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Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen

2011
978-3-8233-7623-1
Gunter Narr Verlag 
Magnus Pettersson

In diesem Buch nähert sich Dr. Magnus Pettersson einem brisanten sprachpolitischen Thema, nämlich Personenbezeichnungen, die gleichzeitig auf Frauen und Männer referieren. Er zeigt dabei, wie geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in zeitgenössischen deutschen Texten, vor allem im feministischen Magazin Emma, benutzt werden. Anhand qualitativer Textanalysen stellt er einige Muster in der Variation zwischen Maskulinum, Beidbenennung und Neutralform fest, zum Beispiel dass Beidbenennungen dort benutzt werden, wo Frauen in den thematischen Vordergrund der Texte rücken. Er zeigt auch, dass Gruppen von Personen, die männlich stereotypisiert sind, mit Maskulinum bezeichnet werden. Magnus Petterssons Studie ist die erste textlinguistisch angelegte Arbeit, die sich diesem Thema jenseits der Frage der politischen Korrektheit der verschiedenen Benennungsstrategien widmet. Dieses Buch ist die überarbeitete Fassung seiner Dissertation im Fach germanistische Sprachwissenschaft.

Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Eine Referenz- und Relevanzanalyse an Texten Magnus Pettersson Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Europäische Studien zur Textlinguistik herausgegeben von Kirsten Adamzik (Genf) Martine Dalmas (Paris) Jan Engberg (Aarhus) Wolf-Dieter Krause (Potsdam) Arne Ziegler (Graz) Band 11 Magnus Pettersson Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Eine Referenz- und Relevanzanalyse an Texten Dr. Magnus Pettersson, geboren 1980, ist als Hochschuldozent für Germanistik an der Universität Göteborg in Schweden und freiberuflich als Journalist tätig. Umschlagbild: Caspar David Friedrich, Der Wanderer über dem Nebelmeer (1818). Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Universität Göteborg, Institut für Sprachen und Literaturen. © 2011 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Druck und Bindung: Ilmprint, Langewiesen Printed in Germany ISSN 1860-7373 ISBN 978-3-8233-6623-2 „Explaining is where we all get into trouble.“ (Richard Ford: The Sportswriter, 1986) Vorwort Dieses Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation im Fach germanistische Sprachwissenschaft, die ich am 18. September 2010 an der Universität Göteborg, Schweden, vorgelegt habe. Die Überarbeitung schließt das Hinzufügen von Tabellen und etliche thematische sowie begriffliche Umgewichtungen ein. Darüber hinaus habe ich den ganzen Text sprachlich umgestaltet. Für die Aufnahme der Dissertation in die Reihe „Europäische Studien zur Textlinguistik“ danke ich Prof. Dr. Kirsten Adamzik sehr. Ihr bin ich auch für entscheidende Verbesserungsvorschläge zu Dank verpflichtet. Viele Menschen haben fachlich wie persönlich dazu beigetragen, dass die Arbeit in dieser Form abgeschlossen werden konnte: Prof. Dr. Christiane Andersen, Universität Göteborg, danke ich ganz herzlich für ihre stets scharfsinnige und sachkundige Betreuung, für ihre Hilfe und Unterstützung in jeder Phase der Arbeit. Sehr habe ich ihre Art geschätzt, mit mir und mit dem Dissertationsprojekt umzugehen, das heißt: offen, neugierig und ermutigend. Ohne Christianes wohltuenden Humor und wohlmeinende Kritik wäre dieses Projekt nie zum Abschluss gekommen. Doz. Dr. Franz d’Avis, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, habe ich zuerst als Kollegen kennen gelernt. Ob im Kolloquium oder bei der Kaffeemaschine zeichneten sich seine Kommentare zu meinem Projekt immer durch Scharfsinn aus. Folgerichtig trat er in einer späten Phase als Zweitbetreuer auf. Für seine kompetente Lektüre des Manuskripts danke ich ihm herzlich. Prof. Dr. Emeritus Sven-Gunnar Andersson, Göteborg, hat mich als erster zum Doktorandenstudium ermutigt. Stets neugierig hat er auch nach seiner Pensionierung meine Kapitelentwürfe mit wertvollen und akribischen Kommentaren bereichert. Es gebührt ihm ein herzlicher Dank. Als Opponentin im Endseminar hat sich Prof. Dr. Dessislava Stoeva-Holm, Universität Uppsala, intensiv mit meinem Manuskript auseinander gesetzt. Sie hat zentrale Kritikpunkte artikuliert und wichtige Änderungsvorschläge formuliert, die wesentlich zur Verbesserung des Manuskripts beigetragen haben. Dafür möchte ich meinen Dank aussprechen. Prof. Dr. Jürgen Schiewe, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, hat als Opponent bei der Disputation im September 2010 die Disputationsauflage dieser Arbeit sorgfältig gelesen und kommentiert. Ihm verdanke ich ein anregendes „Streitgespräch“ sowie eine Reihe sehr wertvoller Kommentare. Prof. Dr. Lann Hornscheidt, Humboldt-Universität zu Berlin, hat mir zu einem Aufenthalt am Nordeuropa-Institut, HU Berlin, verholfen. Auch an sie geht ein herzlicher Dank. Andere Kolleginnen und Kollegen in Göteborg und andernorts, mit denen ich wissenschaftliche Gespräche geführt habe und denen ich zu Dank verpflichtet bin, sind: Dr. Alexander Bareis, Dr. Charlotta Brylla, Jacob Carlson, Doz. Dr. Sigrid Dentler, Dr. Per Holmberg, Dr. Bettina Jobin, Dr. Katarina Löbel, Helena Nilsson und Andreas Romeborn. Dieser Fülle an menschlicher Unterstützung zum Trotz gilt nach wie vor: money makes the world go around. Für finanzielle Förderung bin ich deswegen einer Reihe von Institutionen zu Dank verpflichtet. Die Stiftung Knut och Alice Wallenbergs Stiftelse hat mir durch ein Stipendium die zwei ersten Jahre des Doktorandenstudiums ermöglicht. Für die zwei verbleibenden Jahre hat mir die geisteswissenschaftliche Fakultät der Universität Göteborg eine zweijährige Promotionsstelle bereitgestellt. Durch ein großzügiges Stipendium des STINT (Stiftelsen för internationalisering av högre utbildning och forskning) habe ich einen halbjährigen Aufenthalt am Nordeuropa-Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, als Gastdoktorand verwirklichen können. Finanziell hat zu diesem Aufenthalt auch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) beigetragen. Durch die Stiftungen Helge Ax: son Johnsons stiftelse, Adlerbertska Stipendiestiftelsen, Stiftelsen Paul och Marie Berghaus donationsfond und Kungliga och Hvitfeldtska stiftelsen habe ich weitere finanzielle Unterstützung erhalten. Der Druck dieses Buches wurde zum großen Teil von der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Göteborg finanziell gefördert. Dafür bin ich sehr dankbar. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Menschen, die mich während dieses Projekts mein Leben auf eine Weise bereicherten, die nicht in Worte zu fassen ist. Das sind meine guten Freundinnen und Freunde sowie meine Familie. An sie alle geht ein liebevoller Dank. Lena Andersson hat viel Geduld und Verständnis dafür aufgebracht, dass ich ab und zu während dieses Projekts geistig wie physisch etwas abwesend war. Dafür - vor allem aber für vieles Andere - danke ich ihr von ganzem Herzen. Ihr ist das Buch gewidmet, in Liebe. Obwohl ich also von vielen wohlmeinenden Menschen umgeben war und an Institutionen för språk och litteraturer (bis Januar 2009 Institutionen för tyska och nederländska) der Universität Göteborg unter guten finanziellen wie institutionellen Bedingungen arbeiten konnte, haften an dieser Arbeit eventuell eine Reihe von Schwächen, Fehlern, Unzulänglichkeiten und Unstimmigkeiten. Sie gehen alle zu meinen Lasten. Göteborg, im Februar 2011 Magnus Pettersson Inhaltsverzeichnis I Einleitender Teil................................................................................................... 11 1 Hintergrund ........................................................................................................ 13 1.1 Sprachsystematischer Hintergrund ............................................................ 13 1.2 Gesellschaftlicher Hintergrund und feministische Sprachkritik ............ 18 1.3 Zum feministischen Sprachwandel und zum Gebrauch von Personenbezeichnungen mit geschlechtsübergreifender Referenz ........ 23 1.4 Zum psycholinguistischen Status von Personenbezeichnungen mit geschlechtsübergreifender Referenz ........................................................... 35 2 Fragestellungen der Untersuchung ................................................................ 39 3 Quellentexte......................................................................................................... 43 4 Theoretische und methodische Ausgangspunkte......................................... 47 4.1 Sprache und Welt - erkenntnistheoretische Ausgangspunkte ............... 47 4.1.1 Vorbemerkung ................................................................................................. 47 4.1.2 Ein realistischer Ansatz als Grundlage ......................................................... 50 4.2 Referenzsemantische Ausgangspunkte ...................................................... 55 4.2.1 Personenbezeichnungen und Referenz ........................................................ 55 4.2.2 Bedeutung als Konzept und Referenz........................................................... 57 4.2.3 Referenztypen bei Personenbezeichnungen ................................................ 62 4.2.3.1 Referenztypen unter referenzfunktionalem Gesichtspunkt ........ 63 4.2.3.2 Referenztypen in Bezug auf semantisch-extensionale Kennzeichnung von Geschlecht ...................................................... 69 4.3 Semantisch-pragmatische Textanalyse ...................................................... 71 4.3.1 Text als kommunikative Einheit und Analysekategorie ............................ 71 4.3.2 Textbedeutung und Textinterpretation ....................................................... 77 4.3.3 Relevanz ............................................................................................................ 79 4.3.4 Metafunktion und Sprachsystem - eine systemisch-funktionale Grundlage der Analyse ................................................................................... 81 4.4 Zusammenfassung - der Analyseansatz im Überblick ............................ 84 II Analyseteil............................................................................................................. 87 5 Variation unter besonderem Gesichtspunkt der Referenz......................... 89 5.1 Realisierungstyp und Referenztyp .............................................................. 89 5.2 Variation unter dem Gesichtspunkt des Referenztyps............................. 89 5.2.1 Textanalysen..................................................................................................... 92 5.2.1.1 Beidbenennung bei spezifizierenden Zahlenangaben ................. 93 5.2.1.2 Beidbenennung bei spezifizierender Wiederaufnahme ............ 101 5.3 Beidbenennung bei Referenz auf die Empfänger einer Mitteilung ...... 109 5.3.1 Interpersonelle Metafunktion als Analysekategorie................................ 109 5.3.2 Textanalysen.................................................................................................. 113 5.3.2.1 Beidbenennung bei direkten Anreden......................................... 113 5.3.2.2 Protest gegen NPD ........................................................................... 119 5.3.2.3 Informationen für internationale Austauschstudenten und Austauschstudentinnen .................................................................. 123 5.4 Zusammenfassung ...................................................................................... 134 6 Variation unter besonderem Gesichtspunkt der thematischen Relevanz .. 137 6.1 Zum Begriff der thematischen Relevanz .................................................. 137 6.2 Thematische Relevanz des Maskulinums bei Männerstereotyp ........... 138 6.2.1 Maskulinum und Männerstereotyp aus psycholinguistischer Sicht ..... 144 6.2.2 Textanalysen.................................................................................................. 145 6.2.2.1 Frauen gehen auf die Barrikaden! ................................................. 145 6.2.2.2 Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ....................................................................... 160 6.2.2.3 ZtG .................................................................................................... 173 6.3 Thematische Relevanz der Beidbenennung ............................................ 183 6.3.1 Grüne Frauen wollen aufsteigen.................................................................. 183 6.3.2 Die Geschichte einer Flucht.......................................................................... 186 6.3.3 Beispiele aus belletristischen Texten und Sachprosatexten.................... 191 6.4 Zusammenfassung ...................................................................................... 194 III Resümierender Teil ......................................................................................... 197 7 Zusammenfassende Schlussfolgerungen ..................................................... 199 8 Abstract .............................................................................................................. 207 Quellentexte und Literatur .................................................................................. 209 Quellentexte........................................................................................................ 209 Literatur .............................................................................................................. 210 I Einleitender Teil 13 1 Hintergrund 1.1 Sprachsystematischer Hintergrund Dieses Buch handelt von geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen im heutigen Deutsch. Etwas spezifischer ist hier das Anliegen, Variationen im Gebrauch unterschiedlicher Realisierungstypen geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen textlinguistisch zu untersuchen. Zu diesem Zweck nehme ich qualitative Analysen verschiedener deutschsprachiger Texte vor. In all diesen Texten kommt eine Variation zwischen zumindest zwei der drei Realisierungstypen der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnung vor: Maskulinum, Neutralform, Beidbenennung. Diese Studie hat im weiteren Sinne mit der sprachlichen Kategorie Genus bzw. dem grammatischen Geschlecht zu tun. Genus ist in Anlehnung an Corbett (1991: 1) als eine Kategorisierung von Substantiven zu verstehen, die sich in der Reaktion assoziierter Wörter widerspiegelt. Wie Corbett in seiner Durchsicht verschiedenartiger Genussysteme nachweist, kann Genus sehr unterschiedliche Funktionen in einer Sprache erfüllen. Hauptsächlich dient Genus der Zuordnung von Referenz zu einzelnen Wörtern und der Herstellung grammatischer Kongruenz. Nach Schwarze (2008: 263), die die Genussysteme im Deutschen, Spanischen und Französischen miteinander vergleicht, ist die Herstellung von Kongruenz das entscheidende Kriterium von Genus. Andere Funktionen liegen allerdings auch vor: „Besides this major function of gender, nameley reference tracking, gender has other secondary functions in showing the attitude of the speaker. It may be used to mark status, to show respect or a lack of it and to display affection.“ (Corbett 1991: 322) Das Deutsche hat ähnlich wie etliche andere indoeuropäische Sprachen, beispielsweise Latein, Russisch und Isländisch, drei Genera: Maskulinum (der Löffel), Femininum (die Gabel) und Neutrum (das Messer) (vgl. Duden 2005: 153). Jedes Substantiv muss eins dieser Genera besitzen. Ein zentrales Thema in der linguistischen Forschung zum Genus allgemein sowie spezifisch zum Genus im Deutschen ist der Zusammenhang von Genus und Sexus (= biologischem Geschlecht). Hier wird gefragt, wie sich die grammatische Kategorie Genus und die biologische Kategorie Sexus zueinander verhalten (vgl. Sieburg 1997: 9ff.). Die Schnittstelle von Genus und Sexus im Deutschen ist auch der Ausgangspunkt dieser Studie. Wir können dabei die Position von Corbett (1991: 1) und - spezifisch in Bezug auf das Deutsche - von Bär (2004: 171ff.) und Schwarze (2008: 133ff.) teilen, dass Genus und Sexus 14 grundsätzlich zwei verschiedene Systeme sind. 1 Genus ist eine grammatische Kategorie, Sexus eine biologische. Sie kommen im semantischen Zusammenhang verschiedenartig zum Ausdruck. Im Deutschen bestehen dennoch viele Übereinstimmungen zwischen diesen beiden Systemen. Dies drückt sich unter anderem in der Genuszuweisung von Substantiven aus. Es wird auf weibliche Personen in den meisten Fällen mit femininen Personenbezeichnungen und auf männliche Personen in den meisten Fällen mit maskulinen Personenbezeichnungen referiert (vgl. Duden 2005: 155f.). Maskuline Personenbezeichnungen wie der Lehrer haben dabei, so die Auffassung einschlägiger Grammatiken, zwei Lesarten: eine geschlechtsspezifisch männliche und eine vermeintlich geschlechtsneutrale (vgl. ebd.: 156). Die letztgenannte Lesart heißt in diesem Buch geschlechtsübergreifend. Die geschlechtsspezifisch männliche Lesart des Maskulinums kommt noch deutlicher zum Ausdruck, wenn man die Movierbarkeit maskuliner Personenbezeichnungen berücksichtigt. Movierung ist dabei ein morphologischer Wortbildungsprozess, bei dem sich das Genus der aktuellen Personenbezeichnung ändert (vgl. ebd.: 740). Bei der Movierung zum Femininum wird das Genus der maskulinen Personenbezeichnung zum Femininum und am Wortende ein feminines Suffix (am häufigsten -in) angehängt (vgl. ebd.). 2 So lässt sich zum maskulinen Lexem der Lehrer die feminine Personenbezeichnung die Lehrerin bilden. Köpcke und Zubin (1984) stellen in Hinblick auf das Deutsche Folgendes fest: „Der Unterschied zwischen männlich und weiblich bei Menschen und domestizierten Tieren ist somit zwar die grundlegendste und umfassendste Wertunterscheidung des Genus, aber dennoch nur eine unter vielen.“ (ebd.: 47) Mit dieser Position stimmt ein von Dahl (2000: 101f.) postuliertes universelles Prinzip von Genussystemen überein. Nach diesem Prinzip bildet das biologische Geschlecht das wichtigste semantische Kriterium der Genuszuweisung animater Substantive (einschließlich Personenbezeichnugen), falls dem aktuellen Genussystem ein semantisches Prinzip zugrunde liegt. Dies gilt auch für das Deutsche. 1 Vgl. hierzu auch die ergiebigen Überlegungen zum Zusammenhang von Genus und Sexus beispielsweise bei Hornscheidt (1998: 143ff.) und Leiss (1994: 289ff.), die der Auffassung sind, dass Genus und Sexus unterschiedliche Systeme bilden. Auf die äußerst weitreichende Diskussion zu verschiedenen Genussystemen kann in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden. Es soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass auch in Hinblick auf das Deutsche gelegentlich verschiedene Genussysteme angenommen werden. Unter Genussystemen sind dabei die Prinzipien hinter der Systematik der Genuszuweisung von Substantiven zu verstehen. So differenziert beispielsweise Jobin (2004: 40f.) in Anlehnung an Dahl (2000) zwischen inhärentem, lexikalischem Genus des Substantivs und referenziellem, kontextuell bedingtem Genus des Substantivs. 2 Vgl. dazu aber Jobin (2004: 160), die ausgehend von empirischen Beobachtungen die Position vertritt, dass die Femininmovierung bei Referenz auf weibliche Personen im Deutschen der Flexion näher steht als der Derivation. 15 Übereinstimmung zwischen Sexus und Genus liegt allerdings nicht bei sämtlichen Personenbezeichnungen im Deutschen vor. Es finden sich auch Substantive, die Corbett (1991: 183) als hybrid nouns bezeichnet, zum Beispiel das Mädchen. Diese Substantive haben ein bestimmtes grammatisches Genus, können aber mit einem anderen Genus pronominalisiert und wiederaufgenommen werden: „Mädchen can take agreements exactly as a neuter noun. It may also take the feminine personal pronoun sie, but not the other agreements of the consistent agreement pattern associated with feminine nouns.“ (ebd.) Oelkers (1996) hat deutsche hybrid nouns wie das Mädchen, das Individuum, der Fan und die Person empirisch untersicht. In ihren Testsätzen divergieren das Sexus der bezeichneten Person und das Genus der Personenbezeichnung und kommen miteinander in Konflikt. Oelkers leitet aus den Ergebnissen die Schlussfolgerung ab, dass „[d]ie semantisch fundierte Regel der biologischen Kongruenz [...] sich als Kongruenzregel mit erheblichem Einfluß erwiesen“ (ebd.: 13) hat. Dies ist ein wichtiges Indiz für die Relevanz einer semantisch basierten Genuszuweisung bei solchen Personenbezeichnungen. Konflikte in Bezug auf das grammatische Genus im Deutschen ergeben sich auch bei gewissen Personenbezeichnungen, die im konkreten Referenzakt Frauen und Männer oder Personen 3 bezeichnen, deren Geschlecht unbekannt ist (vgl. Duden 2005: 156f.). Solche Personenbezeichnungen stehen im Zentrum dieses Buches und werden hier geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen genannt. 4 Dabei werden grundsätzlich drei verschiedene Realisierungstypen der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen untersucht: Maskulina, Beidbenennungen und Neutralformen. 5 Erstens: Geschlechtsübergreifende Maskulina sind solche maskuline Personenbezeichnungen, die im konkreten Referenzakt auf weibliche und männliche Personen zugleich Bezug nehmen. Ein Beispiel aus den zur Analyse herangezogenen Quellentexten ist Täter im Zitat (1): (1) „Die Täter sind überwiegend Männer, viele der Taten geschehen im nahen sozialen Umfeld.“ (Aktionsplan: 7) 6 3 In diesem Buch verwende ich in der Regel Neutralformen und Maskulina bei geschlechtsübergreifenden Referenzen. Diese beiden Benennungsstrategien sind nämlich erstens semantisch und sprachideologisch unmarkiert und zweitens aus sprachökonomischen Gründen zu bevorzugen. Bei Maskulina wie beispielsweise Referenten meine ich also im Weiteren weibliche und männliche Personen gleichermaßen, falls aus dem Zusammenhang nicht hervorgeht, dass nur männliche Personen gemeint sind. 4 Begriffliche und terminologische Überlegungen zum Terminus geschlechtsübergreifend sowie zu dem in der Forschungsliteratur zu Sprache und Geschlecht im Deutschen häufig verwendeten Terminus generisch erfolgen in Kapitel 4.2.3. Siehe auch Pettersson (2010: 131ff.). 5 Zur feministischen Sprachkritik am geschlechtsübergreifenden Maskulinum sowie zur Entstehung und Verwendung der feministischen Beidbenennungen, siehe Kapitel 1.2. 6 Sämtliche Belegstellen und Zitate aus den Quellentexten werden im Weiteren nummeriert. Für nähere Angaben zu den Quellentexten, siehe Kapitel 3. 16 Aus der Formulierung, dass die Täter überwiegend Männer sind, folgt, dass einige der Täter nicht Männer sind. Demzufolge ist Täter eindeutig geschlechtsübergreifend. Maskuline Personenbezeichnungen werden wahrscheinlich schon seit mittelhochdeutscher Zeit bei geschlechtsübergreifenden Referenzen verwendet (vgl. Doleschal 2002: 54). Man kann sie aber durch Movierung in Feminina umgewanden, wie bereits oben ausgeführt wurde. Dennoch funktioniert die maskuline Personenbezeichnung immer noch als geschlechtsübergreifende Benennung. In dieser Studie werden in erster Linie solche geschlechtsübergreifenden maskulinen Personenbezeichnungen untersucht, zu denen eine feminine Form gebildet werden kann (vgl. Duden 2005: 156). Zweitens handelt es sich um den Realisierungstyp Beidbenennung, auf dessen sprachpolitische Hintergründe und Implikationen im Kapitel 1.2 eingegangen wird. Beidbenennung (gelegentlich auch als Beidnennung, Doppelform und Splittingform bezeichnet) wird hier als Oberbegriff für verschiedene Schreibweisen benutzt, bei denen sowohl die maskuline als auch die feminine Form morphologisch vertreten ist: Lehrerinnen und Lehrer, Lehrer und -innen, Lehrer/ -innen, Lehrer/ innen, Lehrer(-innen), LehrerInnen et cetera (vgl. ebd., Klann-Delius 2005: 182ff., Samel 2000: 71ff.). Diese und ähnliche Schreibweisen finden vor allem seit den 1970er Jahren als gleichstellende Alternativen zum geschlechtsübergreifenden Maskulinum Verwendung. Drittens handelt es sich um verschiedene Arten der Neutralform. Zu dieser Kategorie gehören beispielsweise substantivierte Präsenspartizipien wie Lehrende und substantivierte Adjektive wie die Alten, die in der Pluralform häufig als gleichstellende und geschlechtsabstrahierende Alternativformen zum geschlechtsübergreifendem Maskulinum benutzt werden. 7 In erster Linie werden hier Neutralformen untersucht, die geschlechtsübergreifende Maskulina als Synonyme haben. Diese können nämlich bei geschlechtsübergreifenden Referenzen Neutralisierungsstrategien indizieren. Lexikalisierte Begriffe wie Kind, Eltern, Mitglied gehören auch zu den Neutralformen. Da sie aber als Neutralformen lexikalisiert sind, weisen sie wahrscheinlich nicht in gleichem Ausmaß wie substantivierte Präsenspartizipien und Adjektive auf Neutralisierungsstrategien hin. Lexikalisierte Neutralformen stehen daher nicht im Vordergrund dieses Buches. Neben diesen drei Realisierungstypen stehen auch andere sprachliche Mittel der geschlechtsübergreifenden Referenz zur Verfügung. So hat man in den Anfängen der feministischen Sprachkritik im deutschsprachigen Raum die Neutralisation maskuliner Personenbezeichnungen vorgeschlagen, wie zum Beispiel das Professor (vgl. Samel 2000: 73). Diese Strategie hat sich, wie Kapitel 1.3 zu entnehmen ist, zumindest in den öffentlichen Medien nicht durchgesetzt. Hin- 7 Im Singular dagegen funktionieren diese Schreibweisen als geschlechtsabstrahierende Formen nicht, da dann nach Genus differenziert werden muss: der/ die Lehrende, ein Lehrender/ eine Lehrende, der/ die Alte, ein Alter/ eine Alte. 17 gegen gibt es auch Ansätze zur Verwendung geschlechtsübergreifender Feminina (vgl. ebd.: 75). Auch diese Verwendungsweise scheint sich in den öffentlichen Medien nicht etabliert zu haben, obwohl ich in Pettersson (2009: 54) anhand einer Analyse feministischer akademischer Texte geschlechtsübergreifend verwendete Feminina feststellen konnte. Darüber hinaus kommen neue, queertheoretisch begründete Schreibweisen vor, zum Beispiel die Unterstrichvariante Lehrer_innen (vgl. Hornscheidt 2008: 421f.). Mit solchen Schreibweisen soll eine potenzielle Vielzahl an Geschlechteridentitäten außer ‚Mann’ und ‚Frau’ zum Ausdruck gebracht werden. Die graphische Leerstelle oberhalb des Unterstriches soll dabei eine konzeptuelle Leerstelle in Bezug auf Geschlechtsidentität ikonisch abbilden. Die Einstufung solcher Schreibweisen als Beidbenennung ist allerdings aproblematisch, da die Beidbenennung ihren diskursiven Rahmen im Zweigeschlechtsmodell (Mann und Frau) hat. 8 Im Vordergrund der nachfolgenden Textanalysen stehen daher die drei Realisierungstypen Maskulinum, Beidbenennung und Neutralform sowie die textinternen Variationen zwischen ihnen. Dabei werde ich gelegentlich auch andere Realisierungstypen diskutieren, sofern sie in den untersuchten Texten vorkommen. Das Verhältnis von Genus und Sexus ist insofern für diese Arbeit zentral, als die Realisierungstypen das Geschlecht der Referenten in jeweils unterschiedlichem Grad der Explizitheit zum Ausdruck bringen. Das geschlechtsübergreifende Maskulinum funktioniert dabei als vermeintlich geschlechtsneutrales Archilexem und abstrahiert von einer Geschlechtsspezifizierung. Dieser Sichtweise zufolge hat das Maskulinum zwei Lesarten: Eine geschlechtsspezifisch männliche und eine geschlechtsübergreifende. Dieses Verhältnis bildet einen der Hauptkritikpunkte der feministischen Linguistik, wie noch weiter unten (Kapitel 1.2) auszuführen sein wird. Die Beidbenennung erwähnt demgegenüber beide Geschlechter explizit und macht sie sichtbar. Die Neutralform schließlich abstrahiert von der Geschlechtsspezifizierung. Als geschlechtsübergreifend werden in den Quellentexten solche Personenbezeichnungen eingestuft, die nachweislich oder höchstwahrscheinlich auf weibliche und männliche Personen Bezug nehmen. Beidbenennungen sind an sich geschlechtsübergreifend. Maskulina und Neutralformen sind aber erst dann geschlechtsübergreifend zu verstehen, wenn sich zugleich andere Elemente im Text befinden, welche die geschlechtsübergreifende Lesart eines Maskulinums oder einer Neutralform eindeutig belegen. Ein Beispiel dafür stellt die Erwähnung weiblicher und männlicher Personen dar, die an anderen Stelle im selben Text mit Maskulinum oder Neutralform aufgenommen werden. Höchstwahrscheinlich geschlechtsübergreifend sind solche Belege, deren geschlechtsübergreifende Lesart sich nicht eindeutig nachweisen lässt, bei denen aber kotextuelle oder kontextuelle Faktoren vorliegen, die eine geschlechtsübergreifen- 8 Die Unterstrichvariante wird im Kapitel 6.2.2.3 dieser Arbeit behandelt. 