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Anacharsis der Weise

2010
978-3-8233-7607-1
Gunter Narr Verlag 
Charlotte Schubert

Der skythische Nomade Anacharsis wird zum ersten Mal bei Herodot (5. Jh. v. Chr.) erwähnt. Er ist der Fremde, der nach Griechenland kommt, sowohl um zu lernen als auch - da selbst ein Weiser - um anderen ein Lehrer zu sein. Er äußert sich durch knappe, oft witzig-ironische Sprüche, die von der Antike bis heute in den allgemeinen Spruchwortschatz eingegangen sind. Bei Herodot ist die nomadische Lebensform der Skythen das herausragende Differenzkriterium, da sie die Skythen in spezieller Weise unbesiegbar macht und sie daher, wie später nur die Athener, den fast u:bermächtigen Persern widerstehen können. In der Überlieferung des 4. Jh. v. Chr. gehört Anacharsis zum Kreis der 7 Weisen, wird aber in diesem Kreis als skythischer Nomade einerseits deutlich von den anderen Weisen (Solon, Thales, Bias, Periander etc.) abgegrenzt, andererseits als Kulturbringer beschrieben, dem die Griechen zivilisatorische Errungenschaften wie den Blasebalg, die Töpferscheibe und den doppelten Anker verdanken.Der Anlass für die Ausgestaltung der Figur und ihre spätere, prominente Rolle im Kreis der Sieben Weisen ist sehr wahrscheinlich der Erfolg der Skythen gegenüber den Persern gewesen, so dass insbesondere Herodot die Gegenüberstellung von sesshaften Griechen und nomadischen Skythen zum Paradigma erheben konnte. Dieser militärische Erfolg der Nomaden ist seither in der antiken Literatur mit der Lebensweise ohne Städte, ohne Mauern und ohne Äcker in Verbindung gebracht worden - mit einer Lebensweise, die als besondere Form der Ungebundenheit und Autarkie angesehen wurde. Sie galt einerseits als charakteristisch für die Nomaden, andererseits wurde sie - seit Aritoteles - auch als Ausdruck von Freiheit und Demokratie betrachtet. Die Ursprünge dieser Überlieferung sind jedoch in der Integration des Nomaden in ein frühes, mythisch und geographisch geprägtes Weltbild zu finden, dessen erste Umrisse bereits bei Homer zu greifen sind. Die in dieser Konfiguration im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. eingeschriebenen Grenzlinien zwischen Eigenem und Fremdem, zwischen Sesshaften und Nomaden, zwischen Griechen und Skythen boten bereits so vielfältige Anknüpfungspunkte, dass sie in der weiteren Überlieferung je nach Kontext verwendet oder ausgedeutet werden konnten. Das Besondere an dieser Figur ist jedoch die Verknüpfung von Weisheit und Nomadismus, die der Figur über die Gegensätze hinweg offenbar das verbindende Potential gegeben hat, die ihr erst das lange Nachleben ermöglichte.

Leipziger Studien zur klassischen Philologie Charlotte Schubert Anacharsis der Weise Nomade, Skythe, Grieche Leipziger Studien zur klassischen Philologie 7 Neubegründet von Ekkehard Stärk (†) und Kurt Sier Herausgegeben von Marcus Deufert, Ursula Gärtner und Kurt Sier Charlotte Schubert Anacharsis der Weise Nomade, Skythe, Grieche Umschlagabbildung: Delphi, Apollon-Tempel (Bild: Charlotte Schubert) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. © 2010 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISBN 978-3-8233-6607-2 Inhaltsverzeichnis Einführung .......................................................................................................... 6 I Anacharsis, der Skythe und der Ort der Weisheit ................................ 20 1. Ein Nomade mit langer Geschichte ....................................................... 20 2. Der Platz der Skythen in der Welt ......................................................... 31 3. Weisheit und Weltbild: Nomaden in der ionischen Ethnographie .. 38 II Archäologie der griechischen Weisheit I: Die Sieben Weisen............. 48 1. Solon und die Rolle der Weisen in der archaischen Zeit.................... 48 2. Isonomie und Gleichgewicht.................................................................. 55 3. Isonomie und Tyrannis ........................................................................... 59 III Archäologie der griechischen Weisheit II: Der Weisheitswettkampf 69 1. Die Konstituierung eines Kreises der Sieben Weisen ......................... 69 2. Der Weisheitspreis ................................................................................... 75 3. Die Weisheitsfrage: Ursprung und Entwicklungen ............................ 84 4. Die Weisen: Gesetzgeber, warnende Ratgeber oder Scharlatane? .... 88 IV Die Botschaft des Skythenkönigs ............................................................ 93 1. Die Botschaft der Skythen an Dareios ................................................... 93 2. Der Kontext der Botschaft bei Herodot und Clemens ........................ 102 3. Maultiere und Hasen ...............................................................................105 V Skythische Seher: Ambiguität der Weisheit...........................................117 1. Plausibilisierungsstrategien: Wahrscheinlichkeit und Schicksal ......117 2. Die Seher der Skythen: Enarer................................................................ 135 3. Weisheitskritik: Rätsel und prekäres Wissen .......................................140 VI Anacharsis und die griechische Weisheit ..............................................146 1. Anacharsis’ Weisheit bei Herodot ......................................................... 146 2. Griechische Weisheit: Rastlosigkeit und Muße ...................................153 3. Das Bogengleichnis: Die griechische Weisheit des Anacharsis .........167 VII Anacharsis und die Weisheit der Nomaden..........................................175 1. Die besondere Weisheit der Nomaden .................................................175 2. Die Perserkriege und die Freiheit .......................................................... 183 3. Anacharsis: Paradigma eines Nomaden ...............................................189 Resümee...............................................................................................................193 Literaturverzeichnis........................................................................................... 195 Stellenregister .....................................................................................................213 Danksagung ........................................................................................................227 6 Einführung „Die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.“ 1 So wie Hegel die rationale Philosophie in der Figur der Göttin Athena sieht - und seither sind ihm viele darin gefolgt 2 - wird die Eule als Ausdruck einer Rationalität verstanden, die für Vernunft und begründende Argumentation steht. 3 Das Bild der Eule wird sogar noch erweitert: „Der Flug der Eule schafft die Welt.“ 4 In diesem Bild der Göttin Athena mit ihrer Eule ist die moderne Verengung einer antiken Vorstellung zu erkennen. Denn die aus dem Kopf ihres Vaters Zeus entsprungene Athena steht viel weniger für Rationalität als für eine Verkörperung der Weisheit, der μῆτις und der σοφία und dies durchaus auch in einem ganz praktischen, durchaus handwerklich-erfinderischen Sinn. 5 Die Athena, die bei Homer auftritt und etwa Odysseus bei der Belagerung Troias oder bei seiner Heimkehr nach Ithaka über List und Täuschung belehrt, tritt auch als Lehrerin einer baumeisterlichen Weisheit auf. Damit hat die griechische Weisheit als σοφία schon an sich ein sehr viel weiteres Spektrum als Rationalität, deren Diskurs sich in der Entwicklung von Argumentationsformen, Beweisen und wissenschaftlichen Praktiken niedergeschlagen hat. Rationalität ist sicher Teil der Weisheit, aber Weisheit geht über Rationalität hinaus, jedenfalls ist sie nicht mit ihr deckungsgleich. Zweifellos gibt es die unterschiedlichsten Rationalitätsformen und schließlich auch die neuzeitliche Frontstellung von Weisheit und Wissenschaft. 6 Mit der Entstehung der φιλο - σοφία als einer Form von Denken des Denkens grenzt sich dieser Aspekt der Weisheit seit den Vorsokratikern als ein eigenständiger Bereich ab, ohne dass aber die Weisheit den ihr 1 G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, hrsg. und eingel. von Helmut Reichelt, Frankfurt a. M. 1972, S. 14. 2 Vgl. dazu A. Demandt, Metaphern für Geschichte. Sprachbilder und Gleichnisse im historisch-politischen Denken, München 1978, 158ff. 3 L. Daston, Wunder, Beweise, Tatsachen. Zur Geschichte der Rationalität, Frankfurt a. M. 2003, 7ff., 76ff. 4 J. Mittelstraß, Der Flug der Eule. Von der Vernunft der Wissenschaft und der Aufgabe der Philosophie, Frankfurt a. M. 1989, 59. 5 Hom. Od. 13,286ff.; vgl. Hom. Il. 15,412f. und Plut. De fortuna, 98 d-99 b; Plut. praecepta gerendae reipublicae 5,802 a-b. 6 A. Assmann, Was ist Weisheit? Wegmarken in einem weiten Feld, in: dies. (Hrsg.), Weisheit. Archäologie der literarischen Kommunikation III, München 1991, 15-44, bes. 26. Vgl. in dem von Assmann herausgegebenen Band auch: A. Assmann, Einführung, 9-14; B. Gladigow, Verbürgtes und gewusstes Wissen, 59-72; A. Hahn, Zur Soziologie der Weisheit, 47-57. 7 durchaus eigenen Rationalitätsanspruch dadurch verloren hätte. 7 So mahnt Heraklit, dass die Liebhaber der Weisheit ein großes und detailreiches Wissen haben sollten, aber gleichzeitig ist er auch skeptisch gegenüber den Möglichkeiten der menschlichen Erkenntnis und rückt Weisheit in die Nähe von Vielwisserei und Gaunerei! Ein wenig später bereits spottet ein medizinischer Autor über die φιλοσοφία und ihre - seiner Ansicht nach - viel zu allgemeinen Aussagen, während sie in etwa zu der gleichen Zeit bei Thukydides als Teil der athenischen Selbstwahrnehmung begegnet und bald danach bei Platon ihren großen Auftritt hat. 8 So wie Rationalität nicht zeitlos ist, sondern eine Geschichte hat, 9 die sie von den Vorsokratikern bis zu Hegels Eule der Minerva führt, so gibt es auch eine Geschichte der Weisheit. Die kulturelle Spezifik und die historische Tiefe der Weisheit sind vielfach in den Blick genommen, dabei wurden auch komplexe Entwicklungslinien und Muster nachgezeichnet. 10 Ihr Ursprung in der griechischen Zeit wird allerdings meist einer ‚dunklen’ Herkunft zugeschrieben. 11 Das ist umso erstaunlicher, als Entdeckungs- und Enstehungsdiskurse sich mittlerweile einer auffälligen Beliebtheit erfreuen, wie selbst ein flüchtiger Blick in heutige Bibliotheksverzeichnisse lehrt. 12 Wenn nicht gerade eine transkulturelle Genealogie von der mesopotamischen und ägyptischen Spruchweisheit zur griechischen Weisheit vorausgesetzt wird, 13 dann scheinen Herkunft und Entstehung der griechischen Weisheit kaum von der φιλοσοφία trennbar zu sein. φιλοσοφία ist bei Heraklit nicht abfällig oder negativ gemeint, es ist bei ihm auch keineswegs - wie später bei Platon und Herakleides - ein Gegensatz zur σοφία . 14 Die Bildungen mit φιλο meinen zuerst einmal „eine ganz unproblematische Verbundenheit“, so dass für die Entstehung der Wortprägung φιλοσοφία nicht der Gegensatz zur oder die Bedeutung des Verzichts auf 7 Das wird heute oft übersehen: Th. Langenkamp, Wissenssoziologische Aspekte weisheitlichen Denkens, Bonn 1998, der a.a.O. 11 Weisheit mit Bezug auf Habermas als ‚vergessene Ressource’ oder mit Bezug auf Adorno als ‚vorwissenschaftlichen Impuls’ klassifiziert. 8 Herakl. DK 14 B 35 und B 129; vgl. auch B 40/ 41; De vetere medicina 20; Thuk. 2,40; Plat. Tht. 155d. 9 Daston, Wunder, 10ff. 10 Vgl. Assmann, Weisheit. 11 G. Colli, Die Geburt der Philosophie, Frankfurt a. M. 1981, 14; vgl. J. Althoff, et al. (Hrsg.), Die Worte der Sieben Weisen, (Texte zu Forschung 89), Darmstadt 2006, im Vorwort VII. Eine Ausnahme ist der Beitrag von W. Rösler, Die Sieben Weisen, in: Assmann, Weisheit, 357-65. 12 Von der ‚Entdeckung der Currywurst’ über die Entdeckung des Briefes oder des Elends bis zur ‚Entdeckung der Gesellschaft’ lässt sich eine seit Jahren anschwellende Flut von ‚Entdeckungs’-Titeln und -Themen finden. 13 Assmann, Was ist Weisheit, in: dies. (Hrsg.), Weisheit, hier 21. 14 Zu dem Kontext des Begriffs φιλοσοφία vgl. W. Burkert, Weisheit und Wissenschaft: Studien zu Pythagoras, Philolaos und Platon, (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft 10), Nürnberg 1962, 171ff.; G.S. Kirk, et al., Die vorsokratischen Philosophen. Einführung, Texte und Kommentare, Stuttgart 1994, 241. 8 σοφία am Anfang stand, sondern vielmehr „das gute Verhältnis, den vertrauten Umgang, die gewohnheitsmäßige Beschäftigung mit dem, was σοφία heißt“. 15 Auch die Verwendung des Wortes bei Herodot weist auf diesen Zusammenhang hin: So bezeichnet er Solon 16 als σοφιστής , dessen σοφία von Kroisos bewundert wird und der φιλοσοφέων viele Länder bereist habe, und er meint damit, dass σοφία und φιλοσοφέων zusammengehören, dies eben eine charakteristische Betätigung Solons sei. Im Verlauf des 5. Jahrhunderts muss das Wort jedoch eine andere Färbung bekommen haben: Bei Gorgias 17 sind die φιλοσόφων λόγων ἅμιλλαι die sophistischen Redewettkämpfe und in der hippokratischen Schrift De vetere medicina 18 wird sogar ein Unterschied gemacht zwischen der ἱστορία , die nur durch die τέχνη ἰητρική zur wirklichen Erkenntnis dessen führen könne, was der Mensch ist, aus welchen Gründen er entstehe, und der φιλοσοφία eines Empedokles, die als spekulativ und unseriös betrachtet wird. Sowohl im Begrifflichen als auch in besonderer Weise im Personellen muß aber die Veränderung in der Person des Sokrates einen eindeutigen Ankerpunkt gehabt haben. 19 Bei ihm ist der die φιλοσοφία so deutlich prägende argumentative Austausch deutlich diskursiver, sei es im Dialog, sei es in der Form des Denkens selbst und insofern doch wiederum deutlich von der σοφία zu unterscheiden. 20 Gibt es also keine ‚Geburt’ der griechischen Weisheit oder ist sie vollständig verschüttet? Setzt man an Stelle von Beginn in übertragenem Sinn Geburtsort und Geburtsdatum ein, so könnte die Weisheit durchaus auch eine griechische Biographie gewinnen, wenn es denn möglich wäre, diese Zuschreibungen zu finden. Ein einfacher Weg scheint dabei kaum möglich: So gibt etwa die im Bild von Athenas Eule zum Ausdruck kommende Verbindung wenig her, da sie archäologisch erst recht spät gegen Ende des 6. Jh.v.Chr. auftritt. 21 Der Begriff selbst dagegen zeigt von Homer bis zu He- 15 Burkert, Weisheit, 172. 16 Hdt. 1,30. 17 Gorg. Helenes enkomion, 13. 18 De vetere medicina, 20. 19 So sehr gut in Ciceros Äußerung Tusculanae disputationes 5,10-11 zu erkennen. Assmann a.a.O. nimmt für das 4. Jahrhundert einen ‚zweiten Anfang’ der Weisheit als ‚göttliche’ Weisheit an, d.h. eine religiös geprägte Verengung und Steigerung des Weisheitsbegriffs. 20 P. Stekeler-Weithofer, Philosophiegeschichte, Berlin/ New York 2006, 151ff.; G.E.R. Lloyd, The Revolutions of Wisdom: Studies in the Claims and Practice of Ancient Greek Science, (Sather Classical Lectures 52), Berkeley CA 1987, 56ff. 21 LIMC, Bd. II (1984) s.v. Athena: Nr. 26: ein protokorinthischer Krateriskos, Samos, 1. Viertel 7. Jh.v.Chr., mit einer Eule als Schildzeichen stellt eine große und frühe Ausnahme dar, ansonsten beginnen die Darstellungen von Athena mit Eule um 500 v.Chr. (Nr. 176). 9 rodot durchaus eine Entwicklung, die von der mehr praktischen Geschicklichkeit zur praktischen Klugheit, zur Einsicht und Besonnenheit führt. 22 Andererseits gibt es aber doch für den historischen Kontext, der über eine solche Biographie der griechischen Weisheit Aufschluss geben könnte, mehr Anhaltspunkte aus Figuren und Konstellationen als aus der Geschichte des Begriffs selbst. 23 Die berühmten Sieben Weisen, unter denen Solon von Athen und Thales aus Milet die markanteren sind, lassen sich in klar konturierten, historischen Kontexten verorten. Sie stehen als figürliche Repräsentation für die griechische Weisheit, ihre Sprüche und die sie begleitenden Anekdoten zählen zu einem zeitstabilen antiken Traditionsschatz. 24 Die Antwort auf die Frage, ob sie nun alle oder wenigstens einige von ihnen historische Figuren gewesen sind, muss nicht in die Sackgasse mangelnder Zeugnisse führen, sondern kann vielmehr die Perspektive auf den historischen Kontext eines spezifischen Narrationsmusters eröffnen. Insbesondere einer der Sieben Weisen, der Skythe Anacharsis, ist in besonderer Weise zur Folie antiker Weisheit geworden und anhand dieser Figur lässt sich auch das Narrationsmuster erschließen: Ein Fremder, ein Nomade kommt nach Griechenland und wird Mitglied eines Kreises der illustren Politiker, Ratgeber und Philosophen aus Priene, Korinth, Milet und Athen. Für Herodot ist der skythische Prinz eine ebenso bekannte Größe wie der berühmte Milesier Thales, wie Thales und Solon ist er Teil der griechischen Weisheitstradition. Aber er ist doch auch ein ganz Anderer, der als Nomade die Gegenwelt repräsentiert. Die Nomaden sind keine Barbaren, sondern sie sind grundsätzlich und völlig fremd, außerhalb und jenseits der zivilisierten Welt stehend, der die Barbaren durchaus angehören können, die Nomaden jedoch nie. Dies ist eine Besonderheit des griechischen Weisheitsbegriffes: Im engsten Kreis der griechischen Weisheit wird mit Anacharsis das vollständig Fremde assimiliert. 22 B. Snell, Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der vorplatonischen Philosophie, Hildesheim 1924 (= ND 1992), 1ff; B. Gladigow, Untersuchungen zur Frühgeschichtte von σοφός und σοφία , Tübingen 1962; L. Camerer, Praktische Klugheit bei Herodot, Tübingen 1965, 76ff. 23 Zur Methode vgl. A. Bernabé, Influences orientales dans la littérature grecque: quelques réflexions de méthode, in: Kernos 8 (1995), 9-22; ders., Hittites and Greeks. Mythical Influences and Methodological Considerations, in: R. Rollinger/ Chr. Ulf (Hrsg.), Griechische Archaik. Interne Entwicklungen - externe Impulse, Berlin 2004, 291-307; allgemeiner U. Gotter: Akkulturation als Methodenproblem der historischen Wissenschaften, in: W. Eßbach (Hrsg.): wir/ ihr/ sie. Identität und Alterität in Theorie und Methode, Würzburg 2000, 373-406. 24 Vgl. dazu den aufschlussreichen Aufsatz von W. Schmitz, Griechische und nahöstliche Spruchweisheit. Die Erga kai hemerai Hesiods und nahöstliche Weisheitsliteratur, in: Rollinger/ Ulf (Hrsg.), Griechische Archaik, 311-33, der sehr deutlich macht, dass die zahlreichen Sprüche im Werk Hesiods im Rahmen eines strukturellen und sozialhistorischen Vergleichs mit nahöstlicher Spruchliteratur auf eine eigenständige Entwicklung in Griechenland hinweisen. 10 Später, sehr viel später vermischen sich Weisheit, Nomadentum und Barbarentopik, so dass sich an dieser Figur des weisen Nomaden Anacharsis im Zeitlauf der Antike die verschiedenen Traditionsschichten regelrecht anlagern. Ohne - um hier die biographische Metapher wieder aufzunehmen - die Geschichte der Geburt sind diese Schichten nicht einmal als solche zu erkennen. 25 Vielmehr vermischen sie sich zu einem ahistorischen Konglomerat und der weise Nomade wird zu einer Randfigur, die wenig mehr als skurrile Züge zeigt, wie etwa in der Gastmahlszene bei Plutarch, in der sich der wilde Skythe öffentlich von einem jungen Mädchen die Haare ordnen und frisieren lässt. 26 Lukian legt ihm wie in einem Vexierbild den Spott über den Inbegriff der griechischen Zivilisation, das Gymnasium, in den Mund, indem der Nomade in vorgeblicher Naivität die Sport treibenden Jünglinge mit Schweinen vergleicht, die sich im Schlamm suhlen. 27 Sein erstes Auftreten hingegen in der antiken Literatur bei Herodot rückt ihn in die Mitte einer heftigen Diskussion der Griechen über ihr eigenes Selbstverständnis: Wem gebührt die Ehre der Weisheit - den diskursfreudigen Athenern oder den kurz angebundenen Spartanern? Der Fremde aus dem Land der Skythen, ausgewiesen durch die offenbar ganz andere Weisheit der Skythen, wird als Schiedsrichter präsentiert. Herodot verwendet die Figur des Nomaden hier in einer groß angelegten Allegorie auf griechische und nomadische Weisheit - aber er setzt viel an Kenntnissen seiner Leser voraus und spielt nur knapp auf breite, zu seiner Zeit offenbar wohlbekannte Diskurse an. Von Herodots Werk ausgehend lässt sich die Geburtsgeschichte der griechischen Weisheit schreiben, denn bei ihm sind noch die Älteren zu fassen, wenngleich oft nur sehr indirekt. Im ersten Kapitel (Anacharsis, der Skythe und der Ort der Weisheit) wird der Ort bestimmt, den die Griechen, seitdem sie Kolonien anlegten, den Nomaden im Gebiet der nördlichen Schwarzmeerküste zugewiesen haben. Damals ist ein Bild entstanden, das Wanderungen und Migrationen verschiedenster Art in ein transkulturelles Repräsentationssystem integriert und in dem mythische Figuren wie Odysseus zu Bedeutungsträgern werden, aber auch wandernde Weise, Philosophen und andere Reisende. Das Muster für alle ist dabei Odysseus gewesen, der in seinem Wanderleben die Grenzen der griechischen Identität ausschöpft und überschreitet bis hin in die Unterwelt, zu dem Land der 25 So sehr deutlich an den Monographien zu Anacharsis zu sehen, insbesondere etwa bei C. Ungefehr-Kortus, Anacharsis, der Typus des edlen, weisen Barbaren. Ein Beitrag zum Verständnis griechischer Fremdheitserfahrung, (Europäische Hochschulschriften 15.69), Frankfurt a. M. 1996. Anders bei J.F. Kindstrand, Anacharsis. The Legend and Apophthegmata, (Studia Graeca Upsaliensis 16), Upsala 1981, der die verschiedenen Schichten der Weisheitstradition sehr wohl sieht, jedoch das Element des Nomadischen in der Figur des Anacharsis nicht berücksichtigt. 26 Plut. mor. 148 c-e. 27 Lukian. Anach. 1. 11 Lotusessser und der magischen Insel der Kirke. Die Grundlagen für Konstruktionen von Identität und Alterität werden in der ionischen Ethnographie gelegt und von dort stammt auch die Hierarchisierung der Völker, die den Skythen ihren Platz in der Welt zuweist. Das geläufige Konstruktionsmerkmal ist die Symmetrie der Extreme und die Skythen als das nördlichste Volk Europas sind durch das besonders kalte Klima charakterisiert wie umgekehrt die Libyer das klimatische Extrem des Südens sind. Diese Art von Weltbild mit der Betonung von Räumlichkeit, der sich daraus ergebenden geometrischen Schemata und der Geometrisierung des gesamten physischen Universums stammt aus einer Zeit, in der die soziale, religiöse und politische Ordnung nach räumlichen Organisationsprinzipien konstruiert worden ist. Herodot ist hier schon ein Späterer, er übt sowohl an diesem von der ionischen Geographie entwickelten, symmetrischen Schema scharfe Kritik, wie auch an einer zu seiner Zeit schon verbreiteten Idealisierung der Skythen. Zwar bleibt er in wesentlichen Punkten dem alten ionischen Schema verhaftet, doch entwickelt er für die Verortung der Weisheitstradition ein gegenläufiges Schema, das die Skythen mit den sesshaften Ägyptern in ein Verhältnis setzt und - in dieser Hinsicht - nicht mehr mit den ansonsten vergleichbaren, nomadischen Völkern im Süden Ägyptens. Bei ihm ist eine Genealogie der Weisheit zu erkennen, die den Ägyptern den Rang als das älteste aller Völker zuweist, den Griechen und den Skythen, jeweils aus eigener Sicht gesehen, denjenigen von Schülern. Aber gleichzeitig sind für Herodot die Skythen im Norden auch der Gegensatz zu den in jeder Hinsicht völlig anders lebenden Ägyptern, so dass bei ihm aus den Skythen die anderen Ägypter werden. In diesem Kontext wird nun auch die Figur des Anacharsis mit einer eigenen Bedeutung ausgestattet: Einerseits steht er für Weisheit wie etwa Solon, Thales und Bias, andererseits wird er aber als Skythe in den Kontext des völlig Anderen gerückt, womit er deutlich von den anderen Weisen unterschieden wird. Um der Geschichte der Sieben Weisen oder überhaupt den Figuren näher zu kommen (Kapitel II: Archäologie der Weisheit I - Die Sieben Weisen) ist ein eher archäologisches Vorgehen nötig, das aus den späteren Texten die früheren Schichten herauspräpariert. Weisheit steht im archaischen Griechenland in engem Zusammenhang mit Situation und Wissen, Lebenserfahrung und historischer Interaktion. Weisheit repräsentiert von Homer über die Sprüche des delphischen Orakels bis zu den Weisen selbst eine spezifische Form des Wissens und wird als Sinn-Orientierung begriffen. Sie äußert sich in einer Spruchform, die die Verbindung mit der nahöstlichen Weisheitstradition noch sehr deutlich erkennen lässt. Aber das im griechischen Kontext der archaischen Zeit zu beobachtende Phänomen der Weisheit gehört in den tiefgreifenden Transformationsprozess, in dem in den griechischen Poleis nicht nur das politische Denken entstand, sondern grundlegende Einsichten über menschliches Wissen, dessen Möglichkeiten und Begrenzungen überhaupt. Die Weisen waren Pragmatiker, die als 12 Wieder-ins-Lot-Bringer, als Schiedsrichter und Gesetzgeber, als Ratgeber schwierige Situationen in öffentlich sichtbarer Weise geregelt haben. Im Unterschied zu den nahöstlichen Weisheitskonzepten tritt bei ihnen ein Zug individualistischer Überlegenheit hervor und wenn einige von ihnen schon bei Herodot in der Geschichte ihrer Begegnung mit Kroisos als die Griechen dargestellt werden, dabei auch panionische Elemente zu erkennen sind, dann kommt darin die Vorstellung von überlegener, griechischer Weisheit zum Ausdruck, die sich eine solche Projektionsfläche für die Definition und Abgrenzung der eigenen kulturell-ethnischen Identität gerade gegenüber den Lydern und Persern schaffen will. Die weit verteilt über den gesamten östlichen und westlichen Mittelmeerraum liegenden Herkunfts- und Wirkungsorte der namentlich bekannten Weisen zeigen, dass das Phänomen der in die Öffentlichkeit gerückten Weisheit weder lokal begrenzt war noch sich an eine bestimmte soziale Entwicklung binden lässt. Die wesentliche Rolle, die das Heraustreten an die Öffentlichkeit in dieser Veränderung der Weisheitsvorstellung gespielt hat, kann jedoch kaum ohne den weiteren Kontext des griechischen Polisbildungsprozesses erklärt werden. Die Rolle der griechischen Volksversammlungen und die immer deutlicher zutage tretenden Wurzeln der egalitären Vorstellungen in Griechenland weisen daraufhin, dass es sich um einen Prozess handelt, in dem die Verantwortung für die Ordnung in ein gemeinsames nomologisches Wissen integriert wurde. Aus der allgemeinen Entwicklung der Weisheitsvorstellung in Griechenland tritt daher eine konkrete historische Situation hervor, in der den Weisen - belegbar an dem Fall des Weisen ‚Solon’ - mit ihrer Kunst des abwägenden Ratens und Vermittelns die Aufgabe zukommt, das richtige Verhältnis zwischen den widerstreitenden Parteien der Polis zu bestimmen und dafür ein Maß vorzugeben, das der Maßlosigkeit sowohl der einen wie der anderen Gruppe Grenzen setzt. In dem besonderen Verhältnis, in dem sich erst die Tyrannis und dann ihr gegenüber die Vorstellung von Isonomie entwickeln, lassen sich klare politische Definitionen erkennen: Je nach Standpunkt wurden frühe Gesetzgeber, Schlichter oder Vermittler als gute Herrscher, als Weise oder auch als Tyrannen bezeichnet. Die dabei zugrunde liegenden historischen Umstände verdichten sich aber deutlich gegen Ende des 6. Jahrhunderts zu einer grundsätzlichen Tyrannenkritik, die im Politischen ihr Gegenbild durch die Isonomie erhält. Am Beispiel des instrumentalisierenden Umgangs mit Orakeln und Sprüchen, den offenbar gerade die athenische Tyrannenfamilie der Peisistratiden pflegte, lässt sich auch eine weitere Entwicklungsphase der Weisheit erkennen: Der hohe Stellenwert des Wortes von Weisen gerät zunehmend in Misskredit. Weisheit diskreditiert sich im alltäglichen politischen Konkurrenzkampf und kann damit auch nicht mehr die Legitimation der unabhängigen, dritten Position behalten. Im historischen Kontext am Ende der Tyrannenzeit, wie er sich in den Aktionen der Peisistratiden zeigt, ist diese Form der Weisheit parteiisch geworden und damit in einer Weise politisch verfügbar, die sich sehr deutlich von 13 der Weisheit unterscheidet, die einem Solon von Athen oder einem Pittakos von Korinth so viel an Ansehen verliehen hat, dass daraus eine unhinterfragte Autorität erwuchs. Die Vorstellung von Weisheit muss sich in Griechenland bis zum 4. Jahrhundert dramatisch verändert haben. Nicht nur begegnet man seit dieser Zeit der kanonischen Festlegung auf einen Kreis von Sieben Weisen, sondern demgegenüber nun auch bei den Philosophen, insbesondere Platon und Aristoteles, einer ganz auf das Kontemplative ausgerichteten Vorstellung von Weisheit (dies wird in Kapitel VI behandelt). Auffälligerweise bleiben die Sieben Weisen in der gesamten antiken Tradition, die sich bis weit in die Neuzeit hin verfolgen lässt, ein präsenter Kreis mit vielfältigen, literarischen Anknüpfungspunkten für populäre Sprichwortweisheiten und volkstümlichen Rat, sind aber auch in der rein philosophischen Diskussion präsent wie die Figur des Thales, etwa bei Aristoteles, zeigt. Auch hier sind die Schichten freizulegen (Kapitel III: Die Archäologie der Weisheit II - Der Weisheitswettkampf), doch der Beginn der Vorstellung von einem ‚Kreis der Sieben Weisen’ ist umstritten, heute mehr als in der Antike. Fehling hat die Definition der Sieben schlicht zu einer Erfindung Platons deklariert - wenige sind ihm darin gefolgt. Der Erfindungsthese zu folgen, hieße, einerseits den modernen Skeptizismus zu weit zu treiben, oder andererseits den antiken Autoren sehr viel an naiven Fälschungsmachenschaften zu unterstellen, wenngleich die erheblichen Probleme in der Chronologie des 6. Jahrhunderts nicht unbekannt sind. Dabei geht es nicht nur um den ‚Kreis’ der Sieben Weisen, sondern auch um agonistische Elemente wie den Preis, der je einem unter ihnen, nämlich dem weisesten, verliehen wurde, den Ort, wo man dies ansiedelte und auch um die Fragen, die an sie gerichtet wurden. Für jede Schicht lassen sich verschiedene Kontexte freilegen, aber die wichtigsten scheinen doch diejenigen zu sein, die mit dem Ursprung der Weisheit und mit ihrer Wende zur betrügerischen Scharlatanerie verbunden wurden. Wie man die Ursprünge der Weisheitsvorstellungen in Griechenland einordnet, hängt entscheidend davon ab, wie man ihre Struktur im Wechsel von Frage und Antwort bewertet. Weniger wichtig bzw. nicht wirklich aussagefähig für diesen Kontext ist es, ob man die Vorstellung von einem festen ‚Kreis’ für historisch hält. Denn die Charakteristika der Sprüche in der Kombination mit der agonalen Wettkampfsituation verweisen nicht nur auf ein typisch griechisches Phänomen, sondern auch auf einen panhellenischen Identifikationsfokus. Ob man allerdings so weit gehen kann, die Sieben Weisen zu einem ‚panhellenischen Konstrukt’ zu erklären, durch das sich griechisches Selbstbewusstsein von Nicht-Griechischem abgrenzte, hängt von der zugrunde gelegten Entwicklungskonzeption ab. Die stark pragmatische Seite der griechischen Weisheit ist natürlich unbestritten, aber sie ist nicht das einzige und auch nicht das wichtigste Merkmal. Der Charakter des Rätselhaften, z.T. auch Unverständlichen, der oft damit verbundenen kontradiktorischen Form, in der nicht nur die Aussagen bzw. 14 Antworten der Weisen überliefert sind bzw. berichtet werden, sind ebenso bedeutend. Dahinter ist ein tieferliegender Zusammenhang von Wissen und Wettstreit, Kult und Rätsel zu erkennen, den bereits Huizinga in seiner kulturvergleichenden Studie auf den Ursprung des Wettkampfs im heiligen Fest zurückgeführt hat. Dieser religiöse Ursprung der Weisheit ist in der Überlieferung zu den Sieben Weisen noch in den Versionen zu erkennen, in denen der Weisheitspreis dem Gott Apollo geweiht wird oder die Entscheidung, wem der Preis gebühre, von Anfang an dem Gott überlassen wird. Demgegenüber tritt eine kritische und skeptische Sicht der Weisen deutlich hervor: Die Weisheit von Figuren wie etwa des Abaris, der mit dem Pfeil in der Hand und ohne zu essen um die ganze Welt gewandert sein soll, und des angeblich von den Toten wiederauferstandenen Aristeas wird von Herodot alles andere als unkritisch gesehen. 28 Auch die berühmte Geschichte von Thales, der Kroisos den Übergang über den Halys durch eine Flussumleitung ermöglicht haben soll, glaubt Herodot nicht. 29 Seiner Ansicht nach seien bereits die Brücken da gewesen, so dass dieser Beweis für die große Klugheit des Thales eher als eine nachträgliche Überformung zu seinen Gunsten einzuordnen sei. Herodot bewertet die Weisheit der einzelnen Figuren offenbar sehr unterschiedlich, deckt sie zum Teil ausdrücklich als nur scheinbare Weisheit und regelrechte Scharlatanerie auf. Das Beispiel par excellence ist für ihn die eigentliche Machtergreifung des Peisistratos, der die sich selbst für unübertroffen klug haltenden Athener durch eine dumme Scharlatanerie verführt. Das eigentümliche Spannungsfeld zwischen σοφία und Tyrannis hat einen eindeutigen historischen Kontext; gerade bei Herodot findet sich die kritische Sicht nicht nur des athenischen Selbstverständnisses, auf das Herodot auch an anderer Stelle anspielt, sondern auch die Erfahrung der Diskreditierung, die aus diesem historischen Zusammenhang erwachsen ist. Herodot nun wiederum bindet seine Sicht der Dinge ein in eine komplexe, ganz offensichtlich allegorische Darstellung, die die Skythen und unter ihnen in besonderer Weise Anacharsis mit der Weisheit verbindet (Kapitel IV: Die Botschaft des Skythenkönigs). Herodot verwendet nicht selten Tiermetaphern, um bestimmte Personen und Ereignisse herauszuheben. Dies gehört ebenso wie die ‚wunderbaren Dinge’ zu den Markern, mit denen Herodot seine Leser auf bestimmte Besonderheiten, vor allem der natürlichen und menschlichen Gegebenheiten eines Landes oder einer Geschichte aufmerksam macht. Doch darüber hinaus hat die Markierung der ‚Wunder’ und bewunderungswürdigen Taten (wie Herodot selbst in seinem Proömium betont: ἔργα μεγάλα τε καὶ θωμαστά ) aber noch eine andere, metanarrative Funktion. Er berichtet im Zusammenhang dieses Skythenfeldzuges, wie die Skythen den Persern ausweichen und sie immer 28 Hdt. 4,36 und Hdt. 4,14. 29 Hdt. 1,175. 15 weiter ins Landesinnere locken. Herodot hat bereits zuvor anklingen lassen, dass die Skythen aufgrund ihrer nomadischen Lebensweise nicht zu fassen und damit auch nicht zu besiegen seien. Auf die Forderung des Dareios hin, ihm Erde und Wasser zu überreichen, lässt der Skythenkönig ihm eine Botschaft überbringen, jedoch nicht als Wortbotschaft, sondern in einer nichtsprachlichen Form. Der Herold präsentiert dem Perserkönig einen Vogel, eine Maus, einen Frosch und fünf Pfeile. Auch andere Tiergeschichten werden von Herodot verwendet, um den eigentlich mißlungenen Skythenfeldzug des Dareios einzurahmen, die ebenfalls als ein θῶμα μέγιστον markiert werden: Maultiere, Hasen und Esel. Herodot verwendet insbesondere die Zusammenstellung von Maultieren und Hasen an zwei herausgehobenen Punkten seines Werkes: Im Rahmen der Skythenexpedition, 30 die das Scheitern des großangelegten Eroberungsplanes des Dareios markiert und im Kontext der Hellespontüberschreitung des Xerxes. Diese Tiergeschichten sind zweifellos allegorisch gemeint, werden von Herodot auch ganz eindeutig in den Kontext von Weisheit gerückt und bringen eine Ambivalenz zum Ausdruck: Maultiere, bei den Skythen nicht vorhanden, nicht einmal bekannt, stehen hier für den kulturellen Unterschied, die bei den Persern wie den Griechen vorhandene Fähigkeit, über Manipulationen oder Veränderungen der Natur Vorteile zu erreichen. Hasen dagegen, bei den Skythen bekannt und beliebt, stehen für die Natur, die in ihrer Fruchtbarkeit das stete Wachstum symbolisiert. Die Skythen passen sich ihrer Umgebung an und leben so, dass sie im Einklang mit ihrer Natur die höchstmögliche Sicherheit und Freiheit erreichen. Auch ihre Beziehung zu den Göttern beruht auf der darin liegenden Konstanz, denn jede Veränderung dieses in der Anpassung an die Umgebung zum Ausdruck kommenden Gleichgewichts würde eine Gefahr bedeuten. Die Griechen und Perser hingegen verändern die Natur mit List und Können, so dass sie durchaus auch in ihrer Beziehung zu den Göttern Neues schaffen können. Die darin liegende Dynamik ist jedoch gefährlich und führt oft zum Scheitern. Maultiere und Hasen repräsentieren hier Weisheit in zwei wesentlich voneinander verschiedenen Formen, um damit die Eingebundenheit des Menschen in die ambivalente Beziehung zwischen Göttern und Menschen zu beschreiben. Herodots Werk kommt eine große Bedeutung für die Erforschung der griechischen Weisheit zu, da er eine Plausibilisierungsstrategie verwendet, die noch ganz archaisch geprägtem Ausgleichsdenken verpflichtet ist (Kap. V: Skythische Seher: Ambiguität der Weisheit). Daher steht er den Figuren der Weisen näher als es zu vermuten wäre, aber er kennt auch die Diskussionen seiner Zeit um die Fragen von Wahrheit und Erkenntnis. In diesen Diskurs fügt sich Herodots Darstellungsweise in seinem Skythenlogos ein: Die Irreführung durch die sichtbaren Dinge, die Scheinbarkeit der gegebenen Objektivität des Faktischen stellt er dem Leser nicht explizit, aber deutlich 30 Hdt. 4,129 und Hdt. 4,134. 16 in den formalen und inhaltlichen Mustern dar, die er verwendet. Diese gedankliche Struktur ist im 5. Jahrhundert weit verbreitet gewesen, wenngleich in äußerst kontroverser Form. Speziell die Gegensatzlehre, die Philosophie und Medizin des 5. Jahrhunderts so überdeutlich prägt, ist ein Modell, in dem sich alle kontroversen Vorstellungen von Bewegung und Veränderung, von Werden und Vergehen niedergeschlagen haben. Ein Vergleich zwischen Herodot und der zeitnahen, medizinischen Schrift ‚Über die Umwelt’ (De aeribus) zeigt, dass die epistemische Ordnung, auf die sich die beiden berühmtesten Skythendarstellungen beziehen, auf eine prekär gewordene Vorstellung von Rationalität verweist. Offenbar ist gerade die Figur des Nomaden besonders geeignet, sowohl die Fragwürdigkeit als auch die Sicherheit solcher epistemischer Strukturen zu beschreiben. So wie der Autor von De aeribus seine Ordnung durch Abgrenzung und Ausschluss herstellt, so werden bei Herodot über Paradoxien, Rätsel und Wahrsager die Positionen der nomadischen Skythen als Teil der eigenen Wissenswelt integriert. Auch die Sinnstiftung, die die beiden Autoren beabsichtigen, zeigt diesen Unterschied: Sie verweisen auf so unterschiedliche Erfahrungsräume - des Arztes und des Historikers -, dass der Bezug auf das Gegenbild des Nomaden eine tiefere Begründung erfordert, als lediglich den Bezug auf die polare Struktur einer topischen Dichotomie von Sesshaften und Nomaden. Dass ausgerechnet die Figur des Nomaden in dem hier unzweifelhaft vorliegenden Diskurs über Rationalität zu einem zentralen Repräsentationsobjekt wird, verweist darauf, dass der Figur ein weit höheres Wirkungspotential zukommt als bisher angenommen. Der in den sog. Komplementärfiguren wie etwa derjenigen vom edlen/ bösen Wilden, z.T. sogar als Komplementärmythen bezeichnet, liegenden asymmetrische Struktur wird ein universaler Anspruch zugebilligt. Dass es sich bei den Gegenbegriffen von Sesshaften/ Nomaden um eine vergleichbare Sprachfigur handelt, ist unstrittig - ob und wie darin auch ein wirkmächtiger Anspruch mit Identitäts- und Argumentationspotential zum Ausdruck kommt, muss sich nicht nur an einzelnen Fallstudien erweisen, sondern auch und vor allem an ihrer geschichtlichen Wirksamkeit. Am Beispiel des Anacharsis führt Herodot (4,76-77) in die Diskussion des 5. Jahrhunderts zu Weisheit und Muße, aber auch ihren politischen Verbindungen zu Athen und Sparta ein (Kap. VI: Anacharsis und die griechische Weisheit). Er lässt Anacharsis seine Sichtweise der griechischen Weisheitsformen vortragen, so dass ihm die Rolle zukommt, die Phänomene griechischer Intellektualität zu beurteilen. Aus dem Vergleich der späteren platonischen Diskussionen und den knappen Anspielungen bei Herodot lassen sich drei verschiedene Traditionen der σοφία herauslesen. Die von den Athenern im Kontext ihrer eigenen Entwicklung im 5. Jahrhundert geprägte Polypragmosyne ist auf die politische Praxis ihrer eigenen Polis ausgerichtet: Sie selbst sehen dies durchaus als Weisheit im Sinne politischer Klugheit an ( φιλοσοφοῦμεν ), ihre Gegner jedoch betrachten dies als rastlose Geschäftigkeit ( ἀσχολία , δεινότης ) ohne Bezug zu σοφία . Demgegenüber 17 steht eine Konzeption der Weisheit, die diese im Sinne einer Lebensklugheit versteht, die auf der Grundlage ethischer Maßstäbe zu einer bestimmten Lebensform führt. Ausdruck findet diese Lebensform in den Logoi und Gnomen der Weisen wie sie bei Herodot am Beispiel des Solon, Thales, Bias und auch Anacharsis beschrieben werden. Diese Weisheit gilt als praktische Lebensklugheit, deren Potential sich vor allem in der Funktion des Ratgebers und Schiedsrichters äußert und darin durchaus auch Elemente des theoretischen Erkennens von grundsätzlichen Ordnungsprinzipien einschließt. Insbesondere die Fragen nach den Ursachen der Weltentstehung (Thales) und nach den politischen Strukturen (Solon) belegen dies. Ihr ironisch gewendetes Gegenstück findet sich bei Platon in der o.g. spartanischen „Weisheit“, die nur heimlich praktiziert werden kann und als deren ‚Liebhaber’ und ‚Schüler’ wiederum die bekannten Figuren aus der Reihe wie Thales, Pittakos, Bias, Solon etc. angeführt werden. Die Position des Schiedsrichters, die Herodot hierbei Anacharis zuweist, ist die typische Rolle des Weisen, dem Probleme zur Bewertung, Schwierigkeiten oder auch Rätsel zur Lösung und Zwistigkeiten zur Schlichtung vorgelegt werden. Was aber Anacharsis heraushebt, ist seine skythische Herkunft und sein Nomadentum (Kap. VII: Anacharsis und die Weisheit der Nomaden). So wie Herodot die skythischen Nomaden für unbesiegbar hält, so hebt sie auch Thukydides hervor. Wie Herodot führt er die außerordentliche militärische Stärke der Skythen auf bestimmte spezifische Eigenschaften zurück, wenngleich er diese aber nicht ausdrücklich an ihre nomadische Lebensweise knüpft. Er schreibt ihnen jedoch ein Höchstmaß an Klugheit und Einsichtsfähigkeit zu, so dass sie besser als andere befähigt seien, sich in jeder Lage zu behaupten. Die σύνεσις und εὐβουλία der Skythen können durchaus als Verweis auf die Weisheitszuschreibung verstanden werden. Während Thukydides die Skythen nur äußerst knapp beschreibt, bindet Herodot sie in eine komplizierte Konstruktion von Identität und Alterität ein. Er bewundert die Lebensweise der Skythen, aber so wie er diese Bewunderung nur aus der Negation heraus beschreibt, grenzt er sich gleichzeitig ab von anderen, die offenbar mehr an den Skythen bewundern als er selbst und weniger kritisch im Hinblick auf deren Lebensweise sind. Das kann nur bedeuten, dass Herodot lediglich diesen einen Punkt bewundert, der dazu führt, dass die Skythen unbesiegbar sind, alles andere der Lebensweise jedoch nicht. So fügt sich die einige Abschnitte später präsentierte extreme Abgrenzung der Skythen gegen Sitten und Gebräuche anderer bruchlos an. Genauso wie die besondere Weisheit in der Lebensführung der Skythen an die Figur des Anacharsis anknüpft, ist sein Schicksal das Paradigma für die Abgrenzung. Aber die Charakterisierung des Anacharsis als Weiser, wenngleich noch nicht explizit als Mitglied eines festumrissenen Kreises der Sieben Weisen, jedoch schon mit den Merkmalen der überregionalen Bekanntheit ausgestattet, vor allem der besonderen, in der Öffentlichkeit verschiedenster 18 Völker anerkannten und im Zentrum der Weisheit, dem Orakel von Delphi, auch präsentierten Rätselsprache, zeigt, dass Herodot die Figur bewusst aus ihrem Kontext des Nomadenvolkes herauslöst. Es geht dabei nicht um die Projektion eigener Merkmale oder Ideale in einen Fremden, sondern um die ‚metaphorische Umarmung‘ des Fremden, der auf diese Weise in die eigene Kultur integriert werden kann. 31 Hier zeigt sich, dass die Konstruktion der Dichotomien von Fremden und Anderen nicht so geradlinig und vor allem nicht so eindeutig polar verläuft, wie die sprachliche Konstruktion es in ihrer Antithetik vermittelt. Wie durch das Konzept der Verwandtschaft über mythische Heroen wie Herakles oder Perseus als Stammväter die Grenzen zwischen Hellenen und Barbaren parallel zu der Ausgestaltung der eigentlichen Antithese wieder verwischt werden konnten, so wird durch die Aufnahme des Nomaden in die Reihe der Weisen die eigene, kulturelle Identität ausgeweitet. Hier zeigt sich ein strukturelles Element dieser Dichotomie, die vergleichbar ist mit dem Grenzgängertum der Heroen, über die trotz aller ethnozentristischen Vorstellungen das Fremde auch in den eigenen Kulturbereich eingeschlossen werden konnte. Auch Aristoteles verwendet den von Herodot schon benutzten Zusammenhang zwischen Lebensweise, politischer und militärischer Kompetenz: Im 6. Buch der Politik, in dem er Freiheit und Gerechtigkeit als Grundlagen der demokratischen Verfassung definiert, beschreibt er die bäuerliche Gesellschaft, die von Landwirtschaft und Viehzucht lebt, als die am besten für die Demokratie geeignete. Die nächstbeste sei aber die nomadische Gesellschaft (Aristot. Pol. 1319 a 21-26)! In der Verbindung von Freiheit und Demokratie wie sie sich bei Aristoteles in einer zu seiner Zeit schon lange verfestigten Form findet, handelt es sich um eine Argumentationsfigur, die in der politischen Diskussion Athens in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts entwickelt wurde. Diese in der Historiographie, der Tragödie und der politischen Literatur erkennbare Entwicklung ist auf die demokratischen Prozeduren und Entscheidungsprozesse ausgerichtet, während in der Ethnographie und medizinischen Theorie, wie das Beispiel der Schrift De aeribus deutlich zeigt, das Streben nach Freiheit aus der Wechselwirkung zwischen den naturräumlichen-klimatologischen und den mentalen Gegebenheiten erklärt wird. Aus dem exklusiven Anspruch der Demokratie auf die ἐλευθερία -Konzeption ebenso wie der dominanten Stellung Athens in der verfassungspolitisch ausgerichteten Demokratiedebatte ist dann erst später bei Aristoteles ein 31 Diese wunderbare Formel stammt von St. Greenblatt, der sie in seinem Buch über die Erfindung des Fremden (‚Wunderbare Besitztümer. Die Erfindung des Fremden: Reisende und Entdecker, Frankfurt a. M. 1990’) am Beispiel der „ersten europäischen Reaktionen auf die Neue Welt“ (a.a.O. 25) und den dabei verwendeten ‚symbolischen Technologien’ beschrieben hat. Vgl. zu Greenblatt die Analyse von L. Ellrich, Die Fremdheit des Vergangenen. Interdisziplinäre Szenarien - Stephen Greenblatt im Kontext, in: ders., Verschriebene Fremdheit. Die Ethnographie kultureller Brüche bei Clifford Geertz und Stephen Greenblatt, Frankfurt a. M. 1999, 307-68. 19 Zusammenhang konstruiert worden, der es auch ermöglichte, eine nomadische Gesellschaft als für die Demokratie prädestiniert zu bezeichnen. Der Ansatzpunkt, der Aristoteles die Eingruppierung der Nomaden in seine Lebensformtypologie ermöglichte, die die Grundlage des politischen Systems der Demokratie darstellt, ist die militärische Unbesiegbarkeit, die wiederum auf der extremen Mobilität - ohne Häuser, ohne Äcker, also ohne alle Attribute der üblichen, zivilisierten, sesshaften Gesellschaft - ruht. Dieses Bild von den Nomaden entsprach wohl selten der Wirklichkeit, die, wie die materiellen Hinterlassenschaften zeigen, oft mehr auf Diffusion, Kontakt und Symbiose hindeuten. Doch hat dies zu keiner Zeit einen Autor in seiner Freude am Konstruieren dieser Gegenbilder gehindert. Für die Geschichte der griechischen Weisheit liegt in dieser Verbindung mit dem Nomadenbild eine Besonderheit, die Ursprung und Entwicklung geformt haben. 20 I Anacharsis, der Skythe und der Ort der Weisheit 1. Ein Nomade mit langer Geschichte Von Herodot bis zu Joseph Beuys reicht die 2500jährige Überlieferungsgeschichte des Skythen Anacharsis, der eine derjenigen antiken Figuren ist, die in fast allen Epochen der europäischen Kultur begegnen. Er wird in der neueren Diskussion um die ,Erfindung des Fremden‘, 32 die verschiedenen Identitäts- und Alteritätskonstruktionen 33 in die Reihe der ‚edlen Wilden‘ aufgenommen, die seit der Entdeckung Amerikas die Ethnographie, die Anthropologie und die Literaturwissenschaft beschäftigen. 34 So ist Anacharsis vor allem eine Figur der rein literarischen Überlieferung, die eine von der Antike bis heute fast ununterbrochene Kontinuität aufweist. Ganz 32 St. Greenblatt, Wunderbare Besitztümer. Die Erfindung des Fremden: Reisende und Entdecker, Frankfurt a. M. 1990 zu der Betrachtung von Text und historischem Kontext als einem einheitlichen Text, vgl. dazu auch Ellrich, Fremdheit, 337ff; zu dem methodischen Hintergrund: Ch. Schubert, Zum problematischen Verhältnis von res fictae und res factae im antiken Nomadendiskurs, in: A. Weiß (Hrsg.), Der imaginierte Nomade. Formel und Realitätsbezug bei antiken, mittelalterlichen und arabischen Autoren (Nomaden und Sesshafte 8), Wiesbaden 2008, 17-41, bes. 17ff. 33 Vgl. hierzu die zahlreichen und grundlegenden Beiträge in der Publikationsreihe „Identität und Alterität“ des SFB 541, bes. M. Fludernik/ H.-J. Gehrke (Hrsg.), Grenzgänger zwischen Kulturen, (Identitäten und Alteritäten 1), Würzburg 1999; M. Fludernik/ H.-J. Gehrke (Hrsg.), Normen, Ausgrenzung, Hybridisierung und ,Acts of Identity’, (Identitäten und Alteritäten 18), Würzburg 2004; M. Fludernik, et al. (Hrsg.), Der Alteritätsdiskurs des Edlen Wilden: Exotismus, Anthropologie und Zivilisationskritik am Beispiel eines europäischen Topos, (Identitäten und Alteritäten 10), Würzburg 2002. 34 A.M. Khazanov, Nomads and the Outside World, transl. by J. Crookenden, Madison WI 1994, 1: „edler Skythe“; I. Toral-Niehoff, Der Edle Beduine, in: M. Fludernik, et al. (Hrsg.), Alteritätsdiskurs, 281-95, hier 293. Sie weist darauf hin, dass die Abgrenzung der Denkfiguren des Edlen Wilden, Edlen Beduinen, des Edlen Barbaren und auch des Edlen Nomaden noch ausstehe. St. Kaufmann/ P. Haslinger, Einleitung: Der Edle Wilde - Wendungen eines Topos, in: M. Fludernik, et al. (Hrsg.), Alteritätsdiskurs, 13-32, 23f. betonen, dass der ‚Edle Wilde’ eine spezifische Figur der europäischen Neuzeit sei, die als Projektionsfläche mit den unterschiedlichen Funktionalisierungen für Zivilisationskritik, romantisierende Reminiszenz, Utopie, Herrschaftskritik, Introspektion und auch Werteaffirmation gedient habe und diene. Vgl. T. Todorov, Die Entdeckung Amerikas. Das Problem des Anderen, Frankfurt a. M. 2006; H. Fink-Eitel, Die Philosophie und die Wilden. Über die Bedeutung des Fremden für die europäische Geistesgeschichte, Hamburg 1994; A. Dihle, Die Griechen und die Fremden, München 1994. W. Nippel, Griechen, Babaren und „Wilde“, Frankfurt a. M. 1990, 30ff. hat v.a. darauf hingewiesen, dass in den sich mit der Entdeckung Amerikas herausbildenden Narrationsmustern die antiken Interpretationsfiguren deutlich zu erkennen seien. 21 anders verhält es sich im Unterschied dazu bei Zalmoxis, eine der anderen antiken Figuren des ‚Fremden‘, dessen Spuren als Gott, Sklave oder Mensch in mythisch-rituellen Handlungen und Legenden bis in heutige rumänische Volkstraditionen des 20. Jahrhunderts zu verfolgen sind. 35 Zum ersten Mal überhaupt in der antiken Tradition wird der skythische Nomadenprinz Anacharsis bei Herodot erwähnt. 36 Er kommt als der Fremde nach Griechenland, um zu lernen, aber auch - da er selbst ein Weiser ist -, um anderen ein Lehrer zu sein. Die nomadische Lebensform der Skythen ist für Herodot das herausragende Charakteristikum, das die Skythen unbesiegbar macht und so können sie, wie später nur die Athener, den eigentlich fast übermächtigen Persern widerstehen. Im 4. Jh.v.Chr. wird Anacharsis zum Kreis der Sieben Weisen gezählt, wobei er als skythischer Nomade einerseits deutlich von den anderen Weisen abgegrenzt erscheint, die wie Solon, Thales, Bias, Periander etc. Politiker, Gesetzgeber und Philosophen sind. Andererseits wird er als Kulturbringer beschrieben, dem die Griechen zivilisatorische Errungenschaften wie den Blasebalg, die Töpferscheibe und den doppelten Anker verdanken. 37 Dieses Bild wird im Hellenismus und in der kaiserzeitlichen Literatur umkodiert und Anacharsis ist nun der Vertreter einer einfachen, naturverbundenen Lebensweise, die Elemente aus der Nomadencharakteristik wie Mobilität, Besitzlosigkeit, Ernährung von Milch und Käse etc. zu einem vorbildlichen Ideal zusammenfügt. 38 Aber auch eine Form der doppelten Umkodierung findet sich: Ein Anacharsis, der zentrale Elemente der griechischen Kultur aus dem Blickwinkel des Fremden ins Lächerliche zieht und die griechischen Ideale einer kompletten Destruktion unterzieht. 39 Als Mitglied des Kreises der Sieben Weisen kennt die spätantike und mittelalterliche Überlieferung diesen Nomaden, wenngleich ohne erkennbare, weitere Ausgestaltung. 40 Mit der Entdeckung Amerikas setzen die Beschäftigung mit und die Faszination durch ‚den Fremden‘ erneut ein, 41 35 Hdt. 4,94ff.; ausf. dazu M. Eliade, Von Zalmoxis zu Dschingis Khan. Religion und Volkskultur in Südosteuropa, Köln 1982. Vgl. J. Acomb Leake, The Geats of Beowulf. A Study in the Geographical Mythology of the Middle Ages, Madison WI 1967. Vgl. hierzu in ausführlicher Fassung Ch. Schubert, Der Fremde ist ein Nomade: Der Skythe Anacharsis, in: A. Weiß (Hrsg.), Der imaginierte Nomade, 157-84, 158ff. 36 Hdt. 4,46 und 4,76. 37 Plat. rep. 600 a; Aristot. an. post. 78 b; Aristot. eth. Nic. 1176 a 30ff. und b 31ff.; Ephoros (bei Strabon 7,3,9 [302] ). 38 Insb. bei Plut. Sept. sap. conv. 1ff. (= mor. 146 a 1ff.); aus der Briefsammlung des Anacharsis: ep. 9 (= F.H. Reuters, Die Briefe des Anacharsis, Berlin 1963); vgl. Diog. Laert. Vit. phil. 1,101-105 mit dem Bios des Anacharsis. 39 Lukian. Anach. 18 und 39. 40 So z.B. in dem Cod. Pal. germ. 149: Historia septem sapientum („Sieben Weise Meister“), von Martinus Oppaviensis, um 1450. 41 Erwähnungen finden sich bei Erasmus, Giovanni Pico della Mirandola, M. de Montaigne: Vgl. z.B. auch O. Rudbeck Atlantica sive Manheim (Uppsala 1696), der Hyperboreer und Skythen in Skandinavien lokalisiert, um seine Vorstellung von der 22 und in dem seither immer wieder verwendeten Komplementärmythos vom ‚edlen‘ und vom ‚bösen‘ Wilden werden vielfältige Narrationsmuster für die Beschreibung von Identität und Alterität entwickelt. 42 In dem berühmten, 1788 erschienenen Roman von Barthélemy, Voyage du jeune Anacharsis en Grèce, dans le milieu du IV e siècle avant l’ère vulgaire wird Anacharsis wiederbelebt und erhält mit dem ‚jüngeren Anacharsis‘ einen Enkel. Im Gefolge der von der Querelle des Anciens et des Modernes und Winckelmann ausgelösten Griechenlandbegeisterung, aber auch der moralisierenden Schriften Rousseaus löst der Roman einen beispiellosen Erfolg aus. Während der Französischen Revolution nimmt man Anacharsis für eine ganz andere Konfiguration in Anspruch: Der deutsche Baron J.-B. Cloots nennt sich, insbesondere während seiner Mitgliedschaft im Nationalkonvent (seit 1792) ‚Anacharsis Cloots‘, 43 und er bezieht sich mit seinem universalistischen und antireligiösen Freiheitsideal ausdrücklich auf den als Fremden nach Griechenland kommenden Anacharsis. Diese Kontextualisierung des Skythen Anacharsis hat im 19. Jahrhundert ein vielfältiges literarisches Echo in zahlreichen Neuauflagen und Übersetzungen des Romans von Barthélemy gefunden. 44 Joseph Beuys knüpft dann im 20. Jahrhundert an den Nomaden Anacharsis an, den er in der Annahme des Namens Josephanacharsis Clootsbeuys zu seinem Alter Ego erklärt und dem er - in Anknüpfung an die Freiheitsideale von Cloots - in verschiedenen Werken seine Reverenz erweist. 45 dort liegenden Wiege der Kultur zu begründen. Auch in die enzyklopädische Literatur finden die Skythen als edle, naturnahe Wilde ihren Eingang, ebenso wie Anacharsis als Gesetzgeber. 42 Fludernik, et al. (Hrsg.), Alteritätsdiskurs, mit Beispielen aus dem 17. bis 19. Jh., der modernen Psychoanalyse, der Antike, aus Lateinamerika und China. 43 In seiner Schrift L’Orateur du genre humain, ou Dépêche du Prussien Cloots au Prussien Hertzeberg (1791): „Et pour remplacer les saints du calendrier, je trouve, parmi les philosophes de la Grèce, un étranger qui a bien mérité d’un peuple libre, et qui fut témoin d’une grande révolution: j’adopte son nom et je m’appelerai dorénavant Anacharsis Cloots.“ Vgl. dazu Kindstrand, Anacharsis, 83ff. 44 Die Erstausgabe der Voyage erschien in Paris 1788 (4 Bde. mit Atlas) und wurde im folgenden Jahrzehnt sowie im 19. Jh. sehr oft nachgedruckt, zuletzt 1881 (3 Bde.); deutsch erstmals von Biester, Berlin 1792-93 (7 Bde.), sowie von Fischer und Th. v. Haupt, 2. Ausg., Mainz 1836 (7 Bde.). 45 Joseph Beuys hat sich ausdrücklich auf Baron von Cloots bezogen. Wenn Beuys von Cloots sprach, verwendete er immer die abgewandelte Namensform Anacharsis Cloots, etwa auch in einer Aktion am 30. Oktober 1972 in Rom (vgl. U.M. Schneede, Joseph Beuys. Die Aktionen. Kommentiertes Verzeichnis mit fotografischen Dokumentationen, Ostfildern-Ruit bei Stuttgart 1994, 383). Weitere Hinweise bei M. Angerbauer-Rau, Beuys Kompass. Ein Lexikon zu den Gesprächen von Joseph Beuys, Köln 1998, wo unter den Nummern 118, 213, 242, 286 die Bezugnahmen von Beuys auf Anacharsis Cloots aufgeführt sind. Zu der Verarbeitung des Flugzeugabsturzes von Beuys auf der Krim während des Zweiten Weltkriegs und der Rettung durch Krimtataren vgl. S. Bocola, Die Kunst der Moderne. Zur Struktur und Dynamik ihrer Entwicklung: von Goya bis Beuys, München 1994, 503-40, bes. 19ff. mit einem Exkurs zum „Wesen des Schamanismus“, der sich v.a. auf die Untersuchungen von Eliade 23 Bisher ist Anacharsis als Prototyp eines Barbaren interpretiert worden und wird daher im Kontext des antiken Barbaren-Diskurses gesehen. 46 Unter dem Einfluss der modernen Ethnographie wird aber andererseits auch hier die Figur des ‚edlen Wilden‘ zur Erklärung verwendet. 47 Die Beschäftigung mit den diskurs- und kontextanalytischen Zugängen hat sehr deutlich gezeigt, dass Identität und Alterität relationale Größen sind, die sowohl der Abgrenzung als auch der Verschränkung dienen können. Grenzüberschreitungen und Übergänge in den Bezugnahmen auf ‚Nicht- Zugehöriges‘ der Traditionen vom Selbst und vom Fremden zeigen sich in Formen von Koexistenz, Konvivenz, Nebeneinander und Pluralität und sind mindestens ebenso prägend wie die Formen der binären und exkludierenden Ausgrenzung. Obwohl die Antithese vom Gegensatz von Hellenen und Barbaren eng geknüpft ist an die ethnische Selbstdefinition der Griechen 48 und auch in dem strukturellen Grundzug des Denkens in Polaritäten zu erkennen ist, so ist sie doch nur eine Spielart unter vielen. 49 Ge- und Lévy-Strauss stützt. Bocola vertritt die These, dass Beuys seine Kriegserfahrungen und seine in den 50er Jahren erlebte Krankheit unter dem Eindruck der Lektüre von Eliade in eine schamanistische Selbstrepräsentation umgedeutet hat. Die von Beuys zelebrierte Ikonographie des Schamanen hat er offensichtlich in Anknüpfung an seine Heimatstadt Kleve mit Anacharsis verbunden. Schloss Gnadenthal in Kleve war der Sitz von Jean-Baptiste Cloots und Beuys hatte öffentlich erklärt, dass in seiner Person die Linie von Anacharsis Cloots fortgeführt werde. Im Hinblick auf die politischen Aktivitäten von Beuys (dazu Bocola, Kunst der Moderne, 512f.) ist der für ihn wohl entscheidende Anknüpfungspunkt für den Bezug auf Cloots die in dem Nomaden repräsentierte Verbindung von Freiheit und Schamanismus. 46 Zuletzt Ungefehr-Kortus, Anacharsis, 1ff. Vgl. Kindstrand, Anacharsis, 17ff.; P. von der Mühll, Das Alter der Anacharsislegende, in: B. Wyss (Hrsg.), Ausgewählte kleine Schriften von Peter von der Mühll, Basel 1975, 473-81 (= Festgabe Hugo Blümner, Zürich 1914, 425-33), 480: „Vertreter einer einfachen, barbarischen Lebensweise“; von Khazanov, Nomads, 2ff., ist darauf hingewiesen worden, dass es hier um den „edlen Skythen“ geht, den Mythos vom „edlen Nomaden“, der eine enge Verwandtschaft zu dem Mythos vom „edlen Barbaren“ habe. 47 Von der Mühll, Anacharsislegende, 473. Er bezieht die Anacharsis-Figur auf den Kontext „barbarischer Völker“. In diesem Zusammenhang diskutiert er auch die Literatur, von deren Position er sich distanziert, die eine ältere - eher distanzierte - und eine jüngere - idealisierende - Variante unterscheidet. 48 P. Cartledge, Die Griechen und wir, Stuttgart 1998, 36; H.-J. Gehrke, Identität in der Alterität: Heroen als Grenzgänger zwischen Hellenen und Babaren, in: M. Fludernik/ H.-J. Gehrke (Hrsg.), Normen, 117-34, hier 118. R. Bichler, Der Barbarenbegriff des Herodot und die Instrumentalisierung der Barbaren-Topik in politischideologischer Absicht, in: I. Weiler (Hrsg.), Soziale Randgruppen und Außenseiter im Altertum, Graz 1988, 117-28 hat den griechischen Barbarenbegriff in seiner Struktur beschrieben. Dabei hat er vor allem auf die dem Barbarenbegriff inhärente Ambivalenz hingewiesen, die eine vielfältige Instrumentalisierung ermöglichte. 49 G.E.R. Lloyd, Polarity and Analogy. Two Types of Argumentation in Early Greek Thought, Cambridge 1966. Vgl. auch Cartledge, Griechen, 39ff., der die Barbaren als „die Anderen“ identifiziert, jedoch keinen Unterschied zwischen Barbaren und Nomaden macht. Anders Gehrke, Identität, in: Fludernik/ Gehrke (Hrsg.), Normen, 117ff, der die dichotome Struktur von einem grundsätzlichen Standpunkt her be- 24 rade in der griechischen Historiographie sind die reflektierte Auseinandersetzung mit dieser Dichotomie und damit auch unterschiedliche Positionen zu erwarten. 50 Selbst in der Abgrenzung zwischen Griechen und Barbaren zeigen sich immer wieder Konstellationen der Nähe und des Grenzgängertums von Figuren, die als wandernde Heroen wie etwa Herakles oder Telephos gemeinsame Deszendenzen von Griechen und Barbaren begründen. 51 In der Historiographie Herodots werden diese beweglichen Heroen zur Begründung von Ethnizität und zur Strukturierung des Vergangenheitsraumes genutzt. 52 Die deutlich erkennbare Entwicklung, die die Anacharsis-Figur in der antiken Überlieferung durchläuft, ist eine Form, die diese ständige und variantenreiche Auseinandersetzung annimmt. Allerdings fällt auf, dass die Bezeichnung ‚Barbar‘ in Verbindung mit Anacharsis erst in den späteren Quellen, die hellenistisch oder sogar erst kaiserzeitlich sind, auftritt. 53 So wird er in den Anfängen bei Herodot keineswegs als Barbar bezeichnet oder dargestellt, sondern als Skythe mit den für Nomaden typischen Charakteristika. In der Ethnographie zumindest des 5. Jahrhunderts v.Chr. werden die Skythen zu den europäischen Völkern gerechnet, woraus sich ein flexibleres Interpretationsmuster ergibt als es der üblichen Gegenüberstellung von Asien und Europa entspricht. 54 Die Verwendung des Barbarenbegriffs im Zusammenhang mit Anacharsis findet sich erst in der hellenistischen Überlieferung, in den pseudepigraphi- trachtet. In der Figur des Grenzgängers (Gehrke, Identität, in: Fludernik/ Gehrke (Hrsg.), Normen, 123ff. und 30) identifiziert Gehrke ein die dichotome Figur überwindendes Interpretationsmuster, das in der ethnischen Selbstdefinition der antiken Historiographie ein inkludierendes Element erkennen lässt und die z.B. von Cartledge, Griechen, 39 so stark gezeichnete Antithetik in der Entwicklung auch des Barbarenbildes relativiert. 50 Zu der Toleranz Herodots in Bezug auf die Barbarenbräuche, die z.B. von Plut. mor. 857 a, der Herodot auch als philobarbaros bezeichnet hat, heftig kritisiert worden ist: Cartledge, Griechen, 59. Im Unterschied auch etwa zu Xenophon und seiner Kyroupädie, hat Herodot nach Cartledge, Griechen, 49 bewusst versucht, die symbolische oder kulturelle Bedeutung der „‚Polarität Griechen vs. Barbaren‘ irgendwie zu schmälern“. 51 Gehrke, Identität, in: Fludernik/ Gehrke (Hrsg.), Normen, 129f. mit Bezug auf T. Scheer, Mythische Vorväter. Zur Bedeutung griechischer Heroenmythen im Selbstverständnis kleinasiatischer Städte, München 1993, 110ff. 52 Zu Herodot: R. Bichler, Herodots Welt. Der Aufbau der Historie am Bild der fremden Länder und Völker, ihrer Zivilisation und ihrer Geschichte, (Antike in der Moderne), 2., unveränd. Auflage, Berlin 2001, 101ff., 36ff., 226ff., 404ff.; Gehrke, Identität, in: Fludernik/ Gehrke (Hrsg.), Normen, 123ff., 28, 30. 53 In den Anacharsis-Briefen, v.a. ep. 2; sonst erst bei Ephorus (möglicherweise in Überformung durch Strabon) und Lukian. Anach. 17,25; Lukian. Scyth. 3,2 und 9,7 sowie häufiger bei Fronto, Ad Marcum Caesarem et invicem. Bei Plat. rep. 600 c und Arist. eth. Nic. 1176 b 27ff. wird Anacharis als Skythe, aber nie als Barbar bezeichnet! 54 Vgl. zu den ethnographischen Konzeptionen: Kap. I 2, I 3. 25 schen Briefen des Anacharsis. 55 Die Datierung dieser Briefe ist umstritten, meist werden sie einem kynischen Hintergrund zugeschrieben. 56 In den Erwähnungen des Anacharsis bei Herodot, Platon und Aristoteles, gibt es keinerlei Verbindungen zu der Hellenen und Barbaren-Dichotomie. Die älteste Schicht der Überlieferung scheint daher eine andersartige Figur zu haben als die jüngere. Eine Differenz deutet sich hier bei genauerem Hinsehen an, die es zu erklären gilt: Anacharsis ist in der antiken Überlieferung immer eher ein skythischer Weiser als ein Barbar und vor allem ist er - in Abgrenzung zu den ansonsten in der Antike ja nicht seltenen Weisen - ein Nomade! Im Verlauf der antiken Tradition folgt dabei die Gleichsetzung mit dem Barbaren einem schon erkennbar entwickelten Muster, das jedoch nicht von Anfang an prägend für die Anacharsis-Tradition ist und auch nie zu einer wirklich prägenden Charakteristik wird. Das wirklich ‚Andere‘ des Anacharsis ist das Nomadische, 57 das im Gegensatz zu der sich gerade im 5. Jh.v.Chr. deutlich auf die Perser verengenden Barbarentopik, aber in enger Verbindung zu seiner außergewöhnlichen Weisheit steht. Schon in der ersten Erwähnung des Anacharsis in der griechischen Literatur (Hdt. 4,46 und 4,76-77) findet sich diese Kombination der Charakteristika: Anacharsis ist ein berühmter Weiser, ist ein Skythe, und diese wiederum zeichnen sich durch eine außergewöhnliche Eigenschaft - ihre aufgrund des Nomaden- 55 In den Briefen des Anacharsis (Reuters, Anacharsis, ep.1 u.ö.) werden die Skythen konsequent als Barbaren bezeichnet (z.B. ep. 1 = 12, 12ff. Reuters; ep. 2 = 14, 1ff. Reuters), jedoch gleichzeitig als Vorbild für die Griechen dargestellt. 56 Während Ungefehr-Kortus, Anacharsis, 79ff. und A.J. Malherbe, The Cynic Epistles, Missoula MT 1977, 6ff. (vgl. dazu auch Reuters, Anacharsis, 6ff.) sie in einen eindeutig kynischen Kontext einordnen und somit auch eine „kynische“ Phase der Anacharsis-Figur daran knüpfen, vertreten Kindstrand, Anacharsis, 77ff. und von der Mühll, Anacharsislegende, 473, 477ff., die Ansicht, dass es keinen eigentlichen „kynischen“ Anacharsis gegeben habe: Von der Mühll führt sehr plausibel am Beispiel einiger für Anacharsis überlieferter Sprüche vor (479: z.B.: παίζειν ὅπως σπουδάζῃ auch bei Aesop. Phaedr. 3,14), dass diese ihm zugeschriebenen dicta bereits im 5. Jh.v.Chr. bzw. auch schon früher im Umlauf waren und insofern die - vermeintlich - kynischen Elemente sehr viel älter sind. Zu diesem Spruch des Anacharsis vgl. unten Kap. VI 2: Griechische Weisheit: Rastlosigkeit und Muße. 57 Zu der Verengung der Barbarentopik auf die Perser Bichler, Barbarenbegriff, in: Weiler (Hrsg.) Randgruppen, 119f., der diesen Prozess zu Herodots Zeiten schon als weiter fortgeschritten ansieht. Allerdings subsumiert auch Bichler, Barbarenbegriff, in: Weiler (Hrsg.) Randgruppen, 121 ,nomadisierende Lebensweisen‘ in den Historien Herodots generell unter den Barbarenbegriff; ob und wie die nomadischen Skythen, insbesondere die Figur des Anacharsis hier einem anderen Alteritätsmuster folgen, wird nicht thematisiert. Dieser Aspekt in der Figur des Anderen wird z.B. bei B.D. Shaw, „Eaters of Flesh, Drinkers of Milk”. The Ancient Mediterranean Ideology of the Pastoral Nomad, in: Ancient Society 13-14 (1982-83), 5-31, nicht gesehen, da er Nomaden und Barbaren grundsätzlich miteinander identifiziert: z.B. a.a.O. 8, a.a.O. 13 („Indeed, almost any instance of ,barbaric’ behaviour that surfaces in Greek society (e.g. drinking of wine unmixed) is confidently ascribed by Herodotos to the evil influences of the nomadic Scythians upon the Greeks …“), a.a.O. 20. 26 lebens hervorstechende Unbesiegbarkeit - aus, die sie in griechischen Augen ebenfalls als weise erscheinen lassen. Dieser ‚Spur‘ soll nun im folgenden nachgegangen werden, um aus den Anfängen der Tradition des Anacharsis den epistemologischen Ort der Figur zu bestimmen. 58 Wie sich dieses Narrationsmuster des weisen Nomaden Anacharsis herausbildet und wo dabei die Grenzlinie zwischen dem Eigenen und dem Fremden angesiedelt wird, soll das Thema der folgenden Kapitel sein. 59 Die älteste und erste Erwähnung des Anacharsis findet sich, wie bereits erwähnt, bei Herodot (4,46), der ihn als bereits bekannte Größe voraussetzt, da er es nicht für nötig hält, seinen Lesern etwas zur Herkunft oder Geschichte dieses weisen Mannes zu berichten. Er nennt ihn wie selbstverständlich im Kontext von Weisheit, die er aber gleichermaßen auch den Skythen und deren nomadischer Lebensform zuspricht, denn die Skythen seien das einzige Volk diesseits des Pontos, das als Beispiel für Weisheit gelten könne und knüpft daran die Beschreibung der nomadischen Charakteristika. Nach Herodot ist auch Anacharsis ein berühmter Mann gewesen, der einzige offenbar, der als Skythe namhaft gewesen ist und dies sogar bei den Griechen. Aber ihm scheint das alles nicht recht einzuleuchten, seine kritische Distanz zu dieser - in seiner Zeit anscheinend wohlbekannten - Ansicht kommt ohne größere Erläuterungen aus. Seine Kritik bezieht sich ganz offensichtlich auf ein allgemein geläufiges Bild der Skythen und des Weisen Anacharsis. Integriert ist dies in seiner Darstellung jedoch in einen viel größeren Kontext: Nicht nur in den einer idealisierenden Skythen-Darstellung, sondern auch in den viel komplexeren eines nach dem Prinzip des mundus inversus geordneten Weltbildes, dem der Gegensatz von Zentrum und Peripherie zugrunde liegt. Dahinter liegen anthropologische Grundvorstellungen, die insbesondere die menschlichen Lebensformen nach Attribuierungen von eigen und fremd und - gut sichtbar am Beispiel der Skythen und ihres Gegenparts, den Ägyptern - nach sesshaften und nomadischen Lebensformen strukturieren. Bei Herodot sind diese Darstellungs- und Gliederungsstrukturen bereits in kritischer Distanz aufgehoben, so dass nur noch aus dem Spiegel der Kritik an den Sichtweisen seiner Vorgänger und einigen, vereinzelten Fragmenten und Hinweisen aus der früheren Überlieferung eine Rekonstruktion der Anfänge möglich ist. Es ist seit langem gesehen worden, dass die Idealisierung bestimm- 58 Vgl. dazu auch ausf. F. Mestre, Anacharsis, The Wise Man from Abroad, in: Lexis 21 (2003), 303-17, 304: „Indeed, what he embodies is otherness, oppositeness: in a word, he embodies the Scythians, using the term as a generic concept.“ Vgl. E. Hall, Inventing the Barbarian. Greek Self-Definition through Tragedy, Oxford 1989; F. Lissarague, L’autre guerrier. Archers, peltastes, cavaliers dans l’imagerie attique, Paris/ Rom 1990, 125-49; M. Moggi, Straniero due volte: il barbaro e il mondo greco, in: Maurizio Bettini (Hrsg.), Lo straniero ovvero l’identità culturale a confronto, Rom/ Bari 1992, 51-76; J.-P. Vernant, Entre mythe et politique, Paris 1996, 27-29, 57. 59 Gehrke, Identität, in: Fludernik/ Gehrke (Hrsg.), Normen, 13f. 27 ter Völker, aber auch Kritik an der Idealisierung, insbesondere der nomadischen Skythen, eine lange Tradition in der antiken Überlieferung hat. 60 Es geht dabei um die Entstehung des Bildes, das sich vor allem die Griechen von den Nomaden in der Zeit der beginnenden Kolonisation der nördlichen Schwarzmeerküste gemacht haben. Hierbei ist die Aufmerksamkeit bisher mehr auf die literarische Tradition gerichtet worden, die sich von der archaischen bis in die byzantinische Zeit gehalten hat. 61 Die chronologischen Eckpunkte sind die Entstehungszeit der homerischen Epen sowie die Wende vom 7. zum 6. Jh.v.Chr. Ob sich daraus bereits die Vorstellung rekonstruieren lässt, die die Zeitgenossen Homers von den Steppennomaden hatten, ist umstritten. 62 So wird heute einerseits die These vertreten, dass erst mit Ephorus eine Idealisierung der nomadischen Skythen eingesetzt habe. 63 Die Ephorus-Version ist bei Strabon (7,3,9 [ 302 ] (Radt)) erhalten: ἀλλ' ἐκεῖνα διασημῆναι βουλόμενος ὅτι κοινῇ τινι φήμῃ καὶ ὑπὸ τῶν παλαιῶν καὶ ὑπὸ τῶν ὑστέρων πεπιστεῦσθαι συνέβαινε τὸ τῶν νομάδων, τοὺς μάλιστα ἀπῳκισμένους ἀπὸ τῶν ἄλλων ἀνθρώπων γαλακτοφάγους τε εἶναι καὶ ἀβίους καὶ δικαιοτάτους, ἀλλ' οὐχ ὑπὸ Ὁμήρου πεπλάσθαι. „Ich will nur klar machen, dass sowohl die Alten als auch die Späteren aufgrund einer allgemein verbreiteten Kunde geglaubt haben, die am weitesten von den übrigen Menschen wohnenden Nomaden seien die Milchkostesser, be- 60 A.I. Ivantchik, Am Vorabend der Kolonisation. Das nördliche Schwarzmeergebiet und die Steppennomaden des 8.-7. Jhs.v.Chr. in der klassischen Literaturtradition. Mündliche Überlieferung, Literatur und Geschichte, (Pontus Septentrionalis 3), Moskau 2005. 61 Kindstrand, Anacharsis, insb. 74ff., 83ff.; vgl. auch Ungefehr-Kortus, Anacharsis, 234ff.; von der Mühll, Anacharsislegende, 473ff. Vgl. aber demgegenüber die Ergebnisse der neueren archäologischen Schwarzmeerforschung: G.R. Tsetskhladze, Greek Colonisation of the Black Sea: Stages, Models, and Native Populations, in: ders. (Hrsg.), The Greek Colonisation of the Black Sea Area. Historical Interpretation of Archaeology. Stuttgart 1998, 9-68. Vgl. außerdem D. Braund/ S.D. Kryzhitskiy (Hrsg.), Classical Olbia and the Scythian World: From the Sixth Century BC to the Second Century AD, Oxford 2007. 62 Ivantchik, Kolonisation, 19ff. Er zieht hierzu auch die mythologischen Traditionen heran, die aus einzelnen nordpontischen Kolonien (Heraklea, Sinope) bekannt sind. Im zweiten Teil seines Buches untersucht Ivantchik die literarischen Zeugnisse der Kontakte zwischen Griechen und skythischen Nomaden seit dem 7. Jahrhundert. 63 Ivantchik, Kolonisation, 33. Er schenkt hier dem Kontext des Strabonschen Werks etwas zu wenig Aufmerksamkeit, denn sowohl Strabon als auch - wenn Strabon ihn richtig zitiert hat - Ephorus haben eine deutlich moral-pädagogische Absicht, die die Darstellung ganz offensichtlich prägt. Vgl. Ungefehr-Kortus, Anacharsis, 66ff. Kindstrand vertritt zwar auch die These, dass die Idealisierung erst mit Ephorus begonnen habe, billigt der Anacharsis-Legende jedoch ein über Herodot hinausreichendes Alter zu (a.a.O. 26). Von der Mühll, Anacharsislegende, hat demgegenüber die sophistische ‚Erfindung’ dieses Zusammenhanges vertreten und R. Heinze, Anacharsis, in: Philologus 50 (1891), 458-68; R. Hirzel, Der Dialog. Ein literarhistorischer Versuch, 2 Bde., Leipzig 1895; Reuters, Anacharsis, den noch späteren, kynischen Ansatz. 28 sitzlos und am gerechtesten, und dass dies keine Erfindung Homers gewesen ist.“ 64 Meist wird argumentiert, dass die frühere Überlieferung zu den Skythen diese gerade nicht als die gerechtesten oder anderweitig vorbildlichen Menschen dargestellt habe. 65 Daher wird die bekannte Stelle Homer, Il. 13,1-6, in der es um Thraker und Mysier, Hippomolgen („Stutenmelker“) und Galaktophagen („Milchesser“, „von Milch Genährter“) und ABIOI geht (Hom. Il. 13,1-6): Ζεὺς δ' ἐπεὶ οὖν Τρῶάς τε καὶ Ἕκτορα νηυσὶ πέλασσε, τοὺς μὲν ἔα παρὰ τῇσι πόνον τ' ἐχέμεν καὶ ὀιζὺν νωλεμέως, αὐτὸς δὲ πάλιν τρέπεν ὄσσε φαεινὼ νόσφιν ἐφ' ἱπποπόλων Θρῃκῶν καθορώμενος αἶαν Μυσῶν τ' ἀγχεμάχων καὶ ἀγαυῶν ἱππημολγῶν γλακτοφάγων Ἀβίων/ ἀβίων τε δικαιοτάτων ἀνθρώπων. „Zeus, nachdem er die Troer und Hektor bracht’ an die Schiffe, Ließ sie nunmehr bei jenen in Arbeit ringen und Elend, Rastlos fort; dann wandt’ er zurück die strahlenden Augen, Seitwärts hinab auf das Land pferdezüchtenden Thrakier schauend, Auch nahkämpfender Myser, und trefflicher Hippomolgen, Habelose (oder: Abier), Milchesser, der gerechtesten Erdbewohner.“ 66 so interpretiert, dass ABIOI entweder als Epitheton (a-bioi) oder als Ethnonym zu verstehen ist. 67 Entweder waren hiernach die bei Homer beschriebenen Nomaden in dem idealen Zustand der Besitzlosigkeit, d.h. ein Volk ohne die übliche Grundlage des Lebenserwerbs aus dem Ackerbau und besonders gerecht oder es wird ein weiteres Volk der Aufzählung hinzugefügt, die Abier, von dem allerdings sonst nichts bekannt ist. Dieser Vers der Ilias hat schon in der Antike für reichlich Diskussionsstoff gesorgt, wie nicht nur die Kommentare bei Strabon zeigen, sondern etwa auch die Bemerkungen der alexandrinischen Autoren. 68 In dem - wahrscheinlich von 64 ÜS Radt. 65 Ivantchik, Kolonisation, 19. 66 ÜS nach Voß. 67 Ivantchik, Kolonisation, 19ff. Die antike Scholienliteratur ist kaum noch übersehbar. Vgl. H. Erbse, Scholia Graeca in Homeri Iliadem, (Scholia Vetera), Berlin 1969. Nach Erbse sind es hierzu allein fünf Seiten; die antiken Kommentatoren haben jede mögliche Kombination (alpha privativum oder copulativum/ jede Variante von βίος ) diskutiert. 68 Ivantchik, Kolonisation, 20. Er nennt einige Beispiele wie ‚ ἂ - βιος ’ versucht wurde zu übersetzen: „leblos“, „nicht-lebend“, „viellebig“, „Unbehauste“, „auf Wagen Wohnende“, „einfach Lebende“ etc.; E. Schwyzer, Griechische Grammatik. Allgemeiner Teil, Lautlehre, Wortbildung, Flexion, (HdAW 2,1,1), 2., unveränd. Auflage, München 1953, 433 schlägt ein α -copulativum vor und übersetzt βιος als „reich“; zur Diskussion um Aischyl. Prom. Luom. frg. 196 (Radt) (= Tragicorum Graec. Fragm. 3, 314), s.u. Anm. 69) vgl. Kindstrand, Anacharsis, 23ff. Es gibt m.E. nicht wirklich einen Grund, an der philologischen Kompetenz der Alexandriner zu zweifeln. Wenn Aristarch (vgl. dazu: Ch.M. Schroeder, A New Monograph by 29 Aischylos stammenden - Prometheus Lyomenos ist daraus ein Volk der Gabier geworden. 