soll. Allerdings: Was soll man schenken? (Kleine Zeitung, 03.05.1999) Belege, in denen der Konnektor allerdings vom Rest des Satzes durch eine auch grafisch markierte Pause abgesetzt wird, finden sich erst in Texten des 19. Jahrhunderts. Periphere Positionen wie die ‘Nullstelle’ in (3c) spielen vor allem auf Diskursebene eine Rolle und dienen pragmatischen bzw. psycholinguistischen Faktoren, indem sie die Erleichterung der Interpretation ermöglichen (vgl. auch Breindl in diesem Band). Sie sind im untersuchten Korpus nur in den geschriebenen Texten belegt. Die gesprochene Sprache scheint dafür andere Mittel zu verwenden, und auch historisch sind sie erst spät belegt (Ferraresi 2008b). In diesem Beitrag wird zum einen gezeigt, dass sich in der Geschichte des Deutschen die Vorfeldposition als durchaus ausbaufähig erweist. Zum anderen stellt sich heraus, dass sich in verschiedenen Phasen der Geschichte der deutschen Sprache aus unterschiedlichen Adverbialen neue Elemente herausbilden, die als Adverbkonnektoren dienen und alte ersetzen, in einer Art ‘Adverbkonnektorenzyklus’ - wie das Phänomen bei der Negation, das als ‘Jespersens Zyklus’ bezeichnet wird, bei dem aus emphatischen Polaritäts- Gisella Ferraresi 328 elementen neue, unemphatische Negationselemente entstehen. 6 Es wird gezeigt, dass auf verschiedenen Stufen des Deutschen mehrfach VPbzw. Satzadverbiale zu Adverbkonnektoren grammatikalisiert werden, die die gleiche Funktion (und Stellung) übernehmen. Der Beitrag gliedert sich so: Im nächsten Abschnitt gehe ich auf Elemente wie avur, giwisso, uuarliho, nu und thô ein, die in den früheren Sprachperioden eine ähnliche Funktion hatten wie die Adverbkonnektoren im heutigen Deutsch. Es wird in diesem Abschnitt gezeigt, dass diese Adverbien auch im Althochdeutschen in der zweiten Position im Satz erscheinen und somit Verbdrittstellung bewirken, nach einer als Topik zu interpretierenden Konstituenten in der ersten Position. Diese stammen - so wie die Adverbkonnektoren des heutigen Deutsch - aus VP- oder Satzadverbien, die reanalysiert worden sind. Abschnitt 2 beschäftigt sich mit der Diachronie zweier Adverbkonnektoren des heutigen Deutsch, allerdings und immerhin, und zeigt, dass auch diese eine Entwicklung durchgemacht haben, welche zu jener der ahd. Adverbkonnektoren parallel verläuft. Abschnitt 3 fasst die Ergebnisse kurz zusammen. 1. Adverbien und Adverbkonnektoren an präverbaler Stelle im älteren Deutsch Die meisten Adverbkonnektoren des Gegenwartsdeutsch haben sich erst im Frühneuhochdeutschen herausgebildet. In althochdeutschen Texten finden sich jedoch einige Elemente, die eine ähnliche Funktion wie Adverbkonnektoren aufweisen. In vielen Fällen entsprechen sie in den Übersetzungstexten den lateinischen Diskurspartikeln enim, autem, vero, ergo usw., stammen aber eindeutig aus Adverbialen. Diese können VPbzw. process-related Adverbiale (Pittner 2000) sein (siehe unten), die als Satzbzw. event-related Adverbiale und später als Adverbkonnektoren reanalysiert werden. In manchen Fällen werden sie weiterhin zu Modal- oder Fokuspartikeln reanalysiert. Ein Beispiel dafür ist das ahd. afur/ avur, die Entsprechung des nhd. aber. Im folgenden Beleg aus Isidor wird avur nach einer Konstituente an erster Stelle eingesetzt, die als Topik verstanden wird - wie aber in der Abfolge XP-aber-Vfin: 7 6 Jäger (2010) schlägt auch einen Komparativzyklus vor. 7 Grimm/ Grimm (1854-1960, Bd.1, Sp. 29): „Einen leiseren ausdruck empfängt aber im vor-  „ ¨  ÕÙ  $ º  von dem Jordan Luc 4,1 8 […] mehr den fortgang der erzählung als einen gegensatz.“ Siehe auch Axel (2007, S. 194). Das Vorfeld als Baustelle im Deutschen 329 (4) Quod enim homo factus est, nobis profecit, et ideo nobis natus est. filius autem datus est nobis, cuius nisi dei filius? Huuanda chiuuisso, dhazs ir man uuardh uuordan, unsih hilpit, endi bidhiu uuard ir uns chiboran. Sunu auur uuard uns chigheban, huues nibu gotes sunu? (I 5,2) Weil nämlich der Mensch gemacht worden ist, uns hilft, und weil uns geboren ist. der Sohn auur wurde uns gegeben, wessen wenn nicht Gottes Sohn? Afur ist in seiner ursprünglichen Funktion und Bedeutung ein Adverbial mit der Bedeutung ‘wieder, erneut’, wie das folgende Beispiel aus Otfried illustriert: (5) sie fárent thines férehs mit selb stéinonne; nu súachist sie afur thánne? (O 3,23,32) (das letzte Mal wollten sie dich steinigen); nun suchst du sie wieder/ von neuem dort? In diesem Beleg aus Otfrid hat afur repetitive Bedeutung, die im heutigen Deutsch durch wieder realisiert wird. 8 Bei dieser Lesart wird geäußert, dass das beschriebene Ereignis sich wiederholt. Hierbei handelt es sich um ein zweites Ereignis. Genau so wie wieder kann afur aber auch restitutiv interpretiert werden, wie in dem folgenden Beleg, in dem beschrieben wird, wie Maria und Joseph von der Volkszählung zurückkommen: (6) joh bráhta sa afur thánne zi themo ira héiminge (O 1, 8, 8) und brachte sie wieder dorthin zu ihrer Heimstatt Bei der restitutiven Lesart wird ein vorangegangener Zustand wieder hergestellt, der verändert worden war. In dieser Lesart handelt es sich um dasselbe Ereignis. In der Literatur zu wieder 9 wird vorgeschlagen, dass die repetitive Lesart sich ergibt, wenn wieder / afur die ganze eventuality im seinem Skopus hat - syntaktisch ist damit die gesamte Verbalprojektion mit den Argumenten gemeint. Die restitutive Lesart bezieht sich hingegen auf den internen Zustand, d.h. nur das Verb oder das Prädikat sind im Skopus des Adverbials. 8 Die diachrone Entwicklung von aber und wieder ist historisch eng verwoben, wie detailliert in Ferraresi (2005) dargestellt wird. Hier kann aus Platzgründen nicht näher darauf eingegangen werden. 