18 de Lesart stark unterstützen. 9 Bei Zweifelsfällen wird die Festlegung der Referenz in den Textanalysen problematisiert und diskutiert. 10 1.2 Gesellschaftlicher Hintergrund und feministische Sprachkritik Die Neubildung und die Verwendung movierter Feminina bei Referenz auf Frauen haben in den 1960er Jahren zugenommen. Dies hängt wahrscheinlich mit dem Einstieg der Frauen in den Arbeitsmarkt zusammen. Aus dieser neuen Situation hat sich nämlich ein erweiterter Bedarf an Berufsbezeichnungen für Frauen ergeben (vgl. Oksaar 1976: 74, 88). Man könnte auch annehmen, dass Berufsbezeichnungen allgemein eine Vorreiterfunktion bei dem Anstieg an Movierungen eingenommen haben. Die feministische Sprachkritik hat sich im deutschsprachigen Raum in den 1970er Jahren artikuliert - als Ableger der Neuen Frauenbewegung der 1960er Jahre. Diese wiederum ist zum Teil der sozialkritischen 68er-Bewegung entsprungen (vgl. Wengeler 2002: 5f.): „Mit der Neuen Frauenbewegung fing die feministische Sprachreflexion in der Bundesrepublik an. Und ohne die 68er gäbe es die Neue Frauenbewegung nicht: In der Studentenbewegung wurde nicht nur das politische Geschehen diskutiert und analysiert, sondern auch das Verhältnis der Geschlechter zueinander.“ (Samel 2000: 15) Anregungen zur feministichen Sprachkritik sind vor allem aus den USA gekommen. Dort wurde 1975 Lakoffs bahnbrechendes Werk Language and Women’s Place zu Sprache und Geschlecht publiziert (vgl. ebd.: 31, Sieburg 1997: 23). Die Kritik hat dabei nicht nur Benennungsweisen von Frauen und Männern gegolten, sondern auch weiblichem beziehungsweise männlichem Redeverhalten und der damit zusammenhängenden Dominanz männlicher über weibliche Gesprächsteilnehmer (vgl. Edlund et al. 2007: 56ff.). In der Nachfolge hat die feministische Sprachkritk auch an pejorisierenden und sexistischen Benennungen von Frauen viel Kritik geübt. So versteht Frank (1992: 12, 128ff.) ausgehend von einer sprachhandlungstheoretischen Position sowohl 9 Als Kotext wird die unmittelbare textuelle Umgebung (das heißt der aktuelle Text) des jeweiligen Belegs verstanden, während mit Kontext alles gemeint ist, was sich außerhalb des jeweiligen Textes befindet. Siehe hierzu Kapitel 4.3.2. 10 Im Weiteren sind Belege, die im Plural stehen, deren morphologische Form aber nicht eindeutig Aufschluss über den Numerus gibt, mit dem Vermerk Pl versehen, wenn sie ohne ihren jeweiligen Kotext wiedergegeben werden. 19 Beschimpfungen von Frauen wie Schlampe als auch das so genannte generische Maskulinum als sexistische Sprachgewalt. 11 Dieses Buch befasst sich jedoch lediglich mit Benennungen von Frauen und Männern in geschlechtsübergreifenden Referenzen. Die sprachwissenschaftliche Diskussion um das so genannte generische Maskulinum (Maskulinum als Benennung von Frauen und Männern zugleich) im Deutschen fing, so Sieburg (1997: 24), durch einen Beitrag von Trömel-Plötz (1978) in der sprachwissenschaftlichen Zeitschrift Linguistische Berichte an. Darauf folge ein Meinungsstreit zwischen ihr, Kalverkämper (1979a, 1979b) und Pusch (1979). Die 1978 entfachte Debatte beschränkt sich, etwas vereinfacht gesagt, auf den Status des Maskulinums. Nach Trömel-Plötz (1978: 53) besteht das Problematische am generischen Maskulinum in der morphologischen Identitätsrelation zwischen geschlechtsspezifisch männlichem und vermeintlich geschlechtsneutralem Maskulinum. So würden Frauen unsichtbar gemacht: „unter Ausschluß von Frauen über Männer zu sprechen oder Männer anzusprechen und zugleich die Rückzugsmöglichkeit offen zu halten, daß auch Frauen eingeschlossen waren.“ (ebd.) Dies sei, so Trömel-Plötz (1978: 63f.), eine Manifestation sexistischer Sprachstrukturen. Kalverkämper (1979a: 59f.) erwidert in seiner strukturalistisch argumentierenden Antwort darauf, dass Maskulina in Bezug auf Geschlecht als neutralisierte Archilexeme funktionieren. Die Kategorien grammatisches Genus und biologisches Geschlecht, schreibt er, sollten nicht verwechselt werden. Da Kalverkämper zufolge eine maskuline Personenbezeichnung wie der Kunde sowohl die geschlechtsspezifisch männliche Bedeutung der Kunde wie auch die geschlechtsspezifisch weibliche Bedeutung die Kundin enthält, kann man sie problemlos als nicht markierte, geschlechtsneutrale Benennung benuten. Pusch (1979: 96) wiederum wiederholt die Argumente von Trömel-Plötz. Zudem kritisiert sie Kalverkämpers Behauptung, dass Beidbenennungen zu sprachlich unökonomischen kommunikativen Erschwernissen führen würden. Gerade sprachökonomische Argumente, dass geschlechtsspezifizierende Formen umständlich seien, sind häufig hervorgebrachte Einwände gegen Movierung und Beidbenennung. Aber auch sprachtheoretische Argumente gegen die Verwendung von Movierungen sind hervorgebracht worden (vgl. Jobin 2004: 66f.) 12 , wie noch weiter unten in diesem Abschnitt zu erwähnen sein wird. Auch innerhalb der feministischen Linguistik und Sprachkritik setzt man sich intensiv und kritisch mit verschiedenen feministischen Veränderungsstrategien auseinander. Beispielsweise hat man die Movierung kritisiert, weil sie eine Ableitung ist und als dem Maskulinum zweitrangig aufgefasst werden kann. (vgl. Pusch 1991: 59). 11 Begriffliche Überlegungen zum Terminus generisch und zu dem in der vorliegenden Arbeit stattdessen bevorzugten Terminus geschlechtsübergreifend erfolgen in Kapitel 4.2.3. 12 Siehe hierzu weiter auch Hornscheidt (2006: 304ff.) und Samel (2000: 75). 20 Angeregt von der Debatte 1978-1979 haben ab Anfang der 1980er Jahre feministische Spachwissenschaftlerinnen eine Reihe von Richtlinien und Vorschlägen zu geschlechtergerechtem und nicht-sexistischem Deutsch veröffentlicht (zum Beispiel Guentherodt et al. 1980, Hellinger und Bierbach 1993). 13 Sie konnten sich dabei von sprachfeministischen Bestrebungen in anderen Ländern, vor allem in den USA, inspirieren lassen. Dort wurden ähnliche Richtlinien schon in den 1970er Jahren veröffentlicht. 14 Guentherodt et al. (1980) haben die ersten feministischen Richtlinien für die deutsche Sprache veröffentlicht: „Sprache ist sexistisch, wenn sie Frauen und ihre Leistung ignoriert, wenn sie Frauen nur in Abhängigkeit von und Unterordnung zu Männern beschreibt, wenn sie Frauen nur in stereotypen Rollen zeigt und ihnen so über das Stereotyp hinausgehende Interessen und Fähigkeiten abspricht, und wenn sie Frauen durch herablassende Sprache demütigt und lächerlich macht. Wir wenden uns deshalb an alle, die professionell und offiziell geschriebene und gesprochene Sprache produzieren, vor allem an die, die - ob im Kindergarten, an der Schule oder an der Universität - Sprache lehren und an die, die in den Medien, in der Verlagsarbeit und anderswo Sprache verbreiten.“ (ebd.: 15) Diese Richtlinien zielen mithin in erster Linie auf offizielle Sprache ab. Damit ist ein sprachpolitischer und offizieller Schwerpunkt gesetzt, der seither für die feministische Sprachkritik und Linguistik charakteristisch ist. In den Richtlinien wird unter anderem das geschlechtsübergreifende Maskulinum als sexistische Sprachverwendung eingestuft. Man sollte, so die Richtlinien, keine verallgemeinernden Maskulina verwenden. Stattdessen sollte man nicht-sexistische Alternativformen wie Beidbenennungen, Neutralformen und Institutionsbezeichnungen benutzen, zum Beispiel Bürgerinnen und Bürger statt Bürger (vgl. ebd.: 17), kranke Leute statt der Kranke (vgl. ebd.) und juristischen Rat einholen statt den Rechtsanwalt aufsuchen (vgl. ebd.: 18). Hellinger und Bierbach (1993) konzentrieren sich in ihren von der deutschen UNESCO-Kommission herausgegebenen Richtlinien auf sprachliche Sichtbarmachung von Frauen und auf sprachliche Symmetrie zwischen weibli- 13 Darüber hinaus liegt eine Vielzahl von Richtlinien zur gleichstellenden Sprache in Behörden sowie in Gesetzestexten vor. Siehe dazu Hellinger und Bierbach (1993) und Hellinger (2004a). Weitere von Hellinger et al. im Jahre 1985 veröffentlichten Richtlinien finden sich in Hellinger (1990: 153ff.) wieder. Müller (1988) beschreibt in einem Referat ihre Arbeit als „Leiterin der ersten niedersächsischen Gleichstellungsstelle in der Landeshauptstadt Hannover“ (ebd.: 323), wobei sie sich auf sprachliche Gleichstellung in behördlichen Dokumenten und Richtlinien konzentriert hat. 14 Siehe hierzu Pauwels (1998: 139-167), wo ein Überblick über feministische guidelines gegeben wird. 21 chen und männlichen Personen. Diese Richtlinien wenden sich an alle Institutionen, die sich der deutschen Sprache professionell bedienen. Frauen sollten nach den Richtlinien bei Referenz auf ausschließlich weibliche Personen durch Movierung sichtbar gemacht werden. Bei Referenz auf gemischtgeschlechtliche Gruppen sollte man Männer und Frauen sprachlich gleich behandeln, entweder durch Beidbenennung oder durch neutrale Sprachformen. Aber nicht nur sprachpolitische Richtlinien, auch andere Veröffentlichungen zu Sprache und Geschlecht geben mehr oder weniger explizite und mit den oben erwähnten Richtlinien übereinstimmende Vorschläge, zum Beispiel Hellinger und Schräpel (1983: 40f.), Samel (2000: 71ff.) und Schoenthal (1989: 306ff.). Wenn wir uns auf Personenbezeichnungen im Deutschen konzentrieren, können wir die zentrale Empfehlung der Richtlinien so zusammenfassen: Frauen sollten sich nicht damit abfinden, mit maskulinen Personenbezeichnungen benannt zu werden. Stattdessen sollte man bei ausschließlich weiblicher Referenz feminine Formen und bei geschlechtsübergreifender Referenz Beidbenennungen oder Neutralformen benutzen. Die Richtlinien deuten auch auf den aktivistischen Charakter der feministischen Sprachwissenschaft hin. Viele deren Vertreter und Vertreterinnen kombinieren nämlich linguistische Forschung mit Sprachkritik und sprachpolitischen Bestrebungen (vgl. Edlund et al. 2007: 48, Pauwels 1998: 98f.). Die feministische Linguistik und Sprachkritik 15 lässt sich so in eine Tradition der Sprachkritik einordnen, die weit in die Sprachgeschichte zurück reicht. Schoenthal (1989: 299f.) und vor allem Schiewe (2002) haben etliche Ähnlichkeiten zwischen feministischer und aufklärerischer Sprachkritik beobachtet. Unter Berufung auf einen Aufsatz von Leibnitz, Unvorgreifliche Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache, in dem der Autor die Vorgehensweise aufklärerischer Sprachkritik programmatisch ausführt, stellt Schiewe (2002: 224) fest, dass die feministische Sprachkritik auf genau dieselbe Weise vorgeht. 16 Die Schritte der sprachkritischen Methode bei Leibnitz bestehen erstens in einer Beschreibung des Zustands der jeweiligen Sprache, zweitens in einer Ausführung des Sprach- oder Zeichenbegriffs, drittens in einer Konstatierung von Mängeln, viertens in einer Begründung eines Sprachideals und fünftens in der Formulierung konkreter Vorschläge, wie man dieses Sprachideal erreichen kann. Nach Schiewe (1998: 25ff.) kann man Sprachkritik noch dadurch charakterisieren, dass sie immer mehr als Kritik an Sprache ist und dass sie emanzipatorische Zwecke hat. Auch diese Merkmale treffen auf die feministische Sprachkritik zu. 15 Feministische Linguistik und feministische Sprachkritik sollten nicht als identische Erscheinungen aufgefasst werden, da Sprachkritik ohne wissenschaftliche Ansprüche betrieben werden kann. Dennoch finden sich viele Überlappungen, weil feministische Linguistik ihrem Wesen gemäß sprachkritisch orientiert ist (vgl. Edlund et al. 2007: 48). 16 Vgl. hierzu Leibnitz (1983: 5ff.). 22 Germann (2007: 19ff.) stellt sprachkritische Diskussionen um Personenbezeichnungen überhaupt (das heißt nicht nur unter dem Gesichtspunkt von Sprache und Geschlecht) in den Kontext der politischen Korrektheit (Political Correctness, PC). Relevant für den Diskurs der politischen Korrektheit sind Germann zufolge Personenbezeichnungen, die die soziale Struktur einer Gesellschaft widergespiegeln oder Personen unter dem Aspekt der Zugehörigkeit zu bestimmten (u.a. sozialen) Gruppen benennen. 17 Deswegen ist Genus und Sexus bei Personenbezeichnungen ein Thema, das man auf die politische Korrektheit beziehen kann. Mayer (2002: 8) sieht spezifisch die Diskussion um Genus, Sexus und Personenbezeichnungen im Deutschen als eine Manifestation politischer Korrektheit an. Gleichstellende Bezeichnungen bei Frauen und gemischtgeschlechtlichen Gruppen könnte man demnach als Ausdruck einer Bemühung um sprachliche politische Korrektheit auffassen. Diese Sichtweise wird in diesem Buch geteilt. Germann (2007) stellt in Bezug auf die Debatte zur sprachlichen politischen Korrektheit Folgendes fest: „Bei den Diskussionen um das Für und Wider der PC geht es im Grunde genommen immer in irgendeiner Weise um das Verhältnis zwischen sprachlichem Zeichen und der aussersprachlichen Wirklichkeit.“ (ebd.: 8) Damit schneidet sie einen wichtigen Punkt an. Dieser Punkt ist auch für die Einordnung der feministischen Linguistik und Sprachkritik in eine aufklärerische sprachkritische Tradition besonders wichtig (vgl. Schiewe 2002: 224): Das zugrunde liegende Sprach- und Zeichenverständnis. Die Kontroverse um das generische Maskulinum lässt sich nämlich auch als eine Kontroverse zwischen verschiedenen sprachtheoretischen Standpunkten beschreiben (vgl. Schwarze 2008: 228). Die feministische Sprachkritik im deutschsprachigen Raum hat ihre Wurzeln in einer sprachtheoretischen Tradition, nach der die sprachliche Struktur das Denken und die Wirklichkeitsvorstellung der Sprachbenutzer beeinflusst oder ganz und gar steuert (vgl. Cameron 1992: 131ff., Hellinger 1990: 42ff., Samel 2000: 83ff.). 18 In vielen Fällen handelt es sich um die sprachliche Relativitätstheorie von Whorf oder um da- 17 Es soll dabei erwähnt werden, dass der Begriff politische Korrektheit oft herablassend von ihren Gegnern verwendet wird (vgl. Germann 2007: 5f., Wengeler 2002: 7). Die Verwendung des Begriffes politische Korrektheit in der vorliegenden Arbeit zielt allerdings lediglich darauf ab, die Diskussion um Personenbezeichnungen und Genus im Deutschen in diesen sprachkritischen Zusammenhang zu stellen. In einem sprachlichen Kontext ließe sich politische Korrektheit mit Germann (2007) etwa auf folgende Weise definieren: „Die PC kritisiert Sammelbezeichnungen für soziale Kategorien im Allgemeinen, da sie die undifferenzierte Wahrnehmung der betreffenden Kategorienmitglieder widerspiegle und unterstütze. Gefordert werden deshalb spezifische Kennzeichnungen, die die jeweiligen Personen als Angehörige von Subkategorien beschreiben und so die Heterogenität der jeweiligen Gruppen reflektieren.“ (ebd.: 287) Vgl. hierzu auch Hellinger (1997: 42). 18 Eine noch radikalere konstruktivistische Sprachauffassung, dass die soziale Wirklichkeit erst durch Sprachhandlungen entstehe, findet sich beispielsweise bei Hornscheidt (2006, 2008). 23 mit verwandte Positionen - dass die Sprache die Wirklichkeitsvorstellung nachhaltig prägt. 19 Whorfs Idee stellt die im Strukturalismus behauptete Arbitrarität des sprachlichen Zeichens in Frage oder relativiert sie. Diese Auffassung ist die eigentliche Voraussetzung vieler sprachfeministischer Ansätze. Nach diesen Ansätzen beeinflussen gerade die sprachlichen Bezeichnungen von Frauen und Männern die Vorstellungen der Sprachbenutzer über Frauen und Männer. Damit entsteht auch der Bedarf, diese Bezeichnungen zu verändern. Dezidierte Gegner der feministischen Sprachkritik wie Kalverkämper (1979a: 60) betonen demgegenüber die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens. Sie behaupten, damit zusammenhängend, eine scharfe Trennung zwischen Sprache und Welt. Schwarze (2008: 230) macht auf noch einen wichtigen Unterschied aufmerksam, nämlich dass die feministische Linguistik den Schwerpunkt ihrer Kritik auf den Sprachgebrauch setzt, während deren Gegner in ihrer Argumentation sich eher auf das Sprachsystem konzentrieren. Auch darin besteht ein Unterschied zwischen den verschiedenen Positionen. Zusammenfassend können wir Folgendes festhalten. Wenn man von der völligen Arbitrarität des sprachlichen Zeichens ausgeht, dann erscheint die sprachfeministiche These zur diskriminierenden Wirkung von Personenbezeichnungen nicht plausibel. Betont man aber den Sprachgebrauch, und geht man davon aus, dass Maskulina durch sowohl Form als auch Verwendung männliche Konnotationen zu sich ziehen, dann kann man für die Positionen der feministischen Sprachkritik argumentieren. Welche dieser Sichtweisen der Sprachwirklichkeit entspricht, das wird noch weiter unten in Kapitel 1.4. diskutiert. 1.3 Zum feministischen Sprachwandel und zum Gebrauch von Personenbezeichnungen mit geschlechtsübergreifender Referenz Ein abnehmender Gebrauch geschlechtsübergreifender Maskulina ist wiederholt konstatiert worden. So schätzt Samel (2000) die Entwicklung auf folgende Weise ein: „Die feministisch motivierte Sprachkritik hat bei größeren Gruppen von Sprecherinnen und Sprechern dazu geführt, das Maskulinum überhaupt nicht mehr beziehungsweise nicht mehr unreflektiert generisch zu verwenden.“ (ebd.: 88) Bußmann und Hellinger (2003) schätzen als plausibel ein, dass der Trend sich fortsetzt: „One might well speculate, however, that German personal masculi- 19 Siehe hierzu beispielsweise Whorf (1956: 221). 24 nes will continue to lose more of their generic potential in the future.“ (ebd.: 167) Wie jedoch dieses Kapitel sowie die Analysekapiteln 5 und 6 zeigen, scheinen sich solche Prognosen zumindest bislang nicht bewahrheitet zu haben. Dennoch haben, wie Samel (2000: 88) feststellt, die feministische Sprachkritik und deren Sprachveränderungsvorschläge wahrscheinlich eine Sensibilität in Bezug auf den Problemkomplex von Genus und Sexus im deutschsprachigen Raum herbeigeführt. Wir können hier von einer Bewusstseinsveränderung sprechen. Ebenso haben sie zu einem Sprachwandel geführt. Dieser Sprachwandel ist Gegenstand dieses Abschnittes. Ein weiteres Anliegen ist es hier, auf das Erkenntnisinteresse und die fast ausschließlich quantitativen Methoden der bisherigen Studien hinzuweisen. Davon ausgehend lässt sich nämliche eines der Erkenntnisinteressen dieser Arbeit begründen, qualitative Textstudien zur textinternen Variation zwischen verschiedenen Realisierungstypen geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen durchzuführen. Schräpel (1986: 223) unterscheidet drei Typen von Sprachwandel: Finalen, nichtintendierten und unbewussten. Finaler Sprachwandel ist politisch begründet und wird von sprachpolitischen Maßnahmen begleitet und vorangetrieben. Der feministische Sprachwandel im deutschsprachigen Raum ist ein finaler, da parallel zu den feministisch argumentierenden Richtlinien für ein geschlechtergerechtes Deutsch eine Reihe von Maßnahmen auf administrativer und gesetzlicher Ebene beschlossen worden sind. Es handelt sich unter anderem um den inzwischen aufgehobenen Paragraphen 611b im Bürgerlichen Gesetzesbuch (BGB). Demnach durfte der Arbeitgeber eine Stelle nicht nur für Frauen oder nur für Männer ausschreiben (vgl. Samel 2000: 127f.). 20 Es handelt sich beispielsweise auch um Versuche, die Verfassung des Landes Niedersachsen geschlechtergerecht zu formulieren (vgl. Dietrich 2000: 193f.), um die sprachlich zumindest teilweise gleichstellende Neufassung des Hebammengesetzes im Jahre 1985 sowie um etliche andere Änderungen in legislativen und behördlichen Texten (vgl. Schoenthal 1989: 298f., Stickel 1988: 331f.). Auch als Teil des Gender-Mainstreaming liegen viele sprachliche Gleichstellungsrichtlinien an verschiedenen Institutionen im deutschsprachigen Raum wie beispielsweise Universitäten vor, neue kommen ständig hinzu. Zudem haben andere Institutionen, beispielsweise Medien, auch ohne solche Richtlinien verschiedene Formen der sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern angenommen und etabliert. Daher können wir die zunehmende Verwendung von Movierungen und Beidbenennungen seit den 1970er Jahren als politisch intendiert und gesteuert ansehen. Sie ist ein Ausdruck für finalen Sprachwandel. In heutigen Tageszeitungstexten und in Texten anderer öffentlicher Medien sind Beidbenennungen spärlich vertreten. Maskulina und Neutralformen 20 Wie jedoch Stickel (1988: 332) feststellt, ist der § 611b an sich keine sprachliche Vorschrift. 25 kommen viel häufiger vor. Davon zeugt eine Reihe empirischer Studien. Was den Gebrauch movierter Sprachformen betrifft, lassen sich nach Samel (2000) Unterschiede zwischen der Bundesrepublik und der DDR erkennen. Samel vertritt die Position, dass die Movierung als Selbstbezeichnung nicht so häufig in der DDR wie in der Bundesrepublik verwendet: „Die maskulinen Selbstbezeichnungen dokumentieren auch zum Teil Unterschiede im Sprachgebrauch von west- und ostdeutschen Frauen. Die meisten Frauen in der DDR hatten einen Beruf erlernt und übten ihn auch aus, insofern schenkten sie der Problematik geringere Aufmerksamkeit.“ (ebd.: 124) Sobotta (2002) stellt jedoch anhand einer empirischen Studie der ostdeutschen Regionalzeitung Freiheit von den 1950er bis zu den 1970er Jahren eine andere Tendenz fest. Sie schreibt, dass „feminine Personenbezeichnungen neben maskulinen im Alltagssprachgebrauch und im Besonderen in der Presse der DDR durchaus einen Stellenwert besaßen.“ (ebd.: 165) Im Folgenden können wir nicht sämtliche Studien zu geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen in schriftlichen Texten eingehend erläutern. Deswegen sind die Untersuchungen ausgewählt worden, denen das umfassendste empirische Untersuchungsmaterial zugrunde liegt. Das sind die Arbeiten von Demey (2002), Bühlmann (2002) und Castillo Díaz (2003) sowie einige kleinere Studien, deren qualitative Ergebnisse über textinterne Variationen als Ausgangspunkte für die Fragestellungen dieser Arbeit dienen können. Demey (2002: 39) wertet in ihrer quantitativen Studie 6834 Personenbezeichnungen aus. Sie zieht je ein Exemplar der Zeitungen Süddeutsche Zeitung (3106 Vorkommen), tageszeitung (1641 Vorkommen), Bild-Zeitung (1206 Vorkommen) und Express (881 Vorkommen) heran. Personenbezeichnungen SZ taz Bild Express Generisches Maskulinum 28,3 27,5 17,1 13,2 Generische Neutralform 20,2 18,3 13,8 13,3 Beidbenennung 0,3 1,2 0,3 0,2 Maskulinum mit männlicher Referenz 38,1 40,2 50,7 52,7 Maskulinum mit weiblicher Referenz 0,1 Neutralform mit männlicher Referenz 2,2 2 4,4 5,7 Neutralform mit weiblicher Referenz 0,5 0,4 0,7 1,4 26 Femininum mit männlicher Referenz Femininum mit weiblicher Referenz 10,3 10,4 13,1 13,3 Total 100 100 100,1 99,8 Tabelle 1: Personenbezeichnungen in Demey (2002: 40), prozentuale Angaben; insgesamt 6834 Vorkommen. 21 In diesem Zusammenhang sind die Vorkommen am interessantesten, die Demey generisch 22 nennt. Die Tabelle 1 zeigt deutlich, dass Beidbenennungen in sämtlichen Quellen äußerst selten Verwendung finden. Offensichtlich kommen Maskulina und Neutralformen mit Bezugnahme auf Frauen und Männer sowie auf Referenten, deren Geschlecht unwichtig oder unbekannt ist, viel häufiger vor. Dabei ragt die taz mit verhältnismäßig vielen Beidbenennungen, insgesamt 1,2 % aller Belege, etwas heraus. Aus Demeys Zusammenstellung fällt auch auf, dass generisch referierende Personenbezeichnungen in den meisten Fällen im Plural und äußerst selten im Singular stehen. 23 Das wird am Beispiel der Süddeutschen Zeitung deutlich: 5,8 % aller dortigen Belege sind generische Singularformen und 43 % der Belege sind generische Pluralformen. Insgesamt sind in Demeys Korpus 57 % aller Belege Maskulina, 41,8 % sind Neutralformen sind und der Rest Beidbenennungen (vgl. ebd.: 47). Bühlmann (2002) analysiert 36 Artikel dreier schweizdeutscher Tageszeitungen (Blick, Tagesanzeiger, Neue Zürcher Zeitung) auf Personenbezeichnungen hin. Das Material umfasst insgesamt 632 Personenbezeichnungen, die nachweislich oder möglicherweise geschlechtsübergreifend referieren (vgl. ebd.: 167). Personenbezeichnungen Blick Tagesanzeiger NZZ Total Beidbenennung 1,9 2,7 1,1 1,9 Neutralform/ Abstraktum 37,4 17,6 13,3 19,1 Kollektivum/ Institutionsbezeichnung 16,8 53,3 51,5 46,4 Generisches Maskulinum 43,9 26,4 34,1 32,6 Total 100 100 100 100 Tabelle 2: Personenbezeichnungen in Bühlmann (2002: 167); prozentuale Angaben; insgesamt 632 Vorkommen. 21 Demey liefert keine Erklärung dafür, dass sich bei Bild-Zeitung und Express die Gesamtzahl nicht auf 100 Prozent beläuft. Möglicherweise liegt dies an Abrundungen der Zahlen. In ihrer Arbeit fehlen prozentuale Gesamtzahlen zu den einzelnen Formen. 22 Als generisch versteht Demey (2002: 39) diejenigen Personenbezeichnungen, bei denen das Geschlecht der bezeichneten Personen unwichtig oder unbekannt ist. Auch Personenbezeichnung mit Referenz auf gemischtgeschlechtliche Gruppen zählt sie zu den generischen. 23 Die Differenzierung nach Numerus wurde in die Tabelle 1 nicht mit einbezogen. 