69 Daraus ergibt sich nicht unmittelbar, dass bereits Homer ein ‚Volk’ der Abier/ Gabier vor Augen hatte, sondern lediglich, dass Aischylos, wenn er der Autor des Stücks gewesen ist, daraus ein solches gemacht hat. Die Historizität der Abier oder Gabier ist so natürlich nicht zu belegen, im Gegenteil zeigt die Umdeutung eher an, dass hier Phantasie und Idealisierung noch ein Stück weiter getrieben worden sind. Genauso umstritten ist in der Antike die Erwähnung der Kimmerier (Hom. Od. 11,14) als demos mit polis gewesen, die oft als Interpolation abgetan wurde. Ivantchik vertritt nun die These, dass sich Ilias und Odyssee offensichtlich auf zwei verschiedene Nomadenvölker beziehen: Die Ilias auf die westliche Gruppe der Träger der frühskythischen archäologischen Kultur und die Odyssee auf die realen, historischen Kimmerier, von denen aber offenbar so wenig bekannt war, dass sie wie ein griechisches Volk mit demos und polis gedacht wurden. 70 Genauso charakterisiert später Herodot die Skythen über eine zentrale Göttin nach dem Muster der griechischen Polis - die Hestia als Göttin des zentralen Herdes der Gemeinschaft im öffentlichen Raum - und bezeichnet die Skythen als astoi, also als Bürger einer Polis. 71 Daran ist bereits zu erkennen, dass die griechische Perspektive die fremden Völker von Anfang an nach den eigenen gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen formt. Aristarchus? , in: JHS 127 (2007), 131-41) den Frauenkatalog Hesiod zugeordnet hat, dann scheint die Skepsis von M.L. West (Hrsg.), Greek Epic Fragments: From the Seventh to the Fifth Centuries BC, (Loeb Classical Library), Cambridge MA/ London 2003; ders. (Hrsg.), Homeric Hymns, Homeric Apocrypha, Lives of Homer, (Loeb Classical Library), Cambridge MA/ London 2003, der das Werk unter die Apokryphen zählt, doch weniger berechtigt. Vgl. dazu unten Kap. VI und VII. 69 Aischyl. Prom. Luom. frg. 196 Radt: ἔπειτα δ' ἥξεις δῆμον ἐνδικώτατον <× -> ἁπάντων καὶ φιλοξενώτατον, Γαβίους, ἵν' οὔτ' ἄροτρον οὔτε γατόμος τέμνει δίκελλ' ἄρουραν, ἀλλ' αὐτόσποροι γύαι φέρουσι βίοτον ἄφθονον βροτοῖς ἀλλ' ἱππάκης βρωτῆρες εὔνομοι Σκύθαι Vgl. Steph. Byz. Ethnika (ed. J.F. Gärtner/ B. Wyss/ Chr. Zubler), s.v. Ἄβιοι, ἔθνος Σκυθικὸν … Δίδυμος δὲ Θρᾴκιον ἔθνος φησίν· Αἰσχύλος τε Γαβίους διὰ τοῦ γ ἐν Λυομένῳ Προμηθεῖ. Ὁμοίως καὶ Φιλοστέφανός φησι καὶ ἄλλοι. Vgl. Stephan von Byzanz, Ethnika, hrsg. von A. Meineke, Berlin 1849, (Nachdr. Graz 1958), 7, 4. Dort heißt es: Αἰσχύλος τε Γαβίους διὰ τοῦ <γ> ἐν λυομένῳ Προμηθεῖ ἔπειτα δ' ἥξεις δῆμον ἐνδικώτατον [βροτῶν] ἁπάντων καὶ φιλοξενώτατον, Γαβίους, ἵν' οὔτ' ἄροτρον οὔτε γατόμος τέμνει δίκελλ' ἄρουραν, ἀλλ' αὐτοσπόροι γύαι φέρουσι βίοτον ἄφθονον βροτοῖς. 70 Ivantchik, Kolonisation, 66. 71 Hdt. 4,127 (Hestia) und 4,68,1 (astoi); vgl. Hdt. 4,95, wo er auch die Geten als astoi bezeichnet! Dazu ausf. F. Hartog, The Mirror of Herodotus. The Representation of the Other in the Writing of History, (New Historicism: Studies in Cultural Poetics 5), Berkeley CA 1988, 119-25. 30 Auch schon seit der Zeit Hesiods gab es die Vorstellung von den einander entgegengesetzten Völkern im Norden und Süden. 72 Allerdings werden dabei dort eher die Fabelvölker des Mythos lokalisiert, die wenig mit realen Völkern gemein haben, wie schon die Zusammenstellung mit den Hyperboreern zeigt. 73 Im Rahmen der griechischen Expansion haben sich diese Vorstellungswelten zu einem Weltbild verdichtet, in dem durch die verschiedenen Kontaktzonen mit anderen Völkern auch das Weltbild entsprechend zu grundlegenden Strukturen um- und neugebildet wurde. Galt lange Zeit das Schwarze Meer als Teil des Okeanos, so haben sich die Griechen wohl erst im letzten Viertel des 7. Jahrhunderts von dieser Vorstellung getrennt und danach, im Laufe des 1. Viertels des 6. Jahrhunderts die ersten Kolonien im nördlichen Teil des Schwarzen Meeres angelegt. Solange sie jedoch das Schwarze Meer als Teil des Okeanos betrachteten, konnten sie die Kimmerier, die im äußersten Osten angesiedelt wurden, und die Hippomolgen/ Galaktophagen im äußersten Norden natürlich nicht miteinander identifizieren bzw. einem einheitlichen Nomadenbild zuordnen. 74 Auf einer sehr allgemeinen Ebene wird daran sichtbar, wie Wanderungen und Migrationen verschiedenster Art in ein transkulturelles Repräsentationssystem integriert werden. Mythische Figuren wie Odysseus können dabei zu Bedeutungsträgern werden, aber auch wandernde Weise, Philosophen und andere Reisende. Beschreibungen, die den Kontakt mit anderen Völkern schildern und die Begegnung mit wilden, fernen Völkern haben ihre prägenden Spuren in der ionischen Ethnographie hinterlassen. 75 Das große Vorbild ist Odysseus gewesen, der die Grenzen der griechischen Identität durch seine Wanderungen ausschöpft. Er überschreitet sie sogar, indem er bis in die Unterwelt, zu dem Land der Lotusesser und der magi- 72 Hesiod frg. 150 Merkelbach/ West (= P Oxy 1358 frg. 2, col. I Grenfell-Hunt): ..... Κατουδ]α? ίων καὶ Πυγμ? [αίων ..... . ἀπε]ι? ρεσίων Μελάνω? [ν ..... ....]υ ⟧ τέκε Γαῖα πελώ[ρ- ..... ...]α? ς τε πανομφαίο[υ Διὸς ..... ... ὄ]φρα θεοῖσιν ὑφε[ιμ]ένοι α...[...].ν ..... ...] τ? ῶν μέν τε νόος [γλ]ώσσης καθ? [ύπ]ερθεν, Αἰθίοπάς ⌋ τε Λίβυς τε ἰδὲ Σκύ ⌊ θ ⌋ας ἱππημο ⌊ λγού ⌋ς. τοὺς πάντα]ς πέρι κύκλω? ι? ἐθύνεον ἀΐσσοντες ..... .. ἔθ]νεα μ[.... Ὑ]περβορέων εὐίππων. Vgl. dazu die Bemerkungen von West zum chronologischen Verhältnis von Homer und Hesiod: M.L. West (Hrsg.), Studies in the Text and Transmission of the Iliad, München 2001 und auch Hesiod frg. 151 Merkelbach/ West: Γαλακτοφάγων ἐς γαῖαν ἀπήνας οἰκί' ἐχόντων (= Strab. 7,3,9 [302] , dazu oben). 73 R. Vignolo Munson, Telling Wonders. Ethnographic and Political Discourse in the Work of Herodotus, Ann Arbor MI 2001, 108f. mit Anm. 86. Munson bezeichnet dies als einen inversen Ethnozentrismus. 74 Ivantchik, Kolonisation, 108f. 75 S. Montiglio, Wandering in Ancient Greek Culture, Chicago 2005, 7ff. 31 schen Insel der Kirke vordringt. 76 Mobilität ist hier das zentrale Element der Dynamik, das auf ganz unterschiedlichen Ebenen die Abenteuer des wandernden Odysseus prägt: Bei Kalypso und Kirke bewegt er sich auf einer göttlichen Ebene, bei den Laestrygonen und Kyklopen auf einer tierischen und bei den Phäaken auf einer menschlichen. Für Hartog ist aber nicht nur Odysseus das die ganze Antike hindurch nachwirkende Paradigma für die Verbindung von Wissen und Reisen, sondern - nach Odysseus - ist es Pythagoras, der noch mehr als Odysseus diese Tradition der griechischen Kultur repräsentiert und das Modell des Reisenden wird, der das Schauen, Erzählen und auch das Überschreiten der Grenzen menschlicher, tierischer und göttlicher Art in sich verbindet. Er ist eine der Figuren, durch die die griechische Kultur einen Platz für die Andersheit in ihrem Inneren schuf, d.h. über ihn und seinesgleichen einen Weg und ein Mittel fand, durch das gleichzeitig Unsicherheit und Zuversicht, Anerkennung und Ablehnung, Akzeptanz und Verrat ausgedrückt werden konnten. 77 In allen diesen verschiedenen Bereichen repräsentieren Figuren wie Odysseus und Pythagoras demnach den Kern dessen, was sich Griechen als Eigenes und Fremdes vorgestellt haben. 78 2. Der Platz der Skythen in der Welt Die griechischen Raumvorstellungen haben ihre Anfänge in der ionischen Naturforschung: Die ionische Ethnographie hat die Grundlage für die Konstruktionen von Identität und Alterität gelegt sowie für die damit verbundene Hierarchisierung der Völker. 79 Dazu gehörten von Anfang an die 76 C. Dougherty, The Raft of Odysseus. The Ethnographic Imagination of Homer’s „Odyssey”, Oxford 2001, 6ff. 77 Hartog, Odysseus, 108-16: „Pythagoras is both human and divine, a Greek and not a Greek, a man of both science and mysticism, a student of Barbarian wisdoms and a purely Greek philosopher.“ Ph. Vasunia, Rezension zu: François Hartog, Memories of Odysseus. Frontier Tales from Ancient Greece, Chicago 2001, in: BMCR 2002.06.05. (2002), (http: / / ccat.sas.upenn.edu/ bmcr/ 2002/ 02-06-05.html). Sie schreibt: „In this respect, Pythagoras reminds us of the assertion that identity is virtual, with no real or bounded existence as a fixed entity. As Hartog writes, ‚Pythagoras shines in the sky of Greek sophia, but as soon as you try to pin him down, he disperses into a shower of stellar bodies that are themselves all of different ages. He is assuredly a point of reference, but perhaps only because there is something about him that is always elusive.’“ Vgl. zu dieser Verbindung von θεωρία und σοφία : A. Wilson Nightingale, Spectacles of Truth in Classical Greek Philosophy. ‚theoria’ in its Cultural Context, Cambridge 2005, 64ff. 78 F. Hartog, Memories of Odysseus. Frontier Tales from Ancient Greece, Chicago 2001, 17ff. 79 Zu der Frage, ob Herodot der Vertreter eines Weltbildes der 2 oder 3 Erdteile ist vgl. Schubert, Konstruktionsprinzipien des Weltbildes, 201-18. Die Vorstellung von zwei Teilen der Welt (Asien vs. Europa) ist im 5. Jahrhundert vorrangig politisch begrün- 32 schematischen Einteilungen der Welt in die Großregionen Asien, Europa und Libyen (Afrika), die Einführung verschiedener, geographischer Schemata wie u.a. der Streifengeographie, 80 die Vorstellung von den Enden der Welt, die Zuordnung von klimatischen Zonen entsprechend nördlichen und südlichen Lagen, aber auch Angaben über die Weltmitte sowie die Größenverhältnisse der Teile der Erde zueinander. 81 Bei Anaximander von Milet ist zum ersten Mal eine geometrische Raumvorstellung zu erkennen, die einen stark konzentrisch ausgerichteten Zug trägt: 82 Dieses Weltbild ist ein symmetrisches, das um eine Mitte herum konstruiert wird und im Politischen findet es seine Entsprechung in einer durchaus vergleichbaren Struktur, denn das politische Zentrum der Ionier, das Panionion, soll - so Herodot - ebenfalls nach diesem Gesichtspunkt organisiert gewesen sein. Nicht zuletzt in den Ratschlägen des Thales an die Ionier findet sich dies wieder: 83 Vor der drohenden Niederwerfung durch Kyros riet er ihnen, einen gemeinsamen politischen Mittelpunkt zu schaffen, eine Ratsversammlung, die in Teos lokalisiert werden sollte, da es auch geographisch der Mittelpunkt Ioniens sei. Das Gleichgewicht im Hinblick auf die symmetrische Position aller Individuen, Gruppen oder Elemente zu diesem Zentrum der Stadt, der Polis, des Kosmos oder des Körpers kommt in der räumlichen Beziehung der Körper untereinander zum Ausdruck. Anaximanders kosmologische Konstruktion drückt dies darin aus, dass die Erde als Symmetriepunkt in der Mitte, im Zentrum schwebt, von nichts beherrscht wird und sich im gleichen Abstand von allen sie umgebenden Himmelskreisen befindet. 84 det, die Vorstellung der drei Erdteile (Europa, Asien, Libyen/ Afrika) dagegen geographisch ausgerichtet. 80 H.-J. Gehrke, Raumbilder in der griechischen Geograpie, in: Th. Hantos, G.A. Lehmann (Hrsg.), Althistorisches Kolloquium aus Anlass des 70. Geburtstages von Jochen Bleicken, Stuttgart 1998, 29-41. Vgl. Chr. Jacob, Géographie et ethnographie en Grèce ancienne, Paris 1991, 57ff; E. Olshausen, Einführung in die historische Geographie der Alten Welt, Darmstadt 1991, 115ff. mit einer Literaturübersicht und Kartenteil (vgl. Karte Nr. 2); E.H. Bunbury, A History of Ancient Geography among the Greeks and Romans from the Earliest Ages till the Fall of the Roman Empire, Vol. 1-2, London 1883. Eine Literaturübersicht findet sich bei Schubert, Konstruktionsprinzipien, 201 mit Anm. 1. 81 J.S. Romm, The Edges of the Earth in Ancient Thought: Geography, Explorations and Fiction, Princeton NY 1994, 22ff. Vgl. auch Hartog, Mirror, 29ff. 82 Á. Szabó, Das geozentrische Weltbild. Astronomie, Geographie und Mathematik der Griechen, München 1992, 58ff. Anders: D.R. Dicks, Solstices Equinoxes and the Presocratics, in: JHS 86 (1966), 26-40. 83 Hdt. 1,170 und W.W. How/ J. Wells, A Commentary on Herodotus, Vol 1. (Books I- IV), Oxford/ New York 1989, ad loc; Thuk. 2,15,2 unterstellt - fast wörtlich - Theseus ein solches Konzept für den Synoikismos Attikas; vgl. J.-P. Vernant, Die Entstehung des griechischen Denkens, (Edition Suhrkamp 1150 = N.F. 150), Frankfurt a. M. 1982, 130; Schubert, Konstruktionsprinzipien, 206ff. 84 Anaximander DK 12 A 11 (Hippol. Haer. 1,6,3-5). Zur symmetrischen Anordnung im Kosmos des Anaximander vgl. Chr. Meier, Die Entstehung einer autonomen 33 In dieser Zeit stehen geographische Konstruktionsprinzipien wie der Gegensatz von Wasser und Land noch im Vordergrund, aber auch die Bestimmung der Grenzen. Die Grenzen der einzelnen Erdteile wurden durch eine Wassergrenze (Fluss, Meer, See) definiert. Für das Modell der drei Teile bedeutete dies, dass ebenso wie das Schwarze Meer im Osten mit Phasis oder Tanais als Grenze zwischen Asien und Europa gesehen wurde, für die Abgrenzung Asiens gegenüber Libyen im Süden eine diesem Modell entsprechende Wassergrenze festzulegen war und im Norden wiederum Grenzen gesucht, z.T. regelrecht postuliert wurden, um das Gleichgewicht der Konstruktion zu wahren. Diese Raumvorstellungen sind zusammen mit einem Bild der Erde von der Definition des Mittelpunktes aus entwickelt worden, das seit dem 6. Jahrhundert mit dem Namen des Anaximander verknüpft ist und die Erde in der Mitte des Weltalls als Fixpunkt lokalisiert. 85 Auch wenn sich nicht zweifelsfrei nachweisen lässt, dass schon Anaximander die Vorstellung von der Kugelgestalt der Erde entwickelt hat, so ist doch für das 5. Jahrhundert sicher, dass man diese Vorstellung kannte und die frühere Idee von der auf dem Okeanos schwimmenden Erde durchaus nicht mehr allgemein vertreten wurde. Das geometrische Weltbild der Erde umfasst ein Konzept, das die mittige Stellung der Erde über die Definition der Tag- und Nachtgleichen, der Sonnenwenden und v.a. über die darauf aufbauende, exakte Messung der Jahreszeiten konstruierte. 86 Neben den anderen Intelligenz bei den Griechen, in: ders. (Hrsg.), Die Welt der Geschichte und die Provinz des Historikers. Drei Überlegungen, Berlin 1989, 70-100, hier 92. Vgl. G. Böhme, Symmetrie: Ein Anfang mit Platon, in: Symmetrie in Kunst, Natur und Wissenschaft (Katalog der Ausstellung Mathildenhöhe Darmstadt, 1.6.-24.8.1986), Darmstadt 1986, 9-16, hier 9. Böhme meint, dass es Platon gewesen sei, mit dem das „Nachdenken über Symmetrie“ begonnen und der als erster „Symmetrie zu einem ontologischen und einem physikalischen Prinzip gemacht hat, d. h. zu einem Prinzip, das den Aufbau unserer Welt im ganzen bestimmt …“. Eine ganz andere Entwicklungslinie sieht Hartog, Mirror, 259ff. und 367ff., der zwar ebenfalls von einer symmetrischen Konzeption ausgeht, diese aber als ein Prinzip der ,excluded middle‘ versteht. 85 Vgl. Strab. 2,5,2 [110f.]; Dazu Szabó, Weltbild, 60ff., bes 62. Ibid. zu der Entdeckung von Pol und Achse der Erde. Zu der Rolle, die die Vorstellung von der Kugelgestalt der Erde innerhalb des ionischen Weltbildes spielte, die Definition der Tag- und Nachtgleichen, der Sonnenwenden und v.a. über die darauf aufbauende, exakte Messung der Jahreszeiten, die Bestimmung der Äquinoktien mit Hilfe des Gnomons durch Anaximander: Ch. Schubert, Nomaden in der Peripherie - Nomaden im Zentrum: Die Lokalisierung der Nomaden in griechischen Raumvorstellungen, in: R. Kath/ A.-K. Rieger (Hrsg.): Raum - Landschaft - Territorium. Zur Konstruktion physischer Räume als nomadischer und sesshafter Lebensraum, (Nomaden und Sesshafte 11), Wiesbaden 2009, 251-276. 86 Zu Meton und Euktemon: Ptolem. Syntaxis 1,1,203-207. Meton und Euktemon haben als erste eine Korrelation zwischen dem Sonnenjahr und den Mondmonaten aufgestellt. Nach ihrem System entspreachen 19 Sonnenjahre 235 Mondmonaten. Dazu O. Neugebauer, A History of Ancient Mathematical Astronomy, 3 Vols., Berlin 1975, I 354f., II 622ff.; Á. Szabó, Die Entfaltung der griechischen Mathematik, Mannheim 34 Elementen, durch die dieses Weltbild zunehmend ausdifferenziert wurde, ist v.a. die Elementen- und darauf aufbauend die Klimalehre von Bedeutung gewesen. Kernbestandteil der Klimalehre ist die aus dem geometrischen Bild der Erde abgeleitete Vorstellung von unterschiedlichen Klimazonen, die wiederum mit der Bestimmung und Abgrenzung der Jahreszeiten zusammenhängt. Sind die Sonnenwenden noch aufgrund von Erfahrung und Beobachtung zu bestimmen, so gilt das für die Datierung der Äquinoktien nicht. Sie offenbart ein hohes Maß an theoretischem Wissen, das u.a. ein Wissen über die Zonen, den Äquator und die Ekliptik integrieren muss. Für den Autor der hippokratischen Schrift De aeribus gehören die Daten der Äquinoktien zu einer klimatologisch-geographisch begründeten Lehre von den Krisentagen, an denen sich u.a. Leben und Tod bestimmter Krankheitsverläufe entscheiden. Die neuen Erklärungen der regionalen Klimaunterschiede im Kontext der auf die mathematische Geographie zurückzuführenden Raumvorstellungen lassen sich sowohl in den medizinischen als auch den naturphilosophischen und ethnographischen Texten, z.T. sogar in den Komödien des Aristophanes wiederfinden und dies sogar mit deutlichem Bezug auf die neuen kalendarischen Erkenntnisse. 87 Die damals entwickelte - in der Doxographie dem Parmenides zugeschriebene 88 - Einteilung der Erde in fünf Zonen ist eine Übertragung der Himmelszonen auf die Erde. 89 Diesen räumlichen Zonen entsprechen klimatische Definitionen. 90 1994; Szabó, Weltbild, 60ff. Für das Folgende: Schubert, Peripherie, in Kath/ Rieger (Hrsg.), Raum, 256. 87 Aristoph. Av. 1004; vgl. Philipps, „ ΑΣΤΡΟΝΟΜΙΗ “, 428 mit Anm. 2 zu der kalendarischen Rekonstruktion. 88 Szabó, Weltbild, 108-09 mit Quellenangaben. 89 Strab. 2,5,3 [111 ] : Πεντάζωνον μὲν γὰρ ὑποθέσθαι δεῖ τὸν οὐρανόν, πεντάζωνον δὲ καὶ τὴν γῆν, ὁμωνύμους δὲ καὶ τὰς ζώνας τὰς κάτω ταῖς ἄνω· τὰς δ' αἰτίας εἰρήκαμεν τῆς εἰς τὰς ζώνας διαιρέσεως. διορίζοιντο δ' ἂν αἱ ζῶναι κύκλοις παραλλήλοις τῷ ἰσημερινῷ γραφομένοις ἑκατέρωθεν αὐτοῦ, δυσὶ μὲν τοῖς ἀπολαμβάνουσι τὴν διακεκαυμένην, δυσὶ δὲ τοῖς μετὰ τούτους, οἳ πρὸς μὲν τῇ διακεκαυμένῃ τὰς εὐκράτους δύο ποιοῦσι, πρὸς δὲ ταῖς εὐκράτοις τὰς κατεψυγμένας. ὑποπίπτει δ' ἑκάστῳ τῶν οὐρανίων κύκλων ὁ ἐπὶ γῆς ὁμώνυμος αὐτῷ, καὶ ἡ ζώνη δὲ ὡσαύτως τῇ ζώνῃ. („Fünf Zonen muss man beim Himmel annehmen, und fünf Zonen hat auch die Erde, und dieselben Namen haben die Zonen unten wie die anderen oben (ich habe bereits die Gründe für diese Einteilung in Zonen genannt [s.u.]). Die Grenzen der Zonen können durch Kreise definiert werden, die auf beiden Seiten des Äquators und parallel zu ihm gezogen werden, durch zwei Kreise, die die ausgedörrte (trockene) Zone umfassen und durch zwei weitere, diesen folgend, die die ausgeglichenen Zonen umfassen jeweils zwischen der trockenen Zone und den beiden kalten Zonen. Einem jeden der himmlischen Kreise entspricht ein ebenso genannter Kreis darunter auf der Erde, und ebenso entspricht auch je eine Zone (auf der Erde) einer Zone am Himmel.“ ÜS nach Szabó.) Vgl. Szabó, Weltbild, 108f. zu dieser Methode der Projektion der Kreise des Himmelsgewölbes auf die Erde. 90 Ausf.: Schubert, Peripherie, in: Kath/ Rieger (Hrsg.), Raum, 258ff. 35 Die Symmetrie der Extreme ist dabei ein ebenso geläufiges Konstruktionsmerkmal in der Beschreibung der Skythen und Ägypter bei Herodot 91 wie auch in der hippokratischen Schrift De aeribus: 92 Die Skythen sind als das nördlichste Volk Europas durch Extreme wie das besonders kalte Klima charakterisiert wie umgekehrt die Ägypter und Libyer in Asien das klimatische Extrem des Südens sind. 93 Von diesen beiden Darstellungen zieht sich das Thema wie ein roter Faden durch die ethnographische und geographische Literatur der Antike und wird in einer knappen, aber besonders deutlichen Form etwa von Pompeius Trogus (Justin Ep. 2,1) folgendermaßen zugespitzt: Es gäbe seit langem einen Streit zwischen den Skythen und den Ägyptern um die Alterspriorität, die jedoch von den Ägyptern folgendermaßen zu ihren Gunsten begründet worden sei: Scytharum gens antiquissima semper habita, quamquam inter Scythas et Aegyptios diu contentio de generis vetustate fuerit Aegyptiis praedicantibus, initio rerum cum aliae terrae nimio fervore solis arderent, aliae rigerent frigoris inmanitate, ita ut non modo primae generare homines, sed ne advenas quidem recipere ac tueri possent, priusquam adversus calorem vel frigus velamenta corporis invenirentur vel locorum vitia quaesitis arte remediis mollirentur, Aegyptum ita temperatam semper fuisse, ut neque hiberna frigora nec aestivi solis ardores incolas eius premerent, solum ita fecundum, ut alimentorum usum hominum nulla terra feracior fuerit. Iure igitur ibi primum homines natos videri debere, ubi educari facillime possent. „Das Volk der Skythen wurde immer für das älteste gehalten, obwohl es zwischen Skythen und Ägyptern über das Alter des Volkes einen langen Streit gegeben hat. Die Ägypter erklärten, zu Beginn der Dinge als die einen Länder durch eine zu große Hitze der Sonne brannten, die anderen durch die Entsetzlichkeit der Kälte, so dass sie nicht nur zuerst Menschen hervorbringen, sondern auch Fremdlinge ja nicht aufnehmen und schützen konnten, bevor gegen Wär- 91 Hdt. 2,33-34 (Entsprechung von Nil und Istros: vgl. How, Wells, Herodotus, ad loc. zu 2,34,1 mit dem Hinweis, dass die Mündungen beider Flüsse auf demselben Längengrad liegen), Hdt. 4,47,1-2 (Vergleich der skythischen Flüsse mit den ägyptischen Kanälen); Hdt. 4,53,1 (Vergleich des Borysthenes mit dem Nil); vgl. Hartog, Mirror, 37ff. A.B. Lloyd, Herodotus Book II 1-98, Commentary, (Études préliminaires aux religions orientales dans l’empire romain 43), Leiden 1976, zu II 33; A.B. Lloyd, Herodotus Book II, Introduction, (Études préliminaires aux religions orientales dans l’empire romain 43), Leiden 1975, 126ff. Vgl. Lloyd, Introduction, 152. Er spricht sogar von einer „obsession with antithesis and symmetry“ bei Herodot. Vgl. Romm, Edges, 45ff. 92 Zur Entstehung des Corpus Hippocraticum und der Autorenfrage: Hippocrates, Ausgewählte Schriften, hrsg. und übers. von Charlotte Schubert und Wolfgang Leschhorn, (Sammlung Tusculum), Düsseldorf 2006, 319ff. 93 Vgl. dazu Galens Kommentar zu De aeribus 13,1 = Galen, fol. 78 v 15 sq Strohmaier; Aer. 18,1; 19,1 und 20,1 zum Vergleich Ägyptens und Skythiens: J. Jouanna, Hippocrate Tome 2,2: Airs, Eaux, Lieux, Texte établie, Paris 1996, 323. Vgl. Hdt. 2,33- 34; 2,47,1-2; 4,53,1 zu entsprechenden Vergleichen. Nach Galens Kommentar ist Nubien durch heißes Klima gekennzeichnet (= Galen, fol. 55 v 13 sq. Strohmaier), ähnlich Hdt. 2,22. Vgl. auch De victu 2,37,1. 36 me bzw. Kälte nicht Körperbedeckungen erfunden wurden oder die widrigen Umstände durch außerordentliche künstliche Hilfsmittel geschmeidiger gemacht wurden, sei Ägypten immer schon so mild gewesen, dass weder die winterliche Kälte noch die Glut der Sommersonne dessen Einwohner bedrückten, und der Boden war so fruchtbar, dass kein Land für Nahrung fruchtbarer war für die menschliche Nutzung. Zu Recht müssen die Menschen also dort zuerst geboren zu sein scheinen, wo sie am leichtesten ernährt werden konnten.“ Eine solche Verknüpfung der ethnographischen und klimatischen Strukturen, um daraus die Physis eines Volkes abzuleiten, findet sich vergleichbar detailliert zum ersten Mal in der hippokratischen Umweltschrift De aeribus. Allerdings beschreibt De aeribus den Gegensatz des skythischen Gebietes zu den libyschen Regionen. Über Ägypten findet sich in der Schrift selbst nichts. Herodot hat dagegen einerseits dieselbe Kontrastierung, die er etwa in den durchaus parallel konstruierten Feldzügen des Dareios gegen die Skythen und gegen die Libyer darlegt, 94 andererseits gibt es aber auch eine entsprechende Parallele in dem Zug des Kambyses gegen die Äthiopier, der ebenfalls erstaunliche Parallelen zu dem Dareios-Zug gegen die Skythen aufweist. 95 Da die Libyer bzw. Äthiopier hier als Nomaden die eigentlichen Antipoden der Skythen sind, muss die Gegenwelt-Konstruktion, die Herodot für die Ägypter verwendet, 96 einen anderen Bezug haben. Denn er benutzt gleichzeitig auch Elemente des mundus inversus, um das Verhältnis von Skythen und Ägyptern zu beschreiben, obwohl die Ägypter nirgends als Nomaden charakterisiert werden, auch gar nicht zu den Völkern zählen, die am Rande der Welt lokalisiert sind. Einen Hinweis darauf, dass Herodot hier eine eigene Konzeption entwickelt, die er diesem Verhältnis der Skythen und Ägypter zugrunde legt, ergibt sich aus einem Detail, mit dem er sich - möglicherweise gegen Hekataios, in jedem Fall aber gegen Vorgänger - explizit abgrenzt: Es gab offenbar eine Diskussion darüber, welche Völker zu den Skythen zählten und wie weit das Land im Verhältnis zu anderen Regionen begrenzt war, und so distanziert sich Herodot von anderen, indem er das Nicht-Wissen über die nördlichsten Regionen, aber auch die Vermittlung dieses Wissens ausschließlich über die Skythen hervorhebt. Die Melanchlaini und die Issedonen zählt er ausdrücklich nicht zu den Skythen, im Gegensatz dazu hat- 94 Skythenfeldzug: Hdt. 4,1-144; Libyenfeldzug: Hdt. 4,145-205; vgl. dazu Corcella, in: D. Asheri, et al., A Commentary on Herodotus. Books I - IV, ed. by O. Murray and A. Moreno, Oxford 2007, 546, der darauf hinweist, dass der eigentliche Feldzug eher ein Annex zu der Libyenbeschreibung ist: Lediglich die Kapitel Hdt. 4,200-205 befassen sich mit dem Feldzug selbst. 95 Hdt. 3,21ff.: Symbolbotschaft an den König der Äthiopier; Antwort des äthiopischen Königs mit Bezug auf die Herrschaftssymbolik (Hdt. 3,21,3); Scheitern an den Landesbedingungen und hastiger Rückzug unter Verlusten (Hdt. 3,25). 96 Hdt. 2,35ff. 37 te Hekataios sie als skythische Völker beschrieben. 97 Hier wird der Anspruch Herodots erkennbar, in Bezug auf die Skythen durch eigene Nachforschungen ein genaueres und stimmigeres Bild geben zu können. Noch deutlicher wird Herodots eigene Absicht in der berühmten Beschreibung von Sesostris’ Ausgreifen bis zu den Skythen, den er in dieser Hinsicht auch mit Dareios vergleicht ( Hdt. 2,110,2 ) : 98 Τῶν δὴ ὁ ἱρεὺς τοῦ Ἡφαίστου χρόνῳ μετέπειτα πολλῷ Δαρεῖον τὸν Πέρσην οὐ περιεῖδε ἱστάντα ἔμπροσθε ἀνδριάντα, φὰς οὔ οἱ πεποιῆσθαι ἔργα οἷά περ Σεσώστρι τῷ Αἰγυπτίῳ· Σέσωστριν μὲν γὰρ ἄλλα τε καταστρέψασθαι ἔθνεα οὐκ ἐλάσσω ἐκείνου καὶ δὴ καὶ Σκύθας, Δαρεῖον δὲ οὐ δυνασθῆναι Σκύθας ἑλεῖν· „Als lange Zeit danach Dareios sein eigenes Bild vor diesen Bildern aufstellen wollte, ließ es der Priester des Hephaistos nicht zu und sagte, dass Dareios noch nicht solche Taten vollbracht hätte wie der Ägypter Sesostris, der nicht weniger Völker besiegt hätte als er, darunter auch die Skythen, die Dareios nicht habe beherrschen können.“ Hier widerspricht Herodot damit seiner eigenen Darstellung der Skythen, die er andernorts als unbesiegbar beschreibt (Hdt. 4,46) ohne jeden Hinweis darauf, dass sie doch einmal - nämlich von dem ägyptischen Pharao - besiegt worden seien. Gerade dieser Widerspruch in seinem eigenen Werk ist ein Indiz dafür, dass die herausragende Stellung des Sesostris, dem es als einzigem gelungen sei, sowohl die Äthiopen als auch die Skythen zu besiegen, eher aus Herodots eigener Darstellungsabsicht zu erklären ist als aus seiner Vorlage oder einem Bericht vom Hörensagen (Hdt. 2,99,2). Es geht ihm darum, das Besondere der Ägypter darzustellen, das nicht nur in dem Alter ihrer Kultur liegt, sondern auch in der Vorbildhaftigkeit ihrer Gesetze, ihres Wissens und ihrer Religion. 99 Insofern haben die Ägypter eine Sonderrolle, die sie auch dazu befähigt hat, die beiden ansonsten nur schwer oder gar nicht zu beherrschenden Nomadenvölker im Norden und Süden der Welt zu besiegen. 97 Hekat. FGrHist 1 F 185 und 193 (aus Stephanus); dagegen Hdt. 4,20,2 und 4,25-27. Vgl. auch zu den Androphagen: Hier eröffnet sich ein Gegensatz zwischen Hdt. 4,18 (die Androphagen sind keine Skythen) und Ps.-Scymnus 848, der sie auch zu den Skythen zählt, dazu Corcella, in: Asheri, et al., Herodotus, 554ff. und M. Korenjak, Pseudo-Skymnos. Die Welt-Rundreise eines anonymen griechischen Autors, (Bibliotheca Weidmanniana 8), Hildesheim 2003. 98 Hdt. 2,103,1, daran anschließend die Beschreibung der Kolchis mit der Begründung, warum deren Einwohner ägyptischer Abstammung sein müssen; St. West, Herodotus’ Epigraphical Interests, in: CQ 35/ 2 (1985), 278-305, bes. 299; St. West, Herodotus’ Portrait of Hecataeus, in: JHS 111 (1991), 144-60, hier 154. Sie ist der Ansicht, dass es sich um eine Konstruktion Herodots handeln müsse; anders Lloyd, in: Asheri, et al., Herodotus, 242ff. 99 Vgl. dazu Hartog, Odysseus, 18ff. 38 3. Weisheit und Weltbild: Nomaden in der ionischen Ethnographie Auch wenn Herodot dieses Weltbild mit seinen Schematisierungen in vielen Punkten übernimmt und seine gesamte Konzeption wie auch die Darstellung der nördlich und der südlich lebenden Völker darauf basiert, so übt er doch heftig Kritik daran. 100 Interessant ist, wie Herodot über die schematische Anwendung des Symmetrieprinzipes spottet: 101 Er hält diese Art der auf Symmetrie ausgerichteten Darstellung der Welt für einfältig und amüsiert sich über die Ansicht, dass Erdkarten gezeichnet worden seien, die die Erde kreisrund (Hdt. 4,36), die beiden Erdteile Europa sowie Asien gleich groß und umgeben vom Okeanos darstellten. Diese symmetrische Abmessung und Ausrichtung scheint ihm grundfalsch zu sein, obwohl er der symmetrischen Geographie ansonsten nicht abgeneigt ist. 102 Ebenso kennt er die Lokalisierung der Fabelvölker, berichtet sie jedoch eher kritisch ( Herodot 4,25,1 ) : 100 Lloyd, in: Asheri, et al., Herodotus, der etwa eine Übernahme aus Hekataios für die wesentlichen Aspekte der ionischen Ethnographie postuliert. Auch die Libyen- Geographie bei Herodot führt er auf Hekataios und die für die ionische Ethnographie typische, übermäßige Schematisierung zurück. Ebenso seien die von Herodot den Ägyptern zugeschriebenen Erfindungen, z.B. Hdt. 2,4 die Entdeckung des Kalenders und der Religion, ionische Fiktionen. West, Portrait, 154, ist dagegen der Ansicht, dass dies auch aus dem eigenen, ägyptischen Anspruch entstanden sein könnte. 101 K. Zimmermann, Hdt. IV 36,2 et le dévelopement de l’image du monde d’Hécatée à Hérodote, in: Ktema 22 (1977), 285-98, hier 292 und schon Jouanna, Hippocrate, Komm. zu De aeribus 55 mit Anm. 79. Dieser hat bereits im Zusammenhang der Frage, wieweit das Symmetrie-Bedürfnis ging, seine Skepsis gegenüber der These von dem zweigeteilten Weltbild des Hekataios geäußert. Zimmermann, Hdt. IV 36,2, 296f. kommt zu dem Ergebnis, dass Hekataios ein zweigeteiltes Weltbild, Herodot demgegenüber dann ein dreigeteiltes vertreten habe. Vgl. dazu Romm, Edges, 82. Vgl. z.B. Plin. nat. 3,1,5, wo darauf Bezug genommen wird, dass in den älteren Werken Europa die Hälfte der Erde eingenommen habe, und Plin. nat. 6,28,219, wo er seine eigene Ansicht beschreibt: Europa umfasse 1/ 3 + 1/ 8, Asien 1/ 4 + 1/ 14 und Libyen 1/ 5 + 1/ 60. 102 Vgl. zu der symmetrischen Geographie allgemein: Gehrke, Raumbilder, in: Hantos/ Lehmann (Hrsg.), Kolloquium, 37 und zu Herodot: Lloyd, Introduction, 149ff. Vielleicht hängt die hier geäußerte Skepsis Herodots auch mit seinem Wissen über die Expedition des Skylax von Karyanda zusammen: vgl. dazu A. Dihle, Arabien und Indien, in: Hérodote et les peuples non Grecs. Neuf exposés suivis de discussions, Vandoeuvres-Genève, 22-26 août 1988, prép. par Nenci Giuseppe, prés. par Reverdin Olivier, (Entretiens sur l’Antiquité classique XXXV), Genf 1990, 41-67 41-67, hier 42. Nach Hdt. 4,44 hat Skylax im Auftrag des Perserkönigs Dareios zwischen 519 und 512 v.Chr. als erster Arabien umsegelt. Sein Reisebericht erweiterte das Wissen über die bewohnte Welt um die Kenntnis der Ausdehnung bis zum Indus. So waren zumindest für die Ausdehnung Asiens neue markante Punkte entdeckt worden, die Zweifel an der älteren Auffassung von der Zweiteilung der Welt beförderten. Vgl. dazu ausf.: Schubert, Peripherie, in: Kath/ Rieger (Hrsg.), Raum, 254ff. 39 μέχρι μὲν δὴ τούτων γινώσκεται, τὸ δὲ τῶν φαλακρῶν κατύπερθε οὐδεὶς ἀτρεκέως οἶδε φράσαι. ὄρεα γὰρ ὑψηλὰ ἀποτάμνει ἄβατα καὶ οὐδείς σφεα ὑπερβαίνει· οἱ δὲ φαλακροὶ οὗτοι λέγουσι, ἐμοὶ μὲν οὐ πιστὰ λέγοντες, οἰκέειν τὰ ὄρεα αἰγίποδας ἄνδρας, ὑπερβάντι δὲ τούτους ἀνθρώπους ἄλλους οἳ τὴν ἑξάμηνον κατεύδουσι. τοῦτο δὲ οὐκ ἐνδέκομαι ἀρχήν. [2] ἀλλὰ τὸ μὲν πρὸς ἠῶ τῶν φαλακρῶν γινώσκεται ἀτρεκέως ὑπὸ Ἰσσηδόνων οἰκεομένη, τὸ μέντοι κατύπερθε πρὸς βορέην ἄνεμον οὐ γινώσκεται οὔτε τῶν φαλακρῶν οὔτε τῶν Ἰσσηδόνων, εἰ μὴ ὅσα αὐτῶν τούτων λεγόντων. „Bis dahin also kennt man das Land: was aber jenseits von den Kahlköpfen liegt, darüber kann niemand etwas mit Gewißheit sagen. Denn hohe, unzugängliche Berge, die niemand übersteigen kann, trennen das Gebiet ab. Die Kahlköpfe aber sagen - ich glaube es ihnen aber nicht -, auf den Bergen wohnen Menschen mit Ziegenfüßen und wenn man hinüberginge, ein anderes Volk, das ein halbes Jahr lang schläft. Das nehme ich ihnen schon gar nicht ab. [2] Das Land östlich von den Kahlköpfen ist uns bekannt. Dort wohnen die Issedonen. Aber alles nördlich der Kahlköpfe und der Issedonen bleibt uns ein Rätsel außer dem, was diese Völker selbst erzählen.“ Seine kritische Einstellung wird besonders deutlich in der Beschreibung der Skythen. 103 So schreibt er, dass am Pontus Euxeinos die unwissendsten aller Völker leben, jedoch mit Ausnahme der Skythen, denn diese seien weise und unter ihnen gäbe es den berühmten Anacharsis. Und gerade dieses skythische Volk zeichnet sich durch einen besonderen Vorteil aus, etwas, das die Skythen offenbar auch besser beherrschen als alle anderen Völker, nämlich ihre Fähigkeit, niemanden entkommen zu lassen, der in ihr Land eindringt und gleichzeitig für niemanden faßbar zu sein, wenn sie verfolgt werden. Der Grund dieses erstaunlichen Vorteils liegt in der Lebensweise der Skythen: Sie haben keine Städte, keine Mauern, sie führen ihre Behausungen mit sich und sind berittene Bogenschützen, die nicht vom Ackerbau, sondern von der Viehzucht leben. Weil sie diese Lebensweise haben, sind die Nomaden nicht zu besiegen! Herodot wendet sich hier deutlich gegen andere Meinungen, die dort im Norden offensichtlich Völker lokalisiert haben, die sich durch Weisheit und Wissen ausgezeichnet haben. Damit meint er sowohl die Verortung von besonderen, durch Wissen und andere hervorragende Eigenschaften ausgezeichnete Völker an der Peripherie, wie auch die Symmetrie der ionischen Ethnographie. Er baut in den ägyptischen Logos eine erstaunliche Parallelität zu dem skythischen ein: 104 Der ägyptische beginnt damit, dass dies das älteste oder fast das älteste Volk sei (Hdt. 2,2), hingegen werden die Skythen als das jüngste Volk bezeichnet (Hdt. 4,5). Bei beiden folgt eine Analyse der jeweils lokalen Ursprungssagen, die wiederum mit den grie- 103 Hdt. 4,46. 104 Asheri, et al., Herodotus, hier Corcella zu IV, Introduction 548ff. Vgl. West, Portrait, 153 und zum Skythenfeldzug des Sesostris West, Epigraphical Interest, 298ff; vgl. Hartog, Mirror, 280ff.; Munson, Wonders, 107ff.; P. Payen, Les îles nomades. Conquérir et résister dans l’Enquête d’Hérodote, (Recherches d’histoire et de sciences sociales 72), Paris 1997, 276. 40 chischen Versionen verglichen werden, insbesondere im Hinblick auf die Götter, ihre Namen und die jeweilige Herkunft. Besonders deutlich wird die Parallelisierung nach dem Prinzip des mundus inversus am Beispiel des Herakles, der in beiden logoi eine herausgehobene Stellung einnimmt: 105 Bei den Ägyptern ist Herakles nach der Auffassung von Herodot ein uralter Gott (Hdt. 2,43,4: Ἀλλά τις ἀρχαῖός ἐστι θεὸς Αἰγυπτίοισι Ἡρακλέης· ), dessen Name die Griechen auch von den Ägyptern übernommen haben. Bei den Skythen hingegen ist Herakles der mythische Stammvater des skythischen Königsgeschlechtes (Hdt. 4,9-10) - jedoch nur aus Sicht der Griechen, die am Pontus leben (Hdt. 4,8,1), denn die Skythen selbst führen sich als Volk auf Targitaos und ihr Königshaus auf dessen jüngsten Sohn zurück. Auf der einen Seite vertritt Herodot eine Übernahme von Ägypten nach Griechenland, auf der anderen Seite einen griechischen Export von Griechen auf skythische Verhältnisse. Die antike Diskussion hat sich - offenbar seit Ephorus - sehr intensiv mit der Frage beschäftigt, wann das hier zum Ausdruck kommende Skythenbild entstanden ist. Strabon referiert einerseits die Beschreibung der nomadischen Skythen als das gerechteste aller Völker (Strab. 7,3,9 [ 302 ] (Radt)): καὶ αὐτὸς οὖν περὶ τῶν δικαιοτάτοις ἤθεσι χρωμένων ποιήσεσθαι τοὺς λόγους. εἶναι γάρ τινας τῶν νομάδων Σκυθῶν γάλακτι τρεφομένους ἵππων, τῇ <δε> δικαιοσύνῃ πάντων διαφέρειν, ... „Auch er selbst werde deshalb von denen reden, die besonders gerecht geartet seien: Es gäbe nämlich solche unter den skythischen Nomaden, die sich von Pferdemilch ernähren und diese überträfen alle durch ihre Gerechtigkeit.“ 106 Er zitiert als Belege Homer, Hesiod und Choirilos, 107 nennt dann Anacharsis als Prototypen dieses Volkes, der sich als einer der sieben Weisen durch 105 Die bekannteste Stelle im Ägyptenlogos ist Hdt. 2,35 über die Sitten und Bräuche der Ägypter, die in allem ganz anders seien als die anderer Völker. 106 ÜS Radt. 107 Vgl. aber auch Aischyl. Eum. 696-703: τὸ μήτ' ἄναρχον μήτε δεσποτούμενον ἀστοῖς περιστέλλουσι βουλεύω σέβειν, καὶ μὴ τὸ δεινὸν πᾶν πόλεως ἔξω βαλεῖν. τίς γὰρ δεδοικὼς μηδὲν ἔνδικος βροτῶν; τοιόνδε τοι ταρβοῦντες ἐνδίκως σέβας ἔρυμα [τε] χώρας καὶ πόλεως σωτήριον ἔχοιτ' ἄν, οἷον οὔτις ἀνθρώπων ἔχει, οὔτ' ἐν Σκύθῃσιν οὔτε Πέλοπος ἐν τόποις. „Nicht ohne Herr, nicht unter eines Herrn Gewalt Zu leben, sei der Bürger Sorge, rate ich, Auch nicht den Schrecken ganz zu bannen aus der Stadt. Denn welcher Mensch, der nichts mehr fürchtet, bleibt gerecht? Sofern ihr redlich diese heilge Würde ehrt, Besitz ihr eine Wehr des Landes und der Stadt, 41 εὐτέλεια und σωφροσύνη , aber auch durch diverse Erfindungen ausgezeichnet habe. Obwohl die Fiktivität der sog. Erfindungen für Strabon völlig klar ist, gilt ihm Anacharsis trotzdem als historisch verifizierbare Figur. Damit will er vor allem belegen, dass entgegen der Behauptung des Eratosthenes und Apollodor bereits seit alters her nicht nur die Skythen in ihrer besonderen nomadischen Lebensweise bekannt waren, sondern auch die anderen nördlichen Völker (Strab. 7,3,1-8 [295-302 ] ). Von Anfang an aber seit Homer seien die Skythen als Vorbild einer idealen Lebensweise betrachtet worden. Dieses ergebe sich aus ihrem nomadischen Leben, das weder Individualbesitz noch die daraus folgenden negativen Begleiterscheinungen kenne. Diese Meinung herrsche auch zu seiner Zeit noch unter den Hellenen, wenngleich der moralische Abstieg durch den zunehmenden Kulturkontakt und Austausch mit anderen Völkern auch bei den Skythen eingesetzt habe. Trotzdem beharrt er auf dieser Ansicht, die in den Skythen ein reales Volk in idealer Einfachheit sah, während die grundlegende Kritik bei Eratosthenes, Apollodor und Poseidonios dieser Einschätzung eher den Charakter einer Utopie zusprach, die einer genauen Kenntnis entbehrte (Strab. 7,3,7,1-10 [ 300 ] (Radt)): Νυνὶ δὲ περὶ Θρᾳκῶν λέγωμεν “Μυσῶν τ' ἀγχεμάχων καὶ ἀγαυῶν ἱππημολγῶν, γλακτοφάγων ἀβίων τε, δικαιοτάτων ἀνθρώπων,” βουλόμενοι συγκρῖναι τά τε ὑφ' ἡμῶν καὶ τὰ ὑπὸ Ποσειδωνίου λεχθέντα καὶ τὰ ὑπὸ τούτων· πρότερον δ' ὅτι τὴν ἐπιχείρησιν ὑπεναντίαν τοῖς προτεθεῖσι πεποίηνται. προὔθεντο μὲν γὰρ διδάξαι διότι τῶν πόρρω τῆς Ἑλλάδος πλείων ἦν ἄγνοια τοῖς πρεσβυτέροις ἢ τοῖς νεωτέροις, ἔδειξαν δὲ τἀναντία, καὶ οὐ [κατὰ] τὰ πόρρω μόνον ἀλλὰ καὶ τὰ ἐν αὐτῇ τῇ Ἑλλάδι. ἀλλ', ὡς ἔφην, τὰ ἄλλα μὲν ὑπερκείσθω, τὰ δὲ νῦν σκοπῶμεν. Σκυθῶν μὲν γὰρ μὴ μεμνῆσθαι κατ' ἄγνοιάν φασι, μηδὲ τῆς περὶ τοὺς ξένους ὠμότητος αὐτῶν, καταθυόντων καὶ σαρκοφαγούντων καὶ τοῖς κρανίοις ἐκπώμασι χρωμένων, δι' οὓς Ἄξενος ὠνομάζετο ὁ πόντος, πλάττειν δ' ἀγαυούς τινας ἱππημολγοὺς γαλακτοφάγους ἀβίους τε, δικαιοτάτους ἀνθρώπους, τοὺς οὐδαμοῦ γῆς ὄντας. „Hier wollen wir von den Thrakern sprechen und nahkämpfenden Mysern und stolzen Pferdemelkern, Milchkostessern und Abiern auch, den gerechtesten Menschen (Il. 13,4-6), wobei wir das von uns und Poseidonios Gesagte mit dem von jenen Behaupteten konfrontieren wollen. Zuvor aber möchten wir darauf hinweisen, dass ihre Argumentation ihrer Zielsetzung zuwiderläuft: Hatten sie sich doch zum Ziel gesetzt, zu zeigen, dass über das weit von Griechenland Entfernte bei den Älteren mehr Unkenntnis herrsche als bei den Jüngeren, in Wirklichkeit aber haben sie das Gegenteil nachgewiesen, und zwar nicht nur für das Entfernte, sondern auch für Griechenland selbst. Doch, wie gesagt, das Übrige bleibe aufgespart: wir wollen hier das erörtern, was jetzt in Rede steht. Sie be- So wie sie unter Menschen keiner je besaß, Nicht in der Skythen, in des Pelops Fluren nicht.“ (ÜS E. Staiger) Die Skythen und die Nachkommen des Pelops sind hier die Vorbilder an Rechtlichkeit, die von den Athenern noch übertroffen werden können. Vgl. Strab. 7,3,7 [301]. Vgl. ausf. dazu unten Kap. VII 2. 42 haupten, er erwähne aus Unkenntnis nicht die Skythen und nicht ihre Grausamkeit gegen Fremde, die sie opferten, ihr Fleisch verzehrten und ihre Schädel als Trinkgefäße benutzten (weshalb das Schwarze Meer Axenos genannt wurde), und erfinde stattdessen irgendwelche ‚stolzen Pferdemelker, Milchkostesser und Abier auch, die gerechtesten Menschen’, die es nirgends auf Erden gebe.“ Ebenso wie er diese Kritik des Eratosthenes an den Beschreibungen Homers und anderer älterer Dichter an den nördlich lebenden Skythen zurechtrücken will, unternimmt er dies auch für die Völker im Süden (Strab. 1,2,3 [ 16 ] (Radt)): 108 Ὅμηρον γοῦν ὑπέρ τε τῶν Αἰθιόπων ὅσα ἐπύθετο καταχωρίσαι εἰς τὴν ποίησιν καὶ τῶν κατ' Αἴγυπτον καὶ Λιβύην, … „Homer jedenfalls habe dem, was er über die Äthiopen, über Ägypten und Libyen erfahren hatte, einen Platz in seinem Dichtwerk gegeben, …“ 109 Die in den entferntesten Regionen lebenden Völker sind demnach von Homer keineswegs idealisiert, sondern genau und zutreffend beschrieben worden, während Eratosthenes demgegenüber Homer die Erfindung von Fabelwesen unterstellt hat. Diese Auseinandersetzung verweist auf die kritische Reflexion eines Weltbildes, das sich entlang der Leitlinie von Zentrum und Peripherie bewegt, wobei je nach Standpunkt entweder dem Zentrum oder der Peripherie die idealisierte Position zukam. In Abhängigkeit davon findet sich dann eine historisierende oder im Gegensatz dazu als Utopie klassifizierte Einschätzung der Lebensformen, die die Völker am Rand der bekannten Welt zeigen. Diese Art von Weltbild mit der Betonung von Räumlichkeit, der sich daraus ergebenden geometrischen Schemata und der Geometrisierung des gesamten physischen Universums stammt aus einer Zeit, in der die soziale, religiöse und politische Ordnung nach räumlichen Organisationsprinzipien konstruiert worden ist. 110 Charakteristisch ist dies für das Weltbild, das sich im Zusammenhang der ionischen Naturphilosophie entwickelte und die Vorstellung einer räumlichen Gliederung um eine Mitte herum prägte. Diese geordnete Einheitlichkeit des Raumes und die auf Gegenseitigkeit basierenden Beziehungen von allen bzw. allem Einzelnen symbolisiert das Gleichgewicht im Hinblick auf die symmetrische Position aller Individuen, Gruppen oder Elemente zu diesem Zentrum der Stadt, der Polis, des Kosmos oder des Körpers. Anaximanders Konstruktion des Kosmos drückt nun genau dies exemplarisch aus, indem die Erde als Symmetriepunkt 108 Grundsätzlich hält Strabon 1,2,7 [18 ] fest, dass Homer die Völker in den entfernten Regionen der Erde genauer und besser beschrieben habe als die Späteren, insbesondere Eratosthenes. 109 ÜS Radt. 110 Schubert, Konstruktionsprinzipien, 201-18; Schubert, Peripherie, in: Kath/ Rieger (Hrsg.), Raum, 253ff. 43 vorgestellt wird, der in der Mitte schwebt und von nichts beherrscht wird. Die Erde befindet sich in dieser Theorie im gleichen Abstand von allen sie umgebenden Himmelskreisen. 111 Damit verbunden wurde in der Beschreibung der Randlagen ein festes typologisches Schema von Charakteristika festgelegt (Umkehr der Geschlechterrollen, Existenz von Fabelwesen, Idealgesellschaften wie den Hyperboreern, klimatische Extreme etc.). 112 So wird den Skythen das Volk der Libyer als nomadisches Pendant am südlichen Rand der Welt gegenübergestellt. Hieraus ergibt sich auch ein Hinweis darauf, seit wann mit der Idealisierung der Skythen, bzw. generell der Nomaden am Rande der Welt begonnen wurde: 113 Der Ursprung kann nur in der Entstehung der ionischen Ethnographie mit ihrer räumlichen Geographie im 6. Jahrhundert gelegen haben. Die Kritik daran muss aber auch schon recht früh begonnen haben, denn bei Herodot ist sie ebenso deutlich ausgesprochen wie seine Kritik an dem Schema der ionischen Geographie (s.o.). Herodot kritisiert also gleichzeitig die Idealisierung der Skythen wie auch das von der ionischen Geographie entwickelte, symmetrische Schema. 114 Zwar bleibt er in wesentlichen Punkten dem Schema verhaftet, doch verwendet er, wenn es um die Verbindung dieser Elemente mit der Weisheitstradition geht, ein eher gegenläufiges Schema, das die Skythen auf dieser Ebene mit den Ägyptern in ein Verhältnis setzt und - in dieser Hinsicht - nicht mehr mit den ansonsten vergleichbaren, nomadischen Völkern im Süden Ägyptens. Für die Verortung der Weisheit sieht er folgende Entwicklung: Die Ägypter sind das weiseste aller Völker (Hdt. 2,160), zu dem auch die Griechen kommen, um ihre eigene Konzeption der Olympischen Spiele überprüfen zu lassen - aber auch die Skythen zeichnen sich durch eine besondere Weisheit aus (Hdt. 4,46), wenngleich sich dies nicht im Hinblick auf die Griechen oder einen direkten Kontakt auswirkt, sondern in ihrer Unbesiegbarkeit, die sie die Invasion des Perserkönigs erfolgreich abwehren lässt. 115 111 Schubert, Konstruktionsprinzipien, 201-218. 112 Schubert, Konstruktionsprinzipien, zu den entsprechenden Passagen bei Herodot und in De aeribus. Vgl. Hartog, Mirror 37ff.; Dihle, Griechen und Fremde, 55; zu Zentrum und Peripherie vgl. J. Harmatta, Herodotus, Historian of the Cimmerians and the Scythians, in: Hérodote et les peuples non grecs, 115-130, bes. 117. Vgl. A.B. Lloyd, Herodotus on Egyptians and Libyans, in: Hérodote et les peuples non grecs, 215-44, hier 232 und Lloyd, in: Asheri, et al., Herodotus, 235ff. 113 Zur Symmetrie der Extreme in diesem Weltbild: Schubert, Peripherie, in: Kath/ Rieger (Hrsg.), Raum. 114 Vgl. dazu Corcella, in: Asheri, et al., Herodotus, 553f., der in den Ähnlichkeiten in der Struktur der geographischen Konstruktionen bei Herodot, Ephorus, Pseudo- Scymnus, Pomponius Mela und Plinius als gemeinsamen Ursprung Hekataios sieht. 115 Gegen die Besonderheit, die Herodot den Ägyptern beimisst: Chr. Froidefond, Le mirage égyptien dans la littérature grecque d’Homère à Aristote, (Publications universitaires des lettres et sciences humaines d’Aix-en-Provence), Gap 1971, 134ff. 44 Ist Weisheit hier in beiden Logoi ein zentrales Thema, so zeigen sich aber doch Unterschiede, die erklären, warum Herodot die Skythen in einer Doppelrolle beschreibt und Anacharsis eine so herausgehobene Position gibt: Er ist das Pendant zu den nach Ägypten Reisenden, wenngleich diese Entsprechung bei Herodot nur sehr verkürzt zum Ausdruck kommt. So ist für Menelaos, Solon, Hekataios, Herodot selbst, aber auch später Platon eine Ägyptenreise überliefert, immer mit dem Ziel verbunden, von den soviel älteren und weiseren Ägyptern zu lernen. 116 Für den ägyptischen Pharao Amasis muss es sogar einen ganzen Kranz von Legenden gegeben haben, die ihn sowohl als Warner wie Ratgeber und Lehrer den Griechen gebenüber auftreten ließen. 117 Bei Herodot wird er an zentraler Stelle mit zwei der Weisen aus dem späteren Kreis der Sieben verbunden: Polykrates gegenüber tritt er als Warner auf, Solon gegenüber als Lehrer, er nimmt also die typische Rolle der von einer höheren Warte aus bewertenden, dem Schiedsrichter vergleichbaren, Autorität ein. Die ganz ähnliche Rolle, die Anacharsis in der späteren Überlieferung im griechischen Kontext spielt, 118 lässt sich bei Herodot nur im Spiegel der Kritik an dieser Überlieferung erkennen: Anacharsis ist bei den Griechen berühmt (Hdt. 4,46), er zeigt ihnen seine Weisheit (Hdt. 4,76), aber Herodot berichtet dem Leser nicht, worauf sich dies im Einzelnen gründete. Im Gegenteil, er führt dem Leser ausführlich vor, dass Anacharsis trotz aller Weisheit bei seinen eigenen Landsleuten völlig unbekannt war und nach seiner Rückkehr ein sehr unglückliches Ende fand. 119 Jedoch zeigt dies zumindest, dass ihm diese Überlieferung bereits vorlag, so dass er sich darauf ohne größere Erläuterungen für seine Leser beziehen konnte. Neben diesen strukturellen Parallelen hat aber Anacharsis einige Besonderheiten, die - im Vergleich zu Solon und den anderen Weisen, die bei Herodot alle auftreten - eher die Unterschiede als die Gemeinsamkeiten 116 Hom. Od. 3,318ff.; 4,474 und 4,581 (Menelaos); Hdt. 1,301, (Solon); 2,143,1 und Hekat. FGrHist 1 F 300-324; Plat. Tim. 20 eff.: Kritias vergleicht das Alter Ägyptens mit der Jugend Griechenlands; Plat. Phaidr. 275 b: Hier wird die Vorstellung vom hohen Alter Ägyptens benutzt; ob Platon selbst jemals in Ägypten war, ist umstritten; vgl. Froidefond, Le mirage égyptien, 71ff: Ägypten als ältestes oder fast ältestes Volk (Hdt. 2,2 und 2,142.). Vgl. West, Portrait, 144ff., die der Ansicht ist, dass die Theben- Episode mit dem Bezug auf Hekataios’ Besuch dort eine Erfindung Herodots sein könnte; vgl. auch C.F. Macfarquhar, Early Greek Travellers in Egypt, in: Greece & Rome 13/ 1 (1966), 108-16; J. Marincola, Herodotean Narrative and the Narrator’s Presence, in: Arethusa 20 (1987), 121-37. 117 C.W. Müller, Legende - Novelle - Roman. Dreizehn Kapitel zur erzählenden Prosaliteratur der Antike, Göttingen 2006, 214 mit Anm. 79; Solon bei Amasis: Hdt. 1,30,1; Amasis und Polykrates: Hdt. 3,40. 118 Vgl. dazu unten Kap. VI. 119 Zu der Bemerkung Herodots 4,76, dass ihn bei den Skythen niemand zu kennen schien: Corcella, in: Asheri, et al., Herodotus, ad loc. hält das eher für einen Hinweis darauf, dass Anacharsis eine griechisch geprägte Figur ist und wenig an originär Skythischem hat. 45 markieren. So lässt Herodot jeden der Sieben Weisen entweder einen Besuch bei Kroisos abstatten oder arbeitet sie zumindest in einer anderen Weise in den Kroisos-Logos ein (Solon, Bias, Thales, Pittakos, Periander etc.). 120 Anacharsis ist der einzige aus dieser Gruppe der Weisen, für den nicht ein einziger Bezug zu Kroisos zu erkennen ist. Darüber hinaus ist er auch der einzige aus der Gruppe, der nicht-griechischer Herkunft ist. Insofern wird deutlich, dass das Besondere an ihm seine skythische Herkunft ist und darin wiederum das Nomadentum ihrer Lebensform, das Herodot als Ausdruck der besonderen skythischen Weisheit sieht (4,46). Da die Idealisierung der Skythen bereits sehr früh nachweisbar ist (s.o.) und an die sie auszeichnenden Charakteristika des nomadischen Lebens gebunden wird, so liegt es nahe, die Figur des Anacharsis als des weisen Nomaden ebenfalls zumindest für das 6. Jh.v.Chr., wenn nicht sogar noch früher, als etabliert anzunehmen. Jedenfalls greift Herodot sowohl auf ihm vorliegende Geschichten zu Anacharsis zurück wie auch auf ein festes Schema der Weltbildkonstruktion, in der sowohl die Antipoden im Norden und Süden festgelegt waren als auch die aus der Klima- und Zonenlehre stammenden ethnographischen Schemata. Herodots kritischer Standpunkt kommt dabei immer bei denjenigen Aspekten dieses Weltbildes zum Ausdruck, die er als übertrieben schematisiert (Hdt. 4,36,2: ἐοῦσαν κυκλοτερέα ὡς ἀπὸ τόρνου , „rund wie von einem Zirkel gezeichnet“) 121 und von einer lächerlichen Einfachheit geprägt sieht (Hdt. 4,36,2: γελῶ δὲ ὁρέων γῆς περιόδους γράψαντας πολλοὺς ἤδη καὶ οὐδένα νόον ἐχόντως ἐξηγησάμενον, οἳ Ὠκεανόν τε ῥέοντα γράφουσι πέριξ τὴν γῆν , “Ich muss lachen, wenn ich sehe, wie viele Menschen schon Erdkarten gezeichnet haben, und wie noch keiner sie mit rechtem Verstand dargestellt hat. Sie zeichnen den Ozeanfluß rund um die Erde fließend …“). Er trennt sich zwar nicht von den ihm vorliegenden, spiegelsymmetrischen Schematisierungen, aber er relativiert sie öfter, und im Fall der Skythen wählt er auch den wesentlich komplexeren Ansatz der doppelten Codierung. So „verbirgt“ er in dem Skythen-Logos Hinweise auf die Athener und ihren vergleichbaren Kampf gegen die Perser, 122 und im Hinblick auf die antipodische Struktur der nördlichen Skythen und der südlichen Ägypter unterlegt er dem Bild der weisen Völker eine gegenläufige Substruktur der Anti-Weisheit. So stellt er Ägypten als den Ursprung des in Griechenland praktizierten orgiastischen Kultes für Dionysos dar. Nicht nur sollen die Griechen viele ihrer Götternamen von den Ägyptern übernommen haben, sondern insbesondere soll Melampos das Dionysosfest zusammen mit dem Phallosumzug in Griechenland eingeführt haben. 123 Das 120 Vgl. Payen, Nomades, 276; West, Portrait, 152: ‚Orientalische Wanderjahre’ als typisches Motiv für griechische Weise. 121 = FGrHist 1 Hekat. F 36 b. 122 Hartog, Mirror, 61ff. ; Payen, Nomades, 276. 123 Hdt. 2,49: dazu Lloyd, in: Asheri, et al., Herodotus, 272 und 97. 46 Fest sei dann von den Griechen weiter ausgestaltet worden, aber im Kern sei es dasselbe Fest wie in Ägypten. Bei den Skythen aber scheitert Anacharsis an der Einführung eines ähnlichen, orgiastischen Kultes für die Göttermuter, da er damit das eherne Gesetz der Skythen, die fremde Kulte ablehnen, verletzt hat. Er wird bei der Feier von seinem Bruder ermordet und Herodot unterstreicht die Bedeutung dieser Geschichte, indem er mit der Skyles-Episode (s.u. VI 1) eine ganz parallel aufgebaute Doppelung anhängt. 124 Das orgiastische Element in diesen Kultausübungen und Kulteinführungen ist eine Gemeinsamkeit, die Herodot ganz offensichtlich Anlaß zu eigenen Überlegungen gegeben hat (Hdt. 2,49,2): Ἐγὼ μέν νύν φημι Μελάμποδα γενόμενον ἄνδρα σοφὸν μαντικήν τε ἑωυτῷ συστῆσαι καὶ πυθόμενον ἀπ' Αἰγύπτου ἄλλα τε πολλὰ ἐσηγήσασθαι Ἕλλησι καὶ τὰ περὶ τὸν Διόνυσον, ὀλίγα αὐτῶν παραλλάξαντα. „Ich bin aber der Meinung, dass Melampus, ein weiser Mann, sich zuerst die Seherkraft angeeignet hat und dann von den Bräuchen in Ägypten hörte und nun unter vielem anderen auch den Dionysoskult mit geringen Abänderungen bei den Griechen einführte.“ Für die Skythen hält er demgegenüber fest, dass sie ganz im Gegenteil keinerlei Übernahme von Kulten aus dem griechischen Bereich tolerieren und jeden Versuch dieser Art mit der Tötung desjenigen ahnden, der dies versucht, sogar wenn es ein Weiser ist (Hdt. 4,76,1): Ξεινικοῖσι δὲ νομαίοισι καὶ οὗτοι αἰνῶς χρᾶσθαι φεύγουσι, μήτε τέων ἄλλων, Ἑλληνικοῖσι δὲ καὶ ἥκιστα, ὡς διέδεξαν Ἀναχάρσις τε καὶ δεύτερα αὖτις Σκύλης. „Gegen fremde Sitten haben auch sie einen wahren Abscheu; ganz besonders wehren sie sich gegen griechische Bräuche, wie sie durch Anacharsis und später wieder Skyles bewiesen haben.“ So sind Skythen und Ägypter hier die Antipoden, während die Griechen eine Mittelstellung einnehmen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie zwar sehr vieles von den Ägyptern übernommen haben, dies jedoch ausgestaltet und auch weiterentwickelt haben. Demgegenüber lehnen die Skythen jegliche Form des kulturellen Kontaktes ab und wollen ihre eigene Lebensform unverändert bewahren. Herodot entwickelt hier eine Genealogie der Weisheit, die den Ägyptern die Alterspriorität zuweist, den Griechen und den Skythen, jeweils aus eigener Sicht gesehen, diejenige der Schüler und der in jeder Hinsicht völlig anders lebenden, so dass aus den Skythen die anderen Ägypter wer- 124 Vgl. unter Kap. VII 1, S. 174ff. zur Bedeutung dieser Doppelungen als Verstärkung, ebenso zu der Figur des zweiten Arguments. 47 den. 125 Damit stellt sich die Frage, mit welcher Bedeutung die Figur des Anacharsis bei Herodot ausgestattet wird: Einerseits steht er für Weisheit wie auch Solon, Thales und Bias, andererseits wird er aber als Skythe in den Kontext des völlig Anderen gerückt, worin er sich auch deutlich von den anderen Weisen unterscheidet. Da Herodot ihn jedoch auch in das Zwielicht des Gescheiterten rückt, stellt sich hier nicht nur die Frage danach, wie Herodot den Skythen Anacharsis im Kreis der Weisen sieht, sondern auch danach, wie überhaupt die Entwicklung der Vorstellung von den Weisen vor Herodot und vor der Tradition des 5. Jahrhunderts gewesen ist. 125 Dies widerspricht nicht den von Hartog, Mirror so nachdrücklich herausgearbeitenden Bezügen zwischen den Athenern und den Skythen, sondern verweist auf eine andere Beziehungsstruktur. 48 II Archäologie der griechischen Weisheit I: Die Sieben Weisen 1. Solon und die Rolle der Weisen in der archaischen Zeit Weisheit steht im archaischen Griechenland in engem Zusammenhang mit Situation und Wissen, Lebenserfahrung, historischer Interaktion. Sie repräsentiert eine spezifische Form des Wissens und wird als Sinn-Orientierung begriffen. 126 Dabei ist die Verbindung mit der nahöstlichen Weisheitstradition gerade hier noch sehr deutlich zu erkennen, wie es sich auch in den dieser noch nahe stehenden griechischen Werken mit gnomischen Elementen bei Hesiod, in dem Wettstreit zwischen Homer und Hesiod sowie den Phocylidea zeigt. 127 Bei Homer und in der archaischen Zeit sind gnomische Aussagen so weit verbreitet, dass Wörter mit allg. Bedeutung wie ἔπος , αἶνος oder λόγος für eine ganze Reihe von Sprechakten (Lob, Tadel, Ermahnung, Beleidigung) benutzt werden können, wobei Wendungen wie z.B. χρή (chr ē , „man muss”) mit Infinitiv oder φράζεο (phrázeo, „bedenke”) mit einem folgendem Spruch gern verwendet werden. 128 Von den später erst in Unterschieden verwendeten Begriffen für Lebensweisheit, Mahnspruch, Sprichwort und Ausspruch wie γνώμη , ὑποθήκη , παροιμία und ἀπόφθεγμα ist γνώμη der älteste und der umfassendste. 129 Gerade das Delphische Orakel ist sowohl als Quelle von Orakeln und Sprüchen wie auch als sinngebende Instanz dafür paradigmatisch. 130 Es ist zwar nicht klar, welche und wie viele Sprüche zu dem ursprünglichen delphischen Grundstock zählten, aber sowohl die literarische, als auch die papyrologische und epigraphische Überlieferung hat mittlerweile genügend Parallelen zutage gefördert, um die Zweifel an der Überlieferung dieses delphischen Spruchcorpus auszuräumen. 131 Damit lässt sich eine eigene, 126 B. Gladigow, Wissen, in: A. Assmann (Hrsg.), Weisheit, 59-72. 127 Zu Hesiods (weitgehend verlorenen) Megála érga und den ihm zugeschriebenen sog. Cheír ō nos hypothekai (Mahnsprüche des Chiron), einem gnomischen Werk (Quint. inst. 1,1,15), dem ‚Wettkampf Homers und Hesiods’ (205-210 Allen) sowie den sog. Phocylidea: St. Scully, s.v. Weisheitsliteratur III Klassische Antike, in: DNP 12/ 2, 2002, 448-51, v.a. 448-49; Gladigow, Wissen, in: A. Assmann (Hrsg.), Weisheit. 128 J.F. Kindstrand, Diogenes Laertius and the Chreia Tradition, in: Elenchos 7 (1986), 217-43. 129 Herakl. DK 22 B 78 (praktische Lebensweisheit), vgl. Aristot. rhet. 2,1394 a 19-26. Vgl. dazu J. Althoff/ D. Zeller, Antike Textzeugnisse und Überlieferungsgeschichte, in: J. Althoff, et al. (Hrsg.), Worte, 3-82, hier 53ff. 130 Grundsätzlich dazu: Meier, Intelligenz, in: ders. (Hrsg.), Welt. 131 Althoff/ Zeller, Textzeugnisse, in: Althoff, et al. (Hrsg.), Worte, 53: IG XII 3, 1020 (S. 8, Anm. 8), Joh. Stob. Anth. 3,1,172; vgl. ders. 1,173 (Sammlung des Sosiades) ; Diog. 49 wirkmächtige Überlieferung rekonstruieren, die aber ausschließlich auf den praktischen Lebenszusammenhang gerichtet war. In der gleichen Struktur wie die delphische Spruchweisheit stehen die für die einzelnen Figuren der Sieben Weisen überlieferten Sprüche, die sprachlich vergleichbar in den kurzen Imperativen abgefaßt sind. Später, vielleicht tatsächlich erst im 4. Jahrhundert, denn Herodot kennt einen solchen Kreis noch nicht, sind sie zu den Sieben Weisen zusammengefasst worden. Die wechselnde Zusammensetzung, in der der Kreis beschrieben wird, verweist auf unterschiedliche Zugehörigkeiten und Wirkungskreise: In der Politik spielt der Gegensatz zwischen Tyrannis und Bürgerpolis eine entscheidende Rolle, aber auch die Philosophie wird gegen die Dichtung gestellt und in der Historiographie wird die Historizität gegen die Fiktion ins Feld geführt. Die - aus späterer Sicht - ganz unterschiedlichen Rationalitätsansprüche von Religion und Wissenschaft, ja selbst die Herkunftsfrage, die etwa für Pythagoras angesprochen wird, der entweder aus Phönizien oder aus Babylon kam (vgl. dazu Kap. III), lassen wenig Verbindendes erkennen. Die Verkörperung der Weisheit ist auch keine spezifisch archaisch-griechische Eigenart, ebensowenig die personale Konzentration. Den Sprüchen des Orakels von Delphi kommt hier die gleiche Wirkmächtigkeit zu, wie den Einflüssen orientalischer Weisheit oder dem archaischen politischen Denken, das auf die verschiedenen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und religiösen Probleme antwortete, die sich aus inneren Nöten, Bürgerkriegen oder der weitausgreifenden Kolonisation ergaben. 132 Weisheitliche Wissensformen können von der mystischen Schau, über die religiöse Offenbarung, normatives Transformationswissen und anonymes Erfahrungswissen bis hin zu Äußerungen der persönlichen Lebenserfahrung fast jede Form annehmen. 133 Historisch gesehen steht das im griechischen Kontext der archaischen Zeit zu beobachtende Phänomen der Weisheit im Zusammenhang des Transformationsprozesses, in dem das politische Denken entstand mit seinen Einsichten über menschliches Wissen, dessen Möglichkeiten und Begrenzungen. Laert. 1,13 und v.a. 1,92ff. [Kleobulos]; 1,60f. [Solon]; 1,69f. [Chilon]; 1,37 [Thales]; 1,78f. [Pittakos]; 1,87f. [Bias]; 1,97ff. [Periander]; Inschrift von Miletupolis: E. Schwertheim, Die Inschriften von Kyzikos und Umgebung. Teil II: Miletupolis, (Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 26), Bonn 1983, Nr. 2 (mit Abb. Nr. 5), 3-5 (Ende 4./ Anf. 3. Jh.v.Chr.). Die Inschrift aus Aï-Khanum: L. Robert, De Delphes à l’Oxus. Inscriptions grecques nouvelles de la Bactriane, in: CRAI (1968), 416-57 Vgl. J.F. Kindstrand, The Greek Concept of Proverbs, in: Eranos 78 (1978), 71-85; Kindstrand, Diogenes Laertius, 217ff. Zur Verbindung mit der Enstehung des politischen Denkens: Chr. Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt a.M. 1980, 14f. 132 Chr. Meier, Autonomprozessuale Zusammenhänge in der Vorgeschichte der griechischen Demokratie, in: K.-G. Faber/ Chr. Meier (Hrsg.), Historische Prozesse, (Theorie der Geschichte 2), München 1978, 221-47, hier 240ff; Meier, Entstehung, 70ff; Meier, Intelligenz, in: ders. (Hrsg.), Welt, 78ff. 133 Assmann, Was ist Weisheit, in: dies. (Hrsg.), Weisheit, 27. 50 Die Geschichten über die Figuren der Weisen nehmen einen breiten Raum in der Überlieferung zur Geschichte der griechischen Poleis in archaischer Zeit ein. Eine festumrissene Gruppe waren sie aber keinesfalls und man will heute chronologisch nicht über Platons Kenntnis eines Kreises der Sieben Weisen hinausgehen (vgl. dazu unten Kap. III: Archäologie der Weisheit II - Der Weisheitswettkampf). 134 Damit ist aber das Phänomen der weisen Männer und Gelehrten als einer - noch nicht namentlich festgelegten - Gruppe nicht aus der Welt. Sowohl Herodot kennt diese als auch die gesamte spätere Überlieferung, 135 und man sieht sie auch als historische Personen an. 136 Ihre Verbindung zum Orakel von Delphi und zu den aus späterer Zeit erhaltenen Spruchsammlungen ist schwierig zu beurteilen, jedoch kann für Thales und Solon mit einer gewissen Sicherheit über die allgemeine Feststellung hinaus, dass sie Vertreter einer praktischen Weisheit gewesen seien, auch die Wirkung eines schriftlichen Werks festgehalten werden. Nimmt man alles zusammen, ergibt sich das Bild von Pragmatikern, die als Wieder-ins-Lot-Bringer, als Schiedsrichter, Gesetzgeber und als Ratgeber schwierige Situationen in öffentlich sichtbarer und der griechischen „Debattenkultur“ entsprechender Weise geregelt haben. 137 Hier tritt ein Zug individualistischer Überlegenheit hervor, der einen Unterschied zu den nahöstlichen Weisheitskonzepten deutlich werden lässt. 138 Wenn eini- 134 Plat. Prot. 343 a 1-b 3; dazu D. Fehling, Die Sieben Weisen und die frühgriechische Chronologie. Eine traditionsgeschichtliche Studie, Frankfurt a. M. 1985, 14ff. Vgl. D. Fehling, Die Quellenangaben bei Herodot. Studien zur Erzählkunst Herodots, (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 9), Berlin/ New York 1971; M. Asper, ‚Literatursoziologisches’ zu den Sprüchen der Sieben Weisen, in: J. Althoff, et al. (Hrsg.), Worte, 83-103, hier 92. 135 Hdt. 1,27 (Bias); Hdt. 1,29-33 (Solon); Hdt. 1,74-75 (Thales); Hdt. 1,170 (Thales und Bias); Hdt. 1,59 und 7,235 (Chilon); dazu Rösler, Sieben Weise, in: Assmann (Hrsg.), Weisheit, 359. Vgl. G.E.R. Lloyd, The Social Background of Early Greek Philosophy and Science, in: ders. (Hrsg.), Methods and Problems in Greek Science: Selectetd Papers, Cambridge 1991, 121-40; A. Busine, Les Sept Sages de la Grèce antique, Brüsel 2002, 35. Da diese Nennungen die Weisen jeweils nur für sich betrachten und sie nie als Gruppe beschreiben, hat bereits Dikaiarch (= Diog. Laert. 1,41) daraus den Schluss gezogen, dass sie eben gerade nicht einer festumrissenen Gruppe angehörten. 136 So für Bias: Demodokos IEG frg. 6 (West), Hipponax IEG frg. 123 (West), Herakl. DK 22 B 39; zu Myson: Hipponax IEG frg. 63 (West); zu Aristodemos: Alkaios frg. 360 (Voigt); zu Pittakos: Simonides frg. 37,11ff. (PMG); zu Kleobulos: frg. 76 (PMG); zu Chilon: Kritias DK 88 B 7. Vgl. die von Rösler, Sieben Weise, in: Assmann (Hrsg.), Weisheit, 359 zusammengestellten Testimonien und die Übersicht bei Asper, ‚Literatursoziologisches’, in: Althoff, et al. (Hrsg.), Worte, 89 Anm. 22. 137 Vgl. zu der Vorstellung einer ‚Debattenkultur’ grundsätzlich K.-J. Hölkeskamp, Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, (Historia Einzelschriften 131), Stuttgart 1999, das entsprechende Konzept der ‚public debate’ bei Lloyd, Revolutions, 87. 138 Asper, ‚Literatursoziologisches’, in: Althoff, et al. (Hrsg.), Worte, 93. Zu der Siebenzahl und der darin liegenden Anknüpfung an orientalische Traditionen: G. Bien, Über den Begriff der Weisheit in der antiken Philosophie, in: Studia Philosophica - 51 ge der Weisen schon bei Herodot in ihrer Begegnung mit Kroisos als die Griechen dargestellt werden, dann vermittelt er damit auch die Vorstellung von überlegener, griechischer Weisheit, die sich gegenüber Lydern und Persern eine Projektionsfläche für Definition und Abgrenzung der eigenen kulturell-ethnischen Identität schaffen will. 139 Das bei Solon zum Ausdruck kommende Verständnis von Weisheit, σοφία , ist die Formulierung eines allgemeinen Begriffs, der im Zusammenhang seiner μέτρον - und δίκη -Vorstellung steht, gleichsam aber noch gebunden durch göttliche Einweihung (Solon frg. 17,19). Der Anspruch auf Wahrheitserkenntnis, der bei Solon sichtbar wird, ist einerseits eng verbunden mit der Ordnung der Welt (Ablauf des menschlichen Lebens, Solon frg. 19), andererseits aber auch mit dem öffentlichen Wirken, für das er selbst steht und dessen Wahrheit durch die Zeit enthüllt werden wird (vgl. dazu unten S. 52 ). 140 Die Öffentlichkeit dieser Wahrheit ist dann ἐς μέσον . Dieser Begriff, der seit Homer schon die Öffentlichkeit als Mitte beschreibt, 141 rückt nun die Wahrheit, für deren Erkenntnis die Weisheit steht, ebenso in die Mitte der Gemeinschaft wie das politische Geschehen dort seinen Platz gefunden hatte oder zumindest finden sollte. 142 Dies gehört zu einem breiteren Prozeß der Umwertung von Werten, in dem sich eine polisbezogene Ethik herausbildete. 143 In Athen ist diese Entwicklung Teil einer Krise, die geprägt war von Auseinandersetzungen über das Schuldrecht, Landbesitz und die Jahrbuch der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft 47 (1988), 32-50, hier 41 mit Verweis auf das Gilgamesch-Epos Tafel 11: Sieben Weise, die die Fundamente der Mauern von Uruk gelegt haben. Zu der Siebenzahl des Ratgebergremiums für den König: Hom. Il. 2,405ff.; 3,146ff.; Pind. O. 7,71 (7 Söhne des Sonnengottes). Vgl. zu den Verbindungen mit der altlorientalischen Weisheit: C. Wilcke, Göttliche und menschliche Weisheit im alten Orient, in: Assmann (Hrsg.), Weisheit, 259-70. 139 So deutlich Ephorus bei Diod. 11,26-28; s. dazu Asper, ‚Literatursoziologisches’, in: Althoff, et al. (Hrsg.), Worte, 93. Zu Herodots Darstellung dieses Kontexts vgl. unten Kap. IV-VI; vgl. B. Snell, Leben und Meinungen der Sieben Weisen. Griechische und lateinische Quellen, erl. und übertr., 4., verb. Auflage, München 1971, 97. Zur Sonderstellung des Anacharsis s.u. Kap. VI und VII. 140 Solon frg. 10 W. = 14 G.-Pr. : δείξει δὴ μανίην μὲν ἐμὴν βαιὸς χρόνος ἀστοῖς, δείξει ἀληθείης ἐς μέσον ἐρχομένης. („Offenbaren wird ja, wie verrückt ich bin, ein bißchen Zeit nur den Bürgern, offenbaren, wenn die Wahrheit in die Mitte tritt.“ (ÜS Mülke). Zu Solon als einem Weisen s. jetzt C.W. Müller, Politik und Weisheit im 6. Jh.v.Chr., in: R. Kath/ M. Rücker (Hrsg.), Die Geburt der griechischen Weisheit oder: Anacharsis, Skythe und Grieche. Mitteilung des SFB 586 „Differenz und Integration“. Orientwiss. Hefte, Halle 2010, (im Druck). 141 Hom. Il. 1,124 und 125; 19,242ff.; Hom. Od. 2,28ff.; Thgn. 678ff.. Dazu Meier, Entstehung, 80ff., 133f., 248ff., 488f. 142 Vernant, Entstehung, 85. Vgl. M. Detienne, The Master of Truth in Archaic Greece, New York/ London 1999, 91ff. 143 Meier, Entstehung, 83: „Weisheit und Gerechtigkeit konnten als die wichtigsten Tugenden erscheinen. Und das korrespondierte der Forderung breiter Schichten nach Recht (dike).“ 52 Verteilung politischer Rechte. 144 Ob und wie sich dies in den anderen Poleis, insbesondere in den ionischen, abspielte, lässt sich kaum mit der gleichen Sicherheit annehmen, ebenso wenig wie eine Synchronizität der Entwicklung, deren durchaus unterschiedliche Ausprägung der Sozialstrukturen immerhin nicht ganz unbekannt sind. 145 Aber die weit verteilt über den gesamten östlichen und westlichen Mittelmeerraum liegenden Herkunfts- und Wirkungsorte der namentlich bekannten Weisen zeigen, dass das Phänomen der in die Öffentlichkeit gerückten Weisheit weder lokal begrenzt war, noch sich an eine bestimmte soziale Entwicklung binden lässt. 146 Die wesentliche Rolle, die das Heraustreten an die Öffentlichkeit in dieser Veränderung der Weisheitsvorstellung gespielt hat, kann jedoch kaum ohne den weiteren Kontext des griechischen Polisbildungsprozesses erklärt werden. Die Rolle der griechischen Volksversammlungen, die immer deutlicher zutage tretenden Wurzeln der egalitären Vorstellungen in Griechenland weisen daraufhin, dass es sich um einen Prozeß handelt, in dem die Verantwortung für die Ordnung in ein gemeinsames nomologisches Wissen integriert wurde. 147 Da sich die Weisen jedoch gerade dadurch auszeichnen, dass sie nicht speziell der Ordnung einer einzigen Polis verpflichtet waren, sondern von der Position des ‚Dritten’ her als Ratgeber oder Schlichter etc. wirkten, ist die Weisheit und damit auch das darin liegende Wissen, für das sie stehen, noch als Teil einer umfassenden Ordnung und Weltsicht zu verstehen. Die Art von Ausgleich, die auf diese Weise geschaffen werden sollte, ist lediglich für Solon aufgrund seiner Gedichte und Politik genauer zu beschreiben. Mit Bezug auf die Dike als einer höheren Norm gibt er seine Gesetze und will so einen gerechten Ausgleich zwischen den Bürgern schaffen, repräsentiert in der Eunomie (Solon frg. 4 W = 3 G.-Pr.: Z.32/ 33). 148 Das Ziel ist die Einigung der Stadt und der verschiedenen Gruppierungen, wie er es auch in seinen politischen Maßnahmen zu realisieren versucht, sei es die Aufhebung der Schuldknechtschaft, sei es die Einführung neuer Gesetze. Das Anliegen ist ein primär politisches, orientiert sich jedoch an 144 Eine gute Übersicht des Standes der derzeitigen Diskussion zu Solon bei J.H. Blok/ A.P.M.H. Lardinois (Hrsg.), Solon of Athens. New Historical and Philological Approaches (Mnemosyne, Bibliotheca Classica Batava Supplementum 272), Leiden 2006. 145 Vgl. etwa zu Chios (ML 8): Ch. Schubert, Athen und Sparta in klassischer Zeit. Ein Studienbuch, Stuttgart 2003, 8ff. 146 Vgl. die grundsätzliche Kritik von Meier, Intelligenz, in: ders. (Hrsg.), Welt, 73ff. an den Ansätzen von S. Humphreys, G.E.R. Lloyd und J.-P. Vernant, die verschiedene Modelle für die Entstehung des griechischen Denkens und damit auch für die Vorgeschichte der Demokratie erwogen haben. Neuerdings dazu auch R. Osborne, Introduction, in: S. Goldhill/ R. Osborne (Hrsg.), Rethinking Revolutions through Ancient Greece, Cambridge 2006, 1-9 und ders., When was the Athenian democratic Revolution? In: Goldhill/ Osborne, Rethinking Revolutions, 10-28. 147 Vgl. Meier, Intelligenz, in: ders. (Hrsg.), Welt, 89 (zu Solon). 148 Ausf. s.u. 53 moralischen Überlegungen. 149 Luxus und Anmaßung der Reichen, die Hybris und Anomie müssen durch Dike zurückgedrängt und deren Auswüchse beschränkt werden (Solon frg. 4 W = 3 G.-Pr.: Z.9-17). 150 Dies steht aber hier im eindeutigen Kontext der Furcht vor Tyrannis oder tyrannischem Machtstreben (Solon frg. 4 W = 3 G.-Pr.: Z.17-20): 151 οῦτ' ἤδη πάσηι πόλει ἔρχεται ἕλκος ἄφυκτον, ἐς δὲ κακὴν ταχέως ἤλυθε δουλοσύνην, ἣ στάσιν ἔμφυλον πόλεμόν θ' εὕδοντ' ἐπεγείρει, ὃς πολλῶν ἐρατὴν ὤλεσεν ἡλικίην· „Dies kommt nunmehr über die ganze Stadt als eine Wunde, eine unausweichliche, und schnell gerät sie da in schlimme Knechtschaft, der Zwist in der Gemeinschaft und Krieg, den Schlafenden aufweckt, der dann die liebliche Jugend vieler vernichtet.“ 152 Der hier zum ersten Mal belegte Begriff der Stasis verweist auf die im 6. Jahrhundert immer latente Gefahr der aus rivalisierenden Adelskämpfen entstehenden Tyrannis hin (vgl. auch Solon frg. 9 W = 12 G.-Pr.). Gegen die diesem Phänomen zugrunde liegende Hybris der Reichen begründet Solon eine klare Gegenposition mit dem Ideal des Maßes und des Maßhaltens (Solon frg. 4b-c W = 5 G.-Pr.): ὑμεῖς δ' ἡσυχάσαντες ἐνὶ φρεσὶ καρτερὸν ἦτορ, οἳ πολλῶν ἀγαθῶν ἐς κόρον [ἠ]λ? άσατε, ἐν μετρίοισι τίθεσθε μέγαν νόον· οὔτε γὰρ ἡμεῖς πεισόμεθ', οὔθ' ὑμῖν ἄρτια τα[ῦ]τ? ' ἔσεται. „Doch ihr: Bringt im Innern das harte Herz zur Ruhe, die ihr zur Sättigung an vielen Gütern getrieben seid, und verlegt euer großes Planen auf’s Maßvolle! Denn weder werden wir euch zu Willen sein, noch wird euch dies passend geordnet sein.“ 153 Mit ἐν μετρίοισι drückt Solon hier die Aufforderung zum angemessenen und maßvollen Verhalten aus, die er als Mittler und Abwägender an beide Seiten der streitenden Parteien in Athen richtet. Neben dem Bezug zu dem μηδὲν ἄγαν und den darin liegenden moralischen Vorstellungen von Mä- 149 Zu Solon: Chr. Mülke, Solons politische Elegien und Iamben, Fr. 1-13; 32-37 West. Einleitung, Text, Übersetzung, Kommentar, (Beiträge zur Altertumskunde 177), München/ Leipzig 2002, 88ff. ad loc.; Vernant, Entstehung, 81. 150 Vernant, Entstehung, 74ff. versteht die Ausdrücke des mystischen Strebens, vor allem repräsentiert in kathartischen Ritualen (die von Epimenides durchgeführte Reinigung Athens von der Blutschuld des kylonischen Frevels), neuentstehendem Asketismus (a.a.O. 81) etc. als eine Form, die Ordnungswiederherstellung zu erreichen. 151 Ausf. bei Mülke, Elegien, Komm. ad loc: Kontext und Parallelen schließen hier aus, dass mit πόλεμος Krieg gegen äußere Feinde gemeint ist, sondern vielmehr ist es der Einzelne, der sich mit seinen φίλοι zum Tyrannen aufschwingt und so die δουλοσύνη herbeiführt. 152 ÜS Mülke. 153 ÜS Mülke. 54 ßigung, ist es aber vor allem auch ein politischer Bezug, den Solon hier zum Ausdruck bringt: Als Gegenkonzept zur Tyrannis nennt Solon die ἰσομοιρίη , eine politische Konzeption, die von ihm genauso abgelehnt wird wie die Tyrannis! Für ihn ist in dem Kampf gegen die Tyrannis die Vorstellung vom gleichen Anteil aller, ungeachtet ihrer Person, ein Irrweg, denn die gute Ordnung entsteht durch die Angemessenheit, d.h. die nach gerechtem Maß bestimmte Anteiligkeit an der Ordnung. 154 Maßgedanke und ausgewogene Verteilung entsprechen Forderungen aus einem politischen Kontext wie sie im 6. Jahrhundert in vielfältigen Situationen und fast immer gegenüber der Tyrannis geäußert wurden: In diesen historischen Kontext gehören sowohl der Sturz des Adelsregimes in Megara durch den dann als Tyrannen agierenden Theagenes, die Usurpation des Kypselos in Korinth, der den Besitz der bis dahin dort herrschenden Bakchiaden konfiszierte sowie der Sturz der Geomoren in Samos nach 600 v.Chr. und ähnliche Kämpfe auf Lesbos. 155 Die Sprüche der Weisen mit ihren Empfehlungen zum Einhalten des rechten Maßes erhalten so aus der Kritik an der Tyrannis und der ihr inhärenten Hybris einen historischen Kontext und eine moralische Dimension. Aus der allgemeinen Entwicklung der Weisheitsvorstellung in Griechenland tritt daher eine konkrete historische Situation hervor, in der den Weisen - belegbar an dem Fall des Weisen ‚Solon’ - mit ihrer Kunst des abwägenden Ratens und Vermittelns die Aufgabe zukommt, das richtige Verhältnis zwischen den widerstreitenden Parteien der Polis zu bestimmen und dafür ein Maß vorzugeben, das der Maßlosigkeit sowohl der einen wie der anderen Gruppe Grenzen setzt. So zeigt sich die Weisheit des Schlich- 154 Vgl. Mülke, Elegien, 359 ad loc. mit den verschiedenen, bisher diskutierten Interpretationen. Vgl. K.-W. Welwei, Athen. Vom neolithischen Siedlungsplatz zur archaischen Großpolis, Darmstadt 1992, 159f.: Isomoiria als politisches Schlagwort; Chr. Meier, Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte, Berlin 1983, 293-98: Ersatz für das metrisch unmögliche ἴσην μοῖραν ; vgl. auch Chr. Meier, Entstehung des Begriffs Demokratie: Vier Prolegomena zu einer historischen Theorie, Frankfurt a. M. 1970, 36- 44; allerdings kann Welwei a.a.O. für seine Interpretation darauf verweisen, dass es im 7. und 6. Jahrhundert vergleichbare Situationen wie diejenige in Athen gegeben hat und die Forderungen nach Isomoiria ebenfalls in diesem Zeitraum andernorts erhoben wurde: Aristot. pol. 1306 b 36ff.! Der Bezug der Isomoiria auf die Landverteilung wäre nach Mülke a.a.O. eher die Perspektive des 4. Jahrhunderts, während entsprechend der solonischen Reformen der τελή Mülke in der Isomoiria insofern einen Bezug auf die agrarische Grundlage der Machtverteilung sieht, als dass die Mitwirkung an der politischen Macht von dem Ertrag bestimmt wird, der sich aus der Bewirtschaftung des Bodens ergibt. Allerdings ist das möglicherweise zeitlich nicht allzu fernliegende - in jedem Fall jedoch früher anzusetzende - Eunomia-Gedicht des Tyrtaios (Aristot. pol. 1306 b 36ff.), das von Aristoteles in den Zusammenhang einer Neuaufteilung des Landes gesetzt wird, ein deutlicher Hinweis darauf, dass die von Solon abgelehnte Isomoiria sich doch auf die Anteile an Land bezogen hat. 155 Megara/ Korinth: Hdt. 5,92 e2; Nikolaos von Damaskus FGrHist 90 F 57,7; Samos: Plut. mor. 303 e-304 c; vgl. H. Berve, Die Tyrannis bei den Griechen, München 1967, I 91ff.; Welwei, Athen, 159. 