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Kommunikationswissenschaft

2018
978-3-8233-7619-4
Gunter Narr Verlag 
Wolfgang Sucharowski

Ziel des Bandes ist es, in das komplexe Themenfeld Kommunikation und Kommunikationswissenschaft so einzuführen, dass Studierende angemessen und systematisch Anschlussmöglichkeiten an die vielfältigen und verschiedenen Bereiche dieses Themen- und Forschungsfeldes finden können. Die Einführung will Verständnis für das Phänomen Kommunikation wecken und dazu befähigen, begründete Fragestellungen abzuleiten, die ein Verstehen der Diskussionen in der Forschung erleichtern. Dabei wird versucht, Verknüpfungen zu Modulen in den verschiedenen Bachelorstudiengängen der Kommunikationswissenschaft herzustellen. Absicht des Bandes ist es nicht, in die Praxis kommunikativen Handelns einzuführen, sondern eine Orientierungshilfe in der sehr breit aufgestellten Wissenschaftsdisziplin Kommunikationswissenschaft zu bieten.

ISBN 978-3-8233-6619-5 www.bachelor-wissen.de www.narr.de Kommunikationswissenschaft Wolfgang Sucharowski Eine Einführung Sucharowski Kommunikationswissenschaft Ziel des Bandes ist es, in das komplexe Themenfeld Kommunikation und Kommunikationswissenschaft so einzuführen, dass Studierende angemessen und systematisch Anschlussmöglichkeiten an die vielfältigen und verschiedenen Bereiche dieses Themen- und Forschungsfeldes finden können. Die Einführung will Verständnis für das Phänomen Kommunikation wecken und dazu befähigen, begründete Fragestellungen abzuleiten, die ein Verstehen der Diskussionen in der Forschung erleichtern. Dabei wird versucht, Verknüpfungen zu Modulen in den verschiedenen Bachelorstudiengängen der Kommunikationswissenschaft herzustellen. Absicht des Bandes ist es nicht, in die Praxis kommunikativen Handelns einzuführen, sondern eine Orientierungshilfe in der sehr breit aufgestellten Wissenschaftsdisziplin Kommunikationswissenschaft zu bieten. ISBN 978-3-8233-6619-5 www.bachelor-wissen.de www.narr.de Kommunikationswissenschaft Wolfgang Sucharowski Eine Einführung Sucharowski Kommunikationswissenschaft Ziel des Bandes ist es, in das komplexe Themenfeld Kommunikation und Kommunikationswissenschaft so einzuführen, dass Studierende angemessen und systematisch Anschlussmöglichkeiten an die vielfältigen und verschiedenen Bereiche dieses Themen- und Forschungsfeldes finden können. Die Einführung will Verständnis für das Phänomen Kommunikation wecken und dazu befähigen, begründete Fragestellungen abzuleiten, die ein Verstehen der Diskussionen in der Forschung erleichtern. Dabei wird versucht, Verknüpfungen zu Modulen in den verschiedenen Bachelorstudiengängen der Kommunikationswissenschaft herzustellen. Absicht des Bandes ist es nicht, in die Praxis kommunikativen Handelns einzuführen, sondern eine Orientierungshilfe in der sehr breit aufgestellten Wissenschaftsdisziplin Kommunikationswissenschaft zu bieten. Kommunikationswissenschaft narr bachelor-wissen.de ist die Reihe für die modularisierten Studiengänge ▶ die Bände sind auf die Bedürfnisse der Studierenden abgestimmt ▶ das fachliche Grundwissen wird in zahlreichen Übungen vertieft ▶ der Stoff ist in die Unterrichtseinheiten einer Lehrveranstaltung gegliedert ▶ auf www.bachelor-wissen.de finden Sie begleitende und weiterführende Informationen zum Studium und zu diesem Band Wolfgang Sucharowski Kommunikationswissenschaft Eine Einführung Idee und Konzeption der Reihe: Johannes Kabatek, Professor für Romanische Philologie mit besonderer Berücksichtigung der Iberoromanischen Sprachen an der Universität Zürich. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb. de abrufbar. © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen · Deutschland Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.bachelor-wissen.de E-Mail: info@narr.de Satz: pagina GmbH, Tübingen Printed in Germany ISSN 1864-4082 ISBN 978-3-8233-7619-4 V Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX 1 Kommunikation und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Interessen an der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.2 Das Fach Kommunikationswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.3 Die Breite des Faches Kommunikationswissenschaft . . . . . . . . . . . 7 1.4 Sich einer Kommunikationswissenschaft annähern . . . . . . . . . . . . 9 1.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.6 Problemstellung und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2 Kommunikation setzt Kommunizieren voraus-- der Alltag der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.1 Der Gebrauch des Wortes Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.2 Kommunikation braucht Umgebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.3 Kommunikation setzt Ordnung voraus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.4 Kommunikation als Wissenschaft-- die Anfänge der Theoriebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.6 Problemstellung und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3 Information und Nachricht-- Zeichen im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.1 Nachricht und Nachrichtenverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3.2 Daten und die Welt der Zeichen: Index, Ikon, Symbol . . . . . . . . . 47 3.3 Der Gebrauch der Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.4 Andere Zeichen und Funktionshintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.6 Problemstellung und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 4 Handeln und Deuten in kommunikativen Alltagssituationen . 65 4.1 Handeln und Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4.2 Kommunikation als Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 4.3 Deutungsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 VI I nhalt 4.4 Motivation interaktiver Ereignisse-- Theorien des Handelns . . . 79 4.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 4.6 Problemstellung und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 5 Medien: Die Verbreitung kommunikativer Praktiken-- in lokalen und globalen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5.1 Medien erfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5.2 Der Medienbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 5.3 Medien im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5.4 Die Dynamik der aktuellen Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 5.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 5.6 Problemstellung und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 6 Praktiken des Zusammenlebens und kommunikative Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 6.1 Kommunikative Erwartungen im Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 6.2 Kommunizieren in fremden Umgebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 6.3 Miteinander Reden in institutionellen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . 117 6.4 Die Mehrschichtigkeit von Mehrwerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 6.5 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 6.6 Problemstellung und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 7 Modellbildung: Theorien der Zeichenübertragung und Zeichenverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 7.1 Übertragung von Signalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 7.2 Die Rezeption des Transfermodells in anderen Wissenschaftsdisziplinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 7.3 Die Transfer-Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 7.4 Kommunikation-- ganz anders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 7.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 7.6 Problemstellung und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 8 Theorien über die Konstruktion des Zusammenwirkens-- der Andere und das Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 8.1 Symbol und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 8.2 Der Andere und das Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 8.3 Die Dynamik der Wechselseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 8.4 Interpretation und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 8.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 8.6 Problemstellung und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 VII I nhalt Einheit Inhalt 9 Theoriebildungen über das kommunikative Handeln und der gesellschaftliche Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 9.1 Kommunikation-- offene oder geschlossene Systeme . . . . . . . . . . 170 9.2 Unsicherheit bedingt Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 9.3 Symbolisch generalisierte Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 9.4 Formen und Funktionen, die Kommunikation erkennbar machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 9.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 9.6 Problemstellung und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 10 Die Rolle der Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 10.1 Die Dynamik gesellschaftlicher Systeme und ihre Folgen für die Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 10.2 Kommunikation in Netzwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 10.3 Das Akzeptieren der Akteurswirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 10.4 Die Sichtbarkeit von Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 10.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 10.6 Problemstellung und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 11 Kommunikation analysieren-- geisteswissenschaftliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 11.1 Kommunikative Phänomene und ihre Erfassbarkeit . . . . . . . . . . . 210 11.2 Geisteswissenschaftliche Methoden zur Beschreibung von Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 11.3 Hermeneutik als wissenschaftliche Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 11.4 Bedeutungsbezogene Beschreibungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . 219 11.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 11.6 Problemstellung und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 12 Kommunikation als Dokument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 12.1 Das Dokumentieren von Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 12.2 Das Transkript-- Mündlichkeit verschriftlichen . . . . . . . . . . . . . . . 232 12.3 Transkribieren heißt beobachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 12.4 Beispiele für Transkriptionssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 12.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 12.6 Problemstellung und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 13 Anwendungen der Kommunikationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 13.1 Funktionale Interpretationstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 13.2 „Inhaltsfreie“ Interpretationstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 13.3 Die Quantifizierung von Inhaltlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 VIII I nhalt 13.4 Befragen als Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 13.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 13.6 Problemstellung und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 14 Der Markt der Kommunikationsratgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 14.1 Die Popularität des Themas Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 14.2 Der alltägliche Umgang mit Anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 14.3 Im Ausdrucksraum der Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 14.4 Das Arbeiten an den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern . . 283 14.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 14.6 Problemstellung und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 15 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 16 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 17 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 IX I nhalt Vorwort Vorwort Kommunikation-- und Mensch sein-- ist nicht einfach-… aber überraschend wendungsreich. Damaris Wieser Wer eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft veröffentlicht, muss sich die Frage des Warum gefallen lassen. Gibt es doch zahlreiche Bücher, in denen ganz viel und Wichtiges zur Kommunikationswissenschaft gesagt wird. Warum dann noch ein Buch? Das Thema Kommunikation ist so vielfältig wie auch die wissenschaftlichen Interessen daran. Das spiegelt sich in den sehr unterschiedlichen Einführungen wider. Studierende wünschten sich ein Buch, das sie mit Praktiken der Analyse und Beschreibung von alltäglicher Kommunikation in ihnen bekannten Handlungsfeldern bekannt macht. Aufseiten der Lehrenden war vom Wunsch nach einem Buch zu hören, das Theorieansätze in ihren Grundzügen vorstellt, die auf ihre praktische Relevanz hin mit Studierenden geprüft werden könnten. Bei den über das Lehrfach hinaus interessierten Personenkreisen wurde angeregt, darüber nachzudenken, ob es nicht eine Darstellung geben könne, die einerseits mehr Verständnis für Kommunikation ermöglicht und andererseits auch die Schwierigkeit, über Kommunikation wissenschaftlich reden zu können, plausibel macht; jeder glaube, über Kommunikation reden zu können. In den vorhandenen einführenden Darstellungen der vergangenen Jahre wird zum einen auf die Vielfalt der Interessen verwiesen, zum anderen orientieren sich die Einführungen an einer für sie wichtigen Bezugsdisziplin. Im deutschen Sprachraum waren das lange Zeit die Signaltheorie der Informatik und zeitlich fast parallel dazu die Psychologie und Psychotherapie. In den 80er Jahren galten als Reaktion auf die Bildungsreformen die Pädagogik und Soziologie als wichtige Bezugsgrößen für ein Nachdenken über Kommunikation. Seit den 90er Jahren findet ein grundlegender Wandel in den Medien statt, sodass die Medienwissenschaft die Aufmerksamkeit auf Kom- X V orwort munikation bindet. Parallel dazu hat die Sozialwissenschaft aufgrund ihrer Methoden großen Einfluss auf die Kommunikationsforschung genommen. Die Idee für die hier vorgelegte Hinführung besteht darin, den Blick auf das Kommunikationsereignis in der Alltagswelt durch typische Sichtweisen einzelner Fachdisziplinen zu weiten. In Verbindung mit einem Kommunikationsbeispiel aus dem alltäglichen Umfeld soll fallweise herausgearbeitet und gezeigt werden, welche Merkmale von Kommunikation dadurch sichtbar gemacht werden und welcher Anspruch auf Gültigkeit mit diesen verbunden werden kann. Dabei gilt die Grundannahme, wer sich auf Kommunikation wissenschaftlich einlässt, muss respektieren, dass Kommunikation ein flüchtiges Ereignis ist und sich nicht einfach in die Hand nehmen lässt, nicht durch ein Mikroskop betrachtet werden kann oder in chemische Elemente zerlegbar ist. Als mediales Ereignis ist Kommunikation an Raum, Zeit und Akteure gebunden. Die Akteure sind als Personen oder Institutionen fassbar. Ihr Handeln vollzieht sich in Räumen, die oft dafür geschaffen wurden, z. B. Schule, Gericht, Arztpraxis. Das Handeln ist sehr oft an bestimmte Zeiten gebunden, z. B. Sprechstunde, Seminarsitzung, Vollversammlung der Studierendenvertretung. Hier werden Dokumente erzeugt, die nach dem Kommunikationsereignis aufbewahrt werden, z. B. Protokolle, Berichte, Nachrichten in Massenmedien. Das alles kann nur stattfinden, weil es unter den Akteuren Erfahrungen im Umgang miteinander und ein Wissen übereinander gibt. Im Buch werden Beschreibungsansätze ausgewählt und vorgestellt, an denen gelernt und geübt werden kann, solche Bedingungen zu erkennen, welche das kommunikative Verhalten für die beteiligten Akteure gegenseitig als Handeln abschätzbar macht. Was der Andere tut, ist nicht ohne weiteres als bestimmte Handlung identifizierbar. Es muss einen Kontext für das Tun geben, der bekannt ist. Kommunikation setzt Medien voraus, und diese nutzen Techniken. Das kann nur funktionieren, wenn es Zeichen gibt, deren Nutzung unter den Akteuren eingeübt worden ist. Der ganze Aufwand wird gemacht, weil Bedürfnisse vorhanden sind, die ohne die Anderen nicht befriedigt werden können. Kommunikation ist ein komplexes Ereignis, das von den Akteuren vielfältigste Entscheidungen abverlangt. Um Kommunikation wissenschaftlich zu beschreiben, bedarf es daher theoretischer Konzepte und dazu passender Methoden. In den verschiedenen Einheiten wird darauf sukzessive eingegangen. Den Ausgangspunkt bilden Fragen nach dem Verhältnis von Kommunikation und Wissenschaft in der gesellschaftlichen Diskussion (Einheit 1) und in den Lebenswelten des Alltags (Einheit 2). Der bekannteste Zugang zur Kommunikation erfolgte über die Nachrichtenübertragung und das Nach- XI V orwort Vorwort denken darüber, wie Daten über weite Strecken hinweg versendet werden können (Einheit 3). Das kann nur funktionieren, wenn das dabei Vermittelte auf Mitspieler trifft, die aus dem Gesendeten Nachrichten generieren können (Einheit 4). Hier nun zeigt sich, wie erfinderisch Akteure im Laufe der Kulturgeschichte waren und gegenwärtig noch sind (Einheit 5). Das alles ist nur möglich, weil Gesellschaften und ihre Mitglieder Praktiken zur gemeinsamen Bewältigung ihrer Lebenswelten entwickeln (Einheit 6). Zu diesen Praktiken gehört die Nutzung von Signalen und mit ihnen verbundene Erklärungsmodelle, die das Verstehen von Kommunikation beeinflussen und damit verbundene Erwartungen verknüpfen (Einheit 7). Kommunikative Praktiken basieren nicht nur auf dem Zeichenaustausch, sie leben von der Auseinandersetzung mit dem Gegenüber des Einzelnen. Hier lernt er, ob und wie der Andere reagiert (Einheit 8). Einen weiteren Bezugshorizont, der den Einzelnen beeinflusst bzw. den er wählt, um Einfluss zu nehmen, findet der Einzelne in den gesellschaftlichen Verhaltensmustern und den für sie typischen Umgebungen (Einheit 9). Interessant ist auch die Frage, welche Dynamiken von diesen Bezugshintergründen ausgehen, wer sie auslöst und wie sie steuerbar sind (Einheit 10). Kommunikation zu beschreiben, setzt handwerkliches Können voraus. Das beinhaltet eine geisteswissenschaftliche Komponente. Kommunikative Praktiken basieren auf Verständigungs- und Verstehensleistungen. Diese setzten das Deuten Können dessen voraus. Was andere für einen tun, spielt eine zentrale Rolle. Daher bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem, was Interpretieren genannt wird (Einheit 11). Das kommunikative Ereignis ist ein flüchtiger Prozess, der zeitlich gebunden nicht wiederholbar ist. Dieser Vorgang lässt sich heute auditiv und bildlich, analog oder digital festhalten. Ein solches Dokument kann in Text umgewandelt werden. Dieser bietet sich dann als eine Grundlage für neuerliche Interpretationen an (Einheit 12). Kommunikation durchzieht alle Lebensbereiche und erzeugt vielfältigste Dokumente, die nicht nur klassisch interpretatorisch erschließbar sind, sondern auch mithilfe quantifizierender Verfahren Einsichten in kommunikatives Handeln ermöglichen (Einheit 13). Die Darstellung endet mit dem Blick auf Praktiken der Kommunikationsberatung, wie sie vor allem in den USA entstanden und heute auch hier bei uns zur Selbstverständlichkeit geworden sind (Einheit 14). Kommunikation und Wissenschaft Inhalt 1.1 Interessen an der Kommunikation 2 1.2 Das Fach Kommunikationswissenschaft 3 1.3 Die Breite des Faches Kommunikationswissenschaft 7 1.4 Sich der Kommunikationswissenschaft annähern 9 1.5 Literatur 16 1.6 Problemstellung und Fragen 17 Kommunikation ist immer und überall präsent. Die Wissenschaft geht damit sehr unterschiedlich und hoch ausdifferenziert um. Wenn allgemein von Kommunikation geredet wird, dann steht Kommunikation für Verständigung, Beziehungspflege und Durchsetzungsvermögen. Die Wissenschaft zur Kommunikation wird eher in der Medienwissenschaft vermutet. Gesellschaftlich ist das Interesse stark auf die technische mediale Seite ausgerichtet, die Psychologie der Kommunikation wird eher als Bildungsgegenstand der Kompetenzförderung betrachtet. Dabei stellt Kommunikation vielfältigste Anforderungen an den Alltag beginnend im privaten Umfeld und weiterreichend in die institutionellen und politischen Kontexte der Gesellschaft. Dort haben sich unübersehbar viele Praktiken entwickelt, die in Kulturen sichtbar sind und gelebt werden. Die Herausforderung für die Wissenschaft besteht darin, aufzuzeigen, wie diese Praktiken beobachtet, beschrieben und analysiert werden können und welche Schlüsse daraus für die betroffenen Akteure gezogen werden können. Überblick 1 Einheit 1 Kommunikation und Wissenschaft Inhalt 1.1 Interessen an der Kommunikation 2 1.2 Das Fach Kommunikationswissenschaft 3 1.3 Die Breite des Faches Kommunikationswissenschaft 7 1.4 Sich der Kommunikationswissenschaft annähern 9 1.5 Literatur 16 1.6 Problemstellung und Fragen 17 Kommunikation ist immer und überall präsent. Die Wissenschaft geht damit sehr unterschiedlich und hoch ausdifferenziert um. Wenn allgemein von Kommunikation geredet wird, dann steht Kommunikation für Verständigung, Beziehungspflege und Durchsetzungsvermögen. Die Wissenschaft zur Kommunikation wird eher in der Medienwissenschaft vermutet. Gesellschaftlich ist das Interesse stark auf die technische mediale Seite ausgerichtet, die Psychologie der Kommunikation wird eher als Bildungsgegenstand der Kompetenzförderung betrachtet. Dabei stellt Kommunikation vielfältigste Anforderungen an den Alltag beginnend im privaten Umfeld und weiterreichend in die institutionellen und politischen Kontexte der Gesellschaft. Dort haben sich unübersehbar viele Praktiken entwickelt, die in Kulturen sichtbar sind und gelebt werden. Die Herausforderung für die Wissenschaft besteht darin, aufzuzeigen, wie diese Praktiken beobachtet, beschrieben und analysiert werden können und welche Schlüsse daraus für die betroffenen Akteure gezogen werden können. Überblick 2 K ommunIKatIon und w Issenschaft Interessen an der Kommunikation Wo wird Kommunikation zu einem Thema? Das Thema Kommunikation interessiert den Einzelnen genauso wie Organisationen und Institutionen und zwar unter dem Aspekt, wie Aufgaben im persönlichen Alltag, Beruf und in der Gesellschaft kommunikativ möglichst optimal gelöst werden können. Ärzte zum Beispiel lernen in Kursen, wie sie mit ihren Patienten in der Sprechstunde umzugehen haben: Die Patienten sollen sich ernst genommen fühlen und vom Arzt das erfahren, was sie über ihre Krankheit wissen müssen. Verkaufseinrichtungen schulen ihr Personal darin, das Interesse von Kunden zu wecken und sie an das Unternehmen zu binden. In Verkaufsschulungen werden Verkäufer trainiert, wie Kunden angesprochen werden sollten, um ihnen ein Produkt nahe zu bringen und sie zum Kauf zu motivieren. Sogar der Umgang mit Kundschaft an Supermarktkassen ist ein Übungsfeld für die Kassiererinnen. In eigens dafür eingerichteten Kursen werden mit ihnen Verhaltensregeln eingeübt. Themen wie Freundlichkeit, Höflichkeit und Geduld gehören in das Repertoire solcher Übungen. In Betrieben wird das Leitungspersonal auf Schulungen geschickt, um zu lernen, wie sie mit ihren Mitarbeitern möglichst konfliktfrei zusammenarbeiten können. Für die Bildung spielt Kommunikation eine zentrale Rolle, weil Unterrichten und Lehren zunehmend als dialogisches Handeln gesehen wird. Erhofft wird, dass die Lernenden zum Vermittelten leichter einen Zugang finden und selbst in die Lage versetzt werden, das nicht Verstandene dem Lehrenden anzeigen zu können. Der Einzelne erfährt in seinem Alltag, dass Kommunikationsfähigkeit eine Schlüsselfunktion hat. Ständig wird er mit Situationen konfrontiert, die er kommunikativ lösen muss. Das geschieht nicht nur mündlich, sondern bedingt durch die elektronischen Medien in gleichem Maße auch schriftlich. Ihm werden entsprechend zahlreiche Bildungsangebote gemacht, wie er sich richtig im Umgang mit Anderen verhalten kann, die angemessenen Themen findet und die richtige Argumentation wählt. Wichtig erscheinen der Umgang mit Konflikten und das Finden einer kommunikativen Lösung. Ebenso kann er lernen, wie er sich im Internet effektiv darzustellen kann und einen Freundeskreis findet und pflegt. 1.1 Siegfried J. Schmidt (* 1949) Abb. 1.1 Germanist, Professor für Kommunikationstheorie und Medienkultur, Schwerpunkte: empirische Literaturwissenschaft, Texttheorie und Kommunikationswissenschaft Guido Zurstiege (* 1968) Abb. 1.2 Professor für Medienwirtschaft, Schwerpunkte: Empirische Medienforschung, Kommunikationstheorie sowie Rezeptions- und Wirkungsforschung 3 K ommunIKatIon und w Issenschaft d as f ach K ommunIKatIonswIssenschaft Einheit 1 Das Fach Kommunikationswissenschaft Kommunikationswissenschaft zu studieren, ist ein beliebter Studienwunsch, aber was bedeutet eigentlich Kommunikation, wenn sich Wissenschaft ihr zuwendet? Schmidt und Zurstiege (Schmidt und Zurstiege 2000b, S. 9-57) sprechen in der Einleitung ihrer Einführung zur Kommunikationswissenschaft davon, dass sich diese Wissenschaft mit etwas ganz Faszinierendem im Leben eines jeden beschäftige und sie charakterisieren dieses als den Stoff, aus dem Lebenswelt, Gesellschaft und Kultur bestehen. Alle möglichen Lebensbereiche weisen engste Verbindungen zur Kommunikation auf und erwecken so den Eindruck, alles sei Kommunikation. Dieser offenen Lesart steht ein Verständnis gegenüber, das Kommunikation auf Schlüsselbegriffe wie Sprecher und Hörer, Kanal und Medium, Botschaften, die gesendet und empfangen werden, verengt. Kommunikationswissenschaft wird in der Öffentlichkeit nicht vorrangig mit den genannten Aspekten identifiziert. Schmidt und Zurstiege (2000a, S. 11) knüpfen an Diskussionen über die Medien- und Kommunikations- oder Informations- und Kommunikationsgesellschaft an. Wenn wir uns im Freundeskreis als Kommunikationswissenschaftler zu erkennen geben, kommt es zu Kommentaren wie „Ach, Sie machen Fernsehen! “ oder „Machen Sie uns mal einen Flyer! “ bzw. „Schauen Sie sich mal unseren Webauftritt an! Wie könnten wir ihn besser machen.“ Gleichzeitig spricht derselbe Kreis vom Axiom des „Nicht-nicht-Kommunizieren-Könnens“ des Watzlawick (1969, S. 4-26) und der Beziehungskommunikation eines Schulz von Thun (1982) und wie wichtig sie diese für ihren Alltag halten. In den sich daran anschließenden Gesprächen wird offenkundig, dass wenig Wissen darüber besteht, womit sich Kommunikationswissenschaft beschäftigt. Wer Kommunikationswissenschaft beispielsweise mit der Medienrezeptionsforschung verbindet, sieht darin Befragungen über Medienverhalten und rückt das Fach in die Nähe der Meinungsforschung. Im Fall einer psychologischen Orientierung wird an das viel zitierte „Vier-Ohren-Modell“ Schulz von Thun (1982, S. 13-15) gedacht und es finden sich Kommentare wie, man sei ein Typ, der eher beziehungsorientiert und weniger sachorientiert kommuniziere. Kommunikationswissenschaft ist keine klassische Disziplin. Sie kann sich nicht wie etwa die Physik, Biologie oder 1.2 Bild in der Öffentlichkeit Paul Watzlawick (1921-2007) Abb. 1.3 Österreichisch-amerikanischer Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut und Soziologe, Mitbegründer der Palo Alto Schule Friedemann Schulz von Thun (* 1944) Abb. 1.4 Psychologe und Kommunikationswissenschaftler 4 K ommunIKatIon und w Issenschaft Mathematik auf eine lange Tradition in der Entwicklung von Theorien und Methoden beziehen. Sie wird auch nicht automatisch mit einer Geisteswissenschaft wie der Germanistik, Philosophie oder Soziologie gleichgesetzt. Am ehesten gibt es im öffentlichen Bewusstsein Verknüpfungen zur Psychologie und in den letzten Jahren zur Medienforschung. Das Fach hat viele Gesichter. Wenn Kommunikation den Stoff bietet, aus dem sich Lebenswelt, Gesellschaft und Kultur speisen, dann verwundert es nicht, dass sich eine Kommunikationswissenschaft vielfältigen und sehr unterschiedlichen Bereichen zuwendet. Entsprechend verschiedenartig sind die Gegenstände der Beobachtung und das Forschungsinteresse, das dem Verhalten von Personen gilt, dem Erscheinungsbild von Druckerzeugnissen oder Bildproduktionen gewidmet wird oder sich mit bestimmten thematischen Feldern wie Politik und Kultur auseinandersetzt. Damit verbunden sind ganz spezielle Methoden, die sich teilweise sehr deutlich voneinander unterscheiden. Kommunikationswissenschaft ist ein Sammelbegriff für Programme, die sich darin unterscheiden, wie sie das Thema der Kommunikation wissenschaftlich aufnehmen und behandeln. Erklärung Kommunikation wird in der gegenwärtigen Gesellschaft als fundamentale Bezugsgröße wahrgenommen. Daher überrascht es nicht, dass 2007 der deutsche Wissenschaftsrat (Wisssenschaftsrat 21. 05. 2007) die gesellschaftliche Bedeutung der Kommunikationswissenschaft betont hat und glaubt, dass von ihr „wesentliche Impulse für kulturelle, ökonomische und technische Entwicklungen“ ausgehen werden und „eine enorme Nachfrage“ zu erwarten sei. Vorgeschlagen wird, die Kommunikationswissenschaft in eine sozialwissenschaftlich orientierte Kommunikationswissenschaft, eine kulturwissenschaftliche Medialitätsforschung und in eine an der Informatik ausgerichtete Medientechnologie zu unterteilen. Dabei wird darauf hingewiesen, dass in Deutschland, im Gegensatz zu den USA , die Teilbereiche kaum vernetzt sind. Dem wird gegenwärtig versucht, durch eine besondere Forschungsförderung entgegenzuwirken. Der Wissenschaftsrat ist ein wichtiges Beratungsgremium. Er wurde am 5. September 1957 gegründet und berät Bund und Länder in Fragen der Weiterentwicklung des Hochschulsystems sowie der staatlichen Förderung von Forschungseinrichtungen. Er hat seinen Sitz in Köln. Wissenschaftsrat Wenn nach den Anfängen des Faches gesucht wird, so werden europäische Emigranten genannt, die in den 1930er Jahren in die USA ausgewandert sind, dort 1924 die Zeitschrift Journalism Bulletin gegründet haben und sich erst- Ursprünge des Faches Printmedien 5 K ommunIKatIon und w Issenschaft d as f ach K ommunIKatIonswIssenschaft Einheit 1 mals zum Ziel gesetzt haben, die Printmedien wissenschaftlich zu begleiten. Im Zusammenhang damit entstand die erste Schule zur Ausbildung von Journalisten. In Deutschland erfolgte zwei Jahre später die Gründung der Zeitschrift Zeitungswissenschaft. Sie versuchte, ganz ähnlich wie in den USA , die Pressearbeit journalistisch und wissenschaftlich im Blick zu behalten. Parallel dazu muss die Entwicklung des Rundfunks sowie die zunehmende Bedeutung des Films in der breiten Öffentlichkeit gesehen werden. Es bildete sich durch die Erweiterung der Zeitungswissenschaft die Publizistikwissenschaft heraus. Sie widmete sich der Erforschung der Wirkung öffentlicher Reden auf die Rezipienten. Im Zentrum stand die Frage nach der Beeinflussbarkeit der Rezipienten. Den Schwerpunkt bildeten Diskussionen darüber, ob Rundfunk und Film das Verhalten der Masse beherrschen können. Es zeigte sich bald ein großes kommerzielles Interesse, was einen entscheidenden Schub in der Entwicklung des Fachs auslöste. Die Wirtschaft erkannte, dass mit den Medien Möglichkeiten der Werbung für ihre Produkte geschaffen wurden. Wissenschaftlich fanden darüber ab 1937 in der Zeitschrift Public Opinion Quarterly intensive Diskussionen statt. Diese wurden von der Soziologie, Psychologie und der Betriebswirtschaft aufgenommen und systematisch verfolgt. In Deutschland wurde nach dem Krieg 1956 mit der Gründung der Zeitschrift Publizistik der Weg frei, um das, was in den USA entwickelt worden war, aufzunehmen und auf die speziellen Problemstellungen der neu gegründeten Bundesrepublik und auf die damit verbundenen Einführung der Rundfunkorganisation zu übertragen. Damit wird auch verständlich, warum der Begriff Kommunikationswissenschaft so eng mit der Medien- und Medienrezeptionsforschung assoziiert und in Deutschland vielfach gleichgesetzt wird. Die wissenschaftliche Grundlegung des Faches fand nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA statt. Dort wurden systematische Forschungen begonnen und präzise Frage- und Problemstellungen entwickelt. Das wurde durch die Öffnung hin zu den Disziplinen Psychologie und Soziologie verstärkt. Ausdruck fand diese Tendenz in der Gründung des Journal of Communication 1951. Die Etablierung des Communication Yearbook of International Communication Association im Jahr 1978 schloss diese Entwicklung dann ab. Communikation Yearbook veröffentlicht State-of-the-Disziplin Literatur, Rezensionen und Essays. Es agiert sowohl hoch international als auch interdisziplinär, mit Autoren und ihren Werken, die die breiten globalen Interessen der International Communication Association ( ICA ) vertreten. ICA ist eine wissenschaftliche Vereinigung für interessierte Wissenschaftler in der Studie, Lehre und Anwendung aller Aspekte der menschlichen und vermittelten Kommunikation. Communication Yearbook of International Communication Association Kommerzielle Interessen 6 K ommunIKatIon und w Issenschaft Grundlegend für die eigenständige, wissenschaftliche Entwicklung war die Forschung auf der Basis von empirischen Methoden. Das hatte sehr konkrete Hintergründe. Schnell wurde nämlich erkannt, dass sich die Wirkung von Medien nicht allein mit rhetorischen Stilen befriedigend erklären ließ. Dramatische Fehleinschätzungen bei Wahlvoraussagen zwangen die Medienforschung dazu, Verfahren aus der Psychologie und Sozialwissenschaft in die Kommunikationswissenschaft zu integrieren, um gesicherte Aussagen über die Wirkung von Äußerungsformen machen zu können. Kommunikationswissenschaft verbindet sich daher seit den 1960er Jahren in den USA eindeutig mit Methoden, wie sie aus der Sozialforschung heraus entwickelt worden sind. Diese sollten dazu beitragen, gesicherte Aussagen über die Medienwirkung machen zu können. Ein weiterer Entwicklungsschub erfolgte durch die Adaption der nachrichtentechnischen Modellierung von Kommunikation in der Psychologie und Psychotherapie. Damit öffneten sich völlig neue Felder im sozialen und allgemeinen gesellschaftlichen Bereich, in denen sich ganz spezifische Fragestellungen auftaten und Methoden der Bezugsdisziplinen einen Forschungszugang ermöglichten. Im Jahrbuch der International Communication Association wird 2004 eine Liste veröffentlicht, die Teildisziplinen der Kommunikationswissenschaft benennt: Information Systems Interpersonal Communication Mass Communication Organizational Communication Intercultural and Developmental Communication Political Communication Instructional and Developmental Communication Health Communication Philosophy and Communication Communication and Technology Popular Communication Public Relations Feminist Scholarship Communication Law and Policy Language and Social Communication Visual Communication Informationssysteme Interpersonale Kommunikation Massenkommunikation Organisationale Kommunikation Interkulturelle und Entwicklungskommunikation Politische Kommunikation Unterrichts- und Entwicklungskommunikation Gesundheitskommunikation Philosophie und Kommunikation Kommunikation und Technik Alltagskommunikation Öffentlichkeitsarbeit Feministisches Stipendium Rechts- und politische Kommunikation Sprache und soziale Kommunikation Visuelle Kommunikation Die Ansätze zeigen einen hohen Differenzierungsgrad einzelner Teilbereiche und geben Hinweise auf die innerfachlichen Entwicklungen sowie die dort bestehenden Schwerpunktthemen. Wenn nach Gemeinsamkeiten bzw. gemeinsamen Ausgangspunkten gesucht wird, lassen sich die verschiedenen Ansätze übergreifend in drei Themenschwerpunkten einer Kommunikationswissenschaft erfassen: Psychologie Thematische Felder 7 K ommunIKatIon und w Issenschaft d Ie B reIte des f aches K ommunIKatIonswIssenschaft Einheit 1 ▶ Öffentliche Kommunikation ▶ Interpersonelle Kommunikation ▶ Organisationale Kommunikation Die Kommunikation im öffentlichen Raum umfasst das, was vor allem durch die Medien beherrscht wird und dort ganz eigenständige Entwicklungen im Rahmen der Medienwissenschaft bewirkt hat. Das thematische Feld der interpersonellen Kommunikation begleitet die alltägliche Kommunikation und wird in hohem Maße von der Psychologie erforscht. Die organisationale Kommunikation ist eng mit der Erforschung institutioneller Zusammenhänge verbunden und wird stark durch Ideen der Soziologie geprägt. Die Breite des Faches Kommunikationswissenschaft Wenn die Vorstellung der International Communication Association mit den Vorschlägen des Wissenschaftsrates verglichen wird, fällt eine Schwerpunktverschiebung und eine thematische Einengung auf. Der Rat versteht die interpersonelle Kommunikation im Sinne einer sozialwissenschaftlichen Kommunikationswissenschaft und legt sich dadurch auf ein wissenschaftliches Paradigma fest, welches die empirischen, quantitativen Methoden präferiert. Eine Verengung bedeutet auch die Fokussierung auf eine informatikorientierte Medientechnologie, denn hier wird ein Spezialbereich der Technik zu einem eigenständigen Feld in der Kommunikationswissenschaft erklärt. Niemand bezweifelt, dass die Kommunikation aufgrund der Computertechnologie grundlegende Veränderungen erfahren hat. Problematisch erscheint jedoch eine Fokussierung auf Techniken des digitalen Austauschs. Kommunikation zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie vielfältigste Technik(en) nutzt. Sie darf aber nicht mit den von ihr verwendeten materiellen Mitteln bzw. Instrumenten verwechselt werden. Das Handy ist keine Kommunikation, sondern schafft Bedingungen für diese. Interessant sind die dabei eintretenden Verhaltensmodifikationen. Das gilt im Übrigen auch für die Weiterentwicklung des Geräts selbst wie auch für das konkrete Verhalten der Nutzer, das sich in Abhängigkeit zu immer wieder auftretenden Situationen verändern kann. Das Einbeziehen der kulturwissenschaftlichen Medialitätsforschung in das Fach Kommunikationswissenschaft ist für eine Weiterentwicklung des Faches wichtig und vielversprechend. Kulturelle Ereignisse werden zunehmend als Prozess der gesellschaftlichen Selbstfindung wahrgenommen und genutzt. Während noch bis in die 1970er Jahre hinein Kultur als ein eher schichtenspezifisches Phänomen galt, hat sich der Kulturbegriff seit den 1990er Jahren so weit geöffnet, dass eine Vielzahl gesellschaftlicher Ereignisse darunter subsumiert werden und eben nicht nur die bildenden Künste. 1.3 8 K ommunIKatIon und w Issenschaft Grundsätzlich finden sich bei den geisteswissenschaftlichen Disziplinen Anschlussmöglichkeiten für die Entwicklung im Fach Kommunikationswissenschaft. Sie bieten im Methodischen Werkzeuge, die gegenüber den empirisch quantitativ ausgerichteten medial- und sozialwissenschaftlichen Teildisziplinen eine Erweiterung des Beschreibungsspektrums bedeuten. Kommunikationswissenschaft ist eine dynamische und im Grundverständnis interdisziplinär angelegte Fachdisziplin, deren Stärke in ihrer Interessensbreite liegt und die damit eigentlich auf Kooperation mit anderen Fächern angelegt ist. Sie ist eine Wissenschaft, die in Abhängigkeit von der Konfiguration ihrer wissenschaftlichen Umgebung sehr unterschiedliche Ausprägungen zulässt. Kommunikation ist immer Teil des allgemeinen Handelns. Insofern ist es kaum vorstellbar, über Kommunikation wissenschaftlich nachzudenken und zu reden, ohne sie im Verhältnis zu Theorien über das Handeln zu verorten. In Abhängigkeit zu dem, wie Handeln erklärt wird, lässt sich Kommunikation als eine Praxis im gesellschaftlichen Alltag verorten, zu der es noch viele unbeantwortete Fragen gibt. Erklärung Grundsätzlich gilt für eine Kommunikationswissenschaft, dass sie sich als Grundlagenwissenschaft mit der Semiotik als Bezugswissenschaft auseinandersetzen muss. Denn diese versucht zu erklären, wie und warum es mithilfe von Zeichen gelingt, das Miteinander von Individuen und Institutionen zu organisieren. Von der Kommunikationswissenschaft kann erwartet werden, Aussagen darüber zu machen wann und warum es in den verschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhängen zum Austausch von Zeichen kommt und unter welchen Bedingungen dieser als erfolgreich eingeschätzt wird. Beobachtet werden muss im Rahmen kommunikationswissenschaftlichen Arbeitens, was den Einzelnen zum kommunikativen Handeln mit den realen oder nur vorgestellten Anderen motiviert. Diese agieren nicht als isolierte Individuen, sondern sind Teil umfassender gesellschaftlicher Verhältnisse. Hierbei kann eine Kommunikationswissenschaft auf Diskussionen und Erkenntnisse in der Soziologie zurückgreifen. Denn diese geht Fragen nach, ob und wie auf der Basis von Kommunikation Gesellschaft überhaupt ermöglicht wird. Als fundamental werden die Einsichten in die Kommunikation eingeschätzt, die aus den Arbeiten der Psychologie hervorgegangen sind. Ein zentraler Fokus lag dabei auf dem Einzelnen und seinem Verhältnis zu seinen persönlichen Umwelten. Diese haben sich in medialen Bereichen stark verändert, sodass die Entwicklung in der Medientechnologie weiße Flecken bedingt hat, auf die eine kommunikationspsychologische Forschung Antworten finden will. Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen Semiotik Soziologie Psychologie 9 K ommunIKatIon und w Issenschaft s Ich eIner K ommunIKatIonswIssenschaft annähern Einheit 1 Kommunikationswissenschaft kann zu Erkenntnissen gelangen, bei denen Strohner (2006, 15-16; 467) betont, dass ihre Verbreitung über die Wissenschaft hinaus von Bedeutung sein kann und ein Missbrauch nicht ausgeschlossen ist. Sie muss sich deshalb auch der Verantwortung dafür bewusst sein. Bei der Werbung und in der Politik sind Einsichten vorstellbar, die nicht nur zum Vorteil des Anderen genutzt werden können. Das Problem ist aus Diskussionen in der Medizin bekannt. Auch die Kommunikationswissenschaft braucht einen ethischen Diskurs. Sich einer Kommunikationswissenschaft annähern Nachdem Kommunikationswissenschaft kein Fach ist, das sich durch nur eine Theorie und eine Methodik erschließt, ist eine Einführung nur als Hinführung bzw. als eine wissenschaftliche Annäherung an das Themenfeld Kommunikation möglich. Das kann nicht ohne eine subjektive Perspektivenverkürzung geschehen. Man muss das nicht als Einschränkung sehen, wenn bewusst bleibt, dass der Weg zum Verstehen von Kommunikation verschlungener ist, als das mit dieser Annäherung erfasst werden kann. Sie folgt der Spur, Kommunikation im Handlungsfeld zu erfahren. Wer kommuniziert, setzt voraus, dass es zumindest einen Anderen gibt, der mit ihm in Verbindung tritt, wie auch immer das geschieht und was es konkret bedeuten kann. Die Frage nach dem Anderen lässt sich aber sehr unterschiedlich stellen. Die interpersonelle Kommunikation blickt anders darauf als die massenmedial organisierte. Erstere fragt, was der Andere will und wie mit ihm kooperiert werden könnte. Die massenmediale Kommunikation bedingt ein Nachdenken darüber, wie Ideen von Individuen, die gar nicht oder nur bedingt bekannt sind, so angesprochen werden können, dass sie sich auf das Geäußerte einlassen. Das Medium der Vermittlung funktioniert anders als bei einer Face to Face Begegnung. Der Raum der Öffentlichkeit erzeugt eigene Bezugsrahmen und unterscheidet sich von der privaten und persönlichen Umgebung. Die Perspektive auf den Einzelnen ändert sich, wenn wir betrachten, wie das Individuum in einer Organisation seinen Part wahrnimmt bzw. wie sie mit ihm als Teil derselben agiert. Er steht einem „abstrakten“ Partner gegenüber, wenn ihm in einem Schreiben von seinem Rathaus mitgeteilt wird, er habe sich ordnungsgemäß in dieser Kommune anzumelden. Wer der Einzelne ist, darüber wird wieder anders nachgedacht, wenn ich mich in einem Online Chat als Partner eines mir Unbekannten wahrnehme. Hans Strohner (1945-2006), Professor an der Universität Bielefeld, Schwerpunkte: Text-, Kognitions- und Psycholinguistik 1.4 Akteure 10 K ommunIKatIon und w Issenschaft Kommunikation setzt etwas gegenseitig Erwartbares voraus. Das können formale Eigenschaften sein, die immer wieder auftreten. In einem institutionellen Kontext weisen sich die Interaktanten regelmäßig Rollen zu. Eine Gerichtsverhandlung folgt einer festgelegten Ordnung. Die Handlungen des Einzelnen sind nicht frei wählbar, sondern erfolgen in Abhängigkeit zu der jeweils zugewiesenen Rolle als Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und Angeklagter. Der kommunikative Ablauf entspricht einer gesetzlich vorgegebenen Ordnung, von der nicht ohne weiteres abgewichen werden darf. Auch in religiösen Kontexten ist dies deutlich sichtbar, z. B. in Gottesdiensten. In der Alltagskommunikation erscheinen solche Regeln offener. Gespräche lassen sich in Abhängigkeit zu Stimmungen auf die eine oder andere Weise führen. Allerdings fällt auch hier auf, dass sie in Abhängigkeit zu der aktuellen Situation vom Angesprochenen unterschiedlich angenommen werden können und keineswegs gesichert ist, dass die gewählte Form beim Angesprochenen gut ankommt. Kommunikatives Handeln erzeugt eigenmächtige Wirkungen. Seit der Antike beschäftigen sich Gesellschaften mit der Frage nach der Wirkung öffentlicher Reden. Daraus ist ein eigenständiges Fach entstanden, die Rhetorik. Sie hat Formen entwickelt, wie vor Gericht oder in politischen Versammlungen geredet werden sollte, um akzeptiert zu werden und die Meinung der Anwesenden für sein Anliegen zu gewinnen. Die Erfindung des Radios hat bei Politikern das Interesse geweckt, mehr darüber zu erfahren, wie sie durch dieses Medium ihre Wähler ansprechen und für ihre Anliegen gewinnen können. Die Ausweitung des Mediums durch den Film und das Fernsehen hat die Aufmerksamkeit der Wirtschaft geweckt, weil sie mithilfe von Werbung Käufer zu gewinnen hofft. Knape (2005) lässt darüber diskutieren, welche Handlungsformen sprechen in welchem der Medien die Rezipienten an. Das setzt Wirkungsforschung voraus. In der Neuzeit vornehmlich seit den 1960er Jahren hat die Psychologie die Wirkweisen kommunikativen Verhaltens in den Bereich des Privaten, der Zweierbeziehung, der Familie oder kleiner Gruppen zu beobachten begonnen und sich gefragt, welche Verhaltensformen unerwünschte Wirkungen auf die Anderen auslösen und zu Konflikten führen. Für Überraschung sorgen die sozialen Netzwerke in der Gesellschaft. Sie lösen Effekte aus, die im privaten und öffentlichen Raum immer wieder für Unruhe sorgen und über deren Wirkweisen noch wenig bekannt ist. Kommunikation wirft immer die Frage auf, wie eine Nachricht weiter gegeben wird. Was geschieht mit dem, was an jemanden gesendet wird und wie muss es arrangiert worden sein, damit er daraus das erschließt, was der Sendende sich wünscht? Missverständnisse sind dabei nicht zu verhindern, das gilt nicht nur für den persönlichen Bereich, sondern ist auch in öffentlichen Kontexten ein Problem. Eine Nachricht verändert sich auf ihrem Formate Wirkzusammenhänge Mediatisierung 11 K ommunIKatIon und w Issenschaft s Ich eIner K ommunIKatIonswIssenschaft annähern Einheit 1 Weg zum Anderen und verfehlt unter Umständen ihr Ziel oder sie wird bei der Übermittlung durch andere bewusst manipuliert. Zu erklären ist, wie es zu solchen Veränderungen kommen kann. Denn dasselbe, was gesagt oder geschrieben worden ist, verstehen die Angesprochenen ganz unterschiedlich und ziehen so nicht vorhergesehene Schlüsse daraus. Das alles geschieht, wie Krotz (2007) zeigt, in einer Welt sich ständig verändernder Medien. Höflich (1996) berichtet, als das Telefon eingeführt wurde, war es ein Kommunikationsmedium für Behörden, Organisationen und Betriebe. Entsprechend eingeschränkt war die kommunikative Nutzung, es ging um Nachrichten offizieller Belange von betrieblichen und behördlichen Einrichtungen. Erst mit der Glasfasertechnik konnte ein Angebot geschaffen werden, dass erlaubte, private Haushalte an das Medium anzuschließen und durch die günstigen Preise zu ermöglichen, beliebig viel zu telefonieren. Es entwickelte sich eine eigene Gesprächskultur am Telefon, die mit dem Handy eine Weiterentwicklung erfahren hat. Jetzt kann immer und überall mit Anderen über alles gesprochen werden und das geschieht in einem nicht mehr dafür eingerichteten Raum wie einer Telefonzelle. Handys erlauben es, Fotos und Mitschnitte von Episoden zu versenden und erzwingen damit neue Kommunikationsformen. Ein erneuter Wandel vollzog sich mit neuen Nutzungsmöglichkeiten des Internets. Höflich (2016) sieht, wie dem Einzelnen und der Art seiner Präsenz im Internet eine besondere Rolle zukommt. Wenn wir uns in einem Chatroom bewegen, ist aber nicht mehr sicher abschätzbar, wer mit uns in Kontakt getreten ist. Obwohl sich ein Gegenüber als Individuum darstellt, ist unklar, um „was“ es sich dabei handelt. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Interaktion mit einer Maschine erfolgt. Das passiert, wenn beispielsweise eine Auskunft eingeholt wird und der Auskunft Gebende, der freundlich mit dem Anrufer spricht, ein Rechner ist. Ein anderes Beispiel für solche Veränderungen ist die heute selbstverständlich gewordene E-Mail. Sie wurde zu Beginn als Ersatz für einen Brief kommuniziert und entwickelte sich rasch zu einem beliebten Kommunikationsmittel, dass wegen seiner zeitlichen Nähe zum Kontaktpartner bis heute geschätzt wird. Kommunikation wird konkret fassbar als eine Welt voller Daten. Sie werden in einer Vielfalt von Zeichen an uns herangetragen bzw. sie umgeben uns ständig und das erfolgt in den unterschiedlichsten Ausformungen. Daher Datentransfer Joachim Knape (* 1950) Abb. 1.5 Deutscher Literaturwissenschaftler, Schwerpunkte: Rhetorikgeschichte und Rhetoriktheorie Joachim R. Höflich (* 1954) Abb. 1.6 Professor für Kommunikationswissenschaft, Schwerpunkte: interpersonale Kommunikation und Medienintegration 12 K ommunIKatIon und w Issenschaft gilt es zu klären, wie Daten für das Kommunizieren genutzt werden. Sie sind nicht einfach da, hinter ihnen stehen tatsächliche oder gedachte Individuen, welche mit ihnen jemanden zu etwas bewegen wollen. Wie erreichen diese Akteure sich mit den Daten gegenseitig so, dass kalkulierbar erscheint, wie mit ihnen umgegangen wird? Eine kommunikationswissenschaftliche Diskussion wird daher mit Akteuren konfrontiert, die voneinander etwas wollen. Zentral ist die Frage, wie sie das anstellen, um erfolgreich zu sein. Wie nutzen sie Daten und warum können sie sich darauf verlassen? Welche Fähigkeiten müssen sie sich gegenseitig unterstellen, denn die Umwelt stellt vieles als Daten zur Verfügung? Woher kommt das Wissen darüber, welche der Daten zu einem bestimmten Zweck genutzt werden sollen? Daten müssen daher für den Anderen als etwas erkennbar werden, das anzeigt, dass es auf der anderen Seite jemanden gibt, der ihn mit Daten ansprechen will. In der kommunikationswissenschaftlichen Diskussion tritt der Begriff des Signals auf, um diesen Zusammenhang deutlich zu machen. Signale werden gesetzt, um anderen Hinweise zu geben, wie sie sich in der Umwelt, in der das Signal auftritt, verhalten sollen. Das Erkennen des Signals beinhaltet zugleich ein Wissen darüber, dass es einen Sender gibt, der sich mit dem Signal an einen Empfänger wendet. Signale funktionieren deshalb nicht für sich, sondern sind an bestimmte Umwelten gebunden, in denen ein Sender agiert. Für die Nutzer bedeutet das, sie müssen gelernt haben, Umwelten voneinander zu unterscheiden und solche zu erkennen, die dem Augenblick des Handelns Sinn zuzuschreiben erlauben. Zum Beispiel: Florian zeigt ein Verhalten, das Streit provoziert oder Ausdruck einer Depression ist oder Zeugnis fehlender Disziplin oder etwas nicht näher Bestimmbares. Die Sozialisation eines Einzelnen hilft ihm dabei, Erfahrungen zu sammeln, welche Daten in welcher Umwelt Signalfunktion haben oder nicht. Der Akteur sucht nach Indizien dafür, in welchen Handlungszusammenhängen diese Daten auftreten und mit welcher Bedeutung sie sich dort aufladen. Die kommunikationswissenschaftliche Diskussion hat daher Zusammenhänge aufzudecken, welches Formeninventar in welchen Umwelten auftritt, welche Eigenschaften Daten haben, um als Signal fungieren zu können. Genauso wichtig ist zu analysieren, welche Effekte dabei zu beobachten sind und welche Entwicklungen durch Veränderungen auftreten. Das wirft die Frage auf, woher die Akteure wissen, wie sie jeweils reagieren sollen. In der kommunikationswissenschaftlichen Debatte werden unterschiedliche Erklärungsansätze diskutiert. Den Akteuren wird ein Wissen unterstellt, welches sie in die Lage versetzt, mit jeweils vorfindlichen Verhältnissen umgehen zu können. In der Soziologie gibt es Ansätze, die davon ausgehen, dass sich in Gesellschaften Systeme entwickelt haben, die Regeln und Verhaltensformen festlegen und so den Akteuren Deutungsmöglichkeiten an Signalfunktion Weltwissen 13 K ommunIKatIon und w Issenschaft s Ich eIner K ommunIKatIonswIssenschaft annähern Einheit 1 die Hand geben. Vieles spricht dafür, dass sich Praktiken unter den Akteuren herausbilden, die über das Situative hinausreichen und unter ihnen Erwartungen aufbauen, die rechtlich abgesichert werden oder politisch erwünscht sind. Wer ein Klassenzimmer als Schüler oder Lehrer betritt, hat gelernt, was er dort darf oder nicht, welches Verhalten Vorteile und welche Nachteile beinhaltet und was von den anderen Akteuren zu erwarten ist. Das wird für die Beteiligten durch die Örtlichkeit bewusst gehalten und umfasst die Themen und Gegenstände, über die gesprochen wird. Die Sozialpsychologie legt die Annahme nahe, dass die uns umgebende Welt mit Bedeutungszuschreibungen geordnet wird und die Bedeutungen durch Interaktionen abgeglichen werden. Auch sie kennt das Phänomen stabil auftretender Handlungsabfolgen und spricht dann von (Ablauf-)Mustern, die regelmäßig mit typischen Handlungen und Handlungsfolgen verbunden auftreten. Für die kommunikationswissenschaftliche Fragestellung sind diese Beobachtungen relevant, weil sie Hinweise darauf geben, von welcher Art Erwartung Akteure im Normalfall ausgehen, wenn sie miteinander interagieren, und wie stabil damit verbundene Erwartungen faktisch sind. Bedeutsam ist ferner die Klärung, woran sie sich orientieren, wenn sie Annahmen bilden, und nach welchem Ablaufmuster sie effektiv agieren können. Diese Frage interessiert auch die digitale Kommunikation, wenn automatische Auskünfte gegeben werden sollen. Das Erkennen von gesellschaftlichen, systemisch wirksamen Umwelten bedeutet für das kommunikationswissenschaftliche Beobachten nicht, die Praktiken des Einzelnen nur als Reflex darauf zu analysieren. Das tatsächliche Verhalten des Einzelnen ist vielfältiger und wird nur bedingt durch die genannten Ansätze erklärt. Welches Aktionspotential dem Akteur zur Bewältigung seiner Umwelt zur Verfügung steht, hängt einerseits von seinem Wissen um systematische bzw. typische Handlungszusammenhänge ab, es wird aber auch von der Fähigkeit beeinflusst, welches strategische Potential ihm zur Verfügung steht, wie gut er mit Anderen, mit Themen, mit situativen Umständen ganz unterschiedlicher Art umgehen kann. Handlungstheorien wollen dem Verhalten einzelner auf die Spur kommen, indem sie aufzudecken und zu klären versuchen, auf welchem Weg der jeweilige Akteur zum Erfolg gelangt oder scheitert. So werden ihm Ziele und Motivlagen unterstellt, oder von einer besonderen Art der Umweltbearbeitung ausgegangen, indem er diese aufgrund von ihm akzeptierter Vorgaben deutet und Handlungskonsequenzen daraus ableitet. Der Charakter solcher Vorgaben wird von einzelnen Theorieansätzen unterschiedlich bewertet. Symbolische Umwelt Kommunikationskompetenz 14 K ommunIKatIon und w Issenschaft Interessant sind die Ansätze, die davon ausgehen, dass sich Handeln aus dem Augenblick heraus konstituiert und Ziel und Motiv erst im Nachhinein erkennbar werden. Damit wird eine Erfahrung beschrieben, die besonders in der Alltagskommunikation auftritt. Dieser Aspekt ist für die Kommunikationswissenschaft wichtig, weil er an ein Phänomen anschließt, das jeder kommunikativen Handlungsfolge inhärent ist. Ob der nächste Beitrag in einem Gespräch aus dem Bisherigen erklärt werden kann, ist grundsätzlich immer offen. Bei diffusen Gefühlslagen tritt vermehrt der Effekt ein, dass plötzlich etwas geäußert wird, was nicht zu passen scheint. Gesprächen haftet insofern immer das Gefühl an, mit Unerwartetem konfrontiert zu werden. Erklärung Die Kommunikationswissenschaft muss beobachten, wie Akteure miteinander umgehen, wenn sie etwas voneinander wollen, und wie sie sich beobachten, wenn sie gemeinsam etwas tun. Dieser Vorgang erschließt sich aber nicht aus sich selbst, denn, was beobachtet werden kann, hängt von Annahmen und Erwartungen ab, die wissenschaftlich durch die jeweilige Bezugstheorie getragen werden oder alltagspraktisch mit den sozialen Erfahrungen verbunden sind, die sich die Akteure erworben haben. Worauf zu achten ist, erweist sich als Strategie des erfolgreichen Kommunizieren. In der Kommunikationswissenschaft bietet eine Teildisziplin der Theologie und Philosophie dafür Anknüpfungspunkte: die Hermeneutik. Diese versucht zu klären, wie es Leser schaffen, Texten Bedeutung zuzuschreiben und wann und wodurch diese Zuschreibungen Gültigkeit beanspruchen können. Dem liegen Interpretationsprozeduren zugrunde, die Merkmale aus der Umwelt einbeziehen, beispielsweise die besonderen zeitlichen Verhältnisse der Entstehung. Was hat die Gesellschaft zu der Zeit bewegt, über welche Probleme hat sie diskutiert. Wenn Akteure miteinander sprechen, kann das Geäußerte wie ein Text gedeutet werden, der unter bestimmten Bedingungen entsteht. Dann lassen sich ihm Deutungen zuweisen und darüber diskutieren, welches Deutungsverhalten bei den Akteuren selbst vermutet werden kann. Es kann nach Deutungsmustern gesucht werden und ihre Verbindlichkeit im Hinblick auf den konkreten Fall und darüber hinaus. Ein Gesprächstext ist ein flüchtiges Ereignis. Er entsteht im Moment der zeitlichen Äußerung und vergeht im selben Augenblick. Seit es Aufzeichnungstechniken wie die Ton- und Videobandaufzeichnung gibt, lässt sich das Ereignis archivieren. Es kann dann als Aufzeichnung unabhängig von der Zeit angehört oder angesehen werden. Dabei hat sich eine wissenschaftliche Praxis herausgebildet, das Ereignis in ein Textformat zu transferieren. Es wird ein Transkript erarbeitet, weil es als Text verschiedenen Interpretationsansätzen zugänglich wird. Beobachtungsfeld 15 K ommunIKatIon und w Issenschaft s Ich eIner K ommunIKatIonswIssenschaft annähern Einheit 1 Ein anderer Weg ist das Dokumentieren dessen, was bei der Kommunikation geschieht. Ein solches Verfahren zwingt dazu, Kategorien dafür festzulegen, wie bestimmte Gegebenheiten im kommunikativen Geschehen erkannt und festgehalten werden können. Ihre Auswahl wird damit begründet, dass die Kategorien als signifikant für das Funktionieren von Kommunikation eingestuft werden. Das erlaubt Aussagen über die Häufigkeit und die Konfiguration ihres Auftretens. Diese Merkmale können Hinweise auf auffällige Verhaltensweisen geben. So lassen sich große Datenmengen bearbeiten. Zum Beispiel kann beobachtet werden, wie sich Zeitungstexte über längere Zeiträume hinweg verändern. Beherrschung von Kommunikation wird als eine Schlüsselqualifikation angesehen, für die sich ein eigener Markt entwickelt hat. Da der Lebensalltag unserer Gesellschaft von den unterschiedlichsten Kommunikationsaufgaben geprägt ist, ist die Individualberatung und -schulung entstanden. Zunehmend entwickelte sich ein Bewusstsein für Kommunikation und damit verbunden ist der Wunsch, das eigene kommunikative Verhalten zu optimieren und sich Techniken anzueignen, welche die eigene Kommunikation für bestimmte Zwecke kalkulierbarer machen sollen. Vielfältige Trainings und Coachings werden daher angeboten. Sie zielen darauf ab, als nachteilig bewertete Verhaltensformen im Umgang mit anderen abzubauen und Strategien der Selbstdarstellung zu entwickeln, denen mehr Erfolg bei der Kommunikation zugesprochen wird. Ferner wächst ständig die Nachfrage nach Kommunikationsberatung in Institutionen, bei Organisationen und zu Events. Gleichzeitig verändern sich die Formen der Kommunikation. Dabei geht es nicht nur um Fragen der inneren Kommunikation, sondern ebenso sehr um das Bild in der Öffentlichkeit, das Einrichtungen oder Ereignisse nach außen erzeugen, welches wiederum auf Kommunikation basiert. Fragen, ob die Selbstbilder und die tatsächlich beobachtbaren Images übereinstimmen und wie sie sich annähern lassen, gehören zu den Aufgaben der Beratung. Auch unerwartete Ereignisse, beispielsweise Naturkatastrophen oder Vorfälle bei Großveranstaltungen und ihre Konsequenzen, sind nicht mehr nur ein Thema für Psychologen, sondern gehören im Rahmen der Krisenbewältigung zum Arbeitsbereich von Kommunikationsfachleuten. Die empirische Wirksamkeit und vor allem die Nachhaltigkeit solcher Beratung können als ungeklärt angesehen werden. Brünner et al. (2002) verweisen in den Beiträgen darauf, dass Kommunikation komplexer als die Beherrschung einzelner Verhaltensmuster und das Einüben bestimmter Taktiken ist. Ferner gibt es Probleme mit der Erwartung, rasch und schnell eine hundertprozentig Lösung zu erhalten. Das zwingt die Berater zu einem Handeln, dessen Verankerung in theoretischen Kontexten nicht ohne weite- Kommunikationskompetenz Kommunikationsberatung 16 K ommunIKatIon und w Issenschaft res gegeben ist und damit nicht immer auf einer wissenschaftlichen Grundlage zustande kommt. In diesen Fällen ist die Kommunikationswissenschaft gefordert, Modelle zu entwickeln, deren wissenschaftliche Zuverlässigkeit nachgewiesen ist, die gleichzeitig aber praktische Anwendbarkeit ermöglichen. Die alternative Lösung könnte im Praktischen vermutet werden, d. h. der Berater verfügt über sehr umfassendes handlungspraktisches Wissen. Aber auch hier gilt, dass das praktische Wissen in Kontexte eingebunden ist, die erst in ihrer Inhaltlichkeit erkannt bzw. vermittelt werden müssen. Ein weiteres Beratungsfeld erschließt sich aus der rasanten Entwicklung neuer Kommunikationsformen im Internet. Es entsteht ein Medium, dessen Bedeutung für soziale Gemeinschaften noch völlig unzureichend erforscht ist. Diese neuen Kommunikationsformen beeinflussen unseren Alltag und fordern Reaktionen. Auch hier wird Beratung benötigt und ist Forschung gefordert. Weil das Phänomen Kommunikation komplex ist, d. h. ihm liegt ein Handeln zugrunde, dessen Entscheidungen immer wieder neu und anders getroffen werden können, ist die Entwicklung einer Kompetenz zur Kommunikation nicht auf das Erlernen und Trainieren von speziellen Skills zu beschränken. Kompetenz bildet sich heraus, wenn Raum für Erfahrungen in einer Vielfalt von Handlungsfeldern geboten wird und eine Fähigkeit zur Reflexion des kommunikativen Handelns besteht. Seine eigenen Praktiken reflektieren zu lernen, setzt bereits ein intensives Üben voraus und erweist sich als ein eigenständiges Handlungsfeld, in der Auseinandersetzung mit Kommunikation. Zusammenfassung Literatur Beck, Klaus (2017): Kommunikationswissenschaft. 5. überarbeitete Auflage. Konstanz, München, Konstanz, München: UVK Verlagsgesellschaft. Brünner, Gisela; Fiehler, Reinhard; Kindt, Walther (2002): Angewandte Diskursforschung. Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung. Höflich, Joachim R. (1996): Technisch vermittelte interpersonale Kommunikation. Grundlagen, organisatorische Medienverwendung, Konstitution 'elektronischer Gemeinschaften'. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwiss.; Imprint (Studien zur Kommunikationswissenschaft, 8). Höflich, Joachim R. (2016): Der Mensch und seine Medien. Mediatisierte interpersonale Kommunikation: eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS . Knape, Joachim (Hg.) (2005): Medienrhetorik. Tübingen: Attempto-Verlag. Krotz, Friedrich (2007): Mediatisierung Fallstudien zum Wandel von Kommunikation. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwiss. 1.5 17 K ommunIKatIon und w Issenschaft P roBlemstellung und f ragen Einheit 1 Lenke, Nils (1995): Grundlagen sprachlicher Kommunikation Mensch, Welt, Handeln, Sprache, Computer. München: Fink ( UTB ). Schmidt, Siegfried J.; Zurstiege, Guido (2000): Orientierung Kommunikationswissenschaft. Was sie kann, was sie will. Orig.-Ausg. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (Rowohlts Enzyklopädie, 55 618). Schulz von Thun, Friedemann (1982): Miteinander reden. Störungen und Klärungen; Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation. Orig.-Ausg., 16.-22. Tsd. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Strohner, Hans (2006): Kommunikation. Kognitive Grundlagen und praktische Anwendungen. [Vollst. überarb. und erw. Neuaufl.]. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Watzlawick, Paul (1969): Menschliche Kommunikation Formen, Störungen, Paradoxien. Bern u. a.: Huber. Wisssenschaftsrat (21. 05. 2007): Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Kommunikations- und Medienwissenschaften in Deutschland. Köln. Online verfügbar unter www.wissenschaftsrat.de/ download/ archiv/ 7901-07.pdf, zuletzt geprüft am 08. 03. 2017 Weiterführende Literatur Burkart, Roland; Hömberg, Walter (2015): Das Erkenntnisobjekt „Kommunikation“-- eine fachbezogene Auswahl universaler Kommunikationstheorien. In: Burkart, Roland; Hömberg, Walter (Hg.) (2015): Kommunikationstheorien. Ein Textbuch zur Einführung. 8., durchges. und akt. Aufl. 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Das Interesse an der Kommunikation ist gesellschaftlich sehr vielfältig. 1.6 18 K ommunIKatIon und w Issenschaft Es gibt deutliche Unterschiede bei den wissenschaftlichen Entwicklungen zwischen der USA und Deutschland. Welche können Sie benennen? Wo würden Sie den Standort Ihres Studiengangs sehen? (Vgl. 1.2) 4. Um Kommunikation verstehen zu lernen, bedarf es der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Wo werden gegenwärtig die zentralen Forschungsfelder gesehen und wie wird das begründet? (Vgl. 1.2) 5. Mit Kommunikation haben sich ganz unterschiedliche Fachdisziplinen auseinandergesetzt. Welche haben früh erkannt, wie wichtig Erkenntnisse über Kommunikation für den Einzelnen und die Gesellschaft sind? (Vgl. 1.3) 6. Wer sich mit Kommunikation befassen will, wird mit ganz unterschiedlichen Problemstellungen konfrontiert. Die Übersicht im Abschnitt 1.4 vermittelt einen ersten Eindruck davon. Wenn Sie Ihr gegenwärtiges Verständnis von Kommunikation dazu ins Verhältnis setzen, wo finden Sie Übereinstimmungen und wo Differenzen? (Vgl. 1.4) Kommunikation setzt Kommunizieren voraus - der Alltag der Kommunikation Inhalt 2.1 Der Gebrauch des Wortes Kommunikation 20 2.2 Kommunikation braucht Umgebungen 24 2.3 Kommunikation setzt Ordnung voraus 28 2.4 Kommunikation als Wissenschaft-- die Anfänge der Theoriebildung 34 2.5 Literatur 39 2.6 Problemstellung und Fragen 41 Kommunikation scheint allgegenwärtig, aber nicht alles, was so scheint, ist Kommunikation. Akteure nutzen alles Mögliche zur Kommunikation, ob und was davon kommunikativ wirksam wird, ist nicht ohne weiteres bestimmbar. Sie suchen nach Indizien für das, was Kommunikation sein kann. Selber verfügen sie über vielfältige Erfahrungen mit Situationen und Umgebungen, wo bestimmte Verhaltensformen regelmäßig zum Kommunizieren genutzt werden. Kommunikation ist ein komplexes Phänomen. Daher muss die Wissenschaft, die sich mit Kommunikation beschäftigt, einzelne Phänomene, wie beispielsweise das Signal und seine Übertragbarkeit, das Zeichen und seinen kulturellen Kontext, den Wechsel von Sprecher zu Sprecher oder die Gesellschaft als Ort des Kommunizierens, in den Griff bekommen. Überblick 19 K ommunIKatIon und w Issenschaft P roBlemstellung und f ragen Einheit 2 Kommunikation setzt Kommunizieren voraus - der Alltag der Kommunikation Inhalt 2.1 Der Gebrauch des Wortes Kommunikation 20 2.2 Kommunikation braucht Umgebungen 24 2.3 Kommunikation setzt Ordnung voraus 28 2.4 Kommunikation als Wissenschaft-- die Anfänge der Theoriebildung 34 2.5 Literatur 39 2.6 Problemstellung und Fragen 41 Kommunikation scheint allgegenwärtig, aber nicht alles, was so scheint, ist Kommunikation. Akteure nutzen alles Mögliche zur Kommunikation, ob und was davon kommunikativ wirksam wird, ist nicht ohne weiteres bestimmbar. Sie suchen nach Indizien für das, was Kommunikation sein kann. Selber verfügen sie über vielfältige Erfahrungen mit Situationen und Umgebungen, wo bestimmte Verhaltensformen regelmäßig zum Kommunizieren genutzt werden. Kommunikation ist ein komplexes Phänomen. Daher muss die Wissenschaft, die sich mit Kommunikation beschäftigt, einzelne Phänomene, wie beispielsweise das Signal und seine Übertragbarkeit, das Zeichen und seinen kulturellen Kontext, den Wechsel von Sprecher zu Sprecher oder die Gesellschaft als Ort des Kommunizierens, in den Griff bekommen. Überblick 20 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon Das Wort Kommunikation hat viele Bedeutungen. Um über Kommunikation sprechen zu können, muss daher immer geklärt werden, in welchem praktischen und theoretischen Handlungskontext darüber geredet werden soll. Die Alltagserfahrung konfrontiert den Handelnden mit vielfältigen Problemen. Die Wissenschaft greift auf diese nur sehr selektiv zu und beschreibt lediglich Teilaspekte Albert Einstein (1927) verweist auf die Schwierigkeit, mit der sich eine Wissenschaft konfrontiert sieht, wenn sie ihren Blick auf ein Phänomen ausrichtet. Aber vom prinzipiellen Standpunkt aus ist es ganz falsch eine Theorie nur auf beobachtbare Größen gründen zu wollen. Denn es ist ja in Wirklichkeit umgekehrt. Erst die Theorie entscheidet darüber, was man beobachten kann. Werner Heisenberg zitiert Einstein 1927 in: Heisenberg (1969, S. 85) Der Gebrauch des Wortes Kommunikation Was Kommunikation ist, weiß eigentlich jeder, was Kommunikation bedeutet, dazu kann jeder etwas sagen und irgendwas wird damit sicherlich auch erklärt. Der Wunsch nach einer grundsätzlichen Klärung macht indes wenig Sinn, denn das würde bedeuten, zu den von Faßler (Faßler 1997, S. 20) identifizierten 160 Definitionen weitere hinzuzufügen. Halten wir daher für uns fest: Kommunikation ist ein Phänomen, das uns allen vertraut ist und auf das wir mit dem Wort Kommunikation hinweisen. Eine Ausdifferenzierung der Begrifflichkeit wird im Verlauf und in Abhängigkeit zu den einzelnen Themen erfolgen. Kommunikation wird im allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstsein stark mit Sprache assoziiert. Das ist gewiss nicht falsch, trifft aber nur eine ihrer spezifischen Formen. Generell kann Kommunikation weiter gefasst werden, und spätestens seit den Arbeiten von Watzlawick (1969) und der Paolo Alto Gruppe Ende der 60er Jahre ist das in der wissenschaftlichen Diskussion auch geschehen. Intensiv wurden die körperbezogenen Ausdrucksformen unter dem Begriff der nonverbalen Kommunikation diskutiert. Eco (1977) öffnete als einer der ersten den Blick auch auf Bilder und ihre Kommunizierbarkeit. Um sich dem Phänomen der Kommunikation in einem ersten Schritt anzunähern, soll die Aufmerksamkeit einer kleinen 2.1 Umberto Eco (1932-2016) Abb. 2.2 Italienischer Schriftsteller, Kolumnist, Philosoph und Medienwissenschaftler, Schwerpunkt: Semiotik Manfred Faßler (* 1949) Abb. 2.1 Professor für Soziologie, Medienwissenschaftler, Schwerpunkte: Medienevolution und medienintegrierte Wissenskulturen 21 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon d er g eBrauch des w ortes K ommunIKatIon Einheit 2 Geschichte gelten. Die Erzählung entstand als Reaktion auf Überlegungen in der Sprachphilosophie, wo der Frage nachgegangen worden war, ob Kommunikation ohne Sprache überhaupt vorstellbar sei. Ein Vorspiel-- die Beerenfalle Jill und Jack kennen sich schon lange. Jill macht einen Waldspaziergang, als sie bemerkt, dass sie von Jack beobachtet wird. Sie weiß, dass Jack aus dem, was sie tun wird, jetzt seine Schlüsse ziehen wird. Sie steht vor einer Reihe von Sträuchern mit Beeren. Einige kann man essen, andere nicht. Sie weiß, dass sich Jack mit Beeren nicht auskennt, aber wie sie Brombeeren mag. Diese pflückt sie, um sie zu essen, und steckt auch einige in den Mund. Sie greift nur nach den Brombeeren an einem bestimmten Strauch. Sie tut damit zweierlei. Sie mag Beeren und pflückt sich diese, um sie zu essen. Da sie weiß, dass Jack sie beobachtet und er auch Beeren mag, aber keine Kenntnisse hat, welche giftig und welche nicht giftig sind, zeigt sie Jack mit ihrem Handeln, welche Beeren er pflücken und essen darf. Jack ist heimlich Jill gefolgt und glaubt, dass er nicht gesehen wird. Ihn interessiert, was Jill macht und wo sie hingeht. Dass sie Beeren pflückt, nimmt er mit besonderem Interesse wahr, weil er sich nicht traut, selbst welche zu pflücken, da er unsicher ist, welche essbar sind und welche nicht. Die Beobachtung von Jill, wo sie Beeren pflückt und welche sie dann isst, erlaubt ihm, daraus auf die Essbarkeit zu schließen. Nach einer Idee von Sperber und Wilson Die Szene für sich betrachtet hat zunächst einmal nichts Ungewöhnliches, außer dass sie nicht unbedingt typisch dafür ist, als Ausgangsszene für die Betrachtung von Kommunikation gewählt zu werden. Denn das, was wir gemeinhin mit dem Begriff Kommunikation verbinden, kommt hier auf den ersten Blick nicht vor. Eigentlich könnte man sogar meinen, die Szene sei ein Beispiel dafür, wie Kommunikation nicht funktioniert. Denn eine der beiden beteiligten Personen will von der anderen noch nicht einmal gesehen werden. Und doch werden wir erkennen, dass sich Schlüsselfragen der Kommunikation gerade aus dieser Episode herleiten lassen. An Kommunikation, darüber besteht kein Zweifel, sind wenigstens zwei beteiligt, und das ist auch Merkmale der Episode Paar-Struktur Deirdre Wilson (* 1941) Abb. 2.4 Britische Linguistin und Kognitionswissenschaftlerin, Schwerpunkte: linguistische Pragmatik, Relevanztheorie und Sprachphilosophie Dan Sperber (* 1942) Abb. 2.3 Französischer Anthropologe und Linguist, Schwerpunkte: Anthropologie und Relevanztheorie 22 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon hier der Fall. Es müssen nicht immer Individuen sein, die an der Kommunikation teilnehmen; denn es gibt viele Formen, bei denen eine Institution der Kommunikationspartner sein kann, wenn beispielsweise die Polizei mir mitteilt, dass ich mein Auto falsch geparkt habe. Auch stehen Institutionen oder Organisationen in kommunikativem Austausch miteinander, wenn die Einwohnermeldebehörde von Rostock bei der von Passau anfragt, ob ich dort gemeldet bin. Die zitierte Episode weist eine Besonderheit auf, denn Kommunikation lässt normalerweise erwarten, dass die daran Beteiligten etwas voneinander wollen und dass ihnen das auch im Normalfall bewusst ist. Zwar will Jill Jack etwas mitteilen und Jack möchte etwas erfahren, allerdings will er die Information unbemerkt und nur durch das Beobachten von Jill gewinnen. Dabei unterstellt er nicht, dass Jill ihm Informationen übermitteln will. Denn er will ja von Jill nicht gesehen werden, aber trotzdem wissen, was sie tut. Er informiert sich, nicht wissend, dass die Andere mit ihm „kommuniziert“. Erkennbar wird, dass das (Sich-)Informieren und das Jemandem-etwas-mitteilen eigenen Gebrauchsbedingungen unterliegen. Information ist nicht automatisch Kommunikation. Es scheint daher möglich, dass jemandem etwas mitgeteilt wird, ohne dass dieser eine Mitteilung erwartet. Trotzdem kann er von dem so Mitgeteilten profitieren, wie das Beispiel belegt. Des Weiteren fällt auf: Das Mitteilen selbst muss nicht durch einen expliziten Akt des Mitteilens erfolgen. Denn es wird nichts gesagt, was der Andere hören kann. Interessant ist nun aber beobachten zu können, dass auch Jills Beerenpflücken kommunikativ nutzbar ist. Denn Jill will ja Jack vor giftigen Beeren warnen bzw. ihm essbare zeigen. Ich kann also jemanden warnen, ohne dass ich ihm sage: Ich warne dich. Ferner kann ich jemanden darüber aufklären, was er darf oder nicht. Ein und dieselbe Handlung wird mehrfach und zu verschiedenen Zwecken genutzt, so dass man sagen kann: Nicht das Tun an sich ist kommunikativ, sondern die kommunikative Funktion erfolgt durch eine Zuschreibung der jeweils am Ereignis Beteiligten. Jill will mit ihrem Verhalten Jack warnen und ihm mitteilen, was er darf. Jack will wissen, welche Beeren essbar sind und welche nicht. Er sucht nach Informationen. Vertraut ist uns der Gedanke, dass eine Information bzw. eine Botschaft weitergegeben wird. Jill will Jack darüber informieren, wo er essbare Beeren findet. Überraschend ist hier eben das Wie. Die Voraussetzungen sind, dass Jack ein bestimmtes Verhalten beobachten kann und dass er daraus für sich Schlüsse zieht. Diese Schlüsse gehören zum Kalkül der beobachteten Person, denn sie will zeigen, welche Beeren essbar sind. Obwohl für den Rezipienten gar nicht offenkundig ist, dass ihm etwas mitgeteilt wird, kann ihm durch den Handelnden durchaus etwas mitgeteilt werden. Beide Akteure tei- Absichtsvolle Handlung 23 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon d er g eBrauch des w ortes K ommunIKatIon Einheit 2 len nämlich den Blick auf eine ihnen bekannte Wirklichkeit-- die Beeren-- und das Bedürfnis, von diesen zu essen. Ohne diese Gemeinsamkeit gelänge der Austausch über die Eigenschaften des Nahrungsmittels nicht. Nur weil Jill weiß, was Jack will, und Jack weiß, dass Jill etwas tut, was Jack auch für sich möchte, kann er dem Tun von Jill vertrauen. Aus Vorfindlichem auf etwas damit Gemeintes zu schließen, ist im Alltag nichts Ungewöhnliches. Im Gebirge ist es üblich, die Wanderwege mit Farbpunkten zu markieren. Wenn diese Markierungen nicht sorgfältig gepflegt werden, verwittern die Punkte und verlieren ihre Farbqualität, so dass sie wie natürliche Flecken eines Steins aussehen können. Wenn wir den Wanderweg nehmen wollen, suchen wir in der Umgebung des Weges an den Steinen oder Baumstämmen nach Farbflecken, von denen wir annehmen, dass sie dort jemand hingepinselt hat. Wenn wir unsicher sind, vergleichen wir die Form und Farbqualität mit der Struktur des Steines, auf dem wir den Flecken vermuten, und entschließen uns dann, ihn als Markierung zu akzeptieren oder als natürliche Erscheinung zu betrachten. Im ersten Fall folgen wir dem Kommunikationsangebot dessen, der die Markierung gelegt hat. Im zweiten Fall unterstellen wir, dass dieser Färbung keine kommunikative Funktion zugeschrieben werden kann. Der Erfolg der Kommunikation zwischen Jill und Jack basiert daher auf der Fähigkeit von beiden, aus Beobachtungen in ihrer Umwelt auf etwas zu schließen, was für sie von Belang ist. Die Episode erzählt davon, dass Jill mit ihrem Verhalten die Erwartung verbindet, Jack werde es wahrnehmen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Jack weiß davon nichts, macht sich aber die Beobachtung des Verhaltens von Jill zunutze und beseitigt so sein Informationsdefizit. Wer eine Wanderung in einem fremden Gebiet macht, orientiert sich an Wegmarken. Diese können natürlich sein, markante Gesteinsformationen beispielsweise. Üblich sind jedoch kommunikativ gesetzte Markierungen wie Farbpunkte. Kommunikation erweist sich als ein Ereignis, das auf Gegenseitigkeit abzielt, ohne sich dieser sicher sein zu können. Denn was Transferleistung Markierung eines Bergwanderweges Abb. 2.5 24 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon der Andere mit dem Angebot tun wird, hängt von seiner Befindlichkeit und den Umständen ab, in denen er sich gerade befindet. Dabei ist bedeutsam, dass jemand das in der Umwelt Vorgefundene nur so wahrnimmt, wie er es möchte oder kann. Kommunikation ist nicht einfach da, sondern sie wird von jemandem gesucht oder sie wird versucht. Das setzt jemanden voraus, der sich darauf einlassen kann und will. Es muss nicht unbedingt eine Person sein, sondern kann beispielsweise ebenso in der Form einer Behörde in Erscheinung treten. Der Vorgang kann als gelungen wahrgenommen werden, wenn die betroffenen Akteure herausfinden bzw. erkennen können, was es mit dem Kommunikationsversuch auf sich haben könnte. Erklärung Kommunikation braucht Umgebungen Um verstehen zu können, womit sich die Kommunikationswissenschaft beschäftigt und welche Probleme sie zu lösen hat, muss die besondere Rolle der Umwelt bzw. der Dinge, die uns umgeben, in Betracht gezogen werden und ebenso die Art, wie wir mit ihnen umgehen. Umwelt ist zuerst einmal der Wahrnehmungsraum eines jeden Einzelnen. Dieser Wahrnehmungsraum lässt sich formal als Datenmenge betrachten. Der Einzelne wird also mit einer Vielzahl von Daten konfrontiert, die zuerst einmal nur als strukturelle Daten existieren. 2.2 Hörsaal aus der Dozentenperspektive Abb. 2.5 25 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon K ommunIKatIon Braucht u mgeBungen Einheit 2 Wer zum ersten Mal einen Hörsaal betritt, findet alles Mögliche darin vor: Bänke und dazu gehörende Schreibflächen, einen Anstieg der Sitzreihen, eine breite Tafelwand vorne, links und rechts weiße Flächen für visuelle Präsentationen, an den Wänden Tafeln mit Schriftzeichen, Zeichen für Fluchtwege, Haken für Mäntel, leere Flaschen und liegen gelassene Papiere und anderes mehr. Das alles sind strukturelle Daten, die sich für ein Lebewesen wie einen Hund völlig anders als für einen Menschen darstellen würden. Wird der Raum vom Putzdienst aufgesucht, spielen leere Flaschen und weggeworfene Papiere eine andere Rolle als für Besucher, die am Tag der offenen Tür in den Hörsaal schauen. Lehrende und Studenten sehen diese Dinge unter Umständen gar nicht. Was in einem solchen Raum Bedeutung erlangt und welche Bedeutung es erlangt, hängt also davon ab, was derjenige, der den Raum wahrnimmt, mit ihm machen möchte bzw. wofür er ihn nutzen will. Erst wenn eine Vorstellung über die Nutzung vorhanden ist, können die vorgefundenen Daten näher bestimmt und verstanden werden, und es lassen sich ihnen Eigenschaften zuweisen, aufgrund derer sie dann als Bankreihe und Wandtafel erkannt und benannt werden können, wenn die Vorstellung Hörsaal die Wahrnehmung ordnet. Aus strukturellen werden die relevanten Daten. Hörsaal aus der Studentenperspektive Abb. 2.7 26 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon Wir sind im Alltag gewohnt, unbewusst und spontan auf Umgebungen zu reagieren. Zu Orientierungshandlungen kommt es erst dann, wenn sich die Umgebung mit den gewohnten Erwartungen nicht fassen lässt. Wir besichtigen eine Werft und werden in einen Schiffsrohbau geführt. Da sind wir von Metallplatten umgeben, die auf einzelne von uns wie bizarre Raumgebilde wirken, da fühlen wir uns verwirrt von Stiegen in höher gelegene Plateaus, die große runde Löcher enthalten. Jeder ordnet das, was er sieht, individuell. Der eine spricht von einem Schrottplatz, auf dem er sich befindet, der andere fühlt sich wie bei der Begehung einer modernen Skulptur, und wieder ein anderer sagt, er kenne sich überhaupt nicht aus und habe komplett die Orientierung verloren. Erst als uns der bauleitende Ingenieur erklärt, wir befänden uns im Bug-Teil des künftigen Schiffes, können wir den Formen und Flächen Eigenschaften zuweisen, die sie als Bug erkennbar machen. Das runde Loch wird als Öffnung nachvollziehbar, aus der die Ankerkette heruntergelassen wird. Bestimmte Bauteile lassen sich als Reling vermuten. Der uns angebotene Bezugshintergrund erlaubt es nun, den Daten Funktionen zuzuweisen. Besuch auf einer Werft - ein Beispiel Solche Bezugshintergründe ermöglichen das Verstehen unserer Umgebungen und das gilt nicht nur in physikalischer Hinsicht. Durch weitere Hinweise des Ingenieurs werden wir plötzlich fündig. Er macht uns nämlich auf kleine Markierungen an bestimmten Stellen der Platten aufmerksam, die bisher als Rostflecken oder Verschmutzung wahrgenommen worden waren. Die Platten werden nicht nur als Bauteile eines Schiffes erkennbar, sondern sie werden mit einem Mal „lesbar“; auch wenn wir das, was dort steht, nicht verstehen, so erkennen wir doch, dass es sich um Mitteilungen handelt, die von den Schweißern, wie uns der Bauleiter erklärt, als Anweisungen verstanden und insofern kommunikativ benutzt werden. Dieses Wissen eröffnet die Möglichkeit, etwas als kommunikativ nutzbare Daten von anderen Daten zu unterscheiden. Die Schweißer müssen die Daten als Markierung auf den Metallplatten erkennen und können sie deuten. Eine Vorbedingung für kommunikatives Handeln ist das Erkennen von Daten, die kommunikativ genutzt werden sollen. Daten nennen wir bis auf Weiteres alles, was in der Umwelt von einer Person selektiv wahrgenommen und zu einem bestimmten Zweck kognitiv verarbeitet wird. Um mehr über die Daten zu erfahren, ist daher grundsätzlich zu fragen, welche Bedingungen für solche Daten gelten, die kommunikativ verwendet werden sollen. Denn an der Episode in der Werft ist deutlich geworden: Daten müssen sich von anderen abheben, um überhaupt in das Aufmerksamkeitsfeld der Beteiligten treten zu können. Sie tun das nicht aus sich heraus, sondern erst dann, wenn wir ihnen einen Funktionszusammenhang zuordnen können, d. h. wenn es einen Bezugshintergrund gibt, Daten 27 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon K ommunIKatIon Braucht u mgeBungen Einheit 2 der sie für uns sichtbar und dann verarbeitbar macht. Dieser Vorgang wird intuitiv nachvollziehbar, wenn wir an sog. Vexierbilder denken, auf denen wir nicht ohne weiteres eine Figur erkennen und erst verschiedene Annahmen ausprobieren müssen, bis wir etwas gefunden haben, was als „ein Bild“ identifiziert wird, in dem sich die Einzelelemente aufgrund eines umfassenden Ganzen her verstehen lassen. Alles, was uns umgibt, kann daher zu relevanten Daten werden, wenn wir zu ihnen eine Position beziehen können und eine Einstellung ihnen gegenüber entwickeln. Solange diese unbestimmt bleiben, sprechen wir von strukturellen Daten. Diese existieren, ihnen sind jedoch noch keine Eigenschaften zugewiesen worden bzw. sie haben noch keine Funktion für uns. Um das Beispiel der Vexierbilder noch einmal aufzugreifen: Wir sehen auf einem Blatt viele graphische Elemente, Striche, schwarze Flecken, können sie aber nicht oder noch nicht weiterführend deuten. Wenn uns nun gesagt wird, es sei ein Spiegel abgebildet, suchen wir nach einer dafür geeigneten Gestalt. Das setzt voraus, dass uns Deutungshilfen verfügbar sind, durch welche im Wahrgenommenen das Gemeinsame und zugleich davon Unterscheidbare gesehen werden kann. Aus den verschiedenen graphischen Elementen erkenne ich eine Gestalt. Die Geräusche und das Stimmengewirr in einer Straßenbahn hindern nicht, das „Guten Morgen“ eines Arbeitskollegen zu erkennen, weil beide gemeinsam am Morgen zur Arbeit fahren. Wir sind ständig zum Handeln herausgefordert und können eigentlich gar nicht anders, als stets das, was uns umgibt, sofort „aufzuräumen“, ohne uns dessen bewusst zu sein, was wir genau tun. Dies wird immer wieder zum Problem unserer Alltagskommunikation werden, weil wir uns sehr schwer tun, anders zu denken, als wir es gewohnt sind. Eigentlich müssten wir immer auch die Möglichkeit des Anders-Denkens im Blick behalten, wenn wir mit einem Anderen kommunizieren. Denn er kann ja nur mit uns kommunikativ im Kontakt bleiben, wenn er mit der Umwelt so umgeht Vexierbild: Charles Allan Gilbert: All is vanity Abb. 2.8 28 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon wie wir. In der Regel begnügen wir uns aber mit der Annahme, der Andere denke schon wie wir. Um Kommunikation verorten zu können, brauchen die Akteure Daten aus ihrer Umwelt. Diese werden für sie räumlich und sozial sichtbar. Wollen sie miteinander kommunizieren, setzt das ein Gegenüber voraus, das möglichst auf dieselben Daten zugreift, wenn diese angesprochen werden, und sie auf eine möglichst ähnliche Weise sieht und verarbeitet. Je größer die Ähnlichkeit der Sichtweise und der Bearbeitung dieser Daten ist, umso wahrscheinlicher wird eine Kommunikation zwischen den Anwesenden und die Chance wächst, miteinander über dasselbe reden zu können. Erklärung Kommunikation setzt Ordnung voraus Dinge, die wir tun, sind niemals völlig identisch, wenn wir sie wiederholen. Typisch dafür ist die gesprochene Sprache. Ein und derselbe Satz, den wir mehrmals vorlesen, klingt jedes Mal etwas anders. Trotzdem würden wir den Inhalt des Satzes als identisch bezeichnen. Das kann sich ändern, wenn wir Phrasen im Satz anders betonen. Durch das Verschieben des Satzakzentes können wir etwas, was als Aussage formuliert ist, in eine Frage umwandeln. Es gibt somit eine Varianz. Der Umgang mit Varianz ist im Alltag etwas ganz Normales. Sie ist unproblematisch, wenn Regeln dafür sorgen, dass Überschreitungen dieser Varianz erkennbar sind. In der Phonologie ist z. B. das folgende Phänomen zu beobachten: Aus / bo: d ən / wird, wenn die Rundung im / o / zu schwach wird, / ba: d ən / , und das ist ein Wort mit einer ganz anderen Bedeutung. Wenn die Wortbedeutung eine andere wird, ist die Varianzgrenze überschritten. Pragmatisch kann aus einer Aussage, deren Merkmal der Satzakzent auf der zweiten Phrase ist, eine andere Sprechhandlung werden, wenn die letzte Phrase betont wird. Aus der Aussage wird eine Frage, und dies ist eine andere sprachliche Handlung. Die Prosodie stellt weitere Mittel zur Verfügung, um das pragmatische Potenzial auszudifferenzieren. Bei gleicher morphosyntaktischer Struktur kann die gleiche Satzphrase als Bitte oder Warnung wahrgenommen werden, wenn eine bestimmte Stimmführung beobachtet wird. Phrasenteile können mit Nachdruck gesprochen werden und verweisen dadurch auf einen Unterschied gegenüber der normalen Stimmführung. Auch diese Abweichung ist nutzbar, um eine andere Handlung anzuzeigen. Die Sprechakttheorie, wie sie von Austin (1962) und Searle (1971) entwickelt worden ist, hat versucht, Regeln zu formulieren, die das Erkennen solcher Varianzklassen erleichtern, indem sie Gebrauchsumstände benennen. 2.3 Ordnungen 29 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon K ommunIKatIon setzt o rdnung Voraus Einheit 2 Der Umgang mit Varianzen wird sicherer, wenn es hinreichend stabile Erwartungen gibt. Sie stehen im Zusammenhang mit den zur Verfügung stehenden Bezugsgrößen. Wenn es um das phonologische Wissen geht, kann aus dem / a/ ein / o/ herausgehört werden, weil in der Situation gerade nicht von Wasser die Rede ist, sondern über Pflanzen gesprochen wird. Das Wort „baden“ ist dann eher unwahrscheinlich, während sich „Boden“ mit dem Konzept „grüner Daumen“ verträgt. Wenn der Erzählton in einer Situation verlassen wird, der typisch für das Erzählen einer Alltagsepisode ist, kommt es im Hinblick auf den Phrasenakzent und die Stimmführung zu einer Äußerungsvarianz. Sie kann unter dem Aspekt von Appellgesten geprüft werden. Der Sprecher ist mit seiner Geschichte am Ende und nun kann der Andere seine vortragen oder beide verabschieden sich und leiten die Verabschiedungsgeste ein. Im Rahmen des Erfahrungswissens über das gemeinsame sprachliche Handeln wird geprüft, in welchem Sinne die aufgetretene Varianz genutzt werden kann. Um kommunizieren zu können, sind daher Annahmen über Ordnungen nötig, die gemeinsame Verhaltensweisen voraussehbar machen und regeln. 