27 Auch Bühlmann kann folglich zeigen, dass Beidbenennungen selten vorkommen, in ihrem Material nur in 1,9 % sämtlicher Personenbezeichnungen. Dabei zählt sie eine Kategorie von Substantiven, die in Demeys (2002) Studie nicht vorkommt: Kollektiva/ Institutionsbezeichnungen, 46,4 %. Wenn Bühlmann diese Substantive nicht mitgezählt hätte, dann würde die Zahl der Beidbenennungen deutlich höher liegen. Andererseits zählt sie zu den Maskulina auch solche Vorkommen, die möglicherweise geschlechtsspezifisch referieren. Im Unterschied zu Demey beachtet sie keine Personenbezeichnungen, die eindeutig auf nur Männer oder nur Frauen Bezug nehmen. Dies erschwert einen Vergleich der beiden Studien. Bühlmann nimmt darüber hinaus eine Einteilung nach semantischen Eigenschaften der Personenbezeichnungen vor. Sie unterschiedet dabei Prestige-Bezeichnungen (Personen mit Prestige), Aktivitätsbezeichnungen (Personen, die als aktiv konzeptualisiert werden, zum Beispiel durch Arbeitende), Passivitäts-Bezeichnungen (Personen, die als passiv konzeptualisiert werden, zum Beispiel durch Kinder, SchülerInnen) und Bevölkerungsgruppen-Bezeichnungen (vgl. Bühlmann 2002: 172). Aus diesem qualitativen Analyseansatz ergibt sich, dass die allermeisten Beidbenennungen Passiv-Bezeichnungen sind. Dagegen wird auf Personen mit Prestige und auf aktive Personen mehrheitlich mit Maskulina sowie Institutions- und Kollektivbezeichnungen Bezug genommen wird. Castillo Díaz (2003) hat die bislang umfassendste sprachwissenschaftliche Studie zu Personenbezeichnungen im Deutschen unter Berücksichtigung von Genus und Sexus vorgelegt. Sie analysiert insgesamt 573 sehr unterschiedliche Texte (Textsorten wie Formulare, Mitteilungen, Flugblätter, Stellenanzeigen und so weiter), davon sind 481 Stellenanzeigen. Die Autorin teilt die analysierten Texte in drei Kategorien ein: Texte mit bedingt nachweisbarem feministischen Sprachwandel (vgl. ebd.: 71ff.), Texte ohne feministischen Sprachwandel (vgl. ebd.: 133ff.) und schließlich Stellenanzeigen (vgl. ebd.: 170ff.). 28 Personenbezeichnungen Feministischer Sprachwandel bedingt nachweisbar (4311 Personenbezeichnungen) Kein feministischer Sprachwandel nachweisbar (2696 Personenbezeichnungen) Maskulinum 63,5 80,2 Neutralform 17 17,6 Beidbenennung 17, 4 1,4 Femininum 2 0,6 Total 99,9 99,8 Tabelle 3: Personenbezeichnungen in Castillo Díaz (2003: 200ff.); prozentuale Angaben; insgesamt 7007 Vorkommen. Die Kategorie Stellenanzeigen ist hier nicht mit einbezogen. 24 Die Zahlen in der Kategorie Sprachwandel nicht nachweisbar sind mit Vorsicht zu behandeln. Castillo Díaz schreibt, dass von den 2969 Personenbezeichnungen 169 geschlechtsspezifisch referieren und dass unter den nicht geschlechtsspezifisch Personenbezeichnungen das Maskulinum 80,2 % der Belege ausmacht (vgl. ebd.: 204). Dieser Anteil stimmt jedoch mit dem Anteil sämtlicher Maskulina unter den 2969 Personenbezeichnungen überein (siehe Tabelle 3), was nicht möglich sein kann. Im Folgenden wenden wir uns jedoch der Kategorie Sprachwandel bedingt nachweisbar zu, in der 54 Texte vorliegen. Diese Texte enthalten insgesamt 4311 Personenbezeichnungen, von denen 3698 geschlechtsübergreifend verwendet werden (vgl. ebd.: 200). Bei einer gesonderten Ansicht der femininen und maskulinen Personenbezeichnungen in diesen Texten zeigt sich, dass 13,2 % davon geschlechtsspezifisch weiblich und 7 % davon geschlechtsspezifisch männlich referieren (vgl. ebd.: 201). Geschlechtsübergreifendes Maskulinum macht damit die größte Kategorie aus. Castillo Díaz unterteilt die 54 Texte in zwei Kategorien, die sich nach dem Grad ihrer Standardisierung unterscheiden: (1) stark standardisierte Texte und (2) schwach beziehungsweise nicht standardisierte Texte (vgl. ebd.: 201f.). 24 Castillo Díaz erklärt nicht, warum die Gesamtzahl in diesen Kategorien nicht 100 % ausmacht. Möglicherweise liegt dies an Abrundungen. 29 Texte mit bedingt nachweisbarem feministischen Sprachwandel Stark standardisierte Texte (695 Personenbezeichnungen) Schwach bzw. nicht standardisierte Texte (3616 Personenbezeichnungen) Maskulinum 69,7 62,1 Neutralform 9,5 18,7 Beidbenennung 20,6 16,7 Femininum 0,1 1,5 Total 99,9 99 Tabelle 4: Texte mit bedingt nachweisbarem feministichen Sprachwandel in Castillo Díaz (2003: 201ff.); prozentuale Angaben. 25 Sowohl bei den stark standardisierten als auch bei den schwach oder nicht standardisierten Texten fällt der relativ hohe Anteil an Beidbenennungen auf im Vergleich zu den Ergebnissen von Bühlmann (2002) und Demey (2002). Dies erklärt sich wahrscheinlich dadurch, dass Castillo Díaz (2003) ganz andere Texttypen untersucht. Zu den stark standardisierten Texten gehören vor allem behördliche Texte wie beispielsweise das „Bundeserziehungsgeldformular“ (ebd.: 72) und die „Studienordnung für den Magisterstudiengang der Universität Passau“ (ebd.: 84). Bei den schwach oder nicht standardisierten Texten handelt es sich um „informative Texte, die in der Regel auch an Jugendliche und junge Menschen gerichtet sind und damit meistens in einer lockeren informelleren Art verfaßt sind.“ (ebd.: 87) Darunter sind vor allem Falt- und Informationsblätter wie zum Beispiel das „Faltblatt des DAAD Doktorandenstipendien für kurz- und langfristige Auslandsaufenthalte“ (ebd.: 95) und das „Faltblatt Tipps für Motorradfahrer/ innen des Bayrischen Staatsministerium [sic] des Innern“ (ebd.: 100). Castillo Díaz gibt keine nach dem Realisierungstyp geordnete quantitative Zusammenstellung sämtlicher Personenbezeichnungen wieder. Dies erschwert einen Überblick über die Ergebnisse. Ebenso behandelt sie die Variation unterschiedlicher Personenbezeichnungen innerhalb ein und desselben Textes kaum. Der Schwerpunkt liegt stattdessen auf einer Bewertung der einzelnen Personenbezeichnungen als sexistisch oder nicht-sexistisch und auf einem Plädoyer für alternative, nicht-sexistische Schreibweisen. Dennoch liegen bei Castillo Díaz einige qualitative Beobachtungen vor, die für die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit relevant sein dürften. Unter Texten mit bedingt nachweisbarem Sprachwandel kommt die Beidbenennung mit dem Binnen-I verhältnismäßig häufig in den Texten aus dem universitären Bereich vor. Dies steht im Kontrast zu den Texten aus dem öffentlichen Bereich (vgl. 25 Auch nicht bei dieser Kategorie erläutert Castillo Díaz die Gesamtzahlen. 30 ebd.: 132). Der Handlungsbereich eines Textes (vgl. Brinker 2005: 148f.) scheint somit ein wichtiger Parameter zu sein. Dieses Ergebnis geht mit Befunden aus der Studie von Fischer (2004) konform, die 500 willkürlich ausgewählte Personenbezeichnungen aus der Süddeutschen Zeitung und aus der englischsprachigen Zeitung Guardian unter die Lupe genommen hat. Beidbenennungen kamen im Material äußerst selten vor und wurden nicht vertieft untersucht (vgl. ebd.: 182). Jedoch konnte Fischer feststellen, dass die Verwendung von Personenbezeichnungen im Deutschen von Parametern wie Medium, geographischer Zugehörigkeit des Mediums (Regionalität/ Überregionalität), Sprachregister und Formalitätsgrad geprägt ist (vgl. ebd.: 180). Zudem kommen Personenbezeichnungen mit „gesellschaftlich negativen Assoziationen“ (Castillo Díaz 2003: 169) im analysierten Material äußerst selten moviert vor. Dasselbe gilt für solche, die eine politische Aktivität oder ideologische Überzeugung bezeichnen. Für die letzteren könnte angenommen werden, dass sie als Kollektiva oft ein hohes Maß an Abstraktheit aufzeigen und aus diesem Grunde nicht moviert werden. Diese qualitativen Aussagen über mögliche Variationstendenzen in Hinblick auf Benennungsstrategien dienen als Ausgangspunkt der in Kapitel 1.3 formulierten Fragestellungen und werden dort eingehend diskutiert. Stuckard (2000b: 227) hat die einzig mir bekannte quantitative Studie deutschsprachiger Illustrierten durchgeführt. Jeweils eine Ausgabe der Frauenzeitschriften Brigitte, Cosmopolitan und tina sowie der Männermagazine Playboy und Männer Vogue aus dem Jahr 1995 wurden herangezogen. Insgesamt kommen nur 11 Beidbenennungen im gesamten Material vor, sämtliche in den Frauenillustrierten, bis auf einen Beleg der Binnen-I-Variante in Playboy (vgl. ebd.: 228f.). Die Dominanz des Maskulinums ist gegenüber den gleichstellenden Alternativformen in dem von Stuckards Material erheblich. 26 Nach diesem Überblick kann man Folgendes festhalten: Das Maskulinum scheint in der Zeitspanne um die letzte Jahrhundertwende häufiger als jeder andere Realisierungstyp als Bezeichnung für geschlechtsübergreifende Referenzen zu dienen. Besonders deutlich zeichnet sich diese Tendenz in Tageszeitungen ab. Beidbenennungen kommen erheblich seltener vor, obwohl sie, wie Castillo Díaz (2003) nachweist, tendenziell häufiger in behördlichen Texten, Falt- und Informationsblättern sowie Gesetzestexten vertreten sind. Dort ist nämlich die bewusste Normierung in Hinblick auf das Geschlecht wahrscheinlich stärker. So stellt Eichhoff-Cyrus (2002) anhand einer Durchsicht verschiedener Gesetzestexte „erste Erfolge“ (ebd.: 324) in Bezug auf geschlechtergerecht formulierte Personenbezeichnungen fest. Ein geschlechtsneutral formulierter Gesetzestext, in dem fast alle geschlechtsübergreifenden Maskulina durch Neutralformen und Beidbenennungen ersetzt wurden, ist die Landesverfassung von Niedersachsen (vgl. Dietrich 2000: 216). 26 Vgl. hierzu auch die Darstellung in Stuckard (2000a: 237ff., 305f.) 31 Über die bereits erwähnten Arbeiten hinaus liegt eine Reihe kleinerer Studien vor. Sie werden im Folgenden kurz vorgestellt, da sie interessante Befunde in Hinblick auf die eigentliche Variation zwischen verschiedenen Realisierungstypen liefern. Andersson (2004: 185) resümiert und diskutiert die Ergebnisse zweier von ihm betreuter studentischer Arbeiten. Es handelt sich dabei um insgesamt 620 geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen aus einer Lokalzeitung, aus Aushängen am Schwarzen Brett des Germanistischen Instituts und des Pharmazeutischen Instituts der Universität Marburg, aus dem Nachrichtenmagazin der Freien Universität Berlin sowie aus der Fachzeitschrift Mitteilungen des deutschen Germanistenverbands (vgl. ebd.: 187). Die höchste relative Anzahl an Beidbenennungen findet sich in den beiden germanistischen und damit akademischen Zusammenhängen (Germanistisches Institut der Universität Marburg sowie Mitteilungen des deutschen Germanistenverbands). Daran stellt Andersson interessante textlinguistische Befunde fest: Thematisch zentrale Personen und Personen, die als sympathisch dargestellt sind, werden häufiger mit Beidbenennung bezeichnet. Personen, von denen Abstand genommen wird, oder solche, die thematisch peripher sind, werden aber häufiger mit dem Maskulinum bezeichnet (vgl. ebd.: 192f.). Kohlström (2000) untersucht vier Ausgaben der feministischen Zeitschrift Emma und stellt eine im Verhältnis zu Tageszeitungen häufige Verwendung von Beidbenennungen fest (vgl. ebd.: 11). Die überhaupt gewöhnlichste Schreibweise aller Kategorien ist die Binnen-I-Variante, die sich auf 118 der insgesamt 201 gezählten Personenbezeichnungen beläuft (vgl. ebd.). Kohlström ermittelt auch, welche Funktion die Verwendung der Maskulinform hat. Sie kommt zu folgendem Schluss: „Es zeigte sich, dass in vier untersuchten Artikeln die Maskulinform in Opposition zu der feministischen Form, der Groß-I-Schreibung, stand. Die Maskulinform kam in einer negativen Umgebung vor, während die Groß-I-Schreibung nur positiv oder neutral verwendet wurde. Die Texte waren zumeist polemisch gegen patriarchale Missverhältnisse gerichtet, und Personen, die als Verteidiger des Patriarchats beschrieben wurden, waren mit der Maskulinform bezeichnet.“ (ebd.: 34f.) Auch Jonsson (2006) hat anhand eines kleineren Materials geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen untersucht. Sie hat dabei drei Artikel aus der wissenschaftlichen Zeitschrift Feministische Studien unter die Lupe genommen. Der Anteil der Beidbenennungen ist im Vergleich zu den oben erwähnten Studien hoch. Dies liegt daran, dass in gerade dieser Publikation Beidbenennung oft benutzt wird. 32 Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Maskulinum 21 Neutralform 37 Beidbenennung 42 Total 100 Tabelle 5: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in Jonsson (2006: 36); prozentuale Angaben; insgesamt 192 Vorkommen. In meiner Studie Pettersson (2009) habe ich eine vollständige Ausgabe der Feministischen Studien analysiert. Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Maskulinum 23,4 Neutralform 55,8 Beidbenennung 19,4 Femininum 1,4 Total 100 Tabelle 6: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in Pettersson (2009: 54); prozentuale Angaben; insgesamt 355 Vorkommen. Bemerkenswert ist hier der hohe Anteil an Neutralformen. Auch die Beidbenennung kommt verhältnismäßig häufig vor. Demgegenüber ist Maskulinum nicht so frequent wie in den Zeitungstexten, die Bühlmann (2002) und Demey (2002) untersucht, und in den Texten, die Castillo Diáz (2003) analysiert. Wie bei Jonsson (2006) kann man den Gebrauch von Personenbezeichnungen mit dem Handlungsbereich dieser Texte erklären: Sie sind in einer Publikation veröffentlicht, die stark auf sprachliche Sichtbarmachung von Frauen setzt und deswegen die Beidbenennung verwendet. In Pettersson (2009) habe ich einige Texte qualitativ analysiert. Dabei konnte in einem längeren Artikel der aktuellen Ausgabe der Feministischen Studien folgende Variation aufgezeigt werden: „Beidbenennungen als Realisierungen früher im Text als Maskulinum auftretender Lexeme werden erst eingeführt, wenn Frauen und Frauenrechte thematisiert werden.“ (ebd.: 61) Die Verwendung der Beidbenennung scheint somit an dieser Stelle thematisch begründet zu sein. Auch Decuyper (1995) hat geisteswissenschaftliche Zeitschriften untersucht. Sie analysiert Muttersprache, Germanistische Mitteilungen sowie Geschichte und Gesellschaft aus den Jahren 1980, 1983, 1986, 1989, 1992 und 1994 (vgl. ebd.: 42) auf die Verwendung von Personenbezeichnungen hin. Aus jeder Zeitschrift 33 lotet sie einen Artikel pro Jahrgang aus. Decuyper nimmt jedoch bei der Kategorisierung der Vorkommen keine Differenzierung nach geschlechtsübergreifenden und geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen vor. Zu den nichtsexistischen Personenbezeichnungen werden folglich sowohl Beidbenennungen als auch geschlechtsspezifisch verwendete Maskulina und Feminina gezählt. Daher kann man in Bezug auf das Verhältnis zwischen geschlechtsübergreifenden Maskulina, Neutralformen und Beidbenennungen keine Besonderheiten ableiten. Die Gesamtzahl nicht-sexistischer Personenbezeichnungen beträgt in Muttersprache 16,4 %, in Germanistische Mittelungen 22,3 % und in Geschichte und Gesellschaft 26,4 % (vgl. ebd.: 65ff.). Ausgehend von Andersson (2004), Kohlström (2000) Jonsson (2006) und Pettersson (2009) können wir zwei Beobachtungen festhalten: Erstens scheinen sich Beidbenennungen eher in feministischen Magazinen und Zeitschriften als in Tageszeitungen und sonstigen öffentlichen Medien etabliert zu haben. Dies kann man dadurch erklären, dass die feministische Sprachkritik selbst teilweise den sozialen Kontexten feministischer Publizisten und Akademiker entstammt. Zweitens haben sich einige Tendenzen zu möglichen Variationsmustern angedeutet. Die eine ist die Verwendung von Maskulina in negativer Umgebung, zum Beispiel bei Personen, die als Repräsentanten des Patriarchats dargestellt werden, die andere die thematisch motivierte Verwendung von Beidbenennungen. Diese Tendenzen dienen als Ansatzpunkte der Textanalysen in der vorliegenden Studie und regen dazu an, mögliche Variationsmuster in Hinblick auf die Verwendung geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen aufzuzeigen. Diese Ausgangspunkte werden auch in Kapitel 2 diskutiert. In diesem Zusammenhang ist auch in aller Kürze eine Textsorte zu erwähnen, die ich in diesem Buch zwar nicht untersuche, in der Regel aber eine relativ hohe Frequenz von Beidbenennungen hat: Die Stellenanzeige. Personenbezeichnungen in Stellenanzeigen erwähne ich an dieser Stelle, um den Gebrauch von Personenbezeichnungen im heutigen Deutsch unter Berücksichtigung von Genus und Sexus möglichst vollständig darzustellen. Der Grund dafür, diese Textsorte hier nicht zu untersuchen, ist folgender: In dieser Arbeit werden textinterne Variationen qualitativ analysiert, zentral ist dabei die Berücksichtigung des jeweils ganzen Textes. Wie in Kapitel 3 auszuführen ist, interessieren in erster Linie Texte mit mehreren Personenbezeichnungen, die unterschiedlich und auf verschiedene Personengruppen referieren. Anhand dieser Art von Texten lassen sich, so der Ausgangspunkt, eventuelle Muster in der Variation leichter aufspüren als anhand von Stellenanzeigen. Diese enthalten nämlich meist jeweils eine Art von Personenbezeichnung (das heißt eine Berufsbezeichnung), die auf ein und dieselbe Personengruppe (potenzielle Bewerber) Bezug nimmt. Zudem ist der Kotext in Stellenanzeigen in vielen Fällen wenig umfassend. Deswegen eignen sich für Analysen vor dem Hintergrund des ganzen Textzusammenhangs andere Textsorten besser als Stellenanzeigen. 34 Stellenanzeigen im Deutschen sind Gegenstand mehrerer empirischer Untersuchungen, beispielsweise Andersson (2005), Castillo Díaz (2003), Demey (2002), Greve et al. (2002), Hellinger (2004a) und Oldenburg (1998). An dieser Stelle wird nur die Studie von Greve et al. (2002) behandelt, und zwar aus zwei Gründen. Erstens legt sie ein umfassendes empirisches Material zugrunde, zweitens können ihre Befunde stellvertretend für die ebenfalls in den anderen Studien nachgewiesenen Tendenzen stehen. Personenbezeichnungen Nur Männer 17,59 Nur Frauen 12,47 Schrägstrich / -in 35,18 Klammer -(in) 3,46 Großes I -In 1,3 (m/ w) in Klammern 5,64 -mann/ -frau 1,09 Uneinheitlich 0,41 Besonderheiten, grammatikalisch falsch 0,75 Beide Formen ausgeschrieben 4,38 Fremdsprachen (Englisch / Französisch) 5,5 Neutralformen 11,52 Männliches Archilexem in der Berufsbezeichnung, vorher neutrale Benennung 1,4 Total 100,69 Tabelle 7: Greve et al. (2002: 157); prozentuale Angaben; insgesamt 11 369 Stellenanzeigen. 27 Greve et al. werten insgesamt 11 369 Stellenanzeigen aus unterschiedlichen Zeitungen und Zeitschriften vom Frühjahr 2000 aus (vgl. ebd.: 107f.). Drei Kategorien von Zeitungen sind in ihrer Studie repräsentiert: Überregionale Zeitungen (Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Hamburger Abendblatt), regionale Zeitungen (Neue Osnabrücker Zeitung, Westfälischer Anzeiger, Cellesche Zeitung, ON am Mittwoch, Osnabrücker Sonntagsblatt) und Fachzeitschriften (Die Bankinformation, DAZ - Deutsche Apotheker Zeitung) (vgl. ebd.) Wie man Tabelle 7 entnehmen kann, sind die Stellenanzeigen in 13 Kategorien hinsichtlich der Art der darin vorkommenden Personenbezeichnungen eingeteilt worden, von denen drei in jeweils zwei Subkategorien unterteilt (vgl. ebd.: 109). Die Kriterien der Kategorisierung sind allerdings heterogen, was 27 Entgegen der Angabe von Greve et al. beläuft sich die Gesamtzahl nicht auf 100, sondern auf 100,69 Prozent. 35 einen Überblick über die Ergebnisse und einen Vergleich einiger der Kategorien miteinander erschwert. So haben Greve et al. die unterschiedlichen Schreibweisen der Beidbenennung in unterschiedliche Kategorien sortiert, während das Lexem Angestellte eine eigene Subkategorie innerhalb der Kategorie der Neutralformen ausmacht. Die Subkategorie Angestellte ist wiederum in die drei Unterkategorien neutral, geschlechtsspezifisch und unklar unterteilt (vgl. ebd.: 157). Ohne auf Einzelheiten einzugehen, kann man aus dieser Studie ein wichtiges Ergebnis ableiten: Die häufigste der 13 Kategorien ist mit 4000 Vorkommen (35,18 %) die Schrägstrichvariante (Maskulinum plus -/ in). Dagegen kommen andere Schreibweisen der Beidbenennung äußerst selten vor. Die zweitgrößte Kategorie sind Stellenanzeigen, die sich an Nur Männer wenden. Außerdem sind Unterschiede zwischen den Zeitungskategorien beobachtbar. In der Süddeutschen Zeitung, die 46,9 % der insgesamt 11 369 Stellenanzeigen liefert, belaufen sich die Stellenanzeigen mit der Schrägstrichvariante (-/ in) auf 39,21 % der Anzeigen, während die ausschließlich für Frauen 12,09 % und die ausschließlich für Männer 13,09 % ausmachen (vgl. ebd.: 132). Über 40 % der 705 Anzeigen aus Die Zeit beinhalten die Schrägstrichvariante, während diese Kategorie in der Frankfurter Rundschau sich auf weniger als 30 % der Stellenanzeigen beläuft (vgl. ebd.: 134). In den Regionalzeitungen liegt der Anteil der geschlechtsspezifisch eingestuften Stellenanzeigen tendenziell höher als in den überregionalen Zeitungen, während die Schrägstrichvariante dort deutlich seltener als in den überregionalen Zeitungen vorkommt. Zusammenfassend können wir festhalten, dass Beidbenennungen erheblich häufiger in Stellenanzeigen als in Zeitungstexten der Tageszeitungen und Illustrierten benutzt werden. Die Erklärung dafür liegt wahrscheinlich in den gesetzlichen Regelungen der Stellenausschreibungen und in deren interpersonellem Charakter. 1.4 Zum psycholinguistischen Status von Personenbezeichnungen mit geschlechtsübergreifender Referenz In diesem Abschnitt werden Ergebnisse der experimentellen Forschung zum kognitiven Status verschiedener Realisierungstypen geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen im Deutschen dargestellt. Es ist zwar nicht das Anliegen dieser Arbeit, psycholinguistische Fragestellungen zu beantworten. Dennoch ist der psycholinguistische Blickwinkel hier aus einem Grund interessant: Mit einem Überblick über relevante psycholinguistische Befunde kann man möglicherweise zeigen, inwieweit die feministische Sprachkritik am geschlechtsübergreifenden Maskulinum gerechtfertigt ist. 36 In psycholinguistischen Untersuchungen zu Personenbezeichnungen unter Genusaspekten werden vor allem kognitive Assoziationen untersucht, die bestimmte Realisierungstypen in verschiedenen sprachlichen Kontexten bei den Sprachbenutzern hervorrufen. Solche Studien werden zum Maskulinum im Englischen schon seit den 1970er Jahren durchgeführt. Sie weisen generell darauf hin, dass maskuline Sprachformen (vor allem im Bereich der Pronomina) bei Personenreferenzen tendenziell mehr Assoziationen zu männlichen Personen als gleichgestellte Sprachformen auslösen (vgl. Braun et al. 2005: 5). Psycholinguistische Untersuchungen zu maskulinen und anderen Personenbezeichnungen im Deutschen sind Irmen und Linner (2005: 168) zufolge entweder mit expliziten Aufforderungen an Testpersonen zur Konkretisierung der mentalen Repräsentationen versehen oder sie enthalten solche Aufforderungen nicht. In Studien mit Aufforderungscharakteristik werden die Versuchspersonen mit oder ohne Verschleierung des aktuellen Untersuchungsziels dazu aufgefordert, ihre mentale Repräsentation der Personenbezeichnungen zu konkretisieren. Ein Beispiel dafür ist Heise (2000: 8): Hier wurden die Testpersonen darum gebeten, ausgehend von verschiedenen Personenbezeichnungen im Satzzusammenhang kurze Geschichten über fiktive Personen zu schreiben. Diese Personen sollten sie zudem namentlich benennen. Daran sollten sich die mentalen Repräsentationen ablesen lassen, die die jeweiligen Personenbezeichnungen in den Ausgangssätzen bei den Testpersonen evozierten. In Studien ohne Aufforderungscharakteristik werden demgegenüber mentale Repräsentationen der Probanden ohne Aufforderung zur Konkretisierung ebendieser Repräsentationen untersucht. Ein Beispiel dafür stellt Braun et al. (1998) dar. In dieser Studie wurden die Testpersonen dazu aufgefordert, den Frauenanteil in unterschiedlichen Kontexten (typisch weiblich, typisch männlich und geschlechtsneutral) und bei Verwendung unterschiedlicher Realisierungstypen zur geschlechtsübergreifenden Referenz (Maskulinum, Neutralform, Beidbenennung) einzuschätzen (vgl. ebd.: 271, 275). Auch Klein (1988), die erste psycholinguistische Studie zu Personenbezeichnungen im Deutschen unter Genus/ Sexusaspekten, gehört zu dieser Art von Studien. Irmen und Linner (2005: 170) folgern aus ihrer Durchsicht von bis dahin durchgeführten Studien, dass die feministische Sprachkritik am geschlechtsübergreifenden Maskulinum zum großen Teil berechtigt ist. Dies gilt für Studien sowohl ohne als auch mit Aufforderungscharakteristik. Allerdings - hierfür spricht auch die von Irmen und Linner nicht erwähnte Studie von Klein (1988: 319) - stellt das Genus der Personenbezeichnung nur einen von vielen Faktoren bei der Konzeptualisierung der Referenten dar: „Zusammenfassend können das Genus, die Geschlechtstypizität von Bezeichnungen, die Geschlechtstypizität des allgemeinen Kontexts sowie (unter Vorbehalt) genus-kongruente Artikel und Pronomina geschlechtsbezogene Resonanzprozesse verursachen.“ (Irmen und Linner 2005: 172) 37 Dies bedeutet unter anderem, dass geschlechtstypische Konzeptualisierungen auch von den Personenbezeichnungen selbst hervorgerufen werden können - man denke dabei zum Beispiel an eine männlich konnotierte Personenbezeichnung wie Elektriker. Auch der aktuelle sprachliche Kontext scheint eine wichtige Rolle für die mentalen Repräsentationen der Referenten zu spielen. Handelt es sich beispielsweise um einen typisch „weiblichen“ Kontext, können ausgewogene Konzeptualisierungen hervorgerufen werden, auch wenn dort das Maskulinum geschlechtsübergreifend vorkommt. Zu demselben Schluss kommen auch Braun et al. (2005: 16f.) in einer ähnlichen Durchsicht bisheriger Forschungen. Braun et al. folgern auch, dass bestimmte Vorkenntnisse bei den Sprachbenutzern den Effekt verschiedener Realisierungstypen beeinflussen können. Dies spricht gegen die Annahme, dass nicht ausgewogene Konzeptualisierungen vorwiegend an der sprachlichen Form liegen würden: „One interesting observation here is that world knowledge, in the sense of knowledge about sex distributions in a certain domain [...], or highly learned associations between linguistic forms and biological sex [...] will moderate the effects of masculine generics vs. the alternative forms. If we know from experience that a certain group of people is highly likely to be composed primarily of women, even masculine generics may automatically evoke female and not male associations.“ (ebd.: 17) Irmen und Linner (2005: 172) erwähnen den Einflussfaktor Artikel und Pronomina anlässlich der Studie von Rothermund (1998: 195). Er legt diesen Faktor auf folgende Weise aus: „Im Zusammenhang mit der Pluralform des GM [= generischen Maskulinums - M.P.] werden dagegen dieselben Wörter als Artikel und Pronomen benutzt, die auch für die Bezeichnung spezifisch weiblicher Satzsubjekte eingesetzt werden (die Studenten, sie, ihr). Möglicherweise geht das Umkippen von einer männlichen Repräsentation in der Singularform des GM zu einer weiblichen Repräsentation in der Pluralform auf die begleitend eingesetzten Artikel und Pronomina zurück, weil diese auch im Plural automatisch die Konnotationen der wortgleichen Singularformen auslösen.