55 ters und Ratgebers im Hinblick auf das Maß als die austarierende, auf Gleichgewicht und Balance ausgerichtete Klugheit. Auch wenn ein Tyrann wie Periander später zu den Sieben Weisen gerechnet wird, 156 so zeichnen sich doch alle Sprüche und Anekdoten eben gerade durch diese spezifische Ordnungsvorstellung aus. 2. Isonomie und Gleichgewicht Die darin erkennbare Normvorstellung ist nicht nur ethisch und politisch formuliert worden, sondern auch in den medizinischen Konzepten der frühen Naturphilosophie sichtbar. In teils enger, teils weniger enger Verbindung zu gesellschaftlichen Umbrüchen und Veränderungen haben sich auch Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit in der Antike entwickelt. 157 Krankheitskonzepte entstehen, die ähnlich strukturiert sind wie politische Vorstellungen. Schon in den frühesten Texten findet sich der Vergleich zwischen dem menschlichen Körper und der Polis. Auch Solon greift in seiner Zustandsbeschreibung der Stadt auf medizinische Metaphern zurück. 158 Innere Zwietracht ( στάσις ), Aufruhr und Mißachtung der rechtlichen Grundlagen prägen die Lage, die Führer des Volkes bereichern sich an öffentlichem und heiligem Gut. Dies vergleicht Solon mit einer Wunde der Polis ( ἕλκος ἄφυκτον ), der man nicht entrinnen kann. Durch Zwietracht zwischen den Gruppen innerhalb der Polis entsteht in der Stadt eine unheilbare Krankheit. 159 Zur Rettung der Polis wird den Politikern oft empfohlen, ‚Heilmittel’ zu verwenden, die die Polis wieder gesunden lassen. 160 Aber es werden nun nicht nur der Arzt mit dem Politiker bzw. Gesetzgeber und der Zustand der Polis mit demjenigen des menschlichen Körpers verglichen, sondern es werden auch Krankheit und Gesundheit als Konzepte mit bestimmten Vorstellungen von politischer Verfassung gleichgesetzt. Dies ist etwa in der Überlegung zu sehen, dass die einen Körper konstituierenden Faktoren ebenso wie diejenigen, die eine griechische Polis und eine Verfassung prägen, im Gleichgewicht sein müssen, um Gesundheit und Wohlergehen zu gewährleisten. Und umgekehrt, ebenso wie ein Ty- 156 Nach Diog. Laert. 1,98-99 habe es sich jedoch um zwei Personen dieses Namens gehandelt, so dass der Weise nicht mit dem Tyrannen zu identifizieren sei; allerdings gab es, wie Diogenes berichtet, bereits seit dem 4. Jahrhundert eine sehr kontroverse Diskussion um die Frage dieser Identität. 157 Vgl. hierzu und für das folgende Schubert, Leschhorn, Hippokrates, 332ff. 158 Sol. 4 W = 3 G.-Pr. 17. 159 F. Kudlien, Der Beginn des medizinischen Denkens bei den Griechen. Von Homer bis Hippokrates, Zürich/ Stuttgart 1967, 51f. und außerdem A. Demandt, Metaphern, 1ff. 160 Vgl. dazu Triebel-Schubert, Heilmittel 45-54. 56 rann eine Verfassung sprengt und damit eine Störung des Ganzen bewirkt, gefährdet beispielsweise das Übergewicht eines Faktors im Körper dessen Gleichgewicht und damit auch dessen Gesundheit. So wie das Verhältnis derjenigen Kräfte im Körper, die den Zustand bestimmen, in einem politischen Konzept beschrieben wird, ist auch die Krankheit durch politische Vorstellungen charakterisiert: 161 Der Naturphilosoph und Arzt Alkmaion von Kroton formuliert um 500 v.Chr. die These, dass Gesundheit als Isonomie, Krankheit als Monarchie unter den Elementen und Kräften des Körpers zu beschreiben seien (Alkmaion DK 24 B 4 = Aëtius v 30 1 [ D. 442 ] ): 162 Ἀ. τῆς μὲν ὑγιείας εἶναι συνεκτικὴν τὴν <ἰσονομίαν> τῶν δυνάμεων, ὑγροῦ, ξηροῦ, ψυχροῦ, θερμοῦ, πικροῦ, γλυκέος καὶ τῶν λοιπῶν, τὴν δ' ἐν αὐτοῖς <μοναρχίαν> νόσου ποιητικήν· φθοροποιὸν γὰρ ἑκατέρου μοναρχίαν. καὶ νόσον συμπίπτειν ὡς μὲν ὑφ' οὗ ὑπερβολῆι θερμότητος ἢ ψυχρότητος, ὡς δὲ ἐξ οὗ διὰ πλῆθος τροφῆς ἢ ἔνδειαν, ὡς δ' ἐν οἷς ἢ * αἷμα ἢ μυελὸν ἢ ἐγκέφαλον. ἐγγίνεσθαι δὲ τούτοις ποτὲ κἀκ τῶν ἔξωθεν αἰτιῶν, ὑδάτων ποιῶν (? ) ἢ χώρας ἢ κόπων ἢ ἀνάγκης ἢ τῶν τούτοις παραπλησίων. τὴν δὲ ὑγείαν τὴν σύμμετρον τῶν ποιῶν κρᾶσιν. „Alkmaion sagt, die Isonomie der Kräfte, des Feuchten, des Trockenen, des Kalten, des Warmen, des Bitteren, des Süßen und der übrigen, bewahre die Gesundheit. Eine Monarchie unter ihnen bewirke dagegen Krankheit. Denn die Monarchie des einen Teils rufe Verderben hervor. Und zur Krankheit komme es, was die Ursache angeht, durch ein Übermaß von Wärme oder Kälte, was den Anlaß angeht, durch eine Überfülle oder einen Mangel an Nahrung, und im übrigen was den Ort angeht, dort wo sich Blut, Mark oder Hirn finden. Sie entstünde dort aber auch durch äußere Ursachen, durch Wasser welcher Art auch immer (? ), durch die Gegend, durch Anstrengungen, durch eine Zwangslage oder durch sonst etwas, was dem Genannten ähnlich ist. Die Gesundheit hingegen sei die symmetrische Mischung der Qualitäten.“ Gerade in dem Fragment des Alkmaion, das immerhin eine für die kleisthenische Reform zeitgenössische Vorstellung von Mischung im Zusammenhang mit Isonomie vermittelt, ist dies deutlich: Die Isonomie der beteiligten Faktoren entsteht aus einem proportionalen Verhältnis (symmetria) und nicht aus einer Durchmischung. Diese Sicherung von Ausgewogenheit durch die Einführung von proportionalen Verhältnissen ist etwa auch in der kleisthenischen Ordnung zu erkennen. Da dies dieselbe Vorstellung ist, wie sie bei Alkmaion in den naturphilosophischen Gedanken der gleichgewichtigen Verteilung der Macht im Körper als Isonomie der ungerechtfertigten Alleinherrschaft, der Tyrannis, gegenübergestellt wird, liegt die Vermutung nahe, dass hier philosophi- 161 Alkm. DK 24 B 4. 162 Vgl. zu Alkmaion J. Bleicken, Die athenische Demokratie, 4., völlig überarb. und wesentlich erw. Aufl., Paderborn 1995, 538ff.; Triebel-Schubert, Isonomie bei Alkmaion, hier 40ff. und dies., Symmetrie und Medizin, 190-199, zur Bedeutung und Entwicklung des Symmetrie-Begriffs im 5. Jh.v.Chr. 57 sches Weltbild und politische Ordnung zu einem Konzept verbunden wurden. Dahinter stehen klare politische Definitionen: 163 In dem Begriff der Isonomie („Gleichverteiltheit“) liegt der Anspruch auf gleichen Anteil an der Ordnung, 164 zuerst der Rechtsordnung, danach der gesamten politischen Ordnung. Die Interessen der einzelnen Bürger, die sich z.B. in der gleichen Behandlung vor dem Recht und dem gleichen Zugang zu den politischen Organisationsformen verwirklichen können, sollten gleichberechtigt nebeneinander stehen, ohne dass Gesichtspunkte wie Abstammung, Reichtum etc. ins Gewicht fallen. Die Berücksichtigung der Interessen sollte unabhängig von solchen, nicht in der politischen Ordnung verankerten Aspekten erfolgen - eben isonom, nur auf den Nomos als die Gesamtordnung bezogen. Alkmaion kombiniert diesen Isonomie-Begriff mit demjenigen der Symmetrie. Die Verhältnisse innerhalb und außerhalb des Menschen sollen symmetrisch sein, d.h. diejenigen Verhältnisse, die alle Faktoren in ihrer Beziehung zueinander bestimmen, sollen ein gemeinsames Maß haben. Das entspricht nach dem Verständnis des Alkmaion der Gesundheit. Der Begriff der Symmetrie zeigt hier, wie er sich das Verhältnis des Menschen in sich und zu seiner Umwelt als eine Ordnung von Kräften innerhalb eines Ganzen vorstellt. Der Maßstab, der die Symmetrie ermöglicht, ist die Isonomie. Gut und schlecht in Bezug auf den Einzelfaktor, z.B. Örtlichkeit, Nahrung, Konstitution des einzelnen Organs oder der einzelnen Qualität, sind bestimmt durch das Verhältnis zum Ganzen, die symmetrische Anpassung an das Ganze. Hier werden Interessenerwägungen aus dem politischen Bereich und Maßvorstellungen mit moralischen Bewertungen verknüpft, so dass die Konzeption von Krankheit als einer unrechtmäßigen, das Maß, also den Nomos, überschreitenden Herrschaft im Körper entsteht. Neben diesen allgemeinen Vorstellungen zeigt sich bei Alkmaion in der Anwendung des Maßgedankens ein Element, das in der weiteren Entwicklung des medizinischen Denkens eine besondere Rolle spielen sollte: Es ist die Frage, wie die Veränderung, die den Übergang von Gesundheit zu Krankheit markiert, vor sich geht und wie der Vorgang zu bewerten ist. 163 Vgl. hierzu: Schubert, Menschenbild 121ff., dem dieser Abschnitt im wesentlichen folgt. 164 Aus den Bestandteilen ἴσος und νόμος : „Gleichverteiltheit“. Zu der Kontroverse, ob das Substantiv νόμος ursprünglich in passiver Bedeutung - als das „Zugeteilte“ - oder als nomen actionis - als das „Verteilte“ - auftritt: G.J. Baudy, Hierarchie oder: Die Verteilung des Fleisches. Eine ethnologische Studie über die Tischordnung als Wurzel sozialer Organisation, mit besonderer Berücksichtigung der altgriechischen Gesellschaft, in: B. Gladigow/ H.G. Kippenberg (Hrsg.), Neue Ansätze in der Religionswissenschaft, München 1983, 131-74, 157f. Anders: F. Heinimann, Nomos und Physis. Herkunft und Bedeutung einer Antithese im griechischen Denken des 5. Jahrhunderts, 5., unveränd. reprograf. Nachdr. d. Ausg. Basel 1945, Darmstadt 1980, 59ff. 58 Für Alkmaion ist die Veränderung von Gesundheit zu Krankheit ein Wandel, der durch Maßüberschreitung zustandekommt, wobei das aktive Element in der Krankheit liegt. Sprachlich zeigt sich dies darin, dass die Krankheit durch eine ποίησις zustande kommt, die Monarchie/ Alleinherrschaft ist das Wirkende: ποιητικήν - φθοροποιόν (hervorbringend - verderbend). Hier ist also ein Bereich des Handelns beschrieben. Durch eine krankheitsbewirkende Aktion kommt eine Unordnung, eine Normüberschreitung zustande. Dagegen ist die Gesundheit definiert als symmetrische Krasis der Kräfte, deren dauerndes und bleibendes Element deutlich durch die Gegenüberstellung von ποιητικήν - συνεκτικήν (hervorbringend - bewahrend) ausgedrückt wird. Wenn auch in dem Gedanken des gemeinsamen Maßes als der Grundlage des ausgewogenen Verhältnisses eine gewisse Dynamik innerhalb des Körpers möglich ist, so doch nicht mehr in der Wirkung nach außen. Denn die Gesundheit bringt keinen neuen Zustand hervor, sondern bewahrt und verlängert den gegenwärtigen, der durch die ethische Bewertung der Gesundheit als des guten und richtigen Zustandes ausgezeichnet und auch ganz deutlich von dem Gedanken des Gleichgewichts geprägt ist. 165 Der Vorstellung von Gesundheit als eines Zustandes steht derjenige von Krankheit als eines Bereiches des Handelns gegenüber: Durch die Wiederherbeiführung der Gesundheit und die Überwindung der Normüberschreitung ist das eingreifende und verändernde Element dieses Bereiches charakterisiert. Das Verhalten des krankheitsbewirkenden Elementes zeigt solch eine Ambivalenz: Einerseits verbunden mit der moralisch negativen Charakterisierung (durch das Herbeiführen einer von der Gesundheit abweichenden Struktur), andererseits als Übergang zu einer neuen Normalität, wobei allerdings die Vorstellung, dass die wieder herbeigeführte Gesundheit einem neuen Zustand entspricht, hier noch nicht vorhanden ist. Gerade dies weist auf einen wichtigen Punkt hin: Den zeitlichen Standort dieser Bewusstseinsstufe, die sich bei Alkmaion niedergeschlagen hat. Vergleicht man die verschiedenen Beispiele, dann zeigt sich, neben der allgemeinen bekannten Bewertung von Gesundheit als gut und Krankheit als schlecht, dass der dahinter stehende Gedanke der Maßverfehlung am Anfang des 5. Jahrhunderts mit einem statischen Gesundheitskonzept verbunden und die eigentliche Dynamik im Bereich der Krankheit lokalisiert wird. Diese klare Unterscheidung von Krankheit und Gesundheit verändert sich in späterer Zeit: Der Gedanke der Maßverfehlung wird variiert, Gesundheit wird nicht mehr als ein Zustand betrachtet, sondern hat eine eigene Dynamik wie Krankheit auch. Die wichtigste Veränderung jedoch ist in der Vorstellung von Maß zu sehen: Das Maß für Gesundheit und Krankheit wird individualisiert, nach Situation und Augenblick definiert. 165 Zu dem Zusammenhang von Gleichgewicht und αἰτία bei Herodot vgl. H.R. Immerwahr, Aspects of Historical Causation in Herodotus, in: TAPhA 87 (1956), 241- 80. 59 Für die Frage nach damit verbundenen Werturteilen, also dem moralischen Kontext, ergibt sich aus dem Vergleich der Einschätzung bei Alkmaion mit den später im 5. Jahrhundert schreibenden, medizinischen Autoren eine erkennbare Entwicklungslinie. Bei Alkmaion stehen sich Norm und Normüberschreitung deutlich gegenüber: nur Krankheit ist das Normüberschreitende. In den Epidemienbüchern finden wir dagegen die Vorstellung, dass auch das Normüberschreitende gut sein kann und in De vetere medicina ist das Maß, das den Unterschied zwischen Krankheit und Gesundheit definiert und damit eine Maßverfehlung bzw. Normüberschreitung anzeigt, ganz in die Abhängigkeit von der individuellen Situation gelegt. Diese Bezugnahme auf eine aktuelle politische Konzeption lässt sich natürlich schon bei Alkmaion feststellen. Die Vorstellung von der Tyrannis als der normüberschreitenden Handlung und der Isonomie als dem normbewahrenden Zustand zeigt, dass die Isonomie noch nicht unter dem Gesichtspunkt einer neuen Ordnung gesehen wird, sondern im Gegenteil als Zustandsbeschreibung. Das bedeutet, dass sie als Wiederherstellung eines der Alleinherrschaft vorhergehenden Zustandes aufgefaßt wird, der die Normabweichung der Tyrannis beseitigt. Schließlich lässt dies auch erkennen, dass man zwar zu Beginn dieser Entwicklung die Normabweichung erkannt hat, jedoch die Veränderung nicht als Einleitung zu einer politischen und gesellschaftlichen Neubegründung verstanden hat, sondern als die Wiederherstellung eines älteren, bereits vorher bestehenden Zustandes. Umgekehrt ist nämlich dann die Einschätzung, die sich im Verlauf der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts, als die Diskussion um die neuen Werte der Demokratie einsetzt, im Bewusstsein vieler festsetzt: Die Demokratie, d.h. ihr handelndes Subjekt, der attische Demos, ist es, der die Normen überschreitet, der sich als Alleinherrscher über alle anderen Teile der Polis erhebt. 166 3. Isonomie und Tyrannis Auch bei Herodot lässt sich beobachten, dass er die Tyrannis in einer besonderen Weise abgrenzt: Er unterscheidet deutlich zwischen βασιλεύς und τύραννος , 167 so dass der Tyrann in seiner despotischen Herrschaft bereits durch die Wortwahl charakterisiert wird. 168 Die herodoteische Tyran- 166 Vgl. dazu Schubert, Macht A.II.-IV. 167 A. Ferrill, Herodotus on Tyranny, in: Historia 27 (1978), 385-98. Er hat gezeigt, dass sich von den 860 Belegen für βασιλεύς lediglich acht auf Tyrannen beziehen und im Unterschied dazu die 128 τύραννος -Stellen ausschließlich die orientalischen Herrscher meinen. 168 P. Barceló, Basileia, Monarchia, Tyrannis, (Historia Einzelschriften 79), Stuttgart 1993, 181f. Barceló hat darauf hingewiesen, dass das eigentliche historische Material der archaischen Tyrannenherrschaften (Kypselos, Peisistratos, Polykrates) bei Herodot 60 nisvorstellung spiegelt die historische Entwicklung, wie sie seit dem Ende des 6. Jahrhunderts, dem ionischen Aufstand und vor allem seit den Invasionen der Perser in Griechenland propagiert wurde. 169 Seither war der Tyrann nicht nur jeder beliebige Machthaber, sondern wurde Tyrannis zum Synonym für die entartete Herrschaft und die Befreiung von der Perserherrschaft auch als Befreiung von Tyrannis definiert. Schon zu Beginn der Entwicklung jedoch lässt sich die - später auch noch bei Herodot fassbare - Entgegensetzung von Isonomie und Tyrannis erkennen wie sie ein berühmtes Trinklied auf die Tyrannentöter bereits formuliert hatte. 170 Damit wird sowohl chronologisch als auch im Hinblick auf den historischen Kontext deutlich, dass die Vorstellung von der Normüberschreitung, der die Isonomie als Konzept der Balance und des Gleichgewichts entgegengesetzt wurde, ihre historischen Wurzeln in der Endphase der attischen Tyrannis der Peisistratiden hatte. 171 Herodot setzt das Verhältnis von Isonomie und Tyrannis in einen größeren historischen Kontext. Im 6. Jahrhundert bzw. am Ende des 6. Jahrhunderts werden nach Herodot in Samos und Milet schon isonome Ordnungen eingerichtet. Auch in der berühmten Verfassungsdebatte, die bei Herodot das Erzähldatum 522 v.Chr. hat, verwendet er den Gegensatz von Monarchie bzw. Oligarchie und Isonomie, die für die Herrschaft der breiten Menge steht. Natürlich geht hier auch der Diskussionsstand seiner ei- die pejorative Bewertung der Tyrannis kaum rechtfertigt. Daher liegt es, wie Barceló schreibt, durchaus nahe, bei Herodot eine Addition persönlicher Erfahrungen mit der Tyrannis in Halikarnassos sowie zeitbedingter Sichtweisen des 5. Jahrhunderts zu sehen. Anders in der Bewertung: L. de Libero, Die archaische Tyrannis, Stuttgart 1996, 413; S.O. Shapiro, Proverbial Wisdom in Herodotus, in: TAPhA 130 (2000), 89- 118, hier 15, die die Begriffe bei Hdt. für austauschbar hält. 169 S. Forsdyke, Athenian Democratic Ideology and Herodotus’ „Histories“, in: AJA 122/ 3 (2001), 329-58 sieht im Ionischen Aufstand den entscheidenden Wendepunkt, von dem aus sich die Polarität zwischen tyrannischem Perserreich und griechischer Demokratie entwickelt habe. 170 Athen. 15,695 ab. Vgl. dazu M. Rausch, Isonomia in Athen. Veränderungen des öffentlichen Lebens vom Sturz der Tyrannis bis zur zweiten Perserabwehr, (Europäische Hochschulschriften 3.821), Frankfurt a. M. 1999; Triebel-Schubert, Alkmaion, 40ff. 171 Zur Rolle des Hipparch vgl. unten S. 65. Zu einer ganz anderen Einschätzung der Tyrannis der Peisistratiden, insbesondere der Rolle des Peisistratos vgl. B.M. Lavelle, Fame, Money and Power. The Rise of Peisistratos and „Democratic” Tyranny at Athens, Ann Arbor MI 2005. Lavelle sieht in der Tyrannis des Peisistratos bereits deutlich ‚demokratische’ Elemente verwirklicht, die aber von den Kontroversen des 5. Jahrhunderts in der Überlieferung überlagert worden seien. Andererseits haben die Untersuchungen von G. Gottlieb, Das Verhältnis der außerherodoteischen Überlieferung zu Herodot. Untersucht an historischen Stoffen aus der griechischen Geschichte, (Habelts Dissertationsdrucke: Reihe Alte Geschichte 1), Bonn 1963, 1ff. beispielsweise zu den Peisistratiden gezeigt, dass Herodot zwar auswählt, aber nicht eine komplett neue Tradition ‚formt’. Insofern ist es nicht wahrscheinlich, dass Herodot in Anlehnung an eine ‚Alkmeoniden-Tradition’ die ‚Peisistratiden-Tradition’ unterdrückte. 61 genen Zeit ein, 172 aber da die Geläufigkeit des Isonomie-Begriffs für das 6. Jahrhundert nachzuweisen ist, 173 kann sie nicht als völlig anachronistisch eingestuft werden. 174 Immer steht bei Herodot aber Isonomie im zeitlichen und kausalen Kontext des Gegensatzes zur Tyrannis. Ebenso hat schon die frühere Tradition die Isonomie verstanden: Der Ausdruck begegnet zum ersten Mal in einer Sammlung von Trinkliedern, die teilweise aus der Endzeit der attischen Tyrannis, teilweise aus den ersten Jahren nach ihrem Sturz stammt. 175 In den Strophen geht es um die aristokratische Opposition gegen die Tyrannis der Peisistratiden und die verschiedenen, anfangs vergeblichen Umsturzversuche attischer Adliger. Harmodios und Aristogeiton schließlich bringen den Athenern die Isonomie dadurch, dass sie den Tyrannen Hipparch getötet haben. Namen und Begriffe mit dem Wortbestandteil isos finden sich in dieser Zeit öfter. 176 Zeitgleich hat auch Alkmaion (s.o.) seine Konzeption vom Gleichgewicht der Kräfte, das Gesundheit und Krankheit bestimmt, entwickelt. 177 172 Bes. dazu: K.A. Raaflaub, Contemporary Perceptions of Democracy in Fifth-Century Athens, in: C & M 40 (1989), 33-70, der die Abfassungszeit des herodoteischen Geschichtswerkes in die ersten Jahre des Peloponnesischen Krieges datiert. Anders: Asheri, et al., Herodotus, ad loc. 471f. 173 S.u. S. 62 zu Maiandrios und den anderen Isonomie-Einführungen. 174 Vgl. dazu Asheri, et al., Herodotus, 472/ 3: „In the form that has reached us it is a Greek debate on Greek ideas, composed by Herodotus, well integrated into the main narrative, and made emphatic at a time when the Greek public was interested in problems of this type. Yet a more obvious context for such a debate would be an assembly at Athens c. 511 BC, with Cleisthenes, Isagoras, and a Pisistratid as speakers on the three political regimes. … His [Herodotus, C.S.] insistence on the debate’s historicity has a ‚methodological’ purpose of criticizing yet again false opinions of the Greeks about the barbarians; the ‚didactic’ aim of reminding his compatriots that ‚democracy’ is not a specifically Greek invention totally foreign to the world of the barbarians. In any case, he [Herodotus, C.S.] implies that democracy had been proposed in Susa more than ten years before its institution in Athens, and that the Ionian cities did not receive it from Athens but from the son of one of the seven Persian conspirators.“ 175 Athen. 15,695 ab. Schol. Anon. 10,3f. = 13,3f.D (893.896 Page, PMG) ; vgl. dazu V. Ehrenberg, s.v. Isonomie, in: RE Suppl. VII, 1940, 293-301; V. Ehrenberg, Origins of Democracy, in: Historia 1 (1950), 515-48. Zu Inhalt und Chronologie des Harmodiosliedes: C.M. Bowra, Greek Lyric Poetry. From Alcman to Simonides, 2nd rev. ed., Oxford 1967, 373f. 176 K.A. Raaflaub, Die Entdeckung der Freiheit. Zur historischen Semantik und Gesellschaftsgeschichte eines politischen Grundbegriffes der Griechen, (Vestigia 37), München 1985. Er betont, dass der Name des Isagoras, Kleisthenes’ Gegenspieler, als politisch-programmatischer Name auf die offensichtlich schon damals hohe Bedeutung der Isegoria hinweist. Isegoria und Isonomia gehören in denselben Kontext, denn die Forderung nach Isegoria kann kaum älter sein als diejenige nach Isonomia. 177 Alkmaion DK 24 B 4; vgl. Aer. 16,3-8; 23,6; 24,3; vgl. Triebel-Schubert, Alkmaion; Ch. Schubert, Perikles, (Erträge der Forschung 285), Darmstadt 1994, 145f. Vgl. zur Frage der Authentizität der in dem Alkmaion-Fragment verwendeten Begriffe Schubert, Menschenbild, in: Flashar/ Jouanna (Hrsg.), Médecine, 121ff. 62 Alle Erwähnungen und Beschreibungen von Isonomie, die über den gesamten griechischen Kulturraum verstreut sind, zielen grundsätzlich auf den Charakter einer Ordnung, die als gerechte Ordnung im Gegensatz zu der ungerechten des Tyrannen und Alleinherrschers steht, meinen jedoch keine spezifische Verfassung oder politische Organisationsstruktur. Maiandrios, der Sekretär des Polykrates, versucht 522 v.Chr. in Samos eine besondere Form der Gerechtigkeit zu etablieren. Er errichtet einen Altar für Zeus Eleutherios und kündigt anschließend in einer Vollversammlung der Bürger von Samos an, die von Polykrates übernommene Herrschaft niederzulegen, weil er nicht billigen könne, dass ein einzelner über Gleiche herrsche. Daher wolle er die Herrschaft in die Mitte (es meson) legen und verkünde Isonomie. 178 Das hier angesprochene höhere Maß an Selbstbestimmung durch Beteiligung des Volkes ist noch nicht mit einer Demokratie, aber auch keinesfalls mit einer Oligarchie zu verbinden. 179 Das Mehr an Selbstbestimmung der Bürger einer Polis realisiert sich - so in einigen der archaischen Gesetzeswerke auch niedergelegt 180 - in der Beteiligung der Volksversammlung und, darüber hinausgehend, in einem aus dem Volk gewählten Rat. Die politische Komponente des Isonomie-Begriffes liegt darin, dass sich in ihm der Anspruch einer Gruppe äußert, insgesamt das gleiche Recht auf die politische Ordnung zu haben wie die bisher Herrschenden. Vorausgesetzt wird dabei, dass die Mitglieder der Gruppe gleich sind. Ob es sich dabei jedoch um einen kleineren (Aristokratie) oder einen größeren Kreis Gleicher (Demokratie) handelt, ist mit dem Isonomie-Begriff allein nicht definiert. 181 Somit ließen sich mit dem politischen Schlagwort der Isonomie viele der frühen Ordnungen des 6. und auch des 5. Jahrhunderts charakterisieren, die keine Tyrannenherrschaften waren und für die eine gewisse Beteiligung des Volkes in Volksversammlungen, in Ämtern und Räten bekannt ist, ohne dass dies als eine evolutionäre Entwicklung auf die attische Demokratie des 5. Jahrhunderts hin verstanden werden muss. 182 178 Vgl. Hdt. 7,164 zu einer ähnlichen Situation in Kos. 179 Dass die Oligarchie durchaus in diesem Kontext auftreten kann, belegt die aufschlussreiche Wendung bei Thuk. 3,62,3: … οὔτε κατ᾽ὀλιγαρχίαν ἰσόνομον πολιτεύουσα᾽οὔτε κατὰ δημοκρατίαν („… weder durch eine isonome Oligarchie noch durch eine isonome Demokratie beherrscht …“). Anders schätzt E.W. Robinson, The First Democracies. Early Popular Government Outside Athens, (Historia Einzelschriften 107), Stuttgart 1997, 118ff. die Episode in Samos ein: Nämlich als Beleg für die Option auf eine demokratische Herrschaftsform. 180 Zu Chios: ML 8. 181 Vgl. zu der Diskussion, ob Isonomie sich ursprünglich auf ein aristokratisches Ideal der Gleichheit bezieht oder auf ein demokratisches: K.A. Raaflaub, Einleitung und Bilanz: Kleisthenes, Ephialtes und die Begründung der Demokratie, in: K.H. Kinzl (Hrsg.), Demokratia. Der Weg zur Demokratie bei den Griechen, mit einer Einl. von K.A. Raaflaub, (Wege der Forschung 657), Darmstadt 1995, 1-54, hier 46ff. 182 So etwa die aus den Inschriften von Olympia zu erkennende frühe Verfassung mit einer Vollversammlung des Volkes ( δᾶμος πλαθύων ) und βωλά (vielleicht um 580 63 Bei Pindar findet sich aus den 70er Jahren des 5. Jahrhunderts das Folgende nebeneinander (Pind. Pyth. II 86-88): ἐν πάντα δὲ νόμον εὐθύγλωσσος ἀνὴρ προφέρει, παρὰ τυραννίδι, χὠπόταν ὁ λάβρος στρατός, χὤταν πόλιν οἱ σοφοὶ τηρέωντι. „In jeder Ordnung hat der geradzüngige Mann einen Vorsprung, bei der Tyrannis, und wenn die freche Menge, und wenn die Weisen die Stadt behüten.“ 183 Pindar stellt hier die Tyrannis, die Herrschaft der Weisen und diejenige eines stürmischen stratos, des Heeres, womit hier das Volk in seiner Menge gemeint ist, in eine Reihe. 184 Damit ist noch nicht, wie später in der Verfassungsdebatte Herodots (Hdt. 3,80-82) die Dreiteilung der politischen Verfassungen in Monarchie, Aristokratie und Demokratie gemeint. Hier wird vielmehr die Tyrannenherrschaft, diejenige der Weisen, womit die Schlichter und Ratgeber, also die Figuren der guten ‚Herrscher’ wie Solon, aber wohl auch Pittakos gemeint sind, und auch eine negativ konnotierte Volksherrschaft beschrieben. In der Bewertung ähnelt diese Einteilung viel eher dem, was bereits Solon formuliert hatte (s.o. S. 52f. ): Die Kritik an denjenigen, deren Streben maßlos ist, richtet sich sowohl gegen die Hybris einzelner adliger, reicher Herren als auch gegen die Ansprüche des Demos. Dazwischen, in der Mitte und um Ausgleich bemüht, um die Balance in der Polis wieder herzustellen, sieht Solon sich selbst als den Weisen, der die nötige Einsicht hat, um zwischen den widerstreitenden Interessen zu vermitteln. Das Extreme der Tyrannis, sei es die der Adligen, sei es die eines Demos, wird dem Maß gegenübergestellt - Solon verwendet dafür noch den Ausdruck Eunomie, später gegen Ende des 6. Jahrhunderts bürgert sich dafür Isonomie ein. Die darin liegende Verschiebung deutet auf eine veränderte Wahrnehmung der politischen Umstände, die sich unter dem Eindruck der Perserkriege und des Aufstiegs Athens weiter verstärken sollte. Damit war die neue, nicht mehr an der Ordnung insgesamt, sondern an der Herrschaft des Volkes ausgerichtete Vorstellung von Demokratie ver- mit Bezug auf Paus. 5,9,4, IvOl V Nr. 2, S. 8). Einen δῆμος πλαθύων erwähnt auch IG I 3 105, ein attisches Gesetz, das nach der Wiederherstellung der Demokratie 409 v.Chr. eine Aufzeichnung älterer Bestimmungen zur Abgrenzung der Befugnisse von Demos und Boule wiedergibt, die wohl auf ein kleisthenisches Gesetz zurückgehen; vgl. dazu ausf. M. Ostwald, From Popular Sovereignty to the Sovereignty of Law. Law, Society, and Politics in 5.-Century Athens, Berkeley CA 1986, 35; D.M. Lewis, A Note on IG I 2 114, in: JHS 87 (1967), 132 mit dem Nachweis, dass in IG I 3 105 nach einer älteren, schlecht lesbaren Inschrift kopiert worden ist. Vgl. dazu F.X. Ryan, The Original Date of the δῆμος πληθύων Provision, in: JHS 114 (1994), 120-34; Robinson, First Democracies, 108ff. 183 ÜS Bremer. 184 Dazu J. Touloumakos, Die theoretische Begründung der Demokratie in der klassischen Zeit Griechenlands, Bonn 1985; Meier, Entstehung, 235. 64 bunden, die auch zu einer grundlegenden Wendung in Bild und Rolle der Weisen führen sollte. Jedoch fällt auf, dass in der allerfrühesten Überlieferungsstufe bei Herodot nicht nur ein kritischer Ton in der Darstellung der Weisen begegnet, 185 sondern auch Solon eine herausragende Rolle spielt. Diese Athen- Zentrierung der Perspektive kann nicht nur auf Herodots Darstellungskonzeption zurückzuführen sein, da auch später noch Solon immer als einer der wichtigsten in der Gruppe der Sieben Weisen auftritt. 186 Die spezifische Rolle Solons als Schlichter, Nomothet und Ratgeber lässt sich natürlich auch für die anderen Weisen der archaischen Zeit belegen, etwa für Pittakos, Bias und Thales, aber auch für den umstrittenen Tyrannen Periander, dem Herodot attestiert, dass er auf Wunsch der Einwohner Mytilenes und Athens eine Versöhnung der beiden Städte in ihrem Streit über Sigeion herbeigeführt hatte. 187 Gerade die Stellung des Periander in dem Kreis der Weisen, den Herodot ansonsten als einen blutgierigen Despoten darstellt, hat immer wieder Anlaß zu Überlegungen gegeben, seit wann und in welcher Rolle er dem illustren Kreis zugeordnet wurde. 188 Die antiken Versionen, die Diogenes Laertius referiert, scheinen seit Platon von mehreren Trägern dieses Namens ausgegangen zu sein, um das Problem zu lösen. 189 Auch wenn die „Mitgliedschaft“ des Periander in dem Kreis der Sieben Weisen als Zuschreibung einer späteren Zeit viel wahrscheinlicher ist, lässt sich doch auch bei Herodot trotz aller Kritik erkennen, dass die Rolle des überregional bekannten und akzeptierten Schlichters ohne weiteres mit diesen Herrscherfiguren verbunden werden konnte. 190 Die Gleichsetzung oder Bezeichnung als Tyrann scheint dabei erst später, als der Status eines Weisen dem Einzelnen schon attribuiert war, beigefügt worden zu sein, denn im Hinblick auf die eigentlichen politischen Tätigkeiten sind Unterschiede etwa zwischen Solon und Pittakos kaum zu erkennen. Zwar ist für Solon bekannt, dass er die Bezeichnung als Tyrann vehement abgelehnt hat, während Pittakos von Alkaios so beschrieben wird, in späterer Überlieferung aber auch wiederum basileus genannt wer- 185 Vgl. dazu unten Kap. V und VI. 186 Noch bei Ausonius im Ludus septem sapientum tritt er als erster auf; zu der Echtheitsfrage der gemeinsam mit dem Ludus überlieferten Gedichte Septem sapientium sententiae septenis versibus explicatae und De septem sapientibus ex Graeco, Decimus Magnus, The Works of Ausonius, ed. by Roger P.H. Green, Oxford 2003 (Nachdr. 1991). 187 Hdt. 5,95,2. 188 De Libero, Tyrannis, 178 zu Periander. Vgl. Barceló, Basileia, 156ff.; Shapiro, Wisdom, 20f. 189 Diog. Laert. 1,99: Aristoteles habe Platon aber in diesem Punkt widersprochen. Dikaiarch (Diog. Laert. 1, 40) habe demgegenüber behauptet, die Weisen seien ursprünglich weder Weise noch Philosophen gewesen, sondern Nomotheten. 190 Vgl. D. Berger, Periander the Wise? , in: New England Classical Journal 34/ 1 (2007), 22-35. 65 den konnte. 191 Je nach Standpunkt wurden also die frühen Gesetzgeber, Schlichter oder Vermittler als gute Herrscher, als Weise oder auch als Tyrannen bezeichnet. Die dabei zugrunde liegenden historischen Umstände verdichten sich gegen Ende des 6. Jahrhunderts zu einer grundsätzlichen Tyrannenkritik, die im Politischen ihr Gegenbild durch die Isonomie erhält. Für die Vorstellung von den Weisen lässt sich diese Entwicklung auch wiederum in Athen genauer fassen: Herodot berichtet von den Peisistratiden einen instrumentalisierenden Umgang mit Orakeln und Spruchsammlungen, der ein wesentlicher Faktor in den politischen Auseinandersetzungen am Ende der Tyrannenzeit in Athen gewesen sein muss und der andererseits zu einem regelrechten Konkurrenzkampf mit Delphi ausgeartet ist. Hipparch hatte ein Wegweiserprogramm in Attika eingeführt. Er ließ an den Wegen Hermen aufstellen, jeweils zur Markierung der Entfernungsmitte zwischen der Stadt Athen und den einzelnen Demen. Auf den Hermen brachte man seine Gedichte und Sprüche ( ποιήματα und ῥήματα ) an. Zwar schildert Platon bzw. Pseudo-Platon dies in Verbindung mit der Liebesgeschichte um Harmodios und Aristogeiton, die dann zur Ermordung des Hipparch geführt hat, aber da die Hermenaufstellung zum einen auch sonst in der antiken Überlieferung bekannt war und zum anderen als eine mit den in Delphi am Apollo-Tempel angebrachten Sprüchen der Sieben Weisen konkurrieren sollte, 192 ist die Spruchsammlung des Hipparch auch unabhängig von der Harmodios und Aristogeiton-Überlieferung zu betrachten. Eine dieser Hermen ist erhalten: ἐ]ν μ ℎ έσοι Κεφαλε̑ς τε καὶ ἄστεος ἀγλαὸς ℎ ερμε̑ς / [μνε̑μα τόδε ℎ ιπ(π)άρχο·] [¯˘˘ ¯˘˘ ¯] 193 „In der Mitte zwischen Kephale und der Stadt steht der glänzende Hermes. Dies ist ein Mal des Hipparch.“ Die gleiche Art der politischen Instrumentalisierung zeigt sich im Umgang mit der Sammlung der Musaios-Sprüche (Hdt. 7,6): Onomakritos soll sie im Auftrag der Peisistratiden gesammelt, jedoch dabei auch einige gefälscht haben. Ertappt, sei er dann von Hipparch aus Athen verbannt, je- 191 Shapiro, Wisdom, 117. Zu Pittakos als basileus: Plut. Sept. sap. conv. 14 S.157. 192 Pseudo-Plat. Hipparch. 228 b 4-229 d 6 erwähnt konkret das „ Γνῶθι σαυτόν ” und das „ Μηδὲν ἄγαν ”, das die Bürger nun nicht mehr in Delphi bewundern sollten, sondern stattdessen die Sprüche des Hipparch. Weitere Erwähnungen dieser Hermen des Hipparch: Philochorus FGrHist 328 F 22b; Ael. Herod., Περὶ ὀρθογραφίας 526,14 (Lentz) ; Harpocration, Lex. 135,9 (Dindorf) ; Photius, Lex. s.v. Ἑρμαῖ und s.v. Τρικέφαλος ; Suda ε 3029 (Adler), τ 981 (Adler). Vgl. zu den Vasendarstellungen dieser Hermen: H. Goldman, The Origin of the Greek Herm, in: AJA 46/ 1 (1942), 58-68; A. Steiner, The Alkmene hydrias and Vase Painting in late-Sixth-century Athens, in: Hesperia 73 (2004), 427-63. 193 IG I 3 1023 = CEG I 304 Hansen. Zur Datierung vgl. A. Aloni, Anacronte e Atene. Datazione e significato di alcune iscrizioni tiranniche., in: ZPE 130 (2000), 81-94. 66 doch im persischen Exil von Hippias wieder aufgenommen worden. Mit Hilfe dieser Sammlung habe Onomakritos den Peisistratiden eine Beeinflussung des Dareios in ihrem Sinn zugunsten der Invasion in Griechenland ermöglicht. Herodot hebt die Einseitigkeit der Darstellung gegenüber dem Perserkönig hervor, dem alles verschwiegen wurde, was zu seinen Ungunsten hätte ausgelegt werden können. An späteren Stellen seines Werkes weist Herodot dann auf die entsprechenden Passagen hin, die die Niederlage der Perser in dieser Spruchsammlung bereits angekündigt hätten. 194 Manipulation und Instrumentalisierung prägen den Umgang der Peisistratiden mit Orakeln und Sprüchen. Herodot verarbeitet diesen Zusammenhang zwischen Isonomie und der Tyrannis der Peisistratiden auf eine sehr interessante Art. Als Vorgeschichte der peisistratidischen Tyrannis berichtet er von einer Begegnung zwischen dem Weisen Chilon aus Sparta und dem Vater des Peisistratos (Hdt. 1,59). Dieser Chilon soll als Seher in Olympia den späteren Vater des Peisistratos, Hippokrates vor dem unheilvollen Sohn, der ihm geboren werden solle, gewarnt haben. Das hätte um 600 v.Chr. sein müssen, zu einem Zeitpunkt, als die Tyrannis des Peisistratos (561-527 v.Chr. nach herkömmlicher Datierung) noch gar nicht absehbar war. Diese Art der Rückprojektion gehört in die Epoche des 5. Jh.v.Chr. und hat einen eindeutigen spartanischen Hintergrund. Es war die Zeit, in der Sparta sich zum Protagonisten einer antityrannischen Politik in Griechenland erklärte. 195 Der Topos als solcher leitet sich aus der durch die Intervention der Spartaner bewirkten Vertreibung der Peisistratiden aus Athen 511/ 10 v.Chr. her und erweist diese Überlieferung zu Chilon ebenso als Konstruktion wie das ihm zugeschriebene Diktum über die Insel Kythera und die von ihr für Sparta ausgehende Gefahr. 196 Diese ist jedoch erst in den Auseinandersetzungen zwischen Athenern und Spartanern im ersten (um 456 v.Chr.) und zweiten Peloponnesischen Krieg (431-404 v.Chr.) offensichtlich geworden, als die Athener die Insel besetzt hielten. Chilon wird einer der bekanntesten Sprüche der Sieben Weisen, μηδὲν ἄγαν , zugeschrieben. 197 Dieser Spruch war, so Platon, an dem Apollo- 194 Hdt. 8,96 und 9,43. 195 L. Thommen, Sparta. Verfassungs- und Sozialgeschichte einer griechischen Polis, Stuttgart 2003, 60. 196 Diog. Laert. 1,71-72; Hdt. 7,235; vgl. Hdt. 1,82 und Thuk. 4,53. Thommen, Sparta, 60 sieht in dieser Episode den Niederschlag der Erfahrung aus dem ersten und zweiten Peloponnesischen Krieg, als die Insel von den Athenern besetzt und zum Ausgangspunkt für Zerstörungen auf der Peloponnes wurde. 197 Schol. Eurip. Hipp. 264; Diog. Laert. 1,41. Rösler, Sieben Weise, in: Assmann (Hrsg.), Weisheit, 359f: Kritias DK 88 B 7, der diesen Spruch Chilon zuschreibt. Vgl. Fehling, Die Sieben Weisen, 12 mit Anm. 6, der den Sieben Weisen jede Historizität abspricht. 67 Tempel in Delphi angebracht. 198 Er bezeichnet ihn, ebenso wie das γνῶθι σαυτόν , als typisches Beispiel der βραχυλογία τις Λακωνική . Platon bezieht sich dabei auf denjenigen Bau des Apollo-Tempels in Delphi, der nach einem Brand mit Hilfe der attischen Alkmeoniden, insbesondere des Kleisthenes, in den Jahren vor 511/ 10 v.Chr. wiederaufgebaut worden war. Vor allem die Alkmeoniden hatten dabei auf eigene Kosten dafür gesorgt, dass die Vorderseite des Tempels in parischem Marmor und nicht wie vorgesehen in Poros gestaltet wurde. 199 Diese Initiative der Alkmeoniden hatte ihnen einen großen Einfluss in Delphi gesichert, wobei damit nicht gesagt ist, dass sie sich eine Auswahl der am Tempel angebrachten Weisheitssprüche vorbehalten oder überhaupt einen Einfluss darauf genommen haben. 200 Der ganze rückprojizierte Kontext um die Prophezeihung des Chilon herum erscheint wie eine spartanische Gegenversion zu dem attischen Anspruch, sich selbst von der Tyrannis befreit zu haben. Nach der Athener Version haben Harmodios und Aristogeiton - ein Liebespaar und später dann Tyrannentöter genannt - durch die Ermordung des Hipparch der eigenen Polis die Isonomie gebracht. Jedoch nach der spartanischen Version hat nicht nur der weise Chilon schon lange vorher das Unglück der Tyrannenherrschaft vorhergesehen, sondern haben eben auch die Spartaner unter Führung ihres Königs Kleomenes diese Tyrannis beseitigt und nicht etwa die Athener selbst. Thukydides kritisiert in seinem berühmten Exkurs (6,54ff.) zu den Tyrannentötern diese Selbstüberhöhung einer gelungenen Befreiung aus eigener Kraft als ‚Geschichtsfälschung’ und er wirft sie wohl zuallererst den ἄλλοι vor, womit er wahrscheinlich Herodot und vielleicht auch Hellanikos meint. 201 Nun ist Herodots Kritik nicht etwa weniger tiefgreifend als diejenige des Thukydides, aber sie ist in ein viel weiter gespanntes Netz von Bezügen zu dem Verhältnis von Tyrannen und Weisen eingebunden. Wie diese Entwicklung im historischen Kontext von den Zeitgenossen gesehen wurde, lässt sich aus einer Bemerkung Plutarchs zur Ausbildung des Themistokles entnehmen, die etwa in die Phase am Ende des 6. Jahrhunderts gehört (Plut. Them. 2, 3-4): μᾶλλον οὖν ἄν τις προσέχοι τοῖς Μνησιφίλου τὸν Θεμιστοκλέα τοῦ Φρεαρρίου ζηλωτὴν γενέσθαι λέγουσιν, οὔτε ῥήτορος ὄντος οὔτε τῶν φυσικῶν κληθέντων φιλοσόφων, ἀλλὰ τὴν τότε καλουμένην σοφίαν, οὖσαν δὲ δεινότητα πολιτικὴν 198 Plat. Prot. 343 a 8-b 1 betrachtet die Sprüche als Ausdruck eines gemeinschaftlichen Werks; anders: Kritias in seiner Zuschreibung des Μηδὲν ἄγαν an Chilon; dazu Rösler, Sieben Weise, in: Assmann (Hrsg.), Weisheit, 359f.; Thommen, Sparta, 59. 199 Hdt. 5,62,3; dazu Schubert, Athen, 3. Vgl. Rösler, Sieben Weise, in: Assmann (Hrsg.), Weisheit, 362. 200 Busine, Sept Sages, 37ff. vertritt allerdings die These vom delphischen Ursprung einer ‚Spruchsammlung der Weisen’. 201 Thuk. 6,54,1 und 6,55,1; vgl. auch seine Kritik an der ἀκοή in 6,60,1 - auch dies ein deutlicher Seitenhieb auf Herodot! 68 καὶ δραστήριον σύνεσιν, ἐπιτήδευμα πεποιημένου καὶ διασῴζοντος ὥσπερ αἵρεσιν ἐκ διαδοχῆς ἀπὸ Σόλωνος· ἣν οἱ μετὰ ταῦτα δικανικαῖς μείξαντες τέχναις καὶ μεταγαγόντες ἀπὸ τῶν πράξεων τὴν ἄσκησιν ἐπὶ τοὺς λόγους, σοφισταὶ προσηγορεύθησαν. „Mehr ist also denen zu glauben, die Themistokles als einen Schüler des Mnesiphilos, des Phrearriers, ansehen. Dieser war weder ein Rhetor noch ein Naturphilosoph, sondern hatte sich die damals sogenannte Weisheit, die das politische Können und die tatkräftige Einsicht einschloss, zu seinem Werk erwählt und behielt gleichsam diese von Solon begründete Lehre bei. Später verbanden aber einige diese Weisheit mit geschickten Redetechniken und leiteten sie so von der Übung in den Geschäften auf reines Reden über, weshalb sie Sophisten genannt wurden.“ Die hier mit Solon verbundene Entwicklung beschreibt die Tätigkeit des politisch klug und einsichtig handelnden Weisen, d.h. des auf Ausgleich und Maß bedachten Schlichters. Demgegenüber stehen die Naturphilosophen und die Sophisten als diejenigen, die nicht mehr auf die politische Pragmatik ausgerichtet sind, sondern deren Ausbildung und Interesse die ausgefeilten Techniken der Rhetorik umfassen. Diese Beschreibung der Ausbildung, die Themistokles genoss, beschreibt im Kern ein Stadium des intellektuellen Austauschs in Athen, das nicht nur von der Prominenz Solons geprägt ist, sondern auch bereits die Veränderung, d.h. auch den Umschwung in der Wertschätzung der archaischen Weisheit im Blick hat. Darin zeigt sich auch, dass der hohe Stellenwert des Wortes von Weisen zunehmend in Misskredit geriet. Weisheit im alltäglichen politischen Konkurrenzkampf diskreditierte sich und konnte damit auch nicht mehr die Legitimation der unabhängigen dritten Position behalten. Im historischen Kontext am Ende der Tyrannenzeit, wie er sich in den Aktionen der Peisistratiden zeigt, ist diese Form der Weisheit parteiisch geworden und damit in einer Weise politisch verfügbar, die sich sehr deutlich von der Weisheit unterscheidet, die einem Solon oder einem Pittakos soviel an Ansehen verliehen hat, dass daraus eine unhinterfragte Autorität erwuchs. 69 III Archäologie der griechischen Weisheit II: Der Weisheitswettkampf 1. Die Konstituierung eines Kreises der Sieben Weisen Bis zum 4. Jahrhundert muss sich in Griechenland die Vorstellung von Weisheit dramatisch verändert haben. Man begegnet seit dem 4. Jahrhundert einem kanonischen Kreis von Sieben Weisen, aber vor allem ist bei den Philosophen, insbesondere bei Platon und Aristoteles eine ganz auf das Kontemplative ausgerichtete Vorstellung von Weisheit zu erkennen (vgl. dazu i.E. Kap. VI). Die Sieben Weisen bleiben in der gesamten antiken Tradition ein präsenter Kreis mit vielfältigen, literarischen Anknüpfungspunkten für populäre Sprichwortweisheiten, volkstümlichen Rat etc., und diese Tradition läßt sich bis weit in die Neuzeit hinein verfolgen. 202 Bei Platon zählen Thales, Pittakos, Bias, Solon, Kleobulos, Myson und Chilon zu dem Kreis, jedoch scheinen nur die ersten vier wirklich einen festen Platz in der Gruppe gehabt zu haben. Die drei restlichen Plätze sind mit unterschiedlichen Namen verbunden worden, u.a. mit dem Skythen Anacharsis. 203 Auch in der rein philosophischen Diskussion bleiben sie präsent wie die Figur des Thales, etwa bei Aristoteles, deutlich zeigt (s.u.). Der Zusammenhang dieser Entwicklungen ist nicht leicht zu erkennen, es zeigen sich jedoch immer wiederkehrende Elemente, die verschiedene Erklärungswege anbieten. So fällt auf, dass mit der Vorstellung von einem Kreis der Sieben Weisen auch die Tradition eines Wettkampfes verbunden wird, der um die Position des Weisesten unter den Sieben geführt worden sein soll, wenngleich in einer invertierten Form: Jeder der Sieben Weisen habe für sich den Sieg bzw. den dazugehörenden Preis abgelehnt und jeweils einem der anderen zusprechen wollen. Diese Konstellation ist schon ganz anders als die der archaischen Zeit. Als Plutarch (45-125 n.Chr.) und Diogenes Laertius (wahrscheinlich 3. Jh.n.Chr.) dann ihre Übersichten zur Überlieferung der Sieben Weisen geschrieben haben, scheint ihnen eine äußerst reichhaltige und vielfältige Überlieferung vorgelegen zu haben. Gerade Diogenes Laertius hat eine besondere Freude daran gehabt, die verschiedenen Zweige und Varianten 202 Vgl. M. Tziatzi-Papagianni, Die Sprüche der sieben Weisen. Zwei byzantinische Sammlungen. Einleitung, Text, Testimonien und Kommentar, (Beiträge zur Altertumskunde 51), Stuttgart 1994 und für die frühe Neuzeit Green, Ausonius, zu Pseudo-Ausonius. Vgl. dazu R. Führer, Zur handschriftlichen Anordnung der inschriftlichen 7-Weisen-Sprüche, in: ZPE 118 (1997), 153-161. 203 Plat. Prot. 343 a; vgl. Dikaiarch frg. 32. F. Wehrli, Gnome, Anekdote und Biographie, in: MH 30 (1973), 193-208; dazu Rösler, Sieben Weise, in: Assmann (Hrsg.), Weisheit, 357f. 70 aufzuzählen, die es zur Zusammensetzung und zur Geschichte des Kreises gegeben hat. 204 Aus seiner Darstellung ergeben sich grundlegende Fragen, deren Beantwortung jedoch nach wie vor kontrovers ist. Zum einen ist strittig, seit wann man von einem ‚Kreis’ der Sieben Weisen sprechen kann. So wird einerseits vermutet, dass es sich um eine alte, aus der archaischen Zeit stammende Legende handelt, 205 die im Laufe der Jahrhunderte überarbeitet und ausgestaltet wurde. Andererseits wird vermutet, dass es eine vergleichsweise späte Konstruktion ist, etwa von Autoren des 4. Jahrhunderts. 206 Weiterhin ist unklar, ob sich die großen Differenzen zwischen den einzelnen Varianten auf konkurrierende und in einem erkennbaren Wissenskontext fixierbare Aspekte zurückführen lassen, die es erlauben, die Varianten zu verifizieren und in einen historischen Kontext zu setzen. Schließlich geht es hierbei auch um die verschiedenen Vorstellungen von Weisheit, die sich in den unterschiedlichen Varianten zeigen wie konsensuale im Gegensatz zu konkurrierenden oder agonistische Strukturen des Weisheitsdiskurses. Generell ist zu klären, ob sie Ausdruck einer Entwicklung von göttlicher Weisheit zu menschlicher Weisheit sind, oder ob sie aus einem rein menschlichen, aus dem pragmatischen Alltag erwachsenen Handeln entstanden sind. 207 Hierbei wäre dann auch für die Figuren der Weisen zu klären, ob eine Verschiebung der „Rollendefinition“ von Gesetzgebern zu Weisen zu erkennen ist oder ob die Entwicklung umgekehrt verlief. 208 Besonders die letzte Frage ist selten gestellt worden, 209 es standen 204 J. Bollansée (Hrsg.), FGrHist 1005-1007: Writers on the Seven Sages, FGrHist. Vol. IV A 1, hrsg. von G. Schepens, Leiden 1998, 20ff., 112ff. und in seinen Kommentaren zu den Fragmenten bietet er eine ausführliche Übersicht zum Überlieferungsstand sowie eine detaillierte Auseinandersetzung mit Fehlings Thesen zu den Sieben Weisen, der a.a.O. in Kap. I und II seine These von der Erfindung des ‚Kreises’ durch Platon sowie bes. 26ff. zu Diog. Laert. 1,27ff. und Diod. 9,3ff. belegt. 205 Von der Mühll, Anacharsislegende, 473ff. 206 So etwa Kindstrand, Anacharsis, 4ff. und auch Ungefehr-Kortus, Anacharsis, 53ff. Während Ungefehr-Kortus Ephorus hier eine ganz bedeutende, wenn nicht zentrale Rolle gibt, so sieht Kindstrand jedoch die eigentliche ‚Erfindungsleistung’ bei den Sophisten. Da Anacharsis seiner Ansicht nach eng mit der Figur des Thales verbunden worden sei, könne die Zurechnung jedoch auch durchaus schon früher stattgefunden haben (a.a.O. 39). Auch er nimmt (vgl. oben zu Busine) einen wesentlichen Einfluss des delphischen Orakels an, insbesondere für die Integration des Anacharsis in den Kreis der Weisen. 207 Vgl. zu den verschiedenen Formen der Weisheit Assmann, Was ist Weisheit? , in: dies. (Hrsg.), Weisheit, a.a.O. und oben Kap. II. 208 Vgl. dazu etwa Busine, Sept Sages, 38ff., die in der Figur Solons das zentrale und einflussreiche Modell sieht, nach dem die anderen Weisen ‚geformt’ wurden. Für Solon nimmt sie in diesem Prozess an, dass er ursprünglich ein Dichter war, der dann zu einem Weisen und Gesetzgeber umgestaltet wurde. 209 Diog. Laert. 1,40 hat allerdings bereits auf diesen fundamentalen Unterschied hingewiesen, den Dikaiarch thematisiert habe: Vgl. Fehling, Die Sieben Weisen, 21 mit wei- 71 bisher eher Fragen der Abhängigkeiten und der Chronologie im Vordergrund. Um die Entwicklung des Weisheitsdiskurses in dem Sinn nachzuzeichnen, dass hier die Schichten der Traditionsbildung freigelegt werden, muss die chronologische Abfolge der Quellen Revue passieren. So ergibt sich ein Rahmen, der auf die Differenzen des zeitbezogenen Konstruktionscharakters verweist, der durchaus eine historische Kontextualisierung ermöglicht. Die konventionelle, antike Datierung setzt die ‚Konstituierung’ eines Kreises der Sieben Weisen in die 50. Olympiade (Clem. Al. Strom. 1,21,129,4): 210 ἀποδείκνυνται τοίνυν οἱ ἐπὶ Δαρείου τοῦ Ὑστάσπου προφητεύσαντες κατὰ τὸ δεύτερον ἔτος τῆς βασιλείας αὐτοῦ Ἀγγαῖος καὶ Ζαχαρίας καὶ ὁ ἐκ τῶν δώδεκα Ἄγγελος κατὰ τὸ πρῶτον ἔτος τῆς ὀγδόης καὶ τεσσαρακοστῆς ὀλυμπιάδος προφητεύσαντες πρεσβύτεροι εἶναι Πυθαγόρου τοῦ κατὰ τὴν δευτέραν καὶ ἑξηκοστὴν ὀλυμπιάδα φερομένου καὶ τοῦ πρεσβυτάτου τῶν παρ' Ἕλλησι σοφῶν Θαλοῦ περὶ τὴν πεντηκοστὴν ὀλυμπιάδα γενομένου. συνεχρόνισαν δὲ οἱ συγκαταλεγέντες σοφοὶ τῷ Θαλεῖ, ὥς φησιν Ἄνδρων ἐν τῷ Τρίποδι. „Es ist somit erwiesen, dass die Propheten, die unter Dareios, dem Sohne des Hystaspes, in dem 2. Jahre seiner Regierung wirkten, nämlich Angaios und Zacharias und der zu den Zwölf Propheten gerechnete Angelos, da sie in dem 1. Jahre der 48. Olympiade wirkten, älter sind als Pythagoras, der in die 62. Olympiade gesetzt wird, und älter als Thales, der älteste von den griechischen Weisen, der um die 50. Olympiade lebte. Nach Andron im Tripus lebten diejenigen, die zusammen mit Thales ‚Weise’ genannt wurden, zeitgleich mit ihm.“ Das birgt in sich bereits eine komplexe Konstruktion. Sie setzt zum einen eine ungefähre Gleichzeitigkeit der Lebensdaten voraus, die eine solche Synchronisierung überhaupt plausibel machen und zum anderen basiert sie auf einer Rahmenvorstellung für die Abfolge der Ereignisse des 6. Jahrhunderts, insofern je nach gewähltem Ausgangsdatum eine Verbindung mit Kroisos und den damit wiederum zusammenhängenden, historischen Ereignissen etwa in Ionien entfällt oder möglich wird. 211 So lässt sich einerseits erkennen, dass die Figur des Thales sowohl für die Synchronisierung als auch für die Datierung ausschlaggebend gewesen ist. Herodot, der sie- teren Belegen; vgl. W. Wiersma, The Seven Sages and the Prize of Wisdom, in: Mnemosyne 3/ 1 (1934), 150-54. 210 Clem. Al. Strom. 1,14,65,1; 1,21,129,3; Tat. Or. ad Graec. 41; Euseb. Chron. arm. S. 93 (Karst) und Euseb. ap. Hieron., Chron., S. 101b (Helm) (vgl. Synk. S. 453 14-16 (Dindorf)); Euseb. Chron. arm., S. 187 (Karst). Dazu Bollansée (Hrsg.), FGrHist., 135 mit Anm. 33. 211 Bollansée (Hrsg.), FGrHist., 134ff. zu FGrHist F 1005 Andron F 1, auch mit ausf. Diskussion zu Fehling, Die Sieben Weisen, 20ff. und F. Jacoby, Apollodors Chronik, Berlin 1902 (Nachdr. New York 1973), 182f.; F. Jacoby, The First Athenian Prose Writer, in: Mnemosyne 13/ 3 (1947), 13-64, bes. 21. A.A. Mosshammer, The Epoch of the Seven Sages, in: CSCA 9 (1976), 165-80, bes. 171-78; A.A. Mosshammer, The Chronicle of Eusebius and Greek Chronographic Tradition, London 1979, 267ff. 72 ben der Weisen erwähnt, jedoch je für sich, 212 synchronisiert immerhin Solon, Bias, Thales und Pittakos mit Kroisos und stellt zwischen diesem und jeweils Solon, Bias und Thales auch die Verbindung her. 213 Andron von Ephesus (4. Jh.v.Chr.) ist nun aber der erste Autor, bei dem sich sowohl die Weisen als feste Gruppe als auch die zeitliche Synchronisierung mit Thales nachweisen lässt (Clem. Al. Strom. 1,129,4 = FGrHist 1005 F 1). Ein Scholiast zu Pindars Isthmien schreibt ihm weiterhin auch die Benennung der Gruppe als eines festen Kreises der Sieben zu (Schol. Pind. Isthm. II, 17 = 4 = FGrHist 1005 F 2b): Σπαρτιάτην δὲ Ἀριστόδημον ἐν τοῖς ἑπτὰ σοφοῖς ἀναγράφεται καὶ Ἄνδρων ὁ Ἐφέσιος. „Auch Andron von Ephesus berichtet, dass Aristodemos von Sparta zu den Sieben Weisen gehörte.“ Jedoch weder bei Herodot noch bei Andron lässt sich erkennen, dass sie diese Zuschreibungen mit einer fixierten Jahreszahl oder einem anderen eindeutig zu berechnenden Gerüst verbunden hätten. Nun lassen sich aus Herodot für die Zeit vor dem 5. Jahrhundert überhaupt keine Fixdaten gewinnen, sondern lediglich relative Chronologien. 214 Es ist vorgeschlagen worden, Thales und die Sieben Weisen einfach nur ‚100 Jahre vor den Perserkriegen’ anzusetzen. Allerdings ist dies keine Antwort auf die Probleme, da ein Zeitraum von ‚100 Jahren’ in der griechischen Historiographie nicht begegnet. 215 Die Erklärung mit Hilfe einer relativen Chronologie führt in jedem Fall weiter als die diversen Zahlenspekulationen auf der Basis der ganz sicher erst viel später etablierten Olympiadenrechnung, d.h. der Zuordnung bestimmter Ereignisse in die Zeiträume zwischen den einzelnen Olympiaden und der dadurch auch immer wieder provozierten Emendationen. 216 Bleibt man bei der einfachen, relativen Chronologie, dann hat 212 Solon, Bias, Pittakos, Thales, Chilon, Periander, Anacharsis. 213 Solon: Hdt. 1,29; Bias: Hdt. 1,27; Thales: Hdt. 1,75. 214 Fehling, Die Sieben Weisen, 78ff. Vgl. dazu die Rezension von R. Bichler, in: AnZW 42 (1989), 187-192, aber auch die scharfe Kritik von W.K. Pritchett, The Liar School of Herodotus, Amsterdam 1993; auch R. Bichler, Das chronologische Bild der Archaik, in: Rollinger/ Ulf (Hrsg.), Griechische Archaik, 207-48 kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich eine relative Chronologie zu gewinnen ist. 215 Mosshammer, Chronicle, 267ff.; Mosshammer, Epoch, 171ff. Die nächste Stufe sei hiernach bei Demetrius von Phaleron zu sehen, der diesen Zeitpunkt mit der Einrichtung der Pythischen Spiele in Delphi synchronisiert habe, dies wiederum sei dann mit dem Archontat des Damasius 582/ 1 v.Chr. zusammengelegt worden (vgl. dazu Marmor Parium FGrHist 239 F 1, A38) und dazu auch Bollansée (Hrsg.), FGrHist., 135f. Anders bei Jacoby, Chronik, 182f., der Demetrius von Phaleron zwar auch die Zusammenlegung von Thales’ Akme und Damasius’ Archontat für das Jahr 582/ 1 v.Chr. zuschreibt, aber annimmt, dass dieser ‚Standard’ für Thales’ Akme von Apollodor auf das Jahr 585/ 4 v.Chr. geändert worden sei. 216 Z.B. Diog. Laert. 1,37,10-1,38,4: Φησὶ δ' Ἀπολλόδωρος ἐν τοῖς Χρονικοῖς (Apollodor FGrHist 244 F 28) γεγενῆσθαι αὐτὸν κατὰ τὸ πρῶτον ἔτος τῆς τριακοστῆς ἐνάτης Ὀλυμπιάδος. ἐτελεύτησε δ' ἐτῶν ἑβδομήκοντα ὀκτώ, (ἤ, ὡς Σωσικράτης φησίν, 73 Herodot einen zeitlichen Zusammenhang für Thales, Solon und andere der Weisen mit Kroisos angenommen, dem dann später Andron von Ephesus, Eudoxos von Knidos und andere gefolgt sind, jedoch offenbar nicht Apollodor. Demetrius von Phaleron (ca. 345-280 v.Chr.) wiederum hat die Konstituierung des Kreises exakt auf das Archontat des Damasias (582/ 1 v.Chr.) festgelegt. 217 Die sich aus dieser vermeintlichen Genauigkeit ergebenden chronologischen Schwierigkeiten hat Fehling in aller Deutlichkeit benannt. Allerdings hat er daraus eine radikale Konsequenz gezogen: Er hält Platon für den Erfinder der Sieben Weisen und alle Details, Hinweise ἐνενήκοντα)· τελευτῆσαι γὰρ ἐπὶ τῆς πεντηκοστῆς ὀγδόης Ὀλυμπιάδος, γεγονότα κατὰ Κροῖσον, ᾧ καὶ τὸν Ἅλυν ὑποσχέσθαι ἄνευ γεφύρας περᾶσαι, … „Apollodor sagt in seinen Chroniken, dass Thales im ersten Jahr der 39. Ol. [624 v.Chr. - oder 640 mit πεμπτης = 35. Ol.] geboren wurde. Er starb im Alter von 78 Jahren [547 v.Chr. oder 562 v.Chr.], oder, wie Sosikrates sagt 90 Jahren [550 oder 534 v.Chr.], denn er verstarb in der 58. Olympiade [548-545 v.Chr.], nachdem er in der Zeit des Kroisos gelebt hatte, dem er versprach, ihm den Übergang über den Halys ohne Brücken zu ermöglichen.“ Die genaue Berechnung dieser Daten macht große Schwierigkeiten, was aber nur dann deutlich wird, wenn man berücksichtigt, dass πέμπτης , das hier von Diels zu ἐνάτης emendiert worden ist (also aus der 35. die 39. Olympiade gemacht worden ist). Jacoby hat sich dem später angeschlossen; so beseitigt man den Widerspruch, der sich daraus ergibt, dass Apollodor mit einer Lebenszeit von 640-562 v.Chr. (78 Jahre) den Synchronismus zwischen Thales und Kroisos entweder nicht kannte oder nicht beachtete. Schon Sosikrates hatte dieses Problem dadurch zu lösen versucht, dass er die Lebensspanne des Thales auf 90 Jahre erweiterte, so dass seine Lebenszeit immerhin bis 550/ 49 v.Chr. ausgedehnt werden konnte (oder er hat das Geburtsjahr in das 3. Jahr der 35. Ol. gesetzt [638], so dass er auf ein Todesjahr 548 v.Chr. kam) und, wie das Exzerpt bei Clemens zeigt, damit die Geschichte von Thales und Kroisos retten konnte. Ps. Lukian (Macr. 18) und Synkellos (213 c) dehnen Thales’ Lebenszeit, offensichtlich aus dem auch von ihnen gesehenen Dilemma, auf 100 Jahre aus (vgl. dazu Carl J. Classen, s.v. Thales, in: RE Suppl. X, 1965, 930-47, bes. 931)! Diels und Jacoby sind jedoch mit der Orientierung der Akme- Setzung in das Jahr 585/ 4 v.Chr. noch einen Schritt weiter gegangen: Wenn Thales 585/ 4 v.Chr. 40 Jahre (traditionelle Akme-Setzung) alt gewesen sein soll, dann könnte er nicht vor 626/ 5 v.Chr. geboren worden sein, also muss aus der 35. Olympiade die 39. Olympiade gemacht werden und das Geburtsdatum des Thales auf 626/ 5 gelegt werden, so dass sowohl die Akme 585 v.Chr. als auch die Synchronisierung mit Kroisos etc. möglich wird. Diels (H. Diels, Chronologische Untersuchungen über Apollodors Chronika, in: RhM 31 (1876), 15-19; Jacoby, Chronik, 174ff. und Mosshammer, Chronicle, 257 haben dies übernommen) nimmt an, dass sich im Verlauf des Kopierprozesses, aber eben noch in der Antike, ein Schreibfehler eingeschlichen habe ( ΛΕ zu ΛΘ ). Das Akme-Datum 585/ 4 v.Chr. gehört in die bereits bei Hdt. 1,74 referierte Tradition der Vorhersage der Sonnenfinsternis, vgl. Plin. nat. 2,53 und zu der Akme-Methode des Apollodor: A.A. Mosshammer, The Apollodoran Akmai of Hellanicus and Herodotus, in: GRBS 14 (1973), 5-13. 217 Diog. Laert. 1,22: καὶ [ sc.Thales ] πρῶτος σοφὸς ὠνομάσθη ἄρχοντος Ἀθήνησι Δαμασίου, καθ' ὃν καὶ οἱ ἑπτὰ σοφοὶ ἐκλήθησαν, ὥς φησι Δημήτριος ὁ Φαληρεὺς ἐν τῇ τῶν Ἀρχόντων ἀναγραφῇ (Demetrios von Phaleron FGrHist 228 F 1). „Und er [sc. Thales] war der erste, der weise genannt wurde, als Damasios Archon in Athen war, zu dessen Zeit auch die sieben Weisen benannt wurden, wie Demetrios der Phalerier in seinem Archontenkatalog sagt.“ 74 und Anekdoten, die Thales als einem der Sieben Weisen zugeschrieben werden, für frei erfunden. Man muss seiner Skepsis im Hinblick auf den Beginn dieser Konstituierungschronologie nicht unbedingt konsequent folgen, sondern es genügt, die Eckpunkte der Entwicklung herauszuarbeiten. Danach zeigt die Überlieferung des 5. Jahrhunderts bereits eine vielfältige Kenntnis zu den Weisen. 218 So erwähnt Heraklit die Weisen Bias und Thales, Simonides, den Weisen Kleobulos, aber auch Pittakos. Allerdings sind diese Erwähnungen verstreut und geben keinerlei Hinweis auf eine kanonische Zusammensetzung. Die ersten Erwähnungen eines ‚Kreises’ finden sich jedoch ganz eindeutig erst in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts bei Andron, Eudoxos und Platon. Der wahrscheinlich früheste Hinweis auf die Prägung dieser Gruppe als eines fest umrissenen Kreises der Sieben Weisen ist das Fragment 69 des Androtion (Ael. Aristid. Or. 3,677 p. 518 (Lenz) = Andron FGrHist 1005 F 7): 219 οὐχ Ἡρόδοτος Σόλωνα σοφιστὴν κέκληκεν, οὐ Πυθαγόραν πάλιν, οὐκ Ἀνδροτίων τοὺς ἑπτὰ σοφιστὰς προσείρηκεν, λέγων δὴ τοὺς σοφοὺς, καὶ πάλιν αὖ Σωκράτη σοφιστὴν τοῦτον τὸν πάνυ; „Hat nicht Herodot Solon einen Sophisten genannt und Pythgagoras auch? Und sprach nicht Androtion von den Sieben Sophisten, womit er die Weisen meinte, und auch von diesem berühmten Sophisten Sokrates? “ Auch der Hinweis des Aelius Aristeides, dass noch bis ins 4. Jahrhundert kein terminologischer Unterschied gemacht wurde zwischen Sophisten 218 Zu Herodot s.o.; Herakl. DK 22 B 39 zu Bias; im 6. Jahrhundert bereits Hipponax IEG frg.123 (West) zu Bias und IEG frg. 63 (West) zu Myson ( καὶ Μύσων, ὃν Ὡπόλλων ἀνεῖπεν ἀνδρῶν σωφρονέστατον πάντων ); Simonides frg. 76 (PMG) zu Kleobulos, frg. 37,11 (PMG) zu Pittakos; aus Diog. Laert.: Duris von Samos (1,90); zu Kleobulos und zu Pherekydes DK 7 B 1 (Diog. Laert. 1,119); Xenophanes DK 21 B 20 (Diog. Laert. 1,111) zu Epimenides; Ion von Chios zu Pherekydes (Diog. Laert. 1,120). Fehling, Die Sieben Weisen, 11f. Von B. Snell, Gesammelte Schriften, Göttingen 1966, 115ff. wird in diesem Zusammenhang PSI 1093 genannt (in Bezug auf das Zitat Schol. Eur. Hipp. 264: καὶ μάρτυρες ἔσονται οἱ σοφοί, εἴπερ ἑνὸς τῶν ἑπτὰ σοφῶν ἐστιν ἀπόφθεγμα τὸ μηδὲν ἄγαν, ὅπερ Χίλωνι ἀνατιθέασιν, ὡς Κριτίας , als Hinweis auf entsprechende Darstellungen von solchen Symposia bereits im 5. Jahrhundert interpretiert worden). Vgl. Clem. Al. Strom. 1,14,61 und E.G. Wilkins, ΜΗΔΕΝ ΑΓΑΝ in Greek and Latin Literature, in: CPh 21/ 2 (1926), 132-48. Ganz anders Fehling a.a.O. 12 mit Anm. 6. 219 Bollansée führt das Fragment unter Andron von Ephesus als F 7 (FGrHist 1005 F 7) auf, gibt aber im Kommentar S. 160ff. zu bedenken, dass die Manuskripte alle einheitlich Androtion als Autor des Satzes nennen und von daher weder die bei Müller (FHG I F39, S. 375 zu Androtion und FHG II F 4, S. 347 bei Andron) noch die bei Jacoby (FGrHist 324 F 69 unter ‚Zweifelhaftes und Gefälschtes’ eingeordnet) zu erkennenden Zweifel an der Autorschaft des Androtion eine wirkliche Grundlage haben. Ph. Harding, Androtion and the Atthis, Oxford 1994, behandelt das Fragment nicht. Andron von Ephesus ist nicht - wie Fehling angenommen hat - mit Androtion gleichzusetzen. Der Autor des Tripus ist Andron und dieser wiederum hat nichts mit der bei Aelius Aristeides aus Androtion erwähnten Nennung der Sieben Weisen/ Sophisten zu tun. 75 und Sophoi, 220 weist daraufhin, dass eine klare Abgrenzung zwischen Weisen und Philosophen, im speziellen zwischen den Sieben Weisen und den nicht zu diesem Kreis gehörenden Philosophen, Weisen und Gesetzgebern kaum lange vor dem 4. Jahrhundert überhaupt begonnen haben kann. 2. Der Weisheitspreis Ebenso schwierig wie der Beginn der Vorstellung von einem ‚Kreis der Sieben Weisen’ ist die Entstehung der Überlieferung zu einem Preis zu rekonstruieren, der dem Weisesten verliehen wurde. Eine sehr reichhaltige, fast schon wie eine Sammlung von Varianten und Widersprüchen anmutende Zusammenstellung findet sich bei Diogenes Laertius in der Vita des Thales (Diog. Laert. 1,28-33). Auch Plutarch hat in seiner Solon-Biographie (Plut. Sol. 4) einige, wenngleich stark zusammengefasste Varianten. Schließlich gehören auch die Exzerpte aus Diodors neuntem Buch (Diod. 9,3,13), die sich in der Sammlung De virtutibus et vitiis des Constaninus Porphyrogennetus befinden, hierzu. Die allgemein bekannte Version ist nach Diogenes Laertius (1,28) diejenige gewesen, 221 nach der ein Streit zwischen milesischen Fischern und Jugendlichen um einen aus dem Meer gefischten Dreifuß dem Apollo in Delphi zur Schlichtung und zur Zuweisung des Preises vorgelegt wurde. τίς σοφίῃ πάντων πρῶτος („wer der durch Weisheit Erster aller [sei]“) habe der Gott geantwortet, als man ihn fragte, wem der Preis gebühre und man gab den Dreifuß an Thales, der ihn einem anderen weiterreichte bis er reihum gehend zu Solon kam. Dieser nun erklärte, dass der Gott der Erste an Weisheit sei und sandte den Dreifuß nach Delphi. Im Hinblick auf das Verhältnis der Varianten, die Diogenes Laertius anschließend teilweise kurz anreißend, teilweise auch länger referierend auf- 220 Zur negativen Bedeutung von σοφιστής : Suda ( σ 812), s.v. σοφιστής: ἀπατεών. παρὰ τὸ σοφίζεσθαι, ὅ ἐστι λόγοις ἀπατᾶν. λέγεται δὲ σοφιστὴς καὶ ὁ διδάσκαλος, ὡς σοφίζων. τὸ δὲ παλαιὸν σοφιστὴς ὁ σοφὸς ἐκαλεῖτο. ὀδύναις τε καὶ νόσοις γενέσθαι σοφιστὴν ἄκρον. καὶ Ἀριστοφάνης λέγει σοφίζῃ, ἀντὶ τοῦ τεχνάζῃ. σοφίας γὰρ καὶ σοφίσματα τὰς τέχνας ἔλεγον. „Ein Betrüger. Kommt von σοφίζεσθαι , das bedeutet mit Worten betrügen. Aber auch der Lehrer als einer, der weise macht, wird Sophist genannt. Aber in der alten Zeit wurde ein Weiser Sophist genannt. Der Gipfel ist durch Schmerzen und Krankheiten Sophist zu werden. Auch sagt Aristophanes σοφίζῃ statt τεχνάζῃ . Denn er nannte die σοφίας und die σοφίσματα Künste ( τέχνας ).“ Die negative Konnotierung in aller Deutlichkeit bei Platon: Vgl. Gorg. 449 d-ff., Men. 95 c, Phaidr. 267 a, Symp. 198 c, Prot. 313 a-314 b. Als Beispiel für den früheren Gebrauch: Aischyl. Prom. 62; 944. Zu den Sophisten als ‚Weisheitslehrer’ vgl. R. Wallace, Plato’s sophists, intellectual history after 450, and Socrates, in: L.J. Samons II, The Cambridge Companion to the Age of Pericles, Cambridge 2007, 183-196 und ders., The sophists in Athen, in: K. Raaflaub/ D. Boedeker, Democracy, Empire and the Arts, Cambridge, Mass. 1998, 203-222. 221 So auch bei Diod. 9,3. Ausf. dazu Busine, Sept Sages, 53ff. 76 zählt, herrscht Uneinigkeit: Er erwähnt neben der ‚Standardversion’ elf Versionen, die er namentlich zuschreibt und zwei weitere, die von ἔνιοι und ἄλλοι stammen. 222 Dieses reichhaltige Quellenmaterial zeigt, dass Diogenes Laertius und Plutarch auf einer langen Tradition zu dem Thema fußen. Ein Autor, der in seinem Tripus nicht nur über die Sieben Weisen, sondern auch über den ἄγων σοφίας , den Weisheitswettkampf, geschrieben hat, war der bereits erwähnte Andron von Ephesus. Zwar ist über diesen Andron zu wenig bekannt, um ihn einer bestimmten Richtung oder Methode als Historiker oder einem anderen Genre zuzuweisen. Aber aus den von ihm erhaltenen Fragmenten wird immerhin deutlich, dass er vor Theopomp von Chios geschrieben haben muss, da dieser ihn schon benutzt hat und er daher an einer sehr frühen Stelle der Überlieferung zu dem Weisheitspreis stehen muss. 223 So gesehen ist er der älteste Autor in der chronologischen Reihe derjenigen, die die Weisen als Kreis einer siebenköpfigen Gruppe erwähnen und gehört wohl in die Zeit um 400 oder in das erste Drittel des 4. Jahrhunderts. Vergleicht man nun diese Versionen untereinander und zieht auch Diodor und Plutarchs Solon-Biographie hinzu, so zeigen sich die Unterschiede und Gemeinsamkeiten sehr deutlich: 224 Zum Einen ist der Preis einmal ein Dreifuß, 225 einmal ein Goldbecher, 226 dann variieren der Fundort (vgl. dazu unten) und der Ort der Weihung (Delphi, Didyma) ebenso wie der Name des Siegers in diesem Weisheitswettbewerb. 227 Darüber hinaus lassen sich jedoch noch weitere Charakteristika in diesen Differenzen ausmachen: So ist eindeutig Thales die Hauptfigur, die in den meisten Versionen entweder allein oder zusammen mit Bias oder Chilon genannt wird, ganz selten auch mit Solon. 228 Man kann zwischen dem- 222 Kallimachos, Leander der Milesier, Eleusis, Alexander der Myndier, Eudoxos von Knidos, Euanthes von Milet, Platon, Daimachos, Klearchos, Andron, Phanodikos. In den anderen Viten werden noch weitere Autoren genannt, jedoch nicht in konkretem Bezug zu der Geschichte vom Treffen der Sieben Weisen bzw. ihrem Wettstreit um den Dreifuß (Satyros, Hermippos, Sosikrates, Anaxilaos, Hipponax, Aristoxenos, Xenophanes, Eratosthenes). Ausf. zu den Quellen des Diogenes Laertius: M. Gigante, Biografia e dossografia in Diogene Laerzio, in: Elenchos 7 (1986), 7-102, hier 53ff. mit einer ausf. Interpretation von Diogenes 1,28ff. 223 Busine, Sept Sages, 151ff. zu Andron von Ephesus, FGrHist 1005 F 3 und F 6. Ebenso Bollansée zu Andron von Ephesos. 224 Bollansée (Hrsg.), FGrHist., 57 mit tabellarischer Übersicht und a.a.O.ff. mit anschließender, ausführlicher Analyse von Plut. Conv.sept.sapt. 225 Diog. Laert. 1,27-28 (Standardversion), 1,30 (Andron), 1,31 (Phanodikos), 1,31 (‚Andere’); der Dreifuß ist entweder aus Gold (Diog. Laert. 1,27; Diod. 9,3,1-3; Val. Max. 4,1; Schol. Aristoph. Plut. 9) oder aus Bronze. Der Dreifuß aus Bronze bei Theophrast (= Plut. Sol. 4,7), Phanodikos, Satyros (Diog. Laert. 1,31) und Diod. 9,13,2. 226 Diog. Laert. 1,28 (Leander und Kallimachos); 1,29 (Eudoxos und Kleanthes); 1,30 (Daimachos und Klearchos), vgl. Phoinix von Kolophon bei Athen. 11,495 d. 227 Ausf. hierzu bei Busine, Sept Sages, 57. 228 Thales, mit Solon: ‚Standardversion’ Diog. Laert. 1,28; Thales mit Chilon: nach Diog. Laert. 1,28 bei Kallimachos, Eleusis und Alexander dem Myndier, nach Diog. Laert. 77 jenigen der Weisen unterscheiden, der als erster und dem, der als letzter genannt wird: Dabei ergibt sich fast immer Thales als Protagonist, gefolgt von Bias. Bei einigen Varianten wird Thales nicht ausdrücklich genannt, sondern nur durch die Kurzform, dass der Preis die Runde unter den Sieben Weisen machte, impliziert. Damit ist er, wenngleich in diesem Fall nicht unbedingt als Hauptperson, jedoch zumindest als konstantes Mitglied der Gruppe integriert. Ganz auffällig ist im Unterschied dazu, dass Thales bei Andron von Ephesus - in einer der frühesten Schilderungen des Wettstreits um den Weisheitspreis - und bei Phanodikos - in einer der spätesten Varianten aus dem 2./ 1. Jh.v.Chr. - nicht erwähnt wird. 229 In dieser Gruppe zeigen sich überhaupt ganz andere Versionen, die eines genaueren Blickes würdig sind. 230 In der Thales-Vita bei Diogenes ist die Version, die Andron zugeschrieben wird, eine der ausführlicheren (Diog. Laert. 1,30-31): Ἄνδρων δ' ἐν τῷ Τρίποδι Ἀργείους ἆθλον ἀρετῆς τῷ σοφωτάτῳ τῶν Ἑλλήνων τρίποδα θεῖναι· κριθῆναι δὲ Ἀριστόδημον Σπαρτιάτην, ὃν παραχωρῆσαι Χίλωνι. 31 Μέμνηται τοῦ Ἀριστοδήμου καὶ Ἀλκαῖος οὕτως· ὠς γὰρ δή ποτ' Ἀριστόδαμον φασ' οὐκ ἀπάλαμνον ἐν Σπάρτᾳ λόγον εἴπειν· χρήματ' ἄνηρ, πένιχρος δ' οὐδ' εὶς πέλετ' ἔσλος <οὐδὲ τίμιος>. „Andron wiederum behauptet in seinem Buch ‚Der Dreifuß’, die Argiver hätten dem Weisesten der Hellenen einen Dreifuß als Preis der Vortrefflichkeit bestimmt, und als solcher sei Aristodemos in Sparta anerkannt worden; dieser habe ihn an Chilon abgetreten. Es gedenkt des Aristodemos auch Alkaios in folgenden Versen: So hat denn, wie es heißt, Aristodemos in Sparta einst ein treffend Wort gesprochen: Geld macht den Mann, vergebens sucht man nach einem armen Ehrenmann.“ 231 In seinem ‚Tripus’ habe Andron geschrieben, dass die Argiver als Siegespreis in einem Weisheitswettbewerb einen solchen Dreifuß ausgelobt haben und dass Aristodemos, ein schwierig zu datierender Spartaner, ihn zwar gewann, jedoch an Chilon, den berühmten Ephoren aus der Mitte des 6. Jh.v.Chr., weiterreichte. Als Beleg für die Weisheit des Aristodemos zitiert Diogenes Laertius einen Vers des Dichters Alkaios (um 600 v.Chr.), in dem Aristodemos mit einem für die Weisen ganz typischen, knappen Spruch genannt wurde. 232 Phanodikos wiederum verlegt die Geschichte 1,30 auch in dieser Kombination bei Eudoxos, bei Plut. Sol. 4, der dafür Theophrast zitiert. 229 Diog. Laert. 1,32. Phanodikos ist noch schemenhafter als Andron von Ephesos: Nach Jacoby, FGrHist gehört er in das 2./ 1. Jh.v.Chr. 230 Anders Busine, Sept Sages, mit einem eher genetischen Ansatz, wonach sich die Varianten aus einer Ursprungsversion entwickelt haben sollen, die ein Fischerkrieg in Milet gewesen ist. Aus der Ursprungsversion heraus habe sich die Bathykles-Version abgeleitet und später dann diejenige, die Solon integrierte. 231 ÜS nach O. Apelt. 232 Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass Alkaios ein erklärter Gegner des Pittakos war (vgl. dazu Diod. 9,2), so dass dieses Lob der spartanischen Weisheit auch ein an- 78 nach Athen, in dessen Nähe der Dreifuß gefunden worden sein soll und über dessen Zusprechung eine Volksversammlung entschieden habe (Diog. Laert. 1,31): Φανόδικος δὲ περὶ τὴν Ἀθηναίων θάλασσαν εὑρεθῆναι καὶ ἀνενεχθέντα εἰς ἄστυ γενομένης ἐκκλησίας Βίαντι πεμφθῆναι· διὰ τί δέ, ἐν τῷ περὶ Βίαντος λέξομεν. „Phanodikos dagegen behauptet, er sei in der Nähe von Athen im Meere gefunden, in die Stadt gebracht und auf Beschluß der Volksversammlung dem Bias übersandt worden. Den Grund werden wir in dem Abschnitt über Bias mitteilen.“ 233 Dass und warum dies zugunsten von Bias geschah, berichtet Diogenes in der Bias-Vita: Er habe nämlich gefangen genommene Mädchen ausgelöst, aufgezogen und mit Mitgift an den Vater zurückgeschickt. 234 Dafür habe man ihm - offensichtlich als Auszeichnung - den Dreifuß mit der Aufschrift ‚Dem Weisesten’ zuerkannt. Beide Versionen sind so aufgebaut, deres Ziel gehabt haben kann als das reine Lob eines Weisen. Aber auch Dikaiarch scheint diesen spartanischen Weisen Aristodemos gekannt zu haben: Diog. Laert. 1,41 = Wiersma, Seven Sages, Nr. 38. Unter dem Namen Aristodemos ist ein spartanischer König bekannt, der sich jedoch zeitlich schwer einordnen lässt (W.W. Fortenbaugh/ E. Schütrumpf (Hrsg.), Dicaearchus of Messana. Text, Translation, and Discussion, (Rutgers University Studies in Classical Humanities), New Brunswick 2001). White (F. Graf, s.v. Aristodemus 1, in: DNP 1, 1996, 1107, hier 205.) und Luppe (Neues aus Papyrus-Hypotheseis zu verlorenen Euripides-Dramen, in: Fortenbaugh/ Schütrumpf (Hrsg.), Dicaearchus, 329-341, hier, 386 sehen in ihm denjenigen Aristodemos, den Euripides im Temenos verwendet und auf den dann auch einige der überlieferten Sprüche der Sieben Weisen zurückgehen würden (S.A. White, Principes Sapientiae: Dicaearchus’ Biography of Philosophy, in: Fortenbaugh/ Schütrumpf (Hrsg.), Dicaearchus, 195-236, hier 205 mit Anm. 27). Dies ist chronologisch allerdings sehr schwierig, da Diogenes voraussetzt, dass Aristodemos und Chilon gleichzeitig sind. 233 ÜS O. Apelt. 234 Diog. Laert. 1,82ff.: Χρόνῳ δὲ ἐν ταῖς Ἀθήναις, ὡς προείρηται, τοῦ τρίποδος εὑρεθέντος ὑπὸ τῶν ἁλιέων, τοῦ χαλκοῦ, ἐπιγραφὴν ἔχοντος «τῷ σοφῷ,» Σάτυρος μέν φησι παρελθεῖν τὰς κόρας - οἱ δὲ τὸν πατέρα αὐτῶν, ὡς καὶ Φανόδικος - εἰς τὴν ἐκκλησίαν, καὶ εἰπεῖν τὸν Βίαντα σοφὸν, διηγησαμένας τὰ καθ' ἑαυτάς. Καὶ ἀπεστάλη ὁ τρίπους· καὶ ὁ Βίας ἰδὼν ἔφη τὸν Ἀπόλλωνα σοφὸν εἶναι, οὐδὲ προσήκατο. Οἱ δὲ λέγουσιν ἐν Θήβαις τῷ Ἡρακλεῖ αὐτὸν ἀναθεῖναι, ἐπεὶ ἀπόγονος ἦν Θηβαίων ἀποικίαν εἰς Πριήνην στειλάντων, ὥσπερ καὶ Φανόδικός φησι. („Als einige Zeit danach in Athen, wie oben schon berichtet, jener bronzene Dreifuß von den Fischern gefunden wurde, der die Inschrift ‚Dem Weisen’ trug, traten nach Satyros die Mädchen, nach Phanodikos und anderen ihr Vater in der Volksversammlung auf und erklärten den Bias für weise, indem sie ihre Erlebnisse schilderten. So wurde er ihm übersandt. Bias aber erklärte beim Anblick des Dreifußes den Apollon für weise und nahm ihn nicht an. Andere wieder erzählen, er habe ihn in Theben dem Herakles geweiht, weil er ein Abkömmling der Thebaner war, denn diese hätten Priene als Kolonie gegründet. So berichtet es auch Phanodikos.“) Vgl. White, Principes Sapientiae, in: Fortenbaugh/ Schütrumpf (Hrsg.), Dicaearchus, 153 mit der merkwürdigen Interpretation, dass dies nur eine messenische Volksversammlung gewesen sein könne. In diesem Fall machte es allerdings kaum einen Sinn, dass Phanodikos die ganze Geschichte nach Athen verlagerte. 79 dass sich eine durch eine Verkürzung oder Zusammenfassung möglicherweise entfallene Beteiligung des Thales ausschließen lässt. Dass die Versionen an verschiedenen Orten lokalisiert werden und dies nicht nur auf lokale Interessen, sondern auch auf bestimmte politische Kontexte hindeutet, ist natürlich längst gesehen worden. 235 Ganz deutlich lassen sich drei Regionen erkennen, die ionische mit Milet bzw. Milet und Kos, die peloponnesische mit verschiedenen Orten (Sparta, Messenien, Argos) und schließlich auch in der Version des Phanodikos eine attische. In beiden Versionen sind auch Elemente zu erkennen, die sich ansonsten in der Tradition zu dem Weisheitspreis nicht finden. Dies sind bei Andron die kompetitive Ausrichtung im Sinne eines Wettstreits und bei Phanodikos die institutionelle Einbindung durch einen Entscheid der Volksversammlung. Gerade die Einführung eines Volksbeschlusses der attischen Volksversammlung, um die Ehrung eines der Sieben Weisen zu beschließen, birgt in sich soviel Anachronistisches, dass diese Version sicher einer späteren Entwicklungsstufe zugeordnet werden kann. Die von Andron vertretene Version ist etwas schwieriger zu verorten. Andron schreibt in seinem Fragment 5 über die sog. Phönikischen Buchstaben, aus denen das griechische Alphabet entstanden sein soll, und es ist möglich, dass die Geschichten über den Weisheitspreis denselben Kontext haben. 236 Damit verbindet sich auch die Annahme, dass das Werk des Andron nicht eine Einzelabhandlung über die Sieben Weisen und den Dreifuß gewesen ist, sondern in allgemeinerer Art als Buch über die griechischen Kulturheroen geschrieben worden ist. Insgesamt ist zuwenig von Androns Werk bekannt, aber zumindest zeigt sich hier, da die anderen von Diogenes Laertius genannten Varianten zum großen Teil auf Autoren des 4. Jahrhunderts (Leander der Milesier, Eudoxus von Knidos, Anaximenes, Dikaiarch, Ephorus) zurückzuführen sind, dass Andron kein singulär nur von ihm bearbeitetes Thema gewählt hat. Betrachtet man dies im Kontext der ansonsten in den Biographien des Diogenes Laertius zu den einzelnen Weisen genannten Quellen, so kann man eine durchgängige Dichte feststellen, die auf zahlreiche Diskussionen und Kontroversen vom 5. über das 4. 235 Vgl. dazu insb. Wiersma, Seven Sages, 150-54 und bes. 63f. Außerdem Busine, Sept Sages, 44 zu Diog. Laert. 