01 F Ist es schon eins? 02 A SCHAUT AUF SEINE UHR vier vor eins. Sprachhandlung : nach der Uhrzeit fragen Es liegen sprachliche Daten vor, die sich, bezogen auf ein linguistisches Bezugssystem, als Fragesatz und Antwortphrase identifizieren lassen. „Ist es schon eins? “ ist ein Fragesatz, „vier vor eins! “ eine Antwortphrase auf den Fragesatz. Die linguistische Ordnung besagt, dass laut Regel durch das Besetzen der Erstposition im Satz mit einem Verb eine Frageform erzeugt werden kann. Ist ist das Verb und steht an der ersten Position im Satz. Das Erfragte kann durch eine nominale Phrase sprachlich kodiert werden. Das geschieht mit der Formulierung vier vor eins. Die sprachlichen Daten zielen nun aber nicht nur auf die grammatische Ordnung des Deutschen ab. Diese wird implizit als wirksam unterstellt. Das Arrangieren der Daten nach den Regeln eines Fragesatzes folgt einem weiteren Bezugssystem. Der Fragende erwartet von dem Angesprochenen eine Antworthandlung. Das kann nur gelingen, wenn die sprachliche Ordnung dem Gefragten zur Verfügung steht. Diese allein reicht aber nicht aus, wenn er nicht auch über eine Ordnung von Sprechhandlungen Bescheid weiß. Ein in Frageform codierter sprachlicher Ausdruck kann auf die Sprachhandlung eines Informationswunsches abzielen. Der Angesprochene muss daher Kenntnisse über Konventionen haben, die ihm erklären, dass Daten genutzt werden können, um ein Informationsdefizit des Sprechers zu besei- Varietäten Episode 30 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon tigen, wenn der Gefragte über entsprechendes Wissen verfügt. Kann er auf dieses Wissen zurückgreifen, weil er eine Uhr mit sich führt, muss er auf diese schauen und ihre Anzeige erkennen können, außerdem muss er die sprachlichen Regeln kennen, um die Daten gemäß dieser Ordnung zu strukturieren. Der Umgang mit einer Sprachhandlung folgt aber nicht nur pragmatischen Ordnungen, die zu regeln versuchen, wie linguistische Daten einsetzbar sind, um Handlungseffekte zu erzielen. Die Daten werden in einen Raum der Interaktion von Individuen gestellt. Ein solcher existiert, weil es im physikalischen Raum Individuen gibt, die sich gemäß den von ihnen tolerierten sozialen Ordnungen miteinander arrangieren. Im vorliegenden Fall begegnen sich zwei Personen auf der Straße, einer geht auf den Anderen zu, spricht ihn an und erwartet eine Antwort. Das kann nur funktionieren, wenn es einen Bezugshintergrund gibt, der beiden hinreichend Hinweise darauf bietet, was sie tun können bzw. müssen und wie alles weitere zu deuten ist. Im konkreten Beispiel können sich die Individuen, die im öffentlichen Raum aufeinandertreffen, an der „Ordnung“ einen Fremden nach der Uhrzeit fragen orientieren. Denn für solche Situationen gibt es in unserem Kulturkreis gewisse Konventionen. Jemand Fremden nach der Uhrzeit zu fragen, ist im Alltag nichts Ungewöhnliches. So kann erwartet werden, dass es dafür auch ein entsprechendes Format gibt, das allgemein bekannt ist. Die in einer solchen Situation verwendbaren Formen werden allerdings konkret von den jeweiligen Umständen beeinflusst. Dabei kommt der Örtlichkeit eine besondere Rolle zu. Wenn zum Beispiel der Raum Schule und dort die Pausenhalle betrachtet wird, so handelt es sich um eine Örtlichkeit, wo zwar sehr viele Personen ein- und ausgehen, sich aber anders als auf einem Marktplatz viele gegenseitig kennen, wenn es Schüler und Lehrer sind. Wie sie sich in einem solchen Raum verhalten, ist daher bis zu einem gewissen Grad abschätzbar. Würde hingegen auf einem Markt nach der Uhrzeit gefragt, muss eine gänzlich fremde Person angesprochen werden und dieser Vorgang ist mit Formen verbunden, die den sozialen Umgang miteinander bewusster in den Blick rücken. Mit einem Fremden in Kontakt zu treten, erfordert ein weiterreichendes Wissen über mögliche Ausdrucksformen von Personen; wie sich der Angesprochene verhalten wird, ist weniger vorhersehbar als in der bekannten Umgebung Schule. Es ist auf alle Fälle mit einer größeren Varianz im Verhalten der Personen zu rechnen und die verschiedenen Formen müssen auf ihre kommunikative Tauglichkeit hin eingeschätzt werden. Das setzt eine breitere Kompetenz im Umgang mit anderen voraus, wenn diese für eine Kooperation gewonnen werden sollen. Feste Gebrauchsformate im öffentlichen Raum 31 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon K ommunIKatIon setzt o rdnung Voraus Einheit 2 Grundsätzlich gibt es eine „Ordnung für das Erfragen der Uhrzeit. In dieser ist geregelt, dass jede Person angesprochen werden darf, die auskunftsfähig erscheint. Wenn eine Person angesprochen wird, erfolgt das nach einem verhältnismäßig strengen Format der Daten. Es gibt Daten, die den Kontakt herstellen sollen; sie werden als Grußhandlung codiert, für die feste Redewendungen benutzt werden. Dann werden Daten genutzt, in denen um Entschuldigung für die Kontaktherstellung gebeten wird, was durch eine formelhafte Redewendung erfolgen kann. Das Motiv dafür ist darin begründet, dass im öffentlichen Raum nicht ohne weiteres fremde Personen angesprochen werden dürfen. Geschieht dies doch, besteht der Verdacht auf einen Akt der Unhöflichkeit oder sogar der Aggression. Eine solche Handlung wäre für das Anliegen, die Uhrzeit zu erfahren, kontraproduktiv. Es müssen deshalb Daten angeboten werden, welche die Handlung einer Bitte um Information zum Gegenstand haben und nach Möglichkeit dazu beitragen, den höflichen Umgang miteinander nicht in Gefahr zu bringen. Höflichkeit ist ein eigenes Verfahren, für das nach Brown und Levinson (1988) Datenformate zur Verfügung stehen, die dem Anderen gegenüber Respekt anzeigen sollen. Wenn nun unter diesen Bedingungen das Beispiel betrachtet wird, dann braucht es weitere Bezugsgrößen, um verstehen zu können, was dort geschieht. Denn die Äußerung 01 F „Ist es schon eins? “ wurde bisher nur als linguistische Daten, als Wörter und als eine Satzkonstruktion gelesen. Um als soziales Ereignis verstanden zu werden, müssen Raum und Zeit der Begegnung zweier Akteure als Daten mit ins Spiel gebracht werden. Außerdem müssen Daten über die Personen vorliegen, welche die Interaktion vollziehen. Diese Daten werden in einer Ordnung Uhrzeit erfragen bearbeitet und helfen, das Verhalten der Akteure zu interpretieren. Denn zuerst müssen beide akzeptieren, dass ein kognitives Defizit, wie das Nichtwissen der Uhrzeit, durch das Ansprechen eines Fremden behoben werden darf. Das Ansprechen bzw. Angesprochen-Werden von Personen, die sich nicht kennen, erfolgt in bestimmten Formaten des Umgangs miteinander, d. h. es gibt eine Reihe von entsprechenden Äußerungsformeln. Die verwendeten Daten sollen ein Verhalten ausdrücken, das geeignet ist, die Beziehung zum Anderen als akzeptabel erscheinen zu lassen. Stephen Curtis Levinson (1947): Britischer Sozialwissenschaftler, Schwerpunkte: Studien und Beziehungen zwischen Kultur, Sprache und Kognitionspsychologie Bezugskontexte Penelope Brown (* 1944) Abb. 2.9 Amerikanische anthropologische Linguistin, Schwerpunkt: Höflichkeitsforschung 32 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon Der Fragende muss durch die körperliche Distanz gegenüber dem Gefragten, die Körperhaltung und Bewegungen einzelner Körperteile, Kopf, Blick, Hände und Arme sowie die Wahl prosodischer Sprechmittel von diesem so wahrgenommen werden können, dass ein Kontakt zueinander als akzeptabel interpretiert werden kann. Erst wenn das gelingt, kann erwartet werden, dass sich der Andere darauf einlässt und eine Bitte um Information erkennt und zulässt. Besehen wir das Beispiel erneut und konstruieren konkrete Ausprägungen. Wir legen einen Akteur fest: Der Fragende ist ein junger Mann, der charmant wirkt, flott gekleidet ist und von seinem Habitus her zum Flirten aufgelegt erscheint, d. h. es gibt Daten im Bereich der Körperlichkeit der Person, die diese Effekte bei der potentiellen Kontaktperson auslösen können. Der Mann richtet seine Frage an eine junge Frau, die zu solchen Typen ein distanziertes Verhältnis hat. Mit dem Ansprechen der jungen Frau wird aus dem physikalischen ein sozialer Raum. In diesem entsteht eine Varianz gemäß der Ordnung nach der Uhrzeit fragen, die zugleich auch andere Bezugsordnungen zulässt. Die Daten, nach denen der junge Mann von der Frau „gelesen“ wird, weisen ihm Merkmale zu, die in ihr einen potentiellen, aber unerwünschten Sexualpartner sehen. Der Versuch einer Kontaktaufnahme wird so vorrangig im Rahmen der sexuellen Beziehungsordnung verarbeitet. Weil es in der Ordnung die Uhrzeit erfragen um das Überwinden eines kognitiven Defizits geht, wird dort das Verhalten als Bitte um Information gedeutet. Ist der Bezugshintergrund indes das Suchen eines Sexualpartners, erhalten die Daten den Handlungswert einer „Anmache“, d. h. dem Fragenden wird unterstellt, dass er ein konventionell akzeptiertes Handlungsmuster-- die Frage nach der Uhrzeit- - missbraucht, um den Kontakt zum anderen Geschlecht herzustellen. Ein anderer Fall tritt ein, wenn der Fragende eine junge Person und der Gefragte eine ältere ist. Die jüngere Person wirkt in ihrem Habitus sehr locker und lässig. Die ältere ist ein Herr, der die Jugend von heute als distanzlos und unerzogen empfindet. Das Erscheinungsbild des jungen Mannes löst bei ihm genau diese Vorstellungen aus und erzeugt dadurch eine Ordnung, in der das Verhalten des Gegenübers entsprechend bewertet wird. Die Daten „ist es schon eins? “, die in einem saloppen Ton vorgetragen wurden, werden zwar als konventionelle Ordnung der Bitte um eine Information erkannt, die Daten der Kontaktherstellung indes werden als Unhöflichkeit „gelesen“. Dies kann als Begründung dafür genommen werden, den Kontakt abzulehnen und so zu tun, als habe man nichts gehört. Die Wirksamkeit einer solchen Ordnung bleibt den Beteiligten in der Regel unbewusst, wenn etwas nicht so verläuft, wie es erwartet worden ist, entsteht Irritation. Varianten 33 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon K ommunIKatIon setzt o rdnung Voraus Einheit 2 Die Kommunikation selbst muss sich immer wieder dahingehend beobachten, was Daten sind und worauf sich diese beziehen. Die Beispiele sollen deutlich machen, wie die Akteure, die sich an bestimmten Bezugsgrößen orientieren, um sie kommunikativ zu nutzen, herausgefordert sind, Daten ihrer Umgebung ständig daraufhin zu prüfen, ob sie (noch) zu von ihnen genutzten Ordnungen passen. Ist das nicht mehr der Fall, muss eine Alternative gesucht werden, wenn der Abbruch der Kommunikation nicht riskiert werden soll. Der Satz vom Nicht-nicht-kommunizieren-Können Watzlawick (1969) stellt den Versuch dar, sich aus diesem Dilemma zu befreien. Es gibt aber auch eine andere Sicht auf diesen Sachverhalt. Luhmann (1984) spricht von der Unmöglichkeit der Kommunikation, denn die Akteure können sich nie sicher sein, wie das Gegenüber die Dinge sieht. Beide Aussagen, die sich auf den ersten Blick zu widersprechen scheinen, verweisen auf ein und dasselbe Phänomen. Kommunikation ist für die Beteiligten stets ein Risiko, weil die zu „lesenden“ Daten zu vielfältig sind, als dass immer vorhersehbar ist, welche vom Angesprochenen relevant gesetzt werden, und weil das Wie des „Lesens“ von vielen situativen Einflüssen abhängt, die ebenfalls nicht ohne weiteres berechenbar sind. Folgen die Betroffenen der „Strategie“ des Nicht-nicht-kommunizieren- Könnens, wird der Einzelne schnell überfordert. Gehen sie von der Unmöglichkeit der Kommunikation aus, müssen sie stark stereotype und ritualisierte Praktiken favorisieren, um Unsicherheiten auszuschließen. Das engt den Handlungsraum ein. Erklärung Wenn die Kommunikation eine ähnliche Sicht auf Daten voraussetzt, müssen die Akteure über Ordnungen von Daten verfügen, von denen sie annehmen dürfen, dass sie auch ihrem Gegenüber vertraut sind. Eine solche Unterstellung ist immer gewagt. Akteure müssen daher in das Sicherstellen und Absichern ihrer Annahme investieren, d. h. sie müssen herausfinden, ob der Andere sich wie erwartet verhält. Sind sie sich nicht sicher, müssen sie dem Gegenüber Hinweise auf eine mögliche und gemeinsame Ordnung geben. Diese finden sie beispielsweise in ihrer gemeinsamen physikalischen oder sozial definierten Umgebung. Orientierung 34 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon Kommunikation als Wissenschaft - die Anfänge der Theoriebildung Komplexe Phänomene, Kommunikation gehört dazu, zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht mithilfe einer einfachen kausalen Relation beschrieben werden können. Die das Phänomen bestimmenden Elemente sind in sich so heterogen, dass jeder Beobachter damit überfordert ist, sie als ein System zu identifizieren. Was er aber kann, ist sie genau beobachten und das, was er sieht, beschreiben sowie das Beschriebene analysieren. Durch die Arbeiten von Shannon und Weaver (1949) wurde Kommunikation erstmals zum Thema für die Wissenschaft und erhielt so eine theoretische Begründung. Shannon gelangen theoretisch begründete Erklärungen erst durch die Entwicklung seiner Signaltheorie. Seit den 1960er Jahren standen Beobachtungen zu Aspekten der Informationsverarbeitung im Mittelpunkt des Forschungsinteresses an der Kommunikation. Klaus (1973) und Klix (1971) setzen sich mit Themen zur Wirksamkeit von Signalen auseinander. Die Aufmerksamkeit galt vor allem elektrischen Signalen, denn sie sollten möglichst sicher Informationen von einem Ort zum anderen transportieren. Das setzte einen spezifischen Informationsbegriff voraus. Informationen sollten transporttauglich sein, d. h. sie müssen über weite Distanzen hin schnell und sicher versendet werden können. Sie dürfen beim Transport möglichst wenig beeinträchtigt werden, d. h. sie müssten so transformiert werden, dass äußere Einflüsse wie beispielsweise Stromschwankungen im Netz die Information nicht verändern. Diese Umwandlung erfolgte mithilfe eines Codes. Das Versendete wurde einer Verschlüsselung anvertraut, die dem Empfänger bekannt sein musste bzw. einem Gerät, das das Codierte in die ursprüngliche Form zurückübersetzt. Aus der Rezeption dieser Themenstellung entstanden eigenständige Wissenschaftsdisziplinen wie die Informatik und Kybernetik. Die dabei entwickelte Signaltheorie verwies auf neue Erklärungsmöglichkeiten und -zusammenhänge von Kommunikation. Sie wirkte weit über den technischen Bereich hinaus in die nicht-technischen Disziplinen wie die Psychologie oder Linguistik hinein. Auch hier erhielten die Begriffe Information und Codes einen zentralen und tragenden Stellenwert. Die Gruppe von Palo Alto um Paul Watzlawick (1969) beschäftigte sich mit dem Phänomen der Information im Rahmen ihrer psychotherapeuti- 2.4 Signaltheorie Klaus, Georg (1912-1974): Philosoph, Logiker, Kybernetiker an der Humboldt Universität zu Berlin und Akademie der Wissenschaften der DDR Klix, Friedhart (1927-2004): Professor der Psychologie und Kognitionstheoretiker an der Humboldt Universität zu Berlin Digitale und analoge Information 35 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon K ommunIKatIon als w Issenschaft - dIe a nfänge der t heorIeBIldung Einheit 2 schen Arbeit und unterschied zwischen zwei Informationsverarbeitungsweisen. Ein Signal kann einem stringenten Regelkanon folgend in Information überführt werden. Es kann zur Informationsentnahme verschiedenen Deutungspraktiken unterliegen. Im ersten Fall wird von der digitalen, im zweiten von der analogen Modalität gesprochen. Die Informationsentnahme aus sprachlichen Äußerungen folgt dem ersten, die bei der von Körperverhalten einer Person beispielsweise dem zweiten. Sprache basiert auf festen grammatischen und lexikalischen Regeln, nach denen die Bedeutung linguistisch erschlossen wird. Körperbewegungen und -haltungen unterliegen offenen und von Situationen beeinflussten Deutungsmustern. Ähnlich weitreichend ist ihr Vorschlag einer Unterscheidung zwischen einer Sach- und einer Beziehungsebene, wenn Personen miteinander interagieren. Die Akteure beobachten und finden Daten aus unterschiedlichen Bezugsfeldern. Es gibt zum einen das Gegenüber der Person und zum anderen das Feld, in dem Thema und Sachverhalte der Interaktion zugänglich gemacht werden. Eine weitere Sicht auf Zeichen entwickelte Morris (1938). Er schlug vor, drei Typen zu unterscheiden. Es gibt willkürlich festgelegte Zeichen, wie die Zeichen der Schrift. Zeichen können bildhaft sein, so dass aus ihrer Gestalt auf Gegenstände geschlossen wird, Ikons beispielsweise. Zeichen werden auch als Symptome für etwas sichtbar, Rauch lässt ein Feuer vermuten. Mit dieser Sicht auf Zeichen wurde eine eigenständige Disziplin, die Semiotik, angeregt. Ein anderes Problem beschäftigte die Psychologie in den 30er Jahren. Sie fragt nach dem Signalbegriff aus der Perspektive des Zeichens und seiner Nutzer. Wie interagieren Personen im Hinblick auf ein Zeichen, um zu Informationen zu gelangen. Bühler (1934) entwickelte ein eigenes Konzept das Organon-Modell. In diesem wird zwischen den Nutzern als Sender und Empfänger und dem Gegenstandsbereich unterschieden. Die drei Komponenten interagieren über das im Zentrum stehende Zeichen. Den Gebrauch desselben charakterisiert er als Ereignis, bei der der Sender mithilfe eines Ausdrucks, der auf Gegenstände verweist, an den Empfänger appelliert, sich auf das Ereignis einzulassen. Damit wird die Wirksamkeit von Zeichen durch das Zusammenspiel verschiedener Komponenten beschreibbar. Andere Wege ging die Sozialpsychologie. Wie kommt es, dass zwei Personen, wenn sie interagieren, aus den ihnen vorliegenden Daten dieselben Informationen erschließen. Die Lösung wird darin gesehen, dass das Erschließen von Information mit Fähigkeiten der Akteure erklärt wird, sich in den Anderen hineinversetzten und seine Reaktionen abschätzen zu können. Gesprochen wird von Reziprozität und Antizipation des Gegenübers. Mead und Morris (1934) verwies damit auf die Notwendigkeit, zwischen der eigenen und der Vorstellung des Anderen zu unterscheiden, indem gelernt Zeichentheorie Symbolischer Interaktionismus 36 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon wird, die Nähe zwischen beide abzuschätzen: Was begründet die Erwartung, dass mein Gegenüber das tut, was ich erwarte? Einen eher strukturell formalen Zugang zum Anderen wählten die Ethnomethodologen Scheggloff und Sacks (1973) indem sie den Wechsel zwischen den Sprechern beobachteten und nach Formen suchten, die ein regelhaftes Verhalten der Akteure ermöglichen und so einen geordneten Austausch der Sprecherbeiträge erwarten lassen. Das miteinander Reden setzt gewisse Rücksichtnahmen voraus, wenn das Geäußerte gemeinsam behandelt werden soll. Die Verhaltensmuster, die Kommunikation begleiten, haben darüber hinaus tiefer greifende Ursachen. Eine Gruppe von Soziologen suchte die Quelle für die Kommunikation nicht beim Einzelnen oder in der konkreten Interaktionssituation. Luhmann (1984) ging davon aus, dass soziale Wirklichkeit überhaupt erst durch Kommunikation möglich wird. Mitglieder der Gesellschaft sind auf sie angewiesen und agieren erst durch sie miteinander. Die Frage, die sich damit verbindet, lautet: Wann tritt Kommunikation im gesellschaftlichen Handeln auf und welchen Anspruch erhebt sie bzw. wird ihr zugeschrieben. Habermas (1984) glaubt, dass Akteure grundsätzlich zur Kommunikation fähig und bereit sind, weil Kommunikation der Weg ist, Geltungsansprüchen in der Gesellschaft zu verfolgen. Er stützt sich dabei auf die Ideen der Sprechakttheorie, die seit Austin (1962) zu klären versucht, wie aus sprachlichen Äußerungen ein Handeln im Umgang miteinander wird. Ethnomethodologie Soziologie Eisbergmodell Abb. 2.10 37 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon K ommunIKatIon als w Issenschaft - dIe a nfänge der t heorIeBIldung Einheit 2 Es zeigte sich aber, dass ein solcher Handlungszusammenhang nicht allein sprachlich erklärt werden kann. Die Theorie der Kooperationsmaximen von Grice (1975) veranschaulichte, wie Akteure aus dem, was ihnen gesagt wird, auf etwas dahinter Liegendes schließen und dass es dafür bestimmte Schlussverfahren gibt, um das nicht Gesagte mitverstehen zu können. Bildhaft wird auf dieses Phänomen in der Psychologie durch Ruch / Zimbardo (1974, S. 366-367) hingewiesen. Die Eisberg-Metapher soll zum Ausdruck bringen, dass das Dargebotene immer nur ein Teil von etwas Umfassenderen, aber nicht Sichtbaren ist. Den Handelnden ist nur ein geringer Anteil zugänglich, es wird von 20 % gesprochen. Der andere Rest bleibt vor- oder gar unbewusst. Die Linguistik der 70er Jahre entwickelte kein eigenes Konzept, um Kommunikation zu erklären. Sie schloss sich der Signalübertragungstheorie an. Vertreter der Soziolinguistik wie Bernstein (1973) oder Labov (1978) diskutierte Varietäten sprachlichen Verhaltens von Gruppen in der Gesellschaft und nutzte dazu den Begriff des Codes. Die Gruppen verwenden unterschiedliche Codes. Müssen Mitglieder dieser verschiedenen Gruppen miteinander kommunizieren, kommt es immer wieder zu Konflikten und dies belastet die Interaktion. Kommunikation setzt voraus, mit Bedeutungen umgehen zu können. Bedeutungen werden in den vorgestellten zeichentheoretischen Ansätzen mit den Zeichen verknüpft. Verbreitet ist eine monodirektionale Vorstellung, die besagt, das Zeichen selbst verfüge über die Kraft, auf etwas in der physikalischen oder mentalen Wirklichkeit zu verweisen. Der Zeichenbenutzer weiß um diese Verweisfunktion des jeweiligen Zeichens und verlässt sich darauf, dass die anderen dasselbe Wissen haben. Tatsächlich besitzen Zeichen eine solche ein-eindeutige Verweisfunktion nicht. Schon die Simulationen im Rahmen der Forschung zur Künstlichen Intelligenz in den 1970er Jahren, wie sie Wahlster (1979) diskutierte, zwangen zur Entwicklung der sog. Fuzzy Logic. Das ist eine Theorie, die sich mit der Vagheit sprachlicher Ausdrücke auseinander- Sprachphilosophie Bernstein, Basil (1924-2000): britischer Soziologe an der Universität London, Schwerpunkte: Sprachliche Code, diskutiert als Bernstein-Hypothese vom elaborierten und restringierten Code der Mittel- und Unterschicht Lingustik Wolfgang Wahlster (* 1953): Informatiker und theoretischer Linguist, Schwerpunkte: intelligente Benutzerschnittstellen und natürlichsprachliche Dialoge Fuzzy Logic William Labov (* 1927) Abb. 2.11 Amerikanischer Linguist, Schwerpunkte: Sprachwandel und Sprachvariation, Soziolinguistik 38 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon setzt und dies als Besonderheit natürlichen Sprechens nachweist. Nicht zufällig gewann der Begriff des Sprachspiels von Wittgenstein (1967) besondere Aufmerksamkeit, denn er verweist auf die gegenseitige Abhängigkeit von Zeichen und Zeichennutzern, die ihm seine Bedeutung erst im situativen Handeln zuzuschreiben erlauben. Offen geblieben ist das Wie. Kommunikation wird gerade aufgrund dieser Unbestimmtheit herausgefordert. Wenn der Komplexität der Verwendung von Zeichen Rechnung getragen wird, hat das Folgen für das Verständnis von Kommunikation. Die Akteure können sich nicht darauf verlassen, dass das, was sie äußern, von anderen auf dieselbe Weise verstanden wird. Sie sind deshalb gezwungen beobachten zu lernen, ob das, was der Andere tut, mit dem, was sie möchten, kompatibel ist. Gibt es Differenzen, kann Kommunikation diese bearbeiten. Baecker (2005) hat auf diesen Aspekt aufmerksam gemacht. Die Akteure kontrollieren jedoch nicht, ob der Angesprochene über ein identisches Weltwissen verfügt, sondern sie beobachten, an welchen Punkten gemeinsames Handeln scheitert oder gefährdet ist. Um das zu verhindern oder zu überwinden und die Beobachtungsgabe der Akteure zu schärfen, braucht es Erfahrungen mit Kommunikation. Ein Kind hebt eine verschmutzte Kirsche vom Boden auf und will sie in den Mund stecken. „Nein, das ist bäh! “ ruft die Mutter. Das Kind schaut verständnislos und will die Kirsche essen. Die Mutter nimmt sie dem Kind weg. Das Kind findet etwas, was es essen möchte. Der Hinweis, das nicht zu essen, wird nicht verstanden. Mutter und Kind können sich den Bedeutungszusammenhang essbare und nicht essbare Gegenstände noch nicht erklären. Dem Kind fehlen entsprechende Erfahrungen. Die Mutter interveniert durch ihr Eingreifen in das Handeln des Kindes, sie nimmt ihm die Kirsche weg. Reichertz (2009) verbindet daher die Frage nach der Kommunikation immer mit der nach der Macht. Denn versagt Kommunikation entsteht die Gefahr einer gewaltsamen Intervention, das Handlungsziel wird erzwungen. Wer kommunizieren will, muss sich daher immer auch fragen, was kann Kommunikation und was kann sie in dieser Situation nicht. Praxeologie Ludwig Josef Johann Wittgenstein (1889-1951) Abb. 2.12 War einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, Schwerpunkte: Philosophie der Logik, der Sprache und des Bewusstseins 39 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon l Iteratur Einheit 2 Kommunikation ist Gegenstand verschiedener Wissenschaftsdisziplinen. Sie wird zum ersten Mal in der Technik der Signalübermittlung greifbar. Die Idee, dass eine Botschaft übermittelt wird und dafür geeignete Bedingungen herrschen müssen, findet sich noch heute im Verständnis von Kommunikation wieder. Das steht in engem Zusammenhang mit der Vorstellung, Zeichen garantierten diesen Vermittlungsprozess, man müsse diese nur richtig gebrauchen. Damit wird aber die Komplexität kommunikativen Handelns völlig unterschätzt. Schon früh hatte die Sozialpsychologie dies erkannt und die Soziologie reagierte darauf, indem sie sich Gedanken darüber machte, in welchem operativen Zusammenhang Gesellschaft und Kommunikation zu verstehen sind, wenn Handlungen notwendig werden. Eine zentrale Frage für eine Kommunikationswissenschaft ist daher: Woher nimmt Kommunikation ihre Wirkmacht? Zusammenfassung Literatur Austin, John L. (1962): How to do things with words. Hg. v. James O. Urmson. Cambridge Mass. u. a.: Harvard Univ. Press (The William James lectures, 1955). Baecker, Dirk (2005): Form und Formen der Kommunikation. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Bernstein, Basil (1973): Studien zur sprachlichen Sozialisation. 2., durchges. Aufl. Düsseldorf: Schwann (Sprache und Lernen, 7). Brown, Penelope; Levinson, Stephen C. (1988): Politeness. Some universals in language usage. Reprint. Cambridge u. a.: Cambridge Univ. Press (Studies in interactional socio-linguistics, 4). Bühler, Karl (1934): Sprachtheorie die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena: Verlag Gustav Fischer. Eco, Umberto (1977): Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte. Dt. Erstausg., 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Faßler, Manfred (1997): Was ist Kommunikation? München: Fink ( UTB ) Grice, H. Paul (1975): Meaning. In: Philosophical Review 67. Habermas, Jürgen (1984): Theorie des kommunikativen Handelns. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Klaus, Georg (1973): Kybernetik und Gesellschaft. 3., neubearb. u. erw. Aufl. Berlin: Deutscher. Verlag der Wissenschaften. Klix, Friedhart (1971): Information und Verhalten. Kybernetische Aspekte der organismischen Informationsverarbeitung; Einführung in naturwissenschaftliche Grundlagen der allgemeinen Psychologie. 1. Aufl. Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften. Labov, William (1978): Sprache im sozialen Kontext Beschreibung und Erklärung struktureller und sozialer Bedeutung von Sprachvariation. Kronberg,Ts.: Scriptor Verlag. 2.5 40 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Mead, George Herbert; Morris, Charles William (1934): Mind, self & society. Chicago: Univ. Press. Morris, Charles W. (1938): Foundations of the theory of signs. Chicago u. a.: Univ. of Chicago Pr (International encyclopedia of unified science, 1, 2). Reichertz, Jo (2009): Kommunikationsmacht, was ist Kommunikation und was vermag sie? Und weshalb vermag sie das? 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwiss. Reichertz, Jo (2011): Kommunikation, Macht, Identität. Verlässlichkeit als Schlüsselkategorie kommunikativer Macht. In: Communicatio socialis: Zeitschrift für Medienethik und Kommunikation in Kirche und Gesellschaft 44 (1), S. 58-73. Online verfügbar unter http: / / ejournal.communicatio-socialis.de/ index.php/ cc/ article/ view/ 207. Ruch, Floyd L.; Zimbardo, Philip G. (1974): Lehrbuch der Psychologie. Eine Einführung für Studenten der Psychologie, Medizin und Pädagogik. Berlin, Heidelberg, s.l.: Springer Berlin Heidelberg. Online verfügbar unter http: / / dx.doi.org/ 10.1007/ 978- 3-662-08328-4. Scheggloff, Emanuel A.; Sacks, Harvey (1973): Opening up closings. In: Semiotica 7, S. 289-327. Searle, John R. (1971): Sprechakte ein sprachphilosophischer Essay. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Shannon, Claude Elwood; Weaver, Warren (1949): The mathematical theory of communication. 14. [print.]. Urbana Ill. u. a.: Univ. of Illinois Press. Sperber, Dan; Wilson, Deirdre (1994): Relevance. Communication and cognition. 1. publ., reprinted. Oxford u. a.: Blackwell. Wahlster, Wolfgang (1979): Implementing fuzziness in dialogue systems. Hamburg: Univ., Germanisches Seminar, Projektgruppe Simulation von Sprachverstehen (Bericht / Universität Hamburg, Projektgruppe Simulation von Sprachverstehen, 14). Watzlawick, Paul (1969): Menschliche Kommunikation Formen, Störungen, Paradoxien. Bern u. a.: Huber. Wittgenstein, Ludwig (1967): Philosophische Untersuchungen. Frankfurt (Main): Suhrkamp Verlag. Weiterführende Literatur Hömberg, Walter (2012): Einführung in die Kommunikationswissenschaft (Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Teil 1). Online verfügbar unter http: / / dx.doi. org/ 10.1515/ 9783111612485. Keller, Reiner; Knoblauch, Hubert; Reichertz, Jo (2013): Kommunikativer Konstruktivismus. Theoretische und empirische Arbeiten zu einem neuen wissenssoziologischen Ansatz. Wiesbaden: Springer VS . Merten, Klaus (2007): Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Münster, Hamburg: LIT -Verl. (Aktuelle Medien- und Kommunikationsforschung, 1) Reichertz, Jo (2010): Der Goffmensch beim Tanken. Eine kommunikationswissenschaft- 41 K ommunIKatIon setzt K ommunIzIeren Voraus - der a lltag der K ommunIKatIon P roBlemstellung und f ragen Einheit 2 liche Betrachtung. In: Honer, Anne (Hg.): Fragile Sozialität. Inszenierungen, Sinnwelten, Existenzbastler; Ronald Hitzler zum 60. Geburtstag. Unter Mitarbeit von Ronald Hitzler. 1. Aufl. Wiesbaden: Gabler. S. 49-58. Reichertz, Jo; Wilz, Sylvia Marlene (2015): Kommunikatives Handeln und Situation Oder: Über die Notwendigkeit, die Situation wieder zu entdecken. In: Brosziewski, Achim; Maeder, Christoph; Nentwich, Julia (Hg.): Vom Sinn der Soziologie. Festschrift für Thomas S. Eberle. Unter Mitarbeit von Thomas S. Eberle. Wiesbaden: Springer VS , S. 37-49. Online verfügbar unter http: / / dx.doi.org/ 10.1007/ 978-3-658- 09094-4 Problemstellung und Fragen 1. Es gibt eine Reihe von Begriffen, die für das Beobachten von Kommunikation zentral sind. Welche Begriffe rücken Sie ins Zentrum und warum halten Sie sie für wichtig? 2. Was erklären die Begriffe im Hinblick auf die Kommunikation? Welche Bedeutung spielen sie im Kontext der wissenschaftlichen Diskussion zu? Warum ist nicht alles Kommunikation? (Vgl. 2.1) 3. Jeder hat ein Bild von dem, was für ihn Kommunikation bedeutet. Welche Vorstellungen bestimmen Ihr Bild von Kommunikation? Aus welcher Quelle entstammt das Wissen darüber? Was sind die zentralen Annahmen dieser Wissensquelle? Was unterscheidet sie von dem bisher über Kommunikation Gelesenen? (Vgl. 2.1) 4. Wenn wir mit anderen reden, geschieht das in Räumen. Was bedeutet ein solcher Raum für das Verstehen von Kommunikation? Der Supermarkt? Der Seminarraum? Ein Cafe? Mein Wohnzimmer? Woher nehmen wir unser Wissen über diese Räume, woran machen wir die Angemessenheit unseres Verhaltens fest, wenn wir in diesen Räumen kommunikativ agieren? (Vgl. 2.2) 5. Wenn Sie im Supermarkt eingekauft haben, müssen Sie an einer Kasse zahlen. Wodurch wird sichergestellt, dass die Kommunikation dort möglichst konfliktfrei verlaufen kann? Wann kommt es dennoch zu Irritationen und wie wird mit solchen Störungen verfahren? Welche Art von Störungen sind möglich? (Vgl. 2.3) 6. Die Entwicklung einer Theorie über die Kommunikation erfolgte aus der Sicht ganz unterschiedlicher Fachdisziplinen. Keines der Konzepte kann Kommunikation in ihrer Komplexität erfassen. Was meint die Informatik, wenn sie von Kommunikation redet? Was die Sozialpsychologie? Was die Soziologie? Was die Semiotik? (Vgl. 2.4) 2.6 Information und Nachricht - Zeichen im Kontext Inhalt 3.1 Nachricht und Nachrichtenverarbeitung 44 3.2 Daten und die Welt der Zeichen 47 3.3 Der Gebrauch der Zeichen 53 3.4 Andere Zeichenhintergründe 56 3.5 Literatur 61 3.6 Problemstellung und Fragen 62 Der erste Versuch einer Kommunikationstheorie war eine Theorie über den Umgang mit Nachrichten. Dafür bedurfte es übertragungstauglicher Daten sowie Sender- und Empfängersysteme, die mit dem Übertragenen umgehen konnten. Denn die Daten mussten für die Übertragung in ein Medium übersetzt werden, das die Daten von Ort a zu Ort b zu transportieren ermöglichte, und das dem Empfänger eine Zurückübersetzung erlaubt. Das war ein technisches Problem bei der Entwicklung des Telefons. Es ist aber ein grundsätzliches Problem zwischen Organismen, die Daten austauschen wollen. Denn das Übertragungsproblem ist nicht nur ein physikalisches Ereignis, sondern es ist immer auch ein semantisches, d. h. mit den Daten werden aufseiten des Sendersystems Informationen verbunden, die das Empfängersystem für sich im Sinn der Information nutzen soll. Das setzt Systeme voraus, die in der Lage sind, solche Daten zu erkennen und auf eine erwartbare Weise zu nutzen. In Abhängigkeit zu den Bedürfnissen der Systeme bilden sich Praktiken der Übertragung heraus. Das beginnt im Pflanzenreich, ist bekannt aus der Welt der Tiere und entwickelt sich ständig unter Menschen weiter. Überblick 43 P roBlemstellung und f ragen Einheit 3 Information und Nachricht - Zeichen im Kontext Inhalt 3.1 Nachricht und Nachrichtenverarbeitung 44 3.2 Daten und die Welt der Zeichen 47 3.3 Der Gebrauch der Zeichen 53 3.4 Andere Zeichenhintergründe 56 3.5 Literatur 61 3.6 Problemstellung und Fragen 62 Der erste Versuch einer Kommunikationstheorie war eine Theorie über den Umgang mit Nachrichten. Dafür bedurfte es übertragungstauglicher Daten sowie Sender- und Empfängersysteme, die mit dem Übertragenen umgehen konnten. Denn die Daten mussten für die Übertragung in ein Medium übersetzt werden, das die Daten von Ort a zu Ort b zu transportieren ermöglichte, und das dem Empfänger eine Zurückübersetzung erlaubt. Das war ein technisches Problem bei der Entwicklung des Telefons. Es ist aber ein grundsätzliches Problem zwischen Organismen, die Daten austauschen wollen. Denn das Übertragungsproblem ist nicht nur ein physikalisches Ereignis, sondern es ist immer auch ein semantisches, d. h. mit den Daten werden aufseiten des Sendersystems Informationen verbunden, die das Empfängersystem für sich im Sinn der Information nutzen soll. Das setzt Systeme voraus, die in der Lage sind, solche Daten zu erkennen und auf eine erwartbare Weise zu nutzen. In Abhängigkeit zu den Bedürfnissen der Systeme bilden sich Praktiken der Übertragung heraus. Das beginnt im Pflanzenreich, ist bekannt aus der Welt der Tiere und entwickelt sich ständig unter Menschen weiter. Überblick 44 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext Nachricht und Nachrichtenverarbeitung Der Fachausdruck Nachricht wurde durch die Arbeiten von Shannon und Weaver ins Zentrum der Kommunikationstheorie gerückt. Shannon und Weaver (1949) beschäftigten sich mit der Frage, wie es möglich ist, dass ein Empfänger etwas Gesendetes verstehen kann. Dazu entwickelten sie ein Modell, das zu klären versucht, was geschieht, wenn zwischen zwei Systemen- - Sender und Hörer können dabei auch technische Geräte sein- - Daten ausgetauscht werden. In solchen Situationen sind Übermittlungsschwierigkeiten nicht unwahrscheinlich. Bei der Übertragung von Daten geht es darum, wie sichergestellt werden kann, dass die Ursprungsdaten des Senders nicht verzerrt werden oder verloren gehen, wenn sie in verschiedene übertragungstaugliche Formate umgewandelt werden. Ein physikalisches Lautereignis kann im Format von elektrischen Daten transportiert werden, d. h. es braucht Regeln für eine solche Umformung. Die zweite Schwierigkeit besteht darin, dass die ursprünglichen Daten (wieder-)erkannt werden müssen. Dafür bedarf es einer Einheit, welche die gesendeten Daten zurück in ein physikalisches Lautereignis übersetzt. Es entsteht ein System, das aus Einheiten besteht, die bestimmte Funktionen übernehmen wie die des Sendens, Übertragens und Empfangens. Eine Funktionseinheit eines solchen Systems kann beispielsweise ein technisches Gerät sein, das über eine Technik verfügt, Daten, die eingehen, physikalische Lautwellen beispielsweise, mithilfe bestimmter mechanischer Verfahren wie Membranen in elektrische Signale umzuwandeln. Um jemanden ansprechen zu können, braucht es einen Kanal über den dieser technisch erreicht werden kann. Damit die so versendeten Daten genutzt werden können, setzt das eine Empfangsstation voraus, die die empfangenen Daten erkennt und in ein Format übersetzt, das der so Angesprochene für seine Arbeit nutzen kann. Solche Vorgänge lassen sich auch im organischen Bereich beobachten, wenn Organismen biochemische Daten wahrnehmen und aufgrund dessen darüber entscheiden, ob und wann eine Zellversorgung möglich ist. Das dahinterstehende Modell zeigt sich auch, wenn über gesellschaftliche Vorgänge gesprochen wird, die auf einem gegenseitigen Datenaustausch beru- 3.1 Daten-Verarbeitung Warren Weaver (1894-1978) Abb. 3.2 US-amerikanischer Mathematiker und Vater der maschinellen Übersetzung. Zusammen mit Claude Shannon war er der Begründer der Informationstheorie. Claude Shannon (1916-2001) Abb. 3.1 US-amerikanischer Mathematiker und Elektrotechniker. Er gilt als Begründer der Informationstheorie, Schwerpunkt: mathematische Modelle der Kommunikation 45 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext n achrIcht und n achrIchtenVerarBeItung Einheit 3 hen, der Regeln folgt, auf die sich gemeinsames Handeln stützt und untereinander vergleichbare Schlüsse aus der Bearbeitung der Daten erwarten lässt. Wenn Daten zur kommunikativen Nutzung übergeben werden, müssen Sender und Empfänger abschätzen können, ob die Daten von der angesprochenen Funktionseinheit Empfänger überhaupt verarbeitet werden können und eine entsprechende Technik vorhanden ist, die das erlaubt, bzw. wenn eine solche verfügbar ist, ob die Verarbeitung im gewünschten Sinn wahrscheinlich ist. Die Funktionseinheit Empfänger könnte so konstruiert sein, dass sie unvollständige Daten autonom korrigiert. Wörter, die fragmentarisch übermittelt wurden, werden lexikalisch vervollständigt. Dabei kann es dazu kommen, dass Wörter falsch rekonstruiert werden und der Angesprochene zu Schlüssen veranlasst wird, die so nicht intendiert waren. In der Kommunikationswissenschaft wird zwischen einer Nachricht und einer Information unterschieden. Daten werden als Nachricht wahrgenommen, wenn der Empfänger das Sendeereignis bestätigt. Ihm wurde etwas von einer Funktionseinheit Sender mitgeteilt. Diese Mitteilung, das Erkennen von Daten als eine Nachricht, muss sich im nächsten Schritt der Bearbeitung bewähren. Nur wenn die Funktionseinheit Empfänger über einen Verarbeitungskontext verfügt, der die Nachricht für sie lesbar macht, kann eine Information erschlossen werden. Erklärung Die Funktionseinheit Empfänger gleicht zum Beispiel die eingehenden Daten mit einem Wörterbuch einer Sprache ab und kann zwischen Wörtern und nicht Wörtern unterscheiden. Sie schließt aus der Nachricht auf lexikalische Informationen. Dabei kann sie feststellen, ob das Wort bekannt oder neu ist. In Abhängigkeit zu den vorhandenen Nachrichten, und den damit im Lexikon bereits enthaltenen Wörtern, ist dann feststellbar, welche Rolle die Nachricht im gewählten Konzept Wörterbuch spielt. Wenn sie bereits vorhanden ist, kann ihr ein Wert zugewiesen werden. Wird Neues erwartet, würde die Nachricht als gering bzw. mit dem Wert Null eingestuft. Denn sie bestätigt nur den Nachrichtenbestand in seinem bereits bestehenden Zustand. Erst wenn eine Nachricht die Funktionseinheit erweitert, wird die Information als höherwertig eingestuft ansonsten ist sie eine Bestätigung. Wer jemanden nach dem Weg fragt und Auskunft bekommt, erhält vom Angesprochenen Daten, die er als Nachricht wahrnehmen kann. Diese lässt sich im Hinblick auf ihren Informationswert aber erst abschätzen, wenn er als Angesprochener ihr einen Kontext zugeordnet hat, der eine Bewertung erlaubt. Der Kontext ist eine Wegauskunft. Enthält die Nachricht nichts, was für den Fragenden neu im Hinblick auf den Weg ist, bleibt sie wertlos. Die Nachricht ist für ihn dann keine Information. Nachricht 46 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext Wenn etwas als Daten wahrgenommen wird, kann derjenige, der sie wahrnimmt, einen Sender unterstellen. Ob das immer der Fall ist, kann offen bleiben. Denn eine Funktionseinheit kann auch Nachrichten aus ihrer Umwelt aufnehmen, die nicht von einem Sender stammen, zum Beispiel, wenn jemand in seiner Umwelt etwas ihm bisher Unbekanntes entdeckt und damit sein bestehendes Wissen und seine Erfahrungen erweitert. Auf einer Wanderung sieht er eine Pflanze, die in dieser Umgebung eigentlich nicht vorkommt. Das Gesehene ist in diesem Fall eine Nachricht, die für ihn zu einer Information wird. Es wird zu einer Information, weil der Betrachter einen Kontext zur Verfügung hat, in dem er es als etwas Neues einordnen kann. Es gibt aber keinen Sender. Das Ereignis ist nicht kommunikativ begründet. Es handelt sich um einen kognitiven Vorgang. Nicht alles, was als Daten in der Umwelt zur Verfügung steht, lässt sich unter Akteuren kommunikativ motivierend nutzen. Die Funktionseinheit Sender muss bei der Auswahl seiner Daten abschätzen können, ob die Funktionseinheit Hörer die Daten erkennt, welche als Träger für eine Information aus der Sicht des Senders genutzt werden sollen. Das erfolgreiche Senden einer Nachricht setzt also Erfahrungen im Umgang mit Daten und den potentiellen Adressaten voraus. Erklärung Zu Beginn steht die Auswahl dessen, was inhaltlich gesendet werden soll. Das Ausgewählte muss mindestens einem Datentyp anvertraut werden, der sich so verbreiten lässt, dass er den Anderen erreicht. Ein Gedanke, der weitergegeben werden soll, muss in der Regel sprachlich erfasst werden. Das Gedankenkonstrukt wird dann lexikalisch und grammatisch ausformuliert. So entstehen transferierbare sprachliche Daten. Wenn die Funktionseinheit Empfänger mit der entsprechenden Sprachkenntnis ausgestattet ist, hat er eine Chance, aus dem so Vermittelten Informationen zu erschließen. Sprache ist ein zentrales Verbreitungsmedium. Es gibt Lauteinheiten, die so strukturiert sind, dass sie in ihrer Funktion von denen, die sie hören, erkannt werden. Aus der Menge von Geräusch-Daten werden die sprachlichen herausgehört. Ähnlich verhält es sich, wenn Papierblätter vorliegen, auf denen Linien und Punkte zu sehen sind. Werden sie als Schrift erkannt, lassen sich im europäischen Umfeld Buchstaben von Daten unterscheiden, die durch Verunreinigungen des Papiers entstanden sind. Ein Verbreitungsmedium funktioniert, wenn es Daten von einem Ort an einen anderen transferieren kann und wenn die Funktionseinheit Sender und Empfänger über Kontexte verfügen, die darin eine Nachricht erkennen, die sie zu den gleichen Informationen führen. Verbreitungsmedium 47 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext d aten und dIe w elt der z eIchen : I ndex , I Kon , s ymBol Einheit 3 Eine Nachricht kommunikativ zu bearbeiten, bedeutet bei der beschriebenen Sichtweise, die Daten zu identifizieren, die für das Erschließen einer Information relevant sind. Relevanz bedeutet für die Funktionseinheiten Sender und Empfänger, über Kontexte zu verfügen, die das Wahrgenommene den Akteuren zu deuten erlauben. Das setzt Technik voraus, die das leistet, wenn der Akteur eine Maschine ist, oder es bedarf Wissen und Erfahrung, die menschliche Akteure in ihrer kommunikativen Umwelt erworben haben. Kommunikation lässt sich als ein Übermittlungsereignis beschreiben. Zwischen den Funktionseinheiten Sender und Empfänger werden Daten über lokale Distanzen hinweg ausgetauscht. Das setzt voraus, dass die Daten vom Empfänger erkannt werden. Sender und Empfänger müssen sich unterstellen können, dass sie über Kontexte verfügen, die die Daten für sie im Sinne einer Information interpretierbar machen. Erklärung Daten und die Welt der Zeichen: Index, Ikon, Symbol Die Intensität unseres kommunikativen Handelns sowie die Sicherheit im gemeinsamen Handeln stehen im Zusammenhang mit der Entdeckung, dass Zeichensysteme es dem Menschen erlauben, Wissens- und Erfahrungsbestände nicht nur kognitiv zu verarbeiten, sondern auch kommunikativ zu verbreiten. Die Tierforschung belegte in den vergangenen Jahren, dass Tiere durchaus über elaborierte kognitive Modelle verfügen, die ihnen eine informative Orientierung in der Welt ermöglichen. Dieser Umstand ist aber nur bedingt aufzuklären, weil eine Kommunikation darüber mit ihnen nicht möglich ist. Interessant ist ein Bericht über den Papagei Alex. Pepperberg (2009) berichtet darüber, dass dem Tier die Bedeutung von einzelnen Wörtern vermittelt werden konnte. Es war imstande, Resultate einfacher Rechenoperationen als richtig oder falsch zu kommentieren, wenn ihm Ergebniszahlen zu bestimmten Aufgaben vorgelegt wurden. Dabei wurde offenkundig, dass es über so etwas wie einen Zahlenbzw. Mengenbegriff verfügt. Bisher beherrschte es aber kein bedeutungsgebundenes Zeichensystem, so dass die Rechenfähigkeit verborgen geblieben war. Dinge in der Welt sind sprachunabhängig erkennbar und erlauben es dem Individuum, eigenständige Vorstellungen über die Welt auszubilden. Ob sie kommunizierbar sind, ist damit aber noch keineswegs geklärt. Die Forschung zum Papagei erregte Aufmerksamkeit, weil bisher nur von Primaten bekannt war, dass diese trainiert werden können Zeichen zu benut- 3.2 Tierkommunikation 48 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext zen, die wir im Umgang mit ihnen dann als kommunikationstaugliche Daten nutzen. Sie werden z. B. trainiert bunte Plättchen mit Klassen von Nahrungsmitteln zu assoziieren, sodass sie diese mittels Plättchen identifizieren können. Auch einfache Handlungen werden markiert und sind dann mit den Objekten verbindbar, so dass syntaktische Effekte entstehen, die als einfache Sätze lesbar sind. Die Tiere lernen mit einem bestimmten Datentyp, bunte Plättchen, umzugehen. Die jeweilig genutzten Artefakte werden mit Klassen von Objekten und Handlungen aus der Umwelt der Tiere fest assoziiert. Diese Fähigkeit ist kommunikativ nutzbar, weil zwischen Tier und Mensch ein Kontext besteht, der aus den Artefaktdaten eine Nachricht erzeugt, die gegenseitig als Hinweis auf Objekte und Handlungen lesbar und zu Informationen für die Beteiligten werden. Diese künstlich erzeugten Daten übernehmen dann die Funktion von dem, was als Zeichen wahrgenommen wird. Kognition und Kommunikation sind unterschiedliche Aktivitäten und zugleich bedingen sie sich, weil etwas Erkanntes bedeutsam wird, wenn es von anderen anerkannt wird. Das geschieht durch Kommunikation. Erklärung Für den Menschen spielen Zeichen eine wichtige Rolle, wenn es um das Erkennen von Dingen in der Welt geht. Anders als im Tierreich nutzen wir intensiv Zeichen, um Erkenntnisse über uns und die Welt weiterzugeben. Nicht zufällig wird unsere Gesellschaft als Informationsgesellschaft bezeichnet. Dieser Begriff bringt die Besonderheit zum Ausdruck, dass wir unsere Welt in ganz hohem Maße aufgrund von Nachrichten wahrnehmen und sie uns auf diese Weise informationell zugänglich machen. Das ist nur möglich, weil es ein ausdifferenziertes und allgemein anerkanntes System von Zeichen gibt. Eine eigene Forschungsdisziplin widmet sich daher der Frage, was Zeichen sind, wie ihre Funktionen erklärt werden können und welche Reichweite ihnen im Gebrauch zugewiesen werden kann. Der Begriff Semiotik taucht erstmals in der antiken griechischen Medizin auf und wurde dort auf die Lehre von Kennzeichen bezogen. Damit waren die Symptome gemeint, die bei einzelnen Krankheiten auftreten. Das heutige Verständnis, bei dem Zeichen und Denken in Zusammenhang gebracht werden, ist erstmals bei John Locke 1690 (1976, 443) nachzuweisen. Er dachte darüber nach, wie wir aufgrund von Zeichen Dinge in der Welt sehen, ordnen und Wissen darüber ausbilden. In die Diskussion der Sprachwissenschaft wurde der Terminus Semiotik erstmals Zeichengebrauch John Locke (1632-1704) Abb. 3.3 Englischer Philosoph und Vordenker der Aufklärung, Schwerpunkte: Hauptvertreter des britischen Empirismus, Vertragstheoretiker im frühen Zeitalter der Aufklärung 49 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext d aten und dIe w elt der z eIchen : I ndex , I Kon , s ymBol Einheit 3 durch Saussure (1931) eingebracht und fand dort sogleich große Beachtung. Charles Sanders Peirce gilt als einer der wichtigen Mitbegründer der modernen Zeichentheorie. Seine Konzepte von Zeichen gehen davon aus, dass unser Denken immer in Zeichen erfolgen muss. Den Grund dafür sieht Peirce in dem Umstand, dass ein Gedanke stets auf andere Gedanken verweist und dass dies objektbezogen erfolgen muss. Peirce selbst kommentiert den Vorgang so: „Ein Zeichen, oder Repräsentamen, ist etwas, das für jeden in einer gewissen Hinsicht oder Fähigkeit für etwas steht. Es richtet sich an jemanden, d. h. es erzeugt im Bewusstsein jener Person ein äquivalentes oder vielleicht ein weiterentwickeltes Zeichen. Das Zeichen, welches es erzeugt, nenne ich den Interpretanten des ersten Zeichens. Das Zeichen steht für etwas, sein Objekt. Es steht für das Objekt nicht in jeder Hinsicht, sondern in Bezug auf eine Art von Idee, die ich manchmal den Grund des Repräsentamen genannt habe.“ (Peirce CP 2, 228) In der Zeichendefinition von Peirce ist ein Zeichen zuerst einmal ein beliebiges Etwas; das bedeutet, alle Daten können zeichentauglich sein und alles kann zum Zeichen gemacht werden. Im Spiel von Kindern lässt sich das leicht beobachten, wenn sie z. B. mit einer Streichholzschachtel den Flug ins Weltall bewältigen und im Anschluss daran dieselbe Schachtel als das Auto des Vaters in eine Parklücke manövrieren. Zeichen so zu sehen bedeutet sie funktional zu verstehen. Peirces Theorie basiert auf einem solchen Konzept. Das Zeichen (=-Repräsentamen) steht in einem Verhältnis zu dem Etwas, das ein Objekt oder die Idee davon (=-Interpretant) ist. Formal können wir sagen: Wenn x ein Datum ist und als Zeichen benutzt werden soll, dann ist das möglich, wenn ich als Zeichenbenutzer dieses x im Hinblick auf eine Ordnung deute. Diese muss anderen bekannt sein, so dass ein Objekt gemeinsam identifiziert werden kann. Wir machen eine Wanderung und entdecken eine Einkerbung in einem Felsgestein. Was diese Einkerbung bedeutet, hängt nun davon ab, ob wir einen Kontext finden, der eine Deutung zu begründen erlaubt. Die Einkerbung kann durch die Verwitterung des Steins erfolgt sein. Sie kann aber auch ein künstliches Produkt sein, weil ihre Form in der Natur so nicht zu erwarten ist. Wenn Letzteres angenommen wird, können Vermutungen darüber Beispiel Ferdinand de Saussure (1857-1913) Abb. 3.4 Schweizer Sprachwissenschaftler, Professor für Geschichte und indo-europäischen Sprachvergleich, Schwerpunkte: Strukturen der Sprache und Semiotik Charles Sanders Peirce (1839-1914) Abb. 3.5 Amerikanischer Mathematiker und Philosoph, Schwerpunkte: Logik, Semiotik, Sprachwissenschaft, Philosophie und Ökonomie 50 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext angestellt werden, was diese Einkerbung bedeutet. Die Frage lautet dann, auf welche Ordnung sie verweist. Die Einkerbung kann auf eine Ordnung hinweisen, in der bestimmte Formen der Einkerbung eine Wegführung anzeigen; es handelt sich dann um ein Wegzeichen. Möglich ist ebenfalls, dass die Einkerbung zur Ordnung der Runen (Schriftzeichen der Germanen) gehört. Innerhalb einer solchen Ordnung wäre dann zu klären, was das Runenzeichen an dieser Stelle ausdrücken sollte. Denkbar ist aber auch, dass ein Liebespaar die Namen der Partner mit einem Zeichen verewigt hat. Nach Peirce ( CP 2, 308) entstehen Zeichen nur im Bewusstsein eines Interpreten, der die Relationen zwischen drei Einheiten herstellt, ein triadisches Zeichen-Modell. Das Repräsentamen ist das konkrete Zeichen und „Vehikel zum Ziel“. Es stellt ein Hilfsmittel dar, um an etwas heranzukommen. Der Terminus Repräsentamen bezeichnet einerseits das Zeichen in Relation zum Interpretanten, andererseits wird der Ausdruck regelmäßig verwendet, wenn es um das Zeichen als Zeichenkörper geht, welches auch „Datum“ genannt wird. Für das funktionale Verständnis ist die Beziehung des Zeichens zum Interpretanten grundlegend. Dabei hebt Peirce mehrfach hervor, dass nichts als Zeichen fungieren kann, was nicht als ein solches erkannt wird. Dieser Vorgang des Erkennens erzeugt eine Ambivalenz, denn Interpretant und Zeichenbedeutung geraten in ein Verhältnis der gegenseitigen Abhängigkeit. Das hängt mit Peirces Vorstellung zusammen, das Zeichen selbst löse Effekte bei dem aus, der das Zeichen nutzt. Wer ein wissenschaftliches Buch liest, erlebt immer wieder, wie sich für ihn im Verlauf des Lesens Wörter in ihrer Begrifflichkeit verändern. Der Leser passt dann sein Verständnis immer wieder neu dem erreichten Erkenntnisstand an. Eine Konsequenz daraus ist: Es gibt kein Zeichen an sich. Es gibt ein Zeichen nur, wenn es einer bestimmten Ordnung bzw. einem dazu passenden Kontext zugeschrieben werden kann. Ein Datum kann nur als Zeichen benutzt werden, wenn den Benutzern eine Ordnung zur Verfügung steht, welche das Datum als zu einer Sorte von Daten zugehörig identifizierbar macht. Es bedarf eines bestimmten Nutzungskontexts. Wir müssen also zuerst den Nutzungskontext suchen, in den wir die Zeichen einordnen können. Linien auf einer Fläche werden als Buchstaben identifizierbar, wenn sie im Kontext von Sprache beobachtet werden. Wenn ich ein „x“ als Datum sehe Repräsentamen Triadisches Zeichen, Quelle: Nöth (2000, S. 140) Abb. 3.6 Zeichenmodelle 51 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext d aten und dIe w elt der z eIchen : I ndex , I Kon , s ymBol Einheit 3 und es zum Buchstaben erkläre, verfüge ich über die Ordnung von Buchstaben und kann dem „x“ die Bedeutung von „x“ zuschreiben, d. h. ich sehe in ihm den drittletzten Buchstaben des lateinischen Alphabets. „x“ kann aber auch das Kreuz auf dem Lottoschein sein; dann ist es ein Markierungssignal, die entsprechende Zahl gilt für das Spiel als gesetzt. Somit wird immer erst das zum Zeichen, was vom Rezipienten dazu gemacht wird bzw. gemacht werden kann. In kommunikativen Zusammenhängen muss gesichert sein, dass es wenigstens ein zweites Individuum gibt, das diesen Zusammenhang herstellen kann. Damit besitzt der Zeichenbegriff eine nutzerunabhängige Wertigkeit. Die kommunikative Tauglichkeit hängt davon ab, ob die Nutzer sicher sein können, dass die Zeichen auf dem Hintergrund sehr ähnlicher Kontexte gelesen werden. Nur wenn das der Fall ist, können sie kommunizieren ohne die Kommunikation selbst in Frage stellen zu müssen. Im Alltag wird dieser Zusammenhang oft vernachlässigt, weil der Zeichengebrauch nicht reflektiert, sondern automatisch vollzogen und als selbstverständlich betrachtet wird. Peirce beschreibt drei Typen von Interpretanten. Es gibt den unmittelbaren Interpretanten, bei dem das Zeichen unvermittelt emotional auf sein Bewusstsein einwirkt. Als typisch für eine solche Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung zitiert Peirce das Hören von Musik. Davon unterscheidet er die energetische Verarbeitung. In diesem Fall verarbeitet der Interpretant das Zeichen durch Handeln und kognitive Arbeitsleistungen. Diese Funktionsweise wirkt in das interaktive Verstehen der Zeichen unmittelbar hinein. Er besucht ein Theater, geht in Ausstellungen oder macht Sport. Die dritte Form findet sich in der logischen, normalen bzw. finalen Verarbeitung. Das Repräsentamen wird hier aufgrund bestimmter Denkgewohnheiten verarbeitet, die bei einzelnen Interpretanten bestehen. Es kann zu Veränderungen der Denkgewohnheiten kommen, wenn sich im Objektbereich entsprechende Modifikationen vollziehen. Grundsätzlich werden drei verschiedene Typen von Repräsentamen unterschieden. Es gibt Indices, sie werden auch als Indikatoren bezeichnet, die einen konkreten Bezug zu einem singulären Objekt organisieren. Der Index bzw. Indikator verweist darauf, ohne dabei einen Effekt, z. B. die Ähnlichkeit des Zeichens zum Objekt, zuhilfe zu nehmen. Der Hinweis erfolgt unvermittelt. Wenn wir Rauch sehen, vermuten wir, dass es ein Feuer gibt, und so verweist der Rauch indirekt auf das Feuer. Eine Geste mithilfe des ausgestreckten Fingers wird als Zeigen auf etwas verstanden. Wir können dem Finger in die angezeigte Richtung bis hin zu einem Objekt folgen und sehen in der Menge möglicher Bezugsobjekte das, worauf der Finger zeigt. Typen von Interpretanten Typen von Repräsentanten 52 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext Von den Indikatoren unterscheidet Peirce solche Bezugnahmen, in denen das Zeichen eine Ähnlichkeit simuliert. Er spricht dann von Ikonen. Typisch dafür sind Bilder. Wir erkennen im Abgebildeten aufgrund seiner Gestalt etwas, was wir durch unser Wissen über die Welt als Objekt identifizieren können. Auf diesen Zeichentyp wird gerne zurückgegriffen, wenn sprachunabhängig Informationen gegeben werden sollen. Bei den olympischen Spielen 1972 in München wurden solche Ikonen entwickelt, welche Hinweise auf die verschiedenen Sportarten boten sowie zur Orientierung an öffentlichen Plätzen genutzt wurden. Ganz selbstverständlich ist dort das Bildzeichen für den Fluchtweg geworden. Der „Leser“ erschließt sich aufgrund der erkannten Gestalt und der Zuordnung eines mitgedachten Handlungszusammenhangs, was gemeint sein könnte. Die Grenzen dieses Zeichentyps wurden bei den Symbolzeichen der Windows-Programme erkennbar, wo die Ikonen nicht mehr ohne weiteres Handlungszusammenhänge ausdrücken konnten, weil die anzuzeigenden Inhalte zu spezifisch sind. Ein Ikon zur Wahl der Sprache oder zum Abzählen der Wörter funktioniert nur, wenn es sprachlich ergänzt wird. Die arbiträr angelegten Zeichen klassifiziert Peirce als Symbole. Sie können nur funktionieren, wenn der Benutzer aufgrund speziellen Wissens über den Gebrauch des Zeichens von der Zeichengestalt her eine Beziehung über das vorgestellte zum vorfindlichen Objekt herstellen kann. Das setzt einen konventionell angelegten Gebrauch voraus, so dass Nutzer aufgrund des Zeichens auf dasselbe Objekt schließen können, wenn sie die Konventionen kennen, die an den Zeichengebrauch geknüpft sind. Sprache ist dafür das typische Beispiel und die verschiedenen Buchstaben oder Buchstabiersysteme als Morse- oder Flaggenalphabet. Zeichen leben von der Interpretationsleistung ihrer Benutzer. Diese müssen über Wissen und Erfahrungen im Umgang mit kommunikativen Situationen verfügen, welche ihnen erst die Möglichkeiten geben, aus Datenkonstellationen auf mögliche damit verbundene Zeichen schließen zu lernen. Wissenschaftlich ist der Zugang schwierig, weil faktisch sehr viele Daten mit unterschiedlicher Qualität im Spiel sind, die keineswegs in ihren Details und ihrer Wirkung erklärt werden können, vorausgesetzt sie werden überhaupt bewusst wahrgenommen. Die Herausforderung besteht zu klären, wie aus der vielfältigen Varietät kommunikativ gemeinsames Handeln arrangiert wird. Erklärung Piktogramm / Ikon Abb. 3.7 53 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext d er g eBrauch der z eIchen Einheit 3 Der Gebrauch der Zeichen Das Besondere an Peirce Zeichendarstellung ist, dass er Zeichen nicht als etwas für sich Gegebenes begreift. Er entwickelte einen dynamischen Zeichenbegriff: Der Nutzer von Zeichen muss Daten, die er vorfindet, in ihrem Zeichencharakter erkennen. Geschwärzte Stellen auf einem Blatt müssen als Buchstaben, Buchstaben als Wörter, Wörter als Sätze und Sätze als Text interpretiert werden. Das Zeichen ist dabei immer ein Ergebnis eines Adaptionsprozesses, bei dem auf dem Hintergrund von Index, Ikon oder Symbol nach passenden Kontexten des Gebrauchs gesucht worden ist. Findet der Akteur einen solchen, kann er die Zeichen lesen und deuten, wobei er ständig herausgefordert ist zu prüfen, ob die gefundene Lesart und Deutung dem erarbeiteten Kontext standhält. Der Akteur wird so permanent mit dem Problem konfrontiert, die sich ihm auftuenden Ordnungen und möglichen Kontexte zu harmonisieren und zu koordinieren. Denn die Offenheit dessen, was als Zeichen erkannt wird, sichert einerseits die Dynamik und Flexibilität im Umgang mit Zeichen, schafft aber andererseits Unsicherheitspotential. Ein gutes Beispiel dafür ist der Umgang mit individuellen Handschriften. Der Zeichennutzer kann nach Peirce das Repräsentamen als Rhema, Dicent und als Argument gebrauchen. Auf diese Weise versucht Peirce, Ordnungen zu charakterisieren, wie sie vor allem durch das Zeichensystem der Sprache nahegelegt werden. Deren Wirkmächtigkeit besteht darin, dass sie Objekte, oder allgemeiner formuliert, Entitäten der tatsächlichen oder gedachten Wirklichkeit benennen kann. Dafür werden in der Regel Wortphrasen benutzt. Die Sprache stellt ferner verbale Mittel zur Verfügung, mit denen Eigenschaften und Relationen bezeichnet werden können. So ist es möglich, Objekte zu klassifizieren, zueinander in Beziehung zu setzen und auf diese Weise Ereignisse und Sachverhalte zu besprechen. Wir können mit sprachlichen Ausdrücken direkt auf Gegenstände hinweisen, sie zeigen und sie uns so verfügbar machen. Sprache erlaubt eine Referenzialisierung und eine Prädikation. Die Prädikation ist ein Akt der Zuschreibung von Eigenschaften, mit denen die Gegenstände charakterisiert werden. Prädikationen können nun aber von den Sprachnutzern aufgrund ihrer Sicht auf die Dinge unterschiedlich bewertet werden, sodass es die Möglichkeit zu ihrer Überprüfung geben muss. Rhema bezeichnet im Griechischen das Wort. Das Repräsentamen tritt dann als das einzelne Wort in Erscheinung. Es wird gebraucht, um den Bezug zu Objekten zu arrangieren, das geschieht oft durch Nominalphrasen, um Hinweise auf Referenzpunkte in der vorzustellenden Wirklichkeit zu geben. Peter schenkt seiner Schwester eine Blume. Die Wörter Peter, Schwester, Blume 3.3 Repräsentamen Referenz und Prädikation Rhema 54 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext lösen Suchvorgänge aus, wir versuchen in einer vorfindlichen oder gedachten Welt Referenzpunkte für sie zu finden. Der Begriff Dicent leitet sich vom Verb dicere her und bezeichnet Reden. Peirce charakterisiert damit den Umstand, dass durch Äußerungen ein Reden über etwas tatsächlich Existierendes möglich ist. Die Referenzpunkte gewinnen für die Akteure erst Bedeutung, wenn sie auf etwas hin ausgerichtet für die Akteure Sinn erzeugen. Das Dicent oft als Verb realisiert erfüllt diesen Zweck, indem es tatsächliche oder gedachte Objekte in einen bestimmten Zusammenhang rückt und einen Wirklichkeitsanspruch damit verbindet. Der Satz Peter schenkt seiner Schwester Blumen. beinhaltet: Es gibt Peter und er hat eine Schwester und verfügt zum Zeitpunkt der Äußerung über Blumen, und die Blumen werden von Peter an die Schwester gereicht, so dass diese in den Besitz von Peters Schwester gelangen. Mit dem Einbezug der argumentativen Ordnung geht Peirce über die Prädikation hinaus, denn einer Prädikation kann widersprochen werden. Geschieht das, bedarf es einer Bewertungsmöglichkeit. Mit dem Argument wird das Repräsentamen zur Möglichkeit, die dann die innere Logik und verknüpfte Wahrheitsansprüche verbindet. Wenn eine Prädikation als Argument gedeutet wird, folgt sie einer neuen Ordnung. Betrachten wir die Äußerung: Peter schenkt seiner Schwester Blumen. Sie war so unglücklich. In ihr ist Peter jemand, der seiner Schwester etwas schenkt, und es gibt die Schwester von Peter, die zu diesem Zeitpunkt unglücklich ist. Beide Prädikationen können in ein logisches Verhältnis zueinander gebracht werden. Peter schenkt etwas, weil die andere Person unglücklich ist oder er schenkt etwas, damit die Beschenkte glücklich wird. Um über Dinge miteinander reden zu können, nutzen wir Sprache. Sie erlaubt Aussagen über Gedachtes oder Vorfindliches und stellt dafür sprachliche Mittel zur Verfügung. Kommunikation wird sichtbar, wenn gegen die Aussagen Einspruch erhoben wird. Ein Dialog eröffnet sich und schafft einen Raum gegenseitiger Erfahrung. Erklärung Die Ideen der Zeichentheorie von Peirce stehen nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Entwicklung von Kommunikationstheorien. Im Zuge der Aufarbeitung seiner Schriften wurde aber die Dialogizität von Zeichen als ein wichtiges Element für eine Kommunikationstheorie erkannt. Dialogizität beginnt nämlich nicht erst mit der Kommunikation zwischen Sender und Empfänger, sondern setzt bereits mit der präkommunikativen Semiose ein. Bevor wir kommunikativ handeln, sprechen wir quasi probeweise zu uns selbst, um die Wirksamkeit der kommunikativen Handlung zu testen, denn Dicent Argument Selbstvergewisserung des Zeichengebrauchs 55 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext d er g eBrauch der z eIchen Einheit 3 „[…] eine Person ist nicht völlig ein Individuum. Seine Gedanken sind das, was es sich selbst sagt, d. h. was es jenem anderen Selbst sagt, welches im Fluss der Zeit gerade in Erscheinung tritt.“ (Peirce CP, 421) Im Alltag erleben wir immer, dass einem ein Wort begegnet, das man zwar zu kennen glaubt, bei dem man aber unsicher ist, ob es nicht auch andere Bedeutungen haben könnte. Entsprechend wird nach Gebrauchssituationen gesucht, in denen sich eine andere Lesart finden lässt. Wir versichern uns unseres Verstehens einer Sache, indem wir mithilfe der Zeichen unsere Erfahrungen prüfen, wie mit den Zeichen auch alternativ umgegangen werden könnte und ob es einen optimaleren Handlungskontext gibt. Die ständige Benutzung von Zeichen schafft unter den Nutzern gemeinsame Hintergrunderfahrungen, sodass beim Auftreten bestimmter Zeichen feststellbar ist, ob diese zu den den Nutzern bereits bekannten Bezugsgrößen passen oder nicht. Peirce beschreibt das Phänomen mit der Bemerkung, der Interpret habe es mit einer „Nachkopie dieses kopierten Fetzens“ zu tun und müsse wissen, wo genau in seinem Panorama des universellen Lebens er diese einfügen könne. (Peirce Mikrofilm 318, 194-195) Verstehenshorizonte greifen zu kurz, wenn sie nicht mit anderen geteilt werden. Deshalb fordert Peirce vom Interpretanten, dass er nicht nur kognitiv seinen Standpunkt bestimmt, sondern zu klären versucht, was der Mit- Interpretant denken könnte. Erst im Zusammenspiel beider Positionen wird Kommunikation möglich. Denn das, was ich verstehe, wird kommunikativ nur dann relevant, wenn die Voraussetzung dafür geschaffen ist, dass der Andere etwas ganz ähnlich wie ich verstehen kann. Ein Sprecher beobachtet sich dahingehend selbst, wie das von ihm Geäußerte im Zusammenspiel mit Anderen funktioniert hat und weiterhin funktionieren könnte. Diese Erfahrungen bilden eine Grundlage für sein sprachliches Handeln. Peirce beschreibt dieses Phänomen unter dem Begriff der Selbstbezüglichkeit. Wichtig ist hierbei folgende Annahme: Wenn eine Person eine andere erkennt, so erfolgt dies auf eine Art und Weise, die derjenigen ähnelt, wie sie sich selbst ihrer eigenen Person bewusst wird. „Die Idee der zweiten Person-[…] wird von der ersten Person ebenso unmittelbar wie das eigene Ich wahrgenommen, nur weniger lebhaft.“ (Peirce CP 6, 160) Denn ein Sprecher entwickelt die Idee von sich selbst, indem er aus Erfahrungen mit seinem Gegenüber auf sich schließt und diese Erfahrung so internalisiert, dass sie sein Handeln motiviert. Der Gebrauch von Zeichen muss gewollt sein und wird darauf ausgerichtet, was der Sprecher ausdrücken möchte. Die Zeichen haben nur dann Erfolg, wenn sie bei den Zeichenbenutzern den erhofften Effekt auslösen. Die Zeichennutzung basiert auf Gegenseitigkeit, dafür muss jedoch dem Ande- Reziprozität 56 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext ren unterstellt werden, im Verlauf der Interaktion ganz ähnlich mit den Zeichen umzugehen, sodass der Gebrauch zu gemeinsam gewünschten Ergebnissen führt. Voraussetzung ist, dass das mentale Handeln bei den Betroffenen grundsätzlich selbstreferentiell erfolgt. Jeder verwendet sich selbst als Bezugsrahmen. Das steht zuerst einmal im Widerspruch zum kommunikativen Anliegen, welches auf einen Anderen gerichtet ist. Dennoch kann dieses Verhalten für Kommunikation nutzbar gemacht werden, denn es basiert auf der Unterstellung der Gegenseitigkeit. Der Produzent geht davon aus, dass der Rezipient in der jeweiligen Situation etwas ganz Vergleichbares tun wird; man spricht von der Annahme der Reziprozität. Peirce hat mit seinem Zeichenbegriff bereits früh die Notwendigkeit betont, die Verarbeitungsbedingungen des Rezipienten stets im Blick zu behalten. Es entsteht zeitweilig sogar der Eindruck, dass er seine Zeichentheorie aus der Sicht des Zeichenrezipienten konzipiert hat. Sicher ist, dass seine Theorie eine differenzierte Sicht auf die verschiedenen Relationen ermöglicht, in denen das Zeichen steht. Auf die Theoriebildung der Kommunikationswissenschaft hat der Ansatz von Peirce bisher eher wenig Einfluss genommen. Ungenutzt blieben die Offenheit des Zeichenbegriffs und die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Zeichens. Denn Peirce erkennt ein Schriftstück ebenso als Zeichen an wie ein Wort oder ein Bild. Das Zeichenverständnis erschließt sich erst durch die Analyse des Zeichengebrauchs bei den Benutzern, der ja alles Mögliche zum Zeichen machen und kommunikativ nutzen kann, wenn es einen Anderen gibt, der mitspielt. Zeichen stehen also nicht für sich alleine, sondern bedürfen immer einer Kontextualisierung, um Bedeutungen zu erlangen. Als grundlegend dafür wird die Erfahrung der Selbstreferentialität angesehen. Der Einzelne setzt sich ins Verhältnis zu seiner Umwelt und glaubt, das sei kommunikativ zugänglich, weil der Adressierte sich auf dieselbe Weise zu den Dingen, die ihn umgeben, verhalten wird. Andere Zeichen und Funktionshintergründe Die vorausgegangenen Überlegungen zur Spezifikation des Zeichenbegriffs haben Hinweise darauf gegeben, mit welchen Problemen Kommunikation konfrontiert ist, wenn Zeichen ins Spiel kommen. Es baut sich sehr rasch eine Komplexität auf, welche das Modellieren der Vorgänge unmöglich erscheinen lässt. Methodisch ist es daher reizvoll, sich der Komplexität schrittweise zu nähern, indem zunächst einfachere Systeme betrachtet werden. Einen interessanten Zugang bietet hierfür die sog. Zoopragmatik, die sich mit der Zeichenverarbeitung von Tieren in der Interaktion mit ihrer Umwelt beschäftigt. Dabei geht es nach Sebeok (1992, S. 78) um die Verarbeitung von Zeichen aus der belebten und unbelebten Umwelt. Weitgefasster Zeichenbegriff 3.4 Zoopragmatik 57 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext a ndere z eIchen und f unKtIonshIntergründe Einheit 3 Die kognitive Zoosemiotik setzt bei der Wahrnehmung eines Reizes an. Dabei handelt es sich nicht um eine dyadische Reiz-Reaktions-Kette, sondern es liegt eine triadische Interaktion vor: Der Zeichenprozess ist in einen Funktionskreis eingebunden, der den Organismus mit seiner Umwelt in einer komplementären Relation verbindet. Die Zeichenwahrnehmung kann dabei beabsichtigt oder unbeabsichtigt sein. Von einer intentionalen Kognition ist dann die Rede, wenn eine Situation von einem Organismus beobachtet wird. Dabei kann sich die Beobachtung auf Zeichen einer belebten oder nicht-belebten Umwelt beziehen. Stammen die Zeichen von einem Lebewesen, ist die Frage der Absicht zu klären. Kann eine solche unterstellt werden, kommt der Begriff der Kommunikation ins Spiel. Dabei muss das intendierte Zeichen nicht von einem fremden Organismus ausgehen. Sebeok (1972, S. 72) beschreibt als ein sehr anschauliches und einfaches System die Echo-Ortung, wie sie im Tierreich auftritt. Hier wird beispielsweise von der Fledermaus ein akustischer Laut erzeugt, dessen Funktion darin besteht, Raumdistanzen zu erkennen. Der Laut wird akustisch von Objekten widergespiegelt und kann so empfangen und im Gehirn zu einer Raumkonstruktion verarbeitet werden. Das Fledermaus-Beispiel ist ein Beleg für die Selbstreferentialität. Der Organismus verfügt über eine Verarbeitungseinrichtung, die Daten aus der Außenwelt als exterozeptive Zeichen wahrnimmt und im Gehirn als propriozeptive ihm eigene erkennt und zur Selbstorientierung auswerten kann. Ähnlich verhält es sich bei Blinden, die sich aufgrund der Geräusche eine Raumkonstrukt für ihre Orientierung aufbauen. Wenn wir die kognitiven Prozesse im Hinblick auf die kommunikative Qualität näher bestimmen wollen, dann ist, bezogen auf die möglichen Einflussfaktoren (z. B. Repräsentamen, Selbstvergewisserung oder Reziprozität) die Kommunikation hier nur als schwach motiviert zu bezeichnen: Es gibt eine Zeichenverarbeitung, aber die Zeichen sind hochgradig spezialisiert auf ein sehr enges Anwendungsfeld. Die Zeichenproduktion und -verarbeitung erfolgt zielgebunden, sie ist selbstreflexiv, aber nicht ohne weiteres reflexiv zugänglich. Erklärung Die Signalverarbeitung im Pflanzen- und Tierreich lässt weitere Aspekte der kommunikativen Funktionsweise sichtbar werden. Eine Blume baut ein Signal aus Farb- und Duftstoffen auf. Dieses Signal kann nun aufgrund organischer Ausstattung von einer Biene oder einem Vogel verarbeitet werden. „Zeichenverarbeitung“ in der Pflanzenwelt Thomas A. Sebeok (1920-2001) Abb. 3.8 Biosemiotiker, amerikanischer Professor für Semiotik, Schwerpunkte: Untersuchung der Kommunikation von nicht-menschlichen Lebewesen (Zoosemiotik), Begründer der Biosemiotik 58 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext Eine von Bienen bestäubte Pflanze ist nie rot, und zwar weil das Verarbeitungsprogramm einer Biene dafür nicht eingerichtet ist. Die Pflanze kann nur solche Farben benutzen, die von den sie befruchtenden Tieren „verstanden“ werden. Die Signalverarbeitung zielt nach Zahavî und Zahavî (1997) auf die Arterhaltung ab, indem versucht wird, mit auf bestimmte Adressaten ausgerichteten Signalvorgaben, deren Verhalten zu beeinflussen. Die Interaktion ist auf fremde Organismen ausgelegt. Sie ist erfolgreich, wenn es einen Organismus gibt, der für die Verarbeitung des Signals ausgestattet ist und daher das Signal wahrnehmen und artgemäß verarbeiten kann. Das Signal selbst muss diesen anderen Organismus erreichen und ebenfalls entsprechend ausgestattet sein. Wir haben es also mit einer sehr starken Zielorientierung zu tun. Interessant ist dabei, dass die Zeichenverwendung auch im Dienste der Täuschung Anderer stehen kann. Das geschieht im Tierreich oft durch Farben, die aus Schutzgründen artfremde Organismen zu Fehlinterpretationen veranlassen sollen. Verarbeitet ein System solche Reize als Signal, schlägt Krampen (1983) vor, in diesem Fall von der Phytosemiotik zu sprechen. Die Funktion der Signale ist dabei für die Verarbeiter des Signals eine andere als für die, welche das Signal senden. Die Pflanze muss ihren Bestand sichern, die Biene sucht nach Nahrung. Obwohl es sich um dyadische Interaktionsprozesse zwischen Organismen handelt und obwohl sie zielgeleitet und selbstbezüglich angelegt sind, fehlt es ihnen an der Gegenseitigkeit. Es sind daher Interaktionsformen, die ebenfalls als schwach kommunikativ bezeichnet werden müssen. Das Merkmal der Gegenseitigkeit findet sich beim lautlichen Signalaustausch von Vögeln. Hier gibt es auch eine Symmetrie, denn verschiedene Organismen können die gleichen Zeichen verwenden. Die Verwendung ist dialogisch angelegt und mit einer bewussten Reaktionserwartung verknüpft. Das Eintreten oder Nicht-Eintreten der Reaktion löst in gewissen Spielräumen Entscheidungshandlungen zu bestimmten Verhaltensweisen des Organismus aus. Die gesendeten Zeichen besitzen Botschaftscharakter: Sie können anderen drohen, sie anlocken oder warnen. Die Zeichen vermitteln also in Abhängigkeit von der Art des Gebrauchs und in Abhängigkeit vom Produzenten unterschiedliche Inhalte. Ihnen haftet eine appellative Funktion an, d. h. wir begegnen auch im Tierreich Interaktionsformen, die deutlichere kommuni- Phytosemiotik Signalaustausch unter Vögeln Avishag Zahavi (* 1922) und Amotz Zahavi (* 1928) Abb. 3.9 Professorin für Pflanzenphysiologie (links); Israelischer Zoologe und Naturschützer (rechts); Schwerpunkte: Verschränkung der Überlegungen aus der Evolutionsforschung und empirische Befunde aus der Verhaltensforschung miteinander zum Handicap- Prinzip 59 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext a ndere z eIchen und f unKtIonshIntergründe Einheit 3 kative Eigenschaften aufweisen als die bereits angesprochenen. Die Organismen verfügen mit mehr Bewusstheit über Zeichen, die sie an einen fremden Organismus senden können. Die Zeichensendung ist nicht auf eine eindimensionale und monodirektionale Verarbeitung beschränkt und es ist nicht nur eine spezielle Signalform verarbeitbar. Die Reaktion auf die gesendeten Zeichen bedarf einer Zeicheninterpretation und hat Freiheitsgrade. Es gibt nicht nur eine Interpretation bzw. die richtige oder falsche. Entscheidungen über die Interpretation basieren auf einer strukturellen Kopplung mit anderen Organismen. Ein weiterer Forschungsbereich betrifft die interspezifische Kommunikation. Ein Beispiel dafür ist der Umgang zwischen Mensch und Tier. Auch hier bilden spezielle Zeichen die Grundlage für die Interaktion. Marler (1965, 544-584) entwickelte schon sehr früh eine Zeichentypologie, die zwischen Identifikatoren, Präskriptoren, Designatoren und Bewertungszeichen unterscheidet. Die Identifikatoren sind selbstreferentiell. Sie verweisen auf den Zeichenproduzenten und erlauben es, ihn hinsichtlich bestimmter Eigenschaften wie Alter, Geschlecht und Gattung zu identifizieren. Bei der Verhaltensorientierung spielen Präskriptoren eine Rolle. Die Akteure nehmen im Verhalten Eigenschaften wahr, aus denen sie Schlüsse auf die zu erwartende Interaktion ziehen. Designatoren informieren über die Beziehung zu anderen Artgenossen oder über das Verhältnis zur Umwelt. Sichtbar werden sie beim Paarungsverhalten oder in der Fürsorge und lassen sich bei der Organisation von Nahrung, Fortpflanzung und Reviersicherung beobachten. Die Bewertungszeichen helfen, den sozialen Umgang mit den Artgenossen zu organisieren. Sie regulieren Nähe und Distanz. Das Mienenspiel eines Schimpansen enthält z. B. eine Reihe von Merkmalen, die über seine Artgenossen hinaus als Drohung „gelesen“ werden können. Das heißt es gibt eine Gruppe von Organismen, die spezielle Signale erkennen können, auch wenn sie nicht zu derselben Gattung wie der Sender gehören. Die Interaktionen sind dyadisch und zielorientiert angelegt. Viele sind symmetrisch und basieren auf gegenseitigen Erwartungen hinsichtlich spezifischer Reaktionsmuster. Das rezeptive Verhalten ist nicht auf die Verarbeitung nur einer Botschaft eingeschränkt, sondern der Angesprochene nimmt aktiv teil, indem er das Dargebotene bestimmten situativen Bedingungen zuweist und daraus den Fokus für eine Botschaft ableitet. Das steht im Zusammenhang mit einer zunehmenden Selbstreferentialität der Zeichenverwendung. Auf diese Weise gewinnen die Interaktionen bereits eine gut erkennbare kommunikative Dichte. Zeichen zwischen Mensch und Tier Identifikatoren Präskriptoren Designatoren Bewertungszeichen 60 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext In der Primatenforschung ist man sich nicht einig, inwieweit Menschenaffen über symbolische Zeichen verfügen. Preuschoft (1990) vertritt die These, Menschenaffen verwendeten Zeichen mit einer deskriptiven Funktion. Sie sei gegenüber der menschlichen Sprache nur quantitativ begrenzt. Demgegenüber glaubt Sebeok (1991) nachweisen zu können, dass die vorliegenden Ergebnisse Artefakte von Dressurakten seien. Differenzierter urteilt Deacon (1998). Er sieht in den bisherigen Forschungsreihen einen deutlichen Hinweis darauf, dass die Tiere ein Symbolverständnis haben. Donald (1991) glaubt darüber hinaus, dass die Tiere die Fähigkeit haben, semantische Relationen aufzubauen. Ungeklärt ist auch der Status von syntaktischen Regeln. Einig ist man sich, dass komplexe Konstruktionen nicht verwendet werden. Unabhängig von den Meinungsverschiedenheiten ist offenkundig, dass die Primaten ein interaktives Verhalten zeigen, das eine gewisse kommunikative Dichte besitzt. Grundsätzlich gilt: Ein Datenaustausch ist bereits auf einer sehr elementaren Ebene von Organismen unbestreitbar. Diese Daten werden zu Informationen, wenn zwischen ihnen unterschieden wird bzw. unterschieden werden kann. Es gehört dann zum Selbsterhalt eines Organismus, dass nur diejenigen Daten wahrgenommen werden, die Relevanz besitzen. Für einen solchen Organismus existieren gewissermaßen Ordnungen zum Selbsterhalt, die nicht hintergehbar sind. Auch der menschliche Organismus funktioniert auf diese Weise, wenn sich Körperorgane über Nervenbahnen gegenseitig wahrnehmen oder sich die Zellverbände in einem Organ organisieren. Zeichengebrauch der Primaten Terrance William Deacon (* 1959) Abb. 3.10 Amerikanischer Neuroanthropologe, Schwerpunkte: Biosemiotik, Linguistiktheorien und kognitive Neurowissenschaften Merlin Donald (* 1939) Abb. 3.11 Kanadischer Psychologe, Kognitions- und Neurowissenschaftler, lehrte Neuroanthropologe, Schwerpunkte: Kritik an der Computermetapher, wenn es um das Verstehen des menschlichen Geistes und seinen Umgang mit Symbolen und Sprache geht. 61 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext l Iteratur Einheit 3 Das Grundprinzip, Daten aus der Umgebung zur Sicherung des eigenen Selbst zu nutzen, entwickelt sich weiter, wenn Freiheitsgrade im Umgang mit solchen Ordnungen entstehen, systematisch vergrößert werden und man sich schließlich durch Selbstkontrolle selber beobachten kann. Wenn über Kommunikation gesprochen wird, ist daher zu klären, worauf die daran Beteiligten achten und warum sie das tun. Erst dann werden Daten sichtbar, die als Informationen fungieren können. Das bedeutet, es muss Erfahrungen geben, um solche Daten zu erkennen und sie mit bestimmten Bereichen der bekannten Lebenswelten zu verbinden. Ist das nicht möglich, werden die Daten erst gar nicht wahrgenommen oder bleiben unverstanden und sind gewissermaßen unsichtbar. Zusammenfassung Literatur Deacon, Terrence W. (1998): The symbolic species the co-evolution of language and the human brain. London: Penguin. Donald, Merlin (1991): Origins of the modern mind three stages in the evolution of culture and cognition. Cambridge, Mass. [u. a.]: Harvard Univ. Press. Hübler, Axel (2001): Das Konzept "Körper" in den Sprach- und Kommunikationswissenschaften. Tübingen [u. a.]: Francke ( UTB ). Krampen, Martin (Hg.) (1983): Visuelle Kommunikation und / oder verbale Kommunikation? Hochschule der Künste Berlin. Hildesheim: Olms (Semiotische Studien zur Kommunikation, 1). Marler, Peter (1965) (1965): Communication in monkeys and apes. In: Irven DeVore (Hg.): Primate behavior. Field studies of monkeys and apes. New York: Holt, Rinehart, and Winston, S. 544-584. Nöth, Winfried (2000): Handbuch der Semiotik. 2., vollständig neu bearb. und erw. Aufl. Stuttgart [u. a.]: Metzler. Pepperberg, Irene M. (2009): Alex und ich die einzigartige Freundschaft zwischen einer Harvard-Forscherin und dem schlausten Vogel der Welt. 1. Aufl. München: mvg-Verl. Posner, Roland (Hg.) (2009): Diagrammatische Zeichen. Tübingen: Stauffenburg (Zeitschrift für Semiotik, 31.2009, 3 / 4). Preuschoft, Holger (1990): Sprache (oder Schrift? ) bei unseren nächsten Verwandten. In: Walter A. Koch (Hg.): Aspekte einer Kultursemiotik. Bochum: Brockmeyer (Bochumer Beiträge zur Semiotik, 17), S. 77-114. Saussure, Ferdinand de (1931): Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Berlin [u. a.]: De Gruyter. Sebeok, Thomas A. (1991): A sign is just a sign. Bloomington Ind. u. a.: Indiana Univ. Press (Advances in semiotics). Sebeok, Thomas A. (Hg.) (1992): Biosemiotics (Approaches to semiotics, 106). Sebeok, Thomas Albert (1972): Perspectives in zoosemiotics. The Hague: Mouton (Ianua linguarum / Series minor). 3.5 62 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext Shannon, Claude E.; Weaver, Warren (1949): The mathematical theory of communication. Urbana: Univ. of Illinois Press. Zahavî, Amôs; Zahavî, Avîsag (1997): The handicap principle. A missing piece of Darwin's puzzle. New York u. a.: Oxford Univ. Press. Weiterführende Literatur Donald, Merlin (2008): Triumph des Bewusstseins die Evolution des menschlichen Geistes. Dt. Ausg. Stuttgart: Klett-Cotta. Krampen, Martin; Götte, Michael; Kneidl, Michael (Hg.) (2007): Die Welt der Zeichen. Kommunikation mit Piktogrammen-= The world of signs: communication by pictographs. Ludwigsburg: av edition. Online verfügbar unter http: / / deposit.d-nb.de/ cgibin/ dokserv? id=2900089&prov=M&dok_var=1&dok_ext=htm. Morris, Charles W. (1979): Grundlagen der Zeichentheorie. Ungekürzte Ausg. Frankfurt/ M.; Berlin [u. a.]: Ullstein. Peirce, Charles S. (1965): Über Zeichen. Stuttgart: Mayer. Posner, Roland (2003): Kultursemiotik. In: Konzepte der Kulturwissenschaften: theoretische Grundlagen-- Ansätze-- Perspektiven, S. 39-72. Sebeok, Thomas A. (2001): Global semiotics. Bloomington: Indiana University Press (Advances in semiotics). Steklis, H. Dieter (2000): Monkey see, monkey do? In: Current anthropology 41 (5), 884-886. Tomasello, Michael; Schröder, Jürgen (2014): Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. 3. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 2004) Link: http: / / www.spiegel.de/ wissenschaft/ natur/ nachruf-auf-alex-der-schlauestepapagei-der-welt-ist-tot-a-505121.html Problemstellung und Fragen 1. Spuren der Signaltheorie findet man auch heute noch, wenn über Kommunikation geredet wird. Warum kann eine Signaltheorie nur eingeschränkt Aussagen über Kommunikation machen? (Vgl. 3.1) 2. Wer die Zeitung aufschlägt, sucht nach Informationen. Im Internet erhofft man sich neue Nachrichten aus dem Bekanntenkreis, „Information“ und „Nachricht“ waren für die frühe Kommunikationswissenschaft zentrale Begriffe gewesen. Was sind die wichtigsten unterscheidenden Merkmale. (Vgl. 3.1) 3. Zentral für das Erklären von Kommunikation ist der Zeichenbegriff. Entsprechend ausdifferenziert wird über Zeichen gesprochen. Welche Typen von Zeichen sind grundlegend? Welche Autoren haben dieses Problem 3.6 63 I nformatIon und n achrIcht - z eIchen Im K ontext P roBlemstellung und f ragen Einheit 3 mit welchen Schwerpunkten diskutiert und wo haben sie den Zeichenbegriff weiterentwickeln können? (Vgl. 3.2) 4. Der Zeichengebrauch erfolgt stets in kommunikativen Kontexten. C. S. Peirce denkt an einen sehr ausdifferenzierten Zeichenbegriff. Wo und wie lässt sich dieser für die Beschreibung konkreter Kommunikationshandlungen nutzen? (Vgl. 3.3) 5. Die Zeichenverarbeitung folgt ganz unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Welche Einsichten lassen sich aus der Beschreibung nichtmenschlicher Kommunikationssysteme gewinnen? (Vgl. 3.4) Handeln und Deuten in kommunikativen Alltagssituationen Inhalt 4.1 Handeln und Handlung 66 4.2 Kommunikation als Handlung 69 4.3 Deutungsarbeit im Handlungsraum der Kommunikation 72 4.4 Das Beobachten des Handlungsraumes 79 4.5 Literatur 82 4.6 Problemstellung und Aufgaben 84 Kommunizieren als ein Ereignis erfolgt nicht losgelöst von umfassenderen Handlungszusammenhängen. Kommunikation lässt sich nur aus dem Zusammenwirken von Handeln und Kommunizieren erhellen. Das setzt ein Modell von Handlung voraus, das über individuelles Tun hinausreicht. Handeln stellt immer Bezüge zur Umwelt her, die sich als objektbezogen, sozial bedingt und subjektiv motiviert darstellen. Es ist deshalb immer Gegenstand gegenseitigen Beobachtens und Deutens, was erst durch Kommunikation sichtbar gemacht werden kann. Sie schafft den Raum, Handeln in umfassenderen Kontexten zu verorten und die Sichtweisen darauf zu arrangieren. Handlungstheorien haben sich mit dem Erfassen dieser Zusammenhänge schwer getan. Sie lassen sich in Strukturmerkmalen, Machtansprüchen oder alltäglichen Praktiken finden. Entsprechend unterschiedlich wird das Handeln beobachtet und erklärt. Überblick 65 P roBlemstellung und f ragen Einheit 4 Handeln und Deuten in kommunikativen Alltagssituationen Inhalt 4.1 Handeln und Handlung 66 4.2 Kommunikation als Handlung 69 4.3 Deutungsarbeit im Handlungsraum der Kommunikation 72 4.4 Das Beobachten des Handlungsraumes 79 4.5 Literatur 82 4.6 Problemstellung und Aufgaben 84 Kommunizieren als ein Ereignis erfolgt nicht losgelöst von umfassenderen Handlungszusammenhängen. Kommunikation lässt sich nur aus dem Zusammenwirken von Handeln und Kommunizieren erhellen. Das setzt ein Modell von Handlung voraus, das über individuelles Tun hinausreicht. Handeln stellt immer Bezüge zur Umwelt her, die sich als objektbezogen, sozial bedingt und subjektiv motiviert darstellen. Es ist deshalb immer Gegenstand gegenseitigen Beobachtens und Deutens, was erst durch Kommunikation sichtbar gemacht werden kann. Sie schafft den Raum, Handeln in umfassenderen Kontexten zu verorten und die Sichtweisen darauf zu arrangieren. Handlungstheorien haben sich mit dem Erfassen dieser Zusammenhänge schwer getan. Sie lassen sich in Strukturmerkmalen, Machtansprüchen oder alltäglichen Praktiken finden. Entsprechend unterschiedlich wird das Handeln beobachtet und erklärt. Überblick 66 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen Handeln und Handlung Kommunikation setzt auf das aktive Zusammenwirken mit Anderen. Die Kommunikationspartner nehmen mithilfe von Zeichen, die als Daten übermittelt und wahrgenommen werden, auf etwas Drittes Bezug. Das setzt einen Kontext aus bestehenden Erfahrungen im Umgang mit solchen Prozessen voraus. Kommunikation erscheint so als eine Form des Handelns, das sich an Andere richtet. Das nötigt zu klären, von welcher Art Verhalten sein muss, so dass es als kommunikative Handlung angesehen werden kann, N, M und O sind Kollegen einer Arbeitsgruppe. Es gibt auseinandergehende Meinungen. S ist ein weiteres Mitglied der Arbeitsgruppe, gegenwärtig nicht anwesend und hat, weil er mit vielem nicht einverstanden ist, eine eigene Initiative gestartet. 01 N Da musst du handeln. Das ist ganz klar. Es kann doch nicht sein, dass der alles tun darf, was ihm gerade in den Sinn kommt. Ich würde ihm zuerst einmal untersagen, ohne Rücksprache mit den Anderen einfach neue Termine festzusetzen und Leute einzuladen, die wir gar nicht wollen. Er macht, was er will. 02 O Ich sage immer, schnelles Handeln erspart dir andauernden Ärger. 03 M Ich kann nicht einfach zu ihm hingehen und sagen, hör auf damit. Gremienarbeit: Gesprächsnotiz Die Episode ereignete sich im Vorfeld einer Gremiensitzung in der Universität und wurde im Nachhinein schriftlich festgehalten. In der Szene wird über die Notwendigkeit eines Handelns von M gegenüber der Person S gesprochen. Das, was geäußert wird, legt sprachliches Handeln zur Lösung des Problems mit S nahe. Es sieht so aus, als solle M mit jemandem reden, der sich des Problems annehmen könnte. Das Ereignis könnte aber auch als ein institutioneller Vorgang vorgestellt werden und würde dann in Form eines offiziellen Schreibens an eine übergeordnete Person oder Stelle erfolgen, in dem ein Verbot weiterer Handlungen von S ausgesprochen oder eine Bitte vorgetragen wird, S möge in Zukunft bestimmte Dinge unterlassen. N beschreibt Handlungen des Kritisierten als sprachliche Handlungen, zu denen er nicht berechtigt ist, was zu Effekten führt, welche die Gruppe nicht wünscht. Im Kommentar von M wird Handeln als eine nicht durchführbare Möglichkeit des Reagierens beschrieben. Das Verhalten, das Thema der Episode ist, zeichnet sich durch eine Reihe von Merkmalen aus, die erste Hinweise auf das geben, was wir mit Handlung meinen: Es ist ein Tun, das auf ein Etwas gerichtet erscheint, d. h. derjenige, der etwas tut, weiß von seinem Handeln und kann es im Hinblick auf ein Ziel abschätzen. Dieses Tun unterliegt Bedingungen, die eine Durchführung möglich und sinnvoll bzw. nicht angebracht erscheinen lassen. Vor dem Handeln steht also ein Motiv, das zu einem bestimmten Tun herausfordert. In 4.1 Episode Merkmale einer Handlung 67 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen h andeln und h andlung Einheit 4 der Episode wird die Notwendigkeit zum Handeln angesprochen und implizit darauf hingewiesen, dass bisher gültige Absichten der Gruppe infrage gestellt würden, wenn das Verhalten von S sich nicht ändert. Ziel der Handlung soll ein Zustandswandel der gegenwärtigen Situation sein. Wenn von Handeln die Rede ist, lässt sich in der wissenschaftlichen Diskussion ein begriffliches Umfeld beobachten, das durch immer wieder auftretende Eigenschaften charakterisierbar ist. Teleologisch: griechisch telos, Ziel, auf ein ideales Ergebnis ausgerichtet Definition Habermas (1995, S. 185-189) beschreibt dieses mit vier typischen Merkmalen: ▶ teleologisch ▶ normreguliert ▶ dramaturgisch ▶ kommunikativ 1. Eine Handlung ist teleologisch: Ein Aktor stellt einen Bezug zur objektiven Welt her. Er handelt, weil er einen Erfolg wünscht. Handlungen sind zweckrational. 2. Eine Handlung ist normenreguliert: Ein Aktor stellt einen Bezug zur sozialen und objektiven Welt her. Er handelt, weil etwas erwartet wird. Handlungen sind wertrational. 