“ (ebd.) Zusammenfassend können wir somit annehmen, dass maskuline Personenbezeichnungen wegen ihrer referenziellen Ambiguität (geschlechtsspezifisch männlich beziehungsweise geschlechtsübergreifend) verstärkt männliche Konzeptualisierungen hervorrufen können. Zugleich scheint das Genus der Personenbezeichnung nicht der einzige Faktor zu sein. Deswegen ist die feministische Kritik am geschlechtsübergreifenden Maskulinum dahingehend zu relativieren, dass die konzeptuelle männliche Dominanz der Referenten nicht nur der maskulinen Form entstammt. Sie kann auch an anderen Formelementen und an außersprachlichen Faktoren liegen. Schwarze (2008: 236ff.) zieht ähnli- 38 che Schlussfolgerungen aus einer vergleichenden Durchsicht einiger experimenteller Studien zum psycholinguistischen Status maskuliner Sprachformen im Englischen, Deutschen und Spanischen. Diese Erkenntnis stellt zugleich eine Herausforderung der herkömmlichen sprachtheoretischen Positionen der feministischen Linguistik dar, wie zum Beispiel der linguistischen Relativitätstheorie und des radikalen Konstruktivismus. Wenn man nämlich nachweisen kann, dass nicht nur die Sprache die Konzeptualisierungen der Sprachbenutzer beeinflussen, dann kann man auch für die Existenz einer außersprachlichen Wirklichkeit und für ihre Relevanz als Einflussfaktor argumentieren. 39 2 Fragestellungen der Untersuchung Die Darstellung der Forschungslage in Kapitel 1.3 hat gezeigt, dass die meisten Studien zum Thema quantitativ ausgerichtet sind. Einige Arbeiten formulieren jedoch vereinzelte qualitative Erklärungsansätze zur Variation verschiedener Realisierungstypen in Texten. Damit haben wir einen ungefähren Eindruck zur Distribution und Verbreitung verschiedener Benennungsstrategien bei geschlechtsübergreifenden Referenzen in unterschiedlichen Textsorten und Medien geben können. Zugleich geht ein erhebliches Erkenntnisdefizit hinsichtlich der konkreten Verwendung der unterschiedlichen Realisierungstypen hervor. Es gibt nämlich eine Reihe interessanter Fragen, denen sich die bisherige Forschung kaum gewidmet hat: Wie werden die Realisierungstypen in Kombination miteinander verwendet? An welchen Textstellen und in welchen Typen von Texten treten jeweils Maskulina, Beidbenennungen und Neutralformen auf? Wie kann man die Verwendung verschiedener Realisierungstypen und die Variation zwischen ihnen im textuellen Zusammenhang in einen theoretischen Rahmen einbinden? Wie sieht das Referenznetz, das von den geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen ausgeht, im jeweiligen Text aus? Diese Arbeit ist ein Versuch, dieses Defizit zu beheben. Deswegen werde ich einige Texte mit textinterner Variation zwischen zumindest zwei der drei Realisierungstypen zur geschlechtsübergreifenden Referenz (Maskulinum, Beidbenennung und Neutralform) qualitativ beschreiben und analysieren. Das Ziel ist dabei, eventuelle Muster in der Variation aufzuspüren. Diese Arbeit dient jedoch nicht nur als Ergänzung zu den in Kapitel 1.3 erwähnten quantitativ orientierten Studien. Das Erkenntnisinteresse besteht vor allem darin, durch eine bisher ausstehende theoretische Einbindung die Verwendung geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen im Text in ihrer Komplexität zu beschreiben. Dabei stehen Muster hinsichtlich der textinternen Variation verschiedener Realisierungstypen im Vordergrund. Die theoretische Basis dieser Untersuchung besteht teils in einem Verständnis von Referenz, das für die Analyse von Personenbezeichnungen herausgearbeitet worden ist, teils in einer relevanztheoretischen Perspektive. Die Schnittstelle von ‚Sprache’ und ‚Welt’ ist dabei zentral, und ebenso zentral ist damit auch der Zusammenhang zwischen der Referenz einer Personenbezeichnung und ihrer äußeren Form. Dieser Zusammenhang ist allerdings nicht unkompliziert, denn die Feststellbarkeit der eigentlichen Referenz einer Personenbezeichnung ist in vielen Fällen problematisch. Das wird sich wiederholt in den Textanalysen zeigen. Um Probleme dieser Art auszuleuchten, bedarf es eines durchdachten Verständnisses von Referenz. Solch ein Verständnis ist in den bisher durchgeführten Studien zu Personenbezeichnungen im Deut- 40 schen unter Genus- und Sexusaspekten entweder nur andeutungsweise oder gar nicht vorhanden. Ebenso zentral ist der Versuch, textinterne Variationen zu beschreiben und zu erklären: Warum werden bestimmte Realisierungstypen eher an bestimmten Textstellen als an anderen Textstellen verwendet, wenn sich Muster feststellen lassen? Auch auf diese Frage sind bisherige Studien zum Thema kaum eingegangen. Die wichtigste zu beantwortende Frage soll auf folgende Weise formuliert werden: Lassen sich hinsichtlich der textinternen Variation verschiedener Realisierungstypen geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen Muster erkennen? Das heißt: Werden jeweils Maskulina, Neutralformen und Beidbenennungen eher an bestimmten Textstellen und mit bestimmten kommunikativen Funktionen realisiert? Diese Frage wird unter dem Aspekt der Relevanz gestellt, und zwar auf die folgende Weise: Kann man ausgehend vom Relevanzbegriff erklären, dass in bestimmten Kotexten, in bestimmten Positionen die Verwendung eines bestimmten Realisierungstyps relevanter ist als die Verwendung eines anderen? Als Ausgangspunkt dieser zentralen Fragestellung dienen dabei die von Andersson (2004), Castillo Díaz (2003), Kohlström (2000) und Pettersson (2009) nachgewiesenen Tendenzen. Diese Tendenzen verstehe ich als Konkretisierungen und Teilaspekte der übergreifenden Fragestellung dieser Arbeit. Es handelt sich dabei um die von Andersson (2004) festgestellte Tendenz, dass Personen, die zum Beispiel thematisch oder hinsichtlich der Sendereinstellung zentral sind, häufiger mit Beidbenennung bezeichnet werden. Castillo Díaz (2003) weist ihrerseits nach, dass Maskulina besonders häufig bei negativ assoziierten Personenbezeichnungen vorzukommen scheinen. Kohlström (2000) stellt an einigen Texten fest, dass Maskulina besonders häufig zur Bezeichnung von Personen benutzt werden, die zugleich als Repräsentanten des Patriarchats dargestellt werden. Schließlich habe ich in Pettersson (2009) anhand einer kleineren Materialauswahl die Beobachtung angestellt, dass Beidbenennungen bei geschlechtsübergreifenden Referenzen benutzt werden, bei denen Frauen thematisch zentral sind. In Stellenanzeigen kommen Beidbenennungen relativ häufig vor. Dieser Texttyp wird hier nicht analysiert. Aber auch die in dieser Arbeit herangezogenen Quellentexte werden auf den sozialen Aspekt hin befragt: Wie kann man die Variation unterschiedlicher Realisierungstypen der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnung vor dem Hintergrund der Herstellung einer sozialen Beziehung zwischen dem Absender einer sprachlichen Mitteilung und dem Empfänger erfassen? Diese Frage ist dann aktuell, wenn die Texte auf die gedachten Leser Bezug nehmen. Diese Untersuchung ist qualitativ und erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität oder Exhaustivität. Die einzelnen Textanalysen stehen für sich und die in den Analysekapiteln beschriebenen Variationstypen sind dann als Mus- 41 ter zu verstehen, wenn man sie zumindest zwei Mal in jeweils zwei unterschiedlichen Texten feststellen kann. Eine vollständige quantitative Beschreibung aller geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen in den Quellentexten wird aus diesem Grund nicht angestrebt. Trotz des qualitativen Ansatzes verfahre ich jedoch durchgehend quantitativ, um die Anzahl der Personenbezeichnungen in längeren Texten übersichtlich wiedergeben zu können. Die quantitativen Angaben dienen dabei der qualitativen Analyse. Sämtliche Quellentexte werden systematisch durchgegangen, um zu überprüfen, ob sich Variationsmuster erkennen lassen. Dabei wird allerdings nur eine begrenzte Auswahl dieser Texte in den nachfolgenden Analysen präsentiert und ausführlich behandelt, und zwar nur solche, in denen die Variationsmuster realisiert werden. Diese Muster stellen die Themen der Analysekapiteln 5 und 6 dar. Die Analysen der Quellentexte basieren sich teilweise auf den oben erwähnten Variationstendenzen vorgenommen werden. Dies bedeutet, dass sich mit anderen Ausgangspunkten möglicherweise andersartige Muster hätten erkennen lassen. Des Weiteren hätten sich möglicherweise anhand anderer Quellentexte andere Muster ergeben. Mein Ziel ist somit nicht, die Verwendung geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen im Deutschen vollständig zu beschreiben. Diese Arbeit sollte vor allem als ein erster Versuch verstanden werden, etwas Systematik in einen weitgehend unerforschten Bereich zu bringen. 43 3 Quellentexte Die Quellentexte sind manuell zusammengestellt worden. Entscheidend für die Zusammenstellung war vor allem das zentrale Anliegen dieser Arbeit, die Variation zwischen verschiedenen Realisierungstypen zu beschreiben. Maskulinformen aber auch Neutralformen kommen allgemein häufiger als Beidbenennungen vor. Deswegen habe ich gezielt nach schriftlichen Texten gesucht, die erwartungsgemäß Beidbenennungen enthalten. Denn nur so konnten Texte gefunden werden, in denen Variation vorherrscht. 28 Zur engeren Textauswahl diente folgendes Kriterium: Es mussten in jedem individuellen Text Personenbezeichnungen verschiedener Art vorkommen, das heißt mindestens eine Beidbenennung und eine Personenbezeichnung anderer Art. Dies bedeutet zugleich, dass mehrere Kategorien von Texten von vornherein überhaupt nicht in Frage kommen konnten. Das betrifft alle: (a) Texte ohne Beidbenennungen; (b) Texte, die nur Beidbenennungen beinhalten; (c) Texte ohne geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen. Unter (a) sind beispielsweise Texte zu verstehen, die durchgehend Neutralformen oder Maskulina verwenden. In diese Kategorie gehören auch Texte, die diese beiden Realisierungstypen zugleich enthalten. Viele der Zeitungstexte, die Bühlmann (2002) und Demey (2002) untersucht haben, sind wahrscheinlich dieser Kategorie zuzurechnen. Hierher gehören auch Texte mit durchgehender Verwendung des geschlechtsübergreifenden Femininums. Solche Texte dürften allerdings sehr selten vorkommen, zumal bisherige Studien mit Ausnahme von Pettersson (2009) geschlechtsübergreifendes Femininum nicht festgestellt haben. Textkategorie (b) kommt am ehesten in feministisch geprägten Publikationen vor. Im feministischen Magazin Emma und in der akademischen Zeitschrift Feministische Studien (siehe unten) sind solche Texte vorzufinden. Diese sind aber nicht mit einbezogen. Den durchgehenden Gebrauch von Beidbenennungen kann man wahrscheinlich auch in legislativen und behördlichen Texten finden, die politisch begründeten Sprachregelungen unterworfen sind. Textkategorie (c) begrenzt sich im Unterschied zu (b) nicht auf bestimmte gesellschaftliche Handlungsbereiche, sondern findet sich an den verschiedensten Orten. Auch in den Publikationen, denen die Quellentexte in dieser Arbeit ent- 28 Die analysierten Texte werden Quellentexte genannt, weil sie die Quellen der diskutierten Befunde sind. Demgegenüber werden sie nicht als Korpus verstanden, da ein Korpus ein größeres Maß an Systematizität als das hier Vorhandene zumindest impliziert. Vgl. hierzu die Definition von Korpus bei Lemnitzer und Zinsmeister (2006: 7). 44 nommen sind, kommen Texte ohne geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen vor. Sie sind allerdings nicht mit einbezogen worden, da sie aus dem Rahmen der Thematik fallen. Das entscheidende Kriterium bei der Textauswahl führt dazu, dass eine begrenzte Menge von Texten überhaupt in Frage kommen kann. Repräsentativität - etwa ausgehend von allen deutschsprachigen Texten eines bestimmten Zeitraumes - spielt somit keine Rolle in diesem Buch. Wie schon in Kapitel 2 ausgeführt wurde, werden hier qualitative Textanalysen durchgeführt, die für sich stehen. Dennoch wurde angestrebt, in diesem Rahmen Texte aus unterschiedlichen Medien und Publikationsforen sowie aus verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten auszuwählen. Erstens wurden aus diesem Grund Texte aus einem ausgesprochen feministischen Kontext ausgewählt. Dort ist nämliche die erwartbare Frequenz an Beidbenennungen hoch. Drei Ausgaben des führenden feministischen Magazins Emma wurden deswegen ausgewählt (vgl. Kohlström 2000). Für die Ausgaben (1/ 2004, 2/ 2004, 3/ 2004) stehen Folgenden die Siegel Emma1, Emma2 und Emma3. In Emma findet ein bewusster Umgang mit Benennungen von Frauen und Männern statt, wie Kohlström zeigt. Der sprachliche Aspekt von Gleichstellung und Feminismus stellt seit den 1970er Jahren ein zentrales Thema der deutschen Frauenbewegung und des deutschen Feminismus dar. Aus demselben Grund wird das Informationsblatt „Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien. Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin“ (2007) analysiert (kurz: ZtG). Auch diesen Text kann man als feministisch bezeichnen, indem er über ein wissenschaftliches Institut mit feministischem und gendertheoretischem Profil informiert. In diesem Text findet sich auch der relativ neue Realisierungstyp Unterstrichvariante (Forscher_innen) (siehe Kapitel 6.2.2.3). Zweitens wurden Texte mit Themen wie Feminismus, Gleichstellung und Geschlechterrollen ausgewählt. Dazu gehört der Text „Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ (2007) (kurz: Aktionsplan). 29 Er ist nicht explizit feministisch artikuliert, jedoch hat er ein für den feministischen Diskurs zentrales Thema zum Gegenstand. Da dieser Text das Thema Gewalt gegen Frauen behandelt, kann man viele (auch geschlechtsübergreifende) Personenbezeichnungen erwarten. Aus demselben Grund sind zwei Ausgaben des Queermagazins Siegessäule (2/ 2006, 9/ 2006) einbezogen worden (kurz: Siegessäule2, Siegessäule9). In einem Magazin mit Themen wie Homosexualität und Queer ist eine gewisse sprachliche Sensibilität gegenüber Sexus und Genus zu erwarten. 29 Unter folgender Internetadresse verfügbar: http: / / www.bmfsfj.de (überprüft am 9.5.2009). Dieser Text ist von der deutschen Bundesregierung herausgegeben worden; durch dessen Hinzuziehung kann auch ein öffentlicher, behördlicher Text auf die Verwendung geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen hin ausgewertet werden. Siehe hierzu Kapitel 6.2.2.2. 45 Drittens wurden Texte aus dem universitären Bereich oder der Universität nahe stehenden Bereichen herangezogen, da sich hier gleichstellende Sprachformen zum Teil etabliert zu haben scheinen. Der Informationsprospekt „Informationen für internationale Austauschstudenten und Austauschstudentinnen“ (2003) der Technischen Universität Berlin (kurz TU) gehört zu dieser Kategorie. Zwei Ausgaben der Universitätszeitung der Ruhr-Universität Bochum Rubens (113: Februar 2007 und 116: Juni 2007) (kurz: Rubens113, Rubens116) und fünf Ausgaben der Bochumer Stadt- & Studierenden-Zeitung (kurz: bsz700, bsz701, bsz703, bsz717, bsz722) sowie das Uni-Magazin 1/ 2007 und 2/ 2007 (Uni-Mag1 und Uni-Mag2) sind ebenfalls ausgewählt worden, um noch andere Texte mit einzubeziehen, die dem akademischen Bereich nahe stehen. 30 Auch ZtG (siehe oben) kann man zu dieser Textkategorie zählen. Als Kontrast zu den bereits genannten Texten sind auch einige Beispiele aus öffentlichen Medien herangezogen worden. Sie sind der Tageszeitung Tagesspiegel (vom 7. April 2006, kurz: Tagesspiegel), dem Magazin für Jugendliche Neon (Januar 2006, kurz: Neon) sowie der Frauenillustrierten Brigitte (12/ 2008, kurz: Brigitte) entnommen. Zum Quellenmaterial gehören zudem zwei Ausgaben der links orientierten tageszeitung (vom 1./ 2. April 2006, 3. April 2006) (kurz: taz1 und taz2) als Analysematerial herangezogen worden, da diese, soweit bekannt, als einzige Tageszeitung in Deutschland in den 1980er Jahren die Binnen-I-Variante zu verwenden begonnen hatte, nunmehr jedoch ihre Autoren selbst entscheiden lässt, welchen Realisierungstyp sie benutzen (vgl. Ludwig 1989: 81, Samel 2000: 77f.). Zudem werde ich in den Analysekapiteln 5 und 6 gelegentlich vereinzelte Beispiele aus belletristischen Texten und Sachbüchern anführen. 31 In dem Dissertationsprojekt, in dessen Rahmen diese Arbeit entstanden ist, habe ich auch Texte aus der akademischen Zeitschrift Feministische Studien (1/ 2003 und 2/ 2003) analysiert. Diese Analysen habe ich in den Artikeln Pettersson (2007) und Pettersson (2009) veröffentlicht. 30 Die Erklärung für die begrenzte Systematizität in der Auswahl von Ausgaben der Rubens und bsz besteht darin, dass vorhandene, ausliegende Ausgaben zu einem bestimmten Zeitpunkt (Juni 2007) im Campusbereich der Ruhr-Universität Bochum manuell eingesammelt wurden. Dasselbe gilt für die Ausgaben von Siegessäule, die 2006 in Berlin eingesammelt wurden. 31 Diese Texte sind keiner systematischen Studie auf geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen hin unterzogen worden, sondern sind dem Verfasser dieser Studie zufällig bei der Lektüre dieser Texte begegnet. 47 4 Theoretische und methodische Ausgangspunkte In diesem Kapitel beschreibe ich die theoretischen und methodischen Ansätze der Arbeit. Die Beziehung zwischen Sprache und Welt steht im Vordergrund des ersten Teilkapitels (4.1). Daran anschließend wird im zweiten Teilkapitel (4.2) der Zusammenhang von Referenz, Zeichen und Bedeutung dargestellt. Das dritte Teilkapitel (4.3) erläutert die textanalytischen Methoden und die ihnen zu Grunde liegenden theoretischen Positionen. Das Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung. 4.1 Sprache und Welt - erkenntnistheoretische Ausgangspunkte 4.1.1 Vorbemerkung Die Beziehung zwischen Sprache und Welt stellt ein zentrales sprachphilosophisches und erkenntnistheoretisches Thema dar: „Sprachphilosophische Betrachtungen in der Wissenschaftstheorie kreisen im allgemeinen um die Frage ‚Wie bezieht sich Sprache auf Welt? ’ [...] Dies ist, so könnte man sagen, die erste ‚Hauptfrage’ der Sprachphilosophie.“ (Mühlhölzer 1996: 1418). 32 Diese Diskussion ist hier aus dem folgenden Grund relevant: Wenn referenzlinguistische Fragestellungen im Vordergrund stehen, wie in diesem Buch, ist auch die Beziehung von sprachlicher Benennung und benanntem Objekt zentral. Wie bereits im Kapitel 1 ausgeführt wurde, soll der Frage nachgegangen werden, wie mit Personenbezeichnungen auf Personen beider Geschlechtergruppen Bezug genommen wird. Wie kann man die Variation unterschiedlicher Realisierungstypen der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen (Maskulina, Beidbenennungen, Neutralformen) vor dem Hintergrund ihrer aktuellen Referenz im Textzusammenhang erfassen? Im Mittelpunkt der Analyse steht damit die Darstellung des Verhältnisses zwischen bestimmten sprachlichen Kategorien (verschiedenen Typen von Personenbezeichnungen) und bestimmten Objektkategorien (Personen, auf die die Personenbezeichnungen referieren). Wir können dies so formulieren, dass die Personenbezeichnungen die ‚Sprache’ und die Personen die ‚Welt’ darstellen. 32 Vgl. dazu Prechtl (1999: 9ff.) und Collin und Guldmann (2000: 249f.). 48 Demzufolge wird es im Folgenden um den ontologischen Status der Kategorie ‚Welt’ gehen, spezifisch: Um den ontologischen Status und die Beschaffenheit derjenigen Personen, auf welche die analysierten Personenbezeichnungen Bezug nehmen. Existieren diese Personen subjektiv und abhängig von der menschlichen Wahrnehmung und Sprache oder objektiv und unabhängig von derselben? Inwieweit ergeben sich personenbezogene Differenzierungen aus der Beschaffenheit der Welt selbst und inwieweit rühren solche Differenzierungen von Konstruktionen durch die Menschen her? Die Diskussion um die Sprache und deren Beziehung zur Existenzform der Dinge in der Welt geht auf Platons Kratylos-Dialog 33 zurück und hat sich unter anderem im mittelalterlichen Universalienstreit manifestiert (vgl. Prechtl 1999: 5, 11ff.) Man kann sie auch als eine Kontroverse zwischen realistischen und antirealistischen (auch: idealistischen) Positionen verstehen (vgl. Brock und Mares 2007: 1). 34 Zum Realismus gehören traditionsgemäß die Auffassungen, dass einem bestimmten Wirklichkeitsbereich typische Entitäten oder Dinge eigen sind, sowie dass diese unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung existieren. Man betrachtet diese Dinge demnach als natürlich, sprachlich erfassbar, jedoch nicht als durch die Sprache selbst konstruiert. Zum antirealistischen Gedankengut (dem Idealismus und, im Universalienstreit, dem Nominalismus) gehört demgegenüber die Auffassung, dass die Welt nur in Abhängigkeit der menschlichen Wahrnehmung und/ oder der Sprache existieren kann (vgl. Brock und Mares 2007: 4f.). Mit dem ontologischen Status der Welt hängt auch die Frage nach dem epistemologischen Status der Sprache zusammen: Inwieweit vermag man mittels Sprache die ‚Welt’ zu erfassen, inwieweit lässt sich die ‚Welt’ durch Sprache repräsentieren? Ziel der folgenden Überlegungen ist somit eine Beschreibung der erkenntnistheoretischen Ausgangspunkte der vorliegenden Untersuchung, spezifisch bezogen auf geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen und die damit benannten Personen. Diese Fragen sind auch für die Überlegungen in den nachfolgenden Teilabschnitten des Kapitels 4 von Relevanz, da sie darauf aufbauen. Es geht allerdings nicht darum, sprachtheoretische Positionen in ihrer Vollständigkeit darzustellen, sie zu beweisen oder zu widerlegen, sondern darum, die Ausgangspunkte der Analysen zu beschreiben. Noch ein Grund spricht dafür, die sprach- und erkenntnistheoretischen Grundlagen darzustellen, nämlich der Aufschwung des Sozialkonstruktivismus. Dieser ist vor allem im Bereich der Cultural Studies und Genderstudien einflussreich geworden. Im so genannten linguistic turn und im Sozialkonstruktivismus wird das Konzept einer außersprachlichen Wirklichkeit (vgl. Burr 1995: 33 Vgl. hierzu Kapitel 4.1.2. 34 Im Universalienstreit stand vor allem zur Debatte, welchen Status Universalien haben, ob sie in der äußeren Wirklichkeit existieren (Realismus), Resultate kognitiver Prozesse sind (Konzeptualismus) oder bloß an die Wörter der menschlichen Sprache (Nominalismus) gebunden sind. 49 5ff.) kritisch hinterfragt bis verworfen. Auch die Vorstellung einer Trennbarkeit von Sprache und Welt wird kritisiert, und damit auch die Vorstellung sprachlicher Referenz. Stattdessen sehen viele Vertreter des linguistic turn die Sprache selbst als die Instanz, die ‚Wirklichkeit’ konstruiert. In einem sprachwissenschaftlichen Kontext sind die Arbeiten von Hornscheidt (2006, 2008) zentral. Sie formuliert darin ein alternatives Modell zur Analyse von Sprache und Geschlecht. Sie stützt sich auf Butler (1991, 1993) und nimmt keine objektiv existierende Wirklichkeit an, sondern vertritt die Auffassung, dass die Welt und damit auch Geschlechterkategorien wie ‚Mann‘ und ‚Frau‘ erst durch wiederholte Sprachhandlungen, so genannte Performanzen, entstehen. Sie baut ihre Argumentation zum Teil auf folgender Kritik an referenzlinguistischen Ansätzen auf: „Die in der Linguistik übliche Begrifflichkeit der Referenz tradiert und reproduziert die Auffassung einer objekthaften Vorgängigkeit der Welt vor der sprachlichen Benennung. Zugleich liegt dem Begriff ‚Referenz’ das konventionalisierte Konzept der Einseitigkeit der Herstellung einer zeichenhaften Beziehung zu einem außersprachlichen Objekt durch die Sprechenden zu Grunde. In der vor allem linguistischen Forschung zu Personenreferenzen kommt ein Grundkonzept humanistischer Welt- und Wirklichkeitsvorstellung zum Ausdruck, in der der Zusammenhang von Sprache, Welt und Wirklichkeit auf eine sprachliche Abbildfunktion reduziert wird.“ (Hornscheidt 2006: 54f.) Wie aber unten (4.1.2) noch zu zeigen ist, stimmt dies nicht. Referenzlinguistische Ansätze generell reduzieren nicht die Sprache auf die Abbildfunktion. Entgegen Hornscheidts Annahme sind referenzlinguistische Ausgangspunkte mit der Erkenntnis vereinbar, dass Sprache zur Wirklichkeitskonstruktion beiträgt und dass sprachliche Bedeutungen dynamische Größen sind. Das meines Erachtens Problematischste an Hornscheidts und Butlers Position ist jedoch folgender Punkt: Wenn man keine objektive Wirklichkeit vor und außerhalb der Sprache annimmt, dann kann uns die Sprache nie darüber Auskunft geben, was ontologisch wahr oder falsch ist. Dies führt zum Relativismus. „But the idea that there is one version of events that is true (making all others false) is also in direct opposition to the central idea of social constructionism, i.e. that there exists no ‚truth’ but only numerous constructions of the world, and which ones receive the stamp of ‚truth’ depends upon culturally and historically specific factors. This is what is called ‚relativism’ - there exist only numerous versions of events, all of which must theoretically be accorded equal status and value.“ (Burr 1995: 81) 50 Der Relativismus ist allerdings unhaltbar, da er in ein logisches Paradoxon mündet. Dies zeigen unter anderen Baghramian (2004: 303f.), Boghossian (2006: 56) und Kukla (2000): „The root problem is that you can’t simply say that relativism is true (or warranted), because relativism entails the principle that nothing is true (or warranted) tout court. Absolute relativism tries to cope with the problem by weakening the relativistic thesis - specifically by conceding that relativism allows that some things are true. Relativistic relativism tries to cope with the problem by weakening the epistemic status of the thesis - specifically, by moving from ‚relativism is true’ to ‚relativism is true relative to P’. Both these strategies fail. Relativistic relativism fails because it’s inexpressible; and absolute relativism fails because it isn’t relativism any more - it’s not even relativistic enough to be of any use to constructivists.” (ebd.: 134) Kukla konstatiert auch, dass der Relativismus und der Sozialkonstruktivismus nicht gleichzusetzen sind, wohl aber dass „strong constructivism [...] becomes utterly untenable unless it’s bolstered by ontological relativism“ (ebd.: 125). In diesem Buch wird keine radikal konstruktivistische Perspektive angenommen. Dies liegt vor allem daran, dass sie zu einem unhaltbaren ontologischen und erkenntnistheoretischen Relativismus führt. Stattdessen wird hier ein realistischer Standpunkt zu Grunde gelegt. 4.1.2 Ein realistischer Ansatz als Grundlage Im Weiteren wird davon ausgegangen, dass man durch Sprachgebrauch allgemein und spezifisch durch Personenbezeichnungen Bedeutungen und Vorstellungen herstellt. Diese Bedeutungen und Vorstellungen sind als sozial und kognitiv konstruiert anzusehen, da sie nicht naturgegeben sind und schließlich von Menschen geschaffen werden. So werden auch die analysierten Texte als sozial konstruierte, sinnträchtige Gegenstände aufgefasst. Diese Texte sind in bestimmten sozialen Kontexten und zu bestimmten Zwecken entstanden (vgl. Busse 1992: 16). Sie werden als Mittel zur Kommunikation betrachtet. Als Ausgangspunkt dient zugleich die Position, dass bestimmte Bereiche der Welt oder Wirklichkeit grundsätzlich unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung („mind-independence“) (Brock und Mares 2007: 4) und damit außerhalb sprachlicher Diskurse existieren. Die These, dass die Welt nicht abhängig von der Sprache existiert, hat schon Platon (1990) auf folgende Weise im Kratylos-Dialog formuliert: „Sokrates: Wenn also die Wörter in Streit geraten und die einen sagen, sie selbst wären die der Wahrheit ähnlichen, die anderen aber, sie, wodurch sollen wir es nun entscheiden oder mit Rücksicht worauf? Doch wohl nicht 51 wieder auf andere Wörter als diese? Denn es gibt ja keine. Sondern offenbar muß etwas anderes aufgesucht werden als Worte, was uns ohne Worte offenbaren kann, welche von diesen die richtigsten sind, indem es uns nämlich das Wesen der Dinge zeigt. Kratylos: Das dünkt mich auch. Sokrates: Es ist also doch möglich, wie es scheint, Kratylos, die Dinge kennenzulernen ohne Hilfe der Worte, wenn sich dies so verhält.