1,40. Nach Archetimos von Syrakus (FHG 4, S. 318) fand das Treffen bei Kypselos statt, nach Ephorus (FGrHist 70 F 181) trafen sich alle außer Thales bei Kroisos, andere nannten das Panionion als Ort des Treffens, wieder andere Autoren Korinth bzw. Delphi. Plat. Prot. 343 b nennt Delphi und Korinth. Plut. Sol. 4 hat ebenfalls Delphi und Korinth benannt. Die einzige erhaltene, narrative Darstellung dieses berühmten Treffens findet sich bei Plut. Sept. sap. conv. Vgl. dazu Kindstrand, Anacharsis, 146ff. 236 Andron von Ephesus FGrHist 1005 F 1, F 2 und F 6 = Schol. Dion. Thrac. S. 184, 20 (Hilgard) mit Kommentar von Bollansée 158f. 80 bis in das 3. Jh.v.Chr. verweist. 237 Diogenes zitiert in der Thales-Vita (1,28) eine ganze Reihe von Autoren, die sich mit dem Thema nicht nur befasst haben, sondern sich auch jeweils voneinander abgegrenzt hatten. Er ordnet diese Übersicht nach den Differenzen zu dem Dreifuß, dem Becher, der Frage nach dem weisesten unter den Menschen und dem Fundort des Weisheitspreises bzw. den ihn umgebenden Geschichten. Er beginnt mit der allgemein bekannten Version des Dreifußes, die jedermann bekannt sei ( ἃ δὲ περὶ τὸν τρίποδα φανερά ) und zur Thales-Vita gehört. Dann referiert er die anderen Versionen, in denen als Preis der Becher genannt wird: Er beginnt mit Kallimachos, der sich seinerseits wiederum auf Leander den Milesier bezogen habe, als er einen gewissen Bathykles erwähnte. Der Sohn dieses Bathykles, der den Becher geschaffen haben soll, sei von Eleusis (ein ansonsten nicht bekannter Autor) und Alexander dem Myndier mit einem anderen Namen angegeben worden. 238 Eudoxus von Knidos (4. Jh.v.Chr.) und Euanthes von Milet (auch seine Lebensdaten sind nicht bekannt) haben eine andere Version zur Entstehung des Bechers. Einer von den Freunden des lydischen Königs Kroisos habe von dem König einen Trinkbecher erhalten, um ihn dann dem weisesten der Griechen (! ) zu überreichen. Eudoxus (Diog. Laert. 1,30) habe auch Myson statt Kleobulos in den Kreis eingefügt, 239 Platon hingegen habe Myson statt des Periander genannt. Von Eudoxus und Euanthes zitiert Diogenes hier auch die Ansicht, dass es Chilon gewesen sei, der dem Gott in Delphi die Frage gestellt habe, wer denn der weiseste sei. Hieran knüpft Diogenes die nächste Kontroverse, die sich darum dreht, wer Apollo in Delphi die Frage nach dem weisesten der Menschen gestellt habe. Er beginnt wieder mit der communis opinio: ὁ δ' ἐρωτήσας ἦν Ἀνάχαρσις (Diog. Laert. 1,29). Es folgen die abweichenden Meinungen von Daimachos, einem Platoniker aus dem 4. Jahrhundert, und Klearchos sowie Andron (beide ebenfalls 4. Jahrhundert), der hier Aristodemos als denjenigen nennt, der als der weiseste betrachtet worden sei. Für den nächsten, kontroversen Punkt, nämlich die Diskussion darüber, wo der Gegenstand des Preises herkam, verweist er auf Phanodikos, der ihn in der Nähe von Athen aus dem Meer auftauchen lässt und andere, die ihn an anderen Orten lokalisieren. In der Bias-Vita ist er hierzu ausführlicher und zitiert zusätzlich zu Phanodikos auch Satyrus (3. Jh.v.Chr.) und Hermippos (3. Jh.v.Chr.). 240 237 Weitere Quellen der Thales-Vita, die Diogenes Laertius 1,8 nennt: Als Autoren des 3. Jh.v.Chr. Hermippos, Timon, Lobon von Argos; aus dem 2. Jh.v.Chr. Apollodor, Sosikrates. 238 Diog. Laert 1,29. Alexander der Myndier (FGrHist 25) gehört nach Jacoby in das 2./ 1 Jh.v.Chr., FGrHist 25 F 2c ist von Nikolaos von Damaskus benutzt worden. 239 Diog. Laert. 1,30. 240 Weitere Quellen zu den Sieben Weisen bei Diog. Laert. 1,40 mit den Autoren des 4. und 3. Jh.v.Chr. (wie oben S. 75f. beschrieben). In den anderen Viten der Sieben Weisen nennt er Simonides (Diog. Laert. 1,76 in der Pittakos-Vita), Duris von Samos, Simonides und Kratins (in der Kleobulos-Vita), Sosikrates und Hermippos (in der Ana- 81 Neben dem zeitlichen Schwerpunkt, den diese literarische Ausgestaltung ganz offensichtlich vom 4. bis zum 3. Jh.v.Chr. entwickelte, lässt sich an der Differenz um den Ort und den Gegenstand dieses Weisheitswettbewerbes vor allem folgendes erkennen: Im Gegensatz zu der Charakterisierung der Weisen in den anderen Versionen tritt in der Becher-Variante gegenüber derjenigen mit dem Dreifuß das starke agonistische Element in den Vordergrund, das nur den Besten auszeichnet, und es fehlt das religiöse Element, die Verbindung zu Apollon, vollständig, so dass schon länger die Vermutung geäußert wurde, hier läge eine der ganz alten, ursprünglichen Fassungen vor. 241 Als Begründung wird darauf verwiesen, dass anzunehmen sei, dass die Griechen den Gott, nachdem er einmal in die Geschichte eingeführt worden war, wieder entfernt hätten. Nicht zu bezweifeln ist sicher, dass der Gedanke des Agons in dem griechischen Weisheitsdenken alt ist. 242 Gerade hier zeigt sich, dass die Verankerung dieser Überlieferung in einem größeren Kontext zu suchen ist: Für den Ursprung des griechischen Weisheitsdenkens ist entscheidend, ob man diesen am Anfang in einem religiösen Hintergrund verankert sieht oder nicht. Die heute meist vertretene Auffassung führt im Ergebnis dazu, den Ursprung des griechischen Weisheitsdenkens ganz in der nicht-religiösen, weltlich-praktischen Sphäre zu verorten. Dass es eher umgekehrt gewesen sein muss, d.h. am Anfang die Bindung des Weisheitsdenkens an den Gott in Delphi stand, soll unten dargelegt werden. 243 Vorerst soll der Hinweis genügen, dass der Charakter des Dreifußes als Weisheitspreis bereits ein deutlicher Hinweis auf die ursprünglich religiöse Herkunft der Geschichte ist. Ein weiteres Merkmal, das in der Überlieferung zu dem Weisheitspreis hervortritt, ist das Verhältnis zwischen dem Weisen und dem Tyrannen. Die Verbindung des Tyrannen mit einem Philosophen oder Weisen begegnet auch in anderen Epochen, so sind etwa Platon und Dionysios II. von Syrakus, Perikles und Anaxagoras, Periander und Thales, Hieron und Simonides Beispiele solcher Paarungen. Die Vorbilder können möglicherwei- charsis-Vita), Sosikrates, Hermippos, Eutyphron, Parmenides, Anaxilaos, Hipponax und Aristoxenos (in der Myson-Vita), Xenophanes, Theopomp, Demetrius von Phaleron (in der Epimenides-Vita), Theopomp, Hermippos, Aristoxenos, Andron v. Ephesus, Eratosthenes, Duris von Samos, Ion von Chios (in der Pherekydes-Vita). 241 Ungefehr-Kortus, Anacharsis, 139. So auch Bollansée (Hrsg.), FGrHist., 180. 242 Vgl. H. Wulf, De fabellis cum collegii septem sapientium memoria coniunctis, Halle 1897, hier 2249; O. Barkowski, s.v. Sieben Weise, in: RE II A 2, 1923, 2242-64, bes. 195; Wehrli, Gnome, 150ff. 243 Vgl. für die Auffassung, dass die griechische Weisheit einen nicht-religiösen Ursprung hat: Wulf a.a.O. und Bollansée a.a.O. Zu der Ansicht, dass ein religiöser Ursprung, insbesondere im Zusammenhang mit Apollo, anzunehmen ist vgl. grundlegend Colli, Geburt, 35ff. 82 se in solchen mythischen Paaren wie Kreon und Teiresias, Odysseus und Palamedes oder Agamemnon und Nestor gelegen haben. 244 Hier soll nun noch ein dritter Aspekt hervorgehoben werden, der auf strukturelle Differenzen hinweist, nämlich das Verhältnis von Tyrann und Weisen, für das bereits oben (Kap. II) beschrieben wurde, dass es ein prägendes Element in der Entwicklung der griechischen Weisheitsvorstellung war. Eine Beziehung zwischen dem Tyrannen und dem ihn vor einem Verhängnis - meist vergeblich - warnenden Weisen begegnet oft in der älteren griechischen Literatur, vor allem bei Herodot. 245 Diejenigen Versionen, die den Weisheitspreis mit Kroisos oder einem anderen Tyrannen wie Periander oder Thrasybulos verbinden, haben dementsprechend auch den Goldbecher als Preis und nicht den Dreifuß. 246 Im Unterschied zu den Versionen von Andron und Phanodikos sieht man hier tatsächlich eine ‚Verweltlichung’, da statt des Dialogs bzw. der Frage an den Gott die Unterhaltung oder Beratung des Tyrannen in den Versionen auftritt. Die Prominenz der Tyrannen in den Geschichten vom Weisheitspreis bietet auch einen der wenigen chronologischen Anhaltspunkte für die Entwicklung dieser Vorstellung. Wie bereits beschrieben, so hatte sich der Peisistratide Hipparch durch ein besonderes ‚Weisheitsprogramm’ einen Namen gemacht. 247 Hipparch soll sein Interesse an Weisheit auch durch eine besondere Hinwendung zu den Dichtern Anakreon und Simonides gezeigt haben. Platon stellt dies so dar, dass er die Bildung der Athener Bürger angehoben habe und dies im Weiteren auch der Landbevölkerung zugute kommen lassen wollte. Daher ließ er - im Rahmen seines Wegweiserprogramms für ganz Attika - an den Hermen seine eigenen Gedichte und Sprüche ( ποιήματα und ῥήματα ) anbringen. Zwar schildert Platon dies in Verbindung mit der Liebesgeschichte um Harmodios und Aristogeiton, die dann zur Ermordung des Hipparch geführt hat. Da aber die Hermenaufstellung auch sonst in der antiken Überlieferung bekannt war und mit den in Delphi am Apollo-Tempel angebrachten Sprüchen der Sieben Weisen konkurrieren sollte, ist die Spruchsammlung des Hipparch auch unabhängig von der Harmodios- und Aristogeiton-Überlieferung sowohl als chronologischer Anhaltspunkt wie auch als wichtige Stufe in der Genese 244 Zu dem Beispiel Hieron und Simonides vgl. V. J. Gray, Xenophon’s Hiero and the Meeting of the Wise Man and Tyrant in Greek Literature, in: CQ 36/ 1, 115-23. 245 Zu dem Zusammenhang von Berater und Warner vgl. Gray a.a.O.; H. Bischoff, Die Warner bei Herodot, Marburg 1932; R. Lattimore, The Wise Adviser in Herodotus, in: CPh 34/ 1 (1939), 24-35; O. Regenbogen, Die Geschichte von Solon und Kroisos, in: Hum. Gymn. 41 (1930), 1-20. Vgl. auch Gray, Xenophon’s Hiero zu Simonides und Hieron bei Xenophon. 246 Eudoxos und Euanthes (Diog. Laert. 1,29); Daimarchos und Klearchos (Diog. Laert. 1,30). Vgl. auch Diog. Laert 1,31 zu ‚anderen’, und zu ‚einigen’ aus den ihm vorliegenden Überlieferungen. Anders Phanodikos, der den Dreifuß an Bias übergeben lässt (Diog. Laert. 1,82ff.) 247 Vgl. oben S. 65 Anm. 192. 83 der griechischen Weisheitsvorstellung, aber auch der kritischen Reflexion zu betrachten. Die Weisheit des Tyrannen wird von Platon nicht als wirkliche Weisheit, sondern eher wie eine tyrannentypische Anmaßung und Verblendung dargestellt. Andererseits gibt die Geschichte einen Hinweis darauf, dass es bereits im letzten Viertel des 6. Jahrhunderts für einen Tyrannen tatsächlich attraktiv gewesen ist Weisheit in Form von Sprüchen zu präsentieren. Da sich jedoch vor Herodot keine Spur einer direkten Kommunikation in Form einer Frage/ Antwort-Struktur oder auch eines Wettbewerbs o.ä. finden lässt, können auch die bei ihm und dann später in dieser Form bei Eudoxos, Daimachos, Klearchos, den ἄλλοι und auch bei Diodor berichteten Dialoge zwischen Kroisos bzw. anderen der Tyrannen und allen, einzelnen oder mehreren der Weisen kaum vor dem letzten Viertel des 6. Jahrhunderts entstanden sein. Eine ganz offensichtlich völlig unmögliche Chronologie hat Archetimos von Syrakus zugrunde gelegt, der über eine Zusammenkunft der Sieben Weisen am Hof des Kypselos zu berichten wusste, an der er selbst auch teilgenommen habe! 248 Da über Archetimos von Syrakus ansonsten nichts weiter bekannt ist, lässt sich diese Aussage schwer einordnen. Es fällt lediglich auf, dass im Laufe der Zeit sowohl die Unmöglichkeit der Synchronisierung immer weniger eine Rolle spielte, d.h. die Plausibilität aufgegeben wurde, und dass auch die Tyrannen, die nach Herodot und Platon mit den Sieben Weisen verbunden wurden oder an deren Höfen die Zusammenkunft stattgefunden haben sollte, in deutlich weiter zurückliegende Zeiten gelegt wurden. Von den späteren Autoren seit dem 4. Jahrhundert werden mit Kypselos und Pittakos die ältesten, 249 noch in das 7. Jahrhundert oder die Zeit um 600 v.Chr. gehörenden Tyrannen ebenso genannt wie auch Periander, während Herodot und Platon mit Kroisos und Hipparch deutlich eine sehr viel jüngere Generation der Tyrannen im Blick haben. Dies lässt sich als Anhaltspunkt dafür werten, dass die älteren Tyrannen und damit die Probleme der Synchronisierung doch erst durch eine spätere Entwicklung der Überlieferung hinzukamen. Da nun als Preis, wenn es um die Sieben Weisen und den Tyrannen geht, immer nur der Becher begegnet, nie der Dreifuß mit seinen religiösen Konnotationen und die Indizien für die Entstehungszeit den Tyrannenkontext deutlich werden lassen, scheint diese ‚Verweltlichungstendenz’ wohl schon im 6. Jahrhundert begonnen zu haben. Die Ortsverschiebungen, die Ausblendung des Thales und die Einführung der wettbewerblichen Struktur verweisen auf spätere Ausgestaltungsphasen, die wohl kaum etwas mit dem ursprünglichen Weisheitsmotiv zu tun haben. 248 Diog.Laert. 1,40. Vgl. dazu J. Mossmann, Plutarch’s Dinner of the Seven Wise Men, in: dies. (Hrsg.), Plutarch and his Intellectual World, London 1997, 119-40, hier 121f. 249 Kroisos an Pittakos: Bei Klearchos und Daimachos (=Diog. Laert. 1,30); von Periander an Thrasybulos bei ‚einigen’ (=Diog. Laert. 1,31). 84 3. Die Weisheitsfrage: Ursprung und Entwicklungen Im Kern ist es nicht eine Weisheitsfrage, sondern sind es Weisheitsfragen, die eine Antwort einfordern, es handelt sich also von Anfang an um einen Diskurs. Zwar hat Herodot (1,30ff.) schon einen solchen Diskurs zwischen Solon und Kroisos eingefügt, aber die vollständigste Fassung findet sich bei Diodor (9,26-27). 250 Er lässt Kroisos vier der Sieben Weisen - ohne dass er den Kreis als solchen nennen würde - einladen: Anacharsis, den Skythen, Bias, Solon und Pittakos. Der Reihe nach stellt er ihnen Fragen, aber er lässt sie auch untereinander die Antworten bewerten. Anacharsis wird als erster befragt, weil er der älteste sei, also eine Art Führungsposition in der Gruppe einnimmt und an ihn werden im Unterschied zu den anderen Weisen, denen zwei oder auch nur eine Frage gestellt werden, drei Fragen gerichtet: Frage des Kroisos Antwort des Weisen I. Anacharsis 1. τίνα νομίζει τῶν ὄντων ἀνδρειότατον; „Was hälst du für das mutigste unter den seienden? “ τὰ ἀγριώτατα τῶν ζῴων „Die wildesten der Lebewesen“ 2. τίνα δικαιότατον κρίνει τῶν ὄντων; „Was hälst du für das gerechteste unter den seienden? “ τὰ ἀγριώτατα τῶν θηρίων „Die wildesten der Tiere“ 3. εἰ καὶ σοφώτατα τὰ θηρία . „Ob auch die weisesten die Tiere sind.“ ὁ δὲ συγκαταθέμενος „Der aber stimmte zu“ II. Solon 1. τίνα τῶν ὄντων εὐδαιμονέστατον ἑώρακεν „Was er gesehen hat als das glückseligste von den Seienden“ τοῦ δὲ εἰπόντος ὡς οὐδένα δικαίως ἂν εἰπεῖν ἔχοι „Er sagte, dass er niemanden zu recht so nennen könne“ 2. Οὐδὲ πλουσιώτατον ἄρα με κρίνεις; „Hälst du mich nicht für den reichsten? “ ὁ Σόλων τὴν αὐτὴν ἀπόκρισιν ποιησάμενος ... „Solon gab dieselbe Antwort ...“ 250 Dieses Exzerpt steht in klarem Widerspruch zu den Passagen bei Diod. 9,3 und 9,5ff., woraus man allerdings nicht mehr schließen kann, als dass es - wie aus Diogenes Laertius ersichtlich - mehrere, sehr unterschiedliche Überlieferungen gegeben haben muss. Vgl. für die weitere Überlieferung: Lukian, Charon sive contemplantes 10,5; Joh. Stob. Anth. 3,16,26; Const. Porphyr. De sent. S. 288. 85 III. Bias 1. ὀρθῶς ἐποιήσατο τὴν ἀπόκρισιν ὁ Σόλων ἢ διήμαρτεν; „Antwortete Solon richtig oder ging er fehl? “ Ὀρθῶς „Richtig“ IV. Pittakos 1. Ποίαν ἑώρακας ἀρχὴν κρατίστην; „Welche Herrschaft siehst du als die stärkste? “ Τὴν τοῦ ποικίλου ξύλου (= διασημαίνοντα τοὺς νόμους ) „Die des gefleckten Holzes (= das die Gesetze trägt)“ Die Struktur dieses Frage-Antwortkatalogs ist von Iamblich in seiner Vita des Pythagoras sehr treffend beschrieben worden (Iambl. Vit. Pyth. 18,83): ταῦτα καὶ τοιαῦτά ἐστι τὰ τούτου τοῦ γένους ἀκούσματα· ἕκαστον γὰρ τῶν τοιούτων μάλιστά τί ἐστιν. ἔστι δ' αὕτη ἡ αὐτὴ τῇ τῶν ἑπτὰ σοφιστῶν λεγομένῃ σοφίᾳ. καὶ γὰρ ἐκεῖνοι ἐζήτουν, οὐ τί ἐστι τἀγαθόν, ἀλλὰ τί μάλιστα· οὐδὲ τί τὸ χαλεπόν, ἀλλὰ τί τὸ χαλεπώτατον (ὅτι τὸ αὑτὸν γνῶναί ἐστιν)· οὐδὲ τί τὸ ῥᾴδιον, ἀλλὰ τί τὸ ῥᾷστον (ὅτι τὸ ἔθει χρῆσθαι). τῇ τοιαύτῃ γὰρ σοφίᾳ μετηκολουθηκέναι ἔοικε τὰ τοιαῦτα ἀκούσματα· πρότεροι γὰρ οὗτοι Πυθαγόρου ἐγένοντο. „Diese und ähnliche Dinge sind aus der Art der Akousmata; denn für jedes davon gilt, was das Beste von diesem ist. Und diese Methode ist dieselbe wie die, die die Weisheit der Sieben Weisen genannt wird. Denn diese suchten nicht danach, was das Gute, sondern was das Beste ist, nicht danach, was das Schwere ist, sondern danach, was das Schwerste ist (das ist, sich selbst zu erkennen), nicht danach, was leicht ist, sondern danach, was das Leichteste ist (das ist, einer Gewohnheit zu folgen). Dieser Art von Weisheit scheinen diese Akousmata zu folgen, denn diese Weisen lebten vor Pythagoras.“ Ganz unabhängig von der Frage, wie sich die Überlieferung zu Pythagoras entwickelt hat, 251 liegt bei Iamblich einerseits eine klare chronologische Abgrenzung zwischen den Sieben Weisen und Pythagoras vor, und andererseits ein Hinweis auf den methodischen Unterschied dieser Frage/ Antwort-Strukur der Sieben Weisen, der es erlaubt, dies von den späteren, philosophischen Fragestellungen im Sinne des τί ἐστιν τἀγαθόν zu trennen. Noch geht es um Glück, Gerechtigkeit, Weisheit des Einzelnen, durchaus auch diskursiv strukturiert, aber nicht um die abstrakte und ganz allgemeine und normative Begründung der Theorie des Guten, Gerechten etc. Bei der Beantwortung der Frage, wie sich diese Frage/ Antwort-Struktur in die Entwicklung der Weisheitsvorstellung einordnet, hängt es entscheidend davon ab, wo man die Ursprünge dieser Weisheitsvorstellungen verortet. Weniger wichtig bzw. nicht wirklich aussagefähig für diesen Kontext ist die Überlegung, ob die Vorstellung von einem ‚Kreis’ historisch ist. 252 Die Charakteristika der Sprüche in der Kombination mit der agonalen Wettkampfsituation verweisen nicht nur auf eine typisch griechische 251 Vgl. dazu Burkert, Weisheit, 92f. 252 Vgl. dazu Asper, ‚Literatursoziologisches’, in: Althoff, et al. (Hrsg.), Worte, 92f. 86 „Debattenkultur“, 253 sondern - wie in den vielen Ortsverschiebungen deutlich wird - auf einen panhellenische Identifikationsfokus. Der oben rekonstruierte Tyrannenkontext führt auf eine Epoche der griechischen Geschichte, in der die Auseinandersetzungen und die Konfrontation mit den Lydern und Persern prägend waren. Ob man allerdings so weit gehen kann, die Sieben Weisen zu einem ‚panhellenischen Konstrukt’ zu erklären, durch das sich „griechisches Selbstbewusstsein von nicht-griechischem“ abgrenzte, hängt von der zugrundegelegten Entwicklungskonzeption ab. Unübersehbar, wenngleich nicht das einzige und wichtigste Charakteristikum dieser Weisheit, ist ihre pragmatische Seite. Ebenso bedeutsam sind das Rätselhafte, z.T. auch Unverständliche der oft damit verbundenen kontradiktorischen Form, in der nicht nur die Aussagen der Weisen überliefert sind bzw. berichtet werden. Bereits Huizinga hat auf den tiefer liegenden Zusammenhang von Wissen und Wettstreit, Kult und Rätsel hingewiesen. In seiner kulturvergleichenden Studie hat er auf den Ursprung des Wettkampfes im heiligen Fest hingewiesen: 254 „Also wetteifert man bei den heiligen Festen in solchem Wissen, denn im ausgesprochenen Wort wird die Wirkung auf die Weltordnung lebendig. Wettstreite in geweihter Kenntnis sind zuallertiefst im Kult verwurzelt und bilden einen wesentlichen Bestandteil von ihm.“ Und zum Ursprung der Philosophie aus dem kultischen Wettkampf: „In diesem kultischen Wettkampf wird das philosophische Denken geboren, nicht aus eitlem Spiel, sondern in heiligem Spiel. Weisheit wird hier als ein heiliges Kunststück geübt. … Die kosmogonische Frage, wie all das, was auf der Welt da ist, so geworden sein mag, ist nun einmal eine primäre Beschäftigung des menschlichen Geistes.“ Der Rätselwettstreit als Teil des Opferkultes führt in seiner gefährlichen Seite auf die Frage, die niemand beantworten kann und damit zur Niederlage und letztlich zum Verlust des Lebens. Diese Situation hat in der berühmten Begegnung von Mopsos und Kalchas ihren Niederschlag im griechischen Mythos gefunden. Strabon (14,1,27 [642-643]) berichtet in der Beschreibung der Gegend zwischen Karystos und Kolophon, dass sich vor der Stadt ein altes Orakel des Klarischen Apoll befände. Man sage, dass der Seher Kalchas mit Amphilochos, dem Sohn des Amphiaraios auf der Rückkehr von Troja dort vorbeigekommen sei und dort in Mopsos einen besseren Seher antraf als er selbst es war 253 Asper, ‚Literatursoziologisches’, in: Althoff, et al. (Hrsg.), Worte, 92f. mit Bezug auf Hölkeskamp. 254 J. Huizinga, Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Hamburg 1956, 105ff., hier 107/ 108. 87 und daraufhin aus Trauer starb. Hesiod habe darüber geschrieben (Strab. 14,1,27 [642-643] (= Hesiod frg. 278 Merkelbach/ West = SG 17): 255 Ἡσίοδος μὲν οὖν (frg. 278 Merkelbach/ West) οὕτω πως διασκευάζει τὸν μῦθον· προτεῖναι γάρ τι τοιοῦτο τῷ Μόψῳ τὸν Κάλχαντα· θαῦμά μ' ἔχει κατὰ θυμόν, ἐρινεὸς ὅσσος ὀλύνθους οὗτος ἔχει, μικρός περ ἐών· εἴποις ἂν ἀριθμόν; τὸν δ' ἀποκρίνασθαι· μύριοί εἰσιν ἀριθμόν, ἀτὰρ μέτρον γε μέδιμνος· εἷς δὲ περισσεύει, τὸν ἐπενθέμεν οὔ κε δύναιο. ὣς φάτο, καί σφιν ἀριθμὸς ἐτήτυμος εἴδετο μέτρου. καὶ τότε δὴ Κάλχανθ' ὕπνος θανάτοιο κάλυψεν. Φερεκύδης δέ φησιν (FGrHist 3 F 142) ὗν προβαλεῖν ἔγκυον τὸν Κάλχαντα, πόσους ἔχει χοίρους, τὸν δ' εἰπεῖν ὅτι δέκα, ὧν ἕνα θῆλυν· ἀληθεύσαντος δ' ἀποθανεῖν ὑπὸ λύπης. οἱ δὲ τὸν μὲν Κάλχαντα τὴν ὗν προβαλεῖν φασι, τὸν δὲ τὸν ἐρινεόν, καὶ τὸν μὲν εἰπεῖν τἀληθὲς, τὸν δὲ μή, ἀποθανεῖν δὲ ὑπὸ λύπης καὶ κατά τι λόγιον· λέγει δ' αὐτὸ Σοφοκλῆς (F 180) ἐν Ἑλένης ἀπαιτήσει ὡς εἱμαρμένον εἴη ἀποθανεῖν ὅταν κρείττονι ἑαυτοῦ μάντει περιτύχῃ (οὗτος δὲ καὶ εἰς Κιλικίαν μεταφέρει τὴν ἔριν καὶ τὸν θάνατον τοῦ Κάλχαντος). τὰ μὲν παλαιὰ τοιαῦτα. „Hesiod (frg. 278 Merkelbach/ West) gibt der Fabel etwa folgende Form: Kalchas habe dem Mopsos diese Frage vorgelegt: Staunen erfasst mich im Geiste wie viele Feigen der Baum hier trägt, so klein wie er ist; kannst du die Zahl mir wohl sagen? Und der habe geantwortet: Zehntausend sinds an der Zahl, dem Maß nach aber ein Scheffel; Eine jedoch bleibt übrig: die kannst du nicht mehr hinzutun. Sprachs, und des Maßes Zahl erwies sich ihnen als richtig. Da denn geschah’s, dass Kalchas der Schlaf des Todes umhüllte. Pherekydes dagegen sagt (FGrHist 3 F 142), Klachas habe ihm die Frage vorgelegt, wie viele Ferkel eine trächtige Sau trage, worauf jener gesagt habe ‚zehn, worunter ein Weibchen’, und als sich zeigt, dass das stimmte, sei er vor Schmerz gestorben. Andere sagen, Kalchas habe die Frage über die Sau gestellt und der Andere die über den Feigenbaum, und der eine habe die richtige Antwort gegeben, der andere nicht und sei gestorben vor Schmerz und kraft einer Prophezeiung; sie wird erwähnt von Sophokles (F 180) in der Zurückforderung Helenas: es sei ihm beschieden zu sterben, wenn er einem Seher begegne der besser sei als er selbst (dieser verlegte den Streit und den Tod des Kalchas auch nach Kilikien). So lauten die alten Geschichten.“ 256 Sowohl die Charakterisierung von Kalchas und Mopsos als Seher als auch der Ort mit dem Orakel des Apollo verweisen auf den religiösen Hintergrund. Ebenso wie bei den Sieben Weisen ist die Geschichte weiterentwickelt worden, nicht nur in der Historiographie, sondern auch in der nicht erhaltenen Tragödie des Sophokles. Sehr deutlich wird hier jedoch der Zusammenhang von Rätselwettstreit und Tod, der, ähnlich wie in der Ge- 255 S.L. Radt, Strabons Geographika, 10 Bde., Göttingen 2003ff., ad loc.: codd: τρεῖς ; δέκα : J. Schwarz, Pseudo-Hesiodeia. Recherches sur la composition, la diffusion et la disparition ancienne d’œuvres attribuées à Hésiode, Leiden 1960, 221. 256 ÜS Radt. 88 schichte vom Rätsel der Sphinx, die Weisheit in eine Frage/ Antwort- Struktur kleidet mit dem Einsatz auf Leben und Tod. Dieser religiöse Ursprung der Weisheit ist in der Überlieferung zu den Sieben Weisen noch in den Versionen zu erkennen, in denen der Weisheitspreis dem Gott Apollo geweiht wird oder die Entscheidung, wem der Preis gebühre von Anfang an dem Gott überlassen wird. Gleichzeitig zeigt aber bereits der Wettstreit zwischen Kalchas und Mopsos, dass bereits in der Zeit des Hesiod die Weisheit in eine rein menschliche Sphäre gerückt werden konnte, in der nur noch zwei Menschen miteinander konkurrieren. Hier ist es noch der Kampf auf Leben und Tod, aber später ist es dann nur noch der reine Wettstreit der Weisen um den Titel des Weisesten, das agonale Element also vollständig verweltlicht. 257 In den Fragen und Antworten zeigen sich nun auch nicht mehr die banalen oder trivialen Inhalte, sondern bereits die grundlegenden Fragen der griechischen Philosophie wie diejenigen nach Weisheit, Gerechtigkeit, Glück und politischer Konstitution (s.o.), wenngleich noch orientiert am Konkreten und am Einzelschicksal oder der jeweiligen Polis. 4. Die Weisen: Gesetzgeber, warnende Ratgeber oder Scharlatane? Solon ist als einer der Sieben Weisen und gleichzeitig attischer Politiker und Gesetzgeber derjenige unter ihnen, anhand dessen überlieferte Äußerungen das Verhältnis zwischen Weisheitsdiskurs und politischer Ratgeberfunktion am besten untersucht werden kann. Die These, dass es sich bei den Sieben Weisen eher um Gesetzgeber und politisch tätige Ratgeber gehandelt hat, 258 lässt sich mit dem religiösen Ursprung des griechischen Weisheitsdiskurses durchaus vereinbaren, wenn man in dem Zusammenhang von Dike und politischem Denken der solonischen Eunomia die religiöse Prägung anerkennt. 259 Solon tritt einerseits als Warner auf, bezieht sich aber in seiner Eunomia-Elegie (Sol. 3 G.-Pr. = 4 W) mit dem typischen Satz ἣ σιγῶσα σύνοιδε τὰ γιγνόμενα πρό τ' ἐόντα („die [ Dike, C.S. ] es schweigend miterlebt hat und weiß das, was geschieht und das, was vorher war“) auf die Weisheits- 257 Colli, Geburt 50ff. Anders Assmann, Was ist Weisheit, in: dies. (Hrsg.), Weisheit, 21ff., die den religiösen Hintergrund der Weisheit erst spät ansetzt. 258 Busine, Sept Sages, 41ff. 259 Jaeger sieht in Solons Dike eine neue Struktur des Denkens, die nicht auf religiöser Überlieferung, sondern auf politisch-sozialer Erfahrung beruhe: W. Jaeger, Solons Eunomie, (Sitzungsberichte der Preussischen Akademie der Wissenschaften, Philologisch-Historische Klasse), Berlin 1926, 69-85. Anders: M. Stahl, Solon F3D. Die Geburtsstunde des demokratischen Gedankens, in: Gymnasium 99 (1992), 385-97, hier 393. Dieser erkennt in der solonischen Dike doch noch die Gottheit Hesiods und versteht sie in den Versen 5-16 der Eunomia-Elegie auch als handelnde Gottheit. 89 erkenntnis des Sehers, wie sie schon in der Ilias der Seher Kalchas, bei Hesiod die Musen (theog. 38: εἴρουσαι τά τ' ἐόντα τά τ' ἐσσόμενα πρό τ' ἐόντα ) und später bei den Naturphilosophen die göttliche Physis gezeigt haben. 260 Die von Solon gewählte andere Gewichtung, die in der Ersetzung von τά τ' ἐόντα durch τὰ γιγνόμενα zum Ausdruck kommt, bringt ein prozessuales Verständnis zum Ausdruck, das das Gegenwärtige und darin wiederum die Möglichkeit des menschlichen Handelns hervorhebt, wie es in dem σύνοιδε als dem geteilten Wissen darüber versinnbildlicht wird. 261 Dieses menschliche Handeln soll sich von der Eunomia leiten lassen und so würde dann einerseits die Dysnomia verhindert, andererseits auch eine Balance in der Polis bewirkt, die verhindert, dass Dike mit Strafen einschreitet. 262 In dieser prozessualen, handlungsorientierten Auffassung von Eunomia kommt ein neues Element zum Ausdruck: Der Zusammenhang von Dike, Eunomia und Dysnomia ist nicht mehr ausschließlich und vorrangig göttlich bestimmt, sondern in die Verfügungsgewalt menschlichen Handelns gerückt. 263 Die Rolle, die Solon hierbei selbst einnimmt, ist, wie bereits gesagt, die Rolle des Warners, aber auch des Ratgebers, der nicht eine neue Ordnung einrichtet, sondern einen Weg zum richtigen Handeln empfiehlt. Die Charakterisierung als ‚Wieder-ins-Lot-Bringer’ verweist auf diese Rolle. Damit ist im wesentlichen die schiedsrichterliche Funktion beschrieben, die Solon in Athen eingenommen hat und die einen Außenstehenden meint, der für die jeweilige Polis mit Rat und Tat seiner Weisheit für eine Wiederherstellung der Ordnung sorgte, wie es Meier in dem von ihm hierfür geprägten Begriff der ‚dritten Position’ verdeutlicht hat. 264 Zwar nicht Solon gegenüber, aber sehr deutlich gegenüber anderen Weisen findet sich schon früh ein solcher Vorbehalt im Hinblick auf die σοφία bei Heraklit, der sein erklärtes Misstrauen gegenüber seinem Zeit- 260 ÜS Mülke; vgl. Mülke, Elegien, hier 122f.; F. Blaise, Poetics and Politics. Tradition Re- Worked in Solon’s Eunomia-poem, in: J.H. Blok, et. al. (Hrsg.), Solon of Athens: New Historical and Philological Approaches, Leiden 2006, 116f. 261 Blaise, Poetics 117. 262 Blaise, Poetics, 121f. 263 Vgl. Meier, Intelligenz, in: ders. (Hrsg.), Welt, 113f. Etwas anders Mülke, Elegien 151, der in der solonischen Eunomia sowohl diese Möglichkeiten des menschlichen Handelns als auch den Ausdruck einer göttlichen Kraft sieht. Weit darüber hinaus geht die von Mülke, Elegien, 113f. bereits hier angenommene Konzeption einer Ordnung im Sinne einer politischen Reformbewegung. Vgl. dazu Meier, Intelligenz, in: ders. (Hrsg.), Welt, 191ff.: Solons Eunomie als Antwort auf Tyrtaios’ Eunomie; E. Irwin, Solon and Early Greek Poetry. The Politics of Exhortation, Cambridge 2005, 260ff. zu Tyrtaios; M. Meier, Aristokraten und Damoden. Untersuchungen zur inneren Entwicklung Spartas im 7. Jh.v.Chr. und zur politischen Funktion der Dichtung des Tyrtaios, Stuttgart 1998; K.A. Raaflaub, Athenian and Spartan Eunomia, or: What to do with Solon’s Timocracy? , in: Blok, et al. (Hrsg.), Solon of Athens, 390-428. U. Walter, An der Polis teilhaben. Bürgerstaat und Zugehörigkeit im archaischen Griechenland, (Historia Einzelschriften 82), Stuttgart 1993, 169ff. 264 Meier, Intelligenz, in: ders. (Hrsg.), Welt, 113f. 90 genossen Pythagoras so ausgedrückt hat (DK 22 B 129 [=256 KRS = Diog. Laert. 8,6]): Πυθαγόρης Μνησάρχου ἱστορίην ἤσκησεν ἀνθρώπων μάλιστα πάντων καὶ ἐκλεξάμενος ταύτα ἐποιήσατο ἑαυτοῦ σοφίην, πολυμαθίην, κακοτεχνίην. „Pythagoras, der Sohn des Mnesarchos, widmete sich am meisten von allen Menschen der Forschung, und indem er daraus dies herausgriff, machte er sich daraus seine eigene Weisheit: Vielwisserei, kunstvolle Gaunerei.“ 265 Die Triade von Weisheit, Vielwisserei und Gaunerei diskreditiert in ihrer sich steigernden Form nicht nur die Methode der ionischen ἱστορίη , sondern auch Pythagoras selbst. Pythagoras wird vorgeworfen, keine echte Weisheit erworben zu haben, sondern durch eine ideosynkratische Mischung von vielerlei Wissen dies nur vorgetäuscht zu haben (DK 22 B 40 = 255 KRS = Diog. Laert. 9,1 [vgl. Athen. 13,610 B]): πολυμαθίη νόον ἔχειν οὐ διδάσκει· Ἡσίοδον γὰρ ἂν ἐδίδαξε καὶ Πυθαγόρην αὖτίς τε Ξενοφάνεά τε καὶἙκαταῖον. „Viel zu wissen lehrt nicht, ein begriffliches Verständnis zu gewinnen; sonst hätte es dies den Hesiod und Pythagoras gelehrt, ebenso Xenophanes und Hekataios.“ 266 Vielwisserei an sich führt niemanden zu νόον ἔχειν , also zur Weisheit. Daher waren weder Pythagoras noch Xenophanes oder Hekataios in den Augen Heraklits wirkliche Weise. 267 Pythagoras, einer der prominentesten und eigentlich der Weitgereiste unter den Weisen aus archaischer Zeit, gilt also Heraklit als jemand, der sich aus fremden Büchern eine eigene σοφία zurechtgemacht habe, die letztlich nichts anderes sei als κακοτεχνίη . 268 Diese κακοτεχνίη , eigentlich ein Fachterminus für das Vorschieben von falschen Zeugen und das Verwenden von unlauteren Methoden, wird von Herodot, wenngleich ohne die explizite Verwendung des Wortes, auch bei Zalmoxis (Hdt. 4,95-96) und seiner scheinbaren Wiederkehr als eine Art der falschen Weisheit charakterisiert. Es scheint so, dass Herodot mit dieser abfälligen Charakterisierung des Zalmoxis auch ein ebensolches Licht auf Pythagoras, dessen Sklave und Lehrling Zalmoxis gewesen sei, werfen wollte. Herodot sieht die Weisheit dieser Figuren wie etwa des Abaris, der ohne je Nahrung zu sich zu nehmen mit dem Pfeil in der Hand um die ganze Welt gewandert sein soll (4,36) und des Aristeas (4,14), einem angeblich von den Toten Wiederauferstandenen, durchaus kritisch. Die berühmte Geschichte, nach der Thales (1,75) für das Heer des Kroisos den Übergang 265 ÜS Kirk, et al. 266 ÜS Kirk, et al., die hier die Emendation ταῦτα eingesetzt haben. 267 Zu dem Kontext des Begriffs φιλοσοφία vgl. Burkert, Weisheit 171ff.; Kirk, et al., 241. Vgl. oben Einführung. 268 Burkert, Weisheit, 141; vgl. Ch.H. Kahn, The Art and Thought of Heraclitus. An Edition of the Fragments with Translation and Commentary, Cambridge 1979, 112ff. 91 über den Halys durch eine Flußumleitung ermöglicht haben soll, glaubt Herodot nicht. Er führt dagegen an, dass die Brücken bereits dagewesen seien. Dieser Beweis für die große Klugheit des Thales ist seiner Ansicht nach mehr als eine nachträgliche Überformung zugunsten von Thales einzuordnen. Die Weisheit der einzelnen Figuren wird von Herodot offenbar sehr unterschiedlich bewertet, und zum Teil deckt er sie ausdrücklich als nur scheinbare Weisheit und regelrechte Scharlatanerie auf. Auch Herodot kennt die Form der diskreditierten Weisheit. Er verwendet im Zusammenhang der Zalmoxis-Geschichte eine ausgesprochen doppeldeutige Formulierung, um die Beziehung zwischen Zalmoxis und Pythagoras zu charakterisieren [Hdt. 4,95,2: οἷα Ἕλλησί τε ὁμιλήσαντα καὶ Ἑλλήνων οὐ τῷ ἀσθενεστάτῳ σοφιστῇ Πυθαγόρῃ … („Er hatte ja mit Griechen verkehrt und unter den Griechen nicht mit dem unbedeutendsten ihrer Weisen, dem Pythagoras … “)]. Die Zweideutigkeit ergibt sich daraus, dass dieser Zalmoxis seinen Zeitgenossen durch Verstecken vorgespielt hatte, dass er eine göttergleiche Fähigkeit zum Verschwinden und Erscheinen besaß, d.h. in gottähnlicher Weise über die Fähigkeit zur Epiphanie zu verfügen. Für Herodot grenzt das an Betrug, wenngleich ein solches Verschwinden nicht nur für Pythagoras selbst, sondern auch für andere weise Männer eine geläufige Vorstellung gewesen sein muss. 269 Die eigentliche Brisanz ergibt sich in der Sichtweise Herodots daraus, dass diese Art von Täuschung, die in dem Vorspielen einer göttlichen Epiphanie bei Zalmoxis, Abaris und Aristeas lag, auch die Grundlage der Machtergreifung des Peisistratos gewesen ist. 270 Für Herodot war die Rückführung des Peisistratos durch eine als Athena verkleidete junge Frau ein πρῆγμα εὐηθέστατον , eine einfältige List. Gleichwohl hat Peisistratos damit Erfolg, obwohl doch die Griechen sich seit alters durch ihre σοφία von den Nicht-Griechen, den Barbaren, unterschieden hätten und insbesondere die Athener, die sich als die ersten unter den Griechen an Klugheit ansehen, seien auf diese törichte List hereingefallen und haben den Tyrannen auf diese Weise aufgenommen. 271 Die σοφία , die die Athener für sich in An- 269 Zu Pythagoras: Diog. Laert. 8,41; bei Soph. El. 62 wird auf das Verschwinden von Weisen ebenfalls als nicht unüblich angespielt. Vgl. dazu Asheri, et al., Herodotus, 649 zu Hdt. 4,95; Burkert, Weisheit 154ff. 270 Hdt. 1,60,3: ἐπεί γε ἀπεκρίθη ἐκ παλαιτέρου τοῦ βαρβάρου ἔθνεος τὸ Ἑλληνικὸν ἐὸν καὶ δεξιώτερον καὶ εὐηθείης ἠλιθίου ἀπηλλαγμένον μᾶλλον εἰ καὶ τότε γε οὗτοι ἐν Ἀθηναίοισι τοῖσι πρώτοισι λεγομένοισι εἶναι Ἑλλήνων σοφίην μηχανῶνται τοιάδε … („Seit alters her hatten sich die Griechen von den Barbaren dadurch unterschieden, dass sie schlauer und dummen Einfällen gegenüber weniger anfällig waren. Trotzdem ersannen damals die Leute in Athen, die doch die weisesten in Griechenland sein sollen, folgendes …“); Asheri, et al., Herodotus, 649. 271 Hdt. 1,60,3: s.o. Anm. 270. Lesung aus A: τὸ βάρβαρον ἔθνος τοῦ Ἑλληνικοῦ , was dann so zu verstehen wäre, dass von alters her die Barbaren klüger als selbst die Griechen gewesen sein müssen und selbst die Athener, die weisesten der Griechen, so getäuscht wurden. Noch stärker spitzt dies Plutarch in seiner Solon-Vita (29) zu: Einerseits verbindet er die Etablierung der Tyrannenherrschaft mit der ersten Täu- 92 spruch nehmen, für die eben auch ihr berühmter, weiser Solon stand, hat sie nicht davor bewahrt, auf die dümmste Scharlatanerie hereinzufallen, als ein scheinbar freundlicher und geschickt sich präsentierender Tyrann auftritt. Das eigentümliche Spannungsfeld zwischen σοφία und Tyrannis ist bereits im historischen Kontext beleuchtet worden; hier bei Herodot findet sich die kritische Sicht nicht nur des athenischen Selbstverständnisses, auf das Herodot auch an anderer Stelle anspielt (s.u. Kap. VI), sondern auch die Erfahrung der Diskreditierung, die aus diesem historischen Zusammenhang erwachsen ist. schung des Peisistratos, die zur Bewillligung der Leibwache führte, und andererseits lässt er Solon mit den Worten in die Öffentlichkeit gehen: ἀπῆλθεν εἰπὼν ὅτι τῶν μέν ἐστι σοφώτερος, τῶν δ' ἀνδρειότερος· σοφώτερος μὲν τῶν μὴ συνιέντων τὸ πραττόμενον, ἀνδρειότερος δὲ τῶν συνιέντων μέν, ἐναντιοῦσθαι δὲ τῇ τυραννίδι φοβουμένων. („Er ging weg mit den Worten: Ich bin weiser als jene, die nicht merken, worauf es abgesehen ist, und mutiger als diese, die es zwar merken, aber zu furchtsam sind, sich der Tyrannei zu widersetzen.“) 93 IV Die Botschaft des Skythenkönigs Herodot widmet den größten Teil seines vierten Buches den Skythen und darin vor allem dem Feldzug, den der persische König Dareios zwischen 515 und 510 v.Chr. gegen die Skythen unternommen hat. 272 Diesem sog. Skythenlogos steht ebenfalls im vierten Buch ein Feldzug in Libyen gegenüber, der das Gliederungsprinzip der Nord-Süd-Achse aus dem Weltbild der ionischen Ethnographie in die Historie überträgt. Der Grundgedanke, dass die Nomaden das Extreme am Rande der oikumene darstellen, wird sowohl geographisch wie historisch repräsentiert. Der Grund dieses Zuges war nach Herodot, dafür Rache zu nehmen, dass die Skythen hundert Jahre zuvor in Medien eingefallen waren. Dabei ist Dareios entweder über den kimmerischen oder über den thrakischen Bosporus nach Europa gezogen. 273 Der persische Feldzug gegen Libyen (Hdt. 4,145,1) wird zu Beginn des vierten Buches nur kurz angedeutet, jedoch erst später von Herodot in die Erzählungen des Skythenlogos eingebunden - ist aber nach Herodot chronologisch parallel. 274 1. Die Botschaft der Skythen an Dareios Herodot berichtet im Zusammenhang dieses Skythenfeldzuges wie die Skythen den Persern ausweichen und sie immer weiter ins Landesinnere 272 In der Behistun-Inschrift V 74 wird ein Feldzug gegen die Saken erwähnt, den Dareios im 3. Jahr seiner Regierung unternommen habe. Da die Perser für die Skythen i.d.R. den Sammelbegriff Saken verwendet haben, ist dies manchmal mit dem Skythenfeldzug identifiziert worden: M. Miller, The Earlier Persian Dates in Herodotus, in: Klio 37 (1959), 39-52, bes. 34, 45; A. Shapur Shahbazi, Darius in Scythia and Scythians in Persepolis, in: AMI 15 (1982), 189-235, bes. 231-32. Allerdings hat Corcella, in: Asheri, et al., Herodotus, 573ff., 692f. zu Hdt. 4,1 (mit Literaturübersicht zur umfänglichen Diskussion der chronologischen Probleme) darauf hingewiesen, dass sich die Expedition der Behistun-Inschrift wohl auf einen Zug gegen die Massageten beziehen muss. Zu der Inschrift: Asheri, et al., Herodotus, 528ff. Auch J.R. Gardiner-Garden, Dareios’ Scythian Expedition and its Aftermath, in: Klio 69 (1987), 326-50, nimmt zwei verschiedene Feldzüge des Dareios an, einen, den Dareios selbst anführte und bei dem er zwischen 514 und 512 die Donau überschritt. Dieser Zug habe das Ziel gehabt, in Thrakien das Vorfeld für europäische Aktionen der Perser zu sichern. Der andere Feldzug sei gegen die Stämme im nördlichen Kaukasus geführt worden, nicht von Dareios selbst, sondern von einem kappadokischen Satrapen zwischen 520 und 514 v.Chr. 273 Kimmerischer Bosporus: IG XIV 1297; thrakischer Bosporus: Hdt. 4,83. Vgl. dazu J.M. Balcer, The Date of Herodotus IV.1: Darius’ Scythian Expedition, in: HSPh 76 (1972), 99-132. Vgl. Val. Max. 5,4,5; Frontin. strat. 1,5,25. 274 Mit αὐτοῦ in Hdt. 4,1,1, dazu Corcella, in: Asheri, et al., Herodotus, ad loc. 94 locken. Herodot hat bereits zuvor anklingen lassen, dass die Skythen aufgrund ihrer nomadischen Lebensweise nicht zu fassen und zu besiegen seien (Hdt. 4,46,2). Auf die Forderung des Dareios hin, ihm Erde und Wasser zu überreichen (Hdt. 4,126), lässt der Skythenkönig Idanthyrsos ihm eine Botschaft ankündigen [ Hdt. 4,127,4: Σοὶ δὲ ἀντὶ μὲν δώρων γῆς τε καὶ ὕδατος δῶρα πέμψω τοιαῦτα οἷα σοὶ πρέπει ἐλθεῖν. („Anstatt der Erde und des Wassers werde ich dir andere Geschenke schicken, wie du sie verdienst“) ] . Diese überbringt dann ein Herold, jedoch nicht als Wortbotschaft, sondern in einer nichtsprachlichen Form: Der Herold überbringt einen Vogel, eine Maus, einen Frosch und fünf Pfeile. Auf die Frage, welchen Sinn dies ergäbe, erklärt der Herold nichts. Er weist lediglich darauf hin, dass er nur der Überbringer sei, sofort zurückkehren solle und erklärt den Persern nur, εἰ σοφοί εἰσι, γνῶναι τὸ θέλει τὰ δῶρα λέγειν (Hdt. 4,131,2: „die Bedeutung der Geschenke sollten sie selbst erraten, wenn sie klug genug seien“). Nun gibt zuerst Dareios eine Deutung der Botschaft: Die Maus lebe in der Erde und ernähre sich wie die Menschen von Feldfrüchten, der Frosch lebe im Wasser, die Vögel gleichen den Pferden und die Pfeile stehen für die Kriegsmacht. Er sieht in den Gaben also eine Botschaft der Unterwerfung. Diese erste Deutung überzeugt seinen Berater Gobryas jedoch nicht und er schlägt eine ganz andere vor: Wenn die Perser nicht wie Vögel würden und zum Himmel auffliegen oder sich wie die Mäuse in der Erde verstecken oder sogar wie die Frösche ins Wasser abtauchen könnten, wäre keine Rückkehr nach Hause möglich, weil die Geschosse, d.h. die Pfeile, sie alle töten würden. Diese zweite Deutung interpretiert die Botschaft als Drohung und Vorhersage der Niederlage. Dareios vertraut allerdings seiner eigenen Erklärung und zieht mit dem persischen Heer weiter in das Gebiet der Skythen, ein Entschluß, der sich als verhängnisvoll erweisen sollte. Dass es zu dieser Geschichte eine Parallelüberlieferung bei Clemens von Alexandria in den Stromateis gibt, 275 die denselben Zusammenhang der Symbolbotschaft und der zwei Deutungen beschreibt, ihn jedoch auf Pherekydes von Syros zurückführt, ist lange schon gesehen und einige Male behandelt worden, sowohl im Kontext der Herodot-Forschung als auch im Hinblick auf die Identifizierung des Pherekydes. 276 Allerdings weist die 275 Clem. Al. Strom. 5,8,44 = 355.13 Stählin = Pherekydes FGrHist 3 F 174 = Pherekydes FGrHist 475 F 1. 276 Asheri, et al., Herodotus, 664 ad loc; G. de Sanctis, Il messaggio figurato degli Sciti a Dario, in: In Memoria lui Vasile Parvan, Bukarest 1934, 110-11; A. Momigliano, Per l’età di Ferecide Ateniese, in: RFIC 10 (1932), 346-51; St. West, The Scythian Ultimatum (Herodotus iv 131, 132), in: JHS 108 (1988), 207-11. Zu der Frage, wann Pherekydes geschrieben hat und wieviele Autoren dieses Namens zu identifizieren sind: Gardiner-Garden, Dareios; R.L. Fowler, The Authors Named Pherekydes, in: Mnemosyne 52/ 1 (1999), 1-15; G. Huxley, The Date of Pherekydes of Athens, in: GRBS 14/ 2 (1973), 137-43; Jacoby, Prose Writer, 13-46; H. Schibli, Pherekydes of Syros, Oxford 1990; D.L. Toye, Pherekydes of Syros, in: Mnemosyne 50/ 5 (1997), 530- 95 bei Clemens berichtete Version der Geschichte merkwürdige Differenzen auf: So sind nicht nur die Protagonisten andere (statt Dareios wird z.B. ein Orontopatas genannt), sondern auch die Gaben sind um eine weitere ergänzt - einen Pflug. Ebenso sind die Erklärungen für die Gaben ganz unterschiedlich. Schon in der Antike scheint bereits seit dem 4. Jahrhundert nicht mehr bekannt gewesen zu sein, wer genau Pherekydes war und wie viele Träger dieses Namens Werke hinterlassen haben: So haben nach Diogenes Laertius sowohl Andron von Ephesus, der das o.g. Werk Tripus über die Sieben Weisen geschrieben hat (s.o. Kap. III) und auch Eratosthenes bereits ihre Zweifel geäußert (FGrHist 1005 Andron von Ephesus F 4 = Diog. Laert, 1,119): Ἄνδρων δ' ὁ Ἐφέσιός φησι δύο γεγονέναι Φερεκύδας Συρίους, τὸν μὲν ἀστρολόγον, τὸν δὲ θεολόγον υἱὸν Βάβυος, ᾧ καὶ Πυθαγόραν σχολάσαι. Ἐρατοσθένης ( FGrH 241 F 10 ) δ' ἕνα μόνον, καὶ ἕτερον Ἀθηναῖον, γενεαλόγον. „Andron von Ephesus sagt, dass es zwei Pherekydes aus Syros gegeben habe, einen Astrologen und einen Theologen, den Sohn des Babys, dessen Schüler auch Pythagoras gewesen sei. Eratosthenes demgegenüber kennt nur den einen, der andere sei ein Athener gewesen, ein Genealoge.“ Die zahlreichen Varianten, die bisher erwogen wurden, reichen von Wilamowitz’ These, dass alle Arbeiten der ionischen Mythographie generell einem „Pherekydes“ zugeschrieben worden seien - vergleichbar den medizinischen Schriften des Corpus Hippocraticum - bis zu Jacobys Ansicht, der Eratosthenes mit seiner Unterscheidung des Pherekydes von Syros und des Atheners folgt. 277 Die Ansicht, dass wir hier in der Tat zwei verschiedene Autoren vor uns haben, scheint sich doch heute durchgesetzt zu haben. 278 Der Athener gehört in das 5. Jahrhundert, während der andere Phe- 60; U. von Wilamowitz-Moellendorff, Pherekydes, in: Kleine Schriften V,2, hrsg. von P. Maas, unveränd. Nachdr. der 1. Aufl., Berlin 1971, 127-56 (= Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Berlin 1926, 125-46). 277 Gardiner-Garden, Dareios, 125ff; U. von Wilamowitz-Moellendorf, Pherekydes, in: P. Maas (Hrsg.), Kleine Schriften, 127-56.; Jacoby, Prose Writer, 61: „I therefore submit that Eratosthenes’ statement rests on, and must be regarded as documentary evidence and I further submit that the remains of the two works, the authors of which were listed respectively as a philosopher and as a historian, fully confirm the distinction made by the cataloguer and Eratosthenes.“ 278 R.L. Fowler, Authors; Schibli, Pherekydes, 13 der abschließend auf der Basis der nach wie vor offenen Fragen zu den Lebensdaten und -umständen des Atheners nur Pherekydes von Syros akzeptieren möchte. Ivantchik Kolonisation, schließt sich zwar der Meinung an, dass es einen Pherekydes im 6. Jh. gegeben habe, allerdings führt er die Geschichte bei Clemens nicht auf diesen zurück, sondern auf einen zweiten Pherekydes im 5. Jh. D.L. Toye, Pherekydes of Syros, in: Mnemosyne 50/ 5 (1997), 530-60 schreibt sie doch Pherekydes von Syros zu. E. Lévy, Naissance du concept de barbare, in: Ktema 9 (1984), 5-14. 96 rekydes einer älteren Epoche zuzurechnen ist und in das 6. Jahrhundert datiert wird. 279 Allerdings lässt sich dieses Ergebnis nicht mit der bei Clemens genannten Zuschreibung des Zitats aus Pherekydes von Syros vereinbaren: Nur mit einer äußersten Altersdehnung könnte man ihm noch eine Darstellung des Skythenfeldzuges zuschreiben! Der Athener Pherekydes würde von der Lebenszeit her passen, setzt dann allerdings einen Fehler bei Clemens voraus. Daher ist dann auch dieses Zitat von Jacoby einem dritten Pherekydes zugeschrieben worden: Pherekydes aus Leros, der allerdings nur aus einer Notiz der Suda bekannt ist. 280 Dass dieser Pherekydes sein floruit in der 57. Olympiade (480/ 77 v.Chr.) gehabt haben soll, macht ihn nun auch noch zu einem Zeitgenossen des Atheners, dessen floruit wiederum lt. Eusebius im Jahr 456/ 5 v.Chr. lag. 281 Allerdings ist bereits seit langem gesehen worden, dass es öfter zu einer Verwechslung des Atheners und des älteren Pherekydes gekommen ist, wenn in den Vorlagen nur der Name Pherekydes ohne Herkunftsort zu lesen war. 282 Insofern ist ein Rückgriff auf die Suda-Notiz, die zwangsläufig mit einer Korrektur von Σύριος zu Λέριος zu verbinden wäre, nicht unbedingt notwendig. Ganz anders sind de Sanctis und Momigliano in ihrer Interpretation des Pherekydes-Zitats bei Clemens vorgegangen. 283 Ausgehend von Pherekydes dem Athener als Quelle weisen sie vor allem auf die Differenzen zwischen seiner und Herodots Version hin. Insbesondere der Pflug wird als Indikator für eine griechische Überarbeitung gesehen, da diesem Objekt im Kontext des Nomadenlebens keine Bedeutung zukommen könne. So werden beide Versionen zwar als voneinander unabhängig angesehen, aber ihr Ursprung sei, insbesondere de Sanctis vertritt diese Ansicht, die Unterstellung eines trans-danubischen Eroberungsplanes des Dareios, die so nur auf die griechische Spekulation zurückgehen könne. West, mit einer Präferenz für den Athener Pherekydes als „the least unattractive of these options“, 284 hat hingegen auf die Praxis der symbolischen Kommunikationsformen in den mittel- und ostasiatischen Gebieten hingewiesen, aus denen sich nicht gleiche, aber durchaus ähnliche Beispie- 279 Schibli, Pherekydes, 13. 280 Suda, s.v Φερεκύδης (Adler, φ 217): Φερεκύδης, Λέριος, ἱστορικός, γεγονὼς πρὸ ὀλίγου τῆς ο ε ὀλυμπιάδος. Περὶ Λέρου, Περὶ Ἰφιγενείας, Περὶ τῶν Διονύσου ἑορτῶν: καὶ ἄλλα. 281 Euseb. Chron. arm. S. 192 (Karst): Er bezeichnet ihn als den zweiten Pherekydes und Verfasser von Historiai. Vgl. dazu Jacoby, Prose Writer, 26f. mit Anm. 35 und 50ff. Jacoby weist auf eine vergleichbare Synchronisierung bei Tzetzes hin (FGrHist 3 F 136), der nach einem ‚Historiker Pherekydes von Syros’ zitiert, wo seine Vorlagen, die Scholia zu Homer und Euripides, lediglich einen Pherekydes ohne Herkunftsangabe nennen. Schibli, Pherekydes, geht nicht näher auf dieses Problem ein. 282 Jacoby, Prose Writer 18 mit Anm. 14 und 26 mit Anm. 35 zu Pherekydes FGrHist 3 F 109, F 173-180; er zählt auch F 174 zu dieser Gruppe. 283 Vgl. G. de Sanctis, Il messaggio, in: In Memoria, 110-11. Momigliano, Ferecide 346ff. 284 West, Ultimatum, 210. 97 le heranziehen lassen, insbesondere aus der mongolischen Geschichte. 285 So ergibt sich ein Indiz dafür, dass es sich bei der Geschichte der skythischen Botschaft nicht unbedingt und eindeutig um ein typisch griechisches Rätsel handelt, auch wenn Herodot den Herold dies so formulieren lässt (s.o.). Demgegenüber zeigt die Pherekydes-Version, worauf West zurecht hinweist, die typischen Merkmale einer früheren Version: Es ist leicht zu erklären, dass die bekannteren Namen des Dareios und Gobryas diejenigen des Orontopatas und Xiphodres ersetzt haben, jedoch ist der umgekehrte Weg eher unwahrscheinlich. Ebenso ist der Zeitpunkt, den Herodot wählt, um die Botschaft zu platzieren, nämlich nach einigen Wochen des Marsches durch die Wüste, zwar für den Gang der Erzählung sinnvoll, jedoch weniger aus der Perspektive der Skythen. Auch hier ist Pherekydes, der die Episode direkt nach der Überquerung der Donau ansetzt, plausibler. Ausgehend von diesem Ergebnis, das sowohl die ethnographische als auch die chronologische Wahrscheinlichkeit für sich hat, ist aber gleichwohl zu fragen, warum Herodot diese Änderungen vorgenommen hat und warum nun wiederum Clemens die andere Version des Pherekydes gewählt hat, obwohl er Herodots Werk durchaus kannte und auch benutzt hat. Denn die hier bei Herodot herausgehobene Position des ‚Nicht- Textuellen’ im Kontext des historiographischen Textes ist keineswegs unbewusst verarbeitet, sondern weist soviel Spott auf, 286 dass die Bedeutung für Repräsentation und Identifikation durchaus noch einmal genauer zu betrachten ist. Die Rolle, die das Pherekydes-Zitat im Kontext bei Clemens spielt, ist demgegenüber bisher überhaupt nicht in Betracht gezogen worden, ebensowenig die parallele Überlieferung aus Phylarch und Ktesias. 287 Auch die Frage nach der generellen Bedeutung für die Entwicklung des griechischen Nomadenbildes hat bisher hier keine Rolle gespielt. Aber nicht nur die unmittelbar auf das Pherekydes-Zitat folgende Erwähnung des Skythen Anacharsis, des Prototypen eines Weisen und Nomaden bei Clemens, 288 deutet auf diese Zusammenhänge hin, sondern auch ein bei Strabon erhaltenes Zitat des Epikers Choirilos - eines jüngeren Zeitgenossen Herodots -, das auch Ephorus in Zusammenstellung mit Anacharsis verwendet hat. 289 Ephorus schreibt einiges über die verschiedenen Ansichten zu den Nomaden, geht auf den Skythenfeldzug des Dareios ein und zitiert das Zitat des Choirilos über die Saken, die von den Nomaden ab- 285 West, Ultimatum, 208. 286 H. Erbse, Studien zum Verständnis Herodots, Berlin 1992, mit der älteren Literatur 113ff. und 19ff. 287 Ktesias, Persika: FGrHist 688 F 13,82ff. = Photius, Bibl. 72. 38b. 10ff.; Phylarch FGrHist 81 F 1 = Athen. 8,9,1. 288 Schubert, Fremde, in: Weiß (Hrsg.), Nomade, mit der älteren Literatur. 289 Strab. 7,3,9 [303]; Ephorus: FGrHist 70 F 42 mit app.crit.; Choirilos: PEG I, F 5 = SH F 5; vgl. Suda s.v . Χοιρίλος (Adler, χ 595) zu den Lebensdaten: Ein Jüngling zur Zeit des zweiten Perserkrieges während der 75. Ol. (480/ 477 v.Chr.). Zu Choirilos: G. Huxley, Choirilos of Samos, in: GRBS 10/ 1 (1969), 12-29. 98 stammen. Dem schließt Ephorus die Beschreibung des Anacharsis als einen der Sieben Weisen an, ausgezeichnet durch seine Selbstbeherrschung und Klugheit. Der generelle Kontext scheint hierbei ein Weisheitsdiskurs gewesen zu sein, in dem Anacharsis und die Skythen für eine bestimmte Art der Weisheit standen oder zumindest in Anspruch genommen wurden und in dem die auf die Flussüberquerung des Dareios folgende Begegnung zwischen Persern und Skythen eine besondere Rolle gespielt hat. 290 Vergleicht man die Beschreibung der Skythenbotschaft bei Herodot und Clemens, dann fällt nicht nur auf, dass die Gaben wie Maus, Vogel, Frosch etc. von den Persern ganz unterschiedlich gedeutet werden, sondern auch die Reihenfolge, in der die Tiere genannt werden, deutlich anders ist: Herodot 4, 131-132 Reihenfolge Clemens (Pherekydes FGrHist 3 F 174) Strom. 5, 8, 44 bei der Übergabe in der 1. Deutung Dareios in der 2. Deutung Gobryas bei der Übergabe in der 1. Deutung Orontopatas in der 2. Deutung Xiphrodes Vogel Maus Vögel Maus Maus Vögel Maus Frosch Mäuse Frosch Frosch Mäuse Frosch Vogel Frösche Vogel Vogel Frösche 5 Pfeile 5 Pfeile Pfeile 1 Pfeil Pfeil Geschosse Pflug Pflug keine Rückkehr keine Herren des Landes Die Reihenfolgen, die hier übereinstimmen, sind bei Herodot die Übergabe und die zweite Deutung, bei Clemens hingegen die Übergabe und die erste Deutung. Die Übereinstimmung zwischen Herodot und Clemens zeigen sich in der Reihenfolge der beiden Deutungen. Interessant ist aber auch, dass die erste Deutung bei Herodot und die erste Deutung bei Clemens in der Reihenfolge übereinstimmen. 290 Huxley, Choirilos, 13ff. zu der Frage, ob Dareios oder Xerxes bei Choirilos gemeint war. Ders., 98 hat bereits darauf hingewiesen, dass Herodot die Übergabe der Botschaft und ihre Entschlüsselung im Stil eines Weisheitswettkampfes schildert. Eine Parallele hat dies seiner Ansicht nach in dem ‚Wettstreit’ zwischen Gorgo und Aristagoras. Vgl. D. Lateiner, The Historical Method of Herodotus, (Phoenix Supplementary Volumes 23), Toronto 1989, 99f. 99 Vor allem aber fällt hier auf, dass weder Herodot noch Clemens bzw. Pherekydes in der zweiten Deutung der Botschaft den Pflug erwähnen. Große Unterschiede zeigen sich auch in den ersten Deutungen, bei Dareios bzw. Orontopatas. So schreibt Herodot (Hdt. 4,132,1): Δαρείου μέν νυν ἡ γνώμη ἦν Σκύθας ἑωυτῷ διδόναι σφέας τε αὐτοὺς καὶ γῆν τε καὶ ὕδωρ,εἰκάζων τῇδε, ὡς μῦς μὲν ἐν γῇ γίνεται καρπὸν τὸν αὐτὸν ἀνθρώπῳ σιτεόμενος, βάτραχος δὲ ἐν ὕδατι, ὄρνις δὲ μάλιστα οἶκε ἵππῳ, τοὺς δὲ ὀϊστοὺς ὡς τὴν ἑωυτῶν ἀλκὴν παραδιδοῦσι. „Dareios Meinung war, die Skythen ergäben sich ihm samt Erde und Wasser; er legte es sich nämlich so zurecht: Die Maus lebt in der Erde und nährt sich von derselben Frucht wie der Mensch; der Frosch wohnt im Wasser, der Vogel aber gleicht dem Pferd und mit den Pfeilen übergeben sie ihre eigene Macht.“ Dagegen heißt es bei Clemens von Alexandria (Clem. Al. Strom. 5,8,44): ἀπορίας δὲ οὔσης, οἷα εἰκός, ἐπὶ τούτοις Ὀροντοπάτας μὲν ὁ χιλίαρχος ἔλεγεν παραδώσειν αὐτοὺς τὴν ἀρχήν, τεκμαιρόμενος ἀπὸ μὲν τοῦ μυὸς τὰς οἰκήσεις, ἀπὸ δὲ τοῦ βατράχου τὰ ὕδατα τὸν ἀέρα τε ἀπὸ τῆς ὄρνιθος καὶ ἀπὸ τοῦ ὀιστοῦ τὰ ὅπλα, ἀπὸ δὲ τοῦ ἀρότρου τὴν χώραν. „Als man begreiflicherweise über den Sinn dieser Sendung im unklaren war, sagte der Heerführer Orontopatas, dass die Skythen damit ihre Macht übergeben, indem er in der Maus eine sinnbildliche Bezeichnung für die Wohnstätten sah, in dem Frosch eine solche für die Gewässer, in dem Vogel für die Luft, in dem Pfeil für die Waffen, in dem Pflug aber für das bebaute Land.“ Vergleicht man die Formulierungen, die beide Autoren für die zweite Deutung als wörtliche Rede bringen, so zeigen sich sogar wörtliche Übereinstimmungen. 291 Die Bedeutungen dieser Erklärungen und auch die Unterschiede zwischen beiden Darstellungen sind bereits abgehandelt worden. 292 Die Übereinstimmungen der Reihenfolgen wurden dabei bisher nicht detailliert verglichen. Insbesondere bei der zweiten Deutung zeigen 291 Vergleich der Übereinstimmungen: 1. Vögel Herodot: Gobryas Ἢν μὴ ὄρνιθες γενόμενοι ἀναπτῆσθε ... Clemens, Xiphrodes ὰν μὴ ὡς ὄρνιθες ἀναπτῶμεν 2. Mäuse Herodot: Gobryas ἢ μύες γενόμενοι κατὰ τῆς γῆς καταδύητε Clemens, Xiphrodes ὡς μύες κατὰ τῆς γῆς 3. Frösche Herodot: Gobryas ἢ βάτραχοι γενόμενοι ἐς τὰς λίμνας ἐσπηδήσητε Clemens, Xiphrodes ὡς οἱ βάτραχοι καθ' ὕδατος δύωμεν 292 Momigliano, Ferecide, 346ff.; de Sanctis, Il messaggio, in: In memoriam, 110f. Vgl. West, Ultimatum, 207ff. 100 die fast wortgleichen Formulierungen, dass Herodot und Clemens zumindest diese aus derselben Vorlage genommen haben, bzw. die Vorlage des Clemens, aus der er Pherekydes zitiert, denselben Text wie Herodot gehabt haben muss. Dass Clemens aus Herodot zitiert, ist angesichts seines ausdrücklichen Bezugs auf Pherekydes hier und seiner ansonsten durchaus nachweisbaren Kenntnis Herodots einerseits und seiner Kenntnis des Idanthyrsos andererseits unwahrscheinlich. 293 Ob er direkt aus Pherekydes zitiert oder aus dem Kontext der Zusammenfassung einer anderen Darstellung, lässt sich schwer feststellen. 294 Allerdings könnte dies auch die Unklarheit über die Herkunft aus Syros, Leros oder Athen erklären. Die ungewöhnlicheren Namen deuten, wie bereits gesagt, darauf hin, dass die von Clemens zitierte Version die ältere ist. Aber die Übereinstimmungen der zweiten Deutung (Gobryas, Xiphrodes) stellen offensichtlich den gemeinsamen, ältesten Kernbestand dar, der bei beiden weitgehend wörtlich zitiert wird. Die Reihenfolge der ersten Deutung bei Herodot und der Übergabe bei Clemens/ Pherekydes ist gleich bis auf den bei Clemens/ Pherekydes genannten Pflug. Angesichts des weitverbreiteten Seminomadismus ist der Pflug kein Fremdkörper in einem nomadischen Kontext. Aber es ist auffällig, dass bei Clemens/ Pherekydes der Pflug in der zweiten Deutung gar nicht mehr erwähnt wird! Bis auf den Pflug stimmen die beiden Versionen der Deutungen zumindest im Hinblick auf die Reihenfolge überein. Da bei Clemens/ Pherekydes die wörtlichen Übereinstimmungen zu Herodot in der zweiten Deutung jedoch so groß sind, reicht die bisher vorgebrachte Erklärung, dass der Pflug eine griechische Zutat sei, kaum aus. Wenn, was sehr wahrscheinlich ist, die bei Clemens berichtete Version des Pherekydes älter ist und den Pflug gehabt hat, dann muss aber Clemens eine Fassung des Pherekydes bzw. eine Zusammenstellung unter Einbeziehung des Pherekydes vor sich gehabt haben, in der bei der zweiten Deutung der Pflug schon ausgefallen war. Solche verschiedenen Stufen in der Tradierung sind nicht unwahrscheinlich angesichts der langen Zeitspanne, die zwischen den Autoren Pherekydes und Clemens liegt. Andererseits verweist dies wiederum auf den deutlich erkennbaren Unterschied zwischen Herodot und Pherekydes: Herodot muss das, was Pherekydes vorliegen hatte, auch gekannt haben, sonst wären die wörtlichen Übereinstimmungen nicht erklärbar. Dass er den Pflug nicht hat, kann kaum anders erklärt werden als damit, dass Herodot den Pflug absichtlich ausließ, um eine - aus seiner 293 Clem. Al. Strom. 5,8,44,2 nennt den Skythenkönig Ἰδανθούραν , der als Idanthyrsos bei Herodot begegnet. Erwähnungen und Zitate aus Herodots Werk bei Clemens in den Stromateis: z.B. 1,14,62 und 65; 1,16,75; 1,29,182; 2,14,60; 3,3,16; 6,2,19 und 23. 294 West, Ultimatum, 210. Zu der Herkunft der Namen: R. Schmitt, Iranische Anthroponyme in den erhaltenen Resten von Ktesias‘ Werk, (Iranica Graeca Vetustiora. III), (Veröffentlichungen zur Iranistik, Sitzungsberichte der philosoph.-histor. Klasse 33), Wien 2000; offensichtlich sind die skythischen Namen iranischern Ursprungs und durchaus historisch. 101 Sicht - größere Konsistenz für die Darstellung der nomadischen Skythen zu erreichen. 295 Eine gewisse Bestätigung für diese These, dass Herodot die Geschichte von der Botschaft doch deutlich seinem Kontext angepasst haben muss, ergibt sich aus parallelen Überlieferungen bei Ktesias und Phylarch. So beschreibt Phylarch, wie Patroklos eine symbolische Botschaft (aus Fisch und Feigen) an Antigonos sandte, der die Botschaft sofort entschlüsselt habe: Sie müssten Herren des Meeres werden, andernfalls damit zufrieden sein, Feigen zu essen. Nach Phylarch sei dies wie ein Rätsel gewesen, genau so wie es der König der Skythen gegenüber Dareios praktiziert hatte. 296 Herodot habe berichtet, dass der Skythenkönig einen Vogel, einen Pfeil und einen Frosch sandte. Ktesias wiederum hat die Szene stark verkürzt: 297 Der Skythenkönig, hier mit einem ganz anderen Namen - Skytharbes 298 -, tauscht mit Dareios 295 West, Ultimatum, 211. Anders de Sanctis und Momigliano, Ferecide, 346ff., die den Pflug als griechische Zutat verstehen. 296 Phylarch FGrHist 81 F 1= Athen. 8,9,1ff.: οἶδα δὲ καὶ Φύλαρχον εἰρηκότα που περὶ μεγάλων ἰχθύων καὶ τῶν συμπεμφθέντων αὐτοῖς σύκων χλωρῶν, ὅτι αἰνιττόμενος Πάτροκλος ὁ Πτολεμαίου στρατηγὸς Ἀντιγόνῳ τῷ βασιλεῖ ἔπεμπεν, ὡς Δαρείῳ Σκύθαι ἐπερχομένῳ αὐτῶν τῇ χώρᾳ· ἔπεμψαν γὰρ οὗτοι μέν, ὥς φησιν Ἡρόδοτος, ὄρνιν καὶ ὀιστὸν καὶ βάτραχον· ἀλλ' ὅ γε Πάτροκλος, ὡς διὰ τῆς τρίτης τῶν ἱστοριῶν φησιν ὁ Φύλαρχος, πεμφθέντων τῶν προειρημένων σύκων καὶ ἰχθύων. ἐτύγχανεν δὲ κωθωνιζόμενος ὁ βασιλεὺς καὶ ὡς πάντες διηποροῦντο ἐπὶ τοῖς δώροις, ὁ Ἀντίγονος γελάσας πρὸς τοὺς φίλους ἔφη γινώσκειν τί βούλεται τὰ ξένια· ἢ γὰρ θαλαττοκρατεῖν ἡμᾶς φησι Πάτροκλος ἢ τῶν σύκων τρώγειν. („Ich weiß aber auch, dass Phylarchos irgendwo sowohl über große Fische sprach als auch über mit diesen geschickte frische Feigen gesprochen hat, dass der Feldherr Patroklos, Sohn des Ptolemaios, dem König Antigonos [solche Geschenke] in Rätseln sprechend schickte, wie die Skythen dem Dareios, als er in ihr Land einfiel. Diese schickten nämlich, wie Herodot sagt, einen Vogel, einen Pfeil und einen Frosch. Freilich Patroklos aber, wie Phylarchos im dritten Buch seiner Ἱστορίαι sagt, schickte die zuvor genannten Feigen und Fische. Der König war gerade dabei [mit seinen Freunden] zu trinken und als alle im Zweifel waren ob der Geschenke, sagte Antigonos lachend zu den Freunden, er wisse, was die Gastgeschenke bedeuteten: Patroklos sagt, dass wir entweder Herrn des Meeres sein oder Feigen essen [müssen].“) 297 Ktesias Persika: FGrHist 688 F 13,82ff. = Photius, Bibl. 72. 38b. 10ff. : Σκυθάρβης δέ, ὁ Σκυθῶν βασιλεύς, ὀργισθεὶς ἔγραψεν ὑβρίζων Δαρεῖον, καὶ ἀντεγράφη αὐτῷ ὁμοίως. Στράτευμα δὲ ἀγείρας Δαρεῖος π ʹ μυριάδας, καὶ ζεύξας τὸν Βόσπορον καὶ τὸν Ἴστρον, διέβη ἐπὶ Σκύθας, ὁδὸν ἐλάσας ἡμερῶν ιε ʹ . Καὶ ἀντέπεμπον ἀλλήλοις τόξα· ἐπικρατέστερα δ' ἦν τῶν Σκυθῶν. Διὸ καὶ φεύγων Δαρεῖος διέβη τὰς γεφυρώσεις καὶ ἔλυσε σπεύδων πρὶν ἢ τὸ ὅλον διαβῆναι στράτευμα· καὶ ἀπέθανον ὑπὸ Σκυθάρβεω οἱ καταλειφθέντες ἐν τῇ Εὐρώπῃ μυριάδες η ʹ . („Skytharbes, der König der Skythen, schrieb provoziert und übermütig Dareios, und er antwortete diesem auf gleiche Weise. Nachdem Dareios eine Armee von 800000 Mann zusammengezogen, den Bosporus und den Ister überbrückt hatte, zog er gegen die Skythen, einen Weg von 15 Tagen zurücklegend. Und sie sendeten einander Pfeil und Bogen; die überlegenen waren die der Skythen. Deswegen marschierte Dareios auch, nachdem er geflohen war, zu den Brücken und löste sie in Eile bevor sein ganzes Heer sie überqueren 102 eine Botschaft aus: Man übersendet sich Pfeil und Bogen, wobei der Bogen des Skythen stärker gewesen und damit Darius zur Flucht bewegt haben soll. 299 Bei beiden symbolisiert die Botschaft die Herrschaft über das Land, jedoch scheint der Pfeil das entscheidende Symbol für die Macht gewesen zu sein, da er sowohl in den längeren Versionen bei Herodot und Clemens als auch in den verkürzten bei Phylarch und Ktesias verwendet wird. Er steht hier pars pro toto für Pfeil und Bogen, wobei gerade der Bogen als Symbol für Herrschaft nicht selten auftritt. Auch Herodot hat den Bogen als Symbol für Herrschaft, insbesondere im Kontext der Auseinandersetzungen mit Nomaden. Die Äthiopier übergeben dem Kambyses einen Bogen (Hdt. 3,21,3) und bei den Skythen hinterlässt Herakles einen Bogen für denjenigen seiner Söhne, der in der Lage ist, ihn zu spannen und dem dann dafür die Königsherrschaft zugebilligt wird (Hdt. 4,8-10). Jedoch betont Herodot, dass dies die griechische Version der skythischen Ursprungslegende sei (Hdt. 4,8,1) und auch in dem Dialog der Äthiopier mit den Gesandten des Kambyses lassen sich die Spuren der interpretatio graeca kaum übersehen, insbesondere in der Ähnlichkeit mit der Heraklessage bei den Skythen (Hdt. 4,9,5) oder dem Bogen des Odysseus. 300 2. Der Kontext der Botschaft bei Herodot und Clemens Der Kontext dieser Botschaft bei Herodot ist meist als Einbettung einer ‚folk-tale’ gesehen worden. 301 Da sich in dem Skythenexkurs Herodots viele Spuren der Authentizität erkennen lassen, und auch die eigene Landeskenntnis Herodots heute aufgrund zunehmender, archäologischer Funde und einer veränderten methodischen Herangehensweise anders eingeschätzt wird, ist die Kontextfrage neu zu betrachten. 302 konnte. Und 80000, die in Europa zurückgelassen wurden, wurden von Skytharbes getötet.“) 298 Vgl. grundsätzlich zum Vorgehen des Ktesias, um Herodot zu ‚überbieten’: R. Bichler, Ktesias „korrigiert“ Herodot. Zur literarischen Einschätzung der Persika, in: H. Heftner/ K. Tomaschitz (Hrsg.), Festschrift für Gerhard Dobesch zum fünfundsechzigsten Geburtstag am 15. September 2004, Wien 2004, 105-16. 299 Zur Bedeutugn von τόξα nicht nur als Bogen, sondern im Plural für ‚Pfeil und Bogen’: LSJ s.v. τόξον mit Bezug auf Hom. Il. 21,502; Hdt. 3,78; Soph. Phil. 68. 300 Hom. Od. 19,577-78 und 19,586; 21,75-76; vgl. bei Herodot: Der einzige, der den Bogen wird spannen können, ist Smerdis! Damit stellt Herodot eine Verbindung her zwischen dem Äthiopienfeldzug des Kambyses, seinem Wahnsinn und der Thronnachfolge. Ähnliche Verwendung des Bogenmotivs bei Hdt. 3,35,3; 3,36,4; 3,78,2-3. Dazu Corcella, in: Asheri, et al., Herodotus, 422. Vgl. jetzt dazu Flashar, Skythen. 301 West, Ultimatum, 211 mit Bezug auf Jacoby. 302 Vgl. dazu v.a. Erbse, Studien zum Verständnis Herodots, Berlin 1992, 199ff.; Lateiner, Historical Method, 59ff.; Schubert, res fictae, 17ff. zum methodischen Ansatz im Hin- 103 Herodot unterscheidet in seinem Werk deutlich zwischen den Formen der verbalen und der non-verbalen Kommunikation. 303 Gerade die nonverbale ist ein Code, den er verwendet, um kulturelle Differenz zu markieren und gleichzeitig entscheidende Momente der Erzählung herauszuheben (vgl. z.B. Hdt. 5,18-21). 304 Dies ist auch im Fall der skythischen Botschaft so: Hier zeigt sich in der abstrusen Fehlinterpretation des Dareios und seiner Missachtung der Warnung, die in der zweiten Deutung sogar von einem seiner engsten Ratgeber kommt, die Hybris des Tyrannen in aller Deutlichkeit. Die Fehlinterpretation des Dareios beruht darauf, dass er in den Gaben eine metaphorische Repräsentation der Unterwerfung zu erkennen glaubt, eine Art des symbolischen Ausdrucks für das Überreichen von Er- blick auf den Nomadendiskurs; zu der Frage Fiktion oder Fakten bei Herodot: Fehling, Quellenangaben, hält die herodoteischen Quellenangaben in der Regel für fingiert. Gegen diese Generalisierung wenden sich u.a. H.-G. Nesselrath, Dodona, Siwa und Herodot - ein Testfall für den Vater der Geschichtsschreibung, in: MH 56 (1999), 1-44. Eine Auswertung der archäologisch-epigraphischen Funde bei Heinen (2006). Eine Übersicht zur Forschungsdiskussion und Herodotrezeption gibt Pritchett, Liar School. Vgl. M. Hose, Am Anfang war die Lüge? Herodot, der ,Vater der Geschichtsschreibung’, in: ders. (Hrsg.), Große Texte alter Kulturen. Literarische Reise von Gizeh nach Rom, Darmstadt 2004, 153-174, 19ff., der argumentiert, dass die Skythen bei Herodot vor allem als das Gegenbild der Athener, als das „Andere“ konstruiert sind. Vgl. Hartog, Mirror, 260ff.; J. Bollansée, Fact and Fiction, Falsehood and Truth, in: MH 56/ 2 (1999), 65-75, 54ff. Zu den Exkursen bei Herodot: J. Cobet, Herodots Exkurse und die Frage der Einheit seines Werkes, (Historia Einzelschriften Heft 17), Wiesbaden 1971. Ein grundsätzlich neuer Ansatz, um das Verhältnis von Fiktionalität und Historiographie zu klären, bei M. Meier, Die Deiokes-Episode im Werk Herodots - Überlegungen zu den Entstehungsbedingungen griechischer Geschichtsschreibung, in: M. Meier, et al. (Hrsg.), Deiokes, König der Meder. Eine Herodot- Episode in ihren Kontexten, (= Oriens et Occidens. Studien zu antiken Kulturkontakten und ihrem Nachleben 7), Stuttgart 2004, 27-51. Er zeigt, wie sehr die Autoren der archaischen und frühklassischen Historiographie von dem geprägt waren, was heute in der Form als Novelle und in der Methode als poetische Fiktion beschrieben wird. Jedoch entspricht dies im Vorgehen durchaus einer konzentrierten und stringenten Realitätserfahrung, so dass hier, im Unterschied zur neuzeitlichen Geschichtsschreibung durchaus von der begrifflichen Erfassung des historisch Wahrscheinlichen auszugehen ist. Eine völlig andere Richtung der Herodot-Interpretation bei Baragwanath, Motivation and Narrative in Herodotus, (Oxford Classical Monographs), Oxford 2008, die von einem rezeptionsästhetischen Ansatz ausgehend, die Form- und Gestaltungsprinzipien des herodoteischen Werkes untersucht (a.a.O. 122ff. zu Athen und Peisistratos), die Frage des Verhältnisses von Fiktionalität und Historizität jedoch nicht behandelt. Zu De aeribus vgl. Jouanna, Hippocrate und den Kommentar zu De aeribus in Schubert/ Leschhorn, Hippokrates. 303 D. Lateiner, Nonverbal Communication in the Histories of Herodotus, in: Arethusa 20 (1987), 83-119, 102f. mit Anm. 19; zu Hdt. 4,131-32 bemerkt er, dass die Botschaft der Skythen „may reflect the artless recording of oral sources for folktales and oral legends (How,Wells 1928, 1, 28) or the artful pretence of such …“ und „The polarization of opinion on this issue is symptomatic of the unsympathetic criticism to which our author is subject.“! 304 Beispiele und narratologische Typologie bei Lateiner, Communication, in App. I und II. 104 de und Wasser. Daher versucht er auch, in seiner - für den kundigen Leser natürlich absurd wirkenden - Erklärung, die übertragen gemeinte Beziehung der Ähnlichkeit zwischen Maus, Vogel, Frosch sowie Pfeilen einerseits und Erde/ Wasser andererseits zu konstruieren. Demgegenüber erkennt Gobryas sehr wohl, dass die ‚Geschenke’ keine Metaphern sind, sondern ganz konkret das meinen, was er Dareios dann auch sagt: Nämlich ein ganz wörtlich gemeintes Ultimatum, wonach die Perser tatsächlich Mäuse, Vögel und Frösche werden müssten, um den Pfeilen der Skythen entkommen zu können. 305 Diese Unmöglichkeit ist die Kehrseite des von Herodot (4,46), aber auch später von Thukydides und anderen immer wieder betonten Phänomens der Unbesiegbarkeit der Skythen. Ganz anders stellt sich dieser Kontextzusammenhang aber bei Clemens dar: Im Sinne der christlichen Allegorese will er Beispiele für die Verwendung des συμβολικὸν εἶδος nennen. 306 Ihm geht es darum zu zeigen, wie sich das ‚Einhüllen’ der höheren Wahrheit durch die Philosophie entwickelt. 307 Der dahinter stehende Prozess des Suchens nach der Wahrheit ist ein Erkenntnisprozess, denn Wahrheit ist prinzipiell schwer zu erkennen. Die Allegorese repräsentiert gegenüber der unverhüllten Mitteilung dabei schon eine höhere Entwicklungsstufe. So wie das Kind das εἶδος συμβολικόν für das Entstehen ist, steht der Greis als Sinnbild des Vergehens. 308 Zuerst nennt er Beispiele für den Gebrauch bei den Ägyptern, dann bei den Skythen, wobei er dem genannten Beispiel der skythischen Botschaft an Dareios noch folgendes über Anacharsis hinzufügt: Ἀνάχαρσίν τε τὸν Σκύθην φασὶ καὶ αὐτὸν κοιμώμενον κατέχειν τῇ μὲν λαιᾷ τὰ αἰδοῖα, τῇ δεξιᾷ δὲ τὸ στόμα, αἰνιττόμενον δεῖν μὲν ἀμφοῖν, μεῖζον δὲ εἶναι γλώττης κρατεῖν ἢ ἡδονῆς. „Und von Anacharsis, dem Skythen, wird erzählt, dass er im Schlaf mit der linken Hand die Schamteile, mit der rechten den Mund gehalten habe, damit andeutend, dass man beides beherrschen müsse, dass es aber schwieriger sei, die Zunge zu beherrschen als die Sinnenlust.“ 309 Letztlich steht dies für eine spezifische Weisheit, zu der Clemens als Beispiel für die entsprechende Praxis bei den Griechen auch die Spruchform der sieben Weisen zählt ( μηδὲν ἄγαν und γνῶθι σαυτόν ) und nicht nur die Symbole. Dies alles ist in verschiedener Weise nützlich: 305 Lateiner, Communication, 55f. 306 Vgl. dazu Clem. Al. Strom. 5,6,37ff.: Hut, Gewand und Leibrock Gottes. 307 Clem. Al. Strom. 5,8,45. Zu Verständnis der Allegorese: U. Schneider, Theologie als christliche Philosophie. Zur Bedeutung der christlichen Botschaft des Clemens von Alexandria, (Arbeiten zur Kirchengeschichte 73), Berlin 1999, 131ff. 308 Clem. Al. Strom. 5,7,41. 309 Clem. Al. Strom. 5,8,44,5; vgl. die andere Version: Sternbach, Gnom. Vat. 115. 105 Χρησιμώτατον ἄρα τὸ τῆς συμβολικῆς ἑρμηνείας εἶδος εἰς πολλά, καὶ πρὸς τὴν ὀρθὴν θεολογίαν συνεργοῦν καὶ πρὸς εὐσέβειαν καὶ πρὸς ἐπίδειξιν συνέσεως καὶ πρὸς βραχυλογίας ἄσκησιν καὶ σοφίας ἔνδειξιν. „Höchst nützlich ist also für Vieles das Verfahren, etwas durch Sinnbilder darzustellen; denn dieses Verfahren hilft mit bei der rechten Auffassung von Gott, bei der Frömmigkeit, bei dem Aufweis von Klugheit, bei der Schulung in kurzer Fassung der Rede, bei dem Beweis von Weisheit.“ 310 Zum Beleg zitiert er hierfür aus dem Grammatiker Didymos (Clem. Al. Strom. 5,8,46,2): σοφοῦ γὰρ τὸ χρῆσθαι τῇ συμβολικῇ φράσει δεξιῶς, φησὶν ὁ γραμματικὸς Δίδυμος, καὶ τὸ γνωρίσαι τὸ διὰ ταύτης δηλούμενον. „Denn es ist das Zeichen von Weisheit, wenn man die Symbolik geschickt anwendet, sagt der Grammatiker Didymos, und das, was durch sie gezeigt wird, erkennt.“ Zwischen dem Kontext, in den Herodot die Skythenbotschaft an Dareios setzt und demjenigen des Clemens - von welchem Pherekydes auch immer er das Beispiel hat -, ist eine solch große Gegensätzlichkeit zu erkennen, dass sie kaum erklärbar scheint. Während Clemens die Unterschiede zwischen den ‚Barbaren’ und den Griechen eher minimiert, sie jedenfalls auf einer nur graduell differierenden Entwicklungslinie einordnet, scheint Herodot sie eher noch schärfer herauszustellen, ja sie eigentlich zu übersteigern. 3. Maultiere und Hasen Die Ähnlichkeiten in der Reihenfolge, in der die Gaben der Botschaft in der ersten und zweiten Deutung aufgezählt werden und auch die Wörtlichkeiten der zweiten Deutung sprechen durchaus dafür, dass Herodot selbst den Pflug aus seiner Präsentation der Geschichte entfernt hat. Gerade auch die prominente Rolle, die der Pflug in dem von Herodot selbst als skythische Version der Gründungslegende des Volkes berichteten Mythos spielt (Hdt. 4,5,3), stärkt diese Vermutung. Ein Pflug, ein Joch, eine Streitaxt sowie eine Phiale, alles aus Gold, fielen vom Himmel und ließen sich nur von demjenigen der Königssöhne berühren, der tatsächlich als König ausersehen war. Eine solche Erklärung, die Herodot ein auktoriales Eingreifen in die Tradition zuweist, wird dann sinnvoll, wenn sich aus dem Kontext seiner Darstellung belegen lässt, dass sein Konstruktionsinteresse so gelagert war, dass der Pflug zu einem Widerspruch oder einer in seinem Kontext weniger schlüssigen Geschichte geführt hätte. Jedoch zeigt sich in beiden Texten eine Struktur, die auch bei anderen Autoren überliefert ist und dieselben Elemente verwendet: Grundsätzlich 310 Clem. Al. Strom. 5,8,46,1. 106 geht es um Weisheit, die kompetitiv bewertet oder bemessen wird. Dabei wird immer wieder darauf Bezug genommen, dass sowohl die Ägypter als auch die Skythen sich darin besonders auszeichneten. Dies wiederum kann nur aus der griechischen Diskussion über den Streit um die Alterspriorität zwischen Skythen und Ägyptern stammen. 311 Hierbei wird auch auf Anacharsis Bezug genommen (Joh. Lyd. De mens. 3,1 = Arr. = FGrHist 156 F 32), auch der Dareios-Zug wird teilweise erwähnt. Allerdings sind die Texte alle derart fragmentarisch überliefert, dass nicht mit Sicherheit zu sagen ist, welche Elemente insgesamt jeweils verwendet wurden. Die ausführlichste Fassung dieses Kontextes findet sich bei Strabon (7,3,9 [302-303]) mit einem langen Referat aus Ephorus (vgl. dazu oben S. 27f. ). Dieser wiederum hatte offenbar eine längere Liste von Erwähnungen, Zitaten und Meinungen zusammengestellt, um zu einer bereits in der Antike kontrovers gesehenen Ansicht Stellung zu nehmen. Die Ansicht, dass die Skythen das rechtschaffenste Volk überhaupt seien, war heftig umstritten. 312 Hier ist noch einmal auf die bereits angesprochene Kritik Strabons an Apollodor und Eratosthenes zurückzukommen (vgl. dazu oben S. 28f. ), die im Gegensatz zu ihm selbst, aber auch zu Poseidonius, auf den er sich mehrfach bezieht, behauptet haben, dass die Skythen bei Homer und den Älteren nicht erwähnt worden seien, auch die Grausamkeit ihrer Lebensweise nicht kannten. Stattdessen hätten sie die ‚rechtschaffensten Rossemelker’ etc. erfunden bzw. erdichtet (Strab. 7,3,6 [298]): ἔτι δὲ Σκυθῶν μὲν μὴ μεμνῆσθαι, πλάττειν δὲ ἀγαυούς τινας ἱππημολγοὺς καὶ γαλακτοφάγους ἀβίους τε … „ferner erwähnt er die Skythen nicht, erfinde aber irgendwelche ‚stolzen Pferdemelker’ und ‚Milchkostesser und Abier’ … “ 313 Um diesen Vorwurf zu entkräften, die Rossemelker, Milchesser und Abier seien eine Erfindung und hätten mit den Skythen nichts zu tun, zählt Strabon einige Autoren der Älteren auf, bei denen er die eindeutige Kenntnis der Skythen als der edlen Nomaden belegen kann. So nennt er Hesiod, und vor allem Aischylos, der sie als Hippake essende, rechtschaffene Skythen bezeichnet habe [ Strab. 