9 Fabricius-Hansen (1980, 2001), Pittner (2000) u.a. Gisella Ferraresi 330 Nach den Vorschlägen von Frey/ Pittner (1999) und Haider (2000) spiegelt die relative Anordnung der Adverbiale die Abbildung eines Prinzips der Schnittstelle Syntax-Semantik wider, nach dem die einzelnen Klassen der Adverbiale zu bestimmten semantischen Subdomänen gehören, die eine Teilmenge-Relation miteinander haben. Diese semantische Funktion ist inklusiv und wird in der Syntax folgendermaßen wiedergegeben: (7a) Interpretation: proposition (T) event (E) process/ state (P) (7b) Serialisierung: [t-related [e-related [p-related]]] Die repetitive Variante von afur verhält sich wie Adverbiale, die als e-related gekennzeichnet sind. Sie c-kommandieren die Basisposition der höchsten Argumente und die Basisposition von eventuality-internen Adjunkten. Sowohl die repetitive als auch die restitutive Lesart von afur/ wieder umfasst ‘Kontradirektionalität’ 10 - in der Begrifflichkeit von Fabricius-Hansen (2001) „contrariness and inverseness“: In der restitutiven Bedeutung bestehen ‘contrariness and inverseness’ zwischen zwei entgegengesetzten Zuständen: (8) Jemand hat die Tür wieder geöffnet (restitutiv) Der Zustand des ‘geöffnet sein’ steht in Kontrast zum vorhergehenden Zustand des ‘geschlossen sein’. Was mit afur/ wieder ausgedrückt wird, ist, dass die Tür vor dem ‘geschlossen sein’ schon offen stand. Dieser Zustand ist identisch mit dem, der im Satz assertiert wird (vgl. Fabricius-Hansen 2001, S. 116 und auch Kamp/ Rossdeutscher 1994, Fabricius-Hansen 1980). 11 Beim repetitiven wieder wird das ganze Ereignis (eventuality) extern betrachtet und präsupponiert (Fabricius-Hansen 2001). Auch Wiederholung beinhaltet Kontrast. Wie Fabricius-Hansen (2001) überzeugend argumentiert, sind die beiden Lesarten nicht nur vom syntaktischen Objekt, das im Skopus des Adverbials steht, sondern auch vom semantischen Verbtyp abhängig: die unmarkierte, restituti- 10 Afur wird hergeleitet als Komparativform von *apo, apu ‘ab, weg’ mit der Bedeutung ‘weiter, später’ und folglich ‘wieder, noch einmal’. Wieder stammt von wider ‘gegen, entgegen’ ab. Eine ähnliche Entwicklung ist auch für again/ against festzustellen (vgl. Ferraresi 2005). 11 “Since the pre-state of e’ (s’’) and the result state of e (s) are instantiations of the same type of state, separated only by an instantiation (s’) of the complementary category, the change from s’ to s in the given context can be conceived as a restitution. or restoration of a state of that type, i.e., as a movement back to the point of departure; or s can be viewed as a continuation of s’’, in which case s’’ and s are subsumed under one instantiation of the relevant type, s’ being, in a way, ignored.” (Fabricius-Hansen 2001, S. 116). Das Vorfeld als Baustelle im Deutschen 331 ve Lesart als process-Adverb ergibt sich mit telischen Verben der Zustandsveränderung. Diese ist auch die Grundlesart, die die ‘Kontradirektionalität’ noch realisiert (Fabricius-Hansen 2001, S. 114). 12 Sie ist auch die älteste belegte Lesart bei wieder, das im Althochdeutschen nur in der restitutiven Lesart belegt ist. Dies spiegelt sich im gleichen Maße in der Wortbildung wider: da hat widar nur restitutive, afur repetitive Bedeutung (9a). In mittelhochdeutschen Texten, in denen beide Adverbiale gleichzeitig auftreten (9a und 9b), hat wieder restitutive und aber repetitive Bedeutung: (9a) widarsagen ‘erwidern’ vs. afursagen ‘wiederholen’ widarbringan ‘zurückbringen’ vs. afurbringan ‘wieder bringen’ (9b) postestatem ponendi animam suam et iterum sumendi eam uuanda er keuualt sînin lib ze lâunde aber uuider ze nemenne hábeta (Notker, Ps., 97 (360,5) zit. nach Grimm/ Grimm 1854-1960: Bd. 29, Sp. 1511) er hat die Möglichkeit seine Seele abzugeben und sie wieder zu nehmen (9c) daz er aber wider begunde (Trist. 19250; zit. nach Grimm/ Grimm 1854- 1960: Bd. 29, Sp. 1511) dass es abermals wiederum anfing Im (9b) übersetzt Notker sumere mit wider nehmen in restitutivem Sinn und das repetitive iterum mit aber. Das zeigt erstens, dass restitutives wider dem Verb adjazenter steht und zweitens, dass, wenn beide Bedeutungen ausgedrückt werden müssen, aber für die repetitive und wider für die restitutive verwendet wird. Entsprechend ist es im modernen Deutschen möglich, zwei wieder im selben Satz zu äußern, von denen das dem Verb am nächsten stehende restitutive und das weiter entfernte repetitive Bedeutung hat (Pittner 2000, S. 369): (9d) er hat das Auto wieder (repetitiv) wieder (restitutiv) repariert In Tatians Evangelienharmonie (9. Jhd.) werden alle 40 Vorkommen von lat. iterum ‘erneut’, das nur repetitive Lesart hat, mit afur übersetzt. Die repetitive Bedeutung mit afur ist noch im Mittelhochdeutschen (10) und bis Luther (11) belegt: (10) die porte wurden zuo getân, dâ sî durch was gegangen: und er was alsô gevangen 12 Mit so genannten ‘intergressiven’ Prädikaten wie husten oder klopfen ist nur die repetitive Lesart möglich: Peter hustete wieder. Gisella Ferraresi 332 daz im aber diu ûzvart anderstunt versperret wart. (Iwein 1704-1708) Die Tore wurden geschlossen, als sie hindurchgegangen war, und auf diese Weise war er gefangen, so dass ihm der Ausweg wieder zum zweiten Mal versperrt war (11) offenbarte sich aber (manifestavit se iterum; Luther, Joh 21, 1; zit. nach Grimm/ Grimm 1854-1960: Bd. 1, Sp. 29) In Notker (11. Jhd.) wird afur schon als adversative Konjunktion benutzt, indem es die Konjunktion sed ‘aber’ übersetzt (12a). Wenn es die lat. Diskurspartikel autem übersetzt (12b), steht aber ebenfalls in der ersten Position, auch gegen die lateinische Vorlage: (12a) Sed dominus suscepit me (N, Ps., 117 (434, 20)) Aber Got unterfiêng mich (12b) Tu autem domine susceptor meus es Aber dû got pist mîn infángare (N, Ps., 3 (13, 14)) Aber du Gott bist mein Beschützer Wie oben schon erwähnt, sind ‘contrariness’ und ‘Wiederholung’ affine Begriffe: Aus der Bedeutung des Gegensatzes bzw. der Kontradirektionalität entwickelt sich die adversative Bedeutung. Daraus leitet sich sowohl bei aber als auch bei wieder 13 die Modalpartikelfunktion ab, die auf im Kontext enthaltene Information Bezug nimmt. Syntaktisch hat sich aus dem VP-Adverbial afur mit der restitutiven Lesart ein CP-Element mit konnektiver Funktion entwickelt, wie im folgenden Schema dargestellt: (13) [ VP afur [ VP XP V]] ¦ [ IP afur [ IP V [ VP ]]] ¦ ‹ CP afur [ CP V [ IP V [ VP ]]]] Parallel zu afur kann man die Entwicklung anderer althochdeutscher Adverbiale verfolgen, wie » , giwisso, thô und nu, die so wie afur an zweiter Stelle vor dem finiten Verb stehen, um die lateinischen Partikeln enim, autem, vero, ergo wiederzugeben (vgl. Dittmer/ Dittmer 1998, S. 85). Das finite Verb erscheint an dritter Position, die Konstituente an erster Stelle wird als (kontrastives) Topik interpretiert. Alle diese Elemente weisen gleichzeitig eine ad- 13 Pittner (2009) beschreibt die Eigenschaften, die eine Analyse von wieder als Modalpartikel rechtfertigen. Das Vorfeld als Baustelle im Deutschen 333 verbiale Funktion auf, und erst in der zweiten Position wirken sie als Marker für Topikwechsel. » und giwisso sind epistemische Adverbien: Sie drücken die Einstellung des Sprechers in Bezug auf das Eintreten des Sachverhalts aus (Grimm/ Grimm 1854-1960). Scholten (1897, S. 393, 418) merkt an, dass sie unterschiedliche Lesarten haben. Wenn sie die lateinischen Partikeln enim, autem, vero, ergo in der zweiten Stelle übersetzen und sie selbst in der zweiten Position stehen, haben sie bei manchen Autoren laut Scholten (1897) eine konjunktionale Funktion (vgl. auch Dittmer/ Dittmer 1998, S. 85). In den Belegen (14a) und (15a) ist die adverbiale, in (14b) und (15b) die konjunktionale Lesart exemplifiziert: (14a) Si ergo filius vos liberaverit, vere liberi eritis Oba ther sun iúuih arlosit, thanne birut ir uúarlihho frige (T 131, 15) Wenn also euer Sohn euch erlöste, dann seid ihr wahrlich frei (14b) Iohannes autem cum audisset in vinculis opera Christi, convocans duos de discipulis suis misit ad dominum Iohannes uuarlihho mit thiu her gihorta in gibentin Cristes uuerc, gihalota sine iungiron zuene, santa sie zi truhtine (T 64, 1) Johannes wahrlich als er hörte im Gefängnis von Gottes Werk, ließ seine Jünger kommen und sandte sie zum Herrn (15a) Porro si in digito dei eicio demonia, profecto pervenit in vos regnum dei Zisperi oba ih in gotes fingare uuirphu diuuala, giuuesso quimit in íuuih gotes rihhi (T 62, 5) Ferner wenn ich in Gottes Finger den Teufel werfe, gewiss ist gekommen in euch Gottes Reich (15b) Vos autem dicitis […] Ir giuuesso quedent (T 84, 3) Ihr gewiss sagt… Wie (15a) und (16) zeigen, werden » und giwisso in der ersten Position im Satz nur adverbial interpretiert, und zwar sind sie verifikationelle Adverbiale: (16) giwisso wizit ir … (O 18, 21) gewiss wisst ihr … Gisella Ferraresi 334 Nur in der zweiten Stellung vor dem finiten Verb können sie eine konjunktionale Lesart haben (wie z.B. in 15b). Laut Scholten (1897) sind nur in Tatian sowohl die adverbiale als auch die konnektive Funktion belegt. In Otfrid jedoch werden » und giuuesso nur adverbial verwendet. Behaghel (1928, S. 179) sieht in der Verwendung beider Adverbiale » und giwisso eine fehlerhafte Konstruktion, die auf einzelne Übersetzer zurückzuführen sei: 14 giwisso und warlihho sind rein papierene Konjunktionen, die, vielleicht mit einer Ausnahme bei O., nur bei as. und ahd. Übersetzern auftreten (warlihho nur im Tatian) und schon bei Notker und Will. fast verschwunden sind, die Erfindung irgendeiner Klosterschule, die der Armut des Deutschen an Konjunktionen abhelfen sollte. Dass die Verwendung von » und giuuesso in der konnektiven Funktion und Stellung nicht „die Erfindung irgendeiner Klosterschule“ ist, zeigen auch Belege aus späteren Texten, in denen wahrlich wie in den althochdeutschen Texten nach einem Topik steht: (17a) Meine Seele, ein Strahl aus dem göttlichen Lichte, sehnet sich, zurückprallen zu können und mit dem lieben Gott ins nähere Verkehr zu kommen! Der Tod wahrlich ist das wahre Universale wider alle Leiden dieser Zeit. (Hippel, Lebensläufe nach aufsteigender Linie, Bd. 3, S. 231, 18. Jh.) (17b) ein vollkommener körper gewisz verwahrt auch die seele rein, und die rüstige jugend verspricht ein glückliches alter. (Goethe, Hermann u. Dorothea, 40, S. 297) Im heutigen Deutsch sind die entsprechenden Adverbiale gewiß und wahrlich in dieser Position nicht mehr grammatisch. In der zweiten Position stehen sie nur, wenn eine parenthetische Lesart vorliegt. Diese wird auch durch eine grafische Pause markiert, wie in (18a) und (18b): (18a) Pluralismus als Haltung der Resignation und des Quietismus? Nein! Dies, gewiß, ist nicht gemeint. Eher im Gegenteil. (K. Jacobi: Philosophien - im Plural. In: Zulehner, Paul M. (Hg.) (1988): Pluralismus in Gesellschaft und Kirche - Ängste, Hoffnungen, Chancen. München, S. 10-23). (18b) Wie er in diesem kurzen Prosastück Fakten, Impressionen und Momentaufnahmen miteinander verbindet, wie er die Atmosphäre einfängt, das wechselnde Lokalkolorit vergegenwärtigt und den zeitgeschichtlichen Hintergrund andeutet, wie er alle Elemente arrangiert und immer wieder steigert, wie er der Sprache ebensoviel Präzision wie Musikalität abgewinnt - das, wahrlich, ist bewundernswert. (Reich-Ranicki, Marcel (1991): Literatur der kleinen Schritte. Deutsche Schriftsteller in den sechziger Jahren. München.) 