3. Eine Handlung ist dramaturgisch: Ein Aktor stellt sich in seinen Bezügen auf eine soziale, objektive und subjektive Welt ein. 4. Eine Handlung ist kommunikativ: Die Aktoren haben einen reflexiven Weltbezug und ihre Verständigung ist abhängig von der Stimmigkeit dieser Bezüge. Handlungen sind mit Kontexten verbunden, die in der Welt verankert sind und Bezüge zur sozialen und gesellschaftlichen Wirklichkeit besitzen. Sie sind mit einer subjektiven Perspektive auf den jeweiligen Weltausschnitt hin ausgerichtet, sie sind standortbzw. standpunktgebunden. Sprachliche Handlungen unterscheiden sich hierbei von nichtsprachlichen, weil der Akteur des Handelns mit einem tatsächlichen oder gedachten Gegenüber konfrontiert wird und dessen Sicht auf die Welt bei den eigenen Handlungen mitreflektiert werden muss. Wie bewusst das geschieht, ist von den Akteuren und Situationen abhängig, in denen sie sich befinden. Das Handeln setzt Kontexte voraus, die im Zusammenwirken mit einer Zielfixierung oder zumindest Zielauseinandersetzung entstehen. Jemand tut etwas, weil er sich damit auseinandersetzen will oder muss. Die Anderen erkennen sein Verhalten als Handlung, wenn sie Erwartungen auf- Jürgen Habermas (* 1929) Abb. 4.1 Philosoph und Soziologe, Schwerpunkt: Theorie kommunikativen Handelns 68 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen bauen können, die sich aus ihnen bekannten Wertebzw. Handlungskontexten herleiten lassen. Einem Verhalten kann unabhängig davon Handlungscharakter unterstellt werden, weil die Akteure eine solche Handlung wollen und im Verhalten dazu keinen Widerspruch sehen. Kommunikation wird für die Akteure konkret fassbar, wenn eine Verständigungsinteraktion nötig ist. Weber (1922) hat die Bedeutung des Themas früh erkannt und den Begriff Handlung wissenschaftlich zugänglich gemacht. Er bezeichnet Verhalten als Handeln, wenn der Handelnde einen subjektiven Sinn, d. h. eine Intention, damit verbindet: „… Handeln soll- … ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. Soziales Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.“ (Weber 1922, 1) Parsons (1937, S. 44) differenziert den Definitionsvorschlag dahingehend, dass es kleinste Elemente einer Handlung gibt, die ihr einen Sinn geben (unit act) und mindestens die folgenden Elemente haben: einen Handelnden (actor) und einen Zweck bzw. ein Ziel (end), d. h. den zukünftigen Status der Angelegenheiten, an dem die Handlung orientiert ist-- in diesem Sinne ist das Schema „teleologisch“. Die Handlung muss zudem in einer Situation begonnen werden, die sich vom zukünftigen Status in einem bedeutenden Aspekt unterscheidet. Hinzukommen die Bedingungen (conditions) des Handelns, die sich nicht ändern lassen, und die Mittel (means), über die der Handelnde die Kontrolle hat Für Parsons gibt es Beziehungen zwischen ihren Elementen: Im Falle der Wahlmöglichkeit zwischen alternativen Mitteln zur Zielerreichung besteht eine normative Orientierung. Dieses grundlegende Konzept impliziert: 1. Handlung ist immer ein Prozess in der Zeit. 2. Die Tatsache, dass dem Handelnden Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stehen, schließt die Möglichkeit von Irrtum ein. Parsons entwirft so eine Handlungstheorie, in der Handlungen als System beschrieben werden, das verschiedene Funktionen umfasst: Anpassung, Zielerreichung, Integration und Inhalte latenter Muster. Diese Funktionen werden genutzt, um Probleme der Umwelt bewältigen zu können. Sie dienen den Betroffenen als Rahmen. Der Bezugsrahmen ist subjektiv, unit act actor end conditions means Max Weber (1864-1920) Abb. 4.2 Soziologe und Nationalökonom, Schwerpunkt: Herrschafts- und Religionssoziologie 69 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen K ommunIKatIon als h andlung Einheit 4 „denn die Phänomene sind Dinge und Ereignisse, wie sie in der Sichtweise des Handelnden erscheinen, dessen Handlung analysiert und betrachtet wird.-[…]Die prinzipielle Bedeutung dieser Betrachtung ist, dass der Körper des Handelnden für ihn ebenso wie die Handlungssituation die ‚äußere Umwelt‘ bilden“ (Parsons 1937, 47). Kommunikation als Handlung Ein so ausdifferenzierter Handlungsbegriff stellt für das Verständnis von Kommunikation als Handeln ein Problem dar. Denn Parsons Definition bleibt innerhalb eines individualistischen Ansatzes, der an einer der Teleologie des Handelns verpflichteten Theorie orientiert ist. Handeln ist laut Parsons das Tun eines Einzelnen, der seinen Interessen nachgeht. Ausgangspunkt ist also ein monadisch agierendes Individuum, das ein Ziel ganz allein für sich verfolgt. Frei nach dem Motto: Ich will mit meinem Handeln etwas für mich. Habermas (1995, Bd. II , S. 320) sieht in einem solchen Verständnis von Handeln einen Mangel und begründet dies so: „Da die regulierende Kraft der kulturellen Werte die Kontingenz der Entscheidungen nicht berührt, steht jede Interaktion zwischen zwei Aktoren, die eine Beziehung eingehen, unter der Bedingung ‚doppelter Kontingenz‘“. Monadisch: griechisch monas, Einheit, das Einfache Definition Das besagt: Handeln wird nach Habermas erst als Handlung identifiziert, wenn es ein Gegenüber gibt, dem in der durchgeführten Aktion das zu sehen unterstellt werden kann, was auch der Handelnde als Handlung erkennt. Denn dieser unterstellt wiederum dem Akteur dasselbe, auch er geht davon aus, dass ihm unterstellt wird, was der Andere ihm unterstellt. Für Habermas (1995, Bd. II , S. 320) gilt daher ein „immer schon“ intersubjektiv geteiltes kulturelles Wertesystem als notwendige Voraussetzung für kommunikatives Handeln. Bereits Durkheim und Conrad (1982) verweisen auf ein solches intersubjektives Konzept. Der Bezug zur Welt ist nämlich stets von unterschiedlichen Horizonten, die der Einzelne einbringt, bestimmt. Jeder 4.2 Interaktive Rahmung Talcott Parsons (1902-1979) Abb. 4.3 Amerikanischer Soziologe, Schwerpunkte: Handlungstheorie und soziologische Systemtheorie David Emil Durkeim (1858-1917) Abb. 4.4 Französischer Soziologe und Ethnologe, Schwerpunkt: Methodologie 70 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen kennt das Phänomen des Perspektivenwechsels, wenn er ein Haus betritt. Das Haus hat eine Vorder- und eine Rückseite, ein Innen und ein Außen. Wir sehen den Bau stets nur aus einer Perspektive. Durkheim spricht in diesem Zusammenhang von einem Innen- und einem Außenhorizont. Darüber hinaus wird das Betreten des Hauses immer von vielen weiteren Vorstellungen begleitet und bewertet: Der Blick kann sich auf die Lage und die Wohngegend richten, der Baustil kann uns interessieren, wir vergleichen es mit den Häusern, die wir kennen. Auf diese Weise entsteht eine Struktur vieler möglicher Verweise zur Welt und sie bilden einen Sinnhintergrund, der als objektive Welt nicht angemessen umschrieben werden kann. Schütz (1932) (1974, 15-16) schlägt vor, zwischen dem Sinn, wie er vom Handelnden verstanden wird, und dem, den der Beobachter dem Handelnden unterstellt, zu unterscheiden. Damit unterstellt er dem Handeln Bedingungen, wie sie von Sapir (1982, S. 78-81) der Kommunikation unterstellt werden. Kommunikative Handlungen würden so gewählt, dass sie einer Beschreibung und Bestätigung durch das Gegenüber standhalten können, d. h. dass der vom Verhalten des Anderen Betroffene diesem Verhalten eine Bedeutung zuschreibt, die vom Handelnden so angedacht und gewünscht ist. 01 R GIESST KAFFEE IN DIE TASSE VON S 02 S Danke Es ist Nachmittag, R und S sitzen am Tisch und trinken gemeinsam Kaffee. R zeigt ein Verhalten: GIESST KAFFEE IN DIE TASSE VON S. Dieses Verhalten wird von S als Geste der Kooperation akzeptiert. Es ist ein Tun, das Fürsorge von R gegenüber S ausdrücken kann, wenn R und S im Umgang miteinander diese Erfahrung sammeln konnten. Dieses Erfahrungswissen bietet für beide Deutungspotential, um in ihrem Tun bestimmtes Handeln sehen zu können. Wenn beide dieselben Interpretationen nutzen, wirkt ihre Interaktion kohärent und hat im Normalfall zur Folge, dass R und S zufrieden sind. Kommunikation mit an Demenz Erkrankten: Notiz zum Viedoausschnitt Das muss aber nicht in jedem Fall so sein, obwohl das gezeigte Verhalten dasselbe ist. In Aufzeichnungen eines Korpus, das die Kommunikation mit älteren Menschen erfasst hat, liegt der Fall vor, dass S seine Tante besucht, eine ältere Dame. Sie hat ihm schon dreimal Kaffee nachgegossen, obwohl er angedeutet hat, dass er keinen mehr mag. Das Deutungsmuster von S kann Alfred Schütz (1899-1959): Österreichischer Jurist, Philosoph und Soziologe, Schwerpunkt: Phänomenologische Soziologie Episode Interaktive Deutungsarbeit Edward Sapir (1884-1939) Abb. 4.5 Amerikanischer Ethnologe und Linguist, Schwerpunkte: Strukturen der Sprache, Determiniertheit durch Sprache 71 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen K ommunIKatIon als h andlung Einheit 4 zwar noch die Lesart aufrechterhalten, R sei um sein Wohl besorgt. Es kann aber auch die Deutung folgen, R dränge sich wie schon immer mit ihren Erwartungen auf und wolle ihr Interesse durchsetzen und ihn dazu zwingen, noch länger zu bleiben. Vorstellbar ist auch, dass S um die mentale Beeinträchtigung von R weiß und in der Handlung nur ein stereotypes Verhalten von R sieht, das durch diese Situation ausgelöst wird, und dass er R unterstellt, gar nicht kontrollieren zu können, was sie wirklich tut. Lesarten konkurrieren miteinander, ob und welche sich durchsetzt, kann offen bleiben. Beobachtbar ist, wie sich das Handeln für die davon Betroffenen erst durch das Deuten desselben klärt. Zu fragen ist, woher nehmen die Akteure ihre Deutungen und was bewegt sie, diese dem Handeln von Fall zu Fall zuzuschreiben. Luhmann (1984, 191) glaubt, dass diese Zuschreibungen im interaktiven Kontext erfolgen und erst dieser ermögliche es den Betroffenen, das Verhalten auf die eine oder andere Weise zu deuten. Der dabei eintretende Effekt wird von Watzlawick et al. (1967) mit dem Axiom des Nichtnicht-kommunizieren-Könnens beschrieben: Die Individuen fühlen sich genötigt, permanent das Verhalten anderer zu bewerten. Bei einem solchen Verständnis entsteht allerdings ein Problem. Der Einzelne wird mit einer nicht mehr oder nur schwer bewältigbaren Vielfalt möglicher Deutungszuschreibungen konfrontiert und gerät in Situationen, in denen Kommunikation nur noch Verunsicherung auslöst. Für Akteure sind solche Situationen ein Risiko, sodass Luhmann (1984, S. 220) von der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation spricht und annimmt, dass kommunikativ zu handeln, von Situation zu Situation kritisch bewertet werden muss, weil es keine Garantie für einen Handlungserfolg gibt. Habermas (1995) geht nicht so weit, sondern sieht die Lösung des Problems in der Verständigungsarbeit. Diese verbindet er mit der Bearbeitung von Geltungsansprüchen wie die Verständlichkeit der verwendeten Ausdrucksweisen, der Anspruch auf Wahrheit, die Erwartung auf die Richtigkeit einer Norm oder die Wahrhaftigkeit der Sprechenden. So regelt er, welcher Anspruch in der vorliegenden Situation überhaupt geltend gemacht werden kann. Niklas Luhmann (1927-1998) Abb. 4.6 Deutscher Soziologe und Gesellschaftstheoretiker, wichtigster deutschsprachiger Vertreter der soziologischen Systemtheorie und der Soziokybernetik 72 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen 01 I okay ähm hat ihnen die Geschichte gefallen? wenn ja warum? 02 B doch ja! ne es is irgendwie niedlich! ? 03 I niedlich is es? ! 04 B ja ja! das äh musste ja ein überraschendes Ergebnis werden? ! 05 I genau 06B und ich finde es niedlich LACHEN Kommunikation über Texte mit älteren Menschen: Gesprächsprotokoll Die Alltagskommunikation ist generell von Unbestimmtheit begleitet. Zwei Personen sitzen sich gegenüber. Das Gespräch fand im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Lesen statt. Person B hat einen Märchentext gelesen und wird von Person I gebeten, mit ihr darüber zu reden. Die Angesprochene, Mitglied einer Seniorenakademie (69 Jahre) tut sich mit der Aufgabe schwer. Was von ihr genau erwartet wird, scheint ihr unklar. Mit der Antwort 02 B „doch ja! “ wird formal auf die Frage geantwortet. Die Bitte, das zu begründen, wird nicht eingelöst. Daran ändert auch das fortgesetzte Gespräch wenig. Beiden fällt es schwer, miteinander über den Text zu reden. Wenn es ginge, würden sie die Kommunikation vermeiden. Ihnen scheint eine klare Vorstellung darüber, welche Erwartungen mit dieser Situation verknüpft werden und wie sie sich dieser gegenseitig vergewissern könnten, zu fehlen. Der Eindruck der Überforderung wird durch die Verlegenheitsgesten des Wiederholens 03 I und im Lachen oder dem undeutlichen Formulieren des Beitrags 06 B offenkundig. Da die Situation einen Abbruch der Kommunikation nicht zulässt, beide haben sich auf eine Kooperation zu Beginn verständigt, sucht Person I die Lösung im Abfragen bestimmter Merkmale des Märchens. Deutungsunsicherheit Das Verhalten in einer Interaktion unterliegt beidseitigen Deutungsroutinen. Dabei kann der Fall eintreten, dass die Partner keine Interpretation finden, die eine Fortsetzung der Interaktion und ein damit verbundenes Handeln erlaubt. Sie müssen dann nach einer Situationsdefinition suchen, die klärt, welche Rolle sie sich zuweisen können bzw. dürfen und welche Handlungen damit verbunden sind, um die Kommunikation fortsetzen zu können. Episode 4.3 73 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen d eutungsunsIcherheIt Einheit 4 S ist in die Sprechstunde von P gegangen, um seine Seminararbeit zu besprechen, weil sie von P als unzureichend bewertet worden war. 01 P Solche Sätze wirken trivial. 02 S Sie stimmen aber. 03 P Nein, eben nicht. 04 S Jeder sieht das doch so, oder? 05 P Hier geht’s um Wissenschaft. 06 S Sie müssen’s wissen. 07 P Ja, das ist banal. Studierenden Beratung: Gesprächsnotiz Der Gesprächsauszug basiert auf einer Rekonstruktion einer Sprechstunde zur Beratung von Seminararbeiten in der Universität. Der Hochschullehrer P kritisiert den Studenten S mit den Äußerungen 01 „Solche Sätze wirken trivial.“ oder 05 „Hier geht es um Wissenschaft.“ S wird dafür getadelt, dass er in seinen Aussagen auf Behauptungen zurückgreift, die nicht auf wissenschaftlicher Reflexion basieren. S weist die Kritik zurück, indem er die Plausibilität solcher Aussagen betont: 02 „Sie stimmen aber.“ oder 04 „Jeder sieht das doch so.“ Damit kritisiert er die Äußerungen von P und stellt sie als unzutreffend hin. In der Sprachhandlungsforschung wurde diese Art von Verknüpfung sprachlicher Akte auf ihre Regelmäßigkeit der Verknüpfungen hin beschrieben. Es gibt eine Art Mechanik gegenseitiger Kritik: Kritik wird mit Kritik erwidert, auf die wiederum Kritik folgt usw. Kritik ist, wie Holly (1979, S. 135-138; S. 174-179) beschreibt, eine kommunikative Handlung, bei der ein Geltungsanspruch in Frage gestellt wird. Die Handlung kann ihr Ziel nur dann erreichen, wenn dieser Anspruch geklärt wird. Kritik, die mit Kritik beantwortet wird, ignoriert die mit der Handlung verbundene Zielerwartung. Das führt zu Irritationen und schließlich zum Abbruch der Interaktion. Episode Werner Holly (* 1946) Abb. 4.7 Linguist, Professor für Germanistische Sprachwissenschaft, Schwerpunkte: Textlinguistik, Gesprächsanalyse und Diskursforschung 74 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen Eine Frau macht ihren Mann darauf aufmerksam, dass es draußen regnet. Sie beide haben gesehen, dass es zu regnen angefangen hat, und so empfindet er den Hinweis als unpassend und deutet ihn als Kritik dafür, ohne Mantel nach draußen gehen zu wollen. Er sagt nichts dazu und will gehen. Sie wiederholt ihren Hinweis und verstärkt dadurch seine innere Verärgerung, weil er sich nicht bevormundet sehen will. Er möchte aber keinen Streit mit seiner Frau und ignoriert ihre Äußerungen. Das nun verstärkt ihr Verhalten, ihn mehr zu umsorgen, doch er sieht darin nur Kritik an seinem Verhalten, spricht darüber aber nicht. Episode Die Episode verweist auf einen fortgeschrittenen Zustand nicht geklärter Geltungsansprüche. Die zwei Personen deuten das Verhalten des Anderen aufgrund einer Bedeutungszuschreibung, die sich im Verlauf von wiederholten Interaktionen herausgebildet hat. Das Fehlen einer Abstimmung von Erwartetem und miteinander Einlösbarem löst einen Effekt aus: das x-Tun von Person A wird durch ein y-Tun der Person B erwidert wird, was dann wieder ein x-Tun auslöst, das ein y-Tun zur Folge hat. Es kommt zu einer Stereotypisierung im Verhalten. Watzlawick et al. 1967, S. 57) bezeichnet ein solches Verhalten als Interpunktion. Wenn A B etwas sagt, zieht B sich innerlich zurück. A verunsichert das, sodass A das Bemühen um B verstärkt, was die innere Abwehrreaktion von B festigt. Für die Interaktion entsteht eine Krisensituation, weil die Anschlusshandlung die Berechtigung einer im Raum stehenden Erwartung nicht bearbeitet. Die dem Handeln des Anderen zugeschriebenen Deutungen werden nicht auf ihre Berechtigung thematisiert, sondern als gültig angesehen. Wenn ein solches Verhalten nicht durchbrochen wird, erzeugt das Belastungen und löst Konflikte unter den Betroffenen aus. Dass die Betroffenen das nicht ohne weiteres erkennen, hat damit zu tun, dass sich die Bedeutung von Handlungen dem Anderen nicht automatisch von selbst erschließt. Erklärung Das wird in Streitfällen offenkundig. Wenn dort versucht wird herauszufinden, wie es zum Streit gekommen ist und wer ihn ausgelöst hat, dann kön- (Inter-)Punktieren Interpunktion Abb. 4.8 75 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen d eutungsunsIcherheIt Einheit 4 nen sich die beteiligten Parteien selten einigen, was für den Streit ursächlicher Auslöser war. Auch hier greifen sofort Ursache-Wirkungszuschreibungen, die sich nicht ohne weiteres aus dem beobachtbaren Verhalten herleiten lassen. Um dem vorzubeugen, verweist Baecker (2005, S. 38) auf eine Praxis, Handlungen zu „punktieren“. Damit umschreibt er besondere Aktivitäten bei den Akteuren. Sie sollen durch die Verstärkung körperlicher Präsenz die Erkennbarkeit einer Handlung verbessern. Arndt und Janney (1987) entwickelten ein Modell einer integrierten Grammatik, bei der sie von verbalen, prosodischen und kinetischen Wahlen sprechen, die den Akteuren abverlangt werden, wenn sie miteinander interagieren. Die verbale Äußerung erfolgt integriert in die Körperbewegungen, Gesten und Intonation. Geschieht das bewusst, kann der initiierende Akteur Einfluss auf die Rezeption durch sein Gegenüber zu nehmen versuchen. Dieser wiederum kann sich in Abhängigkeit seiner Fähigkeit, solche Hinweise zu erkennen, gezielter auf das Geäußerte einlassen. 01 Z Sie haben immer so einen ironischen Unterton, wenn Sie das sagen. Was meinen Sie denn nun wirklich mit den Fortschritten der Bologna-Reform, wenn Sie vom Bolognaprozess reden, einfach so. Die Äußerung erfolgte in einer universitären Gremiensitzung zur Studienreform. Die Person Z reagiert auf den Kommentar eines Kollegen, der sich für die neuen Studiengänge engagiert und festgestellt hat: „Die Bologna- Reform ist ein Fortschritt für das Studium.“ Person Z will nun wissen, ob diese Unterstellung zutrifft und hebt diese seine unterstellte Lesart mehrfach hervor. Er will eine Bestätigung dafür, dass sie ernst gemeint ist, deshalb die Nachfrage, ob Ironie im Spiel ist. Geklärt werden soll, was Fortschritt bedeutet. Es fällt auf, mit welchem Aufwand das Thema Fortschritt herausgearbeitet wird. Die Einleitung „was meinen Sie denn nun wirklich“ hebt mit der Wahl der Partikel denn, nun und wirklich die Phrase Fortschritte der Bologna-Reform hervor, wobei das denn an die Einstellung des Angesprochenen appelliert und nun wirklich die Konkretheit des Inhalts der nominalen Phrase betont. Mit diesem Vorgehen versucht der Sprecher Einfluss auf die Antwort des Angesprochenen zu nehmen. Die Antwortqualität ist aus der Sicht von Sprecher Z daraufhin bewertbar, inwieweit seiner Punktion Horst Arndt (1929-2016): Anglist und Amerikanist, Schwerpunkt: Generative Grammatik und Fremdsprachenunterricht Episode Intervenieren Richard W. Janney Abb. 4.9 Anglist und Amerikanist, Schwerpunkt: Integrierte Sprachtheorie 76 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen dann auch durch sein Gegenüber entsprochen wird. Für den Angesprochenen werden deutliche Hinweise darauf gegeben, welche Handlung von ihm erwartet wird. Dabei hängt nun alles davon ab, inwieweit er das ihm Unterstellte erkennt und als richtig akzeptiert. Sieht er die Dinge anders, muss er seine Sicht von der ihm Unterstellten abheben. Das muss dann vom Anderen erkannt und anerkannt werden. Der interaktive Umgang mit Handlungen ist immer mit Deutungsarbeit der Beteiligten verbunden. Das lässt Missverständnisse erwarten, sodass situative Versuche und der Rückgriff auf bestehende Praktiken zu beobachten sind, um mögliche Unsicherheiten zu reduzieren oder ganz aus dem Spiel zu halten. Wenn Akteure gemeinsam handeln wollen, müssen sie daher Fähigkeiten besitzen oder entwickeln, die ihnen einen verlässlichen Umgang mit dem eigenen und dem fremden Verhalten in möglichst vielen Situationen ermöglichen, um so das Konfliktpotential durch Missverständnisse gering halten. Erklärung Betrachtet man soziale Situationen näher, wird rasch deutlich, wie schwer es oft ist, sich in diesen schnell zurechtzufinden; und nicht zufällig werden bei der Kontaktaufnahme Orientierungsphasen benutzt, die den Beteiligten Zeit verschaffen, besser einschätzen zu können, was und wie sie mit dem Gegenüber umgehen können. So wird es den Betroffenen möglich, einen Spielraum herauszufinden, der optimal erscheint. Die Zurückhaltung bzw. das Offenhalten der Handlungsmöglichkeiten hat oft einen Nebeneffekt. Das Verhalten wird als Unaufrichtigkeit gedeutet. Dabei wird übersehen, dass eine solchermaßen erzeugte Vagheit zugleich Bedingungen für die Entscheidung zu möglichst großer Kohärenz schaffen kann, d. h. die Beteiligten können viele inhaltliche Zusammenhänge herstellen. Das Deuten von Verhalten schafft einen sich stets verdichtenden Handlungsraum. Dabei verfestigen sich Deutungsannahmen und diese erschweren es den Akteuren zunehmend, davon abzuweichen. Die Wahlfreiheit der Bedeutungen wird eingeengt, was in bestimmten Phasen einer Kooperation, vor allem im sozialen Raum, zu Problemen führen kann. In dem Gespräch über Erziehungsfragen eines Ehepaares, setzen sich E die Frau und F der Mann mit dem Problem auseinander, warum ihr Kind ständig Ängste hat und beim Schlafen förmlich Panikanfälle bekommt. Auslöser einer neuerlichen Angstattacke war der Besuch eines Theaterstücks. Dargestellt wurde das Märchen von Rotkäppchen und dem Wolf. Im weiteren Gesprächsverlauf zeichnen sich unterschiedliche Einschätzungen des Ehepaares hinsichtlich des Erziehungswertes von Märchen ab. F vertritt die Meinung, dass das Märchen Ängste schüre und kein vernünftiges Mittel der Erziehung sei, weil Wirklichkeit und Spiel für das Kind nicht durchschau- 77 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen d eutungsunsIcherheIt Einheit 4 1 + Wortfragment, s+ +s abhängiger Hauptsatz, f+ +f Dialektismen, ( ) Einschübe, | | Gleichzeitigkeit Fuchs, Harald P.; Schank, Gerd (1975): Alltagsgespräche. Texte gesprochener deutscher Standardsprache III. München: Hueber, S. 27 bar seien. E hingegen sieht den Wert des Märchens darin, sich spielerisch mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen. Der Gesamtverlauf des Gesprächs thematisiert zunehmend ein Spannungsverhältnis zwischen dem Paar, da F verdeckt unterstellt, E würde mit dazu beitragen, dass das Kind Ängste entwickelt. Die Gesprächseröffnung macht offenkundig, dass die Partner sich nicht sicher sind, was zum Gegenstand der Kommunikation gemacht werden kann. Episode 78 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen Sie loten gewissermaßen die Situation aus, um herauszufinden wie der andere reagiert und mit welchem Thema er so agiert, wie das den eigenen Vorstellungen am nächsten kommt. Die Eröffnung durch E beginnt mit einem Verweis auf Erinnerungen, die aber im Weiteren unbearbeitet bleiben. Mit dem „gell“ könnte sie bei F darauf anspielen, dass er Bescheid wisse. F reagiert aber nicht, sondern bezieht sich auf das Thema Theaterstück und fragt konkret, ob sie es gesehen habe. E erzählt dann über die Dramaturgie des Stückes. Damit verschafft sie sich einen Rahmen, der sie vor dem Vorwurf schützen soll, dass das Kind glauben könne, das Theater sei die Wirklichkeit. Das Kind hat nach dem Besuch des Stückes Angst, dass der Wolf es verfolgen könnte. F hakt nach, ob sie das Stück auch selbst gesehen habe. E beschreibt dann, dass das Theaterstück immer als Theater sichtbar geblieben sei. Das wurde durch einzelne Akte der Schauspieler im Verlauf des Stückes besonders punktiert. Der Vorwurf, das Stück könne als Wirklichkeit wahrgenommen werden, wird auf diese Weise abgewehrt, obwohl das an dieser Stelle kein ausdrückliches Thema ist. Mit dem Schluss des Einleitungsteils, in dem zur Sprache kommt, dass das Kind an diesem Abend keine Schlafprobleme hatte, wird die Möglichkeit ins Spiel gebracht, dass alles doch auch als normales Entwicklungsphänomen eines Kindes erklärt werden könnte. Erst später im Gespräch verdichtet sich das Thema Angsterfahrungen so, dass sich der Umgang mit Angst zugleich als Problem der Beziehung zeigt. Die Episode zeigt, wie Akteure die Situation zu erkunden versuchen, um begründeter über Inhalte und die Bezugspersonen befinden zu können. Dabei entsteht für die Beteiligten nicht selten der Vorwurf, als unaufrichtig zu gelten, weil dieses Zurückbzw. Offenhalten der Handlungsmöglichkeiten als Täuschung empfunden wird. Diese Zuschreibung übersieht allerdings, dass eine solchermaßen erzeugte Vagheit zugleich Bedingungen für eine umfassendere Kohärenz schaffen kann, d. h. die Beteiligten können offener inhaltliche Zusammenhänge herstellen und dadurch zu einem sich allmählich verdichtenden, gemeinsamen Handlungsraum gelangen. Es entsteht so eine Verdichtung, die die Wahlfreiheiten schrittweise eingeschränkt und dadurch die Kooperation erleichtert. Deutlich wird auch, wie schwer es für einen nicht beteiligten Dritten ist, Aussagen über das Handeln der Akteure von außen zu machen. Denn das Geäußerte ist ein Datum, dessen Zeichenwert sich nicht aus sich selbst erschließt. Selbst wenn ich die Referenz bzw. Prädikation einer sprachlichen Äußerung konstruieren kann, ist nicht klar, welche Bedeutung nach Peirce dem Zeichen im Sinne des Dicents oder Arguments zukommt. Erst wenn die Äußerung in der Funktion des Arguments anerkannt wird, öffnet sich ein Handlungsraum für die Beteiligten, sodass sie im Geäußerten die Bedeutung einer Handlung erkennen. Es bedarf eines Bezugssystems, innerhalb dessen die Funktionen bestimmt werden können. 79 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen m otIVatIon InteraKtIVer e reIgnIsse - t heorIen des h andelns Einheit 4 Motivation interaktiver Ereignisse - Theorien des Handelns Der Handlungsaustausch unterliegt situativen Bedingungen, die von den Akteuren bearbeitet werden und so gegenseitige Orientierung schaffen. Offen bleibt aber, was die Akteure leitet, wenn sie koordinieren, und was sie beobachten, wenn sie kooperieren wollen. Eines fällt dabei auf: Sie verhalten sich in der Regel nicht willkürlich, denn dann wäre Kooperation nicht möglich. Offen ist, woran sie sich orientieren, wenn sie gemeinsam handeln. Denn sie müssen aus der hohen Varietät möglicher Verhaltensweisen, diejenigen erkennen und selber produzieren, die von allen in bestimmten Situationen als relevant erkannt werden können. Zu fragen ist, warum es möglich ist, dass Akteure ein spezielles Verhalten punktieren und damit etwas für den Anderen deutlicher machen können, denn das Verstärken eines Verhaltens kann nur gelingen, wenn es zuvor in seiner Bedeutung erkannt worden ist. Wie gelangt es dazu? Grundsätzlich ist daher zu fragen: Woran orientieren sich die Akteure? Was begründet diese Orientierung und wie stabil ist sie im Verlauf konkreter Interaktionsprozesse? Im Rahmen von Handlungstheorien wird darauf zu antworten versucht. In einer frühen Phase der Diskussion galt der Blick dabei dem Aufdecken von Strukturen, in denen sich die Akteure unbewusst bewegen, wie sie sie nutzen und in welchem Maß sie davon betroffen sind. Es handelt sich um materielle Strukturen, die subjektübergreifend wirksam sind und sich, wie Simmel (1908) beschrieb, den betroffenen Akteuren nicht von selbst erschließen. Marx deckte einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Produktivkräften und ihrer Wirkung auf das Kapital auf und beschrieb, wie sich daraus Verhaltensmuster ableiteten und verfestigten. Die Akteure verhalten sich aufgrund von materiellen Umgebungsbedingungen auf eine Art und Weise, die ihre Lebensverhältnisse bestimmen und durch dazu geeignete Verhaltensformen stabil gehalten werden. Möglich ist aber auch eine andere Sicht. Nicht die Umwelt bedingt das Verhalten, sondern der Einzelne selbst erzeugt sich seine Umwelt. Er folgt in seinem Handeln einer von seinen Interessen geleiteten und subjektiven Logik, die beispielsweise rational begründet wird. Coleman (1991) spricht vom Situationsmanagement, bei dem vom Einzelnen her nach einem übersubjektiven Zusammenhang gesucht wird. Dieser schafft einen Rahmen, um der Gültigkeit von Verträgen oder einer gerechten Ressourcenverteilung eine 4.4 Handlungstheorien Strukturen entdecken Umwelten Georg Simmel (1858-1918) Abb. 4.10 Kulturphilosoph und Soziologe, Schwerpunkt: Konfliktsoziologie 80 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen Chance zu geben. Es wird zwischen Homo oeconomicus und Homo sociologicus unterschieden. Der Homo oeconomicus handelt zweckorientiert. Die Ökonomie ist hierbei der leitende Motivgeber. Der Homo sociologicus folgt einer Werte Orientierung. Nicht das individuelle Handeln steht für ihn im Vordergrund, sondern das Aufdecken sozialer Regeln. Sie basieren auf einem Einverständnis mit Normen, die das Erlaubte von dem nicht Erlaubten trennen. Parsons (1951) diskutiert daher die Frage, wie eine Koordination potentiell sich widersprechender Handlungen möglich ist. Die Lösung glaubt er, läge im Etablieren normativer sozialer Erwartungen und Rollen, die einen Verhaltenskonsens unter den Akteuren regulieren. Wer sich an der Umwelt orientiert, kann sich die menschlichen Produkte zu eigen machen. Deshalb gehen die Kulturtheorien einen anderen Weg. Sie sehen das Problem der Handlungskoordination nicht im Umgang mit Normen und Regeln zur Überwindung des Dilemmas fehlender oder unzureichender Ordnungen. Sie glauben die soziale Handlungskompetenz in der Fähigkeit, symbolisch fixierte, sinnerzeugende Regeln in den vom Menschen erzeugten Umwelten erkennen zu können. Das Verstehen der Dinge in der Welt wird auf kollektiv geteilte Ordnungen im Wissen zurückgeführt. Um diese herum werden sinnstiftende Zusammenhänge immer wieder neu generiert und stabil gehalten. Wissen und Erfahrungen wird beispielsweise in Büchern und Zeitungen weitergegeben. Die Gesellschaft reagiert darauf mit Diskussionen und einer weiteren Produktion von Texten. Diese Vorgänge werden von Diskursen mündlich und schriftlich begleitet, in denen über das Für und Wider oder über Schriften, die sich damit auseinandersetzen, geredet wird. Es ist ein gesellschaftliches Ereignis und Wuthenow (1984) betont in diesem Kontext die besondere Rolle der Kultur. Dieser in den 60er Jahren entstandene Ansatz der als Textualismus bezeichnet wird, sucht nach der gemeinschaftstiftenden Quelle nicht beim Einzelnen, sondern in den öffentlich zugänglichen Diskurswelten. Er ermittelt in kulturellen Definitionen und mithilfe gesellschaftlich geführter Diskursen die Art, wie Umwelten codiert werden. Zentral wird der Begriff der Diskursanalyse, der mit den Arbeiten von Foucault (1973) verbunden ist. In diesem Zusammenhang muss auch die Sichtweise von Luhmann (1984) erwähnt werden, der die Frage nach den Codes und ihrer Semantik diskutiert. Er unterstellt, dass ein Zugang zum Verstehen des Verhaltens nur über die sich durch Kommunikation erzeugende Gesellschaft ermöglicht wird, welche dem Einzelnen Umwelten schafft, auf die er sich einlassen muss und die nur symbolisch zugänglich sind bzw. gemacht werden Kultur Paul Michel Foucault (1926-1984) Abb. 4.11 Professor für Geschichte der Denksysteme, Begründer der Diskursforschung 81 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen m otIVatIon InteraKtIVer e reIgnIsse - t heorIen des h andelns Einheit 4 können. Symbole sind für ihn allgegenwärtig. Zu präzisieren sind dann die Besonderheiten derselben und ihre Funktionalitäten, die das interaktive Verhalten bedingen. Die gegenwärtige Diskussion über die Kontextualisierung des Handelns rückt immer enger an den einzelnen Handelnden heran. Seine Orientierung kann in einem übergeordneten Ganzen angesiedelt werden, wobei er sich dessen nicht bewusst sein muss, aber die Konsequenzen in seiner gesellschaftlichen Umwelt zu spüren bekommt. Er kann sich an den ihn umgebenden Anderen orientieren, die sich von ihrer Geisteswelt leiten lassen und daraus Forderungen für den Umgang miteinander ableiten. Diese Perspektive wird in Ansätzen der Praxistheorie konsequent weiter entwickelt, wenn sie danach fragt, inwieweit Verhalten überhaupt von Wissensbeständen her verstanden werden kann. Denn Schmidt (2012, S. 215-222) verweist darauf, dass im Alltag immer wieder zu beobachten ist, dass Dinge getan werden, für die es explizit noch kein Wissen gibt. Reckwitz (2003, S. 282-301) plädiert dafür, sich auf das Verstehen lernen sozialer Praktiken zu konzentrieren. Es resultiert aus einem verdeckten und impliziten Wissen handelnder Subjekte, wird von routinierten Beziehungen zwischen ihnen beeinflusst und durch den Umgang mit materiellen Artefakten immer wieder herausgefordert. Für den Umgang mit dem, was im Kommunikationsprozess geschieht, hat das Konsequenzen. Denn die Diskussionen im Rahmen der Handlungstheorien verdeutlichen, dass sehr vielfältige und unterschiedliche Bezugssysteme denkbar sind, die Handeln motivieren bzw. begründen. Grundsätzlich ist dabei zwischen zwei Perspektiven zu unterscheiden. Es gibt den in den Prozess involvierten Akteur und einen möglichen außenstehenden Dritten, der nicht aktiv daran beteiligt ist. Wenn daher über konkrete kommunikativ organisierte Interaktionen gesprochen wird, kann der am Prozess Beteiligte Aussagen darüber machen, wie er das Ereignis erlebt hat. Wenn über Kommunikation diskutiert wird, heißt das aber meist, es gibt einen Dritten, der das Ereignis beobachtet hat bzw. die Dokumentation desselben in Form einer Mitschrift oder einer Audiobzw. Videoaufzeichnung. Das wirft die Frage auf, worüber derjenige eigentlich spricht, wenn er über das Kommunikationsereignis reden soll. Was beobachtet er? Welche Schlüsse zieht er daraus und welches Bezugssystem liefert ihm die Basis für seine Aussagen? Bezogen auf die Perspektiven, die sich aus den Ansätzen der Handlungstheorien herleiten, lassen sich ganz unterschiedliche Positionen erwarten, von denen her er eigenständig Beobachtungen anstellen kann und entsprechende Konsequenzen zieht. Es gibt daher nicht das kommunikative Ereignis an sich, über das gesprochen werden soll, sondern ein Orientierungsarbeit Konsequenzen für das Beobachten Andreas Reckwitz (*1970): Professur für Soziologie, Kulturwissenschaft und Praxeologie 82 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen Konstrukt desselben. Das kann die Erinnerung über den Prozess sein, der miterlebt worden ist. Es kann eine medial erfasste oder aufbereitete Dokumentation sein, die Gegenstand der Besprechung sein soll. Gesprochen wird daher immer über etwas, das durch die Akteure deutend erschlossen wird. Der Charakter der Deutungen und der mit ihnen verbundenen Erklärungen hängt von der Perspektive ab, die die Akteure nutzen bzw. der sie sich mehr oder weniger bewusst theoretisch verpflichtet fühlen. Leifer (1991) vergleicht das Kommunizieren mit dem Schachspielen und verweist auf eine weitere Perspektive des Beobachtens. Der Meister denkt nicht darüber nach, was sein Gegner alles für Zugmöglichkeiten hat und er berechnet nicht die Folgen derselben für die Situation. Er versucht vielmehr einen als neutral eingeschätzten Zustand zu stabilisieren und simuliert Sicherheit, um dann Fehler, die zuvor gemacht worden sind, in ihren Konsequenzen für sich auszunutzen. So werden Züge gewählt, die die Festlegungen der Situation und Entwicklung dafür benutzen, die bestehende Vagheit des Zustands nicht zu verringern, sondern sie zu erhalten und, womöglich sogar zu erhöhen. Leifer spricht von der Ziel- und der Inhaltsambiguität. Das Beobachten beschränkt sich auf das Beobachten von Freiräumen. Auf dem Hintergrund der verschiedenen handlungstheoretischen Perspektiven ist zu erwarten, dass Kommunikation als Verhalten nach Systemen beobachtet werden kann. Das können materialisierte Strukturen sein, die aus beobachteten Verhaltensmustern abgeleitet werden und sich funktional erklären lassen. Das setzt Akteure voraus, denen ein solches Verhalten in konkreten Situationen unterstellt werden kann. Anders verhält es sich, wenn Texte und Diskurse als Bezugsgrößen gelten. Das kommunikative Ereignis wird dann daraufhin beobachtet, welche Äußerungen Akteure produzieren und wo in der Gesellschaft dafür Anschlussmöglichkeiten gesehen werden. Der Blickwinkel verändert sich abermals, wenn Handeln auf dem Hintergrund impliziten Wissens erklärt werden soll. Die Kommunikation ist dann ein Prozess, der in der Auseinandersetzung mit den Gegenständen der jeweiligen Umgebung eines Akteurs erfolgt. Erklärt werden muss, was der Akteur tut und wie er mit den im Prozess relevant gesetzten Gegenständen umgeht, wenn er mit anderen agieren muss. Zusammenfassung Literatur Arndt, Horst; Janney, Richard W. (1987): InterGrammar. Toward an integrative model of verbal, prosod. and kines. choices in speech. Berlin: De Gruyter (Studies in anthropological linguistics, 2). Spiel-Metapher 4.5 83 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen l Iteratur Einheit 4 Baecker, Dirk (2005): Kommunikation. 1. Aufl. Leipzig: Reclam (Reclam Bibliothek Leipzig, Bd. 20 119). Coleman, James S. (1991): Grundlagen der Sozialtheorie. Band 1. Handlungen und Handlungssysteme; Band 2. Körperschaften und die moderne Gesellschaft; Band 3. Die Mathematik der sozialen Handlung. München: Oldenbourg. Durkheim, Emile; Conrad, Wolfgang (Hg.) (1982): Elementare Soziologie. Studientexte. 2. Aufl. Opladen: Westdt. Verl. ( WV -Studium, 97). Foucault, Michel (1973): Archäologie des Wissens. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Theorie). Habermas, Jürgen (1995): Theorie des kommunikativen Handelns. 1. Aufl. Frankfurt am Main, Alexandria, VA : Suhrkamp; Alexander Street Press (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft). Habermas, Jürgen (2014): Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. [Nachdr.]. 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Welche Theorieansätze erlauben die dort auftretenden Phänomene genauer zu beschreiben? (Vgl. 4.3) 3. Das Deuten von Handlungen vollzieht sich normalerweise im gegenseitigen Wechselspiel der von den Handlungen Betroffenen. Sie stimmen ihr Handeln aufeinander ab. Welche Formen und Spuren lassen sich aufdecken? Dokumentieren sie Gesprächsverläufe in Ihrer Alltagsumgebung 4.6 85 h andeln und d euten In KommunIKatIVen a lltagssItuatIonen P roBlemstellung und f ragen Einheit 4 und markieren sie entsprechende Verhaltenshinweise der Akteure. (Vgl. 4. 3) 4. Handlungen basieren in hohem Maße auf Zuschreibungen von Deutungen. Diese bedürfen, wenn die Kommunikation nicht scheitern soll, des Mitvollzugs durch die anwesenden Anderen. In welchen Situationen treten verstärkt Inkonsistenzen bei Gesprächsverläufen auf und werden diese überhaupt bemerkt? (Vgl. 4.4) Medien: Die Verbreitung kommunikativer Praktiken - in lokalen und globalen Kontexten Inhalt 5.1 Medien erfahren 88 5.2 Der Medienbegriff 90 5.3 Medien im Wandel der Zeit 93 5.4 Die Dynamik der aktuellen Medien 102 5.5 Literatur 105 5.6 Problemstellung und Fragen 107 In der unserer heutigen Gesellschaft sind Medien allgegenwärtig. Entsprechend vielfältig ist die Sicht auf dieselben und die Art und Weise, wie darüber gesprochen wird. Dabei wird sehr oft die materielle Seite der Medien in den Vordergrund gestellt. Das Handy oder Smartphone wird jemandem verkauft; gekauft wird aber die Möglichkeit zu mehr Kontakt zu Freunden. Medien lassen sich nicht ohne die konkreten Praktiken der Nutzer verstehen. Das kann bereits bei der Entstehung der Schrift in der frühen Zeit beobachtet werden und lässt sich über den Buchdruck bis hin zur Einführung des Internets und besonders seit dem Web 2.0 feststellen. Die immer wieder offene Frage ist, was finden Nutzer durch Kommunikation heraus, wenn sie ihren Interaktionsbereich erweitern, verfeinern und beschleunigen wollen. Der Umgang mit Bildern belegt sehr anschaulich, wie sich die Sicht auf die Dinge und das Reden darüber durch die Veränderung des Mediums Bild verändert. Überblick 87 P roBlemstellung und f ragen Einheit 5 Medien: Die Verbreitung kommunikativer Praktiken - in lokalen und globalen Kontexten Inhalt 5.1 Medien erfahren 88 5.2 Der Medienbegriff 90 5.3 Medien im Wandel der Zeit 93 5.4 Die Dynamik der aktuellen Medien 102 5.5 Literatur 105 5.6 Problemstellung und Fragen 107 In der unserer heutigen Gesellschaft sind Medien allgegenwärtig. Entsprechend vielfältig ist die Sicht auf dieselben und die Art und Weise, wie darüber gesprochen wird. Dabei wird sehr oft die materielle Seite der Medien in den Vordergrund gestellt. Das Handy oder Smartphone wird jemandem verkauft; gekauft wird aber die Möglichkeit zu mehr Kontakt zu Freunden. Medien lassen sich nicht ohne die konkreten Praktiken der Nutzer verstehen. Das kann bereits bei der Entstehung der Schrift in der frühen Zeit beobachtet werden und lässt sich über den Buchdruck bis hin zur Einführung des Internets und besonders seit dem Web 2.0 feststellen. Die immer wieder offene Frage ist, was finden Nutzer durch Kommunikation heraus, wenn sie ihren Interaktionsbereich erweitern, verfeinern und beschleunigen wollen. Der Umgang mit Bildern belegt sehr anschaulich, wie sich die Sicht auf die Dinge und das Reden darüber durch die Veränderung des Mediums Bild verändert. Überblick 88 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten Medien erfahren Eine Kollegin der Archäologie, die an Ausgrabungen im Gebiet des heutigen Irak beteiligt war, erzählte mir auf die Frage, wie sie sich denn die Entstehung der Schriftvorstellt, eine kleine Geschichte: Episode Es war wieder an der Zeit, Steuern zu erheben. Der zuständige Beamte des Herrschers kam in die Stadt Ur, wo er die Steuerabgaben einsammeln sollte. Dabei gab es immer wieder Ärger, weil die Leute behaupteten, sie hätten bereits ihre Abgabe gezahlt. Sie brachten Zeugen herbei, die bestätigen sollten, dass sie gezahlt hätten. Es war für den Steuerbeamten schwierig zu prüfen, ob sie im Recht waren oder nicht. In seiner Not kam ihm daher eine Idee. Jeder, der seine Steuer bezahlt hatte, erhielt ein Zeichen. Das wurde in die Wand des Hauses geritzt, in dem der Steuerbeamte gearbeitet hatte. So konnte er feststellen, ob die Steuer entrichtet worden war, und der Betroffene wie alle anderen sahen, wer gezahlt hatte. Ausgangspunkt der Episode ist das Problem, dass sich Personen über etwas verständigen müssen, ohne sich dabei gegenüber zu stehen. Im genannten Beispiel betrifft das Entrichten einer Steuer alle Steuerpflichtigen. Nun kann der Fall eintreten, dass die Steuer bereits zu einem weit zurückliegenden Zeitpunkt gezahlt worden ist. Die Akteure sprechen dann über etwas, was in der Vergangenheit liegt und deshalb für die gegenwärtig Beteiligten nicht mehr direkt zugänglich ist. Das Ereignis ist ein Gegenstand der Erinnerung und kann einerseits als Tatsache behauptet oder andererseits bezweifelt werden. Die Glaubwürdigkeit der Erinnerung braucht daher möglichst gesicherte Indizien. Zeugen sind solche Indizien. Sie könnten aber bestochen worden sein. Sicherer kann der Nachweis durch ein Dokument gestaltet werden, welches in direktem Zusammenhang mit der Erinnerung steht. Das Bezahlen der Steuer wird durch den Steuerbeamten mithilfe eines Zeichens fixiert. Er kann nun zu einem späteren Zeitpunkt feststellen, ob die Person, von der er die Steuer verlangt, diese bereits entrichtet hat. Denn wenn das Zeichen auf der Hauswand nicht existiert, ist das der Beweis dafür, dass nicht gezahlt wurde. Das Zeichen ist dem Steuerzahler und dem Beamten bekannt und es ist öffentlich sichtbar, sodass beide den Vollzug sehen können. Die Erinnerung an die Zahlung wird damit für beide nachweisbar. Die Episode bezieht sich auf eine kommunikative Handlung. Wir finden Personen vor, die Verhalten beobachten und ihm Bedeutung zuweisen können, weil sie im Verhalten etwas erkennen, was ihnen bekannt ist. Das 5.1 Wissen kommunikativ verfügbar halten 89 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten m edIen erfahren Einheit 5 Einfordern und Zahlen von Steuern ist ein bekannter Vorgang. Dieser wird mithilfe eines Zeichens, das der Steuerbeamte setzt, aus dem raumzeitlichen Kontext des Hier und Jetzt herausgelöst. Das Zeichen an der Wand wird lesbar als Ich X habe meine Steuer an den König gezahlt. Das Ereignis ist für alle wiederzuerkennen, welche diesen Zusammenhang anerkennen, und solange diese Kenntnisse existieren, hat das Ereignis in der Erinnerung aller Bestand. Jeder weiß, unabhängig davon, ob er dabei war oder nicht, dass der Akteur X seine Steuer gezahlt hat. Das Zeichen macht etwas sichtbar, was es nur noch als Gedachtes gibt. Es wird dadurch auch verfügbar für viele, die an dem Ereignis nicht beteiligt waren, aber um die Umstände wissen. Es ist so zu einem Medium geworden, das zur Verbreitung von Gedachtem genutzt werden kann. Die Leute können über das Ereignis reden, obwohl es ihnen weder zeitlich noch räumlich zugänglich ist. Erklärung Ein Medium ist zuerst einmal eine Praxis, die das Fixieren von Dingen und Ereignissen mithilfe von Materialien erlaubt, die zeitlich unabhängig von dem Geschehen existieren und wahrgenommen werden können. Sie ermöglicht das Erinnern oder (Re-)Konstruieren von Wirklichkeitsausschnitten. Licht ist ein Medium, das uns erlaubt, Dinge unserer Welt zu identifizieren, die wir aufgrund unseres Wissens danach ordnen können. Luft ist ein Medium, das uns die Möglichkeit bietet, Laute und Geräusche aufgrund unserer Sprachkompetenz linguistisch zu erkennen und diesen Umstand wiederum zu nutzen, um sie manipulativ beispielsweise nach den Regeln der Sprache einzusetzen und dabei Sprache zum Medium zu machen. Für Heider (2005) zeichnen sich Medien dadurch aus, dass sie uns ermöglichen, etwas wahrzunehmen, ohne dass wir sie selbst bewusst wahrnehmen. Wenn wir eine Blume sehen, nehmen wir nicht die Lichtfrequenzen wahr, die uns das farbige Sehen ermöglichen. Wenn wir Sprache hören, haben wir nicht das Gefühl, Luftschwingungen zu fühlen. Medien nutzen wir, um uns in der Welt zu orientieren. Sie eignen sich für die kommunikative Nutzung, wenn sich Personen darauf verlassen können, dass die Anderen dieselbe mediale Praxis nutzen. Wenn die Lichtverhältnisse für Betrachter gleich sind, kann unterstellt werden, dass er Objekte ganz ähnlich sieht. Das Licht macht uns Dinge auf eine ganz eigene Weise sichtbar. Wenn nun auch das Wissen über die Dinge mit dem Anderen geteilt wird, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, Dinge auf ähnliche Weise zu erkennen. Nutzen die Personen dieselbe Sprache, können sie so darüber reden, dass angenommen werden kann, über dasselbe zu sprechen. Das Medium als Quelle der Wahrnehmung und Erinnerung Fritz Heider (1896-1988): Psychologe der gestalttheoretischen Orientierung, Schwerpunkt: Attributionstheorie 90 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten Wie wir Dinge sehen, hängt daher eng mit der besonderen medialen Praxis zusammen. Sprache führt uns bildlich gesprochen Objekte vor Augen, sodass wir sie zu sehen glauben. Das unterscheidet sich aber von dem, was physisch unmittelbar wahrgenommen wird. Denn die Sprache funktioniert nur dann, wenn es Erfahrungen mit dem gibt, vorauf sie semantisch Bezug nimmt. Die Kommunikation nutzt die Praxis „Sprache“. Ändert sich aber die materiale Grundlage eines Mediums, braucht es eine dafür geeignete mediale Praxis. Mit der Erfindung des Mikroskops konnten Eigenschaften an Objekten entdeckt und gesehen werden, über die es noch kein Wissen gab und keine Erfahrung, wie damit umzugehen ist. Es brauchte Zeit, um eine Praxis zu entwickeln, die das, was gesehen wird, kategorial erfassen und sprachlich zuordnen konnte, sodass eine kommunikative Nutzung in der Wissenschaft möglich wurde. Der Medienbegriff Der Gebrauch des Medienbegriffs ist sehr vielfältig, vielschichtig und omnipräsent. Er steht wie der Kommunikationsbegriff für ein Phänomen, auf das in ganz unterschiedlicher Weise eingegangen werden kann. McLuhan (1989) beschreibt Medien als eine Ausweitung des Menschen und spricht von der „extension of man“. Denn der Mensch sei so angelegt, dass er stetig auf seine Umwelt zugreife. Das beginnt damit, dass er in die Umwelt geht und sich den Dingen in der Welt um ihn herum möglichst konkret annähern möchte. Um die Dinge im engen und weiteren Umkreis zu erreichen, entwickelt der Mensch Instrumente und Werkzeuge, die es ihm erlauben, immer weiter darauf Bezug nehmen zu können. Ganz im Sinne dieses Motivs ist es dann, wenn ein Post-System entwickelt oder das Telefon und das Fernsehen erfunden werden. Dinge, die nicht mehr unmittelbar im Gesichtsfeld liegen, werden so dennoch erreichbar. McLuhan erwähnt in diesen Zusammenhang auch den Ausbau der Infrastruktur wie beispielsweise Straßen- und Wegenetz, Bahn- und Flugverbindungen. Denn auch sie dienen der Funktion, mit anderen in Kontakt zu treten (Adamzik 2007). Medien stehen nach dem herkömmlichen Verständnis im engen Zusammenhang mit dem Gedanken der Transmission und der Vorstellung, dass der Kommunikation ein technisches Problem zugrunde liege, welches sich aus der Vermittlung von Daten ergibt. Pross (1972) hat daher einen Medienbegriff vorgeschlagen, der in Abhängigkeit von der notwendigen Technik primäre, sekundäre und tertiäre Medien Medien bestimmten die Sicht auf die Dinge 5.2 Medium als „extension of man“ Unterschiedliche Medienbegriffe Marshall McLuhan (1911-1980) Abb. 5.1 Philosoph und Geisteswissenschaftler, Schwerpunkt: Medientheorie 91 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten d er m edIenBegrIff Einheit 5 unterscheidet. Von primären Medien spricht er immer dann, wenn die Übertragung ohne technische Hilfe auskommt. Das ist bei der Face-to-face-Kommunikation im Alltag der Fall. Sekundäre Medien sind diejenigen, welche bei der Produktion der Daten für die Nachricht nötig sind. Das sind der Stift und das Papier, die Schreibmaschine oder der Laptop. Tertiäre Medien benötigen bei der Datenproduktion und ihrer Rezeption weitere technisch ausdifferenzierte Hilfsmittel. Typisch ist das Telefon, bei dem Schallwellen in elektrische Wellen umgewandelt und dann in physikalische zurücktransferiert werden. Es gibt ein Verständnis von Medien, bei dem der technisch-funktionale Aspekt hervorgehoben wird. Das spiegelt sich im Sprachgebrauch wider, wenn von Speicher-, Übertragungs- und Kommunikationsmedien gesprochen wird. Im ersten Fall geht es um die Fixierung von Daten, die bewahrt werden sollen. Die Festplatte und der Chip sind typische Beispiele. Daten werden durch Übertragungsmedien für den Transport umgeformt, was durch Umwandlung in elektrische Signale geschehen kann, die weitergeleitet werden. Der Ausdruck Kommunikationsmedium verweist auf einen interaktiven Datenaustausch, d. h. es wird von zwei Seiten ausgegangen, welche die Daten benutzen. Das Web 2.0 wäre ein Beispiel für ein solches Medium, das als soziales Netz fungiert. Böhn und Seidler (2008) referieren weitere Klassifikationsvorschläge, bei denen der Ausgangspunkt die Wahrnehmung ist. Sie unterteilen in auditive, visuelle und audiovisuelle Medien. In Abhängigkeit von der Art der Datenverarbeitung hat sich der Begriff der Massenmedien eingebürgert. Luhmann (1996, 53-54; 85-86; 96-98) bezeichnet damit die Verteilung der Medien von einer Quelle auf eine Vielfalt von Empfängern, die der Quelle nicht bekannt sind. Radio und Fernsehen oder auch die Presse fallen darunter. In der gegenwärtigen Diskussion über den Begriff Medien werden Bezüge zu sehr heterogenen Sachverhalten hergestellt. Gemeinsam ist ihnen, dass Eigenschaften betont werden, welche für die jeweiligen Kommunikationssituationen bedeutsam sind. Ferner stimmen sie darin überein, dass der Übertragungsvorgang im Vordergrund steht und versucht wird, die typischen Umstände der Transmission zu klassifizieren. Der technischen Seite kommt dabei immer die größte Aufmerksamkeit zu. Das erklärt sich aus dem Umstand, dass die Signalverarbeitungstheorie über lange Zeit hinweg das vorherrschende Konzept in der Kommunikationswissenschaft war und noch immer, beispielsweise in der Informatik, eine zentrale Rolle spielt. Erklärung Harry Pross (1923-2010): Publizist und Publizistikwissenschaftler, Schwerpunkte: Medien und Kommunikation 92 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten Ein Medienbegriff, der das soziale Verständnis in den Mittelpunkt rückt und die Verbindung zur Kommunikation herstellt, wurde durch die Arbeiten von Luhmann (2009) ins Spiel gebracht. Für ihn ist Medium das, was in der Lage ist, Formen aufzunehmen. Medien ermöglichen es, wie von Heider (2005) beschrieben, Formen weiterzugeben. Formen sind dabei nichts Materielles. Sie stehen für ein Bündel von Operationen, mit deren Hilfe Akteure auf etwas vom Sprecher Gemeintes oder in der Wirklichkeit Vorfindbares schließen. Verformungen im Sand können als Fußabdruck erkannt werden, wenn uns das Profil an den Abdruck eines Fußes erinnert. Wenn der Abdruck bewusst gesetzt wird, um andere auf etwas aufmerksam zu machen, gewinnt er kommunikative Qualität. Ein solcher Medienbegriff ist flexibel und erklärt die beobachtbare Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten sowie die Notwendigkeit seiner sozialen Gebundenheit, wenn sie kommunikativ nutzbar sein sollen. Er verweist auf Praktiken. Der Körper kann als Medium genutzt werden. Er lässt nach Hübler (2001) aber nur die Formen zu, welche durch ihn möglich sind. Wenn beispielsweise zwei Personen miteinander flirten, beobachten sie das Körperverhalten des Gegenübers, um dort Anzeichen für emotionale Sympathie und erotische Wirkung zu entdecken und durch eigenes Verhalten die Lesart Flirt beim Anderen zu verstärken. Geprüft werden dabei Abweichungen von einer Normalerwartung und diesen wird eine Qualität zugeschrieben, die emotional und erotisch aufgeladen ist. Aus dem Körperverhalten des Anderen wird auf Hinweise von Zuneigung oder Distanz geschlossen. Ob jemand glücklich oder traurig ist, wird so zu erkennen versucht. In Interaktionsgemeinschaften und in Kulturen allgemein werden oft typische Muster des Ausdrucks verwendet, um Glücklich- oder Traurigsein anzuzeigen, sodass auch Schauspieler im Theater einen solchen Zustand mit diesen Mitteln simulieren können. Sprache als Medium ist eine komplexe Praxis und spielt für die Kommunikation die zentrale Rolle, denn ihre Formen folgen hochgradig ausdifferenzierten Ordnungen, die im Normalfall jeder erworben hat. Der Mensch nutzt das Medium, weil er unterstellen kann, dass die Formen für andere ebenso lesbar sind wie für ihn. In der Regel ist er sich dabei nicht der Tatsache bewusst, dass den Formen Ordnungen zugrunde liegen, die keineswegs von allen auf dieselbe Weise geteilt werden. Der Wortschatz ist eine solche Ordnung, die in Abhängigkeit von der Bildung der einzelnen Sprecher unterschiedlich genutzt werden kann. Bekannt ist das Phänomen Fachsprache. Allgemein wahrnehmbar sind der Gebrauch von Dialekten und die Grenzen ihrer Verstehbarkeit, wenn Personen nicht aus der jeweiligen Region stammen. Zum Problem für die Kommunikation wird das Medium Sprache immer dann, wenn der Unterschied im Gebrauch nicht erkannt wird. Ein Student Medien als spezifische Operationen Der Körper als Medium Sprache als Medium Grenzerfahrungen mit einem Medium 93 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten m edIen Im w andel der z eIt Einheit 5 hat sein Referat gehalten und der Dozent kommentiert am Ende: Das war gut. Im Normalfall würde daraus auf die Bewertung der Leistung und eine Note geschlossen, die dann mit der Zwei verbunden würde. Es ist aber in anderen Fällen zu beobachten, dass der Kommentar, dass etwas gut war, nur anzeigen sollte: Die gezeigte Leistung war in Ordnung. Ein Paar erklärt sich gegenseitig seine Liebe füreinander. Liebe bedeutet für den einen Partner, jemanden gefunden zu haben, mit dem er zusammenleben möchte. Der andere bezeichnet mit Liebe eine besonders intensive Sympathie für den anderen. Der Unterschied in der Einschätzung der Beziehung der beiden ist nicht unbedingt sofort erkennbar. Erst wenn die Frage der Dauer thematisiert würde, könnte er zu einem Problem werden. Die Differenz zwischen dem Gemeinten und dem, was verstandenen wird, begleitet Sprache ständig und deshalb wird versucht, das Medium Sprache durch andere zusätzlich zu stützen, z. B. durch die Sprechweise, also dadurch wie etwas gesagt wird. Das Medium der Prosodie ist einerseits eigenständig und verweist mit seinen Formen auf Handlungszusammenhänge mit dem Geäußerten. So hören wir heraus, ob jemand etwas erfragt oder uns ermahnt. Andererseits punktiert die Prosodie durch Wort- und Satzakzent, was dem Sprecher wichtig ist und hervorhebenswert erscheint. Die gesprochene unterscheidet sich von der geschriebenen Sprache und die Nutzer verfolgen dabei eigenständige Praktiken. Wir lesen einen Text, der über brisante politische Ereignisse in einem Land referiert. Es gibt aber keinen Hinweis auf den Autor. Wir können nicht ohne weiteres darüber entscheiden, wie glaubwürdig das im Text Geäußerte ist. Es kann sich um eine Erzählung handeln, es könnte ein Bericht sein, vielleicht ist er als Nachricht gedacht. Die Text-Äußerung lässt sich im Medium Sprache nach linguistischen Ordnungen auflösen; wir verstehen die Wörter und ihre Syntax. Mit diesen wird auf Sachverhalte in der vorfindlichen oder gedachten Wirklichkeit verwiesen. Welche Einstellung der Schreiber dazu besitzt und welche Einflussnahme er damit beim Leser zu verfolgen versucht, braucht eigener (sprachlicher) Mittel. Sie geben mögliche Hinweise darauf, in welchem Handlungshintergrund der Text zu lesen ist. Fehlen diese Hinweise, könnte aufgrund des Wissens um den Autor auf den Handlungshintergrund geschlossen werden. Medien im Wandel der Zeit Eine für die Menschheitsentwicklung bedeutsame Veränderung war, wie Haarmann (2011) referiert, die Erfindung der Schrift. Sie ermöglicht Kommunikation unabhängig von der physischen Anwesenheit des bzw. der Andegesprochene und geschriebene Sprache 5.3 Bewusstwerden der Medialität 94 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten ren. Sie suggeriert sogar eine Unabhängigkeit von der Zeit. Mit ihr konnten plötzlich Waren verwaltet, Steuern erhoben und nachträglich geprüft werden. Schriftkultur entstand an ganz unterschiedlichen Orten und ist seit 5300 v. Chr. in Südostasien belegt, in Altägypten 3500 v. Chr., 2700 v. Chr. in Mesopotamien, in Indien 2300 v. Chr., in China seit 1900 v. Chr. und in Mittelamerika 1000 v. Chr. Inschriften auf Kulturgegenständen aus Ton um 5500 v. Chr. sind die ältesten gefundenen Schriftdokumente. Seit 3320 v. Chr. sind altägyptische Hieroglyphen und die sumerische Keilschrift aus Mesopotamien (2600 v. Chr.) bekannt. Ein reines Buchstabensystem entstand seit dem 15. Jh. v. Chr. im Nahen Osten. Es entwickelte sich ausgehend von den regionalen altsemitischen Sprachen und der sumerischen Keilschrift in Mesopotamien in Ugarit zu einem Buchstabenalphabet. Überliefert ist ein Alphabet mit 27 Buchstabenzeichen von der ugaritischen Keilschrift. Sie folgt einer Konsonantenordnung, welche später im Phönizischen wiederzufinden ist. Das Phönizische kannte in früher Zeit drei Schriftsysteme: die Byblos-Silbenschrift, das ugaritische Keilschriftalphabet und die 22 Buchstabenzeichen. Im 9. Jahrhundert v. Chr. entwickelte sich auf Kreta ein konsonantisches Alphabet, das ursprünglich linksläufig war und dann nach rechts verändert wurde. Dazu kamen einige Vokalbuchstaben wie das Alpha, Eta, Jota. Diese semitisch-phönizische Alphabetschrift ist 500 v. Chr. als Schrift der Römer erstmals auf der Stele Lapis-Niger auf dem Forum Romanum bezeugt und verbreitete sich im Verlauf des 6. Jh. über die Etrusker in Italien. Unsere Schriftzeichen nehmen ihren Anfang zu Beginn des 9. Jh. Damals initiierte Karl der Große eine Reform, die zu einer schreibbaren Normalschrift führte und, ausgehend von Saint Martin in Tours, in den Klöstern als verbindlich aufgegriffen wurde. Mit der medialen Praxis der Schrift ließen sich Daten an Perso- Vokalische und Konsonantische Schriftzeichen Harald Haarmann (* 1946) Abb. 5.2 Sprach- und Kulturwissenschaftler und Direktor von dessen European Branch, Schwerpunkte: Kultur- und Sprachkontakte Tontafel in assyrischer Keilschrift. Diese Königsliste zählt die Herrscher auf, beginnend bei denen, die in Zelten lebten, bis zu denen, die historisch belegt sind. Abb. 5.3 95 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten m edIen Im w andel der z eIt Einheit 5 nen anderer Orte weitergeben, vorausgesetzt das Geschriebene war „transporttauglich“ bzw. überdauerte Zeit und Zeiträume und war am Zielort „lesbar“. Bedingung war entsprechend, die Verwendung von Materialien, die Schriftzeichen festzuhalten und weiterzugeben erlaubten. Tontafeln z. B. konnten diesen Bedingungen genügen. Die Schrift Zeichen wurden in den feuchten Ton eingeprägt, war er getrocknet, ließen sich die Täfelchen an beliebige Orte transportieren. Die Römer benutzten Wachstäfelchen, die den Vorteil hatten, dass nach dem Lesen das Eingravierte wieder „gelöscht“ und die Tafel erneut beschrieben werden konnte. Doch das Medium Ton oder Wachs als Träger einer Form ist das eine. Etwas ganz anderes ist das Medium Schrift als Träger von Formen. Denn das Geschriebene muss gelesen und verstanden werden, d. h. es reicht nicht aus, Schriftzeichen zu erkennen und Wörter und Sätze daraus abzuleiten. Das Medium wird kommunikativ nutzbar, wenn die Partner sich gegenseitig unterstellen können, aus den Daten der Schrift auf einen ihnen zugänglichen sozialen, pragmatischen und semantischen Handlungszusammenhang schließen zu können. Ferner muss erwartet werden, dass Handlungskonse- Schriftlichkeit Nutzergebundenheit Römische Wachstafel für Nachrichten, die auch außer Haus gegeben werden konnten Abb. 5.4 96 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten quenzen auf ähnliche Weise gezogen werden. Die Zeichen an der Hauswand des Beamten funktionierten nur so lange wie klar war, welcher Handlungskontext mit ihnen verbunden war. Viele Gebrauchsformen sind im Medium Schrift vorstellbar. Sie setzen aber immer voraus, dass unter den Nutzern Einverständnis darüber besteht, auf welche Art sie aus dem Aufgeschriebenen auf Handlungen als Konsequenz schließen werden. Der Leser muss wissen, was er mit dem Geschriebenen tun soll bzw. wie in seinem sozialen Umfeld damit umgegangen wird. Ändert sich an den kontextuellen Rahmenbedingungen des Gebrauchs etwas-- der Schreiber ist nicht mehr identifizierbar, die Herkunft ist unklar, die Situation der Produktion bleibt unbestimmt, Phänomene, wie sie beispielsweise aufgrund der Verbreitungsmöglichkeiten des Internet bekannt sind,- - verändert sich das Medium in seiner kommunikativen Wirkung. Die Nutzer können sich auf bisherige Nutzungsregeln für die Semantik und Pragmatik nicht mehr verlassen. Die Kommunikation wird unsicher. Deshalb kommt es bei der Einführung neuer Medien gehäufte zu Missverständnissen, weil die Akteure versuchen, aus der Perspektive bekannter Regeln das Medium zu nutzen. Eine E-Mail wurde zum Beispiel lange Zeit wie ein Brief behandelt. Eine besondere Herausforderung bestand nach der Erfindung der Schrift darin, geeignete Formen für die Kommunikation zu finden, die entweder an bestehende Praktiken der Mündlichkeit anschließen konnten oder neu erfunden, entwickelt und erprobt werden mussten. Die Situation eines Erzählers und seiner Zuhörerschaft unterscheidet sich signifikant von der des einsamen Schreibers und Lesers. Es reichte daher nicht, nur Tontafeln zum Schreiben herzurichten oder Pergament oder Papyrus mit Wörtern und Sätzen zu beschreiben, sondern es mussten, linguistisch gesprochen, Textsorten erfunden werden, um das Erzählen im Verbreitungsmedium geschriebener Text kommunikativ zu ermöglichen. Der geschriebene Text erfordert vom Angesprochenen Erfahrungen und Wissen im Umgang damit. Er muss gelernt haben, was er dem Schreiber unterstellen kann. Denn das Geschriebene ist Teil eines größeren Handlungskontextes, der Schreiber und Leser umfasst und darin bestimmte Aufgaben übernimmt sowie lösen muss. Lesen überschreitet deshalb immer den Individualakt des Erlesens und führt zu gemeinsamen Handlungen mit anderen. Ein Protokoll soll die Wissensbestände eines Gremiums sichern, ein Zeitungsbericht über Sachverhalte in der Welt informieren, sodass eine Beurteilung des dort Vorgefallenen stattfinden kann. Wird ein Roman vorgestellt, schafft er Raum für Phantasien unter den Lesern und bietet Stoff für vielfältige Gespräche. Erklärung Medial bedingte Kontextualisierung 97 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten m edIen Im w andel der z eIt Einheit 5 Das Erfinden der Schrift war ein weitreichender Einschnitt für die kulturelle Entwicklung und ein Meilenstein für das Medium Sprache. Einen dieser Entdeckung vergleichbaren Einschnitt bedeutete dann die Entdeckung, das einmal Geschriebene systematisch vervielfältigen zu können und beliebig oft und an den verschiedensten Orten allen möglichen Personen zugänglich machen zu können. Dass Texte kopiert wurden, war schon in römischer Zeit gängige Praxis. Die Kopien wurden durch Abschreiben erstellt und waren für ausgewählte Leser bestimmt. In China war vereinzelt eine Drucktechnik bekannt, die wie beim Kopieren von Zeichnungen verwendet wurde, der Holzbuchdruck. Im Jahr 868 wurde das Diamant-Sutra erstmals nach dem Verfahren des Holzblockdrucks vervielfältigt. Dazu wurden Zeichen spiegelverkehrt ins Holz geschnitten. Bezüglich des Buchdrucks, wie er durch Johannes Gutenberg (1400-68) seit Mitte des 15. Jh. praktiziert wurde, war also nicht das Moment der Vervielfältigung das Entscheidende, sondern die Öffnung der Leserschaft in einem sozialen Kontext, der einen hohen Bedarf an Informationen außerhalb des unmittelbaren Lebensumfeldes weckte. Nun wurde das an einem Ort wie der Bibliothek eines Klosters oder einer Universität befindliche Schriftstück aus dieser Umgebung herausgelöst und in völlig andere und bisher für diese Texte fremde Umfelder weitergegeben. Der Text wurde „veröffentlicht“, d. h. er wurde Lesern zugänglich, die der Schreiber nicht kennt. Das Gedruckte konnte so in die Hände von Personen gelangen, die mit dem Verfasser nichts verbanden oder zu den Inhalten und Stoffen keinen direkten Zugang besaßen. Ferner wurde zur selben Zeit und an unterschiedlichen Orten das Denken einer Person von ganz verschiedenen Personen wahrgenommen und diskutiert. Wissenschaftler konnten sich schnell über das neu von Anderen Erdachte informieren und es zu ihren eigenen Gedanken positiv oder negativ in Position setzen. Neu an dieser Situation war der Umstand, dass der Verfasser keinen Einfluss mehr auf das hatte, was seiner Schrift entnommen und wie es dann im engen Kreis oder öffentlich diskutiert wurde. Er konnte nicht mehr direkt und spontan widersprechen oder über etwas aufklären, was aus sei- Der Buchdruck Veränderte Leseumgebungen Buchdruck in einer Druckerwerkstatt des 15. Jahrhunderts Abb. 5.5 98 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten ner Sicht vom Anderen nicht richtig verstanden worden war. Das hatte zur Konsequenz, dass neue Formen der „Einmischung“ gefunden bzw. entwickelt werden mussten. So entstanden eigenständige Textsorten, in denen der Disput seine eigene Form erhielt und der gegenseitigen Wahrnehmung der Arbeiten des Anderen eine neue Rolle zugeteilt wurde. Eine neue Form der „Wissenschaftskommunikation“ entstand und die Kritik von Literatur wurde erfunden. Wir sind es heute gewohnt, zwischen dem privaten und öffentlichen Raum zu unterscheiden. Schiewe (2004) sieht in dieser frühen Zeit den Beginn der Herausbildung von Bedingungen für das, was heute als Öffentlichkeit verstanden wird. Dazu haben die Flugschriften und das Entstehen der Zeitung beigetragen. Der Schreiber wandte sich bewusst an eine große Zahl von Lesern, von denen er wenig oder gar nichts wusste. Der Drucker schaffte die Möglichkeit das Geschriebene auf Märkten und Orten zu verteilen, wo sich viele Menschen trafen. Das schafft die Chance, täglich mit vielen Personen über die Materialisierung eines bedruckten Blattes Papier in Kontakt zu treten, in Verbindung zu bleiben und diese Kreise mit bestimmen Inhalten und Stoffen zu konfrontieren. Öffentlichkeit setzt insofern die Möglichkeit zur Mitgestaltung der sozialen Wirklichkeit voraus. Das weckte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zugleich die Hoffnung, so könne vielfältig Einfluss auf Personen und ihre Meinungen und Vorstellungen genommen werden. Da lag es nahe, dass die Politik diese Situation für sich zu nutzen versuchte. Das Schreiben und Vervielfältigen von kommunikativ wirksamen Texten setzt Personen voraus, die über Fähigkeiten zum Lesen verfügen. Das Lesen folgt dabei bestimmten Techniken, die zuvor eingeübt werden müssen. Abbildung 6 Hugo von St. Viktor (1097-1141) war einer der ersten, der seinen Mönchen Anweisungen dafür gegeben hat, wie vom Wort zum Satz und vom Satz auf die zurückliegenden Sätze lesend geschlossen werden muss, um verstehen zu lernen, was im Text mitgeteilt wird. Mit dem Buchdruck kam es zu einem Wandel in der Technik des Lesens. Die Schriftrepräsen- Das (neue) Lesen Hugo von St. Viktor (1096-1141) Abb. 5.6 99 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten m edIen Im w andel der z eIt Einheit 5 tation folgte in den Handschriften einer kontinuierlichen Buchstabenfolge. Diese wurde höchstens am Beginn einer Präsentationseinheit eines Abschnitts unterbrochen. Da die Buchdrucker nach der Anzahl der gesetzten Lettern bezahlt wurden, fanden sie schnell heraus, wie mit diesen effektiv gearbeitet und gleichzeitig die Buchstabenabfolgen besser kontrollierbar gemacht werden konnten. Durch die Erfindung der Leerstelle zwischen den Wörtern wurde erstmals die Wortstruktur der Sprache sichtbar gemacht. Die Texte der Handschriften las man für gewöhnlich laut, durch die Prosodie konnten Sinnstrukturen erschlossen werden. Der Sinngehalt des Ganzen baute sich durch die sukzessiv erkannten Sinneinheiten auf. Die bessere Übersichtlichkeit eines gedruckten Textes, vor allem die schnellere Erkennbarkeit der einzelnen Wörter, erlaubte ein stilles Lesen und das wiederum ließ beim Lesen ein Vor- und Zurückgehen des Blickes zu. Für die Gestaltung des Textäußeren spielten nun nicht mehr nur die Vollständigkeit, Genauigkeit der Wiedergabe und Lesbarkeit einzelner Schriftzeichen eine Rolle, sondern die einzelnen Wörter und Sätze des Textes konnten strukturiert dargeboten werden. Solche Gestaltungsformen wurden genutzt, um Hinweise auf Inhaltliches zu geben sowie Interessen des Schreibers durch Hervorhebungen anzuzeigen. Wie das Punktieren in der natürlichen Kommunikation die Aufmerksamkeit des Partners lenken soll, so kann die graphische Ausgestaltung im Text das Erlesen beeinflussen. Ein Text weist heute die vielfältigsten Gestaltungs- Früher Druck-Test des Alten Testaments, Buch Mose 1.1-31, die Erschaffung der Welt, Gutenberg- Bibel (entstanden zwischen 1452 und 1454 in Mainz) Abb. 5.7 Beispiel für eine Flugschrift (Text, der wenigstens 4 Seiten umfasst und unregelmäßig erscheint), von Reinhard Lutz: „Warhafftige Zeitung von den Gottlosen Hexen“ (1571) Abb. 5.8 100 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten elemente auf, die einen Leser überhaupt erst für sich zu gewinnen suchen und ganz unterschiedliche Hilfen für das Verstehen des Gedruckten anbieten. Wer eine Bild-Zeitung in die Hand nimmt oder eine Website im Internet abruft, gerät manchmal in Schwierigkeiten, überhaupt das zu finden, was er als Text gewohnt ist. Die Schrift und ihre Vervielfältigung unter der Perspektive der Entstehung von Öffentlichkeit bilden einen wichtigen Aspekt. Genauso interessant sind aber Entwicklungen, welche bildliche Darstellungen und ihre Kommunikation betreffen. Schmidt und Zurstiege (2000) beschreiben die besondere Rolle der Fotografie, die wie der Buchdruck die Möglichkeit geschaffen hat, schnell und beliebig viele Exemplare eines Bildes zu generieren. Im Jahr 1826 veröffentlichte der Franzose Nicéphore Niépce das erste Foto. Von nun an glaubte man, es sei möglich, ohne die subjektive Vermittlung durch einen Maler etwas ganz „unvermittelt“ als die Wirklichkeit selbst zeigen zu können. Ein „Abbild des Wirklichen“ konnte gewissermaßen konserviert, beliebig vervielfältigt und an andere weitergegeben werden. Es konnten Orte gezeigt werden, an die man normalerweise nicht gelangt. Zur selben Zeit entstand das Eisenbahnnetz, wodurch zusätzliches Interesse an anderen und fremden Gegenden geweckt wurde. So konnte nach kurzer Zeit das Foto von fremden Orten als Postkarte seinen Siegeszug halten. Dabei galt die Faszination der „objektiven Wiedergabe des Gesehenen“. Das Foto lässt ein erkenntnistheoretisches Phänomen bewusst werden. Es hält Dinge fest, die gewöhnlich nicht wahrgenommen werden, weil die Wahrnehmungsselektion nur das zu sehen nahelegt, was für den Betrachter thematisch relevant ist. Ein Foto dokumentiert ausschließlich Helligkeitsverteilungen eines bestimmten zeitlich fixierten Momentes und für den Bereich, den die Linse erfasst. Das erweckt den Eindruck einer subjektunabhängigen Wirklichkeitsrepräsentation. Dieser Art der Wirklichkeitsdarstellung wurde daher ein Gewicht bei der Realitätsverarbeitung zugeschrieben, wie sie bis dahin keine andere Form besessen hatte. Das Foto wurde so kommuniziert als stünde es näher an der Wirklichkeit als der Betrachter. Damit verband sich sogleich eine Normerwartung: Fotos können nicht lügen. Fotos wurden als Erweiterungen, Verbesserungen und Präzisierungen der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit eingeschätzt. Das Foto war damit eine Kommunikationsform, über die jeder den gleichen Zugang zur Wirklichkeit zu erhalten schien. Es schuf gewissermaßen eine sichere Kommunikation, denn hier gab es keine sprachliche Barriere. Das „Helligkeitsverteilungs-Dokument“ Foto lesen wir, indem wir bestimmten Helligkeitsverteilungen auf diesem Dokument Gestalten zuordnen, die wir als Objekte aus der Wirklichkeit identifizieren. So weisen wir bestimmten Flächen von Grauabstufungen die Gestalt eines Menschen zu Das Foto Erstes Foto: Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras (1826) Abb. 5.9 101 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten m edIen Im w andel der z eIt Einheit 5 und erkennen aufgrund der differenzierten Verteilung solcher Grautöne die Gesichtszüge einer vertrauten Person und anderes mehr. Die kognitive Verarbeitung geschieht auch in Bezug auf ein Gemälde, aber hier kommt das Wissen um einen Maler hinzu, der eine Farbverteilung bewusst vornimmt und sie nicht wie die Kamera mechanisch ausführt. Wenn daher die Helligkeits- und Farbverteilung auf einem Dokument gelesen wird, unterstellt der Leser bei einem Gemälde die Sicht eines Malers auf das abgebildete Objekt. Für das Foto hingegen wurde zunächst nur die Mechanik der Abbildung thematisiert und unter dem Begriff Objektivität kommuniziert. Als im Jahr 1880 auch der „Rollfilm“ entwickelt wurde und sich die Bilder bewegten, kam es zu einer neuerlichen Veränderung im kommunikativen Bewusstsein. Bewegte Bilder erwecken den Eindruck von unmittelbarer Nähe zum Gezeigten und erhöhen dadurch zusätzlich die Glaubwürdigkeit ihres Anspruchs, Realität zu dokumentieren. Der Rezipient in der Entstehungszeit des Films konnte sich überhaupt nicht vorstellen, dass eine zu historischen Ereignissen gezeigte Episode gestellt sein könnte. Die Kommunizierbarkeit von Bildern erzeugte aber von Anfang an kontroverse Debatten. Auf der einen Seite standen diejenigen, die einen systematischen Ausbau der Bildinformation für die breite Öffentlichkeit forderten, Journale gründeten und diese mit neuen Kommunikationsformen ausstatteten, die den Leser zum Kauf reizten. Man wollte z. B. über die Reichen reden, sich von Fremdem und Fremdartigem unterhalten lassen. Dem standen Skeptiker gegenüber, welche die Gefahr einer Bilderflut sahen, die nur Verwirrung bei den Rezipienten erzeuge und Desorientierung für eine breite Öffentlichkeit bedeuten würde. Sie befürchteten sogar, dass Bilder das Wertesystem in der Gesellschaft infrage stellen könnten. Bilder wurden als Symptome des Verfalls einer Kultur gesehen, da ihnen die Distanz zu den Dingen und den Personen fehlte. Auch wurde die Frage nach dem Wahrheitsanspruch eines Bildes gestellt, denn Bilder lassen sich manipulieren. Wie das Foto, so spielte auch das Radio eine sehr bedeutsame Rolle für die Weiterentwicklung kommunikativer Bewusstheit. Das Radio schuf Raum für die Illusion, man könne Raumdistanzen überwinden, weil die Teilnahme an Ereignissen an anderen, entfernten Orten zur selben Zeit möglich war. Offen war zu Beginn die Frage, wer an welchen Ereignissen teilnehmen wollte. So nutzte man in München zunächst das „Opernradio“, das die akustische Teilnahme an einer Aufführung im Nationaltheater München erlaubte. Langsam wurden dann weitere Themen und Handlungsfelder erschlossen, über die im Radio gesprochen werden konnte und von denen die Produzenten einer Sendung glaubten, dass sie gehört werden wollen. Die politische Agitation des Dritten Reichs entwickelte eigene Formate als Sendetypen für die radiotauglichen Themen. Ferner wurde der Effekt der Film Journale Das Radio 102 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten „Raumnegation“ systematisch genutzt: Die Herrschenden traten bei ihren Auftritten bildlich gesprochen in die Wohnstube ihrer Bürger ein. Sie nutzten die Präsenz ihrer Stimme, die durch das Medium ortsunabhängig geworden war, um die Unmittelbarkeit von Kommunikation zu simulieren. Wie in der frühen Zeit der Flugschriften ging es um das Ansprechen möglichst vieler und im Fall des Radios eines ganzen Volks, um so die Interessen Einzelner und von Gruppen durchzusetzen. Die Vorstellung, auf diese Weise das Denken beeinflussen zu können, und der Glaube, das Handeln des Einzelnen sei manipulierbar, beherrschten die Diskussion noch bis in die 1950er Jahre, wie die Rezeption des Buches „Der Aufstand der Massen“ von Ortega y Gasset bezeugt. Als Beleg für eine durch das Radio erzeugte Massenhysterie wird das Hörspiel von Orson Welles über die Landung von Marsmenschen in New York im Jahr 1939 genannt. Die Sendung wurde von einer großen Zahl von Hörern als real eingestuft. Erst nach der Wahl von Franklin D. Roosevelt zum Präsidenten in Amerika haben Analysen von Lazarsfeld et al. (1948) zu der Erkenntnis geführt, dass die massenmediale Kommunikation anderen Regeln als die Face-toface-Situation folgt. Die Fehleinschätzung der Wahlprognose und die Nichtbeachtung der Hörgewohnheiten bei Radiosendungen hatten darauf aufmerksam gemacht, dass das Radiohören kein rezeptiv passives Verhalten ist, bei dem der Einzelne einer Sendung „ausgeliefert“ ist. Vielmehr nimmt der Zuhörer die Dinge aktiv wahr und wählt, was er hören möchte. Schon damals gab es das, was heute als „zappen“ bezeichnet wird. So hatte die Fehlleistung der Wahrnehmung der Marslandung mit dem Wechselspiel der Sender zu tun, denn durch den Senderwechsel war der situative Kontext des Hörspiels verloren gegangen. Die Dynamik der aktuellen Medien Nach dem zweiten Weltkrieg kam es zu einem weiteren technisch bedingten Wandel in der Alltagskommunikation. Durch den Krieg wurde das Fernmeldewesen so weit entwickelt, dass das Telefon für die Kommunikation allgemein sinnvoll und verfügbar wurde. In Behörden wurde es zum Datenaustausch genutzt, um schnell und zuverlässig zwischen einzelnen Einrichtungen Informationen zu vermitteln. In der Wirtschaft und besonders im Handel war das Telefon unabkömmlich und sicherte einen schnellen und kontrollierbaren Austausch von Waren. Es wurde, wie im Sammelband „Telefon und Gesellschaft“ von Lange und Beck (1989) diskutiert, zu 5.4 Der Wandel des Telefonierens Paul F. Lazarzfeld (1901-1976) Abb. 5.10 Soziologe, Schwerpunkte: Medien und empirischer Sozialforschung 103 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten d Ie d ynamIK der aKtuellen m edIen Einheit 5 einem so wichtigen Wirtschaftsfaktor wie dann in den 1990er Jahren das Internet. Der Bevölkerung standen Telefonzellen als öffentliche Sprechstellen zur Verfügung. Die Weiterentwicklung der Technologie und die Erfindung der Transistorentechnik machten kostengünstige und tragbare Telefone möglich. Neue Technologien der Verkabelung schufen Anschlüsse in großer Zahl, sodass in den 1970er Jahren die Privathaushalte in der alten Bundesrepublik Anschlüsse erhielten. Dieser technische Wandel veränderte die Form des Telefonierens: Telefonate wurden zu einem festen Bestandteil des Privatlebens. Jetzt konnten persönliche und intime Dinge besprochen werden, weil es keine Dritten als Mithörer gab. In der DDR verlief die Entwicklung politisch bedingt anders. Hier setzten grundsätzliche Veränderungen erst nach 1990 ein. Die Praxis des Telefonierens erfuhr dann in den 1990er Jahren erneut eine Veränderung als schnurloses Telefonieren möglich wurde und die Geräte so klein und preisgünstig wurden, dass sie nun überall benutzt werden konnten. Das sog. Handy wurde zu einem Gegenstand der Alltagskommunikation, der wie ein verlängertes Sprachrohr benutzt wird, d. h. die Alltagsgespräche werden mithilfe des Gerätes fortgesetzt und das zu jeder Zeit und an jedem Ort. Die Intimsphäre, die bis zu diesem Zeitpunkt mit dem Telefonieren verbunden war, nimmt ab und geht zurück. An ihre Stelle tritt etwas Neues: Man telefoniert so, dass für Dritte sichtbar, d. h. hörbar wird, wie bedeutsam man für andere ist und welche Rolle man spielt. Das gilt für den beruflichen, aber auch für den intimen Bereich von Beziehungen. Mit dem mobilen Telefon ist eine weitere Technik verbunden, die neue Verbreitungsformen erzeugte. Denn neben der Übertragung mündlicher sind nun auch schriftliche Äußerungen möglich. Die Form der Kommunikation per SMS stellt ganz neue Anforderungen an die Teilnehmer. Der Text ist im Umfang auf 160 Zeichen eingeschränkt, er orientiert sich sprachlich an der Mündlichkeit. Da jeder sein eigenes Telefon besitzt, können die Äußerungen sehr persönlich konstruiert werden. Im Alltagsgebrauch hat sich eine eigenständige Praxis von Abkürzungen und Icons herausgebildet. Die Begrenzung der versendbaren Zeichen wird so kompensierbar und es entsteht ein Effekt größerer Nähe. Die sprachlichen Formen sind an Praktiken der Mündlichkeit angelehnt. Die Lexik und Syntax ist basal angelegt und setzt auf Seiten des Rezipienten große Erfahrungen im Umgang mit dem Partner voraus. Die neueste Generation mobiler Telefone ist internetfähig, sodass sich der Übergang zum Chat oder zur Mail, ebenfalls eine neue Form in der Kommunikation, fließend gestaltet. Klassische SMS werden zunehmend weniger, es treten I-Messages bzw. Whats-App-Nachrichten o. ä. an ihre Stelle. Eine für die Kommunikation nicht unwichtige Rolle spielen Schnurlos Telefonieren Multifunktionale „Telefone“ 104 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten dabei mögliche Begrenzungen des Buchstaben Umfangs. May (2011) betont die besondere Rolle dieser Praktiken für Jugendliche. Dem ging die mediale Erschließung durch die Erfindung des Internets voraus. Im September 1970 wurde erstmals eine Mail institutsintern an einer amerikanischen Universität versendet. Heute erlaubt die Computertechnologie Daten ganz unterschiedlicher Formate an alle beliebigen Orte der Welt zu verschicken. Krotz (2001a) (2001) beobachtet, wie die Technologie an eine Kommunikationspraxis anknüpft, welche sich im Geschäftsverkehr entwickelt hatte. Dort wurden schon immer Daten von unterschiedlicher Medialität ausgetauscht. Das konnten Texte, Bilder und Zeichnungen sein, wobei diese auf die Papierformate eingeschränkt blieben. Durch die neue Technologie im Internet und die neuen Möglichkeiten der Visualisierung können nun auf Knopfdruck sofort Informationen einer Person als digitale Daten an die andere gesendet werden, die diese dann zeitgleich in einer Form erhält, welche der Absender gewählt hat und von der er erwartet, dass sie der Empfänger auf dieselbe Weise möglichst umgehend liest. Die Geschäftskommunikation wurde auf diese Weise revolutioniert. Für die Nutzer entsteht der Eindruck, es gäbe beim Informationsaustausch keine Grenzen mehr. Ein anderer für die kommunikativen Praktiken relevanter Aspekt ist in der Verwaltung der Daten begründet. Das Agieren im Internet ist für Dritte beobachtbar, da diese Aktivitäten in Protokollen automatisch archiviert werden. Nutzen Dritte diese, können sie Profile der Akteure erstellen und sie für ihre kommunikativen Zwecke gebrauchen. Bekannt ist der Verkauf von E-Mail-Adressen zu Werbezwecken. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Kontaktanzeige. Partnervermittlungsplattformen stehen in einer langen Tradition der Kontaktanzeigen, wie sie die Zeitungen seit eh und je publizieren, und können insofern an diese Kommunikationspraxis anknüpfen. Durch das Sammeln und Zusammenfügen von Daten derer, die Kontakt suchen, entstehen Nutzerprofile, aus denen Schlüsse abgeleitet werden, ob sie Partner fürs Leben sein könnten. Diese Entwicklung wird verstärkt, weil die Kommunikation aufgrund der Möglichkeiten des Web 2.0 Face-toface-Praktiken sehr nahe kommt. Kommunikation ist für die Verbreitung von Wissen zentral. Das Internet legt nahe, dass dem Sammeln und Verbreiten von Wissen keine Grenzen gesetzt sind. So wird das Bestehende in eigens dafür eingerichteten Formaten verbreitet. An die Stelle der Enzyklopädien in Form von Lexika sind Online- Plattformen wie Wikipedia getreten. Damit wird ein bisher nicht existierender Handlungsraum für die Wissenskommunikation eröffnet. Wissen ist dort aktuell und von jedem erreichbar. Diese Varietät basiert aber auf anders kontrollierten Auswahlverfahren. Für Enzyklopädien waren Experten und Fachautoren verantwortlich. Jetzt kann-- zumindest wird das behauptet-- jeder Wandel der Kommunikationspraktiken Neue Kontrollmechanismen Globale Verbreitungswege 105 m edIen : d Ie V erBreItung KommunIKatIVer P raKtIKen - In loKalen und gloBalen K ontexten l Iteratur Einheit 5 einen Artikel anbieten. Das Wissen wird gewissermaßen demokratisiert und aus den Schutzräumen der Universität und Wissenschaft „befreit“. Eine solche Tendenz steht im Widerspruch zur Selektionspraxis der Wissenschaft, die Erkenntnis nicht auf der Basis von Mehrheiten erzeugt, sondern mit dem Anspruch auf Wahrheit und vordefinierten Geltungsansprüchen begründet. Diese werden nun aufgrund der Kommunikationspraxis in den Wikis von vielen als gefährdet angesehen. Das sind Indizien für neue Wege in der Wissenskommunikation und bei der Suche nach dafür geeigneten Formen, die das Wissen sicher kommunizierbar machen. Existenz von Technologie für sich allein genommen sagt nichts darüber aus, ob und wie sie kommunikativ nutzbar gemacht wird. Die Kerbe in feuchtem Ton wird erst kommunikativ zugänglich, wenn es Personen gibt, die sie sich als gemeinsam vereinbartes Zeichen für einen bestimmten Zweck zunutze machen. Die Ritz-Technik führte zu einer Vielzahl weiterer Erfindungen, die der Verbreitung des Zeichens und seiner Nutzung als Kommunikation untereinander dienen. Die technische Seite schafft die physikalischen Grundlagen für die Verbreitung von Formen. Kommunikation wird daraus aber erst, wenn diese als Aufforderung zu Operationen verstanden werden, damit etwas zu tun, was andere erwarten. Was das dann genau bedeutet, legt die interaktive Praxis derer fest, die sich darauf verständigt haben bzw. sich der vorgefundenen Gebrauchsweise anschließen. 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Welche Technik nutzen sie und auf welche Weise tun sie das, wenn sie spontan kommunizieren wollen? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit sie die Anderen so, wie sie sich das wünschen, erreichen können. (Vgl. 5.1) 2. Der Medienbegriff ist nicht nur in der Umgangssprache sehr vielschichtig. Wenn Medienvorstellungen wie beispielsweise der von McLuhan und der von Luhmann oder Heider verglichen werden, was sind gemeinsame und was trennende Merkmale? (Vgl. 5.2) 3. Medien dienen zur Verbreitung von Informationen. Ein früh entstandenes Medium war die Schrift. Ein Schlüsselereignis war die Erfindung des Buchdrucks. Warum gehörte mehr als die Technik des Druckens dazu, um als Medium in der Gesellschaft wirkmächtig zu werden? Warum kann die damalige Epoche mit der heutigen Diskussion um die Digitalisierung interessant sein? (Vgl. 5.3-4) 4. Seit das Internet verfügbar ist, und besonders seit das Web 2.0 existiert, erschließt sich uns ein Medium, das die Kommunikation weltweit verändert hat. Facebook ist ein signifikantes Beispiel dafür. Die Kommunikation ist dadurch nicht leichter geworden. Welche Faktoren erhöhen das Risiko der Kommunikation in solchen Medien? (Vgl. 5.4) 5. Die Gesellschaft bewegt gegenwärtig das Thema Digitalisierung. Was lässt sich aus der Geschichte des Buchdrucks lernen, wenn über die Folgen der Digitalisierung nachgedacht wird? 5.6 Praktiken des Zusammenlebens und kommunikative Konsequenzen Inhalt 6.1 Kommunikative Erwartungen im Alltag 110 6.2 Wie bilden sich Praktiken heraus 113 6.3 Faktoren, die Ordnung schaffen 117 6.4 Kommunikationspartner als Bezugsgröße 121 6.5 Literatur 125 6.6 Problemstellung und Aufgaben 126 Wer kommuniziert, ist vor Überraschungen nicht gefeit. Neue Situationen fordern neue Strategien heraus, sodass Kommunizieren als ein Prozess lebenslangen Lernens erfahren werden kann. Das geschieht, weil sich ein jeder davon Vorteile für sich und seine Lebensbewältigung verspricht. Er erwirbt von Kindheit an Praktiken, aufgrund derer er mit anderen kooperieren und kollaborieren kann. Diese sind eng mit Situationen verwoben, die in der privaten, institutionellen und öffentlichen Sphäre zu bewältigen sind. Dabei kommt es immer wieder zu Überraschungen, mit denen der Einzelne umgehen können muss oder auch nicht. Kommunizieren ist daher mit dem Risiko des Scheiterns verbunden. Überblick 109 P roBlemstellung und f ragen Einheit 6 Praktiken des Zusammenlebens und kommunikative Konsequenzen Inhalt 6.1 Kommunikative Erwartungen im Alltag 110 6.2 Wie bilden sich Praktiken heraus 113 6.3 Faktoren, die Ordnung schaffen 117 6.4 Kommunikationspartner als Bezugsgröße 121 6.5 Literatur 125 6.6 Problemstellung und Aufgaben 126 Wer kommuniziert, ist vor Überraschungen nicht gefeit. Neue Situationen fordern neue Strategien heraus, sodass Kommunizieren als ein Prozess lebenslangen Lernens erfahren werden kann. Das geschieht, weil sich ein jeder davon Vorteile für sich und seine Lebensbewältigung verspricht. Er erwirbt von Kindheit an Praktiken, aufgrund derer er mit anderen kooperieren und kollaborieren kann. Diese sind eng mit Situationen verwoben, die in der privaten, institutionellen und öffentlichen Sphäre zu bewältigen sind. Dabei kommt es immer wieder zu Überraschungen, mit denen der Einzelne umgehen können muss oder auch nicht. Kommunizieren ist daher mit dem Risiko des Scheiterns verbunden. Überblick 110 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen Kommunikative Erwartungen im Alltag Wer kommunikativ handelt, macht die Erfahrung, dass er ständig mit Problemen zu kämpfen hat, wenn er etwas in einer konkreten Situation nicht angemessen eingeschätzt hat. Aber selbst dann muss er die Erfahrung machen, dass Konstellationen entstehen, die nicht vorhersehbar sind bzw. die anderen Bedingungen unterliegen, als er sie kennt. Lehrer beispielsweise machen diese Erfahrungen im Schulunterricht regelmäßig. Sie stellen eine, wie er meint normale, inhaltliche Frage, ein Kind bittet, die Frage zu wiederholen, sein Banknachbar moniert die Bitte als überflüssig, andere finden das auch und aus der Frage nach einem Inhalt wird eine Diskussion über einen Mitschüler. Thévenot (2001, S. 56-73) erklärt, dass um soziale Interaktionen verstehen zu lernen, genau hingeschaut werden muss, wie sich die Akteure am Ort ihrer Tätigkeit reaktiv verhalten, worauf sie mit welcher Handlung reagieren und wie sie dabei die Aktionen so zu organisieren versuchen, dass sie einerseits bestimmten Bedingungen genügen und andererseits für sich Vorteile herausziehen können. Welche das sind, hängt von ihren situativen Interessen und den Möglichkeiten der jeweiligen Umgebung ab, was zugelassen ist und was nicht. Die konkreten Interessen selbst bilden sich oft erst aus der situativen Wahrnehmung der Umwelt heraus. Der Spielraum dafür unterliegt unterschiedlichen Einflusssphären, die privat oder öffentlich dominiert werden. Für die Kommunikation heißt das, sie ist eine der vielfältigen Interventionen eines Einzelnen gegenüber seiner Umwelt. Dabei erhofft er sich, einen angenehmen Zustand sichern oder darüber hinaus einen Mehrwert dazugewinnen zu können. Der einzelne Akteur wird von unterschiedlichen Umgebungen zu spezifischen Umgangsformen mit ihnen herausgefordert und übt diese in der Auseinandersetzung mit ihnen ein. Er wird im Kreis eines ihm vertrauten und intimen Umfeldes wie der Familie beispielsweise auf eine Weise agieren, die Fremden nicht ohne weiteres zugänglich sein dürfte. Verlässt er diesen Raum und muss er mit einem Personenkreis agieren, der in einem anderen Handlungsfeld tätig ist, müssen seine Aktivitäten für die Anderen als Handlungen in ihrer Funktion erkennbar sein, um gemeinsam handeln zu können. Das setzt unter den Beteiligten in der jeweils relevanten Umgebung Übung voraus. So erfahren sie, welches Verhalten akzeptiert und welches abgelehnt wird. Zugleich werden in diesen Kontexten die Spielräume von Varietäten erprobt. 