7,3,7 [300]: ἀλλ' ἱππάκης βρωτῆρες εὔνομοι Σκύθαι. „Aber ‚Pferdekäseesser‘, wohlgeordnet lebende Skythen.“ (ÜS Radt) ] . 314 Den kritisierten Autoren wirft Strabon - wie schon gesagt - vor, dass sie generell die früheren Berichte der nomadischen Skythen als Erfindun- 311 Dazu ausführlich Ivantchik, Kolonisation, 213ff., aber auch 22ff., 26ff. Zu diesem Thema: Joh. Lyd. De mens. 3,1; Amm. Marc. 22,15,2; Pompeius Trogus/ Justin 2,1ff.; Aus Arrian von Nikomedia FGrHist 156 F 32 ergibt sich, dass Johannes Lydos für seine Ausführungen über die Skythen Arrian benutzt hat. Vgl. Ps.-Scymnus, Ad Nicom. Regem 855ff. Dazu ausf. oben Kap. I. 312 Ivantchik, Kolonisation, 18ff., bes. 33ff. 313 ÜS Radt. 314 Aischyl. Prom. Luom. frg. 198 Radt, vgl. dazu oben Kap. I. 107 gen abgetan oder entsprechende Erwähnungen für utopische Idealisierungen gehalten hätten. Dahinter steht eine Diskussion über das Idealbild des edlen Nomaden, und Strabons Erläuterungen ist zu entnehmen, dass Ephorus dabei eine besondere Rolle gespielt hat. 315 So unterscheidet er innerhalb der skythischen Völker eine Gruppe der besonders rohen Skythen und eben die, bereits von den früheren Autoren auch beschriebenen, die sich durch εὐκολία καὶ λιτότης καὶ δικαιοσύνη auszeichnen (Strab. 7,3,8 [301], s. dazu oben S. 27f. ). Neben den früheren nennt Strabon aber hauptsächlich Autoren aus dem 5. Jh.v.Chr., neben Aischylos noch Choirilos und Herodot. Strabon zitiert aus Choirilos einen Vers, mit dem Ephorus die besonderen Charakteristika der nomadische Lebensweise untermauert hatte als Beleg für ihre Besonderheit, die zu einer spezifischen Überlegenheit durch Unbesiegbarkeit und Weisheit führten. 316 Für die Unbesiegbarkeit galt der vergebliche Zug des Dareios als Beleg und für die Weisheit die Figur des Anacharsis (Strab. 7,3,9 [303]). Denselben Zusammenhang hat er auch bei Herodot gesehen (Strab. 7,3,8 [301]): Καὶ μάλιστα οἱ ἐγγὺς τοῖς Ὁμηρόυ χρόνοις τοιοῦτοί τινες ἧσαν καὶ ὑπελαμβάνοντο παρὰ τοῖς Ἕλλησιν ὁποίους Ὅμηρός φησιν. ὅρα δὲ ἃ λέγει Ἡρόδοτος περὶ τοῦ τῶν Σκυθῶν βασιλέως, ἐφ' ὃν ἐστράτευσε Δαρεῖος, καὶ τὰ ἐπεσταλμένα παρ' αὐτοῦ, ὅρα δὲ καὶ ἃ λέγει Χρύσιππος περὶ τῶν τοῦ Βοσπόρου βασιλέων τῶν περὶ Λεύκωνα. πλήρεις δὲ καὶ αἱ Περσικαὶ ἐπιστολαὶ τῆς ἁπλότητος ἧς λέγω καὶ τὰ ὑπὸ τῶν Αἰγυπτίων καὶ Βαβυλωνίων καὶ Ἰνδῶν ἀπομνημονευόμενα. διὰ τοῦτο δὲ καὶ ὁ Ἀνάχαρσις καὶ Ἄβαρις καί τινες ἄλλοι τοιοῦτοι παρὰ τοῖς Ἕλλησιν εὐδοκίμουν, ὅτι ἐθνικόν τινα χαρακτῆρα ἐπέφαινον εὐκολίας καὶ λιτότητος καὶ δικαιοσύνης. „Aber die vor uns und besonders die nicht weit von Homers Zeiten Lebenden waren wirklich solche Menschen und wurden von den Griechen auch für solche gehalten wie es Homer sagt. Man sehe, was Herodot über den Skythenkönig sagt, der gegen Dareios kämpfte und was jener diesem senden ließ. Sieh auch, was Chrysipp von den Königen des Bosporus und Leukon sagt. Von solcher 315 Ivantchik, Kolonisation, 28ff. behandelt diese Frage ganz ausführlich; er vertritt die These, dass die Idealisierung der nomadischen Skythen als edle Nomaden von rechtschaffener Gesinnung und einfacher Lebensweise erst mit Ephorus begonnen habe. Anders Ivantchik, Kolonisation, a.a.O. und vor allem Lévy, Naissance, 60ff., der ebenso wie E. Lévy, Les origines du mirage scythe, in: Ktema 6 (1981), 57-68, 45f. und Y.A. Dauge, Le Barbare; recherches sur la conception romaine de la barbarie et la civilisation, Brüssel 1981, die Idealisierung der Nomaden mit Homer beginnen lässt. 316 Strab. 7,3,9 [303] = Choirilos PEG I frg. 5: καλεῖ δὲ καὶ Χοιρίλον εἰπόντα ἐν τῇ διαβάσει τῆς σχεδίας ἣν ἔζευξε Δαρεῖος “μηλονόμοι τε Σάκαι, γενεᾷ Σκύθαι, αὐτὰρ ἔναιον Ἀσίδα πυροφόρον· Νομάδων γε μὲν ἦσαν ἄποικοι, ἀνθρώπων νομίμων. („Er beruft sich auf Choirilos, der bei der Überquerung der Schiffsbrücke, die Dareios angelegt hatte, sagt ... Und schafweidende Saker vom Skythengeschlecht; sie bewohnten Weizentragendes Asien, doch stammen sie von den Nomaden, Rechtlichen Menschen.“ (ÜS Radt)) Vgl. Aischyl. Eum. 700-703; Aischyl. Prom. vinct. 708-11; Aischyl. Prom. Luom. frg. 196 (Radt) (= Tragicorum Graec. Fragm. 3, 314); frg. 198 Radt (zu den beiden Fragmenten vgl. oben Kap. I ); Nikolaos von Damaskus FGrHist 90 F 104 = Joh. Stob. Anth. 3,1, 200. 108 Schlichtheit, von der ich spreche, sind auch die persischen Briefe und die Erinnerungen der Ägypter, Babylonier und Inder. Daher standen auch Anacharsis und Abaris und einige andere dieser Art bei den Griechen in hohem Ansehen, weil sie eine Prägung ihres Volkes in Bescheidenheit, Einfachheit und Gerechtigkeit zeigten.“ Strabon beschließt diesen Abschnitt damit, dass er noch einmal festhält, wie auch in seiner Kritik an Apollodor und Eratosthenes (7,3,6 [298-300 ] ), dass das Bild der Nomaden seit Homer bei den Griechen überliefert und keineswegs erfunden ist. Ganz anders aber Herodot: Nicht nur, dass er wahrscheinlich die Botschaft der Skythen an den Perserkönig in der oben beschriebenen Weise verkürzt hat, er gibt auch im weiteren Verlauf einen deutlichen Hinweis darauf, wo er die Skythen und ihre Besonderheiten in der schon zu seiner Zeit bekannten Tendenz zur Idealisierung einordnet: Kurz nach der Übergabe der Botschaft an Dareios scheinen sich die Skythen nun doch endlich einer Entscheidungsschlacht, die sie bisher so erfolgreich vermieden haben, stellen zu wollen. Kaum jedoch haben sie sich aufgestellt, läuft ein Hase durch ihre Reihen und sie beginnen damit, den Hasen zu jagen statt ihre Schlacht gegen die Perser zu schlagen! Dareios hört davon und Herodot lässt ihn nun sagen (Hdt. 4,134,2): „ Οὗτοι ὧνδρες ἡμέων πολλὸν καταφρονέουσι, καί μοι νῦν φαίνεται Γωβρύης εἶπαι περὶ τῶν Σκυθικῶν δώρων ὀρθῶς. Ὡς ὦν οὕτως ἤδη δοκεόντων καὶ αὐτῷ μοι ἔχειν, βουλῆς ἀγαθῆς δεῖ ὅκως ἀσφαλέως ἡ κομιδὴ ἡμῖν ἔσται τὸ ὀπίσω. “ „Diese Leute nehmen uns gar nicht ernst, und jetzt ist mir klar, dass Gobryas recht gehabt hat mit den Gaben der Skythen. Da auch ich sie nun verstehe, tut guter Rat not, wie wir, ohne zu straucheln, wieder herauskommen.“ 317 Gobryas bestätigt diese Einschätzung und schließt damit die Geschichte von der Übergabe der skythischen Botschaft erst ab. Denn nun tritt das persische Heer den Rückzug an, da Dareios die Vergeblichkeit und Unsinnigkeit seines Vorhabens begriffen hat. Die Verspottung der Perser durch die Skythen gehört, ebenso wie die Version der Botschaft an Dareios, sicher zu den ‚Anekdoten’, die von Erbse als von Herodot „geschaffen oder wenigstens in seinem Sinn umgestaltet“ bezeichnet worden sind. 318 Darin seien historische Urteile oder Vorgänge enthalten, die sie umspielen. Wie Erbse hervorgehoben hat, so fügen sich die ‚Anekdoten’ um Dareios zu einem einheitlichen Bild, dessen einzelne Aspekte gut aufeinander abgestimmt sind. Daraus folgt, dass es sich bei den ‚Anekdoten’ nicht um kuriose Geschichten oder die Herodot auch schon einmal unterstellte Geschwätzigkeit handelt, sondern um - in diesem Fall - die spöttisch-literarische Einkleidung Herodots eigener historischer Bewertung. 317 ÜS Erbse. 318 Erbse, Studien, 73. 109 Es geht hier nicht nur und wohl auch nicht in erster Linie um Dareios, sondern Herodot verspottet das zu seiner Zeit offenbar weit verbreitete Skythenbild. Die Idealisierung der nomadischen Lebensweise kritisiert er bereits in 4,46 und in den Kapiteln über Anacharsis greift er in 4,77 - wie unten in Kap. VI gezeigt werden wird - eine sehr kontroverse und auch politisch brisante Diskussion um Lebensstile als politische Ausdrucksformen auf. Die Weisheit des Nomaden Anacharsis ist der Rahmen, in den er in 4,77 die verschiedenen Stränge dieser Diskussion einspannt. In 4,131-134 jedoch nimmt Herodot, für seine Leser erkennbar an der Ironie der Hasengeschichte, die Idealisierung der Nomaden ins Visier (Hdt. 2,2,5): Ἕλληνες δὲ λέγουσι ἄλλα τε μάταια πολλὰ καὶ ὡς γυναικῶν τὰς γλώσσας ὁ Ψαμμήτιχος ἐκταμὼν τὴν δίαιταν οὕτως ἐποιήσατο τῶν παιδίων παρὰ ταύτῃσι τῇσι γυναιξί. „Die Hellenen aber erzählen noch sonst manch unnützes Zeug darüber und so auch, dass Psammetichos einigen Weibern die Zungen ausgeschnitten und bei diesen Weibern habe er dann die Kinder leben lassen.“ Wie andere, ihm nicht einleuchtende Erfindungen der Griechen und der Ionier, 319 ist offensichtlich die Idealisierung der Nomaden ein intellektueller Irrweg. Im Vergleich zu weiteren Teilen und Geschichten seines Werkes fällt hier aber auf, dass Herodot die symbolische Botschaft des Skythenkönigs, anders als sonst bei symbolhaltigen Ereignissen, so ausgiebig diskursiv präsentiert. Nicht selten verwendet Herodot Tiermetaphern, um bestimmte Personen und Ereignisse herauszuheben. 320 Ebenso wie die Bewunderung ( θωμάσια ) gehört dies zu den Markern, mit denen Herodot seine Leser auf bestimmte Besonderheiten, vor allem der natürlichen und menschlichen Gegebenheiten eines Landes oder einer Geschichte aufmerksam macht. 321 Darüber hinaus hat die Markierung der ‚Wunder’ und bewunderungswürdigen Taten (Hdt. Proömium: ἔργα μεγάλα τε καὶ θωμαστά ) aber noch eine andere, metanarrative Funktion: In der Beschreibung Libyens und der Skythen weist er auf die klimatisch bedingte Besonderheit hin, dass nämlich die Rinder in Libyen aufgrund der südlichen Wärme besonders starke Hörner haben, bei den Skythen jedoch keine oder verkümmerte, da die nördliche Kälte dies verhindere. 322 Aus demselben Grund könnten auch Maultiere und Esel bei den Skythen nicht gedeihen. Soweit entspricht dies durchaus dem klimatisch-geographischen Schema, aber Herodot fügt eine kleine Abschweifung hinzu: Er wundert sich, warum in Elis, obwohl es 319 Erbse, Studien, 116 320 Erbse, Studien, 244f. zu der Löwenmetapher. 321 Munson, Wonders, 247f.; H. Barth, Zur Bewertung und Auswahl des Stoffes durch Herodotus (Die Begriffe θῶμα , θωμάσιος und θωμαστός ), in: Klio 50 (1968), 93-110 mit der älteren Literatur. 322 Hdt. 4,29; vgl. Aer. 18,3. 110 dort nicht kalt sei, eine Maultierzucht auch nicht möglich sei (Hdt. 4,30). 323 Die Bewohner von Elis trieben, wie er an dieser Stelle seinen Lesern mitteilt, ihre Stuten immer in die Nachbargebiete, ließen sie dort trächtig werden und brachten sie erst danach wieder zurück nach Elis! Maultier und Esel spielen nun auch eine entscheidende Rolle, als Dareios den überstürzten Rückzug seines Heeres organisiert, nachdem er endlich den wirklichen Sinn der Botschaft des Skythenkönigs begriffen hatte. Mit ihnen rahmt Herodot den eigentlich mißlungenen Skythenfeldzug des Dareios ein. Auch wieder als ein θῶμα μέγιστον markiert, erzählt Herodot, wie die Perser anfangs einen kleinen Vorteil daraus ziehen konnten, dass die Pferde der Skythen von dem Geschrei der Esel und Maultiere irritiert waren und scheuten (Hdt. 4,129). Es folgen dann die Geschichte der symbolischen Botschaft der Skythen von Maus, Vogel, Pfeil und Pflug an Dareios und die beiden Interpretationen durch Dareios und Gobryas sowie die Hasenepisode. Danach begreift nun Dareios seinen Irrtum und sieht die Erfolglosigkeit seines Feldzuges ein. Diesmal hört er auf den Rat des Gobryas (Hdt. 4,134), der ihm empfiehlt, um den Rückzug zu verdecken, nicht nur die Schwächsten, sondern vor allem die Esel im Lager zurückzulassen! Deren Geschrei habe nun, so Herodot (4,135), tatsächlich die Skythen erfolgreich abgelenkt, so dass dem persischen Heer wenigstens noch der Rückzug gelang. Als Omen und Attribute verwendet Herodot das Maultier - sowohl für die Perser als auch für die Griechen - an einigen Stellen seines Werkes, um soziale Inferiorität, Unterlegenheit oder aber auch einfach ein göttlich vermitteltes Zeichen symbolisch hervorzuheben: 324 So erhält etwa Kroisos auf seine dritte Anfrage in Delphi hin die Antwort, dass er fliehen solle, wenn ein Maultier König der Meder werde (Hdt. 1,55). Da Kroisos das für eine Unmöglichkeit hält, wähnt er sich auf dem Siegespfad. Die Möglichkeit des metaphorischen Sinns einer medisch-persischen Mischabkunft (Hdt. 1,91,5) entgeht ihm in seiner Hybris völlig. Dies wird ihm auch von der Pythia vorgehalten, als Kroisos seinem Geschick erlegen und von Kyros besiegt worden ist, sich jedoch gleichwohl über das missverständliche Orakel beschwert (Hdt. 1,91,5 φ .): ἦν γὰρ δὴ ὁ Κῦρος οὗτος ἡμίονος· ἐκ γὰρ δυῶν οὐκ ὁμοεθνέων ἐγεγόνεε, μητρὸς ἀμείνονος, πατρὸς δὲ ὑποδεεστέρου· ἡ μὲν γὰρ ἦν Μηδὶς καὶ Ἀστυάγεος θυγάτηρ τοῦ Μήδων βασιλέος, ὁ δὲ Πέρσης τε ἦν καὶ ἀρχόμενος ὑπ’ ἐκείνοισι, καὶ ἔνερθε ἐὼν τοῖσι ἅπασι δεσποίνῃ τῇ ἑωυτοῦ συνοίκεε. „Denn das Maultier war doch eben Kyros; von zwei Eltern ungleichen Stammes nämlich ist er geboren, die Mutter war vornehm, der Vater gering. Sie war Mederin und die Tochter des Astyages, des Königs der Meder, er aber Perser und 323 ἡμίονος heißt streng genommen lediglich ‚Halbesel’, aber Herodot meint in der Eleier-Geschichte eindeutig Maultiere und keine Maulesel, insofern sind wahrscheinlich vorher auch Maultiere gemeint. 324 Munson, Wonders, 249 und 50. Vgl. Hdt. 3,151,2 mit 3,153 und 7,57,2. 111 Untertan der Meder, und obwohl in allem geringer, hatte er seine Herrin zur Frau erhalten.“ Im Unterschied dazu zeigt Herodot im Fall des Dareios bei den Skythen (s.o. zu der Botschaft), dass in diesem Fall das metaphorische Verstehen nicht immer der Weg zum Verständnis ist, sondern dass den Skythen gegenüber das ganz wörtliche Auslegen der Tiersymbolik richtig ist. Da Herodot so ausdrücklich betont, dass es bei den Skythen keine Maultiere gebe, sie diese nicht einmal kennen, andererseits den zentralen Kern des Feldzuges, nämlich die Botschaft der Skythen von Maus, Vogel, Pfeil und Pflug an Dareios, mit Esel- und Maultierszenen einrahmt, wird deutlich, dass er die Esel- und Maultiersymbolik hier verwendet, um die Skythenbotschaft in einen bestimmten Kontext zu setzen. Genauso wie er die Kampfkraft des persischen Heeres durch die Hasenjagd der Skythen desavouiert, so zieht er umgekehrt auch die Skythen durch die Esel- und Maultierlist der Perser ins Lächerliche. Als Nomaden mögen sie zwar unbesiegbar sein, doch lassen sie sich auch durch recht einfache Mittel täuschen, wenn ihnen deren Kontext unbekannt ist. Herodot verwendet Esel und Maultier als kulturell-zivilisatorische Symbolik, um ein Phänomen zu beschreiben, das die Nomaden nicht kennen und dem sie eher hilflos und naiv gegenüberstehen. Generell verwendet Herodot Tiere als Symbole für eine Brücke zwischen göttlicher und menschlicher Ebene, aber auch als Mittler zwischen Ethnographie und Historie. 325 Das bekanntere Beispiel für diese Methode ist seine Löwenmetapher. 326 Als Xerxes gegen Griechenland marschiert, greifen in Thrakien Löwen das persische Heer an (Hdt. 7,125). Für Herodot ist dies ein θῶμα , also sein Signal an den Leser, dass es aufzumerken gilt: Er berichtet, dass nur die Kamele, keine anderen Tiere von den Löwen angegriffen worden seien. Er betont, dass es ausgerechnet diese Tiere in dem Tross des Xerxes-Heeres gewesen seien, die zum Opfer der Löwen wurden und das, obwohl die Löwen sie nie vorher gesehen hatten. 327 Die Kamele sind im Heer als Transporttiere eingesetzt, repräsentieren also den Nachschub und damit den Kern der logistischen Basis des Feldzuges. Gleichzeitig sind sie das exotischste Element des persischen Heeres und können etwa beim Gegner durch ihre Fremdheit für Erschrecken und Verwirrung sorgen, wie umgekehrt auch die Maultiere bei den Skythen. So hat etwa Kyros sie eingesetzt, um die lydischen Pferde zu erschrecken und Kroisos 325 Munson, Wonders, 244. 326 Zur der ambivalenten Bedeutung des Löwen allgemein in der antiken Tiersymbolik: Munson, Wonders, 244ff.; vgl. zu dem Traum der Agariste: H. Strasburger, Herodot und das perikleische Athen, in: Historia 4 (1955), 1-25. Vgl. auch Bodei Giglioni, Erodoto e i sogni di Serse, 48. 327 Munson, Wonders, 245 betont, dass Herodot den Kern der Geschichte an dieser Stelle dreimal wiederholt. 112 in Sardis zu besiegen. 328 Die Kamele stehen als Synekdoche für die Perser, die Löwen hingegen sind die Vorboten des griechischen Sieges. 329 Die Tiermetaphern und ihre Markierung durch das vom Erzähler hervorgehobene θῶμα verweisen auf eine Metaebene, auf der Herodot seinen Lesern Dinge von grundsätzlicher Bedeutung vermittelt wie Schuld und Sühne, die darin liegende Verletzung des metaphysischen Gleichgewichts sowie auch dessen Ausgleich und Wiederherstellung. Auf der Metaebene des Erzählers Herodot lässt sich hier die Kritik an dem Idealbild des einfachen Nomaden erkennen. Er bindet sie jedoch in zwei sehr unterschiedliche Repräsentationssysteme ein. So gehören Hase und Esel/ Maultier - wie insbesondere an dem Orakelspruch zu Kyros erkennbar, den Kroisos so spektakulär falsch interpretiert - zu einem kulturell klar griechisch konnotierten Code, den Herodot in seiner Darstellung ebenso wie andere Tiermetaphern (z.B. den Löwen) nicht erklären muss. Demgegenüber ist die Botschaft des Skythenkönigs, auch und gerade in der Tiersymbolik, von Herodot diskursiv und sogar kontrovers unterlegt in einer Art, wie es bei den rein griechisch konnotierten Symbolen nicht begegnet. Aus diesem so klar hervorgehobenen Unterschied lässt sich zumindest im Kern eine gewisse Historizität für die Botschaft des Skythenkönigs sichern, wenngleich, wie die Abweichungen in den verschiedenen Strängen der Überlieferung zeigen, nicht alle Einzelheiten stimmen können. Auch die Interpretationen, die Herodot präsentiert, geben sehr viel eher die griechische Sicht wieder als eine originär skythische. Daran zeigt sich, dass Herodot eine Grenze im metaphorischen Verstehen markieren will, mit der er einerseits seine Kritik an dem - aus seiner Sicht - viel zu simplen, idealisierten Nomadenbild verdeutlichen und andererseits die Grenze aufzeigen will zwischen der kulturell bestimmten Lebenswelt der Sesshaften und derjenigen der nomadischen Skythen. Herodot verwendet die Zusammenstellung von Maultieren und Hasen in symbolischer Form an zwei herausgehobenen Punkten seines Werkes: Im Rahmen der Skythenexpedition, 330 die das Scheitern des großangelegten Eroberungsplanes des Dareios markiert und im Kontext der Hellespontüberschreitung des Xerxes. Als Xerxes Asien verlässt und sein gewaltiges Heer nach Europa übergesetzt hat, berichtet Herodot folgende Vorzeichen (Hdt. 7,57,1-2): ὡς δὲ διέβησαν πάντες, ἐς ὁδὸν ὁρμημένοισι τέρας σφι ἐφάνη μέγα, τὸ Ξέρξης ἐν οὐδενὶ λόγῳ ἐποιήσατο καίπερ εὐσύμβλητον ἐόν· ἵππος γὰρ ἔτεκε λαγόν. εὐσύμβλητον ὦν τῇδε [ τοῦτο ] ἐγένετο, ὅτι ἔμελλε μὲν ἐλᾶν στρατιὴν ἐπὶ τὴν Ἑλλάδα Ξέρξης ἀγαυρότατα καὶ μεγαλοπρεπέστατα, ὀπίσω δὲ περὶ ἑωυτοῦ τρέχων ἥξειν ἐς τὸν αὐτὸν χῶρον. [2] ἐγένετο δὲ καὶ ἕτερον αὐτῷ τέρας ἐόντι ἐν 328 Hdt. 1,80. 329 Munson, Wonders, 245. 330 Hdt. 4,129 und 4,134; vgl. dazu oben Kap. IV 1. 113 Σάρδισι· ἡμίονος γὰρ ἔτεκε ἡμίονον διξὰ ἔχουσαν αἰδοῖα, τὰ μὲν ἔρσενος τὰ δὲ θηλέης· κατύπερθε δὲ ἦν τὰ τοῦ ἔρσενος. „Und als sie alle hinübergegangen waren und sich auf den Weg machten, erschien ihnen ein großes Zeichen, das Xerxes nicht beachtete, obwohl es gut zu deuten war, nämlich dass ein Pferd einen Hasen zur Welt brachte. Dies war also leicht zu deuten: Xerxes wollte in aller Pracht und Herrlichkeit ein Heer gegen Griechenland führen, und er würde zu demselben Ort zurückkommen wie ein Hase auf der Flucht. [2] Es widerfuhr ihm noch ein anderes Zeichen, als er noch in Sardis war: Ein Maultier brachte ein Maultier zur Welt, das zweierlei Geschlechtsteile hatte, männliche und weibliche, oben aber saßen die männlichen.“ Sowohl die Fruchtbarkeit des Hasen als auch die Unfruchtbarkeit des Maultiers werden hier von Herodot in der symbolischen Bedeutung dem Leser ausführlich dargelegt, ja sogar erklärt. Aber die metanarrative Ebene, die eigentliche metaphorische Repräsentation, wird erst deutlich, wenn man das Scheitern des Dareios und dasjenige des Xerxes zusammen betrachtet. Für beide gilt, dass Maultier und Hase in dieser eigentümlichen Kombination als Zeichen eine Grenzüberschreitung markieren. Der Abstand zur Faktizität ist hierbei so groß, dass er nur noch als bewusstes Spiel mit den Erwartungen des Lesers gedeutet werden kann, indem Verblüffung und Erstaunen provoziert werden sollen. Dass dies ein gezielt konstruierter Effekt ist, ergibt sich aus der ungewöhnlichen und auch nicht unmittelbar eingängigen Kombination der Tiersymbolik von Maultier und Hase. Maultier und Hase zeigen durch ihre Gegensätzlichkeit eine strukturelle Verbindung: Das Maultier steht für Unfruchtbarkeit, der Hase für eine außerordentliche Fruchtbarkeit. So wird den Persern bei der Belagerung Babylons gesagt (Hdt. 3,151): Πυθόμενος δὲ ταῦτα ὁ Δαρεῖος καὶ συλλέξας ἅπᾶσαν τὴν ἑωυτοῦ δύναμιν ἐστρατεύετο ἐπ’ αὐτούς, ἐπελάσας δὲ ἐπὶ τὴν Βαβυλῶνα ἐπολιόρκεε φροντίζοντας οὐδὲν τῆς πολιορκίης. ἀναβαίνοντες γὰρ ἐπὶ τοὺς προμαχεῶνας τοῦ τείχεος οἱ Βαβυλώνιοι κατωρχέοντο καὶ κατέσκωπτον Δαρεῖον καὶ τὴν στρατιὴν αὐτοῦ, καί τις αὐτῶν εἶπε τοῦτο τὸ ἔπος· Τί κάτησθε, ὦ Πέρσαι, ἐνθαῦτα, ἀλλ’ οὐκ ἀπαλλάσσεσθε; τότε γὰρ αἱρήσετε ἡμέας, ἐπεὰν ἡμίονοι τέκωσι. τοῦτο εἶπε τῶν τις Βαβυλωνίων, οὐδαμὰ ἐλπίζων ἂν ἡμίονον τεκεῖν. „Als Dareios das erfuhr, sammelte er seine ganze Macht und rückte gegen sie aus, und als er nach Babylon gekommen war, belagerte er es. Die Babylonier aber kümmerten sich nicht um die Belagerung, sondern stiegen auf die Zinnen der Mauern und tanzten und verspotteten Dareios und sein Heer, und einer von ihnen sprach dies Wort: «Warum sitzt ihr hier, Perser, und geht nicht lieber nach Hause? Denn uns werdet ihr dann bekommen, wenn Maultiere werfen.» Das sagte einer von den Babyloniern, weil er glaubte, ein Maultier werde niemals werfen.“ Zopyros aber hat demgegenüber eine Erscheinung (Hdt. 3,153): Ἐνθαῦτα εἰκοστῷ μηνὶ Ζωπύρῳ τῷ Μεγαβύζου τούτου ὃς τῶν ἑπτὰ ἀνδρῶν ἐγένετο τῶν τὸν μάγον κατελόντων, τούτου τοῦ Μεγαβύζου παιδὶ Ζωπύρῳ 114 ἐγένετο τέρας τόδε· τῶν οἱ σιτοφόρων ἡμιόνων μία ἔτεκε. ὡς δέ οἱ ἐξαγγέλθη καὶ ὑπὸ ἀπιστίης αὐτὸς ὁ Ζώπυρος εἶδε τὸ βρέφος, ἀπείπας τοῖσι ἰδοῦσι μηδενὶ φράζειν τὸ γεγονὸς ἐβουλεύετο. Καί οἱ πρὸς τὰ τοῦ Βαβυλωνίου ῥήματα, ὃς κατ’ ἀρχὰς ἔφησε, ἐπεάν περ ἡμίονοι τέκωσι, τότε τὸ τεῖχος ἁλώσεσθαι, πρὸς ταύτην τὴν φήμην Ζωπύρῳ ἐδόκεε εἶναι ἁλώσιμος ἤδη ἡ Βαβυλών· σὺν γὰρ θεῷ ἐκεῖνόν τε εἰπεῖν καὶ ἑωυτῷ τεκεῖν τὴν ἡμίονον. „Da, im zwanzigsten Monat, geschah dem Zopyros, dem Sohn jenes Megabyzos, der einer von den sieben Männern war, die den Mager erschlugen, diesem Zopyros, Sohn des Megabyzos, geschah folgendes Zeichen: Eins von den Maultieren seines Trosses warf ein Fohlen. Und als ihm das gemeldet wurde, wollte Zopyros es nicht glauben; als er das Fohlen aber mit eigenen Augen sah, verbot er denen, die es sehen, irgend jemand davon zu sagen, und überlegte sich die Sache. Und nach dem Wort des Babyloniers, der gleich anfangs gesagt hatte, wenn Maultiere würfen, dann werde die Mauer genommen werden, nach dieser Wahrsagung glaubte er, nun könne Babylon fallen. Denn nicht ohne höheres Wirken habe jener das gesagt und bei ihm ein Maultier geworfen.“ Die allgemeine Vorstellung war eben, dass Maultiere als Hybride unfruchtbar sind. Von den Hasen dagegen heißt es, sie seien ganz besonders fruchtbar. Und der Hase sei auch das einzige Tier, bei dem das Weibchen noch einmal empfangen kann, auch wenn es schon trächtig ist (Hdt. 3,108). Neben der in der Antike viel diskutierten Annahme der Superfetation wird hier deutlich gemacht, dass die Fruchtbarkeit des Hasen auch ein Ausdruck der göttlichen Vorsehung ist, die so das Überleben einer von der Jagd durch andere Tiere besonders gefährdeten Art sichert. Insofern geht es bei den Vorzeichen und Orakeln, die sich dieser Tiersymbolik bedienen, vordergründig um die Fähigkeit oder Unfähigkeit des Menschen, solche Zeichen als Ausdruck göttlicher Vorsehung zu erkennen. Dahinter steht jedoch ein komplexerer Zusammenhang. Herodot verwendet Hasen und Maultiere, wobei hier die Esel durchaus subsumiert werden können, auch im weiteren Kontext menschlicher Fertigkeiten und Listen. So begegnen Maultiere bzw. Esel als Vehikel bei Peisistratos’ erster Machtergreifung (Hdt. 1,59), im Zusammenhang der Geschichte von Rhampsinites (Hdt. 2,121), bei Kleisthenes von Sikyons Phylenreform (Hdt. 5,68) und natürlich in der schon beschriebenen Auseinandersetzung zwischen Dareios und den Skythen (Hdt. 4,129 und 4,134). Diese Geschichten, in denen die Hasen als Vehikel der menschlichen List oder wie die Maultiere als Symbol auftreten, 331 verweisen alle zusätzlich auch auf einen anderen Kontext als das Auftreten der beiden Tiere in Flüchen, Orakeln und auch als die im Zusammenhang der geographischen Klimatheorien (Hdt. 4,28; 4,191-92). 332 Zu der eher einfachen Ebene der Tiersymbolik tritt näm- 331 Hasen im Zusammenhang mit List: Hdt. 1,123f.; Hasen als Symbol: Hdt. 4,134. 332 Maultiere und Esel in Verbindung mit List: Hdt. 1,59; 2,121; 4,129 und 4,134; 5,68. Vgl. Diog. Laert. 1,82 zu Bias von Priene und Alyattes. Maultiere und Esel in Orakeln und Flüchen bzw. im Zusammenhang göttlicher Sanktionen: Hdt. 1,55f. und 1,91; 115 lich eine Ebene des allegorischen Gebrauchs der Maultier- und Hasengeschichten. Denn die List steht hier generell für die menschliche Fähigkeit, die Natur zu manipulieren, indem etwa im Fall des Maultiers für den Menschen eine nützliche Kreuzung verschiedener Tierrassen gezüchtet wird, oder klimatisch-geographische Zusammenhänge nicht nur erkannt, sondern auch zu den eigenen Gunsten gewendet werden. Im Fall des Einsatzes der Maultiere, die die Skythen täuschen und den Rückzug des persischen Heeres ermöglichen, setzt die ganze Aktion immerhin voraus, dass man über die Unkenntnis der Skythen im Hinblick auf die Maultiere Bescheid wusste und auch darüber, dass sie, wenn Pferde nicht an Maultiere gewöhnt sind, diese in Panik versetzen. Ähnlich lässt sich auch der Umgang der Eleer mit der bei ihnen auftretenden Problematik der Maultierzucht einordnen. Maultiere, aber auch die Hasen, die an vergleichbaren Stellen auftreten, können so als Allegorie auf die menschliche Weisheit verstanden werden: Diese Weisheit ermöglicht Menschen das Erkennen göttlicher Zeichen. Doch da Menschen meist zu verblendet sind, um die göttlichen Zeichen oder auch Orakel deuten zu können, ist dies ungewöhnlich und von daher auch hervorhebens- und bewundernswert. Denn wenn es manchen Menschen gelingt, dann führt es sie auch zum klaren Erfolg wie die Geschichten von Zopyros und den Eleiern zeigen. Herodot schreibt nun ausdrücklich, dass es bei den Nomaden, sowohl den Skythen als auch den Libyern, 333 keine Maultiere gäbe, da das Klima eine solche Zucht verhindern würde. Hasen jedoch scheint es reichlich zu geben; das Motiv der Hasenjagd, die statt der Schlacht gegen die Perser stattfindet, hebt dies deutlich hervor. Andererseits betont er die allgemein akzeptierte Weisheit der Skythen, wenngleich sie ihm nicht besonders behagt. Vordergründig scheint dies der Interpretation von Maultier und Hase als Allegorie der Weisheit bei den Griechen und Persern zu widersprechen: Denn es gibt zwar offensichtlich reichlich Hasen bei den Skythen, aber eben keine Maultiere! Hier ist wieder auf die tiefgreifende Differenz zurückzukommen, die Herodot zwischen dem zivilisatorisch geprägten Kulturraum der Sesshaften und demjenigen der Nomaden annimmt. Griechen und Perser bewegen sich in einem als kulturell einheitlich zu verstehenden Raum, jedenfalls nimmt Herodot keine wirklich allzu grundlegenden Verschiedenheiten religiöser, kultischer oder mythischer Art an. Demgegenüber betont er an vielen Stellen die grundsätzlich andere Art der Nomaden. Die metanarrative Struktur in dem allegorischen Gebrauch von Hase und Maultier, um damit die Eingebundenheit des Menschen in die ambivalente Beziehung zwischen Göttern und Menschen zu beschreiben, spaltet er im Fall der Nomaden nun eindeutig auf: Der Hase als Symbol für Fruchtbarkeit tritt bei den 3,154; 4,30; 7,57. Maultiere und Esel in geographischen Klimatheorien: Hdt. 4,28 und 191f. 333 Hdt. 4,28-29; 4,191-92. 116 Nomaden auf, Rinder aber nur ohne Hörner, Maultiere überhaupt nicht, ein entsprechend listenreicher Einsatz dieser Tiere im nomadischen Kontext ist dann natürlich auch nicht möglich. Einen Schlüssel, wie Herodot den Zusammenhang hier deuten möchte, gibt er in 4,46: Die Weisheit der Nomaden bezieht sich auf ihre extrem gute Anpassung an die naturräumlichen Gegebenheiten ihrer Umgebung, weil sie weder Städtenoch Ackerbau betreiben. Indem sie auf die Charakteristika der zivilisatorischen Errungenschaften verzichten - denn Herodot beschreibt dies als aktiv herbeigeführte, gewollte Lebensweise, nicht etwa als einen aus den Umständen gewordenen Prozess - werden sie unbesiegbar. Nur die Aussage, dass niemand ihnen entkommen kann, der einmal gegen sie gezogen ist, wird durch den erfolgreichen Rückzug des Dareios widerlegt. Demnach ist Dareios etwas gelungen, das vor ihm noch niemandem gelungen war, nämlich den Skythen zu entkommen! Dass er dies mit Hilfe des Wissens um die Unkenntnis und der daraus erwachsenden Irritation durch das Geschrei der Esel und Maultiere erreicht, verweist auf eine in der Allegorie auch zum Ausdruck kommende Ambivalenz: Maultiere stehen hier für den kulturellen Unterschied, die bei den Persern wie den Griechen vorhandene Fähigkeit, über Manipulationen oder Veränderungen der Natur Vorteile zu erreichen, Hasen stehen für die Natur, die in ihrer Fruchtbarkeit das stete Wachstum symbolisiert. Die skythische Weisheit kann also in keinem Fall dem entsprechen, was auf griechischer und persischer Seite als Weisheit charakterisiert wird, sondern sie kann nur in dem Zusammenhang verstanden werden, den Herodot in 4,46 beschreibt und der auf die naturräumliche Prägung der Umgebung zurückgeht. Die Skythen passen sich ihrer Umgebung an und leben so, dass sie im Einklang mit ihrer Natur die höchstmögliche Sicherheit und Freiheit erreichen. Auch ihre Beziehung zu den Göttern beruht auf der darin liegenden Konstanz, denn jede Veränderung dieses in der Anpassung an die Umgebung zum Ausdruck kommenden Gleichgewichts würde eine Gefahr bedeuten. Daher wird auch der Versuch des Anacharsis, einen neuen Kult einzuführen, sofort mit dem Tod geahndet (s.u. Kap. VI). Die Griechen und Perser hingegen verändern die Natur mit List und Können, so dass sie durchaus auch in ihrer Beziehung zu den Göttern Neues schaffen können. Die darin liegende Dynamik ist jedoch gefährlich und führt oft zum Scheitern. 117 V Skythische Seher: Ambiguität der Weisheit 1. Plausibilisierungsstrategien: Wahrscheinlichkeit und Schicksal Die Erkundung der Wahrheit ist das große Thema des 5. Jahrhunderts und die Strategien, die von Philosophen, Naturforschern und Historikern dazu entwickelt oder auf der Basis von Vorgängern verfeinert wurden, sind vielgestaltig. Insbesondere das große Werk Herodots eröffnet verschiedene Perspektiven, doch zeigen gerade Anfang und Ende eine Verschränkung, die sich zwar für den Anfang besonderer Aufmerksamkeit erfreut hat, deren Beziehung auf das Ende hin jedoch bisher wenig oder gar nicht in diesem Zusammenhang betrachtet wurde. Ob Herodot sein Werk überhaupt mit einem als solchen zu bezeichnenden Ende im Sinn eines Epilogs, einer Zusammenfassung oder Vergleichbarem versehen hat, ist allerdings nach wie vor strittig. Die letzte Passage 9,122 beschreibt einen Ratschlag, den Artayktes den Persern gegeben habe und den sie aber auf den Rat des Kyros hin nicht befolgten (Hdt. 9,122): Τούτου δὲ τοῦ Ἀρταΰκτεω τοῦ ἀνακρεμασθέντος προπάτωρ Ἀρτεμβάρης ἐστὶ ὁ Πέρσῃσι ἐξηγησάμενος λόγον τὸν ἐκεῖνοι ὑπολαβόντες Κύρῳ προσήνεικαν λέγοντα τάδε· ἐπεὶ Ζεὺς Πέρσῃσι ἡγεμονίην διδοῖ, ἀνδρῶν δὲ σοί, Κῦρε, κατελὼν Ἀστυάγην, φέρε, γῆν γὰρ ἐκτήμεθα ὀλίγην καὶ ταύτην τρηχέαν, μεταναστάντες ἐκ ταύτης ἄλλην σχῶμεν ἀμείνω. εἰσὶ δὲ πολλαὶ μὲν ἀστυγείτονες, πολλαὶ δὲ καὶ ἑκαστέρω, τῶν μίαν σχόντες πλέοσι ἐσόμεθα θωμαστότεροι. οἰκὸς δὲ ἄνδρας ἄρχοντας τοιαῦτα ποιέειν· κότε γὰρ δὴ καὶ παρέξει κάλλιον ἢ ὅτε γε ἀνθρώπων τε πολλῶν ἄρχομεν πάσης τε τῆς Ἀσίης; Κῦρος δέ, ταῦτα ἀκούσας καὶ οὐ θωμάσας τὸν λόγον, ἐκέλευε ποιέειν ταῦτα, οὕτω δὲ αὐτοῖσι παραίνεε κελεύων παρασκευάζεσθαι ὡς οὐκέτι ἄρξοντας ἀλλ' ἀρξομένους· φιλέειν γὰρ ἐκ τῶν μαλακῶν χώρων μαλακοὺς ἄνδρας γίνεσθαι· οὐ γάρ τι τῆς αὐτῆς γῆς εἶναι καρπόν τε θωμαστὸν φύειν καὶ ἄνδρας ἀγαθοὺς τὰ πολέμια. ὥστε συγγνόντες Πέρσαι οἴχοντο ἀποστάντες, ἑσσωθέντες τῇ γνώμῃ πρὸς Κύρου, ἄρχειν τε εἵλοντο λυπρὴν οἰκέοντες μᾶλλον ἢ πεδιάδα σπείροντες ἄλλοισι δουλεύειν. „Ein Vorfahr dieses Artayktes, der damals gekreuzigt wurde, ist jener Artembares, der den Persern den Vorschlag machte, den sie annahmen und vor Kyros brachten. Dieser Vorschlag lautete: „Da Zeus, nachdem er Astyages stürzte, den Persern die Herrschaft gegeben hat und vor allen Männern aber dir, Kyros, wohlan, so wollen wir unser Land, weil es klein und rauh ist, verlassen, und ein anderes nehmen, das besser ist. Viele Länder liegen in unserer Nachbarschaft, viele aber auch in größerer Ferne. Wenn wir eins von diesen erobern, werden wir noch mehr als jetzt bewundernswert sein; so ist es plausibel [wahrscheinlich/ richtig] für ein herrschendes Volk. Denn wann werden wir dazu eine bessere Gelegenheit finden als jetzt, wo wir über viele Völker und ganz Asien herrschen? “ Als Kyros das hörte, wunderte er sich nicht über diesen Vorschlag und meinte, sie sollten das nur machen, riet ihnen aber, sich darauf gefasst zu machen, aus Herren zu Knechten zu werden. Denn weichliche Länder pflegten 118 auch weichliche Männer hervorzubringen; es könnte nicht dasselbe Land zugleich herrliche Früchte und tapfere Krieger hervorbringen. Die Perser sahen das ein; sie nahmen von ihrem Plan Abstand und gingen heim, denn Kyros hatte sie überzeugt. Sie wollten lieber in einem mageren Land herrschen als auf fruchtbarer Ebene säend anderen Knechte zu sein.“ Dazu heißt es in der Einführung, die Asheri seinem großen Kommentarwerk vorangestellt hat, sehr apodiktisch (2007, 10f.): „Ends, or rather breaks off. At least an epilogue is missing.“ 334 Zu einer ganz anderen Einschätzung war 1908 Macan in seinem Kommentar gekommen (ad loc. 831): „As argument, the conclusion looks, at first sight, oddly infelicitous for the last word of a record, which has exhibited in unsparing colours the attempt of the Persians to extend their empire over Hellas, an attempt ending in failure and flight, the prelude to further loss and forfeiture. … He is too delicate to dictate to the Greeks, or it may be the Athenians; but the lesson is there for those who have ears to hear. It is at once the rationale of the Greek success, and a call to future expansion. …“ Dieses letzte Kapitel der Historien bezieht sich aber nun so deutlich auf das Proömium, 335 dass von einem Abbruch des Werks nicht die Rede sein kann. In den Geschichten von den ersten Entführungen der Frauen schildert Herodot das Überschreiten der Grenzen der jeweiligen Sphäre von Asien und Europa. In einer dritten, seiner eigenen Version, führt er zusätzlich noch Kroisos ein, jedoch mit der bemerkenswerten Begründung, dass er als erster den Griechen die Freiheit genommen habe (1,6,3). So verbindet er am Anfang seines Werkes die αἰτία des Konfliktes zwischen Griechen und Persern einerseits mit der Freiheit bzw. dem Verlust derselben, andererseits mit dem Überschreiten der Grenze der eigenen Region. 336 334 Asheri fährt dann fort: „A work of this scope could not end with an incidental anecdote, inspired in turn by another anecdote about a minor character. Herodotus is perfectly able, when he so wishes, to write introductions and epilogues. Cyrus’ last maxim is not a didactic ‚message’ which can serve to conclude and unify the entire work, nor does the episode at Sestos endeavour to symbolize the re-establishment of the natural boundaries between Europe and Asia, which Darius and Xerxes had attempted to obliterate. … Herodotus’ work is technically unfinished; … The main narrative concerning the events of 479 BC ends at chapter 121 with the clearly concluding phrase ‚and nothing else happened that year’. … After all, the occupation of Sestos could appear sufficiently significant as a conclusion to the two years of ‚Persian wars’. … Thus, though technically unfinished, we may also consider Herodotus’ work complete.“ 335 So auch Immerwahr, Aspects, a.a.O. 336 Zu der Vorstellung, welche Regionen zu Asien und Europa gehören und welche Aufteilung der Welt von Herodot favorisiert wird, vgl. Schubert, Konstruktionsprinzipien. 119 Auf diesen Gedanken kommt er 9,122 wie in einer großen Ringkomposition wieder zurück. 337 Denn der Kern des Anliegens, mit dem die Perser zu Kyros kommen, ist, das eigene Land zu verlassen zugunsten eines anderen, fruchtbareren und reicheren Gebietes, und zwar eines fernliegenden, noch zu erobernden Landes. Dass damit ein Land oder eine Region außerhalb von Asien gemeint sein muss, erweist sich aus der als status quo konstatierten Herrschaft über ganz Asien. Davon kann Kyros sein Volk abhalten, indem er ihnen den Zusammenhang zwischen den klimatischgeographischen Bedingungen einer Region und der psychisch-mentalen Konstitution verdeutlicht. Wenn ein karges Land tapfere und freie Menschen hervorbringt und ein fruchtbares, reiches Land hingegen verweichlichte Einwohner hat, so würden die stolzen Perser in einer anderen Region von Herren zu Sklaven. Herodot legt Kyros die im 5. Jahrhundert auch aus anderen Werken bekannte Klimatheorie in den Mund. 338 Insbesondere die dem Corpus Hippocraticum zugerechnete Schrift De aeribus mit dem Gegensatz des verweichlichten und des abgehärteten Menschen in Abhängigkeit von den klimatischen Bedingungen hat eine so überdeutliche Parallele, dass - ganz abgesehen von der allgemein angenommenen Zeitgleichheit - ein gemeinsamer Bezug auf der Hand liegt. Der Autor legt im zweiten Teil seiner Schrift (c.12-24) eine auf ethnographischen Überlegungen basierende Gegenüberstellung Asiens und Europas dar, worin er mit dem jeweiligen Weltenteil ganz spezielle äußere und innere, charakterliche und politische Prägungen verbindet. 339 Er folgt hierbei einer vor allem aus der politischen Konstellation der Auseinandersetzung zwischen den Griechen und Persern entwickelten Vorstellung vom Gegensatz dieser beiden Völker (Aer. 16,1- 5): Περὶ δὲ τῆς ἀθυμίης τῶν ἀνθρώπων καὶ τῆς ἀνανδρείης, ὅτι ἀπολεμώτεροί εἰσι τῶν Εὐρωπαίων οἱ Ἀσιηνοὶ καὶ ἡμερώτεροι τὰ ἤθεα, αἱ ὧραι αἴτιαι μάλιστα, οὐ μεγάλας τὰς μεταβολὰς ποιεύμεναι οὔτε ἐπὶ τὸ θερμὸν οὔτε ἐπὶ τὸ ψυχρὸν, ἀλλὰ παραπλήσιαι. … 3) Διὰ ταύτας ἐμοὶ δοκεῖ τὰς προφάσιας ἀναλκὲς εἶναι τὸ γένος τὸ Ἀσιηνόν καὶ προσέτι διὰ τοὺς νόμους· τῆς γὰρ Ἀσίης τὰ πολλὰ βασιλεύεται· ὅκου δὲ μὴ αὐτοὶ ἑωυτῶν εἰσὶ καρτεροὶ ἄνθρωποι μηδὲ αὐτόνομοι, ἀλλὰ δεσπόζονται, οὐ περὶ τούτου αὐτοῖσιν ὁ λόγος ἐστὶν, ὅπως τὰ πολέμια ἀσκήσωσιν, ἀλλ' ὅκως μὴ δόξωσι μάχιμοι εἶναι. (5) … Εὑρήσεις δὲ καὶ τοὺς Ἀσιηνοὺς διαφέροντας αὐτοὺς ἑωυτῶν, τοὺς μὲν βελτίονας, τοὺς δὲ φαυλοτέρους ἐόντας· τουτῶν δὲ αἱ μεταβολαὶ αἴτιαι τῶν ὡρέων, ὥσπερ μοι εἴρηται ἐν τοῖσι προτέροισι. „Zum Mangel an Willenskraft und zum fehlenden Mut der Menschen folgendes: Dass die Asiaten weniger kriegerisch sind als die Europäer und sanfter in 337 Vgl. I. Beck, Die Ringkomposition bei Herodot und ihre Bedeutung für die Beweistechnik, (Spudasmata 25), Hildesheim 1971. 338 So bereits H. Stein, Herodotos, Text und Kommentar, 7 Bde., Berlin 1856-62 (Nachdruck: 5 Bde., Berlin 1962-63), in seinem Komm. ad loc. 339 Vgl. Schubert, Konstruktionsprinzipien, zu De aeribus mit Schema 3. 120 ihrem Charakter, daran sind vor allem die Jahreszeiten schuld, die keinen großen Veränderungen unterliegen, weder hin zur Wärme, noch hin zur Kälte, sondern einander ähnlich sind. … (3) Aus diesen Gründen, glaube ich, ist das Geschlecht der Asiaten kampfesschwach und außerdem auch infolge der politischen Zustände. Denn der größte Teil Asiens wird von Königen beherrscht. Wo die Menschen sich nicht selbst regieren und unabhängig sind, sondern beherrscht werden, streben sie nicht danach, sich für den Krieg zu üben, sondern als nicht kriegerisch zu erscheinen. (5) … Es lässt sich auch feststellen, dass sich die Asiaten untereinander unterscheiden; die einen sind tapferer, die anderen feiger. Schuld daran sind die jahreszeitlichen Veränderungen, wie es von mir in den vorhergehenden Ausführungen dargelegt wurde.“ Wie Herodot geht der Autor davon aus, dass auf der einen Seite Umgebung und Klima den Charakter der Bewohner einer Region prägen. Genauso ermöglichen aber politische Strukturen, wie etwa die hier mit Autonomie beschriebene, trotz der regionalen Prägung einen Charakter, der sich durch Tapferkeit und Kampfesmut auszeichnet. Diesen kann es in Asien genauso geben wie in Europa und umgekehrt gibt es in Europa auch große Unterschiede (Aer. 23,1). 340 Doch grundsätzlich bleibt der Autor dabei, dass sich die αἰτία aus den Unterschieden in den geographischklimatischen Bedingungen der Region ableite. Zu Beginn seines Asien- Teiles führt er in aller Deutlichkeit diese Stellung der αἰτία ein (Aer. 12,3): Τὸ δὲ αἴτιον τουτῶν ἡ κρῆσις τῶν ὡρέων, ὅτι τοῦ ἡλίου ἐν μέσῳ τῶν ἀνατολέων κεῖται πρὸς τὴν ἠῶ τοῦ τε ψυχροῦ ποῤῥωτέρω· τὴν δὲ αὔξησιν καὶ ἡμερότητα παρέχει πλεῖστον ἁπάντων, ὁκόταν μηδὲν ᾖ ἐπικρατέον βιαίως, ἀλλὰ παντὸς ἰσομοιρίη δυναστεύῃ. „Die Ursache dafür ist die ausgewogene Mischung der Jahreszeiten, da Asien nach Osten hin genau mitten zwischen den Sonnenaufgängen liegt, aber weiter von der Kälte entfernt. Wachstum und Kultiviertheit aber bilden sich dann am allerbesten, wenn nichts gewaltsam vorwiegt, sondern Ausgewogenheit (Isomoiria) in allem herrscht.“ Herodot beschreibt dieselbe Region (Hdt. 1,142,1): Οἱ δὲ Ἴωνες οὗτοι, τῶν καὶ τὸ Πανιώνιόν ἐστι, τοῦ μὲν οὐρανοῦ καὶ τῶν ὡρέων ἐν τῷ καλλίστῳ ἐτύγχανον ἱδρυσάμενοι πόλιας πάντων ἀνθρώπων τῶν ἡμεῖς ἴδμεν· οὔτε γὰρ τὰ ἄνω αὐτῆς χωρία τὠυτὸ ποιέει τῇ Ἰωνίῃ οὔτε τὰ κάτω, οὔτε τὰ πρὸς τὴν ἠῶ [οὔτε τὰ πρὸς τὴν ἑσπέρην], τὰ μὲν ὑπὸ τοῦ ψυχροῦ τε καὶ ὑγροῦ πιεζόμενα, τὰ δὲ ὑπὸ τοῦ θερμοῦ τε καὶ αὐχμώδεος. „Die Ionier, denen auch das Panionion gehört, haben ihre Städte in einer Gegend gegründet, die das schönste Klima der ganzen uns bekannten Erde hat. Weder die nördlich gelegenen Gebiete noch die südlichen können sich mit Ionien vergleichen, auch nicht die östlichen und die westlichen. Die einen leiden unter Kälte und Nässe, die anderen unter Hitze und Dürre.“ 340 Asheri, et al., Herodotus, 45 und M. Dorati, Le storie di Erodoto. Etnografia e racconto, (Filologia e critica 86), Pisa 2000, mit der Warnung, die Bezugnahme auf diese Gegensätze bei Hdt. allzusehr zu einem Schematismus auszuweiten. Text und Übers. von De aeribus aus Schubert/ Leschhorn (2006). 121 Ein gravierender Unterschied zeigt sich jedoch in Hdt. 3,106: Αἱ δ' ἐσχατιαί κως τῆς οἰκεομένης τὰ κάλλιστα ἔλαχον, κατά περ ἡ Ἑλλὰς τὰς ὥρας πολλόν τι κάλλιστα κεκρημένας ἔλαχε. „Die äußersten Länder der Erde haben die kostbarsten Dinge durch das Los zugeteilt bekommen gleichwie Hellas die schönste Mischung der Jahreszeiten durch Los bekommen hat.“ Herodot betrachtet hier Griechenland und Ionien als eine einzige, ganz offensichtlich klimatisch zusammengehörige Region, die sich durch die beste, d.h. schönste Mischung des Klimas auszeichnet. Wie er die αἰτία in diesem Kontext der Gegenüberstellung von Asien und Europa verwendet, zeigt er in seinem berühmten Prooemium: Ἡροδότου Θουρίου Ἁλικαρνησσεύς ἱστορίης ἀπόδεξις ἥδε, ὡς μήτε τὰ γενόμενα ἐξ ἀνθρώπων τῷ χρόνῳ ἐξίτηλα γένηται, μήτε ἔργα μεγάλα τε καὶ θωμαστά, τὰ μὲν Ἕλλησι, τὰ δὲ βαρβάροισι ἀποδεχθέντα, ἀκλεᾶ γένηται, τά τε ἄλλα καὶ δι' ἣν αἰτίην ἐπολέμησαν ἀλλήλοισι. „Der Aufweis von Herodots aus Halikarnass/ Thurioi Nachforschungen ist dieser, auf dass weder das seitens der Menschen Geschehene durch die Wirkung der Zeit verblasse noch die großen und staunenswerten Werke, ob sie nun von Griechen, ob von Barbaren aufgewiesen wurden, ohne Ruhm blieben; das andere und insbesondere, aus welcher Ursache sie miteinander Krieg geführt haben …“ 341 Hier rückt er den αἰτία -Gedanken sehr prominent nach vorn, verknüpft ihn aber auch mit dem Gegensatz von Asien und Europa. Nach Herodot verletzt etwa Xerxes die von der Natur gesetzten Grenzen, indem er eine Brücke zur Überquerung des Hellesponts bauen lässt, ebenso wie er diese verletzt durch seine von Hybris geleiteten Befehle, das Meer auszupeitschen oder den Kanal durch den Athos bauen zu lassen. 342 Damit hängt auch die Frage zusammen, wer derjenige ist, der als ‚erster’ einen Vorgang ausgelöst hat oder die Verantwortung für einen Vorgang trägt. Aber auf der Metaebene verknüpft er die αἰτία auch mit dem seiner Ansicht nach für den Gegensatz von Asien und Europa konstitutiven Gegensatz zwischen Freiheit und Tyrannis (s.u.). 343 Bei Herodot scheint demnach auf den ersten Blick dieselbe αἰτία -Konzeption vorzuliegen wie in der Klimatheorie des Autors von De aeribus: 341 Für eine ausführliche Diskussion und Hinweise zum Verständnis dieses Satzes danke ich Kurt Sier. 342 Hdt. 7,8 γ , 1-3; vgl. dazu Asheri, et al., Herodotus, 38. 343 Asheri, et al., Herodotus, 45. Er bewertet dies allerdings als eine zu starke Schematisierung und fordert - zu Recht - ein, bei Herodot weniger Dogmatismus anzunehmen. Besonders im Vergleich zu De aeribus zeigt sich die größere Flexibilität und Vielschichtigkeit Herodots deutlich. H. Erbse, Auswählte Schriften zur Klassischen Philologie, Berlin/ New York 1979, 118ff., bes. 89: „Mit αἰτίη bezeichnet Herodot aber nicht nur die Handlung, für die der Täter zurechenbar kausal ist, sondern nicht selten auch das falsche Verhalten des unbewusst Fehlenden (Prinzip der Erfolgshaftung).“ 122 Beide knüpfen die ursächliche Begründung der Gegensätzlichkeit in menschlichem Verhalten und Charakter an die klimatisch-räumlichen Unterschiede und verbinden dies mit einer grundsätzlichen Bewertung der Differenz von Asien und Europa, die ihre Auswirkungen bis hin zum Verhalten in kriegerischen Auseinandersetzungen zeigt. 344 Beide beziehen sich auf eine Konzeption, die nicht nur menschliches Verhalten aus dem Gegensatz heraus mit den Regionen verbindet, sondern setzen dies wiederum in ein Verhältnis zu der dazu konträr erscheinenden Natur: In einem schönen Land mit ausgewogenem Klima wachsen die Früchte stark, jedoch sind die Menschen schwach. 345 Trotz guter oder schlechter Naturumgebung sind aber gute Gesetze oder entsprechende politische Rahmenbedingungen ausschlaggebend für die Prägungen der Charaktere. So gibt nicht nur der Autor von De aeribus zu, dass es Ausnahmen in Asien gibt, auch Herodot geht davon aus, dass σοφία und νόμος für die Tapferkeit und Tugend eines Volkes bestimmend sind (Hdt. 7,102,1-3): 346 Ὡς δὲ ταῦτα ἤκουσε Δημάρητος, ἔλεγε τάδε· Βασιλεῦ, ἐπειδὴ ἀληθείῃ διαχρήσασθαι πάντως κελεύεις ταῦτα λέγοντα τὰ μὴ ψευδόμενός τις ὕστερον ὑπὸ σεῦ ἁλώσεται, τῇ Ἑλλάδι πενίη μὲν αἰεί κοτε σύντροφός ἐστι, ἀρετὴ δὲ ἔπακτός ἐστι, ἀπό τε σοφίης κατεργασμένη καὶ νόμου ἰσχυροῦ· τῇ διαχρεωμένη ἡ Ἑλλὰς τήν τε πενίην ἀπαμύνεται καὶ τὴν δεσποσύνην. αἰνέω μέν νυν πάντας τοὺς Ἕλληνας τοὺς περὶ ἐκείνους τοὺς Δωρικοὺς χώρους οἰκημένους, ἔρχομαι δὲ λέξων οὐ περὶ πάντων τούσδε τοὺς λόγους, ἀλλὰ περὶ Λακεδαιμονίων μούνων· πρῶτα μὲν ὅτι οὐκ ἔστι ὅκως κοτὲ σοὺς δέξονται λόγους δουλοσύνην φέροντας τῇ Ἑλλάδι, αὖτις δὲ ὡς ἀντιώσονταί τοι ἐς μάχην καὶ ἢν οἱ ἄλλοι Ἕλληνες πάντες τὰ σὰ φρονέωσι. ἀριθμοῦ δὲ πέρι μὴ πύθῃ ὅσοι τινὲς ἐόντες ταῦτα ποιέειν οἷοί τέ εἰσι· ἤν τε γὰρ τύχωσι ἐξεστρατευμένοι χίλιοι, οὗτοι μαχήσονταί τοι, ἤν τε ἐλάσσονες τούτων, ἤν τε καὶ πλεῦνες. „Als Demaratos dies hörte, sagte er: ‚König, da du durchaus willst, dass ich dir hierin die volle Wahrheit sage, so dass sich nachher nicht etwas als Lüge herausstellt, so höre: In Griechenland ist die Armut von jeher zuhause; die mannhafte Haltung aber ist erworben, durch Weisheit und ein starkes Gesetz bewirkt. Durch sie hält Griechenland sich frei von Armut und Tyrannis. Ich muss nun zwar alle Griechen loben, die im dorischen Gebiet ringsum wohnen, will aber nicht von allen folgendes sagen, sondern nur von den Lakedaimoniern allein; sie werden fürs erste deine Vorschläge niemals annehmen, da sie die Knechtschaft über Griechenland bringen. Dann werden sie sich dir im Kampf stellen, 344 Hdt. pr.: … καὶ δι' ἣν αἰτίην ἐπολέμησαν ἀλλήλοισι ; und zu Asien-Europa vgl. Aer. 16,3: οὐ περὶ τούτου αὐτοῖσιν ὁ λόγος ἐστὶν, ὅπως τὰ πολέμια ἀσκήσωσιν, ἀλλ' ὅκως μὴ δόξωσι μάχιμοι εἶναι . 345 Aer 12,2: πολὺ γὰρ καλλίονα καὶ μείζονα πάντα γίγνεται ἐν τῇ Ἀσίῃ, ἥ τε χώρη τῆς χώρης ἡμερωτέρη, καὶ τὰ ἤθεα τῶν ἀνθρώπων ἠπιώτερα καὶ εὐοργητότερα. („Viel schöner und größer ist alles in Asien; dieses Land ist kultivierter, und die Charakterzüge der Menschen sind liebenswürdiger und umgänglicher.“); Aer 12,4: … αὕτη μὲν εὐκαρποτάτη ἐστὶ καὶ εὐδενδροτάτη καὶ εὐδιεστάτη. („… besitzt sowohl die besten Früchte als auch die schönsten Wälder und das beste Wetter, … “); Hdt. 9,122,3 (vgl. oben S. 116). 346 Vgl. auch Hdt. 1,137; 1,194; 1,196,1-3; 3,130,5; 6,31,3. 123 selbst wenn alle übrigen Griechen auf deine Seite träten. Frage nicht nach ihrer Zahl, ob sie auch stark genug dazu sind! Sie werden kämpfen, mögen tausend Mann ausgezogen sein oder weniger oder mehr.’“ In Verbindung mit der bekannten Äußerung Herodots 5,78, 347 in der er den Grund für das Erstarken Athens darin sieht, dass die Athener nach Einrichtung der Isonomie in ihrem je eigenen Interesse handeln konnten statt sich für einen Tyrannen zu opfern, zeigt er eine ganz ähnliche Verbindung der Konzepte Isonomie und νόμος wie De aeribus, wenngleich Herodot hier auffälligerweise auch die σοφία nennt (vgl. zu der Bedeutung der σοφία in diesem Kontext unten Kap. VII 2). Andererseits legen sie aber keineswegs dieselbe Ordnung der Regionen zugrunde, wie sich anhand eines Vergleichs der von De aeribus und Herodot verwendeten kulturellen und geographischen Zuordnungen leicht zeigen lässt: 348 Herodot entwickelt auf der Basis der geometrischen Raumvorstellung seiner Zeit ein komplexes Interaktionsmuster, das jedoch dort, wo er dies für die kulturelle Differenzierung benötigt, von ihm auch zugunsten einer Konfiguration von Zentrum und Peripherie ausgestaltet wird. Offensichtlich sind gerade die nomadischen Skythen für Herodot das ideale Paradigma, um eine kulturell determinierte Raumvorstellung in sein Werk einzuarbeiten, so dass die einfache Dichotomie von sesshaften Griechen und nomadischen Barbaren zu einer mehrschichtigen Relation von Zentrum und Peripherie wird. Der Autor von De aeribus und Herodot nutzen dasselbe Schema von Zentrum und Peripherie auf der Grundlage der mathematischen Geographie ihrer Zeit. De aeribus gliedert in dem ersten Teil der Schrift die Nordvölker, vor allem die nomadischen Skythen, in ein physiologisch-geographisches Schema der Dichotomie von Zentrum und Peripherie ein. Das kulturelle Schema, das im zweiten Teil seiner Schrift entwickelt wird, das die Dichotomie zwischen Europa und Asien zugunsten der griechischen Europäer darlegt, lässt sich allerdings mit dem physiologisch-geographischen Schema nicht in Übereinstimmung bringen, so dass die beiden Teile der Schrift in dieser Hinsicht auseinanderfallen. 347 Ἀθηναῖοι μέν νυν ηὔξηντο. Δηλοῖ δὲ οὐ κατ' ἓν μοῦνον ἀλλὰ πανταχῇ ἡ ἰσηγορίη ὡς ἐστὶ χρῆμα σπουδαῖον, εἰ καὶ Ἀθηναῖοι τυραννευόμενοι μὲν οὐδαμῶν τῶν σφέας περιοικεόντων ἦσαν τὰ πολέμια ἀμείνονες, ἀπαλλαχθέντες δὲ τυράννων μακρῷ πρῶτοι ἐγένοντο. Δηλοῖ ὦν ταῦτα ὅτι κατεχόμενοι μὲν ἐθελοκάκεον ὡς δεσπότῃ ἐργαζόμενοι, ἐλευθερωθέντων δὲ αὐτὸς ἕκαστος ἑωυτῷ προεθυμέετο κατεργάζεσθαι. („Die Athener aber waren stark geworden. Es ist klar, nicht nur im Einzelnen, sondern überall, dass Isegorie, die eine hervorragende Sache ist, weil die Athener, solange sie von den Tyrannen beherrscht wurden, keinen ihrer Nachbarn besiegen konnten, aber nachdem sie die Tyrannen gestürzt hatten, bei weitem die Ersten wurden. Damit ist klar, dass sie als Untertanen und Unterdrückte im Dienst eines Tyrannen absichtlich feige und unlustig waren, während, nachdem sie befreit waren, jeder danach strebte für sich etwas zu erreichen.“) 348 Schubert, Peripherie, in: Kath/ Rieger (Hrsg.), Raum, 258ff. 124 Die Zonen, die Herodot beschreibt, sind ebenfalls durch die Dichotomie zwischen Zentrum (Griechenland) und Peripherie ( ἐρεμία ) gegliedert, aber Herodot verbindet die Zonen mit einer kulturellen Klassifizierung, die zwar analog der Dichotomie strukturiert ist, jedoch in sich viel differenzierter ist: Nicht nur, dass er zwischen den Sesshaften im Zentrum, der vor allem von Nomaden beherrschten Peripherie der Ο ikumene ( ἐρεμία ) und den unwirtlichen Regionen an den Rändern der Welt ( ἐσχατίαι ) unterscheidet, sondern er differenziert in den Regionen der eremia an der Peripherie noch einmal zwischen den nomadischen Räumen und den vollständig menschenleeren Gebieten, der eremia apeiros, der diese Merkmale fehlen, und fügt dem schließlich noch eine weitere Zone der Fabelwesen ( φαλαρκοί ) und Heiligen hinzu. 349 Die Begründungsstrategien, die beide Autoren verwenden, lassen sich auf durchaus unterschiedliche Vorstellungen von Plausibilisierung zurückführen, die man an den unterschiedlichen Verwendungen des αἰτία - Begriffs erkennen kann. So kennt Herodot durchaus αἰτίη als biologisch verifizierbare Ursache, 350 aber vor allem verwendet er den Begriff im Sinn von Erklärung und Grund, auch im Hinblick auf politische Veränderungen. 351 Seine Plausibilisierungsstrategien sind jedoch vielfältig. Er unterscheidet bei den Erklärungen göttliche Eifersucht als Ursache von schicksalhaften Verläufen, 352 aber auch die politische Analyse, der Verlauf der Geschichte und die Grenzüberschreitungen werden erklärt und auf eine Ursache zurückgeführt. 353 Inwiefern Herodot dabei empirische Methoden verwendet oder, vergleichbar den medizinischen Autoren der Schriften De aeribus und De vetere medicina, auf kausal reduktionistische Vorstellun- 349 Hdt. 4,9 und 4,17,2; 3,149,1; 4,53,2; zu den Fabelwesen: Hyperboreer bei Hdt. 4,32ff., heilige Völker (Kahlköpfige); zu den Einäugigen (Arimaspen): Hdt. 3,116; zu den Ziegenfüßlern am Nordpol: Hdt. 4,25,1; im Gegensatz zu dieser Ausgestaltung der nördlichen Zonen beschreibt Herodot für den Süden nichts dergleichen, sondern gibt ganz klar an, dass es im Süden zwar eigentlich solche Völker geben müsste, ihm jedoch nichts darüber bekannt sei (Hdt. 4,36,1). Szabó, Weltbild a.a.O. (vgl. oben S. 35f.) interpretiert dies so, dass er hier die Antipoden-Theorie ablehne. 350 Lateiner, Historical Method, 279 mit Anm. 5 verweist auf Hdt. 3,108,4; 4,30,1-2; 7,125. 351 Anders als Lateiner, Historical Method, 279 versteht Immerwahr, Aspects 244 mit Anm. 7 die αἰτία bei Herodot ausschließlich in diesem grundsätzlich ethischen Kontext, wobei Immerwahr sogar immer einen Bezug auf menschliche Schuld erkennen will. Vgl. auch auch R. Thomas, Herodotus in Context. Ethnography, Science and the Art of Persuasion, Cambridge 2000 168-212 und M. Vegetti, Schuld, Verantwortung, Ursache: Philosophie, Geschichtsschreibung und Medizin im fünften Jahrhundert, in: A.A. Long, Handbuch frühe griechische Philosophie. Von Thales bis zu den Sophisten, Stuttgart 2001, 247-63, hier 251f. zur Verwendung deduktiver Verfahren bei Herodot. 352 Vgl. z.B. Hdt. 9,109,2: Τῇ δὲ κακῶς γὰρ ἔδεε πανοικίῃ γενέσθαι; („Denn es war ihr Schicksal, unglücklich zu werden, ihres und ihres ganzen Hauses“); 2,161,3: Ἐπεὶ δέ οἱ ἔδεε κακῶς γενέσθαι; („Doch es sollte ihm schlecht ergehen.“); 4,79,1: Ἐπείτε δὲ ἔδεέ οἱ κακῶς γενέσθαι, … („Aber es sollte ihm schlecht bekommen“). 353 Thomas, Herodotus, 196ff. 125 gen von Ursache und Wirkung zurückgreift, 354 ist strittig. Vegetti hat die erste begriffliche Verallgemeinerung des kausalen Reduktionismus als die besondere und auch prioritäre Leistung der frühen Autoren des Corpus Hippocraticum angesehen. 355 Die Originalität, insbesondere der Schrift De vetere medicina, will er darin sehen, dass der Autor die ἀρχὴ τῆς αἰτίης , also den Anfangspunkt eines Ursachenprozesses exakt begrifflich definiert. 356 Dagegen hat Lateiner auf die Einstellung Herodots, ganz ähnlich auch in De morbo sacro zu erkennen, zu dieser Art der Erklärung von Verläufen und Phänomenen hingewiesen, die zwar einerseits Plausibilisierungen durch die Erklärung aufgrund von naturbedingten Verläufen und Ursachen vornimmt, andererseits aber auch einen göttlichen Einfluss in die- 354 Der Autor von De aeribus verwendet den αἰτία -Begriff in drei Varianten: Aer. 16,1 und 16,5: Die Jahreszeiten bedingen jede Art der Veränderung in Asien und Europa, sowohl was die Charaktere als auch das Äußere der Menschen und der Umwelt angeht. Aer. 12,3 nennt er speziell die Mischung der Jahreszeiten als Ursache der Schönheit und Wohlgestalt der Menschen in Asien; Aer. 22,2 beschreibt er den Glauben der Skythen an eine göttlich bedingte αἰτία für die Krankheit der Anarieis, die allerdings vom Autor selbst kritisiert wird. 355 Vegetti, Schuld, in: Long (Hrsg.), Philosophie, 258ff. 356 Vegetti, Schuld, in: Long (Hrsg.), Philosophie, 259 zu VM 1,1 ( ἀρχὴ τῆς αἰτίης ) und VM 19-20: Hier interpretiert er den Autor so, dass die Ursache in dieser Art vorläge, wenn deutlich wird, dass ihre Anwesenheit zu einer bestimmten Wirkung führt, diese Wirkung notwendig und auf univoke Weise festgelegt ist und ihre Abwesenheit oder Veränderung zum Ausbleiben der Wirkung führt: Der Autor führt dies am Beispiel der Hautreizungen beim Schnupfen (VM 18) und der Augenentzündungen (VM 19) aus und zieht dann den Schluss (VM 19,3): Δεῖ δὲ δήπου ταῦτα αἴτια ἑκάστου ἡγέεσθαι, ὧν παρεόντων μὲν τοιοῦτον τρόπον ἀνάγκη γίνεσθαι, μεταβαλλόντων δὲ ἐς ἄλλην κρῆσιν παύεσθαι. („Man muss aber doch gewiss diejenigen Dinge als Ursachen der einzelnen Leiden betrachten, deren Anwesenheit ihre Erscheinungsform hervorzwingt, deren Umschlagen in ein anderes Mischungsverhältnis aber sie aufhören lässt.“) Zum Vergleich verweist Vegetti auf Arist. Met. 1013 a 31-32 und Sext. Emp. PH 3,14. Weitere, vergleichbare, wenn auch noch nicht in dieser begrifflichen Klarheit vorliegende Formulierungen bei De flat. 15; De arte 6. Andererseits stützt sich diese Interpretation eben sehr stark auf VM 19,3 und den Bezug von ταῦτα , den etwa Jouanna, Hippocrate, Komm. ad loc. 201 völlig anders versteht: Nicht als allgemeine Aussage, wobei ταῦτα und ἑκάστου als generelle und grundsätzliche Behauptung stehen (Ursachen aller Leiden). Andererseits ist durch die Verwendung des Begriffs der νάγκη bereits eine Kausalitätsvorstellung impliziert, die sich mit derjenigen des Anaxagoras vergleichen lässt. Vgl. dazu Schubert, Macht, 32-55 zu Platons Kritik an Anaxagoras (Plat. Phaid. 98 b): Sie gipfelt darin, dass Anaxagoras nicht wirklich eine αἰτία , eine Begründung für die Wirkweise des νοῦς angibt, sondern stattdessen nur die mechanistische Struktur von Absonderung und Mischung beschreibt. Er hat anscheinend den Widerspruch zwischen den beiden Bereichen seiner νοῦς -Konzeption nicht befriedigend erklären können. Vielmehr hat er den Widerspruch im Sinne einer μηχανή , einer „List”, gelöst durch die nicht kausal begründete Einführung des νοῦς als allwissendes, göttliches, von den Bedingungen der empirisch fassbaren Realität getrenntes Prinzip, das gleichzeitig die αἰτία für die Entstehung von Materie und Bewegung sein sollte. 126 sen Geschehensabläufen entweder nicht ausschließt oder sogar direkt einfließen lässt. 357 Platon und Aristoteles stimmen nicht darin überein, wem diese Erkenntnis in der Entwicklung der Vorstellung von natürlichen Abläufen zuzuschreiben ist. 358 Im Unterschied zu Platon, der diesen Punkt der Naturphilosophie ganz abstreitet, sieht Aristoteles schon im νοῦς des Anaxagoras die αἰτία τοῦ κόσμου καὶ τῆς τάξεως πάσης („Die Ursache des Kosmos und der gesamten Ordnung …”). Das πάντα διεκόσμησε νοῦς („der Nus teilte alles ein …“) im Fragment 12 des Anaxagoras (DK 59 B 12) kann jedoch durchaus schon im Sinne eines zielgerichtet angelegten Weltplans und einer darin implizierten Kausalstruktur verstanden werden: Zu der Vorstellung von der Entstehung der Welt aus bestimmten Stoffen und Elementen gehört auch die Annahme von Wirkungsbedingungen, die diese Wirkungen notwendig und univok eintreten lassen. 359 Allerdings verdecken diese Parallelen die völlig unterschiedlichen Sinnstiftungserfordernisse, von denen die medizinischen Autoren, der Philosoph und Naturforscher Anaxagoras und der Historiker ausgehen. Wenn 357 D. Lateiner, The Empirical Element in the Methods of Early Greek Medical Writers and Herodotus, in: Antichthon 20 (1986), 1-20, hier bes. 11-16, und L. Pearson, Credulity and Scepticism in Herodotus, in: TAPhA 72 (1941), 335-55, der bei Herodot ein Nebeneinander von skeptischer und gläubiger Haltung sieht, und D. Müller, Herodot - Vater des Empirismus? Mensch und Erkenntnis im Denken Herodots, in: G. Kurz, et al. (Hrsg.), Gnomosyne. Menschliches Denken und Handeln in der frühgriechischen Literatur, Festschrift Walter Marg zum 70. Geburtstag, München 1981, 299- 318, bes. 307 ff. zu Herodots ‚empirischer’ Methode. 358 Vgl. dazu W. Theiler, Zur Geschichte der teleologischen Naturbetrachtung bis auf Aristoteles, Zürich 1925, 2ff. mit Verweis auf Plat. Phaed. 97 b 8ff.; Arist. Metaph. 983 a 24ff. und 984 b 15ff. 359 Vgl. dazu auch W. Jaeger, Die Theologie der frühen griechischen Denker, Stuttgart 1953, 186. Anders Schubert, Macht, 32-55; anders Vegetti, Schuld, in: Long (Hrsg.), Philosophie, 248, der den Ausdruck einer solchen Abhängigkeitsbeziehung nicht an den erkennbaren Kausalgedanken, sondern an die explizite Kausalerklärung bindet. Anaximander DK 12 B 1 wertet Vegetti, Schuld, in: Long (Hrsg.), Philosophie, 249 daher als eine „embryonale Form kausalen Denkens“, das noch „komplett in eine metaphorische Sprache eingekleidet“ sei. Das ist sicher nicht falsch, wenngleich er die Funktion der metaphorischen Konstruktion (s. dazu oben Kap. IV ausf.) hier offenbar nicht anerkennt, vor allem nicht deren hohen Abstraktionsgrad. Durch die Trennung einer „persönlichen Sprache der Schuld und der moralischen, politischen und gesetzlichen Verantwortung“ von einer „abstrakten und ›neutralisierten‹ Sprache der Ursache“ präjudiziert er das Ergebnis seiner Untersuchung, so dass er z.B. für Herodot feststellen kann (Vegetti, Schuld, in: Long (Hrsg.), Philosophie, 253), dass er einen „Übergang“ in die Richtung des kausalen Denkens zeige, aber „vage und undeutlich“! Vegetti berücksichtigt zu wenig, dass die Sinnstiftungserfordernis in der Historiographie und der Medizin zu einer völlig unterschiedlichen Repräsentation führt, die andere Plausibilisierungsstrategien verlangen. Vgl. demgegenüber G.E.R. Lloyd, Magic, Reason and Experience. Studies in the Origin and Development of Greek Science, London 1984, 53ff., der die Entstehung der Idee der Kausalität sowohl bei den Historikern als auch den Medizinern sieht. 127 die Grundhaltung Herodots sogar aus dem Vergleich mit den medizinischen Autoren explizit als empirisch bezeichnet wird, 360 so berücksichtigt dies zu wenig die unterschiedlichen Ausgangspunkte der Wissensbildung und vor allem nicht die Differenz im Erkenntnisinteresse, das die medizinischen Autoren mit ihrer auf den Arzt ausgerichteten Perspektive von dem Historiker trennt. Der Anspruch, über den Nachweis der Kausalität in den Phänomenen diese verfügbar zu machen, unterscheidet die medizinischen Schriften grundlegend von anderen Methoden. So beziehen sich die Autoren von De vetere medicina und De aeribus auf eine Grundlage von Vorwissen, Erfahrung und sinnlicher Anschauung, um damit Abwägungsprozesse durchzuführen, wenn ein gesichertes Wissen nicht bzw. noch nicht vorhanden und durch Überlegung erst erzielt werden soll. 361 Grundlage ist aber eine Vorstellung von Natur, in der ein physiologisches Modell von Mischung und Ausgleich der Elemente, der Jahreszeiten etc., eine Ordnung der Regionen und ihrer klimatischen Charakteristika (z.B. in De aeribus der Gegensatz Asien und Europa) zu einem hohen Rationalitätsanspruch führt (Aer. 2,1): Καὶ ἀπὸ τουτέων χρὴ ἐνθυμεῖσθαι ἕκαστα. Εἰ γὰρ ταῦτα εἰδείη τις καλῶς, μάλιστα μὲν πάντα, εἰ δὲ μὴ, τά γε πλεῖστα, οὐκ ἂν αὐτὸν λανθάνοι ἐς πόλιν ἀφικνεόμενον ἧς ἂν ἄπειρος ᾖ οὔτε νουσήματα ἐπιχώρια οὔτε τῶν κοιλιῶν ἡ φύσις ὁκοίη τίς ἐστιν, … „Von diesen Punkten ausgehend, muss man jeden einzelnen Fall erwägen. Denn wenn man diese Voraussetzungen gut kennt, vor allem wenn man sie alle kennt - oder wenn man wenigstens die meisten kennt -, dann werden, sobald man in eine Stadt kommt, über die man nicht Bescheid weiß, weder die einheimischen Krankheiten verborgen bleiben noch der natürliche Zustand der Hohlräume des Körpers, …“ Demgegenüber lässt sich dies für Herodot so nicht mit dieser Betonung des Vorrangs der Empirie halten. 362 Wie andere Autoren und Denker seiner Zeit ist auch er von der Skepsis gegenüber den menschlichen Erkenntnismöglichkeiten geprägt. 363 Der Grundtenor ist dabei ein hohes Maß an Skepsis gegenüber jedweder konstruktiven Rationalität, denn λόγοι kön- 360 Diese Vorstellung vom ‚Empiriker’ Herodot explizit bei: Müller, Herodot, in: Kurz, et al. (Hrsg.), Gnomosyne, 302ff.; vgl. grundsätzlich zu der methodischen Seite Schubert, res fictae, 17ff. 361 Aer. 1,1; Morb.Sacr. 2; Flat. 1,4; Morb. 1; Vict. 1,1,1-2; VM 18. 362 Müller, Herodot, in: Kurz, et al. (Hrsg.), Gnomosyne, der bei Herodot für die Fälle, in denen er nicht auf die eigene Anschauung zurückgreifen konnte, einen Abwägungsprozess rekonstruiert, der eine Bewertung als das ‚Wahrscheinliche’ ( οἰκός ) als zuverlässiges Erkenntnismittel bei Herodot betrachtet, wenn es um die Einschätzung divergierender Meinungen oder Berichte geht. Dabei wird von Müller, Herodot, in: Kurz, et al. (Hrsg.), Gnomosyne, 311 durchaus auch für Herodot, ähnlich wie sich dies bei den medizinischen Autoren zeigen lässt, eine Betonung der sinnlichen Anschauung als einem zuverlässigen Erkenntnismittel angenommen. 363 Schubert, res fictae, 17ff. 128 nen trügerisch sein. 364 Gorgias schließlich stellt folgende Thesen auf: 365 Es gibt nichts. Selbst wenn es etwas gäbe, könnten wir es nicht erkennen. Selbst wenn wir es erkennen könnten, könnten wir es nicht mitteilen! In diesen Diskurs fügt sich Herodots Darstellungsweise im Skythenexkurs nahtlos ein: Die Irreführung durch die sichtbaren Dinge, die Scheinbarkeit der gegebenen Objektivität des Faktischen stellt er dem Leser nicht explizit dar, aber deutlich in den formalen und inhaltlichen Mustern, die er verwendet. 366 Mit dem Phänomen des Nicht-Wissens, aber auch des Erschließens nicht-sichtbarer Phänomene über Vergleich, Analogie und Wahrscheinlichkeit muss sich auch der Historiker auseinandersetzen, 367 da er nur so den ursächlichen Zusammenhang der von ihm zu beschreibenden Ereignisse herstellen kann. Die Skepsis, aber auch die Einbindung in einen umfassenderen, epistemischen Kontext zeigt sich bei Herodot immer dort, wo er entweder die Wahrscheinlichkeit des Anscheins diskreditiert, 368 oder zwischen verschiedenen Möglichkeiten abwägt. 369 Entscheidend ist für ihn aber nicht die Begründung durch Kausalität, 370 sondern die Einbindung 364 Vgl. Schubert, Macht, 136. 365 Gorgias DK 82 B 3. 366 Vgl. Schubert, res fictae, 17ff. 367 Lateiner, Historical Method, 193ff. unterscheidet bei Herodot als Begründungen auf der Grundlage einer Wahrscheinlichkeitsabwägung das argumentum ex negativo (z.B. Hdt. 6,121-24, v.a. 6,124,2 zu den Alkmeoniden; 2,33,2 zu der Symmetrie von Istros und Nil; 7,103,2-3 Xerxes an den Thermopylen); die Abwägung von zwei Möglichkeiten und die Entscheidung für die Herodot plausibler erscheinende (z.B. 7,167 zum Verschwinden Hamilkars oder 2,22,2 zu der Erklärung der Nilschwemme); die Wahrscheinlichkeit aufgrund des Ausschlusses des weniger Wahrscheinlichen als Schluss von Bekanntem auf Unbekanntes (Hdt. 2,33-34 zu Nil und Istros; 2,148,4 zu dem Labyrinth); vgl. Müller, Legende, 274 zu den Wahrscheinlichkeitsbegründungen und ders., 35 zu Hekataios und Thomas, Herodotus 200f. Hdt. 2,33,2 ist eine so auffällige Parallele zu Anaxagoras DK 59 B 21a, aber auch zahlreichen medizinischen Texten (vgl. De vetere medicina 22; De flatibus 3; De arte 12; De victu 1,11; vgl. dazu und Jouanna, Hippocrate, 62ff. und Schubert/ Leschhorn, Hippokrates, 343), dass zumindest das Problem als solches in der damaligen Zeit als ein ganz allgemein diskutiertes anzunehmen ist. 368 Hdt. 2,22,1; 2,24,1; andere Beispiele s. im Kapitel IV: Die Botschaft des Skythenkönigs. 369 Vgl. Lateiner, Historical Method, 193. 370 Vegetti, Schuld, in: Long (Hrsg.), Philosophie, 258, hebt dies als entscheidendes Merkmal des ‚extremen kausalen Reduktionismus’ hervor, den er in den frühen medizinischen Schriften des Corpus Hippocraticum zum ersten Mal zu einer begrifflichen Verallgemeinerung geführt sehen will (vgl. anders oben Anm. 356 mit Text). Allerdings ist richtig, dass die Fokussierung auf die Kausalität, die in den Phänomenen liegt und diese daher auch vorhersehbar macht, in der breiten Anwendung erstmals im 5. Jahrhundert in diesen Schriften zu beobachten ist; zu dem Begriff εἰκός / οἰκός : D.C. Hoffmann, Concerning Eikos: Social Expectation and Verisimilitude in Early Attic Rhetoric, in: Rhetorica 26/ 1 (2008), 1-29. Vgl. auch P. Woodruff, Rhetorik und Relativismus: Protagoras und Gorgias, in: Long (Hrsg.), Philosophie, 264-84, hier 269ff. zu „Eikos“ und „euboulia“ und J. Anastassiou, Die Wahrscheinlichkeitsargumentati- 129 des ‚Wahrscheinlichen’ in den Kontext des jeweiligen Nomos. Er macht dies in seiner Bewertung des wahnsinnigen Kambyses deutlich (Hdt. 3,38,2 ) : οὐκ ῶν οἰκός ἐστι ἄλλον γε ἢ μαινόμενον ἄνδρα γέλωτα τὰ τοιαῦτα τίθεσθαι. ὡς δὲ οὕτω νενομίκασι τὰ περὶ τοὺς νόμους πάντες ἄνθρωποι, πολλοῖσί τε καὶ ἄλλοισι τεκμηρίοισι πάρεστι σταθμώσασθαι, ἐν δὲ δὴ καὶ τῷδε· „So ist es plausibel, dass kein anderer als ein wahnsinniger Mensch mit so etwas seinen Scherz treiben kann. Dass über ihre Sitten und Bräuche alle Völker so denken, kann man an vielen Beispielen sehen, vor allem aber durch das folgende.“ Nur ein durch Wahnsinn Verblendeter erkennt nicht die Regeln und Grenzen, die der Nomos einem Volk auferlegt, während demgegenüber die Sitten eines anderen Volkes nicht nur unverständlich, sondern auch den eigenen Normen gegenüber als grenz- und regelverletzend erscheinen. Der Beweis, den er hier bringt, ist eine Dareios zugeschriebene Episode: Ebenso wie den Griechen die Sitten der indischen Kallatier, die ihre Toten zu verspeisen pflegten, als gottlos erschien, würden diese die griechische Sitte des Verbrennens ablehnen. Bei den beiden Skythen, die Herodot in seinem Skythenbuch als Exempel nennt, verwendet er diesen Zusammenhang ebenfalls, jedoch in sehr indirekter Form. Anacharsis, der Weise, wird nach seiner Rückkehr aus Griechenland von seinen Landsleuten, wahrscheinlich seinem eigenen Bruder, getötet, weil er entgegen der skythischen Sitten einen fremden Kult einführen möchte (Hdt. 4,76, s. dazu ausf. unten Kap. VI). Skyles, ein skythischer König, führt sogar ein skythisch-griechisches Doppelleben (Hdt. 4,78ff.) in Olbia und lässt sich dort in die Mysterien einweihen. 371 Mit diesem Schritt hat auch er den skythischen Nomos verletzt und gibt damit einem Denunzianten Anlass, ihn seinen ahnungslosen Landsleuten zu verraten. Die Strafe durch die Skythen folgt sofort. Für Herodot ist dies Anlass, den Gegensatz zwischen dem Wahrscheinlichen und dem Nomos herauszustreichen (Hdt. 4,79,2): ἦν οἱ ἐν Βορυσθενεϊτέων τῇ πόλι οἰκίης μεγάλης καὶ πολυτελέος περιβολή, τῆς καὶ ὀλίγῳ τι πρότερον τούτων μνήμην εἶχον, τὴν πέριξ λευκοῦ λίθου σφίγγες τε καὶ γρῦπες ἕστασαν· ἐς ταύτην ὁ θεὸς ἐνέσκηψε βέλος. καὶ ἡ μὲν κατεκάη πᾶσα, Σκύλης δὲ οὐδὲν τούτου εἵνεκα ἧσσον ἐπετέλεσε τὴν τελετήν. „Er hatte nämlich in der Stadt der Borystheniten ein prächtiges Haus von großem Umfang, das ich auch schon kurz vorher erwähnt habe, da ringsherum on als Beweismethode bei Gorgias, in: Deucalion 36 (1981), 355-71; E. Carawan, Rhetoric and the Law of Draco, Oxford 1998, 184-92; M. Gagarin, Antiphon the Athenian: Oratory, Law and Justice in the Age of Sophists, Austin 2002, 29-30 und 112-18; Th.A. Schmitz, Plausibility in the Greek Orators, in: AJPh 121 (2000), 47-77; H.D. Westlake, ΩΣ ΕΙΚΟΣ in Thucydides, in: Hermes 86 (1958), 447-52. 371 Zu Skyles ausf. Munson, Wonders, 119ff.; 130 Sphingen und Greifen aus weißem Stein standen. Dahinein sandte der Gott seinen Blitzstrahl und es brannte ganz ab, doch Skyles vollendete nichtsdestoweniger seine Initiation.“ Herodot meint hier, dass Skyles unvorsichtig und unüberlegt gehandelt hat, und dafür musste er büßen. Dies belegt er im folgenden ( ἐγένετο ἀπὸ προφάσιος τοιῆσδε ) damit, dass Skyles die nomima seines Volks verleugnet hat. 372 Er hat mit der Gegenseite, den Griechen - Herodot hebt ja 4,78,3 hervor, dass die Borystheniten Milesier sein wollen -, gemeinsame Sache und sich damit wohl beide Seiten zu Feinden gemacht. Der Borysthenite, der ihn an die Skythen verrät, schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe und übt eine subtile Rache sowohl an Skyles, der den griechischen Kult für sich usurpiert, als auch an den Skythen, die sich über diesen Kult lustig machen (Hdt. 4,79,4: Ἡμῖν γὰρ καταγελᾶτε, ὦ Σκύθαι , …). Die Skythen schmähen die Griechen für ihre bakchischen Riten und sie sagen (Hdt. 4,79,3): οὐ γάρ φασι οἰκὸς εἶναι θεὸν ἐξευρίσκειν τοῦτον ὅστις μαίνεσθαι ἐνάγει ἀνθρώπους. „Es hat nichts für sich, einen Gott in demjenigen zu finden, der die Menschen zum Wahnsinnig-Sein verleitet.“ Die Skythen glauben offensichtlich nicht an einen Gott Dionysos. Herodot lässt die Skythen so reden, dass offen bleibt, ob es eine göttliche Macht wie Dionysos tatsächlich gibt oder ob sie nur eine Konstruktion der menschlichen μανία ist. Andererseits ist die Verehrung für Dionysos im Raum Olbia seit dem 6. Jh.v.Chr. gut belegt und Herodots Beschreibung mit der Erwähnung des Thiasos zeigt, dass es sich nicht um einen offiziellen Kult der Polis handelte, sondern einen öffentlich veranstalteten, der durch Initiation zugänglich war. 373 Wieso aber hat es dann keine Wahrscheinlichkeit und ist es ‚unplausibel’, in Dionysos einen Gott zu finden? Nicht weil die Skythen einen anderen, hehreren Gottesbegriff hätten, sondern weil diese Annahme auf eine Art Selbstwiderspruch hinausläuft: Dionysos wird nur von denen verehrt, die von Sinnen sind - und also schwerlich damit recht haben, in ihm einen Gott zu finden. Dass er dies gerade den Skythen in den Mund 372 Asheri, et al., Herodotus, 639; vgl. P. Hohti, Über die Notwendigkeit bei Herodot, in: Arctos IX (1975) 31-7. Πρόφασις (vgl. Hdt. 1,29,1 und 156,1) ist bei Herodot ein sichtbarer Grund, der aber nicht unbedingt das wahre, zugrundeliegende Motiv, aber auch nicht unbedingt ein falsches Motiv sein muss: Vgl. dazu Asheri, et al., Herodotus, 100; L. Pearson, Prophasis and Aitia, in: TAPhA 83 (1952), 205-33; H.R. Rawlings III, A Semantic Study of Prophasis to 400 BC, Wiesbaden 1975, 208ff. 373 Asheri, et al., Herodotus, ad loc.; zu Dionysos in Olbia vgl. N. Ehrhardt, Milet und seine Kolonien. Vergleichende Untersuchungen der kultischen und politischen Einrichtungen, (Europäische Hochschulschriften 3.206), Frankfurt a. M. 1983, 167ff.; H. Jeanmaire, Dionysos. Histoire du culte de Bacchus, Paris 195; A. Rusjaewa, Zemledel’českie kul’ty v Ol’vii dogetskogo perioda, Kiew 1979, 72-91. M.L. West, The Orphics of Olbia, in: ZPE 45 (1982), 17-29. 131 legt, ist dieselbe Art der ironischen Umkehr wie er sie in 4,77 auch im Kontext der Skythen und Anacharsis praktiziert (s. dazu unten Kap. VI). Stellt man den Bezug zu vergleichbaren Erwähnungen bei Herodot her, so wird es noch deutlicher. Skyles hat nämlich die göttliche Warnung des Blitzeinschlags ignoriert, sein Haus ist sogar abgebrannt, aber er fährt mit der Initiation fort. Der Blitzschlag ist hier wie eine Vorab-Sanktion oder Vorab-Ankündigung der Erfüllung eines Schicksals (so wie Hdt. 1,13 dies zum Schicksal des Hauses der Mermnaden angibt). Artabanos spricht Xerxes gegenüber eine Warnung aus und er begründet die Warnung mit der Bedeutung des Blitzschlags (Hdt. 7,10 ε ): Ὁρᾷς τὰ ὑπερέχοντα ζῷα ὡς κεραυνοῖ ὁ θεὸς οὐδὲ ἐᾷ φαντάζεσθαι, τὰ δὲ σμικρὰ οὐδέν μιν κνίζει· ὁρᾷς δὲ ὡς ἐς οἰκήματα τὰ μέγιστα αἰεὶ καὶ δένδρεα τὰ τοιαῦτα ἀποσκήπτει τὰ βέλεα. φιλέει γὰρ ὁ θεὸς τὰ ὑπερέχοντα πάντα κολούειν. οὕτω δὲ καὶ στρατὸς πολλὸς ὑπὸ ὀλίγου διαφθείρεται κατὰ τοιόνδε· ἐπεάν σφι ὁ θεὸς φθονήσας φόβον ἐμβάλῃ ἢ βροντήν, δι' ὧν ἐφθάρησαν ἀναξίως ἑωυτῶν. οὐ γὰρ ἐᾷ φρονέειν μέγα ὁ θεὸς ἄλλον ἢ ἑωυτόν. „Siehst du wie der Gott immer die mächtigsten Lebewesen trifft und sie sich nicht brüsten lässt, die kleinen ihn aber gar nicht kümmern? Siehst du wie sein Blitz immer in die größten Gebäude und die höchsten Bäume schlägt? Denn der Gott pflegt alles zu zerstören, was sich erhebt. So wird auch ein großes Heer von einem kleinen geschlagen auf die Art, wenn der Gott sie aus Neid mit Furcht schlägt oder mit einem Donner, wodurch sie schmählich vernichtet werden. Denn der Gott erträgt es nicht, dass ein anderer außer ihm sich für groß hält.“ Hier wird wiederum das herodoteische Ausgleichsdenken sichtbar: Der Gott warnt - und zwar wie bei Gyges, Kroisos etc. rechtzeitig! -, 374 die Menschen jedoch ignorieren die Warnung meistens. 375 Dafür folgt die Strafe. Herodot kritisiert generell die ekstatischen Kultformen und macht diese Kritik insbesondere an dem exzessiven Weingenuss fest, den er denjenigen Herrschern oder Königen attestiert, die wie Kambyses und Kleomenes durch ihr frevelhaftes Verhalten zu einem schlimmen Ende bestimmt waren. 376 Insofern gibt Herodot hier implizit den Skythen mit ihrer Kritik Recht, nicht den ‚ionischen’ Borystheniten. 377 374 Hdt. 6,27,1: Φιλέει δέ κως προσημαίνειν, εὖτ' ἂν μέλλῃ μεγάλα κακὰ ἢ πόλι ἢ ἔθνεϊ ἔσεσθαι· („Es pflegen sich aber wohl Vor-Zeichen zu ereignen, wenn einer Stadt oder einem Volk großes Übel geschehen soll.“): Dies sind dann meist Orakel, Träume, Prophezeiungen etc. Vgl. dazu Asheri, et al., Herodotus, 41. Die Ambiguität kennt Herodot allerdings sehr wohl und baut sie systematisch in sein Werk ein: Vgl. dazu Kap. V: Skythische Seher. 