14 Ähnliches bei Grimm/ Grimm (1854-1969, Bd. 6, Sp. 6151). Das Vorfeld als Baustelle im Deutschen 335 Gewiss und wahrlich haben also nicht mehr die Option, nach einem Topik im Vorfeld zu stehen. Im heutigen Deutsch werden sie auch kaum mehr als epistemische Adverbiale verwendet, sind sie doch durch sicher und wirklich ersetzt worden. Eine stichprobenartige Korpusuntersuchung mit COSMAS hat ergeben, dass gewiss nur in Texten aus dem süddeutschen Raum als Adverbial benutzt wird. Ansonsten wird es nur als Antwortpartikel verwendet. Für die Belege in (17a) und (17b), in denen » und giuuesso mit einer XP in präverbaler Stelle erscheinen, könnte man argumentieren, dass dies Fälle von mehrfacher Vorfeldbesetzung sind (vgl. Müller 2008). Wie die Untersuchung von Müller (2008) zeigt, ist mehrfache Vorfeldbesetzung im heutigen Deutsch mit verschiedenen Kombinationen möglich. Allerdings finden sich in den von Müller aufgeführten Daten keine Belege mit der Abfolge XP-Adv, in der das Adverbial epistemisch ist. Epistemische Adverbiale wie vielleicht und wahrscheinlich können aber durchaus in der zweiten Position nach einem Element stehen, das als Topik verstanden wird (19a und 19b): (19a) Das vielleicht ist das Herausragende am Stück. ( http: / / www.ad-erpelle.de/ presse33.htm ) (19b) Morgen wahrscheinlich wird es wohl News mit äusserst kursbewegender Bedeutung geben. ( http: / / www.wallstreet-online.de ) Anders als bei gewiss und wahrlich in (18a) und (18b) werden vielleicht und wahrscheinlich in (19a) und (19b) ohne intonatorische Pause ausgesprochen. Somit stellt sich auch im Falle der Adverbiale in dieser Position die Frage der Konstituenz - wie bei den Adverbkonnektoren. Hinsichtlich der Adverbkonnektoren plädieren Frey (2004) und Zifonun/ Hoffmann/ Strecker u.a. (1997, S. 1639) für eine Analyse der Abfolge XP-Advkonn im Vorfeld als einzige Konstituente. Dürscheid (1989, S. 26) hingegen entscheidet sich für eine Analyse, in der XP und Advkonn zwei Konstituenten realisieren. 15 In Bezug auf die ahd. Adverbiale » und giuuesso argumentiert Axel (2007, S. 221) für ihren Status als selbstständige Konstituente in Verbdritt-Abfolgen nur im Falle, dass sie genuine adverbiale Bedeutung haben, wie in (20a) und (20b): (20a) caro enim mea. uere es cibus/ & sangui meus uere est potus; / / min fleisg uuarlicho ist muos/ inti min bluot uuarlicho ist trang (T 263, 11; Grimm/ Grimm 1854-1969, Bd. 27 Sp. 928; Axel 2007, S. 221) mein Fleisch wahrlich ist Nahrung und mein Blut Getränk 15 Für einen Überblick zum Stand der Forschung vgl. Speyer (2008). Gisella Ferraresi 336 (20b) / helias quidem uenturus est/ / helias giuuesse quimit/ (T 307, 26; zit. aus Axel 2007, S. 221) Elias gewiss kommt Für diese ahd. Belege nimmt Axel (2007, S. 211) eine komplexere Struktur des Vorfeldes an. Axel (2007) legt Rizzis (1997) Modell zugrunde, geht aber nicht weiter auf (20a) und (20b) ein. In Sätzen, in denen » und giuuesso in der zweiten Position anscheinend konnektive Funktion haben - wie in (15b) und (16b) - spricht sich Axel für eine einzige komplexe Konstituente aus. Ein weiterer Beweis dafür soll auch der folgende Beleg sein, in dem [XP- » ] linksversetzt ist: (21a) / ... & uos igitur/ nunc quidem tristitiam habebitis/ / ... Inti [ir uuarliho] / nu habet ir gitruobnessi / (T 587, 26; zit. aus Axel 2007, S. 183) und ihr wahrlich nun habt ihr Kummer (21b) [ CP [ir uuarliho] i [ CP nu k [C’’ [habet j ] [ S ir i t k gitruobnessi t j ]]]] Axel (2007, S. 220) analysiert die Linksversetzung in (21a) als Adjunktion, wie (21b) darstellt - parallel zu der linksversetzten Abfolge [XP-Advkonn] im heutigen Deutsch in (22): (22) Meyer indessen/ allerdings/ schließlich/ nämlich, der sagte zu Peter ... Wie jedoch bereits angemerkt, müsste man auch im Fall von XP-Adv wie in (19a) und (19b) eine einzige Konstituente annehmen: Dagegen würde eigentlich der Status von Adverbien als XPs sprechen. Zweifel, dass es sich im heutigen Deutsch bei XP-Advkonn im Vorfeld wirklich um eine komplexe bewegte Konstituente handelt, kommen aber aus einem anderen Argument. Neben der Linksversetzung, die typischerweise ein im Kasus kongruentes Demonstrativpronomen im Vorfeld des Matrixsatzes aufweist und für die eine Bewegungsanalyse vorgeschlagen worden ist, existiert nämlich auch die sogenannte Freies Thema-Konstruktion (auch nominativus pendens genannt) wie in (23). Beim Freien Thema kann die NP im Nominativ erscheinen, unabhängig von der syntaktischen Funktion, die sie im Matrixsatz haben würde. Diese NP wird durch ein Pronomen im Satz wiederaufgenommen, das den vom Matrixverb zugewiesenen Kasus trägt. Für diese Konstruktion wird eine Analyse mit Basisgenerierung angenommen: 16 16 Vgl. Frey (2004). Das Vorfeld als Baustelle im Deutschen 337 (23) Dieser Frosch allerdings, den hat die Prinzessin geküsst / die Prinzessin hat ihn geküsst Ich gehe folglich davon aus, dass es möglich ist, mehrfache extrasentenziale Elemente im Vorvorfeld zu realisieren (vgl. 24). Diese Möglichkeit ist schon im Althochdeutschen vorhanden, mit dem Unterschied, dass im Althochdeutschen diese Positionen sentenzial, also in der CP integriert sind. (24) Der Peter heute, der kam schon wieder zu spät [Der Peter] [heute], [CP ... . Wie » und giuuesso gehören auch nu und thô zur Adverbialklasse. Sie entsprechen in den althochdeutschen Übersetzungstexten ebenfalls den lateinischen Partikeln enim, autem und ergo. Auch sie haben je nach syntaktischer Position unterschiedliche Lesarten. Zum Beispiel kann nu sowohl als temporales ‘jetzt’ als auch als ‘nun, wirklich’ interpretiert werden (vgl. 25a und 25b): (25a) Nunc dimittis servum tuum, domine Nu forlaz thu, truhtin, thinan scalc (T 7, 6) Nu verlässt du Herr deinen Diener (25b) Thaz was nu úngimacha joh égislichu rácha, / sie mo ínnowo ni óndun joh sélidono irbóndun (O IV, 4, 