6.1 Umgebungen, die herausfordern Laurent Thévenot (* 1949) Abb. 6.1 Französischer Ökonom und Soziologe, Professor an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales (Paris), Schwerpunkte: Entwicklung einer pragmatischen Soziologie der Kritik und Organisations- und Institutionsforschung 111 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen K ommunIKatIVe e rwartungen Im a lltag Einheit 6 Jeder hat seine eigene Art mit Messer und Gabel umzugehen. Er lernt im Verlauf seiner Sozialisation mit beiden so umzugehen, dass das Individuelle im Umgang damit beim Essen mit Fremden nicht auffällt. Sollte es trotzdem der Fall sein, weil jemanden in der Umgebung das Halten des Messers irritiert, kann der so Beobachtete ihm seine Art des Gebrauchs des Messers erklären. Er hat sich den Finger verstaucht, deshalb muss er es mit seiner Faust anfassen. Das, was der Einzelne tut, ist daher oft auch der Kritik durch Außenstehende zugänglich. Das gilt besonders dann, wenn die Umgebung öffentlich ist. Das Kritisierte kann dann erklärt und gerechtfertigt werden. Solche Angleichprozesse beginnen in frühester Kindheit. Betrachten wir eine Episode unter Kindern in einem Kindergarten. Hier begegnen wir Individuen, die noch ganz am Anfang eines Prozesses stehen, ihre Aktivitäten mit anderen im Hinblick auf den öffentlichen Raum abstimmen zu müssen. Ihr Verhalten wird einerseits von ihren ganz individuellen Bedürfnissen gesteuert, wenn sie sich etwas aus ihrer Umwelt nehmen wollen. Sie greifen auf diese zu und müssen sich der Reaktion von dort stellen und mit der Reaktion umgehen lernen und herausfinden, ob sie zu dem führt, was sie zufriedenstellt. Eine Gruppe von vier Kindern spielt in einem Sandkasten eines Kindergartens. Zeitpunkt a Episode Ein Junge A gräbt Sand aus und füllt ihn in einen kleinen Eimer, ein Junge B und ein Mädchen C sitzen sich gegenüber und bewegen Holzklötzen wie Fahrzeuge durch den Sand um sie herum, ein Junge D hält einen Ball in der Hand und schaut um sich. Zeitpunkt b A sieht den Ball, lässt Schaufel und Eimerchen fallen und läuft auf D zu, stößt ihn zur Seite und greift nach dem Ball, der D aus der Hand fällt. Er weint. A nimmt den Ball an sich und will weggehen. Kindergarten: Notiz zu Videoausschnitt Es finden sich zum Zeitpunkt a der Episode Akteure im Spiel, die sich mit ihrer Sandkasten Welt auseinandersetzen. Gleichzeitig sind sie von Individuen umgeben, die eine potentielle Umwelt in ihren Partnern sehen und wie sie sich zu ihrer Umwelt verhalten. Mit der Erweiterung der Umweltwahrnehmung von A, er sieht, dass D einen Ball hält, entsteht bei A ein Bedürfnis nach dem Ball. Will er dem nachgehen, muss er den Zustand a aufgeben und etwas tun. Wenn er den Ball für sich haben will, muss er Kontakt zu D herstellen und etwas tun, um von ihm den Ball zu bekommen. Das kann erreicht Beobachtungen 112 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen werden, indem der Ball D weggenommen wird. Das setzt voraus, dass sich D nicht dagegen wehrt. Liegt für A die Erfahrung vor, dass Wegnehmen keinen Ärger erzeugt, wird er das versuchen. Denkbar ist, dass er gelernt hat, dass um einen Gegenstand gebeten werden kann. Das setzt allerdings eine entsprechende sprachliche Fertigkeit voraus. A scheint über diese entweder nicht zu verfügen oder er will sie nicht nutzen. Der Sandkasten ist Teil eines öffentlichen Raums, weil er Teil eines Kindergartens ist und damit Gegenstand eines gesellschaftlich begründeten Erziehungsauftrags. Wird in diesem Raum das Verhalten des Kindes beobachtet, unterliegt es den Interessen des gesellschaftlichen Auftrags. Die Erzieherin kann im Sinne dieses Auftrags intervenieren, wobei die Art des Eingreifens eine komplexe Situation erzeugt. Sie nimmt wie A nun D den Ball weg und gibt ihn an A zurück. Sie sagt A, dass sein Verhalten nicht erlaubt ist und sie dem anderen Kind den Ball zurückgeben muss. Denkbar ist, dass sie beiden erklärt, dass das Spielen mit einem Ball geteilt werden kann. Man spielt miteinander oder spielt zeitversetzt mit dem Ball. Die betroffenen Kinder erleben unter Umständen eine ganz unterschiedliche Umwelt in Abhängigkeit zum Verhalten der Erzieherin, das sie in dieser und ähnlichen Situationen über längere Zeiträume hinweg zeigt. Die Akteure lernen den Umgang mit ihren Bedürfnissen nicht durch einen einzelnen Hinweis wie eine Ermahnung. Sie müssen Indizien wiedererkennen, die in ihrer Umwelt auf eine schon bekannte Situation hinweisen und aus denen sie Handlungsoptionen ableiten, die für ihre Interessen und Bedürfnisse Erfolg versprechen. Offen bleibt dabei, wie ausgeprägt diese Erinnerungen im Hinblick auf bestimmte Bedingungen sind. Die Akteure eigenen sich aufgrund ihrer Umgebungen, in denen sie zu bestimmten Zeitpunkten agieren, Verhaltensweisen an, die Koordinations- und Kooperationsaufgaben zu lösen erlauben. Erklärung Wenn die Episode des Kindergartens daraufhin noch einmal angeschaut wird, so ist zu erwarten, dass sich dort unter den Akteuren aufgrund der Bindung an einen kleinen Kreis von Bezugspersonen ein Verhalten herausbildet, das einerseits durch die Auseinandersetzung mit den Gewohnheiten aus den Familien geprägt wird. Formen von dort werden auf ihre Verträglichkeit mit der Kindergartenwelt beobachtet und bewertet. Das geschieht durch die Betreuer, aber auch durch die Kinder, die ihre Tauglichkeit für diese Umwelt erfahren. Andererseits werden sie mit neuem Verhalten konfrontiert, das eingeübt, erprobt und in seiner Wertigkeit im Hinblick auf die familiäre Umwelt zum Thema wird. Das alles vollzieht sich durch vielerlei Tätigkeiten, die untereinander ausgetauscht werden und die sprachlich nur Verhalten erleben Verhalten erproben 113 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen K ommunIzIeren In fremden u mgeBungen Einheit 6 bedingt zugänglich sind. Es entstehen Reaktionsmuster, in denen Auffälligkeiten gegenüber anderen beobachtet werden können. Das Wie des Miteinanders folgt daher nicht unbedingt vorgefertigten Versatzstücken, vielmehr bilden sich aufgrund der situativen Bedürfnisse der Beteiligten Umgangsformen heraus. Was sie für sich und voneinander wollen und was sie zulassen, finden sie aufgrund dessen, wie sie sich und ihre Umgebung wahrnehmen und welchen Umgang sie dann mit ihr zulassen. Interessant ist dabei der Umstand, dass das Verhalten der Einzelnen Wirkung entfalten kann, ohne dass die Ursache dafür benennbar ist. In solchen Fällen wird dann die Ursache in der Persönlichkeit festgemacht. Das Identifizieren von Praktiken stellt sich daher als schwierig dar. Erst wenn Konflikte oder enttäuschte Erwartungen auftreten, kann etwas sichtbar werden, was das Verhalten signifikant leitet. Erklärung Kommunizieren in fremden Umgebungen Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Bewältigung von Alltagssituationen aus einer Mischung von Verhaltensweisen bewältigt wird, die sich aus sehr privaten, familiären und öffentlichen Umgebungserfahrungen speisen. Für die Kinder gibt es die sie unmittelbar berührende Umwelt, auf die hin und von der her sie sich organisieren. Die Erzieherin hat einen Auftrag der Gesellschaft wahrzunehmen, der darin besteht, die Wahrnehmung der Umwelt für die Kinder zu erweitern und sie mit Formaten bekannt zu machen, die ihren Wert nicht nur aus der Intimität der Umgebung herleiten. Interessant ist daher ein Blick auf Situationen, in denen einerseits familiäre Gewohnheiten und andererseits öffentliche Räume aufeinandertreffen. Das geschieht beispielsweise immer bei Begegnungen auf Reisen und in Hotels. Es entstehen Kontakte zu Fremden in ungewohnten Umgebungen, wobei zu beobachten ist, wie die Intimität von Alltagsgewohnheiten beibehalten wird. 6.2 114 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen Fuchs Harald P. und Gerd Schank. (1975): Alltagsgespräche. Texte gesprochener deutscher Standardsprache III. München: Hueber, S. 51) Die Personen sind Mitglieder einer Reisegruppe, die aus Einzelpersonen und Paaren bestehen. Ihre Interessen definieren sich im Kontext ihrer Reise. Hierin liegt auch ein Schwerpunkt für gemeinsames Handeln. Ferner bewegen sie sich zum Zeitpunkt der Episode im Frühstücksraum eines Hotels. Sich früh im Frühstücksraum eines Hotels zu treffen, lässt erwarten, dass gegessen und Kaffee getrunken wird. Worüber gesprochen wird, ist weniger voraussagbar und wird von anderen Dingen beeinflusst. Man macht wie in diesem Fall gemeinsam Urlaub. Das erlaubt über Themen aus dem Urlaubsalltag zu reden. Aber auch Anderes aus dem persönlichen Umfeld wäre denkbar oder Aktuelles aus der Politik. Aus der Sicht der Praktiken ist nun interessant zu beobachten, wie die Beteiligten im Umgang mit den Anderen etwas aus dieser Umwelt zum Thema machen und ob sie über Routinen verfügen, wie sie das Thema stabil halten oder wechseln. Ein Dia-Projektor zur Vorführung von Dia-Fotos Abb. 6.2 Episode 115 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen K ommunIzIeren In fremden u mgeBungen Einheit 6 Nach Boltanski und Thévenot (1999, S. 359-377) steht das dem Handeln vorgelagerte Gefühl, durch das Handeln für sich etwas zu gewinnen, am Anfang einer jeden Interaktion. Dadurch wird der Blick auf die Umgebung eingefärbt, d. h. was und wie etwas gesehen wird, steht in interdependentem Zusammenhang zwischen Wert-Erwartung und Welt-Wahrnehmung. Wenn es zu koordinierenden Handlungen kommt, braucht es Verhaltenserfahrungen, was andere von einem unter diesen Umständen erwarten und inwieweit es dafür so etwas wie Muster gibt, die im bestehenden Kreis benutzt werden. In der zitierten Episode initiiert Person A als Gegenstand des Gesprächs seinen Fotoapparat. Diese Initiative wird von allen Beteiligten aufgegriffen und sogleich positiv auch mit anderen eigenen Erlebnissen konnotiert. Im Grundsatz stimmen alle darin überein, dass der Fotoapparat ein wertvolles Instrument ist, mit Erinnerungen umzugehen. Die Akteure verbinden Erfahrungen und Wissen mit dem Gegenstand, von dem sie erfahren, dass er auch für die Anderen ein interessantes Objekt ist. Es gibt Routinen, wie darüber mit Fremden gesprochen werden kann, so dass sie davon ausgehen dürfen, unmissverständlich darüber reden zu können. Der Gegenstand Fotoapparat ist ein fester Bestandteil der Umwelt Ferien, wie aus den Äußerungen insgesamt geschlossen werden kann. Er lässt sich daher mit verschiedenen Bereichen desselben problemlos verknüpfen. Er trägt wie angesprochen zur Erinnerungsarbeit bei, ist Objekt der Ästhetik und sein materieller Wert kann eine Rolle spielen, wenn der Besitz durch Diebstahl gefährdet wird. Dieser Wert kann auch genutzt werden, um das Ansehen im Kreis der Akteure zu pflegen. Akteur B thematisiert das Mitnehmen des Fotoapparats; er hält es nicht für zwingend. Person C sieht das anders und findet damit bei A ein offenes Ohr. B reagiert entsprechend und schließt sich den beiden in seiner Einschätzung im Folgenden, dass Fotos zu machen etwas Schönes ist, an. Für einen Außenstehenden wirkt der Gegenstand Fotoapparat wie ein roter Faden, der das Gespräch von jedem immer wieder einmal in die Hand genommen wird. Dahinter steht die Fähigkeit der Beteiligten, sich auf den Anderen einzulassen. Sie wird für den Anderen sichtbar, wenn er responsive Verhaltensweisen erkennen kann. Für beide erhöht sich dann die Effektivität ihrer Interaktion, wenn das gegenseitig geschieht. Darin kann für die Beteiligten ein Eigenwert gesehen werden, der die Aufrechterhaltung des Kontakts fördert. Um das stabil zu erhalten, werden bestimmte Verfahren genutzt. Wenn eine Gruppe beisammen ist und sich unterhält, kann nicht jeder gleichzeitig reden. Normalerweise erhält einer das Rederecht und übergibt es anschießend einem Anderen. Dieser zeigt den Wunsch und die Bereitschaft zu reden an. Das ist eine weit verbreitete Konvention, Diese kann in verschiedenen Umgebungen auf die eine oder andere Art modifiziert werden. Der kommunikative Mehrwert 116 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen Im Frühstückskreis beanspruchen A und B ihr Rederecht anfänglich, indem sie den Anderen mit „sag mal“ ansprechen. Durch die Wahl der Satzkonstruktion- - das Verb steht am Anfang der Konstruktion- - zugleich zu einer Stellungnahme auffordern. Damit ist klar, wer als nächster redet. Die Verberststellung hat Fragecharakter. Im weiteren Verlauf spielen sich Partikel wie ja, also oder äh als Signal dafür ein, das Wort aufzugreifen und zu sprechen. Die Bereitschaft zur Responsivität zeigt sich auch darin, dass jeder den Gegenstand Fotoapparat aufnimmt und die Bilder als schöne Urlaubserinnerung bestätigt. Für die am Gespräch Beteiligten ist der Fotoapparat ein Thema, das einen hohen Eigenwert für die jeweiligen Akteure besitzt. Sie können ihr Selbstbild pflegen, indem sie ihre Expertise im Umgang mit dem Apparat offenkundig machen. Die Bemerkungen über die Erinnerungskultur, die sie pflegen, verweisen auf ihr familiäre Bindung. Sie machen deutlich, dass sie es sich leisten, in andere Länder zu reisen. Die Eröffnung mit der Sorge um einen möglichen Diebstahl ist ein Hinweis darauf, wie teuer der Apparat ist. Das alles kann das Interesse füreinander verstärken. Keiner äußert etwas, was dazu im Widerspruch stünde. Es entsteht für jeden der Beteiligten ein Mehrwert, der durch das gegenseitige Bestätigen in ihren Handlungsweisen und Ansichten stabil gehalten wird. Das Beispiel gibt eine Reihe von Hinweisen, was die Interaktion zusammenhält. Die Beteiligten scheinen zu jedem Zeitpunkt der Episode aus dem Geäußerten für sich einen Mehrwert ableiten zu können. Es gibt keine Pausen oder Abbrüche in der Interaktion. Dieser speist sich im Einzelfall aus unterschiedlichen Kontexten wie Anerkennung, Lebenshilfeberatung oder Reise-Planungskoordination. Die Welt des Fotoapparates und des Fotografierens ist sprachlich zugänglich und kann Routinen der Darstellung von typischen Handlungen und Erinnerungen nutzen. Die zitierte Episode stammt aus den 70er Jahren. Es zeigt sich, dass eine Beurteilung einzelner Aktivitäten in ihrer Wertigkeit von der Lebenswelt abhängig ist. Aus heutiger Sicht entsteht das Problem, dass die damalige Lebenswelt, ihre Kultobjekte, Vorlieben und Empfindlichkeiten nicht mehr dieselben sind. Praktiken sind zeitlich gebunden. Typisch dafür war das Aufbewahren der Fotos in Form von Dias. Der Diafilm erlaubte Farbbilder herzustellen, die sich durch einen Lichtprojektor auf einer Leinwand darstellen ließen. Üblich waren Diashows in den Familien. Das Fotografieren wird heute häufig vom Smartphone übernommen. Das heißt nicht, dass es nicht noch Elemente gibt, die über eine bestimmte Zeit hinweg relevant bleiben. Die Erinnerungskultur begleitet auch heute das fotografische Handeln. Zeitgebundenheit der Lebensumwelt 117 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen m IteInander r eden In InstItutIonellen K ontexten Einheit 6 Miteinander Reden in institutionellen Kontexten Praktiken, wie sie in Reisegruppen zu beobachten sind, unterscheiden sich von Umgangsformen, die stark durch institutionelle Kontexte erzeugt werden. 01 I: Und dann geht das los ja da geht das los … Heut ist der achtundzwanzigste ne der neunundzwanzigste vierte zweitausendacht. Ich bin in der Agrofarm L und öh interviewe grade oder spreche grade mit Frau 02 B: G 03 I: G. Frau G ist Ausbilderin in der Agrofarm L. OK . Öhm sein Sie mal bitte so nett und schildern Sie kurz Ihren beruflichen Werdegang, wie Sie so dazu gekommen sind hier auszubilden. 04 B: Ja ich habe den Beruf Agrotechniker gelernt und nach Beendigung der Lehrzeit habe i-ich in Schwerin Paulshöhe ein Studium gemacht und habe den Beruf Ingenieurpädagoge 05 I: hm 06 B: studiert. Ich habe Pflanzenproduktion gemacht. Neunzehnhunderdreiundziebzig habe ich drei Jahre in G ausgebildet und und dann wurde ich gefragt, ob ich hier in der Tierproduktion L die Tierproduzenten ausbilde, habe mich qualifiziert, habe Werkberechtigung gemacht, Ausbildungsberechtigung für die Tierproduktion und bilde seit neunzehnhundertdrei äh sechsundsiebzig hier in L aus 07 I: Darf ich mal ganz kurz fragen, wie alt Sie sind? 08 B: Morgen werd ich fünfundfünzig SCHALLENDES LACHEN 09 I: SCHALLENDES LACHEN Also sind Sie noch vierundfünfzig? 10 B: Ja, morgen wenn Wetter schön ist 11 I: Ja, das ist gut ja 12 B: Ein bisschen wünscht man sich ja schönes Wetter 13 I: Sie bilden hier also aus Tierwirte Landwirte und Landwirtschaftsfachwerker 14 B: hm (zustimmend) Landwirtschaftliche Berufsausbildung: Interviewmitschrift Das Gespräch basiert auf einem Interview zwischen der Vertreterin einer Universität und einer Ausbilderin im Bereich eines landwirtschaftlichen Betriebs. Die Mitschrift entstammt einem Korpus, das im Rahmen des Projektes Landwirtschaftliche Berufsausbildung Sorge (2012) erhoben worden ist. Ein Interview ist ein spezielles kommunikatives Format der Befragung von Fremden (Brosius et al. 2016, S. 123-128). Die Fragehandlungen sind in 6.3 Episode Interview als Format Hans-Bernd Brosius (* 1957) Abb. 6.3 Medienwissenschaftler, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Schwerpunkte: Mediennutzung, Medienwirkung und Methoden 118 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen Abhängigkeit zum Typ des Interviews thematisch enger oder offener angelegt. Ihre Abfolge wird in der Regel zuvor festgelegt. Der Interviewer ist häufig darin geübt, Fragen auf spezielle Weise zu stellen, um den Gegenstandsbereich der Frageabsicht und die damit verbundene Perspektive auf ihn möglichst stabil zu halten. Das Interview ist in der Regel Teil einer übergeordneten Interessenshandlung, die von einer Institution wie der Universität oder einem Betrieb ausgeht. Für die Institution ist dieser durch ihren Arbeitsauftrag begründet. Die Universität verfolgt einen Wissens- und Erkenntniszuwachs. Für den Befragten ist nicht so klar, warum er sich auf die Aktion einlassen sollte. Tut er es, verspricht er sich davon einen Zugewinn. Dieser kann für ihn darin liegen, etwas Neues zu erfahren oder einfach eine Pause vom Alltagstrott zu machen. Er könnte zu diesem Gespräch jedoch auch dienstlich verpflichtet worden sein. Ein Interview zu arrangieren, setzt die Beherrschung einer Reihe von Teilpraktiken voraus. Sie müssen die Bedingungen des rechtlichen Umfeldes absichern, die Expertise der für das Thema Befragten und die Fragemodalitäten abklären, die Fähigkeit beherrschen, diese Art der Interaktion kontinuierlich so lange aufrecht zu erhalten, wie das Format gültig ist. Ferner muss der Interviewer in der Lage sein, die Antworten qualitativ einschätzen zu können, um bei Defiziten angemessen zu intervenieren. Er muss bedenken, dass sich in der Regel zwei Fremde gegenüber stehen, deren Gemeinsamkeit ein Gegenstand ist, auf den sie sich institutionell geeinigt haben. Zudem müssen sie der Institution zutrauen, zu wissen, wie über den Gegenstand gesprochen werden kann. Für viele Handlungszusammenhänge haben sich in bestimmten Gruppen eigenständige Routinen herausgebildet. Es sind Verfahrensweisen, die Mittel zur Verfügung stellen und oft auch Erfahrungswissen über ihre Wirkweise besitzen. Für Interviews spielen sprachliche Handlungen eine signifikante Rolle. Sie treten als Fragen, Aufforderungen, Rechtfertigungen oder Beschreibungen und Erklärungen auf. Diese sind wiederum an den jeweiligen Gegenstand gebunden und vom Mehrwert der Handlung für den Akteur abhängig. Aus dem Zusammenspiel solcher Komponenten speist sich die Auswahl der lexikalischen und syntaktischen Mittel. Erklärung Das Interview ist immer auch ein Ereignis in Raum und Zeit und deshalb wird es von der Körperlichkeit der Akteure getragen, sodass gestisch-mimisches Verhalten und Bewegungen der Akteure im Raum gegenseitig wahrgenommen werden und aufgrund ihres Einflusses auf die Bearbeitung des Arbeitsauftrags für diesen genutzt werden können. Das alles schafft oder 119 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen m IteInander r eden In InstItutIonellen K ontexten Einheit 6 behindert die Möglichkeiten für die Responsivität, die das Miteinander leichter oder schwerer macht (Brosius et al. 2016, S. 126-128). Da zu erwarten ist, dass unter bestimmten Umweltbedingungen das Handeln der Beteiligten in hohem Maße kodifizierten Formen folgen wird, lässt sich am sprachlichen Verhalten beobachten, welcher der möglichen Praktiken die Akteure folgen. Die Eröffnungshandlung beginnt mit der Protokollierung von Ort, Zeit und Identifikation der Akteurin. Es wird auf ein Diktiergerät gesprochen. 01 I: Und dann geht das los ja da geht das los … Heut ist der achtundzwanzigste nee der neunundzwanzigste vierte zweitausendacht. Ich bin in der Agrofarm L und öh interviewe grade oder spreche grade mit Frau 02 B: G 03 I: G. Frau G ist Ausbilderin in der Agrofarm L Das alles geschieht im Zusammenhang der rechtlichen und institutionellen Praxis. Dazu gehört auch die Feststellung der Expertise der Befragten, woraufhin erklärt wird, dass sie als Ausbilderin eine bestimmte institutionelle Funktion ausübt. Damit genügt sie den Anforderungen an die Expertise. Die Angesprochene Person zeigt mit der unaufgeforderten Ergänzung ihres Namens ihre Kooperationsbereitschaft. Die Abschluss- und Überleitungspartikel „ OK “ wird als Switch zwischen dem rechtlichen und dem thematischen Teil der jetzt zu erwartenden Handlungen genutzt und über das „öhm“ zur ersten Frage übergeleitet. 03 I: G. … OK . Öhm sein Sie mal bitte so nett und schildern Sie kurz Ihren beruflichen Werdegang, wie Sie so dazu gekommen sind hier auszubilden. G Die Formulierung der Frage ist so gewählt, dass der Angesprochenen eine Struktur in Form von Slots angeboten wird, die sie entsprechend abarbeiten kann. Von der Institution wird so ein Berichtformat für das Sprechen angeboten und die Befragte beschreibt entsprechend ihren Bildungsgang von der beruflichen Ausbildung über das Studium und den Einstieg ins Berufsleben sowie die Weiterqualifikation bis zur Übernahme der gegenwärtigen Stelle im Jahr 1967, wobei es zu einem Versprecher kommt, der gleich korrigiert wird. Eine Besonderheit erfolgt durch ein Aussageelement, das durch die Interviewerin punktiert wird. In 05 nennt die Befragte ihren Beruf und wählt die Bezeichnung „Ingenieurpädagoge“, das wird vom Interviewenden mit einem „hm“ kommentiert. Für den weiteren Berichtsverlauf durch die 120 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen Befragten hat das keine Folgen. Sie arbeitet die biographischen Daten chronologisch weiter ab. Der Ablauf zwingt zur Unterbrechung der aktuellen Praxis, als die Interviewerin die Interviewte nach ihrem Alter fragt und damit vom zu dieser Zeit gültigen Fragegegenstand abweicht. Diese Frage gehört vom Design des Interviews her in den institutionellen Anfangsteil, wo die Eigenschaften der befragten Person erfasst werden. Für die Befragte bedeutet die Frage an dieser Stelle deshalb eine Abweichung, die den bisherigen Mehrwert des Handelns außer Kraft setzt und aufgrund dessen neu justiert werden muss. Es verwundert daher nicht, dass sich die Interaktion neu strukturieren muss. 07 I: Darf ich mal ganz kurz fragen, wie alt Sie sind? 08 B: Morgen werd ich fünfundfünzig SCHALLENDES LACHEN 09 I: SCHALLENDES LACHEN Also sind Sie noch vierundfünfzig? 10 B: Ja, morgen wenn Wetter schön ist 11 I: Ja, das ist gut ja 12 B: Ein bisschen wünscht man sich ja schönes Wetter Die Akteure müssen nach einer konventionell möglichen Praxis suchen, mit der Störung umzugehen. Die Interviewte könnte die fehlende Information unkommentiert nachliefern und würde so für die Interviewerin wieder Anschluss, die Befragung fortzusetzen, schaffen. Die Befragte kann die Frage aber auch als unangemessen monieren und von der Institution eine Rechtfertigung verlangen, warum sie jetzt gestellt wird. Der Gegenstand Alter einer Frau ist konventionell mit einem bestimmten Kontext verbunden, indem ab einer bestimmten Altersgrenze mit einer Frau darüber nicht gesprochen werden sollte. Die Fortsetzung der Aktion hängt davon ab, welchem der Gegenstände ein höherer Wert zugemessen wird: dem Bericht über die eigene Arbeit, der Darstellung der Bedingungen der Ausbildung, dem eigenen Alter als Teil der Lebensgeschichte. Es kommt zur Konkurrenz zwischen möglichen Fortsetzungspraktiken Die Befragte antwortet und initiiert das Thematisieren ihrer Lebenswelt. Sie hat am nächsten Tag Geburtstag. Beide ratifizieren diese Wahl durch das gemeinsame Lachen. Die Interviewerin lässt mit ihrer Bemerkung, dass die Befragte ja noch nicht so alt sei, weil der Geburtstag erst am nächsten Tag ist, erkennen, dass sie die Irritation durch die Frage mitbekommen hat. Die Befragte stabilisiert den neuen Gegenstand, indem der Geburtstag und ein dazu passendes Wetter angesprochen werden. Der darin enthaltene Mehr- Lokales Management 121 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen d Ie m ehrschIchtIgKeIt Von m ehrwerten Einheit 6 wert wird durch die Interviewerin eigens bestärkt, bevor wieder ins institutionell initiierte Format gewechselt wird. Die Episode verweist darauf, dass die Akteure auch unter hochgradig institutionellen Umweltbedingungen nicht formalistisch agieren, auch wenn sie sich in einer institutionell formal dominierten Umgebung bewegen. Das Interview folgt festen Interaktionsregeln. Der Blick auf die sie leitenden Gegenstände ist durch die institutionelle Rahmung stabil. Der Mehrwert für den Einzelnen leitet sich nicht nur aus dieser her, das zeigen die Unterbrechungen, die als Akt des gegenseitigen Respekts gedeutet werden können. Welcher Wert die einzelne Handlung motiviert und begleitet, ist den Beteiligten nicht ohne weiteres bewusst und wird auch Schwankungen unterliegen, das gilt besonders dann, wenn der Interessensfokus labil ist. Kooperationen können durchaus mehrfach motiviert sein und entsprechend mehrschichtige Interessen verfolgen. Eine Arbeitsgruppe findet in der Lösung ihres institutionellen Auftrags Befriedigung. Sie erlebt aber die Zusammenarbeit selbst auch als einen Zugewinn, durch die gegenseitige persönliche Wertschätzung. Darüber hinaus erfahren einzelne besondere fachliche Anerkennung. Ferner kann die Aufgabe als Chance gesehen werden, einen von allen als hochwertig geschätzten Gegenstand zu etablieren, von dem über den Kreis hinaus Anerkennung erhofft wird. Offen ist dann immer, welches der Wertsystem das jeweilige Handeln dominiert, überlagert oder gar den Fortgang eines anderen Wertesystems eingeschränkt. Erklärung Die Mehrschichtigkeit von Mehrwerten Kommunikation kann aus der bisher vorgestellten Perspektive als eine soziale Praxis verstanden werden, der nach Durkheim und König (1965) regelhaftes Verhalten unterstellt werden muss, mit dem der Akteur anzeigt, dass er sich einem Kollektiv zugehörig fühlt. Er verhält sich deshalb möglichst so, dass sein Verhalten von den Mitgliedern eines Kollekivs erkannt und bestätigt wird und die Kooperationen mit möglichst wenig Konfliktpotential abgewickelt werden kann. Das wird möglich, wenn die Mitglieder einer solchen Sozietät Übung im Umgang mit Verhaltensvarietäten besitzen und abschätzen können, welche Verhaltensvarietäten zu den ihn vertrauten gehören und bei welchen kritische Momente eintreten. 01 A Können Sie mir den Inhalt des Textes kurz wiedergeben. 02 N Ganz? 03 A Was Sie gelesen haben. 6.4 Episode 122 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen 04 N Mhm. 05 Sind Sie Lehrer? 06 A Wieso? 07 N Sie wirken so streng LACHEN 08 A LACHEN Neee bin immer so Kommunikation über Texte mit älteren Menschen: Gesprächsprotokoll Die Episode entstammt der Aufnahme aus einem Korpus eines Forschungsprojekts über kommunikative Anschlusshandlungen nach dem Lesen von Texten mit älteren Mitbürgerinnen. Die Person N, eine älteren Dame, hatte den Text, ein Märchen aus Tausend und eine Nacht, durchgelesen. Als sie fertig war, wurde sie von einem jungen Mann A, Mitarbeiter eines Lehrstuhls, der den Test durchführte, gebeten sich zum Gelesenen zu äußern. Am Anfang der möglichen Beobachtungen steht die Frage, was haben die Akteure davon, wenn sie interagieren. Der wissenschaftliche Mitarbeiter sucht nach Erkenntnissen, ob und wie das Alter von Personen Einfluss auf die Rezeption von Texten nimmt. Für die Person, die bereit war, an der Studie mitzuwirken, lag der Mehrwert in einer Unterbrechung ihrer Alltagsroutine und Neugier auf etwas Neues. Wenn dem Gedanken nach den pragmatischen Regimen weiter gefolgt wird, stellt sich dann die Frage nach der Realität, auf die sich die Akteure aufgrund ihres Interesses einlassen. Für den Wissenschaftler war klar, welche Gegenstände im Fokus stehen. Es ist der Text und es sind die Aussagen der Versuchsperson über das, was sie gelesen hat. Bei der Leserin liegen die Dinge anders. Normalerweise liest sie allein und wenn sie über das Gelesene redet, geschieht das aufgrund einer Eigenmotivation. In der Versuchssituation gelten für das Lesen andere Bedingungen. Das Format, wie mit einem Text umgegangen wird, ist ein anderes. Was der Gegenstand ist, bleibt daher ungeklärt. Entsprechend kommt es zu einer Nachfrage, denn die Bereitschaft zur Kooperation war zugesagt worden. Die Antwort 03 A „Was Sie gelesen haben.“ wird zuerst einmal akzeptiert und mit einer Gegenfrage verbunden. Dabei wird offenkundig, dass nach einem passenden Format gesucht wird, das den Gegenstand und die mit ihm verbundene Realität abzuschätzen erlaubt. Es ist das Szenario Schule, in dem der Lehrer dem Schüler Aufgaben und Fragen stellen darf und dieser darauf eingehen muss. Die Versuchsperson prüft die Gültigkeit dieses Formats mit dem Hinweis auf eine für Lehrer typische Eigenschaft, Strenge, und markiert diese Handlung. Eine solche Klärung ist nötig, um Sicherheit darüber zu gewinnen, welche Rechte das Gegenüber hat bzw. aufgrund welcher Rolleneigenschaften es agiert. Es entsteht in der beobachteten Episode eine Situation der Unsicherheit. Die im gegenseitigen Austausch von Beobachtungen 123 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen d Ie m ehrschIchtIgKeIt Von m ehrwerten Einheit 6 Lachen überbrückt wird, denn der so Angesprochene will sich auf die Rollenzuweisung nicht einlassen: 08 A „Neee bin immer so“. Das Erwidern des Lachens verweist auf die Responsivität gegenüber dem Anderen. Die nachfolgende Interaktion im Versuch zeigte dann auch, dass das Format Schule die Organisation der Interaktion bestimmte, aber nicht mehr zum Thema selbst gemacht wurde. Lassen sich Personen auf eine Kooperation ein und organisieren diese kommunikativ, müssen sie implizit Rahmenbedingungen akzeptieren. Das muss gegenseitig geschehen, wobei offen bleibt, ob diese identisch sein müssen. Es reicht, wenn für beide der Eindruck entsteht, dass es für sie dieselben sind. Denn zugänglich sind ihnen nur Spuren im Verhalten, die sie zu sehen glauben. Diese „Sichtbarkeit“ ist nötig, weil die Akteure Hinweise darauf brauchen, welche Realität Gegenstand ihrer aktuellen Interaktion sein soll. Sichtbarkeit bedeutet aber nicht, dass vorhandene Markierungen von allen wahrgenommen werden können und zur selben Lesart führen. Die Wahrnehmung kann auch aufgrund impliziter Wissensbestände erfolgen, d. h. die Betroffenen sind sich selbst dessen gar nicht bewusst. Würden sie gefragt, ist unsicher, ob sie darüber Auskunft geben könnten. Treten Konflikte auf, können diese darin begründet sein, dass bestimmte Rahmenbedingungen nicht erfüllt und dass diese in ihrem Anspruch erst durch die Nichterfüllung den Akteuren zugänglich und in ihrer Wertigkeit bewusst werden. Es entsteht eine Enttäuschung. Die Betroffenen können dann darüber befinden, ob das Scheitern in unterschiedlichen Erwartungen mit Blick auf den Mehrwert der Kooperation liegt oder ob die Gegenstände der Auseinandersetzung einer anderen Realität angehören, die in dieser Kooperation nicht Gegenstand ist. Es kann das Format sein, indem gehandelt werden soll, das ungeeignet ist, weil es für den gewählten Wirklichkeitsausschnitt nicht die geeigneten Mittel zur Verfügung stellt bzw. den Akteuren unpassende Eigenschaften zuschreibt. Erklärung Das zeichnet die Komplexität kommunikativen Handelns aus, die Akteure müssen von Gesprächszug zu Gesprächszug darüber entscheiden, welche Werte sie für die Interaktion im Spiel sehen, welchen sie als von den Anderen präferiert glauben, ob sie damit einverstanden sind und ob sie das Einverständnis verstärken müssen. Das alles geschieht in der Regel nicht bewusst und bleibt den Teilnehmern verborgen, lediglich emotional wird die Situation als be- oder entlastend empfunden. Dieser Umstand kann zum Thema gemacht werden, wenn es der private oder öffentliche Rahmen zulässt. Denn darüber zu reden, setzt unter den Betroffenen voraus, den Gegenstand unter einer gemeinsamen Perspektive des Mehrwerts verorten zu können und über ein Format zu verfügen, dass Komplexität 124 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen das Reden konventionell kalkulierbar macht. Damit wird eine weitere Komponente der Komplexität offenkundig. Ein Mehrwert kann der Herrschaftsanspruch über andere sein, der unter Umständen von denen nicht akzeptiert wird. Die Durchsetzung setzt Formate voraus, die sich durch die Art und Weise unterscheiden, wie der Machtanspruch artikuliert wird, geschieht das offen oder verdeckt. Wichtig sind die Rolleneigenschaften, die damit verbunden sind und wie sie die Wertigkeit für das Gesamthandeln bedingen. Schule ist ein sehr anschauliches Beispiel dafür. Hier entstehen immer wieder Situationen, in denen sich der Vertreter der Institution gegenüber den Eigeninteressen einzelner Schüler durchsetzen zu müssen glaubt. Die Vorstellung, im vermittelten Wissen einen Mehrwert zu sehen, wird nicht von allen Schülern geteilt. Anerkennung durch die Mitschüler wird oft als höherwertig eingeschätzt. Es kommt zum Konkurrieren zweier Formate und die davon betroffenen Akteure müssen sich entscheiden, welchem sie sich näher fühlen und wie sie mit der damit jeweils verbundenen Realität umgehen. Steht das Interesse des einzelnen Schülers im Fokus der kommunikativen Bearbeitung, dann gewinnt entweder das Lernen Können von neuen Themen an größerer Akzeptanz oder muss der Selbstwert der Institution Schule durchgesetzt werden. Soll letzteres geschehen, ist zu klären, ob dem Handelnden dafür die geeigneten Mittel zur Verfügung stehen, die seinem Handeln Erfolg versprechen. Schule als Institution beobachtet sich daher permanent daraufhin, ob Handlungen ins Spiel gelangen, die mit ihrem Anspruch unverträglich sind. Werden Unverträglichkeiten festgestellt, müssen Formate gefunden werden, die diese Gefahr unterbinden oder gering halten. Dafür werden Formate wie Schulordnungen und Gesetze genutzt, sie reagieren auf Gefährdungen und versuchen die gewünschte Wertigkeit nach außen sichtbar zu machen und ihre Durchsetzbarkeit zu ermöglichen. 125 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen l IteraturVerzeIchnIs Einheit 6 Der kommunikative Alltag zeichnet sich dadurch aus, dass die Akteure immer wieder mit für sie nicht erwartbaren Situationen konfrontiert werden. Sie haben sich auf ein Gespräch vorbereitet oder die anstehende Diskussion schon so oft geführt, dass ihnen Zwischenfälle vorhersehbar erscheinen. Die bekannten Handlungstheorien haben Schwierigkeiten damit umzugehen und Thévenot (2001, S. 56-73) spricht von einer Realitätslücke in den Theorien der Sozialwissenschaften. Reckwitz (2003, S. 282-301) beschreibt diese Lücke näher. Bisher wird angenommen, die Handelnden organisierten ihr Verhalten auf dem Hintergrund konzeptioneller Planungen und ideeler gesellschaftlicher Wertesysteme. Die Theorien, präferierten die Sichtweise und unterstellen, dass so die Kommunikation bedingt würde. Tatsächlich geschieht kommunikativ mehr. Kommunikation ist eingebunden in ein Interagieren, dessen ursächliche Zusammenhänge keineswegs geklärt sind und es bleibt sogar offen, ob sie geklärt werden können. Zusammenfassung Literaturverzeichnis Boltanski, Luc; Thévenot, Laurent (1999): The sociology of critical capacity. In: European Journal of Social Theory. Contemporary French Social Theory, 2 (3), S. 359-377. Brosius, Hans-Bernd; Koschel, Friederike; Haas, Alexander (2016): Methoden der empirischen Kommunikationsforschung. Eine Einführung. 7., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag. Durkheim, Emile; König, René (1965): Die Regeln der soziologischen Methode. 11. Aufl. Neuwied und Berlin: Luchterhand (Soziologische Texte, Bd 3). Reckwitz, Andreas (2003): Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive. In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 22, Heft 4, S. 282-301. Schatzki, Theodore R. (2009): Social Practices. Cambridge, GBR : Cambridge University Press. Schatzki, Theodore R.; Knorr-Cetina, K.; Savigny, Eike von (2001): The practice turn in contemporary theory. New York: Routledge. Schmidt, Robert (2012): Soziologie der Praktiken. Konzeptionelle Studien und empirische Analysen. Erste Auflage. Berlin: Suhrkamp (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 2030). Thévenot, Laurent (2001): Pragmatic regimes governing the engagement with the world. In: Theodore R. Schatzki, Karin Knorr-Cetina und Eike von Savigny (Hg.): The practice turn in contemporary theory. New York: Routledge, S. 55-73. Weiterführende Literatur Boltanski, Luc; Thévenot, Laurent (2011): Die Soziologie der kritischen Kompetenzen. In: Soziologie der Konventionen, S. 43-68. 6.5 126 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen Coulter, Jeff (2001): Human practices and the observability of the ‘macrosocial’. In: Theodore R. Schatzki, Karin Knorr-Cetina und Eike von Savigny (Hg.): The practice turn in contemporary theory. New York: Routledge, S. 37-49. Schmidt, Robert (2015): Soziologische Praxistheorien. 1., Aufl. Bielefeld: Transcript (Einsichten). Online verfügbar unter http: / / www.degruyter.com/ view/ product/ 430079. Problemstellung und Fragen 1. Im Alltag interagieren wir ständig miteinander. Was sind die Bedingungen dafür, dass die Interaktion möglichst reibungslos verlaufen kann? Wenn das Kindergartenbeispiel angesehen wird, wo lassen sich Quellen für Störungen vermuten? Was erleichtert oder erschwert die Anpassungsprozesse für die Kinder schwer? (Vgl. 6.1) 2. Das Verhalten des einzelnen Akteurs ist nicht unwesentlich davon bestimmt, welchen Mehrwert er für sich aus der Interaktion erwartet. Charakterisieren Sie den Begriff und suchen Sie nach Episoden, die für die Plausibilität dieser Annahme sprechen. (Vgl. 6.2) 3. Kooperation findet in vielfältigen Alltagssituationen statt. Sie setzt die Fähigkeit voraus, aufeinander eingehen zu können und das zu wollen. Das Frühstück im Hotel ist ein Hinweis, wie eine Gruppe zueinander findet. Welche sprachlichen Handlungen initiieren und festigen im Verlauf der Interaktion die Kooperation? (Vgl. 6.2) 4. Die Alltagsinteraktion unterliegt einer Vielfalt von Einflussfaktoren, sie erzeugen eine Komplexität, die nicht leicht beherrschbar ist. Was tun die Akteure, um sie zu reduzieren? Warum werden Institutionen mit diesem Problem ständig konfrontiert und wie versuchen sie es zu lösen (Vgl. 6.3) 5. In der Episode über den Inhalt eines gelesenen Textes wird im Gespräch offenkundig, dass der Mehrwert einer Kommunikation zwischen den Partnern nicht derselbe ist. Das kann Spannungen auslösen und die Kommunikation erschweren. Welche Möglichkeiten haben die Partner, um diese abzubauen bzw. was müssten sie tun, um solche möglichst zu vermeiden? (Vgl. 6.4) 6.6 Modellbildung: Theorien der Zeichenübertragung und Zeichenverarbeitung Inhalt 7.1 Übertragung von Signalen 128 7.2 Die Rezeption des Transfermodells in anderen Wissenschaftsdisziplinen 133 7.3 Die Transfer-Metapher 137 7.4 Kommunikation-- ganz anders gesehen 139 7.5 Literatur 145 7.6 Problemstellung und Fragen 147 Wer sich mit Kommunikation beschäftigt, wird immer mit dem Sender-Hörer Modell konfrontiert. Das ist eine Erkenntnis aus den Forschungen zur frühen Telefonie. Im Zentrum stand die Frage, wie Daten über größere Distanzen so übertragen werden können, dass sie am Zielort unbeschadet ankommen. Um das zu erreichen, müssen sie in ein technisches Medium transformiert werden, das die Übersendung leistet und vor Ort wieder in den Originalzustand rückübersetzt. Unter dem Stichwort Kommunikation entwickelte sich zugleich eine ganz andere Sicht in der Psychologie und Psychotherapie. Sie stellt die Interaktion als Prozess zwischen Personen in den Vordergrund und beobachtet die Wirkung von Medien und Zustandswechsel im Prozess. Ihnen wird unterstellt, in einem systemischen Zusammenhang zu stehen. Überblick 127 P raKtIKen des z usammenleBens und KommunIKatIVe K onsequenzen P roBlemstellung und f ragen Einheit 7 Modellbildung: Theorien der Zeichenübertragung und Zeichenverarbeitung Inhalt 7.1 Übertragung von Signalen 128 7.2 Die Rezeption des Transfermodells in anderen Wissenschaftsdisziplinen 133 7.3 Die Transfer-Metapher 137 7.4 Kommunikation-- ganz anders gesehen 139 7.5 Literatur 145 7.6 Problemstellung und Fragen 147 Wer sich mit Kommunikation beschäftigt, wird immer mit dem Sender-Hörer Modell konfrontiert. Das ist eine Erkenntnis aus den Forschungen zur frühen Telefonie. Im Zentrum stand die Frage, wie Daten über größere Distanzen so übertragen werden können, dass sie am Zielort unbeschadet ankommen. Um das zu erreichen, müssen sie in ein technisches Medium transformiert werden, das die Übersendung leistet und vor Ort wieder in den Originalzustand rückübersetzt. Unter dem Stichwort Kommunikation entwickelte sich zugleich eine ganz andere Sicht in der Psychologie und Psychotherapie. Sie stellt die Interaktion als Prozess zwischen Personen in den Vordergrund und beobachtet die Wirkung von Medien und Zustandswechsel im Prozess. Ihnen wird unterstellt, in einem systemischen Zusammenhang zu stehen. Überblick 128 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung Übertragung von Signalen Wenn heute von Kommunikation die Rede ist, stellt sich im Allgemeinen die Vorstellung von einem Sender ein, der über einen Kanal ein Codiertes Signal an einen Empfänger sendet. Dieses Verständnis basiert auf einer Modellierung von Kommunikation, die sich an die Informationstheorie der 50er Jahre anlehnt. Vor allem im Bereich der Telefonie bestand ein großes Interesse daran, Signale möglichst fehlerfrei über lange Strecken zu übermitteln, beispielsweise investierte die amerikanische Gesellschaft Bell damals in Forschungen über die Frage, wie eine sichere Telefonverbindung zwischen New York und Los Angeles hergestellt werden kann. In der Arbeit von Shannon und Weaver (1949) wurde erstmals der Gedanke eines Kommunikationsmodells entwickelt. Dieses Modell ging von einer Informationsquelle aus, die rein technisch gesehen und als Zeichenkette repräsentiert wurde. In einem nächsten Schritt musste diese übertragungstauglich gemacht werden. Das erfolgte durch Codierung einer Nachricht, was konkret das Umwandeln einer Zeichenin eine Signalkette bedeutete. So wurde beispielsweise der Zeichenfonds aus Buchstaben in Morsesignale transformiert. Die elektrischen Impulse konnten dann über das Leitungs- 7.1 Sender-Hörer Modellierung von Kommunikation (Nöth 2000, S. 245) Abb. 7.1 129 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung ü Bertragung Von s Ignalen Einheit 7 netz verbreitet und am Ort des Empfängers durch ein dafür konstruiertes Gerät decodiert werden: Auf der Basis des Morsealphabets wurden die elektrischen Impulse in eine sprachliche Buchstabenkette zurückübertragen und konnten als Wörter, Sätze und Text am Ort des Empfängers gelesen werden. Die Arbeit von Shannon und Weaver folgt mathematisch-physikalischen Methoden. Geforscht wird nach den Bedingungen, denen ein Signal unterliegt, wenn es von einem Ort A an einen Ort B gesendet wird. Welche Bedeutung ein Signal hat, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Konkret arbeitete Shannon in seiner Masterarbeit zum Abschluss seines Mathematikstudiums heraus, dass die Binärschaltungen an oder aus dafür geeignet sind, mathematische Operationen zu automatisieren. Der Durchbruch im Hinblick auf ein Kommunikationsverständnis gelang Shannon mit der Entwicklung einer Formel, die rechnerisch bestimmt, wie viele Binärschritte nötig sind, damit ein Signal aus einer bestimmten Menge bekannter Verteilungen heraus erkannt werden kann. Die binäre Suche ist ein Algorithmus, der Elemente wie beispielsweise einen Laut oder Lautfolgen in einem Feld .zu identifizieren versucht, in dem dieser bzw. diese vermutet werden. Ein solches Feld wird so geordnet, dass darin nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ gefolgt werden kann: Das Feld wird so lange in zwei Hälften geteilt, bis das gesuchte Element in der geteilten Menge erkannt bzw. ausgeschlossen werden kann, dass es in diesem Feld überhaupt vorhanden sein könnte. Binäre Suche Der Empfänger eines Signals muss im Voraus wissen, welche Nachrichten mithilfe des Signals vermittelt werden können. Der Wert des Gesendeten hängt davon ab, welche Erwartung der Empfänger aufbauen kann oder anders formuliert, die Unsicherheit der Sendung variiert in Abhängigkeit zu den Möglichkeiten einer Nachricht. Wenn eine Münze geworfen wird, entsteht die Erwartung, etwas über zwei Zustände zu erfahren. Denn eine Münze hat zwei Seiten, von denen immer nur eine oben sein kann. Die Nachricht basiert dann auf zwei möglichen Zuständen. Die Unbestimmtheit wird durch die zwei möglichen Lagen oben oder unten erzeugt. Die Informatik hat dafür die Maßeinheit Bit eingeführt. Ein Bit ist der Informationsgehalt, der in einem Auswahlbereich aus zwei gleich wahrscheinlichen Möglichkeiten enthalten ist. Wenn nun gleich mehrere Münzen geworfen werden, entsteht entsprechend der Anzahl der Münzen ein größerer Raum von Ungewissheit. Wird jetzt über das Ergebnis gesprochen, ist der Wert einer solchen Nachricht höher als bei einer einzelnen Münze, aber dafür ist auch der Unsicherheitsgrad höher. Das Innovative liegt darin, dass Information nicht als unabhängiger Wert in sich bestimmt Mathematische Grundlagen der Signalbeschreibung Ein Bit 130 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung wird, sondern aus der Beziehung zu anderen. Diese Relationen stellen einen Auswahlbereich dar, innerhalb dessen etwas überhaupt erst als Information erkannt werden kann. Welche Wertigkeit eine Information darin besitzt, hängt nun von dem entsprechenden Auswahlbereich und seiner Qualität ab. Da er situativen Bedingungen unterliegt, ist er wandelbar. Die Informationstheorie in der Tradition von Shannon (2000) erklärt Ereignisse als diskrete Ereignisse: Wenn der Auswahlbereich die Buchstaben einer Sprache sind, dann lässt sich feststellen, mit welchen Auftretenswahrscheinlichkeiten einzelne Schriftzeichen zu erwarten sind und in welcher Häufigkeitsfolge sie benutzt werden. Solche Erkenntnisse erlangen besondere Bedeutung, wenn bei der Übertragung (Transfer) von Signalen im Kanal Störungen auftreten und das Übertragungssystem eigenständig Korrekturen vornehmen soll. Es kann prüfen, in welcher Umgebung welche Signale wahrscheinlich sind. Nachrichten sind in diesem Kontext strikt zielgerichtet. Das bedeutet, dass das Ziel auf die Eigenschaften des Signals hin ausgelegt und eingerichtet sein muss. Quelle und Ziel sind durch einen Kanal verbunden. Dieser muss, dem Typ von Signalen entsprechend, eine ausreichende Kapazität besitzen, um Störungen möglichst gering zu halten. Hat das Signal sein Ziel erreicht, wird es decodiert. Fahrkartenautomaten identifizieren auf diese Weise schon nach der Eingabe weniger Buchstaben mögliche Reiseziele. Meyer-Eppler et al. (1969) entwickelten die Ansätze von Shannon und Weaver weiter und übertrugen sie auf Phänomene der menschlichen Kommunikation. Ihrer Meinung nach ist es die Aufgabe einer Informationstheorie, die Mensch-zu- Mensch-Kommunikation als Zeichenverkehr zu beschreiben. Gefordert wird, die Kommunikation des Menschen mit seiner Welt zu beobachten und quantitativ und strukturell-theoretisch zu erfassen. Dabei galt die Aufmerksamkeit weder pragmatischen noch semantischen Implikationen, sondern der Quantität und Struktur einer Information. Kommunikation gemäß Meyer-Eppler et al. muss hinsichtlich des Informationsgehalts, der Informationsdichte, der Kanalkapazität, des Speichervolumens sowie des Codier- und Decodieraufwands beschrieben werden. Information ist an einen Signalträger gebunden, der physikalisch-materiell fassbar ist. Solche gebundenen Signale sind beobachtbar, sie können gemessen werden und lassen sich als stochastisch prognostizierbare Einheiten mathematisch berechnen. Eine Informationstheorie im Verständnis von Meyer-Eppler et al. untersucht die zwischenmenschliche Kommunikationskette und den Zeichenverkehr. Die messbaren Eigenschaften der Signale sind Werner Meyer-Eppler (1913-1969), Physiker, Informationstheoretiker, Phonetiker an der Universität Bonn, Schwerpunkte: Informationstheorie Kommunikationskette 131 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung ü Bertragung Von s Ignalen Einheit 7 die Grundlage für alles Weitere. Untersucht werden die Signalübermittlung und als Basis dafür mögliche Übertragungssysteme. Eine bedeutsame Rolle kommt der Statistik der verwendeten Symbole zu sowie deren Einfluss auf die Sicherung der Signalübermittlung. Übertragungsfehler müssen analysiert und der Umgang mit ihnen entwickelt werden. Kommunikation wird als ein Übermittlungsvorgang verstanden, bei dem Aufnahme und Verarbeitung von physikalisch, chemisch oder biologisch nachweisbaren Signalen durch Lebewesen stattfindet. Dabei lassen sich die Beobachtungs-, die diagnostische und die sprachliche Kommunikationskette voneinander unterscheiden. Die Beobachtungskette basiert auf einer Signalkette. Der Beobachter nimmt das Signal wahr und interpretiert es, wozu ihn Sinnesorgane und Hirnfunktionen befähigen. Die diagnostische Kommunikationskette ist komplexer. Hier ist die sendende Quelle ein Organismus, es wird von einem Expedienten gesprochen. Ihm steht der Perzipient gegenüber. Dieser führt eine Diagnose durch, indem er das empfangene Signal interpretiert. Sind es Signale, die Anzeichencharakter besitzen, also keine Symbole sind, werden Zusammenhänge zwischen Zeichen und Phänomen für den Perzipienten unmittelbar fassbar, weil vom wahrgenommenen Zeichen her auf ein Ereignis im physikalischen Raum geschlossen werden kann. Rauch lässt auf ein Feuer schließen. Die sprachliche Kommunikationskette setzt bewusstseins- und sprachfähige Organismen voraus. Das Signal ist hier ein Sprachsignal, das aufgrund von Konventionen festgelegt ist. Der Zeichencharakter basiert auf Zuschreibungen. Anders als bei den Anzeichen, wo anhand des Signals selbst auf einen Sachverhalt geschlossen wird, bedarf es bei den Sprachzeichen eines Wissens über die Zuschreibung, um das Signal im Sinne der Konvention verarbeiten zu können. Kommunikation ist möglich, wenn der Sprecher (Expedient) über einen Zeichenvorrat dessen verfügt, was als Signal übermittelt werden kann. Der Hörer (Perzipient) muss ebenfalls einen Zeichenvorrat besitzen, um Signale im Sinne dieser Zeichen verstehen zu können. Beiden muss somit ein gemeinsamer Zeichenvorrat zugänglich sein, um sich auf der Basis dieser Gemeinsamkeit verständigen zu können. Mithilfe der beiden zur Verfügung stehenden Zeichenvorräte und ihrer gemeinsamen Schnittmenge über die Dinge in der Welt kann so erfolgreich kommuniziert werden. Vorausgesetzt wird also, dass bei Sprecher und Hörer die Zeichen in identischer Weise auf Klassen von Objekten oder Eigenschaften bzw. Merkmalen verweisen. Das geschieht auf der Ebene der sog. Objektsprache. Für die Betroffenen vollzieht sich dies alles implizit. Nur der externe Beobachter kann sämtliche Glieder des ablaufenden Prozesses der Kette exakt beschreiben. Dies erfolgt mit einer eigenen Sprache, die Metasprache genannt wird. Beobachtungskette Diagnostische Kommunikationskette Sprachliche Kommunikationsketten Zeichenvorrat Objekt- und Metasprache 132 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung Eine Face-to-face-Kommunikation nennen Meyer-Eppler et al. unmittelbar, sind indes Instrumente zwischengeschaltet, sprechen sie von mittelbarer Kommunikation. Neben der sprachlich-semantischen Mitteilung gibt es weitere Kommunikationssphären, die von Meyer-Eppler et al. als die ektosemantischen bezeichnet werden. In diesen werden kontinuierliche Signale verbreitet. Individualität, Körperlichkeit, innere Befindlichkeit und Emotionalität werden auf diese Weise wahrgenommen. Das gilt im Übrigen auch für den Sprecher im Prozess des Sprechens selbst, in dem er sich als Sprecher erlebt und kontrolliert. Die Kommunikation kann nur dann störungsfrei sein, wenn die Signale so produziert werden, dass sie verlässlich sind. Das produzierende und sendende System muss dabei mit potentiellen Schwachstellen rechnen und diese möglichst im Vorfeld beheben. Das geschieht sprachlich mithilfe von Redundanz Die Signale sind so angelegt, dass sie bei Störung aufgrund anderer Signale gestützt werden und sich dadurch in ihrer Funktion erschließen lassen. Eine Äußerung wie Du kommst doch bestimmt? könnte darauf abzielen, jemanden einzuladen. Zu diesem Zweck würde die Frage Du kommst? ausreichen. Der Sprecher will aber dem Anderen zeigen, dass ihm daran gelegen ist. Das kann er durch eine besondere Form der Betonung erreichen und durch die Hinzufügung der Partikel doch anzeigen. Weiter kann er die Bedeutung der Einladung hervorheben, indem er die weitere Partikel bestimmt hinzufügt. Die Nachdrücklichkeit der Einladung wird also durch mehrere Signale gleichzeitig angezeigt. In modernen Handbüchern zur Kommunikationswissenschaft wie von Beck (2017) oder Krallmann und Ziemann (2006) wird das Transfermodell, das sich auf das Übertragen von Signalen beschränkt, als wissenschaftsgeschichtliche Leistung eingestuft, die für die Gegenwart keine Relevanz mehr besitzt. Das Maß bit eigne sich nicht, um kommunikatives Handeln erklären zu können und auch der Zeichenbegriff greife zu kurz. Es handele sich ausschließlich um eine technische Disziplin, die als solche Teil der Ingenieurwissenschaften sei. Diese Einschätzung ist ein Indiz dafür, dass die gegenwärtige Forschung andere Themen bevorzugt und andere Methoden entwickelt bzw. in den Vordergrund gerückt hat, um Kommunikation als Wissenschaft betreiben zu können. Trotzdem sind die Erkenntnisse dieser frühen Phase auch heute noch von Bedeutung. Sie beschreiben Bereiche der Signalverarbeitung, die für das Medienverständnis grundlegend sind und besonders für die neurologischen Disziplinen Relevanz besitzen. Ektosemantische Kommunikationssphären Redundanz und störungsfreie Kommunikation Relevanz heute 133 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung d Ie r ezePtIon des t ransfermodells In anderen w IssenschaftsdIszIPlInen Einheit 7 Wir hören und wir lesen Zeichen und das Gehirn verarbeitet diese. Die Wahrnehmung ist abhängig von der Präsenz physikalisch greifbarer Signale. Die Fehleinschätzung in der früheren Rezeption des Modells lag darin, die Signaltheorie als generelles Modell für Kommunikation einzustufen. Sie stellt jedoch nur ein Teilmodell dar, das über die Bedeutung der physikalischen und technischen Grundlagen für das Verbreiten von Daten in einem Medium aufklärt. Erklärung Die Rezeption des Transfermodells in anderen Wissenschaftsdisziplinen Traditionell war die Sprachwissenschaft in den 60er Jahren an Grammatik- und Wörterbuchforschung orientiert und öffnete sich vornehmlich im Bereich der Grammatik für moderne und formale Betrachtungsweisen der Sprachtheorie. In den 80er Jahren kam es dann zu einer starken Ausrichtung an der Pragmatik und an pragmatisch bedeutsamen linguistischen Themen. Auffallend dabei war, dass sich die Modellierung von Kommunikation auf eine Adaption des in der Informatik entwickelten Modells beschränkte, das sich auf die Übertragung von Sprache fokussierte; es wird vom Transfermodell gesprochen. In Anlehnung an die Signaltheorie stand für die Autoren des Funk-Kolleg Sprache Baumgärtner (1973) das Problem der Codes und der Codierung im Mittelpunkt. Daten, die übertragen werden sollen, müssen, wenn sie der Hörer korrekt auflösen will, Bedingungen genügen, die zwischen Sender und Hörer gleich sind. Sie werden deshalb in ein entsprechendes Format gebracht. In Analogie zur technischen Codierung des Zeichens in ein übertragbares Signal wurde Sprecher und Hörer als Sender und Empfänger gedeutet und der technische Apparat, der die Rückübersetzung von Signalen in die ursprünglichen Zeichen ermöglicht, mit einem kognitiven System des Menschen erklärt, das Sprache erkennt und verarbeitet. Er erkennt die Sprache, wenn er sie kompetent beherrscht. Er verarbeitet sie, wenn er aus dem Sprachcode auf ein damit verbundenes Sprachsystem so schließt, wie es der sendende Sprecher intendiert hat. Damit das funktionieren kann, wurde vorausgesetzt, dass Sprecher und Hörer auf kognitiv identisch operierende Systeme zurückgreifen und auf dieselbe Weise daraus für ihr sprachliches Handeln Schlüsse ziehen. Ende der 60er Jahre löste Bernstein (1975) eine Diskussion aus, die thematisierte, ob die Beherrschung linguistischer Systeme an die gesellschaftliche Herkunft gebunden sei. Kinder aus der Unterschicht der Arbeiterschaft beispielsweise verfügten nicht über dasselbe linguistische System wie Kinder aus der gehobenen Schicht. Das wurde an dem Gebrauch sprachlicher Mittel 7.2 Linguistik Soziale Unterschiede 134 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung wie Wortwahl, Satzbau und Flexibilität im Sprachhandeln festgemacht. Das Phänomen wurde mit den Schlüsselwörtern restringierter und elaborierter Code verbunden. Das technische Problem des Codierens wurde auf Sprachverhalten übertragen und spielt für die Linguistik eine zentrale Rolle. Das zugrunde liegende Problem wurde mit dem Begriff Performanz der Sprache umschrieben, d. h. dass Sprecher realisieren ihre Sprache situativ und individuell und nicht im Sinne eines Sprachideals. Chomsky (1965) führte dafür das Begriffspaar Kompetenz und Perfomanz ein, um auf die Systemunterschiede der Sprachcode hinzuweisen. Die klassische Theorie vom Sprachsystem sieht in der Differenz, die aufgrund der gesellschaftlichen Herkunft entstehen kann, einen Mangel. Der Sprachbenutzer beherrsche das System seiner Sprache nicht ausreichend. Forschungen der Soziolinguistik hatten darauf aufmerksam hingewiesen, dass Personen der sogenannten Unterschicht die Lexik mit anderen Bedeutungen benutzen, einen geringeren aktiven Wortschatz besitzen und nicht über eine so elaborierte Syntax wie Sprecher der Mittelschicht verfügen; komplexe hypotaktische Sätze würden nicht verwendet. Daraus wurde gefolgert, dass die linguistischen Signale von Mitgliedern der Mittelschicht an Angehörige der Unterschicht nicht verstanden oder nur unzureichend entschlüsselt werden. Es käme zur Ausgrenzung der Unterschichtmitglieder. Unabhängig von den soziologischen Modellen gesellschaftlicher Strukturen war unverkennbar, dass der Gebrauch sprachlicher Formen innerhalb seines jeweiligen Verwendungszusammenhanges gesehen werden muss. Die Linguistik reagierte zunächst im Sinne der Systemlinguistik und der Signaltheorie: Sie rückte die Erweiterung des Code-Wissens der Beteiligten in den Vordergrund und empfahl Sprachkompensationsprogramme für den Unterricht in Schulen. Kommunikation wurde mit dem Transfer von Signalen gleichgesetzt, d. h. es sollten Wörter und syntaktische Konstruktionen geübt werden, die von der gesellschaftlich führenden Schicht akzeptiert werden. Überraschend ist, dass es in der linguistischen Pragmatik-- also in der Disziplin, die sprachliches Handeln zu erklären versucht-- zuerst einmal keine direkte Auseinandersetzung mit den zuvor genannten, jederzeit beobachtbaren Differenzen gab. Zunächst wurde die Besonderheit sprachlichen Handelns erkannt. Austin (1962) beschrieb, wie der Signalaustausch zu Veränderungen in der sozialen Wirklichkeit der Akteure führen kann: Beispielsweise wird unter gewissen Umständen mit der Äußerung Ich taufe dich auf den Namen Maximilian ein sozialer Akt vollzogen, durch den eine Person von diesem Zeitpunkt an Maximilian heißt. Die auf Austin folgende Diskussion beschränkte sich aber auf die Faktoren, von denen eine Sprechhandlung abhängt, auf die Handlungstypen und auf die Frage danach, wie die Bedeutung von möglichen sprachlichen Hand- Defizithypothese Sprechakte 135 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung d Ie r ezePtIon des t ransfermodells In anderen w IssenschaftsdIszIPlInen Einheit 7 lungen beschrieben werden kann. Searle (1970) erarbeitete unterschiedliche Sprechakttypen: (1) Repräsentativa, (2) Direktiva, (3) Kommissiva, (4) Expressiva und (5) Deklarativa. Das heißt: Jemand (1) sagt, was ist, (2) wird zu einer Handlung motiviert, (3) legt sich selbst auf eine Handlung fest, (4) artikuliert seine Gefühlslage und (5) schafft mit der Äußerung ein Faktum. Im ersten Fall sind Handlungen wie Behaupten, Mitteilen und Berichten beobachtbar. Bitten, Befehlen oder Raten gehören zur zweiten Kategorie. Die Dritte wird getragen von Handlungen des Versprechens, Vereinbarens oder Drohens. Vertreter der vierten Kategorie sind Danken, Begrüßen oder Glückwünschen. Die letzte Kategorie umfasst Akte wie das Ernennen oder Entlassen. In der Sprechakttheorie nach Searle werden Typen von sprachlichen Handlungen unterschieden und durch Regeln des Gelingens die Bedingungen skizziert, wann solche Handlungen erfolgreich vollzogen werden können. Die Beschreibungsperspektive ist auf den Sprecher ausgerichtet und bleibt ganz in der Tradition der linguistischen Theoriebildung, die sich auf die Sprachproduktion konzentriert hat. Auch wenn mit Blick auf den Vollzug der Handlungen Bedingungen beschrieben werden, die vonseiten des Hörers erfüllt sein müssen, bleibt der Fokus doch auf die Produktionsseite gerichtet. Sprachliches Handeln wird beschrieben wie in einem Wörterbucheintrag, durch den die Bedeutungen erklärt und Gebrauchsbedingungen erfasst werden, die den Erfolg der jeweiligen Handlung absichern. Mit den Konversationsmaximen von Grice (1975) wurde ein Versuch unternommen, das Zusammenwirken von Sprecher und Hörer in den Blick zu nehmen. Äußerungen wurden unter dem Aspekt gegenseitiger Erwartungen betrachtet und diese wurden durch Konstruktionsprinzipien zu beschreiben versucht. Wenn das Äußerungsverhalten eines Sprechers untersucht wird, fällt auf, dass die Beiträge nicht frei und offen gestaltet werden können, wenn der Sprecher die Angesprochenen nicht irritieren will. Er orientiert sich an Richtlinien, die von Grice als Maximen bezeichnet wurden. Er schlug vier solcher Maximen vor: John Langshaw Austin (1911-1960): Britischer Sprachphilosoph und White’s Professor für Moralphilosophie an der Universität Oxford, Schwerpunkte: Begründer der Sprechakttheorie Herbert Paul Grice (1913-1988): Philosoph, Sprachphilosophie an der University of California, Berkeley, Schwerpunkte: Sprache und Handeln, Kooperationsmaxien Sprachphilosophie Konversationsmaximen John Rogers Searle (* 1932) Abb. 7.2 Amerikanischer Philosoph und Linguist an der University of California, Berkeley, Schwerpunkte: Sprachphilosophie und Sprechakttheorie 136 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung (1) Maxime der Quantität: Mache deinen Gesprächsbeitrag mindestens so informativ, wie es für den anerkannten Zweck des Gesprächs nötig ist. Mache deinen Beitrag nicht informativer, als es für den anerkannten Zweck des Gesprächs nötig ist. (2) Maxime der Qualität: Versuche einen Gesprächsbeitrag zu liefern, der wahr ist. Sage nichts, wovon du glaubst, dass es falsch ist. Sage nichts, wofür du keine hinreichenden Anhaltspunkte hast. (3) Maxime der Relevanz / Relation: Sage nichts, was nicht zum Thema gehört, wechsle das Thema nicht einfach so plötzlich. (4) Maxime der Modalität: Vermeide Unklarheit. Vermeide Mehrdeutigkeit. Vermeide unnötige Weitschweifigkeit. Vermeide Ungeordnetheit. Das Konzept von Grice entwickelte sich aus Diskussionen in der Sprachphilosophie und stellt keine Bezüge zu Kommunikationstheorien her. Die Art, wie der Informationsaustausch gedacht wird, folgt dem Transferkonzept: Es gibt eine Aussage, die an jemanden gerichtet ist und sie hat bestimmte Bedingungen zu erfüllen, damit sie im Sinne des Sendenden adaptiert werden kann. Die Vermittlung von Lerninhalten wurde bis in die 70er Jahre noch als ein Transmissions- oder Transfervorgang verstanden. Methodisch-didaktische Konzepte, wie sie beispielsweise für den Unterricht entwickelt wurden, orientierten sich seit den 60er Jahren an Erkenntnissen aus der Lernpsychologie. Hier hatte sich in den 70er Jahren aufgrund der Forschungsergebnisse der Reiz-Reaktions-Psychologie die Vorstellung verbreitet, dass die Signalverarbeitung nachhaltiger wird, wenn Signale mehrkanalig vermittelt werden. Es entstand eine eigene Methodik, die darauf abzielte, möglichst alles, was gelernt werden soll, in vielfältigster Form zu präsentieren. Spuren dieses Denkens sind heute beispielsweise in den Power Point-Präsentationen erhalten geblieben. Information muss demzufolge so „verpackt“ sein, dass sie möglichst alle Sinne anspricht. Der Gestaltungsaufwand der Äußerungen, die Lernstoff beinhalten, wurde immer multimedialer und umfangreicher. So sollte sichergestellt werden, dass der Stoff den Lerner erreichen kann. Dieser multimediale Aufwand hatte aber keine deutliche Verbesserung der Lernleistungen zur Folge. Dasselbe Problem zeigte sich bei Lernformen wie dem E-Learning. Das, was übermittelt wird, wird nicht automatisch deswegen besser verstanden, weil es mehrkanalig angeboten wird. Erst konstruktivistische Lernmodelle, wie sie Reich (2000) zu diskutieren begann, veränderten die Sichtweise. Ihnen zufolge ist der Auswahlbereich, in dem etwas gesehen wird, abhängig von den individuellen Bedingungen. Etwas zu lernen, bedeutet so, es in das eigene Wissen bzw. Die Wirksamkeit des Transfermodells Bildung Kersten Reich (* 1948) Abb. 7.3 Deutscher Pädagoge und Kulturtheoretiker und Professor für Internationale Lehr- und Lernforschung an der Universität zu Köln, Schwerpunkte: Begründer des Konstruktivismus 137 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung d Ie t ransfer -m etaPher Einheit 7 die bisherigen Erfahrungen integrieren zu können. Die Signaltheorie klärt in der Regel nur, ob die Signale einwandfrei funktionieren. Sie modelliert weder Verständigungsnoch Verstehensprozesse. Der Gedanke des Transfers ist bis heute im Kommunikationsverständnis von Institutionen und Organisationen anzutreffen. Das hängt mit den vorherrschenden hierarchischen Strukturen zusammen. Eine Anweisung soll auf den unteren Ebenen ausgeführt werden. Politiker beschließen beispielsweise ein achtjähriges Gymnasium. Die Verwaltung des Kultusministeriums organisiert die beschlossene Veränderung durch Verordnungen über alle Ebenen des Schulsystems hinweg. Am Ende macht der Gymnasiast bereits nach acht Jahren sein Abitur. Die Weitergabe eines Bildungsauftrags in Form von Gesetzen und Verordnungen erfolgt durch Texte. Dabei wird unterstellt, dass diese von allen gleichermaßen gelesen und verstanden werden und so der Bildungsauftrag vor Ort exakt umgesetzt werden kann. Verständigung wird als Vorgang des Codierens von Textsignalen organisiert, das Schriftstück wird erstellt und an einen Ort gesendet, wo es ausgestellt von Lesern decodiert wird. Dabei wird unterstellt, dass Verstehen entsteht. Die Kommunikation in den Institutionen indes zeigt, dass der Rezipient eigenständige Lesarten solcher Verordnungen entwickelt. Denn weitergegeben werden Daten, in diesem Fall „bedruckte Papiere“; was sie bedeuten, erschließt sich erst aus dem Handlungskontext, in den sie hineingegeben werden. Es werden nicht Wörter und Sätze kommuniziert, sondern Vorstellungen über Handlungen und ihre situativen Kontexte. Diese muss sich der Leser aus den Papieren erschließen. Die Papiere leisten das nicht ohne weiteres. Es bedarf eines eigenen Institutionenwissens, was es mit solchen Papieren auf sich hat. Es ist deshalb immer wieder zu beobachten, dass vor Ort über die Texte geredet und geschimpft wird, „was die da oben wieder wollen.“ Die Transfer-Metapher In einer Theorie der Signale werden die technischen Gegebenheiten geklärt, die einen Datenaustausch für eine Versendung in einem technischen Medium ermöglichen. Sie untersucht, welches die kleinsten, diskreten Einheiten sind, die bei der Übertragung von der Quelle zum Ziel relevant sind. Diese müssen zwischen der Quelle und dem Ziel in ihren Eigenschaften kontrollierbar sein, denn nur so kann am Ziel überprüft werden, ob sich der Zustand des Dokuments während des Transports vom Quellzum Zielort verändert hat bzw. ob er noch dem Quellzustand entspricht. Faktisch werden die Signaleigenschaften daraufhin geprüft, ob sie die fehlerfreie Rekonstruktion des ursprünglichen Dokuments am Zielort ermöglichen. Im Alltag wird allerdings nicht der technische Vorgang als die Vorbedingung für eine Rekon- Organisationen 7.3 138 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung struktion thematisiert, sondern der Angesprochene versucht sich das möglicherweise Intendierte zu erschließen, er vermutet vom Absender eine an ihn gerichtete Botschaft vorzufinden. Eine Botschaft setzt einen Autor voraus. Ein Konnotat zu Botschaft unterstellt eine gewisse Wichtigkeit, das Gegenüber sollte sich deshalb bewusst mit dem Gesendeten auseinandersetzen. Es muss vom ihm entgegengenommen werden. Eine wichtige Botschaft legt es außerdem nahe, sie aufzubewahren. Eine solche Konzeptualisierung weckt die Vorstellung eines physikalisch fassbaren Objektes, das wie ein Gegenstand weitergegeben werden kann, wie Krippendorf (1986, S. 86) Krippendorf betont. Die metaphorische Redeweise verselbständigt sich, wenn von den elektronischen Botschaften, die man nicht mehr anfassen kann, gesprochen wird. Anrufbeantworter sind Objekte, die Botschaften aufbewahren, welche uns ein Anrufer gegeben hat. Wir fordern diesen auch dazu auf, uns eine Botschaft zu hinterlassen. Diese Art der Verdinglichung bringt das Bild eines Pakets ins Spiel und führt zu Überlegungen darüber, wie dieses gepackt werden sollte. Der Ratschlag „du musst das nur gut verpacken“, wenn jemand ein Referat halten, Unterricht vorbereitet oder ein Produkt verkaufen soll, zeigt, dass dieses Bild noch heute wirksam ist. Auch die „Verbildlichungen“ der Power Point-Präsentationen betonen die besondere Rolle des Senders. Eine andere Form der Metaphorisierung setzt beim Reden über die Signalkette selbst an. Das geschieht, wenn über ihren Neuigkeitswert gesprochen, über die ästhetische Wirkung räsoniert oder danach gefragt wird, ob das Geäußerte beim Zuhörer gut angekommen ist. Eine abgewandelte Form der Paket-Metapher liegt im Bild des Austauschs vor. Das Bild des Pakets erzeugt die Vorstellung, es werde etwas so übergeben, dass der Empfänger dann darüber verfügen kann. Das Bild des Austauschs, wie es Ellgring (1994, S. 196) vorgeschlagen hat, setzt das Konzept fort, der Empfänger einer Sendung kann darin nämlich selbst zum Sender werden. Das geschieht, wenn er auf eine erhaltene Gabe mit einer Gegengabe reagiert. Nicht zufällig ist das Bild des Austauschs auch als ein Ausdruck der Kritik an der Paket-Metapher zu verstehen, denn mit der Metapher des Austauschs sollte angezeigt werden, dass der Akt des Sendens von Daten die Kommunikation nur unzureichend erklärt. Die Rückmeldung des Angesprochenen gehört ebenfalls dazu. Kommunikation endet nicht mit der „Abgabe des Paketes.“ Für die Signaltheorie ist die Übertragung ein Erfolg, wenn das Empfängergerät die Signale sachangemessen verarbeitet hat, d. h. die Signale werden Die Metaphorisierung Bilder von einer Wechselbeziehung Transport Klaus Krippendorf (* 1932) Abb. 7.4 Deutscher Professor für Kybernetik und Sprache an der University of Pennsylvania 139 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung K ommunIKatIon - ganz anders Einheit 7 in ihrem ursprünglichen Zustand dem Empfänger zurückübersetzt. Damit ist die Aufgabe erfüllt. Welche Aufgabe der Nutzer daran anschließt, ist ihm frei gestellt. Die Geisteswissenschaften konnotieren mit dem Bild des Übertragens einen eigenständigen Gegenstand und dieser präsupponiert einen Besitzerwechsel. Zur Überwindung des Wegs wird der Gegenstand versandtauglich gemacht, er wird verpackt. Das Bild lässt sich weiter ausbauen. Denn im Bild des erfolgreich übergebenen Paketes steckt die Vorstellung, etwas von jemandem erhalten zu haben, dem auch auf dieselbe Weise etwas zurückgeben werden könnte. Sender und Empfänger treten in ein gleichgestelltes Verhältnis zueinander ein. Das Bild prägt das Konzept der Mitteilung. Es wird allerdings vom Kommunikationsgegenstand abstrahiert und die Gemeinschaft von Sender und Hörer betont. Die Redeweise vom Kanal ist bis heute selbstverständlich und in Wortbildungen wie Informationsbzw. Nachrichtenfluss gegenwärtig. Signale müssen mithilfe eines Mediums (Luft, Elektrizität, Licht oder anderes) verbreitet werden. Das erfolgt zumeist sukzessiv und kontinuierlich. Dahinfließen ist ein Konzept für den Weg des Signals. Daher überrascht das Bild vom Kanal an dieser Stelle nicht, man kann von einem Fluss von Daten in künstlich angelegten Bahnen sprechen. Das Bild vom Fluss verstärkt den übertragenen Sinn vom Kommunikationsvorgang als sequenzielles Ereignis, das nicht aufhaltbar, aber durch Kanäle lenkbar ist. Dort gibt es, und damit verselbständigt sich das Bild weiter, Schleusen und Schleusenwärter, die die „Schiffe“ herein- und herauslassen. Im englischsprachigen Raum wird der Ausdruck Gate Keeper für die Personen verwendet, die Nachrichten auswählen. Der Datenfluss ist entsprechend manipulierbar, die Kanäle sind künstlich angelegt. Weil Kommunikation als Phänomen so schwer zu fassen ist, prägen sich Bilder und Metaphern zur Erklärung ein und verselbständigen sich so, dass die Bildhaftigkeit in den Hintergrund rückt und stattdessen die Elemente der Bilder als real gegebene Eigenschaften von Kommunikation angenommen werden und zur realen Erklärung dienen. Erklärung Kommunikation - ganz anders Fast zur selben Zeit als die Signaltheorie entwickelt wurde, veröffentlichte die Palo Alto Schule ein Konzept zur Kommunikation, das einen ganz anderen Weg einschlägt. Kommunikation ist nach Watzlawick (1969) als ein offenes Verhalten zu verstehen, das sich durch bestimmte Grundannahmen charakterisieren lässt. Diese wurden als Axiome postuliert: 7.4 Die Palo-Alto-Schule 140 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung (1) Man kann nicht nicht kommunizieren! (2) Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, wobei Letzterer den Ersteren bestimmt. (3) Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt. (4) Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. (5) Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder komplementär. Sich begegnende Personen werden immer mit der Situation konfrontiert abschätzen zu müssen, was der Andere wohl für kommunikative Absichten haben könnte. Watzlawick et al. nennen dieses Beobachten und Einschätzen des Anderen Kommunikation. Da diese Beobachtungen kontinuierlich ablaufen, formulieren sie das metakommunikative Axiom über die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren (nicht nicht kommunizieren zu können). Damit wird eine Position bezogen, die allem Verhalten kommunikatives Potential unterstellt. Wurde in der Signaltheorie nur dem Signal eine kommunikative Relevanz zugebilligt, kommt es hier zu einer Übergeneralisierung in dem Sinn, dass Verhalten schlechthin als Kommunikation zu verstehen sei. Dies funktioniert, wenn die Beteiligten über entsprechende Erfahrungen verfügen, wie Verhalten gedeutet wird bzw. wenn entsprechenden Verhaltenspraktiken im Umgang miteinander beherrscht werden. Ist das nicht der Fall, ist das Verhalten nicht „lesbar“ und wird unter Umständen gar nicht wahrgenommen. Eine wesentliche Entdeckung und für die Theoriebildung wegweisend war die Beobachtung, dass die Verarbeitung kommunikativen Handelns zumindest auf zwei Ebenen zu betrachten ist. Zum einen gibt es den semantischen Raum, in dem der Bezug zur vorfindlichen oder gedachten Wirklichkeit hergestellt wird. Wenn über etwas geredet wird, werden Aussagen über Inhalte gemacht, die auf reale oder gedachte Objekte hin- oder ihnen Eigenschaften zuweisen. Zum anderen gibt es den sozialen Raum, der immer mitgeführt wird, wenn Personen die Kommunikation vollziehen. Ob und wie er mitreflektiert wird, ist abhängig von den Rahmungen, die private oder öffentliche Verhältnisse situativ ordnen und durch entsprechende Regeln des Deutens und Anzeigens festlegen. Wer Sympathie für jemanden hat, kann diese durch Gesten der Freundlichkeit kundtun. Im privaten Kreis kann das eine Umarmung sein, in der Öffentlichkeit ein Kompliment. Abhängig von den jeweiligen Rahmenbedingungen stellt sich die Person so dar, dass erkennbar wird, welche Beziehung zum Anderen besteht und welche Obligationen sie im Hinblick auf ihr Gegenüber einzugehen bereit ist. Das Ganze muss nicht bewusst erfolgen. Daher geschieht es oft, dass erst die Erwartungsbrüche anzeigen, welches Verhältnis zum Kommunikationspartner bestanden hat. Inhalt und Beziehung 141 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung K ommunIKatIon - ganz anders Einheit 7 Die Signaltheorie und das Transfermodell gingen davon aus, dass der Angesprochene mit der versendeten Nachricht hinreichend über Deutungsmaterial verfügt, sodass ein möglicherweise notwendiges Nachkorrigieren eher als Schwäche der „Sendung“ ausgelegt wurde. Mit der Annahme von Watzlawick et al., dass wir uns im Zuge der Kommunikation ständig beobachten und dabei das deutlich machen, was wir wollen, wird der interaktive Charakter als Konstituens ernst genommen. Denn, wenn alles Verhalten Kommunikation sein kann und eine Überforderung vermieden werden soll, muss dem Anderen durch Interpunktion deutlich gemacht werden, welches Verhalten kommunikativ gemeint ist. Das Gegenüber ist nicht einfach eine Adresse, an die etwas versendet wird, sondern ein aktiver Teilnehmer am gemeinsamen Prozess und diese Aktivität erhöht und sichert das Zusammenwirken. Beide Seiten beobachten und zeigen sich an, worauf es ihnen ankommt. Das schützt allerdings nicht unbedingt vor Fehldeutungen und im Fall eines Konfliktes vor dem Abbruch bzw. Zusammenbruch der Kommunikation. Eine weitere wichtige Erkenntnis liegt in der Unterscheidung von Medientypen. Digitale und analoge Zeichen unterscheiden sich aufgrund der Art und Weise, wie sie verarbeitet werden. Analoge Formen sind an konfigurative Verhaltensweisen gebunden. Akteure nutzen das Medium, um die Beziehung zum Anderen sichtbar zu machen. Das Interpunktieren macht von analogen Mitteln Gebrauch. Digitale Formen basieren auf diskreten Elementen, denen bedeutungsrelevante Funktionen zugewiesen werden. Ihnen kann eine Syntax und eine Lexik zugeordnet werden, d. h. es gibt Regeln, welche die Abfolge der Zeichen und die daraus folgenden Interpretationen bei der Organisation unterstützen. Ferner werden Zeichenfolgen Bedeutungen zugeordnet, sodass sie auf konventionellem Weg semantische Funktionen übernehmen. Wenn über die Butterblumen gesprochen wird, vermuten die Partner bedingt durch die Wortwahl, dass eine bestimmte Art von Blumen gemeint ist. Wird das Lächeln des Gegenübers erlebt, kommt es in der Regel auch zu einer Bedeutungszuschreibung, aber ob das Lächeln Vergnügtheit, Freundlichkeit, Skepsis oder Sarkasmus ausdrückt, ist dem Gesichtsausdruck an sich nicht anzusehen, die Bedeutung wird aus dem situativen Kontext erschlossen. Ein Beitrag entsprach beispielsweise nicht den Erwartungen und löst mitleidvolles Lächeln aus oder sogar Widerspruch, es könnte aber auf dieselbe Weise Beifall oder Zustimmung angezeigt werden. Der neue Betrachtungsansatz verweist auf soziale Verhältnisse. Personen sind Teil verschiedener gesellschaftlicher Ordnungen. Diese können institutionell definiert sein, d. h. es existieren festgelegte Rollen, die für die Beteiligten verpflichtend sind. Der soziale Raum kann auch situativ definiert sein, wenn die Beteiligten sich gegenseitig, in Abhängigkeit von den spontanen Interpunktion Digitale und analoge Kommunikation Symmetrien im sozialen Raum 142 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung Ereignissen, Eigenschaften zuweisen. Diese regeln dann das Verhältnis zueinander bzw. stimmen die Verhaltensweisen aufeinander ab. Es kann ein asymmetrisches Verhältnis der Über- und Unterordnung entstehen, ein symmetrisches der Gegenseitigkeit oder ein komplementäres, das sich aus der gemeinsamen Geschichte der Individuen herleitet. Hier steht wie bei der Interpunktion der interaktive Charakter des Handelns im Vordergrund. Im Modell der Signaltheorie ist der Transfer ein Einzelereignis. Für Watzlawick et al. geht es um einen Prozess der Gegenseitigkeit. Daher wird von einem System gesprochen. Der Begriff System wurde in den 50er Jahren im Rahmen der Informationstheorie entwickelt. Dort benutzte ihn Norbert Wiener im Kontext der Kybernetik, er beschreibt Steuerungs- und Regelungsprozesse. Die Idee vom System wird dann in Analogie auf physiologische Vorgänge übertragen und durch die Arbeiten von Bertalanffy (1977, 235-273) ausgeweitet. Das Konzept insgesamt erfährt im Verlauf der weiteren Entwicklung eine Ausdifferenzierung in Richtung der heutigen Spieltheorie. Bateson (1982) suchte mithilfe des spieltheoretischen Ansatzes Erklärungen für zwischenmenschliches Verhalten. Diese Ideen bildeten dann den Hintergrund für die Arbeitsgruppe von Paul Watzlawick, wenn sie sich auf den Begriff System bezogen, um Ergebnisse ihrer Interaktionsanalysen aus der Familientherapie zu formulieren. Ein System beinhaltet in diesem Kontext eine Reihe von Komponenten: Ganzheit, Übersummation, Homöostasis, Redundanz, Äquifinalität, Kalibrierung, Rückkopplung. Das Verhalten des Einzelnen hängt vom Verhalten der Anderen um ihn herum ab. Jeder hat Einfluss auf jeden und wird auch rückwirkend beeinflusst. Wenn eine Gruppe beisammen ist, wird sie gerade dadurch zur Gruppe, dass jedes Mitglied von allen anderen wahrgenommen und beachtet wird. Dieser Umstand der Ganzheit besteht unabhängig davon, was im Einzelnen geschieht. Erklärung Die Interaktionsstrukturen einer Gruppe als Ganzes umfassen mehr als die Summe der Eigenschaften jedes Einzelnen. Dieses Phänomen ist häufig zu beobachten: Die Fähigkeiten der Einzelpersonen summieren sich beim Lösen von Aufgaben nicht, sondern sie entwickeln eine eigenständige Qua- Karl Ludwig von Bertalanffy (1901-1972): Theoretische Biologie und Systemtheorie an der State University of New York in Buffalo, Schwerpunkt: Biophysik offener Systeme Gregory Bateson (1904-1980): Angloamerikanischer Anthropologe, der sich mit Biologie, Kybernetik und Philosophie befasste und disziplinübergreifend arbeitete, er lehrte an der New School for Social Research in New York, an der Harvard University, der University of California Medical School in San Francisco an der Stanford University. Kommunikation als System Stabilisierung von Kommunikation 143 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung K ommunIKatIon - ganz anders Einheit 7 lität. Bei Fußballmannschaften lässt sich zum Beispiel immer wieder feststellen: Eine Mannschaft verfügt über hervorragende Einzelspieler und dennoch ist sie nicht erfolgreich, weil das Zusammenspiel mehr erfordert als die Einzelqualifikationen. Kommunikation findet oft erst im Verlauf zu ihrer Stabilität. Das kann mit dem Gedanken der homöostatischen Systeme erklärt werden. Sie zielen auf Gleichgewichtsverhältnisse ab, Störungen werden aufgefangen und bearbeitet und verringern die Unsicherheit, weil sich die Wahlmöglichkeiten für die Anschlusskommunikation immer mehr einschränken. Durch Informationszugewinn erhöht sich nach Watzlawick (1990, 126) die Stabilität der Kommunikation. Wenn Kommunikation eröffnet wird, geschieht das in der Regel nicht mechanisch. Eine Ausnahme bilden ritualisierte Formen, in denen einzelne Schritte festgelegt sind. Dadurch entsteht am Anfang eine Orientierungsphase, in der sich der semantische, pragmatische und soziale Raum herausbilden sowie die entstehende Emotionalität erfahrbar wird. In dieser Phase versucht jeder der Beteiligten, für sich herauszufinden, welche Verhaltensweisen unter den gegebenen Umständen möglich sind. Die Vielfalt möglicher Handlungen schränkt sich dabei aufgrund der situativen Faktoren ein und präzisiert sich in den einzelnen kommunikativen Handlungen. Wichtig sind Rückkopplungshandlungen. Sie dienen dem Erhalt oder der Wiederherstellung von Zuständen. Verhält sich jemand einem Anderen gegenüber unhöflich, bleibt das nicht ohne Folgen. Der Betroffene wird versuchen, die Unhöflichkeit als Vergehen zu deuten und eine Korrektur zu verlangen. Der so angesprochene Urheber der Unhöflichkeit hat dann verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen. Er kann alles als Missverständnis darstellen und so zum Ausgleich der Situation beitragen. Möglich ist auch, dass er sein unhöfliches Verhalten begründet. Dann ist jedoch wichtig, dass der Beleidigte die Begründung akzeptiert. Es kann dauern, bis das System seine Stabilität wieder zurückgewonnen hat. Begegnet man einer Person, die man lange nicht gesehen hat, ist es nicht selten schwierig, wieder ins Gespräch zu kommen. Das kann mehr förmlich versucht werden, indem nach gemeinsamen Freunden oder der Arbeit, über die schon oft geredet worden ist, gefragt wird. Oder es kann humorig eröffnet werden, sodass spaßhaft Motive unterstellt werden, auf die der andere ebenfalls humorig reagieren kann. Der Gesprächspartner hat eine neue Brille und wird darauf angesprochen, ob er damit bei seinem Hochschullehrer Eindruck schinden wolle. Welchen Motiven die Kommunikation letztendlich folgt, entscheidet sich oft in der ersten Reaktion. Voraussetzung für die Themenfindung ist also gegenseitige Kooperation. 144 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung Eine Äußerung enthält eine Vielzahl von Elementen, die sich in ihren Funktionen überschneiden bzw. diese doppeln können. Dieses Phänomen wird als Redundanz bezeichnet. Das sichert das Decodieren der Zeichen im Hinblick auf ihre jeweiligen Funktionen ab. Redundanz ist also ein Mittel dafür, die Übertragung von Daten gegen Störungen zu sichern. Die Linguistik kennt entsprechende Markierungsverfahren, um Satzstrukturen abzusichern, beispielsweise indem ein Kasus einer Phrase an mehreren Stellen angezeigt wird. Über die linguistische Redundanz hinaus verwendet Watzlawick den Begriff der pragmatischen Redundanz. Damit umschreibt er das Reservoir an Erfahrungswissen, das der Einzelne besitzt und das er nutzt, um Geäußertes zu verstehen, andere zu beeinflussen oder das Verhalten von anderen ein- und abzuschätzen. Ein Lächeln an sich wird oft nicht sofort als Sympathiebekundung angenommen, erst die freundliche Formulierung und der verbindliche Händedruck stabilisieren die Bedeutungszuschreibung. Kommunikation sollte nicht linear gedeutet, sondern als ein Kreisprozess verstanden werden. Unterschiedliche Anfangszustände können zum gleichen Endzustand führen. Nach Watzlawick (1986, S. 122) heißt das: In kreisförmigen, selbstregulierenden Systemen (Äquifinalität) sind Ergebnisse im Sinne von Zustandsveränderungen vor allem durch die Natur der ablaufenden Prozesse determiniert. Diese Sicht hat beispielsweise bei der Familientherapie zur Folge, dass weder die Entstehungsgeschichte noch die Individualdiagnose pathologischen Verhaltens von besonderem Interesse ist. Beobachtet wird das aktuelle Verhältnis der Mitglieder zueinander. Ein System kann auf bestimmte Sollwerte hin genormt werden, die für das System von Bedeutung sind. Dahinter steht das, was als Kalibrierung und Rückkopplung beschrieben werden kann. Der Begriff hängt mit dem des Regelkreises zusammen. Ein Regelkreis ist ein geschlossenes System von Kräften und Einrichtungen zur Erhaltung einer Größe, die messbar ist und Veränderungen ausgesetzt bleibt. Es gibt einen Soll-Wert, der als Führungsgröße bezeichnet wird. Eine Messeinrichtung prüft ständig, ob eine Differenz zwischen der tatsächlich gemessenen Größe und dem Soll-Wert entsteht. Tritt diese Abweichung ein, wird sie der Stelleinrichtung des Systems angezeigt und es erfolgt die Reaktion oder Rückkopplung im Sinne einer Korrektur. Für Watzlawick folgt die menschliche Interaktion einem solchen Prinzip und er bezeichnet sie als ein selbstgesteuertes, offenes System. Das Neue an der Idee ist, dass nicht der Einzelne allein Einfluss nehmen kann, sondern dass er immer vom Anderen abhängig bleibt. Alle Beteiligten bilden das System. Ein System definiert sich aufgrund dessen in Abhängigkeit von seinen Mitgliedern und bildet so eine Binnenstruktur. Das System ist gleichzeitig nach außen von der Umwelt abgegrenzt. Watzlawick (1990, 32) definiert die Umwelt als den situativen und personellen Kontext außerhalb Redundanz Kommunikation als Kreisprozess 145 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung l Iteratur Einheit 7 der Interaktionsgemeinschaft. Das System kann aber jederzeit Beziehungen zur Umwelt aufbauen. Die Rückkopplung ist eine Operation, durch die die Wirkung von einem einzelnen Vorgang auf das weitere Geschehen beobachtet wird. Wenn wir kommunizieren, wirkt sich dies nicht nur in eine Richtung aus, sondern lässt stets Rückwirkungen auf den zu, der die Kommunikation initiiert hat. Während die Signal- und Informationstheorie das kommunikative Geschehen von der Übertragungsproblematik her zu verstehen versucht und die Eigenschaften eines Signals erforscht, um die Sicherheit im Umgang mit demselben zu gewährleisten, abstrahiert die Palo-Alto-Schule davon. Sie rückt das Interaktionsverhalten von Individuen in den Vordergrund und beobachtet, was im Umgang der Individuen untereinander geschieht, wenn sie Informationen austauschen. Mit den Axiomen wurden dabei fundamentale Erkenntnisse darüber formuliert, wie Personen agieren, wenn sie kooperieren wollen bzw. müssen. Der Gedanke, dass ein Einzelner nicht ohne den Anderen kommunizieren kann, steht im Fokus. Das Scheitern des Einzelnen beim Versuch der Kommunikation lässt sich nicht nur auf eine Übertragungsstörung zurückführen, denn stets ist auch der Andere mit im Blick zu behalten. Deutlich wird bei dem Vergleich, dass es keine abgeschlossene Theorie über Kommunikation gibt und geben wird, sondern nur Theorien zu Phänomenen der Kommunikation. Zusammenfassung Literatur Austin, John L. (1962): How to do things with words. Hg. v. James O. Urmson. Oxford: Claredon Press (The William James lectures, 1955). Bateson, Gregory (1982): Geist und Natur eine notwendige Einheit. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Baumgärtner, Klaus (Hg.) (1973): Funk-Kolleg Sprache. Eine Einführung in die moderne Linguistik. Orig.-Ausg. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl.. Beck, Klaus (2017): Kommunikationswissenschaft. 5. überarbeitete Auflage. Konstanz, München, Konstanz, München: UVK Verlagsgesellschaft GmbH; mit UVK / Lucius ( UTB Basics, 2964). Bernstein, Basil (1975): Class, codes and control. 1. publ. London [u. a.]: Routledge & Kegan Paul. Bertalanffy, Ludwig von (1977): Allgemeine Systemtheorie. In: Entscheidungstheorie: Texte und Analysen. Wiesbaden: Gabler, S. 235-273. Chomsky, Noam (1965): Aspects of the theory of syntax. Cambridge: M. I. T. Press (Massachusetts Institute of Technology. Research Laboratory of Electronics. Special technical report, no. 11). 7.5 146 m odellBIldung : t heorIen der z eIchenüBertragung und z eIchenVerarBeItung Ellgring, Heiner (1994): Stichwort Kommunikation. In: Dieter Frey (Hg.): Sozialpsychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen. 3. Aufl. Weinheim: Beltz PVU . Grice, H. Paul (1975): Meaning. In: Philosophical Review 67. Krallmann, Dieter; Ziemann, Andreas (2006): Grundkurs Kommunikationswissenschaft. 1. Aufl. Stuttgart: UTB GmbH ( UTB für Wissenschaft Uni-Taschenbücher Kommunikationswissenschaft, 2249). Krippendorf, Klaus (1986): Information Theory. Structural models for qualitative data. 2. print. Newbury Park u. a.: SAGE (Sage University papers: Quantitative applications in the social sciences, 62). Meyer-Eppler, Werner; Heike, Georg; Löhn, Klaus (1969): Grundlagen und Anwendungen der Informationstheorie. 2. 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Besonders wichtig ist die Umwandlung des zu versendenden Codes, der vom Hörer wieder in das transformiert werden soll, was der Sender dem Code anvertraut hat. Wie geht die Informationstheorie mit dem Problem um? Warum hält die heutige Kommunikationswissenschaft diese Perspektive für nicht ausreichend? (Vgl. 7.1) 2. Das Transfermodell beherrscht noch immer die Vorstellung von Kommunikation. Worin liegt die Attraktivität des Modells? Warum war und ist es für die Bildung so interessant? Warum bestimmte es die Kommunikation in Institutionen bis heute noch? (Vgl. 7.2) 3. Um sich Kommunikation oder die Wirkung des Kommunizierens besser erklären zu können, werden zahlreiche Bilder benutzt. Dabei kommt es zu Verkürzungen oder Verzerrungen von Perspektiven auf die Kommunikation. Welches Bild bzw. welche Metapher ist besoders wirkmächtig? Welche Konsequenzen hat sie für die Alltagskommunikation? Vgl. 7.3) 4. Kommunikation ist kein Ereignis, das von einem Einzelnen allein abhängt. Welche Komponenten beeinflussen nach dem Kommunikationsverständnis der Palo Alto Schule dieses Ereignis? Welche Rolle spielt die „Äquifinalität“ in einem solchen Kontext und was bedeutet der Begriff? (Vgl. 7.4) 5. Wann und warum können Metaphern, die Kommunikation durchschaubarer machen sollen, das Verständnis für Kommunikation behindern? 7.6 Theorien über die Konstruktion des Zusammenwirkens - der Andere und das Ich Inhalt 8.1 Symbol und Bedeutung 150 8.2 Der Andere und das Ich 153 8.3 Die Dynamik der Wechselseitigkeit 155 8.4 Interpretation und Kommunikation 160 8.5 Literatur 165 8.6 Problemstellung und Fragen 166 In der Psychologie und Philosophie wird Kommunikation weniger aus der Transferperspektive betrachtet, sondern der Aspekt des Austauschs und der Mitteilung dominiert die Diskussion. Die wesentliche Frage lautet: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, wenn die Interaktion kommunikativ gelingen soll? Eine wird in der Fähigkeit zum Umgang mit Symbolen gesehen: Was daran funktioniert und wie funktionieren sie in den alltäglichen Interaktionen? Antworten werden in der Sozialisation des Einzelnen gesucht und seiner Auseinandersetzung zwischen seinem Ich und den Anderen. Der Blick gilt aber auch dem Gegenüber als Mit- und Gegenspieler und der Frage: Wie kommt es zum Bild des Gegenübers? Was bedingt seine Rolle? Die Vorgänge sind hochgradig dynamisch, sodass zu klären ist, wie solche Prozesse überhaupt kontrollierbar sind. Es wird nach Strukturen oder Prinzipien gesucht, die Anhaltspunkte für die Orientierung in solchen Prozessen bieten. Überblick 149 P roBlemstellung und f ragen Einheit 8 Theorien über die Konstruktion des Zusammenwirkens - der Andere und das Ich Inhalt 8.1 Symbol und Bedeutung 150 8.2 Der Andere und das Ich 153 8.3 Die Dynamik der Wechselseitigkeit 155 8.4 Interpretation und Kommunikation 160 8.5 Literatur 165 8.6 Problemstellung und Fragen 166 In der Psychologie und Philosophie wird Kommunikation weniger aus der Transferperspektive betrachtet, sondern der Aspekt des Austauschs und der Mitteilung dominiert die Diskussion. Die wesentliche Frage lautet: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, wenn die Interaktion kommunikativ gelingen soll? Eine wird in der Fähigkeit zum Umgang mit Symbolen gesehen: Was daran funktioniert und wie funktionieren sie in den alltäglichen Interaktionen? Antworten werden in der Sozialisation des Einzelnen gesucht und seiner Auseinandersetzung zwischen seinem Ich und den Anderen. Der Blick gilt aber auch dem Gegenüber als Mit- und Gegenspieler und der Frage: Wie kommt es zum Bild des Gegenübers? Was bedingt seine Rolle? Die Vorgänge sind hochgradig dynamisch, sodass zu klären ist, wie solche Prozesse überhaupt kontrollierbar sind. Es wird nach Strukturen oder Prinzipien gesucht, die Anhaltspunkte für die Orientierung in solchen Prozessen bieten. Überblick 150 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch Symbol und Bedeutung Die Modellierung von Kommunikation im Rahmen der psychotherapeutischen Arbeit führte zwar zu keiner Theorie im mathematisch-naturwissenschaftlichen Sinne, wie dies in der Signal- und Informationswissenschaft möglich war, sie arbeitete aber grundlegende Prinzipien heraus, die im Prozess der Kommunikation auftreten können. Die Signaltheorie formulierte die Datenverarbeitung im Rahmen physikalischer Bedingungen. Als Zeichen wurden dabei Daten angesehen, denen nach ihrer Übertragung Bedeutung zugeschrieben wird. Die theoretische Ausarbeitung dieses Vorgangs, Bedeutung zuzuschreiben, ist ein Gegenstandsbereich der Linguistik: Mithilfe des Sprachsystems werden die sprachlichen Daten morpho-syntaktisch und lexikalisch vom Nutzer ver- und bearbeitet. Die Soziologie hat früh das Thema Bedeutungszuschreibung erkannt und ein eigenes Konzept entwickelt, Kommunikation auf der Basis von Bedeutungsarbeit zu erklären. Kommunikation nicht als Datentransfer, sondern als Austausch von Symbolhandlungen zwischen Individuen zu thematisieren, das versuchte Cooley (1909) . Er setzte bei der Art des Zusammenwirkens der Menschen an; sein Konzept geht von einem vertraglich regulierten Wettbewerbshandeln der Mitglieder einer Gesellschaft aus, wie es die Theorie des Utilitarismus nahelegt. Dieser fragt nicht, woher die Einzelinteressen stammen, die dem Wettbewerbshandeln zugrunde liegen. Sie werden als gegeben vorausgesetzt. Nach Cooley entwickeln sich die Einzelinteressen, weil Menschen miteinander kommunizieren. Der Utilitarismus als ökonomische Theorie ist also erst erfolgreich, so Cooley, wenn ihm eine Kommunikationstheorie als Fundament zur Verfügung steht. Cooley kritisiert Theorien, welche die Vergesellschaftung als biologisch motivierten Prozess beschreiben oder auf Imitationsmechanismen zurückführen. Kommunikation sei die Voraussetzung für das Entstehen einer Gesellschaft und dabei, so hebt er hervor, eröffne der Prozess des Kommunizierens dem einzelnen Menschen erst die Ausbildung von Identität: „Without communication the mind does not develop a true human nature, but remains in an abnormal and nondescript state neither human nor properly brutal.“ (Cooley 1909, 62) Kommunikation stützt sich auf eine bedeutungsgleiche Verwendung von Symbolen, welche die Austauschbeziehung erst möglich macht. Diese Symbole sind nicht nur auf die Sprache beschränkt, sondern finden sich auch in 8.1 Symbolaustausch Charles Horton Cooley (1864-1929) Abb. 8.1 Amerikanischer Soziologe an der University of Michigan 151 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch s ymBol und B edeutung Einheit 8 Gebärden, Gesten, Gesichtsausdruck und in der Tonlage der Stimme. Unterstützt werden solche Vorgänge durch die Möglichkeiten der Technik, wie das beispielsweise durch die Entwicklung des Telefons geschehen ist. Cooley bezeichnet den situativen Gebrauch der Symbole als Assembler durch den aus verschiedenen Komponenten der Situation heraus Verständigung organisiert und unterstützt wird. Zugleich bietet Sprache Formen an, die von der Situationsverflechtung abstrahieren und so ein Verallgemeinern des jeweils situativ Angesprochenen erlauben. Nur aufgrund dieses Umstandes wird Lernen von Anderen möglich. Kommunikation ist möglich, weil Symbole von verschiedenen Personen in gleichen Kontexten benutzt werden. So kann ein Sprecher gedanklich das Verhalten des angesprochenen Gegenübers vorwegnehmen und zugleich eine Vorstellung über diesen Anderen entwickeln, die bedingt ist von der eigenen Selbstwahrnehmung. Eine Voraussetzung dafür ist allerdings, dass eine Gesellschaft einen zuverlässigen Symbolhintergrund entwickelt hat und ihn nutzt. Den Anderen zu verstehen setzt immer Hintergrundwissen voraus, Cooley spricht von der Sympathetic Introspection. Sie schaffe die Chance, sich eine Vorstellung darüber bilden zu können, was der Andere denkt und tun könnte. Dabei werden die eigenen Erfahrungen und der mit ihnen verbundene Wissenshintergrund im Hinblick auf den des Anderen abgeschätzt. Kommunikation entwickelt sich laut Cooley stets weiter, weil bei solchen Vorgängen immer Disparatheit im Spiel bleibt, welche zum Angleichen oder Ausdifferenzieren des Bestehenden zwingt. Die Rolle von Kommunikation wird auf diese Weise verbunden mit bedeutungshaltigem Handeln und erhält die Funktion einer Sinnstiftung. Die Interessen des Individuums können mithilfe von Zeichen und aufgrund der Stabilität der Bedeutungszuschreibung durch gemeinsame Hintergrundannahmen mitgeteilt werden. Sie erzeugen in einem solchen Kontext gesellschaftliche Kohärenz und bestätigen, was Gültigkeit hat. Das wiederum bewirkt eine Stabilisierung für den Einzelnen und sein Denken. Sein interaktives Handeln trägt damit zur Wahrnehmung der eigenen Identität bei. Mead und Morris (1934) gingen von einer Entwicklung aus, die von der unbewussten, gebärdenvermittelten hin zu einer bewussten, intentionalen, Charles William Morris (1901-1979): Amerikanischer Semiotiker und Philosoph an der University of Chicago / University (1931-1958) und anschließend an der University of Florida, Schwerpunkte: Semiotik und Pragmatik Die vokale Geste George Herbert Mead (1863-1931) Abb. 8.2 Amerikanischer Philosoph, Soziologe und Psychologe an der University of Chicago, Schwerpunkte: Pragmatismus und Begründer der Sozialpsychologie 152 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch selbstkontrollierbaren Kommunikation erfolgt ist. Letztere beruht auf der Grundlage signifikanter Symbole wie sie die Sprache bietet. Fundamental in der menschlichen Gesellschaft ist die vokale Geste. Sie wird zur Koordinierung und zur Kooperation der Menschen untereinander genutzt. Ihre Bedeutung erhält sie aufgrund einer dreistelligen Relation zwischen der Geste, der Reaktion auf dieselbe und dem Anschlussverhalten. Anders als im Tierreich, wo Gesten nach Mead eine Signalfunktion besitzen, verbindet der Mensch ein subjektives Bewusstsein mit einer Geste: Für die Kommunizierenden hat eine bestimmte Geste eine gemeinsame, identische Bedeutung, so dass sie zur signifikanten Geste und zum Symbol wird. Bedeutung basiert auf identischen Erfahrungen unter den Beteiligten. Wer spricht, äußert sich und zugleich hört er seine Äußerung selbst. Daraus leiten Mead und Morris ab, dass die Selbstaffektion (Einwirkung auf das eigene Empfinden) aus der Reaktion des Alter, also eines Gegenübers, auf das Ego, das eigene Selbst, erfolgt. So kann das Ego in sich selbst die gleiche Reaktion auf das von ihm Gesagte auslösen. Aus den Erfahrungen mit dem Anderen lassen sich Vorstellungen darüber entwickeln, wie sich ein Anderer in Zukunft, abhängig von den eigenen Absichten, verhalten wird. Ego lernt die Einstellung von Alter einzunehmen, es kann förmlich in dessen Rolle schlüpfen und baut auf diese Weise ein reflexives Verhältnis zu sich selbst auf. Der Weg von der gestischen zur symbolischen Kommunikation kann als ein Aneignungsvorgang beschrieben werden, bei dem Bedeutungszuschreibungen, die im interaktiven Handeln als sicher erfahrbar sind, erweitert werden, d. h. es kommt zu einer Internalisierung von objektiver Bedeutungsstruktur. Sie ist auf diese Weise subjektiv verfügbar und gewinnt zugleich ihre symbolische Bedeutung. Eine Geste wird also dann zum signifikanten Symbol, wenn ihr alle an der Kommunikation Beteiligten dieselbe Bedeutung zuschreiben. Erst diese Voraussetzung erlaubt eine Antizipation der Reaktion des Anderen. Verhalten gewinnt für Individuen nur dann Symbolrelevanz, wenn sie sich wechselseitig erwartbares Verhalten unterstellen können. Diese Wechselseitigkeit kann nur funktionieren, wenn die Identität der Bedeutungen gesichert ist. Innerhalb des Wechselverhältnisses kommt es einerseits zu Einstellungsübernahmen, die den Nachvollzug von Gesten des anderen Kommunikationspartners ermöglichen, andererseits setzt diese Unterstellung der Einstellungsübernahme (=-taking the attitude of the other) das Symbol überhaupt erst signifikant. Entscheidend ist somit, dass Bedeutungen weder auf Vorstellungen eines Bewusstseins noch auf Merkmalen eines natürlichen oder sozialen Objekts basieren, sondern aufgrund der erwartbaren Reaktionen der Anderen entstehen. Alter-Ego 153 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch d er a ndere und das I ch Einheit 8 Der Andere und das Ich Sprache kommt nach Mead, wenn über Kommunikation gesprochen wird, eine besondere Bedeutung zu. Während Gesten ganz allgemein bestimmte Handlungen oder Reaktionen auslösen, bedingt die sprachliche Geste im Sender die gleiche Reaktion wie im Empfänger. Sprachliche Gesten synchronisieren in diesem Sinne die Kommunikationsteilnehmer, weil sie bei ihnen die gleichen Vorstellungen auslösen. Sprache erzeugt in der Kommunikation laut Mead und Morris (1934, S. 54) identischen Sinn bei den Beteiligten. Wenn Ego und Alter die gleichen Symbole verwenden, sind die Reaktionen gegenseitig erwartbar und jeder kann sich in die Rolle des Anderen versetzen. Mead nennt diesen Vorgang die Rollenübernahme (=- taking the role of the other). Schon Weber (1922) hatte die Annahme der Wechselseitigkeit für Fälle formuliert, in denen gemeinsamer Sinn nachvollzogen werden sollte. Cooley glaubte, dass der Andere zum Bewusstwerden des Selbst beiträgt: Wir beobachten, wie andere uns wahrnehmen und bilden aufgrund dieser Fremdwahrnehmung unsere Selbstwahrnehmung aus. Er nennt dies den „looking glass effect“. Mead und Morris gehen von einer Übernahme der Einstellung anderer aus und Habermas erklärt unter Verweis auf Mead, wie diese in Stufen vollzogen wird. Zunächst verinnerlichen die Partner die (sprachliche) Geste und reagieren darauf. Sie ziehen daraus den Schluss, gemeinsam dasselbe zu tun und lernen-- dies ist die nächste Stufe im Prozess der Einstellungsübernahme--, reziproke Beziehungen zu unterstellen. Dabei nehmen sie sich selbst zugleich als Sender und Empfänger wahr. In der dritten Stufe glauben sie, dass der Geste eine identische Bedeutung zugeschrieben wird. Das berechtigt sie zu der Annahme zu wissen, wie der Andere reagieren muss. Ein Lehrer kommentiert den Beitrag eines Schülers mit dem Wort „schön“ und der Schüler beobachtet, dass das auch bei anderen und regelmäßig geschieht. Alternativ wird ein leicht fragendes „hmm? “ verwendet, worauf der Schüler meist mit einer Erweiterung der Äußerung reagiert. Wenn nun das Wort „schön“ am Ende eines Redebeitrags auftaucht, wird darin ein Akzeptieren des Geäußerten gesehen, das „hmm? “ hingegen nimmt die Bedeutung an, hier stimmt etwas noch nicht. Schüler und Lehrer können sich nun unterstellen, wie mit einem „schön“ oder einem „hmm? “ umzugehen ist. Beispiel Das Prinzip, nach dem die Rollenübernahme funktioniert, sieht Mead in der Person selbst angelegt, denn wenn sie etwas sagt, tut sie das ja mit der Erfahrung des Zu-sich-Sprechens. Dabei wird Denken als eine Art Selbstgespräch erfahrbar: Der Einzelne formuliert etwas sprachlich für sich, wie er 8.2 Die Sonderrolle der Sprache Das impulsive und das reflektierte Ich 154 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch es ansonsten gegenüber Anderen äußern würde. Das Wesen des Denkens ist durch die Gesten-Übermittlung geprägt, wie sie im Umgang mit den Anderen erlebt wird. Denken ist damit ein Vorgang, der nicht nur auf Verständigung abzielt, sondern er ist auch ein Prozess der Selbstfindung. Und daraus entwickelt sich Selbstbewusstsein. Das Ich (I) und das Mich (me) entsprechen zwei Phasen im Handlungsprozess. Mead unterscheidet zwischen dem „impulsiven Ich (I) “ und dem „reflektierten Ich (me)“. Erstere ist die vorsoziale und subjektive Instanz, letzteres ist das Resultat der Auseinandersetzung mit den Anderen und ihren Erwartungen an das Ich. Das reflektierte Ich bildet sich durch die Aneignung sozialer Regeln heraus und fordert das impulsive Ich zu ständiger Anpassung heraus. Aus diesem Zusammenspiel bilden sich Instanzen heraus und erzeugen das, was als Identität bezeichnet wird. Wer Fußball spielen will, muss gelernt haben, was die Mitspieler tun werden. Das reflektierte Ich verfügt über entsprechende Erfahrungen. Das impulsive Ich nutzt sie und reagiert. Das Mich ist in sich nicht homogen und kann innerpersonelle Konflikte und Widersprüchlichkeiten auslösen, die den Gegenstand psychoanalytischer Betrachtung bilden könnten. Diese Widersprüchlichkeiten liegen darin begründet, dass das Individuum auf verschiedene, z. T. auch konträre soziale Vorgaben reagieren muss. Die Rollenübernahme wird schrittweise erlernt. Bereits im Spiel der Kinder werden Personen in ihren Rollen nachempfunden. Dadurch wird das Erwartungsverhalten, das mit den Rollen verbunden ist, fassbar: Ich bin Polizist, Arzt oder die Mutter. So entsteht durch das Nachempfinden der Rollen anderer eine Identität, quasi als Spiegelung. Das Kind übernimmt nicht nur die Rollen einzelner Personen: Ein anderes Gegenüber ist für das spielende Kind ganz allgemein die Gesellschaft, also die Gruppe, zu der ein Individuum gehört. Die subjektive Aneignung der Identität und die der sozialen Welt sind auf diese Weise zwei verschiedene Aspekte ein und desselben Internalisierungsvorgangs, der durch den Anderen initiiert wird. Daraus wird dann in einer zweiten Phase der Aneignung die organisierte Rolle. Die Orientierung erfolgt nicht an einer einzigen, sondern an einer Reihe von Rollen, die dann zu koordinieren sind. Um das Fußballspiel noch einmal zu zitieren: Um ein Tor zu erzielen, muss unter den Beteiligten Wissen und Erfahrung darüber bestehen, wie das Spiel mit den Anderen zum Torerfolg führt bzw. was diesen verhindert. Dabei wird den Spielern bewusst, dass es eine Abhängigkeit von den Anderen gibt. Die eigene Handlung muss im Verbund mit anderen Handlungen verstanden werden. Das ist möglich, wenn das eigene Handeln in der Gesamtheit aller möglichen Handlungen gesehen wird. Mead spricht in diesem Kontext vom generalisierten Anderen. Die das Ganze ordnende Kraft nennt Mead (1968) Geist. Er meint damit die Rollen 155 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch d Ie d ynamIK der w echselseItIgKeIt Einheit 8 Fähigkeit, Situationen in ihren ideellen Rahmen bringen zu können. Ihnen Sinn zuzuschreiben. Geist ist die Fähigkeit, sich selbst die Reaktion (und die betroffenen Objekte) bewusst zu machen, was die eigene Geste für Andere bedeutet, und die Reaktion selbst in einem solchen Rahmen zu kontrollieren. Die Dynamik der Wechselseitigkeit Mit der Unterstellung, die Erwartung des Anderen vorauszusehen, eröffnet sich zugleich die Möglichkeit, diese Erwartung unterlaufen zu können. Bekannt ist das Problem eines Elfmeter-Schützen, der sich vorstellt, dass der Torwart in eine Ecke springen wird, und der deshalb die andere auswählt, zugleich aber unterstellt, dass der Tormann dasselbe denken und sich deshalb auf die andere Ecke konzentrieren wird. Für Mead stand dieses Problem nicht im Vordergrund. Ihm ging es vorrangig um den Nachweis einer interaktiven Verflochtenheit der handelnden Partner. Damit setzte er sich von der Vorstellung des Behaviorismus ab, der ein Reiz-Reaktions-Modell als Basis benutzte. In einem solchen wird durch ein bestimmtes Verhalten eine spezielle Reaktion ausgelöst. Im Konzept von Mead und Petras (1968) ist die Idee der Rollenübernahme zwischengeschaltet: Es muss zwischen den Interagierenden eine Verständigung über Perspektive und Rolle geben, die dann eine erwartbare Reaktion ermöglicht. Die Wirksamkeit gegenseitiger Verständigungen wird in der Kooperation bei Hilfs- und Tauschhandlungen sichtbar. Hilfe ist an Interessen des Anderen, Tausch an den eigenen Interessen ausgerichtet. Kommunikation im Rahmen solcher Handlungen gestaltet sich allerdings schwierig, weil die Perspektivenübernahme sehr gut ausgebildet sein muss und in sehr unterschiedlicher Gestalt erforderlich werden kann. Rollen können nämlich nicht durch bloße Imitation erworben werden, sondern sie basieren auf einer aktiven Auseinandersetzung mit dem generalisierten Anderen und unterliegen damit auch ständigen Wandlungsprozessen. Erklärung Die Leistung von Mead liegt nach Einschätzung von Abels (2010) in der Einsicht, dass nur das tätige Subjekt und dieses nur mithilfe von Kommunikation mit dem Anderen einen Zugang zur Welt erreicht. Im Konzept von Mead macht das Individuum in Auseinandersetzung mit der Gesellschaft die Erfahrung einer Differenz; diese sowie die Wahrnehmung von Veränderungen in der Gesellschaft setzen Bedeutungsstabilität der Symbole voraus. Denn erst sie ermöglicht die Bildung von Rollen und damit verbunden den Aufbau stabiler Erwartungen. Die Rollenübernahme erzeugt für das Individuum einen Selbstbezug, indem sie zur wechselseitigen Perspektivverschrän- 8.3 156 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch kung- - also zum Hineinversetzen in die Sichtweise des Anderen- - zwingt; dadurch bedingt sie die Bildung eigener Identität. Diese wiederum verstärkt die Fähigkeit zur Kommunikation, denn nur sie macht auch den Anderen sicher erkennbar. Blumer (1969, S. 144) hat den Begriff Symbolischer Interaktionismus zur Kennzeichnung der Position von Mead angeregt. Für ihn ist der Akt der Bedeutungssetzung eine zentrale Funktion von Kommunikation. Dinge, Sachverhalte sowie Ereignisse sind in ihrer situativen Umwelt, in ihrer Körperlichkeit und Emotion stets als bedeutungsvoll relevant anzusehen. Bedeutung ist nie etwas Privates, sondern wird immer durch die Interaktion mit Anderen erworben. Dadurch entsteht ein permanenter interpretativer Auseinandersetzungsprozess der Individuen mit ihrer Umwelt. Anders als bei Mead wird aber von Blumer betont, dass die symbolische Welt ständigen Veränderungen unterliegt. Das gilt in erster Linie für die wechselseitigen Zuschreibungen von Bedeutungen. Dieser Prozess begleitet die Interaktanten kontinuierlich, d. h. das Individuum selbst ist stets von diesem Vorgang der Bedeutungszuschreibung und der sie begleitenden Dynamik betroffen. Daher verwundert es nicht, wenn über Konzepte nachgedacht und in den Fachdisziplinen wie Psychologie oder Philosophie darüber diskutiert wurde, wie das Mit- und Gegeneinander der Akteure beschrieben werden kann. Goffman (1969) geht daher dem Gedanken der Rollenbildung nach und versucht ihn mit der Idee vom Selbst zu verknüpfen, ohne sich dabei direkt auf das Thema Selbst und seiner Entstehung einzulassen. Die Diskussion orientiert sich an der Metapher des Theaters und der Bühne. Die Rolle wird als die Summe der Verhaltenserwartungen definiert, denn es gibt Verhaltenserwartungen, die einem Individuum von anderen entgegengebracht werden und solche, die das Individuum selbst hegt. Daraus ergeben sich Konsequenzen für das Verständnis von Kommunikation. Denn Rollen setzen Bedingungen für die Interaktion. Für Goffman erfüllt die Theater-Metapher daher eine Schlüsselfunktion zum Verständnis von Gesellschaft und Kommunikation. Während der generalisierte Andere im Ansatz von Mead dem Individuum das Potential für die Antizipation von Situationen mit dem Anderen bot, ist das Publikum im Theatermodell von Goffman eine dyna- Herbert Blumer (1900-1987): Amerikanischer American-Football-Spieler und Soziologe an der University of Chicago und University of California Berkeley, Begründer der Zweiten Chicagoer Schule, Schwerpunkt: Soziologie Ständiger Wandel der Symbolbedeutungen Theater-Metapher Theater Erving Goffman (1922-1982) Abb. 8.5 Soziologe, Professor für Anthropologie und Soziologie an der University of Pennsylvania und University of California Berkeley, Schwerpunkte: Sozial abweichendes Verhalten, Interaktionsrituale 157 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch d Ie d ynamIK der w echselseItIgKeIt Einheit 8 mische Größe. Dieses kann auf das Tun des Schauspielers mit einer ganzen Palette von Reaktionen antworten und kontrolliert und motiviert ihn zu neuem Tun. Er wird auf diese Weise zur Distanz gegenüber seiner Rolle angeregt. Er fragt nach dem Verhältnis von Spiel und Wirklichkeit. Es besteht die Möglichkeit das Spiel zu betonen und sich durch eine Fassade, die den Raum gestaltet, in dem der Einzelne wahrgenommen werden möchte, zu inszenieren. Für das reibungslose Funktionieren muss eine Dramaturgie unterstellt werden. Goffman glaubte, dass sich die Dramaturgie aus der Notwendigkeit herleite, von den Anderen auch wirklich gesehen werden zu können und diese dazu zu motivieren, sich entsprechend zu verhalten. Die Dramaturgie kann das Individuum als Mitglied eines Ensembles oder gegenüber dem Zuschauer verpflichten. Unterschieden wird die Wirkung des Ensembles nach außen von der des Einzelnen innerhalb des Ensembles. Kommunikation erfolgt gebunden an solche Szenarien. Das Selbst ist hier kein Thema, da die Rolle durch das Ensemble und das Stück sowie den Dramaturgen beeinflusst und festgelegt ist; sogar das Publikum nimmt mit seinen Reaktionen Einfluss. Auf diese Weise sensibilisiert die Theater-Metapher dafür, was Rollen und Inszenierungen für die Steuerung von Erwartungen bedeuten können. Wodak (2016) weitet den Gedanken der Theater-Metapher aus, indem sie darauf hinweist, dass es ein vor, auf und ein hinter der Bühne gibt. Um verstehen zu lernen, was eine Aktion auf der Bühne bedeuten, sind diese Zusammenhänge aufzudecken und mitzubedenken. Diese Gedanken wurden im sog. pragmatischen Interaktionismus von Blumer (1969) (1996) und Strauss (1968) vorangetrieben. Die Vorstellung von Bedeutungssicherheit und Erwartungsstabilität wurde den realistischen Bedingungen in der Kommunikation angepasst und danach gefragt, was tatsächlich beobachtet werden kann. Strauss (1991) entwickelte Konzepte, die er unter den Begriffen Trajectory, Social World und Arena diskutierte. Diese Konzepte sollen helfen, soziale Ereignisse und ihre kommunikative Relevanz besser beschreibbar zu machen. Bedeutungszuschreibungen unterliegen situativen Rahmenbedingungen, die von der Zeitlichkeit, dem Personenkreis und dem umfassenderen Handlungskontext bestimmt werden können. So ist die Zeitlichkeit der Interaktion mithilfe des Konzeptes Trajectory zu beobachten, welches Phasen von Verläufen näher bestimmt. Jemand erkrankt chronisch. Woran er erkrankt ist, wird normalerweise medizinisch erklärt und die medizinische Diagnose legt nahe, wie Symptome und Verhalten des Betroffe- Anselm Leonard Strauss (1916-1996): Amerikanischer Soziologe an der University of California San Francisco, Schwerpunkte: Mitbegründer der Grounded Theory Das Konzept Trajectory 158 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch nen zu deuten sind und welchen Themen die Kommunikation darüber folgt. Festzustellen ist nun, dass sich der Verlauf, den eine solche Krankheit nimmt, nicht allein aus den Regelhaftigkeiten des medizinischen Krankheitsbildes erklärt, sondern durch den sozialen Kontakt zu anderen und deren Umgang mit der Erkrankung mitbestimmt wird. Mit dem Konzept Trajectoy wird das Phänomen beschrieben, dass in Abhängigkeit zu zeitlich versetzten Phasen Verhaltenszustände beim Einzelnen unterschiedlich gedeutet werden. Das führt zu Unterschieden im Reden darüber. Kopfschmerzen beispielsweise sind eine Krankheit, der häufig die Bedeutung einer Migräne zugeschrieben wird. Infolgedessen kommt es zu besonderen Rücksichtsnahmen im sozialen Umfeld des Betroffenen. Das würde sich ändern, wenn im Umkreis des Erkrankten die Meinung entsteht, diese Kopfschmerzen seien ein Symptom für eine Überforderung mit dem Job. Wie über Schmerz geredet wird, hängt also davon ab, welche Bedeutung sich im Umgang mit der Krankheit etabliert hat. Der Betroffene würde mit einem Mal zum Überdenken seiner Arbeit und eines möglichen Arbeitsplatzwechsels angeregt, und er würde nicht mehr in Ruhe gelassen. Was es mit einer Krankheit auf sich hat, folgt einer Logik, die sich aus dem sozialen Setting herleitet. Strauss nennt das die Social World. Sie stellt eine Gemeinschaft dar, die durch wechselseitige Kommunikation entsteht und dabei eigene symbolische Welten erzeugt. Sie sind nicht nur auf Face-to-face-Interaktion beschränkt, sondern finden sich auch in der Telefon- oder Computerkommunikation oder in den Massenmedien wieder. Sie organisieren sich über mehr oder weniger feste Mitgliedschaften, bilden organisatorische Strukturen heraus und finden zu gemeinsamen Interessen. Dabei kommt es zu einer Segmentierung in Subwelten, die nicht selten aufeinanderprallen und sich zu gegenseitiger Legitimation zwingen. Legitimation ist verbunden mit dem Nachweis der Authentizität gegenüber dem Anderen und der Frage, wie diese Authentizität sichergestellt werden kann. Der Einzelne hat die Möglichkeit, die jeweils gewählte soziale Welt zu verlassen oder er kann innerhalb einer solchen durch Kommunikation seine Schwierigkeiten lösen. Dabei entscheidet sich, welche Trajectory Konzepte dann die soziale Welt bedingen. Ein Bandscheibenvorfall am Arbeitsplatz lässt erwarten, dass in Abhängigkeit zu den einzelnen Gruppen damit sehr unterschiedlich umgegangen wird. Erklärung Für Strauss (1970) steht dahinter ein umfassendes System aus Handlungs- und Entscheidungsempfehlungen sowie -praktiken. Er führt dafür den Begriff Arena ein. Die Arena ist mit der verbalen Kommunikation verbunden, wobei dabei die Sprache als zentral für das interaktive Handeln gese- 159 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch d Ie d ynamIK der w echselseItIgKeIt Einheit 8 hen wird. Sie bedingt die Perspektiven, aus denen heraus über etwas geredet wird. Der Wortschatz und die enge Zugehörigkeit zu Gruppen, die sich aufgrund desselben definieren, sind die Voraussetzungen für interaktiv erfolgreiches Handeln. Anders positioniert sich die Ethnomethodologie, wenn sie sich mit der Frage der Dynamik von Kommunikation auseinandersetzen muss. Ethnomethodologie interessiert sich nicht für die Konstitution von Bedeutungen und mögliche Mechanismen ihres Wandels, sondern sie beobachtet Kommunikation als ein interaktiv motiviertes Handeln. Ihre Aufmerksamkeit gilt der Frage, wodurch diese Interaktion überhaupt ermöglicht wird und was den Prozess des Kommunizierens aufrechterhält. Der Fokus liegt auf dem gegenseitigen Beobachten des Verhaltens des Anderen. Ferner wird der Frage nachgegangen, wie die Akteure aus ihren Beobachtungen handlungsrelevante Schlüsse ziehen. Es werden Erklärungen dafür gefordert, inwiefern das interaktive Verhalten generell als Kommunikation zu verstehen und zu beschreiben ist. Garfinkel (1986) erwartete von solchen Analysen, dass die Beobachtung von Handlungssequenzen nicht durch Theorievorgaben eingeengt wird oder aus der Sicht vorgefertigter Konzepte erfolgt. Vielmehr sind solche Konzepte und Theorien in den Praktiken des Alltags selbst, welche die soziale Wirklichkeit erst erzeugen, zu suchen, beziehungsweise aus diesen herauszuarbeiten. Es wird ganz bewusst nicht nach dem Was gefragt, also danach um welches Thema es sich handelt. Wenn die Ethnomethodologie das Wie und das Warum aufzuklären versucht, werden formale Eigenschaften herausgestellt, an denen sich die Praktiken der Interaktanten orientieren. Hierin liegt ein deutlicher Unterschied zu vorher beschriebenen Ansätzen. Die Methodik von Sacks et al. (1995) , konzentriert sich beispielsweise konsequent auf die Sprecherwechselmechanismen. Sie sollen Hinweise auf die Prinzipien geben, die für Interaktionspaare gültig sind bzw. auf mögliche Strategien der Verständigung aufmerksam machen. Mithilfe von ausdifferenzierten Transkriptionstechniken werden formale Struktureigenschaften aufgedeckt. Ziel ist es, besser nachvollziehen zu können, Alltagspraktiken Harvey Sacks (1935-1975): Amerikanischer Soziologe an der University of California, Los Angeles und Irvine (1964-1975), Schwerpunkt: Entwicklung der Konversationsanalyse und Ethnomethodologie Gail Jefferson (1938-2008): Amerikanische Linguistin an der University of California. Schwerpunkte: Konversationsanalyse und Transkriptionssysteme Harold Garfinkel (1917-2011) Abb. 8.4 Amerikanischer Soziologe an der University of California in Los Angeles, Schwerpunkte: Begründer der Ethnomethodologie 160 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch wie die Interaktionspaare sich gegenseitig Orientierung im Umgang mit dem Geäußerten anbieten. Kommunikation wird für jeden im Alltag konkret erfahrbar, wenn er sich interaktiv und verbal in das Handeln anderer einmischen möchte. Dann muss er herausfinden, wann, wo und wie er vom Anderen das Recht zum Reden erhalten kann. Dabei zeigt sich, dass es formelle Verfahren gibt, sich in den laufenden interaktiven Prozess einbringen zu können. Erklärung Interpretation und Kommunikation Skepsis gegenüber Ansätzen, welche Bedeutungszuschreibungen als Konstituenz für die Kommunikation annehmen, ist auch in der Sprachphilosophie festzustellen. Davidson und Harman (1970) schlagen ein Gedankenexperiment vor, um zu klären, ob Bedeutungszuschreibungen wirklich zentraler Bestandteil von Kommunikation sind: Ein Linguist untersucht eine ihm völlig fremde Sprache einer bisher unbekannten Sprach- und Kulturgemeinschaft. Die Frage lautet jetzt: Kann eine solche Person mit den Angehörigen dieser Gemeinschaft kommunizieren? Davidson und Haman beantworten diese Frage mit einem eindeutigen Ja. Die Person wird die Äußerungen interpretieren. Der Linguist könnte herauszufinden versuchen, wo im Geäußerten des Gegenübers so etwas wie ein Satz endet oder er könnte prüfen, ob sich Äußerungssegmente ähnlich sind und deshalb die Funktion eines Wortes besitzen. Damit wird aber nicht geklärt, was diese Phrasen bedeuten. Es fehlt ein Kriterium, das Bedeutungszuschreibungen ermöglicht. Ein solches Kriterium bestünde darin, im Gesichtsfeld der Interakteure zu prüfen, ob mit dem Geäußerten ein Bezug auf etwas hergestellt wird: Ich zeige und tue etwas und versuche zu klären, ob es das ist, was mit der Äußerung gemeint war. Damit würde eine Beziehung zwischen Äußerung und Handlungswirklichkeit hergestellt. Ergründet werden könnte also beispielsweise, ob das Geäußerte eine mögliche Handlung bewirkt. Innerhalb eines so definierten Kommunikationszusammenhanges würde die Interaktion darin bestehen, dass die Partner prü- 8.4 Gilbert Harrman (* 1938): Amerikanischer Philosoph, Moralphilosophie an der Princeton University in Princeton N. J., Schwerpunkte: Antirealismus und ethischer Relativismus Kritik am Postulat der Bedeutungszuschreibung Donald Herbert Davidson (1917-2003) Abb. 8.5 Amerikanischer analytischer Philosoph an der University of California, Schwerpunkte: Semantik, Entscheidungstheorie 161 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch I nterPretatIon und K ommunIKatIon Einheit 8 fen, ob die auf eine Äußerung folgenden Reaktionen zu dem Ziel, das mit der Äußerung verfolgt wird, führen. In der Konversationsforschung gibt es dafür ein Prinzip, es wurde von Wilson (1963) (1959) als Principle of Charity (= Prinzip der wohlwollenden Interpretation) bezeichnet. Mit ihm werden eine Reihe von Erwartungen unterstellt, aufgrund derer die Reaktionen des Partners abschätzbar sind. Die wichtigste Unterstellung hierbei ist, dass die Sprecher rational handeln. Wenn ich mein Gegenüber anspreche, gehe ich davon aus, dass sein reaktives Verhalten nicht willkürlich ist. Ich kann erwarten, dass er sich so verhält, wie es für die Situation vernünftig ist und wie er das in ähnlichen Situationen in der Regel auch praktiziert. Wenn ich jemanden nach dem Weg frage, muss ich nicht befürchten, beschimpft zu werden. Eine weitere Unterstellung gemäß diesem Prinzip ist, stets das Beste für das Gegenüber zu wollen. Wenn ich nach dem Weg gefragt habe, kann ich davon ausgehen, dass mir ein direkter Weg und kein unnötiger Umweg beschrieben wird. Dieser Umstand ist eng verbunden mit der letzten Erwartung: Das Geäußerte basiert auf einer möglichst gesicherten Wahrheit. Wenn mir der Weg beschrieben wird, unterstelle ich, dass der Angesprochene den Weg auch wirklich kennt. Es gibt allerdings Kulturkreise, in denen es die Höflichkeit gebietet, auf eine Frage kooperativ zu antworten, ohne das Prinzip der gesicherten Wahrheit zu berücksichtigen. Ein Urteil darüber, was als „wahr“ gelten kann, lässt sich nach Davidson aufgrund zweier Kriterien fällen: Man glaubt dem Sprecher-- das setzt allerdings voraus, dass man diesen Sprecher kennt und einschätzen kann-- oder der Inhalt des Geäußerten ist so offenkundig, dass die Situation seinen Geltungsanspruch zu klären erlaubt. Wichtig ist in diesem Kontext der Umgang mit dem Irrtum. Zufällig einem interkulturellen Missverständnis aufzusitzen, ändert nichts an der Gültigkeit des beschriebenen Prinzips. Denn die Möglichkeit des Irrtums widerlegt nicht die Annahme, das Gegenüber äußere die Wahrheit. Ein Irrtum ist nie auszuschließen, normalerweise ist er aber kein Dauerzustand. Stellte sich ein solcher ein, wäre von einem pathologischen Zustand auszugehen. Grundsätzlich sind wir immer geneigt, einem Sprecher zuerst einmal zu glauben. Diese von Davidson entwickelte Position, Kommunikation als Interpretationsarbeit zu verstehen, wirkt plausibel: Im Alltag gilt die Erfahrung: Kommunikation gelingt nur dann, wenn die Partner ausreichend Kreativität besitzen, um das Geäußerte immer und immer wieder (neu) (um-)interpretieren zu können. Wir sitzen am Frühstückstisch, der Partner gegenüber äußert sich über seinen Tagesplan, schminkt sich und trinkt noch schnell einen Schluck Kaffee. Was von diesen Aktivitäten für mich relevant ist, muss ich herausfinden, ebenso wie ich am nächsten Morgen sein Verhalten erneut interpretieren muss, wenn er mir nun gegenübersitzt, in der Zeitung blättert und sich Principle of Charity Interpretationsarbeit 162 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch ein Brot schmiert. Dreyfus und Taylor (2016, S. 114) diskutieren die darin enthaltenen Probleme im Kontext der Erkenntnistheorie und ihrem Wirklichkeitsanspruch. Sie verdeutlichen die dem Alltagsverhalten zugrundeliegende „Beherrschung einer imponierenden Menge von Fertigkeiten“. Diese Anforderung tritt in jedem Moment einer Kommunikation auf, weil wir immer aufs Neue mit Äußerungsverhalten konfrontiert werden, das uns nicht bekannt ist und auf das wir nicht mit fertigen Interpretationsroutinen antworten können. Im Fall der alltäglichen Frühstücksbegegnung haben wir bereits gelernt, wie das Verhalten zu bewerten ist. Die Dinge verändern sich, wenn uns beispielsweise eine Person gegenübersitzt, die an Demenz erkrankt ist. Jetzt ist es weit schwieriger herauszufinden, welche ihrer vielen Aktivitäten ein gültiges Verhalten im Sinne der Kriterien des Prinzips der wohlwollenden Interpretation sein können. Denn es ist damit zu rechnen, dass Rationalität im Sinne des nicht Dementen in solchen Situationen nicht mehr möglich ist. Ebenso unmöglich erscheint es, begründet abschätzen zu können, was das Beste für den Betroffenen sein könnte. Dass nach Interpretationsmöglichkeiten für die Kommunikation mit einem an Demenz erkrankten Menschen gezielt geforscht wird, ist ein gutes Indiz für die Relevanz eines solchen Ansatzes. Interpretieren bedeutet nach Davidson nicht, fertige Bedeutungen zu konstruieren bzw. zu rekonstruieren, sondern auf Handlungen eines Anderen Antworten zu finden, die sich im Zusammenspiel mit ihm bewähren müssen. Aus der Vielzahl der Aktivitäten, die uns ein Gegenüber zeigt, suchen wir nach denjenigen, die für unsere Interpretation brauchbar erscheinen und den genannten Prinzipien genügen. Erklärung Wir gehen mit unserem Gegenüber nachsichtig um, weil die genannten Prinzipien immer auch Spielräume zulassen. Unsere Interpretationen tragen dazu bei, dass sich aufgrund der damit verbundenen Unterstellungen und den sich daraus resultierenden Handlungen Strukturen erkennen lassen. Diese prüfen wir auf Kohärenz. Ein Kind erzählt uns aufgeregt, Schlimmes sei vorgefallen. Alles, was erzählt wird, wirkt verwirrend. Der Umstand, dass tatsächlich etwas passiert sein kann, bewegt uns, das Kind gezielt nach Fakten zu befragen. Wir unterstellen, dass in dem Geäußerten Hinweise auf das zu finden sein müssten, was geschehen ist. Die Kommunikationspartner gehen dann, wenn sie Kohärenz beobachten und unterstellen können, davon aus, dass ihre Interpretation bzw. ihre Vermutung darüber, was in der Wirklichkeit geschehen ist, ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit besitzt. Sprechen basiert auf der Fähigkeit des Menschen, interpretieren zu können. Das-- und das versucht die Argumentation von Davidson plausibel zu 163 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch I nterPretatIon und K ommunIKatIon Einheit 8 machen- - setzt nicht die Bedeutungsgleichheit der sprachlichen Symbole voraus. Ganz im Gegenteil: Die Rolle, die der Interpretation bei der Kommunikation zukommt, ist ein Indiz dafür, dass eine solche Identität der Bedeutungen nicht nötig ist. Einsichtiger scheint die Erklärung, dass die kontinuierliche Interpretationsarbeit von Partnern etwas erzeugt, was als gemeinsame Sprache empfunden wird. Dass eine intensive und regelmäßige Kommunikation mit einem bestimmten Partner dazu führt, dass die Beteiligten eine gemeinsame Sprache benutzen, ist ein Effekt der Kommunikation, nicht aber deren Ursache. Diese Erfahrung macht jeder bei einer funktionierenden Teamarbeit. Kommunikation erklärt sich daher nicht aus der Beachtung von Regelvorschriften, sondern aus der Fähigkeit der Akteure, Interpretationen zu finden, die erfolgreich auf das gemeinsame Handeln angewendet werden. Eine Äußerung, nach festen Regeln zum Zeitpunkt i getan, gewährleistet nicht, dass sie zum Zeitpunkt ii ebenfalls angemessen und erfolgreich ist. Lehramtsanwärtern werden für den Umgang mit den Schulkindern Empfehlungen dafür gegeben, was sie in bestimmten Situationen im Unterricht tun sollten und was nicht. Ihre Erfahrungen damit sind sehr zwiespältig. Der Grund dafür liegt oft im mechanischen Verständnis solcher Empfehlungen. Sie werden nicht als Interpretationshilfe verstanden, sondern als Bedeutungszuschreibung, deren Motiviertheit aber im konkreten Fall ungeklärt bleibt. Wer nicht aufzeigt, erhält kein Rederecht, lautet eine solche Empfehlung. Das kann eine Regel sein, um Gruppenkommunikation zu strukturieren und geordnet zu organisieren. Es kann aber auch im Widerspruch zu einer gewünschten Gruppendynamik stehen und die Kommunikation zum Erliegen bringen. Ein anderes Beispiel ist das Training von Verkäufern. Um auf einen Kunden im Geschäft als freundlich und engagiert zu wirken, wird empfohlen, Kundenwünsche mit einem „sehr gerne“ zu kommentieren. Für viele Käufer wirkt das aufgesetzt und wird als aufdringlich empfunden. Das Gegenteil von dem, was gewünscht wird, tritt ein. Beispiel Äußerungen, die sprachliche Konventionen verletzen, werden in der Regel trotzdem richtig verstanden werden. Ein Schiedsrichter zeigt einem Fußballspieler mit der Bemerkung Ich verwarne Ihnen, Herr L. die rote Karte. Der Verwarnte kontert: Ich danke Sie, Herr Schiedsrichter. Später wird er wegen Schiedsrichterbeleidigung belangt. Wir kommunizieren erfolgreich, wenn die Beteiligten das Geäußerte so interpretieren, dass sich eine übereinstimmende Auffassung herausbildet und aufgrund dieser die folgenden Handlungen als erwartbar unterstellt werden können. Das führt im Alltag dazu, auf den Sprachgebrauch des Kommunikationspartners einzugehen und sich Situiertheit des Handelns 164 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch möglichst so zu äußern, dass der Angesprochene auf wahrscheinliche Interpretationen zurückgreifen kann. Sprache ist damit kein unhintergehbares Medium. Donald Davidson (1972) legt demgemäß nahe, nicht von „Sprache“ zu reden, sondern von der Rekursivität durch Interpretieren und Sprechen. Faktisch kommunizieren wir täglich über die „Sprache“ hinweg. Der Erfolg der Kommunikation basiert auf der Situiertheit des Handelns; Voraussetzung dafür ist, dass die Akteure anhand der Situation selbst Beobachtungen anstellen können und aufgrund derer das Gelingen oder Misslingen einer kommunikativen Handlung angemessen einschätzen. Weil der situative Umgang mit anderen vielschichtig ist, werden Metaphern genutzt, um sich den interaktiven Prozess veranschaulichen zu können. Das Bild vom Theater bietet einen Vorstellungsraum, an dem sich die Akteure orientieren. Das Einspielen von Verhaltensmustern wird als Rolle auf einer Bühne greifbar. Das Stabilisieren von situativen Faktoren erhält Plausibilität durch das Bild einer Bühne. Dass trotzdem Dynamik erhalten bleibt, die Unsicherheit bedeutet, lässt sich am Part der Zuschauer veranschaulichen. Auf diese Weise werden Denkanstöße gegeben, um mit der Unübersichtlichkeit des interaktiven Geschehens geordnet umgehen zu können. Ein anderer Weg wird erkennbar, wenn Verhaltensmerkmale identifiziert werden, von denen man weiß, dass sie das gegenseitige Verhalten beeinflussen. Die Rhetorik versucht hier Hilfestellungen anzubieten, wenn sie auf bestimmte Merkmale aufmerksam macht. Denn Kenntnisse darüber, welche Verhaltenseigenschaften gegenüber dem Anderen für ihn relevant sind und welche nicht, reduziert Missverständnisse. Konkret setzt das bei den Kommunizierenden die Fähigkeit voraus, das Wahrgenommene so zu deuten, dass möglichst wenige Widersprüche bei den Erwartungen des Gegenübers erzeugt werden. Das Gelingen von Kommunikation wird einerseits im Gebrauch stabiler Bedeutungszuschreibungen vermutet, andererseits wird die Erfahrung beschrieben, dass sich Bedeutungen nicht wie Wörterbucheinträge behandeln lassen, die der Einzelne nur zu lernen braucht. Die interaktive Situation zwingt die Akteure eine Sensibilität zu entwickeln, die bisherige Erfahrungen des eigenen Selbst und mit den Anderen beobachtet und auswertet. So wird das Problem zu lösen versucht, dass wir nicht immer wissen können, was das Gegenüber denkt und im nächsten Schritt tun könnte. Zusammenfassung Theatermetapher Rhetorik 165 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch l Iteratur Einheit 8 Literatur Abels, Heinz (2010): Interaktion, Identität, Präsentation. Kleine Einführung in interpretative Theorien der Soziologie. 5. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwiss. Blumer, Herbert (1969): Symbolic interactionism. Perspective and method. Englewood Cliffs, N. J.: Prentice-Hall. Cooley, Charles Horton (1909): Social organization a study of the larger mind. New York, Alexandria, VA : C. Scribner's sons; Alexander Street Press. Davidson, D.; Harman, G. (1970): Semantics of natural language, II . Dordrecht, The Netherlands: D. Reidel Pub. Co. Dreyfus, Hubert L.; Taylor, Charles (2016): Die Wiedergewinnung des Realismus. Erste Auflage. Berlin: Suhrkamp Verlag, S. 107-136.(Übers. v. Schulte, Joachim: (2015): Retrieving Realism. Cambridge Mass.: Harvard Uni. Press) Garfinkel, Harold (1986): Ethnomethodological studies of work. London: Routledge & Kegan Paul. Goffman, Erving (1969): Wir alle spielen Theater die Selbstdarstellung im Alltag. München: Piper Mead, George Herbert (1968): Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. 1.-2. Tsd. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Mead, George Herbert; Morris, Charles William (1934): Mind, self & society. Chicago: Univ. Press. Mead, George Herbert; Morris, Charles William (1938): The Philosophy of the act. Chicago: Univ. Press. Mead, George Herbert; Petras, John W. (Hg.) (1968): Essays on his social philosophy. New York: Teachers Coll. Press. Sacks, Harvey; Jefferson, Gail; Schegloff, Emanuel A. (1995): Lectures on conversation. Volumes 1. and 2. 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Göttingen, Göttingen: V&R Unipress; Vienna University Press 8.5 166 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch Weiterführende Literatur Blumer, Herbert (1996): Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) (1973): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. Bd. 1: Symbolischer Interaktionismus und Ethnomethodologie. Reinbek: Rowohlt. Davidson, Donald (2005): Handlung und Ereignis. [Nachdr.]. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Garfinkel, Harold (2017): Studien zur Ethnomethodologie. 1. Auflage. Hg. v. Erhard Schüttpelz, Anne Warfield Rawls und Tristan Thielmann. Frankfurt: Campus. Goffman, Erving (2009): Interaktion im öffentlichen Raum. Neuausg. Frankfurt am Main [u. a.]: Campus-Verl. Mead, George Herbert (1969): Philosophie der Sozialität. Aufsätze zur Erkenntnisanthropologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Schegloff, Emanuel A. 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Goffman versucht einige davon mithilfe der Theater Metapher fassbar zu machen. Welche für die Kommunikation wichtigen Zusammenhänge werden so deutlicher gemacht? (Vgl. 8.3) 4. Strauss bietet mit seinem Trajectory Konzept eine Perspektive, die über die aktuelle Interaktion der Handelnden hinausreicht und Hinweise gibt, wie Symbole durch Bedeutungszuschreibungen belegt werden. Was ist mit Trajectory gemeint und lassen sich über die zitierten weitere Beispiele benennen? (Vgl. 8.3) 5. Davidson kritisiert die Vorstellung, Bedeutungen seien etwas fest Vorgegebenes. Wie erklärt er, dass dieser Eindruck im Alltag entsteht und 8.6 167 t heorIen üBer dIe K onstruKtIon des z usammenwIrKens - der a ndere und das I ch P roBlemstellung und f ragen Einheit 8 warum ist dieser seiner Meinung nach unangemessen? An welchen Fallbeispielen lässt sich zeigen, dass seine Hinweise berechtigt sind? (Vgl. 8.4) 6. Akteure suchen in der kommunikativen Situation nach Interpretation, die das, was um sie herum geschieht, für sie verständlich macht. Fehlt die dafür nötige Fähigkeit bzw. ausreichende Übung, werden sie gesellschaftlich benachteiligt sein. In welchen Handlungsfeldern tritt das besonders deutlich hervor? Theoriebildungen über das kommunikative Handeln und der gesellschaftliche Kontext Inhalt 9.1 Kommunikation-- offene oder geschlossene Systeme 170 9.2 Unsicherheit bedingt Kommunikation 175 9.3 Erfolgsmedien 178 9.4 Formen und Funktionen, die Kommunikation organisieren 181 9.5 Literatur 187 9.6 Problemstellung und Fragen 188 Eine Theoriebildung von Kommunikation, welche die Verarbeitung von Signalen zum Gegenstand wählt, abstrahiert die Kommunikation auf den technischen Übertragungsvorgang. Rückt sie den Menschen in den Vordergrund, erweist sich Kommunikation als komplex. Daher sprechen Wissenschaftler aus dem Umkreis von Watzlawick von einem offenen System. Ein jeder sucht sich darin Anhaltspunkte, um das Verhalten des Anderen kommunikativ erklären zu können. Dem widerspricht Luhmann mit dem Hinweis, dass solche Zuschreibungen kommunikativ nur glücken können, wenn sie außerhalb des Einzelnen verortet sind und diese darauf zugreifen können. Er entwickelt einen eigenen Systembegriff und weist der Kommunikation darin eine fundamentale Funktion zu, Gesellschaft zu ermöglichen. Der Kommunikations- und Medienbegriff unterscheidet sich deutlich von den bis dahin entwickelten. Der Nutzen von Kommunikation wird als Risiko für die Beteiligten eingestuft und die leitende Frage ist dann, wie dieses minimiert werden kann. Überblick 169 P roBlemstellung und f ragen Einheit 9 Theoriebildungen über das kommunikative Handeln und der gesellschaftliche Kontext Inhalt 9.1 Kommunikation-- offene oder geschlossene Systeme 170 9.2 Unsicherheit bedingt Kommunikation 175 9.3 Erfolgsmedien 178 9.4 Formen und Funktionen, die Kommunikation organisieren 181 9.5 Literatur 187 9.6 Problemstellung und Fragen 188 Eine Theoriebildung von Kommunikation, welche die Verarbeitung von Signalen zum Gegenstand wählt, abstrahiert die Kommunikation auf den technischen Übertragungsvorgang. Rückt sie den Menschen in den Vordergrund, erweist sich Kommunikation als komplex. Daher sprechen Wissenschaftler aus dem Umkreis von Watzlawick von einem offenen System. Ein jeder sucht sich darin Anhaltspunkte, um das Verhalten des Anderen kommunikativ erklären zu können. Dem widerspricht Luhmann mit dem Hinweis, dass solche Zuschreibungen kommunikativ nur glücken können, wenn sie außerhalb des Einzelnen verortet sind und diese darauf zugreifen können. Er entwickelt einen eigenen Systembegriff und weist der Kommunikation darin eine fundamentale Funktion zu, Gesellschaft zu ermöglichen. Der Kommunikations- und Medienbegriff unterscheidet sich deutlich von den bis dahin entwickelten. Der Nutzen von Kommunikation wird als Risiko für die Beteiligten eingestuft und die leitende Frage ist dann, wie dieses minimiert werden kann. Überblick 170 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext Kommunikation - offene oder geschlossene Systeme In der Palo-Alto-Gruppe um Paul Watzlawick sah man den entscheidenden Durchbruch in der Theoriebildung darin, dass sich die Wissenschaft zunehmend von den Modellvorstellungen der Physik und Chemie befreite. In diesen Wissenschaften herrschte eine Modellierung vor, die auf Vorstellungen der Mechanik basierte und nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung die Verhältnisse zu ordnen und zu erklären versuchte. Diesem Denken setzte die Palo-Alto-Schule ein offenes Konzept entgegen, bei dem lebende Organismen in Wechselbeziehung zu ihrer Umwelt gesehen werden, mit der sie in ständigem Austausch stehen. Der Einzelne reagiert auf seine Umgebung, indem er das, was er wahrnimmt, verarbeitet und das so Erarbeitete wieder an Personen, die ihn umgeben, zurückgibt. Das ist ein Austauschprozess, der sich nicht allein aus der Beziehung von Ursache und Wirkung erklären lässt. Es kommt zu Entscheidungen Einzelner, die so nicht vorhersehbar sind. Dieser Umstand wird als die Komplexität sozialer Interaktionen bezeichnet. Das Beschreibungsmodell von Reiz und Reaktion kann diese Prozesse nur sehr eingeschränkt erklären. Individuelles Verhalten wird von einer Vielfalt von Faktoren beeinflusst, sodass schwer zu entscheiden ist, welcher dieser Faktoren konkrete Ursache für ein bestimmtes Verhalten ist. Watzlawick (1969, S. 117) erkannten die gegenseitige Bedingtheit von System und Umwelt: Was, wann und wo wen beeinflusst, ist nicht ohne weiteres und schon gar nicht eindeutig feststellbar. Wenn zwei Personen sich gegenübersitzen, erzeugen die körperliche Präsenz und das damit verbundene Verhalten für das Gegenüber Daten, die von diesem bearbeitet werden müssen. Das ist erst möglich, wenn die so „angesprochene“ Person bereits über Wahrnehmungskategorien verfügt, welche die Daten in der Situation und den dafür geltenden Kategorien als relevant erkennen. Andererseits tritt immer wieder der Fall ein, dass sich in Situationen Neues und Unerwartetes herausbildet. Dann müssen die bisherigen Kategorien und Erfahrungen dazu in Position gesetzt und abgeklärt werden, ob es sich um Varianten des Bekannten oder etwas anderes handelt. Lächeln als ein Verhalten kann als Freundlichkeit konzeptualisiert worden sein. Ein kleines Kind wird angelächelt und es lächelt zurück. Im Verlauf der Lebens- und Kommunikationserfahrung wird irgendwann im Lächeln auch ein Hinweis auf Ironie oder Sarkasmus erkannt werden können. Es gibt andere Situationen, in denen dasselbe Verhalten als Verlegenheit erlebt wird und unter extremen Umständen kann es sogar eine besondere Form der Angst signalisieren. Kommunikation ist für Watzlawick deshalb weder operational exakt fassbar, noch abgrenzbar gegen Nicht-Kommunikation. 9.1 Kritik an naturwissenschaftlichen Modellen 171 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext K ommunIKatIon - offene oder geschlossene s ysteme Einheit 9 Luhmann (1984) kritisierte die offenen Theoriekonzepte und den damit verbundenen Begriff von System. Denn hier werde System aus einer Teil- und Ganzheit-Beziehung erklärt. Die Teilkonzepte bzw. -elemente werden beispielsweise im Dienste eines übergeordneten Verhaltensziels verstanden. Lächeln und eine bestimmte Art zu reden könnten dann Elemente eines Konzeptes für Freundlichkeit sein. Ein solches Verständnis impliziere stets ein kausales Denken, da von übergeordneten auf ihnen untergeordnete Teile geschlossen wird und so Abhängigkeiten entstehen, die für sich erklärungsbedürftig sind. Weil der Gesichtsausdruck meines Gegenübers von einer Muskelverspannung beherrscht wird, schließe ich daraus, dass er schlechter Laune ist. Es gibt Ratgeber, die darüber aufzuklären versuchen, was Körperhaltung bedeutet. Das erweckt den Eindruck, es gäbe immer etwas, das eindeutig für das Folgende verantwortlich gemacht werden könne. Aber weder die Beliebigkeit von Ereignissen noch das Phänomen von Komplexität können auf diese Weise erklärt werden, wie Kiss (1990, S. 82) erläutert. Luhmann lehnte daher die Vorstellung ab, die Zuschreibung von Sinn sei die Leistung eines einzelnen Subjekts. Für ihn galt die Prämisse, dass soziale Systeme und ihre Kommunikation subjektunabhängig existieren. Das unterscheidet seinen System-Begriff von dem der Palo-Alto-Schule und bedingt ein grundlegend anderes Verständnis von Kommunikation. Sein Konzept sieht in der Kommunikation vor allem ein Instrument, über das die Möglichkeit geschaffen wird, sich gesellschaftlich zu organisieren. Operationen des Gehirns und seiner Sinnesorgane sind von etwas zu unterscheiden, was außerhalb derselben existiert; letzteres bezeichnet Luhmann (1984) als die Außenwelt. Daraus leitet er ab, es bestehe ein in sich geschlossenes und selbstreferentiell operierendes System. Das Gehirn kann deshalb nur immer wieder auf sich selbst zurückgreifen, wenn es mit seiner Kritik am Konzept offener Systeme Psychische Systeme (Brock et al. 2009, S. 360) Abb. 9.1 172 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext äußeren Umgebung konfrontiert wird. Das Außen existiert in einem solchen Modell nicht an sich, sondern ist das Produkt von Operationen, die das Gehirn vollziehen muss, um sich dadurch die eigene „Dingwelt“ zu erzeugen, die es sich nur auf die dem Gehirn ganz eigene Weise bewusst machen kann. Daher unterscheidet Luhmann (1984) in seiner Theorie der Systeme das biologische, das psychische und das soziale System. Jeder dieser Systemtypen beinhaltet für ihn charakteristische Operationen Das biologische System operiert in Formen der Lebensbewältigung und des Lebens an sich. Das psychische betrifft die Bewusstseinsprozesse, es umfasst das Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Wollen oder das Prozessieren von Aufmerksamkeit. Das soziale System generiert Kommunikation auf der Basis von Ereigniselementen und wird in der Kommunikation erfassbar. Soziale Systeme werden in verschiedenen Formen realisiert und von Luhmann als Gesellschaft, Organisation und Interaktion beschrieben. In der Gesellschaft haben sich Subsysteme wie Massenmedien, Wirtschaft, Politik, Kunst und Wissenschaft herausgebildet. Organisationen bilden Subsysteme anderer Art. Das können Parteien, Sender oder Presseorgane sein. Weniger umfassend sind die Formen von momentanen Kontakten, die als Interaktion bezeichnet werden. „Die Großformen der gesellschaftlichen Teilsysteme schwimmen auf einem Meer ständig neu gebildeter und wieder aufgelöster Kleinsysteme“ Luhmann (1997b, S. 82). Die Grenzen der Gesellschaft sind keine territorialen Grenzen, sondern sie beruhen auf denjenigen der Kommunikation. Teilsysteme, die sich aus fortlaufend wandelnden Größen zusammensetzen, haben ständig damit zu kämpfen, sich im jeweiligen Zustand oder auch grundsätzlich zu erhalten. Ein Teilsystem muss sich immer wieder erneuern können und das geschieht auf der Basis dessen, was Luhmann Elemente nennt. Elemente sind Operationen, die den Erhalt des Systems bewirken. Diese Operationen zielen aber nicht darauf ab, einen homöostatischen Zustand zwischen System und Umwelt herzustellen, wie das im TOTE -System von Miller et al. (1960) beschrieben worden ist: Der Temperaturfühler eines Zimmers reagiert mit dem Einschalten der Heizung, wenn die Zimmertemperatur zu niedrig ist und er schaltet sie ab, wenn die Temperatur der in der Einstellung vorgenommenen entspricht. Die Operationen zielen innerhalb eines Systems auf dessen Selbsterhaltung ab. Das Augenmerk der Operationen ist auf die kontinuierliche Selbstreproduktion ausgerichtet und nicht auf die Herstellung eines mechanischen Abgleichs von Außen- und Innenverhältnissen. Diese Vorgänge werden daher aufgrund der Vielfalt von Umwelteinflüssen durch viele Unwägbarkeiten begleitet. Ein physisches System, das sich aus den Elementen zur Absicherung des Lebenserhalts zusammensetzt, muss Systeme Subsysteme Interaktionen Operationen 173 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext K ommunIKatIon - offene oder geschlossene s ysteme Einheit 9 über Operationen verfügen, die beispielsweise Materie umwandeln können. Das sind unter Umständen chemische Prozesse. Erst wenn solche chemischen Prozesse stattfinden, kann ein Baum wachsen oder eine Blume blühen. Nur weil Elemente vorhanden sind, die auf die Spezifik ihrer Umgebung effektiv reagieren können, kann sich das System etablieren und sein Überleben ermöglichen. Ein soziales System existiert nur dort, wo es Kommunikation gibt. Der Begriff soziales System und die damit verbundenen Phänomene stehen in Differenz zu dem biologischen und dem psychischen System. Das soziale System besteht nicht aus Menschen, wie eben das biologische nicht aus Gräsern, Blumen und Bäumen besteht. Es sind die Operationen, welche ein System definieren. Das biologische System beinhaltet nicht Pflanzen, sondern eine bestimmte Art von Vorgängen, wie die Umwandlung von nicht organischer in organische Materie, die Bildung von Zellen und deren Organisation zu einem lebensfähigen Organismus. Diese Leistung basiert auf ganz spezifischen Operationen, welche von anderen unterschieden werden müssen. Beobachten lassen sie sich an den Lebewesen. Die Operation der Kommunikation ist das Fundament für ein soziales System, denn sie stellt die Verfahren zur Herstellung von sozialer Wirklichkeit zur Verfügung. Diese unterscheiden sich grundlegend von Verfahren in der Biologie und Zellentwicklung. Auf der Ebene der Operationen stellt sich Kommunikation als kleinstmögliche Einheit des sozialen Systems dar. „Kommunikation ist das „Letztelement“ sozialer Systeme und daher nicht weiter herunter zu brechen.“ (Luhmann 1997, 82). Sie ist als Ereignis beobachtbar an den Handlungen der Personen. Was diese konkret tun, ist beschreibbar als Operationen, die mit dem Begriff Kommunikation benannt werden. Der Irritationen auslösende Satz „… Menschen können nicht kommunizieren, nicht einmal das Bewusstsein kann kommunizieren. Nur die Kommunikation kann kommunizieren.“ Luhmann (1995, S. 113) erklärt sich vor diesem Hintergrund. Denn Kommunikation ist für Luhmann die Gesamtheit der Operationen, durch die ein soziales System sichtbar und real wird. Erklärung Damit gewinnt der Kommunikationsbegriff eine neue Dimension. Er wird aus der engen Bindung an die personale Interaktion gelöst und dieser bildlich gesprochen vorgelagert. Eine Sprache ist nicht einfach da, sie muss erlernt werden. Für die Kommunikation gilt gleiches, auch wenn es anders erscheint. Sie entwickelt implizit Formen, die den Akteuren nicht bewusst sind, und sichert die sozialen Bindungen. Das Kind interagiert mit seiner Mutter und erlernt schnell Formen, wie es diese an sich binden kann. Die Mutter lernt aus der Vielfalt des Verhaltens die Formen zu erkennen, die Kommunikation Soziales System Ein neuer Kommunikationsbegriff 174 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext bedeuten. Dabei entwickelt sich das soziale Gefüge ständig weiter, wenn es sich neuen gesellschaftlichen Gegebenheiten anpasst. Das Kind geht in den Kindergarten und wird dort mit einer Umwelt konfrontiert, für die es noch keine Elemente erprobt hat. Wenn neue Medien auftauchen, ist eine solche Entwicklung immer zu beobachten, weil hier in der Regel das Verhältnis von Formen und Funktionen noch offen ist. Das Twittern ist zuerst einmal eine Variante von vielen schon bekannten Kommunikationsformen im Internet. Es kann zunächst wie eine Mail oder SMS genutzt werden. Doch es kann auch der Fall eintreten, wie es immer wieder geschieht, dass eine neue und eigenständige Nutzungsform gefunden wird, die allgemeine Anerkennung findet. Nicht jedes Verhalten ist kommunikationstauglich und so geraten viele Formen in Vergessenheit. Vor vierzig Jahren wurde das Telefon selektiv und bei bestimmten Anlässen genutzt, es wurde ein Besuch angekündigt, nach einer wichtigen Sache gefragt oder kurz über etwas Wichtiges informiert. Heute werden Bilder oder kleine Filme verschickt und der Adressat wird zu jeder Zeit angesprochen, um bei ihm präsent zu bleiben. Das soziale und das psychische System sind in Luhmanns Modell eigenständige und voneinander unabhängige Systeme. Das menschliche Bewusstsein, gedeutet als psychisches System stellt für das soziale System einen Umweltfaktor dar. Die Begründung dafür liefert die Beobachtung, dass das psychische System anderen Regeln der Autopoesis, also der Selbsterhaltung, folgt als das soziale, d. h. die psychologischen Operationen wie Denken, Wahrnehmen, Lernen unterliegen ihren eigenen Mechanismen und bedürfen insofern auch eigenständiger Beschreibungen. Unbestritten ist, dass beide Systeme aufeinander Bezug nehmen. Ohne schlussfolgerndes Denken und zielgenaues Wahrnehmen sind Operationen der Kommunikation nicht erfolgreich. Zielgenaues Wahrnehmen ist ein Lebensfaktor wie erfolgreiches Kommunizieren, folgt aber einer anderen Logik. Es gelten die Regeln der Kognition und ihrer Verarbeitung von Wissen und Erleben. Luhmann spricht von der strukturellen Kopplung, wenn das psychische System sich mit seiner Umwelt auseinandersetzen muss. Diese Kopplung bildet die Voraussetzung für das Überleben des Systems. Kommunikation erlaubt die Herstellung einer Interdependenz bei gleichzeitiger Autonomie. Das ist möglich, weil sich die Akteure auf die Kommunikation stützen können. Sie erlaubt Annahmen darüber zu bilden, wie andere psychische Systeme Umwelt erleben. Strukturelle Kopplung 175 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext u nsIcherheIt BedIngt K ommunIKatIon Einheit 9 Unsicherheit bedingt Kommunikation Kommunikation kann als ein „Mechanismus“ verstanden werden, der Akteuren die Möglichkeit bietet, ihre Unsicherheit im Umgang mit der Umwelt zu kontrollieren. Den Umgang mit dieser Unsicherheit, die auch als Kontingenz bezeichnet wird, beschreibt Spencer-Brown und Wolf (1997) als das Handhaben von Differenz: Dinge müssen nicht so sein, wie sie erwartet werden. Es entsteht für den Betroffenen ein Differenzerlebnis, er ist enttäuscht. Dahinter wirken nach Spencer-Brown zwei Prinzipien, die er als Prinzipien des „Law of Calling“ und des „Law of Crossing beschreibt. Sie erfassen Unterscheidungshandlungen durch das Anzeigen und solche durch das Kreuzen. Unterscheidungen im Sinn des Anzeigens lassen sich mit dem Gedanken des „etwas im Spiel halten“ umschreiben. Die Kommunikation ist möglich, weil es Dinge und Ereignisse gibt, auf die bereits Bezug genommen worden ist. Sind diese durch die vorausgegangene Kommunikation eingeführt, können die Partner weitere einbringen. Voraussetzung ist ein gemeinsamer und nicht hinterfragter Bezugshintergrund, d. h. das, was angesprochen wird, erschließt sich aufgrund des Gefühls, über etwas Bekanntes miteinander zu reden. Kreuzen hingegen erfasst Unterscheidungen, die nötig sind, wenn das Spiel nicht mehr gilt. Ein Lehrer übt mit den Kindern das Wortfeld des Sagens. Die Kinder nennen Wörter, die verschiedene Arten des Sprechens ausdrücken wie flüstern, lispeln oder rufen. Dann werden auch solche genannt, die aus dem Tierreich stammen wie piepsen oder miauen. Es gibt Diskussionen darüber, ob sie zu dem Wortfeld gehören oder nicht. Die erste Wortgruppe ist der Bezugsgröße des „sprachlichen Handelns“ untergeordnet, die Wörter der zweiten Gruppe können dieser nicht mehr zugewiesen werden. Piepsen ist etwas anderes als lispeln. Wenn beide Wörter aber auf eine Bezugsgröße bezogen werden sollen, braucht es eine neue Kategorie bzw. einen anderen Bezugshintergrund. Der bisherige muss deshalb verlassen und nach einem neuen gesucht werden. Würde als Bezugsgröße „sich äußern“ vorgeschlagen, könnten die anderen Wörter auf diesem Hintergrund zugelassen werden. Die Diskussion unter den Kindern ist ein Beleg dafür, dass es zu einer Unterscheidung im Sinne des Kreuzens kommt. Eine zu Beginn zugewiesene Bezugsgröße ist plötzlich nicht mehr aktuell bzw. unpassend. Piepsen 9.2 Differenzen bearbeiten George Spencer- Brown (1923-2016): Britischer Mathematiker, Psychologe, Dichter, Songwriter und Professor für Informatik an der Stanford-University (1977) und Mathematik an der University of Maryland (1980-81), Schwerpunkte: Laws of Form, die Entwicklung des Differenzkalküls, das Beobachterdilemmata Episode 176 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext ist im Normalfall keine sprachliche Handlung. Ein neuer Bezugshintergrund ist nötig, um das Wort weiter im Spiel zu halten. Durch das Kreuzen kann eine neue Situation erzeugt werden. Dieser Umbruch erweist sich häufig als schwierig und löst unter den Beteiligten nicht selten Aufregung aus, weil die Kommunikation instabil und die Kontrolle über die Situation gefährdet wird. Oft treten entsprechende Emotionen auf. Nicht immer finden die Partner einen gemeinsamen Hintergrund. Ein Mann und eine Frau sitzen im Auto, die Ampel schaltet auf grün und sie sagt zu ihrem Mann, es sei grün. Der Mann bittet daraufhin seine Frau auszusteigen. Die sprachliche Handlung kann ein unterstützender Hinweis an den Ehemann sein, sie kann aber auch eine Kritik für permanentes Fehlverhalten beim Autofahren sein oder eine stereotype Äußerung eines Erkrankten. Was gemeint ist, darüber entscheiden die Kommunizierenden selbst. Gehen beide von einem Kooperationsangebot aus, wird sich der Mann dafür bedanken. Werden Äußerungen der Ehefrau vom Ehemann mit Kritik konnotiert, wird der Mann auf diese negativ reagieren. Gäbe es einen Dritten, der die beiden auf ihre verschiedenen Standpunkte aufmerksam machte, könnten sie miteinander ihre jeweilige Motiviertheit klären. Nehmen die Betroffenen die Verschiedenheit der Bezugshintergründe wahr, sind sie zur Unterscheidung durch das Kreuzen aufgefordert, d. h. sie können versuchen, aus ihrem Hintergrund das anzuzeigen, was nicht zum aktuell Vorliegenden passt. Das fällt den Akteuren meist schwer und bedeutet nicht selten den Abbruch der Kommunikation. Grundsätzlich könnten wir über alles Mögliche miteinander reden, praktisch tun wir das nicht. Wir reden mit anderen dann, wenn wir eine Situation stabil halten wollen und greifen dabei auf Dinge zurück, von denen angenommen werden kann, dass sie die Situation erhalten. Sehr oft gerät die Situation außer Kontrolle oder stellt sich anders dar, als gedacht, dann muss nach etwas gesucht werden, das eine Neu- oder Umdefinition erlaubt. Erklärung Kommunizieren vollzieht sich nach Luhmann in drei Schritten: Er unterscheidet den Akt der Selektion von Information, den Akt der Mitteilung und den der Annahme bzw. des Verstehens. Das System der Wahrnehmung und des Bewusstseins erkennt etwas, was es als relevant für das soziale System einstuft, Selektion von Information. Es verarbeitet das Wahrgenommene damit nicht nur im Hinblick auf kognitive und emotionale Aspekte. In einem weiteren Schritt erfolgt eine Bewertung. Das Wahrgenommene wird als sozial bedeutsam eingestuft. Jetzt muss das Erkannte in ein Format der Kommunikation gebracht werden, d. h. es muss eine geeignete Form für die Mitteilung des Wahrgenommenen gewählt und damit dem Gegenüber Information Mitteilung 177 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext u nsIcherheIt BedIngt K ommunIKatIon Einheit 9 sichtbar bzw. hörbar angeboten werden können. Eine solche Form setzt das Vorhandensein eines geeigneten Mediums voraus, damit die Mitteilung den Angesprochenen erreichen kann. Der Angesprochene nimmt dann wahr, dass jetzt Kommunikation gewünscht und durch das Verhalten angezeigt wird. Erst danach kann er klären, was diese Mitteilung im sozialen System für eine Funktion haben könnte: Soll das psychische System des Angesprochenen gewarnt, soll es für eine Kooperation im sozialen System gewonnen werden oder wird die Chance geboten, das Wahrnehmungs- und Bewusstseinssystem hinsichtlich der Ausstattung seiner Wissens- und Erfahrungsbestände zu erweitern bzw. neu zu strukturieren? Wenn es also Annahmen über die Mitteilung und ihre Funktion gibt, klärt sich für den Angesprochenen, in welchem Sinn der Akt des Verstehens erfolgen kann. Das Wahrnehmungs- und Bewusstseinssystem des Angesprochenen aktiviert mentale Bestände, die eine Verarbeitung im Sinne der beschriebenen Differenzarbeit vornehmen können. Das Bewusstseinssystem kann sich danach gegenüber der nun relevant gesetzten Umwelt neu ausrichten. Das Verstehen ist der Akt, der die Handlung abschließt und über deren Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Kommunikation ist immer mit einer Vielzahl von Risiken behaftet. Diese setzen mit der Wirksamkeit des genutzten Mediums ein. Ein Wort kann im Medium der gesprochenen Sprache oder im geschriebenen Text auftreten. Damit sind unterschiedliche Praktiken in der Interaktion und für die Kooperation verbunden. Ob etwas mündlich oder schriftlich angewiesen wird, kann durchaus unterschiedliche Konsequenzen nach sich ziehen. Geschriebenes hat eher den Charakter des Endgültigen und Verpflichtenden und kann möglicherweise auch nur im Medium des Geschriebenen infrage gestellt werden. Erklärung Voraussetzung für wirksame Kommunikation ist die Bereitschaft eines Anderen, sich auf diese einzulassen. Denn um kommunikativ handeln zu Triadisches Kommunikationsmodell Verstehen Die Erwartungs-Erwartung Kommunikationsmodell (Brock et al. 2009, S. 362) Abb. 9.2 178 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext können, bedarf es der Gegenseitigkeit von Erwartungen. Fehlt eine solche, kann nur durch Gewalt ein Anderer zu einer bestimmten Handlung gezwungen werden. Ich möchte beispielsweise eine Prüfung ablegen und suche vorher den Dozenten auf. Wenn ich in die Sprechstunde komme, gehe ich davon aus, dass ich über die Prüfung sprechen kann. Zugleich unterstelle ich, dass der Dozent erwartet, was auch ich erwarte, denn nur so kann ich sicher sein, dass er mein Anliegen versteht. Dieser Umstand wird als die Struktur der Erwartungs-Erwartung beschrieben. Erwartungen bleiben dabei stets anpassungsfähig. Ich bin zwar in das Gespräch mit dem Dozenten gegangen, um die Prüfungsvorbereitung zu besprechen, er bittet mich nun aber, ihm kurz bei der Installation einer Software zu helfen. Die Erwartungen sind nicht an Automatismen gebunden, sondern müssen in der Situation verortet werden. Wenn ich den Dozenten nur aus der Vorlesung kenne, wird mich diese Bitte überraschen. Ist es ein aktuell diskutiertes Problem einer gerade neuen Software, können beide darüber reden und unter Umständen kann ich ihm eine Lösung anbieten. Die Situation stellt sich noch einmal anders dar, wenn ich Mitarbeiter des Dozenten bin und ihm schon mehrmals bei Software Problemen geholfen habe. So kann er erwarten, dass ich es auch dieses Mal tun könnte. Seine Erwartung ist dadurch motiviert, dass er mich als hilfsbereit und für seine Anliegen aufgeschlossen kennt. Erwartungen lassen sich nur bis zu einem gewissen Grad aufgrund der Umstände einschätzen. Eine eröffnete Kommunikation enthält daher immer ein Moment der Unsicherheit. Symbolisch generalisierte Medien Interaktionen müssen in engem Zusammenhang mit Erwartungen der Beteiligten gesehen werden. Luhmann prognostiziert das Auftreten von Unsicherheit immer dann, wenn es zu Differenzen in der Bewertung des in der Interaktion Dargebotenen kommt. Sind die Bezugsgrößen für die Teilnehmer instabil oder unterschiedlich, müssen sie nach einer Kommunikation suchen, die diese Instabilität zu kontrollieren versucht. Luhmann (1984, S. 219) spricht den symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien eine solche Leistung zu. Sie stellen aus gesellschaftlicher Perspektive Bezugsgrößen zur Verfügung, die klären helfen, warum auf etwas, was mitgeteilt wird, auch kommunikativ eingegangen werden kann. Diese Form der Kommunikation wird unter dem Begriff der Erfolgsmedien näher beschrieben. Erfolgsmedien sind eine Entdeckung der Soziologie. Parsons (1967) entwickelte ihr Konzept und er hatte (1990) beobachtet, dass sich Gesellschaft nicht mehr aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Schicht ausdifferenzierte. Als Ursache für diesen Wandel beschreibt er drei grundlegende Umstruk- 9.3 Erfolgsmedien 179 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext s ymBolIsch generalIsIerte m edIen Einheit 9 turierungen in den bestehenden Ordnungen. Die industrielle Revolution schaffte ein neues Verhältnis zur Arbeit, die Demokratisierung des Staatswesens erweiterte die Machtmöglichkeiten der Politik. Gleichzeitig aber verringerte sich die Kontrollmöglichkeit des Einzelnen. Als dritte Umstrukturierung gilt ein Wandel im Selbstverständnis der Pädagogik. Er löste einen Wissenszuwachs in die Breite der Gesellschaft aus. Seit den Studentenprotesten der 60er Jahre baute sich die Autoritätsressource im Verhältnis von Lehrer-Student, Arzt-Patient oder Vorgesetzter-Mitarbeiter systematisch ab. Parsons stellte fest, dass sich die kommunikativen Interaktionen jetzt mithilfe von speziellen Themen wie Affekt, Intelligenz oder Einfluss von Geld und Macht neu organisierten. In diesen Themen sah er ein eigenständiges Medium. Es bedient die Funktionen Anpassung, Zielerreichung, Integration und Erhaltung von latenten Wertmustern. Luhmann entwickelt das Konzept unter dem Begriff Erfolgsmedien weiter und verwies auf Prozesse der Selektionen, die erklären, wie Kommunikation (sicher) in Gang gesetzt wird und wie die von ihr ins Spiel gebrachten Dinge auch dort gehalten werden können. Von diesen besonderen Medien werden Verbreitungsmedien unterschieden. Diese haben die Funktion, den Anderen zu erreichen und seine Erreichbarkeit abzusichern. Die Erfolgsmedien zielen hingegen darauf ab, dem Anderen einen Bezugshintergrund zur Verfügung zu stellen bzw. eine feste inhaltliche Orientierung und stabile Gründe für die vom Sprecher beabsichtigte Kommunikation zu liefern. Sie sollen Motive dafür liefern, nach anschlusstauglicher Kommunikation zu suchen. Erfolgsmedien werden von Luhmann auch als eine Form der Kommunikation charakterisiert, bei der es eine Bezugsgröße gibt, welche den Akteuren nahe legt, diese Kommunikation zu meiden. Das lässt sich an einem Beispiel veranschaulichen. Politikern fehlt Geld, um Sozialausgaben weiter garantieren zu können. Sie müssen Steuern erhöhen. Wenn sie offen darüber reden, laufen sie Gefahr, nicht mehr gewählt zu werden, denn Steuererhöhungen sind unpopulär. Das gilt zumindest bei denjenigen, die davon betroffen sind. Kommunizieren sie das Thema nicht, wird ihnen Unlauterkeit im Umgang mit den Wählern unterstellt und die Folge kann ebenfalls eine Wahlniederlage sein. Das Problem erscheint lösbar, wenn ein Thema gefunden wird, das den nicht gewünschten Hintergrund zurückdrängt. Einschränkungen bei den Pensionen oder Beschränkungen bei sozialer Hilfe will niemand. Darüber zu reden, dass solche Beschränkungen vermieden werden sollen, wird eher akzeptiert. Die Vermeidung eines finanziellen Verlustes und der Erhalt der bestehenden Lebensverhältnisse rückt eine Steuererhöhung in ein anderes Licht. Themen, die vermieden werden sollen Beispiel 180 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext Dieser Zusammenhang wird von Luhmann (1984, S. 359-393) mit dem Begriff Medium verbunden, weil er dahinter die Wirksamkeit eines Codes sieht. Dieser ist binär angelegt, d. h. etwas ist vorhanden oder nicht. In der Wissenschaft beispielsweise wird darüber diskutiert, ob das, was erforscht wird, Gültigkeit beanspruchen kann und von welcher Reichweite diese ist. Man kann deshalb sagen, Wissenschaft führt eine Kommunikation im Medium eines ganz bestimmten Bezugskontextes. Denn der Wissenschaftsdiskurs ist stets von der Frage nach der Wahrheit begleitet, das gilt sowohl theoretisch als auch methodisch. Das hat für den Wissenschaftler zur Konsequenz, dass seine Äußerungen sich vom Hintergrund der Unwahrheit abheben müssen. Das wird in den Diskussionen um Plagiate sehr anschaulich. Sie prüfen, ob der Autor eines veröffentlichten Textes der wahre Urheber ist oder nicht. Aber auch die Aussagen über die Dinge und Sachverhalte in der Welt, unterliegen, wenn sie wissenschaftlich sein sollen, der Bedingung Wahres auszusagen. Deshalb werden Theorien entwickelt und Methoden erprobt, um dieser genügen zu können. Damit wird zugleich aufgedeckt, dass Wissen nur auf dem Hintergrund des (noch) nicht Wissens möglich ist. Das noch nicht Wissen dient als ständige Triebkraft dafür, diese Kommunikation fortzusetzen Luhmann (1997a, S. 359-393). hat versucht, ähnliche Zusammenhänge für andere Themenkomplexe wie Liebe, Eigentum / Geld, Macht / Recht, religiöser Glaube, Kunst und zivilisatorisch standardisierte „Grundwerte“ nachzuweisen. Das Konzept der Erfolgsmedien wird allerdings in der Mediendiskussion zurückhaltend betrachtet. Das hat damit zu tun, dass die unterstellte binäre Codierung in realen Kommunikationsabläufen nur mehr oder weniger deutlich zu erkennen ist. Die Verschiedenartigkeit der gesellschaftlichen Diskurse lässt eine so einfache Klassifikation schwierig erscheinen. Dennoch besteht kein Zweifel daran, dass Denkfiguren zu beobachten sind, die sich mit dem Konzept der Erfolgsmedien skizzieren lassen. Erklärung Dirk Baecker (2005) verweist darauf, dass durchaus über bestimmte Dinge geredet wird, um über andere nicht reden zu müssen. Dieses Vorgehen lässt sich täglich in der Werbung beobachten, im Kontext von Hörgeräten beispielsweise wird über den sozialen Erfolg geredet, um nicht über neurologische Beeinträchtigungen durch eine Erkrankung und ihre Ursachen diskutieren zu müssen. Man spricht darüber, wie man von den Anderen wahrgenommen wird und wieder ohne Angst auf sie zugehen könnte. Dirk Baecker (* 1955) Abb. 9.3 Wirtschafts- und Organisationssoziologe, Professor für Kulturtheorie und Management an der Universität Witten / Herdecke, Schwerpunkte: Soziologische Systemtheorie und Differenzkalkül 181 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext f ormen und f unKtIonen , dIe K ommunIKatIon erKennBar machen Einheit 9 Formen und Funktionen, die Kommunikation erkennbar machen Für Baecker setzt Kommunikation etwas voraus, was nicht vom Einzelnen abhängig gemacht werden kann. Darin schließt er sich dem Denken von Luhmann an. Wer kommunizieren will, weiß zu Beginn nicht, ob seine Bezugnahme auf etwas, was er als gemeinsam unterstellt, auch wirklich gelingt. Baecker (2005, S. 147) formuliert diesen Umstand so: Die Akteure müssen „etwas Bestimmtes im Horizont möglicher Verweisungen auf noch Unbestimmtes, aber Bestimmbares“ beziehen. Kommunikation erfordert eine Operation, welche den Raum von Möglichkeiten auf die jeweils gültige hin organisiert und von dort wieder einen Bezug auf das noch Mögliche aufbaut. Diese Operation geht über das, was die Erwartung zur Bearbeitung einer Situation leistet, hinaus. Die Kommunikation erklärt sich nicht nur vom Einzelereignis her. Sie muss im gesellschaftlichen Prozess beobachtet werden, der durch das soziale Handeln einer beständigen Dynamik unterliegt. Die Bezugsgröße und ihre Bestimmbarkeit sind in diesem Prozess nicht zwingend konstant, sondern müssen immer wieder neu angepasst werden. Im Alltag erleben wir, dass sich Kommunikation ereignet und dass sie nur eingeschränkt planbar ist. Eine Diskussion zum Beispiel wird als Gesamthandlung zuerst einmal von jemandem eröffnet, setzt sich in der Regel mit einem oder mehreren Themen auseinander und wird schließlich nach irgendeiner Modalität wieder beendet. Mikrostrukturell betrachtet passiert sehr viel mehr, als durch diese makrostrukturelle Beschreibung erfasst wird. So kann darüber gestritten werden, was zum Thema gehört und ob oder wie es im Rahmen eines solchen Themas behandelt werden soll. Die Diskutierenden selbst machen sich dabei nicht selten zum Thema, wenn sie die Expertise des Anderen anzweifeln oder die eigene hervorheben wollen. Sie können sich als Sympathisanten für ein Thema aussprechen und so eine Gruppenbildung ermöglichen, also Parteien entstehen lassen. Das gewählte Thema kann in ein anderes überführt werden. Diese und weitere denkbare Vorgänge erfolgen im Rahmen der aktuell verlaufenden Diskussion und werden von den Betroffenen nicht unbedingt bewusst wahrgenommen. 9.4 Kommunikation organisiert mehr als die Situation 182 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext Solange das Verhalten als sinnvoll empfunden wird, organisiert sich der Prozess wie von selbst. Dabei haben wir den Eindruck, über alle möglichen Themen reden zu können, wenn wir uns miteinander unterhalten. Faktisch ist aber feststellbar, dass beispielsweise in einem Büro bevorzugt über die eigene Befindlichkeit oder die des Anderen gesprochen wird oder der Unmut über Anweisungen des Vorgesetzten Thema ist. In Abhängigkeit zu den Gegebenheiten einer bestimmten Arbeitsumgebung spielt sich eine solche Kommunikation unter den Betroffenen ein. Es entwickelt sich eine Form, die das Verhalten für die Beteiligten ab- und einschätzbar macht. Sie selbst erleben die Situation dann als sinnvoll. Erklärung Was die Beteiligten tun, kann mithilfe einer Differenzoperation erklärt werden. Aus der Vielzahl dessen, was um sie herum geschieht, haben sie gelernt, das zu unterscheiden, was für sie im Hinblick auf eine bestimmte Bezugsgröße kontrolliert werden kann. Es gibt viel Geschäftigkeit, die um uns herum stattfindet, sie wird jedoch problemlos vom gesprochenen Wort unterschieden, wenn wir auf Sprache achten wollen. Das Sprachereignis selbst unterscheidet sich von vielen anderen, mit denen wir konfrontiert werden. Verschiedene Klassen von Ereignissen beeinflussen das gerade Gesprochene, beispielsweise ob es als Small Talk oder Beratung empfunden wird. Der Alltag stimmt die Akteure, wenn sie miteinander kooperieren, auf das Erkennen von Formen ein und sie verlassen sich gegenseitig darauf, dass der jeweiligen Form gemeinsam eine bestimmte Funktion zugeschrieben wird. Baecker glaubt, dass sich hier in der Gesellschaft generell wirksame Funktionen erkennen lassen, die er als Sinnfunktionen bezeichnet. Eine Sinnfunktion kann als eine Operation verstanden werden, bei der die Akteure das, was sie in einer Situation als Äußerung wahrnehmen, auf besondere Weise beobachten. Sie unterstellen Bezugsgrößen, von denen eine dem Geäußerten eine Bedeutung unterstellen kann. Wie angemessen eine solche Zuschreibung dann ist, hängt davon ab, ob es Indizien dafür gibt, dass der unterlegte Sinnzusammenhang auch von dem Anderen hergestellt werden konnte. Wenn das nicht so scheint, muss nach anderen Bezugsgrößen gesucht werden, wollen die Akteure nicht ein Scheitern der Kooperation riskieren. 01 A Wie geht es Dir E? 02 E Ich hätte Äpfel, Herr Doktor, dacht mir (1 Sekunde) geht so einigermaßen. So einigermaßen geht´s! ? Aber ich könnte noch eh wenig (2 Sekunden) noch eh wenig den dort hier! 03 A Das hier? 04 E Ja, das bitte. Und auch (1 Sekunde) die Zäpfen, Herr Doktor! Differenzbearbeitung Sinnfunktion 183 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext f ormen und f unKtIonen , dIe K ommunIKatIon erKennBar machen Einheit 9 05 A Ja klar! 06 E Ich will zweie nehmen, weil mit 30 is da 07 A Wofür nehmen Sie die? 08 E Na für die Schmerzen, gegen die Schmerzen 09 A Wo sind denn die Schmerzen? 10 E Na, die Beine! Die Beine bleiben immer die sind noch nie ohne Schmerzne gewesen, jetzt, die ganze Zeit. 11 A Seit dem Sturz Arzt-Patientengespräch: Gesprächsprotokoll Die Episode entstammt einem Forschungsprojekt über Arzt-Patienten- Gespräche mit älteren Personen. Es erfasst Hausbesuche. Das ärztliche Gespräch wird ganz konventionell mit der Frage nach dem Wohlbefinden der Patientin eröffnet. Damit spielt der Arzt auf eine Gesprächsordnung an, die zwischen Patient und Arzt üblich ist. Denn der Arzt ist Vertreter des Gesundheitssystems und seine Aufgabe ist es, „Störungen“ der Gesundheit nach Möglichkeit zu beheben. Der Sinn des Besuchs liegt darin, der Patientin zu helfen. Alles, was zwischen den beiden nun geäußert wird, kann von ihnen daraufhin geprüft werden, ob es zur Wiederherstellung der Gesundheit beiträgt. Baecker beschreibt dies als Form der Kommunikation, die er die Sinnfunktion System nennt. Sie erklärt, dass miteinander geredet wird, weil die Akteure einen vorfindlichen Zustand unbefriedigend finden und ihn verändern wollen. Daher muss darüber gesprochen werden, wie der erwünschte Zustand erhalten oder wiederhergestellt werden könnte. Das kann im sog. Haken-Kalkül dargestellt werden, bei dem im vorderen der Zustandserhalt als Reproduktion beschrieben wird. Dieser Zustand ist durch Störungen gefährdet, was im zweiten Hakten als Begriff notiert wird. Aufgrund dieser so geordneten Wahrnehmung werden den Akteuren Themen und Inhalte nahe gelegt und andere werden ausgeblendet bzw. unterdrückt. Die Beteiligten können nun das Verhalten des Anderen daraufhin beobachten, ob den speziellen Anforderungen genügt wird. Wenn das nicht (mehr) der Fall ist, braucht es weitere Operationen, die den Zustand wiederherstellen, oder die Kommunikation endet. Sinnfunktion System Sinnfunktion System (Baecker 2005, S. 153) Abb. 9.4 184 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext Laws of Form von Spencer-Brown führen ein Symbol für die Grenzziehung einer Unterscheidung ein, dargestellt durch das cross: . Dabei wird das, was links unten unter dem „Winkel“ steht, von allem anderen abgegrenzt (man kann sich das cross als geschlossenes Rechteck vorstellen). cross und blank page (eine leere Seite ohne Zeichen) sind die grundlegenden Ausdrücke für das Bestehen oder Nichtbestehen einer Spencer-Brown-Form. In Textdarstellungen wird die geschlossene Grenzziehung auch durch Klammern wiedergegeben: etwa durch [ ] oder < >, die leere Seite durch einen Punkt „.