375 Es gibt - selten - den Fall, dass die göttlichen Zeichen und die zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten erkannt werden: S.o. zu den Eleiern, vgl. Erbse, Schriften, 193. 376 Zu Kleomenes: Hdt. 6,84 (zu dem Zusammenhang von Wein und Wahnsinn vgl. Plat. Leg. 773 d). Zu Kroisos vgl. Kap. IV 3: Maultiere und Hasen. Dies gilt auch für Kyros: Hdt. 1, 212 ist ausführlich behandelt bei Munson, Wonders, 119ff.; vgl. St. West, Herodotus and Olbia, in: Braund/ Kryzhitskiy (Hrsg.), Classical Olbia, 79-92, die die Passage Hdt. 4,79,3: Σκύθαι δὲ τοῦ βακχεύειν πέρι Ἕλλησι ὀνειδίζουσι· οὐ γάρ φασι οἰκὸς εἶναι θεὸν ἐξευρίσκειν τοῦτον ὅστις μαίνεσθαι ἐνάγει ἀνθρώπους so versteht, 132 Die in den ekstatischen Kultformen liegende Normverletzung ist auch das Verbindende zwischen der für Anacharsis in Hdt. 4,76 und für Skyles in 4,79 berichteten Schicksalswende. Herodot verbindet seine grundsätzliche Vorstellung von Schicksal mit demjenigen, wie die Abläufe auf der Ebene des Individuums im Hinblick auf Vergeltung und Ausgleich geregelt sind (Hdt. 4,79,1): Ἐπείτε δὲ ἔδεέ οἱ κακῶς γενέσθαι, ἐγένετο ἀπὸ προφάσιος τοιῆσδε. „Dem Skyles sollte es schlecht ergehen, und es erging ihm so aufgrund eines Anlasses folgender Art.“ Die Überschreitung der kulturellen Grenze zwischen den Skythen und den Griechen führt Skyles in den Untergang. Die αἰτία des Geschehens, wie Herodot es in 4,79ff. beschreibt, liegt ebenso wie bei Anacharsis, auf den Herodot in der Einleitung zu der Skyles-Episode ausdrücklich Bezug nimmt (4,77,2: Οὗτος μέν νυν οὕτω δὴ [τι] ἔπρηξε διὰ ξεινικά τε νόμαια καὶ Ἑλληνικὰς ὁμιλίας· „Diesem Mann ist es demnach so ergangen, weil er fremde Bräuche angenommen und den Umgang mit den Griechen gepflegt hatte.“), in der Übernahme, und zwar der falschen, d.h. nicht adaptierten Übernahme der religiösen Bräuche eines anderen Volkes. Dieser αἰτία - dass es hier um den Spott der Skythen über die Griechen ginge („Man dürfe sich doch keinen Gott ausdenken/ erfinden, der die Menschen in den Wahn treibe“). Die problematische Rolle des Verständnisses von „Wein“ wird bei West a.a.O. 90f. thematisiert: Wenn οἶνος hier wörtlich zu nehmen sei, dann ist es ein Indiz des griechischen Einflusses auf die Skythen. West meint aber eher, hier eine Übersetzung Alkohol in welcher Form auch immer zu sehen. Jedoch berichtet Herodot so oft und auch an so wichtigen Stellen über diesen „skythischen Brauch des Weintrinkens“ (4,62,3; 4,66; 4,70 und vor allem im Hinblick auf Kleomenes), dass auch hier wieder, wie in der gesamten Dionysos-Episode als dem Pendant zu der Göttermutter-Einführung bei Anacharsis ein komplexerer Zusammenhang zu vermuten ist. Entweder wusste Herodot, dass die Skythen nicht selbst Wein angebaut haben, dann handelt es sich um eine klare Konstruktion, die wieder den Spiegel für das Eigene im Fremden herstellen soll. Oder er wusste es nicht und hat es aus einem Bericht übernommen: Dann ist es natürlich trotzdem ein Indiz für den regen Austausch zwischen Skythen und Griechen bzw. anderen weinanbauenden Völkern. Grundsätzlich setzt der Weinanbau ja eine mindestens halbsesshafte Lebensweise voraus (auch bei weinhaltigen Getränken aus fruchtzuckerhaltigen Grundstoffen wegen des dazu notwendigen Anbaus von früchtetragenden Obstbäumen, den notwendigen Gärungsprozessen etc.) und ist von daher mit dem Nomadenleben wenig kompatibel. Das ἐξευρίσκειν (West, Herodotus, 90: „seems to imply doubt regarding Dionysos’ existence“) ist hier ein Schlüsselwort. Darin liegt eine Kritik der Skythen an dem Gotteskonzept der Griechen - allerdings auch hier wieder als Kritik Herodots den Skythen in den Mund gelegt, d.h. in einem ähnlichen Argumentationsmuster integriert wie in der Anacharsis- Episode. Es ist immer wieder das Prinzip der doppelten Umkehrung, das so typisch für Herodot ist: Die Skythen kritisieren die Griechen, Herodot kritisiert die Skythen und legt über die Kritik noch die (scheinbar) positive Charakterisierung der Skythen. 377 Anders Asheri, et al., Herodotus, 639 zu 4,79,3, der hier eine Polemik Herodots gegen die Haltung der Skythen erkennen will. 133 Begriff Herodots ist nicht von der τίσις zu trennen: 378 Dass die Vergeltung ( τίσις ) im herodoteischen Werk als durchgängiges Prinzip auftritt, lässt sich sowohl an den durchweg als Vergeltungskriege beschriebenen militärischen Aktionen ablesen als auch an seinen Beschreibungen natürlicher Phänomene. 379 Ursache und Vergeltung bedingen sich, da das Werden und Vergehen in der Natur, deren Teil auch die menschlichen Schicksale sind, ein stetiger Prozess des Ausgleichs sind (Hdt. 1,5,4): τὰ γὰρ τὸ πάλαι μεγάλα ἦν, τὰ πολλὰ σμικρὰ αὐτῶν γέγονε· τὰ δὲ ἐπ᾽ ἐμεῦ ἦν μεγάλα, πρότερον ἦν σμικρά. τὴν ἀνθρωπηίην ὤν ἐπιστάμενος εὐδαιμονίην οὐδαμὰ ἐν τὠυτῷ μένουσαν, ἐπιμνήσομαι ἀμφοτέρων ὁμοίως. „Denn die [Städte], die früher groß waren, von denen sind viele klein geworden, und die groß sind in meiner Zeit, waren früher klein. Da ich nun weiß, dass das Glück der Menschen nicht von Bestand ist, so will ich beide Seiten gleichermaßen ins Gedächtnis rufen.“ So formuliert Herodot direkt zu Beginn seines monumentalen Werks den Ausgleich als Muster einer historischen Gerechtigkeit. 380 Prinzipiell ist es die Aufgabe der Götter, diesen Prozess des Ausgleichs zu hüten und auch die Menschen zur Rechenschaft zu ziehen, wenn sie das Gleichgewicht stören, indem sie die Normen überschreiten und damit eine Störung des Prozesses veranlassen (Hdt. 6,11,3): Ἀλλ' ἐμοί τε πείθεσθε καὶ ἐμοὶ ὑμέας αὐτοὺς ἐπιτρέψατε· καὶ ὑμῖν ἐγώ, θεῶν τὰ ἴσα νεμόντων, ὑποδέκομαι ἢ οὐ συμμείξειν τοὺς πολεμίους ἢ συμμίσγοντας πολλὸν ἐλασσωθήσεσθαι. 378 Vgl. gegen die Argumentation Jacobys, dass der αἰτία -Teil des Prooemiums Herodots ein nachgeordneter Zusatz sei, K.-A. Pagel, Die Bedeutung des aitiologischen Momentes für Herodots Geschichtsschreibung, Leipzig 1927, 4ff. Vgl. die Stellen zu αἰτίη und αἴτιος bei J. E. Powell, A Lexicon to Herodotus, 2. ed., unveränd. photomech. Nachdr. d. Ausg. Cambridge 1938, Hildesheim 1960, und die Analysen bei H.-F. Bornitz, Herodot-Studien. Beiträge zum Verständnis der Einheit des Geschichtswerks, (Interpretation einiger ausgewählter Exkurse im Geschichtswerk des Herodot), Berlin 1968, 168ff.; zu der Ähnlichkeit des Herodoteischen τίσις -Begriffes mit Anaximander DK 12 B 1: Erbse, Schriften, 193f. Ch. Schubert, Perikles und Thukydides, Sohn des Melesias: Der Kampf um die politische Vorherrschaft als Ausdruck konkurrierender Konzepte, in: MH 65 (2008), 129-52, hier 141ff. 379 Pagel, Bedeutung, 13ff.: Vom Proömium aus lassen sich die Vergeltungsketten verfolgen: Das ἄδικον ἔργον des πρῶτος ἄρξας ist der Ausgangspunkt für eine Reihe von Vergeltungsakten. In historischer Zeit findet dies dann seinen Abschluss: Die vertriebenen und nach Lemnos ausgewanderten Pelasger nehmen an den Athenern Rache (Hdt. 6,138), dafür wiederum werden sie mit Unfruchtbarkeit geschlagen, die Sühneauflage (Hdt. 6,139,2) wird dann später durch Militiades eingelöst. Das Verhältnis zwischen den Griechen und den Persern strukturiert Herodot nach dem gleichen Muster: Kroisos ist der erste, der die Vergeltung herausgefordert hat (1,5,3). Vgl. dazu Asheri, et al., Herodotus, 40ff. und 70 zu Hdt. 1,1 und 73,1; Immerwahr, Aspects, 247ff. Auch bei Naturphänomenen lässt sich diese Konzeption erkennen: Pagel, Bedeutung, 33 zu Hdt. 3,109 ( ἡ δὲ θήλεα τίσιν τοιήνδε ἀποτίνει τῷ ἔρσενι·) zu dem Verhältnis von männlichen und weiblichen Schlangen in Arabien. 380 Pagel, Bedeutung, 34. 134 „Aber gehorcht mir und vertraut euch mir an, und ich verspreche euch, wenn die Götter das Gleiche geben, sollen euch die Feinde gar nicht angreifen oder wenn sie angreifen, schmählich geschlagen werden.“ Daher erklärt sich, dass er ebenso in der Natur einen solchen Ausgleich (vgl. dazu oben Hdt. 3,106) annimmt, denn auch sie ist in dieser Weise organisiert. Daraus ergibt sich aber auch, dass der historische Verlauf nicht nur einzelner Menschenschicksale, sondern das Geschehen in der historischen Zeit nach dieser vom Ausgleichsgedanken vorgegebenen Struktur bestimmt ist: Der Untergang der Herrschaft der Mermnaden mit Kroisos ist sicher, weil die τίσις dies erfordert, ebenso muss Xerxes in den Krieg ziehen, auch wenn er anfangs zögert, weil der Ablauf bereits seit langer Zeit feststeht. 381 Der Unterschied zwischen Dareios, Kambyses und Xerxes einerseits und Kyros andererseits ist erkennbar. Kyros weiß, zumindest bis zu dem Feldzug gegen die Massageten, während dessen er fällt, 382 um die Gesetzmäßigkeiten, die Unterschiede zwischen Europa und Asien. Das deutet Herodot schon am Anfang seines Werkes an. Er beschreibt einen Traum, den Kyros gehabt habe: Dareios habe zwei Flügel, deren einer Europa und deren anderer Asien überschatte, er fürchtet, dass dies einen Umsturz seiner Herrschaft andeute. Herodot kommentiert in diesem Fall selbst (1,210,1), indem er die Fehldeutung des Kyros benennt. Der Gott wollte ihm nur die Zukunft anzeigen, nämlich seinen bevorstehenden Tod und die Nachfolge durch Dareios. Andererseits gibt Herodot hier einen Hinweis auf die Verschränkung des historischen Geschehens in Europa und Asien. Daher weist die Antwort des Hystaspes, Kyros habe die Perser von Sklaven zu Freien gemacht, schon auf das Ende hin. 383 Denn mit genau diesem Thema schließt Herodot dann sein monumentales Werk in 9,122 ab. Im Unterschied zu Dareios und Xerxes hat Kyros die persische Expansion auf Asien beschränkt, während Dareios durch seinen Skythenzug bereits gegen Europa vorging, Kambyses gegen Ägypten zog und Xerxes gegen Griechenland. Die Strafe für dieses, das Gleichgewicht der Oikumene in Gefahr bringende Ausgreifen, war der jeweils schmähliche Ausgang des Feldzuges bzw. im Fall des Kambyses der entsprechende Tod. Für Herodot liegt die eigentliche αἰτίη des Geschehens in der Verletzung des Gleichgewichts, das eine entsprechende τίσις verlangt, wenn Grenzen überschritten 381 Hdt. 1,46 (Befragung der Orakel) und 1,13 (Orakel an Gyges); 1,91: Antwort der Pythia mit Bezug auf 1,13; vgl. dazu Pagel, Bedeutung, 13ff.; anders Immerwahr, Aspects, 256f. Vor allem Erbse, Schriften, 195 zu der Deutung der Träume: „Aber es wird kundgemacht, dass ihm seine Hybris keine Umkehr gestattet, eben weil der Gott diese Anlage zur Maßlosigkeit in seinen Ausgleichsplan schon einkalkuliert hat - … “ 382 Hdt. 1, 204-215; andere Versionen bei Ktesias, Berossos (ap. Euseb. Chron. arm. S. 23 (Karst)) und Xenophon, Kyroupaid. 8,7. 383 Hdt. 1,209-210. 135 und damit die Balance gestört wird. Gleichzeitig ist hieran aber zu erkennen, wie beschränkt die menschlichen Möglichkeiten sind, dem Schicksal zu entgehen oder überhaupt auf dessen Lauf Einfluß zu nehmen: 384 Wendungen, die mit ἐπείτε δὲ ἔδεε … beginnen, verweisen direkt auf die Schicksalshaftigkeit der Ereignisse. Andererseits verweisen sie aber auch auf die Plausibilisierung einer Handlung aufgrund natürlicher Umstände oder solcher, die sich aus der Kausalität der Rahmenhandlung ergeben. 385 Die Möglichkeit, das eigene Schicksal zu bestimmen ist auf der individuellen Ebene durchaus gegeben, jedoch immer nur im Rahmen eines geschichtlichen Ablaufs: Dies gilt ebenso für Kroisos’ Untergang, der 150 Jahre vor seiner Zeit prophezeit worden war und nicht in direktem Zusammenhang mit seinem eigenen politischen Handeln steht, wie in besonderem Maß für Xerxes, der sich der Hybris schuldig gemacht hat, Asien und Europa beherrschen zu wollen. Die göttliche Warnung kommt in diesem Fall aus dem Mund des Artabanos (Hdt. 7,10 ε , s.o.). Der Fehler des Xerxes ist, dass er mit einer Herrschaft über Asien und Europa das historische, kulturelle und natürliche Gleichgewicht verletzt hätte und so lässt Herodot dann Themistokles, der wie Kyros die Bedeutung der Grenze zwischen Asien und Europa erkannt hatte, die Athener ermahnen, den Xerxes nicht über den Hellespont hinaus zu verfolgen (Hdt. 8,109,3): Τάδε γὰρ οὐκ ἡμεῖς κατεργασάμεθα, ἀλλὰ θεοί τε καὶ ἥρωες, οἳ ἐφθόνησαν ἄνδρα ἕνα τῆς τε Ἀσίης καὶ τῆς Εὐρώπης βασιλεῦσαι, … „Denn das [die Vertreibung des Xerxes, C.S.] haben nicht wir getan, sondern die Götter und Heroen, die es einem einzigen Menschen neideten, über Asien und Europa zu herrschen … ! “ 2. Die Seher der Skythen: Enarer Die Besonderheit und Komplexität des Repräsentationssystems, das Herodot verwendet, wird noch deutlicher, wenn man seine Skythendarstellung mit derjenigen des hippokratischen Autors der Schrift De aeribus vergleicht. 386 Denn sowohl Herodot als auch der Autor von De aeribus be- 384 Hdt. 1,12 und 1,31,2; 2,15,2 und 2,161,1-4; 2,179,1; 3,45,3; 4,43; 4,79,1; 5,33,2; 5,38,1; 5,92 δ 1; 6,64,1; 7,9 β 2; 7,23,3; 7,144,2; 7,168; 8,53,1; 8,80; 9,58; 9,98; 9,109,2. 385 Vgl. Hdt. 2,15,2 und 2,179,1; 3,45,3; 4,43; 5,38,1; 7,9 β 2; 7,23,3; 7,144,2; 7,168; 9,58; 9,98. Ähnlich auch der Gebrauch von μέλλω bei Herodot: Asheri, et al., Herodotus, 37 Anm. 90. Er verweist dazu auf Hdt. 1,45,2; 1,108,2; 1,175; 1,210,1 und mit ähnlicher Bedeutung in der Verwendung von χρῆν , ἔδεε auf 1,8,2; 2,161,3; 4,79,1; 6,135,3; 9,109,2. 386 Th. David, À propos de l’article de K.F. Smirnov, in: DHA 6/ 1 (1980), 155-76, zu den Schwierigkeiten, die unterschiedlichen Skythenvölker, die bei Herodot und auch in der hippokratischen Schrift genannt werden, zu lokalisieren. Die Abgrenzung und Identifizierung von Skythen, Sauromaten und Sarmaten ist problematisch: Vgl. dazu Corcella, in: Asheri, et al., Herodotus, 553f. und A.A. Nejchardt, Skifskij rasskaz Ge- 136 schreiben eine Gruppe von Männern des skythischen Nomadenvolkes, die sich durch einen stark rituell geprägten Geschlechtswechsel charakterisieren. 387 Bei Herodot heißt es (1,105), dass diejenigen Skythen und ihre Nachkommen, die bei ihrem Zug nach Palästina an der Plünderung des Tempels der Aphrodite Urania in Askalon beteiligt gewesen seien, seither von einer ‚weiblichen Krankheit‘ ( θήλεα νούσος ) betroffen seien und ‚Enarer‘ hießen. Die Vorfahren der Enarer sind für diesen Frevel mit der ‚weiblichen Krankheit’ betraft worden (Hdt. 1,105). Jedoch erwähnt Herodot nichts davon, dass dies in irgendeiner Verbindung mit Unfruchtbarkeit gestanden hätte bzw. schreibt er überhaupt nichts von einer gegebenen Unfruchtbarkeit der Enarer (vgl. dazu unten ganz anders der hippokratische Autor). 388 Vielmehr haben die Enarer mit der ‚Krankheit’ zugleich auch die Seherkraft erhalten (Hdt. 4,67,2). Die von Herodot verwendete Verbindung zu Aphrodite Urania kann belegt werden: Sie ist die griechische Version der syrischen Astarte, mit der die Skythen bei ihrem Zug durch die Region in Kontakt gekommen sein müssen (Hdt. 1,105). Ein griechischer Kult für rodota v otečestvennoj istoriografii („The Scythian narrative of Herodotus in national historiography”), Leningrad 1982, 78ff. Zumindest ein Teil der skythischen Völker hat wohl eine iranische Sprache gesprochen: S.R. Tochtas’ev, Das Problem der skythischen Sprache in der heutigen Forschung (in russisch), in: V. Cojocaru (Hrsg.), Ethnic Contacts and Cultural Exchanges North and West of the Black Sea from the Greek Colonization to the Ottoman Conquest, Iasi 2005, 59-108. Zwar verwendet Herodot die Bezeichnung ‚Skythen’ sehr dezidiert, aber es wird nicht deutlich, ob er sich auf eine ethnische oder politische Entität bezieht. 387 Das Verhältnis zwischen Herodot und De aeribus wird unterschiedlich gesehen: Als ein zeitlich und intellektuell gleichrangiges oder ein in beiderlei Hinsicht eher unbestimmtes: Vgl. Bichler, Herodots Welt, 70f.: Das ethnographische Leitbild Herodots im Skythen-Logos sei der Nomadismus. Hierbei bezieht er sich auch auf Hartog, Mirror, 20 mit Anm. 22, wonach Herodot es vermeide, die nomadischen Skythen Europa zuzuordnen. Vielmehr würden die nomadischen Skythen „bewußt als im Raum zwischen Europa und Asien hin- und herwandernd dargestellt.“ Anders: H. Diller, Die Hellenen-Barbaren-Antithese im Zeitalter der Perserkriege, in: Grecs et Barbares, (Entretiens sur l’Antiquité Classique VIII), Genf 1962, 37-82, hier 37-68, bes. 60. Er hat eine zeitliche Differenzierung vorgenommen, nach der Herodot einer früheren Zeitstufe angehöre als der Autor von De aeribus. K.E. Müller, Geschichte der antiken Ethnographie und ethnologischen Theoriebildung von den Anfängen bis auf die byzantinischen Historiographen, 2 Bde., Wiesbaden 1972-1980, Bd. 1, 118ff. will bei Herodot sogar eine Abfolge von Kulturstufen erkennen. Dagegen wiederum Nippel, Griechen, 21. Nippel bezeichnet es z.B. als „problematisch“, bei Herodot ein solches evolutionistisch konstruiertes Schema sehen zu wollen. 388 Aer. 22,7f. ist eine interessante Parallele, die für die Sicht des hippokratischen Autors spricht: Nach Paus. 1,14,7 soll der Kult für Aphrodite Urania von Aigeus begründet worden sein und zwar wegen dessen Kinderlosigkeit! Vgl. K. Waldner, Geburt und Hochzeit des Kriegers. Geschlechterdifferenz und Initiation in Mythos und Ritual der griechischen Polis, (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 46), Berlin/ New York 2000. 137 Aphrodite Urania oder Apatura ist in der Region des kimmerischen Bosporus seit dem 6. Jh.v.Chr. belegt. 389 Im Zusammenhang des Skythenexkurses werden sie als besondere unter den offenbar häufig bei den Skythen auftretenden Wahrsagern hervorgehoben, gleichzeitig aber auch ihre geschlechtliche Besonderheit als ἀνδρόγυνοι betont (Hdt. 4,67,2). 390 Die Technik ihrer Mantik scheint sich von derjenigen der anderen skythischen Wahrsager zu unterscheiden, die alle mit einem Ritual des Weidenrutenlegens, begleitet von Zaubersprüchen, weissagen: Die Enarer weissagen mit Lindenbast, den sie in drei Stücke teilen und in ihren Fingern flechten, lösen und dann daraus wahrsagen. 391 Der Lindenbast verweist hier auf die der Aphrodite heilige Linde und damit auf die göttliche Herkunft der gegebenen Fähigkeit und somit ihre herausgehobene Stellung unter den vielen sonstigen Wahrsagern der Skythen. In dem Skythenexkurs der hippokratischen Schrift De aeribus (Aer. 17- 22) finden sich ebenfalls die beiden Elemente eines als Krankheit klassifizierten Geschlechtswandels und göttlicher Abstammung, verbunden mit einer besonderen Verehrung, die gesellschaftlich als ‚höhere spirituelle Wirkmächtigkeit‘ auftritt. 392 Allerdings stehen hier ganz andere Bereiche dieses Phänomens im Vordergrund der Beschreibung, die im Kontext der φύσις -Philosophie der hippokratischen Medizin mit ihrem Ziel einer rationalen Begründung von Gesundheit und Krankheit zu sehen sind. Der Verfasser dieser Schrift geht ganz anders vor als Herodot: Er ordnet seinen Orientierungsrahmen einerseits nach den vier Himmelsrichtungen, so dass er eine nach Süden, nach Norden, nach Osten und nach Westen orientierte Stadt unterscheidet, andererseits untergliedert er alle diese Städte-Typen 389 Vgl. Hekat. FGrHist 1 F 211; Strab. 11,2,10 [495] ; Asheri, et al., Herodotus, 625 und L.P. Charko, KSIIMK XIII (1946), 137-41; S.R. Tochtas’ev, VDI 177 (1986), 138-45. 390 Vgl. hierzu Schubert, res fictae, 17ff., dem dieses Kapitel im Wesentlichen folgt. 391 Hdt. 4,67; zu der Vorgehensweise im Detail, die mit ἐπὶ μίαν ausgedrückt wird: How/ Wells, Herodotus, 327; R. Macan, Herodotus. The Forth, Fifth and Sixth Books, Vol. I+II, New York 1973, 45 ad loc.; zu der Identifizierung der Enarer mit Schamanen: D. Margreth, Skythische Schamanen? Die Nachrichten über Enarees-Anarieis bei Herodot und Hippokrates, Zürich 1993, 26ff. mit Parallelen aus der heutigen ethnographischen Literatur und David, l’article, 164ff. zum archäologischen Nachweis. 392 Text nach Schubert, Leschhorn, Hippokrates, 49ff.; vgl. auch Ch. Schubert, Anthropologie und Norm. Der Skythenabschnitt in der hippokratischen Schrift ,Über die Umwelt’, in: MHJ 25 (1990), 90-103, hier 100; Margreth, Schamanen, 59; K.E. Müller, Die bessere und die schlechtere Hälfte. Ethnologie des Geschlechterkonflikts, Frankfurt a. M./ New York 1989, 244. Ivantchik, Kolonisation, 225ff. erklärt das Auftauchen dieser Themen bei Herodot und in De aeribus als Resultat einer skythischen Folklore, die ihren Weg über epische und mythische Elemente in die griechische Literatur gefunden habe. Vgl. dazu Ch. Schubert, Rezension zu: A.I. Ivantchik, Am Vorabend der Kolonisation. Das nördliche Schwarzmeergebiet und die Steppennomaden des 8.-7. Jhs.v.Chr. in der klassischen Literaturtradition. Mündliche Überlieferung, Literatur und Geschichte, (Pontus Septentrionalis 3), Moskau 2005, in: H-Soz-u-Kult 22.08.2007 (2007), (http: / / hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/ rezensionen/ 2007-3-138). 138 immer nach denselben drei Gesichtspunkten: Topographie, Klima sowie Einfluss auf die Konstitution und den Charakter. Die vier Himmelsrichtungen werden in Analogie zu den Elementen Wasser und Luft, zu den Säften (Phlegma, Chole) und zu den Qualitäten (feucht, kalt, warm, trocken) gesetzt. Dabei handelt es sich um ein ausgefeilt konstruiertes System einer Klimalehre, das weit über die landläufige Vertrautheit und Berücksichtigung von klimatischen Bedingungen hinausgeht. Diese qualifizierenden Beschreibungen der äußeren Gegebenheiten und Bedingungen stehen im Zusammenhang einer größeren Konzeption: Ethos, Sitten und Charakter sind Ausdruck von übergeordneten Prägungen, die auch die einzelne Stadt charakterisieren. Um diese größere Konzeption zu erläutern, stellt der Autor Asien und Europa einander gegenüber, wobei er hier wieder die drei genannten Kriterien Topographie, Klima und Konstitution verwendet. Im zweiten Teil der Schrift (c. 12-24) legt er eine auf ethnographischen Überlegungen basierende Gegenüberstellung Asiens und Europas dar. Auch dieser Teil ist stark an schematischen Modellen ausgerichtet, denn er verbindet mit dem jeweiligen Weltenteil ganz spezielle äußere und innere, charakterliche und politische Prägungen. Er folgt hier ganz offensichtlich schematisierten Vorstellungen vom Gegensatz der Griechen und Perser, die aus der politischen Konstellation der Perserkriege entwickelt worden sind. 393 Die Skythen sind ihm das Exempel für das nördlichste Volk in Europa, wobei er keine vollständige Beschreibung beabsichtigt, sondern entsprechend seiner Disposition vorgeht: Von den Sauromaten, die der Autor zu den Skythen zählt, beschreibt er lediglich die Frauen, die er mit Amazonenriten charakterisiert (Kauterisierung der rechten Brust, kriegerische Initiationsrituale). 394 Bei den Skythen wiederum wird eine Gruppe von Männern herausgegriffen, die der Autor Anarieis nennt, 395 deren Eunuchenähnlichkeit in Kleidung und Auftreten beschrieben wird. 396 Das Phänomen wird jedoch eindeutig als eine Krankheit klassifiziert. Den kulturellen Kontext von religiös begründeter Verehrung für diese Männer, ihren Transvestismus sowie ihre soziale Stellung berichtet der Autor im Kontext einer grundlegenden Kritik. Sein eigenes Erklärungsraster ist ein ausschließlich klimatologisch und pathologisch orientiertes und so präsentiert er eine rein kausal ansetzende Erklärung für das Eunuchen-Phänomen. Ursache sind ihm die besonders feuchte, klimatologische Prägung sowie das Reiten der Skythen. Weiterhin beschreibt er eine Praxis des Aderlasses, in der er für diese Gruppe Männer eine Ursache der Zeugungsunfähigkeit sieht, die 393 Schubert/ Leschhorn, Hippokrates, 379ff. und Schubert, Athen, 31ff. 394 Aer. 17 und Hdt. 4,110-117 zu den ‚Amazonen’ der Sauromaten. Die Kauterisierung erwähnt Herodot nicht. Vgl. Diod. 2,43; Plin. nat. 6,19 und Ephorus FGrHist 70 F 160; Scylax 70 (GGM I 59); Pomponius Mela (GGM I 116). 395 Vgl. zu Aer. 22,1 (Jouanna) die Erläuterung von Jouanna, Hippocrate, 337. 396 Sauromaten: Aer. 17; Skythen: Aer. 22. 139 wiederum der Anlass für den Wechsel in den eunuchenähnlichen Status sei. Trotz der ausführlich dargelegten, medizinischen Kausalitäten ist über die Aufzählung einiger der kulturellen Begleitumstände in De aeribus andeutungsweise zu erkennen, dass diese Anarieis in einem rituell geprägten Kontext stehen: So werden diese Männer verehrt, man wirft sich vor ihnen nieder, man fürchtet sie, ihr Zustand wird von den Skythen selbst auf göttliche Einwirkung zurückgeführt, sie wechseln in Kleidung, Sprache und Lebensweise von der männlichen zur weiblichen Seite. 397 Aber gerade hier hat der Autor seinen größten Vorbehalt: Zwar sei eine solche Krankheit durchaus göttlich, aber eben wie alle anderen Krankheiten auch und keine sei in einem höheren Maß göttlicher oder menschlicher als eine andere. Die Natur selbst ist ihm das Göttliche, sie ist Ursache von Verlauf und Entwicklung eines jeden Phänomens. Daher ist es ihm auch möglich, die der Krankheit zugrunde liegenden Ursachen rational und kausal zu bestimmen. Diese Krankheit entsteht seiner Ansicht nach aus der Reitpraxis der Skythen, die zu Schwellungen in den Beinen führe und deren Therapie, der Aderlass hinter den Ohren, wiederum zur Unfruchtbarkeit. Denn mit dieser Behandlung zerstören sie nach Ansicht des Autors die vom Kopf abwärts führenden Samengänge. 398 Die Absicht des Autors von De aeribus ist es, für Wanderärzte ein klares Orientierungssystem zu geben. Neben der Gegenüberstellung von Europa und Asien, 399 sind offenbar gerade die nomadischen Skythen besonders geeignet, Orientierung dieser Art zu vermitteln. Dazu gehört ein System von räumlicher, physischer und ethischer Abgrenzung, die der Autor in den für sein Anliegen zentralen Bereichen wie Geschlecht, Religion und Lebensweise vorführt. Gemeinsam ist beiden Beschreibungen, dass sie einen sowohl religiös als auch pathologisch begründeten Schamanismus darstellen. 400 Während Herodot den Zusammenhang mit der Weisheit betont, konzentriert sich der hippokratische Autor auf die Aspekte von Krankheit und Gesellschaft. Beides ist nicht voneinander zu trennen. Unbestritten ist aber, dass beide Autoren dieselbe Personengruppe beschrieben haben. Ob dies auf eigener Anschauung beruhte oder auf Berichten anderer, seien es mündliche oder schriftliche gewesen, lässt sich kaum feststellen. Jedoch sind die Weidenzweige, die Herodot als exponiertes Attribut herausstellt, archäologisch in 397 Aer. 22. 398 Aer. 22,4-6. 399 ‚Afrika’ stand aller Wahrscheinlichkeit nach in einer Lücke des Textes: Vgl. dazu Schubert, Konstruktionsprinzipien. 400 Eliade, Zalmoxis, 4ff.; Margreth, Schamanen, 77ff.; K. Meuli, Scythia, in: W. Marg (Hrsg.), Herodot. Eine Auswahl aus der neueren Forschung, (WdF 26), München 1965, 455-70 (= Hermes 70 (1935), 121-176), hier 465f. 140 Grabbeigaben nachgewiesen, so dass sich Zweifel an der Faktizität hier erübrigen. 401 Insbesondere bei Herodot sind die Zusammenhänge von Weisheit und Wahrsagekunst im Skythenexkurs in einer komplexen Weise verknüpft. Das Weissagen der Enarer ist zwar eine besondere Fähigkeit dieser Gruppe, 402 aber es ist zudem gleichzeitig ein Strukturelement der herodoteischen Darstellung, das sowohl den Skythenexkurs durchzieht als auch das Gesamtwerk. Das entscheidende Merkmal dieser Art von ,Sprache‘ ist ihre Zweideutigkeit, die auf die „Kluft zwischen menschlicher und göttlicher Welt“ hinweist. 403 Im Orakel schlägt sich diese Kluft in der sprachlichen Form des Rätsels nieder. Zwar löst sich das Rätsel seit der archaischen Zeit von der göttlichen Sphäre, doch zeigt die herodoteische Darstellungsweise eine Vorliebe für diese sprachliche Form. Z.T. als anekdotenhafter Ausdruck der ,Pseudohistorie‘ abgetan, lässt sich das hier gesuchte Muster nun im Kontext des Skythenexkurses Herodots erkennen. Die als Rätsel eingekleidete Botschaft des Skythenkönigs an Dareios zeigt, wie er diese verschiedenen Elemente verbindet. 404 Dareios erscheint die Botschaft der Skythen ähnlich wie ein Orakel verschlüsselt, in dem er die metaphorische Repräsentation als die eigentliche Botschaft nimmt. Dies macht auch den Kern des Maultier-Orakels bei Herodot aus - das aber Kroisos wiederum grundlegend missversteht, weil er es wörtlich statt metaphorisch erklärt! Die Botschaft des Skythenkönigs hingegen ist wirklich wörtlich gemeint und so begeht Dareios hier gerade in seiner metaphorischen Erklärung den folgenschwersten Irrtum des Feldzuges, indem er im Vertrauen auf diese Erklärung der Botschaft weiterzieht. 3. Weisheitskritik: Rätsel und prekäres Wissen In der Verwendung der antinomischen Struktur von Rätseln hat Herodot für diese kritische Sicht der Weisheit, wie das Beispiel der Botschaft des Skythenkönigs und auch die Maultiersymbolik zeigen, eine narrative Metaebene eingebaut. Die typische Struktur des Rätsels, nämlich dass es so- 401 Vgl. Corcella, in: Asheri, et al., Herodotus, ad Hdt. 4,67,1. Zu den Grabfunden: David, l’article,164ff.; A.I. Dovatur, et al., Narody našej strany v «Istorii» Gerodota: teksty, perevod, kommentarij („The peoples of our country in the Histories of Herodotus: texts, translations, commentaries”), Moskau 1982, 304f. Zu der entsprechenden Praxis bei den Ossetiern: G. Dumézil, Romans de Scythie et d’alentour, Paris 1978, 212f. 402 Hdt. 4,67,2; vgl. Hdt. 1,46-47; 4,155,3. 403 Colli, Geburt, 47. Vgl. Detienne, Master, 73ff. zu der Ambiguität der magikoreligiösen Sprache. 404 Zu der Funktion des Rätsels bei Herodot: H. Erbse, Fiktion und Wahrheit im Werke Herodots, (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, I. Philologisch-Historische Klasse 1991, Nr. 4), Göttingen 1991; K. Ohlert, Rätsel und Rätselspiele bei Herodot, Berlin 1912. 141 wohl die falsche als auch die richtige Lösung erlaubt, 405 verweist hier auf den religiösen Hintergrund. Dieser liegt, sowohl beim Orakel wie auch in dem literarischen Rätsel, in etwas Unaussprechlichem, das Verborgenes, Göttliches, der menschlichen Einsicht Entzogenes und damit Nicht-Sichtbares in dieser kontradiktorischen Struktur zum Ausdruck bringen soll. Später bringt Aristoteles dies auf die Formel, dass das Rätsel die Formulierung einer rationalen Unmöglichkeit sei, die aber doch einen wirklichen Gegenstand habe. 406 Die Botschaften aus der kontradiktorischen Form des Rätsels, den entsprechenden Darstellungen und dem religiösen Hintergrund, führen weiter als nur auf die Frage nach dem Kontext der literarischen Form, 407 nämlich auf den Zusammenhang von Wahrsagekunst, Sehertum und Formulierung, der in dieser kontradiktorischen Struktur zum Ausdruck gebracht werden soll. Platon lässt Sokrates im Phaidros eine längere Erklärung zu eben diesem Zusammenhang geben, in dem er sowohl den ekstatischen Zustand der Seher, das Bedürfnis nach dem ‚Wahrsagen‘ der Zukunft sowie die daran anknüpfende Vorstellung von Weisheit beschreibt. 408 Aus dem Wahnsinn, der durch göttliche Gunst verliehen werde und für den die Prophetinnen in Delphi und Dodona als Beispiele genannt werden, entstehe viel Gutes, insbesondere für die öffentlichen Angelegenheiten, währenddessen Selbstbeherrschung und Verstand nur Kümmerliches zustande brächten. Von den vier Arten der μανία , der prophetischen, der mysterienhaften, der poetischen und der erotischen, rückt Platon im Phaidros die prophetische in den Vordergrund. Unterlegt von einer etymologischen Ableitung (der sprachlichen Veränderung: Einfügung eines ,t‘ in μανία , weil es ja sonst ‚Wahnsagekunst‘ hätte heißen müssen! ) begründet er die ursprüngliche Herkunft der Wahrsagekunst aus der Mania, dem Wahnsinn, also aus der ekstatischen Entrückung (Plat. Phaidr. 244 c 5ff.): ἐπεὶ καὶ τήν γε τῶν ἐμφρόνων, ζήτησιν τοῦ μέλλοντος διά τε ὀρνίθων ποιουμένων καὶ τῶν ἄλλων σημείων, ἅτ' ἐκ διανοίας ποριζομένων ἀνθρωπίνῃ οἰήσει νοῦν τε καὶ ἱστορίαν, <οἰονοϊστικὴν> ἐπωνόμασαν, ἣν νῦν <οἰωνιστικὴν> τῷ <ω> σεμνύνοντες οἱ νέοι καλοῦσιν· „Ebenso haben sie jene andere von Besonnenen vermittelst der Vögel und anderer Zeichen angestellte Erforschung der Zukunft, da diese mit Bewußtsein menschlichem Dafürhalten Einsicht und Wissenschaft verschaffen, das Wißsagen genannt, welches jetzt die Neueren mit dem breiten Doppellaut prunkend in Weissagen verwandelt haben.“ 409 405 Vgl. Erbse, Fiktion, 142, und v.a. Müller, Legende, 1-54, der dies im Kontext der Entwicklung der archaischen Literatur bis hin zu Herodot beschreibt. 406 Aristot. Poet. 1458 a 27. 407 Erbse, Fiktion, 142. 408 Plat. Phaidr. 243 e 9ff. 409 ÜS Schleiermacher. 142 Die hier angedeutete Entwicklung von der Übertragung der Weissagung göttlicher Herkunft in die menschliche Sphäre spiegelt sich sowohl in der literarischen Weiterentwicklung des Rätsels in seiner kontradiktorischen Form als auch in der Ambivalenz von Figuren der ‚Weisen‘ und ihrem Kampf um die Weisheit. 410 Diese Ambivalenz bringt Herodot zu Beginn des persischen Einfalls in das Land der Skythen zum Ausdruck: Die Skythen sind das einzige Volk unter den unzivilisierten Völkern westlich des Pontos Euxeinos, dem er als große Ausnahme σοφία bescheinigt und zu dem ein herausragender Weiser zählt, nämlich Anacharsis (Hdt. 4,46). Die ‚Weisheit‘ der Skythen besteht in dem typischen Merkmal ihrer nomadischen Lebensweise (Hdt. 4,46,2f.): τῷ δὲ Σκυθικῶ γένει ἓν μὲν τὸ μέγιστον τῶν ἀνθρωπηίων πρηγμάτων σοφώτατα πάντων ἐξεύρηται τῶν ἡμεῖς ἴδμεν, τὰ μέντοι ἄλλα οὐκ ἄγαμαι: τὸ δὲ μέγιστον οὕτω σφι ἀνεύρηται ὥστε ἀποφυγεῖν τε μηδένα ἐπελθόντα ἐπὶ σφέας, μὴ βουλομένους τε ἐξευρεθῆναι καταλαβεῖν μὴ οἷον τε εἶναι. [3] τοῖσι γὰρ μήτε ἄστεα μήτε τείχεα ἡ ἐκτισμένα, ἀλλὰ φερέοικοι ἐόντες πάντες ἔωσι ἱπποτοξόται, ζῶντες μὴ ἀπ' ἀρότου ἀλλ' ἀπὸ κτηνέων, οἰκήματα τε σφι ᾖ ἐπὶ ζευγέων, κῶς οὐκ ἂν εἴησαν οὗτοι ἄμαχοί τε καὶ ἄποροι προσμίσγειν; „Der große Vorteil besteht darin, dass ihnen niemand entrinnen kann, der gegen sie zieht, und dass keiner sie fassen kann, wenn sie sich nicht auffinden lassen wollen. Leute, die sich weder Städte noch Mauern gegründet haben, die ihre Wohnstätten mit sich führen und sämtlich Bogenschützen zu Pferde sind, die nicht vom Ackerbau, sondern von der Viehzucht leben und deren Heim auf Wagen ruht - wie sollte ein solches Volk nicht unbezwingbar und schwer zu stellen sein! “ Und doch: Gerade Anacharsis, der weiseste der Skythen entrinnt trotz seiner Weisheit nicht dem Verhängnis: Nachdem er seine Reisen durchgeführt hatte und seine σοφία gezeigt hatte, wird er von seinen Stammesbrüdern getötet, weil er fremde Sitten angenommen habe. 411 Die Skythen zeichnen sich durch besondere Weisheit aus, aber ihren berühmtesten Mann schützt seine - auch bei den Griechen bekannte - Weisheit nicht davor, von den eigenen Landsleuten getötet zu werden: Die Paradoxie wird dem Leser nachdrücklich vor Augen geführt. Herodot verknüpft aber die Figur des Anacharsis mit der Weisheits- und Wahrsagungstradition der Griechen. In den inhaltlichen Elementen seiner Skythendarstellung, insbesondere bei den Enarern, verwendet er die verschiedenen antithetischen Darstellungsformen des Rätsels. Da nun wiederum ganz unbestritten gerade die Nomaden als das Gegenbild der griechischen Zivilisation gelten, muss man sich fragen, welchen Zusammenhang Herodot hier herstellen will. 410 Colli, Geburt, 50ff. Vgl. dazu oben Kap. II und III. 411 Hdt. 4,76. Vgl. dazu unten Kap. VI. 143 Derjenige, der das Rätsel, also die kontradiktorische Ausdrucksweise in der hier beschriebenen Form, in seiner Beziehung zur σοφία besonders betont hat, ist unzweifelhaft Heraklit (DK 22 B 56): ἐξηπάτηνται, φησίν, οἱ ἄνθρωποι πρὸς τὴν γνῶσιν τῶν φανερῶν παραπλησίως Ὁμήρωι, ὃς ἐγένετο τῶν Ἑλλήνων σοφώτερος πάντων. ἐκεῖνόν τε γὰρ παῖδες φθεῖρας κατακτείνοντες ἐξηπάτησαν εἰπόντες· ὅσα εἴδομεν καὶ ἐλάβομεν, ταῦτα ἀπολείπομεν, ὅσα δὲ οὔτε εἴδομεν οὔτ' ἐλάβομεν, ταῦτα φέρομεν. „Bei der Erkenntnis der sichtbaren Dinge werden die Menschen getäuscht, ähnlich wie Homer, der weiser war als alle Griechen. Ihn täuschten nämlich jene jungen Leute, die Läuse zerdrückt hatten und ihm sagten: ›Was wir gesehen und gefangen haben, lassen wir zurück; was wir nicht gesehen und nicht gefangen haben, tragen wir bei uns.‹“ 412 In diesem Fragment bezieht sich Heraklit auf das Rätsel, bei dessen Lösung nach der antiken Überlieferung Homer so verzweifelte, dass er starb. Der Erkenntniszweifel wird dabei so auf die Spitze getrieben, dass nur noch dieser Schritt bleibt. Heraklit formuliert dabei ein Rätsel über das Rätsel, indem er hier Homer einer Täuschung durch das erste Rätsel unterlegen sein lässt. Das Ziel ist die Entlarvung der sichtbaren Dinge als trügerische Wirklichkeit, so wie er in einem anderen Fragment [( περὶ μεγέθους ἡλίου ) <εὖρος ποδὸς ἀνθρωπείου>. ] 413 die res factae, hier also die sichtbaren Objekte, auf illusionäre Sinneseindrücke reduziert. 414 Nur in der Perspektive der antinomischen Struktur des Rätsels können die Gegensätze zu einer Einheit geführt werden, 415 die aber wiederum nur der wirklich Weise versteht. Diese gedankliche Struktur, die auch der herodoteischen Darstellung zugrunde liegt, ist im 5. Jahrhundert weit verbreitet gewesen, wenngleich in äußerst kontroverser Form. Speziell die Gegensatzlehre, die die Philosophie und Medizin des 5. Jahrhunderts so überdeutlich prägt, ist ein Modell, in dem sich alle kontroversen Vorstellungen von Bewegung und Veränderung, von Werden und Vergehen niedergeschlagen haben. Für Parmenides, der die Unteilbarkeit und Einheit des Seins annahm, konnte es aus logischen Gründen kein Werden, keine Veränderung und somit auch keine μεταβολή geben. Die entgegengesetzte Wahrnehmung der Sterblichen erklärt Parmenides als δόξα , als Schein. 416 Sein Schüler Zenon entwickelt die 412 ÜS Colli, Geburt, 59 = ders., La Sapienza Greca III - Eraclito, 14 [A24]. 413 Herakl. DK 22 B 3: „Die Sonne hat (wie sie erscheint) die Breite eines menschlichen Fußes.“ 414 Colli, Geburt, 60f. Vgl. dazu K. Sier, Warum ist Heraklit so schwierig? , in: Kath/ Rücker, Geburt. 415 Vgl. dazu ausf. Schubert, Macht, 143ff. Zur Typologie der Weisheit: Assmann, Was ist Weisheit, in: dies. (Hrsg.), Weisheit, 15ff.. 416 Parmenides DK 28 B 8,38f. Zu den von Diels abweichenden Lesungen der Z. 38 E. Heitsch, Parmenides. Die Anfänge der Ontologie, Logik und Naturwissenschaft. Die Fragmente, hrsg., übers. und erl., München 1974: τῷ πάντ᾽ ὄνομ᾽ ἔσται ; U. Hölscher, Parmenides. Vom Wesen des Seienden. Die Fragmente griechisch und deutsch, hrsg., 144 berühmten Paradoxien, um die Unteilbarkeit des Seins zu beweisen, um auch zu zeigen, wie es kaum möglich ist, in einer ‚objektiven‘ Weise über Bewegung und Veränderung zu reden. 417 Anaxagoras hingegen ist der Ansicht, dass alle Dinge unendlich teilbar seien, so dass es zwar kein wirkliches Werden und Vergehen gäbe, die unendliche Vielfalt der Dinge auch nicht wahrgenommen werden könne, doch durch die ständige Trennung und Mischung allem eine Bewegung zugrunde läge, die tatsächlich wahrgenommen werden kann. 418 Die Paradoxie dieser Positionen, die sich in einem radikalen Erkenntniszweifel niederschlägt, war den Teilnehmern an diesem Diskurs, der alle theoretischen Texte des 5. Jahrhunderts durchzieht, durchaus bewusst. Die Skepsis gegenüber jedweder Rationalitätsform ist deutlich zu erkennen! 419 Die berühmten Thesen des Gorgias unterstreichen dies in aller wünschenswerten Klarheit. 420 In diesen Diskurs fügt sich Herodots Darstellungsweise im Skythenexkurs gleichsam wie das erkenntnistheoretische Versteckspiel ein: Die Irreführung durch die sichtbaren Dinge, die Scheinbarkeit der gegebenen Objektivität des Faktischen stellt er dem Leser nicht explizit dar, aber deutlich in den formalen und inhaltlichen Mustern, die er verwendet. Die epistemische Ordnung, auf die sich die beiden Skythendarstellungen beziehen, verweist auf eine prekär gewordene Vorstellung von Rationalität, auch, und das zeigt De aeribus in aller Deutlichkeit, in medizinischen Texten, bei denen die Anforderungen an den Rationalitätsnachweis eher höher waren. Offenbar ist gerade die Figur des Nomaden besonders geeignet, sowohl die Fragwürdigkeit als auch die Sicherheit solcher epistemischen Strukturen zu beschreiben. So wie der Autor von De aeribus seine Ordnung durch Abgrenzung und Ausschluss herstellt, so werden bei Herodot über die Pa- übers. und erl., Frankfurt a. M. 1969: τῶι πάντ᾽ ὀνόμαστι ; zu der Lesung ὀνόμαστι im einzelnen: A.P.D. Mourelatos, The Route of Parmenides. A study of Word Image, and Argument in the Fragments, New Haven CONN 1970, 180-85; A.P.D. Mourelatos, (Hrsg.), The Pre-Socratics. A Collection of Critical Essays, 2nd rev. ed., Princeton NJ 1993, 312-49, v.a. 320. Zu der Interpretation von δόξα : H. Schwabl, Sein und Doxa bei Parmenides, in: H.-G. Gadamer (Hrsg.), Um die Begriffswelt der Vorsokratiker, (Wege der Forschung 9), Darmstadt 1968, 391-422, hier 407 zu 8,51ff.; ihm folgt J. Mansfeld, Die Offenbarung des Parmenides und die menschliche Welt, Assen 1964, 123-31. Vgl. W.K.C. Guthrie, A History of Greek Philosophy Vol. 2: The Presocratic Tradition from Parmenides to Democritus, Cambridge 1965, 50-54; F. Macdonald Cornford, Plato and Parmenides. Parmenides’ „Way of truth” and Plato’s „Parmenides”, translated with an introduction and a running commentary, (International Library of Psychology, Philosophy and Scientific Method), London 1980, 46ff. M.C. Stokes, One and Many in Presocratic Philosophy, (Publications of the Center for Hellenic Studies), Cambridge MA 1971, 144ff. 417 Stekeler-Weithofer, Philosophiegeschichte, 170. 418 Schubert, Macht, 155ff. 419 Vgl. Schubert, Macht, 136. 420 Gorgias DK 82 B 3. Vgl. dazu oben S. 127. 145 radoxie der Positionen die nomadischen Skythen als Teil der eigenen Wissenswelt integriert. 421 Auch die Sinnstiftung zeigt diesen Unterschied: Zwar sind die hier gewählten Beispieltexte aus ein und demselben zeitlichen Zusammenhang, jedoch verweisen sie auf so unterschiedliche Erfahrungsräume, dass der Bezug auf das Gegenbild des Nomaden eine tiefere Begründung erfordert als lediglich den Bezug auf eine generell polare Struktur der Dichotomie von Sesshaften und Nomaden. Dass ausgerechnet die Figur des Nomaden in dem hier unzweifelhaft vorliegenden Diskurs über Rationalität zu einem zentralen Repräsentationsobjekt wird, verweist darauf, dass der Figur ein weit höheres Wirkungspotential zukommt als bisher angenommen. Die asymmetrische Struktur in den sog. Komplementärfiguren wie etwa derjenigen vom edlen/ bösen Wilden, z.T. sogar als Komplementärmythen bezeichnet, 422 wird als universale Erklärung verwendet. 423 Es ist unstrittig, dass die Gegenbegriffe der Sesshaften und Nomaden eine vergleichbare Sprachfigur sind. An einzelnen Fallstudien und vor allem an der geschichtlichen Wirksamkeit kann sich allerdings erst erweisen, ob darin auch ein wirkmächtiger Anspruch mit Identitäts- und Argumentationspotential zum Ausdruck kommt. 421 Dies zeigt sich besonders deutlich in der Figur des Anacharsis, vgl. dazu unten Kap. VI. 422 Fink-Eitel, Philosophie, 110. 423 R. Kosellek, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1989, 213. Er erläutert diese Vorstellung vom universalen Anspruch binärer Gegenbegriffe am Beispiel der asymmetrischen Gegenbegriffe Hellenen/ Barbaren, Christen/ Heiden, Mensch/ Unmensch bzw. Übermensch/ Untermensch. 146 VI Anacharsis und die griechische Weisheit 1. Anacharsis’ Weisheit bei Herodot Anacharsis, der Skythe, tritt in der antiken Literatur, wie bereits beschrieben, meist als einer der Sieben Weisen auf. Seine skythische Herkunft und sein Nomadentum sind Attribute, die vordergründig betrachtet eher illustrativ wirken und völlig von der Weisheit, für die er berühmt war, überlagert werden. Als Weiser wird er so einer Gruppe zugeordnet, die wie er als Lehrer, Philosophen und Ratgeber ihrer Zeitgenossen in der antiken Literatur, in der Öffentlichkeit ebenso wie im Schulalltag ein langes Nachleben führten. 424 Doch seine Herkunft aus dem Skythengebiet und seine nomadische Lebensform haben ihm immer eine Sonderrolle gegeben, deren Ursprung jedoch nie in den Quellen begründet wird. Er ist der einzige Nicht- Grieche in diesem Kreis und ebenso wie bei den anderen sieben Weisen lässt sich auch bei ihm nicht bestimmen, seit wann er zu diesem illustren Kreis gehörte. Der Ausgangspunkt dieser langen Karriere eines skythischen Nomaden liegt in den beiden, bereits genannten Erwähnungen bei Herodot. In 4,46,1ff. nennt er Anacharsis einen ἄνδρα λόγιον oder (nach anderen Handschriften) λόγιμον : ὁ δὲ Πόντος ὁ Εὔξεινος, ἐπ' ὃν ἐστρατεύετο ὁ Δαρεῖος, χωρέων πασέων παρέχεται ἔξω τοῦ Σκυθικοῦ ἔθνεα ἀμαθέστατα. οὔτε γὰρ ἔθνος τῶν ἐντὸς τοῦ Πόντου οὐδὲν ἔχομεν προβαλέσθαι σοφίης πέρι οὔτε ἄνδρα λόγιμον οἴδαμεν λεγόμενον, πάρεξ τοῦ Σκυθικοῦ ἔθνεος καὶ Ἀναχάρσιος. [2] τῷ δὲ Σκυθικῶ γένει ἓν μὲν τὸ μέγιστον τῶν ἀνθρωπηίων πρηγμάτων σοφώτατα πάντων ἐξεύρηται τῶν ἡμεῖς ἴδμεν, τὰ μέντοι ἄλλα οὐκ ἄγαμαι: 425 „(1) Der Pontos Euxeinos, gegen den Dareios Krieg führte, hat von allen Ländern die unwissendsten Völker mit Ausnahme der Skythen. Denn weder können wir ein Volk diesseits des Pontos als Beispiel für Weisheit anführen, noch kennen wir einen Mann, der als berühmt ( λόγιμον ) bezeichnet wird ( λεγόμενον ), außerhalb des skythischen Volkes und Anacharsis. (2) Das skythische Volk hat innerhalb des menschlichen Bereichs, soweit wir wissen, aufs schlaueste einen ganz bedeutenden Vorteil entdeckt, obgleich ich es im übrigen nicht bewundere.“ Die Manuskripte zeigen, wie Kindstrand betont hat, hier eine für das Verständnis des Anacharsis nicht unwesentliche Differenz: Ein Teil der Handschriften hat λόγιος (ABC), ein anderer λόγιμον (PDRSV). 426 Auch statt 424 Vgl. dazu oben Kap. I und jetzt C. Taube, Der Skythe Anacharsis als weiser Normade in der antiken Literatur, in: Kath/ Rücker, Geburt. Für eine Rezeption des Anacharsis im weiteren Alltagsbereich s. M. Rücker, Anacharsis in der Schule? Einsichten aus Papyri und Ostraka, in: Kath/ Rücker, Geburt. 425 Vgl. unten zu Textvarianten Kap.VI. Dazu ausf. auch Kindstrand, Anacharsis, 27f. 426 Kindstrand, Anacharsis, 26f. 147 γενόμενον weist ein Teil der Handschriften λεγόμενον (PDRSV) auf. Im Gegensatz zu der älteren Ausgabe von Stein ( 4 1896) haben sich alle neueren Herausgeber hier für λόγιος entschieden, damit konsequent auch für γενόμενον . 427 Da Herodot beide Ausdrücke auch andernorts verwendet, ἀνὴρ λόγιμος jedoch weitaus häufiger als ἀνὴρ λόγιος und auch in mit 4,46 eher vergleichbaren Kontexten, 428 scheint das eher dafür zu sprechen, dass er mit dieser Formulierung Anacharsis als einen berühmten und nicht etwa als einen der Rede oder etwa im Abfassen von λόγοι kundigen Skythen charakterisieren will. Damit ist Anacharsis nicht durch λόγοι ausgezeichnet, sondern dadurch, dass er einfach nur ein berühmter Mann war. Ein ἀνὴρ λόγιος wäre demgegenüber bereits hier als sehr griechisch geprägter Weiser eingeführt. Im Gegensatz dazu ist der ἀνὴρ λόγιμος noch nicht in irgendeiner Weise auf eine kulturspezifische Weisheit festgelegt. Im Vergleich zu Solon, der als einziger wie Anacharis von Herodot als θεωρός charakterisiert wird, scheint eine allgemeinere Bedeutung dieser reisenden Weisen durch. So wird Solon von Kroisos mit den Worten begrüßt (Hdt. 1,30,2): Ξεῖνε Ἀθηναῖε, παρ' ἡμέας γὰρ περὶ σέο λόγος ἀπῖκται πολλὸς καὶ σοφίης εἵνεκεν τῆς σῆς καὶ πλάνης, ὡς φιλοσοφέων γῆν πολλὴν θεωρίης εἵνεκεν ἐπελήλυθας. „Gastfreund aus Athen, der Ruf deiner Weisheit ist auch zu uns gekommen, man hat uns oft erzählt von deinen Wanderungen, wie du viele Länder besucht hast, um sie zu sehen und aus Liebe zur Weisheit.“ So kommt Solon zu Kroisos als berühmter Mann, von dem bereits viel bekannt war, vor allem seine Weisheit. Auch für Anacharsis wird erkennbar, dass Herodot eine Beziehung knüpft zwischen σοφία und Berühmtheit, wobei beides, die Skythen und Anacharsis gleichermaßen in den Gegensatz bringt zu anderen Völkern am Pontus Euxinus, die für Herodot ἀμαθέστατα sind. Auch die zweite Passage, in der Herodot Anacharsis erwähnt, weist auf einen komplexen Kontext hin, in dem die σοφία eine besondere Rolle spielt (Hdt. 4,76,1-3): ξεινικοῖσι δὲ νομαίοισι καὶ οὗτοι φεύγουσι αἰνῶς χρᾶσθαι, μήτε τεῶν ἄλλων, Ἑλληνικοῖσι δὲ καὶ ἥκιστα, ὡς διέδεξαν Ἀνάχαρσις τε καὶ δεύτερα αὖτις Σκύλης. [2] τοῦτο μὲν γὰρ Ἀνάχαρσις ἐπείτε γῆν πολλὴν θεωρήσας καὶ ἀποδεξάμενος κατ' αὐτὴν σοφίην πολλὴν ἐκομίζετο ἐς ἤθεα τὰ Σκυθέων, πλέων δι' Ἑλλησπόντου προσίσχει ἐς Κύζικον. [3] καὶ εὗρε γὰρ τῇ μητρὶ τῶν θεῶν 427 Kindstrand, Anacharsis, 27 mit Anm. 37; Hude (OCT) dazu Rosén (Teubner) und Legrand (Budé) haben sich alle für λόγιον und γενόμενον entschieden. 428 λόγιος : Hdt. 1,1; 2,3 und 2,77; λόγιμος : Hdt. 8,11; 8,65; 8,126; 9,16; 9,24; 9,37; 9,64. Auf der Basis dieser Vergleichsbelege argumentiert Kindstrand, Anacharsis, 27 m.E. sehr überzeugend für λόγιμος ; anders A. MacArmstrong, Anacharsis the Scythian, in: Greece & Rome 17/ 49 (1948), 18-23. Wenn man sich wie hier für λόγιμον entscheidet,so folgt daraus, wenn man konsequent bei den Lesarten des b-Zweiges der Handschriften bleibt, auch die Entscheidung für λεγόμενον. 148 ἀνάγοντας τοὺς Κυζικηνοὺς ὁρτὴν μεγαλοπρεπέως κάρτα, εὔξατο τῇ μητρὶ ὁ Ἀνάχαρσις, ἢν σῶς καὶ ὑγιὴς ἀπονοστήσῃ ἐς ἑωυτοῦ, θύσειν τε κατὰ ταὐτὰ κατὰ ὥρα τοὺς Κυζικηνοὺς ποιεῦντας καὶ παννυχίδα στήσειν . 429 „Gegen fremde Sitten haben auch sie einen wahren Abscheu; ganz besonders wehren sie sich gegen griechische Bräuche, wie Anacharsis und später wieder Skyles bewiesen haben. (2) Denn als Anacharsis zu den Wohnorten der Skythen zurückkehren wollte, nachdem er viele Länder gesehen und dabei seine große Weisheit gezeigt hatte - als er auf der Fahrt durch den Hellespont in Kyzikos landete (3) (er fand nämlich das Volk dieser Stadt bei einem prächtigen Fest zu Ehren der Göttermutter) gelobte er der Göttin, wenn er wohlbehalten und gesund heimkehre, wolle er ihr in der Weise opfern, wie er es in Kyzikos gesehen habe und ihr ein nächtliches Fest gestalten.“ Entweder ist Anacharsis zu seinen Reisen als ungebildeter Nomade aufgebrochen und hat - wie der Kontext 4,76-77 zeigt - vor allem im griechischen Bereich Wissen und Kultur erworben. Diese Prägung kam ihn dann aufgrund der Ablehnung fremder Sitten durch die Skythen teuer zu stehen. Oder er hat eine Weisheit im Sinne eines praktischen, aber doch herausgehobenen und bewunderten Wissens bereits gehabt, die ihn in der Folge auf seinen Reisen durch Griechenland bekannt und berühmt werden ließen. Das Partizip ἀποδεξάμενος lässt sich mit beiden, hier beschriebenen Interpretationen verbinden: Als Aorist Medium von ἀποδείκνuμι in der Bedeutung „Anacharsis zeigt den Griechen seine Weisheit/ lehrt die Griechen seine Weisheit“ und als Aorist Medium von ἀποδέχομαι für „Anacharsis empfängt für sich die Weisheit der Griechen/ wird die Weisheit der Griechen gelehrt“. 430 Für diese zweite Version entscheiden sich die heutigen Interpreten in der Regel, wenngleich sich dies offenbar unhinterfragt dem Topos einer hierarchischen Vorstellung von griechischer Kulturüberlegenheit verdankt. 431 429 Text nach Hude (OCT), Legrand (Budé) hat Ἀναχάρσι und Σκύλη . 430 Hier ist bei κατ' αὐτὴν ein γῆν hinzu zu denken, in dem Sinne, dass Anacharsis viele Länder gesehen und dort (in diesen Ländern) viel an Weisheit bekundet habe. Zu einer vergleichbaren Formulierung: Hdt. 1,30,2 für Solon. 431 Kindstrand, Anacharsis, 28. Er entscheidet sich für die Bedeutung als Partizip Aorist von ἀποδέχομαι , weniger aus sprachlichen Gründen oder mit Bezug auf Parallelstellen als mit Bezug auf den Vergleich zu Solon, der auf seinen Reisen Wissen erworben habe. Allerdings ist dies eine Vermischung der Ebenen: Die Stellung Solons als Weiser ist historisch begründet durch seine politische Tätigkeit in Athen und anschließend reist er z.B. an den Hof des Kroisos, wo er dann weitere Bekundungen seiner Weisheit gibt. Es ist nicht so, dass er diese Weisheit auf seinen Reisen erworben und sie dann in praktischer Tätigkeit angewandt hätte. In Hdt. 1,29 ist für Solon genau wie für Anacharsis das „Schauen“ (s.o. in 4,76,1 θεωρήσας ) das Charakteristikum des Reisens, aber nicht etwa als Grundlage eines Weisheitserwerbs, sondern um die Weisheit zu zeigen. Auch in einer der neuesten Publikationen zu dem Thema der Sieben Weisen (Althoff, et al. (Hrsg.), Worte), findet sich in dem Beitrag von Asper, ‚Literatursoziologisches’, in: Althoff, et al. (Hrsg.), Worte, 93 folgende Wertung: „Eine Figur wie Anacharsis zeigt, dass dieses Bewußtsein [sc. die Sieben Weisen als die 149 Im Kontext des sonstigen Wortgebrauchs bei Herodot für ἀποδείκνuμι / ἀποδέχομαι zeigt sich, dass sowohl für die Bedeutung als auch für die Konstruktion eher Parallelen für ἀποδείκνuμι / ἀποδεξάμενος zu finden sind, während sich für ἀποδέχομαι / ἀποδεξάμενος nichts Ensprechendes im Werk Herodots finden lässt. 432 Wenn Anacharsis seine Reisen als ungebildeter Skythe durchgeführt hat - im Sinne von Bildungsreisen - und dabei Weisheit erworben hat, dann bedeutet dies, dass er - vorzugsweise bei den Griechen - das Wissen der Weisen erlernt hat. Wenn er hingegen auf seinen Reisen in vielen Ländern seine Weisheit gezeigt hat, dann geht es hier um ein spezifisches Wissen der Skythen, das Anacharsis in anderen Ländern mitgeteilt oder sogar demonstriert hat. In diesem Fall ist er nicht der ungebildete Wilde, der einen Zivilisationsschub durch die Bildungsreise in eine höher stehende Kultur erhält, sondern es stehen unterschiedliche Kulturbereiche nebeneinander, deren jeder durch je eigenes Weisheitswissen geprägt ist. Wieder hier zeigt der Vergleich mit Solon, wo Anacharsis steht. 433 Solon demonstriert bei Kroisos ebenfalls seine Weisheit und kommt nicht etwa an dessen Hof, um dort zu lernen. Allerdings berichtet Herodot auch, dass Solon auf seiner Reise nach Ägypten ein Gesetz des Amasis für so vorbildlich erachtete, dass er es in Athen einführte. 434 Insofern ist der θεωρός ein Weiser, der beides kann: Seine Weisheit zeigen, aber auch gute Einrichtungen und Sitten anderer Länder oder Völker nach Hause mitbringen. Anacharsis scheitert jedoch im Gegensatz zu Solon an dieser anderen Seite des Weisen. Damit unterstreicht Herodot die gefährliche Seite dieser Art von Weisheit, die aus dem ‚Schauen vieler Länder’ des reisenden Weisen herrührt. Platon beschreibt in seinen Nomoi, dass es Regeln und Gesetze für das Verhalten der θεωροί geben muss und er beschreibt ganz genau die Gefahren, die daraus entstehen können, wenn durch die Erfahrungen der Reisenden neue Sitten und Vermischungen von kulturellen Gebräu- Griechen schlechthin, C.S.] aber auch integrative Züge gehabt haben kann (allerdings ist die Integration eine hierarchische: Die Überlegenheit griechischer Weisheit wird durch ihn geradezu bestätigt).“ 432 Vgl. Kindstrand, Anacharsis, 27, der zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt, sich jedoch trotzdem für die Variante ἀποδέχομαι / ἀποδεξάμενος entscheidet; seine Begründung ist - neben der inhaltlichen, s.o. -, dass sonst ein Widerspruch zu θεωρήσας aufträte. Das ist nicht nachvollziehbar, s. für eine vergleichbare Bedeutung z.B. in Hdt. 4,97, eine vergleichbare Konstruktion Hdt. 7,23. Vgl. E.J. Bakker, The Making of History: Herodotus Histories Apodexis, in: E.J. Bakker/ I. De Jong/ H. Van Wees (Hrsg.), Brill’s Companion to Herodotus, Leiden 2002, 351-71, zu Hdt. 1,1. 433 Vgl. Nightingale, Spectacles, 64f. 434 Hdt. 2,177. Wenn dies historisch wäre, dann hätte es gravierende Auswirkungen auf die Chronologie des 6. Jahrhunderts: Dann wären die Gesetze und Reformen Solons kaum vor der Mitte des Jahrhunderts anzusetzen und die Tyrannis der Peisistratiden hätte sicher erst 546 v.Chr. beginnen können. Zu diesen Problemen vgl. Fehling, Die Sieben Weisen. 150 chen einträten. 435 Daher plädiert er für eine strenge Kontrolle, ja Auswahl und Aufsicht derjenigen, die als θεωροί in andere Länder reisen dürfen. Bei ihrer Rückkehr sollen sie dann der Versammlung der Bürger Rechenschaft ablegen. Die Versammlung aber entscheidet, ob die Erfahrungen und Kenntnisse zu Lob und Ehre Anlass geben oder ob, wenn sie die Sitten des eigenen Landes gefährden bzw. der θεωρός korrumpiert worden ist, er einer vollständigen Kontaktsperre unterliegen soll, damit sich nichts von den negativen Einflüssen in der Polis ausbreiten kann. 436 Genau diesen Zusammenhang beschreibt Herodot am Beispiel des Anacharsis, wobei er dies auch in einen größeren Kontext setzt, nämlich denjenigen der griechischen Weisheit. σοφία selbst tritt bei Herodot hier und an anderen Stellen vergleichbaren Inhalts immer ohne Artikel auf. 437 Bereits daraus wird deutlich, dass er ein allgemeines Konzept von Weisheit meint, das in seiner Abstraktheit auch bei anderen Autoren für die Bereiche von Kunst, Wissenschaft, Tugenden und Laster zu finden ist. 438 Hier ist der Zusammenhang so zu sehen, dass die Skythen einerseits durchaus über Weisheit verfügen, andererseits jedoch fremde Sitten strikt ablehnen. Am Beispiel des Anacharsis will Herodot zweierlei demonstrieren: Einerseits ist er ein Weiser, der viel gesehen hat und als berühmter Mann in vielen Ländern bekannt ist wie etwa auch Solon; andererseits hat er aber einen gravierenden Fehler gemacht, nämlich die Ablehnung fremder Sitten durch sein eigenes Volk zu missachten. Er hat den Kult für die Göttermutter auf seiner Rückreise kennengelernt und gelobt, wenn er wohlbehalten zurückkehre, dieser ein Fest auszurichten. So beschreibt Herodot ausführlich, dass die σοφία Anacharsis nicht davor bewahrt hat, den Fehler zu begehen, der ihn dann sogar das Leben kostete: Der skythische König Saulios wird herbeigerufen, als Anacharsis bei seiner Rückkehr in die Heimat den Ritus für die Göttermutter ausführen will. Denn dieses Ritual hat er bei seinem Auftenthalt in Kyzikos kennengelernt und dort als θεωρός beobachtet. Dort hat er gelobt, bei einer glücklichen Heimkehr diesen Kult auch bei den Skythen einzuführen. Herodot beschreibt genau den Ablauf des Festes, bei dem Anacharsis mit dem Tympanon in der Hand und umgehängten ἀγάλματα aufgetreten sei. Saulios beobachtet ihn und erschießt Anacharsis eigenhändig mit einem Pfeil, um durch den Tod den hier aus skythischer Sicht offenbar gewordenen Frevel zu ahnden und die Integrität der Skythen wiederherzustellen. Daraufhin sei Anacharsis auch einer damnatio memoriae zum Opfer gefallen. Herodot führt als Beleg dafür, dass seine Darstellung zuverlässig sei, obwohl die Skythen Anacharsis verleugnen, den Bericht eines Würdenträgers 435 Plat. Leg. 951 a 1ff. Dazu ausf. Nightingale, Spectacles, 65f. 436 Plat. Leg. 952 c. 437 Vgl. Hdt. 1,60,15; 2,20,2; 3,85,6; 4,77,6 (dazu im Folgenden ausf.); 4,157,8; 7,23,13; 9,62,13. 438 Kühner-Gerth, Grammatik der griechischen Sprache I, § 462 i, 606f. mit Belegen. 151 an, eines gewissen Tymnes, der ihm über die Erläuterung der Abstammung des Anacharsis aus dem skythischen Königshaus so einen Historizitätsnachweis übermittelt habe. 439 Ein 1991 publizierter, in Olbia gefundener Grafitto aus der 2. Hälfte des 6. Jh.v.Chr. mit der Aufschrift eines Briefs erwähnt eine Opferhandlung in dem Gebiet der Ὑλαίη (Z.6) und dort befindliche Altäre, die - so offensichtlich der Anlass des Schreibens - erneut beschädigt worden seien. 440 Als Götter, denen diese Altäre geweiht seien, werden die Göttermutter, Borysthenes und Herakles genannt. Immerhin deutet dies daraufhin, dass der Kult für die Göttermutter in dieser Zeit tatsächlich in das Skythengebiet gekommen ist und dass es eine Übernahme religiöser Bräuche gegeben haben kann. Die legendenhafte Ausschmückung wäre dann auch nicht weiter verwunderlich, da dies im Zusammenhang mit Kultetablierungen eher die Regel als die Ausnahme ist. Somit kann die σοφία , die Anacharsis auf seinen Reisen demonstriert hat und die ihn zu einem so berühmten Mann ( ἀνὴρ λόγιμος ) gemacht hat, nur eine von der griechischen σοφία wesensmäßig verschiedene und originär skythische sein. 441 Herodot will hier, neben der skythischen Ablehnung fremder Gebräuche auch zeigen, dass es eine richtige und eine falsche σοφία gibt (s.u. zu den Beispielen Thales und Pythagoras), diese also immer eine charakteristische Relativität aufweist. Die Vorstellung von σοφία am Beispiel der Anacharsis-Legende weist auf einen spezifischen Kontext von Bildung und Wissen hin, den Herodot hier nicht nur implizit verwendet, sondern den er auch ganz bewusst zur Grundlage seiner Darstellungskonzeption macht. Wenn Anacharsis seine Weisheit während seiner Bildungsreisen oder speziell sogar von den Griechen erworben hätte, dann käme hier ein Bildungs- und Erziehungsverständnis zum Ausdruck, das der sophistischen Vorstellung entspräche, je- 439 Vgl. zu Tymnes unten Anm. 446. 440 SEG XLII, 1992 (1995) 196f., Nr. 10; L. Dubois, Inscriptions grecques dialectales d’Olbia du Pont, Genf 1996, 57 datiert, anders als die Herausgeber den Grafitto auf die Zeit um 400 v.Chr.; demgegenüber beziehen sich die Herausgeber auf die Datierung des Gefäßfragmentes, dessen Stil archaisch ist und auf den ebenso archaischen Charakter der Buchstabenform; so auch Ivantchik, Kolonisation, 102f. Vgl. den Votivgrafitto aus der ersten Hälfte des 5. Jh.v.Chr. bei Dubois, Inscriptions, 129-30, Nr. 81 und IOSPE I 2 34, in denen das Gebiet der Hylaia ebenfalls erwähnt wird. Ivantchik, Kolonisation a.a.O. weist auf die Formulierung [Μητρὶ Θε]ῶν μεδεῶσ [ηι] Ὑλαί [ης] („der Mutter der Götter, der Herrscherin der Hylaia“) hin, wobei μεδέων häufig auf Kultzentren hinweise. 441 Eine interessante Parallele hierzu findet sich bei Nikolaos von Damaskus FGrHist 90 F 104 = Joh. Stob. Anth. 3,1,200: ὃς [sc. Ἀνάχαρσις] ἦλθεν εἰς τὴν Ἑλλάδα, ἵνα ἱστορήσῃ τὰ τῶν ἄλλων νόμιμα . Ivantchik, Kolonisation, 35 übersetzt hier in dem Sinn, dass Anacharsis nach Griechenland ging, um dort fremde Sitten zu erlernen. Allerdings ist ἱστορήσῃ Aorist Konj. Aktiv, d.h. es ist nicht zu übersetzen: „Anacharsis informiert sich über die fremden Sitten“, sondern „Anacharsis kam nach Griechenland, um die fremden Sitten zu erforschen“. 152 der könne durch die entsprechende Unterweisung in der richtigen τέχνη ausgebildet werden. 442 Das bedeutet, dass auch ein Nomade, der eigentlich weder über die sprachlichen noch kulturellen Voraussetzungen verfügt, dieses Wissen erwerben kann. Wenn aber die andere Interpretation zugrundegelegt wird, Anacharsis also seine spezifisch skythische Weisheit auf seinen Reisen, u.a. eben auch in Griechenland, demonstriert hat, dann handelt es sich um ein Wissen, das nicht unbedingt von richtiger τέχνη und Ausbildung abhängig ist, aber die gleiche Reputation und dieselbe Wertigkeit in der gesellschaftlichen Anerkennung hat. Besonders aufschlussreich wird dieser Unterschied, wenn der Zusammenhang zwischen Hdt. 4,76 und 4,77 in die Überlegung miteinbezogen wird. Die Geschichte des Anacharsis hat im herodoteischen Werk einen eigenen Stellenwert innerhalb des gesamten Abschnitts 4,46-82 zu den Skythen. Für die Stellung des Skythen-Abschnitts als eines eigenen Stückes sprechen lautliche und morphologische Formen, die zumindest eine redaktionelle Trennung im Vergleich zu den angrenzenden Teilen des Werkes anzeigen. 443 Der Abschnitt beginnt in 4,46 mit der besonderen Art der skythischen σοφία und deren Voraussetzungen. Er schließt in 4,76-82 mit den Exempeln des Anacharsis und des Skyles, anhand deren tödlichem Ende Herodot illustriert, wie die Skythen diese Besonderheit gegen fremde Einflüsse schützen. Innerhalb dieser Komposition nimmt die Geschichte des Anacharsis wiederum eine Sonderstellung ein, die Herodot am Anfang (4,76,1) und am Ende (4,80,5) auch sprachlich deutlich markiert. 444 In einem ‚zeitlosen’ Präsens rahmt er dieses Beispiel aus der Vergangenheit ein, um mit diesen deskriptiv-ethnographischen Aussagen eine Haltung zu beschreiben, die für die Skythen überhaupt charakteristisch ist. 442 Das ist das große Thema in Platons Protagoras 318 aff., wo Protagoras, u.a. in seinem berühmten „Mythos“, diesen Standpunkt vertritt, während Sokrates, z.B. am Paradigma der Söhne berühmter attischer Politiker 320 bff. zeigen will, dass genau dies nicht möglich sei. 443 H.B. Rosén, Eine Laut- und Formenlehre der herodotischen Sprachform, (Indogermanische Bibliothek Reihe 1, Lehr- und Handbücher), Heidelberg 1962, 201 gruppiert diesen Abschnitt als IVB; Vgl. How/ Wells, Herodotus, ad loc. 444 Hdt. 4,76,1 (vgl. oben S. 146f.). Durchaus vergleichbar dem Gebrauch des praesens historicum verwendet Herodot hier ein zeitloses Präsens als Markierung des neuen Abschnittes sowie seines Endes. Zur Verwendung des praesens historicum an wichtigen Punkten einer Erzählung vgl. A. Klose, Der Indikativ Präsens bei Homer, Herodot und Thukydides, Phil. Diss. Erlangen-Nürnberg 1968: In Verbindung mit bestimmten Verben, „die nicht den Verlauf einer Handlung schildern, sondern die Ereignisse her-vorheben, die die Handlung herbeiführen und zum Abschluß bringen“ (Klose, a.a.O. 231). Hdt. wählt hier den Gesichtspunkt, der ihm im Zusammenhang der Anacharsis-Legende wichtig erscheint und worauf er die Aufmerksamkeit seiner Leser/ Zuhörer wenden möchte (Klose a.a.O. 235); diese Verwendung ist bei Hdt. als Stilmittel zu betrachten (Klose, a.a.O. 241), mit dem nicht nur Handlungen auflockernd gestaltet werden konnten, sondern auch ‚implicite’ (Klose, a.a.O. 246) die ‚eigene, subjektive Auffassung’ hervortritt. 153 2. Griechische Weisheit: Rastlosigkeit und Muße In der Darstellung des Anacharsis fallen polemische Töne und Wendungen auf, die einerseits auf die Besonderheit der Figur selbst und verschiedene, mit ihr verbundene Traditionen hindeuten, andererseits jedoch auch Herodots eigenes Vorgehen beleuchten. In 4,76,5 schränkt er die Glaubwürdigkeit der Geschichte von Anacharsis dadurch ein, dass er von der generellen Verleugnung des Anacharsis unter den heutigen Skythen ( νῦν ) berichtet und 4,76,6 heißt es: Εἰ ὦν ταύτης ἦν τῆς οἰκίης ὁ Ἀνάχαρσις, ἴστω ὑπὸ τοῦ ἀδελφεοῦ ἀποθανών· „Wenn nun er aus diesem Haus war, so ist Anacharsis - dass er es nur wisse! - von seinem eigenen Bruder getötet worden.“ 445 Entweder ist Anacharsis einer damnatio memoriae zum Opfer gefallen oder Herdotot will die Fragwürdigkeit der Geschichte betonen. Da er selber allerdings einen Grund dafür angibt, warum die Skythen nichts mehr von Anacharsis wissen wollen ( διὰ τοῦτο ὅτι ἐξεδήμησέ τε ἐς τὴν Ἑλλάδα καὶ ξεινικοῖσι ἔθεσι διεχρήσατο - „weil er aus ihrem Land zu den Griechen gereist ist und fremde Sitten annahm“), ist die damnatio memoriae einigermaßen glaubhaft. Aber Herodot polemisiert hier nicht gegen die damnatio memoriae oder gegen die Sittenverletzung des Anacharsis, sondern gegen die Genealogie, die einem gewissen Tymnes in den Mund gelegt wird. 446 Herodot hat diese Genealogie aus einer Vorlage, die - daher die Anrede im Imperativ - zeigt, dass jemand diesen Anspruch auf königliche Herkunft offensichtlich Tymnes in den Mund gelegt hat. Insofern kann Herodot hier weniger den toten Anacharsis ansprechen als den Autor, der ihn so reden ließ. ἴστω würde dann sagen: Anacharsis, d.h. der Autor, der ihn so reden lässt, muss sich im klaren sein, dass er, wenn die Genealogie wahr ist, dann von seinem eigenen Bruder getötet wurde, was Herodot, so wie er Anacharsis’ Ende erzählt, offensichtlich selbst für unglaubhaft hält. Herodot meint, dass man zu seiner Zeit die 445 Zu der Imperativ-Form ἴστω in Hdt. 4,76,6 How/ Wells, Herodotus, ad loc: „semipersonal address to Anacharsis“; vgl. Hdt. 9,98,3: Hier aber deutlich als Teil einer befehlenden Aufforderung. Macan, Herodotus, ad loc. bezieht ἴστω direkt auf Anacharsis, so dass Herodot ihn (Anacharsis) hier angeredet habe: „The dead man is regarded as conscious and capable of being addressed.“ (Macan, Herodotus, I 51). 446 Dieser Tymnes scheint aus Ionien oder Karien gekommen zu sein, jedenfalls ist der Name in Karien belegt: Erwähnung eines Tymnes in IG I³ 71; IG I³ 267; IG I³ 270; IG I³ 271; IG I³ 272. vgl. Hdt. 5,37,1 und 7,98; L.H. Jeffery, The Inscribed Gravestones of Archaic Attica, BSA 57 (1962),115-153, hier 126, Nr. 18 zu der attischen Grabstele mit der Nennung eines Tym[nes] aus Karien; wenn es sich um einen Einwohner Olbias handelte, dann war er vielleicht milesischer Abstammung; jedenfalls scheint es kein skythischer Name zu sein (so auch Corcella, in: Asheri, et al., Herodotus, 637 zu 4,76,6). 154 Skythen nach Anacharsis fragen könne und sie ihn nicht zu kennen scheinen und erweckt den Eindruck, dass an der Vorlage, aus der er die ganze Geschichte hat, etwas nicht stimmt. Offensichtlich wendet er sich auch gegen eine Vorlage schriftlicher Art, wobei kaum festzustellen ist, ob es sich um Hekataios, Aristeas oder einen weiteren der frühen Logographen oder sogar Pherekydes handelt. 447 Jedoch ist der Kontext für ihn ein größerer als nur die Absicht, einen seiner Vorgänger oder überhaupt einen der frühen Historiker zu desavouieren. Er verfolgt mit dem Exkurs zu Anacharsis ein anderes Ziel, wie sich dann im Abschnitt 4,77 zeigt. Herodot setzt seine Polemik fort und bringt eine zweite Version der Anacharsis-Geschichte, die er von „den Peloponnesiern“ gehört haben will. Nach dieser sei Anacharsis vom Skythenkönig abgesandt worden und bei den Griechen ‚in die Schule gegangen’. Nach seiner Rückkehr habe er seinem König dann mitgeteilt (Hdt. 4,77,1-2): καίτοι τινὰ ἤδη ἤκουσα λόγον ἄλλον ὑπὸ Πελοποννησίων λεγόμενον, ὡς ὑπὸ τοῦ Σκυθέων βασιλέος Ἀνάχαρσις ἀποπεμφθεὶς τῆς Ἑλλάδος μαθητὴς γένοιτο, ὀπίσω τε ἀπονοστήσας φαίη πρὸς τὸν ἀποπέμψαντα Ἕλληνας πάντας ἀσχόλους εἶναι ἐς πᾶσαν σοφίην πλὴν Λακεδαιμονίων, τούτοισι δὲ εἶναι μούνοισι 447 Die Quelle könnte Hekataios sein: R.L. Fowler, Herodotos and his Contemporaries, in: JHS 116 (1996), 62-87, hier 85 beschreibt für den ägypt. Logos ein vergleichbares Vorgehen. Wenn Hdt. sagt „die Ägypter glauben, sagen etc.“ ist es hier aus Hekataios; Fowler vermutet ein gleiches Vorgehen bezüglich Aristeas und der Skythengeschichten und erkennt in einem solchen Vorgehen die typische Rationalisierungsstrategie von Hekataios. L. Pearson, The Early Ionian Historians, Oxford 1939, 62 mit Bezug auf Macan, Appendix II vermutet für das gesamte 4. Buch, dass Hdt. hierbei Hekataios’ Periegesis als Quelle diente, für Hekataios wiederum wird Aristeas als Quelle angenommen. Hdt. erwähnt Hekataios nicht als Quelle für den Skythen-Logos, nur Aristeas von Prokonnesos (4,13ff.); aber er will sich offenbar von Hekataios absetzen (Hdt. 1,101): Melanchlaeni seien kein skythisches Volk - das kann als Polemik gegen eine andere Meinung (z.B. seiner Vorlage) verstanden werden: Vgl. Steph.Byz. 441 s.v. Μελάγχλαινοι (= Stephan von Byzanz FGrHist 1 F 185): Μελάγχλαινοι· ἔθνος Σκυθικόν. Ἑκαταῖος Εὐρώπηι. Κέκληνται ἀφ’ ὧν φοροῦσιν, ὡς Ἱππημολγοὶ παρὰ τὸ τὰς ἵππους ἀμέλγειν καὶ Μοσσύνοικοι παρὰ τὰς οἰκήσεις und s.v. Ματυκέται· ἔθνος Σκυθικόν. Ἑκαταῖος Εὐρώπηι. Pearson, Historians, 63 weist auf den Gegensatz zu Hdt. 4,20 hin, wie Hdt. die Μελάγχλαινοι „ ἄλλο ἔθνος καὶ οὐ Σκυθικόν “ nennt, ebenso zu Hdt. 1,201 in Bezug auf die Massageten (= Ματυκέται ): Εἰσὶ δὲ οἵτινες καὶ Σκυθικὸν λέγουσι τοῦτο τὸ ἔθνος εἶναι. Zu Herodot und Aristeas von Prokonnesos vgl. Burkert, Weisheit, 124f.: Das Epos war im 6. Jh.v.Chr. im Umlauf, Aristeas sei bei den Issedonen gewesen und von dort habe er über die Arimaspen, Greifen und Hyperboreer erfahren, dazu bringt Hdt. eine Lokalsage aus Prokonnesos (4,14) und aus Metapont (sic! ). Hdt. hatte zu Anacharsis bestimmt bereits mehrere Traditionen vorliegen, ganz sicher nicht nur mündliche, sondern offenbar auch mehrere schriftliche Vorlagen (s.u. zu 4,77), vgl. z.B. auch 4,27 die Etymologie zu den Arimaspen: Die Griechen verwenden eine skythische Etymologie zur Erklärung eines Ethnikons, vgl. Fowler, Contemporaries, 72 mit weiteren Beispielen sowie Literatur. Vgl. West, Portrait, zu der Unwahrscheinlichkeit der mündlichen Präsentation des Hekataios in Ägypten. Es spricht viel dafür, dass als Quelle bei Hdt. hier sicher eher eine schriftliche Vorlage anzunehmen ist. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Hdt. hier Pherekydes benutzt hat. 155 σωφρόνως δοῦναι τε καὶ δέξασθαι λόγον ἀλλ' οὗτος μὲν ὁ λόγος ἄλλως πέπλασται ὑπ' αὐτῶν Ἑλλήνων, ὁ δ' ὧν ἀνὴρ ὥσπερ πρότερον εἰρέθη διεφθάρη. „Und doch: Von den Peloponnesiern habe ich eine andere Fassung der Erzählung gehört: Anacharsis sei, vom Skythenkönig abgesandt, bei den Griechen in die Schule gegangen. Als er wieder heimkehrte, soll er zum König, der ihn abgesandt hatte, gesagt haben, alle Hellenen wären zu beschäftigt mit jederlei Weisheit, ausgenommen die Spartaner (A)/ alle Hellenen sind zu beschäftigt für die ganze Weisheit, ausgenommen die Spartaner (B)/ alle Hellenen bemühten sich ohne Unterlaß um jederlei Weisheit mit Ausnahme der Spartaner (C). Diesen allein ist es gegeben, in vernünftiger Weise Rede und Antwort zu stehen. Aber diese Geschichte ist ein Witz der Griechen (oder: ist von den Griechen erdichtet worden). Anacharsis ist also so ums Leben gekommen, wie ich erzählt habe. Diesem Mann erging es demnach so, weil er fremde Bräuche angenommen und mit den Griechen Umgang gepflegt hatte.“ 448 Dies kann man nun so verstehen, dass Anacharsis seinem König, der im Übrigen sein Bruder gewesen sein müsste, wovon Herodot aber nichts sagt, berichtet: ‚alle Hellenen wären zu beschäftigt mit jederlei Weisheit, ausgenommen die Spartaner’. Hieraus ergeben sich nun drei verschiedene Möglichkeiten, den Zusammenhang zu erklären: Entweder, alle Hellenen verfügen über Weisheit, jedoch nicht die Spartaner, dafür können sie aber geschickt Rede und Antwort stehen. 449 [A] Oder aber, man nimmt die entgegengesetzte Aussage an: Alle Hellenen sind zu beschäftigt für die ganze Weisheit außer den Spartanern; d.h., alle Griechen beschäftigen sich mit vielerlei Dingen, aber nicht mit der Weisheit, dies tun nur die Spartaner, die daher besonders weise sind und gut Rede und Antwort stehen können. [B] Oder man versteht dies so, dass Anacharsis gesagt habe, ‘alle Hellenen bemühen sich ohne Unterlass um jederlei Weisheit mit Ausnahme der Spartaner’. D.h., niemand in Hellas verfügt über Weisheit (trotz größter Bemühungen), nur die Spartaner, die sich aber gar nicht darum bemühen müssen, daher auch leicht Rede und Antwort stehen können. [C] Um zu verstehen, gegen wen Herodot an dieser Stelle seine Polemik richtet, ist der Zusammenhang zwischen ἀσχόλους und δοῦναί τε καὶ δέξασθαι λόγον entscheidend: Gerade das Miteinander-Reden und Argumentieren setzt Zeit und Überlegung voraus, zielt auf einen Austausch der Argumente und die letztendliche Überzeugung ab. Da dies den Spartanern 448 Andere Übersetzungsmöglichkeiten wären: „Alle Hellenen wären zu beschäftigt mit jederlei Weisheit, ausgenommen die Spartaner.“ Oder: „Alle Hellenen bemühten sich ohne Unterlass um jederlei Weisheit mit Ausnahme der Spartaner.“ Zu der spartanischen Perspektive vgl. Braund, Herodotus’ Spartan Scythians, 28ff. 449 In diesem Sinn auch die Beipiele, die Macan, Herodotus, ad loc. kritisch aufzählt: „occupied in the pursuit of every kind of knowledge“(Rawlinson), „busied about every kind of cleverness“ (Macaulay), „beflissen nach jeglicher Art von Weisheit“ (Baehr); Macan selbst entscheidet sich für ‚to have no leisure’ für ἀσχόλους εἶναι : „The Greeks were all too busy to attend to higher (unpractical) matters, σοφία and σωφροσύνη , with the exception of the Lacedaemonians.“ 156 zugesprochen wird, muss ἀσχόλους εἶναι hier - entsprechend Variante B - so zu verstehen sein, dass alle anderen Griechen sich genau diese Zeit und Muße nicht nehmen, damit zu beschäftigt seien, um wirkliche σοφία zu erreichen. 450 Herodot berichtet hier, dass die Peloponnesier eine andere Geschichte als das in 4,76 referierte erzählen, bei der Anacharsis nicht stirbt, weil er fremde Bräuche angenommen und mit den Griechen Umgang gepflegt hat, sondern nach seiner Rückkehr weiterlebt. Nach dieser Version erzählt Anacharsis seinem König aber folgendes: Er, Anacharsis, sei bei den Griechen in die Schule gegangen. Aber was hat er bei ihnen gelernt? Nichts weiter, als dass die Griechen sich gar nicht um Weisheit kümmern! Nur die Spartaner können vernünftig reden und argumentieren ( πλὴν Λακεδαιμονίων, τούτοισι δὲ εἶναι μούνοισι σωφρόνως δοῦναί τε καὶ δέξασθαι λόγον. ) Das ist so offensichtlich eine komplette Verdrehung, denn jeder weiß, wie wortkarg und kurz angebunden die Spartaner sind. So weiß es auch der Leser Herodots. Herodot beschreibt es derart, dass keinesfalls die typisch spartanische Brachylogia gemeint sein kann, die Herodot an anderer Stelle als kurz angebunden und keineswegs argumentativ markiert. 451 Im Gegenteil, die knappe Form der Äußerung und die wenig ausgeprägte Neigung, sich dem Diskurs zu stellen, galt im 5. Jahrhundert als typisch für die Spartaner. 452 Wenn von den Langsamsten und am wenigsten im Diskurs Versierten - nämlich den Spartanern - gesagt wird, sie seien in besonderer Weise befähigt, dann ist die Übertreibung für den Leser sofort zu erkennen. Die Pointe der Geschichte liegt darin, dass das, was Anacharsis in Griechenland gelernt hat ( τῆς Ἑλλάδος μαθητὴς ) eben die typische griechische Weisheit ist: Alles wird verdreht, lächerliche Geschichten werden erzählt und für Weisheit ausgegeben. 453 Die Konstruktion ( ὁ λόγος ἄλλως 450 Vgl.dazu Asheri, et al. Herodotus, 638 zu Hdt. 4,77,1: „ ἀσχόλους …: it has the meaning of ‚occupied in every form of knowledgeable activity’, with a negative connotation which ist reminiscent of the polemic against πολυμαθίη of Heraclitus DK 22 B 40 and above all the ideological clash between Spartan conservatism and Athenian polypragmosyne in the 5th cent. (see V. Ehrenberg, Polypragmosyne. A Study in Greek Politics, in: JHS 67 (1947), 46-67). No parallels for this use of ἑς with ἀσχόλους have been found ( περί and πρός are the norm), but the interpretation ‚they have no spare time for any wise activity’ is impossible; see Hutton, Maurice, Notes on Herodotus and Thucydides, in: TAPhA 41 (1910), 11-17.” 451 So z.B. Hdt. 5,51; 6,50,3. Vgl. Thuk. 4,84,2. 452 Thuk.1,84,3-4. 