69-70). Das war nu ein unangemessenes und böses Verhalten/ sie gaben ihm keine Wohnung und gönnten ihm keine Ruhestatt (26c) Hinan frammert nu  Ú   dhazs … (I 379; zit. nach Axel 2007, S. 225) Von hier aus nu werden wir zeigen mit der Autorität der Heiligen Schriften, dass (26a) Et ait illis Tho quad her in (T 34, 6) Tho sagte er ihnen (26b) At ille egressus coepit praedicare Her thó uzganganti bigonda predigon (T 46, 4) Er tho nachdem er ausgegangen war fing an zu predigen Nu ist etymologisch ein anaphorisches Element, das ursprünglich nur temporale Bedeutung hat. Schon im Althochdeutschen hat nu/ nun nicht nur die rein temporale Bedeutung von ‘jetzt’, sondern kann, wie in (25b) ersichtlich ist, Gisella Ferraresi 338 auch mit einem Vergangenheitstempus verwendet werden. Mit nun wird die Topikzeit festgelegt, in der das Ereignis temporal verankert wird (Altshuler 2010, S. 189). Da nun auch eine diskursvoranbringende Funktion hat, indem es die Ereignisse temporal anordnet, kann es kausal bzw. adversativ interpretiert werden, wie es z.B. bei während der Fall ist. Grimm/ Grimm (1854-1969: Bd. 13, Sp. 283) merken dazu Folgendes an: Nun ist zunächst wie in den verwandten sprachen ein zeitadverb der gegenwart und als solches synonym mit jetzt, doch ist im deutschen (ähnlich wie beim griech. nün) neben den temporalen begriff auch ein causaler getreten, indem nun mit seiner andeutung der gegenwart auch einen zusammenhang mit dem vorausgehenden oder vorausgesetzten verbindet und auf diese weise aus dem temporalen adverb der gegenwart zu einem adverb und bindewort der zeitfolge und der ursächlichkeit sich erweitert, da in der sprache häufig die zeitverhältnisse als verhältnisse von grund und wirkung aufgefaszt werden. 17 In Texten des Frühneuhochdeutschen bis zum Gegenwartsdeutschen kann nur mit einer XP in präverbaler Stellung stehen: (27) Durch diesen tod nun / ward Syrien zum andern mal verlohren / und alle ˜¯ -Û „  ¡ ·  ´ · ihre wase / bei ihrem herrn sich ihrer annehmen solte. (Anton Ulrich Herzog von Braunschweig, Die durchleuchtige Syrerin Aramena, S. 70) (28) Gestern nun lud der „Moscow Circus on Ice“ ins Theater am Aegi (Hannoversche Allgemeine, 09.02.2008) Das Adverbial thô ist etymologisch ein deiktisches Element, das wie nu/ nun temporale Bedeutung hat (parallel zu ‘da’). Wie nu/ nun weist auch thô eine adversative Lesart wie in (26b) auf. Axel (2007, S. 156) analysiert Sätze mit nu und thô als CPs: diese Elemente besetzen als Adverbiale die Spec-CP Position, die dem Vorfeld im topologischen Modell entspricht: (29) [ CP nu/ thô/ ø [[ C V i ] [ VP ... t i ]]] VORFELD LK MF RK Wenn eine XP nu/ thô vorangeht, wie in (26b), bildet diese mit nu/ thô - parallel zu » und giuuesso - eine einzige Konstituente. D.h. in dieser Konstruktion können nu/ thô den Status von Köpfen haben, wenn sie konjunktionale Bedeutung aufweisen. Diese Hypothese wäre auch dadurch unterstützt, 17 Ähnliches in Scholten (1897, S. 398) und in Behaghel (1928, S. 231). Das Vorfeld als Baustelle im Deutschen 339 dass nu/ thô nur in dieser Position konjunktionale Bedeutung haben. 18 Da der Wandel von Adverbialen zu Konnektoren bei nu/ thô im althochdeutschen Sprachstand schon vollzogen zu sein scheint, ist es plausibel anzunehmen, dass auch im Fall dieser temporalen Adverbiale die Vorfeldposition eine wichtige Rolle bei der Reanalyse als Konnektoren gespielt hat. Nach Petrova/ Solf (2008) und Hinterhölzl/ Petrova (2010, S. 317) stellen Verberstsätze im Althochdeutschen das ursprüngliche germanische Satzmuster dar und führen neue Informationen in den Diskurs ein. Wenn eine Konstituente vor dem Verb steht und somit ein Verbzweitsatz folgt, ist diese Konstituente Topik, das vom Rest des Satzes durch das finite Verb getrennt wird. Der Restsatz wird dann als Kommentar realisiert. Die durch thô eingeleiteten Sätze stellen eine Alternative zu Verberstsätzen dar, indem sie ebenfalls Hintergrundinformationen einführen. Dieses syntaktische Muster mit Verbzweitstellung hat sich im Deutschen etabliert, nachdem die linksperipheren Positionen vor dem finiten Verb als neutral für informationsspezifische Elemente reanalysiert worden sind. Nach Hinterhölzl/ Petrova (2010) ist aber im Deutschen nach der Reanalyse noch eine syntaktische Position für aboutness- Topik erhalten geblieben. Am unmarkiertesten ist die Abfolge mit dem Subjekt in dieser ersten Position. Stehen hingegen Objekte da, haben sie immer noch einen markierten informationsstrukturellen Status. 19 Das Schema in (30) exemplifiziert die einzelnen Schritte der Reanalyse im Althochdeutschen: (30a) Phase I: [Aboutness] [ ForceP (=CP) V fin [ TP . . .]] Topik + V1 (30b) Phase II: [ ForceP (=CP) [Aboutness] V fin [ TP . . .]] (30c) Phase III: [ ForceP (=CP) [Aboutness] i V fin [t i [ TP . . .]] Hinterhölzl/ Petrova (2010) gehen davon aus, dass das Topik in der Phase I extrasentenzial war und es in einer weiteren Phase II in den Satz integriert worden ist. Im heutigen Deutsch werden die verschiedenen Topiktypen im Vorfeld nach einer geordneten Hierarchie realisiert, die Frascarelli/ Hinter- 18 Behaghel (1932, S. 12) nennt solche Adverbiale „klitisch“, allerdings ist aus den Daten nicht zu entnehmen, dass es sich wirklich um klitische und nicht um schwachtönige Elemente handelt (vgl. auch die Diskussion in Axel 2007, Kap. 4). 