“ (ebd.: 567) Auch in diesem Buch unterschieden wir zwischen Sprache und Welt, oder spezifisch: Zwischen Personenbezeichnung und Person. Eine realistische Sichtweise setzt jedoch nicht die Auffassung voraus, dass jedes Element der Welt wahrnehmungsunabhängig existieren würde (vgl. Brock und Mares 2007: 39, Hacking 2002: 19, Kukla 2000: 7ff., Searle 1995: 153ff.). Die Annahme sozial oder diskursiv konstruierter Fakten und Ereignisse ist mit einer erkenntnistheoretisch realistischen Position vereinbar. 35 Übertragen auf diese Studie bedeutet diese Erkenntnis Folgendes: Die durch Personenbezeichnungen und andere sprachliche Mittel transportierten, sozial konstruierten Aussagen über Personen (Zuschreibungen) sind mit den Personen selbst nicht identisch. Die Referenten hinter den analysierten Personenbezeichnungen existieren in diesem Verständnis unabhängig von ihren sprachlichen Repräsentationen. Searle (1995) kombiniert die Annahme einer objektiv existierenden und von der Wahrnehmung unabhängigen Realität mit der Annahme sozial konstruierter Ereignisse. Dies bildet den Ausgangspunkt seines Ansatzes. Deswegen können Searles Überlegungen hier als erkenntnistheoretische Grundlage dienen. Er baut seinen Ansatz auf drei zentralen Begriffspaaren auf, die im Folgenden auf den Untersuchungsgegenstand dieser Studie appliziert werden sollen. Erstens unterscheidet er ontologische Subjektivität von ontologischer Objektivität. Er weist darauf hin, dass das Gefühl Schmerz ontologisch subjektiv ist, weil es von der subjektiven Wahrnehmung eines Individuums abhängt. Berge sind demgegnüber ontologisch objektiv, „because their mode of existence is independent of any perceiver or any mental state.“ (ebd.: 8) Das Begriffspaar Subjektivität/ Objektivität wendet Searle des Weiteren auf die Epistemologie an. Er versteht epistemologisch objektive Aussagen auf die folgende Weise: „For such objective judgements, the facts in the world that make them true or false are independent of anybody’s attitudes or feelings about them.” (ebd.) Epistemologisch subjektive Aussagen zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass man deren Wahrheitswert nicht objektiv bestimmen kann. Übertragen auf die vorliegende Arbeit bedeutet dies, dass die durch die analysierten Personenbezeichnungen sprachlich erfassten Personen in der Regel ontologisch objektiv 35 Ebenso wenig folgt unbedingt aus einer sozialkonstruktivistischen Position die Annahme der Konstruiertheit sämtlicher Tatsachen. Sozialkonstruktivistische Ansätze zeigen eine breite Palette an Annahmen über das Wesen der Konstruiertheit und deren Bezug zur Realität auf - sofern diese überhaupt anerkannt wird. (Vgl. Kukla 2000: 7ff.) 52 existieren. 36 Wir können aber nicht notwendigerweise epistemologisch objektive Aussagen über diese Personen anhand der analysierten Texte vornehmen. Searle geht noch einen Schritt weiter. Er behauptet nämlich, der ontologische Realismus sei eigentlich nicht eine These darüber, wie die Welt beschaffen ist. Stattdessen ist sie die Annahme, dass die Welt überhaupt jenseits menschlicher Wahrnehmung existiert: „Realism is the view that there is a way that things are that is logically independent of all human representations. Realism does not say how things are but only that there is a way that they are.“ (ebd.: 155) Aus diesem Grunde stellen auch die dem Sozialkonstruktivismus zugrunde liegenden Einwände gegen den erkenntnistheoretischen Realismus keine ernsthafte Herausforderung für den Realismus dar. Diese Einwände sind vor allem folgende: Wissen ist immer sozial situiert; die Welt wird immer mittels konzeptueller Schemata erfasst; Menschen können sich nur auf das in der eigenen Wahrnehmung Vorhandene verlassen. Auch wenn diesen Argumenten bezüglich ihrer Gültigkeit auf einer epistemologischen Ebene teilweise zustimmen kann, so steht fest, dass sie nicht notwendigerweise für die Ontologie zutreffen müssen: „In short, it is only from a point of view that we represent reality, but ontologically objective reality does not have a point of view.“ (ebd.: 176) Zweitens unterscheidet Searle zwischen intrinsischen und beobachterabhängigen Merkmalen von Objekten in der Welt (vgl. ebd. 9ff.). Erstere zeichnen sich dadurch aus, dass sie unabhängig von menschlicher Agentivität existieren können und ontologisch objektiv sind. Hierher gehören naturgegebene Merkmale wie Masse und Zusammensetzung von Molekülen und Materialien von Gegenständen. Beobachterabhängige Merkmale zeichnen sich dadurch aus, dass sie nur in der menschlichen Wahrnehmung existieren und somit ontologisch subjektiv sind: „It is, for example, an intrinsic feature of the object in front of me that it has a certain mass and a certain chemical composition. [...] But it is also true to say of the very same object that it is a screwdriver. When I describe it as a screwdriver, I am specifying a feature of the object that is observer or user relative.“ (ebd.: 9f.) Dieses Begriffspaar spielt hier folgende zentrale Rolle: Diejenigen Personen, auf die die analysierten Personenbezeichnungen Bezug nehmen, zeichnen sich durch intrinsische Merkmale hinsichtlich der biologischen Beschaffenheit ihrer Körper aus. Wir gehen mithin davon aus, dass man in der Regel diese Personen der einen oder anderen der beiden Geschlechterkategorien ‚Frau’ oder ‚Mann’ zuordnen kann. Diese Vorstellung ist in der Queertheorie eingehend kritisiert 36 Das heißt, falls diese Personenbezeichnungen nicht auf fiktive Personen oder Vorstellungen von Personen Bezug nehmen. 53 worden (vgl. Butler 1993, Hornscheidt 2006). Das Festhalten an diesem so genannten Zweigeschlechtsmodell kann man aber durch neurobiologische Beweise für die körperlichen Unterschiede zwischen Frauen und Männern begründen (vgl. Dahlström 2007: 63ff.). Damit soll nicht geleugnet werden, dass man bei Transpersonen das biologische Geschlecht nicht immer eindeutig bestimmen kann. Zudem sind bei den kognitiven Unterschieden zwischen Frauen und Männern etliche Überlappungen vorhanden. Diese Tatsachen stellen das Zweigeschlechtsmodell an sich jedoch nicht prinzipiell in Frage, denn tendenziell haben die meisten Personen eindeutige Merkmale des einen oder anderen biologischen Geschlechts (vgl. Kimura 2001: 17f.). Dabei haben etliche Forscher, allen voran Laqueur (1994) in seinem historischen Exposé, darauf hingewiesen, dass je nach historischem, kulturellem und sozialem Kontext unterschiedlich über Geschlecht gedacht werden kann. Laqueur zeigt auch, wie verschiedenartig Geschlechtsidentitäten eingeteilt werden können. Wichtig für die vorliegende Studie ist aber die Erkenntnis, dass naturgegebene und objektive biologische Merkmale (intrinsic features) die Basis der Geschlechtseinteilung an sich bilden, nicht die diskursive Praxis. 37 Nach dieser Sichtweise können die untersuchten Texte bestimmte Vorstellungen über die dort bezeichneten Personen herstellen. Diese Vorstellungen können, wenn sie mit dem Gender (der sozialen Geschlechterrolle) zu tun haben, zum Gender beitragen oder es destabilisieren usw. Die soziale Kategorie Gender beeinflusst jedoch nicht die intrinsischen biologischen Merkmale des Körpers an sich. Drittens unterscheidet Searle (1995) zwischen „brute and institutional facts“ (ebd.: 27). Brute facts ähneln insofern intrinsischen Merkmalen, als sie naturgegeben sind. Sie gehören beispielsweise in den Bereich der Biologie und Physik gehören. Dagegen können institutional facts an sich immer nur in Abhängigkeit von der menschlichen Kultur existieren. Institutional facts können somit in ihrer Existenz ontologisch objektiv sein und sich durch intrinsische Merkmale auszeichnen. Voraussetzung ihrer bloßen Existenz sind jedoch ausschließlich Handlungen durch Menschen: „Brute facts exist independently of any human institutions; institutional facts can exist only within human institutions. Brute facts require the institution of language in order that we can state the facts, but the brute facts themselves exist quite independently of language or of any other institution.“ (ebd.) Entsprechend der Einstufung der Referenten (Personen) hinter den analysierten Personenbezeichnungen als Besitzer von intrinsic features sind deren geschlechtlich-körperliche Eigenschaften auch als brute facts zu verstehen. Diese 37 Zu einer feministischen Kritik an der sozialkonstruktivistischen Auffassung von Geschlecht bei Butler, siehe Landweer (1994: 166), die Butlers Diskursontologie des Geschlechts kritisiert und zu den kulturell abhängigen Geschlechterkonzeptionen auch leibliche Prozesse hinzufügt (Landweer 1994: 167). 54 biologischen Eigenschaften sind nicht die Resultate institutioneller Handlungen oder diskursiver Praktiken, sondern sie sind biologische Realitäten. Welche sonstige Eigenschaften diesen Personen in den Texten zugeschrieben werden, das kann je nach Art der Zuschreibung ontologisch objektiv oder subjektiv sein. Es kann sich um brute facts oder institutional facts, beobachterabhängige oder intrinsische Merkmale handeln. Wie Searles Ausführungen zeigen, kann man eine realistische Auffassung mit dem Standpunkt kombinieren, dass bestimmte Tatsachen sozial und sprachlich konstruiert sind. Wendet man wie Searle die Distinktion objektiv/ subjektiv getrennt auf die Ontologie und Epistemologie an, so kann man dies auf folgende Weise veranschaulichen: Aus der Annahme, dass die Realität teilweise ontologisch objektiv existiert, folgt nicht, dass man für jeden Teil dieser Realität epistemologisch objektive Aussagen machen kann. Aus dieser Tatsache wiederum folgt nicht der Umkehrschluss, dass die Ontologie an sich subjektiv ist. Dementsprechend wird hier die so genannte insecurity thesis geteilt, dass ontologisch objektive Tatsachen nicht notwendigerweise epistemologisch zugänglich sind: „It is possible to be in ignorance or error about the domain we are realists about. In order to avoid such mistakes, one must make appropriate contact with the domain in question, and there is no guarantee that anyone will succeed in doing that.” (Brock und Mares 2007: 6) Auf diese Weise können wir die zwei Grundsätze des Realismus - ein bestimmter Wirklichkeitsbereich trägt bestimmte typische Eigenschaften und existiert zudem unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung - mit der These ergänzen, dass man nicht notwendigerweise alles über diesen Wirklichkeitsbereich erfahren kann. Durch die insecurity thesis lässt sich somit die auch von Searle (1995: 8) behauptete Trennung von Ontologie und Epistemologie verdeutlichen. Angewandt auf die Textanalysen in dieser Arbeit trägt die insecurity thesis dem folgenden Umstand Rechnung: Nicht in jedem einzelnen Fall wird es möglich sein, mittels der Textanalyse die genaue Referenz der Personenbezeichnung bloßzulegen. Zur Referenz gehört auch die geschlechtliche Zusammensetzung der Gruppe der Referenten. Diese epistemologische Unsicherheit beeinflusst jedoch nicht den ontologischen Status der Referenten an sich. Wenn man diese Erkenntnis auf die Analysen von Personenbezeichnungen anwendet, bedeutet sie Folgendes: Die tatsächliche Referenz bestimmter Personenbezeichnungen lässt sich am Text nicht festmachen, wenn im Text diesbezügliche Verweise fehlen. 55 4.2 Referenzsemantische Ausgangspunkte 4.2.1 Personenbezeichnungen und Referenz Vater (2005) versteht Referenz als den „Bezug der Sprache auf die Welt“ (ebd.: 11). Auf diese Weise ließe sich ein allgemeines Verständnis von Referenz in der Sprachwissenschaft kurz zusammenfassen. Wichtig bei Referenztheorien im Allgemeinen ist die Annahme einer außersprachlichen Wirklichkeit. Wie aber der Bezug zur Wirklickeit aussieht, dazu liegt eine Vielfalt an Positionen vor. Im Folgenden wenden wir uns Frege (1967) zu. Er hat ein Verständnis von Referenz formuliert, das den erkenntnistheoretischen Ausgangspunkten dieser Arbeit Rechnung trägt. Zudem setzt er den Informationswert einer sprachlichen Mitteilung nicht mit dem Referenten gleich und er reduziert nicht die Funktion der Sprache auf Abbildung. Frege unterscheidet zwischen Sinn und Bedeutung, wobei er dem Referenten des sprachlichen Zeichens den Terminus Bedeutung zuschreibt. Folglich ist Bedeutung in der Fregeschen Terminologie der Referent in der außersprachlichen Welt. 38 Als Sinn versteht er demgegenüber „die Art des Gegebenseins“ (ebd.: 144), das heißt die Art, wie das aktuelle Objekt (der Referent) sprachlich repräsentiert wird. Der Sinn lässt sich auch als die Information beschreiben, die beispielsweise mit einer Nominalphrase ausgedrückt werden kann: „Ein Eigenname (Wort, Zeichen, Zeichenverbindung, Ausdruck) drückt aus seinen Sinn, bedeutet oder bezeichnet seine Bedeutung. Wir drücken mit einem Zeichen dessen Sinn aus und bezeichnen mit ihm seine Bedeutung.“ (ebd.: 147) Ein und dasselbe außersprachliche Objekt lässt sich diesem Verständnis zufolge auf unterschiedliche Weise sprachlich wiedergeben. Nach Freges Auffassung können verschiedene sprachliche Ausdrücke ein und dieselbe Bedeutung (Referenz) und gleichzeitig unterschiedlichen Sinn haben. Das heißt, dass verschiedene sprachliche Zeichenkomplexe Referenzidentität haben können, obwohl sich diese Zeichenkomplexe auf der Formebene voneinander unterscheiden. Dieses Verhältnis kann man durch den folgenden frei erfundenen Beispielsatz verdeutlichen: Frege ist der Verfasser von „Über Sinn und Bedeutung“. Es lässt sich feststellen, dass die Nominalphrasen Frege und der Verfasser von „Über Sinn und Bedeutung“, wenn wir Freges Terminologie folgen, dieselbe Bedeutung aber unterschiedlichen Sinn haben, weil mit ihnen auf dieselbe Per- 38 Freges Terminologie kann aus heutiger Sicht irreführen, da Bedeutung in der Linguistik üblicherweise mit der Inhaltsseite eines sprachlichen Ausdruckes und nicht mit dem bezeichneten Gegenstand an sich assoziiert wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich die englische Übersetzung der Fregeschen Terminologie als einleuchtend heraus. Bedeutung heißt hier reference und Sinn wird als sense übersetzt. Vgl. hierzu Mendelsohn (2005: 33). 56 son referiert wird, die Arten des Gegebenseins jedoch verschiedenartig sind. Dies kann man mit der Terminologie, die in dieser Arbeit verwendet werden soll, so formulieren: Die beiden Nominalphrasen haben dieselbe Referenz, doch die Bedeutung ist unterschiedlich. Unterschiedliche sprachliche Benennungen - mit Frege (1967: 147): Eigennamen - können denselben Sinn ausdrücken. Genauso kann ein und dieselbe sprachliche Benennung je nach Äußerungssituation verschiedene Referenzen haben. Dies ist ein wichtiger Ausgangspunkt dieser Untersuchung. Mit Wimmer (1979) wird die Auffassung geteilt, dass das Referieren immer in Sprechakten eingebettet liegt und dass nicht sprachliche Ausdrücke an sich referieren, sondern dass Sprachbenutzer mit Hilfe sprachlicher Ausdrücke Referenzen vollziehen. Weder das Referieren noch die Verbindung zwischen - in Freges Terminologie - Bedeutung und Sinn ist situationsunabhängig: „Referieren ist eine sprachliche Handlung, die nicht ganz eng an bestimmte sprachliche Ausdrücke oder bestimmte syntaktische Formen geknüpft ist.“ (Wimmer 1979: 25) Diese Herangehensweise ist für die Analyse in der vorliegenden Arbeit entscheidend: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen können im konkreten Referenzakt unterschiedlich gestaltet werden (als Maskulinum, Beidbenennung oder Neutralform), mit variierendem Grad der Explizitheit der sprachlichen Markierung des Geschlechts. Die Referenten können mit anderen Worten unterschiedlich benannt werden, zum Beispiel durch verschiedenartige Personenbezeichnungen. In diesem Zusammenhang ist auch zwischen der aktuellen Referenz in der konkreten Äußerungssituation und dem Referenzpotenzial der jeweiligen Bezeichnung zu unterscheiden. Unter Referenzpotenzial versteht Vater (2005: 14) in Anlehnung an Lyons (1977: 207) Definition von denotation Folgendes: „Das Referenzpotenzial umfasst [...] die Menge aller Elemente, auf die eine Bezeichnung zutrifft.“ (Vater 2005: 14) 39 Dieses Verständnis von Referenzpotenzial ist mit dem Verständnis von Bedeutung in der vorliegenden Arbeit eng verwandt. Das Referenzpotenzial eines Lexems kann man, wie Busse (1992: 47) ausführt, jedoch nicht als eine für immer gegebene Einheit ansehen. Das Referenzpotenzial stellt vielmehr eine vereinfachte, idealisierte Form der Konventionalisierung von Bedeutung dar. Um jedoch Bedeutung als praktikable theoretische Größe anwenden zu können, kann man von einem Referenzpotenzial des jeweiligen Lexems ausgehen, auch wenn dieses Potenzial erst das Resultat der Verwendung ist. 40 In Hinblick auf geschlechtsübergreifende Personenbe- 39 Vgl. hierzu auch Lyons (1991: 11). 40 Diese Sichtweise bedeutet auch, dass die herkömmliche Sichtweise, die Semantik (Kernbedeutung eines Lexems) und Pragmatik (zusätzliche Verwendungsfaktoren) unterscheidet, aufgegeben werden muss. Stattdessen ist die Kernbedeutung als eine Konventionalisierung und Verfestigung wiederholt gebrauchter Verwendungsweisen des jeweiligen Lexems anzusehen. Diese Position führt dazu, dass die von de Saussure (1960: 25, 30) eingeführte Dichotomie zwischen langue und parole nicht kategorial aufrechterhalten werden kann. 57 zeichnungen und auf die Analysen in dieser Arbeit unterschieden wir daher zwischen Referenzpotenzial (als auf einschlägigen Wörterbüchern basierende Konventionalisierung) und aktueller Referenz der Personenbezeichnungen. Mit dieser Differenzierung kann man den Fregeschen Referenzansatz durch eine wichtige handlungstheoretische Komponente ergänzen: Bei der Analyse von Referenzen sind immer Äußerungssituation, Absender und Rezipient mit einzubeziehen, damit so weit wie möglich die aktuelle Referenz eines bestimmten Ausdrucks festgelegt werden kann. Diese Festlegung der Referenz kann erst dann erfolgen, wenn man den aktuellen Verwendungszusammenhang beachtet. Dass der Sinn einem außersprachlichen Referenten entspricht, ist bei konkreten Referenzen in nicht-fiktionalen Texten der Fall. Das trifft somit für den allergrößten Teil der Quellentexte in dieser Arbeit zu. Anders verhält es sich jedoch mit Referenzen auf fiktive Objekte (vgl. Frege 1967: 148f.). In solchen Fällen mag ein Sinn vorhanden sein, ohne dass sich ein Referent in der außersprachlichen Welt finden ließe. Der Sinn ist somit nicht prinzipiell abhängig von einem außersprachlichen Referenten. 4.2.2 Bedeutung als Konzept und Referenz Sinn ohne Referenz aktualisiert ein für das Verständnis von Referenz und Bedeutung wichtiges Element, nämlich die konzeptuelle Ebene. Das Referenzmodell von Frege wurde lange vor der so genannten kognitiven Wende (vgl. Schwarz 1992: 12) formuliert. Diese kognitive Sichtweise auf Sprache hebt unter Rückgriff auf empirisch abgesicherte Ergebnisse die Relevanz mentaler Konzepte für die menschliche Sprache und Kommunikation hervor. Konzepte sind demnach als Speicher und Organisatoren von Erfahrungen, Wahrnehmungen und Wissen über die Welt (vgl. ebd.: 83f.) zu verstehen, zum Beispiel als komplexe Vernetzungen von Bedeutungen in der Form konzeptueller Schemata (vgl. ebd.: 87). Vor diesem Hintergrund ist Referieren hauptsächlich als ein mentales Phänomen (vgl. Vater 2005: 11) anzusehen. 41 Dabei kann man die konzeptuelle Struktur entweder als mit der Semantik übereinstimmend oder als eine von der Semantik separate kognitive Struktur auffassen. Der letztgenannten Sichtweise zufolge sind semantische und konzeptuelle Strukturen „in enger Wechselwirkung“ (ebd.: 63) zu sehen. Im Folgenden werden unter Konzepten semantische Konzepte verstanden, das heißt Konzepte, in denen Bedeutungen gespeichert und gebündelt sind. Diese semantischen Konzepte werden jedoch nicht mit kognitiven Konzepten generell gleichgesetzt. Wir nehmen somit ein Zwei- Ebenen-Modell an. 41 Lyons (1977) definiert concept wie folgt: „an idea, thought or mental construct by means of which the mind apprehends or comes to know things.“ (vgl. ebd.: 110) 58 Mit Ausgangspunkt in der Zwei-Ebenen-Semantik kann man - mit Freges (1967) Terminologie - den Sinn, das heißt die Art des Gegebenseins, als Konzeptualisierung von Objekten der außersprachlichen Welt bestimmen. Damit lässt sich zwischen dem Fregeschen Referenzkonzept und der kognitivlinguistischen Sichtweise eine Brücke schlagen. Wie Croft und Cruse (2004: 71ff.) feststellen, folgt aus der Anerkennung der Relevanz von Konzeptualisierungen nicht notwendig eine Sichtweise, in der die Wirklichkeit selbst als abhängig von sprachlichen/ kognitiven Handlungen aufgefasst wird. Konzepte müssen aus einer kognitiv-linguistischen Sichtweise nicht notwendigerweise als wirklichkeitsherstellend angesehen werden. Man kann sie auch als wirklichkeitserfassend betrachten (vgl. Schwarz 1992: 83f.). In dieser Arbeit werden Konzepte, entsprechend den erkenntnistheoretischen Ausgangspunkten, als wirklichkeitsrepräsentierend und -organisierend betrachtet. Dies können wir mit dem Ausgangspunkt dieser Überlegungen, dem Referenzmodell von Frege (1967), in Verbindung bringen, indem wir Folgendes annehmen: Konzepte (das heißt semantische Konzepte) sind der Sinn, „die Art des Gegebenseins“ (ebd.: 144), über welchen die Referenz auf die außersprachlichen Objekte, die Referenten, erfolgt. 42 Wir können aber auch auf gänzlich gedankliche Phänomene, zum Beispiel auf Konzepte ohne einen Referenten in der außersprachlichen Wirklichkeit, referieren: „Wir referieren mit sprachlichen Ausdrücken also zum einen auf die wahrnehmbare Welt (wobei auf alle Aspekte unserer Sinneswahrnehmung Bezug genommen werden kann, nicht nur auf die visuell erfahrbaren: vgl. dieser Duft/ Gestank (olfaktorisch), diese Stille/ dieser Lärm (akustisch), diese Glätte/ diese Rauheit (taktil), diese Süße/ Schärfe (gustatorisch).“ (Schwarz und Chur 2004: 89) An diesen Überlegungen lässt sich Folgendes ableiten: Der Fregesche Begriff Bedeutung wird in diesem Buch Referent genannt. Man kann davon ausgehen, dass die Referenten, das heißt die Personen, auf die Bezug genommen wird, außerhalb der konkreten sprachlichen Handlungen objektiv existieren. Diese Personen und Gruppen von Personen kann man in Form nominaler Ausdrücke auf unterschiedliche Weise darstellen und beispielsweise durch ergänzende Attribute charakterisieren. Es sind Konzepte, das heißt die Art des Gegeben- 42 Vgl. dazu Lyons (1991), der alle Theorien der Bedeutung, in denen der Referent und die Bedeutung nicht gleichgesetzt werden, sondern eine vermittelnde Instanz wie Begriff, Gedanke oder Konzept angenommen wird, Ideationstheorien nennt (vgl. ebd.: 11). Bei Chur (1993: 13ff.) demgegenüber wird der Schwerpunkt auf Referenz und nicht auf Bedeutung gesetzt. Im Unterschied zu Lyons (1991) charakterisiert Chur (1993) als Referenzansätze auch solche Ansätze, die eine Zwischenstufe zwischen Wort und Referent annehmen, beispielsweise den kognitiv-extensionalen Ansatz (vgl. Chur 1993: 16), der Lyons (1991: 11) zufolge eher als eine Ideationstheorie zu charakterisieren wäre. 59 seins, über welche die Referenz erfolgt. Wie unterschiedlich diese Konzepte auch sein mögen, sie verändern am Status und an den Eigenschaften der vor der sprachlichen Benennung existierenden Personen nichts: (2) „Soweit der Blick sich auf das Thema Gewalt in Pflegebeziehungen richtet, sind die potenziellen Täter wie die möglichen Opfer mehrheitlich Frauen.“ (Aktionsplan: 29) (3) „Die Adressierung von Tätern und Täterinnen ist gerade bei der frühzeitigen Intervention gegen Gewalt an Kindern und Frauen ein wichtiger Baustein.“ (Aktionsplan: 47) Wir können im Beispiel (2) aus den untersuchten Texten das Augenmerk auf die maskuline Personenbezeichnung Täter und im Beispiel (3) das Augenmerk auf die Beidbenennung Tätern und Täterinnen richten. Wie aus dem jeweiligen Kotext hervorgeht, beziehen sich beide Personenbezeichnungen auf Täter beider Geschlechtergruppen. Im Beispiel (2) erkennt man dies daran, dass die potenziellen Täter mehrheitlich Frauen sind. Demzufolge müssen die Täter, die nicht die Mehrheit ausmachen, Männer sein. Im Beispiel (3) ergibt sich die geschlechtsübergreifende Referenz aus der Verwendung der Beidbenennung. Mit der expliziten Kennzeichnung auch der weiblichen Mitglieder des Täter-Kollektivs durch das feminine Suffix entsteht eine Opposition zwischen Maskulinum und Femininum. Diese Opposition hat in den semantischen Konzepten ‚Mann’ und ‚Frau’ ihre Entsprechung. Zwar kann man die Ähnlichkeit in der Referenz zwischen den beiden Nominalphrasen nicht als Referenzidentität bestimmen, da sie ohnehin auf eine Gruppe nicht spezifizierter und potenzieller Täter Bezug nehmen. Es steht allerdings fest, dass die beiden Nominalphrasen Täter und Tätern und Täterinnen eine geschlechtsübergreifende Referenz auf ein nicht weiter spezifiziertes Kollektiv von Tätern vollziehen. Insofern ähneln sich die Referenzen der beiden Ausdrücke. Im Beispiel (2) (Täter) wird die Täter-Gruppe nur implizit als aus beiden Geschlechtergruppen bestehend dargestellt, weil das Maskulinum Täter zwei Lesarten hat: eine geschlechtsspezifische und eine geschlechtsübergreifende. Die eigentliche Referenz kann man erst durch den Kotext festmachen. Dagegen wird im Beispiel (3) die Tätergruppe explizit durch die Personenbezeichnung als aus beiden Geschlechtergruppen bestehend dargestellt. Somit liegt der Unterschied zwischen den beiden Ausdrücken nicht primär in der Referenz an sich, die in beiden Fällen geschlechtsübergreifend und nicht-spezifisch ist. Der Unterschied besteht in in der Konzeptualisierung der beiden Gruppen. Zugleich weisen die Beispiele auf die Nähe zwischen Referenz und Konzept hin: Die Referenz lässt sich anhand der Bezeichnung ermitteln, die wiederum ein bestimmtes Konzept mittransportiert. Die Referenz setzten wir hier jedoch nicht mit dem Konzept gleich, weil wir mit Searle (1995: 155) die Annahme 60 teilen, dass bestimmte Teile der Wirklichkeit unabhängig von der Sprache und von der menschlichen Kognition existieren. Der Referenzansatz Freges (1967) stellt in erster Linie keine Theorie des sprachlichen Zeichens dar, jedoch lässt sich der Referenzbegriff vom Verständnis des Zeichens nicht trennen. Zwischen Referieren und Bezeichnen besteht ein enger Zusammenhang, da der sprachliche Referenzakt mit Hilfe sprachlicher Zeichen erfolgt. In beiden Fällen handelt es sich, der Sichtwiese der vorliegenden Arbeit zufolge, gleichzeitig um einen Akt des Repräsentierens. So legt Köller (2006) nahe, wie eng die Begriffe Zeichen und Repräsentativität zusammenhängen. Beide setzten eine außersprachliche Welt voraus, auf die Bezug genommen werden kann. Die Zeichen- und Repräsentationsbegriffe stellen dabei jedoch unterschiedliche Akzentuierungen dar: „[D]er Repräsentationsbegriff [ist] im Sinne des Stellvertretergedankens als eine Variante des Zeichenbegriffs anzusehen [...], wobei der Zeichenbegriff unsere Aufmerksamkeit allerdings stärker darauf konzentriert, worauf das Zeichen referenziell Bezug nimmt und der Repräsentationsbegriff hingegen stärker darauf, welche psychischen und kognitiven Implikationen mit dem jeweiligen Vergegenwärtigungs- und Objektivierungsprozess verbunden sind. Gemeinsam ist dem Zeichenbegriff und dem Repräsentationsbegriff aber, dass das Bezeichnete bzw. Repräsentierte von so großer Komplexität ist, dass das Stellvertretende das jeweilige Bezugsphänomen nicht in seiner ganzen Totalität vertritt, sondern nur in bestimmten Hinsichten.