“ oder durch „{}“. Die allgemeine durch das cross angezeigte Form entspricht einer Grenzziehung, die einen Bereich von einem anderen trennt. Sie besagt so viel wie Hier-So! und dort - jenseits der Grenze - auf jeden Fall Nicht-So! Neben dem Winkel sind daher auch andere Symbole möglich, etwa eine Einkreisung. https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Gesetze_der_Form Haken Konvention Die Erwiderung der Patientin müsste der vorgeschlagenen Sinnfunktion folgen, also etwas über ihren Gesundheitszustand enthalten. Das tut sie aber zuerst einmal nicht, sondern die Patientin bietet dem Arzt einen Apfel an. Ein solches Verhalten kennen wir. Es ist ganz üblich, einem Gast etwas anzubieten und der Arzt ist bei seinem Hausbesuch nicht nur der Arzt, sondern auch Gast der Patientin. Wenn sie den Apfel anbietet, nutzt sie im Sinne des Konzepts von Baecker eine Sinnfunktion. Die Akteure schreiben sich bestimmte Eigenschaften zu, zeigen sich gegenseitig an, wie sie die Situation wahrnehmen. Dabei reden sie über sich und den anderen und können das solange tun, wie sie Themen und Inhalte finden, mit denen sie die hergestellte Situation erhalten. Der Arzt geht in der beschriebenen Szene aber auf das Angebot nicht ein. Der Fluss der Äußerung der Patientin stockt, dann tut sie das, was die Eröffnung in der Sinnfunktion System nahelegt: Sie redet über ihren Gesundheitszustand. Die Anschlusshandlung des Arztes zeigt, dass er diese Äußerung mit der initiierten Sinnfunktion bearbeiten will und präzisiert durch seine gestische Handlung, wie er weiter darüber reden möchte. Er verweist auf die schmerzhafte Stelle des Beines der Patientin. Sie macht dann auch umgehend mit ihrer Bitte um ein Medikament einen Lösungsvorschlag dafür, wie die „Störung“ behoben werden könnte. Darauf lässt sich der Arzt ein. Die nachfolgenden Äußerungen lassen sich mithilfe der genannten Sinnfunktion beidseitig bearbeiten. Offen ist noch die Frage, was mit dem Angebot der Patientin, sich als gute Gastgeberin zu zeigen, geschieht. Sie spielt später noch einmal darauf an. Der Arzt bleibt indes solange in der Sinnfunktion System, bis die dort als nötig angesehene Kommunikation abgeschlossen ist, d. h. bis er den Eindruck hat, alles getan zu haben, was das Wohlbefinden der Patientin sichert. Dann erst geht er auf ihr Angebot ein und verleiht sei- Beobachtungen zur Episode 185 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext f ormen und f unKtIonen , dIe K ommunIKatIon erKennBar machen Einheit 9 ner Bewunderung Ausdruck, dass sie trotz des Alters ihren Garten noch so gut pflegt. Damit lässt er ein wichtiges Thema zu, das zwischen einem guten Gast in einem Haus auf dem Land und dem Gastgeber üblich ist. Mit der Idee der Sinnfunktion gelingt es, Verständnis dafür zu gewinnen, was zur Kommunikation motiviert und wie sich aus der Vielfalt möglicher Verhaltensweisen einzelne als typisch erkennen lassen. Am Anfang der Kommunikation steht das Problem, dass von einem Anderen etwas gewollt wird, zu dem dieser nicht ohne weiteres bereit oder in der Lage ist. Im Sinne Luhmanns Systemtheorie wird das auf die Abgeschlossenheit des Bewusstseins- und psychischen Systems zurückgeführt und nur die Operationen der Kommunikation verschaffen den Zugang zum gemeinsamen Handeln. Die Sinnfunktionen beschreiben solche Operationen, die sich aufgrund sozialer Praktiken im gesellschaftlichen Leben herausgebildet haben und als Lösungsversuche für kooperatives Handeln im sozialen Raum fungieren können. Erfolg haben sie nur, wenn ihre Funktionsweisen sozial verankert sind. Das Strukturgefüge der einzelnen Sinnfunktionen kann unterschiedlich gestaltet sein. Es gibt eine Form der Kommunikation, welche Operationen zum Reden über die Zugehörigkeit zu Anderen organisiert. Baecker behandelt diese Problematik im Rahmen der Sinnfunktion Netzwerk. Die Kommunikation basiert darauf, dass es eine Verständigung darüber geben muss, wie die Mitgliedschaft Einzelner in einer Gruppe bestätigt wird. Kontrolliert werden soll, inwieweit der Einzelne eine Identität besitzt, welche den Normvorstellungen der Gruppe genügt. Die Kommunikation thematisiert mögliche Abweichungen von einem gemeinsamen Ziel. 01 A Guten Tag 02 B Guten Tag. 03 A Ich habe da ein Problem. Eigentlich bin ich schon im achten Semester, aber ich studiere erst jetzt richtig. Ich meine das Fach Kommunikation. Das ist sehr interessant. Ich hatte mich bei den Juristen eingeschrieben. Das war ziemlich schrecklich. Jetzt gefällt es mir. Aber hier ist jetzt ein Schreiben, dass ich nicht mehr darf. 04 B Sie haben Ihr Fach gewechselt? 05 A Ja, hab ich ja gesagt, in die Kommunikation und die schreiben jetzt, das geht nicht. 06 B Das Fach hat einen Numerus Clausus und es passiert schon, dass man nicht eingeschrieben werden kann. Sie sind regulär eingeschrieben? 07 A Wie meinen Sie das? 08 B Wann haben Sie sich auf das Fach beworben und wann wurde Ihnen mitgeteilt, dass Sie in die Kommunikationswissenschaft eingeschrieben worden sind und in welches Semester? 186 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext 09 A Ich studier seit dem letzten Wintersemester hier und habe drei Scheine gemacht und die waren ok. 10 B Das ist natürlich schön für Sie. Sie sind dann zum Wintersemester eingeschrieben worden? 11 A Ja, hab ich doch gesagt. 12 B Meine Frage war, ob Ihnen vom Studienbüro offiziell mitgeteilt worden ist, dass Sie in das neue Fach eingeschrieben wurden. 13 A Was hat das Studienbüro damit zu tun? Ich habe Herrn M gefragt, ob ich in die Kommunikation wechseln darf, und der hat gesagt, das gibt kein Problem und würde immer wieder gemacht. 14 B Ein solcher Wechsel von dem BA Jura zur Kommunikation ist nicht ungewöhnlich. Das stimmt. Sie bewerben sich offiziell darum und wenn ein Platz im Studiengang frei ist, wird er angeboten. Meistens gelingt das aber nicht im Wintersemester und dann muss man sich noch einmal bewerben. 15 A Aber ich habe doch die Scheine gemacht. 16 B Die sind nur gültig, wenn Sie in den Studiengang eingeschrieben sind. 17 A Das ist doch völlig bescheuert. Ich habe endlich gute Noten und mich interessiert das … Studienberatung: Gesprächsprotokoll Die Episode, der ein rekonstruierter Fall aus der Studienberatung zugrunde liegt, ist zuerst einmal ein Beispiel für die Wirksamkeit der Sinnfunktion System. der Student A sucht eine Studienberatung auf, weil es zu einer „Störung“ gekommen ist. Ihm wurde mitgeteilt, dass er kein Student mehr ist. Er erhofft vom Studienberater eine Lösung, die den alten Zustand wiederherstellt. Der Studienberater muss klären, ob der junge Mann wirklich noch den Status eines Studenten hat, den sich dieser selbst zuschreibt. Das Problem kann in der Sinnfunktion Netzwerk kommunikativ bearbeitet werden. Sie legt nahe, zuerst herauszufinden, welche Identität der Ratsuchende beanspruchen kann. Er kann sie nicht selbst bestimmen, sondern sie wird ihm durch die Bildungseinrichtung Universität zugesprochen. Das Gespräch offenbart, dass das Verhalten von A aber nicht der dort erwarteten Norm entspricht und das Ziel, das er verfolgt, deshalb nicht mehr mit den Zielen eines Studiengangs abgeglichen werden kann. Er hat sich in Lehrveranstaltungen angemeldet und dort erfolgreich gearbeitet, aber ohne Legitimation durch Zulassung zum Studienfach. Dass er glaubte, zugelassen zu sein, reicht nicht aus, um den Studentenstatus zu erwerben. Damit besitzt er auch keinen Rechtsanspruch auf Anerkennung dessen, was er in den Seminaren geleistet hat. Er ist zum genannten Zeitpunkt definitiv kein Mitglied der Bildungseinrichtung mehr. Beobachtungen 187 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext l Iteratur Einheit 9 Der systemtheoretische Ansatz scheint im Kontext herkömmlicher Kommunikationsvorstellungen irritierend, weil von demjenigen, der kommuniziert, abstrahiert wird. In der Linguistik gelang der wissenschaftliche Durchbruch, weil erkannt wurde, dass Sprache gewissermaßen unabhängig vom einzelnen Sprecher funktioniert. Der Gedanke der langue als dem von Einzelsprecher unabhängigen Sprachsystem erlaubt es, sich der Strukturen und Operationen bewusst zu werden, die Sprache den Einzelnen erst möglich machen. Sie ist als Medium deshalb so mächtig, weil sie Operationen entwickelt hat, die wie selbstverständlich von allen einer Sprachgemeinschaft genutzt werden und deshalb eine elaborierte Verständigung schaffen. In der Wissenschaftsgeschichte war das ein erkenntnisreicher Schritt. Für die Theorieentwicklung der Kommunikation kann das auf ganz ähnliche Weise gesehen werden. Kommunikation nicht von der Leistungsfähigkeit des Einzelnen her zu denken, sondern als Bedingung für soziales Handelns zu verstehen. Zusammenfassung Literatur Baecker, Dirk (2005): Form und Formen der Kommunikation. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Brock, Ditmar; Junge, Matthias; Diefenbach, Heike; Keller, Reiner; Villányi, Dirk (2009): Soziologische Paradigmen nach Talcott Parsons. Eine Einführung. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften. Kiss, Gábor (1990): Grundzüge und Entwicklung der Luhmannschen Systemtheorie. 2., neu bearb. Aufl. Stuttgart: Enke. Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Luhmann, Niklas (1995a): Die Soziologie und der Mensch. Opladen: Westdt. Verl. (Soziologische Aufklärung, / Niklas Luhmann; 6). Luhmann, Niklas (1995b): Soziologische Aufklärung. Wiesbaden: VS , Verl. für Sozialwiss. Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Miller, George A.; Galanter, Eugene; Pribram, Karl H. (1960): Plans and the structure of behavior. New York NY : Holt Rinehart and Winston. Parsons, Talcott (1967): Sociological theory and modern society. NY : Free Press. Spencer-Brown, George; Wolf, Thomas (1997): Laws of form. Gesetze der Form. Internat. Ausg. Lübeck: Bohmeier. Online verfügbar unter http: / / www.gbv.de/ dms/ fazrez/ F19971014LAWS---100.pdf. Watzlawick, Paul (1969): Menschliche Kommunikation Formen, Störungen, Paradoxien. Bern u. a.: Huber. 9.5 188 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext Weiterführende Literatur Baecker, Dirk (2013): Beobachter unter sich. Eine Kulturtheorie. 1. Aufl. Berlin: Suhrkamp. Berghaus, Margot (2012): Luhmann leicht gemacht. 3. Aufl. Stuttgart, [s.l.]: UTB GmbH; Böhlau Köln. Krause, Detlef (2001): Luhmann-Lexikon. Eine Einführung in das Gesamtwerk von Niklas Luhmann; mit-… über 500 Stichworten. 3., neu bearb. und erw. Aufl. Stuttgart: Lucius. Watzlawick, Paul; Kreuzer, Franz (2007): Die Unsicherheit unserer Wirklichkeit. Ein Gespräch über den Konstruktivismus. 11. Aufl., ungekürzte Taschenbuchausg. München, Zürich: Piper (Serie Piper, 742). Problemstellung und Fragen 1. Die Palo Alto Schule hat einen offenen Systembegriff entwickelt. Was kritisiert Luhmann an diesem Ansatz? Welches Konzept setzt er dem entgegen? Warum ist das soziale System für das Verständnis von Kommunikation im Sinne Luhmanns so zentral? (Vgl. 9.1) 2. Kontingenz wird als ein im Rahmen der Kommunikation zu lösendes Problem angesehen. Was beinhaltet der Ausdruck? 3. Spencer-Brown sieht einen Lösungsweg für die Kontingenz darin, den Zusammenhang zwischen dem, was gesehen wird, und dem, was das Sehen auslöst, aufzudecken. Wann rückt das Phänomen der Differenz zwischen beidem für Akteure ins Bewusstsein? Wie reagieren sie darauf ? Wie vorhersehbar scheinen die Inhalte und Themen? (Vgl. 9.2) 4. Was ist das Andere am Kommunikationsbegriff der Systemtheorie? (Vgl. 9.1-2) 5. Der Begriff der symbolisch generalisierten Medien ist nicht unumstritten. Was wird von Medientheoretikern daran kritisiert und wo lassen sich Anknüpfungspunkte für kommunikatives Verhalten im Alltag finden? Was wären typische Beispiele dafür? (Vgl. 9.3) 6. Baecker erarbeitet sein Kommunikationskonzept auf der Basis von Typen von Differenzoperationen und nennt sie Sinnfunktionen. Gesprächspartner organisieren mit ihrer Hilfe die Inhalte ihrer Kommunikation. Im Alltag wird oft über das Verhalten eines Anderen gesprochen. Was sind oft die Auslöser dafür und welche Sinnfunktion setzt sich damit auseinander? (Vgl. 9.4) 7. Eine interessante Frage ist, was geschieht, wenn die Beteiligten den Differenzhintergrund nicht finden. Öffnet das der Gewalt Tür und Tor? 9.6 Die Rolle der Akteure Inhalt 10.1 Dynamik gesellschaftlicher Systeme und ihre Folgen für die Kommunikation 190 10.2 Kommunikation in Netzwerken 193 10.3 Annäherung an den Akteur 199 10.4 Die Sichtbarkeit der Kommunikation 203 10.5 Literatur 206 10.6 Problemstellung und Fragen 207 Die kommunikative Praxis wird als dynamisch, labil oder fluid erlebt, gleichzeitig gibt es Verhältnisse, in denen sie formal und mechanisch vollzogen wird. Sie muss daher in Abhängigkeit zu verschiedenen Variablen betrachtet werden. Zentral ist der Adressat, an den sich die Kommunikation wendet. Die gegenwärtige Gesellschaft kennzeichnet sich durch eine Vielfalt von Nutzern und Nutzerkreisen, die jeweils eigene Bedingungen formulieren und praktizieren. Diesen lassen sich Typen von Bearbeitungsroutinen und -strategien zuordnen, wie Wirklichkeitsbezüge hergestellt werden können und wie darüber gesprochen werden kann. Dabei lassen sich Gruppen als Netzwerke erkennen, die diese Umgangsformen kultivieren. Das berührt einerseits übergeordnete Bedingungen durch gesellschaftliche Vorgaben (Systemtheorie) und andererseits das individuelle Verhalten einzelner Akteure beim Vollzug einer Aktivität (Akteurstheorie). Ein Problem bei dieser Diskussion ist, wo wird was in der kommunikativen Praxis sichtbar und wie sicher kann sich der Beobachter dessen sein. Überblick 189 t heorIeBIldungen üBer das KommunIKatIVe h andeln und der gesellschaftlIche K ontext P roBlemstellung und f ragen Einheit 10 Die Rolle der Akteure Inhalt 10.1 Dynamik gesellschaftlicher Systeme und ihre Folgen für die Kommunikation 190 10.2 Kommunikation in Netzwerken 193 10.3 Annäherung an den Akteur 199 10.4 Die Sichtbarkeit der Kommunikation 203 10.5 Literatur 206 10.6 Problemstellung und Fragen 207 Die kommunikative Praxis wird als dynamisch, labil oder fluid erlebt, gleichzeitig gibt es Verhältnisse, in denen sie formal und mechanisch vollzogen wird. Sie muss daher in Abhängigkeit zu verschiedenen Variablen betrachtet werden. Zentral ist der Adressat, an den sich die Kommunikation wendet. Die gegenwärtige Gesellschaft kennzeichnet sich durch eine Vielfalt von Nutzern und Nutzerkreisen, die jeweils eigene Bedingungen formulieren und praktizieren. Diesen lassen sich Typen von Bearbeitungsroutinen und -strategien zuordnen, wie Wirklichkeitsbezüge hergestellt werden können und wie darüber gesprochen werden kann. Dabei lassen sich Gruppen als Netzwerke erkennen, die diese Umgangsformen kultivieren. Das berührt einerseits übergeordnete Bedingungen durch gesellschaftliche Vorgaben (Systemtheorie) und andererseits das individuelle Verhalten einzelner Akteure beim Vollzug einer Aktivität (Akteurstheorie). Ein Problem bei dieser Diskussion ist, wo wird was in der kommunikativen Praxis sichtbar und wie sicher kann sich der Beobachter dessen sein. Überblick 190 d Ie r olle der a Kteure Die Dynamik gesellschaftlicher Systeme und ihre Folgen für die Kommunikation Kommunikationspraxis entwickelt Formen, die untereinander bekannt und akzeptiert sein müssen, um die soziale Wirklichkeit herzustellen und sie bewältigen zu können. Das bedingt Vielfalt. Für das Beschreiben und Verstehen von Kommunikation ist es daher nötig, sich der damit verbundenen Dynamik zu stellen. Denn abhängig vom jeweils sozial oder kognitiv zu lösenden Problem müssen sich Formen bewähren bzw. neu herausbilden und der Erprobung im konkreten Handeln standhalten. Um die Kommunikation verstehen zu lernen, reicht es deshalb nicht aus, nur Fragen des Sprecherwechsels strukturell zu beobachten oder Annahmen darüber zu prüfen, ob ein sprachliches Mittel psychologisch gesehen als höflich oder unhöflich wahrgenommen werden kann bzw. eine sprecher- oder sachbezogene Redeweise Hinweise auf Einstellungen des Gesprächspartners bietet. Es ist grundsätzlich mitzubedenken, was es bedeutet, wenn Individuen gesellschaftlich handeln und wie sich Kommunikation dabei bewährt. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, wie Akteure mit ihnen bekannten Formelementen auf neue reagieren. So schafft das Internet die Möglichkeit, spontan mit einer Vielzahl von „Adressen“ in Verbindung zu treten. Die Kommunikation hat Formen für den Brief und dann die E-Mail entwickelt, durch die der situative Erwartungshorizont abschätzbar geworden ist, obwohl das Gegenüber nicht im Gesichtsfeld des Angesprochenen agiert. Zwischenzeitlich haben sich neue Kontaktmöglichkeiten in Foren und allgemein sozialen Netzwerken eröffnet, bei denen die Erwartbarkeit dessen, was kommunikativ geschieht, noch nicht oder noch nicht ausreichend herausgebildet worden ist. Eine grundlegende Frage ist, wie soziale Systeme vorzustellen sind, die die Vielfalt des gesellschaftlichen Alltags und der alltäglichen Kommunikation widerspiegeln sollen. Willke schlägt vor, von poly-zentrischen und poly-kontexturalen Netzwerken her auf Gesellschaften zu schließen. Gemeint ist damit, dass sich Interessen um verschiedene Zentren herum vereinen und mit ganz unterschiedlichen Hintergründen verknüpft werden können. Erklärung Solche Netzwerke sind autonom und zugleich strukturell gekoppelt, d. h. sie folgen ihren eigenen Regeln, obwohl sie unter Umständen auf dieselbe Umwelt reagieren. Während Luhmann gesellschaftliche Ordnung aus der Koexistenz strukturell, in selbstreferentieller Geschlossenheit operierender gesellschaftlicher Teilsysteme erklärt und keine Notwendigkeit für Steuerung anerkennt, betont Willke (2014) die Erfordernis eines steuernden, die Selbststeuerung 10.1 Eigendynamiken Poly-zentrische und poly-kontexturale Netzwerke 191 d Ie r olle der a Kteure d Ie d ynamIK gesellschaftlIcher s ysteme und Ihre f olgen für dIe K ommunIKatIon Einheit 10 der einzelnen Teilsysteme überwölbenden, Eingreifens in evolutionäre, gesellschaftliche Abläufe. Nötig dazu sind komplementäre Prozesse der Integration. Der universitäre Alltag konfrontiert die Lehrenden und die Studierenden mit einer Reihe von Phänomenen. Da gibt es Forschungszentren, Lehrverbünde, Verwaltungsgremien, Lehrstühle und Institute. Diese beschäftigen sich mit Wissensgebieten ganz unterschiedlicher Art, unterrichten Studenten aus verschiedenen Fächern, müssen über Zulassungen zu Prüfungen oder über das Anerkennen von Abschlüssen befinden, treten als Personen auf, die für sich eine besondere Expertise einfordern oder Mitglieder einer Einrichtung sind. Diese unterschiedlichen Einrichtungen mitsamt den einzelnen Mitarbeitern existieren nebeneinander, obwohl sie sich gegenseitig beeinflussen, wobei Letzteres nicht unbedingt bewusst wahrgenommen wird bzw. versucht wird, die wechselseitige Beeinflussung zu verhindern. Dass es sich bei solchen universitären Einrichtungen um Systeme handelt, zeigt sich an den eigenen Regeln des Umgangs miteinander, also an ihren entsprechenden Verordnungen. Probleme der Heterogenität treten institutionell oder individuell auf, zu lösen sind sie kommunikativ. Diese Systeme brauchen, soll es nicht zu Widersprüchen und Konflikten kommen, Mittel, die das Austarieren im Fall von Heterogenität erlauben. Der universitäre Alltag kennt beispielsweise Evaluationspraktiken mit Externen, also Personen, die nicht in die Prozesse involviert sind. Soziologisch wird der allmähliche Verlust der Passförmigkeit als ein Integrationsdilemma beschrieben. Denn die genannten möglichen Systeme lassen sich nicht ohne weiteres aufeinander abstimmen. Zu beobachten ist das Prinzip der funktionalen Differenzierung mit steigender Spezialisierung und gleichzeitiger thematischer Verengung der Funktionen. Das bedingt eine Zunahme von Interdependenzen: Teile brauchen andere, um funktionieren zu können. Prüfungen sind ohne dazugehörende Lehrveranstaltungen nicht möglich, zumindest nicht sinnvoll. Andererseits lässt das Prinzip der operativen Geschlossenheit Autonomie, Indifferenz und Rekursivität der Subsysteme anwachsen. Prüfungspraktiken haben ein Eigenleben und lassen sich nur schwer hinterfragen, wenn sie sich eingespielt haben und eine Änderung führt schnell zu nicht beabsichtigten Nebeneffekten, wie einer Verschärfung der Prüfungssituation. Die Konsequenz daraus ist die Zunahme von Komplexität der Organisationsstruktur, was mit der Folge von Intransparenz verbunden ist und die Unvorhersehbarkeit der Systemdynamik nach sich zieht sowie die Zunahme von Risiken erhöht. Ferner besteht die Notwendigkeit, dass die Systeme innerhalb der Universität so aufeinander abgestimmt sind, dass sie eine Einheit bilden. Deshalb Mehrschichtige und divergierende Interessen-Verbünde Interessenkollision Interessendiversikation Helmut Wilke (1945) Abb. 10.1 Soziologe, Professor für Global Governance und Vizepräsident für den Bereich Forschung an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, Schwerpunkte: soziologische Systemtheorie und Wissenssoziologie 192 d Ie r olle der a Kteure versuchen sie aufeinander Einfluss zu nehmen und Tätigkeits- und Interessenbereiche abzugleichen, sodass Dopplungen oder Widersprüche in Anforderungen vermieden werden. Gleichzeitig ist zu beobachten, wie sich die einzelnen Systeme nach internen Regeln zunehmend ausdifferenzieren. Dieser Umstand führt nicht selten dazu, dass Erwartungen an die Mitglieder der Einrichtung gestellt werden, die gar nicht einlösbar sind. Innerhalb eines Systems, nehmen wir ein Studienfach wie Anglistik, ist Latein grundlegende Voraussetzung für die Promotion, ein anderes ihm nahestehendes, wie die Germanistik, erhebt diese Forderung nicht. Die Promotion erfolgt an einer Fakultät. So entsteht ungewollt ein Optionen-Reichtum in einem System, der zu Widersprüchen mit Teilsystemen führen kann. Die Vielfalt der Optionen zwingt die Betroffenen zu einer Kontingenz-Kontrolle, d. h. sie müssen die Verträglichkeit und Durchführbarkeit ihrer Entscheidungen überprüfen. Auf Grundlage der willkürlich wirkenden Angebote muss eine Wahlstrategie entwickelt werden, die trotz der Umstände die Studierbarkeit des Faches sichert. Um das Risiko, inkompatible Optionen zu wählen, zu verringern, muss sich der Student selbst beschränken. Aus der Vielzahl der Möglichkeiten kann er nur solche auswählen, die eine „Umweltverträglichkeitsprüfung“ bestehen, d. h. es erfolgt eine Bilanzierung: Nicht alles, was für das Studium interessant sein könnte, kann auch wirklich gewählt werden. Gefragt wird nicht mehr, was man studieren könnte, sondern nur noch, was als Studienleistung anerkannt wird. Eine solche Selbstbeschränkung und Selbstbindung ist ohne die Fähigkeit zur Selbstreflexion nicht möglich. Mithilfe von (Selbst-)Beobachtungen wird es möglich, vorausschauend Veränderungen zu prüfen und virtuelle Identitäten durchzuspielen. Über ein bloßes Anpassungsverhalten hinausgehend kann sich so ein System mithilfe von Lernprozessen und Selbsterziehung entwickeln. Die reale Kommunikation schafft die Bedingungen dafür, indem sie immer wieder Kontexte ins Spiel bringt, die wie ein Relationierungsprogramm funktionieren, d. h. durch permanent wechselnde situative Anforderungen müssen sich Formen und Funktionen der Kommunikation bewähren. Erklärung Treten Unstimmigkeiten auf, liegt es nahe, nach einer besseren Passung zwischen Systemen und ihrer Umwelt zu suchen. Es bedarf einer Reflexion. Baecker (2005, S. 152-161) modellierte solche Probleme mithilfe von Sinnfunktionen. Sie schaffen bzw. ordnen die Kommunikationsbedingungen, um Relevanz setzen und beobachten zu können und damit herauszufinden, welche Handlungen zur Stabilisierung oder Destabilisierung eines bestehenden und aktiven (Teil-)Systems beitragen. Eine Sinnfunktion kann beispielsweise Kontingenz-Kontrolle Sinnfunktionen 193 d Ie r olle der a Kteure K ommunIKatIon In n etzwerKen Einheit 10 klären, ob etwas als Varietät des Bestehenden anzusehen ist oder etwas weiterführendes Neues bedeuten kann. Dabei bedarf es der Prüfung, inwieweit das bisher Bekannte mit dem Neuen verträglich ist. Die Funktion Evolution beispielsweise wählt aus dem Pool möglicher Varietäten die, welche im Verhältnis zum Bisherigen als die bessere Passung zur perzipierten Umwelt akzeptiert wird. Ein sehr einfaches Beispiel dafür ist der Bedeutungswandel von Wörtern. Sie unterliegen durch den täglichen Gebrauch und den Umgang mit einer zum Teil ganz neuen Umwelt ständigen Veränderungen. War im Mittelalter Weib die Bezeichnung für eine ehrenwerte und verheiratete Frau, änderte sich das in der Neuzeit; es wurde nun das Wort Frau für Weib verwendet und Weib wurde zu einem Schimpfwort. Solche Veränderungen lassen sich als Prozesse beschreiben, bei denen etwas zuvor Gegebenes variiert und diese Variation daraufhin beobachtet wird, ob sie noch mit dem Gegebenen in einem Zusammenhang steht oder eine Veränderung nötig ist. Darüber kann nicht ein Einzelner befinden, sondern das wird durch Kommunikation miteinander geklärt. Ein interessanter, wenn auch komplizierter Fall ist das Beispiel der Akkreditierung von Studiengängen. Diese Vorgänge folgen einer Logik, die an der jeweiligen Universität entwickelt und praktiziert wird. Werden die Studiengänge Personen(gruppen) vorgelegt, die nicht personell mit der Einrichtung in Verbindung stehen, an der diese Studiengänge abgehalten werden, lösen sich die Ordnungen aus dem bisherigen kommunikativen Kontext und müssen sich im nun veränderten bewähren. Die auswärtige Personengruppe nutzt ihre eigene Perspektive auf die Studienordnungen und eröffnet durch diesen Blick von außen einen Prozess, bei dem unbestimmt bleibt, welche Bewertung sie gegenüber den Ordnungen vornimmt. Es kommt zu einem Prozess, der eine neuerliche Justierung erforderlich macht. Die Ziele der jeweiligen Gruppen werden im Hinblick auf eine gemeinsame oder sich widersprechende Norm kommuniziert. Kommunikation in Netzwerken Netzwerke sind ein Phänomen moderner Gesellschaften. Bommes und Tacke (2011, S. 40) beschreiben sie als funktional ausdifferenziert. Der Charakter ändert sich seit dem Wandel von segmentär differenzierten Stammeszu stratifizierten Feudalgesellschaften. In Letzteren gilt, dass soziale Beziehungen durch Zuordnung zu gesellschaftlichen Segmenten, Schichten oder Ständen vorgegeben werden. Moderne Gesellschaften schreiben, wie Luhmann (1984, S. 543-544) hervorhebt, die Sozialbeziehungen nicht mehr zwingend vor. Für die Kommunikation bedeutet das, dass die Alltagskommunikation von vielen Funktionen entlastet werden kann und nicht vom gesellschaftlichen Gesamtsystem dominiert wird. Fallbeispiel 10.2 194 d Ie r olle der a Kteure In totalitären Staaten werden möglichst alle Kommunikationsformen kontrolliert, um sich der Herrschaft über alle zu vergewissern. Offene Gesellschaften lassen Freiheiten in vielen Bereichen zu. Das bedingt die Öffnung eines Raumes zur Bildung von Verbänden, die unterhalb der gesellschaftlich ausdifferenzierten Funktionssysteme agieren. Fassbar wird dieser Umstand an der Struktur der Adressierung. Die Person wird „poly-kontextural“, d. h. sie hat Anteil an ganz unterschiedlichen Kontexten. Tacke (2000, S. 293) beschreibt, wie Netzwerke eine polykontexturale Adressierung nutzen, um so Netzwerke mit Netzwerken zu verknüpfen. In der Wissenschaft können sich Fachleute aus der Soziologie, Politologie und Kommunikationswissenschaft zusammentun, um, wie Fuhse (2014, S. 302-314) diskutiert, Phänomene, die in der Einzeldisziplin nicht angemessen beschrieben werden, durch eine solche Kooperation neue Erklärungsansätze zu finden. Das Funktionssystem einer Einzeldisziplin kann dabei in Teilen außer Kraft gesetzt werden. Die neuen Netzwerke bilden so unter Umständen eine querliegende Struktur zu den bestehenden Funktionssystemen. Kommunikationskontrolle Netzwerke Abb. 10.2 Veronika Tacke (* 1961) Abb. 10.4 Soziologin, seit 2004 Professorin für Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld, zuvor in Florenz und Luzern, Schwerpunkte: Systemtheorie und Neztwerke, Kooperation mit dem Soziologen Michael Bommes (1954-2010), der eine Professur für Methodologie in Bielefeld innehatte 195 d Ie r olle der a Kteure K ommunIKatIon In n etzwerKen Einheit 10 Netzwerke sind besonders wichtig, wenn innerhalb eines Funktionssystems Widersprüche und Ungereimtheiten auftreten. Sie können aufdecken, dass bestimmte Akteure ein Verhalten zeigen, das zu eingespielten Gepflogenheiten nicht passt. Der bestehende Wissenschaftscode würde das nicht erfassen. So lässt sich beobachten, wie beispielsweise Streit über empirische und interpretative Methoden dazu beitragen kann, dass sich Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen gegenseitig weiterbringen, wenn sie im Kontakt nicht nur das Konfliktpotential, sondern eine Bereicherung sehen. Erklärung Offenkundiger wird diese Art des Vorgehens im Bereich Kunst. Anheier et al. (1995) beobachteten, wie der Wert eines Kunstwerks sich erst aus dem Wechselspiel mit anderen Künstlern entwickelt, was nur in Netzwerken geleistet werden kann. So wurde die Entwicklung des Expressionismus und seine Abgrenzung von anderen Formen der Kunst stark durch Gruppen wie den Blauen Reiter initiiert. Die Bildung poly-zentrischer und poly-kontexturaler Gemeinschaften, wie sie Willke (2006) im Blick hat, ist der Ausdruck einer auf Differenzierung ausgerichteten Gesellschaft. Diese Gesellschaft setzt sich zusammen aus Individuen, Organisationen oder nicht näher charakterisierbaren Akteuren als Vertretern von Systemen. Sie sind der Motor für die Dynamik der beste- Poly-kontexturale Gemeinschaften Netzwerke (Weyer 2011, S. 116-117) Abb. 10.3 196 d Ie r olle der a Kteure henden Systeme und die Quelle für deren Veränderungen. Auch das Entstehen von Systemen basiert auf solchen Initiativen. In der Forschungsdiskussion über die Systemtheorie wird dieser ein Empirie-Defizit vorgehalten. Tatsächlich ist ihr die Abstraktion von solchen Geschehnissen ein besonderes Anliegen. Damit werden gesellschaftliche Phänomene, die den Alltag bedingen, jedoch möglicherweise außer Acht gelassen, wie Willke (2014) betont. Die Netzwerktheorie stellt nach Jansen (2014) die Akteure in den Fokus und abstrahiert nicht von ihnen. Damit eröffnet sie den Blick auf reale Verhältnisse. Für Fuhse (2014, S. 302-314) beschreibt sie konkrete Beziehungsverhältnisse und die sie begründenden Leitmotive und Normen, womit sie das Einzelgeschehen überschreitet. Netzwerke entstehen zwischen Freunden, Bekannten oder Kollegen. Sie sind nach dem Konzept von Luhmann auf der Ebene der Interaktionen angeordnet und in Organisationen wirksam. Die können selbst wieder Knoten in Netzwerken bilden, wenn sie sich in Verbänden zusammenschließen. Sie treten zum Beispiel als Zulieferer-Netzwerke in Branchen in Erscheinung und sind auch auf der Ebene der Gesellschaft und in deren einzelnen Funktionssystemen zu beobachten. Soziale Systeme werden in der Tradition der Systemtheorie Luhmanns als autonom beschrieben. Sie haben ihre eigene Logik im selbstreferentiellen Anschluss von Kommunikation zu Kommunikation. Soziale Prozesse zeichnen sich durch ihre Selbstläufigkeit und Eigengesetzlichkeit aus und sie werden in der Theorie nicht als Handlungen von Individuen beschrieben. Netzwerke erzeugen eine andere Perspektive, geforscht wird nach den Operationen einzelner Akteure, die neue Verbindungsmöglichen suchen. Die Akteure treten daher in der Denkweise der Graphentheorie als Knoten in einem Netz auf. Im Modell des sozialen Systems wird davon abstrahiert. Die Konkretheit der Netzwerktheorie erlaubt demgegenüber eine Forschung vor Ort unmittelbar bei den beteiligten Akteuren. Die Systemtheorie fordert die überindividuelle Wirksamkeit der Formen und sieht darin die Garantie für die Verallgemeinerung des Deutungspotentials. Andererseits lehrt aber die tägliche Erfahrung, dass sich der Andere ebenso gut entgegen aller Erwartungen verhalten kann. Damit unterliegt die mit einer Form verbundene Erwartungshaltung einer ständigen Prüfung, wie sie im Konzept der Netzwerke beschrieben werden kann. Denn um Willkür einzugrenzen, muss auf der Ebene der Akteure gehandelt werden; das kann im Rahmen eines Netzwerks erfolgen, weil sich dieses aufgrund von Gemeinsamkeiten einer Norm konstituiert. Erklärung Zur Verhältnisbestimmung von Netzwerk und System gibt es verschiedene Ansätze. Es gibt Versuche, Netzwerke im Systemzusammenhang zu definie- Netzwerkbildung Netzwerk versus System 197 d Ie r olle der a Kteure K ommunIKatIon In n etzwerKen Einheit 10 ren und sie als komplementäre oder sekundäre Systeme zu verstehen oder als eine Weiterentwicklung der Systemtheorie zu konzipieren. Netzwerke sind dann ein besonderer Typ eines sozialen Systems. Als ein Beispiel dafür nennt Teubner (1992, S. 203-204) das Organisationsnetzwerk, welches eine eigenständige Ordnung bildet. So werden Eigenschaften der Vertragsbeziehungen mit denen von formalen Organisationen verbunden. Es entsteht je nach Sichtweise ein Marktnetzwerk oder ein Organisationsnetzwerk- - das kann entweder ein Zulieferersystem oder ein Konzern sein. Die beteiligten Organisationen sind auf eine besondere Weise miteinander verbunden. Neben Autonomie ist eine kooperative Bindung möglich. Beides kann mit Operationen unterlaufen werden, bei denen Handlungen den einzelnen Akteuren und zugleich auch dem Gesamtnetzwerk zugeschrieben werden. Soll an einer Universität ein neuer Studiengang entwickelt werden, beginnt dieses Vorhaben mit einer Phase der Kontaktaufnahmen, es werden Personen angesprochen, denen unterstellt wird, sich darin engagieren zu können. So bildet sich ein Netz aufgrund gegenseitiger Interessen, was im Sinne der Kommunikation auf der Kontrolle gemeinsamer Ziele und sie möglicherweise bedingender Normen basiert. Solche Vorgänge sprechen sich herum und es passiert nicht selten, dass Alternativen initiiert werden und konkurrieren, sodass erkennbar wird, wer ausgeschlossen bleibt. Eine Außengrenze wird sichtbar und das Netzwerk wird von anderen unterscheidbar. Solche Verhältnisse sind empirisch beobachtbar und der Zugang stützt sich dann auf Beschreibungen und Erzählungen über vorfindliche Verhältnisse in den verschiedenen Einrichtungen. Die Kommunikation kann dieses Handeln als Bestätigung des Netzwerks verorten oder eben nicht, weil die Ziele und ihre Begründungen differieren. Verfolgt wird eine Perspektive, bei der das besondere Interesse Netzwerken zwischen Personen gilt. Sie lassen sich im Hinblick auf das Zusammenspiel mit Funktionssystemen wie Wirtschaft, Politik und Recht beobachten. Soziale Netzwerke sollten davon unterschieden werden. Dieser Typ von Netz schafft die Möglichkeit gegenseitiger Gefälligkeiten, die als Form sekundärer Ordnungsbildung beschrieben wird. Damit verbunden ist eine Eigendynamik zur Strukturbildung. Man lernt den Anderen aufgrund eines bestehenden Funktionssystems kennen und eröffnet sich so weitere Optionen für eine Kooperation. Diese kann sich aus dem Funktionssystem herauslösen und als eigene sekundäre Struktur verfestigen. Tacke (2000, 307; 312-313) spricht von einer parasitären Nutzung von Funktionssystemen. Dort bestehende Formen der Kommunikation können parasitär weiter benutzt werden. Es stellt sich dann die Frage, ob das Auskoppeln der sekundären Struktur das Benutzen anderer Systeme weiterhin möglich macht. Netzwerk vs. Soziale Netzwerke 198 d Ie r olle der a Kteure Netzwerke werden in der allgemeinen Diskussion als Ergebnis und Prozess strategischen Handelns von Akteuren verstanden, deren Aktivität die selbstorganisierte Koordination darstellt. Das bedeutet: Netzwerke bilden ein Zwischenglied zwischen der Ebene der Institutionen und den konkreten Handlungen. Erklärung In der Sozialtheorie wird dieser Vorgang nach Jansen (2014) in einem Mikro- Makro-Modell simuliert. Für Hollstein (2016, S. 11-35) können Netzwerke die Übergänge erklären, die zwischen der Handlungs- und der Strukturebene zu beobachten sind. Vernetzung ist ein bevorzugter Mechanismus in der modernen Gesellschaft. Die Kooperation heterogener Akteure schafft Innovationspotential. Die temporäre Stabilisierung der damit verbundenen Praktiken bildet die Voraussetzung für gesellschaftliche Institutionen. Das Neue, das durch die Form der Zusammenarbeit entsteht, basiert auf neuartigen Praktiken, die über das Netz selbst hinausgehen und auf andere Bereiche ausstrahlen. Die Kooperation und die damit verbundene Kommunikation unter Ingenieuren, Politologen und Sozialwissenschaftlern bei der Entwicklung eines Schiffes erzeugen für die Kooperationspartner ganz neue Themen und Perspektiven auf ihren bisherigen Arbeitsalltag. Sie müssen sich gegensei- Betina Hollstein (* 1966): Professorin für Soziologie an der Universität Bremen, Schwerpunkte: Qualitative Methoden und Mikrosoziologie Netzwerke als Mikro- Makro-Schanier (Weyer 2011, S. 63) Abb. 10.5 199 d Ie r olle der a Kteure d as a KzePtIeren der a KteurswIrKlIchKeIt Einheit 10 tig zuerst ihre Sicht auf die Dinge erklären. Dieser (Mehr-)Aufwand wird dadurch motiviert, dass es für sie nicht mehr beherrschbare Problemfelder gibt und sie die Erwartung haben, sie mithilfe der Anderen zu bewältigen. Dieses Aufdecken der eigenen Befindlichkeit und der damit verbundenen Begrenztheit im Handeln kann zur Bildung eines gemeinsamen Handlungsrahmens führen, von dem her Lösungswege entwickelt werden. Netzwerke können deshalb auch als ein Mechanismus für die Sozialintegration angesehen werden. Das Akzeptieren der Akteurswirklichkeit Die Netzwerk-Diskussion hat deutlich gemacht, dass ein Ausblenden der Handlungsebene, wie es die Systemtheorie fordert, den empirischen Zugang zur Kommunikation verstellt. Kommunikation erzeugt eine Dynamik, die erst auf der Handlungsebene sichtbar gemacht werden kann, so dass eine Modellbildung des Geschehens vor Ort unabkömmlich erscheint. Für Esser (2002) ist die Akteursrolle zentral. Er integriert sie in eine Akteurstheorie, die einerseits an Raum und Zeit und damit den Augenblick gebunden ist; andererseits ist der Akteur stets Teil der Gesellschaft und der mit ihr verbundenen Ideen, die eben über das Denken des Augenblicks hinausreichen und sein situatives Verhalten mitbestimmen. Der Akteur ist immer Teil einer sozialen Situation, die durch sein Handeln sichtbar wird. Er nutzt dabei allgemeines Erfahrungswissen einer Gemeinschaft, die ihm den Handlungsraum gewährt. Bei pädagogischen Handlungen tritt immer wieder der Fall ein, dass ein Pädagoge das Verhalten eines Kindes spontan dahingehend zu bewerten hat, ob zum Beispiel disziplinarisch interveniert werden muss oder nicht. Hat der Lehrer wenig Erfahrung mit einem Kind, entscheidet er sich möglicherweise, in dieser Situation wie bei anderen Kindern zu verfahren. Esser spricht in solchen Fällen vom Problem der Bounded Rationality. Der Akteur verfügt im Moment der Entscheidung nur über beschränkte Informationen. Die Konsequenz daraus kann sein, dass statt des Maximizing nur ein Satisficing bei der Bewältigung der Situation möglich ist, d. h. die Handlungsmöglichkeiten werden aufgrund der realen Bedingungen der Situation eingeengt. Das Maximum ist nicht zu erreichen, weil die benötigten Informationen in diesem Augenblick nicht verfügbar sind. Erklärung Ein Akteur steht, wenn er kommuniziert, daher immer vor einem besonderen Problem: Er findet etwas vor und er erzeugt durch seine Kommunikation eine Situation, die sich dann im weiteren Verlauf bewähren muss. Handlun- 10.3 Akteursrolle 200 d Ie r olle der a Kteure gen werden im Alltag durch bestimmte Mechanismen vereinfacht, indem der Prozess der Handlungsabschätzung in Routine überführt wird. Verfahren, die das leisten, werden in der Literatur als Schemata, Skripts, Habits oder Frames beschrieben. Diese Praktiken erlauben eine zielgeleitete, schnelle und effektive Strukturierung der Wahrnehmung unter Rückgriff auf bestehende Wissensstrukturen. Für Esser sind Habits automatische, unreflektierte Reaktionen auf Umgebungsreize. Der Lehrer reagiert spontan auf das Verhalten eines Schülers und tadelt ihn, ohne die Situation näher zu analysieren. Frames sind Verarbeitungsweisen von Situationen. Frames vereinfachen die Zielstruktur, indem sie übergreifende Ziele fixieren, an denen sich der Handelnde schnell und sicher orientieren kann. Es ist die sechste Unterrichtsstunde und die Kinder wirken müde und nervös. Das gilt auch für den Lehrer. Da lässt man schon mal fünf gerade sein. Obwohl sich einzelne Kinder undiszipliniert verhalten, reagiert die Lehrkraft nicht spontan mit Ermahnungen, da sie Erfahrungen darüber besitzt, dass dieses Verhalten durch Übermüdung entsteht und für das allgemeine soziale Verhalten keine Beeinträchtigung bedeuten muss. Die Handelnden haben sich aufgrund ihrer Erfahrungen mit bestimmten Situationen Praktiken angeeignet, die erwarten lassen, dass ein Handlungsziel sicher erreicht wird, auch wenn es im Augenblick nicht so aussieht. Für die Verwendung solcher Praktiken bedarf es bei den Akteuren (guter) Gründe. Der Wechsel eines erprobten Frames erfolgt daher nicht automa- Hartmut Esser (* 1943) Abb. 10.6 Soziologe, Professor für Soziologie und Wissenschaftstheorie an der Universität Mannheim, Schwerpunkte: Ansatz mikrofundierter Methodologie Grundschema nach Esser (1993, S. 98) Abb. 10.7 201 d Ie r olle der a Kteure d as a KzePtIeren der a KteurswIrKlIchKeIt Einheit 10 tisch. Vor einem solchen ist bei den Nutzern zu klären, ob die Frame-Veränderung das Erreichen des Ziels gefährdet. Interessant ist die Beobachtung, dass Akteure eher Mängel tolerieren als sich auf eine grundlegende Veränderung einzulassen. Die Unruhe in einer sechsten Stunde zu ertragen ist leichter als ein Konzept dafür zu entwickeln, wie mit Schülern gearbeitet werden muss, die bereits stark gefordert waren und deshalb unruhig sind. Vorgänge dieser Art erfolgen meist unbewusst. Wir sind bei unserer Alltagskommunikation darauf trainiert, spontan zu reagieren, d. h. wenn wir mit Situationen konfrontiert werden, die wir für bekannt halten, stehen uns in der Regel bereits entsprechende Praktiken zur Verfügung. Wir reagieren auf die Situation, ohne uns Details bewusst zu machen oder nach Gründen oder Motiven für ein spezielles Vorgehen zu suchen. Die Akteurstheorie rückt wie die Netzwerktheorie den Einzelnen ins Blickfeld. Kommunikation wird an sein Handeln gebunden. Dieses obliegt aber nicht nur den individuellen Bedürfnissen, weil der Handelnde immer auch Teil einer gesellschaftlichen Wirklichkeit ist. Der Aktionsraum für das einzelne Handeln steht mit dieser gesellschaftlichen Wirklichkeit, für die Akteure selbst nicht immer mehr ganz deutlich erkennbar, in Verbindung. Der Akteur befindet sich faktisch an einem Raum- und Zeitpunkt, den er, um zu handeln, typisieren muss. Dabei hilft ihm eine Brückenhypothese, die sein Erfahrungswissen mit den Gegebenheiten der vorfindlichen Umstände abzugleichen erlaubt. Er versucht bewusst oder meist intuitiv, typisierende Eigenschaften aus seiner Raum- und Zeitumgebung mit denen eines passend erscheinenden Prototyps zu identifizieren und zur Anwendung zu bringen. Ein Lehrer fühlt sich durch das Verhalten seiner Schüler irritiert. Sein Umgang mit Irritation setzt bei ihm eine Bewertung voraus, die nur möglich ist, wenn er in der Situation etwas erkennt, was ihm eine Erklärung für den aktuellen Zustand ermöglicht. Die Irritation entsteht, weil in den Augen des Lehrers ein Schüler verhaltensauffällig ist. Damit bezieht er sich auf etwas für solche Situationen Typisches. Kinder zeigen im Unterricht immer wieder Verhalten, das von der Norm abweicht. Für den Umgang damit können Erkenntnisse der Pädagogik oder anderer Fachdisziplinen wie der Psychologie als übergeordnete Bezugsgrößen genutzt werden. Die Erfahrungen aus dem Umgang mit solchen Situationen wiederum werden dann das eigene Wissen bereichern oder korrigieren. Episode Die Situationsanalyse basiert also auch auf Bezugnahmen umfassenderen Wissens, das kann im genannten Beispiel das Studium der Pädagogik sein. Von dort her wird dann eine Beziehung zur direkten Handlungsebene hergestellt; der Akteur muss jetzt etwas tun, die konkrete Situation zwingt ihn dazu, wenn das Ereignis nicht außer Kontrolle geraten soll. Dieses Handeln Situationstypik Situationsanalyse 202 d Ie r olle der a Kteure und die damit verbundenen Erfahrungen nehmen Einfluss darauf, wie beim nächsten Mal mit einer vergleichbaren Situation umgegangen wird. Das alles geschieht in der Regel spontan. Esser (1993) sieht im Prozess des Tuns eine Aggregation (=-Anhäufen oder Zusammenfassen von etwas zu einer umfassenderen Einheit) von Gegenständen der individuellen Handlungen und diese stehen im Zusammenhang eines kollektiven Explanandum (=-Beschreibung oder Ursachenerklärung eines Phänomens). Um im Tun überhaupt ein Handeln erkennen zu können, muss den Anderen, die daran teilnehmen bzw. teilhaben, ein Kontext als Bezugsgröße und Hintergrund zugänglich sein, der dem Tun entsprechende Bedeutungen zuzuschreiben erlaubt. Kommunikatives Handeln wird als dynamisch und schwer kontrollierbar erlebt und es unterliegt vielfältigen Einflussfaktoren. Die Systemtheorie weiß um diese Unwägbarkeiten und stellt daher kausale Erklärungsansätze in Frage. Deshalb wird solchen Vorgängen eine sich selbst regulierende Kraft (Autopoesis) unterstellt. Aus Sicht der Akteurstheorie hält Esser (1993, S. 588-595) das für keine notwendige Konsequenz. Mit dem Begriff der Autopoesis werde vielmehr der Frage ausgewichen, was denn das System konkret leisten müsse, um Lösungen zu finden. Dieser Prozess der Problemerkenntnis und die entsprechenden Lösungsversuche werden bei einer solchen Sicht förmlich ausgeblendet. Die Leistungen eines Akteurs müssen bewertet werden können. Esser schlägt daher vor, den Handlungsvorgang auszudifferenzieren und präzisiert das Verhalten bis zu dem Grad, an dem Einzelleistungen bestimmbar werden. Sie werden als spezifische Operationen erfasst: Resourceful, Restricted, Expecting, Evaluating, Maximizing. Ein Akteur kann folgendermaßen vorgehen: Er findet sich mit den begrenzten Möglichkeiten ab, prüft, was zu erwarten ist und schätzt die Bedeutung seiner Handlungsmöglichkeiten ein, wobei er eine Maximierung der Situation im Auge behält. Im genannten Beispiel soll der Lehrer durch sein Handeln wieder eine Lernsituation für die Schüler herstellen, an der alle teilhaben können. Mit einer geistreichen Ermahnung wäre das Ziel vielleicht zu erreichen: Resourceful. Es gibt aber andere Kinder, die sich ebenfalls störend verhalten und sich aus einer solchen Ermahnung nichts machen oder sie gar missverstehen: Restricted Daher müsste eine alternative und vielleicht auch stärker wirkende Handlung gefunden werden: Expecting. Ein so entwickelter und gefundener Handlungsvorschlag findet dann seinen Abgleich durch das Prüfen und mögliche Einbinden in pädagogisches Wissen oder unterrichtliche Erfahrungen, die sich aus dem Umgang mit solchen Situationen ergeben haben: Evaluating Dort finden sich Hinweise darauf, dass es nicht unüblich ist, in dieser Klasse disziplinarisch durchzugreifen. Die Schulleitung erwartet sogar ein solches Handeln. Das Ergreifen einer Disziplinarmaßnahme gegen den Schüler wäre ein maximales Resultat aufgrund der vorfindlichen aktuellen schulischen Entscheiden vor Ort 203 d Ie r olle der a Kteure d Ie s IchtBarKeIt Von K ommunIKatIon Einheit 10 Möglichkeiten bei dieser Klasse: Maximizing Der Akteur arbeitet bei der Entscheidungsfindung Stationen ab, die auf ein optimales Handeln abzielen. Das alles geschieht nicht ohne einen bewussten oder internalisierten Rückgriff auf Vorstellungen, die das Handeln in einem gesellschaftlichen Kontext verankern. Auf diese Weise entsteht eine Beziehung von der Mikrozur Makro-Ebene, d. h. das Geschehen im konkreten Handlungsfeld wird so selektiert, dass das Tun vor Ort mit Eigenschaften umfassenderen gesellschaftlichen Handelns und seines generellen Begründungszusammenhangs verbunden wird. Wer Lehrer ist, hat gelernt, das Verhalten der Schüler unter bestimmten Gesichtspunkten zu deuten, die gesellschaftlich und von ihm selbst als pädagogisch wichtig oder vernachlässigbar eingestuft und ausgewertet werden. Die Logik der Situation stellt für die Akteure nach Esser eine Verbindung zwischen der übergeordneten gesellschaftlichen Makro- und der situativ und lokal verorteten Mikro-Ebene her. Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, Handlungsalternativen zu finden und mithilfe von Selektionen einzelne Handlungen zu prüfen und zu gewichten. Esser spricht von der Logik der Selektion, die den Akteur zu seiner Entscheidung führt. Erklärung Grundlage dieses Vorgangs ist die Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte Folgen eher als andere erwartbar sind. Solche Prozesse werden in diesem Theorieansatz als durch das Rational-Choice Verhalten motiviert verstanden und in der Wert-Erwartungs-Theorie von Esser (1993, S. 94), auch Subjective Expected Utility Theory genannt, näher beschrieben. Dieser Herangehensweise liegt der Glaube an eine subjektive Nutzenmaximierung zugrunde, die menschlichem Verhalten allgemein unterstellt werden kann. Inwieweit sich die Motivation wirklich und ausschließlich aus dem Rational-Choice-Ansatz erklären lässt, wird heute skeptisch beurteilt. Für angemessener hält Konopka (1999, S. 172) die Annahme vielfältiger und mehrschichtiger Motive wie Wohlergehen, Anerkennung, Verlustvermeidung und andere mehr. In diesem Kontext muss ebenfalls die persönliche Normvorstellung einzelner berücksichtigt werden, die zum Beispiel auch Uneigennützigkeit zulassen würde. Das hat Rückwirkungen. Denn jedwedes Handeln selbst hat Auswirkungen auf den kollektiven Hintergrund. Esser spricht dann von der Logik der Aggregation: Das individuelle Handeln wirkt auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zurück. Die Sichtbarkeit von Kommunikation Aus der gegenseitigen Beeinflussung von individuellem Verhalten und gesellschaftlicher Erwartung leitet sich die Wahrscheinlichkeit ab, dass bestimmte Folgen eher als andere erwartbar sind. Solche Prozesse werden in diesem Rational-Choice 10.4 204 d Ie r olle der a Kteure Theorieansatz als durch das Rational-Choice Verhalten motiviert verstanden und in der Wert-Erwartungs-Theorie von Esser (1993, S. 94), auch Subjective Expected Utility Theory genannt, näher beschrieben. Dieser Herangehensweise liegt der Glaube an eine subjektive Nutzenmaximierung zugrunde, die menschlichem Verhalten allgemein unterstellt werden könne. Inwieweit sich die Motivation wirklich und ausschließlich aus dem Rational-Choice-Ansatz erklären lässt, wird heute eher skeptisch beurteilt. Für angemessener hält Konopka (1999, S. 172) die Annahme vielfältiger und mehrschichtiger Motive wie Wohlergehen, Anerkennung, Verlustvermeidung und andere mehr. In solchen Kontextualisierungen muss die persönliche Normvorstellung einzelner berücksichtigt werden, die zum Beispiel auch Uneigennützigkeit zulassen würde. Das hat Rückwirkungen, denn jedwedes Handeln selbst hat Auswirkungen auf den kollektiven Hintergrund. Esser selbst spricht von der Logik der Aggregation: Das individuelle Handeln wirkt auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zurück. Aus der Sicht der Kommunikationswissenschaft besteht der Reiz einer Akteurstheorie darin, einerseits den Blick auf Verhaltensmuster des Alltags zuzulassen und Kommunikation bildlich gesprochen in ihrer Fassbarkeit und Sichtbarkeit des Kommunizierens zu erfassen. Zugleich gibt es immer ihre Verwobenheit und ihre Verwebbarkeit mit gesellschaftlichen Verhältnissen, aus denen sie nicht herauslösbar ist. Das Kommunizieren ist als ein empirisch beobachtbares Verhalten zugänglich, Handlungsmotivationen sind abfragbar und das tatsächliche Tun ist mit Blick darauf in den dazugehörigen Kontexten abprüfbar. Kommunizieren ist ohne Annahmen über Erwartungs-Erwartungshaltungen nicht zu erklären. Die Bewältigung der damit verbundenen Probleme hinterlässt Spuren in den realen Kommunikationsverläufen. Ein Indiz dafür ist die Verständigungsarbeit. Fassbar wird sie am Phänomen der Reparaturen. Kommunikatives Handeln verläuft selten reibungslos, sondern entwickelt sich in der Regel Schritt für Schritt. Dabei kommt es zu einer ständigen Korrekturarbeit, indem die Beteiligten auf der formellen und inhaltlichen Seite ihre Äußerungen nachbessern. Sie beobachten, ob und inwieweit das von ihnen und den anderen Geäußerte mit ihren Erwartungen übereinstimmt bzw. sich im Rahmen eines umfassenderen Sinnhorizonts bewegt, der die Kooperation möglich macht oder einschränkt. Es gibt Räume, die bestimmte Aktivitäten bedingen, wie schon sehr früh von Schank (1977) diskutiert worden ist. Ein Gericht lässt Klassen von Handlungen erwarten, wie Hoffmann (1983) beschrieben hat, die erkennbar von denen in einem Restaurant oder nach Löning (1985) in der Arztpraxis abweichen. Diese Aktivitäten in und mit speziellen Handlungsräumen lassen sich beobachten und thematisieren. Dort wird ihre Zugehörigkeit bzw. Verständigungsarbeit 205 d Ie r olle der a Kteure d Ie s IchtBarKeIt Von K ommunIKatIon Einheit 10 ihre Unzulässigkeit im Hinblick auf vorherrschende Konventionen und ihre Begründbarkeit thematisiert. Es wird über die mit ihnen verbundenen Ziele gesprochen und über Wege, die Erfolg versprechen oder als Irrwege bereits bekannt sind. Auf diese Weise entstehen real erfahrbare Diskurse und nachlesbare Dokumente darüber, wie die Individuen bzw. Institutionen, sich als Netzwerk verstehen. Die Bewältigung einer Situation wird oft an das Erreichen eines Ziels gebunden. Der Lehrer will, dass die Kinder fehlerfrei Texte schreiben können. Die Teilnehmer an einer Diskussionsrunde möchten Informationen erhalten, um die Richtigkeit ihrer Gründe im Hinblick auf einen von ihnen erwarteten Problemlösungsvorschlag zu erhalten. Moderne Ansätze versuchen, Kommunikation ohne eine voreilige Unterstellung der Intention zu erklären. Traditionelle Konzepte sehen Intentionalität als gegeben und sprechen konsequent von einem kommunikativen Handeln. Forschungsperspektive und Forschungsgegenstand unterscheidet sich dann grundlegend. Traditionell wird eine Methodik nahegelegt, die auf psychologische Forschung nicht verzichten kann, weil Motivation und Kognition in einem solchen Paradigma eine zentrale Rolle spielen. Ist andererseits die Intentionalität keine Voraussetzung für das Kommunizieren, dann rückt die mediale Wirklichkeit ins Zentrum der Forschung: Was zeigen sich die Partner an und inwieweit lassen sich diese darauf ein. Es bedarf besonderer Instrumente, um diese Vorgänge beobachten zu können. Die Frage, was Kommunikation leitet, wird bewusst offen gehalten bzw. darauf beschränkt, dass das von Situation zu Situation aufs Neue geklärt werden muss. Kommunikativ handeln ist mehr als ein Koordinieren des situativen Handelns. Kommunikation wäre auf dieser Grundlage nur schwer zu kalkulieren. Wenn sie erfolgreich sein soll, bedürfen die Akteure einer Orientierung, die über das Situative hinausreicht. Deshalb sind Praktiken nötig, die mehr als nur die Fähigkeit zur Beobachtung struktureller Hinweise im Verhalten des Anderen darauf beinhalten, dass dieser etwas wünscht. Zwei Individuen müssen daher über Mittel verfügen, die sie befähigen zu erkennen, was für sie als kommunikativ relevant gilt. Dadurch wird für beide eine Situation erzeugt, die kommunikativ stabil ist und beherrschbar bleibt. Die Idee der Sinnfunktionen weist hier einen Weg. Kommunikation stellt sich gewissermaßen als Pool von Instrumenten dar, mit denen die Gegenseitigkeit im Verstehen und in der Verständigung kontrolliert und organisiert werden kann. Zusammenfassung Intention vs. Medialität 206 d Ie r olle der a Kteure Literatur Anheier, Helmut; Gerhards, Jürgen; Romo, Frank (1995): Forms of capital and social structue in cultural fields: Examing Bourdieu’s social topography. In: American Journal of Sociology 100, S. 859-903. Baecker, Dirk (2005): Form und Formen der Kommunikation. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Bommes, Michael; Tacke, Veronika (2011): Das Allgemeine und das Besodnere des Netzwerkes. In: Netzwerke in der funktional differenzierten Gesellschaft, S. 25-50. Esser, Hartmut (1993): Soziologie allgemeine Grundlagen. Frankfurt [u. a.]: Campus- Verl. Esser, Hartmut (2002): Situationslogik und Handeln. Studienausg. Frankfurt/ Main: Campus-Verl. (Soziologie, spezielle Grundlagen / Hartmut Esser; Bd. 1). Fuhse, Jan A. 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Konopka, Melitta (1999): Akteure und Systeme ein Vergleich der Beiträge handlungs- und systemtheoretischer Ansätze zur Analyse zentraler sozialtheoretischer Fragestellungen unter besonderer Berücksichtigung der Luhmannschen und der post-Luhmannschen Systemtheorie. Frankfurt am Main [u. a.]: Lang (Europäische Hochschulschriften / 22). Löning, Petra (1985): Das Arzt-Patienten-Gespräch. Gesprächsanalyse eines Fachkommunikationstyps. Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1982. Frankfurt a. M., Wien u. a.: Lang (Arbeiten zur Sprachanalyse, 3). Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Schank, Roger C. (1977): Scripts, plans, goals, and understanding an inquiry into human knowledge structures. Hillsdale, NJ : Erlbaum. Tacke, Veronika (2000): Netzwerk und Adresse. In: Soziale Systeme 6, S. 291-320. Teubner, Gunther (1992) (1992): Die vierköpfige Hydra: Netzwerke als kollektive Akteure höherer Ordnung. 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Das gilt besonders dann, wenn viele Akteure miteinander interagieren und das in speziellen Gruppierungen tun müssen. Welche Interessen verknüpfen welche Akteure im eigenen Studiengang? Wo werden sie artikuliert? Welche Interessenskonflikte lassen sich identifizieren und welche Lösungswege werden von den Interessensgruppen verfolgt? Gibt es Ansätze, die erfolgreicher als andere sind? (Vgl. 10.1) 2. In den modernen Gesellschaften differenzieren sich ihre Interaktionsformen nicht mehr dadurch aus, dass beispielsweise soziale Beziehungen mithilfe von Schichtzugehörigkeit bestimmt werden. Für die Kommunikation hat das eine Ausdifferenzierung potentieller Bezugshorizonte zur Folge und der Einzelne wird mit vielfältigsten sozialen Umgebungen konfrontier. Es entstehen Netzwerke. Welche Rolle kommt dem Einzelnen bei diesem Prozess zu und was unterscheidet diese Perspektive von der 10.6 208 d Ie r olle der a Kteure der Systemtheorie in der Tradition Luhmnns? Wird die Kommunikation durch Netzwerke leichter? (Vgl. 10.2) 3. Für Esser hat Kommunikation sehr viel mit dem Bearbeiten von Situationen zu tun und diese muss in hohem Maße durch den Einzelnen geleistet werden. Welche Faktoren helfen ihm bei der Bewältigung der Aufgabe, wenn das Konzept auf ein konkretes Fallbeispiel eigener Wahl angewendet wird? Das Situationsmodell macht auftretende Probleme sichtbar, warum wird dennoch Kritik an dem Konzept geübt? (Vgl. 10.3) 4. Das Managen einer Situation erklärt Kommunikation nur begrenzt. Das lässt sich an vielen Episoden beobachten, wenn die Intentionalität für die Beteiligten undeutlich ist oder wird. Das kann Absicht sein oder gewollt. Was müssen Akteure können, wenn sie die Kommunikation nicht aus der Hand geben wollen? (Vgl. 10.3-4) Kommunikation analysieren - geisteswissenschaftliche Verfahren Inhalt 11.1 Kommunikative Phänomene und ihre Erfassbarkeit 210 11.2 Geisteswissenschaftliche Methoden zur Beschreibung von Kommunikation 212 11.3 Hermeneutik als wissenschaftliche Methodik 215 11.4 Bedeutungsbezogene Beschreibungsmethoden 219 11.5 Literatur 224 11.6 Problemstellung und Fragen 226 Über Kommunikation objektiv zu reden, ist schwer. Sie wissenschaftlich zu erfassen umso komplizierter. Es bedarf einer Theorie, die erstens Annahmen darüber generiert, was beobachtet werden kann, und zweitens Aussagen darüber macht, worüber gesprochen werden soll. Handlungstheoretische Ansätze bestimmen die gegenwärtige Diskussion. Sie bedingen ein methodisches Interesse daran, wie Äußerungen in Face-to-Face-Situationen, aber auch in schriftlichen Formen theorieangemessen in ihrer Handlungsfunktionalität erschlossen werden können. In Abgrenzung zu naturwissenschaftlich ausgerichteten Ansätzen sind für die Betrachtung leitend einerseits die kognitionswissenschaftlichen und andererseits die hermeneutischen Traditionen. Als zentral erweist sich die Grounded Theory, die Methodik- und Theorieentwicklung eng miteinander verknüpft. Überblick 209 d Ie r olle der a Kteure P roBlemstellung und f ragen Einheit 11 Kommunikation analysieren - geisteswissenschaftliche Verfahren Inhalt 11.1 Kommunikative Phänomene und ihre Erfassbarkeit 210 11.2 Geisteswissenschaftliche Methoden zur Beschreibung von Kommunikation 212 11.3 Hermeneutik als wissenschaftliche Methodik 215 11.4 Bedeutungsbezogene Beschreibungsmethoden 219 11.5 Literatur 224 11.6 Problemstellung und Fragen 226 Über Kommunikation objektiv zu reden, ist schwer. Sie wissenschaftlich zu erfassen umso komplizierter. Es bedarf einer Theorie, die erstens Annahmen darüber generiert, was beobachtet werden kann, und zweitens Aussagen darüber macht, worüber gesprochen werden soll. Handlungstheoretische Ansätze bestimmen die gegenwärtige Diskussion. Sie bedingen ein methodisches Interesse daran, wie Äußerungen in Face-to-Face-Situationen, aber auch in schriftlichen Formen theorieangemessen in ihrer Handlungsfunktionalität erschlossen werden können. In Abgrenzung zu naturwissenschaftlich ausgerichteten Ansätzen sind für die Betrachtung leitend einerseits die kognitionswissenschaftlichen und andererseits die hermeneutischen Traditionen. Als zentral erweist sich die Grounded Theory, die Methodik- und Theorieentwicklung eng miteinander verknüpft. Überblick 210 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren Kommunikative Phänomene und ihre Erfassbarkeit Jede Fachdisziplin strebt nach Wissenschaftlichkeit. Wie wissenschaftlich eine Fachdisziplin ist, ist abhängig davon, wie gut es ihr gelingt, ihre Erkenntnisse methodisch so zugänglich zu machen, dass möglichst alle sie nachvollziehen können. Entsprechend intensiv wird daher in den Wissenschaften darüber gestritten, welche die angemessenen Methoden sind, um den wissenschaftlichen Anspruch zu sichern. Die Diskussion über Methoden ist nicht wirklich neu. Wer die Prozessakten des Galileo Galilei liest bzw. das, was darüber bekannt ist, wird erkennen, dass hier ein Einschnitt in das Denken über die Welt dokumentiert wird. Dieser Einschnitt hat mit einer Methode zu tun, die den Blick auf die Welt grundlegend verändert. Es sind nicht mehr die Worte des Aristoteles oder der Heiligen Schrift, die uns die Welt erklären, sondern der Blick durch das Fernrohr. Dieser zeigt uns Dinge, die in den Büchern bisher so nicht beschrieben worden sind. Im weltbekannten Buch Der Name der Rose, erzählt Umberto Eco eine Geschichte, in der ebenfalls beschrieben wird, wie der andere Blick auf die Wirklichkeit das Wirklichkeitsverständnis verändert. Indizien zu suchen, die über Eigenschaften von Individuen Aussagen liefern, und daraus auf das Verhalten des Individuums zu schließen, ist ein anderes Verfahren, als eines, welches das Verhalten eines Individuums auf die Einflüsse guter oder böser Mächte zurückführt. Das Verhalten wird im letzteren Fall nämlich als Hinweis darauf „gelesen“, wie sich die böse Macht des Teufels in der Welt artikuliert. Das unterstellt natürlich dessen Existenz und an der gab es in der Zeit, in der Der Name der Rose spielt, keine Zweifel. Daher hatten in der damaligen Gesellschaft andere Erklärungen für das Verhalten eines Einzelnen wenig Chancen, anerkannt zu werden. Die Wirklichkeit wird als Konstrukt unseres Denkens erfahrbar und der Anspruch dieser Konstruktion ist abhängig von der Gültigkeit der jeweiligen Begründungsmöglichkeiten, d. h. er ist abhängig von der Bereitschaft einer Gesellschaft, diese Begründungen anzuerkennen. 11.1 Methoden erzeugen eine eigene „Wirklichkeit“ 211 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren K ommunIKatIVe P hänomene und Ihre e rfassBarKeIt Einheit 11 Dass einzelne Wissenschaftsdisziplinen höhere Geltungsansprüche gegenüber anderen erheben, ist ein wissenssoziologisches Problem. Besonders deutlich wird diese Diskrepanz zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. Einzelne Disziplinen glauben gegenüber anderen, die besseren Gründe für einen Geltungsanspruch auf das Wissen zu besitzen und damit über die wirkmächtigeren Erklärungen zu verfügen. Ein solches Verhalten ist machtstrategisch einzuordnen und erzeugt eine Isolierung der Methodenfrage von ihrem theoriemotivierten Ursprung. Methoden haben für sich genommen keine eigene Wertigkeit. Stattdessen müssen sie Fragen auf intersubjektiv kontrollierbare Weise beantworten. Wird kein Begründungszusammenhang zwischen der Fragestellung und einer Methode hergestellt, wird diese wie ein Rezept benutzt, um bestimmte Themenfelder nach „Vorschriften“ bearbeiten zu können. Der Geltungsanspruch der mit diesem Vorgehen verbundenen Ergebnisse muss dann von Fall zu Fall geprüft und jeweils begründet werden. Erklärung Kommunikation ist Thema verschiedener Wissenschaftsdisziplinen. Daher verwundert es auch nicht, dass sich die Kommunikationswissenschaft als ein Verbund darstellt. Meist sind interpersonale Probleme Gegenstand der Beobachtung. Wissenschaftszweige, die sich dafür interessieren und eigene Beschreibungsverfahren nutzen, sind die Psychologie und die Soziologie, innerhalb der Psychologie ist es die Wirkungs- und Eindrucksforschung. Zunehmend zeigt die Werbung Interesse an Fragestellungen der Kommunikation und nutzt entsprechende psychologische Testverfahren, wie in einer Übersicht zu Studien von Jones und Blaire (1996, S. 37-56) beschrieben wird. Eine allgemeine Kommunikationspsychologie gibt es aber, wie Frindte (2001) betont, nicht. Ein wichtiger Schwerpunkt der Theorieentwicklung wurde auch in der Soziologie gesetzt. Methodisch besonders interessant sind die Arbeiten der Ethnomethodologie, die als erste einen empirischen Zugang zu natürlichen Gesprächen entwickelt haben. Bergmann (2014, S. 9-51, sowie 1981, S. 9-51) stellt diese Forschungsrichtung in den 80er Jahren im deutschen Raum zur Diskussion. Hier wird beobachtet, wie sich die Partner in der kommunikativen Interaktion mithilfe von strukturschaffenden Mitteln eine gegenseitige Orientierung ermöglichen. Kommunizieren schafft im gesellschaftlichen Miteinander interaktive Kooperationsmöglichkeiten, die mit sozialwissenschaftlichen Instrumenten bearbeitet und beschrieben werden können. Die Erforschung der Massenmedien machte sich diese zunutze. Methoden in den Sozialwissenschaften erheben den Anspruch, kausale Beziehungen aufzudecken oder zu belegen, dass es immer wieder auftretende Phänomene gibt, die Teil bestimmter situativer Rahmenbedingungen sind und deshalb in bestimmten Kontexten erwartet werden können. Die Systemtheorie, die zur Entwicklung einer Kommuni- Unterschiedliche Erkenntnisinteressen der Wissenschaftsdisziplinen 212 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren kationstheorie neue Impulse gegeben hat, folgt der Tradition geisteswissenschaftlicher Arbeitsweisen und erschließt sich hinsichtlich einer empirisch ausgerichteten Methode nicht so ohne weiteres. Eine besondere Schwierigkeit der Beschreibung von Kommunikation liegt darin, dass eine Vielzahl von Faktoren am Prozess des Kommunizierens beteiligt ist, von denen unklar bleibt, wie sie miteinander interagieren und welchen Einfluss genau sie auf bestimmte Rahmenbedingungen haben. In diesem Kontext sind Beschreibungserfahrungen aus der Text- und Dialoglinguistik hilfreich sowie Ansätze, die das Sprachliche der Kommunikation zum Gegenstand wählen. Die Analyse von Kommunikation muss immer in Abhängigkeit zu den Annahmen gesehen werden, die sich aus den jeweiligen theoretischen Grundlagen herleiten lassen und aus denen Problemstellungen definiert sowie angemessene Beschreibungsverfahren gewählt, entwickelt bzw. konzipiert werden können. Geisteswissenschaftliche Methoden zur Beschreibung von Kommunikation Wenn über Methoden in der Wissenschaft geredet wird, dann denken wir zunächst an die Verfahren der Naturwissenschaft, bei denen physikalische Phänomene gemessen oder chemische Vorgänge klassifiziert werden. Auch statistische Techniken der Beschreibung werden genannt, wie sie in der Demoskopie oder in den Sozialwissenschaften Verwendung finden. Allen diesen Disziplinen ist eines gemeinsam: Sie untermauern ihre Beobachtungen mithilfe quantifizierender Verfahren und erzeugen dadurch den Eindruck, hier werde objektiv über die „Wirklichkeit“ geredet. Im Streit um die Wissenschaftlichkeit einzelner Fachdisziplinen gibt es selbst innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft unterschiedliche Meinungen und so wird gewissen Methoden ein höherer Grad der Wissenschaftlichkeit zugebilligt. Sie garantieren Aussagen über die Wirklichkeit, die eindeutiger seien als alternative Verfahren und zudem jederzeit überprüfbar. Entsprechend spaltet die Methodik die Wissenschaften in Disziplinen, die sogenannte „harte“ Methoden verwenden, und solche, die „weiche“ Methoden gebrauchen. Bei Letzteren wird oft nochmals unterschieden zwischen solchen, die sich an quantitativen Verfahren orientieren, und denjenigen, die sich allein auf interpretative Analysetechniken beschränken und denen daher der geringste Anspruch auf Wissenschaftlichkeit zugebilligt wird. Das gilt besonders für Methoden, bei denen Vorgänge in der Wirklichkeit lediglich wissenschaftlich beratend begleitet werden und denen nur der Status einer Moderatorenfunktion zuerkannt wird. Das geschieht oft im pädagogischen Bereich, zum Beispiel bei Schulversuchen, wenn ein neues didak- 11.2 Der Streit über die Methoden 213 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren g eIsteswIssenschaftlIche m ethoden zur B eschreIBung Von K ommunIKatIon Einheit 11 tisches Konzept im Unterricht erprobt wird. Da viele Faktoren auf das Geschehen Einfluss nehmen, wird der Prozess begleitend beobachtet und auf dem Hintergrund vergleichbarer Erfahrungen beschrieben und erörtert. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts kam es immer wieder zu kontroversen Diskussionen über wissenschaftlich zulässige und fragwürdige Methoden. Strittig war, was Objekt der Forschung sein und wie mit ihm jeweils wissenschaftlich argumentativ umgegangen werden kann. Die Wissenschaftsrichtung des Positivismus stützt sich auf einen methodologischen Monismus, d. h. es gibt nur eine Methode für den Umgang mit einem bestimmten Forschungsthema und diese sichert die Standards der Wissenschaft. Der Positivismus lässt also nur einen Erklärungstyp zu und dieser ist hypothetisch-deduktiv angelegt. Dabei wird unterstellt, dass alles durch kausale Erklärungen auf allgemeine Naturgesetze bzw. auf Gesetzlichkeiten der menschlichen Natur zurückgeführt werden kann. Dieser auf Auguste Comte (1894) zurückgehende Wissenschaftsansatz stieß in der sich damals entwickelnden Geschichtswissenschaft auf Interesse und hatte wesentlichen Einfluss nicht nur auf die Geschichts-, sondern auch auf die Entwicklung der Sozialtheorie. Doch dieser Art zu denken widersprachen bereits Dilthey (1883) und Weber (1968) . Sie hoben einen grundlegenden Unterschied zwischen den Gegenständen der Physik und Chemie einerseits und Wissenschaften wie der Geschichte andererseits hervor. Ziel der Physik und Chemie ist es, generalisierende Aussagen über reproduzierbare und prognostizierbare Phänomene zu erreichen. Mit Ereignissen in der Geschichtswissenschaft ist anders umzugehen. Sie hat das Individuelle und Spezifische zum Gegenstand. Ihr geht es darum, zu verstehen, was es mit dem tradierten und von den Akteuren in die Welt projizierten Sinn auf sich hat und was dieser für die Menschen und ihre Entwicklung bedeutet. Habermas (1968, S. 158) stellt dem technischen Erkenntnisinteresse der empirisch-analytisch angelegten Wissenschaften die historisch-hermeneutischen Wissenschaften mit ihrem praktischen Erkenntnisinteresse gegenüber. Letztere seien darauf ausgerichtet, Strukturen aufzudecken und Hinweise darauf zu finden, wie Handelnde sich innerhalb dieser Strukturen verstehen und orientieren können. Für eine Orientierung maß- Isidore Marie Auguste François Xavier Comte (1798-1857) Abb. 11.1 Französischer Mathematiker, Philosoph und Religionskritiker, Schwerpunkte: Begründer des Positivismus und Mitbegründer der Soziologie Wilhelm Dilthey (1833-1911) Abb. 11.2 Theologe, Gymnasiallehrer und Philosoph und Professor an der Friedrich-Wilhelms- Universität Berlin (spätere Humboldt- Universität), Schwerpunkte: Begründer der Theorie der Geisteswissenschaften 214 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren geblich ist die Kommunikation und diese setzt das Verstehen dessen voraus, was kommuniziert werden soll. Kommunikation kann so als eine besondere Form des Lesens gedeutet werden. Methodisch ist es daher sinnvoll Beobachtungsverfahren zu betrachten, die sich mit dem Lesen auseinander setzen. Hier sind, folgen wir der Aufteilung von Habermas, zwei Richtungen zu beobachten. Es gibt Ansätze, die sich aus dem Forschungsinteresse der Kognitionswissenschaft ableiten lassen und den mehr technologisch Erkenntnisinteressen folgen und es gibt eine lange Tradition in der Hermeneutik, die sich für die Verstehensleistungen des Einzelnen interessiert und nach Beschreibungsverfahren sucht, welche die Interessen eines Autors und seiner Zeit mit dem, was er geschrieben hat, in Verbindung bringen, um seine Texte erklären zu können. Erklärung In einem Modell, wie es in im Rahmen der frühen Kognitionswissenschaft von Anderson (1983) angeboten wurde, ist der Leser jemand, dem Daten dargeboten werden, also gedruckte bzw. geschriebene Wörter, Sätze und Texte. Wenn er diese Daten wahrnimmt und akzeptiert, kann er sie mental bearbeiten. Der Rezipient dieser Daten nimmt diese durch den Vorgang des Lesens wahr. Bock (1978) referiert, wie die Sprache als Grundlage genutzt, decodiert und kognitiv in Propositionen transformiert wird. Propositionen sind mentale, elementare Inhaltselemente, die basale Aussagen bilden. Sie werden methodisch in einem an der formalen Logik orientierten Format erfasst und können so einem messbaren Zugriff zugänglich gemacht werden. Das erlaubt zu klären, wie viele solcher Propositionen wiederzufinden sind und welche nicht, wenn der Rezipient nach Inhalten des Textes befragt wird. So lassen sich Zusammenhänge zwischen der Darbietung der Daten und der Wiedergabeleistung derselben vermuten. Dabei wird dem Leser die Aufgabe, selbst eine Sinn konstituierende Instanz zu sein, nicht unbedingt abgesprochen; diese wird aber eher als „Motivgeber“ eingeschätzt, weil durch empirische Studien belegt werden konnte, dass Motivation die Menge der wiedergegebenen Propositionen erhöht. Die kognitive Forschungsperspektive wird von einem Kommunikationsmodell geleitet, das Lesen als einen Informationsprozess versteht, dessen Effektivität in Abhängigkeit zur Übertragungsleistung eingeschätzt wird. Lesen ist ein Vorgang, bei dem verbale Daten in propositionale Verarbeitungseinheiten des Gehirns übertragen und übersetzt werden. Die aktive Verstehensleistung muss in einem solchen Modell nicht näher betrachtet werden. Der Text basiert auf einer sprachlichen Repräsentation und Lesen ist der Transformationsprozess in eine kognitive Repräsentation. Die Kognitionswissenschaft hat dafür eine ihr eigene an der Technik orientierte Spra- Kognitionswissenschaftlicher Ansatz 215 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren h ermeneutIK als wIssenschaftlIche m ethodIK Einheit 11 che entwickelt, wenn sie nicht von Textverstehen, sondern von der Textverarbeitung spricht. Unverkennbar ist auch die Nähe zur Computertechnik. Zwar wurde der Leser als Subjekt entdeckt und anerkannt, aber er wird nicht als eine lesende Persönlichkeit gesehen, sondern als jemand, welcher mentales Material verarbeitet und quasi wie ein Apparat funktioniert. Methodisch machte sich die Psychologie diesen Zugang zunutze, denn mit der Einheit der Propositionen ließ sich „rechnen“. Bock (1978) zeigt, wie diese Perspektive vor allem in der Psycholinguistik am Ende der 70er Jahre einen Höhepunkt erfahren hat. Ein repräsentationistisch ausgerichteter Erklärungsansatz, der formal fassbare Daten, das gedruckte Wort beispielsweise, als Ausgangspunkt seiner Analysen wählt, erfasst die Prozesse, die beim Lesen eines Textes ablaufen, nur bedingt. Die vor allem von der Didaktik geübte Kritik am Konzept der PISA Studien zum Lesen hat darauf sehr nachdrücklich hingewiesen. Bereits die alltägliche Leseerfahrung belegt, dass Lesen etwas anderes als eine bloße Transformation von Sätzen in Propositionen sein muss. Das wird augenscheinlich in der Art und Weise, wie Leser über das, was sie gerade gelesen haben, miteinander reden. Lesen ist nicht auf den individuellen kognitiven Vorgang der Rezeption verbaler Daten zu beschränken, sondern der kommunikative Umgang mit dem, was verstanden wurde, ist zentral. Wie über das Gelesene oder zu Lesende gesprochen wird, ist daher für die Kommunikation ausschlaggebend. Hier nun bietet die Tradition der Hermeneutik ein reiches Repertoire an methodischen Zugriffen und Erfahrungen in deren Umsetzung. Erklärung Hermeneutik als wissenschaftliche Methodik Lesen setzt Verstehen dessen voraus, was kommunikativ dar- und angeboten wird, und wird durch Alltagspraktiken beeinflusst. Wenn wir bei geschriebenen Texten bleiben, ist es ein Unterschied, ob ich mit Texten konfrontiert werde, die in historisch zurückliegender Zeit verfasst worden sind, oder ob ich meine Rechnung vom Stromanbieter lesen muss. Für letztere verfüge ich normalerweise über einen eingeübten Gebrauchs- und Handlungskontext, der das Lesen eines solchen Textes und die Rekonstruktion der angezeigten Wirklichkeit zugänglich macht. Schwierig wird es allerdings, wenn die Rechnung mit einem Rechtsanspruch verbunden ist, der als das „Kleingedruckte“ auftritt. Für dieses stehen den Rezipienten nicht unbedingt angemessene Handlungskontexte zur Verfügung. Das Verstehen eines Textes hat somit nicht nur mit seiner Entstehungszeit zu tun, sondern mit der Lesen im sozialen Raum 11.3 216 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren Kompliziertheit seines Anspruchs an den Leser. Das, was schriftlich niedergelegt wurde, erschließt sich nämlich nicht durch sich selbst. Text als ein semiotisches Produkt ist von seinem Leser und seiner Leseerfahrung abhängig, die ihn als kompetenten Leser gegenüber anderen ausweist. Diesen Zusammenhang aufzuklären hat sich die Hermeneutik, wie Seiffert (1992) zu beschreiben versucht, zum Ziel gesetzt. Die Tradition hermeneutischen Arbeitens reicht ins 18. Jahrhundert zurück. Ein kurzer Blick auf diesen Anfang lässt erkennen, wie sich Lesen aus einer Handlungspraxis heraus entwickelt hat. Die sog. Aufklärungshermeneutik im 18. Jahrhundert, vertreten durch Chladenius, ging davon aus, dass identisches Verstehen prinzipiell möglich sei, d. h. es gäbe zwischen dem im Text Geäußerten und dem, was der Leser darin erkennt, eine homogene Übereinstimmung. Chladenius räumte allerdings auch ein, dass es immer wieder Textstellen gibt, die für Leser schwerer zugänglich sind, weil ihnen die notwendigen „Begriffe“ fehlen. Das Auslegen ist damit eine aufklärungshermeneutische Arbeit und sie verfolgt das didaktische Ziel, den Leser in die Lage zu versetzen, den Text „richtig zu verstehen“. Der Leser erwirbt aufgrund neuer Begriffe eine eigene Kompetenz, mit dem Text zu arbeiten. Dieses Vorgehen ist noch immer im schulischen Umfeld festzustellen. Schüler lernen (literarische) Texte auf spezifische Weise zu lesen, nachdem sie gelernt haben, was mit bestimmten Inhalten gemeint ist. Diese Technik ist auch bei der Kommunikationsberatung zu beobachten. Anhand von Video- oder Tonbandaufzeichnungen eines Kommunikationsereignisses wird den daran Beteiligten ihr Tun erklärt und sie werden auf Fehlhandlungen hingewiesen. Den Angesprochenen wird angemessenes Handeln beigebracht, man zeigt, wie etwas „richtig“ gemacht wird. Verstehen wird auf ein Wissen reduziert, das darin besteht, mithilfe bestimmter Begriffe speziellen Inhalten oder Handlungsformen Deutungen zuzuschreiben. Dass Hermeneutik sich mit kommunikativen Handlungspraktiken auseinandersetzt, die über das einfache Erklären von Texten und den ihnen Historische Entwicklung Georg Gadamer (1900-2002): Professor für Philosophie, an der Universität Heidelberg, Schwerpunkte: das Werk Wahrheit und Methode, international bekannt durch seine philosophische Hermeneutik Johann Martin Chladenius (1710-1759) Abb. 11.3 Evangelischer Theologe und Historiker, Professor für Theologie, Rhetorik und Dichtkunst an die Universität Erlangen, Schwerpunkte: einer der ersten Methodologen der modernen Geschichtswissenschaft aufgrund seiner Auslegungsverfahren Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834) Abb. 11.4 Evangelischer Theologe, Altphilologe, Philosoph und Kirchenpolitiker und Pädagoge, Professor der Theologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, Schwerpunkte: Begründer der modernen Hermeneutik 217 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren h ermeneutIK als wIssenschaftlIche m ethodIK Einheit 11 unterstellten Absichten hinausgehen, wird in den Arbeiten von Schleiermacher und Frank (2011) deutlich. Er ist ein Vertreter der romantischen Hermeneutik. Ihm ging es um das Interpretieren selbst und sein Anliegen war, Instrumente dafür zur Verfügung zu stellen. Das Auslegen ist nach Einschätzung von Schleiermacher ein universaler Vorgang, d. h. Auslegungen sind nicht auf Texte beschränkt. Er unterscheidet zwischen einer grammatischen und einer psychologischen Auslegung. Die Auslegungsarbeit stützt sich auf das Einfühlen in den Autor. Dabei sind die sprachlichen Strukturen wegweisend und die Rhetorik bildet eine Anleitung. Sie weist über den Autor in die Gesellschaft und Geschichtlichkeit des jeweiligen Textes. Die Hermeneutik sei so gesehen eine Weiterentwicklung dessen, was mit der Rhetorik begonnen wurde. Damit kommt Schleiermacher der Auffassung von Gadamer (1986a) sehr nahe, dass alles Verstehen Auslegung sei. Das, was ausgelegt werden soll, muss in einen Horizont gerückt werden und erst dieser ermöglicht Verstehen. Das Geäußerte wird nicht durch eine richtige oder falsche Deutung verstanden, sondern der Hintergrund, der die Äußerung motiviert, erschließt die Bedeutung dessen, was geäußert wird. Beim Lesen verschmilzt der fremde Texthorizont mit dem eigenen. Eine Hermeneutik hat zu klären, was es mit diesen Hintergründen auf sich hat sowie was diese näher bestimmt und nach welchen Regeln sie begründet werden können. Dieser Prozess findet zu keinem endgültigen Abschluss, sondern vollzieht sich immer wieder neu. Verstehen setzt deshalb die Bereitschaft unter den Akteuren voraus, sich auf solche Vorgänge einzulassen. Hermeneutik ist ein Verfahren, das sich mit den Inhalten von Texten auseinandersetzt, indem es das Deuten dessen bewusst machen will, was als Bedeutung den Texten zugeschrieben wird. Was die Kommunikationspartner bei ihrer Interaktion tun, ist im Grundsatz nicht viel anderes. Denn auch hier ist kontinuierliche Verstehensarbeit gefordert. Sie setzt im Sinne der philosophischen Hermeneutik Gadamers voraus, über Horizonte zu verfügen, auf die bezogen die Akteure miteinander kooperieren können. Das meint nicht, dass die Kommunikationsteilnehmer über ein Repertoire von Auslegungen verfügen müssen, wie es die aufklärerische Hermeneutik anstrebt. 218 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren Das sprachlich-kommunikative Handeln entspricht der Hermeneutik zufolge einem Prozess permanenter Sinnerzeugung durch die Suche nach den als möglich und relevant eingeschätzten Bezugshorizonten. Die Beteiligten erproben in den Situationen Bedeutungszuschreibungen und Sinnkonstruktionen auf ihre Plausibilität mit dem, was situativ erwartet und emotional erlebt wird. Wichtig ist hierbei, dass das Verstehen keine Sinn-Entnahme ist, wovon in den repräsentationistischen und kognitionswissenschaftlichen Modellen ausgegangen wird, sondern eine Sinn-Suche und -Konstruktion. Das Geäußerte ist zuerst einmal nichts als ein für die Kommunikation als relevant (an)erkanntes Datum, das vom Interpreten erklärt werden muss. Ein offenes Problem ist, wie ein solcher Prozess methodisch zugänglich gemacht werden kann und nicht einfach als Akt der Intuition wahrgenommen wird. Erklärung Das Verfahren der Hermeneutik muss methodisch fassbar sein. Den Zugang schafft, wie Gadamer (1986b) erläutert, das Interpretieren. Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass Verstehen nicht anhand derselben Kriterien untersucht werden darf wie Handeln. Verstehen ist ein Vorgang im Subjekt selbst. Interpretieren hingegen ist ein Akt, der das Verstehen als Voraussetzung nimmt und der das Verständlich-Machen mit Mitteln sprachlichen Handelns zum Ziel hat. Interpretieren ist kommunikatives Handeln. Verstehen ist zuerst einmal eine Operation der Wahrnehmung und des Bewusstseins. Erst das Wissen und die Erfahrungen, die vom Bewusstsein erworben werden, ermöglichen Hypothesen über die Konstruktion der Umgebung. Bewähren muss sich dieses Wissen dann im sozialen System, d. h. das soziale System stellt die kommunikative Form zur Verfügung, die die Grundlage für das Interpretieren schafft. In Prüfungen lässt sich dieser Zusammenhang sehr konkret ablesen. Die Vorbereitung besteht in der Regel aus einer individuellen Auseinandersetzung mit etwas, das mithilfe von Büchern und dem Besuch von Lehrveranstaltungen einen Zugang zu einem Wirklichkeitsausschnitt konstruiert hat. Was ein Satz in einer Sprache bedeutet und in welchen Formen er dort funktioniert, wird dem Lernenden so zugänglich und bewusst gemacht. Ob er mit seiner Arbeit eine Stelle als Lehrer bekommen kann, entscheidet aber nicht er. Der Wert der Vorbereitung wird erst durch das Prüfungsgespräch erkennbar, wenn nämlich das kognitiv Erarbeitete kommunikativ auch anderen zugänglich gemacht werden kann. Im sozialen Raum wird durch Kommunikation abgeklärt, ob das kognitiv Erarbeitete dem entspricht, worauf sich eine Gemeinschaft verständigt hat. So zeigt sich, in welchem Verhältnis der individuelle Erkenntnisstand zu den Erwartungen im sozialen Raum steht, d. h. es muss der Nachweis erbracht werden, dass das Denken des Geprüften Interpretieren Beispiel 219 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren B edeutungsBezogene B eschreIBungsmethoden Einheit 11 in dem fachlichen Diskurs, in dessen Rahmen die Prüfung erfolgt, adäquat ist und auch anerkannt wird. Bedeutungsbezogene Beschreibungsmethoden Das Interpretieren als Vorgang hat ein soziales System zur Voraussetzung. Es ist damit nicht als Handeln eines einzelnen Individuums zu sehen. Denn als kommunikativer Akt ist das Interpretieren auf die Rückmeldung durch Andere angewiesen. Hier liegt der methodische Zugriff: Diese Rückmeldung, Luhmann nennt es die Anschlusskommunikation, kann nämlich beobachtet werden. Solche Beobachtungen lassen sich systematisieren, indem beschrieben wird, ob und in welchem Umfang Texte zu denselben oder ähnlichen Anschlusshandlungen führen. Die Objektive Hermeneutik analysiert nach Oevermann (2001) Gespräche. Sie macht sich den Umstand des Anschlusshandelns zunutze und hat daraus ein Verfahren entwickelt, Texte zu interpretieren. Wernet (2009) schlägt konkrete Verfahrensregeln vor und gibt Orientierungshilfen für die Analysen, die als Prinzipien deklariert werden und fünf Aspekte umfassen: (1) Kontextfreiheit, (2) Wörtlichkeit, (3) Sequenzialität, (4) Extensivität, (5) Sparsamkeit. Das Prinzip der kontextfreien Interpretation bedeutet, dass Kontext erst dann einbezogen wird, wenn er eine strukturerschließende und methodisch kontrollierte Operation darstellt und wenn zuvor eine kontextunabhängige Bedeutungsexplikation vorgenommen worden ist. Die Arbeit mit einem Text erfolgt daher in der ersten Phase immer nur im Rahmen des eigenen Wissens über alle denkbaren Möglichkeiten eines solchen Textes, wie sie sich für den Bearbeiter zu diesem Zeitpunkt darstellen. Das Prinzip der Wörtlichkeit besagt, dass das im Text Geäußerte ernst genommen werden muss und einen Primat für Deutungen aller Art darstellt. Die Bedeutungsrekonstruktion muss dem tatsächlichen Text in seiner protokolliert vorliegenden Gestalt folgen. Dieses Prinzip verpflichtet die Interpretation, alles „auf die Goldwaage zu legen“, was mit dem Geäußerten gesagt werden könnte. Dieses Prinzip ist von zentraler Bedeutung. Die Interpretation folgt streng dem Ablauf des im Text Geäußerten. Eine entsequenzialisierte Textmontage, 11.4 Andreas Wernet (* 1960): Erziehungswissenschaftler, Professor für Schulpädagogik an der Leibniz Universität Hannover, Schwerpunkte: Objektive Hermeneutik und Fallrekonstruktionen in schulischen Kontexten Kontextfreiheit Wörtlichkeit Sequenzialität Ulrich Oevermann (* 1940) Abb. 11.6 Sozialpsychologe und Professur für Soziologie an der Universität Frankfurt am Main, Schwerpunkte: Begründer der objektiven Hermeneutik 220 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren wie sie bei Verfahren der Kohärenzanalyse angewendet wird, ist unzulässig. Die Interpretation folgt dem Grundsatz: Der „Text“ bleibt immer der identische „Text“, er darf nicht als Steinbruch für Information benutzt werden, auch wenn sich dafür Motive denken ließen. Er ist als „Protokoll“ sozialer Realität anzuerkennen und es geht darum unabhängig vom Gegenstand alles, soweit möglich, zu verwerten. Eine Schwierigkeit dieser Methode liegt im Umstand, dass eine solche Analyse nur geringe Textmengen bearbeiten kann, denn diese werden sehr detailliert und akribisch beschrieben. Dem liegt methodologisch die Annahme zugrunde, dass sich aus den „Protokollen“ Ausschnitte sozialer Realität rekonstruieren lassen. Jedes konkrete Phänomen wird dabei als in einen allgemeinen Erfahrungs- und Wissenszusammenhang eingebettet verstanden und entsprechend mit dem aktuell vorhandenen Wissen der Beobachter gedeutet. Das Prinzip der Sparsamkeit der Interpretation leitet sich aus den bisher erläuterten Prinzipien ab. Es schreibt vor, dass nur solche Lesarten gebildet werden dürfen, die ohne weitere Zusatzannahmen über den zu interpretierenden „Text“ auskommen. In der Phase der Bedeutungsexplikation erfolgt das Erzählen darüber, in welchen Kontexten der zu analysierende Text auftauchen könnte. Das Erzählen fördert vorhandenes Wissen über eine denkbare Situation und vergleichbare Kontexte zutage. Es ist daher durchaus auch im Sinne eines freien Assoziierens gedacht. Dabei ist das Gebot der Sparsamkeit zu beachten, und diejenigen Erzählungen sind auszuschließen, die nicht ohne die Unterstellung fallspezifischer Besonderheiten funktionieren. Zwingend sind nur solche Geschichten und die mit ihnen verbundenen Lesarten, die „ohne weiteres“ mit dem Text kompatibel erscheinen. Und dann kam der böse Wolf. Eine Episode Das Prinzip der Kontextfreiheit fordert zu hinterfragen, was möglicherweise zu einer Äußerung wie der genannten geführt haben kann. Wer könnte das sagen? Wann und wo könnte das geschehen? An wen richtet sich das Geäußerte? Das Geäußerte muss wörtlich genommen werden, es redet jemand von einem bösen Wolf. Studenten, mit denen der Text bearbeitet wurde, vermuteten, es handle sich vielleicht um den Erzähler eines Märchens wie beispielsweise Rotkäppchen. Die Zuhörer wären dann Kinder. Entsprechend ist denkbar, dass sie auf diesen Satz mit Erschrecken reagieren und sich auch verbal entsprechend äußern. Eine andere Annahme der Studenten zielte darauf ab, dass jemand sich gegenüber einem Bekannten über eine Person beklagt, die ihm oder anderen schaden will und das wohl regelmäßig tut. Zu erwarten wäre dann, dass der Sprecher das im nächsten Schritt näher erklären wird. Drittens wurde vermutet, jemand gehe mit der obigen Aussage Extensivität Sparsamkeit 221 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren B edeutungsBezogene B eschreIBungsmethoden Einheit 11 ironisch auf eine Situation ein, in der wieder einmal alles anders verläuft als angedacht. Hier müsste sich dann eine Äußerung anschließen, die auf das Ereignis hinweist, das zu dieser Art von Kommentar geführt hat. Eine vierte Erklärung bestand darin, dass eine Gruppe eine Nachtwanderung gemacht hat und einem Wolf begegnet ist. Das war schrecklich. Der Sprecher übergibt sein Rederecht noch nicht. Er kommentiert das Geschehen. Die Lesart vom Märchen wird dadurch nicht eingeschränkt, im nächsten Schritt müsste aber die Erzählung im Sinne des Märchens folgen. Dass über eine unangenehme Person gesprochen wird, ist zwar nicht auszuschließen, eher aber scheint ein Ereignis gemeint zu sein. Die Ironisierung eines Vorfalls hingegen würde mit der Bemerkung nur verschärft. Auch die Lesart der Nachtwanderung bleibt erhalten, der Kommentar würde den Charakter eines Spannungsmoments erhalten. Jetzt müsste die Geschichte aber weitererzählt werden und zu erwarten wären nähere Informationen über den Wolf. Der ist immer so, das kenne ich von früher. Eine weitere der anwesenden Personen bringt sich ins Spiel. Ihre Äußerung scheint die Versionen vom Märchen und der Nachtwanderung auszuschalten. Es gab allerdings auch Studenten, die meinten, Kinder würden damit auf ihre Kenntnis von Wölfen in anderen Märchen hinweisen. Zweifel entstanden an einer ironischen Lesart, es schien eher etwas Sarkastisches ins Spiel zu kommen. Die Einschätzungen tendierten in Richtung einer Situation, in der eine Person, vielleicht ein Vorgesetzter, Ärger auslöste oder den Sprecher verärgerte und Angst verursachte. Zu erwarten wäre dann eine Aussage, die entweder den Vorfall oder aber die Person selbst thematisiert. Rede mit ihm, diese Aggressionen helfen niemandem in solchen Situationen. Die dritte Person dieses Gesprächskreises spricht eine Empfehlung aus. Die Version, nach der Kinder einem Märchenerzähler lauschen, kann aufgegeben werden. Das gilt auch für die Nachtwanderung. Thema in der Gruppe scheint eine Person bzw. deren problematischer Umgang mit anderen zu sein. Ein möglicher Sarkasmus in der ersten Äußerung steht dazu nicht im Widerspruch. Die dritte Lesart gewinnt so zunehmend an Plausibilität, denn es braucht keinen großen Interpretationsaufwand, um deren Annahmen zu begründen. Als unbefriedigend wird empfunden, dass die Notation der Äußerung nichts darü- 222 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren ber aussagt, wie wirklich gesprochen wird: Es fehlen Markierung zur Prosodie, aus denen Hinweise auf Ironie abgeleitet werden könnten. Die Beobachtungen basieren ausschließlich auf den schriftlich verfassten Inhalten und ihrer Verknüpfbarkeit mit eigenen Kommunikationserfahrungen. Das Verfahren der Objektiven Hermeneutik simuliert gewissermaßen Vorgänge, die im Ereignis kommunikativen Handelns meist unbewusst ablaufen. Die in den Prozess Involvierten versuchen durch Beobachten der verschiedensten Phänomene herauszufinden, was der Andere will, was sie in Anbetracht dessen selbst wollen und ob das Wahrgenommene mit dem, was sie sich vorstellen, kompatibel ist. Erklärung Ich erkenne beispielsweise einen Studenten aus einem gemeinsamen Seminar in der Mensa. Er ist dort mit anderen zusammen im Gespräch. Ich bräuchte ein Buch, das er ausgeliehen hat. Das zu lösende Problem besteht nun darin herauszufinden, ob und wie ich ihn ansprechen kann und wenn das gelingt, wie ich ihn dazu bewege, mir dieses Buch kurzfristig zur Verfügung zu stellen. Ich muss herausfinden, wann ich ihn ansprechen kann bzw. ob es sogar denkbar ist, dass er mich anspricht. Aus seinem Verhalten versuche ich daher zu schließen, was er mit den Anderen tut und prüfe für mich, wo eventuell Anschlussmöglichkeiten bestehen könnten, die keine Verärgerung auslösen oder als Unhöflichkeit wahrgenommen werden. Beispiel Das Verfahren der Selbstbeobachtung und seine Weiterentwicklung zu einer wissenschaftlich nutzbaren Methodik wird von Strauss und Corbin (1990) als Grounded Theory diskutiert und stellt ein weiteres Verfahren des Interpretierens dar. Dieses beruht auf einem kontinuierlichen Beobachten und dem gleichzeitigen Prüfen des jeweiligen Geschehens. Dieses Prüfen stellt sicher, dass das Beobachtete mit dem, was als erwartbar eingeschätzt wird, abgeglichen werden kann. Erweisen sich die Beobachtungen als mit den Erwartungen inkompatibel, muss nach andern Bezugsgrößen gesucht und die bisherige Annahme korrigiert werden. Die Grounded Theory stellt einen Versuch dar, soziale Wirklichkeit im Zusammenspiel mit Theorien zu reflektieren. Sie ist eine Meta- Theorie, denn sie beinhaltet die permanente Reflexion der jeweils einem beobachteten Phänomen zugrunde gelegten Theorie. Die Grounded Theory entwickelte sich als Gegenentwurf zu den deduktiven und funktionalistischen Ansätzen beispielsweise von Parsons (1951) und Erweiterung der Methodik Juliet M. Corbin: Amerikanische Sozialforscherin und Professorin an der Universica Cattolica del Sacro Cuore, Schwerpunkte: Mitbegründerin der Grounded Theorie 223 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren B edeutungsBezogene B eschreIBungsmethoden Einheit 11 Merton (1995). Sie wird über die Soziologie hinaus in Bereichen der Psychologie und Bildungsforschung angewandt. Sie legt empirisches Material zugrunde und wendet darauf Theoriekonstrukte an, von denen Erklärungen erwartet werden, die nicht nur für diesen Fall gelten, sondern umfassende Zusammenhänge beleuchten. Entsprechend wird das Material erweitert, um die Reichweite des theoretisch Erklärten abzuschätzen. Das kann durch Hinzuziehen weiterer Beispiele erfolgen oder durch ein Ausweiten oder Verengen der Forschungsperspektive. Zeigt sich die Grenze der theoretisch ausgewiesenen Erklärungen, ist eine Erweiterung des Theorieansatzes denkbar oder der Wechsel der Referenztheorie überhaupt. Das Neue dieses Ansatzes liegt darin, nicht im Rahmen einer kategorialen Perspektive zu forschen, wie es eine klassische Theorie mit ihren festen Annahmen und Regeln organisiert, sondern schrittweise und induktiv nach dem Ausschau zu halten, was noch nicht erklärt wurde, also was neu ist. Herkömmliche, qualitative Verfahren arbeiten heraus, was durch sie methodisch sauber sichtbar gemacht werden kann. Ihre Vertreter erheben damit den Anspruch auf eine theoretisch ausgewiesene Beschreibung des Beobachteten. Die Grounded Theory will beobachten und erklären, deshalb verfolgt sie die Entwicklung der theoretischen Konzepte. Erklärung Anselm Strauss und Juliet Corbin erläutern ihr Vorgehen an dem Beispiel einer Person mit arthritischen Schmerzen. Sie nimmt eine Aspirin-Tablette und kann nach einer gewissen Zeit für sich feststellen, dass es ihr wieder besser gehe. Dieser Prozess wird im Grounded Theory-Ansatz in Einzelsegmente zerlegt. Jemand befindet sich in einem Zustand. In diesem wird er mit einem Phänomen konfrontiert: den arthritischen Schmerzen. Darauf reagiert er mit einer Strategie, ein Medikament zur Schmerzbehandlung zu wählen: Aspirin. Daraus leitet sich eine Konsequenz ab: Er fühlt sich besser. Beispiel Das so erarbeitete Muster kann auch auf dem Hintergrund einer handlungsbezogenen Theorie, wie sie die Praxeologie von Schmidt (2015) diskutiert, betrachtet werden. Verhalten wird in seinen in den Alltag eingebundenen Handlungsverläufen, beobachtet und das dieses begleitende Reden darüber und mit anderen hinterfragt. Daraus können Annahmen abgeleitet werden, wer oder was den oder die Akteure in ihrem Alltagshandeln leitet. Dazu wird es genaueren Hinsehens bedürfen, wie die jeweils wirksame gesellschaft- Praxeologie Robert Schmidt Abb. 11.6 Professor für Soziologie, Schwerpunkt: Praxeologie, Bildungssoziologie, Kultursoziologie (vgl. Kap. 4.4) 224 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren liche Umwelt mit dem Phänomen beispielsweise einer Erkrankung hantiert. Möglicherweise klärt sich, warum wie im zitierten Fall der Selbstmedikation einem Inhalt kommunikativ der Vorzug gegenüber anderen gegeben wird. Mit einem solchen methodischen Ansatz gelingt das, was mit einer sehr einfachen und naiv anmutenden Aufklärunghermeneutik begonnen hatte. Sich einer sozialen Wirklichkeit so anzunähern, dass sie optimale Erklärungszusammenhänge sichtbar machen kann, die nicht auf der Intuition eines Einzelnen basieren, sondern Erfahrungs- und Wissensbestände mit dem erkannten Phänomen systematisch abgleicht. Hierbei ist auch zu erwarten, dass nicht bewusste Inhalte aufgedeckt werden. Literatur Anderson, John R. (1983): The architecture of cognition. Cambridge, Mass. u. a.: Harvard Univ. Press (Cognitive science series). Becker-Mrotzek, Michael (1999): Diskursforschung und Kommunikation. [2., verb. und erw. Aufl.]