453 πέπλασται: ABCP πέπαισται: DRSV. Dazu sehr überzeugend Erbse, Fiktion, 142ff.; vgl. Bichler, Herodots Welt 298f. : Diese Art von Ironie - er nennt dafür 2,2,5 zu Psammetich, und 2,45,1 zu Herakles - wendet Herodot an, wenn ihm etwas offensichtlich übertrieben erscheint; dann „erfindet” er auch solche Varianten/ Versionen und schreibt sie „den Hellenen” zu. πέπλασται würde hier meinen, die Geschichte ist ein Witz der Griechen, vielleicht ein Witz der Athener über die Spartaner, πέπαισται 157 πέπλασται / πέπαισται ὑπ' αὐτῶν Ἑλλήνων ) ähnelt anderen Stellen, von denen vermutet wurde, dass Herodot, wenn er sich in dieser Weise äußert, auf Hekataios abziele (vgl. Hdt. 4,36! ). Auch hier könnte wohl Hekataios gemeint sein: Denn eine der wichtigsten Selbstzuschreibungen der Griechen - ihr Anspruch auf Rationalität - wird ins Lächerliche gezogen und würde gut zu Hekataios’ Anspruch passen, λόγοι πολλοί τε καὶ γελοῖοι („viele lächerliche Geschichten“) der Griechen zu decouvrieren. 454 Der Abschnitt 4,77 beginnt mit καίτοι (‚und doch’) und somit wendet sich Herodot hier gegen eine zweite Meinung über das Schicksal des Anacharsis - die peloponnesische oder doch vorgeblich peloponnesische -, die daher nicht von demselben Autor bzw. nicht aus derselben Tradition stammen kann wie diejenige aus 4,76, die das wiedergibt, was nach der skythischen Version aufgeschrieben wurde. Herodot wendet sich also gegen mindestens zwei Autoren bzw. Versionen, die ihm beide nicht einleuchten. Zum einen kritisiert er in der Version ‚Anacharsis wurde für seine Einführung fremder nomima mit dem Tod bestraft’, dass es darin sogar heiße, dass der, der ihn getötet hat, sein eigener Bruder gewesen sei. In der anderen Version richtet sich die Kritik darauf, dass Anacharsis sich von den Griechen und ihrer σοφία - die Spartaner ausgenommen - bewusst distanziert hätte. Die zweite Version impliziert, dass Anacharsis nicht nur nicht getötet wurde, sondern auch für eine ganz andere Tradition stand als Herodot es in 4,76 berichtet: Zumindest lässt dies den Schluss zu, dass Anacharsis schon vor Herodot als ein Exempel für Weisheit galt, und zwar sowohl für skythische als auch für griechische. 455 Welche Vorlage Herodot benutzt hat, ist nicht festzustellen, dagegen jedoch, dass er verschiedene Vorlagen zu Anacharsis hatte und sie entsprechend kritisch in seine eigene Darstellung eingearbeitet hat. 456 dagegen, dass es eine Erfindung der Griechen sei. Hier sind beide Bedeutungen möglich. 454 Hekat. FGrHist 1 F 1. Hier ist dann der Grund seiner Polemik zu finden: Derjenige, von dem er die Anacharsis-Geschichte in der peloponnesischen Version übernommen hat, wird unter dem Deckmantel ‚die Hellenen’ kritisiert, da er ganz offensichtlich einer Fiktion aufgesessen sei oder sie möglicherweise sogar selbst geschaffen hat. 455 Die Vorlage könnte vielleicht Damastes gewesen sein. Auch Hellanikos hat etwas über Zalmoxis geschrieben; Chr.B.R. Pelling, East is East and West is West - Or Are They? National Stereotypes in Herodotus, in: Histos 1 (1997), http: / / www.dur.ac.uk/ Classics/ histos/ 1997/ pelling.html, 4 dazu: „True, this is a story told ‚by the Peloponnesians’, and Fehling understandably leaps on this (Herodotus and his ‚Sources’, tr. J.G. Howie (1989), 107); but that makes it all the more telling in Herodotus’ narrative, for it suggests that the Peloponnesians themselves have this sort of construction, challenging Greek ethnic stereotypes and doing so by linking Spartan and Scythian. Even to the Peloponnesians, the Other is not looking so Other as all that.“ Damit ist auch die als rein griechische Konstruktion angelegte Interpretation der Anacharsis-Figur von Mestre, Anacharsis, 305f. obsolet. 456 Das zeigt nun sehr deutlich, dass nicht immer Inkonsistenzen des herodoteischen Werkes als Indikatoren für die Verwendung von Vorlagen herhalten müssen, sondern im Gegenteil eine reflektierte Verarbeitung bei Herodot nachgewiesen werden 158 Herodot stellt diesen Zusammenhang in 4,77 jedoch auffällig verkürzt dar: Weder wird erklärt, warum Anacharsis bei den Lakedaimoniern gewesen ist, noch wird ausgeführt, wieso diese nun so plötzlich als Muster der Weisheit gelten. So fällt der Unterschied zwischen der Formulierung ἀσχόλους εἶναι ἐς πᾶσαν σοφίην und δοῦναί τε καὶ δέξασθαι λόγον auf: So wie δοῦναί τε καὶ δέξασθαι λόγον auf das Austauschen der Argumente abzielt, das in Ruhe und Gelassenheit erfolgt, so assoziiert ἀσχόλους das Gegenteil davon. 457 Herodot spielt auf zwei ganz unterschiedliche Haltungen an, in denen sich der Zusammenhang von σοφία und σχολή bzw. σοφία und ἀσχολία manifestieren kann. Dabei gibt er die eine Richtung nur in der Negation wieder ( ἀσχόλους εἶναι ἐς πᾶσαν σοφίην ) und die andere abwertend als scherzhafte, lächerliche Konstruktion. Die Verbindung dieser beiden Richtungen mit Anacharsis zeigt zum einen, dass Herodot neben der in 4,76 erwähnten skythischen σοφία , für die er dort steht, nicht nur weitere Traditionen, die mit ihm verbunden wurden, kennt, sondern die Figur des Anacharsis bereits eine geraume Zeit vor Herodot mit von allem, was man als skythische Weisheit sehen könnte, deutlich zu unterscheidenden Weisheitstraditionen in Verbindung gebracht wurde. Zum anderen spielt Herodot auf einen Zusammenhang von Weisheit und Muße an, der im 5. Jahrhundert sowohl politisch als auch theoretisch viel diskutiert worden sein muss. Andernfalls wäre die knappe Anspielung für die Leser unverständlich geblieben. Der Gegensatz zwischen Spartanern und Hellenen, den Herodot in 4,77 anspricht, begegnet in einer sprachlich vergleichbaren Form bei Thukydides, wo er sich auf den Unterschied in den Lebensformen der Athener und Spartaner bezieht. Die Polypragmosyne, die Vielgeschäftigkeit, wird öfter als Charakteristikum der Athener beschrieben, jedoch nennt Thukydides in der Rede der Korinther explizit als Eigenschaft der Athener, dass sie οὐχ ἧσσον ἡσυχίαν ἀπράγμονα ἢ ἀσχολίαν ἐπίπονον (1,70,9: „gelassene Muße für kein minderes Unglück halten als die geschäftige Mühsal“). 458 Dies ist kann. Anders A. Corcella, in: A. Corcella, et al., Erodoto, Le Storie, volume IV. Libro IV. La Scizia e la Libia, introduzione e commento di Aldo Corcella, testo critico di Silvio Medaglia, traduzione di Augusto Fraschetti, (Fondazione Lorenzo Valla), Rom 1993, XIXff. Dies ist genauso einseitig wie Hartogs Ansicht - trotz der ansonsten wegweisenden Skythen-Interpretation -, dass Herodots Skythendarstellungen nicht auf archäologischem Material beruhen. Auch wenn er es nicht durch Autopsie verifiziert haben mag, so lässt sich mittlerweile vieles an diesen Beschreibungen skythischer Bräuche tatsächlich archäologisch verifizieren: Vgl. dazu die Beiträge in Braund/ Kryzhitskiy (Hrsg.), Classical Olbia und die Arbeiten von G. Tsetskhladze. Vgl. auch Braund, Herodotus’ Spartan Scythians, 31ff. zu einer ‚spartanischen’ Interpretation. 457 Vgl. zu δοῦναί τε καὶ δέξασθαι λόγον : Plat. Tht. 177 b 2; 202 c 2; rep. 531 e 4; Euseb. Praep. ev. 12,29,21,3; Iambl. Protrept. 77,19; Joh. Stob. Anth. 2,4,16,7. 458 ÜS Landmann; vgl. A.W. Gomme, et al., A Historical Commentary on Thucydides, 5 Vols., Oxford 1956-1981, I 232 ad loc.: „the true definition of the πολυπράγμον , whether individual or state.“ 159 nun natürlich die Perspektive der Gegner, die die attische Lebensweise und Haltung kritisch betrachten. Demgegenüber zeigt die berühmte Stelle im Epitaphios, wie dies aus der Eigenperspektive der Athener formuliert wurde (Thuk. 2,38,1): ’Καὶ μὴν καὶ τῶν πόνων πλείστας ἀναπαύλας τῇ γνώμῃ ἐπορισάμεθα, ἀγῶσι μέν γε καὶ θυσίαις διετησίοις νομίζοντες, ἰδίαις δὲ κατασκευαῖς εὐπρεπέσιν, ὧν καθ' ἡμέραν ἡ τέρψις τὸ λυπηρὸν ἐκπλήσσει. „Auch für Erholungsmöglichkeiten in größter Zahl von den Anstrengungen der Arbeit, wie sie unserer Denkungsart entsprechen, haben wir gesorgt, einmal durch Festspiele und Opferfeiern, die wir das ganze Jahr über zu feiern pflegen, zum andern durch private Einrichtungen, die den Anstand wahren, deren tägliche Erquickung den Mißmut vertreibt.“ 459 Ebenso heißt es (Thuk. 2,40,1): ’Φιλοκαλοῦμέν τε γὰρ μετ' εὐτελείας καὶ φιλοσοφοῦμεν ἄνευ μαλακίας· „Wir lieben das Schöne und bleiben schlicht, wir lieben die Weisheit und werden nicht schlaff …“ 460 Gerade in 2,40,1 wird mit dem attischen Selbstverständnis der Liebe zur Weisheit der Kontrast zu anderen Griechen wie v.a. den Peloponnesiern heraufbeschworen, denen dies offenbar als μαλακία galt. 461 Dies ist die gleiche Gegenüberstellung von Geschäftigkeit und σοφία bzw. Muße und σοφία , die sich bei Herodot in 4,77 mit der Überlieferung zu Anacharsis verbindet und die in der Zeit vor und nach den Perserkriegen in Griechenland offenbar Gegenstand eines intensiven Wettbewerbs zwischen den sozialen Schichten, aber auch zwischen den Poleis gewesen ist. Dabei wurde in dieser Zeit besonders die musikalische Ausbildung in der Auletik zur Ausdrucksform der σχολή (Aristot. Pol. 1341 b 25ff.): διὸ καλῶς ἀπεδοκίμασαν οἱ πρότερον αὐτοῦ τὴν χρῆσιν ἐκ τῶν νέων καὶ τῶν ἐλευθέρων, καίπερ χρησάμενοι τὸ πρῶτον αὐτῷ. σχολαστικώτεροι γὰρ 459 ÜS Müller (Hrsg.), Kleine Schriften, 180; Gomme et al., Commentary, ad loc. sieht Thuk. 1,70,8 und 2,38,1 als direkten Kontrast, wobei er aber 1,70,8 auf physische Aktivitäten bezieht und 2,38,1 auf „recreations fort he mind“. Man könnte τὸ λυπηρόν noch stärker als ‚Trauer’ oder ‚Düsternis’ verstehen, womit die Stelle einen noch stärkeren psychologischen Zug bekommt. 460 ÜS nach Landmann. 461 Gomme et al., Commentary, ad loc. II 120f.: „In the complementary phrase φιλοσοφοῦμεν ἄνευ μαλακίας (‚without loss of vitality, or vigour’), the comparison is with other Greeks, Boeotians and Peloponnesians, who would think a love of learning to be as inconsistent with courage as political discussion with decisiveness of action.“ Zu der Übersetzung von φιλοσοφοῦμεν als Liebe zur Weisheit vgl. A.B. Bosworth, The Historical Context of Thucydides’ Funeral Oration, in: JHS 120 (2000), 1-16, hier 11. Vgl. auch Thuk. 2,40,1: μόνοι γὰρ τόν τε μηδὲν τῶνδε μετέχοντα οὐκ ἀπράγμονα, ἀλλ' ἀχρεῖον νομίζομεν … („Einzig bei uns heißt einer, der daran keinen Teil nimmt, nicht ein stiller Bürger, sondern ein schlechter …“), womit der Gegensatz von Muße und Geschäftigkeit in positiven Sinn für das attische Selbstverständnis gewendet wird. 160 γιγνόμενοι διὰ τὰς εὐπορίας καὶ μεγαλοψυχότεροι πρὸς τὴν ἀρετήν, ἔτι τε <καὶ> πρότερον καὶ μετὰ τὰ Μηδικὰ φρονηματισθέντες ἐκ τῶν ἔργων, πάσης ἥπτοντο μαθήσεως, οὐδὲν διακρίνοντες ἀλλ' ἐπιζητοῦντες. διὸ καὶ τὴν αὐλητικὴν ἤγαγον πρὸς τὰς μαθήσεις. καὶ γὰρ ἐν Λακεδαίμονί τις χορηγὸς αὐτὸς ηὔλησε τῷ χορῷ, καὶ περὶ Ἀθήνας οὕτως ἐπεχωρίασεν ὥστε σχεδὸν οἱ πολλοὶ τῶν ἐλευθέρων μετεῖχον αὐτῆς· δῆλον δὲ ἐκ τοῦ πίνακος ὃν ἀνέθηκε Θράσιππος Ἐκφαντίδῃ χορηγήσας. ὕστερον δ' ἀπεδοκιμάσθη διὰ τῆς πείρας αὐτῆς, βέλτιον δυναμένων κρίνειν τὸ πρὸς ἀρετὴν καὶ τὸ μὴ πρὸς ἀρετὴν συντεῖνον· „So haben die Früheren mit Recht ihren Gebrauch bei Jungen und Freien abgelehnt, obschon sie sie zuvor selbst verwendet hatten. Als sie nämlich durch den Wohlstand auch mehr Muße bekamen und in ihrer Tüchtigkeit großgesinnter wurden, schon vorher und vor allem nach den Perserkriegen von Stolz erfüllt wegen ihrer Taten, interessierten sie sich für alle Wissensgegenstände mit Begierde und ohne Auswahl. Da kam denn die Auletik zu den Bildungsstücken dazu. Denn in Sparta spielte ein Chorführer dem Chor vor, und in Athen wurde es so sehr Mode, dass die meisten der Freien sie erlernten; das zeigt die Tafel, die Thrasippos als Chorege dem Ekphantides aufstellen ließ. Später ist diese Kunst nicht mehr zugelassen worden, da die Menschen besser zu beurteilen lernten, was der Tugend dient und was nicht.“ 462 Die Blüte der Auletik scheint als Breitenphänomen typisch für das Athen in der ersten Hälfte sicher bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts gewesen zu sein: 463 Während in Sparta der Chorege den Aulos blies, waren es in Athen die meisten der Bürger, wofür Aristoteles als Beweis sogar eine Inschrift anführen kann, in der wohl dem Komödiendichter Ekphantidas dafür gedankt wurde, dass er den Bürgern ein solches Werk des Vergnügens geschaffen hatte. In den gleichen zeitlichen Kontext gehört auch der von Ari- 462 ÜS nach O. Gigon, Aristoteles’ Politik, (Meisterwerke der Antike), Zürich 1970. Ekphantides, Dichter der alten Komödie, war 457/ 6 zum ersten Mal siegreich bei den Dionysien (W. Boetticher, s.v. Aulos, in: DKP 1, 1979, 755-60). Zu der Geschichte der Auletik in Athen: R.W. Wallace, An Early Fifth-Century Revolution in Aulos Music, in: HSPh 101 (2003), 73-92, hier 76. Wallace weist auf Plut. Alkib. 2 hin, wonach zur Zeit des Alkibiades in Aristokratenkreisen die Auletik nicht mehr betrieben wurde. Plat. rep. 399 d; leg. 669; leg. 700; symp. 215 b-c mit ablehnender Haltung gegenüber der Auletik. 463 Aus dem auf der Akropolis gefundenen Epigramm IG I 2 673 = IG I 3 1-2 und 850 = SEG 26, 43 = CEG 270; dazu D. Peppas-Delmousou, Das Akropolis-Epigramm IG I 2 673, in: AM 86 (1971), 55-66: [νικέ]σ̣ας ό[δε προ̑]τον Ἀθένε̄σ[ιν χο]ρο̑ι ἀνδρο̑[ν] [ ιμερ]τ̣ε̑ς σοφ[ίε̄ς] τόνδ’ ἀνέθε̄[κ]εν όρον [εὐχσ]άμενο[ς· π]λείστοις δὲ [χ]οροῖς ἔχσο̄ κατὰ φῦ[λα] [...]ρο̄ν νι[κε̑]σαι φε̄σὶ π[ερ]ὶ τρίποδος. Nach Peppas-Delmousou, die das Epigramm auf die Zeit um 500 datiert gegen Peek, der es in die Jahre um oder nach 480 setzt, geht es hier um den Preis (Dreifuß), der einem fremden, nicht-attischen Bürger zugesprochen wurde. Für die Entwicklung der lyrischen Agone bei den Panathenäen heißt dies, dass die Flötenbläser am Anfang noch eine ganz untergeordnete Rolle gespielt haben und vom Dichter selbst auch noch bezahlt wurden. Erst später sind sie als eigenständige Künstler in den Wettbewerben aufgetreten. 161 stoteles berichtete Mythos, nachdem Athena und Marsyas sich über den Aulos gestritten haben. 464 In prominenter Weise ist dieser Mythos in der Statuengruppe von Athena und Marsyas des Myron auf der Akropolis versinnbildlicht worden und damit auch der Auletik als eines bürgerlichen Ideals der Muße ein entsprechender Ausdruck gegeben worden. 465 Die damit verbundene Vorstellung eines Lebens in Muße entsprach offensichtlich seit dem Sturz der Tyrannis, jedoch ganz besonders seit den Siegen in den Perserkriegen, den Vorstellungen der breiten Bürgerschaft in Athen. Im Odeion wurden etwa seit 442 die musischen Agone des Kithara- und Flötenspiels aufgeführt, um die Perikles das Panathenäenfest erweitert hatte. 466 Die Schilderung Plutarchs hierzu ist ausführlich: Man wählte Perikles als Schiedsrichter und dieser legte im einzelnen die Regeln für das Blasen des Aulos, das Singen und das Spielen der Kithara fest. Somit muss Perikles erhebliche Kenntnisse und Fertigkeiten in diesen Disziplinen gehabt haben, um auf die künstlerische und musikalische Gestaltung des Wettkampfes Einfluss nehmen zu können. Die generelle Bedeutung von musikalischen Darbietungen in der Öffentlichkeit spiegelt sich auch in der Rolle, die Perikles’ Beziehung zu Damon unterlegt wurde. Plutarch bezeichnet Damon als den Musik-Lehrer und einen der politischen Berater des Perikles. 467 Nach seinen Quellen war Damon ein Philosoph, der sich mit dem inneren Zusammenhang von Musik und Politik beschäftigt hatte. Dem lag eine Überlegung zugrunde, die in der Antike sehr intensiv diskutiert wurde, nämlich dass eine Erziehung 464 Zu der Statuengruppe Athena und Marsyas, von Myron um 450 v.Chr. geschaffen und die auf der Akropolis an der Westseite des Parthenon aufgestellt war: U. Muß/ Ch. Schubert, Die Akropolis von Athen, Graz 1988, 169. 465 Eine interessante Zusammenstellung des Bildmaterials hierzu bei H.-G. Hollein, Bürgerbild und Bildwelt der attischen Demokratie auf den rotfigurigen Vasen des 6.-4. Jahrhunderts vor Christus, (Europäische Hochschulschriften 38.17), Frankfurt a. M. 1988. Er stützt sich auf die Definitionen von B. Fehr, Bewegungsweisen und Verhaltensideale. Physiognomische Deutungsmöglichkeiten der Bewegungsdarstellung an griechischen Statuen des 5. und 4. Jahrhunderts v.Chr., Bad Bramstedt 1979. Allerdings findet sich bei Hollein keine Definition oder Erläuterung dazu, was er genau in seiner Untersuchung der Manteljünglinge auf den attischen Vasen unter dem „skole-Typus“ versteht. 466 Plut. Per. 13,11; dazu Ph. A. Stadter, A Commentary on Plutarch’s Pericles, Chapel Hill 1989, 175f.; ausf. J.A. Davison, Notes on the Panathenäen, in: JHS 78 (1958), 23-42, hier 36f.: πρῶτον ist hier sicher falsch, da schon im 6. Jahrhundert musikalische Agone bei den Panathenäen stattfanden. Perikles hat sie wahrscheinlich wiederbelebt und eben die Neuerungen für die Auletik eingeführt. Plutarch bezieht sich hierbei auf ein Psephisma, das er möglicherweise aus der Sammlung des Krateros entnommen hat. 467 Plut. Per. 4,1; vgl. dazu Plut. Per. 9,2 und AP 27,4; Stadter, Commentary; 69f.; zu der Diskussion um die Identität von Damon und Damonides (AP 27,4): P.J. Rhodes, A Commentary on the Aristotelian Athenaion Politeia, 2nd ed., Oxford 1985; F. Schachermeyr, Perikles, Stuttgart 1969; K. Meister, Damon, der politische Berater des Perikles, in: RSA 3 (1973), 29-45, hier 29ff. 162 im Sinne einer Disziplinierung oder sogar Manipulation des Einzelnen oder auch einer Menge durch gezielten Einsatz der verschiedenen musikalischen Ausdrucksformen möglich sei. 468 Hierbei wird auf ein Werk Damons Bezug genommen, in dem er behauptet haben soll, dass bestimmten Genera der Musik auch Charaktertypen und psychische Dispositionen entsprechen. 469 So habe Damon auch die Ansicht vertreten, dass ein Wechsel bzw. die Neueinführung von musikalischen Ausdrucksformen entsprechende Veränderungen im politischen Bereich nach sich zögen. 470 Der belegte Einfluss des Perikles auf die Gestaltung eines so bedeutenden musikalischen Wettkampfes und seine Verbindung zu Damon lassen vermuten, dass Perikles diese bei Platon dem Damon unterlegten Konzepte kannte und für seinen politischen Einfluss nutzbringend einzusetzen versuchte. Auch Thukydides und Plutarch beschreiben Perikles vor allem als einen Politiker, der es vermochte, die Menge in jede beliebige Stimmung zu versetzen und so seine Position festigte. 471 Das psychologische Geschick, das dazu in sicher beachtlichem Maß notwendig war, kann durchaus aus den Theorien Damons herrühren. Dass die Einführung eines neuen Wettbewerbes gerade bei den Panathenäen stattfand, unterstreicht die Bedeutung der musischen Fertigkeiten im politischen Kontext. In der kritischen Sicht, wie sie bei Herodot 4,77,1 Athen gegenüber zum Ausdruck gebracht und gleichzeitig auch mit einem ironischen Lob der Spartaner kombiniert wird, begegnet die Auseinandersetzung um die σχολή später auch bei Platon. Im Theaitet (172 cff.) wird die wahre Philosophie als ein Austauschen der Argumente, eine Suche nach der Erkenntnis in Muße beschrieben ( Ἧι τοῖς μὲν τοῦτο ὃ σὺ εἶπες ἀεὶ πάρεστι, σχολή, καὶ τοὺς λόγους ἐν εἰρήνῃ ἐπὶ σχολῆς ποιοῦνται· ). 472 Demgegenüber werden wieder diejenigen in Athen, deren Reden in ἀσχολίᾳ stattfinden, weil sie nicht mit kontemplativer Ausrichtung, sondern im öffentlichen, vor allem politischen Leben stehen, nicht nur kritisiert, sondern als Sklaven gegenüber den Freien - die in Muße leben - bezeichnet. Von den Spartanern wiederum wird in spöttischer 468 W.D. Anderson, Ethos and Education in Greek Music. The Evidence of Poetry and Philosophy, Cambridge MA 1966, 127ff. A.J. Neubecker, Altgriechische Musik. Eine Einführung, Darmstadt 1977, 127ff. 469 Plat. Rep. 400 b; 424 c; Schubert, Perikles, 99f. 470 Plat. Rep. 424 c: Damon sah in einer μεταβολή im Bereich der τρόποι μουσικῆς die Gefahr gegeben, dass dies zu einer μεταβολὴ πολιτείων führen würde. Zur Bedeutung der μεταβολή in der geistigen Auseinandersetzung des 5. Jahrhunderts: Schubert, Macht,143ff. 471 Isokrates 15,234; Thuk. 2,65,8-9. 472 Plat. Tht. 172 d 3f.: „Insofern jenen das, was du eben nanntest, die Muße, niemals fehlt, unnd sie ruhig mit Muße ihre Untersuchungen anstellen …“ (ÜS Schleiermacher). E. Heitsch, Phaidros, Göttingen 1997, 125 zu der Muße als Voraussetzung des Philosophierens verweist auf Plat. Phaed. 66 d 2-7; Rep. 376 d 4-10; Tht. 154 e 7-8; Tht. 180 b 6; Tht. 187 d 10; Politik. 263 b 1; Politik. 272 b 8-c 1; Leg. 738 b 2; Leg. 781 d 9-e 3; Ion 530 d 4-9; Euthyph. 6 c 5-9. 163 Herablassung ihr Sport in der Palästra, aber keineswegs ihre πραγματεία διαλέγεσθαι hervorgehoben (Plat. Tht. 161 e 6, 162 b 1-4). Auch die im Protagoras beschriebene Szene, dass die Spartaner, wenn sie ihren Sophisten zuhören wollten, dies nur in aller Heimlichkeit taten oder dazu regelmäßig sämtliche Fremden aus Sparta vertrieben, sich generell unwissend stellten ἵνα μὴ κατάδηλοι ὦσιν ὅτι σοφίᾳ τῶν Ἑλλήνων περίεισιν (Plat. Prot. 342 b 2f.: „damit sie nicht dafür bekannt würden, dass sie an Weisheit den Hellenen überlegen sind“), passt zu dem bereits bei Herodot skizzierten Bild: Es ist ebenso wie die Kritik an dem attischen Verhalten, der ἀσχολία , die sich selbst aber als Liebe zur Weisheit versteht, der Spott über die langsam und knapp sprechenden Spartaner, deren Liebe zur Weisheit als ein nur durch größte Heimlichkeit zu schützendes Gut verhöhnt wird. Dies berührt sich mit der bei Herodot im Kontext der Machtergreifung des Peisistratos (1,60,3, vgl. dazu oben Kap. II) spöttisch vermerkten Naivität der Athener, die auf die plumpe List der Athena-Imitation hereingefallen seien, obwohl sie doch meinten, die klügsten der Griechen zu sein. Auch der Spott Platons über die spartanische Übung in Weisheit zeigt dieses Muster, nachdem die als Breitenübung praktizierte σοφία , sei es in der Kombination mit σχολή oder in derjenigen mit ἀσχολία , als unsinnige und dumme Selbstüberhebung kritisiert wird. Im Gorgias beschreibt Platon dagegen ausführlich und ernsthaft, welche Lebensform der ἀνὴρ σώφρων pflegt im Gegensatz zu dem ἀνὴρ ἄφρων (500c 1ff.). Τόνδε βίον τὸν ἐν φιλοσοφίᾳ erkennt man daran, dass er der Erkenntnis gewidmet ist, den Dingen auf den Grund geht und das δοῦναί τε καὶ δέξασθαι λόγον mit dem Ziel praktiziert, das Beste zu erreichen, auch wenn es nicht angenehm ist oder wirkt. Demgegenüber wird die Lebensform, der etwa die Sophisten mit ihrer Rhetorik nachgehen oder die politisch agierenden Rhetoren (zu denen er auch die berühmten Politiker des 5. Jahrhunderts wie Miltiades, Themistokles und Perikles zählt) 473 als von κολακεία und πλεονεξία gepägte ἀνελευθερία beschrieben, die nur dem Ziel der ἡδονή diene. 474 Diese Unfreien halten sich selbst nun wiederum für gewaltig und weise (Plat. Tht. 173 b 3: δεινοί τε καὶ σοφοὶ γεγονότες, ὡς οἴονται ), womit sie ihren Kritikern allerdings viel Anlass zu Spott und Häme gegeben haben, jedoch auch umgekehrt die wirklich Weisen diesen von ihnen zu ertragen hatten: Die berühmte Anekdote von Thales, der beim Betrachten der Sterne in den Brunnen fiel und dem Spott der Thrakerin ausgesetzt war, ist für Platon noch einmal Anlass, die beiden Lebensformen gegeneinander zu stellen. 475 473 Vgl. zu Plat. Gorg. 515 c; Schubert, Perikles, 9ff. 474 Plat. Gorg. 502 c ( κολακεία ); 517 bff. ( πλεονεξία ); 518 a ( ἀνελευθερία ); 501 c ( ἡδονή ). Vgl. Plat. Gorg. 484 e 1ff. und Euripides, Antiope frgg. 2 und 11. 475 Plat. Tht. 174 a-bff. Vgl. dazu H. Blumenberg, Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 2001, 4ff. 164 Aus dem Vergleich der platonischen Diskussionen und der knappen Anspielung bei Herodot lassen sich demnach drei verschiedene Traditionen der σοφία herauslesen. Die von den Athenern im Kontext ihrer eigenen Entwicklung im 5. Jahrhundert geprägte Polypragmosyne ist auf die politische Praxis ihrer eigenen Polis ausgerichtet: Sie selbst sehen dies durchaus als Weisheit im Sinne politischer Klugheit an ( φιλοσοφοῦμεν ), ihre Gegner jedoch betrachten dies als rastlose Geschäftigkeit ( ἀσχολία, δεινότης ) ohne Bezug zu σοφία . Demgegenüber steht eine Konzeption der Weisheit, die diese im Sinne einer Lebensklugheit versteht, die auf der Grundlage ethischer Maßstäbe zu einer bestimmten Lebensform führt. Ausdruck findet diese Lebensform in den Logoi und Gnomen der Weisen wie sie bei Herodot sowohl am Beispiel des Solon, Thales, Bias als auch des Anacharsis beschrieben wird. Diese Weisheit gilt als praktische Lebensklugheit, deren Potential sich vor allem in der Funktion des Ratgebers und Schiedsrichters äußert und darin durchaus auch Elemente des theoretischen Erkennens von grundsätzlichen Ordnungsprinzipien einschließt. 476 Insbesondere die Frage nach den Ursachen der Weltentstehung (Thales) und auch politischer Strukturen (Solon) belegen dies. Ihr ironisch gewendetes Gegenstück findet sich bei Platon in der o.g. spartanischen „Weisheit“, die nur heimlich praktiziert werden kann und als deren ‚Liebhaber’ und ‚Schüler’ wiederum die bekannten Figuren aus der Reihe Thales, Pittakos, Bias, Solon etc. angeführt werden. 477 Platon selbst hingegen vertritt - als Fortführung, aber auch in Differenz dazu - eine philosophische Weisheit, die sich als theoretische Wissenschaft versteht und auf die Erkenntnis ‚wahrer’ Weisheit und Tugend ausgerichtet ist. 478 Ebenso wie in der älteren Form der Weisheit gelten ihm σωφροσύνη und δικαιοσύνη als Maßstäbe, im Unterschied etwa zur Lehre des Protagoras und der sophistischen Praxis sollen diese aber nur zur Erkenntnis des Richtigen und der Wahrheit beitragen. Auch für ihn sind die Instrumente des rationalen Diskurses, wie ihn im 5. Jahrhundert vor allem die Naturphilosophen entwickelt hatten ( δοῦναί τε καὶ δέξασθαι λόγον ) und die Sophisten dann zu hoher Kunst weitertrieben, Voraussetzungen dafür, dass man zur Weisheit gelangen kann. Aber diese ‚Liebe zur Weisheit’ ( φιλοσοφία ) ist das Betreiben der Philosophie als Wissenschaft, d.h. als „Wissenschaft vom höchsten Gut und dessen Realisierungsbedingun- 476 Dazu oben Kap. III. 4. 477 Plat. Prot. 342 aff.; 343aff. Zu den chronologischen Problemen Fehling, Die Sieben Weisen, und ausf. oben Kap. III. 478 Plat. Tht. 176 c 4-8: ἡ μὲν γὰρ τούτου γνῶσις σοφία καὶ ἀρετὴ ἀληθινή, ἡ δὲ ἄγνοια ἀμαθία καὶ κακία ἐναργής· αἱ δ' ἄλλαι δεινότητές τε δοκοῦσαι καὶ σοφίαι ἐν μὲν πολιτικαῖς δυναστείαις γιγνόμεναι φορτικαί, ἐν δὲ τέχναις βάναυσοι. („Denn die Erkenntnis hiervon ist wahre Weisheit und Tugend, und die Unkenntnis hierin Unkenntnis und Schlechtigkeit. Jede andere dafür gehaltene Meisterschaft und Weisheit aber ist, wenn sie sich im Politischen zeigt, nur etwas Niedriges, wenn sie sich in den Technai zeigt, etwas Banausisches.“) 165 gen im menschlichen Leben.“ 479 Diese Art von Weisheit ist, anders als die der Sophisten, anders als die der Athener oder der Naturphilosophen eine „Angelegenheit der sittlichen Haltung und der Denkungsart als des Grades an Information und Intellektualität“ und auch anders als die der archaischen Weisen nicht nur eine Art der praktischen Lebensklugheit, die sich in den Sprüchen und Ratschlägen als konkrete Lebenslehre niedergeschlagen hat, sondern im Gegensatz zu diesen instrumentellen Weisheitsvorstellungen „reine Theoria ohne Absehen auf sonstigen praktischen Nutzen“. 480 Damit ist sie aus der Voraussetzung der kontemplativen σχολή heraus sicher auch als der größte Gegensatz zu der ἀσχολία und Polypragmosyne der Athener zu betrachten. 481 Thales war offensichtlich über Jahrhunderte hinweg eine Schlüsselfigur, um die unterschiedlichen Auffassungen von Weisheit zu illustrieren. So wie Platon im Theaitet hat auch Aristoteles an ihm seine eigene Weiterentwicklung des Weisheitsbegriffs in der Vorstellung von der ‚Nutzlosigkeit’ der Weisheit und der ‚Weltfremdheit’ der Philosophie beschrieben (Aristot. eth. Nic. 1141 b 2ff.): ἐκ δὴ τῶν εἰρημένων δῆλον ὅτι ἡ σοφία ἐστὶ καὶ ἐπιστήμη καὶ νοῦς τῶν τιμιωτάτων τῇ φύσει. διὸ Ἀναξαγόραν καὶ Θαλῆν καὶ τοὺς τοιούτους σοφοὺς μὲν φρονίμους δ' οὔ φασιν εἶναι, ὅταν ἴδωσιν ἀγνοοῦντας τὰ συμφέροντα ἑαυτοῖς, καὶ περιττὰ μὲν καὶ θαυμαστὰ καὶ χαλεπὰ καὶ δαιμόνια εἰδέναι αὐτούς φασιν, ἄχρηστα δ', ὅτι οὐ τὰ ἀνθρώπινα ἀγαθὰ ζητοῦσιν. „Aus dem Gesagten ergibt sich klar, dass Weisheit die Wissenschaft und das geistige Erfassen dessen ist, was seiner Natur nach am ehrwürdigsten ist. Darum nennt man auch Anaxagoras, Thales und die entsprechenden weise, aber nicht klug, da man sieht, dass sie sich auf das, was ihnen Vorteil bringt, nicht verstehen, dagegen Außerordentliches, Wunderbares, Erstaunliches, Schweres, Göttliches wüssten, allerdings unfruchtbares Wissen, da sie nicht das menschliche Gute gesucht haben.“ 482 Zu dieser Sichtweise ist die auch Aristotles’ bekannte Geschichte von Thales’ erfolgreichem Ölverkauf (Aristot. Pol. 1259 a 5ff.) kein Gegensatz, da er für sich daraus keinen praktischen oder wirtschaftlichen Nutzen ziehen wollte. 483 Erkennbar wird hierbei eine Wende in der griechischen Vorstel- 479 Bien, Weisheit, 33. Ausf. dazu oben Einführung. 480 Bien, Weisheit, 40. Vgl. dazu oben Einführung und Kap. II. 481 Zur kontemplativen σχολή M. Balme, Attitudes to Work and Leisure in Ancient Greece, in: Greece & Rome 31 (1984), 140-52, hier 140. Vgl. A.M. Miller, N. 4.33-34 and the Defense of Digressive Leisure, in: CJ 78 (1983), 202-20: digressive leisure; V.I. Anastasiadis, Idealized ΣΧΟΛΗ and Disdain for Work: Aspects of Philosophy and Politics in Ancient Democracy, in: CQ 54 (2004), 58-79, hier 68: σχολή als philosophisches Ideal. 482 ÜS Gigon. 483 Aristot. Pol. 1258 b 15f.: πολλὰ χρήματα συλλέξαντα ἐπιδεῖξαι ὅτι ῥᾴδιόν ἐστι πλουτεῖν τοῖς φιλοσόφοις, ἂν βούλωνται, ἀλλ' οὐ τοῦτ' ἐστὶ περὶ ὃ σπουδάζουσιν. („gewann viel Geld und zeigte, dass es für Philosophen leicht ist, reich zu werden, 166 lung von Weisheit im Zusammenhang des Weges, der dahin führt: War θεωρία seit der archaischen Zeit das Betrachten, auch im Zusammenhang mit Reisen, jedenfalls das Betrachten der Sitten und Gebräuche fremder Völker und damit in archaischer Zeit und auch sicher noch im 5. Jahrhundert der Weg zu σοφία als einer alltagspraktischen und politischen Klugheit, so ist jetzt die theoretische Spekulation, die die σοφία begründet, ganz davon getrennt. 484 Herodot, der die attische Selbstzuschreibung des φιλοσοφοῦμεν (Thuk. 2,40,1) in 4,77 aus der kritischen Sicht der Gegner zitiert, scheint bereits darin diese Richtung anzudeuten, die aus späterer Zeit bei Platon und Aristoteles erst deutlich formuliert wird. Seine Schilderung der Weisen (Thales, Bias etc.) bewegt sich demgegenüber aber noch ganz im Kontext der lebenspraktischen und politischen Klugheit (s.o. Kap. II und unten) und die Verbindung des Anacharsis mit dem hier greifbar werdenden Ringen um Nutzen und Orientierung der Weisheit gehört ebenfalls in diese ältere Tradition. Denn er lässt Anacharsis vom Standpunkt des Schiedsrichters aus seine Sichtweise der griechischen Weisheitsformen vortragen, so dass ihm die Rolle zukommt, die Phänomene griechischer Intellektualität zu beurteilen. Die Position des Schiedsrichters ist die typische Rolle des Weisen, dem Probleme zur Bewertung, Schwierigkeiten oder auch Rätsel zur Lösung und Zwistigkeiten zur Schlichtung vorgelegt werden. 485 Für Solon, Thales, Bias und die anderen Mitglieder dieses Kreises sind viele Geschichten schon bei Herodot enthalten, für Anacharsis jedoch nur aus der späteren Überlieferung. 486 Möglicherweise steht hinter der knappen, aber anspielungsreichen Fassung, die Herodot in 4,77 zu Anacharsis überliefert, die Tradition eines Weisheitswettkampfes wie er im Zusammenhang der Überlieferung zu den Sieben Weisen bekannt ist. 487 Da auch für Sparta zumindest zwei der archaischen Figuren als Weise benannt werden (Chilon und Aristodemos), ist nicht auszuschließen, dass die Spartaner an solchen Wettkämpfen ebenso beteiligt waren wie andere griechische Poleis, und auch wenn die Überlieferung eines spartanischen Sieges in einem argivischen Weisheitswettkampf spät ist, so deutet jedenfalls Pindar daraufhin, wenn er wolle, aber dass er darauf keinen Wert lege.“) Vgl. Blumenberg, Lachen, 1. Kapitel, der dies als Weiterentwicklung der platonischen Thales-Version versteht. 484 Anders Nightingale, Spectacles, 5ff., bes. Kap. 5, die diese Entwicklung ganz auf die θεωρία bezieht, d.h. nicht die σοφία verändert sich hin zur Kontemplation, sondern die θεωρία . M.E. ist es umgekehrt: θεωρία ist lediglich das Mittel oder der Weg zur σοφία . 485 Zu den Weisen in ihren Rollen vgl. oben Kap. II und III. 486 Vgl. oben Kap. I, sowie Kindstrand, Anacharsis, 17ff. und Ungefehr-Kortus, Anacharsis, 36ff., die diese späteren Berichte untersuchen. 487 Vgl. dazu oben Kap. III. 167 dass man schon im 5. Jahrhundert eine argivische Spruchweisheit kannte. 488 3. Das Bogengleichnis: Die griechische Weisheit des Anacharsis Herodot hat also eine Überlieferung zu Anacharsis vorgefunden, die ganz anders als die skythische Variante - die er in 4,76 berichtet und der er selbst sich auch anschließt (dazu unten ausf.) - diese Schiedsrichterfunktion und die griechischen Weisheitslehren mit der Person des skythischen Nomaden verband. Der Kontext, in dem dieser Strang der Anacharsis- Überlieferung steht, ist demnach ein gänzlich anderer als derjenige, der die Figur als Skythen mit den Eigenheiten dieses Volkes charakterisiert. Wenngleich Herodot selbst ihn als Vertreter einer skythischen Weisheit verwendet, so ist doch 4,77 nicht nur ein Hinweis, sondern auch ein Beleg für diese andere Überlieferung. Erst die spätere Überlieferung zu Anacharsis gibt wieder einen Hinweis darauf, was Herodot inhaltlich vorgelegen haben könnte und welche Aspekte dieser Tradierung, die Herodot zweifellos kannte, er hier ausgespart hat bzw. mit Stichworten zu Muße und Weisheit andeutet. Im sog. Gnomologium Vaticanum begegnet Anacharsis als Sprecher des sogenannten Bogengleichnisses, in dem es um das Verhältnis zwischen Ruhe und Muße einerseits und Anspannung und Tätigkeit andererseits geht. 489 Aber bereits Aristoteles zitiert Anacharsis in der Nikomachischen Ethik im Zusammenhang seiner Ausführungen über Glück und Muße (1177 b 4: δοκεῖ τε ἡ 488 Pind. Isthm. 2,9. Für Chilon wäre auch - wenn es authentisch ist - das aus Suda s.v. Χίλων stammende Zeugnis des Aristagoras von Milet ein solcher Beleg: Χίλων […] Δαμαγήτου, Λακεδαιμόνιος, εἷς τῶν ἑπτὰ σοφῶν. ὃς ἦν βραχυλόγος. ὅθεν Ἀρισταγόρας ὁ Μιλήσιος τοῦτον τὸν τρόπον Χιλώνειον καλεῖ. καὶ Χιλώνειος τρόπος, ἡ βραχυλογία. ὁ γὰρ Χίλων βραχυλόγος ἦν. „Chilon [...], Sohn des Damagetos, ein Lakedaimonier, einer der Sieben Weisen. Er zeichnete sich durch eine knappe Sprache aus. Deswegen nannte Aristagoras von Milet diese Art zu reden „chilonisch“… Auch: chilonische Art; knappe Rede, denn Chilon zeichnete sich durch Knappheit aus.“). 489 Kindstrand, Anacharsis, A 10 A-D: Gnomologium Vaticanum, hrsg. von L. Sternbach, Nachdruck Berlin 1963; Texte und Kommentare 2, Sententia 17, 1: Ὁ αὐτὸς ἀστραγαλίζων καὶ ἐπιτιμηθείς, διότι παίζει, ἔφη· „ὥσπερ τὰ τόξα διὰ παντὸς τεταμένα ῥήσσεται, ἐπὰν δὲ ἀνεθῇ, εὔχρηστα γίνεται πρὸς τὰς ἐν τῷ βίῳ χρείας, οὕτω καὶ ὁ λογισμὸς ἐπὶ τῶν αὐτῶν μένων κάμνει.“ („Als derselbe [Anacharsis] einmal Würfel spielte und man ihm zum Vorwurf machte, dass er sich vergnüge, sagte er: ‚Wie der Bogen, der fortwährend gespannt ist, reißt, wenn man ihn aber entspannt, in einem guten Verwendungszustand bleibt, bis man ihn im Leben braucht, so erschlafft auch der Verstand, der immer auf dasselbe gerichtet verharrt.’“ (ÜS Müller (Hrsg.), Kleine Schriften, 175). 168 εὐδαιμονία ἐν τῇ σχολῇ εἶναι ). 490 Als Apophtegma wird ihm in den Mund gelegt (Aristot. eth. Nic. 1176 b 33): παίζειν δ' ὅπως σπουδάζῃ, κατ' Ἀνάχαρσιν, ὀρθῶς ἔχειν δοκεῖ· „Spielen, um zu arbeiten.“ Wie Müller nachgewiesen hat, 491 steht dieses Apophtegma in der Tradition des Bogengleichnisses, das jedoch erst die spätere Überlieferung der Person des Anacharsis zweifelsfrei zuschreibt. Das Bogengleichnis kennt allerdings auch schon Herodot, nur berichtet er es für den ägyptischen Pharao Amasis (Hdt. 2,173,3): Τὰ τόξα οἱ ἐκτημένοι, ἐπεὰν μὲν δέωνται χρᾶσθαι, ἐντανύουσι, ἐπεὰν δὲ χρήσωνται, ἐκλύουσι. Εἰ γὰρ δὴ τὸν πάντα χρόνον ἐντεταμένα εἴη, ἐκραγείη ἄν, ὥστε ἐς τὸ δέον οὐκ ἂν ἔχοιεν αὐτοῖσι χρᾶσθαι. οὕτω δὴ καὶ ἀνθρώπου κατάστασις· εἰ ἐθέλοι κατεσπουδάσθαι αἰεὶ μηδὲ ἐς παιγνίην τὸ μέρος ἑωυτὸν ἀνιέναι, λάθοι ἂν ἤτοι μανεὶς ἢ ὅ γε ἀπόπληκτος γενόμενος. Τὰ ἐγὼ ἐπιστάμενος μέρος ἑκατέρῳ νέμω. Ταῦτα μὲν τοὺς φίλους ἀμείψατο. „‚Die einen Bogen haben, wenn sie den benutzen wollen, spannen ihn, wenn sie ihn aber benutzt haben, lösen sie ihn. Wenn er nämlich die ganze Zeit gespannt bliebe, würde er reißen, so dass sie ihn nicht mehr richtig benutzen könnten. So ist auch des Menschen Natur: Wenn er sich immer nur abmüht, und sich nicht zu einem ordentlichen Teil auch gehen lässt in Spiel und Scherz, dann dürfte er unmerklich entweder verrückt werden oder abstumpfen. Da ich dies eingesehen habe, weise ich einen jeden von beidem sein Teil zu.’ Das also gab er seinen Freunden zur Antwort.“ 492 Die Zweifel an der bereits von Kindstrand geäußerten Vermutung, dass sich über die Version des Apophtegmas die frühere Anacharsis-Tradition erschließe, die sich über das Bogengleichnis des Amasis bei Herodot zurückverfolgen ließe, sind berechtigt, da als Beweislinie lediglich die skythische Vorliebe für das Bogenschießen angeführt wurde. 493 Auch zeigt der Vergleich zwischen der aristotelischen Version, die Anacharsis zugeschrieben wird, und derjenigen, die Herodot für Amasis berichtet, einen deutlichen Unterschied. Während Aristoteles eine Gewichtung von Spiel und 490 Vgl. dazu Anastasiadis, Idealized ΣΧΟΛΗ ; Balme, Attitudes; Miller, Leisure. 491 Aristot. eth. Nic. 1176 b 33-35; Gnom.Vat. 17, 185; vgl. dazu ausf. C.W. Müller, Amasis und Anacharsis. Zur Geschichte des Motivs vom Bogen als Gleichnis menschlicher Lebensführung, in: ders. (Hrsg.), Kleine Schriften zur antiken Literatur und Geistesgeschichte, (Beiträge zur Altertumskunde 132), Stuttgart 1999, 172-80. Anders: K. Praechter, ΕΥΠΡΟΣΩΠΟΣ der Typos περὶ σπουδῆς καὶ παιδιᾶς , in: Hermes 47 (1912), 471-76. Er setzt den hier angesprochenen σχολή -Kontext in einen kynischstoischen Umkreis. Vgl. zu dieser kynisch-stoischen Interpretation der Anacharsis- Figur: Heinze, Anacharsis, 130. Und in der heutigen Diskussion um Anacharis: Kindstrand, Anacharsis, 130 („… there is no reason to assume influence from the Cynics … “); Mestre, Anacharsis, 303-17; von der Mühll, Anacharsislegende, 431; Ungefehr-Kortus, Anacharsis; 77ff. 492 ÜS Müller, Kleine Schriften 174. 493 Müller, Amasis, in: ders (Hrsg.), Kleine Schriften, 175f. 169 Ernst vornimmt zugunsten einer Verstärkung der geistigen Spannkraft, dem Spiel und der Entspannung also lediglich dienende Funktion gegenüber der Tätigkeit und Anspannung zugebilligt wird, ordnet Herodot das Bogengleichnis ganz anders: Ihm geht es um die menschliche Natur als Ganzes ( ἀνθρώπου κατάστασις ), in der zwei gleichberechtigte, einander entgegengesetzte Anteile in eine geordnete Ganzheit eingepasst werden ( Τὰ ἐγὼ ἐπιστάμενος μέρος ἑκατέρῳ νέμω ). 494 Das Sinnpotential des Bogengleichnisses einerseits und der in 4,77 skizzierte Zusammenhang von Muße und Weisheit andererseits berühren sich jedoch in der Abmessung und dem Verhältnis der beiden Phasen Muße/ Entspannung und Tätigkeit/ Anspannung. In Hdt. 2,173 wird eine ‚additiv komplementäre Struktur’ der beiden Phasen beschrieben. 495 In 4,77 findet sich der Reflex der Anacharsis-Figur als Schiedsrichter, der abzuwägen und zuzuteilen hat. Dahinter steht der Gedanke von Maß und Ausgleich, der sowohl menschliches als auch göttliches Handeln sowie die gesamte ‚natürliche’ Ordnung prägt. Erst in diesem Kontext kann die Funktion eines Weisen als eines Schiedsrichters ihre Wirkmächtigkeit entfalten. Dass dieses Bogengleichnis in Hdt. 2,173 jedoch durchaus mit der älteren, vorherodoteischen Tradition zu Anacharsis in Verbindung zu bringen ist, kann aus der Struktur der Figur des Weisen selbst heraus begründet werden: So wie Herodot ihn in 4,76 als Schiedsrichter über das Verhältnis von Muße und Geschäftigkeit in den griechischen Weisheitsvorstellungen aus der ihm vorliegenden Tradition übernommen hat, so wird dies der Anknüpfungspunkt der späteren Überlieferung seit Aristoteles, die Anacharsis für dieses Thema wiederum gern zitiert. 496 Damit ist die Zusammenführung der Thematik ‚Muße und Weisheit’ mit Anacharsis keine Erfindung des Aristoteles, 497 sondern vorherodoteisch. Daher spricht der Inhalt von Hdt. 4,77 mit der Charakterisierung des Anacharsis als eines Wei- 494 Müller, Amasis, in: ders (Hrsg.), Kleine Schriften, 176. 495 Müller, Amasis, in: ders (Hrsg.), Kleine Schriften, 178. 496 Praechter, ΕΥΠΡΟΣΩΠΟΣ , 471ff. mit einer Zusammenstellung der Erwähnungen in der späteren Überlieferung für das Thema ‚Unterbrechung des Ernstes durch den Scherz’: Ael. var.hist. 12,15; Seneca De tranq. an. 17,4; 3,1; 7,2; Plut. Ages. 25. Kombination der Geschichte mit dem Bogen: Phaedrus, Fab.3,14; Dio Chrys. frg.5 (Stob. Flor. 62,46) ; Ps.-Plut. De lib. educ. 13 (Mor. 9c); Gregor von Nazianz, Or. 28,1237 b Migne; vgl. auch E.K. Borthwick, „The Wise Man and the Bow” in Aristides Quintilianus, in: CQ 41/ 1 (1991), 275-78 mit weiteren Belegen: Plut. Mor. 792 c-793 b; Statius, silv. 4,4,30-33; Joh. Cassianus, collatines 24,21 (Bd. 49, col. 1312-15 Migne) ; vgl. Diog. Laert. 5,40; Ovid, Her. 4,89ff. 497 Müller, Amasis, in: ders (Hrsg.), Kleine Schriften, 174: „Geschichten dieser Art sind selten die Erfindung dessen, bei dem sie zum ersten Mal in der Literatur begegnen, und auch die Person, mit der sie verbunden erscheinen, kann so gut wie nie ein Exklusivrecht der Attribution für sich beanspruchen. Wenn sich somit über die Herkunft solcher Weisheitserzählungen wie der Parabel vom Bogen letztlich nichts ausmachen läßt, so besteht innerhalb einer überschaubaren literarischen Tradition durchaus die Chance, über Prioritäten urteilen zu können.“ 170 sen und Schiedsrichters, die spätere durchgängige Attribution des Bogengleichnisses an Anacharsis und die ersichtliche Kenntnis Herodots einer älteren Version des Bogengleichnisses dafür, dass entweder Herodot dieses selbst dem Amasis zugeschrieben hat oder sowohl eine Fassung für Anacharsis wie auch eine für Amasis vor sich hatte. Der Grundgedanke des Bogengleichnisses bei Herodot ist so deutlich geprägt von den archaischen Vorstellungen über Maß und Ausgleich, dass der innere Zusammenhang mit den in 4,77 nur andeutungsweise genannten Reflexen der Diskussion um Weisheit und Muße insofern ersichtlich wird, als 4,77 die kritische und weiterführende Entwicklung eben dieser Vorstellungen im 5. Jahrhundert skizziert. Das Verbindungsglied zwischen diesen beiden Komplexen ist bei Herodot allein in der Figur des Weisen Anacharsis zu finden: Er ist immerhin der Anlass gewesen, die in 4,77 so kurz resümierten Positionen in einen Kontext zu setzen. So wie Herodot ihn hier an die Nahtstelle zwischen die verschiedenen Vorstellungen zu Muße und Weisheit setzt, so verweist das Bogengleichnis in der bei Herodot vorliegenden Fassung auf einen grundlegenden Gedanken, der seine eigene Darstellung in verschiedener Hinsicht stark geprägt hat: der Ausgleich der Gegensätze als Prinzip des Maßes in der Zeit und Gerechtigkeit, sowohl in den Verhältnissen der physis als auch in den Verhältnissen zwischen Menschen und Göttern (Hdt. 1,5,4): 498 Τὰ γὰρ τὸ πάλαι μεγάλα ἦν, τὰ πολλὰ αὐτῶν σμικρὰ γέγονε· τὰ δὲ ἐπ' ἐμεῦ ἦν μεγάλα, πρότερον ἦν σμικρά. Τὴν ἀνθρωπηίην ὦν ἐπιστάμενος εὐδαιμονίην οὐδαμὰ ἐν τὠυτῷ μένουσαν, ἐπιμνήσομαι ἀμφοτέρων ὁμοίως. „Denn die (Städte), die früher groß waren, von denen sind viele klein geworden und die zu meiner Zeit groß sind, waren früher klein. Da ich weiß, dass das Glück der Menschen nicht beständig ist, so will ich in gleicher Weise beide Schicksale bedenken.“ Ausgehend von dieser Vorstellung, dass dem Glück das Unglück folgt, der Größe der Abstieg zur Bedeutungslosigkeit, sieht er auch in dem Verhältnis zwischen Menschen und Göttern einen vergleichbaren Wechsel (Hdt. 5,56,1): Τλῆθι λέων ἄτλητα παθὼν τετληότι θυμῷ· οὐδεὶς ἀνθρώπων ἀδικῶν τίσιν οὐκ ἀποτίσει. „Nimm es hin, Löwe, dass du Unerträgliches erleidest, mit ertragendem Mut, denn keiner, der Unrecht begeht, entgeht der Strafe.“ Diese Buße, die den Menschen von den Göttern auferlegt wird, die τίσις , folgt einem bestimmten Maß (Hdt. 2,120,5): 498 Grundsätzlich dazu Lateiner, Historical Method, 194f. Zu der Herausarbeitung des Konzepts einer ‚dynamischen Balance’ bei Herodot: Lateiner, Element, 13f.; dazu auch Thomas, Herodotus, 28-74. Vgl. auch Schubert, Perikles und Thukydides Melesiou, 141ff. 171 … ὡς μὲν ἐγὼ γνώμην ἀποφαίνομαι, τοῦ δαιμονίου παρασκευάζοντος ὅκως πανωλεθρίῃ ἀπολόμενοι καταφανὲς τοῦτο τοῖσι ἀνθρώποισι ποιήσωσι, ὡς τῶν μεγάλων ἀδικημάτων μεγάλαι εἰσὶ καὶ αἱ τιμωρίαι παρὰ τῶν θεῶν. Καὶ ταῦτα μὲν τῇ ἐμοὶ δοκέει εἴρηται. „… wenn ich meine Meinung darüber [Helena in Troja] sagen soll: Auf Anstiften der Gottheit, auf dass durch ihren gänzlichen Untergang [der Trojaner] allen Menschen deutlich würde, dass großem Unrecht auch große Strafen durch die Götter folgen. Das ist, was ich davon halte.“ Das Maß, das angelegt wird und den Ausgleich bzw. die Buße als Strafe ( τίσις ) bestimmt, ist das ἴσον . 499 Die Parallelen zu Anaximander und auch Heraklit sind unübersehbar. So heißt es bei Anaximander (DK 12 B 1): τῶν ὄντων τὸ ἄπειρον … ἐξ ὧν δὲ ἡ γένεσίς ἐστι τοῖς οὖσι, καὶ τὴν φθορὰν εἰς ταῦτα γίνεσθαι κατὰ τὸ χρεών· διδόναι γὰρ αὐτὰ δίκην καὶ τίσιν ἀλλήλοις τῆς ἀδικίας κατὰ τὴν τοῦ χρόνου τάξιν. „Anfang und Ursache der seienden Dinge ist das Apeiron … Woraus aber das Werden ist den seienden Dingen, in das hinein geschieht auch ihr Vergehen nach der Schuldigkeit; denn sie zahlen einander gerechte Strafe und Buße für ihre Ungerechtigkeit nach der Zeit Anordnung“ 500 und bei Heraklit (DK 22 B 67): ὁ θεὸς ἡμέρη εὐφρόνη, χειμὼν θέρος, πόλεμος εἰρήνη, κόρος λιμός (τἀναντία ἅπαντα· οὗτος ὁ νοῦς), … „Der Gott ist Tag Nacht, Winter Sommer, Krieg Frieden, Sattheit Hunger (alle Gegensätze: das ist der Sinn) … “ Neben dem Bild des Bogens, das sich ebenfalls bei Heraklit findet, 501 ist es vor allem die Ordnung des Maßes, die in diesen Passagen hervorsticht und durch die die Gegensätze zu gleichwertigen Hälften werden. 502 Bei Herodot ist sie mit dem Gedanken der ausgleichenden Gerechtigkeit verbunden, die er nicht nur als eigene Ansicht verkündet (s.o.), sondern auch als Prinzip der Darstellung verwendet. 503 499 Ausf. dazu Lateiner, Historical Method, 194-95. 500 ÜS Diels/ Kranz. 501 Müller, Amasis, in: ders (Hrsg.), Kleine Schriften, 176. Vgl. auch C.W. Müller, Der Schelm als König und Weiser, in: ders., Legende - Novelle - Roman. Dreizehn Kapitel zur erzählenden Prosaliteratur der Antike, Göttingen, 2006, 189-224, hier 213f. und A. Bencsik, Schelmentum und Macht. Studien zum Typus des ‚sophos anēr’ bei Herodot, (Philosophie und Gesellschaft 2), Bonn 1994. Verbunden mit der Gegensatz- Konzeption z.B. in Herakl. DK 22 B 48 ( βίος - βιός ): τῶι οὖν τόξωι ὄνομα βίος, ἔργον δὲ θάνατος. Vgl. auch Herakl. DK 22 B 51. 502 Vgl. dazu Kahn, Heraclitus, 200 mit seinem Kommentar zu B 51. 503 Hdt. 5,106,1; 6,87; 8,100,2; 9,94,1: dazu Lateiner, Historical Method, 195: „A causality is thus created by anecdote, inventories of customs, and narrative rather than through separate analysis.“ Auch die Passage Hdt. 1,1-1,5,2 zu den Ursachen des Krieges zwischen Griechen und Barbaren lässt sich nach Lateiner a.a.O. so lesen. Weitere Beispiele bei Lateiner a.a.O. 172 Herodot ist damit noch deutlich einer älteren Stufe des Ausgleichs- und Maßdenkens verbunden als etwa die Autoren der medizinischen Schriften über die Lebensweise des Menschen (De victu, De acutis). An der Verwendung des ansonsten in der antiken Literatur äußerst selten begegnenden Ausdrucks ἀντισήκωσις lässt sich gut vergleichen, welche Vorstellung von Balance als Gleichgewicht und vor allem, welche Vorstellung von der Herstellung bzw. Wiederherstellung eines Gleichgewichts zugrunde liegen. 504 So definiert Herodot die Balance des Wassergehalts der Donau im Ausgleich der Extreme zwischen Winter und Sommer (Hdt. 4,50,4): ὅσῳ δὲ πλέον ἐπ' ἑωυτὸν ὕδωρ ὁ ἥλιος ἐπέλκεται ἐν τῷ θέρεϊ ἢ ἐν τῷ χειμῶνι, τοσούτῳ τὰ συμμισγόμενα τῷ Ἴστρῳ πολλαπλήσιά ἐστι τοῦ θέρεος ἤ περ τοῦ χειμῶνος. Ἀντιτιθέμενα δὲ ταῦτα ἀντισήκωσις γίνεται, ὥστε ἴσον μιν αἰεὶ φαίνεσθαι ἐόντα. „Im Sommer zieht die Sonne nun mehr Wasser an als im Winter, doch in demselben Maß sind auch die Zuflüsse des Istros im Sommer größer als im Winter. Und da sich das eine gegenüber dem anderen ausgleicht und aufhebt, ist der Istros immer gleich groß.“ Der Autor der Schrift über die Lebensweise bei akuten Krankheiten hingegen beschreibt einen ausgefeilten und situativ auf die jeweilige Phase der Krankheiten abgestimmten und v.a. gesteuerten Einsatz der Vorstellung von Gewicht und Gegengewicht zur Wiederherstellung der Gesundheit, d.h. des eigentlichen Gleichgewichtes (De acut. 33): Τὸν οὖν παρὰ τὸ ἔθος κενεαγγήσαντα ξυμφέρει ταύτην τὴν ἡμέρην ἀντισηκῶσαι ὧδε· ἀῤῥιγέως καὶ ἀθαλπέως καὶ ἀταλαιπώρως - ταῦτα γὰρ πάντα βαρέως ἂν ἐνέγκαι - τὸ δὲ δεῖπνον συχνῷ ἔλασσον ποιήσασθαι ἢ ὅσον εἴθιστο, καὶ μὴ ξηρὸν, ἀλλὰ τοῦ πλαδαρωτέρου τρόπου· καὶ πιεῖν μὴ ὑδαρὲς, μηδ' ἔλασσον ἢ κατὰ λόγον βρώματος· καὶ τῇ ὑστεραίῃ ὀλίγα ἀριστῆσαι, ὡς ἐκ προσαγωγῆς ἀφίκηται ἐς τὸ ἔθος. „Es ist also für denjenigen, der gegen die Gewohnheit gefastet hat, förderlich, an diesem Tag folgendermaßen einen Ausgleich zu schaffen: Ohne sich abzukühlen und zu erhitzen und ohne körperliche Anstrengung - denn all dies würde er nur mit Beschwerden ertragen - sollte er die Hauptmahlzeit weniger reichlich als gewohnt zu sich nehmen, und nicht trockene Speisen, sondern solche feuchterer Art; er sollte nichts Wässeriges trinken, aber auch nicht zu wenig im Verhältnis zu den Speisen; und am nächsten Tag sollte er wenig frühstücken, um dann unter allmählicher Steigerung wieder zum Gewohnten zurückzukehren.“ 505 504 Auf die Bedeutung des Begriffs hat m.W.n. bisher lediglich Lateiner, Historical Method, 13 für Herodot hingewiesen, ohne allerdings das Auftreten bei den medizinischen Autoren zu berücksichtigen. Der Ausdruck begegnet bei Hdt. 4,50,17 und ansonsten: Aischyl. Pers. 437; Eurip. Hec. 57: Bei medizinischen Autoren: De acut. 33 (Joly); De articulis 6,3 (Jones); vgl. ἀνασηκῶσαι in De acut. 29 und Galen, In Hippocratis de victu acutorum commentaria IV; CMG 5.9.1 = Kühn XV 556,9. Zur politischen Bedeutung des Begriffs vgl. Schubert, Perikles und Thukydides, 141ff. 505 ÜS Schubert/ Leschhorn. 173 Ausgangspunkt ist bei beiden Autoren, dass ein Mangel in dem einen Zustand durch einen Überfluss am Ende zu dem Gleichgewichtszustand führt. Die darin liegende Dynamik kann durchaus mit dem Kreislauf der Jahreszeiten verglichen werden, wie ihn etwa auch die Schrift De victu als vollständigen Kreislauf beschreibt, um darin ein die Gesundheit gewährleistendes Prinzip des Gleichgewichts zu definieren. 506 Allerdings fehlt bei Herodot noch die Vorstellung des Kreislaufs und es fehlt auch, so wie es in den Diätanweisungen des Autors von De acutis als Neuerung eingeführt wurde, die Vorstellung, dass menschliche Aktivität mit Hilfe des eigenen Eingreifens sich diese ausgleichende Herstellung des Gleichgewichts zunutze machen und das Gleichgewicht selbst mit Hilfe einer gezielt herbeigeführten Metabole wiederherstellen kann. 507 Herodots Vorstellung von Maß und Ausgleich lässt sich eher mit der bei Anaximander erhaltenen Konzeption vergleichen, die eine Dynamik im Wechselspiel zwischen Gegensätzen und auch unterschiedliche Anteiligkeiten der einzelnen Teile kennt, aber durch den Bezug auf die politischen Begriffe Isonomie und Monarchie eine der herodoteischen Gedankenwelt ähnliche Einheit konzipiert. Die in dem Wort ἀντισήκωσις zum Ausdruck kommende Vorstellung ist diejenige von Gewicht und Gegengewicht, wie dies etwa auch das Auftreten des Ausdrucks in der knochenchirurgischen Schrift De articulis zeigt (De artic. 6,1): Ἀτὰρ καὶ ἡ διὰ τοῦ κλιμακίου ἑτέρη τις τοιαύτη, καὶ ἔτι βελτίων, ὅτι ἀσφαλεστέρως ἂν τὸ σῶμα, τὸ μὲν τῇ, τὸ δὲ τῇ, ἀντισηκωθείη μετεωρισθέν· „Indes auch die Einrenkung mit der Leiter ist eine andere, und zwar noch bessere, weil der Körper so sicherer mit Hilfe des Gegengewichts ins Gleichgewicht erhoben werden kann, sowohl auf dieser wie auf jener Seite.“ Dies verweist mehr auf ein mechanisches Prinzip des Ausgleichs zwischen zwei Elementen, dem Gewicht und dem Gegengewicht, als auf die dynamischen, zyklischen und vor allem mit der Ansicht der Steuerbarkeit verbundenen Gleichgewichtsvorstellungen der späteren Autoren. Insbesondere die seit Alkmaion in den medizinischen Konzepten auftretenden Mischungskonzepte zeigen eine Weiterentwicklung im Sinne von Gleichgewichtskonzeptionen, die aus mehreren Elementen, Faktoren und Einflüssen sowohl innerer wie äußerer Art physische und auch psychische Konstellationen definieren. 508 Demgegenüber ist bei Herodot der alte, dem ar- 506 Ch. Schubert, Mischverfassung und Gleichgewichtssystem: Polybios und seine Vorgänger, in: Ch. Schubert/ K. Brodersen (Hrsg.), Rom und der griechische Osten. Festschrift für Hatto H. Schmitt, Stuttgart 1995, 225-35. 507 Zur ‚doppelten’ Metabole in De acut.: Schubert, Macht, 161f. 508 Schubert, Mischverfassung, a.a.O. Dies ist auch bei Alkmaion DK 24 B 4 schon ganz deutlich zu erkennen, der verschiedenste Faktoren ( ὑγροῦ , ξηροῦ , ψυχροῦ , θερμοῦ , πικροῦ , γλυκέος καὶ τῶν λοιπῶν ) und verschiedenste Ursächlichkeiten ( ὑφ' οὗ , ἐξ οὗ , ἐν οἷς ) annimmt, um am Ende Gesundheit als Mischung aller dieser Faktoren nach einem bestimmten Maß (Symmetria) zu definieren. 174 chaischen Denken noch deutlich verpflichtete Gedanke der Zweierkonstellation zu erkennen: Ein Element oder ein Faktor (Person oder Naturphänomen oder ein Lebenszustand wie im Bogengleichnis etc.) und ihr Antipode konstellieren sich in einem Gegenüber, das nicht unbedingt über gleiche Größe oder gleiche Art definiert werden muss. Wird das Gleichgewicht gestört, dann kann es durch tisis wiederhergestellt werden wie es auch Anaximander formuliert hat. 509 Die starke Hervorhebung solcher ‚equalizing actions’ bei Herodot, 510 sowohl in ihrer Beziehung zum politischen Geschehen als auch zu den natürlichen Phänomenen, zeigt, in welchem Kontext er seine Darstellung ansiedelt: Ursache und Wirkung, tisis und ἀντισήκωσις nach dem Maß des ἴσον sind Garanten der Ordnung. 511 509 Hdt. 4,1,1; 5,102,2; 6,101,3; 7,8 a2; 7,8 b2; 7,11,4; 7,133; 7,134,2; 7,136,2. 510 Lateiner, Historical Method, 194ff. verweist dazu auf Hdt. 5,106,1; 6,87; 8,102,2; 9,94,1; besonders deutlich in der Verwendung von ἰσηγορίη , ἰσοκρατίη , ἰσονομίη in 5,78; 5,92 a1; 3,80,6; 3,83,1; 3,142,3; 5,37,2. 511 Lateiner, Historical Method, 195: Equal justice Hdt. 6,72,1; 8,105,1; tisis aufgrund göttlichen Neides: Hdt. 1,32,1. Menschliches Schicksal als Kreislauf Hdt. 1,207,2; vgl. Hdt. 2,120,5; 6,11,3; 6,109,5. 175 VII Anacharsis und die Weisheit der Nomaden 1. Die besondere Weisheit der Nomaden Wie sich an den vielfältigen Verknüpfungen zeigt, die in der Person des Anacharsis zutage treten, so sind die Skythen eben nicht nur ein Spiegel des Historikers, um die eigene Identität zu reflektieren. 512 Im Gegenteil, Herodot will eine eigene Vorstellung von Weisheit belegen und bettet daher die Versionen der Anacharsis-Geschichte in einen übergeordneten Zusammenhang ein: Denn der ‚Fehler’, der Anacharsis das Leben kostet, ist ihm nicht einfach so unterlaufen, sondern er hat ihn in dem Bewusstsein begangen, dass er mit der Ausübung des fremden Kultes etwas Verbotenes tut. 513 Zwar hatte er schon mit seinem Gelübde einen Fehler begangen und sich in die Situation selbst hineinmanövriert, aber nachdem er in Griechenland seine σοφία so eindrucksvoll unter Beweis gestellt hatte, glaubte er, auch die Skythen gewissermaßen überlisten zu können (wie es dann auch Skyles versucht). Dies ist ihm misslungen. 514 Die in 4,77 von Herodot so kurz und verächtlich abgefertigte Diskussion um Weisheit und Muße, wie sie unter den Griechen seiner Zeit geführt wurde, stellt den Gegenpart zu der Konzeption dar, die Herodot für die Skythen und Anacharsis in seinem Werk aufbaut. Denn als durchgehenden roten Faden erkennt man im gesamten Skythenexkurs die Besonderheit dieses Volkes. Herodot geht es aber nicht um die Übertreibungen der Griechen und auch nicht nur um das Besondere der Skythen, sondern vor allem um den Unterschied zwischen richtiger und falscher σοφία . Die Anacharsis- Geschichte ist ein Exempel unter vielen, anhand derer Herodot zeigen will, was er selbst sich unter richtiger σοφία vorstellt. Die Gegengeschichte zu Anacharsis’ gescheiterter Einführung des Kultes für die Göttermutter in seiner skythischen Heimat ist die gelungene Einführung des Dionysos-Kultes in Griechenland durch Melampus, bei Herodot ebenfalls einer der Weisen. 515 Melampus wird ausdrücklich als σοφιστής bezeichnet, jedoch nicht nur als Weiser, sondern auch als jemand, der die mantische Kunst erlernt hat. Diese besondere Qualifikation scheint ihn auch aus der Gruppe der Weisen herauszuheben (vgl. zu den skythischen Sehern, den Enarern oben Kap. V). Ihm also schreibt Herodot die 512 Hartog, Mirror, 61ff.; so auch Mestre, Anacharsis, 306. 513 Hdt. 4,76,4: καταδὺς ἐς τὴν καλεομένην Ὑλαίην (ἡ δ' ἔστι μὲν παρὰ τὸν Ἀχιλλήιον δρόμον, τυγχάνει δὲ πᾶσα ἐοῦσα δενδρέων παντοίων πλέη) : Anacharsis‚ taucht ab’ in den dichten Hain, unter die schützenden Bäume des Achilleios dromos. 514 Zu dieser Art von spielerischer ‚Überklugheit’ des Weisen: Schelm und Weiser bei Hdt. Müller, Schelm, in: ders., Legende. 515 Hdt. 2,49,1-2; vgl. dazu oben Kap. I. 176 Einführung des Dionysos-Kultes nach ägyptischem Vorbild zu, allerdings soll Melampus dabei Abänderungen und Anpassungen vorgenommen haben. Damit gibt Herodot einen Hinweis auf den Unterschied zwischen Melampus und Anacharsis. Melampus hat eine entsprechende kulturelle Anpassung durchgeführt, auf die Herodot sogar zweimal in dieser kurzen Passage hinweist. 516 Damit betont er die aus seiner Sicht richtige und erfolgreiche Anpassung an andere kulturelle Gegebenheiten. Diese kulturrelativistische Einstellung Herodots wird an vielen Stellen seines Werkes deutlich, 517 jedoch hier - gerade im Vergleich zu dem Scheitern des Anacharsis - an exponierter Stelle, um erfolgreiche und richtige von der gescheiterten und falschen σοφία abzugrenzen. Die Skythen jedenfalls sind ganz und gar in ihren Grenzen gefangen, lehnen jede Form der Veränderung oder des äußeren Einflusses ab und sogar ihr weisester Mann kann diese Ablehnung nicht überwinden. So ist ihm der Skythe Anacharsis ein wirklich herausragender Fall, den er auch durch das Mittel des zweiten Beweises aus den anderen Exempeln der Weisen wie Thales, Solon und Bias besonders hervorhebt: 518 Denn nicht nur Anacharsis fällt der skythischen Strenge im Hinblick auf die Ablehnung fremder Bräuche zum Opfer, sondern ebenso der Skythenkönig Skyles (4,78-80). Auch dieser vergeht sich gegen die skythische Ablehnung fremder Sitten, indem er den griechischen Göttern nach griechischem Brauch opferte ( καὶ θεοῖσι ἱρὰ ἐποίεε κατὰ νόμους τοὺς Ἑλλήνων · ) und sich sogar zum Dienst im Kult des Bacchos weihen ließ. Gerade über diesen spotteten die Skythen ( οὐ γάρ φασι οἰκὸς εἶναι θεὸν ἐξευρίσκειν τοῦτον ὅστις μαίνεσθαι ἐνάγει ἀνθρώπους ). Skyles wiederum wird dann tatsächlich - im Unterschied zu Anacharsis - von seinem Bruder ermordet, nach- 516 Hdt. 2,49,1: Ἀτρεκέως μὲν οὐ πάντα συλλαβὼν τὸν λόγον ἔφηνε („Genauer gesagt, als er ihn bekannt machte, übertrug er nicht den ganzen Kult“) und 2,49,2: ὀλίγα αὐτῶν παραλλάξαντα. („mit geringen Änderungen“). 517 Lateiner, Historical Method, 103. 518 Zu dem Mittel des zweiten Beweises: C.W. Müller, Der „zweite Beweis“ als Wahrheitskriterium, in: ders., Kleine Schriften, 182-85. Zu den Figuren der Weisen: Shapiro, Wisdom, 86. Der Gebrauch der Sprichwörter ist auffällig: In den Büchern 4, 5, 6 ist jeweils nur ein Sprichwort zu identifizieren, dagegen treten sie in den Büchern 1-3 und 7-8 z.T. richtig gehäuft auf, manchmal finden sich auch regelrechte Nester, z.B. in der Solon-Passage Hdt. 1,32. Zu der Funktion dieser Ratschläge von Figuren der Weisen bei Herodot: Bisher ist hier der Zusammenhang i.d.R. so gesehen worden, dass es darum geht, dass dies Herodots Methode sei, mit Hilfe der missachteten Ratschläge zu zeigen, wie und warum bestimmte Dinge scheitern: R. Lattimore, Wise Adviser; H. Schwabl, Herodot als Historiker und Erzähler, in: Gymnasium 76 (1969), 253-72, hier 267: „Mit Hekataios sind wir bei einer typischen Figur, die immer wiederkehrt: der Weise, der dem zum Handeln Drängenden einen Sachverhalt vor Augen führt und ihn damit (zumeist vergebens) vom Handeln abhalten will, überhaupt Einsicht gegenüber einer falschen Haltung und Bewertung vermittelt.“; vgl. Fehling, Quellenangaben, 149; M.L. Lang, Herodotus and the Ionian Revolt, in: Historia 17 (1968), 24-36, hier 29f.; M.L. Lang, Herodotean Narrative and Discourse, Cambridge 1984, 55; West, Portrait, 155. 177 dem er enttarnt, geflohen und schließlich wieder in die Gewalt der Skythen gekommen war. 519 In dieser Doppelung - wobei das Motiv des Brudermords, da bei Anacharsis ja fraglich, nicht unbedingt ausschlaggebend ist - wird an zwei Fällen demonstriert, wie die Skythen, mit demjenigen umspringen, sei es ein Weiser, sei es ein König, der die Grenze ihrer νόμος -Geltung verletzt. Das Mittel des sog. 2. Beweises belegt, dass die Skythen immer so reagieren, wenn jemand ihre νόμοι missachtet. Anacharsis hat eine falsche σοφία gezeigt, weil er nicht beachtet hat, dass griechische νόμοι nicht bei den Skythen taugen und weil er, anders als Melampus, keine kulturelle Anpassung durchführt. Für Herodot ist die σοφία hier der Hauptaspekt seiner Darstellungskonzeption und da sie die Grundlage für die besondere Stellung des Anacharsis ist, muss sie auch in einer Beziehung zu der besonderen Feindseligkeit der Skythen gegenüber fremden νόμοι stehen. Wie bereits andernorts betont wurde, 520 so verwendet Herodot den kontradiktorischen Aufbau sowohl dazu, die Struktur seiner Geschichten zu akzentuieren als auch dazu, Aussagen entweder zu relativieren oder in einen bestimmten Kontext zu setzen. Daher ist der σοφία -Begriff hier nicht nur für das Verständnis der νόμοι der Skythen ausschlaggebend, sondern auch dafür, in welchen größeren Zusammenhang Herodot die Anacharsis-Geschichte setzt, möglicherweise aber auch die Geschichten über die zahlreichen anderen Weisen wie Pythagoras, Epimenides, Zalmoxis, Aristeas und Abaris. 521 Das verbindende Element zwischen der Enarer-Geschichte, dem Schicksal des Anacharsis in Hdt. 4,76 und dem des Skyles in Hdt. 4,78ff. ist, dass es in diesen Fällen immer um Grenzüberschreitungen geht, die entweder eine das Individuum treffende „Strafe“ nach sich ziehen oder sogar, wie im Fall der Enarer, eine generationenübergreifende Folge haben. Diese Reihe von Geschichten verbindet Herodot ganz bewusst mit der Zuschreibung einer spezifischen sprachlichen Ausdrucksform, die diejenige des Rätsels und der Spruchweisheiten ist, wie sie ansonsten typisch für die Orakelsprüche und auch die Dikta der Weisen ist. Dies zeigt sich in der Geschichte der Skythen (Hdt. 4,131), die Dareios Geschenke (Vogel, Maus, Frosch, Pfeile) überbringen, wobei die Deutung der Gabe wie ein Rätsel und in ähnlicher Struktur wie die Orakelsprüche sowohl in einer positiven wie einer negativen Deutung möglich ist. Diese Doppeldeutigkeit von metaphorischer und wörtlicher Interpretation, deren Opfer Dareios ebenso wie Kroisos wird, zeigen auch die Orakelsprüche aus Delphi, die die Athener vor dem Xerxes-Zug erhalten. 519 Munson, Wonders, 121 sieht in Skyles eine Parallelfigur zu Pausanias, insbesondere aufgrund des Trachtwechsels. 520 Schubert, res fictae, 17ff. 521 Vgl. Burkert, Weisheit, 141. 178 Da Anacharsis eben gerade nicht wie Pythagoras und andere Weise bei Herodot mit solchen Konnotationen von Täuschung und Scharlatanerie in Verbindung gebracht wird, stellt sich die Frage, welchen Fehler er nun begangen hat, dass er so schmählich zu Tode kam. Die Möglichkeit, dass er seine σοφία in falscher Weise angewendet hat, lässt sich am Beispiel eines anderen Weisen, nämlich des Thales, verdeutlichen. Die Überschreitung des Halys, zu der Thales Kroisos angeblich durch die Umleitung des Flusses verholfen habe, trägt letztlich auch zur Erfüllung des delphischen Orakels (Hdt. 1,53,3: ἢν στρατεύηται ἐπὶ Πέρσας, μεγάλην ἀρχήν μιν καταλύσειν· , „wenn er [sc. Kroisos] gegen die Perser ziehe, dann werde er ein großes Reich zerstören“) bei. Im Unterschied zur griechischen Weisheit des Thales ist die Weisheit des Lyders Sandanis (Hdt. 1,71) offenbar die richtige Weisheit, denn er mahnt den Kroisos, Maß zu halten und sich mit den bisher eroberten Gebieten zufrieden zu geben. Thales ist demgegenüber für Herodot ein Beispiel für die Verblendung durch Weisheit, da sie dem Untergang des Kroisos noch Vorschub geleistet hat. In dem Zusammenhang spielt es für ihn auch offenbar keine Rolle, ob einer dieser Weisen ein Grieche, Lyder, Skythe oder anderer Herkunft ist. Bei Anacharsis, ebenso wie bei Thales und in dem anderen Beispiel, das Herodot in diesem Zusammenhang anführt, dem Schicksal des Skyles, scheint es sich auch um eine Fehleinschätzung der Situation zu handeln. Anacharsis will in seinem Land ein Fest für die Göttermutter, deren Ritus er in Kyzikos kennengelernt hat, einführen. Der spätere Skythenkönig Skyles will zwar keinen neuen Ritus in seinem Land einführen, praktiziert jedoch ausgiebig die orgiastischen Riten des Dionysos-Kultes (Hdt. 4,79-80). Dies wird als Verletzung der skythischen νόμοι betrachtet, also wird er abgesetzt und getötet. 522 Beide Schicksale gehören für Herodot in denselben Zusammenhang, da sie einerseits belegen, wie sehr die Skythen nicht nur fremde Sitten ablehnen, sondern auch diejenigen bestrafen, die diese Grenze nicht respektieren. Andererseits ist Anacharsis als derjenige, der über den Kreis der eigenen Kultur hinaus berühmt ist wegen seiner Weisheit, gerade der Anlaß dafür, diesen Kontext darzulegen. Ebenso wie bei Thales geht es Herodot darum, seinen Lesern ein größeres Bedeutungsfeld als nur die Fremdenfeindlichkeit der Skythen oder die Hybris des Kroisos zu erschließen. Die Grenzüberschreitung - sowohl im tatsächlichen, ganz materiellen Sinn wie bei Thales und Kroisos, als auch im übertragenen Sinn - besteht darin, dass die eigenen νόμοι nicht respektiert werden, sondern neue νόμοι aus einer anderen Kultur in die eigene transferiert werden oder Grenzen der Geltung von νόμοι nicht beachtet werden. Für Anacharsis bedeutet dies im Umkehrschluss, dass er den Ritus für die Göttermutter nicht - oder jedenfalls nicht unverändert - in seinem eigenen Land hätte feiern dürfen. Wenn 522 Die Skyles-Geschichte ist ausführlich behandelt bei Munson, Wonders, 119ff.; vgl. West, Herodotus, in: Braund/ Kryzhitskiy (Hrsg.) Classical Olbia und oben S. 128. 179 er diese Grenze beachtet hätte, wäre er von seinen Landsleuten nicht getötet worden. Damit wird von Herodot nicht die Weisheit des Anacharsis infrage gestellt, denn diese akzeptiert er ja als den berichteten Ereignissen schon vorgängig. Aber er zeigt, dass auch einem Weisen gravierende Fehleinschätzungen unterlaufen können, wenn er die Grenzen des eigenen kulturellen Bereiches verletzt. Für die Bedeutung, die Herodot der σοφία und der darin liegenden Wirkmächtigkeit des Wissens beimisst, ergibt dies, dass es nur dann zur Geltung kommt, wenn die Grenzen des jeweiligen Kulturbereichs, auf die sich diese σοφία bezieht, respektiert werden. Der praktische Zug der σοφία , der sich auf die Anwendung in konkreten Lebenssituationen bezieht, schlägt sich darin nieder, dass erst die Alltagsbezogenheit, d.h. die Anbindung an die jeweiligen νόμοι der eigenen Gesellschaft, diesem Wissen in seiner Anwendung die Qualität der Weisheit verleihen. Für σοφία legt Herodot also kein übergreifendes, allgemeines Konzept zugrunde, sondern eine an die lokale Umgebung und deren Gebräuche gebundene Vorstellung. Diese an die Lokalität des jeweiligen Volkes bzw. Ortes gebundene σοφία wirft auch Licht auf eine andere Frage, die für den Werkzusammenhang Herodots unterschiedlich beantwortet wurde. Im Hinblick auf den φύσις -Begriff Herodots und auch die Frage nach dem Verhältnis von νόμος und φύσις ist sowohl die Ansicht vertreten worden, dass die Lokalität, d.h. die spezifische naturräumliche Umgebung, keinerlei Rolle spielt, 523 als auch die Gegenposition, dass die naturräumlichen Einflüsse auf die Ausprägung der νόμοι groß seien. 524 Das Schicksal des Anacharsis - so wie Herodot es darstellt - verweist auf das Bild von über die Grenzen des eigenen Kulturraums hinweg sehenden Griechen einerseits, die durchaus Fremdes, Fremde und Neues aufnehmen, adaptieren und ihrem Gegenbild, den mobilen Nomaden andererseits, die im eigenen kulturellen und kultischen Bereich aber ganz unbeweglich sind. Jedoch gibt Herodot - eher widerwillig - zu (4,46), dass es offenbar genau diese Abgrenzung ist, die die skythischen Nomaden so unbesiegbar macht (vgl. dazu oben S. 140ff. ). Wenn nun das Wissen um die lebenspraktischen Dinge so deutlich daran gebunden ist, 525 die naturräumlichen Grenzen einer Kultur zu beachten, dann liegt bei Herodot eindeutig ein Naturbegriff vor, der Bildung und Wissen auch an die Besonderheiten des jeweiligen Raumes rückbindet. Die entgegengesetzte Position würde eine von der Lokalität unabhängige Entwicklung des Wissens, d.h. auch eine Bildung im Sinne von Ausbildung und Wissenserwerb voraussetzen. Aber gerade dies ist nach Auffassung von Herodot eben gerade nicht möglich. Wenn es eine σοφία gäbe, die von Grenzen und Räumen unabhängig 523 Heinimann, Nomos, 42ff. 524 Bichler Herodots Welt, 48, 224. Braund, Herodotus’ Spartan Scythians, 28ff. 525 Vgl. hierzu Schubert, Peripherie, in: Kath/ Rieger (Hrsg.), Raum. 180 wäre, dann könnte eine Figur wie Anacharsis ohne Schwierigkeiten zu erwarten religiöse Bräuche, die er als gut und übertragenswert in Griechenland beobachtet und erfahren hat, in seinem Heimatland etablieren. Da aber das Gegenteil passiert und Herodot ein komplexes Netz von Bezügen entwickelnd, dies auch an anderen Fällen demonstriert, um zu zeigen, warum dies nicht gehen kann, bleibt nur der Schluss übrig, dass νόμοι und σοφία an die Grenzen der φύσις eines Landes oder eines Volkes gebunden sind. Die besondere Weisheit der Skythen ist ihre Fähigkeit, sich einerseits jedem Feind entziehen zu können und andererseits niemanden entkommen zu lassen. Diese ‚Entdeckung‘ hat ihre Gründe in der nomadischen Lebensweise ohne Städte, ohne Mauern, ohne Ackerbau, aber mit berittenen Bogenschützen und bodenvagen Behausungen ( φερέοικοι ἐόντες ) und Viehzucht. 526 So werden die Skythen ἄμαχοί τε καὶ ἄποροι . Zwar sind die natürlichen Umstände günstig, also Land und Wasser ‚die Verbündeten‘ solcher Lebensumstände, aber sie sind die Entdecker bzw. Erfinder dieser Lebensweise, d.h. die ‚Einführung‘ wird als Ausdruck einer selbstbestimmenden, verantwortlichen Handlung betrachtet. Auch Thukydides führt die außerordentliche militärische Stärke der Skythen auf bestimmte spezifische Eigenschaften zurück, wenngleich er diese nicht ausdrücklich an ihre nomadische Lebensweise knüpft. Er schreibt ihnen jedoch ein Höchstmaß an Klugheit und Einsichtsfähigkeit zu, so dass sie besser als andere befähigt seien, sich in jeder Lage zu behaupten. Die σύνεσις und εὐβουλία der Skythen können durchaus als Verweis auf die Weisheitszuschreibung verstanden werden. 527 Während Thukydides die Skythen nur äußerst knapp beschreibt, bindet Herodot sie in eine komplizierte Konstruktion von Identität und Alterität ein. Er bewundert die Lebensweise der Skythen, aber so wie er diese Bewunderung nur aus der Negation heraus beschreibt, grenzt er sich gleichzeitig ab von anderen, die offenbar mehr an den Skythen bewundern als er selbst und weniger kritisch im Hinblick auf deren Lebensweise sind. Das kann nur bedeuten, dass Herodot lediglich diesen einen Punkt bewundert, der dazu führt, dass die Skythen unbesiegbar sind, alles andere der Lebensweise jedoch nicht. 528 So fügt sich die einige Abschnitte später präsentierte extreme Abgrenzung der Skythen gegen Sitten und Gebräuche anderer bruchlos an. Genauso wie die besondere Weisheit in der Lebensführung 526 Für das folgende vgl. auch Schubert, Fremde, 157ff. 527 Thuk. 2,97,5-6. Vgl. bei Herodot die Charakterisierung des Themistokles 8,110 als ἀληθέως σοφός τε καὶ εὔβουλος und v.a. bei Plat. rep. 428 b-d die Charakterisierung der Polis als ‚weise’, wenn sie auch εὔβουλος sei. Diese εὐβουλία ist die Umsetzung von Wissen und Erkenntnis, über das im platonischen Staat die Wächter verfügen. 528 Mit großer Distanz beschreibt Herodot 4,64 den Brauch, Feindesblut zu trinken, das Präparieren der abgeschlagenen Köpfe getöteter Feinde, die Verwendung der Körperhaut sowie 4,65 die Verwendung der Schädel als Trinkschale. 181 der Skythen an die Figur des Anacharsis anknüpft, ist sein Schicksal das Paradigma für die Abgrenzung. 529 Herodot betont, dass die Skythen wegen ihrer besonderen Art der Weisheit zu bewundern seien und nicht etwa wegen ihrer gelehrigen Übernahme griechischer Gebräuche. Ihre Art von Weisheit, ihr Besonderes, das sie in den Augen eines griechischen Betrachters auszeichnet, ist die nomadische Lebensweise. Die Heraushebung der gegenseitigen Abgrenzung, aus der griechischen Perspektive an der negativ formulierten Charakteristik bei Herodot 4,46 zu erkennen, aus der skythischen Perspektive an der konsequenten Ablehnung fremder Sitten (Hdt. 4,76-77), wird von Herodot verwendet, um eine Dichotomie zu markieren. Diese ergibt sich nun nicht etwa aus der etwaigen kulturellen Überlegenheit der Griechen oder der Skythen. Die Griechen haben wohl eine größere Zahl an kundigen Männern als die Skythen, die nur Anacharsis haben. Aber über ihre jeweils eigene Art der Weisheit verfügen beide Völker und diese ist nicht auf Einzelne beschränkt. 530 Die Lebensweise, die die Skythen heraushebt, ist in den naturräumlichen Gegebenheiten ihres Landes begründet, wenngleich dies nicht der einzige und ausschlaggebende Grund für die nomadische Lebensweise der Skythen sein kann, da Herodot auch in Regionen Nomaden beschreibt, die naturräumlich anders charakterisiert sind, wie etwa die libysche Wüste. 531 Jedoch wird kein anderes Nomadenvolk von Herodot mit dem Attribut der Weisheit ausgestattet. Die Vorstellung von Weisheit, die Herodot hier zugrundelegt, findet ihren sprachlichen Ausdruck in Rätseln, Sinnsprüchen und kontradiktorischen Formulierungen, zu denen die 529 Zur Frage der herodoteischen Methode: Vgl. Schubert, res fictae, 17ff. Die Interpretation der herodoteischen Autopsie wird derzeit wieder etwas skeptischer beurteilt. Generell zeigt sich immer mehr, dass Vorsicht geboten ist, wenn der herodoteischen Darstellung zu schnell die Historizität abgesprochen wird (vgl. zu dem bei Olbia gefundenen Grafitto: Oben S. 150). Ein weiteres, mögliches Indiz für die Historizität erwähnt A.S. Rusyayeva, Religious Interactions between Olbia and Scythia, in: Braund/ Kryzhitskiy (Hrsg.), Classical Olbia, 93-102, hier 100ff. im Zusammenhang ihrer Erörterungen zu dem Kult des Apollo Boreas in Olbia, wo man eine klazomenische Amphora (Mitte 6. Jh.v.Chr.) im westlichen Temenos in Olbia in einem Apollo Medicus Tempel gefunden hat, die nach Yu. Vionogradovs Interpretation die Aufschrift trug: „Anaperres, son of Anacharsis, a Scolotian, dedicated to Apollo Boreas ‚paternal honey’“ (publiziert in: Yu. Vinogradov & Rusyayeva 2001 (= M. I. Zolotaryov (ed.), ANAXARΣIΣ . In memory of Yu. Vinogradov, Sebastopolo 2001), 134-142. Nach Vinogradov soll es sich um den Sohn des Anacharsis gehandelt haben; für Rusyayeva ist das nur eine Hypothese, aber auch sie erkennt aus den bisherigen Funden intensive Verbindungen zwischen der städtischen Elite und der Steppenelite (z.B. in bei beiden Gruppen gemeinsam nachweisbaren Bestattungspraktiken für Frauen, a.a.O. 101). 530 Zur Typologie von Weisheit allg. Assmann, Was ist Weisheit, in: dies. (Hrsg.), Weisheit, 9ff. Vgl. oben Einleitung S. 6ff. Zu der Verbindung von Weisheit und Nomaden als Strukturkomponente des antiken Nomadenbildes: Schubert, res fictae, 17f. 531 Hdt. 4,188; 4,190ff. 182 Skythen ebenso befähigt sind wie sie durch ihre nomadische Lebensweise eine unüberwindbare militärische Überlegenheit haben. 532 Andererseits kritisiert Herodot die Abgrenzung der Skythen gegenüber anderen Formen der Lebensweise mit anderen Sitten und Gebräuchen sehr heftig, wenngleich gerade diese Kritik die Tiefe dieses Wesensmerkmals erkennen lässt. Auch dafür ist die Figur des Anacharsis das Paradigma, da er - trotz seiner Berühmtheit, die auch von anderen Völkern anerkannt wurde - der weise Vertreter seines Volkes ist. Seine Weisheit liegt darin, dass er erkennt, welche Sitten und Gebräuche bei anderen für das eigene Volk einen Gewinn mit sich bringen würden und er sie daher nicht nur bei anderen bewundern, sondern sie auch dem eigenen Volk zugute kommen lassen will. Aber genau mit dieser ,weisen‘ Erkenntnis wird er zum Opfer, weil er eines der Wesensmerkmale seines eigenen Volkes - die Ablehnung fremder Sitten - übersehen hat. Die Figur des Anacharsis lässt erkennen, dass für Herodot die Weisheit des Skythen nicht von anderer Qualität ist als die der Griechen und dass das Besondere seiner Person, das ihm als Berühmtheit eine so herausragende Stellung bei Herodot eingetragen hat, darin begründet ist, dass er ein Nomade ist. Die Unterscheidungslinie zwischen einem Griechen, der als Weiser, Wanderer und Seher charakterisiert wird und Anacharsis, dem Skythen, ist also die nomadische Lebensweise. So wie für den Hellenen und Barbaren-Gegensatz gezeigt werden kann, dass er auf die direkte Wahrnehmung der Unterschiede in Sprache, Herkunft und Sitte zurückgeht, 533 ist auch im Hinblick auf die Nomaden der Ausgangspunkt die Differenz. Allerdings wird die nomadische Lebensweise, bei aller Andersartigkeit, als in spezifischer Weise überlegen akzeptiert. Diese Art der Überlegenheit erweist sich an der Grenze des eigenen Landes: Niemand, der die Grenzen überschreitet, kann den Skythen entkommen und niemand, der sie stellen will - d.h. niemand, der die Grenzen in kriegerischer Eroberungsabsicht überschritten hat -, kann sie finden. 