“ (ebd.: 15) Davon ausgehend können wir annehmen, dass Zeichen, Referenz und Repräsentation eng verbunden sind. Dem bereits dargestellten Verständnis von Referenz entspricht daher ein triadisches Verständnis des sprachlichen Zeichens: „the word signifies [the thing] by means of mediating concepts“, zitiert Lyons (1977: 96) in englischer Übersetzung eine scholastische Devise. Diese kann hier als Definition des so genannten semiotischen Dreiecks dienen. So wie Ogden und Richards (1989) das semiotische Dreieck verstehen, nehmen sie eine außersprachliche Wirklichkeit an, in der sich der Referent befindet (vgl. ebd.: 47). Das Symbol (das sprachliche Zeichen) bezieht sich dabei indirekt auf den Referenten, indem ein thought (= Konzept, Begriff) als Zwischenstufe angenommen wird (vgl. ebd.: 11f.). Diese konzeptuelle Ebene entspricht in etwa dem Sinn, das heißt der Art des Gegebenseins, bei Frege (1967: 144). Anknüpfend an die sprachphilosophischen Bemerkungen zu Anfang dieses Kapitels kann Folgendes hinzugefügt werden: Köller (2006) diskutiert, wie man den Repräsentationsbegriff mit unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Positionen in Verbindung bringen kann. Das sind der Realismus sowie der Idealismus, der mit dem Konstruktivismus viele Gemeinsamkeiten hat. Zwischen der Vorstellung von Repräsentation und dem Idealismus ergeben sich zwar Anknüpfungspunkte, doch der Repräsentationsgedanke scheint am ehesten mit dem erkenntnistheoretischen Realismus im Einklang zu stehen. Ausschlagge- 61 bend dafür ist die Annahme einer von den Repräsentationen unabhängigen Wirklichkeit: „Der Repräsentationsgedanke geht nämlich immer davon aus, dass das Repräsentierte unabhängig davon existiert, ob von ihm Repräsentationen bzw. Spiegelbilder hergestellt werden.“ (ebd.: 16) Damit ist nicht impliziert, dass zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem eine unproblematische Einszu-Eins-Relation bestehen würde. Im Gegenteil, stellt Köller (2006: 16ff.) fest, ließe sich gerade die Annahme von Repräsentation nicht mit der Vorstellung einer Eins-zu-Eins-Beziehung zwischen Sein und Schein vereinbaren. Dies stimmt mit der Position in diesem Buch überein, dass Referenz immer über ein Konzept erfolgt, das perspektivisch ist. Was die Analyse der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen angeht, wird deswegen nicht davon ausgegangen, dass bestimmte Realisierungstypen (Maskulinum, Neutralform oder Beidbenennung) an sich grundsätzlich richtiger als andere seien. Sie werden aber als unterschiedliche Benennungsweisen angesehen, die je nach Explizitheit der sprachlichen Markierung des Geschlechts unterschiedliche Konzepte mittransportieren. Ausgehend von diesen Überlegungen wird Bedeutung weiterhin als Konventionalisierung von Sprachgebrauch verstanden. Bedeutung ergibt sich demnach erstens aus dem semantischen Konzept, das konventionalisiert an ein Lexem gebunden ist. Zweitens ergibt sich Bedeutung aus der aktuellen Referenz, die man erst in der konkreten Äußerungssituation festlegen kann, sofern eine Referenz auf ein außersprachliches Objekt vorhanden ist. Und drittens tragen zur Bedeutung auch sonstige im Kotext vorhandene Anwendungsfaktoren bei. Die Bedeutung ergibt sich somit teilweise aus der Verwendung des Wortes selbst. Nach dieser Sichtweise ist sprachliche Bedeutung eine komplexe dynamische Größe. Ohne auf die Annahme von konventionalisierter Bedeutung und von Referenzpotenzial (bei Busse unten „Bedeutungspotenz“) ganz zu verzichten, wird also grundsätzlich die Auffassung von Busse (1992) geteilt, dass Sprache immer eine dynamische Größe ist, dass: „Wörter benutzt werden zu vielfältigen Zwecken, daß mit ihnen praktisch umgegangen wird, und daß durch das Spielen mit Übertragungen und Analogieschlüssen im aktuellen Gebrauch sehr vieles mit Wörtern möglich ist, das man nicht auf den verkürzenden Nenner der ‚Bedeutungspotenz’ bringen kann. Die Rede von einer ‚Bedeutungspotenz’ impliziert nämlich, daß die semantischen Möglichkeiten eines Wortes diesem Wort selbst anhaften, während es eigentlich eine Potenz der Wortbenutzer ist, dieses Wort aktiv zu ihren (möglicherweise vielseitigen und divergenten) Zwecken einzusetzen.“ (ebd.: 47) 62 4.2.3 Referenztypen bei Personenbezeichnungen Zur Analyse dient eine Klassifizierung der Personenbezeichnungen in den Quellentexten. Diese Klassifizierung gibt darüber Aufschluss, wie und auf welche Personen die Personenbezeichnungen referieren. Sie gilt für die gesamte Textanalyse. Jedoch wird ihr im Kapitel 5.2 besondere Aufmerksamkeit geschenkt, da die Personenbezeichnungen dort gerade unter dem Gesichtspunkt des Referenztyps analysiert werden. Die Klassifizierung erfolgt auf zwei verschiedenen Ebenen. Auf der referenzfunktionalen Ebene handelt es sich um die Art des Referierens, das heißt, ob auf die Referenten hauptsächlich (a) spezifisch, (b) nicht-spezifisch oder (c) generisch Bezug genommen wird. Auf der semantisch-extensionalen Ebene handelt es sich dagegen um die sprachliche Markierung der geschlechtlichen Zusammensetzung der Referenten. Dort geht es darum, ob die Personenbezeichnungen geschlechtsspezifisch oder geschlechtsübergreifend referieren. Hellinger (1990: 89f.) weist darauf hin, dass in etlichen Forschungsarbeiten sowie einführenden Arbeiten zu Sprache und Geschlecht im Deutschen diese beiden analytischen Ebenen vermischt werden. Dies drückt sich unter anderem in der unklaren Begrifflichkeit des Terminus generisch aus, zum Beispiel beim Begriff generisches Maskulinum. Eine generische Aussage - genauer gesagt eine generische Personenbezeichnung - ist im logischen Sinne eine All-Aussage. Sie bezieht sich auf eine Kategorie, Klasse, Gattung oder Art an sich, nicht auf einzelne Individuen oder Exemplare dieser Gattung (vgl. Chur 1993: 36ff., Krifka et al. 1995: 2). Im wissenschaftlichen Diskurs zu Sprache und Geschlecht im Deutschen wird allerdings des öfteren generisch in der Bedeutung ‚beide Geschlechter bezeichnend’ benutzt. Dabei bildet generisch den Gegensatz zu geschlechtsspezifisch. 43 Diese Verwendung von generisch rührt wahrscheinlich daher, dass eine All-Aussage im Zusammenhang mit Personenbezeichnungen in vielen Fällen ein geschlechtsübergreifendes Potenzial hat. Ausgehend vom geschlechtsübergreifenden Potenzial der generischen Personenbezeichnung ist so der Terminus generisch auf den semantisch-pragmatischen Bereich der Geschlechtsmarkierung der Referenten übertragen worden. Dabei ist die Begrifflichkeit des Terminus jedoch nicht genauer ausgeführt worden. Ebenso wenig ist die analytische Differenzierung zwischen generisch als All-Aussage und generisch als ‚beide Geschlechter bezeichnend’ aufrechterhalten worden. 44 Diese beiden Ebenen sollten begrifflich wie terminologisch auseinander gehalten werden. Das gilt auch für die Klassifizierung der Personenbezeichnun- 43 Vgl. hierzu beispielsweise Irmen und Steiger (2005: 213), Samel (2000: 64) und Schwarze (2008: 196), die generisch unter anderem als ‚beide Geschlechter bezeichnend’ verstehen. Siehe hierzu auch die Definition generischer Personenbezeichnungen in der Grammatik Duden (2005): „Zum anderen werden sie [= maskuline Personenbezeichnungen - M.P.] auch verallgemeinernd auf Frauen und Männer angewendet, vor allem im Plural; man spricht dann von generischem, geschlechtsneutralem oder geschlechtsindifferentem Gebrauch [...]“ (ebd.: 156). 44 Diese Überlegungen habe ich in Pettersson (2010: 131ff.) weiter entwickelt. 63 gen in dieser Arbeit, denen sowohl referenzfunktionale als auch semantischextensionale Überlegungen zugrunde liegen. Dies wird sich in der Terminologie widerspiegeln, die im Folgenden vorgestellt wird. 4.2.3.1 Referenztypen unter referenzfunktionalem Gesichtspunkt In dieser Arbeit werden die Personenbezeichnungen und ihr Bezug zur Art des Referierens untersucht. Daher ist eine Referenztypologie notwendig. Als referierbar verstehe ich sowohl in der außersprachlichen Wirklichkeit existierende Objekte als auch gedanklich-konzeptuelle Entitäten (vgl. Schwarz und Chur 2004: 89). Einige Referenztypologien basieren jedoch auf der Auffassung, dass viele Arten sprachlichen Benennens (vor allem attributive Verwendung von Nominalphrasen, Prädikationen und generische Benennung) nicht referenzfähig sind. Die Referenztypologie in diesem Buch muss jedoch so formuliert werden, dass sie einem breiten Referenzverständnis genügt. Zum Beispiel soll sie dem Umstand Rechnung tragen, dass generische Referenzen eher auf konzeptuelle Abstraktion als auf konkrete Personen referieren. Wir können im Folgenden nicht sämtliche Arbeiten diskutieren, die sich mit sprachlicher Referenz auseinandersetzen und Ansätze zur Klassifizierung von Referenztypen formulieren. Eine Sonderstellung nimmt jedoch Doleschals (1992) Arbeit ein, die nachfolgend eine wichtige Rolle spielt. Ihre Überlegungen zu Referenztypen und Personenbezeichnungen erfolgen nämlich unter Genus- und Sexusaspekten. Dies deckt zum großen Teil mit dem Erkenntnisinteresse in diesem Buch ab. Linells (1982) Verständnis von Referenztypen wird ebenfalls eine zentrale Rolle spielen. Wie Blühdorn (2001: 17f.) feststellt, lässt sich generische Referenz letztendlich nur semantisch-pragmatisch unter Berücksichtigung der „jeweiligen Diskurssituation“ (ebd.: 17) festmachen. Ausgehend von der Kotextbedingtheit von Referenz und Bedeutung kann diese Feststellung auch für die anderen angenommenen Referenztypen gelten. Sie dient somit als Ausgangspunkt für die Analyse von Referenztypen. Die im Weiteren angenommenen wesentlichen Referenztypen sind folgende: (a) Spezifische Referenz (b) Nicht-spezifische Referenz (c) Generische Referenz Mit spezifischer Referenz (a) ist die Referenz auf ein spezifisches Objekt oder mehrere spezifische Objekte gemeint, so wie Lyons (1977) „specific reference“ (ebd.: 188) versteht. Es handelt sich dabei um Bezugnahmen, bei denen die spezifische Referenz auf unterschiedliche Weise sprachlich zum Ausdruck gebracht wird. Was Personenbezeichnungen und ihre spezifische Referenz an- 64 geht, kann sie zum Beispiel durch Nennung der Personenanzahl oder durch Aufzählung der individuellen Namen der bezeichneten Personen erfolgen. Im folgenden Beispiel (4) aus den Quellentexten ist die Referenz der Beidbenennung Fotograf/ innen spezifisch: (4) „Sie [= eine Ausstellung - M.P.] zeigt Fotos von elf Fotograf/ innen: Peter Gurack, Irmhild Käding, Meinhard Kamphausen, Rüdiger Kurtz, Karina Lange, Marion Nelle, Rolf-Otto Schmitz, Verena Schuh, André Schuster, Sebastian Sobansk und Heidi Träbert. André Schuster (Projektleiter).“ (Rubens113: 7) Linell (1982) unterscheidet in seiner Übersicht von „innehållskategorier [= Inhaltskategorien - M.P.]“ (ebd.: 198) der Referenz spezifische Referenzen, die dem Empfänger der Mitteilung schon bekannt sind, von jenen, die dem Empfänger nicht bekannt sind. Diese Unterscheidung ist relevant, wenn man die empfängerseitige Reaktion auf eine vollzogene Referenz und damit indirekt das Vorwissen des Empfängers ermittelt. Geht man, wie in dieser Arbeit, jedoch von der Referenz an sich als ausschlaggebend aus, ändert Linells Differenzierung am Prinzip der spezifischen Referenz nichts. Sie erübrigt sich damit als Kriterium einer Referenztypologie. Eine spezifische Referenz erfolgt demzufolge im Weiteren unabhängig davon, ob diese dem Empfänger der aktuellen Mitteilung im Voraus bekannt ist oder nicht. Dennoch weist die Frage nach dem empfängerseitigen Vorwissen auf ein Problem hin, das insbesondere bei indefiniten Nominalphrasen aktuell ist: „Very often, of course, we cannot tell whether an indefinite noun-phrase is being used with specific reference or not; and the speaker himself might be hard put to decide.“ (Lyons 1977: 188) Unzureichendes Vorwissen und ein unbekannter Referent können also Ambiguität in Bezug auf spezifische und nichtspezifische Referenz herbeiführen. Dies können wir am folgenden Beispiel (5) verdeutlichen: (5) „Für einige Mitradler ist die Portugal-Tour nur eine unter drei, vier Urlaubsreisen im Jahr. Sie sind keine Kilometerfresser, sondern Genussradler, die Sport, Kultur und Bequemlichkeit schätzen.“ (Taz1: 13) Die Personenbezeichnungen Mitradler, Kilometerfresser und Genussradler kann man, wenn sie einem unbekannt sind, als ambig auffassen, was den Referenztyp angeht. Man kann sie als spezifisch oder als nicht-spezifisch verstehen. Aus dem Zeitungsartikel, in dem sich (5) befindet, geht indessen hervor, dass mit Mitradler, Kilometerfresser und Genussradler einige spezifische Personen gemeint sind. Die spezifische Referenz dieser drei Nominalphrasen lässt sich demzufolge erst durch Kontextualisierung festmachen. Unter nicht-spezifischer Referenz (b) ist die Referenz auf nicht spezifizierte Objekte zu verstehen: 65 (6) „Im Sommer überrennen Bustouristen die 185 Einwohner, im Frühling und Herbst ist es hier angenehm.“ (Taz1: 13) Für die Personenbezeichnung Bustouristen in (6) ist die Interpretation „nichtspezifisch“ nahe zu legen, da hier kein spezifischer Sommer gemeint ist. Damit geht es auch nicht bei Bustouristen um einige spezifische Individuen, sondern um eine nicht spezifizierte Menge Bustouristen. Es lässt sich nämlich nicht vorhersagen, genau welche Personen jeden Sommer als Bustouristen im Dorf zu erwarten sind. Die Referenz von Bustouristen ist deswegen nicht-spezifisch. Es ist umstritten, ob eine nicht-spezifisch gebrauchte Nominalphrase überhaupt referenzleistend ist. So vertritt Lyons (1977) die folgende Auffassung: „it is far from clear that it is correctly regarded as a referring expression.“ (ebd.: 188) Dagegen zählt Linell (1982: 198) auch nicht-spezifische Bezugnahmen zum Bereich der Referenz. Linells Position entspricht dem Verständnis von Referenz in diesem Buch. Doleschal (1992: 62) sieht in ihrer Referenztypologie 45 referenzielle, nichtreferenzielle und prädikative Nominalphrasen vor. Dieser Einteilung liegt die Auffassung zugrunde, dass Personenbezeichnungen drei Hauptfunktionen haben: „die Bezeichnung einer Klasse, die Bezeichnung außersprachlicher Referenten und die Prädikation von Eigenschaften über andere Klassen oder Referenten [...]“ (ebd.: 57). Die nicht-referenziellen Nominalphrasen dienen Doleschal zufolge zur Bezeichnung einer Klasse. Hierher gehören folgende Subkategorien: existentielle 46 , attributive 47 , universelle 48 und generische 49 Nominalphrasen. Doleschal differenziert die existentiellen Nominalphrasen wiederum in unspezifische und allgemeinexistentielle. Dabei treten „[u]nspezifische NPs [...] in nichtfaktischen Kontexten auf (z.B. im Skopus von Modalverben, Imperativ, Futur, Frage, Negation u.a.) [...]“ (ebd.: 67). Als Beispiel einer unspezifischen 45 Doleschal (1992) übernimmt ihre Klassifikation von Referenztypen von Paduceva, E. V.: (1985): Vyskazyvanie i ego sootnesennost’ s dejstvitel’nost’ju. Moskau: Nauka (vgl. Doleschal 1992: 60, 84). 46 „Existentielle NPs werden in Situationen verwendet, wo die Rede von einem Objekt (einer Menge von Objekten) ist, das (die) zu einer Klasse der gleichen Art gehört, aber nicht individualisiert werden kann, weil es nicht gewählt ist [...].“ (ebd.: 66f.) 47 „Eine attributive NP stellt eine Beschreibung eines spezifischen möglichen Referenten dar, dessen Existenz und Unikalität präsupponiert werden, ohne daß der Sprecher oder die Sprecherin jedoch über seine Identität oder tatsächliche Existenz Bescheid wüssten [...].“ (ebd.: 68). 48 „Universellen NPs entspricht in der logischen Form eines Satzes der Allquantor. Sie treten vor allem in Kontexten auf, die allgemeine oder allgemeinverbindliche Aussagen machen, z.B. in Gesetzestexten [...].“ (ebd.: 69). Die universellen Nominalphrasen werden unten im Zusammenhang mit den generischen behandelt. 49 „Mit generischen NPs wird der Vertreter einer Klasse bezeichnet, und zwar nicht ein beliebiger sondern ein exemplarischer, prototypischer [...].“ (ebd.: 70) Auf generische Nominalphrasen wird noch unten eingegangen. 66 Nominalphrase nennt sie einen Arzt im folgenden Satz: „Sie wünschte sich einen Arzt als Schwiegersohn.“ (ebd.). Allgemeinexistentielle Nominalphrasen werden demgegenüber dazu verwendet, „von Objekten mit bestimmten Eigenschaften zu sprechen, ohne konkrete Objekte zu meinen [...]“ (ebd.: 68). Doleschal führt als Beispiel dafür mancher Professoren im folgenden Satz an: „Freifächer sind nun automatisch Bestandteil der Inskription und erfordern daher nach Meinung mancher Professoren einen neu zu schaffenden Nachweis der Anwesenheit.“ (ebd.) Ausgehend vom Verständnis nicht-spezifisch referierender Nominalphrasen in der vorliegenden Arbeit sind die existentiellen Nominalphrasen bei Doleschal als nicht-spezifisch zu verstehen. Bei Doleschal sind es gerade die existentiellen Nominalphrasen, die dem Verständnis von nicht-spezifisch auch bei Lyons (1977: 188) am meisten ähneln. Doleschals (1992) Auffassung, dass die existentiellen Nominalphrasen nicht referenziell seien, wird hier jedoch nicht geteilt. Doleschal (1992: 68) zählt auch attributiv gebrauchte Nominalphrasen zu den nicht-referenziellen. Ihr Verständnis von attributiv ähnelt dem von Donnellan (1966: 285), nach dem eine definite, attributiv gebrauchte Kennzeichnung sich auf ein Objekt bezieht, das zum Zeitpunkt der konkreten Äußerung nicht identifiziert ist oder nur potenziell existiert. Es handelt sich demnach um eine Behauptung „about whoever or whatever is the so-and-so.“ (ebd.) Durch attributive Verwendung einer Nominalphrase wird also eher auf einige bestimmte Merkmale Bezug genommen. Donnellan nimmt über die attributive Verwendung von Nominalphrasen auch die referenzielle an, wobei er nur die referenzielle, nicht die attributive als referenzleistend sieht (vgl. ebd.: 285f.). 50 Dabei zählt Doleschal (1992) im Unterschied zu Donnellan (1966) zu nichtreferenziellen Verwendungsweisen von Nominalphrasen mehr als nur die attributive. Auch Zifonun et al. (1997a) nehmen Donnellans (1966) Unterscheidung als Ausgangspunkt der von ihnen angenommenen „Gebrauchsweisen von Argumenten“ (Zifonun et al. 1997a: 764) unter kommunikativem Aspekt. Sie bezeichnen aber diese zwei Verwendungsweisen als existentiell beziehungsweise referenziell, während Donnellan (1966: 285) sie attributive beziehungsweise referential benennt. Ähnlich wie Blühdorn (2001: 17) den Unterschied zwischen generischen und nicht-generischen Nominalphrasen als semantischpragmatisch bedingt setzt, betonen auch Zifonun et al. (1997a), dass die Unterscheidung zwischen referenziellem und existentiellem Gebrauch von Nominalphrasen nicht auf formalgrammatischen Kriterien basieren kann: „Da die Art des Gebrauchs im Deutschen nicht formal angezeigt wird, muß sich die Unterscheidung auf eine Einschätzung der jeweiligen Verwendungszusammenhänge stützen.“ (ebd.: 774) 50 Vater (2005: 33) zufolge ist Donnellan (1966) derjenige, der das Begriffspaar attributiv/ referenziell in Hinblick auf Referenz eingeführt habe. 67 Diese Auffassung stimmt mit dem eingangs in diesem Abschnitt erwähnten Verständnis überein. Die entscheidende Differenzierung ist aber hier nicht die zwischen der referenziellen und attributiven/ existentiellen, sondern die zwischen der spezifischen und nicht-spezifischen Nominalphrasen. Lyons (1977) macht anhand des folgenden Beispiels auf den engen Zusammenhang zwischen nicht-spezifisch und attributiv aufmerksam: „John wants to marry a girl with green eyes.“ (ebd.: 190) In der einen, von Lyons als referenziell bezeichneten Lesart hat John ein spezifisches Mädchen im Auge. Will John jedoch irgendein Mädchen mit grünen Augen heiraten, egal, ob ein solches Mädchen de facto existiert oder nicht, wird die attributive Lesart abgerufen. Auch wenn Lyons der Auffassung ist, Donnellans (1966) Unterscheidung referenziell/ attributiv erfasse den Unterschied zwischen den Lesarten besser als die Unterscheidung spezifisch/ nicht-spezifisch, so geht die Verwandtschaft zwischen attributiv und nicht-spezifisch hervor. Letztendlich beruht auch Donnellans terminologische Erfassung dieser Differenzierung - und in seiner Nachfolge auch die von Lyons (1977) - auf der Annahme von Nicht-Referenzialität attributiver Kennzeichnungen. In diesem Buch können wir die von Doleschal (1992) und Donnellan (1966) als attributiv bezeichneten Nominalphrasen zu den nicht-spezifischen zählen. Wie Vater (2005: 101) feststellt, kann man auch attributive Nominalphrasen als referenziell ansehen. Dies stimmt mit dem Verständnis von Referenz in dieser Arbeit überein. Im Weiteren sind somit alle nicht-spezifischen Verwendungsweisen von Personenbezeichnungen als referenziell anzusehen. Die generische Referenz (c) ist die allgemeine Referenz auf eine Klasse oder Gattung insgesamt, nicht auf die einzelnen Mitglieder, Individuen der Klasse, wie zum Beispiel Deutschen in (7): (7) „Das Freizeitverhalten der Deutschen hat sich dramatisch verändert und aufgrund dessen leider auch die Landschaft.“ (taz1: 14) Die generische Personenbezeichnung der Deutschen in (7) stellt eine Bezugnahme nicht auf einzelne Mitglieder der Kategorie der Deutschen, sondern auf die Deutschen als solche dar. Die generische Lesart kann man dadurch begründen, dass die zwei Propositionen in (7) generell etwas über die Klasse der Deutschen aussagen. Ausgehend von Blühdorn (2001: 17f.) wird hier generische Referenz nicht als ausschließlich semantisch erschließbar angesehen. Deswegen wird hier von einer generischen Lesart der aktuellen Nominalphrase gesprochen. Generische Referenz ist folglich ein semantisch-pragmatisches Phänomen und damit erst kontextuell zu erschließen. Deswegen können wir zu generischen Nominalphrasen sowohl die von Chur (1993) als semantisch-generisch (s-generisch; echt-generisch) als auch die von ihr als pragmatisch-generisch (pgenerisch; pseudo-generisch) eingestuften Nominalphrasen zählen. S-generische Nominalphrasen beziehen sich nach Chur unmittelbar auf die Gattung an 68 sich. Dagegen referieren p-generische Nominalphrasen im ersten Schritt auf prototypische Exemplare der Gattung, aber, wie man erst pragmatisch feststellen kann, eigentlich auf die Gattung an sich beziehen (vgl. ebd.: 35f.). 51 Doleschal (1992: 69) sieht die so genannte universelle Verwendungsweise einer Nominalphrase als eine All-Aussage an, von der alle Mitlieder der Extension notwendigerweise betroffen sind. Die generische Aussage sieht sie demgegenüber als eine, die von einem prototypischen Vertreter einer Klasse ausgeht und sich so auf die Klasse an sich bezieht (vgl. ebd.: 70). Die generischen Nominalphrasen in Doleschals Verständnis kann man vor diesem Hintergrund etwa mit den p-generischen bei Chur (1993) gleichsetzen. Doleschals (1992) universelle Nominalphrasen sind eher den s-generischen bei Chur (1993) ähnlich. In der vorliegenden Arbeit sind beide Typen generisch. In Anlehnung an Chur wird auch die Position geteilt, dass generische Nominalphrasen referieren können: „Wenn Referenz jedoch nicht an die Existenz eines konkreten Referenten in der Realität gebunden ist - was heutzutage eigentlich nicht mehr angenommen wird - dann können alle generische NPs genauso wie nichtgenerische NPs referieren. Auch hier gibt es also keinen Unterschied zwischen generischen und nicht-generischen NPs.“ (ebd.: 282) Zu den bereits vorgestellten Typen von Referenzen (spezifisch, nicht-spezifisch, generisch) kommen noch Differenzierungen auf anderen analytischen Ebenen hinzu. So kann man auch zwischen Existenz und Nicht-Existenz des Referenten in der außersprachlichen Realität unterscheiden. Der ontologische Status der Referenten (= ihre Existenz oder Nicht-Existenz in der außersprachlichen Wirklichkeit) bildet jedoch für die bereits vorgestellten Referenztypen kein relevantes Unterscheidungskriterium, denn auch auf gedanklich-konzeptuelle, nicht objektiv existierende Objekte kann man Bezug nehmen. Die Unterschiede zwischen den hier angenommenen Referenztypen liegen nicht im ontologischen Status der Referenten an sich. Sie bestehen stattdessen darin, wie die Bezugnahme auf diese Referenten erfolgt, unabhängig von deren ontologischem Status. Man kann auch zwischen definit und indefinit verwendeten Nominalphrasen (darunter Personenbezeichnungen) unterscheiden. Ein definiter Ausdruck zeichnet sich dadurch aus, dass ein definites Pronomen oder Artikelwort wie zum Beispiel ein bestimmter Artikel benutzt wird. Bei einem indefiniten Ausdruck kommt hingegen ein indefinites Pronomen oder Artikelwort vor, zum Beispiel viele, manche, einige. Die Differenzierung definit/ indefinit ist allerdings 51 Siehe dazu Krifka et al. (1995: 2ff.) und Vater (2005: 44). Es liegen unterschiedliche Ansätze zur Bestimmung von Generizität und zur Differenzierung unterschiedlicher Typen von Generizität vor. Beide Ansätze sind äußerst problematisch und eine zufrieden stellende Lösung der Probleme der Generizität scheint nicht etabliert; Churs (1993) Ansatz ist einer unter vielen. 69 nicht identisch mit der Differenzierung spezifisch/ nicht-spezifisch. Definitheit/ Indefinitheit wird nämlich durch grammatische Eigenschaften der jeweiligen Nominalphrase zum Ausdruck gebracht, während man spezifische oder nicht-spezifische Referenz erst durch den Referenzakt in einem Kotext festmachen kann. So können beispielsweise spezifische Referenzen in ihrer Form indefinit (Ich suche gerade ein Hemd - ein spezifisches Hemd wird gesucht) oder definit (Ich suche gerade das Hemd - ein spezifisches Hemd wird gesucht) sein. Umgekehrt können nicht-spezifische sowie generische Referenzen hinsichtlich ihrer grammatischen Form unterschiedlich aussehen und definit oder indefinit sein. Chur (1993: 42) verdeutlicht diesen Umstand anhand der p-generischen Nominalphrasen, die formalgrammatisch unterschiedliche Ausprägungen haben können. 