. Heidelberg: Groos (Studienbibliographien Sprachwissenschaft). Bergmann, Jörg R. (2014): Ethnomethodologische Konversationsanalyse. In: Peter Schröder und Hugo Steger (Hg.): Dialogforschung. Jahrbuch 1980 des Instituts für deutsche Sprache. 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Welche Persönlichkeiten treten dabei in den Vordergrund und worin bestehen ihre Anforderungen an eine Methode für ihr Fach? Warum ist diese Diskussion für das Selbstverständnis einer Kommunikationswissenschaft hilfreich? (Vgl. 11.2) 3. Texte spielen bei der Entwicklung einer Methode des Verstehens eine wichtige Rolle. Welche Entwicklungsschritte lassen sich wissenschaftshistorisch feststellen? Warum wird dabei das Interpretieren in den Vordergrund gerückt? Welche Erkenntnisse lassen sich daraus für die Kommunikation ziehen? (Vgl. 11.3) 4. Die Erkenntnisse aus der Hermeneutik spielen auch heute noch eine wichtige Rolle, wenn Verstehen und Verständigung erklärt werden sollen. Ein Ansatz die Objektive Hermeneutik wurde in den letzten Jahren methodisch besonders herausgearbeitet? Was ist sein Anliegen und welche Schritte werden methodisch vorgeschlagen, um der Inhaltlichkeit des Geäußerten auf die Spur zu kommen? (Vgl. 11.4) 11.6 Kommunikation als Dokument Inhalt 12.1 Das Dokumentieren von Kommunikation 228 12.2 Das Transkript 232 12.3 Transkribieren heißt beobachten 236 12.4 Beispiele für Transkriptionssysteme 240 12.5 Literatur 244 12.6 Probleme und Fragestellungen 246 Face-to-Face-Kommunikation ist eine flüchtiges Ereignis in der Zeit. Wer darüber reden will, muss sich an Phase und Inhalte erinnern. Dabei fällt auf, wie stark das Erinnerte voneinander abweicht, wenn die Teilnehmer einer Kommunikation darüber Auskunft geben müssen. Für das Erforschen des kommunikativen Ereignisses ist es noch schwieriger, weil aus aufgezeichneten Daten auf ein Ereignis geschlossen werden muss und dabei gleichzeitig wissenschaftliche Aussagen erhofft werden. Das Dokumentieren von Kommunikation ist eine besondere Herausforderung. Sie muss die Verbalität und die Körperlichkeit des Ereignisses erfassen wie auch die raum-zeitlichen Umstände. Es werden Antworten auf Fragen über Kommunikation erwartet, die theoriebedingt sind, wenn wissenschaftlich gearbeitet wird. Das Dokument muss den damit verbundenen Anforderungen genügen können. Von zentraler Bedeutung ist daher das Transskript, das entsprechend entwickelt worden ist. Überblick 227 K ommunIKatIon analysIeren - geIsteswIssenschaftlIche V erfahren P roBlemstellung und f ragen Einheit 12 Kommunikation als Dokument Inhalt 12.1 Das Dokumentieren von Kommunikation 228 12.2 Das Transkript 232 12.3 Transkribieren heißt beobachten 236 12.4 Beispiele für Transkriptionssysteme 240 12.5 Literatur 244 12.6 Probleme und Fragestellungen 246 Face-to-Face-Kommunikation ist eine flüchtiges Ereignis in der Zeit. Wer darüber reden will, muss sich an Phase und Inhalte erinnern. Dabei fällt auf, wie stark das Erinnerte voneinander abweicht, wenn die Teilnehmer einer Kommunikation darüber Auskunft geben müssen. Für das Erforschen des kommunikativen Ereignisses ist es noch schwieriger, weil aus aufgezeichneten Daten auf ein Ereignis geschlossen werden muss und dabei gleichzeitig wissenschaftliche Aussagen erhofft werden. Das Dokumentieren von Kommunikation ist eine besondere Herausforderung. Sie muss die Verbalität und die Körperlichkeit des Ereignisses erfassen wie auch die raum-zeitlichen Umstände. Es werden Antworten auf Fragen über Kommunikation erwartet, die theoriebedingt sind, wenn wissenschaftlich gearbeitet wird. Das Dokument muss den damit verbundenen Anforderungen genügen können. Von zentraler Bedeutung ist daher das Transskript, das entsprechend entwickelt worden ist. Überblick 228 K ommunIKatIon als d oKument Das Dokumentieren von Kommunikation Eine wichtige Voraussetzung für die Erforschung von Kommunikation ist Material, das diese möglichst authentisch dokumentiert. Denn das kommunikative Ereignis ist wie das Sprechereignis flüchtig. Es ereignet sich, gebunden an Raum und Zeit und findet im Augenblick statt, ist also nicht wiederholbar. Das stellt die Erforschung solcher Ereignisse vor eine Reihe nicht ohne weiteres lösbarer Probleme. Aufzeichnungstechniken erlauben es, Spuren dieses flüchtigen Geschehens dauerhaft zugänglich zu machen; dabei ist jedoch zu bedenken, dass das Aufzeichnen von Bild und Ton nur eingeschränkt das kommunikative Geschehen dokumentieren kann. Wie die Diskussion über das Interpretieren im Rahmen der Hermeneutik gezeigt hat, werden vielfältige und sehr unterschiedliche Informationen benötigt, um Zugang zum kommunikativen Geschehen zu erhalten. Oft wird nur die technische Verfügbarkeit einer Aufzeichnung beachtet und nicht ihre Perspektivengebundenheit. Das beginnt bei der Kamerapositionierung, denn die Kamera erzeugt einen Blickwinkel. Aufgezeichnet wird ein eingeschränkter Ausschnitt. Sind den Betrachtern alter Fotos die abgebildeten Personen nicht mehr bekannt und können auch die Örtlichkeiten nicht mehr identifiziert werden, bleibt das, was zu sehen ist, unbestimmt. Zwar liegt ein Dokument einer örtlich und zeitlich fixierten Episode vor, aber es ist nur noch sehr eingeschränkt lesbar. Es lässt sich vielleicht noch an der Kleidung der Fotografierten und an Gegenständen der mögliche Zeitpunkt der Aufnahme erkennen. Eventuell ist aus dem Habitus der Abgebildeten die Funktion des Fotos ablesbar, aber der konkrete Anlass und seine kommunikative Funktion erschließen sich nicht mehr automatisch aus sich selbst heraus. Um über ein Kommunikationsdokument reden zu können, ist Interpretation nötig, das gilt für das Bild ebenso wie für einen gehörten oder gelesenen Text. Was die Quelle ist, woraus sich die Zuschreibungen speisen, hängt nun davon ab, wie über das dokumentierte Ereignis gesprochen werden soll. Es muss in der Regel zeitlich und örtlich sowie in seiner sozialen Funktion bestimmbar sein, vorausgesetzt es geht darum, das kommunikative Ereignis verstehen zu wollen. Erst eine Dokumentation der situativen Gegebenheiten schafft das nötige Deutungspotential, um ein Bilddokument wie das Foto in einem Album situationsadäquat interpretieren zu können. Welche Information für die wissenschaftliche Auswertung eines kommunikativen Vorgangs nötig ist, hängt vom gewählten Forschungsansatz ab. Wenn das Übertragen der Daten zentral ist, gilt die Beobachtung den Übertragungseigenschaften-- Ton- und Bildqualität-- und ihrem Beitrag zum Informationsgewinn. Steht die koordinierte Interaktion der Akteure im Fokus, richtet 12.1 Authentizität Theoriegeleitet dokumentieren 229 K ommunIKatIon als d oKument d as d oKumentIeren Von K ommunIKatIon Einheit 12 sich der Blick auf Hinweise der Partner, die sie miteinander austauschen, um koordiniert handeln zu können. Eine Ton- und Bildaufzeichnung zu besitzen, sagt noch nichts über die Qualität des Dokuments aus. Diese erweist sich erst in Abhängigkeit zum Verwendungszweck, also dazu, was mit dem Material gemacht wird bzw. wonach im Material gesucht werden soll. Wenn ein Kommunikationsereignis dokumentiert wird, müssen die Daten berücksichtigt werden, welche die Dokumentation repräsentieren sollen und die Grundlage für die Forschung bilden. Das kommunikative Geschehen erzeugt visuelle und akustische Daten der Akteure in einem Zeitkontinuum. Es wird von weiteren Daten begleitet, die durch die Aktivitäten der Handelnden erzeugt werden, das können definierte Textdokumente sein wie Text- und Bildpräsentationen. Der Prozess selbst ist ein temporal-physikalisches Ereignis, insofern dass entsprechende Daten durch den Raum und die beanspruchte Zeit entstehen. Ein solcher Vorgang erfolgt nicht losgelöst von einem umfassenderen kommunikativ und pragmatisch definierten Handlungsfeld, das nicht unbedingt aus den bereits genannten Daten erschließbar ist, auch wenn diese in der Regel einen engeren Zusammenhang darstellen können. Erklärung Das Aufzeichnen einer Unterrichtsstunde wird nicht dadurch qualitativ besser, dass mehrere Kameras den Prozess aufnehmen. Ob die Aufzeichnung qualitativ gut ist hängt davon ab, ob die Zielfrage der Untersuchung beantwortet werden kann, also ob das, was untersucht / beobachtet werden soll, in der Aufzeichnung erkennbar ist / deutlich genug aus ihr hervorgeht. Im Fall der Unterrichtsstunde ermöglichen es die so gewonnenen Daten, Erkenntnisse über einzelne Schüler zu gewinnen, indem ihr Verhalten miteinander oder Aktionen im Umgang mit einzelnen Aufgaben genauer betrachtet werden. Wenn die Häufigkeit eines Schülerbeitrags ein Kriterium ist, muss die Aufzeichnung umfassend und eindeutig bestimmbar die Schülerbeiträge aufzeichnen. Eine Aufzeichnung folgt den technischen Möglichkeiten, wie und in welchem Umfang sie wissenschaftlich nutzbar ist, das hängt von den Bedingungen der jeweiligen Problemstellung ab. Beispiel Wenn über die Dokumentation von Kommunikation gesprochen wird und interpersonale Kommunikation Gegenstand einer Analyse sein soll, wird die Ton- und Bilddokumentation an erster Stelle genannt. Eine solche Einschätzung basiert auf der reichen Datenfülle von Ton- und Bildaufzeichnungen. Es sollte aber dabei nicht übersehen werden, dass beispielsweise das Protokollieren auch eine Dokumentationsform darstellt, nicht nur das direkte Transkript. Mitschriften können Stichwortnotizen sein, Inhaltszusammenfassun- Umfassend dokumentieren 230 K ommunIKatIon als d oKument gen oder direkte Paraphrasen der tatsächlichen Äußerungen, auch örtliche Skizzen davon gehören dazu, wer wo gesessen hat. Damit bieten sie Hinweise zur Erweiterung der Wahrnehmung des kommunikativen Ereignisses und bilden eine Hilfe bei der Rekonstruktion des sozialen Raumes sowie der semantischen und pragmatischen Verhältnisse vor Ort. Die Besonderheit der Ton- und Bildaufzeichnung liegt im Umstand begründet, dass aufgezeichnete Situationen von den Beteiligten leicht wiedererkannt und erinnert werden. Vorsicht ist hier aber auch geboten, wenn Aufzeichnungen längere Zeit zurückliegen oder Materialien erstellt wurden, denen sehr ähnliche Situationen zugrunde liegen. Im letzteren Fall kann es sein, dass der Interpretierende eine Situation und somit Parallelen wiederzuerkennen glaubt, die in Wirklichkeit jedoch auf einen anderen Kontext / Handlungsfeld zurückgeht. Ton- und Bildaufzeichnungen sind keine Hilfe zur Interpretation des unmittelbaren Kontexts, wenn es sich aus Sicht des Interpreten um Fremdmaterial handelt. Ohne Erfahrungen im Feld des dokumentierten Geschehens basieren interpretative Zuschreibungen zum Gesehenen und Gehörten auf Annahmen, die nicht ohne weiteres vorausgesetzt oder überprüft werden können. Mit Fremdmaterial sind Datensammlungen gemeint, bei denen derjenige, der die Daten interpretiert, an der Datenerhebung nicht selbst beteiligt war. Wenn ein solches Material bearbeitet wird, erfolgen die interpretativen Zuschreibungen aufgrund genereller Erfahrungen im Umgang mit dem jeweiligen Feld oder einem Wissen über Verhalten in speziellen Handlungssituationen. Ein Wiedererkennen ist nur bildlich gesprochen möglich, d. h. es werden Elemente von Kommunikationsverhalten identifiziert, deren Deutung aus anderen Zusammenhängen bekannt ist, und dem Gesehenen zugeschrieben wird. Das auditive und visuelle Aufzeichnen von Kommunikation selbst bleibt daher eine „formale“ Datensammlung, d. h. sie wird nur dadurch lesbar, dass der Betrachter im Gehörten und Gesehenen etwas erkennt, was er aufgrund seiner Erfahrung im Umgang mit ähnlichen Situationen dem Wahrgenommenen zuschreibt. Wir erkennen die Kleider aus dem 19. Jahrhundert und unterstellen dann, dass die Dargestellten auf einem Foto Personen aus dieser Zeit sind. Ein Video zeigt, wie Schüler in einer Unterrichtsstunde tuscheln und als erfahrener Lehrer „weiß“ ich, was zu tun ist. Das Aufzeichnen eines kommunikativen Vorgangs ist daher ein Verfahren, das nicht unabhängig von der Interessenslage der Forschung gesehen werden darf. Stachowiak (1973) spricht von einem Modell, das Zuschreibungen und ihre Motiviertheit Konrad Ehlich (* 1942) Abb. 12.1 Sprachwissenschaftler, Professor für Deutsch als Fremdsprache an der Ludwig Maximilians-Universität München, Mitbegründer der Funktionalen Pragmatik als Sprachtheorie, Schwerpunkt: Sprache und Handeln 231 K ommunIKatIon als d oKument d as d oKumentIeren Von K ommunIKatIon Einheit 12 durch Aufzeichnung erstellt wird, und automatisch eine Reduktion von Wirklichkeit nach sich zieht. Für die Analyse von interpersonaler Kommunikation spielt die Dokumentationstechnik des Transkripts eine grundlegende Rolle und hat seit Ehlich und Switalla (1976) und Ehlich und Rehbein (1979) eine eigenständige Tradition entwickelt. Die Hinwendung der linguistischen Forschung damals zur gesprochenen Sprache und das Interesse an Alltagsdialogen machte eine Verschriftung des mündlich Geäußerten nötig, die genauer als eine orthographische und weniger aufwendig als die phonetische Umschrift sein sollte. Brinker (1989, S. 40) schlägt einen Beschreibungszusammenhang vor, der zwischen drei Ebenen der Beobachtung unterscheidet: Die primäre Datenebene ist die interpersonale Kommunikation selbst, die sekundäre Ebene stellt die Dokumentation durch die technische Ton- und Bild-Aufzeichnung dar. Die tertiäre Ebene entsteht, wenn dieses Material in ein neues Medium wie das eines Textes transformiert worden ist. Dieses Dokument stellt eine mögliche Basis für das wissenschaftliche Arbeiten dar, beispielsweise für eine Analyse. Erklärung Voraussetzung dafür sind Notationen und diesen ist wiederum eine Reihe von Entscheidungen vorgeordnet, die das wissenschaftliche Arbeiten beeinflussen. Das sprachliche Geschehen, das sind die Daten der Primärebene muss so dokumentiert werden, dass es Grundlage für wissenschaftliche Fragestellungen sein kann. Einen Schwierigkeitsfaktor stellt in diesem Zusammenhang die Körperlichkeit dar, denn das Sprechen ist ohne den Körper des Sprechenden nicht möglich; das gilt für den Resonanzraum der Stimme, aber auch für die Art und Weise, wie sich der Sprecher auf den Hörer mit seiner Körperhaltung, Gestik und Mimik einlässt. Wer ein Gespräch dokumentiert, muss daher entscheiden, inwieweit die Körperlichkeit, die bei der Prosodie des Sprechens einsetzt und bei körperlichen Verhaltensmustern, Körperausrichtung, Bewegung der Arme und Hände, bei Kopf und Blickverhalten endet, kodiert werden soll. Das Interaktionsverhalten ist ein simultaner Prozess in der Zeit, bei dem alle Akteure des Geschehens involviert sind. Es ist daher zu klären, ob das Phänomen wissenschaftlich relevant ist und wenn das der Fall ist, wie es „lesbar“ dargestellt werden kann. Das setzt voraus, dass eine Notation gefunden wird, die den Prozess in seiner Vielfalt rekonstruierbar macht. Jochen Rehbein (* 1939): Linguist, Professor für deutsche Linguistik an der Universität Hamburg, Schwerpunkt: Mitbegründer der Funktionalen Pragmatik als Sprachtheorie Dokumentationsebenen Dokumentation 232 K ommunIKatIon als d oKument Das Transkript - Mündlichkeit verschriftlichen Transkript bzw. die Transkription bezeichnen das „Hinüber-Schreiben“ von Gesprochenem ins Geschriebene, das „Verschriftlichen“. Damit ist gemeint, eine genaue schriftliche Wiedergabe des Gehörten zu leisten. Was zunächst einfach klingt, wirft sogleich eine Vielzahl von Problemen auf, beispielsweise im Bereich der Orthographie. Das Anliegen eines Transkripts ist aber nicht, eine Variante einer orthographischen Repräsentation vorzuschlagen, die regelt, wie regionale und dialektale Abweichungen zu handhaben sind. Solche Formen gibt es und sie dokumentieren das kommunikative Geschehen als einen orthographisch erfassten Lese-Text. Mit einem Transkript wird das Ziel verfolgt, das auditive Ereignis als schriftlich gefasstes Dokument unter möglichst vielen Aspekten erforschen zu können. Das Transkript ist nicht nur eine Technik der Dokumentation gesprochener Sprache, sondern es kann als eine eigenständige Methode verstanden werden, ein kommunikatives Ereignis in schriftlicher Form fassbar zu machen und es so seiner Flüchtigkeit zu entreißen. Das ist aber nur möglich, wenn aus der Vielfalt des kommunikativen Vorgangs das herausgewählt wird, was festgehalten werden kann und aus wissenschaftlichem Interesse fixiert werden soll. Transkribieren kann als eine Form des Beobachtens beschrieben werden, die entsprechende Kategorien voraussetzt. Die Transkriptions-Konventionen basieren auf den Möglichkeiten der jeweils zur Verfügung stehenden Form des Beobachtens und Vereinbarungen darüber, was als für die Forschung relevant erkannt wird. Eine solche Festlegung muss nach Ochs (1979, S. 43-72) auf einem theoretischen Konzept, das die Relevanz bestimmter Phänomene an diesem Geschehen begründet, aufbauen. Kommunikation basiert auf einer Konfiguration von Einzelphänomenen, die als Datenbasis von den Akteuren genutzt werden. Der Sprache wird eine besondere Wertigkeit zugesprochen, ihre Realisation erfolgt durch die Körperlichkeit des Sprechens. Wenn das Auditive im Vordergrund der Beobachtung steht, dann bieten phonologische und phonetische Verschriftungsverfahren eine kategoriale Grundlage. Liegt der Schwerpunkt im interaktiven Umgang miteinander und spielen dabei verbale Phrasen eine wichtige Rolle, dann rücken die Erfassung des wörtlich Gesagten und die zeitliche Abfolge ins Blickfeld. Entsprechend werden die Äußerungen nach orthographischen Regeln geschrieben und Notationen vereinbart, die das Sprechen zur selben Zeit oder Pausen berücksichtigen können. Das interaktive Geschehen wird ebenfalls von Bewegungsabläufen geprägt, hierbei spielt die Gestik eine wichtige Rolle. Dafür sind Notationsverfahren nötig, die die Bewegungen beispielsweise von Hand und Kopf kategorial dokumentieren, und Formate, welche das simultane Geschehen festhalten. Erklärung 12.2 Techniken des Transkribierens 233 K ommunIKatIon als d oKument d as t ransKrIPt - m ündlIchKeIt VerschrIftlIchen Einheit 12 Als Problem erweist sich die Lesbarkeit. Bereits wenn zwei Personen an der Kommunikation teilnehmen, wird eine solche kategoriale Beschreibung umfangreich und unübersichtlich. Sie zu lesen setzt Übung voraus, wenn mehrere Beobachtungsebenen berücksichtigt werden müssen. Die Übersichtlichkeit hängt auch ein wenig von den gewählten Formaten ab. Praktisch haben sich Dokumentationsformen entwickelt, bei denen das Geschehen zeilenweise, in Spalten oder als Partitur erfasst wird. [der ei´ne ne] +1.2+ [=ä=] +1.9+ [=pfsch=] +0.75+ [für mi´ch kein problem] (Sager 2004 131) Ein Beispiel Um die Zeile lesen zu können, müssen die entsprechenden Konventionen bekannt sein. Hier werden die eckigen Klammern benutzt, um einzelne Äußerungen darzustellen. Eine verbale Äußerung wird durch die Intonation definiert und bildet prosodisch eine Einheit, die durch den Akzent eine Markierung erhält. Die zwei anderen Äußerungen im obigen Beispiel, markiert durch Gleichheitszeichen, sind vokalischer Natur. Sie trennen Pausen, die durch die umrahmenden Kreuze angezeigt werden. Die Dauer der Pausen wird in Sekunden ausgedrückt. Wenn die verbale Äußerung interpretiert wird, kann das auf der Grundlage morpho-syntaktischer Regeln erfolgen. Dann würden die verbalen Äußerungen als zwei Phrasen gelesen werden: „der eine“ und „für mich kein Problem“. Diese ergeben keinen Satz, weil das Prädikat fehlt. In der mündlichen Rede ist das nicht ungewöhnlich, sodass die Konstruktion im Sinne einer Satzeinheit rekonstruiert würde: „Der eine ist für mich kein Problem.“ Semantisch würde das bedeuten, es wird auf ein Individuum Bezug genommen, das der Sprecher in dem Sinne bewertet, dass es für ihn kein Problem darstellt. Die Zulässigkeit dieser Lesart wird hinterfragbar, wenn die vokalischen Äußerungen simultan einbezogen werden. Das-=ä=, mit 1,2 Sekunden Pause abgesetzt, kommentiert die verbale Äußerung. Wenn wir das-=ä= nicht hören oder nur isoliert betrachten, sind unterschiedliche Bedeutungszuschreibungen vorstellbar. Es kann eine Überbrückung bei einer Konstruktionsfindung beginnen, wenn der Sprecher noch nicht weiß, wie er die Konstruktion fortsetzt; in Abhängigkeit zur gewählten Intonation kann dieses / ε/ etwas Positives oder Negatives ausdrücken. Es muss geklärt werden, ob die syntaktische Rekonstruktion begründbar ist. Wenn visuelle Daten verfügbar sind, lassen sich diese hinzuziehen. Die Gestik auf dem Bild kommt dadurch zustande, dass der Sprecher beide Hände ruckartig hebt und den Eindruck erweckt, etwas abwehren zu wollen. Diese Geste wird gleichzeitig von einem Kopfschütteln und einem kurzen Schließen der Augen begleitet. Aus der Konfiguration von voka- 234 K ommunIKatIon als d oKument lem und körperlichem Verhalten lässt sich für diese Situation eine Deutung konstruieren, der zufolge etwas abgelehnt werden soll. Diese Deutung lässt sich durch das weiter folgende Verhalten aufrechterhalten. Die beiden Segmente aus der verbalen und vokalen Äußerung sowie dem körperlichen Verhalten legen als Referenz nahe, dass der Sprecher die Person, über die er redet, ablehnt. Der weitere Äußerungsverlauf mit [=pfsch=] steht zu dieser Annahme nicht im Widerspruch. Sager (2004, S. 130), der dieses Beispiel diskutiert, erklärt das [=pfsch=] im Sinne einer Expression mit dem Zweck, etwas zu verscheuchen und stützt seine Annahme auf die Gestik: Die Handrücken sind nach oben gedreht, beide Hände machen eine Halbbogenbewegung nach oben. Das kann im Sinne des „bloß weg damit“ gelesen werden. Während dieser Aktivität wird 1,9 Sekunden lang nicht gesprochen. Das vokale [=pfsch=] ist dann die Lautgeste, die benutzt wird, um etwas zu vertreiben. Das hat semantische Konsequenzen. Mit der ersten verbalen Äußerung wird ein Individuum identifiziert. Das Verhältnis zu demselben wird durch das vokale und körperliche Verhalten als wohl ablehnend angezeigt. In diesem Zusammenhang könnte Beispiel für ein Transkript (Sager 2004, S. 132) Abb. 12.2 235 K ommunIKatIon als d oKument d as t ransKrIPt - m ündlIchKeIt VerschrIftlIchen Einheit 12 sich die zweite verbale Äußerung, „kein Problem damit zu haben“, auf die Abweisung oder das Wegschicken dieser Person beziehen. Das Zitat veranschaulicht, was es mit der Ökonomie und Lesbarkeit einer Transkription auf sich hat. Je weitreichender die Interpretation einer Äußerung sein soll, umso differenziertere Daten sind nötig. Es ist daher für die praktische Arbeit nicht unwichtig, sich bei der Datenerhebung bestimmte Vorgaben zu setzen. Für die Begründung der Konventionen zum Transkribieren werden daher eine Reihe von Kriterien genannt, die sich nach Schmidt (2005) in der Praxis des Verschriftlichens bewährt haben. Ein Transkript soll lesbar, es soll in der Auswahl der Kategorien ökonomisch und zugleich sollen die Kategorien robust sein, d. h. die Anwendung der Kategorie soll bei unterschiedlichen Beobachtern möglichst dasselbe Phänomen erfassen, sie sollte insofern intersubjektiv sicher sein. Ferner ist darüber zu entscheiden, ob alle beobachtbaren Phänomene oder nur eine Auswahl für die Dokumentation berücksichtigt werden sollen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle kommt auch dem Aufwand zu, die jeweiligen Konventionen der Transkription zu erlernen. Eine schriftsprachliche Notation fällt leichter als eine, die phonologischen Konventionen folgt. Das Zuschreiben von nonverbalen Kategorien bedarf neben dem Erwerb einer dafür geeigneten Notation besonderer Übung. Wir sind es gewöhnt, gestisches und mimisches Verhalten intuitiv als Ausdruck für Befindlichkeiten zu deuten und nicht als Mittel pragmatischer Funktionen zur Organisation der Interaktion, der Diskursstruktur oder semantischer Verhältnisse in der Situation. Standardisierte Transkriptionsverfahren sind HIAT (Ehlich und Rehbein 1979), GAT (Selting 1998, S. 91-122) und DIDA (Klein und Schüttle 2001). Ein Transkript spiegelt immer das Beobachtungsinteresse wider. Denn die Art der Dokumentation entscheidet über die Sichtbarkeit der als für die Kommunikation relevant gesetzten Phänomene. Lägen im Fall des zitierten Beispiels nur die verbale und vokale Dokumentation vor, hätte das den Schluss nahegelegt, dass der Sprecher mit der genannten Bezugsperson keine Probleme hat. Eine andere Schwierigkeit entsteht durch das Lesen eines Transkripts. Das im Transkript Festgehaltene ist wieder Gegenstand der Deutung, die bestimmter Deutungsregeln bedarf. Letztere werden aus den theoretischen Annahmen über Kommunikation gewonnen. Die Bearbeitung des Beispiels kann nur in einer Hypothese wahrscheinlicher Interpretationen enden, die sich aufgrund der vorhandenen Daten mehr oder weniger eindeutig belegen lassen. Kriterien Svend F. Sager (* 1948) Abb. 12.3 Sprachwissenschaftler, Professur für deutsche Linguistik an der Universität Hamburg, Schwerpunkte: Gesprächsethologie, nonverbale Kommunikation, Kooperation mit dem Sprachwissenschaftler Klaus Brinker (1938-2006), der Germanistische Linguistik an der Universität Hamburg lehrte 236 K ommunIKatIon als d oKument Transkribieren heißt beobachten Das Transkript ist eine Methode des Beobachtens und keine frei wählbare Form zur Veranschaulichung. In der Diskussion der verschiedenen Vorschläge haben sich, wie Schmidt (2005, S. 106) erläutert, seit den 70er Jahren für die Kategorienbildung zur Beschreibung bestimmte Einheiten als allgemein anerkannt herausgebildet: (1) Phonologisch erfassbare segmentale Einheiten, (2) phonologisch erfassbare nicht-segmentale Einheiten, (3) nicht phonologisch erfassbare Einheiten, (4) Pausen, (5) akustische Mängel, (6) zusätzliche Beschreibung / Klassifizierung segmentaler Einheiten. Die Basiseinheit bildet der einzelne Laut, der dazu beiträgt, Wörter von anderen unterscheiden zu können. Der Verbund dieser Einheiten wird als Einheit im Wort oder Satz dadurch wahrnehmbar, dass ein Akzent die Struktur als zusammengehörig anzeigt oder durch die Melodie, die als Prosodie bezeichnet wird. Sie ist auch Träger pragmatischer Informationen. So nehmen wir bestimmte prosodische Varianten als Aufforderung oder Drohung wahr. Ein eigenes Thema ist der Umgang mit Pausen, weil die Unterbrechung des Redeflusses minimal sein oder deutlich messbar in den Sekundenbereich hineingehen kann. Die Notationen variieren entsprechend der Bedeutung, die solchen Unterbrechungen zugewiesen wird. Bisher nicht eindeutig geklärt ist, wie mit der Nonverbalität umgegangen werden soll und wie diese überhaupt definiert werden kann. Für nicht verbale Kommunikation wurden ikonisch gefasste Kategorien vorgeschlagen, beispielsweise Piktogramme für eine bestimmte Hand- oder Kopfhaltung. In der Praxis kann eine solche Beschreibungsform sehr aufwändig werden und zudem ist sie häufig ungenau. Kowal und O’Connell Daniel (1995, S. 113-138) betrachteten unterschiedliche Lösungsansätze. Möglich ist die Deskription des Phänomens oder die Anwendung von Listen von Typen, die dort näher charakterisiert werden. Die Deskription umschreibt oder beschreibt- - wie der Begriff schon besagt- - ein Phänomen. Wenn jemand lacht, wird z. B. aufgeschrieben: Person X lacht laut oder es wird mithilfe von Lachsilben ausgedrückt. In Listen werden mögliche Verhaltensformen zusammengestellt und durch Merkmale vordefiniert, sodass dann ein Typ benannt werden kann, der dem Beobachteten am nächsten kommt. Hierbei besteht die Möglichkeit, die Typenliste geordnet zu erweitern. Zudem muss aus der Kategorienbildung klar ersichtlich sein, in welcher Beziehung einzelne Einheiten innerhalb einer Kategorie zueinander stehen. Einheiten können beispielsweise hierarchisch geordnet sein. Zwei Einheiten können eine Schnittmenge von gemeinsamen Merkmalen bilden, wenn es eine Typenbeschreibung „Lachen“ gibt und zwei Personen sich ähnlich 12.3 Umgang mit Nonverbalität 237 K ommunIKatIon als d oKument t ransKrIBIeren heIsst BeoBachten Einheit 12 oder unterschiedlich verhalten, wenn sie lachen. Für die Prozessbeschreibung sind die zeitlichen Beziehungen von Einheiten konstitutiv. Sprecher reden gleichzeitig oder zeitversetzt, dasselbe gilt für das gestische Verhalten als Teil einer sprachlichen Äußerung. Entscheidend ist beim Erstellen eines Transkripts, dass es auch für andere, die das festgehaltene Geschehen nicht unmittelbar beobachten konnten, „lesbar“ ist. Für diese muss die Anwendung der bekannten Kategorisierungen verlässlich sein, denn ihre Interpretationsannahmen basieren direkt auf dem Transkript. Für das Erstellen von Transkripten wurden bestimmte Formate entwickelt, die allgemein benutzt werden. Die Zeilen-Notation erfasst das Kontinuum des Geschehens und ermöglicht, beim Lesen Bezüge herzustellen, also innerhalb der Notation wie beim Lesen eines Textes vor- und zurückzuspringen. Das kommunikative Geschehen wird sukzessiv präsentiert. Bei der Zeilen-Notation wird davon ausgegangen, dass in der Regel die Sprecher nur wechseln, wenn ein Gedanke einer Äußerung abgeschlossen ist. Bei der Redeübergabe kann es zu Überlappungen kommen, wenn mehr als ein Sprecher das Rederecht für sich beansprucht; das ist aber eher selten der Fall. Zeile Sprecher Äußerung 01 A Ich wollte mich erkundigen nach Berlinflügen und wo ist da der nächste Abflughafen Frankfurt oder wo geht das los 02 B Auf jedem Flughafen das sind ja Linienflüge Die Akteure befinden sich in einem Reisebüro und A erkundigt sich bei einem Angestellten des Reisebüros nach Flugverbindungen. Der Redebeitrag des Sprechers wird als durchgehende Zeile notiert und der Zeilenumbruch erfolgt, wenn der Beitrag des Angesprochenen beginnt. Wenn es zu Überlappungen mit Äußerungssegmenten anderer Akteure kommt, lassen sich diese durch Markierungen an entsprechenden Stellen in die Zeile einarbeiten. In der Praxis ist die Zeilen-Notation dort zu finden, wo die Dokumentation auf die Inhaltlichkeit einzelner Redebeiträge abzielt und dem interaktiven Geschehen kein bzw. wenig Gewicht beigemessen wird. Interviews werden häufig auf diese Weise erfasst, wenn sie inhaltsanalytisch ausgewertet werden sollen. Der Fokus liegt dann ausschließlich auf dem inhaltlichthematischen Aspekt. Die Partitur-Notation versteht das Geschehen wie das Musizieren in einem Orchester, bei dem stets alle anwesend sind und jeweils einen bestimmten Part übernehmen. Für jeden Akteur ist daher ein fester Ort über das gesamte Kommunikationsereignis vorgesehen. Die Rolle der Selbstorganisation, d. h. wer wann seinen Beitrag leistet, muss dabei durch Betrach- Layout-Prinzipien Zeilen-Notation (Jäger 1979, S. 53) Partitur-Notation 238 K ommunIKatIon als d oKument tung einzelner Äußerungsformen erschlossen werden und wird nicht automatisch durch die Abfolge der Partitur-Seiten sichtbar. Die Partitur-Notation bedarf einer Eingewöhnung beim Lesen. Das Erstellen eines solchen Dokuments ist sehr aufwändig. Durch die Aufteilung des Verhaltens in eine Vielzahl von Teilkomponenten bietet es einen differenzierten Einblick. So lässt sich der kontinuierliche Prozess in Segmente n+1 aufteilen. Jedem Segment kann ein Zeitpunkt t+1 zugewiesen werden, aus dem hervorgeht, was ein bestimmter Sprecher verbal (V) oder nichtverbal (nV) tut. Segment Start Ende Sprecher Typ Symbolkette 1 T 0 T 1 Max V Du fällst mir immer ins 2 T 1 T 2 Max V Wort. 3 T 0 T 2 Max nV Fuchtelt mit den Armen 4 T 3 T 4 Max V Siehst du. Du hast es schon wieder getan. 5 T 1 T 2 Tom V Stimmt 6 T 2 T 3 Tom V Ja gar nicht. 7 T 1 T 3 Tom nV Abfällige Geste Der Ausschnitt lässt sich auch entlang der Zeit-Achse T n+1 ordnen und so den Prozess als ein Ereignis in der Zeit zeigen. T 0 T 1 T 2 T 3 T 4 Max V 1 2 4 Max nV 3 3 Tom V 5 6 Tom nV 7 7 So wird das Geschehen im Hinblick auf das, was zu den jeweils erfassten Zeitpunkten geschieht, greifbar. Während Max mit der Äußerung „Wort“ endet und mit den Armen fuchtelt, setzt Tom mit „Stimmt“ ein und bestreitet Maxens Äußerung mit einer abfälligen Geste. Auch eine weiter ausdifferenzierte Kategorisierung als die im Beispiel genutzte bleibt auf diese Weise kontrollierbar. Das Lachen ließe sich in dieser Notation als interaktives Geschehen sehr präzise darstellen. Das Spielen mit Objekten wie einem Stift beispielsweise kann ebenso im Prozessgeschehen festgehalten werden. Die jeweiligen Kategorienebenen sind durch das Zeitsegment eindeutig fixiert, alles, was zu diesem Zeitpunkt geschieht, lässt sich so festhalten. (Schmidt 2005, S. 94) (Schmidt 2005, S. 94) 239 K ommunIKatIon als d oKument t ransKrIBIeren heIsst BeoBachten Einheit 12 Das Konfigurative kann beobachtet und beschrieben werden und ebenfalls die Wirkung auf das Geschehen oder, wenn eine solche nicht erkennbar ist, kann der Aspekt unberücksichtigt und als nicht zu beachtende Eigentümlichkeit einer Person vernachlässigt bleiben. Wenn eine solche Matrix aus Kategorien der Partitur computerbasiert vorliegt, ist ihre Komplexität durch das Ausblenden bestimmter Spalten oder Zeilen reduzierbar, sodass nur die für die Forschungsfrage als relevant erkannten Kategorienebenen betrachtet werden können. Allerdings ist die Erarbeitung einer solchen Dokumentation sehr zeitintensiv. Schon wenn bei einem Zweiergespräch das körperliche Verhalten mitnotiert wird, d. h. Kopfbewegungen, Mimik, Blick, Gestik, Haltungen des Oberkörpers etc., bedarf es besonderer Schulung. Andererseits bietet diese Art der Dokumentation differenzierte Einsichten in das personale und interaktive Geschehen vor Ort. Start Ende Sprecher Sprecherbeitrag T 0 T 2 Max Verbale Einheit: Du fällst mir immer ins Wort. T 0 T 1 T 1 T 2 Nonverbale Einheit: Fuchtelt mit den Armen T 0 T 2 Sprecherbeitrag T 1 T 3 Tom Verbale Einheiten: Stimmt Ja gar nicht. T 1 T 2 T 2 T 3 Nonverbale Einheiten: Abfällige Geste T 1 T 3 Die Darstellung in Spalten-Notation hebt die Unterschiedlichkeit von Beobachtungskategorien, wie die zwischen verbalen und nonverbalen Verhaltensweisen, hervor. Das Lesen erfolgt von oben nach unten, wobei einzelne Kategorien für sich verfolgt werden können. Die Wahl des Formats steht bis zu einem gewissen Grad im Zusammenhang mit Lesegewohnheiten und der Schwierigkeit der Rekonstruktionsbedingungen des Ereignisses. Sie hat mit der Forschungsfrage zu tun, welche Zusammenhänge im Geschehen vorrangig und sicher beobachtet werden sollen. Ob die Partitur- oder Spalten-Notation genutzt wird, hängt von den speziellen Forschungsfragestellungen ab. Wenn nur die inhaltliche Entwicklung eines Gedankens beobachtet werden soll, kann das durch die Spaltendarstellung erreicht werden. Sie bietet ausreichend Hinweise auf nicht verbale Verhaltensweisen, die zur Profilbildung eines Gedankens dienen können. Die Spalten-Notation (Schmidt 2005, S. 97) 240 K ommunIKatIon als d oKument Spalten lassen sich auch um zusätzliche Kategorientypen erweitern. Semantisch oder pragmatisch definierte Kategorien können den verbalen Einheiten zugeordnet werden und eine Orientierungshilfe für das Strukturieren des kommunikativen Geschehens bieten. Auf diese Weise lassen sich Passagen kategorial erfassen und sind bei der Analyse längerer Phasen schnell wiederzufinden. Strukturell formale Eigenschaften können auf dieselbe Weise zugeordnet werden und erfassen zum Beispiel das mechanische Aktivitätspotential der Akteure. Eine solche Dokumentation kann durch eine Spalte der Interpretation erweitert werden, in der einzelne Sprechhandlungen angezeigt würden. Im Beispiel läge eine Interpretation im Sinne von Vorwurf und Rechtfertigung nahe. Start Ende Sprecher Akt Sprecherbeitrag Verbale Einheit T 0 T 2 Max Vorwurf (1 ) Du fällst mir immer Ins T 0 T 1 (2) Wort T 1 T 2 Nonverbale Einheit (3) Fuchtelt mit den Armen T 0 T 2 Sprecherbeitrag Verbale Einheit Ablehnung (4) Stimmt T 1 T 2 (5) Ja gar nicht T 2 T 3 Nonverbale Einheit (6) Abfällige Geste T 1 T 3 Beispiele für Transkriptionssysteme Den ersten Vorschlag zu einem Transkript-Modell lieferten die Halbinterpretativen Arbeitstranskriptionen ( HIAT ) von Ehlich und Rehbein (1976). „Halbinterpretativ“ wird der Verschriftungsvorschlag genannt, weil nur die Alltagskenntnis von Sprache als Strukturierungsprinzip genutzt werden soll. Als Bezugsgröße wird die Standardsprache gewählt. Das Verschriften orientiert sich an den Handlungsfunktionen. Die Transkript-Beobachtungen zielen auf das Erkennen von pragmatischen Zusammenhängen. Spalten- Notation 12.4 HIAT 241 K ommunIKatIon als d oKument B eIsPIele für t ransKrIPtIonssysteme Einheit 12 +------------------------------------------------- |L Wir wollen das uns [1 jetzt nochmal etwas genauer | [1 schiebt vordere Tafel run- | ter, auf der hinteren Tafel | werden 2 Zeichnungen sichtbar Schülerin Z | Ej, ej [2 (guck mal ) 2] | [2 tippt Nachbarin Si an | und zeigt in Kamera Schülerin Si | [3 3] | [3 dreht sich zu ihr, wieder | zur Tafel, mit den Augen kurz | Kamera streifend, kurz lächelnd... 1 +------------------------------------------------------------ +------------------------------------------------- |L 1] ansehn. [4 4] | [4 zieht hintere Tafel | mit Zeichnung | etwas runter | > _ |S1 Ja |S2 O: h |S3 Toll! |S4 Oho Schüler(in) Nr5 | N schönes Bild! Schüler(in) Nr6 | Wann ham Se dat jemacht? Schüler(in) Nr7 | Ich weiß et. 2 +------------------------------------------------------------ +------------------------------------------------- |S1 Sauerstoffverbrauch! |S2 Mann Mann Mann, wann ham Se n dat |S3 Is schön! Schülerin Z | Von voriges Mal 3 +------------------------------------------------------------ +------------------------------------------------- |L Eben. |S1 Eben? |S2 gemacht? | ((lacht)) ((lacht)) |S3 Jawohl |S4 Nein Gezaubert! | > / Schüler(in) Nr5 | Ja Schüler(in) Sj | Das is nich 4 +------------------------------------------------------------ +------------------------------------------------- |S1 [5 Keine Kraft hat die Dame | [5 zieht gerade die hintere | Tafel, die hochgerutscht | war, wieder runter Ralf | Sie Schüler(in) Sj | von uns. Schüler(in) Nr5 | Ej, (n Geist! ) Schüler(in) Nr6 | Soll ich mal was sagen? 5 +------------------------------------------------------------ L Lehrerin http: / / www.ehlich-berlin.de/ HIAT/ DEMOTXT4.HTM 242 K ommunIKatIon als d oKument Statt von Halbinterpretativen Arbeitstranskriptionen spricht Redder (2001, S. 1040) auch von einer hermeneutischen Verschriftlichung. Diese Art der Verschriftlichung wird als Instrument für eine funktionalpragmatische Diskursanalyse verwendet. Vom Modell des HIAT setzte sich Selting (1998) mit dem Entwurf der Gesprächsanalytischen Transkriptionskonventionen ( GAT ) ab. Hier geht es nicht um Funktionen, sondern um das Erfassen und Beschreiben von Formen. Sie lassen sich verbal als Partikel erkennen oder als phonetische Signale wie „äh“ oder „hm“ beobachten, ohne sie gleich einer pragmatischen Funktion wie Bestätigung oder in- Frage-Stellung zuzuordnen. Betont wird dabei die besondere Bedeutung des Prosodischen. Die Transkription ist einerseits das Dokument, das eine angemessene Analyse erst möglich macht, andererseits wird sie aber nie von der Tonbzw. Bild- und Tonaufnahme losgelöst (betrachtet) und bleibt stets mit ihr verbunden. Das Transkript und die Aufzeichnung treten gewissermaßen in ein dialektisches Verhältnis. Anders als bei HIAT ist das Kategoriensystem nicht stark linguistisch ausgerichtet. Die Kategorien werden offener behandelt. Das hat mit der methodischen Grundmaxime einer „theoriefreien“ Sicht auf das Kommunikationsereignis zu tun. Der Ansatz fühlt sich den Prinzipien der Conversation Analysis verpflichtet, wie sie von Sacks et al. (1974) iniitiert worden ist. Sie forderten, das interaktive Geschehen im kommunikativen Handlungsraum vorschnellen Interpretationen zu entziehen und offen zu beschreiben, wie sich die Akteure beobachten und reagieren. Beide Transkriptionsverfahren, HIAT und GAT , legen Beschreibungseinheiten zugrunde. HIAT unterscheidet in seiner ursprünglichen Fassung von 1976 phonologisch fassbare Segmente sowie Töne. Diese Segmente bilden die Grundlage für umfassendere Einheiten. Solche können der Turn, die Äußerung, das Wort, die Silbe, das einzelne Phonem sein; die Töne, die nach vier Typen unterschieden werden, sind mit Bezug auf die Silbe definiert. GAT nutzt zur Beschreibung ebenfalls phonologisch fassbare Segmente, die als Turn, Phrasierung, Wort, Silbe und Phonem identifiziert werden können, auch wenn das nicht explizit gemacht wird. Besonders interessant ist die Einheit Phrasierung, über die bei HIAT nichts gesagt wird. Sie wird mit Ton- Angelika Redder (* 1951): Linguistin, Professorin für Deutsche Germanistik an der Universität Hamburg (2003-2015) , zuvor an den Universitäten in Hannover und München, Schwerpunkte: Linguistische Pragmatik (Diskurs- und Textanalyse, Kommunikation in Institutionen, interkulturelle Kommunikation) und Funktionale Grammatik Margret Selting: Linguistin, Professorin für Germanistik an der Universität Potsdam, Schwerpunkt: Gesprächs- und Konversationsanalyse und Mitautorin des gesprächsanalytischen Transkriptionssystems GAT GAT Ton-Bild Dialektik Turn, Äußerung, Wort, Silbe, Phonem; die Töne Turn, Phrasierung, Wort, Silbe, Phonem 243 K ommunIKatIon als d oKument B eIsPIele für t ransKrIPtIonssysteme Einheit 12 höhenbewegungen, Akzentabstufungen, Dehnungen, Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit, Tonhöhensprüngen, Tonhöhenregister wie hoch / tief und Akzenttonhöhenbewegungen näher charakterisiert. Das Augenmerk gilt bei GAT den bestimmten Formelementen und ihrer Charakteristik. HIAT (Ehlich und Rehbein 1979, S. 57) kennt die Phänomene des Tonhöhenverlaufs, des Akzents, der Lautstärke, des Sprechtempos auch, sieht diese aber im Zusammenhang mit der Funktion einer kommunikativen Handlung und als ein Mittel zur Verständigung. Das setzt Vorannahmen über solche Handlungen voraus. GAT hält das für eine methodische Schwäche. Denn die Akteure selbst nutzen in der Situation Formen, sie entscheiden in der aktuellen Interaktion, was die Form bedeutet und stimmen den Gebrauch durch ein gegenseitiges Agieren ab. Beide Vorschläge beobachten das kommunikative Geschehen von der Sprache her. HIAT nutzt dabei pragmatisch motivierte Deutungsverfahren. Das ist solange möglich, wie Annahmen über ein erwartbares Verhalten aus dem Prozessverlauf begründbar sind bzw. sich aus der Typik der Situation ableiten lassen. GAT beobachtet dagegen, wie sich die Kommunizierenden in der jeweiligen Situation aufgrund spontaner Interpretationen und gegenseitigen Beobachtens verhalten. GAT prüft demnach das Deutungsverhalten der Akteure. Beobachtungseinheiten Tonhöhenverlauf, Akzent, Lautstärke, Sprechtempo 06 S1: =oder scheiden lassen ↑ ÜBERhaupt. 07 S2: hm, 08 (--) 09 S1: heute noch- 10 (2.1) 11 s=is der ↑ UMbruch. 12 S2: n besonders GUtes beispiel das warn mal unsere ↑ ` NACHbarn. 13 (1.0) 14 ähm (1.0) 15 DREISsig jahre verheiratet, (--) 16 das letzte kind (.) endlich aus m HAUS, 17 zum stuDIERN, (--) 18 WEGgegangen,=ne, 19 nach berLIN, (--) 20 und (.) die ältere tochter is AUCH in berlin gewesen? (1.1) 21 und (.) der KE: : RL, 22 das war aber ein peneTRANter: ! WI! derling.=also (1.0) …> sprachbegleitend.>, schEidend Fokusakzent, ↑ klei- Die Erzählung „Der widerliche Kerl“: http: / / www.uni-potsdam.de/ u/ slavistik/ vc/ rlmprcht/ textling/ comment/ gat.pdf Abb. 12.4 244 K ommunIKatIon als d oKument Die unterschiedlichen Grundeinstellungen zum kommunikativen Ereignis, die in den HIAT - und den GAT -Konventionen zum Ausdruck kommen, lassen sich an den nicht phonologischen Einheiten noch deutlicher erkennen. HIAT greift diesen Aspekt erst nachträglich auf und schlägt Einheiten vor wie Objektbezogenheit (also das Verhalten der Bezugnahme auf den Anderen oder auf sich selbst), redebegleitende Handlungsweisen sowie den Umgang mit Geräuschen, die situativ auftreten. Bei GAT gilt bezüglich der nicht phonologischen Einheiten das Augenmerk dem Atmen, wobei von verschiedenen Typen des Ein- und Ausatmens ausgegangen wird. Lachen spielt eine besondere Rolle. Kommentiert werden kann, was daraus für die weitere Interaktion folgt. Für HIAT ist Lachen eine Einheit, die beispielsweise als Bestätigung fungieren kann. Mit der Beschreibung von Handlungen, die parallel zum Verbalen vollzogen werden oder an ihre Stelle rücken, richtet sich bei HIAT und GAT die Aufmerksamkeit auf das, was im Handlungsfeld der Kommunikation auftritt. Für HIAT sind das nur(? ) pragma-semantisch begründete Dinge. GAT nimmt das Auftreten solcher Ausdrucksformen zur Kenntnis, wenn sich im Prozess ein raum-zeitlicher Zusammenhang absehen lässt. Die GAT - Methode stellt sich somit etwas breiter auf und geht einen Schritt weiter? Transkripte werden immer dann nötig, wenn nach Informationen gesucht wird, die sich aus dem interaktiven Verhalten von Akteuren ableiten lassen. Je unsicherer die Kommunikation ist und je weniger sie in ihrem Ablauf kalkuliert werden kann, umso mehr bedarf es eines Mediums, das die Flüchtigkeit der Ereignisse fixiert. Das Transkript erfasst ausgewählte und für wichtig gehaltene Elemente des kommunikativen Prozessgeschehens, die sich als Beobachtungspunkte anbieten. So lässt sich in einer Diskussion klären, inwieweit das Zusammenspiel von verbalem und nicht verbalem Verhalten unter den Akteuren Reaktionen auslöst und inwieweit damit kooperativ gehandelt wird. Einzelne Redebeiträge und ihre Übergänge zum Beispiel bei einem Lehrgespräch oder einer Befragung können daraufhin analysiert werden, welche Mittel und Techniken den Akteuren zur Bewältigung dieser Aufgabe zur Verfügung stehen. Gespräche verfolgen oft bestimmte Intentionen. Mithilfe eines Transkripts lässt sich identifizieren, in welchen Phasen die Akteure ihrem Ziel sehr nahe kommen und in welchen nicht. Aus der Erfassung des Verhaltens lassen sich Annahmen darüber formulieren, inwieweit Strategien zu mehr Sicherheit in der Kommunikation beitragen. Literatur Brinker, Klaus (1989): Linguistische Gesprächsanalyse eine Einführung. Berlin: Schmidt (Grundlagen der Germanistik). Ehlich, Konrad (2011): Textartenklassifikationen. Ein Problemaufriss. In: Textsorten, Nicht phonologisch erfassbare Einheiten Anwendungsfelder 12.5 245 K ommunIKatIon als d oKument l Iteratur Einheit 12 Handlungsmuster, Oberflächen: linguistische Typologien der Kommunikation. Berlin [u. a.]: De Gruyter, S. 33-46. Ehlich, Konrad; Rehbein, Jochen (1976): Halbinterpretative Arbeitstranskriptionen ( HIAT ). In: Linguistische Berichte 45, S. 21-41. Ehlich, Konrad; Rehbein, Jochen (1979): Erweiterte halbinterpretative Arbeitstranskriptionen ( HIAT 2). In: Linguistische Berichte 59, S. 51-75. Ehlich, Konrad; Switalla, Bernhard (1976): Transkriptionssysteme-- Eine exemplarische Übersicht. In: Studium Linguistik 2, S. 78-105. Jäger, Karl-Heinz (1979): Texte gesprochener deutscher Standardsprache 4. „Beratungen und Dienstleistungsdialoge“. München: Max Hueber Verlag (Heutiges Deutsch. Reihe 2: Texte, 4). Jäger, Ludwig (Hg.) (2002): Transkribieren. Medien / Lektüre. München: Fink. Klein, Wolfgang; Schüttle, Wilfried. (2001): Transkriptionsrichtlinien für die Eingabe im DIDA . Mannheim: Institut für deutsche Sprache. Mannheim. Kowal, Sabine; O’ConnellDaniel (1995): Notation und Transkription in der Gesprächsforschung. In: KODIKAS / CODE : Ars Semiotica 18 (1), S. 113-138. Ochs, Elinor (1979): Transcription as theory. In: Elinor Ochs (Hg.): Developmental pragmatics. New York: Academic Press, S. 43-72. Redder, Angelika (2001): Aufbau und Gestaltung von Transkriptionssystemen. In: Klaus Brinker (Hg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. Berlin u. a.: De Gruyter (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft, 16), S. 1038-1059. Sacks, Harvey; Schegloff, Emanuel A.; Jefferson, Gail (1974): A simplest systematics for the organization of turn-taking for conversation. Sager, Svend F. (2004): Kommunikationsanalyse und Verhaltensforschung Grundlagen einer Gesprächsethologie. 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Rehbein, J.; Schmidt, T.; Meyer, B.; Watzke, F. & Herkenrath, A. (2004): Handbuch für das computergestützte Transkribieren nach HIAT Version 1.0; 19. Mai 2004. Hamburg: Sonderforschungsbereich 538 (Arbeiten zur Mehrsprachigkeit / B, 56). Problemstellung und Fragen 1. Seit den 60er Jahren kann gesprochene Sprache durch das Tonband aufgezeichnet werden. Heute leistet das iPhone so etwas und erfasst zugleich die visuelle Welt. Das sind gute Voraussetzungen, um Kommunikation nahe an der Wirklichkeit zu erforschen. Trotzdem ist die Aufzeichnung eines Ereignisses nicht mit demselben zu verwechseln. Welche Probleme sind zu bedenken, wenn Kommunikation aufgezeichnet werden soll oder worden ist? (Vgl. 12.1) 2. Das Transkribieren kann als eine eigenständige Methode verstanden werden, sich dem Raum-Zeit-Ereignis einer Kommunikation anzunähern. Vor welche Schwierigkeiten wird der Transkribierende gestellt, wenn er ein Transkript-Dokument anlegen will? (Vgl. 12.2) 3. Bevor ein Transkript-Dokument angelegt wird, ist zu klären, auf welches Problem mit welchen Fragen reagiert werden soll und mithilfe welcher Darstellungswerkzeuge erhofft wird, Antworten zu erhalten. Entwerfen Sie einen Plan, der die Anforderungen an die Dokumentation eines Kommunikationsereignisses erfasst, das verlässliche Daten auf die Forschungsfrage erwarten lässt. (Vgl. 12.3) 4. Es gibt unterschiedliche Transkriptionspraktiken. Erklären Sie, mit welchen im Rahmen Ihres Studiengangs vornehmlich gearbeitet wird. Welche Art von Kommunikation soll beobachtet werden? Welche Phänomene werden dadurch für eine Analyse erschlossen? (Vgl. 12.4) 5. Moderne Software wie sie beispielsweise durch MAXQDA angeboten wird, ermöglicht ein simultanes Bearbeiten von Bild-Ton-Daten. Konnten Sie Erfahrungen damit sammeln? Inwieweit verändern solche Bild-Ton- Dokumentationen bisherige Verfahren der Transkription? 12.6 Anwendungen der Kommunikationsanalyse Inhalt 13.1 Funktionale Interpretationstechniken 248 13.2 „Inhaltsfreie“ Interpretationstechniken 251 13.3 Die Quantifizierung der Inhaltlichkeit 257 13.4 Befragen als Methode 262 13.5 Literatur 266 13.6 Problemstellung und Fragen 268 In Abhängigkeit zum jeweiligen Kommunikationsverständnis eines theoretischen Ansatzes entwickeln sich Fragen, auf die systematisch nach Antworten gesucht werden soll. Es gibt funktionale Ansätze, die gehen davon aus, dass Akteure aufgrund ihrer Alltagserfahrung Handlungsfelder durch indexikalische Verweise den Partner sichtbar machen. Das kann mithilfe von Inhalten geschehen, die sich als Intentionalität, Direktionalität, Themenprägnanz, Validität und Relevanz beschreiben lassen oder an formalen Merkmalen in der Umgebung der Akteure. Diese treten in bestimmten Aktionskontexten regelhaft in der Interaktion auf. Unterricht setzt im Normalfall besondere Räume voraus.Sprecherwechsel, Reparaturen und Sequenzmuster treten in allen Face-to-face-Situationen auf. Akteure entschuldigen sich und passen ihr Handeln der Situation an, wenn sie das Gefühl haben, etwas in ihrem Handeln passt gerade nicht. Kommunikation kann auch außerhalb der Face-to-face Bedingungen beobachtet werden. Der Einfluss der Massenmedien und der sozialen Medien ist ein zentrales Thema in der gegenwärtigen Kommunikationswissenschaft. Entsprechend werden Methoden aus den Sozialwissenschaften antizipiert wie die Inhaltsanalyse oder die vielfältigen Formate der Befragungen. Gestützt werden diese Verfahren zunehmend durch Computerprogramme. Überblick 247 K ommunIKatIon als d oKument P roBlemstellung und f ragen Einheit 13 Anwendungen der Kommunikationsanalyse Inhalt 13.1 Funktionale Interpretationstechniken 248 13.2 „Inhaltsfreie“ Interpretationstechniken 251 13.3 Die Quantifizierung der Inhaltlichkeit 257 13.4 Befragen als Methode 262 13.5 Literatur 266 13.6 Problemstellung und Fragen 268 In Abhängigkeit zum jeweiligen Kommunikationsverständnis eines theoretischen Ansatzes entwickeln sich Fragen, auf die systematisch nach Antworten gesucht werden soll. Es gibt funktionale Ansätze, die gehen davon aus, dass Akteure aufgrund ihrer Alltagserfahrung Handlungsfelder durch indexikalische Verweise den Partner sichtbar machen. Das kann mithilfe von Inhalten geschehen, die sich als Intentionalität, Direktionalität, Themenprägnanz, Validität und Relevanz beschreiben lassen oder an formalen Merkmalen in der Umgebung der Akteure. Diese treten in bestimmten Aktionskontexten regelhaft in der Interaktion auf. Unterricht setzt im Normalfall besondere Räume voraus.Sprecherwechsel, Reparaturen und Sequenzmuster treten in allen Face-to-face-Situationen auf. Akteure entschuldigen sich und passen ihr Handeln der Situation an, wenn sie das Gefühl haben, etwas in ihrem Handeln passt gerade nicht. Kommunikation kann auch außerhalb der Face-to-face Bedingungen beobachtet werden. Der Einfluss der Massenmedien und der sozialen Medien ist ein zentrales Thema in der gegenwärtigen Kommunikationswissenschaft. Entsprechend werden Methoden aus den Sozialwissenschaften antizipiert wie die Inhaltsanalyse oder die vielfältigen Formate der Befragungen. Gestützt werden diese Verfahren zunehmend durch Computerprogramme. Überblick 248 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse Funktionale Interpretationstechniken Methoden erschließen einen intersubjektiv geregelten Zugang zu Phänomenen, denen wissenschaftliches Interesse gilt. Aufgrund der Bedingungen, die Theorien setzen, lassen sich bestimmte methodische Zugänge ableiten und näher charakterisieren. Wenn die Kommunikation der Beobachtungsgegenstand sein soll, dann ist im Sinne von Waldenfels (1980, S. 170) folgende Annahme denkbar: Kommunikation ist ein Konstrukt, bei dem zwei oder mehrere Partner ein gemeinsames und gestalthaftes Gebilde zusammensetzen. Ein solches Konstrukt ist etwas, was für jeden der Beteiligten aus seiner ihm eigenen Perspektive heraus in einem von ihm vorgestellten Raum gedacht wird. Dieser entsteht aufgrund vielfältiger und unbegrenzt offener Redebeiträge im Laufe der Zeit. Die dazu nötigen Aktivitäten finden ihre Motivation in Sinnkomplexen, die sich aus den Alltagserfahrungen eines jeden speisen. Zunächst haben die Aktivitäten nur für den Einzelnen, also für den, der sie ausführt, einen Sinn. Was auf diese Weise für die Anderen im Raum sichtbar wird, basiert auf dem interaktiv durch Kooperation entfalteten Verhalten. Dieses bedarf der Deutung, wenn erfolgreiche Kooperation zustande kommen soll.Um einen solchen Prozess koordiniert mitgestalten zu können, müssen die Beteiligten über Interpretationsverfahren verfügen. Cicourel (1973) nennt sie Basisregeln und beschreibt damit eine Grundkompetenz des Gesprächsteilnehmers. Der Gesprächsteilnehmer muss als erstes eine Aktivität innerhalb eines Kontinuums von Geschehnissen als kommunikativ relevant kenntlich machen. Dabei hat er das Alltagswissen mit zu berücksichtigen, das die Partner mit ihm teilen, denn nur so können sie Relevant-Setzungen gemeinsam wahrnehmen. Sie müssen die Hinweise darauf erkennen. Auf diese Weise kann unter den Beteiligten eine Orientierung im kommunikativen Raum aufgebaut werden. Brinker (1989, S. 131) glaubt, dass die Akteure zwischen einer thematischen, einer aktionalen und einer personalen Indexikalität unterscheiden. Indexikalität meint das Hervorheben von Raum-, Zeit- und allgemeinen, situativen Kontextabhängigkeiten und wird sprachlich fassbar in Ausdrücken wie hier und dort oder heute und morgen. Wenn sich Personen begegnen und ein Gespräch beginnen wollen, müssen sie bedenken, wer der Andere ist sowie wann und wo sie ihm begegnen. In Abhängigkeit zu den Variablen Ort und Zeit kann das Gespräch förmlich und kurz erfolgen. Vorgesetzter 13.1 Aaron Victor Cicourel (* 1928): Professor für Cognitive Science, Pediatrics und Sociology an der School of Medicine an der University of California, Schwerpunkte: Ethnomethodologie und Interaktionen Grundlegende Bedingungen 249 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse f unKtIonale I nterPretatIonstechnIKen Einheit 13 und Mitarbeiter begegnen sich nach der Arbeit auf dem Weg zur Trambahn, die Begegnung kann auf einen Abschiedsgruß beschränkt bleiben. Gesprächsbeiträge müssen grundsätzlich so eingerichtet sein, dass sie informativ und verständlich sind. Der pragmatische Anspruch der Beiträge muss klar sein, damit die Partner wissen, wie sie mit dem Geäußerten praktisch bzw. gedanklich umgehen sollen. Wenn dieser Anspruch undeutlich ist oder durch die situativen Umstände infrage gestellt wird, bedarf es besonderer Verfahren zu seiner Wiederherstellung. Garfinkel und Sacks (1970) haben dafür den Begriff des account eingeführt und vorgeschlagen, mit seiner Hilfe Äußerungshandlungen zu charakterisieren, die es ermöglichen, einen gemeinsamen sozialen Sinn zu evozieren, zu sichern oder wiederherzustellen. Erklärung In einem Seminar beginnt ein Teilnehmer ein Erlebnis zu erzählen, das thematisch nicht zwingend zum bisherigen Themenverlauf passt. Mithilfe eines Kommentars durch den Seminarleiter könnte ein solcher Beitrag wieder in das Themenfeld zurückgeführt und damit das Anliegen des Seminars wieder aufgenommen werden. Kallmeyer (1979, S. 59-109) spricht von „Verfahren des Wieder-in-Ordnung-Bringens“. Der soziale Sinn ist dabei abhängig von den Kontexten, in denen etwas hervorgebracht werden soll. Brinker (1989, S. 136-155) führt in diesem Zusammenhang den Aspekt des „lokalen Managements“ ein. Ein Gespräch auf der Ebene des lokalen Managements zu analysieren bedeutet, die unter den Partnern verwendeten Indexikalitätshinweise herauszuarbeiten. Untersucht wird, ob, wann und wie sie solche Verweise miteinander austauschen, um ihre jeweils gültigen Sinnkonstruktionen untereinander sichtbar zu machen und miteinander teilen zu können. Grundeinheit für die Arbeit des beobachtenden Wissenschaftlers ist der Gesprächsschritt, auch turn oder Redebeitrag genannt, der zwischen Redeübernahme und -abgabe erfolgt. Er wird als ein offener Sinnkomplex verstanden. Seine Etablierung und Relevant-Setzung ist kontextabhängig und muss von den Gesprächsteilnehmern geleistet werden, was nicht immer einfach ist, wie das gleichzeitig Reden in bestimmten Phasen eines Gesprächs belegt. Lokales Management meint nun das Abstimmen solcher Aktivitäten mit der unmittelbaren situativ-kontextuellen Umgebung. Der zuletzt produzierte Beitrag besitzt dabei für die wissenschaftliche Analyse eine besondere Präferenz. Unterstellt wird, dass die Akteure eine vorfindliche Situation als sinnhaft akzeptieren. Welche Lokales Management Werner Kallmeyer (* 1941) Abb. 13.1 Sprachwissenschaftler und Leiter der Abteilung des Instituts für Deutsche Sprache IDS bis 2006, Schwerpunkte: Konversationsanalyse, Sprachvariation und kommunikative Praxis 250 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse Elemente für die Beteiligten den Sinn definieren, das müssen sie sich unter Umständen erst deutlich machen. Mit dem Segment 03 setzt nach Brinker (1989, S. 137) das kommunikative Ereignis im engeren Sinne ein. Die Sprechhandlung wird von den Akteuren als Frage identifiziert. Die beiden vorausgehenden Einheiten dienen der formellen Begrüßung und einem Wertschätzungsdisplay in Segment 02. Personen nutzen bestimmte Redegesten, durch die sie dem Anderen anzeigen können, dass sie sich sympathisch finden, ohne dass das zum eigenen Thema gemacht würde. Da es sich um ein Telefonat handelt, muss jetzt aufgrund der Gepflogenheiten in unserem Kulturkreis gesagt werden, warum man anruft. Es muss eine Sprachhandlung angeboten werden, aus der die Absicht hervorgeht bzw. aus der auf eine Absicht geschlossen werden kann. Alles, was nach dem Gruß gesagt wird, bekommt aus Sicht der Beteiligten diese Bedeutung. Beide gehen davon aus, dass der Andere das ebenfalls weiß. Die Gesprächspartner unterstellen sich gegenseitig die Bekanntheit der Situation, der Gebrauch des direkten Artikels „die Bowle“ lässt diesen Schluss zu. Das wird in Segment 04 auch bestätigt: Das überdehnte „ja“ kann als Indiz dafür gelten, dass Katrin erkannt hat, was Wölfchen will. Er will wissen, wann er zur Party kommen kann. Was dann folgt, ist ein Spiel, bei dem Katrin weiß, was Wölfchen will, und Wölfchen weiß, dass Katrin weiß, was er will. Obwohl sich beide unterstellen, zu wissen, was der Andere will, kommt es dennoch in Segment 06 zur Rückfrage, woraufhin das, was beabsichtigt wird, auch offen verbalisiert werden kann. So wird die Absicht offenkundig gemacht und das bisher Geäußerte wirkt wie eine Erklärung dafür. Mit dem Segment 08 wird die Absicht bestätigt und als (an)erkannt „ratifiziert“ und erlangt damit für beide formale Gültigkeit. Die vom Beobachter vorgenommenen Zuschreibungen basieren auf einer Reihe von Annahmen darüber, wie sich Akteure im sozialen Raum orientieren. Eine wichtige Annahme betrifft die Vorstellung, dass sich die Partner gegenseitig eine Perspektive der Reziprozität ihres Handelns unterstellen Party-Einladung Brinker (1989, S. 137) 251 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse „I nhaltsfreIe “ I nterPretatIonstechnIKen Einheit 13 können. Des Weiteren gehen die Gesprächspartner von der Kooperationsbereitschaft des Anderen aus, d. h. sie richten ihre Beiträge so ein, dass der Eine nicht willentlich den Anderen in die Irre führt. Ferner unterstellen sie sich gegenseitig Bedingungen wie die der Normalität und Rationalität. Damit entstehen unter den Gesprächspartnern Kontexterwartungen über das weitere Geschehen und Verhalten. Das wiederum bringt eine dritte Unterstellung mit sich, die von Cicourel (1975) als das „et cetera“-Verfahren bezeichnet wird: Der Angesprochene wird explizit nur über das informiert, was er sich selbst nicht unbedingt erschließen kann, oder anders ausgedrückt, vom Anderen wird erwartet, dass er sich die Situation selbständig rekonstruiert, ohne dass ihm jedes Detail mitgeteilt wird. Der analysierende Wissenschaftler kann prüfen, ob es Äußerungssegmente gibt, welche die interaktive Sinnkonstruktion stützen oder gefährden und, wenn Letzteres der Fall ist, wie die Beteiligten eine solche Gefahr wahrnehmen und zu bewältigen versuchen oder ob die Kommunikation dann abbricht. Erklärung Die Analyse des lokalen Managements, wie es Brinker diskutiert, prüft den Zusammenhang zur Intentionalität, Themenprägnanz, Direktionalität, Validität und Relevanz einer Äußerung. Gemeint ist die Verständigung der Partner darüber, welche Absichten ihre Kommunikation verfolgt, wie miteinander ein Thema verdichtet werden kann, an wen sich der Beitrag konkret richtet, ob das Geäußerte Normerwartungen an die aktuelle Kommunikation entspricht und inwieweit das bisher Geäußerte für das Anliegen der Kommunikation von Bedeutung ist. Den an einem Gespräch Beteiligten kann so deutlich gemacht werden, welches Ziel mit dem Gespräch aus der Sicht eines Akteurs verfolgt wird. Es sind Hinweise auf die Art möglich, wie das Thema entfaltet wird und ob diese den Erwartungen des Beteiligten entspricht. Wenn mehrere Personen an einem Gespräch teilnehmen, tritt schon mal die Situation ein, dass nicht ganz deutlich ist, wer sich direkt angesprochen fühlen sollte. Dieses Vorgehen unterscheidet sich gegenüber der Konversationsanalyse in der Tradition von Sacks u. a. , wo offen formale und strukturelle Merkmale beobachtet werden. „Inhaltsfreie“ Interpretationstechniken Für die Hermeneutik gilt es zu beschreiben, wie die Beteiligten mit den in Texten dargebotenen Inhalten zurechtkommen. Ablesbar ist das am Anschlusshandeln der Beteiligten. Auch die Konversationsanalyse beobachtet zwar das Phänomen der Anschlüsse, sie will aber einen Organisationsmechanismus in der konversationellen Interaktion aufdecken und beschreibt 13.2 252 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse diesen als eine „Maschine“, die kontextfrei funktioniert. Der Organisationsmechanismus sei immer und überall wirksam und unterliege keinen situativen oder kontextuellen Bedingungen. Gegenstand der Analysen ist der Sprecherwechsel und Ziel ist es, das System des Sprecherwechsels zu beschreiben, also das, was von Sacks et al. (1974) als Turn-Taking bezeichnet wird. Ferner geht es diesem Ansatz um das Erkennen von Reparaturen, Schegloff et al. (1977, S. 361-382) sprechen von den Repairs, sowie um die Frage, wie sich sequentielle Strukturen herausbilden. Das Interesse gilt der Erkenntnis von Strukturmerkmalen und ihrer interaktiven Wirkung im kommunikativen Prozess. Mit dem Begriff Turn-Taking ist das Abwechseln der Sprecher während eines Gesprächs gemeint. Dieser Wechsel vollzieht sich meist unbewusst, dennoch stellt er die Partner vor ein organisatorisches Problem. Sacks et al. (1974) schlagen eine einfache Systematik vor: (1) Sprecher wechseln sich ab, und zwar meist mehr als einmal; (2) überwiegend spricht jeweils einer der Teilnehmer; (3) es kommt zwar gelegentlich vor, dass andere Beteiligte zugleich reden, aber dann doch nur für einen kleinen Augenblick; (4) es gelingt den Sprechern, sich so abzulösen, dass zwischen ihren Beiträgen keine oder allenfalls eine sehr kleine Lücke bleibt. Sacks u. a. sehen für den Sprecherwechselzwei Komponenten als konstitutiv an: die Turn-Konstruktion und die Turn-Zuweisung. Mit Turn-Konstruktion ist der Redebeitrag gemeint, mit dem ein Sprecher seinen Turn beginnt. Dieser kann als vollständiger Satz, als eine Phrase aus einem oder mehreren zusammengehörenden Wörtern oder einer festen Redewendung konzipiert sein. Die Konstruktion muss so angelegt sein, dass sie für jeden beliebigen Hörer eine Einschätzung darüber erlaubt, was für diesen Augenblick in der Kommunikation wichtig ist. Schließt die Konstruktion ab, so endet auch das Rederecht. Jetzt muss ein Redewechsel erfolgen. Der Sprecherwechsel ist auf zweifache Weise möglich: (1) Der Sprecher wählt den nächsten aus, indem er ihn direkt oder indirekt anspricht, oder (2) er vertraut auf die Selbstwahl des nächsten Sprechers, also darauf, dass ein anderer Sprecher von sich aus das Wort ergreift. Erklärung Regeln begleiten die Konstruktion sowie die Zuweisung und koordinieren die Wechsel, sodass keine Pausen entstehen. Wenn der bisherige Sprecher den nächsten ausgewählt hat, dann hat dieser das Recht, den jetzt folgenden Turn zu übernehmen. Trifft der Sprecher keine Auswahl, ist eine Selbstwahl möglich. Findet weder eine Fremdnoch eine Selbstwahl statt, kann der gegenwärtige Sprecher mit einer neuen Turn-Konstruktion fortfahren. Ist der letzte Fall eingetreten und der erste Sprecher hat erneut den Turn über- Selbst-/ Fremdwahl 253 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse „I nhaltsfreIe “ I nterPretatIonstechnIKen Einheit 13 nommen, dann besagt nach Sacks u. a. eine Regel, dass bei Abschluss dieser Turn-Konstruktion wieder die erste Regel gilt und beim nächsten Sprecherwechsel wieder Fremd- oder Selbstwahl möglich ist. Streeck (1983, S. 72-104) macht unter Bezugnahme auf die Gruppe um Sacks auf einen engen Zusammenhang zwischen linguistischen Phrasen wie dem Satz und diesen Turn-Konstruktionen aufmerksam. Ein Sprecherwechsel ist erst am Ende der Konstruktion möglich, d. h. Sprecher und Hörer müssen so interagieren, dass sie jeweils den Abschluss einer Konstruktion abwarten und gegebenenfalls die Möglichkeit der Redeübergabe nutzen. Aufgrund dieses Zusammenhangs ist es interessant zu schauen, wie im Gespräch Sätze konstruiert werden bzw. wie Phrasen angelegt sein müssen, damit sie als Konstruktionseinheiten anerkannt werden. Der Plan für eine Satzkonstruktion beinhaltet demnach auch den Aspekt der Redeübergabe. Sprecher und Hörer sind ein Paar, beide müssen aufmerksam das Handeln des Anderen beobachten. Wenn der Sprecher redet, muss der Hörer auf der Grundlage seiner grammatischen Kenntnisse erkennen, wann die syntaktische Konstruktion geschlossen und er sein Rederechterhalten wird. Sacks u. a. beobachteten eine weitere Eigenschaft von Turns: Sie weisen eine Binnengliederung auf. Ein Turn besteht aus einem Segment, das auf den Vorgänger-Turn verweist, einem Kern, der das gegenwärtige Anliegen zum Gegenstand hat, und schließt mit einem Segment, das Hinweise auf einen möglichen und wünschenswerten Anschluss enthält. Die Übergaben können von typischen Äußerungsformen wie „nich? “, „ne? “, „oder? “ begleitet werden. Ganz ähnlich verhält es sich seitens der Übernahme, wo ein „äh“, „nun“, „ ja“ auftreten kann. Der ganze Vorgang ist als interaktives Handeln zu verstehen, bei dem beide Seiten konzentriert das Handeln des Anderen wahrnehmen und darauf mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln entsprechend reagieren. Goodwin (1979, S. 1-42) spricht dann von der wechselseitigen Turn-Konstruktion. Ein Sprecher zieht beispielsweise mit Lautdehnungen oder Phrasenabbrüchen den Blickkontakt auf sich und bedingt so die Aufmerksamkeit der Zuhörer. Das offenbart etwas über den inneren Zustand der Beteiligten. Der Hörer zeigt durch den Blick, dass er die Äußerung rezipiert und bestätigt seine Hörerrolle. Das Abwenden des Blicks ist ein Hinweis für den Sprecher, die Turn-Konstruktion zu schließen und einen Wechsel zu ermöglichen. Die Konversationsanalyse geht davon aus, dass Äußerungsfolgen Handlungsverkettungen sind. Ziel der Beschreibung ist dabei nicht, inhaltliche Zusammenhänge aufzudecken, in denen erfasst wird, worüber die Partner reden oder was sie gerade machen wollen. Das Erfassen einer sequentiellen Organisation bedeutet, interaktiv organisierte Sequenztypen zu benennen. Jeder kennt das Phänomen in der Alltagskommunikation. Ganz typisch ist Konversationssyntax Sequentielle Organisation 254 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse das Auftreten von Paarsequenzen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie zwei Äußerungen enthalten, die in unmittelbarer Nachbarschaft platziert sind und von verschiedenen Sprechern produziert werden. Äußerung Sequenztyp 01 A Guten Tag GRUSS 02 B Guten Tag GRUSS 03 C Eine intelligente Lösung SYMPATHIE - BEKUNDUNG 04 D Ja, sehr klug SYMPATHIE - BEKUNDUNG Paarsequenzen basieren auf dem, was bedingte Relevanz genannt wird. Ein Sprecher äußert etwas, was dem ersten Teil eines bestimmten Paartyps entspricht. Dadurch wird die Antwort, also der zweite Teil des Paars, bedingt, d. h. relevant gesetzt. 03 C Eine intelligente Lösung 04 D Möchten Sie einen Kaffee? Die Äußerungsabfolge wirkt irritierend, weil die zweite Äußerung gegen das Relevanzprinzip verstößt. Es lässt eine Bemerkung zum Thema eine kluge Lösung erwarten. Wird die Erwartung der bedingten Relevanz nicht erfüllt, wird dies einleitend durch eine sogenannte Fehlplatzierungsmarkierung angezeigt. 03 C Eine intelligente Lösung 04 E Ach übrigens, möchten Sie einen Kaffee? Sprecher E verweist mit „ach“ auf etwas, was jetzt folgt und wodurch das Vorhergehende unterbrochen wird. Mit „übrigens“ macht er darauf aufmerksam, dass etwas noch einbezogen werden kann, was bisher nicht berücksichtigt wurde. Mit dieser Phrase zeigt der Sprecher an, dass er von der bestehenden Erwartung abweicht und etwas parallel einfügen möchte, nämlich den Hinweis auf den Kaffee. Es gibt weiterhin Sequenztypen, die über zwei Turns hinweg erfolgen. Im Sammelband von Pomerantz (1993) werden solch unterschiedliche Entfaltungsmöglichkeiten am Beispiel des Kompliments beschrieben: Der Angesprochene dankt oder er gibt das Kompliment zurück, was zu einem weiteren Komplimentaustausch führen kann. Die Dinge können kompliziert werden, wenn das Kompliment nicht angenommen wird und wenn das in Formen Sequenzdynamik 255 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse „I nhaltsfreIe “ I nterPretatIonstechnIKen Einheit 13 passiert, die als beleidigend empfunden werden. Zu beobachten ist, welche Mittel die Akteure in einer solchen Situation einsetzen und zu welcher Lösung des Fortgangs dies beiträgt. In weiteren Studien, die auf Anregungen von Sacks et al. (1995) zurückgehen, wurden Strukturmerkmale beim interaktiven Erzählen analysiert, beim Erzählen von Witzen oder beispielsweise bei von Kindern erzählten Geschichten. Wichtig war die Erkenntnis: Das Handlungspotential von Äußerungen ist nicht aus der impliziten Semantik ableitbar, sondern es leitet sich aus der sequentiellen Umgebung ab und hängt mit dem Organisationstyp zusammen, innerhalb dessen eine Äußerung getan wird. Jemandem eine Anerkennung auszusprechen ist nicht mit der Wahl ganz bestimmter sprachlicher Mittel gleichzusetzen. Eine Bemerkung wie „na also“ kann eine Anerkennung bedeuten. Dass ihr diese Funktion zugeschrieben wird, leitet sich aus dem Umstand her, dass es zuvor eine Handlung gegeben hat, auf die ein „na also“ als positive Bestätigungshandlung fungieren kann. Erklärung 01 M Das war schon ganz schön schwer, hat aber geklappt. 02 N Na also! Dieselbe Form verändert in einer anderen pragmatischen Umgebung ihre Funktion. Sie bestätigt die zuvor geäußerte Skepsis und bezeugt die Angemessenheit von gemeinsamen Erwartungen. Gleichzeitig erlaubt die inhaltliche Offenheit eine Wahl von Anschlussmöglichkeiten für den Anderen. Er kann die Äußerung als Abschlusskommentar bewerten und zu etwas Neuem übergehen. Wichtig ist die Frage, wie das „na“ prosodisch behandelt worden ist und ob dadurch Indizien dafür erzeugt werden, dass dem Interaktionspartner ein Abschluss oder eine Fortsetzung nahegelegt wird. Dasselbe würde für den Austausch von Merkmalen der die Äußerung begleitenden Gestik oder Mimik gelten. Auch bei der Entfaltung von Erzählungen lassen sich solche interaktiven Abläufe beobachten. Das Erzählen erfolgt im Alltag also nicht automatisch aufgrund eines semantisch motivierten Musters. Wenn die Konstruktion eines Redebeitrags die Interaktion bedingt, dann ist es eine interessante Frage, was geschieht, wenn beim Konstruieren Fehler unterlaufen. Zum Beispiel könnten diese beim Angesprochenen Reaktionen auslösen, die unter Umständen nicht erwünscht sind. 01 F Wir macht ich ihr macht jetzt gleich die Aufgaben Dem Sprecher unterlaufen Unachtsamkeiten im syntaktischen Feld. Er macht Reparaturen 256 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse einen Konstruktionsfehler bei der morphologischen Übereinstimmung von Subjekt und Verbendung. „Macht“ kann als 2. Person Plural verwendet werden. Er korrigiert die Unachtsamkeit gleich selbst. Nicht ungewöhnlich sind an dieser Stelle auch Korrekturen durch den Gesprächspartner; was aber nicht unbedingt zum Abbruch des Beitrags bzw. zur Redeübergabe führen muss. 01 F Er ist gestern klar war gestern schon hier 02 G war Der Sprecher F wird von G korrigiert, weil er eine Zeitangabe macht, die nicht zutrifft. Es scheint für F kein Problem zu sein und er nimmt den Korrekturvorschlag sogleich auf. Gespräche enthalten stets eine Vielfalt von Unkalkulierbarkeiten. Die Konversationsanalyse geht davon aus, dass deshalb eine intensive Interaktion nötig ist, bei der Sprecher und Hörer einander systematisch beobachten. Diese Beobachtungen sind offen und nicht auf etwas Bestimmtes beschränkt, sondern sie richten sich an Bereichen aus, von denen die Interakteure annehmen, dass sie zum Abbau der Unsicherheit beitragen und die Verständigung sichern können. Die Konversationsanalyse unterscheidet sich von Analyseweisen, wie sie beispielsweise in der Diskursanalyse auftreten. Grundsätzlich folgt diese der Vorstellung, Teilnehmer verfolgten mit einem Gespräch mehr oder weniger bewusst Absichten, d. h. die Akteure suchen im Äußerungsverhalten nach möglichen Intentionen, die auf ein bestimmtes, übergeordnetes Ziel ausgerichtet sind. Demgegenüber vertritt die Konversationsanalyse die Meinung, dass die Akteure situativ auf Signale reagieren, von denen ausgehend sie den Anschlussbeitrag organisieren. Die Konversationsanalyse im Verständnis der Ethnomethodologie sucht nicht nach einer potentiellen Absicht im Verhalten des Anderen, sondern nach Signalen, aus denen sich im Geäußerten schließen lässt, welcher Beitrag als nächster möglich bzw. zu erwarten ist. Deshalb wird in der Konversationsanalyse auch von einer kontextfreien Analyse gesprochen und von einem Mechanismus, der die Beiträge vorantreibt. Erklärung Die wissenschaftliche Analyse stellt sich als eine Exploration der intuitiven Beobachtungsarbeit der Akteure dar, indem aufgedeckt wird, ob und wie auf bestimmte Signale regelhaft reagiert wird. Indexikalität wird daher nicht als Bezugnahme auf Hintergrundwissen und konventionelle Kontexte verstanden, sondern als Indiz für die gegenwärtige Orientierung der Partner an dem, was sie im Moment tun. Gegenseitiges Beobachten 257 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse d Ie q uantIfIzIerung Von I nhaltlIchKeIt Einheit 13 Die Quantifizierung von Inhaltlichkeit Die Methodik, die sich im Rahmen der Ethnomethodologie entwickelt hat, zielt auf das Beobachten von Strukturmerkmalen in der interpersonalen Interaktion, bei der die Beteiligten im gegenseitigen Kontakt meist Face-to-face aufeinander Einfluss nehmen. Das Thema Kommunikation stellt sich ganz anders dar, wenn nicht mehr der interpersonale Prozess Gegenstand der Beschreibung ist, sondern ein Massenmedium wie die Zeitung, das Einfluss auf den Einzelnen nehmen will. In den 40er Jahren wurde aufgrund der politischen Weltlage dieses Thema zu einem zentralen Problem. Wie ist die Propaganda totalitärer Systeme einzuschätzen? Beeinflussen die Massenmedien das Denken? Wenn das der Fall sein sollte, welche Faktoren spielen eine hervorgehobene Rolle? Um auf solche Fragen wissenschaftlich begründete Antworten zu erhalten, bedurfte es besonderer Forschungsmethoden. Diese suchten Anknüpfungspunkte in der damals stark behavioristisch geprägten Lernpsychologie. Sie konnte nachweisen, dass besonders gut gelernt wird, was häufig dargeboten wird und dass sich die Lernleistung festigen lässt, wenn ein Inhalt in vielfältiger Form präsentiert wird. So lagen Annahmen nahe, dass die Anzahl von Zeitungsartikeln und Sendungen in Rundfunk und Fernsehen das Denken der Rezipienten beeinflusst und auf diese Weise die Meinungsbildung manipuliert werden kann. In dieser Zeit entstand ein Verfahren, das als Content Analysis bekannt geworden ist. Als Begründer werden Lasswell Harold Dwight et al. (1950), Pauls L. Larzarsfeld und Berelson (1952) mit ihrer „Content Analysis in Communication Research“ genannt. Sie schafften den Einstieg in eine neue Methode der Analyse von Texten, die nicht mehr das Interpretieren des Textganzen zum Ziel hatte, sondern inhaltliche Elemente in Texten beobachtete. Das Ausgangsproblem der Inhaltsanalyse, wie das Verfahren Content Analysis auch genannt wird, ist die Tatsache, dass es eine unendliche Zahl von Texten und damit von Inhalten gibt, die kommuniziert werden können und die unsere soziale und damit auch politische Wirklichkeit mit beeinflussen. Ob und, wenn ja, wie und in welchem Umfang das geschieht, wer unter 13.3 Paul Felix Lazarsfeld (1901-1976): Österreichisch-amerikanischer Soziologe an der Columbia University, Schwerpunktee: Begründer der modernen empirischen Sozialforschung Content Analysis Repräsentativität Harold Dwight Lasswell (1902-1978) Abb. 13.3 Amerikanischer Politikwissenschaftler und Kommunikationstheoretiker an der American Academy of Arts and Sciences, Schwerpunkte: Mitbegründer der „Content Analysis in Communication Research“, berühmt wurde er durch die sog. Lasswell Formel: Wer sagt was in welchem Kanal zu wem mit welchem Effekt? (Who says what in which channel to whom with what effect? ) 258 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse welchen Umständen mehr oder weniger betroffen ist, das sind die Schlüsselfragen. Um auf diese antworten zu können, liegt es nahe auf Dokumente zuzugreifen, in denen über unsere Wirklichkeit gesprochen wird und von denen angenommen werden kann, dass sie unser Denken repräsentieren. Wenn es daher gelänge, diese Dokumente auf einzelne Inhalte hin quantitativ zu beschreiben, so gäbe das Hinweise darauf, welche Inhalte gehäuft auftreten und uns vornehmlich beschäftigen und welche Wirklichkeitsausschnitte auf diese Weise in den Fokus aktueller Diskussionen gerückt werden. Es ließen sich in großen Textmengen die Inhalte „abzählen“ und daraufhin untersuchen, wann und wo sie auftreten und wer dabei auf wen Einfluss nimmt, d. h. wo die Texte veröffentlicht werden und wer die Leserschaft ist. Um Zusammenhänge dieser Art statistisch valide erfassen zu können, bedarf es Techniken, die das Quantifizieren von Textelementen begründbar machen. Das Festlegen von Textelementen muss in engem Zusammenhang mit der folgenden Frage gesehen werden: Was bedeutet Text und wie kann dieser erfasst werden? Texte begegnen uns in verschiedenen Formaten, beispielsweise in gedruckter Form oder als Verschriftlichungen von gesprochenen Äußerungen. Ein formales Merkmal für die Inhaltsanalyse ist, dass sie sich auf raum-zeitlich unabhängig zugängliche Dokumente, also Texte bezieht. Texte werden gelesen und unterliegen den Bedingungen des Verstehens. Damit sind sie Objekte, die sozial erst durch Interpretationen zugänglich werden. Die interpretativen Verfahren, allen voran die Hermeneutik, haben nun gezeigt, dass der Zugang zur Inhaltlichkeit eines Textes sein Verstehen voraussetzt und dass dieses erst durch die Interpretation kommunikativ fassbar wird. Diese Vorgänge sind Voraussetzung dafür, dass der Text eine Bedeutung erhält. Wenn daraufhin die Methodenreflexion angeschaut wird, so fordert Früh (2001, 25): Bei einer Analyse müssen die Inhalte der Texte, die Merkmale von Mitteilungen und die soziale Wirklichkeit erfasst werden. Unklar bleibt der Weg zur Erfassung der genannten Phänomene. Denn wie weit die Interpretation gehen darf, ist strittig. Merten und Teipen (1991) vertreten die Position der Werkimmanenz, d. h. es dürfe nur das zum Inhalt gemacht werden, was wörtlich im Text belegt ist. Eine solche Einschränkung ist nach dem Krieg in den 50er Jahren in der Literaturwissenschaft Validität Text-Immanenz Klaus Merten (* 1940) Abb. 13.3 Deutscher Kommunikationswissenschaftler an der Universität Münster, Schwerpunkte: Kommunikationstheorie Tillmann Sutter (* 1957) Abb. 13.4 Soziologe, Professor für Soziologie Fakultät für Soziologie an der der Universität Bielefeld, Schwerpunkte: Mediensoziologie 259 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse d Ie q uantIfIzIerung Von I nhaltlIchKeIt Einheit 13 bereits kritisch diskutiert worden. Die Bedeutung eines Textes erschließt sich nicht aus sich selbst, das bezeugen auch die Diskussionen im Sammelband von Sutter und Charlton (2001) Texte sind Projektionsflächen für den Leser, ihre Bedeutung und ihr Inhalt sind das Ergebnis der Konstruktion durch den Leser. Der Text ist in der Regel ein sprachliches Produkt und muss die Besonderheiten der sprachlichen Konstruktion berücksichtigen. Im Text wird auf eine inner- und außertextliche Wirklichkeit verwiesen. Diese ist unabhängig vom Text in Sachverhalten, Ereignissen und Personen fassbar oder als Meinungen von Personen und Gruppen zu den genannten Phänomenen identifizierbar. Der Text ist kommunizierbar, weil er konventionellen Prinzipien der Konstruktion folgt. Sie lassen ihn als Beschreibung, als Erzählung, als Kommentar erkennen und weisen ihn dabei als pragmatisches Ergebnis eines Schreibvorgangs aus, der in Abhängigkeit zum Wissen des Autors über Eigenschaften einer Textsorte seine Sicht auf die Dinge dokumentiert. Erklärung Die Inhaltsanalyse unterscheidet sich gegenüber den literatur- und sprachwissenschaftlichen Textanalyseverfahren dadurch, dass sie nicht eine Interpretation des Textganzen zum Ziel hat. Sie versucht durch den Text vorgegebene Inhaltselemente zu identifizieren, von denen der Analysierende annimmt, dass sie Gegenstand der durch den Text bezweckten öffentlichen Kommunikation sind. Er glaubt diese unter anderem in Schlüsselwörtern erfassen zu können. Die Inhaltsanalyse sucht nach Elementen, die im Vorfeld der Analysearbeit kategorial definiert worden sind. Sie können außer- und / oder innertextuelle Merkmale beinhalten. Das hängt von der grundsätzlichen Fragestellung ab, der in der Untersuchung nachgegangen werden soll. Die Kategorien können im Verlauf der Analysearbeit weiter ausdifferenziert oder modifiziert werden. Um die Konsistenz der Beschreibungseinheiten zu gewährleisten, empfiehlt Rössler (2017, S. 88) das Anlegen eines sog. Codebuchs, das eine kontrollierte Anwendung im jeweiligen Belegfall sicherstellen soll. Die Untersuchung der Texte erfolgt mithilfe der so definierten „Codes“, die dem, der die Beschreibung durchführt, vorliegen und an die er sich streng zu halten hat. Dieser prüft zugleich, inwieweit der Beleg durch den jeweiligen Code ausreichend beschrieben wird. Es kommt zu einem interaktiven Prozess der Belegidentifikation mithilfe eines Codes und gleichzeitig eine Verfeinerung des Codes selbst. Patrick Rössler (* 1982): Kommunikationswissenschaftler und Professor für empirische Kommunikationsforschung an der Universität Erfurt, Schwerpunkte: Inhaltsanalyse Kategorienfindung 260 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse Die solchermaßen entwickelten Codes garantieren allerdings nicht, dass sie von jedem Codierer auf dieselbe Weise angewendet werden. Das gilt besonders dann, wenn der Codierer in den Codierprozess nicht einbezogen worden ist. Dann werden oft Übungsphasen mit denen durchgeführt, die nach den Codes Texte bearbeiten sollen, damit sich ihre Perspektiven angleichen. Um das Problem zu umgehen, ist es übliche Praxis, die Auswertung von Texten von mehreren Personen gleichzeitig durchführen zu lassen. Dann zeigt sich, ob die Code-Definition zu ungenau oder die Intuition der Codierer zu heterogen ist. Entsprechend muss das Instrument Code-Buch nachjustiert werden. Wenn Texte auf diese Weise erfasst und beschrieben worden sind, können die den Textsegmenten zugeordneten Codes für sich betrachtet werden. Ihre Auftretenshäufigkeit lässt sich auszählen. Feststellbar ist unter Umständen, in welcher Code-Umgebung sie gehäuft zu beobachten sind. So können typische Orte des Auftretens identifiziert werden und die mit ihnen verknüpften, speziellen Situationen lassen sich erkennen. Das Verfahren erlaubt Aussagen darüber, ob und durch welche Eigenschaften bestimmte Individuen charakterisiert werden. Die mediale Präsenz von Ereignissen, von Eigenschaftszuschreibungen zu einer Person oder von Situationskonstruktionen lässt sich so ermitteln. Das setzt allerdings eine hinreichend große Anzahl an Texten voraus und bei einem Verbreitungsmedium wie der Zeitung die Berücksichtigung ihrer Vielfalt. Die Inhaltsanalyse ist ein Entdeckungsverfahren. Am Anfang steht die Frage nach einem Phänomen, das aufgeklärt werden soll. Wenn das soziale Phänomen Integration Gegenstand einer Inhaltsanalyse sein soll, reicht es für eine Analyse nicht aus, intuitiv nach Hinweisen für Integration in Zeitungsartikeln zu suchen. Zur Integration gibt es sehr unterschiedliche und wissenschaftsspezifisch begründete Konzepte. Sie kann beispielsweise als Theorie der Assimilation erklärt werden oder sie ist im Rahmen der Inklusion behandelbar. Wird nach Assimilationsphänomenen im gesellschaftlichen Zusammenleben gesucht, leiten sich daraus andere Fragen ab, als wenn Inklusion als Thema gewählt wird. Vor einer Analyse muss daher in einem ersten Schritt geklärt werden, in welchem wissenschaftlichen Umfeld die zu analysierenden Phänomene verortet sind und welche Fragestellungen daraus abzuleiten sind. Erst vor einem solchen Hintergrund kann über mögliche Beobachtungskategorien und ihren Code gesprochen werden. Das Entwickeln eines solchen ist dann theoriegeleitet möglich, aus den theoretischen Konzepten lassen sich Merkmale für eine Codebeschreibung und -begründung herleiten. Ablauf der Inhaltsanalyse Ralf Bohnsack (* 1948) Abb. 13.5 Professor für Pädagogik am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie an der Freien Universität Berlin, Schwerpunkt: Qualitative Bildungsforschung (Dokumentarische Methode) 261 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse d Ie q uantIfIzIerung Von I nhaltlIchKeIt Einheit 13 Wenn beispielsweise die „dokumentarische Methode“ von Bohnsack (2013, S. 175-200) zugrundegelegt wird, dann steht die Suche nach alltäglichen Ordnungen im Interessensfokus. Äußerungen und Handlungen werden, wie es Garfinkel (1967, S. 95) vorschlägt, als Dokumente untersucht, die auf ein nicht explizites Wissens und die ihm zugrundeliegenden Kontexte verweisen untersucht, Herausgefunden werden soll, woraufhin sich Akteure gegenseitig beobachten. Welche Wirklichkeit dabei für sie entsteht? Mannheim (1980, S. 155-322) schlug vor, Handlungen und Aussagen weiterführend daraufhin zu prüfen, wie sich der „objektive Sinn“ von einem „intendierten Ausdruckssinn“ unterscheidet. Einen anderen Weg hat Mayring (1983) entwickelt. Er zielt auf eine systematische Reduktion des Ausgangsmaterials ab. Es geht ihm nicht um eine explorativ interpretative Bearbeitung des Materials, sondern um eine systematische Überarbeitung der Texte im Material, das er in aufeinanderfolgenden Stufen be- und überarbeitet. Es entsteht eine Sammlung für relevant erkannten Merkmale. Nehmen wir an, es soll geprüft werden, welches Programm Hochschulen in den Semesterferien anbieten und wie darüber in Printmedien gesprochen wird. Philipp A. E. Mayring (* 1952): Leiter des Instituts für Psychologie, Leiter des Zentrums für Evaluation und Forschungsberatung am Institut für Psychologie der Universität Klagenfurt, Schwerpunkte: Mitbegründer der qualitativen Inhaltsanalyse Ein Fallbeispiel Ablaufmodell von Mayring (1983, S. 49) Abb. 13.6 262 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse In den USA heißen sie summer schools und gehören zum Studienjahr dazu - während der langen Semesterferien von Mai bis Ende August besuchen zahlreiche Studenten einzelne Kurse, um Punkte für ihr Studium zu sammeln, schneller ihre Examina abzulegen - oder einfach, um mal ein anderes Fach kennenzulernen. Sommeruniversitäten sind nicht nur zum Studieren da. Sie sind auch ein Platz zum Netzwerken. Wer braucht schon Urlaub? SZ 26. 