534 Auch die Charakterisierung des Anacharsis als Weiser, wenngleich noch nicht explizit als Mitglied eines festumrissenen Kreises der 7 Wei- 532 Zu der Entwicklung, die in der Übertragung der Weissagung göttlicher Herkunft in die menschliche Sphäre liegt und sich sowohl in der literarischen Weiterentwicklung des Rätsels in seiner kontradiktorischen Form als auch in der Ambivalenz von Figuren der „Weisen“ spiegelt: s.o. Kap. III. Zu Hdt. 4,126ff. und dem dort präsentierten Skythen-Rätsel, an dem der Perserkönig Dareios kläglich scheitert: Kap. IV. 533 Gehrke, Identität, in: Fludernik/ Gehrke (Hrsg.), Normen, 123; vgl. D. Timpe, Der Barbar als Nachbar, in: Chr. Ulf (Hrsg.), Ideologie - Sport - Außenseiter. Aktuelle Aspekte einer Beschäftigung mit der antiken Gesellschaft, (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Sonderheft 108), Innsbruck 2000, 203-30; vgl. auch Sier, Skythen, 63ff. 534 Gardiner-Garden, Dareios, zu Hdt. 4,109: Herodot unterscheidet sehr deutlich zwischen Nomaden und Nicht-Nomaden, wie etwa an der Beschreibung der Budinoi (Nomaden) und Geloni (keine Nomaden) zu erkennen ist. 183 sen, 535 jedoch schon mit den Merkmalen der überregionalen Bekanntheit ausgestattet, vor allem der besonderen, in der Öffentlichkeit verschiedenster Völker anerkannten und im Zentrum der Weisheit, dem Orakel von Delphi, 536 auch präsentierten Rätselsprache, 537 zeigt aber, dass Herodot die Figur bewusst aus ihrem Kontext des Nomadenvolkes herauslöst. Es geht dabei nicht um die Projektion eigener Merkmale oder Ideale in einen Fremden, 538 sondern um die ‚metaphorische Umarmung‘ 539 des Fremden, der auf diese Weise in die eigene Kultur integriert werden kann. Hier zeigt sich, dass die Konstruktion der Dichotomien nicht so geradlinig und vor allem nicht so eindeutig polar verläuft, wie die sprachliche Konstruktion es in ihrer Antithetik vermittelt. Wie durch das Konzept der Verwandtschaft über mythische Heroen wie Herakles oder Perseus als Stammväter die Grenzen zwischen Hellenen und Barbaren parallel zu der Ausgestaltung der eigentlichen Antithese wieder verwischt werden konnten, 540 so wird durch die Aufnahme des Nomaden in die Reihe der Weisen die eigene, kulturelle Identität ausgeweitet. 541 Hier zeigt sich ein strukturelles Element dieser Dichotomie, die vergleichbar ist mit dem Grenzgängertum der Heroen, die trotz aller ethnozentristischen Vorstellungen den Fremden auch in den eigenen Kulturbereich einschließen konnten. 542 2. Die Perserkriege und die Freiheit Der historische Erfahrungsraum, in den Herodot die Anacharsis- Geschichte setzt, ist derjenige, der für sein gesamtes Werk bestimmend ist und auf die Perserkriege und ihre Vorgeschichte führt: τά τε ἄλλα καὶ δι' ἣν αἰτίην ἐπολέμησαν ἀλλήλοισι . 543 Es geht Herodot hier um Griechen und 535 Vgl. oben Kap. III 1. 536 Meier, Intelligenz, in: ders. (Hrsg.), Welt, 85ff. mit der Betonung der starken Rationalität, die sich in Delphi zu einem Zentrum des politischen Denkens entwickelte. Er verbindet dies sowie die damit zusammenhängende Tätigkeit der Sieben Weisen mit der Entstehung einer autonomen - nicht an Institutionen gebundenen - Intelligenz. Daneben sind jedoch auch andere Elemente dieser Weisheitsvorstellung zu berücksichtigen, auf die insbesondere Colli hingewiesen hat. 537 Zu der Rätselsprache und der darin inhärenten Verbindung zur Weisheit Colli, Geburt, und oben Kap. III und IV. 538 So jedoch Ungefehr-Kortus, Anacharsis, 7. 539 Greenblatt, Besitztümer, 75. 540 Bichler, Barbarenbegriff, in: Weiler (Hrsg.), Randgruppen; Gehrke, Identität, in: Fludernik/ Gehrke (Hrsg.), Normen, 122ff. 541 Ganz anders Ungefehr-Kortus, Anacharsis, 75: „Im 4./ 3. Jh. begeistert die Schlichtheit der Barbaren.“ 542 Ungefehr-Kortus, Anacharsis, 36ff., 46ff.; zu der Figur des Grenzgängers vgl. Gehrke, Identität, in: Fludernik/ Gehrke (Hrsg.), Normen, 130. 543 Hdt. 1,1: „… das andere und insbesondere, aus welcher Ursache sie miteinander Krieg geführt haben …“ Ausführlich dazu Bichler, Herodots Welt, 303ff. und Hartog, Mirror, a.a.O und oben Kap. V 1. 184 Perser, die er bereits im Eingangssatz seines Werkes als Hellenen und Barbaren einander gegenüberstellt und deren ἔργα μεγάλα τε καὶ θωμαστά nicht in Vergessenheit geraten sollen. Die αἰτίαι beginnen von Anfang an mit Übergriffen in die Sphäre des jeweils anderen, d.h. je nach Perspektive mit Einfällen der Perser in Europa oder mit Einfällen der Griechen in Asien. Aus der klaren Abgrenzung der Erdteile mit ihren Zuordnungen zu Völkern und Sitten entwickelt Herodot ein detailreiches Geflecht von Bezügen, Parallelen und Analogien, die sowohl in den Narrationsmustern als auch in den Ereignissen selbst immer wieder diese anfangs dargelegte Struktur wiederholen. Mit den Ereignissen der Perserkriege beginnt eine neue Phase in der Selbstdefinition der Griechen. 544 In dieser Zeit wird ein stereotypes, generalisiertes Bild des exotischen, sklavischen und unverständlich sprechenden Barbaren entwickelt. Inwiefern dieses Bild unter dem Eindruck der erfolgreichen Abwehr der Perser in die Identitätsbildung der Griechen integriert worden ist, wurde bereits vielfach untersucht. 545 Jedoch werden die Skythen hierin im Verlauf des 5. Jahrhunderts, als die entscheidenden Muster geprägt wurden, jedenfalls nicht als ein weiteres Barbarenvolk subsumiert. 546 Auffällig ist hier, dass weder bei Aischylos noch bei Herodot die Skythen jemals als Barbaren bezeichnet werden. Im Gegenteil, die Skythen, die als Volk Europas gelten, werden von Herodot über seine sonstige Methode in den ethnographischen λόγοι hinausgehend, zum Modellfall für den Sieg über den Perserkönig stilisiert. 547 In einem dichten Netz solcher Parallelen und Analogien wird Dareios’ Skythenexpedition (wahrscheinlich 513/ 12 v.Chr.) zum Paradigma für die erfolgreiche Abwehr des tyrannischen Despoten durch die Nomaden. Neben ganz offensichtlichen Parallelen von Kriegsverlauf und Kriegstaktik wie dem Brückenbau über den Bosporus (oder über die Donau) durch Dareios, der sein Gegenstück in dem Brückenbau des Xerxes über den Hellespont hat, ist es insbesondere die Taktik der Skythen, dem Heer des Dareios ständig auszuweichen. Artabanos, der Ratgeber des Xerxes, weist ausdrücklich daraufhin, dass sich die Skythen Dareios nicht zur Schlacht stellten und damit am Ende den schmählichen Abzug des anfangs so übermächtig erscheinenden Perserkönigs bewirkten (Hdt. 7,10,2): 548 544 J.M. Hall, Ethnic Identity in Greek Antiquity, Vol. 2, Cambridge 1998, 47f. 545 Eine Synthese bei Hall, Ethnic Identity, 47ff., der dies unter dem Aspekt untersucht, wie sich das Konzept von Ethnizität herausbildet. 546 Vgl. zu der besonderen Rolle der Skythen bei Herodot, die sich sowohl in den von Hartog herausgearbeiteten Interpretationsmuster zeigt wie auch in der Konstruktion eines naturräumlich und klimatologisch bestimmten Raumes: Schubert, Peripherie, in: Kath/ Rieger (Hrsg.), Raum. 547 Vgl. zu dem Verhältnis zwischen Herodot und De aeribus oben Kap. V 2. 548 Hartog, Mirror, 34ff.: Brückenbau: Hdt. 4,85f. (Dareios), 7,46 (Xerxes); Hdt. 4,142 (Ausweichtaktik der Skythen), 7,101 (Athener); die Rolle des Artabanos als Ratgeber und Mahner sowohl des Dareios als auch des Xerxes: 7,18. 185 Ἐγὼ δὲ καὶ πατρὶ τῷ σῷ, ἀδελφεῷ δὲ ἐμῷ, Δαρείῳ ἠγόρευον μὴ στρατεύεσθαι ἐπὶ Σκύθας, ἄνδρας οὐδαμόθι γῆς ἄστυ νέμοντας· ὁ δέ ἐλπίζων Σκύθας τοὺς νομάδας καταστρέψεσθαι ἐμοί τε οὐκ ἐπείθετο, στρατευσάμενός τε πολλοὺς καὶ ἀγαθοὺς τῆς στρατιῆς ἀποβαλὼν ἀπῆλθε. „Ich riet schon deinem Vater Dareios, meinem Bruder, nicht gegen die Skythen zu ziehen, weil es ein Volk sei ohne eine feste Stadt. Aber er glaubte, er könne sich die Skythen, Nomaden, unterwerfen und folgte meinem Rat nicht, unternahme den Kriegszug und kehrte wieder zurück, nachdem er viele und edle Krieger verloren hatte.“ Genauso verteidigen die Athener nicht ihr Heimatland, sondern evakuieren ihre Bevölkerung auf die benachbarten Städte und vor allem auf ihre Schiffe. 549 Bei den Skythen ist es ihre spezifische, nomadische Lebensweise, die sie zum Sieg befähigt, ja sie unbesiegbar macht (s.o.). Aber die Griechen sind, so Artabanos, noch herausragender (Hdt. 7,10,3): „Σὺ δέ, ὦ βασιλεῦ, μέλλεις ἐπ' ἄνδρας στρατεύεσθαι πολλὸν ἔτι ἀμείνονας ἢ Σκύθας, οἳ κατὰ θάλασσάν τε ἄριστοι καὶ κατὰ γῆν λέγονται εἶναι·“ „Du aber, König, willst in den Krieg ziehen gegen Männer, die noch viel besser sind als die Skythen, die zu Wasser und zu Lande als die Tapfersten gelten.“ Insbesondere nennt Artabanos hier die Athener, die schon einmal mit einem Heer erfolgreich gegen die Perser gewesen waren. 550 Dass sie diesmal mit ihrer Flotte den eigentlichen Sieg davontragen würden, weiß der kundige Leser Herodots hier natürlich! Herodot sagt an anderer Stelle (5,78) auch sehr deutlich, worauf er diesen großartigen Erfolg der Athener zurückführt, indem er das Recht der freien Rede, die Isegorie, als Synekdoche für die durch die kleisthenischen Reformen in Athen eingeführte Isonomie bezeichnet. In der Folge hätten die Athener, die vorher, als sie für den Tyrannen kämpfen mussten, sich absichtlich feige und träge verhielten, nun im eigenen Interesse und befreit von der Tyrannis zu ihrem eigenen Nutzen und damit überaus erfolgreich gekämpft. Damit erklärt Herodot, wieso die Athener so kurz nach der Tyrannis sowohl die Spartaner als auch die Böoter schlagen konnten wie auch erfolgreich auf Euböä waren. 551 Auch Aristoteles verwendet diesen Zusammenhang zwischen Lebensweise, politischer und militärischer Kompetenz: 552 Im 6. Buch der Politik, in dem er Freiheit und Gerechtigkeit als Grundlagen der demokratischen Verfassung definiert, beschreibt er die bäuerliche Gesellschaft, die von Landwirtschaft 549 Hdt. 8,61; dazu Hartog, Mirror, 50. Hartog verweist auch auf die Formulierung des delphischen Orakels (Hdt. 7,140,1): Ὦ μέλεοι, τί κάθησθε; Λιπὼν φύγ' ἐς ἔσχατα γαίης („Arme, was zögert ihr noch? Flieht bis ans Ende der Erde …“). Damit habe die Pythia den Athenern die „skythische Strategie“ empfohlen. 550 Vgl. Hartog, Mirror, 37ff. 551 Schubert, Athen und Sparta, 10ff.; Cartledge, Griechen, 91. 552 Aristot. Pol. 1319 a 20ff. ÜS hier nach Gigon. 186 und Viehzucht lebt, als die am besten für die Demokratie geeignete. Die nächstbeste sei die nomadische Gesellschaft (Aristot. Pol. 1319 a 21-26): μετὰ δὲ τὸ γεωργικὸν πλῆθος áβέλτιστος δῆμός ἐστιν ὅπου νομεῖς εἰσι καὶ ζῶσιν ἀπὸ βοσκημάτων· πολλὰ γὰρ ἔχει τῇ γεωργίᾳ παραπλησίως, áκαὶ τὰ πρὸς τὰς πολεμικὰς πράξεις μάλισθ' οὗτοι γεγυμνασμένοι τὰς ἕξεις καὶ χρήσιμοι τὰ σώματα καὶ δυνάμενοι θυραυλεῖν. „Die beste Gruppierung des Demos nach den Bauern findet man dort, wo es (reichlich) Nomaden gibt und (der Demos) von Weidetieren lebt. In vieler Hinsicht ähnelt diese Lebensweise ja derjenigen von Bauern, und für die kriegerischen Aufgaben sind sie nach ihren Lebensgewohnheiten am besten trainiert und körperlich einsetzbar, und sie können unter freiem Himmel leben.“ 553 Fast alle anderen Völker, in denen man demokratische Verfassungen findet, fallen demgegenüber ab (Aristot. Pol. 1319 a 26-28): τὰ δ' ἄλλα πλήθη πάντα σχεδόν, ἐξ áὧν αἱ λοιπαὶ δημοκρατίαι συνεστᾶσι, πολλῷ φαυλότερα áτούτων· ὁ γὰρ βίος φαῦλος, … „So ziemlich alle anderen Gruppierungen, die die tragende Schicht der übrigen Demokratien darstellen, sind diesen weit unterlegen.“ 554 Die Nomaden werden einmal als grundsätzlich in einer demokratischen Verfassung lebend und zum anderen als für den erfolgreichen Krieg hervorragend geeignet beschrieben. In aller Kürze werden ihre wichtigsten Merkmale charakterisiert: Die Lebensweise in bodenvagen Behausungen, d.h. ohne Städte und Mauern „unter freiem Himmel“, die Viehzucht im Gegensatz zum Ackerbau und die körperliche Tüchtigkeit für militärische Aktionen, d.h. das Dasein als berittene Krieger. Die Zuspitzung auf Freiheit und Gleichheit, v.a. die Bezeichnung der politischen Verfasstheit als Demokratie ist ein Aspekt, der so vor Aristoteles in der Überlieferung für die Nomaden nicht zu finden ist. Dagegen ist die Verbindung von Freiheit und Demokratie wie sie sich bei Aristoteles findet, 555 eine Argumentationsfigur, die in der politischen Diskussion Athens in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts entwickelt wurde und sich zu Aristoteles’ Zeiten bereits lange schon verfestigte. 556 In der bei Diodor überlieferten Variante der Weisheitsfragen wird Anacharsis eine Antwort zugeschrieben, die eine auffällige politische Konnotation hat: Die Frage nach dem Tapfersten beantwortet er mit den wilden Tieren, denn sie allein seien bereit, für ihre Freiheit zu sterben. In der zweiten Antwort variiert er, und verweist auf ihre Verbundenheit mit der Natur. 557 Die zweite Antwort verweist auf einen sophistischen Kontext, jedoch 553 ÜS nach Schütrumpf. 554 ÜS Schütrumpf. 555 Aristot. Pol. 1317 a 35ff. 556 Raaflaub, Entdeckung, 258ff. 557 Diod. 9,26. Vgl. Suda s.v. Μᾶλλον ὁ Φρύξ: ἡ παροιμία ἐνθένδε: οἱ ζ σοφοὶ ἐρωτώμενοι ὑπὸ Κροίσου, τίς τῶν ὄντων εὐδαιμονέστατος, οἱ μὲν ἀπεκρίναντο τὰ ἄγρια ζῷα: ὑπὲρ 187 die erste nicht. 558 Der Vergleich mit den wilden Tieren verwendet den für die griechischen, politischen Vorstellungen zentralen Begriff der Freiheit. Es lässt sich aus Herodot nachweisen, dass er nicht nur bereits, wie oben gezeigt, eine ältere Anacharsis-Tradition vor sich gehabt haben muss, sondern darüber hinaus auch, dass diese mit politischen Fragen und Themen verbunden gewesen sein muss. Herodot legt nämlich 1,153 dem persischen König Kyros ein Dictum in den Mund, das in der späteren Überlieferung Anacharsis zugeschrieben wird: 559 Οὐκ ἔδεισά κω ἄνδρας τοιούτους, τοῖσί ἐστι χῶρος ἐν μέσῃ τῇ πόλι ἀποδεδεγμένος ἐς τὸν συλλεγόμενοι ἀλλήλους ὀμνύντες ἐξαπατῶσι. „Vor solchen Männern habe ich mich noch nie gefürchtet, die in der Mitte ihrer Städte Plätze angelegt haben, auf denen sie sich versammeln, um Eide zu schwören und sich dabei zu belügen.“ Hier kommt natürlich eine geharnischte Kritik an den griechischen politischen Konzepten zum Ausdruck, die mit ἐν μέσῃ direkt anknüpft an die Isonomien dieser Zeit (vgl. dazu oben Kap. II). Wie bei allen diesen Aussprüchen lässt sich kaum sagen, ob sie authentisch sind, jedoch zeigt dies immerhin deutlich genug, dass die Weisen mit politischen Diskussionen und Fragen befasst waren, die direkt in die Verfassungsdebatten der damaligen Zeit hineinreichten. 560 Vor diesem Hintergrund ist die Analogie der wilden Tiere mit ihrem Freiheitsbedürfnis in der von Diodor referierten Version ein Hinweis darauf, dass mindestens schon im 5. Jahrhundert mit Anacharsis auch politi- γὰρ τῆς αὐτονομίας ἀποθνήσκει: οἱ δὲ πελαργούς: δίχα γὰρ νόμου τῇ φύσει τὸ δίκαιον ἔχουσι: Σόλων δέ, οὐδένα πρὸ τῆς τελευταίας ἡμέρας. παρεστὼς δὲ Αἴσωπος ὁ Φρύξ, ὁ λογοποιός, τοσοῦτον, εἶπεν, ὑπερέχεις τῶν ἄλλων, ὅσον θάλασσα ποταμῶν. ἀκούσας δὲ Κροῖσος εἶπε, μᾶλλον ὁ Φρύξ. „‚Der Phrygier hat recht’: Das Sprichwort kommt daher: Da die Sieben Weisen von Kroisos gefragt wurden, welches unter den Wesen das Glücklichste sei, antworteten einige: ‚Die wilden Tiere, denn sie sterben für die Freiheit’, - andere aber: ‚Die Störche, denn auch ohne Gesetz besitzen sie von Natur Gerechtigkeit’… Solon meinte: ‚Niemand vor seinem letzten Tag’. Der Phryger Äsop jedoch, der Fabeldichter, der dabeistand, sagte: ‚Du übertriffst die anderen wie das Meer die Flüsse’. Als Kroisos das hörte, sagte er: ‚Der Phryger hat recht.’“ (ÜS Snell). 558 Kindstrand, Anacharsis, 43, entscheidet sich für die These der sophistischen Herkunft (mit Anm. 40 zu der älteren Literatur); allerdings sieht er durchaus, dass bereits bei Herodot „roots“ vorhanden seien; Ungefehr-Kortus, Anacharsis, 99ff. erkennt dagegen eine kynische Quelle. 559 Vgl. Diog. Laert. 1,105: τὴν ἀγορὰν ὡρισμένον ἔφη τόπον εἰς τὸ ἀλλήλους ἀπατᾶν καὶ πλεονεκτεῖν. („Er sagte, dass die Agora ein Ort sei, geschaffen um einander zu betrügen und übers Ohr zu hauen.“) Dazu von der Mühll, Anacharsislegende, 478. 560 So etwa auch Hdt. 1,170 zu Bias und Thales. Hier wird auch Bias bereits eine Äußerung zu der Bedeutung der Freiheit im Gegensatz zu Unterjochung durch den persischen Tyrannen zugeschrieben. Zu den gesamten Belegen dieser Zeit: K.A. Raaflaub, Zum Freiheitsbegriff der Griechen, in: E.Ch. Welskopf (Hrsg.), Untersuchungen ausgewählter altgriechischer sozialer Typenbegriffe, Berlin 1981, 180-405, hier 212ff. 188 sche Konzepte verbunden wurden. 561 Der Ansatzpunkt, der ihn für die Griechen so interessant machte, war aber unzweifelhaft sein Nomadentum. In dieser Hinsicht verweist die Analogie der wilden Tiere auf ihn selbst zurück, denn ebenso wie die wilden Tiere leben die Nomaden ohne die gängigen Attribute der griechischen Zivilisation wie Polis, Häuser, Markt und Ackerbau. Diese in der Historiographie, der Tragödie und der politischen Literatur erkennbare Entwicklung ist auf die demokratischen Prozeduren und Entscheidungsprozesse ausgerichtet, 562 während in der Ethnographie und medizinischen Theorie, wie das Beispiel der Schrift De aeribus deutlich zeigt, das Streben nach Freiheit aus der Wechselwirkung zwischen den naturräumlichen-klimatologischen und den mentalen Gegebenheiten erklärt wird. 563 Aus dem exklusiven Anspruch der Demokratie auf die ἐλευθερία - Konzeption 564 ebenso wie der dominanten Stellung Athens in der verfassungspolitisch ausgerichteten Demokratiedebatte ist dann erst später bei Aristoteles ein Zusammenhang konstruiert worden, der es auch ermöglichte, eine nomadische Gesellschaft als für die Demokratie prädestiniert zu bezeichnen. Das Merkmal, das Aristoteles die Eingliederung der Nomaden in seine Lebensformtypologie ermöglichte, ist die militärische Unbesiegbarkeit. Die extreme Mobilität der Nomaden verdankt sich ihrem Leben ohne Häuser, ohne Äcker, also ohne alle Attribute der zivilisierten, sesshaften Gesellschaft und ist doch für Aristoteles gleichzeitig auch ideale Grundlage des politischen Systems der Demokratie. Dass diesem Bild von den Nomaden die Wirklichkeit wohl selten entsprach, hat weder Aristoteles noch andere Autoren in ihrer Freude am Konstruieren dieser Gegenbilder behindert. 565 561 In der späteren Überlieferung auch bei Plut. Sept. sap. conv. 11,154 d-e: Die Sieben Weisen sollen ihre Meinung zu περὶ πολιτείας ἰσονόμου sagen: Anacharsis (= Kindstrand A 38) betont die Demokratie! Vgl. auch Plut. Sept. sap. conv. 11,154 f-155 c: eigentlich geht es um das Beste für den oikos, aber Anacharsis antwortet zu Freiheit (eleutheria) und Autonomie (autonomia) als den Charakteristika des Nomadenlebens; hierzu meint Kindstrand, Anacharsis, 47, dass dies eher auf Plutarch selber zurückginge. 562 Raaflaub, Entdeckung, 262f.: Etwa in den Hiketiden des Aischylos (463 v.Chr. aufgeführt) 365ff., 397ff., 483ff., 517ff., 523, 600ff., 940ff., 963ff. geht es um den Gegensatz zwischen autokratischem Königtum und der entscheidungsbefugten Volksversammlung aller Bürger einer Polis; vgl. Eurip. Hik. 352 (424 v.Chr. aufgeführt); Ps.-Xen., Ath. Pol. 1,8 (um 420 v.Chr.). 563 Zu Aer. 16,3 und 23,5 vgl. Raaflaub, Entdeckung, 260 und Schubert/ Leschhorn, Hippokrates, ad loc. 564 Raaflaub, Entdeckung, 296ff. 565 Vgl. zu dieser Problematik die Einleitung von A. Weiß, Nomaden jenseits der Topoi - anstelle einer Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Der imaginierte Nomade. Formel und Realitätsbezug bei antiken, mittelalterlichen und arabischen Autoren, (Nomaden und Sesshafte 8), Wiesbaden 2008, 3-15. 189 3. Anacharsis: Paradigma eines Nomaden Der bei Aristoteles zu beobachtende Umgang mit einzelnen Elementen aus dieser Diskussion und vor allem die Integration der Nomaden in die verfassungstheoretisch und anthropologisch konzipierte Politik des Aristoteles verweisen auf einen Umgang mit der Nomaden-Thematik, der sich auch für die Anacharsis-Figur beobachten lässt. Die weitere Ausgestaltung der Anacharsis-Figur ist im 4. Jahrhundert vor allem bei Ephoros zu finden, den Strabon ausführlich referiert. 566 Ephoros kritisiert seine Vorgänger, die ihren Lesern nur das Schreckenerregende und das Wunderbare präsentieren: Damit wiederholt er das Argumentationsmuster, das schon Herodot verwendet hat, der die kritiklose Bewunderung der Skythen abgelehnt hat. Ephoros lehnt eine simple Hervorhebung der negativen und furchterregenden Merkmale der Skythen ab, da er die dadurch hervorgerufene ästhetische Reaktion nicht billigt. Die einfache Verwendung der Gleichung des Eigenen mit dem Guten, des Fremden mit dem Schlechten oder auch der Umkehrung ist beiden Autoren zu undifferenziert. Mit dieser Kritik an der bei anderen Autoren verwendeten Abgrenzungsfigur widerspricht Ephoros einer Argumentationspraxis, die er, genauso wie Herodot, offenbar bei vielen Autoren gesehen hat. Insofern geht es hier nicht um die Verwendung der einfachen positiven oder negativen Stereotypen ,guter Fremder‘/ ,böser Fremder‘, 567 sondern um eine Dynamik, die aus der Verwendung solcher Abgrenzungsstrategien sowohl in der anderen Gesellschaft (Herodot) als auch der eigenen Gesellschaft (Ephoros) entsteht. Ephoros ist der Ansicht, nicht das Schreckliche solle berichtet werden, δεῖν δὲ τἀναντία καὶ λέγειν καὶ παραδείγματα ποιεῖσθαι (Strab. 7,3,9 [302])! Dies sei seiner Ansicht nach die Beschreibung der Völker mit den gerechtesten Sitten und ein solches vorbildhaftes Beispiel seien die nomadischen Skythen. Sie sollen also als Vorbild für die eigene Gesellschaft charakterisiert werden, so dass auch eine bewusst intendierte Wirkung aus der Beschreibung ihrer Sitten ermöglicht wird. Das zu Bestaunende und Wunderbare ist in diesem Fall eine Lebensweise, die Ephoros mit den schon aus Herodot bekannten Merkmalen der Nomaden charakterisiert, die sich aus der mit der nomadischen Lebensweise verbundenen gemeinschaftlichen Verfügung über Besitz ergeben (Strab. 7,3,9 [303] (Radt)): 568 εἶτ' αἰτιολογεῖ áδιότι ταῖς διαίταις εὐτελεῖς ὄντες καὶ οὐ χρηματισταὶ áπρός τε ἀλλήλους εὐνομοῦνται κοινὰ πάντα ἔχοντες áτά τε ἄλλα καὶ τὰς γυναῖκας καὶ τέκνα καὶ τὴν ὅλην συγγένειαν. 566 Strab. 7,3,9 [302] (vgl. dazu oben S. 40). 567 So noch bei Shaw, Eaters of Flesh, 8ff. 568 In εὔνομοι Σκύθαι ist sicher auch ein Wortspiel enthalten, das einerseits auf die Eunomie, andererseits auf den Weidereichtum des Skythenlandes anspielt, da dieser die Voraussetzung der extensiven Herdenhaltung war. 190 „Dann geht er auf die Ursachen ein: dadurch dass sie in ihrer Lebensweise frugal seien und keinen Handel trieben lebten sie erstens rechtlich miteinander, da sie alles, und besonders die Frauen, Kinder und die ganze Verwandtschaft, gemeinsam besäßen, …“ 569 Die Lebensweise, die Strabon generell für die Nomaden beschreibt, (Strab. 7,3,7 [300] (Radt)): ἀλλὰ καὶ νῦν εἰσιν, ἁμάξοικοι καὶ νομάδες καλούμενοι, ζῶντες ἀπὸ θρεμμάτων καὶ γάλακτος καὶ τυροῦ, καὶ μάλιστα ἱππείου, θησαυρισμὸν δ' οὐκ εἰδότες οὐδὲ καπηλείαν πλὴν εἰ φόρτον ἀντὶ φόρτου. „Aber sie sind es ja noch jetzt: man nennt sie Wagenbewohner und Nomaden, sie leben von Zuchtvieh, Milch und Käse, besonders von Pferden, und kennen kein Anlegen von Vorräten und keinen Handel außer dem Warentausch.“ 570 ist hier vorauszusetzen. Aber das Besondere an den Skythen ist - wie es auch von Herodot hervorgehoben wird -, dass sie „… den Äußeren gegenüber … unbezwingbar und unbesiegbar“ bleiben. 571 Ebenso wie bei Herodot wird in diesem Zusammenhang auf Anacharsis verwiesen, der wegen seiner Weisheit zu dem Kreis der berühmten Sieben Weisen gezählt werde. Die ihn heraushebenden Eigenschaften sind εὐτέλεια , σωφροσύνη , σύνεσις (Strab.7,3,9 [303]). Die σωφροσύνη und die σύνεσις sind eine begrifflich ganz andere Fassung der bei Herodot mit σώφρων ἀνήρ und ἀνὴρ λόγιος beschriebenen Charakteristika des Anacharsis. Auch die spätere Zuschreibung der verschiedenen ἑυρήματα - des Blasebalgs, der Töpferscheibe und des doppelten Ankers - an den Nomaden als eines Kulturbringers für die griechische Zivilisation zeigt, dass die Figur ausgeweitet wurde. Vor allem die εὐτέλεια ist bisher immer als ein neues Element in der Anacharsis-Legende betrachtet worden, das daher auch auf den Kontext eines anderen Diskurses verweisen würde. 572 Die εὐτέλεια heben Ephoros und damit auch Strabon ganz wesentlich (Strab.7,3,9 [303] (Radt): καὶ τὸν Ἀνάχαρσιν δὲ σοφὸν καλῶν ὁ Ἔφορος τούτου τοῦ γένους φησὶν εἶναι, νομισθῆναι δὲ καὶ <τῶν> Ἑπτὰ σοφῶν ἐπ' εὐτελείᾳ <καὶ>σωφροσύνῃ καὶ 569 ÜS Radt. Vgl. Strab. 7,3,7 [301]: καὶ Αἰσχύλος δ' ἐμφαίνει συνηγορῶν τῷ ποιητῇ φήσας περὶ τῶν Σκυθῶν „ἀλλ' ἱππάκης βρωτῆρες “εὔνομοι Σκύθαι.” („Auch Aischylos stimmt mit dem Dichter überein, wenn er von den Skythen sagt: ‚Aber ‚Pferdekäseesser‘, wohlgeordnet lebende Skythen.’“); Strab. 7,3,7 [301 ] : ἁπλουστάτους τε γὰρ αὐτοὺς νομίζομεν καὶ ἥκιστα κακεντρεχεῖς εὐτελεστέρους τε πολὺ ἡμῶν καὶ αὐταρκεστέρους. („Denn wir halten sie für die geradesten, am wenigsten arglistigen und viel mehr von der einfachen und unabhängigen Lebensweise geprägten Menschen als wir.“) 570 ÜS Radt. 571 Strab.7,3,9 [302] : … πρός τε τοὺς ἐκτὸς ἄμαχοί εἰσι καὶ ἀνίκητοι. 572 Kindstrand, Anacharsis, 63. Anders Ungefehr-Kortus, Anacharsis a.a.O. 191 συνέσει· ) hervor, um die Andersartigkeit der Nomaden zu betonen und auch nicht zu trennen von der spezifischen Lebensform. 573 Eὐτέλεια ist nun allerdings auch schon in früheren Zeiten ganz bewusst als Abgrenzungsbegriff verwendet worden: So betont es der Perikles des Thukydides im Epitaphios mit den Worten (Thuk. 2,40,1): ’Φιλοκαλοῦμέν τε γὰρ μετ' εὐτελείας καὶ φιλοσοφοῦμεν ἄνευ μαλακίας. „Wir lieben das Schöne und bleiben schlicht, wir lieben den Geist und werden nicht schlaff.“ 574 Das Besondere der Athener ist ebenfalls ihre Lebensweise, die sich durch εὐτέλεια , aber auch ihr σῶμα αὔταρκες auszeichne. 575 Die Autarkie der Lebensweise ist, zumindest bei Strabon und Ephoros ein typisches Merkmal der nomadischen Lebensweise. 576 Vor allem aber spielt die εὐτέλεια eine Rolle für die Durchhaltefähigkeit der Athener unter dem Druck der existenzbedrohenden Krise nach der sizilischen Expedition. 577 In diesem Moment, so die Aufforderungen und Mahnungen, könnte die Beschränkung auf das Notwendige und einfache ihnen die Basis für den immer noch möglichen Sieg verschaffen. Die von Thukydides im Epitaphios verwendeten Vorstellungen sind in die ideologische Auseinandersetzung mit Sparta einzuordnen, 578 haben aber gerade in der Abgrenzung auch einen ganz klaren Bezug auf die Gegenüberstellung des Eigenen und des Anderen, indem sie die Lebensweise der Athener und deren Grundlagen belegen (Thuk. 2,36,4): ἀπὸ δὲ οἵας τε ἐπιτηδεύσεως ἤλθομεν ἐπ' αὐτὰ καὶ μεθ' οἵας πολιτείας καὶ τρόπων ἐξ οἵων μεγάλα ἐγένετο, … „Aber aus welcher Gesinnung wir dazu gelangt sind, mit welcher Verfassung, durch welche Lebensform wir so groß wurden, … “. 573 Auch Anacharsis, den er einen Weisen nennt, gehörte nach Ephoros zu diesem Geschlecht und soll wegen seiner Frugalität, Enthaltsamkeit und Klugheit als einer der Sieben Weisen betrachtet worden sein; vgl. auch Diog. Laert. 1,101 zu Anacharsis. 574 ÜS Landmann. 575 Gomme, et al., Thucydides, ad loc. 119ff.: Zu der εὐτέλεια schreibt Gomme, dass der Ausdruck eher einen Bezug zu wirtschaftlichen Dingen haben müsse, dies hier an dieser Stelle zusammen mit φιλοσοφεῖν jedoch nicht stimmig sei - andererseits hält er es auch für möglich, dass Thukydides den Begriff anders besetzt habe. Wenn εὐτέλεια jedoch aus dem Nomadendiskurs stammt, dann ist eine Interpretation, die die wirtschaftliche Seite des Begriffs im Sinne von mangelndem Geld bzw. Besitzlosigkeit in den Vordergrund stellt, nicht ganz unsinnig, insbesondere dann nicht, wenn man für diese Zeit noch eine postive Sicht der Nomaden annehmen kann. 576 Strab. 7,3,9 [303]; vgl. 7,3,18 [307]. 577 Thuk. 8,1,3; 8,4,1; 8,86,6. 578 Gomme, et al., Thucydides, 106 ad loc.: ἐπιτήδευσις „means the principles underlying Athenian life public and private, πολιτεία the constitution and the methods of public life generally …“; zur σύνεσις der Athener vgl. auch: Thuk. 1,75,1; 2,62,4. 192 Mit der spezifischen Bewährung der Lebensweise, u.a. auch im Krieg, argumentiert auch Aristoteles, der Demokratie, nomadische Lebensweise und Kriegserfolg in einem Kontext sieht. Als Anhaltspunkt, um die einzelnen Stufen in der Entwicklung der Anacharsis-Legende zu rekonstruieren, scheidet die Zuschreibung der εὐτέλεια also aus. Andererseits zeigt dieser Begriff, dass es mindestens seit dem 5. Jahrhundert in verschiedenen Kombinationen Vorstellungen von Weisheit, Lebensweise und Überlegenheit gegeben hat, die - möglicherweise sogar schon beliebig - in unterschiedlichen Kontexten eingesetzt werden konnten. Da etwa für den Epitaphios kaum ein Anknüpfungspunkt zu dem Nomadendiskurs zu erkennen ist, deutet dies daraufhin, dass die Begriffe gerade in dieser Kombination nichts mit der realen Erfahrung oder Kenntnis einzelner Völker und wohl auch ursprünglich nichts mit der Figur des Anacharsis in dem Kontext, wie ihn Herodot beschreibt, zu tun haben können. Wenn aber Begriffe wie εὐτέλεια bei Ephoros offensichtlich mit den anderen Elementen des Nomadendiskurses in der Figur des Anacharsis kombiniert werden konnten, so erweist dies, dass die Figur schon längst aus ihrem ursprünglichen historischen Kontext gelöst worden ist. Die Repräsentationspraxis über eine zu bestaunende Besonderheit der Lebensweise des Anderen, des Fremden, die eigene kulturelle Identität zu verstärken, wird jetzt dafür verwandt, eine moralische Vorbildfunktion zu konstruieren. Insbesondere die Zuschreibung der prometheusähnlichen Funktion als Zivilisationsbringer (vgl. dazu Kap. I 1) weist auf eine Entwicklung hin, die den Nomaden ,in Besitz‘ nimmt für die eigene kulturelle Identität, auch ein Aspekt, der schon bei Herodot erkennbar ist, hier jedoch erheblich ausgeweitet wurde. So lässt sich also für diese älteste Schicht der Anacharsis-Figur klar herausstellen, dass ihre Besonderheit darin lag, dass es sich um einen skythischen Nomaden handelte. Der Anlass für die Ausgestaltung der Figur ist sehr wahrscheinlich der Erfolg der Skythen gegenüber den Persern gewesen, so dass Herodot die Gegenüberstellung von sesshaften Griechen und nomadischen Skythen zum Paradigma erheben konnte. Der Grund für diesen, vor allem militärischen Erfolg wird in der spezifischen Lebensweise der Nomaden gesucht, die ohne Städte, ohne Mauern und ohne Äcker eine Form der Ungebundenheit und Autarkie entwickelt haben, die Aristoteles später ganz zwanglos mit Freiheit und Demokratie beschreiben konnte. 193 Resümee Am Anfang stand die Frage nach dem Ursprung: Wo und wie lässt sich die ‚Geburt’ der griechischen Weisheit, der Anfang des langen Fluges von Minervas Eule erkennen? Die Frage hat zu den Sieben Weisen geführt und zu verschiedenen Phasen, in denen die griechische σοφία auftritt. Dabei stößt man auf die Figur des Skythen Anacharsis und für die älteste Schicht dieser Figur lässt sich eine Besonderheit klar herausstellen, nämlich, dass es sich um einen Nomaden handelte. Der Anlass für die Ausgestaltung der Figur und ihre spätere, prominente Rolle im Kreis der Sieben Weisen ist sehr wahrscheinlich der Erfolg der Skythen gegenüber den Persern gewesen, so dass insbesondere Herodot die Gegenüberstellung von sesshaften Griechen und nomadischen Skythen zum Paradigma erheben konnte. Dieser militärische Erfolg der Nomaden ist seither in der antiken Literatur mit der Lebensweise ohne Städte, ohne Mauern und ohne Äcker in Verbindung gebracht worden - mit einer Lebensweise, die als besondere Form der Ungebundenheit und Autarkie angesehen wurde. Sie galt einerseits als charakteristisch für die Nomaden, andererseits wurde sie - seit Aritoteles - auch als Ausdruck von Freiheit und Demokratie betrachtet. Die Ursprünge dieser Überlieferung sind jedoch in der Integration des Nomaden in ein frühes, mythisch und geographisch geprägtes Weltbild zu finden, dessen erste Umrisse bereits bei Homer zu greifen sind. Die ionische Ethnographie entwickelt ein komplexes System entlang der Achsen von Zentrum und Peripherie, in dem bereits die Verbindung von Weisheit und Nomadismus erkennbar wird. Seit Herodot wird die Figur des Anacharsis durchgehend in der literarischen Überlieferung der Antike verwendet: Der skythische Nomade wird als Weiser und später auch prometheusähnlicher Zivilisationsbringer wie ein griechischer culture hero dargestellt, so dass er sich seit dem 4. Jahrhundert unter den Sieben Weisen wiederfindet und in einer moralisierenden Version auch als Vorbild dienen kann. Die in dieser Konfiguration im 5. und 4. Jh.v.Chr. eingeschriebenen Grenzlinien zwischen Eigenem und Fremdem, zwischen Sesshaften und Nomaden, zwischen Griechen und Skythen boten bereits so vielfältige Anknüpfungspunkte, dass sie in der weiteren Überlieferung je nach Kontext verwendet oder ausgedeutet werden konnten. Das Besondere an dieser Figur ist jedoch die Verknüpfung von Weisheit und Nomadismus, die der Figur über die Gegensätze hinweg offenbar das verbindende Potential gegeben hat, die ihr erst das lange Nachleben ermöglichte und das etwa in der französischen Revolution oder im 20. Jahrhundert bei dem Künstler Joseph Beuys neue Höhepunkte erfuhr. Das antike Nomadenbild zeigt sich so als ein Narrationsmuster, das in seiner Struktur auf der Dichotomie von Sesshaften und Nomaden beruht. 194 Dahinter steht die Annahme, dass die menschliche Lebensweise grundsätzlich bipolar - sesshaft und nomadisch - angelegt ist. Aber unterschiedliche Diskurse wie etwa Weisheitswettkämpfe oder rivalisierende Ideologien repräsentieren ein prozesshaftes Geschehen im Wechselspiel zwischen Realität und ‚sozialer Konstruktion der Wirklichkeit’ und zeigen vor allem eines: Das antike Nomadenbild ist ebensowenig durch einen Rekurs auf Toposhaftigkeit, Verwendung von Stereotypen oder Konstanten erklärbar wie die griechische Weisheit durch den Gegensatz zur Philosophie oder als Übernahme vorderasiatischer Weisheitslehren. Die spezielle Verbindung von Weisheit und Nomadismus fügt sich in der antiken Tradition zu der Figur des Skythen Anacharsis zusammen: Das vollständig Fremde wird dem Eigenen eingeschrieben, der Nomade wird in den ureigenen Kreis der griechischen Weisen aufgenommen. 195 Literaturverzeichnis Die verwendeten Textausgaben für Aristoteles, Herodot, Platon und Thukydides sind aus OCT, für die hippokratischen Schriften aus Schubert/ Leschhorn, für die anderen antiken Autoren wurden die Ausgaben nach TLG-online verwendet bzw. die Edition im Zitat angegeben. Die Übersetzungen sind, wenn nicht anders angegeben, eigene. Aloni, Antonio, Anacreonte e Atene. Datazione e significato di alcune iscrizioni tiranniche, in: ZPE 130 (2000), 81-94. Althoff, Jochen/ Zeller, Dieter/ Asper, Markus (Hrsg.), Die Worte der Sieben Weisen, (Texte zu Forschung 89), Darmstadt 2006. 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Fragm. 3, 314 ....... 28, 107 frg. 198 Radt ........... 106, 107 Prometheus vinctus 708-11............................... 107 Alexander der Myndier FGrHist 25 .............................. 80 FGrHist 25 F 2c ...................... 80 Alkaios frg. 360 (Voigt)....................... 50 Alkmaion Dk 24 B 4 ..................56, 61, 173 DK 24 B 4 = Aëtius v 30 1 [D. 442]..................................... 56 Ammianus Marcellinus 22,15,2 ................................... 106 Anacharsis epistulae 1 (Reuters) ......................... 25 1 = 12,12ff. (Reuters) ........ 25 2 ....................................... 24 2 = 14,1ff. (Reuters) .......... 25 9 (Reuters) ......................... 21 Anaxagoras DK 59 B 12............................ 126 DK 59 B 21a.......................... 128 Anaximander DK 12 A 11 (= Hippol. Haer. 1,6,3-5) ............................... 32 DK 12 B 1.............. 126, 133, 171 Andron von Ephesus FGrHist 1005 F 1........ 71, 72, 79 FGrHist 1005 F 2.................... 79 FGrHist 1005 F 3.................... 76 FGrHist 1005 F 4.................... 95 FGrHist 1005 F 6.................... 76 FGrHist 1005 F 6 = Schol. Dion. Thrac. S. 184, 20 (Hilgard)............................ 79 FGrHist 1005 F 7.................... 74 FHG II F 4, S. 347................... 74 Androtion FHG I F 39, S. 375 .................. 74 214 Apollodor FGrHist 244 F 28 ................... 72 Archetimos von Syrakus FHG 4, S. 318 ......................... 79 Aristophanes Aves 1004 ................................... 34 Aristoteles analytica posteriora 78 b .................................... 21 De arte poetica 1458 a 27 ......................... 141 ethica Nicomachea 1141 b 2ff......................... 165 1176 a 30ff. ........................ 21 1176 b 27ff......................... 24 1176 b 31ff......................... 21 1176 b 33 ......................... 168 1176 b 33-35 .................... 168 1177 b 4 ........................... 167 metaphysica 1013 a 31-32 .................... 125 983 a 24ff. ........................ 126 984 b 15ff......................... 126 politica 1258 b 15f. ....................... 165 1259 a 5ff. ........................ 165 1306 b 36ff......................... 54 1317 a 35ff. ...................... 186 1319 a 20ff. ...................... 185 1319 a 21-26 .............. 18, 186 1319 a 26-28 .................... 186 1341 b 25ff....................... 159 rhetorica 2,1394 a 19-26 ................... 48 Arrian FGrHist 156 F 32 ................. 106 Athenaios 11,495 d .................................. 76 13,610 B .................................. 90 15,695 ab .......................... 60, 61 8,9,1......................................... 97 8,9,1ff. ................................... 101 Ausonius septem sapientium ............... 64 B Behistun-Inschrift V 74 ......................................... 93 C CEG 270 ......................................... 160 Certamen Homeri et Hesiodi (205-210 Allen) ...................... 48 Choirilos PEG I frg. 5........................... 107 PEG I, F 5 = SH F 5................ 97 Cicero Tusculanae disputationes 5,10-11.................................. 8 Clemens Alexandrinus stromateis 1,14,61 ................................ 74 1,14,62 .............................. 100 1,14,65,1 ............................. 71 1,16,75 .............................. 100 1,21,129,3 ........................... 71 1,21,129,4 ..................... 71, 72 1,29,182 ............................ 100 2,14,60 .............................. 100 3,3,16 ................................ 100 5,6,37ff. ............................ 104 5,7,41 ................................ 104 5,8,44 ............................ 98, 99 5,8,44 = 355.13 Stählin = Pherekydes FGrHist 3 F 174 = Pherekydes FGrHist 475 F 1 ........... 94 5,8,44,2 ............................. 100 5,8,44,5 ............................. 104 5,8,45 ................................ 104 5,8,46,1 ............................. 105 5,8,46,2 ............................. 105 51,14,65 ............................ 100 6,2,19 ................................ 100 6,2,23 ................................ 100 CMG 5.9.1 = Kühn XV 556,9 ........ 172 Codex Palatinus Germanicus 215 149........................................... 21 Constantinus VII Porphyrogenitus Imperator Excerpta de sententiis S. 288 ................................. 84 Corpus Hippocraticum De acutis 29 .................................... 172 33 .................................... 172 33 (Joly) ........................... 172 De aeribus 1,1 .................................... 127 12,2 .................................. 122 12,3 .......................... 120, 125 12,4 .................................. 122 12-24 ........................ 119, 138 13,1 .................................... 35 16,1 .................................. 125 16,1-5 ............................... 119 16,3 .......................... 122, 188 16,3-8 ................................. 61 16,5 .................................. 125 17 .................................... 138 17-22 ................................ 137 18,1 .................................... 35 18,3 .................................. 109 19,1 .................................... 35 2,1 .................................... 127 20,1 .................................... 35 22 ............................ 138, 139 22,1 .................................. 138 22,2 .................................. 125 22,4-6 ............................... 139 22,7f. ................................ 136 23,1 .................................. 120 23,5 .................................. 188 23,6 .................................... 61 24,3 .................................... 61 De arte 12 .................................... 128 6 .................................... 125 De articulis 6,1 .................................... 173 6,3 (Jones) ....................... 172 De flatibus 1,4 ..................................... 127 15 ..................................... 125 3 ..................................... 128 De morbis 1 ..................................... 127 De morbo sacro 2 ..................................... 127 De vetere medicina 1,1 ..................................... 125 18 ............................. 125, 127 19 ..................................... 125 19,3 ................................... 125 19-20................................. 125 20 ..................................... 7, 8 22 ..................................... 128 De victu 1,1,1-2............................... 127 1,11 ................................... 128 2,37,1 .................................. 35 D Demetrios von Phaleron FGrHist 228 F 1...................... 73 Demodokos IEG frg. 6 (West).................... 50 Dikaiarch frg. 32 ...................................... 69 Dio Chrysostomos frg 5 = Joh. Stob. Flor. 62,46 .......................................... 169 Diodor 11,26-28 ................................... 51 2,43 ........................................ 138 9, 26-27 .................................... 84 9,13,2 ....................................... 76 9,2 ............................................ 77 9,26 ........................................ 186 9,3 ...................................... 75, 84 9,3,1-3 ...................................... 76 9,3,13 ....................................... 75 9,3ff. ........................................ 70 9,5ff. ........................................ 84 Diogenes Laertius Vita philosophorum 216 1,101 ................................ 191 1,101-105 ........................... 21 1,105 ................................ 187 1,111 .................................. 74 1,119 .................................. 95 1,120 .................................. 74 1,13 .................................... 48 1,22 .................................... 73 1,27 .................................... 76 1,27-28 ............................... 76 1,27ff. ................................. 70 1,28 ........................ 75, 76, 80 1,28-33 ............................... 75 1,28ff. ................................. 76 1,29 ........................ 76, 80, 82 1,30 ............ 76, 76, 80, 82, 83 1,30-31 ............................... 77 1,31 .................. 76, 78, 82, 83 1,32 .................................... 77 1,37 .................................... 48 1,37,10-1,38,4 .................... 72 1,40 ............ 64, 70, 79, 80, 83 1,41 ........................ 50, 66, 77 1,60f. .................................. 48 1,69f. .................................. 48 1,71-72 ............................... 66 1,76 .................................... 80 1,78f. .................................. 48 1,8 ...................................... 80 1,82 .................................. 114 1,82ff. ........................... 78, 82 1,90 .................................... 74 1,92ff. ................................. 48 1,98-99 ............................... 55 1,99 .................................... 64 187f. ................................... 48 197ff. .................................. 48 5,40 .................................. 169 8,41 .................................... 91 8,690 9,190 E Ephorus FGrHist 70 F 160..................138 FGrHist 70 F 181.................... 79 FGrHist 70 F 42...................... 97 Eratosthenes FGrHist 241 F 10.................... 95 Euripides Antiope frg. 11 ............................... 163 frg. 2 ................................. 163 Hecuba 57 ..................................... 172 Hiketiden 352 .................................... 188 Eusebius apud Hieronymus Chronik S. 101b (Helm) .................. 71 Chronik arm. S. 187 (Karst) ..................... 71 S. 192 (Karst) ..................... 96 S. 23 (Karst) ..................... 134 S. 93 (Karst) ....................... 71 Praeparatio evangelica 12,29,21,3 ......................... 158 F Frontinus strategemata 1,5,25 .................................. 93 Fronto Ad Marcum Caesarem et invicem .............................. 24 G Galen fol. 55 v 13 sq Strohmaier ..... 35 fol. 78 v 15 sq Strohmaier ..... 35 In Hippocratis de victu acutorum commentaria IV 172 Gilgamesch-Epos Tafel 11 ................................... 50 Gnomologium Vaticanum 115 ......................................... 104 217 17,1........................................ 167 17,185.................................... 168 Gorgias DK 82 B 3 ..................... 128, 144 Helenes enkomion 13 ........................................ 8 Gregorius Nazianzienus orationes 28,1237 b Migne ............. 169 H Harpocration Lexikon 135,9 (Dindorf)................. 65 Hekataios FGrHist 1 F 1 ....................... 157 FGrHist 1 F 185 ..................... 37 FGrHist 1 F 193 ..................... 37 FGrHist 1 F 211 ................... 137 FGrHist 1 F 300-324.............. 44 FGrHist 1 F 36 b.................... 45 Heraklit DK 14 B 129 ............................. 7 DK 14 B 35 ............................... 7 DK 14 B 40/ 41......................... 7 DK 22 B 129 [= 256 KRS = Diog. Laert. 8,6] ............... 90 DK 22 B 3 ............................. 143 DK 22 B 39 ....................... 50, 74 DK 22 B 40 ........................... 156 DK 22 B 40 [= 256 KRS = Diog. Laert. 9,1] .......................... 90 DK 22 B 48 ........................... 171 DK 22 B 51 ........................... 171 DK 22 B 56 ........................... 143 DK 22 B 67 ........................... 171 DK 22 B 78 ............................. 48 Herodot 1,1 ................. 133, 147, 149, 183 1,101...................................... 154 1,105...................................... 136 1,108,2................................... 135 1,1-1,5,2 ................................ 171 1,12........................................ 135 1,123f. .................................... 114 1,13 ................................ 131, 134 1,13,2 ..................................... 135 1,137 ...................................... 122 1,142,1 ................................... 120 1,153 ...................................... 187 1,156,1 ................................... 130 1,160,15 ................................. 150 1,170 .......................... 32, 50, 187 1,175 ................................ 14, 135 1,180 ...................................... 112 1,194 ...................................... 122 1,196,1-3 ................................ 122 1,201 ...................................... 154 1,204-215 ............................... 134 1,207,2 ................................... 174 1,209-210 ............................... 134 1,210,1 ........................... 134, 135 1,212 ...................................... 131 1,27 .................................... 50, 72 1,29 .................................. 72, 148 1,29,1 ..................................... 130 1,29-33 ..................................... 50 1,30 ............................................ 8 1,30,1 ....................................... 44 1,30,2 ............................. 147, 148 1,301 ........................................ 44 1,30ff. ...................................... 84 1,32 ........................................ 176 1,32,1 ..................................... 174 1,45,2 ..................................... 135 1,46 ........................................ 134 1,46-47 ................................... 140 1,5,3 ....................................... 133 1,5,4 ............................... 133, 170 1,53,3 ..................................... 178 1,55 ........................................ 110 1,55f. ...................................... 114 1,59 ............................ 50, 66, 114 1,6,3 ....................................... 118 1,60,3 ............................... 91, 163 1,71 ........................................ 178 1,73,1 ..................................... 133 1,74 .......................................... 72 1,74-75 ..................................... 50 218 1,75.................................... 72, 90 1,8,2....................................... 135 1,82.......................................... 66 1,91................................ 114, 134 1,91,5..................................... 110 1,91,5φ. ................................. 110 2,103,1..................................... 37 2,110,2..................................... 37 2,120,5........................... 170, 174 2,121...................................... 114 2,142........................................ 44 2,143,1..................................... 44 2,148,4................................... 128 2,15,2..................................... 135 2,160........................................ 43 2,161,1-4 ............................... 135 2,161,3........................... 124, 135 2,173...................................... 169 2,173,3................................... 168 2,177...................................... 149 2,179,1................................... 135 2,179,12................................. 135 2,2 ..................................... 39, 44 2,2,5............................... 109, 156 2,22.......................................... 35 2,22,1..................................... 128 2,22,2..................................... 128 2,220,2................................... 150 2,24,1..................................... 128 2,31 ......................................... 47 2,33,2..................................... 128 2,33-34 ............................ 35, 128 2,35.......................................... 40 2,35ff. ...................................... 36 2,4 ........................................... 38 2,43,4....................................... 40 2,45,1..................................... 156 2,47,1-2 ................................... 35 2,49.......................................... 45 2,49,1..................................... 176 2,49,1-2 ................................. 175 2,49,2............................... 46, 176 2,77........................................ 147 2,99,2....................................... 37 24,5.......................................... 39 3,106 ..............................121, 134 3,108 ...................................... 114 3,108,4 ................................... 124 3,109 ...................................... 133 3,116 ...................................... 124 3,130,5 ................................... 122 3,142,3 ................................... 174 3,149,1 ................................... 124 3,151 ...................................... 113 3,151,2 ................................... 110 3,153 ...................... 110, 113, 114 3,21,3 ....................................... 36 3,21ff. ...................................... 36 3,25 .......................................... 36 3,35,3 ..................................... 102 3,36,4 ..................................... 102 3,38,2 ..................................... 129 3,40 .......................................... 44 3,45,3 ..................................... 135 3,78 ........................................ 102 3,78,2-3 .................................. 102 3,80,6 ..................................... 174 3,80-82 ..................................... 63 3,83,1 ..................................... 174 3,85,6 ..................................... 150 4,1 ........................................... 93 4,1,1 ................................. 93, 174 4,109 ...................................... 182 4,110-117 ............................... 138 4,1-144 ..................................... 36 4,126 ........................................ 94 4,126ff. .................................. 182 4,127 ........................................ 29 4,127,4 ..................................... 94 4,129 ................ 15, 110, 112, 114 4,131 ...................................... 177 4,131,2 ..................................... 94 4,131-132 ................................. 98 4,131-32 ................................. 103 4,132,1 ..................................... 99 4,134 ................ 15, 110, 112, 114 4,134,2 ................................... 108 4,135 ...................................... 110 4,13ff. .................................... 154 4,14 ............................ 14, 90, 154 219 4,142...................................... 184 4,145,1..................................... 93 4,145-205 ................................ 36 4,155,3................................... 140 4,157,8................................... 150 4,17,2..................................... 124 4,18.......................................... 37 4,188...................................... 181 4,190ff. .................................. 181 4,191-192 .............................. 114 4,191-92 ................................ 115 4,191f. ................................... 114 4,20........................................ 154 4,20,4....................................... 37 4,200-205 ................................ 36 4,25,1............................... 38, 124 4,25-27 .................................... 37 4,27........................................ 154 4,28................................ 114, 114 4,28-29 .................................. 115 4,29........................................ 109 4,3,21,3.................................. 102 4,30................................ 110, 114 4,30,1-2 ................................. 124 4,32ff. .................................... 124 4,36...................... 14, 38, 90, 157 4,36,1..................................... 124 4,36,2....................................... 45 4,43........................................ 135 4,44.......................................... 38 4,46 ... 21, 25, 26, 37, 39, 43, 44, 45, 104, 109, 116, 142, 147, 152, 179, 181 4,46,1ff. ................................. 146 4,46,2....................................... 94 4,46,2f. .................................. 142 4,46-82 .................................. 152 4,47,1-2 ................................... 35 4,5,3....................................... 105 4,50,17................................... 172 4,50,4..................................... 172 4,53,1....................................... 35 4,53,2..................................... 124 4,62,3..................................... 131 4,64........................................ 180 4,65 ........................................ 180 4,66 ........................................ 131 4,67 ........................................ 137 4,67,1 ..................................... 140 4,67,2 ..................... 136, 137, 140 4,68,1 ....................................... 29 4,70 ........................................ 131 4,76 ... 21, 44, 129, 132, 142, 152, 156, 157, 158, 167, 169, 177 4,76,1 ....................... 46, 148, 152 4,76,1-3 .................................. 147 4,76,5 ..................................... 153 4,76,6 ..................................... 153 4,76,8 ..................................... 175 4,76-77 ............... 16, 25, 148, 181 4,76-82 ................................... 152 4,77 ...... 109, 131, 152, 154, 157, 158, 159, 166, 167, 169, 170, 175 4,77,1 ............................. 156, 162 4,77,1-2 .................................. 154 4,77,2 ..................................... 132 4,77,6 ..................................... 150 4,78,3 ..................................... 130 4,78-80 ................................... 176 4,78ff. ............................ 129, 177 4,79 ........................................ 132 4,79,1 ..................... 124, 132, 135 4,79,2 ..................................... 129 4,79,3 ..................... 130, 131, 131 4,79,4 ..................................... 130 4,79-80 ................................... 178 4,79ff. .................................... 132 4,8,1 ................................. 40, 102 4,80,5 ..................................... 152 4,8-10 ..................................... 102 4,83 .......................................... 93 4,85f. ...................................... 184 4,9 .......................................... 124 4,9,5 ....................................... 102 4,9-10 ....................................... 40 4,95 .................................... 29, 91 4,95,2 ....................................... 91 4,95-96 ..................................... 90 4,97 ........................................ 149 220 4,9ff. ........................................ 21 46,72,1................................... 174 477......................................... 109 5,102,2................................... 174 5,106,1........................... 171, 174 5,18-21 .................................. 103 5,33,2..................................... 135 5,37,1..................................... 153 5,37,2..................................... 174 5,38,1..................................... 135 5,51........................................ 156 5,56,1..................................... 170 5,62,3....................................... 67 5,68........................................ 114 5,78........................ 123, 174, 185 5,92 e2..................................... 54 5,92 δ 1 ................................. 135 5,92, a1.................................. 174 5,95,2....................................... 64 6,101,3................................... 174 6,109,5................................... 174 6,11,3............................. 133, 174 6,121-24 ................................ 128 6,124,2................................... 128 6,135,3................................... 135 6,138...................................... 133 6,139,2................................... 133 6,27,1..................................... 131 6,31,3..................................... 122 6,50,3..................................... 156 6,64,1..................................... 135 6,84........................................ 131 6,87................................ 171, 174 7,10,2..................................... 184 7,10,3..................................... 185 7,101...................................... 184 7,102,1-3 ............................... 122 7,103,2-3 ............................... 128 7,10ε .............................. 131, 135 7,11,4..................................... 174 7,125.............................. 111, 124 7,133...................................... 174 7,134,2................................... 174 7,136,2................................... 174 7,140,1................................... 185 7,144,2 ................................... 135 7,164 ........................................ 62 7,167 ...................................... 128 7,168 ...................................... 135 7,18 ........................................ 184 7,23 ........................................ 149 7,23,13 ................................... 150 7,23,3 ..................................... 135 7,235 ..................................50, 66 7,46 ........................................ 184 7,57 ........................................ 114 7,57,1-2 .................................. 112 7,57,2 ..................................... 110 7,6 ............................................ 65 7,8, a2 .................................... 174 7,8, b2 .................................... 174 7,8γ,1-3.................................. 121 7,9 β 2 .................................... 135 7,98 ........................................ 153 8,100,2 ................................... 171 8,102,2 ................................... 174 8,105,1 ................................... 174 8,109,3 ................................... 135 8,11 ........................................ 147 8,126 ...................................... 147 8,53,1 ..................................... 135 8,61 ........................................ 185 8,65 ........................................ 147 8,80 ........................................ 135 8,96 .......................................... 66 9,109,2 ........................... 124, 135 9,122 ...................... 117, 119, 134 9,122,3 ................................... 122 9,16 ........................................ 147 9,24 ........................................ 147 9,37 ........................................ 147 9,43 .......................................... 66 9,58 ........................................ 135 9,62,13 ................................... 150 9,64 ........................................ 147 9,94,1 ............................. 171, 174 9,98 ........................................ 135 9,98,3 ..................................... 153 958 ......................................... 135 Proömium ............ 109, 121, 122 221 Hesiod Cheírōnos hypothekai ......... 48 frg. 150 Merkelbach/ West = P Oxy frg. 2, col. I Greenfell-Hunt ................ 30 frg. 151 Merkelbach/ West = Strab. 7,3,9 [302]............... 30 frg. 278 Merkelbach/ West . 87 frg. 278 Merkelbach/ West = SG 17 ................................. 87 Megála érga........................... 48 theogonia 38 ...................................... 89 Hippolytus refutatio omnium haeresium 1,6,3-5 ................................ 32 Hipponax IEG frg. 123 (West) ......... 50, 74 IEG frg. 63 (West) ........... 50, 74 Homer Ilias 1,124 .................................. 51 1,125 .................................. 51 13,1-6 ................................. 28 15,412f. ................................ 6 19,242ff. ............................. 51 2,405ff. ............................... 50 21,502 .............................. 102 3,146ff. ............................... 50 713,4-6 ............................... 41 Odyssee 11,14 .................................. 29 13,286ff. ............................... 6 19,577-78 ......................... 102 19,586 .............................. 102 2,28ff. ................................. 51 21,75-76 ........................... 102 3,3118ff. ............................. 44 4,474 .................................. 44 4,581 .................................. 44 I Iamblichos De vita Pythagorica 18,83 ................................... 85 protrepticus in philosophiam 77,19 ................................. 158 IG I 2 673 = IG I 3 1-2................... 160 I 2 850 = SEG 26,43 = CEG 270 .......................................... 160 I 3 1023 = CEG I 304 ............... 65 I 3 105........................................ 62 I 3 1-2 = IG I 2 673................... 160 I 3 267...................................... 153 I 3 270...................................... 153 I 3 271...................................... 153 I 3 272...................................... 153 I 3 71........................................ 153 XII 3, 1020 ............................... 48 XIV 1297 ................................. 93 Inschrift aus Aï-Khanum .......... 48 Inschrift von Miletupolis .......... 48 IOSPE I 2 34........................................ 151 Isokrates orationes 15,234 ............................... 162 IvOl Nr. 2, S. 8 ................................ 62 J Johannes Cassianus collatines 24,21 (Bd. 49, col. 1312-15 Migne.......................... 169 Johannes Lydos De mensibus 3,1 ..................................... 106 3,1 = Arr. = FGrHist 156 F 32 ................................. 106 Johannes Stobaeus Anthologie 2,4,16,7 ............................. 158 3,1,172 ................................ 48 3,1,173 (Sammlung Sosiades)....................... 48 3,1,200 ...................... 107, 151 222 3,16,26 ............................... 84 Florilegium 62,46 ................ 169 Justin Epitome 2,1 ...................................... 35 K Kritias DK 88 B 7 ......................... 50, 66 Ktesias Berossos ap. Euseb. Chron. arm. S.23 (Karst) ............ 134 Persika FGrHist 688 F 13,82ff. = Photius, Bibl. 72. 38b. 10ff........................ 97, 101 L Lukian Anacharsis 1 ...................................... 10 17,25 .................................. 24 18 ...................................... 21 39 ...................................... 21 Charon sive contemplantes 10,5 .................................... 84 Scytha 3,2 ...................................... 24 9,7 ...................................... 24 M Marmor Parium FGrHist 239 F 1, A38 ............ 72 ML 8 ........................................... 62 N Nikolaos von Damaskus FGrHist 90 F 104 = Joh. Stob. Anth. 3,1,200 .......... 107, 151 FGrHist 90 F 57,7 .................. 54 O Ovid heroides 4,89ff. ............................... 169 P Parmenides DK 28 B 8,38f. ...................... 143 Pausanias 1,14,7 ..................................... 136 5,4,9 ......................................... 62 Phaedrus fabulae 3,14 ................................... 169 Pherekydes FGrHist 3 F 109...................... 96 FGrHist 3 F 136...................... 96 FGrHist 3 F 142...................... 87 FGrHist 3 F 173-180 .............. 96 FGrHist 3 F 174.......... 94, 96, 98 FGrHist 475 F 1...................... 94 Philochorus FGrHist 328 F 22b ................. 65 Phocylidea................................... 48 Photius Bibliotheka 72. 38b. 10ff. .............. 97, 101 Lexikon s.v. Ἑ ρμα ῖ .......................... 65 s.v. Τρικέφαλος ................ 65 Phylarch FGrHist 81 F 1 = Athen. 8,9,1 ............................................ 97 FGrHist 81 F 1 = Athen. 8,9,1ff. .............................. 101 Pindar Isthmien 2,9 ..................................... 167 Olympien 7,71 ..................................... 50 Pythien 2,86-88................................ 63 Platon De re publica 223 376 d 4-10........................ 162 399 d ................................ 160 400 b ................................ 162 424 c................................. 162 428 b-d ............................ 180 531 e 4.............................. 158 600 a .................................. 21 600 c................................... 24 Euthyphron 6 c 5-9 .............................. 162 Gorgias 449 d-ff. ............................. 75 484 e 1ff. .......................... 163 500 c 1ff. .......................... 163 501 c................................. 163 502 c................................. 163 515 c................................. 163 517 bff.............................. 163 518 a ................................ 163 Ion 530 d 4-9.......................... 162 leges 669 ................................... 160 700 ................................... 160 738 b 2 ............................. 162 773 d ................................ 131 781 d 9-e 3 ....................... 162 951 a 1ff. .......................... 150 952 c................................. 150 Meno 95 c..................................... 75 Phaidros 243 e 9ff. .......................... 141 244 c 5ff. .......................... 141 267 a .................................. 75 275 b .................................. 44 66 d 2-7............................ 162 97 b 8ff............................. 126 98 b .................................. 125 politicus 263 b 1 ............................. 162 272 b 8-c 1 ....................... 162 Protagoras 313 a-314 b ........................ 75 318 aff. ............................. 152 320 bff. ............................. 152 342 aff. ............................. 164 342 b 2f............................. 163 343 a ................................... 69 343 a 1-b 3.......................... 50 343 a 8-b 1.......................... 67 343 b ................................... 79 symposium 198 c ................................... 75 215 b-c .............................. 160 Theaitetos 154 e 7-8 ........................... 162 155d...................................... 7 161 e 6 .............................. 163 162 b 1-4........................... 163 172 cff............................... 162 172 d 3f. ........................... 162 173 b 3 .............................. 163 174 a-bff. .......................... 163 176 c 4-8 ........................... 164 177 b 2 .............................. 158 180 b 6 .............................. 162 187 d 10............................ 162 202 c 2 .............................. 158 Timaios 20 eff................................... 44 Plinius naturalis historiae 2,53 ..................................... 72 3,1,5 .................................... 38 6,19 ................................... 138 6,28,219 .............................. 38 Plutarch Agesilaus 25 ..................................... 169 De fortuna 98 d-99 b .............................. 6 moralia 146 a 1ff. ............................ 21 148 c-e ................................ 10 303 e-304 c ......................... 54 792 c-792 b....................... 169 857 a ................................... 24 9c ..................................... 169 Perikles 224 13,11 ................................ 161 4,1 .................................... 161 9,2 .................................... 161 praecepta gerendae reipublicae 5,802 a-b .............................. 6 Septem sapientium convivium .................. 76, 79 11,154 d-e ........................ 188 11,154 f-155 c .................. 188 14 S. 157 ............................ 65 1ff. = mor. 146 a 1ff. ........ 21 Solon 29 ...................................... 91 4 .......................... 75, 76, 79 4,7 ...................................... 76 Themistokles 2,3-4 ................................... 67 Pompeius Trogus/ Justin 2,1ff. ...................................... 106 Pomponius Mela (GGM I 116)......................... 138 Pseudo-Lukian Makrobioi 18 ...................................... 72 Pseudo-Platon Hipparchos 228 b 4-229 d 6 ................. 65 Pseudo-Plutarch de liberis educandis (moral. 9 c) ...................................... 169 Pseudo-Scymnus 848........................................... 37 855ff. ..................................... 106 Pseudo-Xenophon Athenaion politeia 1,8 .................................... 188 27,4 .................................. 161 PSI 1093......................................... 74 Ptolemaeus Mathematike Syntaxis 1,1,203-207 ........................ 33 Q Quintilian institutio oratoria 1,1,15 .................................. 48 S Scholion Anonymus 10,3f.D (893.896 Page, PMG) ....................... 61 Aristophanes Plutus 9 ....................................... 76 Dionysios Thrax S. 184, 20 (Hilgard)............................ 79 Euripides Hippolytos 264 ................................ 66, 74 Pindar Isthmien II, 17 = 4 = FGrHist 1005 F 2b ................................... 72 Scylax 70 (GGM I 59) ...................... 138 SEG 26,43 ...................................... 160 XII, 1992 (1995) 196f., Nr. 10 .......................................... 151 Seneca de tranquillitate animi 17,4 ................................... 169 3,11 ..................................... 69 7,21 ..................................... 69 Sextus Empiricus PH/ Grundriss der pyrrhonischen Skepsis 3,14 ................................... 125 Simonides frg. 37,11ff. (PMG) ................ 50 frg. 76 (PMG) ................... 50, 74 Solon 3 G.-Pr. = 4 W ........................ 88 4 W = G.-Pr. 17 ...................... 55 frg. 10 W. = 14 G.-Pr. ............ 51 frg. 17,19 ................................. 51 frg. 19 ...................................... 51 frg. 4 W = 3 G.-Pr. Z.17-20 ............................... 53 225 Z.32/ 33 ............................. 52 Z.9-17 ................................ 53 frg. 4b-c W = 5 G.-Pr. ........... 53 frg. 9 W = 12 G.-Pr................ 53 Sophokles Elektra 62 ...................................... 91 F 180 ....................................... 87 Philoctetes 68 .................................... 102 Statius silvae 4,4,30-33 .................... 169 Stephanos Byzantios Ethnika 441 s.v. Μελάγχλαινοι = FGrHist 1 F 185 ......... 154 7,4 ...................................... 29 s.v. Ἄ βιοι .......................... 29 FGrHist 1 F 185 = Ethnika 441 s.v. Μελάγχλαινοι .. 154 Strabon 1,2,3 [16] (Radt)..................... 42 1,2,7 [18] ................................. 42 11,2,10 [495] ......................... 137 14,1,27 [642-643].............. 86, 87 2,5,2 [110f.]............................. 33 2,5,3 [111] ............................... 34 7,3,1-8 [295-302] .................... 41 7,3,18 [307] ........................... 191 7,3,6 [298] ............................. 106 7,3,6 [298-300]...................... 108 7,3,7 [300] ............................. 106 7,3,7 [300] (Radt)................. 190 7,3,7 [301] ....................... 40, 190 7,3,7,1-10 [300] (Radt) .......... 41 7,3,8 [301] ............................. 107 7,3,9 [302] ......... 21, 30, 189, 190 7,3,9 [302] (Radt)............. 27, 40 7,3,9 [302-303]...................... 106 7,3,9 [303] ....... 97, 107, 190, 191 7,3,9 [303] (Radt)......... 189, 190 7,3,9 [303] = Choirilos PEG I frg. 5 ................................ 107 Suda ε 3029 (Adler) ........................ 65 σ 812, s.v. σοφιστής ............... 75 τ 981 (Adler)........................... 65 φ 217 (Adler), s.v. Φερεκύδες ............................................ 96 χ 595 (Adler), s.v. Χοιρίλος.. 97 Synkellos 213 c ........................................ 72 S. 453 14-16 (Dindorf) ........... 71 T Tatian Oratio ad Graecos 41 ....................................... 71 Theognis von Megara 678ff. ....................................... 51 Thukydides 1,70,8 ..................................... 159 1,70,9 ..................................... 158 1,75,1 ..................................... 191 1,84,3-4 .................................. 156 2,15,2 ....................................... 32 2,36,4 ..................................... 191 2,38,1 ..................................... 159 2,40 ............................................ 7 2,40,1 ..................... 159, 166, 191 2,62,4 ..................................... 191 2,65,8-9 .................................. 162 2,97,5-6 .................................. 180 3,62,3 ....................................... 62 4,53 .......................................... 66 4,84,2 ..................................... 156 6,54,1 ....................................... 67 6,54ff. ...................................... 67 6,55,1 ....................................... 67 6,60,1 ....................................... 67 8,1,3 ....................................... 191 8,4,1 ....................................... 191 8,86,6 ..................................... 191 Tragicorum Graecorum Fragmenta 3, 314 ............................... 28, 107 226 V Valerius Maximus 4,1 ........................................... 76 5,4,5......................................... 93 X Xenophanes DK 21 B 20.............................. 74 Xenophon Kyroupaideia 8,7 ..................................... 134 Z Zweifelhaftes FGrHist 324 F 69.................... 74 227 Danksagung Das Thema dieses Buches ist aus den langjährigen Forschungen innerhalb des seit 2001 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereiches (SFB) 586 „Differenz und Integration. Wechselwirkungen zwischen nomadischen und seßhaften Lebensformen in Zivilisationen der Alten Welt“ hervorgegangen, in dem ich - seit 2004 gemeinsam mit Alexander Weiß - ein Teilprojekt zu dem Thema des Nomadismus in der Antike leite. Dem interdisziplinären Gespräch mit den Kollegen verdankt das Thema eine Perspektive, die sich ohne den SFB nicht entwickelt hätte und die auch in einigen meiner Aufsätze innerhalb der Publikationsreihen des SFB vorbereitet wurde. Die großzügige, materielle und ideelle Unterstützung durch den SFB bzw. die Deutsche Forschungsgemeinschaft war und ist die Grundlage dieser Arbeiten und hat auch das hier vorgelegte Buch gefördert. Das interdisziplinäre Gespräch mit Kollegen, Mitarbeitern und Freunden hat mir für das Thema neue Einsichten und Erkenntnisse gebracht. Vor allem ist hier Kurt Sier zu nennen, dem ich an dieser Stelle ganz besonders herzlich für seine stete Bereitschaft danken möchte, Anregungen, Ideen und Kritik beizusteuern. Ein Hauptseminar zu dem Thema Weisheit, das wir zusammen mit Pirmin Stekeler-Weithofer im WS 2007/ 8 in Leipzig gehalten haben, hat mir weitere und wertvolle Hinweise gegeben. Selbstverständlich sind die - sicher nie ganz auszuschließenden - Fehler und Versäumnisse allein die meinigen! Für die Hilfe mit den Korrekturen und dem Layout möchte ich Michaela und Ulrike Rücker, Jonas Schollmeyer, Andreas Gerstacker, André Bünte und Thomas Köntges danken, Andreas Gerstacker darüber hinaus für die Erstellung des Indexes. Schließlich gebührt auch ein Dankeswort meiner Universität, die mir großzügigerweise als Ausgleich für die der Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master gewidmete Zeit als Prorektorin zwei Freisemester gewährt hat. Last but not least bin ich auch den Herausgebern der ‚Leipziger Studien zur Klassischen Philologie’ dafür verpflichtet, dass das Buch in ihrer Reihe als Monographie erscheinen kann.