52 Hier ist auch die Prädikation durch Nominalphrase zu erwähnen, das heißt die Beschreibung oder Charakterisierung eines an anderer Stelle im Satz eingeführten Referenten. Im Beispiel (8) erfolgt die Prädikation über den Referenten Praktikanten unter anderem mittels der Personenbezeichnung Studenten: (8) „Praktikanten in Frankreich müssen Studenten und als solche sozialversichert sein.“ (taz1: 5) Beispielsweise Lyons (1977: 23) stuft prädikativ gebrauchte Nominalphrasen als nicht-referenziell ein. 53 Doleschal (1992: 72) ihrerseits ordnet prädikativ gebrauchte Nominalphrasen einer dritten Kategorie neben referierenden und nicht-referierenden Ausdrücken zu. Prädikative Nominalphrasen werden in erster Linie durch ihre syntaktische Position und nicht durch die Art des Referierens definiert. 54 Deswegen sind sie nicht als eigenständiger Referenztyp neben spezifisch (a), nicht-spezifisch (b) und (c) generisch, sondern als eine zusätzliche Beschreibungsdimension zu verstehen. 4.2.3.2 Referenztypen in Bezug auf semantisch-extensionale Kennzeichnung von Geschlecht In mehreren Arbeiten zu Sprache und Geschlecht findet eine begrifflichterminologische Vermischung von generisch als All-Aussage über eine Klasse und generisch als ‚beide Geschlechter bezeichnend’ statt. 55 Diese Vermischung 52 Die Differenzierung definit/ indefinit scheint eher mit der bei Linell (1982: 198) vorkommenden Differenzierung dem Empfänger bekannt/ dem Empfänger unbekannt zusammenzuhängen, so dass typischerweise die definite Nominalphrase einen dem Empfänger bekannten Referenten und die indefinite Nominalphrase einen dem Empfänger unbekannten Referenten kennzeichnet. 53 Vgl. dazu auch Lyons (1977: 185ff.). 54 Prädikativ gebrauchte Nominalphrasen können sich beispielsweise auf spezifische, nichtspezifische und generische Nominalphrasen beziehen. 55 Darauf gehe ich ausführlicher in Pettersson (2010) ein. 70 soll hier nicht weiter geführt werden. Daher ist eine terminologische Differenzierung notwendig. Diese Terminologie dient dazu, der Trennung zwischen der semantisch-extensionalen und der referenzfunktionalen Ebene Rechnung zu tragen. Im Weiteren unterscheiden wir zwischen geschlechtsübergreifenden und geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen: (a) Geschlechtsübergreifende 56 Personenbezeichnungen beziehen sich im aktuellen Referenzakt auf Personen beider Geschlechtergruppen. Sie können des Weiteren geschlechtsabstrahierend (Studierende, Studenten) oder geschlechtsspezifizierend (Studentinnen und Studenten) sein. In sämtlichen Fällen wird jedoch auf Personen beider Geschlechtergruppen Bezug genommen. (b) Geschlechtsspezifische Personenbezeichnungen nehmen im aktuellen Referenzakt auf Personen nur einer Geschlechtergruppe Bezug. Entweder Frauen oder Männer können damit bezeichnet werden. Solche Personenbezeichnungen sind per se immer geschlechtsspezifizierend, obwohl dies nicht in jedem Fall an der Form ablesbar ist. Schließlich ergeben sich Referenzen nicht aus der morphologischen Form der Personenbezeichnung allein, sondern auch aus dem Kotext und Kontext des konkreten Referenzakts. In diesem Zusammenhang soll noch an die opake (Geschlechter-)Referenz erinnert werden (vgl. Dittmann 2002: 75ff.). Diese Art von Ambiguität ist in denjenigen Fällen vorhanden, bei denen sich die Referenz hinsichtlich der Geschlechtszugehörigkeit der Referenten (ob Frauen und Männer oder nur Männer) nicht eindeutig bestimmen lässt. Sie wird in erster Linie von Maskulina aktualisiert, kann aber auch von Neutralformen hervorgerufen werden. Referenzielle Opakheit dürfte auch bei Verwendung intendiert geschlechtsübergreifender Feminina vorkommen können, auch wenn diese Benennungsstrategie selten Verwendung findet. Die Möglichkeit der opaken Geschlechterreferenz bedeutet jedoch nicht prinzipiell, dass geschlechtsübergreifend und geschlechtsspezifisch undeutliche Kategorien wären. Diese Zweiteilung der Personenbezeichnungen ermöglicht einen doppelten Blick auf die Personenbezeichnungen. Sie können aus einem referenzfunktionalen und aus einem semantisch-extensionalen, geschlechtsbezogenen Blickwinkel erhellt werden. Man kann dann systematisch auf empirischer Grundlage ermitteln, wie sich die Form der Personenbezeichnung (grammatisches Genus) und der Referenztyp zueinander verhalten und welche Kombinationen auftreten. Dieser Zusammenhang wird vor allem im Kapitel 5 ausgelotet. 56 Vgl. hierzu den englischen Terminus gender-inclusive. 71 4.3 Semantisch-pragmatische Textanalyse 4.3.1 Text als kommunikative Einheit und Analysekategorie Eine pragmatische Sichtweise ist grundlegend für die Analysen in diesem Buch. Die Personenbezeichnungen werden demnach als in konkrete Sprechakte und kommunikative Ereignisse eingebettet betrachtet. Die Referenzen auf diese Personen sind kommunikative Handlungen und erfolgen erst mittels der Personenbezeichnungen in Texten. Daher ist für die Analysen eine semantischpragmatische Textperspektive zentral und eine Klärung des Textbegriffes notwendig. Es ist aber nicht das Anliegen, eine allgemeingültige Definition von Text formulieren. Eher wird es sich darum handeln, das Augenmerk auf einige für die Analyse relevante Merkmale typischer Texte zu richten. Es wird hier ein prototypisches Textverständnis vorgeschlagen. Begriffe wie beispielsweise Sprechakt und kommunikatives Ereignis stellen komplexe Kategorien dar, bei denen die konkrete, mediale Realisierung der Äußerung an sich nicht berücksichtigt wird. Daher ist eine spezifischere Analysekategorie notwendig, vor deren Hintergrund die Personenbezeichnungen analysiert werden können. Diese Kategorie ist Text. Text ist im Weiteren als „the individual communicative event within the ongoing interaction of discourse“ (de Beaugrande 1995: 6) zu verstehen. Im Kapitel 2 wird unter Variation zwischen unterschiedlichen Realisierungstypen geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen bereits die textinterne Variation verstanden, das heißt die Variation in ein und demselben Text. Text ist dabei die zentrale Analyseeinheit. Ein typischer Text kann sich zwar durch Selbständigkeit und Abgeschlossenheit auszeichnen, diese Eigenschaften sind jedoch relativ. Texte sind immer in Diskurse eingebettet und beziehen sich auf andere Texte (vgl. Adamzik 2004: 95). Diese Sichtweise ist hier zentral und wird weiter unten begründet. Der pragmatischen Auffassung von Sprache und Bedeutung entsprechend können wir den Text als ein soziales Phänomen ansehen. Damit wird hier eine Sichtweise auf Text geteilt, die Busse (1992) auf folgende Weise formuliert: „Die ‚Realität’ eines Texts darf [...] weder auf die ausgehöhlte Form eines Textformulars reduziert werden (Texte werden nicht als Worthülsen produziert, sondern als Texte-in-Funktion), noch auf ein privates Bewußtsein eines verstanden habenden Individuums. Text ist ein Phänomen im sozialen Zwischenbereich zwischen den Menschen und deshalb eine intersubjektive, überindividuelle Größe; ein Text steht immer schon in funktionalen Bezügen, in Handlungsgefügen, in Sprachspielen, d.h. in einer gesellschaftlichen Praxis.“ (ebd.: 182) 72 In einem zweiten Schritt ist der Textbegriff bei Zifonun et al. (1997a) zu erwähnen. Ihre Auffassung von Text hebt sich zum einen von Vorstellungen vom Text als Träger nicht-sprachlicher Zeichen ab (vgl. Adamzik 2004: 41ff.). Zum anderen grenzt er sich von dem Standpunkt ab, dass alles an sprachlich Hervorgebrachtem Texte seien (vgl. ebd.: 9f.). Zifonun et al. (1997a) reservieren so den Begriff Text für bestimmte, im typischen Fall schriftliche Erscheinungen: „TEXTE sind Produkte sprachlichen Handelns, die in ihrer medialen Repräsentation und Gestaltkonstanz darauf angelegt sind, abgelöst von der Entstehungssituation an anderen Orten und zu anderen Zeiten (immer neu) rezipierbar zu sein.“ (ebd.: 249) In dieser Arbeit werden lediglich schriftliche, das heißt von ihrer Entstehungssituation losgelöste und immer neu rezipierbare Produkte sprachlichen Handelns, aber keine mündlichen Quellen herangezogen. Deswegen kann diese Textdefinition als Grundlage weiterer Charakterisierungen dienen. Demnach sind Bilder, Illustrationen und andere nonverbale den Text begleitende Zeichen nicht als Texte zu verstehen. Solche Zeichen können wir mit dem verbalen Text in Anlehnung an Adamzik (2004: 43) als Teile ein und desselben semiotischen Kommunikats verstehen. Einige Quellentexte, vor allem die Pressetexte, sind in Begleitung unterschiedlicher Typen nicht-sprachlicher Zeichen (vor allem Fotos) veröffentlicht worden. Letztere sind Teile des Kommunikats und können mit in die Textanalyse einbezogen werden, wenn sie zusätzliche Informationen beinhalten, beispielsweise zur Erschließung der Referenz der Personenbezeichnungen. Dem Text als Forschungsgegenstand kann man sich auf unterschiedlichste Weise annähern. So weisen Heinemann und Heinemann (2002) auf den Umstand hin, dass man aus grammatischer, semantischer, pragmatisch-kommunikativer und kognitiver Sicht an den Text herangehen kann - je nach Textdefinition und sprachtheoretischem Ansatz (vgl. ebd.: 64ff.). Es liegen auch mehrere Versuche vor, den Textbegriff zu definieren (vgl. Klemm (2002: 19ff.). Darunter stellen de Beaugrandes und Dresslers (1981) sieben Textualitätskriterien „den einflussreichsten Versuch einer Zusammenschau“ (Adamzik 2004: 40) von Textualität dar. Die Kriterien sind Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität und Intertextualität (vgl. de Beaugrande und Dressler 1981: 3ff.). Wenn ein sprachliches Produkt nicht sämtliche Kriterien erfüllt, dann ist es de Beaugrande und Dressler (1981: 3) zufolge nicht kommunikativ und stellt keinen Text dar. Sandig (2000: 95) und Adamzik (2004: 53) unter anderen zeigen jedoch, dass de Beaugrandes und Dresslers (1981) Textualitätskriterien keine Merkmale sein können, die Texte von Nicht-Texten unterscheiden. Wenn nämlich der Text ein kommunikatives Ereignis ist, dann müssen unter Texte auch solche fallen, die sogar das erste und wichtigste Kriterium bei de Beaugrande und Dressler, 73 das der Kohäsion, nicht erfüllen (vgl. Sandig 2000: 95). Textualität ist demnach „eine relative Größe [...], die mehr oder weniger stark ausgeprägt sein kann.“ (Adamzik 2004: 44) Aus diesen Gründen kann man sich der Auffassung von Adamzik anschließen, dass die Textualitätskriterien „nicht als (in mehr oder weniger großem Ausmaß) notwendig vorhandene Eigenschaften von Texten behandelt [werden sollen - M.P.], sondern lediglich als Beschreibungsdimensionen für wesentliche Eigenschaften von (prototypischen) Texten“ (Adamzik 2004: 53) dienen. „Eine bündige Definition von Text kann nur Teilaspekte erfassen und die Vielzahl von Definitionen ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass man jeweils unterschiedliche (Kombinationen von) Teilaspekte(n) fokussiert. Angesichts dessen ist seit den 1980er Jahren der Streit um eine einheitliche und klare Definition von Text denn auch in den Hintergrund getreten und man bemüht sich um eine Überwindung der (teilweise nur vermeintlichen) Gegensätze durch integrative Ansätze, bei denen es weniger um eine Definition geht als um die Zusammenstellung von Aspekten, die sich in der Diskussion als wesentlich für die Charakterisierung und Beschreibung des Phänomens herausgestellt haben.“ (ebd.: 39f.) Demnach ließen sich Texte als mehr oder weniger prototypische Exemplare beschreiben, so wie Sandig (2000: 109) Textualität ausgehend von der Prototypentheorie versteht. In einem Kreisschema mit Textualitätsmerkmalen setzt Sandig die Textfunktion als zentralen Standard der Textualität (vgl. ebd.: 108). Im ersten Kreis um den Prototypen-Kern befinden sich die Merkmale Kohäsion, Kohärenz, Situationalität und Thema. Der äußere Kreis beinhaltet Merkmale wie Text hat Autor/ Rezipienten und Texte als begrenzte Einheit. In der vorliegenden Untersuchung werden Textfunktion, Thema, Abgeschlossenheit und Selbständigkeit als zentrale Merkmale für Textualität gesetzt. Ausgehend von einem Prototypenmodell kann man bestimmen, wie die einzelnen Quellentexte voneinander abzugrenzen sind. Dadurch lassen sie sich auch als die entscheidenden kommunikativen Größen bestimmen. Eine solche Bestimmung ist zugleich Voraussetzung für die Annahme einer textinternen Variation unterschiedlicher Realisierungstypen der Personenbezeichnungen. Unter den Abgrenzungsfaktoren können sowohl textinterne (Kohäsion, Kohärenz) als auch an der Kommunikationssituation orientierte und teilweise textexterne Faktoren (zum Beispiel Textfunktion und Kontext) zur Geltung kommen. Das Textverständnis hier ist somit ein integratives (vgl. Brinker 2005: 17). Unter textinternen Kriterien zur Abgrenzung der Quellentexte voneinander sind Thema, Selbständigkeit, Abgeschlossenheit und Textfunktion 57 entscheidend. Kohärenz ist in vielen Fällen durch Kohäsion bedingt, und das Thema eines sprachlichen Produktes wiederum ergibt sich erst aus der Kohärenz. Daher wird für jeden einzelnen analysierten Text ein Thema formuliert, 57 Zum Verständnis von Funktion und Textfunktion in dieser Arbeit, siehe Kapitel 4.3.4. 74 das sich stichwortartig paraphrasieren lässt. Es wird dabei von Lötschers (1987: 78) weit gefassten Themenbegriff ausgegangen. 58 Er stellt in seiner Diskussion über verschiedene Themenkonzepte fest, dass sich hauptsächlich drei Themenansätze identifizieren lassen: „Thema als Fokus“ (ebd.: 17), „Thema als Fragestellung“ (ebd.: 25) und „Thema als Informationskern“ (ebd.: 35). Im Fokusansatz werden „als Themen diejenigen Objekte [verstanden - M.P.], die im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, auf die das Interesse der Gesprächsteilnehmer gerichtet ist.“ (ebd.: 18) Wenn das Thema als Fragestellung verstanden wird, dann ist es nach Lötscher eine bestimmte Fragestellung, um deren Lösung sich die Gesprächsteilnehmer bemühen, das heißt etwas Umstrittenes (vgl. ebd.: 31). Das Thema stellt somit „ein [...] zu verhandelndes Handlungsziel“ (ebd.: 28) für die Gesprächsteilnehmer dar. Thema als Informationskern besagt, dass man unter einem Thema die Kerninformation oder ein „semantisches Kondensat“ (ebd.: 35) des aktuellen Texts versteht. Wie Lötscher feststellt, eignet sich dieser Themenbegriff insbesondere für Erzähltexte, in denen weder Gegenstände als Referenzobjekte noch Fragestellungen im Vordergrund stehen (vgl. ebd.: 46). Problematisch am Kerninformationskonzept erscheint nach Lötscher demgegenüber, dass es keine eindeutigen Kriterien zur Festlegung eines Themas vorsieht. Lötschers Vorschlag ist eine vergleichsweise weit gefasste Definition des Textthemas: „mangelhaftes Objekt, dessen Mangel im Text behoben werden soll.“ (ebd.: 299f.) Diese Definition ergibt einen engen Zusammenhang zur Textfunktion und zum Texttyp. Das Textthema kann mit anderen Worten je nach Texttyp und Textfunktion sehr unterschiedlich sein: „Die Vielfältigkeit der Texttypen und die damit zusammenhängenden Variationen eines dazu passenden speziellen Themabegriffs lassen sich im Rahmen dieser Definition mit der These erfassen, daß Themen sehr verschiedene Typen von Objekten mit sehr verschiedenartigen Mängeln sein können, die auf sehr verschiedene Art mit Hilfe eines Textes behoben werden können.“ (ebd.: 300) Dieser weit gefasste Themenbegriff wird in dieser Studie benutzt. In den einzelnen Textanalysen gilt es zu zeigen, auf welche Weise das jeweilige Textthema mit der Textfunktion zusammenhängt und vor allem wie man Textthema und Textfunktion mit der textinternen Variation der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen in Beziehung setzen kann. Am einzelnen Text soll auch eine der folgenden kommunikativen Funktionen (Brinker 2005) erkennbar sein: Informationsfunktion, Appellfunktion, Obligationsfunktion, Kontaktfunktion oder Deklarationsfunktion (vgl. ebd.: 112f.). Allerdings können wir mit Adamzik (2004: 111) festhalten, dass sprachliche Äußerungen überhaupt nicht nur eine, sondern gleichzeitig mehrere 58 Der Verweis auf Lötschers (1987) Themenbegriff ist Adamzik (2004: 120f.) zu verdanken. 75 Funktionen realisieren. Dies gilt auch für die analysierten Texte. Obwohl mehrere Funktionen gleichzeitig realisiert werden, sollte es für den einzelnen Text möglich sein, eine übergeordnete, dominierende Textfunktion zu ermitteln. Die Textfunktion hängt auch mit dem Textthema eng zusammen und lässt sich methodisch durch drei Typen von „Indikatoren der Textfunktion“ (Brinker 2005: 104) ermitteln: (1) Sprachinterne Strukturen und Formen, mit denen der Absender dem Empfänger gegenüber explizit zeigt, wie letzterer die Art des Kontakts durch die Mitteilung (den Text) aufzufassen hat (vgl. ebd.: 105). (2) Sprachinterne Strukturen und Formen, mit denen der Absender dem Empfänger gegenüber seine Einstellung zum Inhalt des Textes zum Ausdruck bringt. Dabei mag es sich um explizite evaluierende Elemente oder implizite Bewertungen handeln (vgl. ebd.). (3) Ferner kommt bei der Ermittlung der Textfunktion dem Kontext (zum Beispiel Medium, Textsorte) und dem Diskurs, von dem der Text einen Teil ausmacht, erhebliche Relevanz zu. Auch kontextuelle, teilweise sprachexterne Faktoren sind also für die Bestimmung der Textfunktion wichtig (vgl. ebd.: 106). Kontextuelle und sprachexterne Faktoren indizieren nicht nur die Textfunktion. Sie bilden auch den kommunikativen Rahmen des jeweiligen Textes. Deswegen sind diese als Abgrenzungskriterien für Texte überhaupt entscheidend. Solche Faktoren sind bezüglich der analysierten Texte in sämtlichen Fällen im aktuellen Medium enthalten, ob in Printmedien (zum Beispiel der tageszeitung) oder auf Internetseiten. In Hinblick darauf sind so genannte Textbegrenzungssignale wichtig: „Zu den sprachlichen Signalen für Textanfang bzw. Textschluß gehören z.B. Überschriften, Buchtitel und bestimmte Einleitungs- und Schlußformeln; an nicht-sprachlichen Mitteln sind vor allem bestimmte Druckanordnungskonventionen zu nennen (Buchstabengröße bei Überschriften, Leerzeilenkontingent usw.) [...]. Diese und andere Textbegrenzungssignale kennzeichnen also die Zeichenbzw. Satzfolgen, die für den Emittenten den Charakter der Selbständigkeit und Abgeschlossenheit besitzen, kurz: die er als Texte verstanden wissen will.“ (Brinker 2005: 19) Diese Textbegrenzungssignale indizieren die relative Abgeschlossenheit und Selbständigkeit des einzelnen Textes. Bei der Analyse von Texten aus Tageszeitungen und Magazinen gehören zu den Textbegrenzungssignalen graphische Abgrenzungen und Überschriften ebenso wie die Verfasserzeile am Ende des Artikels. Bei jeder einzelnen Textanalyse werden die relevanten Textbegrenzungssignale erwähnt. Damit wird die Klassifizierung einer bestimmten Kette kohärenter Sätze als Text transparent. 76 Es ist aber noch einmal darauf hinzuweisen, dass die analysierten Texte nur bedingt selbständig und abgeschlossen sind. In der Tat sind sie immer in Diskurse eingebettet und verweisen intertextuell auf andere Texte, sie sind Teile eines größeren Textuniversums (vgl. Adamzik 2004: 46). Dabei können wir auf ein Diskursverständnis rekurrieren, das auf Foucault zurück geht. Er sieht den Diskurs als eine Vernetzung mehrerer Texte, die soziale Wirklichkeit und gesellschaftliche Macht konstituieren: „[D]er Diskurs - dies lehrt uns immer wieder die Geschichte - ist auch nicht bloß das, was die Kämpfe oder die Systeme der Beherrschung in Sprache übersetzt: er ist dasjenige, worum und womit man kämpft; er ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht.“ (Foucault 2007: 11) 59 Warnke (2007: 10ff.) weist zu Recht auf die Unschärfe von Foucaults Diskursbegriffes hin. Auch innerhalb der Foucaultschen Tradition wird Diskurs unterschiedlich definiert (vgl. Mills 2007: 1ff., Warnke 2007: 3f). Ein solch weit gefasster Diskursbegriff lässt sich auch schwer operationalisieren. Man könnte mit Gardt (2007a) folgende Merkmale als zentral für den Diskursbegriff setzen: „Ein Diskurs ist die Auseinandersetzung mit einem Thema, die sich in Texten und Äußerungen der unterschiedlichsten Art niederschlägt, von mehr oder weniger großen gesellschaftlichen Gruppen getragen wird, das Wissen und die Einstellungen dieser Gruppen zu dem betreffenden Thema sowohl spiegelt als auch aktiv prägt und dadurch handlungsleitend für die zukünftige Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Bezug auf dieses Thema wirkt.“ (ebd.: 30) Das Analysematerial der vorliegenden Arbeit besteht in erster Linie nicht aus Texten, die thematisch zusammenhängen. Die Quellentexte entstammen unterschiedlichen Publikationen verschiedener gesellschaftlicher Bereiche und sie besitzen keine gemeinsame Thematik, sondern weisen eine gemeinsame sprachliche Erscheinung auf: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in der Form unterschiedlicher Realisierungstypen. Deswegen sind die Analysen keine Diskursanalysen, sondern semantisch-pragmatische Textanalysen. Die einzelnen Texte stehen im Fokus, nicht die Diskurse, in die sie eingebettet sind. 59 In einer anderen Theorietradition wird der Diskurs als eine Form mündlicher Kommunikation gesehen - im Gegensatz zum Text, der zur schriftlichen Kommunikation gehört (vgl. Zifonun et al. 1997a: 161). 77 Dennoch ist der Diskursbegriff hier relevant. Wie in Kapitel 3 ausgeführt, wurde viele Quellentexte ausgewählt, weil sie in einem feministischen Diskurs situiert sind und Beidbenennungen enthalten. Das sind Eigenschaften der Texte, die sich ausgehend von deren diskursiver Einbettung erklären lassen. Demnach können wir mit Jäger (2004) die einzelnen Quellentexte als Diskursfragmente betrachten. Jäger versteht unter Diskursfragmenten „Bestandteile von bzw. Fragmente von Diskurssträngen (= Abfolgen von Diskursfragmenten mit gleicher Thematik), die sich [...] in ihrer Gesamtheit den Gesamtdiskurs einer Gesellschaft ausmachen [...]“ (ebd.: 117). Durch diese Betrachtungsweise können beispielsweise Formen der Darstellung von Personen in einzelnen Texten auf Charakteristika eines größeren Diskursstranges oder Diskurses hindeuten. 4.3.2 Textbedeutung und Textinterpretation Grundlegend für die vorliegende Studie ist eine textlinguistische und textanalytische Perspektive. Die Personenbezeichnungen werden in ihrem textuellen Zusammenhang analysiert und ihre Bedeutung wird von der jeweiligen textuellen Einbettung her erklärt. Daher ist hier das Anliegen, ein Verständnis von Textbedeutung zu formulieren. In der Linguistik findet sich kein theoretischer Ansatz zur Textbedeutung und Textinterpretation, über den Einigkeit herrscht (vgl. Busse 1992: 131). Die folgenden Überlegungen zur Textbedeutung und Textinterpretation basieren auf dem Verständnis von Bedeutung, das im Kapitel 4.2 formuliert wurde. Wichtig ist dabei die Position, dass die Bedeutung eines Lexems in einem bestimmten textuellen Zusammenhang als das Ergebnis von Referenz, semantischem Konzept und anderen relevanten Textkonstitutionsfaktoren anzusehen ist. Damit ist auch Textbedeutung eine komplexe Größe. Es handelt sich somit um eine sowohl semantische als auch pragmatische Perspektive auf Bedeutung, da Kotext (und gelegentlich Kontext) immer als Erklärungsfaktoren bei der Bestimmung von Bedeutung hinzugezogen werden. Hier wird die Auffassung von Busse geteilt, dass Texte intersubjektive Größen sind. Deren Erschließung kann man weder auf die Bloßlegung objektivierbarer Bedeutungen noch auf die subjektive Konstruktion von Sinn durch den Textrezipienten reduzieren. Busse versteht unter Textinterpretation die Erschließung von Bedeutung, die wiederum dynamisch ist und letztendlich von sozialen Konventionen ausgeht: „Das heißt, daß ein Textverständnis, eine Textinterpretation, eine Bedeutungsexplikation letztlich im objektiven Sinne nicht entscheidbar ist. Jede diskursive Auseinandersetzung, die etwa über eine Textbedeutung geführt wird, muß irgendwann einmal abgeschlossen werden; ist bis dahin keine Einigung erzielt worden, entscheidet allein die subjektive Intuition der jeweiligen Beteiligten.“ (ebd.: 186) 78 Busses bedeutungs- und interpretationstheoretischer Ansatz ist daher nicht konstruktivistisch. Er ist aber auch nicht repräsentationistisch im Sinne eines Abbildrealismus, nach dem der Text problemlos eine äußere Wirklichkeit abbildet. Sowohl die konventionalisierten Bezüge zur Welt durch Zeichen als auch der dynamische und subjektive Charakter von Sprache werden darin anerkannt. Ähnlich wie Busse verortet Gardt (2007b) seine Überlegungen zur linguistischen Textinterpretation zwischen (Abbild-)Realismus und Konstruktivismus. Er stellt dabei drei Forderungen auf, denen linguistisches Interpretieren gerecht zu werden hat: (1) Die linguistische Analyse von Texten sollte sich als ein „Spiel zwischen Offenheit und Bestimmtheit von Bedeutung begreifen“ (ebd.: 278) und sich zwischen realistischen und konstruktivistischen Standpunkten positionieren. Dabei muss man nicht auf die Möglichkeit einer richtigen oder eigentlichen Interpretation eines einzelnen Textes verzichten, jedoch soll diese Interpretation in jedem Fall möglichst offen und methodisch transparent sein (vgl. ebd.: 276ff.). (2) Im Zentrum der Analyse soll der individuelle Text stehen, nicht ein beliebiger Text als Repräsentant einer Textsorte oder eines Texttyps (vgl. ebd.: 278). (3) Beim methodischen Verfahren der Textanalysen sollte der jeweilige Text ausgehend von seinen verschiedenen Gestaltungsdimensionen beschrieben werden (vgl. ebd.). In den folgenden Analysen sollen sowohl repräsentationistische als auch bedeutungskonstruktivistische Elemente berücksichtigt werden. Wie oben (Kapitel 4.2) beschrieben wurde, trägt das Bedeutungsverständnis in dieser Arbeit dem Umstand Rechnung, dass sprachliche Benennungen außersprachliche Erscheinungen repräsentieren können, dass dies jedoch zugleich immer über dynamische Bedeutungskonzepte erfolgt. Dies gilt für die Bedeutung einzelner Wörter wie auch für komplexe Textbedeutung. Die analysierten Texte (und deren jeweilige Textbedeutung) sind nach Gardts (2007b) zweitem Punkt außerdem als individuelle Ereignisse anzusehen. Sie sind wegen der Variationen zwischen unterschiedlichen Realisierungstypen geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen an und für sich interessant. Bei der Beschreibung und Analyse der Texte wird es von Text zu Text unterschiedlich sein, welche Schwerpunkte bei den textuellen Gestaltungsdimensionen gesetzt werden. Im Zentrum sämtlicher Textanalysen stehen Textthema und Textfunktion. Auf der Ebene des Textes sind Elemente wie Textaufbau und „Konzepte des Implizten“ (Linke und Nussbaumer 2000: 435) wie Präsuppositionen und Implikaturen wichtig. Auch Argumentationsmuster spielen auf Textebene eine wichtige Rolle. Auf der Ebene des Satzes und Wortes sind textthematisch zentrale Begriffe und begriffliche Inhalte der Texte im Fokus. 