07. 2012, S. 24 Es gibt eine Quelle in einer überregionalen Tageszeitung, die über das Phänomen berichtet. Eine Recherche hätte jetzt zu klären, in welchen Zeitungen solche Ereignisse noch besprochen werden. Die Zeitungen haben oft Hochschulseiten, sodass auch im regionalen Bereich nach Beiträgen gesucht werden kann, die sich mit Aktivitäten der Hochschulen in den Ferien beschäftigen. Interessant könnte sein, ob es bei den Veranstaltungen Unterschiede zwischen den Ferien im Sommer und denen im Winter gibt. Sommeruniversität könnte ein Codewort sein. Internationalität wäre ein weiteres, denn diese Veranstaltungen sind oft international ausgerichtet. Intensivkurse bzw. Blockveranstaltungen wären ein weiteres Codewort, vielleicht im Zusammenhang mit Examen, besonderen Bildungsinteressen oder alternativen Studieninhalten. Das Interesse kann aus der Perspektive der öffentlichen Wahrnehmung der Universität kommen oder dem Studierverhalten der gegenwärtigen Studierenden. Das schließt nicht aus, dass sich die Fragen bei der Bearbeitung des Korpus weiterentwickeln oder in ihrem Schwerpunkt verändern. Entsprechend würde der Code angepasst. Nach weiterem Material wäre zu suchen, um zu einen umfassenderen Verständnis zu gelangen. Befragen als Methode Um etwas über die Kommunizierbarkeit von Inhalten zu erfahren, bietet sich die Durchsicht von Dokumenten nach den Methoden der Inhaltsanalyse an. Darin ist belegt, wie in einem öffentlichen Raum Dinge angezeigt und erklärt werden. Eine andere Methode besteht darin, sich an die Kommunizierenden direkt zu wenden und mit ihnen darüber zu reden, wie sie mit den Angeboten eines Massenmediums umgehen. Fragen ist kein einfacher Akt. Die Frage ist eine Handlung, deren Ziel darin besteht, eine Information, über die der Fragende nicht verfügt, von einem Anderen, der befragt wird, zu erhalten. Auf diese Weise kann der Fragende seinen Wissensbestand erweitern. Der Fragende muss eine Vorstellung davon haben, wo das Defizit seines Wissensbestandes liegt. Eine auf politische Themen konzentrierte Medienrezeptionsforschung fragt danach, wie ein Politiker oder eine politische Partei gesehen wird, ob die Auftritte wahrgenommen werden, inwie- 13.4 263 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse B efragen als m ethode Einheit 13 fern der Befragte die Meinung des Politikers oder der Partei kennt, sie teilt oder ihr gleichgültig gegenübersteht. Wichtige Voraussetzung für aussagekräftige Befragungsergebnisse ist die Auswahl der Befragten: Wenn ich nach der Uhrzeit frage, reicht die Antwort einer beliebigen Person und die Handlung ist für den Fragenden erfolgreich abgeschlossen, wenn der Gefragte die Uhrzeit weiß. Um etwas darüber aussagen zu können, wie die Auftritte eines Politikers oder einer Partei öffentlich wahrgenommen werden, muss der Kreis der Befragten so gewählt werden, dass ihre Antworten Aussagen darüber erlauben, in welcher Gruppe und unter welchen Umständen die Wahrnehmungen und Einschätzungen erfolgen. Der Kreis muss eine bestimmte Größe haben, um allgemeine Aussagekraft zu erlangen. Die Sprachhandlung des Fragens kann sich auf einen Sachverhalt beziehen, auf Elemente eines Wissensbestandes oder auf die Einstellung des Befragten gegenüber einem bestimmten Referenzpunkt. In Abhängigkeit zum Typ dieses Punktes bzw. der Kombination mehrerer solcher Referenzpunkte entstehen Antworten unterschiedlicher Komplexität. Sachfragen beziehen sich auf Referenzpunkte, über die der Befragte Kenntnis hat oder nicht. Die Wissensfragen nehmen Bezug auf Referenzbereiche, die in Abhängigkeit zur gesellschaftlichen Zugehörigkeit und zum jeweiligen Bildungsniveau mehr oder weniger zugänglich sind. Erklärung Ziel kann es nicht sein, Wissen abzufragen, sondern etwas über den Umgang mit Problemstellungen zu erfahren, deren Lösung ein bestimmtes Wissen voraussetzt. Als Hintergrund für ein solches Konzept wird von Schmidt und Zurstiege (2000, S. 109) die sog. Wissenskluft-Hypothese angesprochen. Dieser liegt die Beobachtung zugrunde, dass es eine Milieuabhängigkeit im Umgang mit Informationen sowie im Gebrauch der Medien gibt. Innerhalb mancher sozialer Kreise wird beispielsweise keine Zeitung gelesen oder die Radiorezeption beschränkt sich auf das Musikhören. Trotzdem haben auch diese Kreise Meinungen und Einstellungen zu Sachverhalten in der Öffentlichkeit. Ein Fragen nach Dingen, die nur aus der Zeitung oder dem Fernsehen und Radio bekannt sein können, ist hier wenig sinnvoll. Daher sind eigene Instrumente entwickelt worden, mit deren Hilfe die Befragten Einschätzungen abgeben können. Das „Semantische Differential“ ist ein solches. Hier muss der Befragte zu Einzelthemen auf einer Skala Bewertungen abgeben. So wird er gefragt, ob er die Erhöhung des Hartz- IV -Satzes gut, weniger gut, neutral, schlecht oder sehr schlecht findet. Eine sprachliche Äußerung verweist immer auf mehr als durch die gewählten Wörter dargestellt wird. In der Linguistik wird dieses Phänomen Wissenskluft Fragen erzeugen ihren eigenen Kontext 264 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse als Implikatur beschrieben. Wenn wir jemanden fragen, ob er Hilfe braucht, unterstellen wir mit unserer Frage gleich, dass eine Hilfeleistung nötig sein könnte. Oft benutzt der Interviewer Floskeln, die dem Befragten anzeigen sollen, dass er es gut finde, dass er sich an der Befragung beteilige oder dass er den Interviewten als gebildet wahrnimmt. Der Fragende glaubt, so könne er dem Befragten die Antwort erleichtern, er empfindet diese zusätzlichen Formulierungen als Ermutigung für den Befragten. Übersehen wird aber, dass mit der Wahl solcher ergänzenden Ausdrücke ein Mit-Kontext erzeugt wird. Für den Fragenden kann der Eindruck entstehen, er müsse sich als gebildet ausweisen oder die Sympathie erwidern, obwohl er in der Sache eigentlich anderer Meinung ist. Fragen können ohnehin nicht kontextfrei gestellt werden. Um auf Fragen Antworten zu erhalten, bedarf es eines Motivs, das für den Befragten stark genug ist, um ihn zum Antworten zu bewegen. Wichtig ist, dass dieses Motiv auch das Motiv der Frage ist und nicht die Konsequenz aus den Mit-Kontexten. Wenn im Rahmen einer wissenschaftlichen Problemstellung Personen befragt werden sollen, sind dafür allgemein anerkannte Formate nötig, die unerwünschte Nebeneffekte bzw. Mit-Kontexte möglichst ausschließen sollen. Ein solches Format kann das Interview sein. Das Interview ist, wie Rössler (2015, S. 87-103) ausführt, eine Kommunikationsform, bei der die Rollen der Akteure bekannt und eindeutig zugeteilt sind und bei der klar ist, dass die Sprachhandlungen des Fragens das Gespräch dominieren. Bekannt ist auch, welche Art von Fragen insgesamt erwartet werden darf und welche Fragen eher nicht gestellt werden. Das Interview kann in einer Face-to-face-Situation stattfinden, es ist aber ebenso in schriftlicher Form möglich, auch online oder telefonisch wird es praktiziert. Fragen sind kommunikative Handlungen und besitzen eine Eigendynamik, ihrer Präsentation muss daher das besondere Augenmerk gelten. Fragen können im Vorhinein bis ins Detail festgelegt werden. Das geschieht im standardisierten Interview. Sie sind dann in ihren Formulierungen festgeschrieben und dürfen nicht verändert werden. Ein solches Vorgehen ist sinnvoll, wenn große und heterogene Gruppen befragt werden sollen. Den Befragten werden die Motive für die Befragung erklärt, dabei ist der Interviewer eine eigens dafür eingestellte Person. Das standardisierte Interview lässt Antworten erwarten, die dem erfragten Gegenstand eindeutig zugeordnet werden können. Solche Befragungen können sich an einen großen Kreis wenden und erlauben dann quantitative Aussagen über das Erfragte. Das unstrukturierte Interview wird eingesetzt, wenn das Vorwissen noch zu unspezifisch ist und kein gezieltes Fragen erlaubt. Im Unterricht sollen beispielsweise neue Methoden eingesetzt werden. Diese sind für den Literaturunterricht entwickelt worden, konnten aber noch nicht systematisch eingesetzt werden. Konkrete Erfahrungen mit ihnen gibt es daher nicht. Standartisiertes Interview Unstrukturiertes Interview 265 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse B efragen als m ethode Einheit 13 Möglich sind Gespräche darüber, wie der Umgang mit diesen neuen Instrumenten erlebt wird. In diesem Fall unterhält sich der Interviewer mit dem Befragten und orientiert sich dabei an dem neuen Themenfeld und möglichen Problemen, die in der Auseinandersetzung damit gemacht worden sind. Das Leitfadeninterview ist ein Befragungsinstrument, bei dem einzelne Fragen festgelegt worden sind, von denen angenommen wird, dass sie im untersuchten thematischen Feld eine zentrale Rolle spielen. Dem Befragten wird es überlassen, den erfragten Gegenstand in Kontexte zu stellen, die er für relevant erachtet. Das gewährt Einblick in Bereiche, die bei eng gestellten Fragen unter Umständen nicht ins Blickfeld rücken würden. Die Fragen sind in ihrer Abfolge festgelegt, nachzufragen ist erlaubt und Antworten sollen zwar möglichst eindeutig gemacht werden, andererseits sollen sie den Kontext der Antwort nachvollziehbar machen. Ein Problem stellt die Auswertung dar. Obwohl die Fragen auf einen eindeutigen Gegenstand abzielen, zeigt die Antwortpraxis, dass über Dinge gesprochen wird, die nicht unbedingt im Fokus des Erwarteten liegen. Zu klären ist dann, welche Wertigkeit diesen Antworten zugebilligt wird. Es bedarf in diesen Fällen bestimmter Kategorien, nach denen das in den Antworten Geäußerte ausgewertet werden kann. Nicht unüblich ist es daher solche Antworten nach Methoden der Inhaltsanalyse zu bearbeiten. Dass das Befragen aufgrund unterschiedlicher Motivlagen zu Antworten führen kann, die im Sinn der Erwünschtheit oder Opposition des Erfragten eingefärbt werden können, wurde bereits angesprochen. Wenn die Befragung im Kontext einer Gruppe erfolgt, erhöht sich das Risiko. Denn die Befragten beobachten das Antwortverhalten untereinander und unterstellen sich bestimmte Motivationen. Für den Interviewer ist es dann wichtig, Differenzen in der Motivation unter den Befragten zu erkennen und nach Wegen zu suchen, um diese auszugleichen. Das Problem wird nicht durch die Offenheit der Fragen bedingt, sondern tritt genauso in standardisierten Frageformen auf. Die Wahrnehmung eines Gegenstands ist von der Motivlage des Wahrnehmenden beeinflusst. Ändert sich diese, hat das Konsequenzen für die Sicht und Einschätzung des Wahrgenommenen sowie die Schlüsse, die dann daraus gezogen werden. Der zwischenmenschliche Einflussfaktor muss bei Interviews in der Faceto-face-Situation stets mitbedacht werden. Prestigedenken oder Imponiergehabe, Ängstlichkeit oder Überangepasstheit sind als Fehlerquellen im Blick zu behalten. Vielfach wird versucht, diesen Faktor durch eigenständige Fragen zu erfassen, sodass sich die Befragten und damit auch ihre Antworten kategorial einschätzen lassen. Leitfadeninterview 266 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse Literatur Berelson, Bernard (1952): Content analysis in communication research. Glencoe Ill.: Free Press (Foundations of communication research). Bohnsack, Ralf (2013): Dokumentarische Methode und die Logik der Praxis. In: Pierre Bourdieus Konzeption des Habitus: Grundlagen, Zugänge, Forschungsperspektiven. Wiesbaden: Springer VS , S. 175-200. Brinker, Klaus (1989): Linguistische Gesprächsanalyse eine Einführung. Berlin: Schmidt (Grundlagen der Germanistik). Brosius, Hans-Bernd; Haas, Alexander; Koschel, Friederike (2016): Methoden der empirischen Kommunikationsforschung. Eine Einführung. 7., überarbeitete und aktualisierte Auflage. 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In: Handbuch Online-Forschung: sozialwissenschaftliche Datengewinnung und -auswertung in digitalen Netzen. Köln: von Halem, S. 214-232. Problemstellung und Fragen 1. Das Kommunikationsereignis stellt die Akteure vor vergleichbare Probleme, man fragt sich, wie das Gegenüber mit der Situation umgehen wird. Sie verlassen sich darauf, dass aufgrund einer bekannten Lebenswelt ähnlich gedacht und gehandelt werden wird. Woran können sich die Interaktionspartner konkret orientieren und wie lässt sich diese Orientierung für das Beobachten von Kommunikationsverläufen nutzen? (Vgl. 13.1) 2. Es gibt Methoden, die sind inhaltlich ausgerichtet, und es gibt Verfahren, die das Kommunizieren nach formalen, strukturellen Merkmalen betrachten. Welche formalen Eigenschaften werden in diesem Zusammenhang diskutiert und worin liegt ihre besondere Leistung für den Kommunikationsablauf ? (Vgl. 13.2) 3. Die Methodenentwicklung zur Kommunikationsforschung wurde seit den 40er Jahren durch das Interesse an der Rezeption von Informationen aus Zeitungen und Rundfunk vorangetrieben. Es hat sich die Methodik der Inhaltsanalyse herausgebildet. Was sind die üblichen Anwendungsbereiche? Warum ist das Verfahren nur bedingt auf natürliche Kommunikation anwendbar? (Vgl. 13.3) 4. In der Medienforschung spielt die Befragung der Rezipienten von Presse-, Rundfunksowie Fernsehinformationen eine wichtige Rolle. Das Befragen als Erhebungsmethode ist komplex. Was muss, wenn eine Frage erarbeitet wird, vonseiten des Fragenden und im Hinblick auf den Gefragten mitbedacht werden? Welche Fehler sollten vermieden werden? (Vgl. 13.4) 5. MAXQDA ist ein Werkzeug, das computergestütztes Transkribieren und textanalytisches Arbeiten unterstützt. Testen Sie an einem von Ihnen ausgewählten Materialbeispiel die Möglichkeiten eines solchen Werkzeugs. 13.6 Der Markt der Kommunikationsratgeber Inhalt 14.1 Die Popularität des Themas Kommunikation 270 14.2 Der alltägliche Umgang mit Anderen 271 14.3 Im Ausdrucksraum der Zeichen 279 14.4 Das Arbeiten an den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern 283 14.5 Literatur 288 14.6 Problemstellung und Fragen 289 Kommunikationskurse sind in allen Bereichen sehr gefragt. Ihren Ausgangspunkt nahm diese Welle in Amerika mit der Schule von Palo Alto. Sie hatte die Bedeutung des Beobachtens von Verhalten als Quelle für die Kommunikation entdeckt und eine breite Bewegung in der Psychotherapie ausgelöst. Der Blick galt dem Verhalten in sozialen Verbänden, dem Umgang mit Themen und Problemen bei Interaktionen bis hin zur Selbstbeobachtungen eigener Praktiken mit Blick auf das soziale Umfeld. Eine andere Bewegung wurde durch die Reflexion des Zeichens als Konstituenz für Kultur und Gesellschaft ausgelöst. Zu beobachten ist der Gebrauch von Zeichen in Handlungszusammenhängen wie auch die damit verbundene Deutungsarbeit, die für eine Verständigung notwendig ist. Beide Zugänge wurden weiten Kreisen durch popularisierende Formulierungen oder Verbildlichungen nahegebracht. Ein jeder kennt den Satz vom nicht Nicht-Kommunizieren oder das Vier-Ohren-Modell. Überblick 269 a nwendungen der K ommunIKatIonsanalyse P roBlemstellung und f ragen Einheit 14 Der Markt der Kommunikationsratgeber Inhalt 14.1 Die Popularität des Themas Kommunikation 270 14.2 Der alltägliche Umgang mit Anderen 271 14.3 Im Ausdrucksraum der Zeichen 279 14.4 Das Arbeiten an den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern 283 14.5 Literatur 288 14.6 Problemstellung und Fragen 289 Kommunikationskurse sind in allen Bereichen sehr gefragt. Ihren Ausgangspunkt nahm diese Welle in Amerika mit der Schule von Palo Alto. Sie hatte die Bedeutung des Beobachtens von Verhalten als Quelle für die Kommunikation entdeckt und eine breite Bewegung in der Psychotherapie ausgelöst. Der Blick galt dem Verhalten in sozialen Verbänden, dem Umgang mit Themen und Problemen bei Interaktionen bis hin zur Selbstbeobachtungen eigener Praktiken mit Blick auf das soziale Umfeld. Eine andere Bewegung wurde durch die Reflexion des Zeichens als Konstituenz für Kultur und Gesellschaft ausgelöst. Zu beobachten ist der Gebrauch von Zeichen in Handlungszusammenhängen wie auch die damit verbundene Deutungsarbeit, die für eine Verständigung notwendig ist. Beide Zugänge wurden weiten Kreisen durch popularisierende Formulierungen oder Verbildlichungen nahegebracht. Ein jeder kennt den Satz vom nicht Nicht-Kommunizieren oder das Vier-Ohren-Modell. Überblick 270 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer Die Popularität des Themas Kommunikation Kommunikation wurde in den vergangenen Jahrzehnten zu einem populären Thema, nachdem eine Reihe von Konzepten entwickelt worden war, die sich weniger durch ein Interesse an der Theorieentwicklung auszeichneten als vielmehr an der Beratung ausgerichtet waren: Wie können Menschen kommunikativ erfolgreich sein, ihr Verhalten optimieren und sicher mit schwierigen Situationen umgehen? Dabei wurden Erkenntnisse oder Ideen aus unterschiedlichen Theorieansätzen aufgegriffen und in ein Umfeld zu integrieren versucht. Zur Popularität des Themas trug auch die Annahme bei, dass Kommunikation eine sehr signifikante Verhaltensform für das gesellschaftliche Zusammensein darstelle, vielleicht sogar die wichtigste. Die Soziologie der vergangenen Jahre und besonders die Systemtheorie konnten die grundlegende Rolle der Kommunikation für die Entstehung und Erhaltung von Gesellschaft aufzeigen und erklären. Probleme des Alltags wurden so sehr schnell als Konflikte im Zusammenhang mit Kommunikation verortet und sollten durch erfolgreiche Kommunikationsstrategien überwindbar bzw. beherrschbar gemacht werden. Durch die Verbesserung seiner kommunikativen Kompetenz könnte der Einzelne, so der Gedanke, Misserfolge bei der Arbeit wettmachen oder seine Bildungschancen signifikant erhöhen. Kommunikation wird als Schlüsselkompetenz für alle Lebensbereiche gesehen. Dies hängt auch damit zusammen, dass vielfältigste Ansätze aus dem therapeutischen Bereich das Thema Kommunikation aufgegriffen haben Kommunikative Kompetenz Daher verwundert es nicht, dass auf diesem Hintergrund ein eigener Markt entstanden ist, der Kommunikationsschulung und -beratung zum Gegenstand hat und diese mit dem Versprechen gesellschaftlichen Erfolgs verbindet. Waren es in den 80er Jahren Themen aus dem Bereich der Beziehungspsychologie, insbesondere die Beziehungen zwischen Paaren, die großes Interesse weckten, weitete sich das Feld sehr bald in den Bereich der betrieblichen und institutionellen Kommunikation aus. Heute steht vor allem der Zusammenhang von Kommunikation und Wissen im Mittelpunkt und, seit dem Aufkommen des Web 2.0, die Kommunikation in den sozialen Netzwerken im Internet. 14.1 271 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer d er alltäglIche u mgang mIt a nderen Einheit 14 Der alltägliche Umgang mit Anderen Mit den Arbeiten aus dem Kreis der Palo-Alto-Schule sind eine ganze Reihe von Kompetenzen entwickelt worden, die sich vor allem mit Konflikten im Umfeld menschlicher Beziehungen auseinandersetzen und nach Lösungsansätzen suchen, die in der Interaktion selbst verankert werden. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich, denn Ursachen für Konflikte können ebenso in der Befindlichkeit eines Individuums gesehen werden; eine Therapie könnte dann eine Bewusstseinsveränderung und einen Wandel in den Einstellungen des Einzelnen zum Ziel haben. Formen der Psychoanalyse wählen solche Wege, indem sie Techniken zur Selbstreflexion einsetzen. Betroffenen soll durch die Selbsteinsicht ein erfolgreiches Handeln eröffnet werden. Konflikte als Ergebnisse von Interaktionen zu identifizieren, wurde dagegen erst möglich, nachdem kommunikative Prozesse in ihrer interaktiven Dynamik besser verstanden wurden. So wurde erkannt, welche Bedeutung Rollenzuschreibungen beispielsweise in diesem Prozess haben können. Mit den Beobachtungen der Gruppe um Watzlawick wurde überhaupt erst eine Sicht auf Kommunikation möglich, die das „Menschliche“ zu erfassen vermochte und die technische Perspektive relativierte. Gordon (1981) ist mit seinem Buch „Die neue Familienkonferenz“ (1994) bekannt geworden. Er beschäftigte sich als Psychologe mit Konflikten in Familien und glaubte einen Weg gefunden zu haben, wie diesen kommunikativ beizukommen sei. Er beobachtete, wie mit Erziehungsschwierigkeiten umgegangen wurde und wie diese zu lösen versucht wurden. Dabei fand er heraus, dass immer wieder die Verfahren Belohnen, Bestrafen und Kontrollieren Anwendung fanden. Ihr Effekt war nicht die Reduktion der Schwierigkeiten, sondern die Konflikte verschärften sich stets und nicht selten gerieten sie außer Kontrolle. Das Scheitern der Lösungsversuche führte Gordon darauf zurück, dass Konflikte nur durch Gegenseitigkeit gelöst werden können. Im Fall der Familienstreitigkeiten stellte er fest, dass die Kinder in einem solchen Konflikt nicht als Partner gesehen wurden und ihre Eigenleistung nicht als Lösungspotential wahrgenommen wurde. An die Stelle der Fremdkontrolle muss seiner Meinung nach jedoch die Selbstkontrolle gerückt werden. Alle Beteiligten müssen Selbstverantwortlichkeit lernen. Das ist aber nicht durch einseitige Instruktion möglich, sondern nur durch eine Kommunikation, bei der die Wahrnehmung der Gegenseitigkeit als Ausgangspunkt gewählt wird. 14.2 Familienkommunikation Thomas Gordon (1918-2002) Abb. 14.1 Amerikanischer Psychologe an der University of Chicago, Schwerpunkte: Pionier der humanistischen Psychologie 272 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer Die Lösung einer konflikthaltigen Situation beginnt im Sinne des Konzepts von Gordon für den Betroffenen damit, dass er sich das Verhalten bewusst macht, welches er als Problem empfindet, und dass er klarstellt, worin für ihn das Problematische dieses Verhaltens besteht. Innerhalb einer Gruppe müssen die Einzelnen erkennen, welche Verhaltensformen von wem als unproblematisch eingeschätzt werden, wo andererseits Konfliktfelder auftreten und in welchem Umfang sie das Verhältnis zu den anderen Gruppenmitgliedern prägen. Erklärung Die Problembearbeitung muss nun von demjenigen ausgehen, der die vorfindliche Situation als nicht akzeptabel empfindet. In den von Gordon beobachteten Familien geschah das aber nicht. Stattdessen traten vor allem sogenannte Du-Botschaften auf, aus denen ersichtlich wird, wie sich eine Konfliktursache beim Anderen etabliert: „Wenn du nicht damit aufhörst, warum machst du nicht das, was-…, du bist ziemlich ungezogen, du musst alles besser wissen.“ Gordon (1993, S. 131) stellte fest, dass Situationen sich aber eher dann entschärfen lassen, wenn der Partner, der sich durch das Verhalten des Anderen gestört fühlt, den Anderen darüber informiert und auch erklärt, worin er diese Störung sieht. Gordon nennt das Ich-Botschaften, und er schlägt vor, dass diese eine bestimmte Struktur erfüllen sollten: Der Betreffende sollte das beschreiben, was für ihn inakzeptabel ist. Er sollte auch die ein solches Verhalten begleitenden Empfindungen und Gefühle nennen und erklären, warum ihn diese belasten. In neueren Arbeiten führte Gordon in den Kontext der Ich-Botschaften den Begriff des Spiegelns ein. Beispielsweise spricht ein Vater lobend über die Schwimmleistung seines Sohnes. Dieser antwortet nun „ich bin nicht halb so gut wie Laurie“. Es zeigt sich, dass der Sohn ein Problem mit Laurie hat. Hier wäre denkbar, dass der Vater zurückfragt: „Du bist nicht halb so gut wie Laurie? “ Mit dieser Wiederholung, bei der das Gesendete an den Sender zurückgesendet wird und als ein solcher Akt auch verstanden werden kann, eröffnet sich für den Jungen die Möglichkeit, mehr über sein Problem sagen zu können. Der Ansatz Gordons deckt die Beschränktheit der Kommunikation und ihrer in der Familie praktizierten Formen auf und schlägt eine Erweiterung des Repertoires vor, sodass mehr Möglichkeiten zum kooperativen Handeln zur Verfügung stehen. Das beginnt bereits bei einem aktiven Zuhören, höherer Flexibilität hinsichtlich dessen, was akzeptiert wird, und einer Suche nach Konfliktlösungen, die für die Akteure nicht als Niederlagen erlebt werden. Ruth Charlotte Cohn (1912-2010): Leitete private psychotherapeutische Praxen in New York und der Schweiz, Begründerin der Themenzentrierten Interaktion 273 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer d er alltäglIche u mgang mIt a nderen Einheit 14 Cohn (1975) entwickelte ihr Konzept von der themenzentrierten Interaktion in Abhängigkeit zu verschiedenen psychoanalytischen und psychotherapeutischen Ansätzen. Ihre Aufmerksamkeit galt dabei nicht so sehr den Beziehungen der Menschen, sondern vornehmlich dem Thema der Kommunikation insgesamt. Cohn legt drei Annahmen als Basis zugrunde: Der Mensch ist eine psychobiologische Einheit und Teil des Universums, er ist daher autonom, wenn er sich dieser Interdependenz bewusst wird. Ehrfurcht gebührt allem Lebendigen. Freie Entscheidungen sind im Rahmen von Grenzen möglich, die sich jedoch immer erweitern lassen. Diese drei Grundannahmen bauen aufeinander auf und haben Einfluss auf die Existenz des Menschen. Mit der Annahme der psychobiologischen Einheit wird auf die Subjekthaftigkeit des Menschen Bezug genommen, d. h. seine Existenz ist nicht nur physiologisch begründet, sondern erfährt seine Wirksamkeit erst durch das Bewusstwerden dieser Existenz. Das rückt die Selbstbestimmtheit des Einzelnen ins Zentrum und bietet die Möglichkeit, sich ihrer schrittweise auch bewusst zu werden. Das Bewusstsein entsteht durch den Rückblick in die Vergangenheit und die Erwartungen an die Zukunft. Das Wahrnehmen von Vergangenem schafft dabei das notwendige Profil für das in der Zukunft Erhoffte. Der Appell für Ehrfurcht gegenüber allem Lebenden spielt auf das Wertesystem an, an das jeder gebunden ist. Sich seines Wertesystems bewusst zu werden bedeutet, das eigene Denken zu befreien und damit Energie für sich selbst zu gewinnen. Cohns Ansatz zielt nicht auf das einzelne Individuum ab, sondern betont, dass sich frei für oder gegen etwas entscheiden zu können, immer auch eine Bezugnahme auf das ist, was gesellschaftlich vom Einzelnen erwartet wird. Dadurch wird das Bewusstsein für die Umgebung des Individuums erweitert. Das grundsätzliche Anliegen von Cohn ist mehr Humanität im Umgang miteinander. Kommunikation kann ihrer Meinung nach dazu beitragen. Erklärung Das Dreieck zeigt als Eckpunkte: Es, Ich und Wir. Sie zusammen bilden eine Einheit, was durch die Verbindung der Knoten dargestellt wird. Diese Einheit setzt sich ständig mit der sie umgebenden Umwelt auseinander und der Einzelne erkennt sich selbst, weil es die Anderen gibt. Das Ich steht für die einzelne Person, wie sie als Individuum existiert. Wir beschreibt das vorhandene Beziehungsgefüge, das sich aufgrund von Interaktionen herausbildet. Es erfasst den Inhalt, mit dem sich eine Gruppe auseinandersetzt, um Aufgaben zu lösen. Der Begriff Globe beinhaltet das Umfeld in seinen organisatorischen, sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Ausprägungen. Globe bedingt das Handeln in der Gruppe und der Gruppe als Ganze. Themenzentrierung 274 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer Das Verhalten der Menschen untereinander wird im Konzept von Cohn durch Kommunikationsregeln beschrieben; sie werden als „existentielle Postulate“ bezeichnet. Solche Regeln lauten: Sei dein eigener Chairman; Störungen haben Vorrang; bitte, wenn nötig, um „Blitzlicht“; nur einer kann sprechen. Fordere Rückmeldungen oder versuche, das zu geben und zu empfangen, was du selbst geben und empfangen möchtest. Das Kommunizieren wird als dynamischer Prozess erlebt, von dem sich der Einzelne leicht überfordert fühlt. Dabei ist er selbst ein Teil dieses Vorgangs und kann bewusst Einfluss auf ihn nehmen. Dafür muss er zunächst verstehen, dass ohne ihn alles anders laufen würde. Entwickelt sich ein Ereignis anders als vorgestellt, kann er intervenieren, indem er auf diesen Umstand hinweist und auch die Anderen darum bittet, sich die Situation zu vergegenwärtigen. Möglicherweise ergeht es ihnen ähnlich. Für den westlichen Kulturraum gilt: Es darf immer nur eine Person reden. Wenn mehrere Personen gleichzeitig sprechen wollen, muss eine Lösung für diese Situation gefunden werden. Eine weitere Regel besagt: Unterbrich das Gespräch, wenn du nicht wirklich teilnehmen kannst, z. B. wenn du gelangweilt, ärgerlich oder aus einem anderen Grund unkonzentriert bist. Nicht selten finden Gespräche statt, das gilt besonders in der Gremienarbeit, bei denen einzelne Personen nicht anwesend sein können. Das hat Konsequenzen für die Arbeit einer solchen Gruppe. Denn ein Abwesender verliert nicht nur seine Möglichkeit der Selbsterfüllung in der Gruppe, sondern er bedeutet auch einen Verlust für die ganze Gruppe. Oft ist zu beobachten, dass die Kommunikationsregeln Gesprächsregeln Symbol und Strukturmodell der Themenzentrierten Interaktion (Retter 2002, S. 302) Abb. 14.2 275 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer d er alltäglIche u mgang mIt a nderen Einheit 14 Abwesenheit benutzt wird, um Einzelinteressen anderer durchzusetzen. Das bedingt auf längere Sicht in der Regel Konflikte, denn nach Rückkehr des Abwesenden, sind ihm gegenüber Erklärungen nötig, die er nicht immer und ohne weiteres akzeptiert. Jeder Gesprächsteilnehmer bringt sich durch die Art seiner Selbstdarstellung in den Kommunikationsprozess ein. Als Individuum, das sich äußert, fordert er die Anderen heraus, ihm bestimmte Eigenschaften zuzuweisen, die ihn als Person identifizierbar machen. Daher ist von Bedeutung, was geäußert wird und auf welche Weise. Cohn legt nahe, nicht per „man“, sondern per „ich“ zu sprechen. Niemand kann wirklich für einen anderen sprechen. Das „man“ oder „wir“ in der persönlichen Rede ist fast immer ein Verstecken vor der individuellen Verantwortung. Eine weitere Regel Cohns besagt: Es ist beinahe immer besser, eine persönliche Aussage zu machen, als eine Frage an andere zu stellen. Meine Äußerung ist ein persönliches Bekenntnis, das andere Teilnehmer zu eigenen Aussagen anregt. Fragen stellen oft indirekt Ansprüche an den anderen und bezeugen nicht ein persönliches Interesse: Sie sehen gut aus und Sie haben tatsächlich abgenommen? Ein anderes Postulat lautet: „Beobachte Signale aus deiner Körpersphäre und beachte Signale dieser Art bei den anderen Teilnehmern.“ Diese Regel stellt ein Gegengewicht zur kulturell bedingten Vernachlässigung unserer Körper- und Gefühlswahrnehmung dar. Ein wichtiger Punkt im Konzept der themenzentrierten Interaktion besteht darin, dass es die Differenz eines Außen und eines Innen bearbeitet. Das Individuum sieht sich einer Umwelt in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen gegenüber, mit der es umgehen muss. Cohn reagiert auf die Wahrnehmung einer Diskrepanz, denn in den modernen Gesellschaften können Anforderungen und die Ich-Befindlichkeiten in Widerspruch zueinander geraten. Der Bezug zu einem Wir wird dann nicht mehr oder nur sehr schwer gefunden. Beispielsweise bedingt ein hoher Konkurrenzdruck im Studium eine zunehmende Vereinzelung. Einer kooperativen Kommunikation wird aus dem Weg gegangen, weil der Andere daraus für sich Vorteile ziehen könnte. Man hat eine Studie gefunden, welche die Anderen noch nicht entdeckt haben, und hofft mit dem Wissen daraus gegenüber den Anderen glänzen zu können. Das steht im Widerspruch zur gesellschaftlichen Forderung der Teamfähigkeit. Einen anderen Weg geht Berne (1967) mit seinem Konzept der Transaktionsanalyse. Er versucht, die Quellen für kommunikative Verhaltensformen näher zu bestimmen und deckt Motive für das gesellschaftliche Verhalten von Personen anhand Selbstdarstellung Eric Berne (1910-1970): Kanadisch-amerikanischer Psychiater, Schwerpunkt: entwickelte die Transaktionsanalyse als psychotherapeutisches Verfahren Dissonanzen bearbeiten Transaktion 276 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer ihrer Kommunikation auf. Gegenstand seiner Untersuchung ist die Funktionsweise sozialer Transaktionen. Dabei werden sich wiederholende Verhaltensmuster aufgedeckt. Die Analyse soll Licht in diese Verhaltensweisen bringen und erklären, wie die Einzelnen mit ihnen zurechtkommen. Viele Verhaltensmuster lassen sich nach Ansicht von Berne auf die Kindheit zurückführen und sind aufgrund dessen mit bestimmten Gefühlen konnotiert, die wiederum impulsive Reaktionen auslösen. Dadurch entstehen in Interaktionen quasi Rollenspielsituationen. Der Akteur wählt dabei solche Partner aus, die sich auf diese „Spiele“ einlassen: Ein Vorgesetzter lobt seine Mitarbeiterin für ihre Arbeit und droht gleichzeitig damit, ihr andere Aufgaben zu geben, sollte sie Fehler machen. Wenn das Verhalten des Vorgesetzten nun mit Blick auf seine Kindheitserlebnisse untersucht würde, ließe sich vielleicht folgende Erklärung finden: Er erlebte seine Mutter als eine Person, die immer freundlich mit ihm sprach; gleichzeitig löste sie aber Stress bei ihm aus, weil sie penetrant auf alles reagierte, was gegen ihre Erwartung verstieß. Ohne sich dieses Zusammenhangs bewusst zu sein, geht der Vorgesetzte nun in bestimmten Situationen mit seinen Mitarbeitern ganz ähnlich um. Sein Verhalten zielt darauf ab, die eigene Überlegenheit gegenüber dem bzw. den Anderen zu beweisen und die als Kind empfundene Angst auf diese Weise zu bannen. Beispiel Die Transaktionsanalyse will klären, was man empfindet, worauf man reagiert, und was man tut, um sich gut fühlen und dieses Gefühl auch über längere Zeit hin aufrechterhalten zu können. Unser Verhalten wird bildlich gesprochen durch eine Art „Tonband“ oder „Drehbuch“ im Unterbewussten aufgezeichnet, und dieses „Dokument“ begleitet unsere aktuellen Handlungen. Wenn wir in einer Situation zum Handeln herausgefordert werden, kommt dieses „Tonband“ zum Einsatz, sowohl das Protokoll von früheren Ereignissen als auch das aktuelle Ereignis werden aktiviert. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit speisen sich aus drei Relationen, die das Ich prägen: die Eltern-Ich-, Kindheit-Ich- und Erwachsenen-Ich-Beziehung. Berne ging davon aus, dass diese Grundrelationen das kommunikativ sichtbare Verhalten eines jeden bestimmen. Erklärung Kommunikativ wird die jeweils individuelle Eltern-Ich-Relation fassbar in Kommentaren wie „du redest jetzt genau wie deine Mutter“. Manche Verhaltensweisen, die während der Kindheit die Kommunikationsformen beherrschten, bleiben erhalten, beispielsweise der kindliche Trotz, aber auch ein undiszipliniertes Fabulieren kann eine solche Form sein, die sich beim Erwachsenwerden abschwächt oder zurückgedrängt wird. Es muss erlernt Mutter-Kind-Beziehung 277 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer d er alltäglIche u mgang mIt a nderen Einheit 14 werden in der Rolle des Erwachsenen mit anderen zu agieren und mit ihnen zu reden, d. h. sich situationsangemessen zu verhalten und adressatenbezogen zu artikulieren. In der Interaktion ist abzuklären, welche der drei genannten Beziehungsverhältnisse das kommunikative Verhalten dominiert. Eine Transaktion ist der Austausch einer Botschaft. Sie ist komplementär, wenn sie für die Beteiligten in eine gemeinsame Richtung verläuft: In einem Gespräch lästern beispielsweise die Akteure über einen Dritten oder äußern sich kritisch zu seinem Verhalten. Viele Transaktionen sind ritualisiert: Personen tauschen eine Grußformel aus oder verabschieden sich nach spezifischen Formen. Es gibt auch Gespräche zur Überbrückung von Zeit. In diesen kann z. B. über eigene und Befindlichkeiten nicht Anwesender gesprochen werden. Nicht selten beobachtete Berne (1978, S. 57) „Spiele“, das sind Abfolgen von Transaktionen nach festen Regeln und mit einem bestimmten Ziel. Es geht im Normalfall um den „Sieg des Initiators“ und die Befriedigung der eigenen Gefühle. Solche „Spielchen“ folgen den Mustern „jetzt hab´ ich dich endlich, du Schweinehund“ oder „mein Auto ist schöner als deines“. Täter und Opfer sind meist dieselben Personen und sie bewegen sich in festen Sozialhierarchien wie dem Betrieb oder der Familie. Der Ablauf ist in bestimmten „Drehbüchern“ festgelegt. Solche Spiele beeinträchtigen das eigene Selbst, wenn sie Beziehungen langfristig dominieren. Die Transaktionsanalyse soll daher zum Verstehen der den Spielen zugrundeliegenden „Drehbücher“ beitragen und aufdecken helfen, wie dort Veränderungen ermöglicht werden können. Spannungen entstehen laut Berne immer dann, wenn der Betroffene durch das Eltern-Ich überfordert und von der Angst des Kindheits-Ich in seinem Handeln geprägt wird. Erst wenn sich das O.k.-Gefühl im Umgang mit meinem Gegenüber einstellt (Ich bin nicht o. k.-- du bist o. k.; ich bin nicht o. k., du bist nicht o. k.; ich bin o. k.-- du bist nicht o. k.; ich bin o. k., du bist o. k.) entspannt sich die Situation. Voraussetzung dafür ist, dass das Kindheits- und das Erwachsenen-Ich wahrgenommen werden. Das verschafft dem Einzelnen einen besseren Zugang zu seiner eigenen Erwartungshaltung. Er sollte sich folgende Fragen stellen: Wenn ich möchte, dass irgendetwas Bestimmtes geschieht und es geschieht dann nicht, reagiere ich darauf mit meinem Eltern-Ich oder meinem Kindheits-Ich? Und will ich das wirklich? Berne glaubt, dass der Einzelne durch die Prüfung seiner Kommunikation auf eigene Widersprüchlichkeiten die Chance erhält, neue und andere Kommunikationsformen zu suchen und zu entwickeln, die sein Selbst gegenüber dem bzw. den Anderen eher als ein Wir ermöglichen. Kommunikation stellt sich dann als etwas dar, dessen Qualität durch die gegenseitige Akzeptanz bestimmt wird. Ok-Gefühl 278 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer Der Gedanke des sich interaktiv aufeinander Abstimmens kommt auch in einem anderen Ansatz zur Sprache. Die Idee zu dem Konzept des Neurolinguistic Programming, kurz NLP , entstand in den 70er Jahren auf Anregung von Bandler und Grinder (2011), Richard Bandler war ein Vertreter der Gestalttherapie und hatte Kontakt zur Palo- Alto-Schule. John Grinder beschäftigte sich mit Fremdsprachendidaktik. Sie rezipierten Konzepte von Bandura und Kober (1976), bei denen aus dem Imitationslernen ein Lernen am Modell entwickelt worden war. Neurolinguistic Programming ist eine Methode, die durch das Umstrukturieren subjektiver Wahrnehmung und den Umgang mit Erfahrungsmustern das Kommunikationsverhalten optimieren will. Sie soll das Selbstwertgefühl des Einzelnen verbessern und ihm dadurch ermöglichen, sich selbst zu verwirklichen. Dazu muss der Einzelne lernen, einerseits sein soziales Umfeld bewusst wahrzunehmen und andererseits auch sich selbst. Neurolinguistic Programming stellt also eine klientenzentrierte Methode dar, die auf das Gesprächsverhalten im Alltag Einfluss nehmen soll. NLP will zum Gegenüber „einen Draht“, den sogenannten Rapport, herstellen. Erlernbare Fähigkeiten wie das Pacing und Leading sollen dies ermöglichen: Pacing meint ein Anpassen und Mitgehen mit dem Anderen, ein Kommunikationspartner ‚spiegelt‘ sein Gegenüber. Dahinter verbirgt sich die Beobachtung, dass Personen, die sich verstehen, ihr Verhalten aneinander angleichen, sich in der Lautstärke, aber auch im Tonfall, im Sprechtempo bis hin zur Körpersprache dem Partner annähern. Leading bedeutet, im Gespräch die Führung zu übernehmen. Im Gesprächsverlauf sollten Pacing und Leading einander so abwechseln, dass der kommunikative Austausch in einer ausgewogenen und damit für die Beteiligten positiven Atmosphäre stattfindet. Die NLP -Methode zielt auf die Analyse der Sinneswahrnehmungen und nutzt Ergebnisse aus der Hirnforschung für ihre anwendungsbezogenen Erklärungen. Die Wahl des Begriffs „neurolinguistic“ hatte damit zu tun, dass bei dem Ansatz anfänglich die Sprache als vorrangige Bezugsgröße angesehen wurde. Dem Ausdruck „neurolinguistisches Programmieren“ lag nach Ulsamer und Blickhan (1995, S. 10) die Vorstellung zugrunde, in einem gedachten Raum finden Körper, Sprache und Denken zusammen. Für Körper steht „neuro“, für Sprache „linguistic“ und für Denken „programm“. Richard Bandler: Amerikanischer Mathematiker, Informatiker und Psychologe John Grinder: Amerikanischer Anglist und Fremdsprachendidaktiker Schwerpunkte: Mitentwickler des Neuro-Linguistischen Programmierens Neurolinguistic Programming 279 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer I m a usdrucKsraum der z eIchen Einheit 14 Die Grundidee des NLP besteht darin, dem Einzelnen seine unbewussten Fähigkeiten und blockierten Ressourcen verfügbar zu machen. Erfolgen soll dies durch ein besseres Strukturieren dessen, was gesehen, gehört und gefühlt wird. Zu beobachten ist, wie die Sprache mit der Welt umgeht und wie die Akteure den Umgang mit der Welt durch ihre Sprache akzentuieren. Als wichtig gilt der Aufbau von Ressourcen, die in positiven Reiz-Reaktionsmustern verankert sind. Erklärung Der Technik des Reframing kommt dabei besondere Bedeutung zu. Negative Erlebnisse werden auf einen anderen und positiv aufgeladenen Bezugsrahmen projiziert. Herausgearbeitet wird nicht, wie über ein Ereignis gesprochen wird, sondern was dieses mit einem „tut“. Das Vorbereitungsgespräch zu einer Prüfung mit dem Dozenten beispielsweise misslingt, dieser hält den ausgewählten Themenbereich für oberflächlich und unpräzise. Die Enttäuschung ist groß. Beim Nacharbeiten der Kritik zeigt sich aber, dass der Lernstoff tatsächlich wenig kalkulierbar ist. Das Gespräch wird jetzt als echte Hilfe bei der Prüfungsvorbereitung wahrgenommen. Im Ausdrucksraum der Zeichen Die psychotherapeutischen Ansätze, die vor allem im amerikanischen Raum entstanden sind, haben die Verbesserung der Lebensqualität zum Ziel und gehen davon aus, dass der Einfluss auf Bewusstseinszustände durch bestimmte Formen der Kommunikation die Lebensqualität erhöht. Dagegen stehen die psychologischen Konzepte, die im europäischen Raum entwickelt wurden, in einer an der Zeichentheorie orientierten Tradition. Sie fragen danach, wie Zeichen interaktiv verarbeitet werden können. Mit dem Versuch von Bühler (1934), den Zeichenbegriff im Rahmen eines Handlungskontextes zu reflektieren, und dessen Erweiterung durch Jakobson (1960), der die Textwirklichkeit miteinbezieht, wurde der Blick auf die situativ pragmatischen Kontexte gelenkt, innerhalb derer Zeichen ausgetauscht werden und dadurch Kommunikation sichtbar machen. Das Anbieten von Zeichen kann nicht losgelöst von Raum und Zeit erfolgen, weil es ein Gegenüber geben muss, das dieses Angebot wahrnimmt und als Zeichen anerkennt. Entsprechend entwickelten sich Kommunikationsratgeber, die die Kontrolle von Kommunikation verbessern sollten. 14.3 Sprache-Körper-Denken (Retter 2002, S. 308) Abb. 14.3 280 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer Bühler blickt auf das Zeichen an sich und beobachtete, was bei der Interaktion zwischen Sender und Empfänger aufgrund des Verbreitens und Wahrnehmens eines Zeichens grundsätzlich geleistet wird. Er bezieht sich auf eine Idee Platons, die im Kratylos diskutiert wird. Sprache wird dort als Werkzeug („organon“) thematisiert. Wenn Sprecher und Hörer über das Zeichen in Kontakt treten, kann ein mögliches Arbeitsziel das Erkennen von Objekten sein, an denen sie gemeinsam arbeiten wollen. Erklärung Der Sprecher verwendet das Zeichen so, dass es sich auf ein Objekt beziehen lässt und er erwartet, dass der Hörer das aufgrund des gesetzten Zeichens auch erkennt. Bühler sieht in dieser Verwendung des Zeichens seine Darstellungsfunktion. Ihr Gelingen basiert auf der Ausdrucksfunktion. Ein Zeichen als solches wahrzunehmen setzt voraus, etwas als Symbol, Ikon oder Symptom zu erkennen, was jemand in den Handlungsraumgestellt hat. Etwas, was ein Sprecher anbietet, muss vom Angesprochenen auch als Zeichen verstanden werden. Er erkennt beispielsweise auf einem Zettel, den er auf seinem Schreibtisch entdeckt, dass dort etwas aufgeschrieben worden ist. Jemand hat ihm eine Notiz hinterlassen. Die Sendung eines Zeichens an einen Empfänger erfolgt in der Regel mit einem Ziel. Es wird vom Angesprochenen etwas erwartet. Die Appellfunktion soll sicherstellen, dass der Umgang mit dem Zeichen im Sinne des Senders erfolgt. Die Notiz „komme fünf Minuten später zur Sitzung! Peter“ kann nach Bühler verstanden werden, weil der Sender darauf vertraut, dass der Empfänger den Satz als sprachliche Äußerung erkennt, Organonmodell (Retter 2002, S. 227) Abb. 14.4 281 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer I m a usdrucKsraum der z eIchen Einheit 14 semantisch rekonstruieren kann sowie als sprachliche Handlung einer Bitte um Verständnis für eine Verspätung versteht. Die Art der Zeichenselektion von Bühler wird von Jakobson (1960, S. 355) weitergeführt. Er wählt das Sprachereignis als Grundlage und bestimmt sechs Funktionen. Dem Sprecher ordnet er die emotive, dem Hörer die konative, dem Kontext die referentielle, dem Kontakt die phatische, dem Code die metasprachliche und der Nachricht die poetische Funktion zu. Die ersten drei lehnen sich an die Ausdrucks-, Appell- und Darstellungsfunktion an. Die Erweiterung gilt dem Kontakt miteinander. Die phatische Funktion manifestiert sich in Handlungen, die eine Verbindung zum Anderen herstellen, sie sichern, in die Länge ziehen oder abbrechen. Sprache ist ein Zeichensystem, das wie jedes andere auch Mehrdeutigkeiten zulässt und dessen Gebrauch Unsicherheiten enthält, die eine Gefahr für die Verständigung bedeuten. Jakobson schlägt daher eine Funktion vor, die das Reflektieren des benutzten Codes ermöglicht. Er nennt sie die metasprachliche Funktion. Sie organisiert die Möglichkeit von Korrekturen, Nachfragen oder Kommentaren und Modifikationen dessen, was wir gegenüber anderen äußern. Auch das Beheben von Störungen, die durch Inkohärenz hervorgerufen werden, fällt in den Operationsbereich dieser Funktion. Man zeigt an, wie der Angesprochene mit Teilen des Geäußerten richtig umgehen sollte. Wir machen darauf aufmerksam, dass wir etwas an einer bestimmten Stelle vorher gesagt haben oder unter einem noch folgenden Punkt tun werden. Mit der poetischen Funktion beschreibt Jakobson die Abhängigkeit von Zeichen und Zeichenproduzenten. Die Art, wie er dieses präsentiert, erlaubt Die metasprachliche Funktion Zeichenmodell nach Jakobson (1960, S. 355) Abb. 14.5 Roman Ossipowitsch Jakobson (1896-1982) Abb. 14.6 Russischer Philologe, Linguist und Semiotiker, Professor an der Harvard University und im Massachusetts Institute of Technology (MIT), Schwerpunkte: Mitbegründer der Prager Schule des Strukturalismus 282 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer es dem Angesprochenen zu schlussfolgern, wie der Sprecher darüber denkt. Der Schreiber wählt in der Regel bewusst eine Form aus, die er für angemessen hält. Diese Entscheidungen betreffen die Wahl der Wörter und reichen bis in den umfassenden Duktus der Präsentation. Ein Zeichenverständnis, wie Jakobson es vorschlägt, macht sich die Ratgeberliteratur für gute Kommunikation zunutze. So formuliert Delhees (1994, S. 32) sechs Funktionen in Anlehnung an Jakobson. Eine Interaktion, die kommunikativ wirksam werden will, hat laut Delhees den Bezug zu einem Objektbereich herzustellen. Dabei geht es um Sachinhalte. Ein solcher Bezug gewinnt erst kommunikative Qualität, wenn es jemanden gibt, der auf diese Aktivität aufmerksam gemacht werden soll. Es muss einen Appell geben. Der Verweis muss jemanden ansprechen und wahrgenommen werden. Delhees spricht von der Erläuterungsfunktion. Sie schafft so etwas wie ein Motivverständnis für das kommunikative Handeln, denn wenn jemand etwas mit einem Anderen tut, hat er dafür in der Regel einen Grund, der ihn zu der Handlung motiviert. Wendet sich eine Person an eine andere, so gibt sie damit dieser gegenüber auch immer ihre eigene Persönlichkeit zu erkennen. Zwischen den Akteuren kommt es stets zu einer Beziehung im sozialen Raum. Individuen, die eine kommunikative Aufgabe übernehmen, müssen sich damit immer den Bedingungen des sozialen Raums stellen. Das alles ist nicht ohne die Grundlage von Daten möglich, die als Ausdrucksfunktion beschrieben werden. Diese Daten wieder sind nur nutzbar, wenn ein Wissen über ihre Eigenart vorhanden ist, Delhees nennt das den Stil. Funktionen der Kommunikation (Retter 2002, S. 229) Abb. 14.7 283 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer d as a rBeIten an den w ahrnehmungs - und d eutungsmustern Einheit 14 Das Arbeiten an den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern Die Annahme, dass ein bewussterer Umgang mit den Zeichen das kommunikative Verhalten optimieren kann, wird auch mit der Idee eines Vierfelder Modells verknüpft. Die Basisidee folgt dem Gedanken des wirkmächtigen Zeichens, wie es von Bühler angedacht worden war. Eine Nachricht enthält vier Botschaften: den Verweis auf ein vorhandenes oder gedachtes Objekt; den Verweis darauf, was der andere damit tun soll; den Verweis auf eine Beziehung zum Anderen; und bei allem ist immer der Verweis auf den Sender selbst enthalten, weil die genannten Verweise von seiner Person ausgehen. Die Botschaften formulieren komprimiert die Aspekte, die bereits als Funktionen vorgestellt worden sind, wobei die vierte, die der Körperlichkeit des Senders, dem Nonverbalen Raum gibt. Die Anregung zu einem Vierfelderschema geht ursprünglich auf Haley (1963), ein Mitglied der Palo-Alto-Schule, zurück. Haley fragte sich, wie es dazu kommt, dass Akteure bestimmte Verweise bevorzugt wahrnehmen. Er nennt diesen Selektionsvorgang die Qualifizierung einer Botschaft. Eine Botschaft wird durch ihren Kontext qualifiziert, indem die Partner ihrem Umfeld Informationen darüber entnehmen, was gemeint sein kann. Die Bemerkung, dass die Vorlesung interessant war, kann nur verstanden werden, wenn die Angesprochenen die Veranstaltung unmittelbar kennen, weil sie beispielsweise auch selbst anwesend waren. Erklärung Wie die Äußerung zu verstehen ist, wird unter anderem durch die Qualifizierung der Prosodie erschließbar. Die Art, wie jemand eine Äußerung artikuliert, gibt Hinweise darauf, was für eine Handlung er intendiert. Am Tonfall kann erkannt werden, ob jemand nach etwas fragt oder etwas anweist. Die Kommentierung der Vorlesung kann Anerkennung ausdrücken oder Ironie. Ein entsprechender Tonfall legt das eine oder andere nahe. Eine weitere Qualifizierung ergibt sich aus dem Körperverhalten Wir besitzen vielfältige Erfahrungen im Umgang mit anderen, die uns nahelegen, aus bestimmten Körperhaltungen auf Befindlichkeiten des Gegenübers zu schließen. Niedergeschlagenheit vermuten wir, wenn eine Person in sich zusammengesunken dasitzt. Fröhlichkeit unterstellen wir Menschen, die laut lachen. Die vierte Qualifizierung gilt der Art, wie etwas formuliert wird. Wir erlesen daraus die mögliche Einstellung des Sprechers zu einem Ereignis, auf das er sich bezieht. Die Deutung dieser Qualifizierungen erfolgt solange unbewusst, wie die Unterstellungen zu keinen Widersprüchen mit der Situation führen. Schulz von Thun (1982) hat in seinen Arbeiten seit den 80er Jahre den Gedanken der Qualifizierung aufgegriffen. Sein Ausgangspunkt ist eine 14.4 Vier Botschaften 284 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer Nachricht, die in der Konzeptualisierung des Nachrichtenquadrats vier Botschaften vom Sender an den Empfänger transferiert. Das Senden einer Nachricht impliziert immer den Sprecher als jemanden, der etwas für sich will und dafür mit seiner Persönlichkeit steht (Selbstoffenbarung). Er wendet sich an den Empfänger durch einen Appell, der diesen zu einer bestimmten Handlung veranlassen soll. Sender und Empfänger treten durch den Akt der Kontaktaufnahme in ein Beziehungsverhältnis, das von der Einschätzung der gegenseitigen Wertschätzung abhängt. Die Nachricht enthält in der Regel eine inhaltliche Botschaft, durch die der Referenzbereich der Aktion im Sachinhalt kenntlich gemacht wird. Für Schulz von Thun erfolgt die Deutung der Nachricht, indem die Akteure Sensibilität für die genannten vier Botschaften entwickeln. Das wird im Nachrichtenquadrat oder sog. Vier-Ohren-Modell bildlich erfasst und soll die Arbeitsweise veranschaulichen. Dabei wird angenommen, dass sich „Hör-Gewohnheiten“ herausbilden können, sodass die Akteure das Verhalten des Gegenübers zum Beispiel stets aus der Beziehungs- oder Appellperspektive deuten. Das ist für eine Kooperation nicht unproblematisch und kann zu Konflikten führen. Erklärung Die Tochter wird von ihrer Mutter aufgefordert, endlich auch freiwillig auf ihre kleine Schwester aufzupassen. Befolgt sie die Aufforderung nicht, wird es zu weiteren kommen. Das Paradoxe kommt dann zustande, wenn sie sich der Schwester annimmt. Jetzt kann die Mutter erneut das Verhalten ihrer Tochter kritisieren, denn die Verhaltensänderung erfolgte ja nicht freiwillig, sondern als Reaktion auf die wiederholte Aufforderung. Aus der Sicht des Vier-Ohren-Modells wird dieser Konflikt auf die Unfähigkeit der Beteiligten zurückgeführt, alle Seiten der Botschaften zu verarbeiten. Schon durch den Ausschluss eines Feldes kann die Verständigung scheitern. Die Mutter bittet um Hilfe bei ihrer Erziehungsarbeit, die Tochter erlebt die Mutter als Kritikerin und fühlt sich durch das Verhalten der Mutter in ihrem Selbstverständnis angegriffen. Aus der Sicht von Schulz von Thun liegt ein klassisches Beispiel einer Kommunikationsstörung vor. Gleich was die Mutter sagt, wird sich die Tochter angegriffen fühlen. Störung in der Kommunikation Nachrichtenquadrat (Retter 2002, S. 273) Abb. 14.8 285 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer d as a rBeIten an den w ahrnehmungs - und d eutungsmustern Einheit 14 Der von Schulz von Thun beobachtete Konflikt wurde unter dem Aspekt der Interpunktion bereits bei Watzlawick und seinen Kollegen angesprochen, wo die Akteure das Verhalten des Gegenübers auf eine Weise markieren, die alternative Lesarten ausschließt, was schließlich zum Abbruch der Kommunikation führen kann. Eine solche Sicht auf die Kommunikation überblendet aber den Auslöser des Problems, der in der Persönlichkeitsentwicklung der Tochter bzw. in der Selbstbehauptung der Mutter gegenüber der Tochter besteht. Weil beide voneinander etwas erwarten und abverlangen, was der Andere nicht oder nicht ohne weiteres einlösen kann, kommt es zu einem Konflikt. Die erhöhte Bereitschaft, der Nachricht im Sinne Schulz von Thuns bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben, ist im genannten Fall auf den psychischen Zustand der Akteure zurückzuführen. Die Kommunikation nimmt eine Form an, die eine Erwartungsenttäuschung der Akteure signalisiert. Der Begriff Kommunikationsstörung bedeutet dann, dass die Kommunikation eine Störung im Verhältnis der Akteure zueinander zeigt. Ein Modell, das nicht senderzentriert aufgebaut ist, sondern die Wahrnehmungs- und Deutungsarbeit in den Fokus rückt, wurde von Steil (1986) als das Wahrnehmung-Interpretation-Bewertung- Reaktion-Modell (=- WIBR -Modell) zur Diskussion gestellt. Es geht davon aus, dass wir nur das hören, also wahrnehmen, was wir hören wollen. Das zeigt sich in den Alltagsgesprächen, in denen Steil unsere Vorerwartungen von früheren Erlebnissen mit den jeweiligen Gesprächspartnern geprägt werden. Das unvoreingenommene Interpretieren aktueller Äußerungen erweist sich aufgrund dieser Verflechtungen als eine schwierige Aufgabe. Für Steil ist Interpretieren daher ein Handeln, bei dem die Partner herausfinden müssen, ob das, was wahrgenommen und dann interpretiert worden ist, zur erlebten Situation passt. Das geschieht durch eine Bewertung, durch die klar wird, ob die gesetzten Erwartungen eingelöst wurden. Erklärung Die Bewertung spielt eine zentrale Rolle, denn auf ihrer Basis entscheidet der Zuhörer, wie er reagieren soll. Sie stützt sich in hohem Maße auf die Glaubwürdigkeit des Gegenübers. Auch dem situativen Kontext kommt entscheidendes Gewicht zu. So berichtet Steil (1986, S. 47) von einem Vorgang, bei dem Mitarbeiter einer Forschungsabteilung Geld für die Entwicklung eines Produktes erhielten, dessen Forschungszeitraum an sich abgelaufen und nicht verlängerbar war und für das ein gleichwertiges bereits existierte. Wie Lyman K. Steil: US amerikanischer Wissenschaftler, Schwerpunkte: war engagiert in verschiedenen Bereichen der Kommunikationsausbildung und stand u. a. als Leiter der Abteilung Sprachliche Kommunikation, im Department Rhetorik der Universität von Minnesota vor WIBR -Modell Episode 286 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer konnte es dazu kommen? Die Entwicklungsingenieure waren sich im Vorfeld sicher, dass der für Forschung zuständige Vorstand für ihr Vorhaben zu gewinnen sein würde, wenn der Vorstand von der Annahme ausgehen kann, es handle sich um Entwicklungen aus einem anderen Unternehmen. Die Antragsteller gewannen tatsächlich eine andere Firma für ihre Idee und diese präsentierten sie als Ergebnis eines Wettbewerbers. Der Vorstand reagierte wie erwartet und förderte das Vorhaben. Steil et al. beobachten, dass Reaktionen oft sehr schnell erfolgen und dass die Frage, ob die Reaktionen angemessen sind, wenig, wenn überhaupt, zum Thema gemacht wird. Das WIBR -Modell zieht daraus den Schluss, dass der Angesprochene über das Gehörte, die Interpretation und die Bewertung gründlich nachdenken muss, um dann zu einer Auswahl zu kommen, die über ein spontanes Reagieren hinausgeht. Erst so erhält er einen Raum für alternative Reaktionen. In ein solches Antwortkalkül sind auch die weiterreichenden Konsequenzen mit einzubeziehen. Das Konzept von Steil verfolgt das Ziel, Kommunikation als ein Verhalten zu verstehen, das primär darauf abzielt, nach dem Verbindenden und den Gemeinsamkeiten einer Absicht zu suchen. Gefühlen wird eine besondere Bedeutung beigemessen, weil eine ausgeglichene Atmosphäre Verbindlichkeit unterstützt und die Bereitschaft erhöht, andere an der eigenen Welt teilhaben zu lassen. Die Anderen sollten von dem eigenen Denken überzeugt werden, da so die genannten Ziele eher als schlüssig erlebt werden. Das WIBR -Modell ist prozessorientiert. Es verweist auf Ableitungs- und Schlussverfahren, die das Deuten der Kommunikationsformen begleiten. Zugleich verweist es darauf, dass im Alltagsstress solche Strategien stereotypisiert verlaufen und damit unter Umständen zu einer unangemessenen Umwelt-Konstruktion führen. Wenn über die vielfältigen Ansätze und die mit ihnen verbundenen Vorschläge nachgedacht wird, stellen sich eine Reihe von Fragen. Warum gibt es unter den genannten Konzepten nicht einfach eines, das Kommunikation so erklärt, dass es-- das eigene Verhalten darauf abgestimmt-- die eigene Kommunikation optimal unterstützt? Wenn schon die Wissenschaft sich nicht auf ein Kommunikationsmodell verständigen kann, warum gibt es dann nicht eine praktische Methode, die das Kommunikationsverhalten verbessert? Und weshalb ist es so schwer, das kommunikative Verhalten zu verändern? Kommunikation muss, um überhaupt als Kommunikation wirksam werden zu können, Ordnungen folgen, die von anderen erkannt werden und anderen bekannt sind. Kommunikation muss deshalb erlernt werden, ihre Erlernbarkeit steht außer Frage, doch problematisch ist, dass sie keinem Mechanismus folgt, der einmal erworben mechanisch auf die Interaktion angewandt werden kann. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass das Wissen bzw. die Erfahrung über den Umgang mit Kommunikation wenig Grenzen der Ratgeber 287 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer d as a rBeIten an den w ahrnehmungs - und d eutungsmustern Einheit 14 bis gar nicht bewusst zugänglich ist. Und selbst wenn das in Teilbereichen gelingt, werden die Akteure mit Situationen konfrontiert, bei denen nicht klar ist, inwieweit sie mit den ihnen vertrauten Mitteln Lösungen finden. Jeder neue Gesprächspartner bedeutet daher ein Risiko, weil er unter Umständen Erwartungen folgt, die sich nicht mit den eigenen decken müssen und so Potenzial für Missverstehen beinhalten. Reichertz (2009a) schlägt vor, das Erlernen des Umgangs mit Kommunikation in fünf Stufen zu denken, wie sie Dreyfus (1987, S. 41-68) definiert haben. Auf der ersten steht die Bewältigung einer Situation im Zentrum, dazu stehen nur wenige Regeln zur Verfügung. Die Regeln sind kontextfrei und werden in neuen Situationen erprobt. Dabei bilden sich Wissen und Routinen darüber heraus, die das Zusammenwirken von Situation und Regel bestimmbar machen. Kompetenz entsteht auf einer weiteren Stufe. Hier wird die Mehrzahl der Regeln, wie eine Situation zu meistern ist, einerseits kontextfrei und andererseits situationssensibel angewandt. Gewandt ist der Akteur, wenn er angemessen handelt, ohne sein Tun reflektieren zu müssen. Zum Experten wird er, wenn sein Können ein Persönlichkeitsmerkmal der Person wird. Kommunikative Fähigkeit hat mit dem Altern zu tun und den damit verbundenen Kommunikationserfahrungen. Die Erfahrung mit Ordnungen, die Kommunikation möglich und im erwünschten Sinn stabil machen, zählt. Solches Erfahrungswissen ist eines, der Umgang mit der Vielfalt von Situationen ein anderes. Hier geht es darum, schnell und zielsicher zu erkennen, worauf sich das Gegenüber einlässt bzw. einlassen könnte. Ein Kommunikationstraining oder Ratschläge, wie sie in der Ratgeberliteratur vielfältig anzutreffen sind, scheitern daran, dass die Fähigkeit, kompetent Situationen einschätzen zu können, nicht auf den Umgang mit einem festen Muster reduzierbar ist. Das Verstehen einer Situation ist von vielen Faktoren abhängig, die nicht ohne weiteres kontrollierbar sind. Es beginnt bei den Zielen, den Hoffnungen der Akteure, hat zu tun mit ihren Befürchtungen und ist in hohem Maß bedingt durch die Machtverteilung im sozialen Raum, in dem agiert wird. Anfänger ist, wer sich nur an Regeln orientiert, als Neuling ist der anzusehen, wer sich auf das erkannte Spiel einlassen kann, ohne darüber bereits souverän zu verfügen. Könner ist nach Dreyfus und Dreyfus (1987, S. 151), wer die Vielfalt von Einzelepisoden wiedererkennt, mit denen er konfrontiert worden war, ohne nach einer solchen musterhaft zu handeln. Er weiß, was schief gegangen ist oder sich bewährt hat, und reagiert auf den aktuellen Fall intuitiv. Kompetenzstufen 288 d er m arKt der K ommunIKatIonsratgeBer Reichertz (2009b, S. 192) spricht davon, dass sich Kompetenz dadurch hervortut, dass die aktuelle Situation auf dem Hintergrund des bisher erworbenen Erfahrungswissens gedeutet werden kann und sicher Schlüsse auf die Reaktion zu ziehen erlaubt, ohne kognitiven Aufwand. Erklärung Literatur Bandler, Richard; Grinder, John (2011): Metasprache und Psychotherapie. 12., neu übers. Aufl. Paderborn: Junfermann (Reihe Kommunikation NLP , / R. Bandler; J. Grinder; 1). 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Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Gordon, Thomas (1981): Familienkonferenz in der Praxis. Wie Konflikte mit Kindern gelöst werden. Unter Mitarbeit von Hainer Kober. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (Rororo, 7461). Gordon, Thomas (1993): Die neue Familienkonferenz. Kinder erziehen ohne zu strafen. 1. Aufl. Hamburg: Hoffmann u. Campe. Haley, Jay (1963): Strategies of psychotherapy. New York: Grune & Stratton. Jakobson, Roman (1960): Linguistics and poetics. In: Thomas Albert Sebeok (Hg.): Style in Language. New York u. a.: Wiley, S. 350-377. Reichertz, Jo (2009): Kommunikationsmacht, was ist Kommunikation und was vermag sie? Und weshalb vermag sie das? 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Retter, Hein (2002): Studienbuch pädagogische Kommunikation. 2. Durchges. Aufl. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Schulz von Thun, Friedemann (1982): Miteinander reden. Störungen und Klärungen; Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation. Orig.-Ausg., 16.-22. Tsd. 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Problemstellung und Fragen 1. Kommunikation ist ein uns ständig und überall begleitendes Thema. Was sind die häufigsten Anlässe, um darüber zu reden? Welche Erwartungen werden oft damit verbunden? Gibt es bestimmte Personengruppen, die darüber bevorzugt sprechen, welche sind das in Ihrem Umfeld? (Vgl. 14.1) 2. Der Wunsch, optimal kommunizieren zu können, hat im Umfeld der Palo-Alto-Schule zu einer Vielfalt von Vorschlägen geführt, wie im Alltag bewusster kommuniziert werden sollte und worauf die Akteure zu achten hätten, wenn sie erfolgreich kommunizieren möchten. Die Ansätze waren in den 80er und 90er Jahren sehr populär? Welchem sind Sie schon begegnet? Auf welche Fragen versuchen sie zu antworten und welches Verständnis von Kommunikation liegt ihnen zugrunde? Wählen Sie zwei aus den vorgestellten Konzepten und vergleichen Sie sie miteinander? (Vgl. 14.2) 3. Eine weitere Gruppe der Ratgeber stützt sich verstärkt auf den Zeichenbegriff und seine Nutzung im interaktiven Raum. Dabei werden dem Zeichen bestimmte Funktionen zugesprochen. Worin besteht der Erkenntniszugewinn für denjenigen, der Rat für sein kommunikatives Verhalten sucht? Welche Konsequenzen könnte er daraus ziehen? Warum ist zu erwarten, dass sich seine kommunikative Leistung nur bedingt erhöhen wird? Welche Einflussfaktoren können dafür verantwortlich sein? (Vgl. 14.3) 4. Eine wichtige Rolle in der Berater-Literatur spielen sog. Kommunikationsstörungen. Dabei wird empfohlen, auf der Ausdrucksseite nach Merkmalen für Störpotentiale zu suchen. Warum greift eine solche Perspektive 14.6 290 a nhang zu kurz? Die Redeweise von Kommunikationsstörungen ist irreführend. Welche Verhaltensweisen werden damit zu umschreiben versucht? (Vgl. 14.4) 5. Mit dem Vorschlag des Nachrichtenquadrats wurde ein sehr populäres Kommunikationsmodell vorgeschlagen. Wie wird das Kommunikationsereignis dadurch strukturiert? Welche für die Kommunikation konstitutiven Faktoren bleiben ausgeblendet? (Vgl. 14.4) 6. Kommunikative Kompetenz basiert auf einer Praxis, die umfassende Erfahrungen mit Interaktion voraussetzt. Sie ist dem Einzelnen selbst gar nicht ohne weiteres zugänglich. Warum ist es so schwierig, über die eigenen kommunikative Kompetenz Aussagen machen zu können? 291 Einheit 14 a nhang Anhang Personenregister Austin, John L. 28 Eco, Umberto 20 Habermas, Jürgen 36 Höflich, Joachim 11 Knape, Joachim 10 Labov, William 37 Locke, John 48 Luhmann, Niklas 36 Mead, George H. 35 Morris, Charles W. 35 Peirce, Charles Sanders 49 Reichertz, Jo 38 Sacks, Harvey 36 Saussure, Ferdinand de 49 Schegloff, Emanuel 36 Schmidt, Siegfried J. 3 Schulz von Thun, Friedemann 3 Shannon, Claude 34, 44 Sperber, Dan 21 Strohner, Hans 9 Wahlster, Wolfgang 37 Watzlawick, Paul 3, 34 Weaver, Warren 34, 44 Wilson, Deirdre 21 Zurstiege, Guido 3 A Sachregister Abels 155 Account 249 Aggregation 202 Akteurstheorie 199, 201, 202, 204 Alltagskommunikation 193, 253 Anschlusskommunikation 219 Appell 280, 284 Arena 158 Argument 54 Aufklärungshermeneutik 216 Aufzeichnen 229 Ausdrucksfunktion 280, 282 Austin 134 Austin, John L. 36 Authentizität 228 Autopoesis 174 B Baecker 75, 180, 181, 182, 183, 184, 185 Basisregeln 248 Batson 142 Baumgärtner 133 Beck 132 Bedeutungspostulat 160 Bedeutungszuschreibung 157 Befragung 262 Behaviorismus 155 Beobachten 159 Beobachtungskategorien 243 Beraten 186 Berelson 257 Bergmann 211 Berne 275, 277 Bernstein 133 Bertalanffy 142 Beziehung 282 Beziehungspsychologie 270 Bezugshintergrund 176 Bit 129 Blumer 156, 157 Bohnsack 261 Bommes 193 Botschaft 22 Brinker 249 Brosius 117, 119 Brown 175 Buchdruck 97 Bühler 279, 281, 283 C Chladenius 216 Chomsky 134 Cicourel 248, 251 Code 34, 37, 281 Sprache 133 Codieren 259, 260 Cohn 273, 274, 275 Colman 79 Communication Yearbook of International Communication Association 5 Comte 213 Content Analysis 257 Cooley 150, 151, 153 Corbin 222 D Darstellungsfunktion 280, 281 Daten 24, 26, 33, 170 Erhebung 230, 235 Verarbeitung 60, 91 Datentransfer 44, 90 Davidson 160, 161, 162, 164 Deacon 60 Deutungsarbeit 70, 72, 76 Dialoglinguistik 212 DIDA 235 Differenzoperationen 182 Direktionalität 251 Diskurs 80 Disziplinproblem 201 Dokumentation 228, 231 Ebenen 231 Ton-Bild 230 Drehbücher 277 Dreyfus 162, 287 Du-Botschaften 272 Durkheim 69, 121 E Ellgring 138 Email 190 Empfänger 153 Erfolgsmedien 180 Erwartungs-Erwartung 178 Erzählen 96, 220, 255 Esser 199, 203 Ethnomethodologie 159, 211, 257 Explanandum 202 F Familienkonflikte 271 Fotographie 100 Foucault 80 Fragen 32 Frames 200 Früh 258 Fuhse 194 Funktionssysteme 194, 197 Fuzzy Logic 37 G Gadamers 217 Garfinkel 159, 249 GAT 235, 242, 244 Gate Keeper 139 Geltungsansprüche 71, 161 Geschäftskommunikation 104 Gespräch Eröffnung 77, 143 Gruppen- 220 Prüfung- 218 Regeln 274, 278 Gesprächsschritt 249 Geste 151, 153, 233 Goffman 156, 157 Goodwin 253 Gordon 271, 272 Grice 135 Grice, H. Paul 37 Grinder 278 Grounded Theory 222 Gutenberg 97 H Haarmann 93 Habermas 69, 71, 153, 213 Habits 200 Handlung 281 Begriff 66, 68, 69 Funktionen 240 Interaktion 69 Kontext 81 Merkmale 67, 69 Praktiken 81 Sequenzen 73 Situiertheit 164 Sprache 67 Strukturen 79 Theorie 79 Handy 103 Heike 130 Hermeneutik 215, 216, 217, 218 HIAT 235, 240, 242, 244 Hoffmann 204 Höflichkeit 31 Hollstein 198 Holly 73 Homo oeconomicus 80 Homo sociologicus 80 Hugo von St. Viktor 98 I Ich-Botschaften 272 Identität 150, 151 Ikon 52, 280 Implikatur 264 293 Einheit 14 Anhang Indexikalität 248, 249, 256 Indices 51 Informatik 34, 91 Information 22, 45 Informationstheorie 128, 130 Informieren 31 Inhaltsanalyse 257, 258, 259, 260 Institutionen 137 Integrationsdilemma 191 Intention 57, 205 Intentionalität 251 Interpretant 49 Interpretation 162 Interpretieren 218, 219 Interpunktion 74, 285 Intervention 75 Interview 117, 264 Antworten 265 Fragen 263 Leitfaden 265 unstrukturiert 264 J Jahrbuch der International Communication Association 6 Jakobson 282 Janney 75 Jansen 196, 198 Jefferson 159 Journale 101 Journalism Bulletin 4 Journal of Communication 5 K Kallmeyer 249 Kamera 228 Kanal 130, 139 Kindergarten 111 Kiss 171 Kognition 46 Kognitionswissenschaft 214 Kohärenz 162 Kommunikation 140 Analog 141 Axiome 139 Begriff 20, 173, 248 Beobachten 14 Beratung 15, 216 Beziehung 140 Digital 141 Dokumentation 228 Interpunktion 141 Kompetenz 13, 15, 270 Komplementär 141 Konflikt 285 Modell 128, 176, 286 nonverbal 20 Pflanzen 57 Ratgeber 279 Rückkopplung 144 Störung 120, 123, 285 Symmetrisch 141 System 142 Theorie 34, 211 Tier 60 Tiere 47, 58, 59 Training 287 verbal 20 Kommunikationspsychologie 211 Kommunikationswissenschaft 34 Arbeitsfelder 6 Fach 3 Wissenschaftsverbund 211 Kompetenz 287 Kompliment 254 Konopka 203 Konstruktivismus 136 Kontakt 281, 284 Kontext 27, 67, 281 institutionell 30 Situativ 279, 285 Kontextfreiheit 220 Kontingenz 69, 175 Konversationsanalyse 161, 251, 253, 256 Konversationsmaximen 135 Konversationssyntax 253 Kooperation 30, 110, 116, 121, 250 Kooperationsmaximen 37 Koordination 112 Körperverhalten 283 Krallmann 132 Krampen 58 Kreuzen 176 Krippendorf 138 Kritik 73, 98 Krotz 104 Kunst 195 Kybernetik 34, 142 L Lachen 236, 238, 244 Langue 187 Lazarzfeld 102 Leading 278 Lebenswelt 116, 120 294 a nhang Lehrer 122 Leifer 82 Lesen 98, 215, 216 Leser 215 Linguistik 37, 133, 187 Lokales Management 249 Löning 204 Luhmann 71, 80, 91, 171, 173, 174, 176, 178, 179, 190, 219 M Macht 287 Mail 103, 174 Marler 59 Massenmedien 91, 102, 257 May 104 Mayring 261 McLuhan 90 Mead 151, 153, 154, 155, 156 Medialität 104 Mediatisierung 10 Medien Begriff 89, 90, 92 Erfolgsmedien 178 Gebrauch 95 Körper 92 Nutzung 89 Sprache 92 Übertragung 91 Verbreitungsmedien 179 Wandel 93 Medienwandel 102 Medium Körper 92 Sozial 92 Merten 258 Merton 223 Metasprache 281 Methoden 211, 222, 268 Geisteswissenschaftlich 212 Hart, Weich 212 Klientenzentriert 278 Naturwissenschaftlich 212 NLP 278 Objektive Hermeneutik 222 Methodenstreit 212 Meyer-Eppler 130, 132, 133 Mikro-Makro-Modell 198 Miller et al. 172 Mitteilung 22, 176 Motive 66 Mutter-Kind-Beziehung 276 N Nachricht 44, 47 Nachrichtenquadrat 284 Nachricht und Information 45 Netzwerke 185, 190, 193, 196 sozial 197 Netzwerktheorie 196 Neurolinguistisches Programmieren 278 Nonverbalität 236, 283 Normalität 251 Notationen 231, 235 Spalten-Notation 240 O Objektivität 101 Objektsprache 131 Öffentlichkeit 97 O.k.-Gefühl 277 Operationen 171, 173 Ordnungsprinzipien 31 Organon-Modell 35, 280, 304 Orson Welles 102 Ortega y Gasset 102 P Paarsequenzen 254 Pacing 278 Paket-Metapher 138 Palo Alto Schule 139, 170 Parson 80 Parsons 68, 69, 178, 222 Partnervermittlung 104 Peirce 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 78 Performanz 134 Phytosemiotik 58 Poetischen Funktion 281 Pomerantz 254 Positivismus 213 Prädikation 53 Pragmatik 134 Praktiken 38, 113 Alltag 113 Institution 119 Preuschoft 60 Principle of Charity 161 Prosodie 28, 231, 233, 236, 242, 283 Psycholinguistik 215 psychotherapeutischen Ansätze 279 Publizistik 5 Q Qualifizierung 283 R 295 Einheit 14 a nhang Anhang Radio 101 Rahmung 123 Rapport 278 Ratgeber 282, 286, 287 Rational-Choice 203, 204 Rationalität 161 Reaktion Umwelt 110 Reckwitz 81, 125 Redundanz 132, 144 Referenz 53 Reframing 279 Reich 136 Reichertz 287, 288 Reparaturen 204, 255 Repräsentativität 257 Responsivität 115, 118 Rezipienten 214 Reziprozität 35, 55, 153 Rhetorik 217 Rollenspiel 276 Rollenübernahme 153, 154, 155 Rollenzuschreibungen 271 S Sacks 159, 249, 251, 252, 253, 255 Sager 233, 234, 249 Sapir 70 Schank 204 Schemata 200 Schiewe 98 Schleiermacher 217 Schmidt, S 263 Schmidt, S. 81 Schmidt, Th. 236 Schrift 93 Schriftlichkeit 95 Schriftsysteme 94 Schulklasse 201 Schulz von Thun 284 Schütz 70 Searle 28, 135 Seiffert 216 Selbstdarstellung 275 Selbstkontrolle 271 Selbstoffenbarung 284 Selbstreflexivität 155, 192 Selbststeuerung 190, 192 Selting 242 Semiotik 48 Sender 153, 285 Sequenzdynamik 254 Shannon 128, 130 Signal 129 Empfänger 129, 131 Sprache 131 Transfer 131, 138 Zeichenkette 130 Signalfunktion 12 Signaltheorie 34, 37, 91, 150 Signalverarbeitung 134 Simmel 79 Sinn 171 Sinnfunktion 182, 183, 184, 185, 192 System 186 Situation 78, 79, 155, 182 Skripts 200 SMS 174 sozialer Raum 154 Sozialintegration 199 Sozialwissenschaften 211 Soziolinguistik 134 Soziologie 36, 150 Spalten-Notation 239 Sprache 153, 158, 164, 279, 281 Milieu 134 Varietät 103 Sprachhandlung Uhrzeit erfragen 29, 32 Sprachphilosophie 21, 160 Sprechakttheorie 28 Sprecher 55, 161, 237, 238, 239, 240 Sprecher-Hörer 133 Sprecherwechsel 159, 252, 253 Stachowiak 230 Steil 285, 286 Stil 282 Strauss 157, 158, 222 Streeck 253 Streit 75 Strukturelle Kopplung 174 Sutter 259 Symbol 52, 150, 152, 156, 280 Symbole Umwelt 13 Symbolischer Interaktionismus 156 Symptom 280 System 170 Begriff 171 biologisch 173 Biologisch 172 Offen 170 psychisch 177 296 a nhang sozial 173, 174, 176 Sozial 172, 196 Subsystem 172 Umwelt 192 Systemtheorie 185, 202, 211 T Tacke 193, 194, 197 Telefon 102, 103 Teubner 197 Text 214, 216, 259 Textsorten 96 Theater 164 Theatermetapher 157 Theater-Metapher 156 Themenprägnanz 251 Themenzentrierte Interaktion 273 Thévenot 110, 115, 125 TOTE-System 172 Trajectory 158 Trajektoren 157 Transaktion 277 Transaktionsanalyse 275 Transfermodell 34, 133, 136 Institutionen 137 Metapher 137 Transkribieren funktional-pragmatisch 242 hermeneutisch 242 Transkript 229, 231, 232, 236, 244 Transkriptionssysteme 240 Transmission 90 Turn 249, 252, 253 Turn Taking 36, 252 Twittern 174 U Übertragung Störung 145 Umwelt 170, 172, 174 Institution 117 Universität 191 Unterricht 134, 136, 229 Unterscheidungshandlungen 175 Utilitarismus 150 V Validität 251, 258 Varietäten 28 Verbreitungsmedien 179 Verbreitungsmedium Sprache 46 Verständigung 151 Verstehen 177, 215 Vierfelder Modell 283, 284 W Wahrheit 161 Wahrheitsanspruch 54 Wahrnehmung-Interpretation-Bewertung-Reaktion- Modell 285 Wahrnehmungs- und Deutungsarbeit 283 Waldenfels 248 Watzlawick 71, 74, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 169, 170, 271, 285 Weaver 128 Weber 68, 153, 213 Wechselseitigkeit 152, 153, 155 Weltwissen 12 Werbung 211 Wernet 219 Wert-Erwartungs-Theorie 203, 204 Wertesystem 273 WIBR-Modell 285, 286 Wiener 142 Wikipedia 104 Willke 190, 195 Wilson 161 Wissenschaftsrat 4, 7 Wissenskluft-Hypothese 263 Wittgenstein, Ludwig J. J. 38 Wodak 157 X XE "Repräsentamen 49 Z Zeichen 47, 48, 49, 88 Begriff 56, 279 Gebrauch 50, 53 Selektion 281 Theorie 49 Typen 51, 59 Zeichentheorie 35 Zeitung 262 Zeitungswissenschaft 5 Ziemann 132 Zoopragmatik 56 Zurstiege 100, 263 297 Einheit 14 a nhang Anhang Abbildungsverzeichnis Abdruck folgender Porträts mit freundlicher Genehmigung: Abb. 1.1: Siegfried J. Schmidt: privat Abb. 1.2: Guido Zurstiege, © Heinrich Hecht Abb. 1.3: Paul Watzlawick: ullstein bild-- dpa Abb. 1.4: Friedemann Schulz von Thun: privat Abb. 1.5: Joachim Knape: privat Abb. 1.6: Joachim R. Höflich: © Universität Erfurt Abb. 2.1: Manfred Faßler: Andreas Möllenkamp, CC BY - SA 3.0, https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Manfred_Fa%C3%9Fler_auf_der_ Konferenz_Digitization_in_Hamburg.jpg Abb. 2.2: Umberto Eco: Von Erinc Salor, CC BY - SA 2.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=12177260 Abb. 2.3: Dan Sperber: privat Abb. 2.4: Deirdre Wilson: privat Abb. 2.5: Markierung Wanderweg: Adrian Michael, CC BY - SA 3.0, https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Markierung_Wanderweg.jpg Abb. 2.6: Hörsaal aus der Dozentenperspektive: Amidasu, CC BY - SA 3.0, https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ H%C3%B6rsaal#/ media/ File: Hoersaal_Giessen.jpg Abb. 2.7: Hörsaal aus der Studierendenperspektive: Von Psy Student123, https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: AAU_Klagenfurt_Audimax.JPG Abb. 2.8: Charles Allan Gilbert: All is vanity: https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Allisvanity.jpg Abb. 2.9: Penelope Brown: privat Abb. 2.10: Eisbergmodell: Von Bodo Wiska, Berlin-- Eigene Schöpfung, frei nach Ruch / Zimbardo (1974) S. 366. Erstellt mit Mindmanager 3.0, CC BY - SA 3.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=1893393 Abb. 2.11: William Labov: privat Abb. 2.12: Ludwig J. J. Wittgenstein, von Moritz Nähr-- Austrian National Library, Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=46116699 Abb. 3.1: Claude Shannon: Von Jacobs, Konrad-- http: / / owpdb.mfo.de/ detail? photo_ id=3807, CC BY - SA 2.0 de, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=45380422 Abb. 3.2: Warren Weaver, © Mina Rees, ASIS &T 298 a nhang Abb. 3.3: John Locke: Von Godfrey Kneller-- 1. Unbekannt 2. derivate work of File: Godfrey Kneller-- Portrait of John Locke (Hermitage).jpg (from arthermitage.org), Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=110128 Abb. 3.4: Ferdinand de Saussure: Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=10128 Abb. 3.5: Charles Sanders Peirce: Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=128147 Abb. 3.6: Nöth 2000, S. 140 Abb. 3.7: Piktogramm: Von Lateiner-- Eigenes Werk, CC BY 2.5, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=835946 Abb. 3.8: Thomas A. Sebeok: Von Kk-- Eigenes Werk, GFDL , https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=9999818 Abb. 3.9: Amotz und Avishag Zahavi: Von Naama ZE -- Eigenes Werk, CC - BY - SA 4.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=50400173 Abb. 3.10: Terrance William Deacon: By Kk-- Own work, GFDL , https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=9999212 Abb. 3.11: Merlin Donald: privat Abb. 4.1: Jürgen Habermas: Von photographer: Wolfram Huke at en.wikipedia, http: / / wolframhuke.de-- Transferred from en.wikipedia; Transfer was stated to be made by User: ojs., CC BY - SA 3.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=4437474 Abb. 4.2: Max Weber: Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=156949 Abb. 4.3: Talcott Parsons: By Source, Fair use, https: / / en.wikipedia.org/ w/ index.php? curid=17990141 Abb. 4.4: Émile Durkheim: Von Unbekannt-- http: / / www.marxists.org/ glossary/ people/ d/ pics/ durkheim.jpg, Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=342672 Abb. 4.5: Edward Sapir: http: / / www.nutquote.com/ quote/ Edward_Sapir/ 7, Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=12694253 Abb. 4.6: Niklas Luhmann, ullstein bild-- Teutopress Abb. 4.7: Werner Holly: privat Abb. 4.8: Interpunktion (Watzlawick et al. 1967, S. 57) Abb. 4.9: Richard W. Janney: privat Abb. 4.10: Georg Simmel: Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=185798 Abb. 4.11: Jesse Bransford: Head (Michel Foucault). 2004, 24,1 x 31,7 cm. Acryl und Graphit auf Papier. Abb. 4.12: Robert Schmidt: privat Abb. 5.1: Marshall McLuhan: Von Josephine Smith, gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=17903254 Abb. 5.2: Harald Haarmann: privat 299 Einheit 14 a nhang Anhang Abb. 5.3: Tontafel in assyrischer Keilschrift: Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=60654 Abb. 5.4: Wachstafel: Von Sippel2707, CC BY - SA 3.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=17729778 Abb. 5.5: Buchdruckerwerkstatt: Von Jost Amman-- „Eygentliche Beschreibung aller Stände auff Erden, hoher und nidriger, geistlicher und weltlicher, aller Künsten, Handwercken und Händeln-…“, Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=207246 Abb. 5.6: Hugo von St. Viktor: Von Bender235-- de: Bild: Hugostv.jpg, Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=1842158 Abb. 5.7: Früher Druck: Von Original by Johannes Gutenberg (printer), Scan by Jossi-- Facsimile of a page from 42-line Gutenberg Bible, Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=38733061 Abb. 5.8: Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=333461 Abb. 5.9: Erstes Foto: Von Joseph Nicéphore Niépce, College of Liberal Arts Office of Information Technology, University of Minnesota. http: / / www.dcl.umn.edu, Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=107219 Abb. 5.10: Paul F. Lazarzfeld: https: / / en.wikipedia.org/ w/ index.php? curid=27575124 Abb. 6.1: Von Nikoloyamskaya-- Eigenes Werk, CC BY - SA 4.0), https: / / upload.wikimedia.org/ wikipedia/ commons/ 5/ 5b/ Laurent_Th%C3%A9venot.jpg Abb. 6.2: Von Bomas13-- Eigenes Werk, CC BY - SA 3.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=27715659 Abb. 6.3: Hans-Bernd Brosius: privat Abb. 7.1: Modellierung von Kommunikation (Nöth 2000, S. 245) Abb. 7.2: John Searle: Von Matthew Breindel, uploader Matro at en.wikipedia-- Eigenes Werk, CC BY - SA 3.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=1974017 Abb. 7.3: Kersten Reich: privat Abb. 7.4: Klaus Krippendorf: privat Abb. 8.1: Charles Cooley: By Unknown photographer-- 1902 Michiganensian, page 8, Public Domain, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=47493090 Abb. 8.2: George Herbert Mead: Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=2567107 Abb. 8.3: Erving Goffman: Urheber unbekannt, Source, Fair use, https: / / en.wikipedia.org/ w/ index.php? curid=8959018 Abb. 8.4: Harold Garfinkel: Von Luka Rajšić-- Eigenes Werk, CC - BY - SA 4.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=45674825 Abb. 8.5: Donald Herbrt Davidson: Von Steve Pyke Photography, https: / / en.wikipedia.org/ w/ index.php? curid=29345220 Abb. 9.1: Psychische Systeme aus: Brock et al. 2009, S. 360 Abb. 9.2: Triadisches Kommunikationsmodell aus: Brock 2009, S. 362 Abb. 9.3: Dirk Baecker: Von Ziko van Dijk-- Eigenes Werk, CC - BY - SA 4.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=51983628 Abb. 9.4: Sinnfunktion System aus Baecker 2005, S. 153 300 a nhang Abb. 10.1: Helmut Wilke: privat Abb. 10.2: Netzwerke: © gonin / Fotolia Abb. 10.3: Netzwerk der DAX 30 Unternehmen aus Weyer 2011, S. 116-117 Abb. 10.4: Veronika Tacke: privat Abb. 10.5: Netzwerke als Mikro-Makro-Schanier aus Weyer 2011, S. 63 Abb. 10.6: Hartmut Esser: Von Tuxyso, CC BY - SA 3.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=32716463 Abb. 10.7: Grundschema aus Esser 1993, S. 98 Abb. 11.1: Auguste Comte: Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=370515 Abb. 11.2: Wilhelm Dilthey: Von Photography by the Studio (Atelier) Dührkopp (Berlin)-- Originally from: Deutsches Historisches Museum Unter den Linden 210 117 Berlinhttp: / / www.dhm.de/ lemo/ objekte/ pict/ dilthey/ , Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=3189273 Abb. 11.3: Johann Martin Chladenius: Von Unbekannt-- Aus der Bibioliothek des evangelischen Predigerseminars in der Lutherstadt Wittenberg, Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=1134837 Abb. 11.4: Friedrich Schleiermacher: Gemeinfrei, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=29091 Abb. 11.5: Ulrich Oevermann: privat Abb. 11.6: s. Abb. 4.12 Abb. 12.1: Konrad Ehlich: Von Stefan Flöper, CC BY - SA 3.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=15081418 Abb. 12.2: Beispiel für ein Transkript aus Sager 2004, 132 Abb. 12.3: Svend F. Sager: privat Abb. 12.4: Beispiel für ein Transkript: http: / / www.uni-potsdam.de/ u/ slavistik/ vc/ rlmprcht/ textling/ comment/ gat.pdf Abb. 13.1: Werner Kallmeyer: privat Abb. 13.2: Harold Lasswell: Von Martap95-- Eigenes Werk, CC BY - SA 4.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=46469016 Abb. 13.3: Klaus Merten: privat Abb. 13.4: Tillmann Sutter: privat Abb. 13.5: Ralf Bohnsack: privat Abb. 13.6: Ablaufmodell aus Mayring 1983, S. 49 Abb. 14.1: Thomas Gordon: Von MichelleAdams-- Eigenes Werk, CC BY - SA 4.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=36192393 Abb. 14.2: Symbol und Strukturmodell der Themenzentrierten Interaktion aus Retter 2002, S. 302 Abb. 14.3: Sprache-Körper-Denken aus Retter 2002, S. 308 Abb. 14.4: Organonmodell aus Retter 2002, S. 227 Abb. 14.5: Zeichenmodell nach Jakobson (1960, S. 355) Abb. 14.6: Roman Jakobson: Von Philweb Bibliographical Archive-- http: / / www.phillwebb.net/ history/ Twentieth/ Continental/ (Post)Structuralisms/ 301 Einheit 14 a nhang Anhang Structuralism/ Jakobson/ Jakobson3.jpg, CC BY 3.0, https: / / commons.wikimedia.org/ w/ index.php? curid=16924084 Abb. 14.7: Funktionen der Kommunikation aus Retter 2002, S. 229 Abb. 14.8: Nachrichtenquadrat aus Retter 2002, S. 273 ISBN 978-3-8233-6619-5 www.bachelor-wissen.de www.narr.de Kommunikationswissenschaft Wolfgang Sucharowski Eine Einführung Sucharowski Kommunikationswissenschaft Ziel des Bandes ist es, in das komplexe Themenfeld Kommunikation und Kommunikationswissenschaft so einzuführen, dass Studierende angemessen und systematisch Anschlussmöglichkeiten an die vielfältigen und verschiedenen Bereiche dieses Themen- und Forschungsfeldes finden können. Die Einführung will Verständnis für das Phänomen Kommunikation wecken und dazu befähigen, begründete Fragestellungen abzuleiten, die ein Verstehen der Diskussionen in der Forschung erleichtern. Dabei wird versucht, Verknüpfungen zu Modulen in den verschiedenen Bachelorstudiengängen der Kommunikationswissenschaft herzustellen. Absicht des Bandes ist es nicht, in die Praxis kommunikativen Handelns einzuführen, sondern eine Orientierungshilfe in der sehr breit aufgestellten Wissenschaftsdisziplin Kommunikationswissenschaft zu bieten. ISBN 978-3-8233-6619-5 www.bachelor-wissen.de www.narr.de Kommunikationswissenschaft Wolfgang Sucharowski Eine Einführung Sucharowski Kommunikationswissenschaft Ziel des Bandes ist es, in das komplexe Themenfeld Kommunikation und Kommunikationswissenschaft so einzuführen, dass Studierende angemessen und systematisch Anschlussmöglichkeiten an die vielfältigen und verschiedenen Bereiche dieses Themen- und Forschungsfeldes finden können. Die Einführung will Verständnis für das Phänomen Kommunikation wecken und dazu befähigen, begründete Fragestellungen abzuleiten, die ein Verstehen der Diskussionen in der Forschung erleichtern. Dabei wird versucht, Verknüpfungen zu Modulen in den verschiedenen Bachelorstudiengängen der Kommunikationswissenschaft herzustellen. Absicht des Bandes ist es nicht, in die Praxis kommunikativen Handelns einzuführen, sondern eine Orientierungshilfe in der sehr breit aufgestellten Wissenschaftsdisziplin Kommunikationswissenschaft zu bieten.