19 Sätze mit vorangestelltem Objekt wie in (a) können nämlich nicht Antwort auf all-Fokus- Fragen sein, im Gegensatz zu Sätzen mit dem Subjekt in der ersten Position (b) (vgl. Hinterhölzl/ Petrova 2010, S. 321). (Was ist passiert? ) a) Die Maria OBJ hat gestern der Peter getroffen b) Der Peter SUBJ hat gestern die Maria getroffen Gisella Ferraresi 340 hölzl (2007) auf der Basis einer sprachvergleichenden Untersuchung des Deutschen und des Italienischen so aufstellen: (31) Shifting topic [+ Aboutness] > Contrastive topic > Focus > Familiar topic Sie modellieren diese Abfolge in Rizzis Modell und erläutern die Verbzweit- Restriktion im Deutschen als Bedingung, die von der funktionalen Position gestellt wird, in der sich das finite Verb befindet. D.h. das finite Verb besetzt immer die gleiche funktionale Position, nur die Typen der Topiks, die im Vorfeld stehen, können unterschiedlich sein. (32) Vfin-Force SHIFTING Topics CONTRAST Topics FAMILIAR Topics S-Adverbs Subject Sowohl Axel (2007) als auch Hinterhölzl/ Petrova (2010) gehen von der Annahme aus, dass die Positionen des Vorfeldes, die im Althochdeutschen nur speziellen informationsstrukturellen Elementen gewidmet sind, im heutigen Deutsch in einer einzigen Position des Vorfeldes zusammenfallen, die als neutrale erste Position grammatikalisiert worden ist. Diese ist in Bezug auf Informationsstruktur neutral. Nur Nicht-Subjekte erhalten in dieser Stelle eine spezielle Interpretation. 20 In diesem Fall kommt die ältere Funktion dieser Position wieder zutage. In der Abfolge NPSubj-AdvKonn wird allerdings das Subjekt nie neutral interpretiert. Es scheint, als ob die Präsenz des Adverbkonnektors auch bei NPSubj die alte Funktion des Vorfeldes aktivieren würde. Im nächsten Paragraphen gehe ich auf die Herausbildung der Konnektoren allerdings und immerhin ein. Auch in späteren Phasen des Deutschen entwickeln sich aus Adverbien Adverbkonnektoren in einer vergleichbaren Weise wie die Adverbien im Althochdeutschen, so dass von einem Adverbkonnektorenzyklus die Rede sein kann. 2. Adverbkonnektoren in den präverbalen Positionen aus diachroner Sicht Zahlreiche Adverbkonnektoren des heutigen Deutsch sind im Laufe des Frühneuhochdeutschen aus unterschiedlichen Adverbialklassen entstanden (vgl. Ferraresi 2008b). Abgesehen von solchen, die ein deiktisches Element enthalten (wie z.B. trotzdem), deren Bildung und Bedeutung relativ transparent ist, ist bei den meisten die adverbiale Bedeutung abgeschwächt oder verschwunden. So war allerdings in der ursprünglichen Bedeutung ein quantifizierendes Adverbial mit der Bedeutung ‘vollständig’. Im heutigen Deutsch wird aller- 20 Hier kann nicht auf die technischen Details eingegangen werden. Das Vorfeld als Baustelle im Deutschen 341 dings teilweise noch als verifikationelles Satzadverbial bedingt verwendet, wie beispielsweise als elliptische bestätigende Antwort in (33) (vgl. auch Breindl 2004). Bei immerhin hingegen ist die direktionale bzw. die temporale Adverbialbedeutung, die in älteren Texten wie in (34a) und (34b) belegt ist, nicht mehr vorhanden, sondern immerhin wird nur in seiner Konnektorenfunktion gebraucht (34c): (33) S5: gewiß gibt es noch andere Methoden die Mannhaftigkeit unter Beweis zu stellen S2: allerdings S5: ganz bestimmt S4: ja ja (Freiburger Korpus, FR016) (34a) Ach wo wil ich immer hin? Ich kan hier nicht länger harren/ Ich weiß gar nicht/ wo ich bin. (Klaj, Redeoratorien, S. 65) (34b) Bleiben Sie immerhin seine Freundin, so wie ich um Ihrentwillen sein Freund sein will (Lenz, Die Freunde machen den Philosophen, Bd. 2, 306) (34c) Der Trend, laufend neue Produkte anzubieten, habe sich inzwischen wieder abgeschwächt, erklärt Patrick Scheiwiller. Immerhin stelle man neben den „normalen“ Broten aber immer noch täglich drei Spezialbrote her (St. Galler Tagblatt, 30.12.1998) Als Adverbkonnektoren können diese Lexeme - wie Adverbien - alleine im Vorfeld stehen (vgl. Pasch u.a. 2003, S. 504-509). Topikalisierung ist jedoch nicht bei allen Adverbialen, aus denen sich die konnektive Funktion herausgebildet hat, möglich. Immerhin als zunächst direktionales und später duratives Adverbial in topikalisierter Position ist in den Korpustexten nicht belegt. Pittner (1999, S. 187) merkt für das Deutsche an, dass Adverbiale der Art und Weise in topikalisierter Stellung im heutigen Deutsch nicht wirklich akzeptabel sind: (35) Was hat er gemacht? ? ? Laut hat er geSUNgen Akzeptabler in dieser Stellung werden sie, wenn sie vorerwähnt sind: (36a) Was kann man still und leise machen? Still und leise kann man lesen. Unter normaler Intonation und ohne Vorerwähnung werden sie in Anfangsstellung nicht mehr als VP-Modifizierer, sondern als Ereignismodifizierer interpretiert (vgl. auch Maienborn 2003): Gisella Ferraresi 342 (36b) Still und leise haben sie Einzug gehalten (Hamburger Abendblatt, 18.12. 2010) Um im Vorfeld zu stehen, muss entweder das VP-Adverb vorerwähnt sein oder als Satzadverb oder als Adverbkonnektor schon reanalysiert sein. Das zeigt sich auch in den historischen Daten, wie Tabelle 1 exemplifiziert. Im Vorfeld ist immerhin relativ spät belegt (erst im 18. Jh.) und auch nur als Konnektor (wie in 37), als duratives Adverb hingegen nicht: insgesamt 16. Jh. 17. Jh. 18. Jh. 19. Jh. 20. Jh. 0 40 53 46 27 immerhin V S (=Vorfeld) 0 (0,0 %) 0 (0,0 %) 2 (28,6 %) 1 (14,3 %) 9 (69,2 %) immerhin XP V S (=Vorerstposition) 0 (0,0 %) 0 (0,0 %) 0 (0,0 %) 1 (14,3 %) 1 (7.7 %) immerhin WH V S (=Nullposition) 0 (0,0 %) 0 (0,0 %) 0 (0,0 %) 0 (0,0 %) 0 (0,0 %) Tab. 1: Immerhin in der ersten Position im Hauptsatz im historischen Korpus (37) Kann er Venus und den getödteten Adonis in Malerische Handlung bringen: so ruffen wir der Venus mit dem Dichter zu: „was schläfst du, Cytherea, auf purpurnen Decken! Stehe auf, Unglückselige, zeuch Trauerkleider an, und schlage an deine Brust, und klage der ganzen Welt: er ist nicht mehr, der schöne Adonis! “ und immerhin wollen wir auch Adonis sehen, wie ihn der Dichter sieht. (Herder, Kritische Wälder, S. 91) Im Unterschied dazu erscheint allerdings - zunächst selten - im Vorfeld mit Subjekt-Verb-Inversion schon früher. Wie aus Tabelle 2 ersichtlich ist, nimmt im 18. Jh. die Zahl der Sätze zu, in denen allerdings im Vorfeld steht: insgesamt 16. Jh. 17. Jh. 18. Jh. 19. Jh. 20. Jh. 9 358 276 570 222 allerdings V S (=Vorfeld) 0 (0,0 %) 3 (0,8 %) 38 (13,8 %) 36 (6,3 %) 25 (11,3 %) allerdings XP V S (=Vorerstposition) 0 (0,0 %) 0 (0,0 %) 1 (0,4 %) 4 (0,7 %) 2 (0,9 %) allerdings: (=Nullposition) 0 (0,0 %) 0 (0,0 %) 0 (0,0 %) 0 (0,0 %) 3 (1,4 %) Tab. 2: Allerdings in der ersten Position im Hauptsatz Als verifikationelles Adverbial tritt allerdings im Vorfeld in Sätzen auf, in denen eine vorangehende Proposition bestätigt wird wie im folgenden Beleg, in dem allerdings die Funktion eines VERUM -Fokus hat: Das Vorfeld als Baustelle im Deutschen 343 (38) Warum war ihm bei der Häßlichkeit vergönnet, was er bei der Schönheit so einsichtsvoll sich selbst untersagte? Wird die Wirkung der Häßlichkeit, durch die aufeinanderfolgende Enumeration ihrer Elemente, nicht eben sowohl gehindert, als die Wirkung der Schönheit durch die ähnliche Enumeration ihrer Elemente vereitelt wird? Allerdings wird sie das. (Lessing, Laokoon, Lessing-W, Bd. 6, S. 148) Wie in Ferraresi (2008a, 2008b) näher beleuchtet, entwickelt sich die konnektive Funktion aus Sätzen, in denen eine vorerwähnte Proposition mitverstanden wird. Parallel dazu nimmt der Gebrauch als Adverb ab. In der präverbalen Stellung vor einer XP (in der so genannten ‘Vorerstposition’ des HdK) können nur wenige der Adverbkonnektoren vorkommen. Allerdings ist einer der Adverbkonnektoren, die in dieser Stellung ausgeschlossen sind, im Unterschied z.B. zu immerhin, das in dieser Position grammatisch ist. In postnominaler Position (d.h. in der ‘Nacherstposition’ XP-Advkonn) kann allerdings, aber nicht immerhin erscheinen: (39a) *Allerdings XP V Immerhin XP V (39b) XP allerdings V *XP immerhin V Wie Adverbien, die ebenfalls vor einer Konstituente im Vorfeld stehen können - wie beispielsweise immer in (40) (aus Eisenberg 1999, S. 210) -, ist immerhin fokussensitiv und enthält eine skalare Komponente: (40a) Immer Helga liest den Spiegel (40b) „Wir sind aber kein Reparaturbetrieb, sondern bieten engagierten Jugendlichen eine zweite Chance“ sagt Rektorin Petra Perten. Immerhin zwei Drittel der Schüler verlassen die „Stadt-als-Schule“ entweder mit einem Hauptschul- oder sogar mit einem Realschulabschluß. (Berliner Morgenpost, 27.01.1999) Die Art der Polarität ändert sich auch mit der Stellung von immerhin. In 80% der Korpusbelege folgt immerhin in der Vorerstposition eine quantifizierte NP wie in (41): die NP ‘zwei Drittel der Schüler’ im obigen Beispiel steht im Fokus und induziert die skalare Interpretation, bei der die Zahl nicht auf dem höchsten Punkt der Skala liegt, aber auch nicht auf dem niedrigsten. Die Relation ist eine antonymische. Steht immerhin im Mittelfeld oder allein im Vorfeld, ist die Relation zwischen den Polen der Skala komplementär (wie im Gisella Ferraresi 344 VERUM -Fokus), d.h. das Prädikat steht im Fokus mit der postverbalen Konstituente, die den Fokusakzent erhält: (41) Der Versprecher trug ihm viel Gelächter ein, machte er doch deutlich, wie sehr die Spitzen der Grünen bemüht waren, aus einer schweren politischen Niederlage einen Erfolg zu konstruieren. Immerhin sah Trittin es als Problem an, im Gesetz den Verzicht auf die Wiederaufarbeitung definitiv festzulegen, ohne ein Datum für deren Ende zu nennen. (Berliner Morgenpost, 27.01.1999) Allerdings in der Vorerstposition hingegen ist im heutigen Deutsch ungrammatisch. Wie aus (42a) und (42b) ersichtlich, gibt es jedoch ältere Belege, in denen auch allerdings in dieser Position grammatisch ist und wie immerhin eine skalare Lesart aufweist (vgl. Altmann 2007): (42a) es sind halte ich keine völker, die mehr als die Perser an bunten farben sich belustigen. daher sie nicht nur ihre hände, etliche auch die füsze, sondern auch pferde und andere thiere, auch etliche allerdings (selbst, sogar, beinahe) die geschlachteten schafe, so sie in den fleischbänken zu verkaufen haben, roth färben. (pers. rosenth. 1, 10; zit. nach Grimm/ Grimm 1854- 1960: Bd. 1, Sp. 222) (42b) allerdings (sogar) dessen vieh muste meine rache empfinden (Simplic. 1, 156; zit. nach Grimm/ Grimm 1854-1960, Bd. 1, Sp. 222) Wie bereits erwähnt, ist allerdings in seiner ursprünglichen adverbialen Bedeutung ein quantifizierendes Adverbial mit der Bedeutung ‘vollständig’, wie im folgenden Beleg, in dem allerdings negiert wird: (43a) vor einen Gewinn rechne / weil ichs umb meines Herrn Christus willen leide; wollet mir demnach verzeihen / daß ich mich nicht allerdinge offenbahre (Buchholtz, Des Christliche Teutschen Herkules, Bd. 1, S. 312) (43b) das habe ich gemerket, dasz sie mir nicht allerdings trauen. ( OPITZ 1, 205; zit. nach Grimm/ Grimm 1854-1960, Bd. 1, Sp. 222) Die diachrone Entwicklung von allerdings ähnelt in vielerlei Hinsicht derjenigen der Fokuspartikel sogar, die ebenfalls als quantifizierendes Adverbial mit der Bedeutung ‘so gänzlich, vollständig, bis zu dem Grade’ (Grimm/ Grimm 1854-1960, Bd. 16, Sp. 1405) benutzt wurde. In der adverbialen Bedeutung steht sogar wie das Adverbial allerdings im Vorfeld allein und bewirkt Subjekt-Verb-Inversion: (44) Wie sie nun damit fårtig war / kame sie zu der Ahalibama wieder hinein / welche sie fast selber anfånglich nicht mehr kante: so gar hatte sie diese kleidung verwandelt. (Anton Ulrich Herzog von Braunschweig: Die durchleuchtige Syrerin Aramena, S. 324) Das Vorfeld als Baustelle im Deutschen 345 Auch sogar kann in dieser adverbialen Bedeutung negiert werden: (45) Am folgenden morgen / kame das gerüchte von diesem todesfall gleich Û ·  · Ý · nicht so gar „ ·  ´ Û š Þ š ` Ulrich Herzog von Braunschweig: Die durchleuchtige Syrerin Aramena, S. 304) Die weitere Entwicklung von Fokuspartikeln liegt außerhalb des zentralen Themas dieses Beitrags. Wichtig ist nur die Feststellung, dass quantifizierende Adverbiale häufig Quellen für Adverbkonnektoren, aber auch für Fokuspartikeln sind. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass manche Adverbkonnektoren viele Eigenschaften mit Fokuspartikeln teilen. Sogar ist zu einer Fokuspartikel mit skalarer Bedeutung grammatikalisiert, während allerdings seine quantifizierende Funktion auf Satzebene ausübt. In beiden Fällen ist das Satzadverbial mit XP-Status zu einem Kopf reanalysiert worden. Die Vorerstposition mit allerdings, die im heutigen Deutsch nicht mehr grammatisch ist und die im 20. Jh. in den Korpustexten nicht mehr belegt ist, kommt in den Korpustexten sehr selten vor, wie die Tabelle 2 oben zeigt. Sowohl die Vorerstals auch die Nacherststellung bei allerdings finden sich gleichzeitig für eine kurze Zeitspanne bei unterschiedlichen Autoren des 18. Jahrhunderts: Bei Goethe z.B. steht allerdings vor allem in der Vorerstposition, bei Lessing hingegen findet sich die Nacherstposition am häufigsten. In der Nacherstposition (XP-Konn-V) können sowohl allerdings als auch immerhin stehen: (46) Auf den ersten Blick allerdings unterscheidet sich das Dortmunder Flaggschiff kaum von anderen gut geführten Supermärkten auf der grünen Wiese. (Berliner Morgenpost, 01.09.1999) (47) Da mögen Ähnlichkeiten mit dem grossen Vorbild, etwa das Beschleunigungsvermögen, die Gabe der Spielgestaltung sowie der „fadeaway jumper“, Jordans Lieblingstrick, nichts mehr sein als Ersatzware. Eines immerhin hat Kobe Bryant, das Idol mancher junger bis jüngster Basketball-Fans, bereits erreicht: Er ist der Primus einer Klasse von Talenten, die für die NBA die Zukunft bedeutet. (St. Galler Tagblatt, 25.03.1998) In dieser Position ist allerdings erst im 18. Jh. belegt, wie Tabelle 3 zeigt: Gisella Ferraresi 346 16. Jh. 17. Jh. 18. Jh. 19. Jh. 20. Jh. Subj 0 0 0 0 3 Obj 0 0 0 0 0 PP 0 0 0 0 0 Adj 0 0 1 0 0 Adv 0 0 0 0 3 Frame-Adv 0 0 0 3 4 Linksversetzung 0 0 0 2 2 Tab. 3: Belege von allerdings in der Nacherstposition Immerhin ist hingegen in den Texten des historischen Korpus kein einziges Mal in der Nacherstposition (XP-immerhin) belegt. Dies ist aber nicht verwunderlich, wenn man diese Daten mit denen aus der Untersuchung des Korpus für das Gegenwartsdeutsch vergleicht: gesamt A98 L99 0FR 1791 1801 0 1 81 Vorfeld 680 (38,0 %) 756 (42,0 %) 007 (8,6 %) Mittelfeld 796 (44,4 %) 921 (51,1 %) 57 (70,4 %) Nacherst 8 (0,5 %) 5 (0,3 %) 0 (0,0 %) Vorerst 71 (4,0 %) 51 (2,8 %) 5 (6,2 %) Nachfeld 0 (0,0 %) 0 (0,0 %) 0 (0,0 %) Nullstelle 86 (4,8 %) 111 (6,2 %) 0 (0,0 %) Nachsatz 3 (0,2 %) 5 (0,3 %) 0 (0,0 %) Tab. 4: Stellung von immerhin als Adverbkonnektor in den Korpustexten des Gegenwartsdeutsch Die Nacherstposition bei immerhin scheint im heutigen Deutsch nicht sehr produktiv zu sein. In den Daten aus dem Korpus für die gesprochene Sprache beispielsweise kommt sie nie vor. Die Möglichkeit, in dieser Position zu stehen, geht - wie oben bereits erwähnt - mit der diachronen Entwicklung von allerdings und immerhin zu Adverbkonnektoren einher. Das Vorfeld als Baustelle im Deutschen 347 Die letzte in den diachronen Daten belegte Position ist die Nullstelle. Bei allerdings finden sich die ersten Daten erst im 20. Jh., für immerhin hingegen gibt es keinen einzigen Beleg. In dieser Verwendung steht der Adverbkonnektor desintegriert. 3. Schlussbetrachtungen und Ausblick Die eingangs gestellten Fragen sind in diesem Beitrag anhand einer Korpusuntersuchung historischer Texte, aber auch geschriebener und gesprochener Sprache angegangen worden. Der rote Faden dieses Artikels bestand in der Feststellung, dass bei der Entwicklung von Adverbkonnektoren in verschiedenen Perioden der deutschen Sprache Zyklizität zu beobachten ist. Aus VP- oder Satzadverbien entstehen immer wieder neue Elemente, die die Funktion von Adverbkonnektoren übernehmen. Diese werden als Köpfe reanalysiert. Für das Althochdeutsche sind avur, uuarliho, giwisso, nu und thô, für die Adverbkonnektoren aus dem Gegenwartsdeutsch allerdings und immerhin in ihrer diachronen Entwicklung diskutiert worden. Es sind in diesem Beitrag vor allem die präverbalen Positionen unter die Lupe genommen worden, die offensichtlich die syntaktische Stellung vorhalten, an der solche Elemente als Konnektoren reanalysiert werden. Insbesondere in der Abfolge XP-Konn- Vfin werden auch im Althochdeutschen manche Adverbien konnektiv interpretiert. Das Element in der ersten Position vor dem Adverb(konnektor) wird als Topik verstanden. 4. Literatur Altmann, Hans (2007): Gradpartikeln. In: Hoffmann, Ludger (Hg.): Die Wortarten im Deutschen. Berlin/ New York: de Gruyter, S. 357-385. Altshuler, Daniel (2010): Meaning of ‘now’ and other temporal location adverbs. In: Aloni, Maria u.a. (Hg.): Logic, language and meaning. Proceedings of the 17 th Amsterdam colloquium. Berlin: Springer, S. 183-192. 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Den Hauptteil der Arbeit bildet die korpusbasierte Analyse des Definitionswortschatzes des Langenscheidt Taschenwörterbuchs Deutsch als Fremdsprache und des Duden/ Hueber Wörterbuchs Deutsch als Fremdsprache. Zum einen werden sowohl quantitative als auch qualitative Merkmale des verwendeten Definitionswortschatzes untersucht, zum anderen geht es um die Frage, inwieweit die beiden Wörterbücher ihren Eigenanspruch eines computerkontrollierten Definitionswortschatzes einhalten. Die Untersuchung schließt damit einerseits eine metalexikografische Forschungslücke, andererseits enthält sie Empfehlungen an die praktische Lexikografie. 021911 Auslieferung März 2011.indd 2 04.03.11 17: 30