79 Wie aber in den Analysen noch deutlich werden wird, sind die Textebene und die Ebene des Satzes und Wortes ineinander verschränkt. Die Textanalysen erfolgen daher mit Einbeziehung beider Ebenen. Für die Textanalysen sind auch die Begriffe Kotext und Kontext zentral. Unter Kotext ist der Textzusammenhang zu verstehen, der ein bestimmtes Textelement umgibt (vgl. Busse 1992: 156). Der Kotext kann sich auf eine einzelne Textstelle beschränken oder einen ganzen Text umfassen. Als Kontext wird demgegenüber alles definiert, was sich außerhalb des Kotexts befindet, zum Beispiel Entstehungssituation des aktuellen Texts, Medium, Publikationsfaktoren usw. Die Darstellung der Textanalysen (Kapitel 5 und 6) spiegelt die analytische Vorgehensweise wider und enthält folgende Schritte: Zuerst erfolgt eine Makrobeschreibung der Textstruktur; zugleich wird die Klassifizierung des Textes als eine textuelle Einheit begründet. Textfunktion und Textthema werden expliziert, insbesondere für die Analyse zentrale Textbedeutungen und textthematische Schwerpunkte. Hierher gehören auch Argumentationsstrategien im Text, wichtige Begriffe usw. Nach diesem Schritt erfolgt eine Analyse der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen im Text. Diese werden genauer auf ihre Funktion und Relevanz hin analysiert und zum Text als Ganzheit in Beziehung gesetzt. 4.3.3 Relevanz Ein Anliegen in diesem Buch ist es, die Personenbezeichnungen unter Berücksichtigung der Relevanz zu analysieren. Vor allem im Analysekapitel 6 steht der Relevanzbegriff im Vordergrund, insbesondere in Hinblick auf die thematische Relevanz. Wir können dabei von der These ausgehen, dass verschiedene Realisierungstypen (Maskulinum, Beidbenennung oder Neutralform) der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen in verschiedenen Kotexten unterschiedlich relevant sind. Beispielsweise kann in einem bestimmten Zusammenhang die Verwendung eines geschlechtsübergreifenden Maskulinums hohe Relevanz besitzen. In einem anderen Zusammenhang erscheint aber die Verwendung einer Beidbenennung relevanter, indem damit weibliche und männliche Personen gleichermaßen sprachlich explizit werden. Relevanz wird in dieser Arbeit in Anlehnung an Sperber und Wilson (1995) als die Beziehung zwischen Proposition und Kontext verstanden. Unter Proposition ist eine einzelne Proposition und die darin vorkommenden sprachlichen Elemente zu verstehen, während Kontext als der sprachliche Zusammenhang, in dem die Proposition vorkommt, definiert wird. 60 Da in dem vorliegenden 60 Vgl. hierzu die Darstellung der Relevanztheorie Sperbers und Wilsons (1995) bei Liedtke (2001). Sperber und Wilson sehen, so Liedtke, „den Stellenwert der Relevanzmaxime und des Relevanzbegriffs nicht im Zusammenhang mit der Generierung von konversationellen 80 Buch Kotext als Nah-Kontext, als die jeweilige textuelle Einbettung verstanden wird, ist der Kontextbegriff des relevanztheoretischen Ansatzes mit dem hier verwendeten Kotextbegriff in etwa synonym. Die entscheidende Frage bei der Feststellung von Relevanz oder Nicht- Relevanz ist dabei: Inwieweit vermag eine Proposition oder ein Teil einer sprachlichen Äußerung so genannte kontextuelle Effekte herbeizuführen (vgl. Sperber und Wilson 1995: 122)? Unter einem kontextuellen Effekte ist etwa eine ‚Veränderung der Informationslage in einem bestimmten Kontext’ zu verstehen: „The sort of effect we are interested in is a result of interaction between new and old information.“ (ebd.: 109) Das Relevanzprinzip lässt sich damit so formulieren, dass sprachliche Elemente in einem gegebenen Kotext dann relevant sind, wenn sie eine bedeutende Veränderung der Informationslage in diesem Kotext herbeiführen. Sperber und Wilson nehmen drei Typen kontextueller Effekte an: „the addition of contextual implications“ (ebd.: 114), „the strengthening of previously held assumptions“ (ebd.) sowie „the elimination of false assumptions“ (ebd.). Eine kontextuelle Implikation liegt dann vor, wenn die Implikation Q aus der Proposition P im Kontext K resultiert, jedoch nur unter Voraussetzung, dass 1) die Verbindung von P und K Q nicht-trivial impliziert, 2) P nicht Q nicht-trivial impliziert und 3) K nicht Q nicht-trivial impliziert (vgl. ebd.: 107f.). Es geht somit darum, dass eine neue Implikation nur aus der Zusammenstellung einer bestimmten Proposition und eines bestimmten Kontexts resultiert, aber nicht allein durch die Proposition oder den betreffenden Kontext. Diese Art von Implikation verstehen Sperber und Wilson auch als „dependent strengthening“ (ebd.: 112), da sie von sowohl P als auch K abhängig ist. Im Gegensatz zu diesem kontextuellen Effekt sehen Sperber und Wilson den zweiten Typ von kontextuellen Effekten als „independent strengthening“ (ebd.) an. Es handelt sich dabei um die Verstärkung von im Text schon vorhandenen Annahmen. Die neue Proposition P verstärkt oder bestätigt eine im Kontext schon vorhandene Annahme. Der dritte Typ kontextueller Effekte ist die Aufhebung falscher Annahmen durch eine neue Proposition (vgl. ebd.: 114). Dieser kontextuelle Effekt entsteht dann, wenn die Proposition mit einer neuen Annahme stärker als die schon vorhandene und dieser entgegen gesetzte Annahme ist. Wie Sperber und Wilson feststellen, wird es nicht in jedem Fall möglich sein, die jeweilige Stärke der verschiedenen Annahmen im Text miteinander zu vergleichen (vgl. ebd.: 115). Dann besteht allerdings die Möglichkeit, weitere Indizien für und gegen die aktuellen Annahmen im Text zu suchen. Implikaturen, sondern sie fassen Relevanz als eine grundlegende kognitiv-pragmatische Größe auf. Die Fähigkeit von SprecherInnen, relevante Äußerungen in einem Gespräch zu produzieren, wird als Manifestation grundlegender kommunikativer Fähigkeiten aufgefaßt, die für jede Art von Äußerungen, nicht nur für Implikaturen eine Rolle spielen.“ (ebd.: 1167) 81 Jede sprachliche Äußerung enthält zumindest implizit die Annahme über ihre eigene Relevanz in einem gegebenen Kontext, allein dadurch, dass sie geäußert wird. Relevanz ist jedoch eine relative Größe. Abgesehen von den kontextuellen Effekten wird der Grad der Relevanz auch an der empfängerseitigen Anstrengung gemessen, die dazu benötigt wird, kontextuelle Effekte zu erkennen und zu entschlüsseln (vgl. ebd.: 123). Dabei wird es bei den Textanalysen darum gehen, die Anstrengung zu ermitteln, die dazu benötigt wird, einen kontextuellen Effekt zu erkennen, die mit der Verwendung eines bestimmten Realisierungstyps der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnung in einem bestimmten Kotext zusammenhängt. Ein solcher kontextueller Effekt kann zum Beispiel vorliegen, wenn durch Verwendung des Maskulinums die Annahme bekräftigt wird, dass es sich bei einer bestimmten Gruppe von Personen vorwiegend um Männer handelt. Die Anstrengung hinter der Entdeckung dieses kontextuellen Effekts ist wahrscheinlich geringer als bei Verwendung einer Beidbenennung, denn mit dem letztgenannten Realisierungstyp werden beide Geschlechtergruppen explizit sichtbar gemacht. Die Beidbenennung evoziert nicht wie beim Maskulinum die Konnotation ‚männlich’. In diesem Buch werden lediglich schriftliche Texte behandelt, Daher muss eine Analyse ausgehend vom Relevanzkonzept anders als bei Sperber und Wilson verlaufen. Dies hängt damit zusammen, dass die Autoren Dialoge analysieren, die aus chronologisch aufeinander folgenden Redebeiträgen bestehen. Es ist anhand eines Dialogs erheblich einfacher als anhand eines geschriebenen monologischen Textes nachzuweisen, dass beispielsweise eine früher im Dialog geäußerte Annahme durch eine neue Proposition in einem später geäußerten Redebeitrag als falsch entlarvt wird. Da die Textanalysen in diesem Buch immer vor dem Hintergrund des jeweiligen Textes vollzogen werden, wird bei der Ermittlung kontextueller Effekte der ganze Text als Vergleichsfolie hinzugezogen. Dabei fehlen im Unterschied zum Dialog die empfängerseitigen Reaktionen. Die Bloßlegung von Annahmen und kontextuellen Effekten muss folglich ohne objektiv feststellbare empfängerseitige Reaktionen auskommen. Daher wird ein möglichst hohes Niveau an analytischer Transparenz erstrebt. Der Relevanzbegriff wird so auf die analysierten Texte angewandt, dass diese auf die Relevanz bestimmter Realisierungstypen in bestimmten Kotexten hin befragt werden. Das Relevanzprinzip ist als Erklärungsansatz zu verstehen. 4.3.4 Metafunktion und Sprachsystem - eine systemisch-funktionale Grundlage der Analyse Bei der Analyse der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen ist eine kommunikative und sprachfunktionale Sichtweise zentral. Mit Bühler (1965) können wir feststellen, dass Sprache ein Werkzeug zur Kommunikation ist, ein organum (vgl. ebd.: 24). Bühler unterscheidet dabei drei verschiedene Sprach- 82 funktionen: Ausdrucksfunktion (senderbezogen), Appellfunktion (empfängerbezogen) sowie Darstellungsfunktion (objektbezogen) (vgl. ebd.: 28). Eine sprachfunktionale Herangehensweise ist auch für Jakobson (1960: 353f.) entscheidend, der Bühlers Tradition folgend sechs verschiedene Sprachfunktionen unterscheidet. Wie beispielsweise Beck (1980: 198f.) und Coseriu (1981: 56) bemerkt haben, sind allerdings die Kriterien und Ausgangspunkte, die der Einteilung der Sprachfunktionen bei Jakobson (1960) zugrunde liegen, recht heterogen. In der vorliegenden Arbeit wird von einer systemisch-funktionalen Sichtweise ausgegangen, wie vor allem Halliday und Matthiessen (2004) sie formuliert haben. 61 Halliday und Matthiessen (2004: 29f.) nehmen drei sprachliche Metafunktionen an: Die ideationelle, die interpersonelle, die textuelle. 62 Sie benutzen den Terminus Metafunktion, um zu verdeutlichen, dass die Sprachfunktionen obligatorisch, gleichzeitig wirksam und konstitutiv für Sprache überhaupt sind. Unter ideationeller Metafunktion verstehen sie die sprachliche Funktion, Inhalte zu konstruieren und wiederzugeben (vgl. ebd.: 29). Durch die interpersonelle Metafunktion wird die Tatsache erfasst, dass Sprache auch immer eine soziale Handlung ist und demzufolge „also a proposition, or a proposal, whereby we inform or question, give an order or make an offer, and express our appraisal of and attitude towards whoever we are addressing and what we are talking about.“ (ebd.) Die textuelle Metafunktion schließlich bezeichnet die text- und diskursorganisierende Funktion der Sprache, durch welche die zwei anderen Metafunktionen überhaupt möglich sind. Diese drei Metafunktionen kann man des Weiteren als drei verschiedene Bedeutungsdimensionen in der Sprache, „kinds of meaning“ (Martin und White 2005: 7), verstehen. In den Textanalysen werden die Personenbezeichnungen durchgängig auf ihre Rolle für die Realisierung der Metafunktionen hin betrachtet. Es handelt sich um die Frage, welche Metafunktionen bei den einzelnen Beispielen vorherrschend sind und welche Funktionen die verschiedenen Realisierungstypen in unterschiedlichen Textzusammenhängen haben. Damit lässt sich die kommunikative Sichtweise auf Sprache hier analytisch durch ein sprachfunktionales Begriffsraster konkretisieren. Beispielsweise steht in Kapitel 5.3 die interpersonelle Metafunktion im Vordergrund, während in Kapitel 6 die ideationelle Metafunktion stärker ins Zentrum der Analyse rückt. Die drei Metafunktionen werden damit als ein sprachfunktionales Raster benutzt, durch den wir die Va- 61 Dieser theoretische Ansatz nennt sich SFL (Systemic Functional Linguistics) oder SFG (Systemic Functional Grammar). 62 Diese Termini werden in Anlehnung an die Terminologie bei Helm Petersen (2007a: 7, 2007b: 1) und bei Smirnova und Mortelmans (2010: 67f.) verwendet. Im Original werden die drei Metafunktionen wie folgt bezeichnet: ideational, interpersonal und textual (vgl. Halliday und Matthiessen 2004: 29f.). Vgl. jedoch dazu Neumann (2003: 47), die die deutschen Termini ideational, interpersonal und textbildend verwendet. Steiner (1983: 174) nennt seinerseits die ideationelle Metafunktion Inhaltsfunktion. 83 riation bei verschiedenen Realisierungstypen der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen beleuchten können. Mit dem Metafunktionsbegriff Hallidays und Matthiessens (2004) hängt auch ihr Verständnis vom Sprachsystem zusammen. Sie sehen das System als Potenzial, als Ressource einer Vielfalt von Wahlmöglichkeiten an. Über diese Wahlmöglichkeiten auf der paradigmatischen Ebene werden wiederum die Metafunktionen in verschiedenartigen Konfigurationen miteinander realisiert. In Bezug auf die Personenbezeichnungen heißt dies, dass die im Sprachsystem vorhandenen Möglichkeiten zur geschlechtsübergreifenden Referenz auf Personen durch Personenbezeichnungen je nach textuellem Zusammenhang in unterschiedlichem Ausmaß zur Realisierung verschiedener Metafunktionen beitragen können. Im systemisch-funktionalen Ansatz wird jedoch keine scharfe Trennlinie zwischen System und Text, zwischen Potenzial und Instanziierung gezogen - dies im Unterschied zu der von de Saussure (1960: 25, 30) ausgehenden strukturalistischen Theorietradition, die eine Dichotomie zwischen langue (System) und parole (Gebrauch) postuliert. Dabei stellt, wie Krämer (2001: 96) in ihrer Durchsicht verschiedener Sprachtheorien in Hinblick auf deren Verständnis von Sprachsystem und Sprachhandlung ausführt, langue eine ideale und jedem Akt des akzidentiellen Sprachgebrauchs (parole) zugrunde liegende Sprache dar. Annähernd taucht dann bei Chomsky dieses Begriffspaar als competence bzw. performance auf (vgl. ebd.). Das Sprachsystem lässt sich jedoch umgekehrt, beispielsweise durch aktive Sprachnormierungsarbeit in Form von Grammatikschreibung und Lexikologie vorangetrieben, als eine konventionalisierte und historisch immer spezifische Form von Sprachgebrauch ansehen. Diese Sichtweise, so Krämer (2001: 271f.), schließt die Annahme eines Sprachsystems nicht aus, jedoch wird in dieser Perspektive Sprachgebrauch als dem System vorgängig und nicht umgekehrt betrachtet. Krämers Position wird hier geteilt und bildet zugleich eine wichtige Voraussetzung für die Analyse. Dies betrifft konkret die Variationsmuster, die ausgehend von den Textanalysen vermutet werden, das heißt mehr oder weniger musterhafte Typen textinterner Variation zwischen verschiedenen Realisierungstypen der Personenbezeichnungen. Ausgehend vom Verständnis von Sprachsystem und Sprachhandlung im systemisch-funktionalen Ansatz sowie bei Krämer (2001: 271f.) sind die Variationsmuster nicht als den konkreten Realisierungen der jeweiligen Variationstendenz vorausgehende Idealmuster anzusehen. Sie werden stattdessen als Muster betrachtet, die erst in ihren konkreten Realisierungen entstehen und möglicherweise erst durch systematische, linguistische Textanalyse als solche erkannt und erfasst werden können. Die Variationsmuster, die in den nachfolgenden Analysekapiteln beschrieben werden, existieren somit nicht in einer idealen Form jenseits ihrer Realisierungen im Text, sondern sie ergeben sich erst durch den Text selbst. 84 4.4 Zusammenfassung - der Analyseansatz im Überblick In dieser Arbeit wird von Searles (1995) erkenntnistheoretisch realistischem Ansatz ausgegangen (siehe Kapitel 4.1.2). Searle sieht bestimmte Ereignisse als nicht-konstruiert, andere wiederum als auf unterschiedliche Weise konstruiert an. Bezogen auf das Thema in diesem Buch wird davon ausgegangen, dass den Personen, auf die die geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen Bezug nehmen, der Status als reale und nicht-konstruierte Objekte zuzusprechen ist (falls es sich nicht um fiktive Personen handelt). Sprache kann zwar zur sozialen Konstruktion sonstiger Vorstellungen über diese Personen beitragen. Die Personen selbst und ihr biologisches Geschlecht existieren demgegenüber unabhängig von Sprachhandlungen. Aus diesem Umstand folgt allerdings nicht, dass sich in jedem einzelnen Fall die Wahrheit über diese Personen (beispielsweise über deren Geschlecht) über die Ebene der Sprache in Form von Texten herausfinden lässt. Dies ist ein zentraler erkenntnistheoretischer Ausgangspunkt dieser Arbeit. Das Verständnis von Bedeutung in der vorliegenden Studie (siehe Kapitel 4.2.2) stimmt mit Searles realistischem Ansatz überein, in dem ‚Wirklichkeit’ grundsätzlich als unabhängig von der Sprache verstanden wird. Wir können dabei zwischen sprachlichem Ausdruck, Referent und semantischem Konzept unterscheiden. Die Bedeutung ergibt sich demnach aus Konzept, Referent (das heißt, in den Fällen, bei denen sich die Referenz festlegen lässt) und situativen Anwendungsfaktoren. Da der Referent, der je nach Verwendungssituation eines Lexems immer ein anderer sein kann, für die Bedeutungskonstruktion berücksichtigt wird, werden auch pragmatische Aspekte der Bedeutung mit einbezogen. Insofern wird hier ein dynamisches Verständnis von Bedeutung angenommen. Ausgehend vom referenzsemantischen Ansatz wurden in Kapitel 4.2.3 Referenztypen präsentiert. Diese liegen der Analyse geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen zugrunde. Die Zusammenstellung von Referenztypen basiert sich auf Überlegungen zu verschiedenen Ansätzen dazu, Referenztypen zu klassifizieren. Sie dient der Einteilung der Personenbezeichnungen nach Referenztypen (vor allem in Kapitel 5). Die hier angenommen Referenztypen sind: Spezifische Referenz, nicht-spezifische Referenz und generische Referenz. Was das biologische Geschlecht der Referenten betrifft, werden die Personenbezeichnungen entweder als geschlechtsübergreifend oder als geschlechtsspezifisch männlich bzw. weiblich eingestuft. Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen stehen im Vordergrund dieser Arbeit, obwohl es bei ambigen Neutralformen und Maskulina nicht in jedem Fall möglich sein wird, die Referenz eindeutig festzulegen. Die geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen werden in jedem einzelnen Fall in ihrer textuellen Einbettung analysiert. So lässt sich die semantische Analyse der einzelnen Personenbezeichnungen mit einem pragmati- 85 schen Analyseansatz kombinieren. Dies erfordert eine textlinguistische Perspektive. Der einzelne Text ist in diesem Buch die zentrale kommunikative Größe und Analyseeinheit, auch wenn alle Texte nur bedingt selbständig und abgeschlossen sind. Die geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen werden immer vor dem Hintergrund des jeweiligen Textes, in dem sie vorkommen, analysiert (siehe Kapitel 4.3.1). Dabei handelt es sich vor allem um eine Ermittlung von Textbedeutungen. Ferner wird gefragt, in welcher Beziehung die Personenbezeichnungen, die Variation zwischen den Realisierungstypen und sonstige Textbedeutungen zueinander stehen. Ein prototypisches Textkonzept (vgl. Sandig 2000) ist hier entscheidend. Dennoch müssen in den Analysen einzelne Texte voneinander unterschieden werden können. Dazu dient eine Reihe von Textbegrenzungssignalen. Bei der Analyse der Personenbezeichnungen und bei der Textinterpretation wird ein möglichst hohes Niveau an analytischer Transparenz erstrebt (siehe Kapitel 4.3.2). Umso wichtiger erscheint die Transparenz, da nach dem Verständnis von Textbedeutung in diesem Buch (vgl. Busse 1992) eine vollständig objektive Textanalyse ohnehin nicht möglich ist. Im analytischen Umgang mit den Texten, der Textbedeutung und den Personenbezeichnungen ist die Erfassung der Textthemen, Textfunktionen, der Konzepte des Impliziten und der textuell zentralen Begriffe besonders wichtig. Die geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen und ihre semantisch-pragmatischen Leistungen werden des Weiteren unter dem Aspekt der Relevanz beleuchtet (siehe Kapitel 4.3.3). Relevanz lässt sich ausgehend von Sperber und Wilson (1995) an kontextuellen Effekten messen. Neben dem Relevanzkonzept ist Funktion ein zentraler Begriff. Es wird in den Analysen gefragt, welche Funktionen die verschiedenen Realisierungstypen (Maskulinum, Beidbenennung, Neutralform) im Text übernehmen. Dabei wird vom systemisch-funktionalen Ansatz von Halliday und Matthiessen (2004) ausgegangen, die drei in jeder Sprachhandlung vorhandene Metafunktionen annehmen: Die ideationelle, die interpersonelle und die textuelle (siehe Kapitel 4.3.4). Ein brauchbares Verständnis vom Sprachsystem findet sich bei Halliday und Matthiessen sowie - auf einer eher sprachtheoretischen Ebene - bei Krämer (2001). System wird demnach als Ressource, Potenzial und zugleich als Konventionalisierung von Sprachgebrauch angesehen. Das Sprachsystem ist somit keine ideale, perfekte Abstraktion von Sprache. Bezogen auf die Analysen in dieser Arbeit bedeutet diese Sichtweise, dass die Variationsmuster, die es in den Textanalysen aufzuspüren gilt, nicht in einem schon vorgegebenen Sprachsystem vorhanden sind. Die Variationsmuster, so diese Sichtweise, entstehen erst im konkreten Sprachgebrauch. II Analyseteil 89 5 Variation unter besonderem Gesichtspunkt der Referenz 5.1 Realisierungstyp und Referenztyp Dieses Kapitel behandelt die Beziehung zwischen der Referenz der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen und deren Realisierungstyp. Im ersten Teil (5.2) stehen Referenztyp und Realisierungstyp im Zentrum. Es geht dort um die Frage, ob zwischen Referenztyp und Realisierungstyp ein Zusammenhang besteht. Der zweite Teil (5.3) befasst sich mit der Herstellung einer sozialen Beziehung zwischen Absender und Empfänger, das heißt die interpersonelle Metafunktion. Die zentrale Frage in 5.3 ist, wie in Texten auf Personen referiert wird, die entweder zu den gedachten Lesern des Textes gehören und/ oder zugleich explizit im Text angesprochen werden. Hier steht nicht so sehr der Referenztyp der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen an sich im Zentrum, sondern die Frage, auf wen sie referieren. Auch der Referenztyp ist jedoch für die interpersonelle Dimension von Personenbezeichnungen ein relevanter Parameter. 5.2 Variation unter dem Gesichtspunkt des Referenztyps Der Analyse von Personenbezeichnungen in diesem Buch liegt ein referenzlinguistischer Ansatz zu Grunde. Wir können davon ausgehen, dass man mit sprachlichen Ausdrücken auf außersprachliche Objekte und auf kognitive Entitäten (Konzepte) referieren kann. 63 Die Studie greift dabei auf unterschiedliche Referenztypen zurück. Diese Referenztypen bilden für die Arbeit eine Grundlage, wobei sie insbesondere in diesem Kapitel im Mittelpunkt stehen. Im Folgenden gehen wir nämlich der Frage nach, auf welche Weise sich die konkrete sprachliche Ausprägung der geschlechtsübergreifenden Referenz mittels einer Personenbezeichnung zum jeweiligen Referenztyp verhält. Spezifisch geht es darum, ob ein systematischer Zusammenhang zwischen dem Referenztyp der jeweiligen Personenbezeichnung und deren Realisierungstyp (Maskulinum, Beidbenennung, Neutralform) feststellbar ist. Die angenommenen Referenztypen sind spezifische Referenz, nicht-spezifische Referenz, generische Referenz (vgl. Kapitel 4.2.3.1). 63 Über die klassische Dingreferenz hinaus, zu der unter anderem die Personenreferenz gehört, lassen sich auch zum Beispiel Situationsreferenz, Ortsreferenz, Zeitreferenz, Eigenschaftsreferenz, Modalitätsreferenz und Quantitätsreferenz unterscheiden (vgl. Vater 2005: 71f.) 90 In Arbeiten zu Sprache und Geschlecht im Deutschen ist der Beziehung zwischen Referenztyp und Realisierungstyp der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnung wenig nachgegangen worden. Einen Einstieg in die Problematik bietet allerdings Doleschal (1992). Sie setzt sich mit der Frage auseinandersetzt, wie sich die Verwendung einer zum Femininum movierten Personenbezeichnung zu unterschiedlichen Referenztypen verhält. Spezifisch beleuchtet sie die Frage, bei welchen Typen von Referenz auf Frauen die Movierung obligatorisch ist und bei welchen man die maskuline Form verwenden kann: „Die referentielle Funktion einer Personenbezeichnung ist insofern für das Thema der Movierung relevant, als die Signalisierung des Geschlechts einer Person wesentlich zu deren Identifizierung beiträgt.“ (ebd.: 58) Was die Relevanz der Verwendung von Movierungen angeht, nimmt Doleschal des Weiteren folgendes Prinzip an: Die Relevanz der Geschlechtsspezifikation „ist größer, wenn eine einzelne Person gemeint ist als wenn eine Gruppe bezeichnet wird [...]“ (ebd.: 59). Und vor dem Hintergrund der Verwendungsweisen von Nominalphrasen 64 , die sie annimmt, konkretisiert sie das Prinzip wie folgt: Bei referenziellen, definiten Nominalphrasen ist der Grad der Relevanz am höchsten, da in „definiten NPs [...] der Referent sowohl für Sprecher und Sprecherin als auch für Hörer und Hörerin eindeutig und determiniert sein“ (ebd.: 62) muss. Dabei beruft sich Doleschal auf den relevanztheoretischen Ansatz von Sperber und Wilson und auf empirische Daten. Sie folgert, dass die sprachliche Spezifizierung weiblicher Referenten bei Bezugnahme ausschließlich auf Frauen fast obligatorisch ist (vgl. ebd.: 63). Auch bei referenziellen indefiniten Nominalphrasen müsse das Geschlecht explizit gemacht werden, was bei Personenbezeichnungen die explizite Kennzeichnung weiblicher Personen durch Movierung bedeutet. Sonst werde das Relevanzprinzip verletzt, was eine Kommunikationsstörung herbeiführen könne (vgl. ebd.: 66). Im Unterschied dazu sieht Doleschal die Relevanz der expliziten Geschlechtskennzeichnung bei den von ihr als nicht-referenziell eingestuften Verwendungsweisen von Nominalphrasen (existentiellen, attributiven, universellen und generischen) als deutlich geringer: „Sprecher oder Sprecherin verletzten das Relevanzprinzip nicht, wenn sie eine männliche Personenbezeichnung im Singular wie im Plural auf beide Geschlechter beziehen wollen. Die Interpretation ‚männlich’ ist jedoch im Singular nach wie vor stärker als im Plural.“ (ebd.: 66) Bei prädikativ gebrauchten Nominalphrasen schließlich ist nach Doleschal 64 Siehe dazu Kapitel 4.3.2.1. 91 „die Bedeutung ‚Geschlecht’ weitgehend irrelevant, sodaß auch die geschlechtsspezifische Bedeutung des Movierungssuffixes in vielen Fällen nicht wahrgenommen und dieses als Kongruenzmarker uminterpretiert wird [...]“ (ebd.: 72). In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf den Ausgangspunkt dieser Arbeit zu verweisen, dass jede Nominalphrase, mit der Personen benannt werden, als referenziell angesehen wird. Dies bedeutet, dass die von Doleschal als nichtreferenziell eingestuften Benennungsweisen hier referenziell sind. Ebenso ist darauf hinzuweisen, dass entgegen Doleschals angenommenen Referenz- und Benennungstypen hier andere Referenztypen angesetzt wurden. Doleschal befasst sich lediglich mit der Movierung bei Benennung weiblicher Personen. Movierte Formen bei geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen thematisiert sie jedoch nicht. Ihre Aussagen zum Grad der Relevanz der femininen Movierung basieren teils auf empirischen Daten, zu deren Status jedoch nur spärliche Aussagen vorhanden sind, teils auf introspektiven Überlegungen ausgehend vom Relevanzprinzip. Dabei benutzt Doleschal auch selbst konstruierte Beispiele: Sätze, in denen weibliche Personen durch entweder maskuline oder feminine Personenbezeichnungen benannt sind. Diese Sätze wertet sie in Hinblick auf ihre Akzeptabilität oder Nicht-Akzeptabilität aus. Bei einigen Verwendungsweisen von Personenbezeichnungen postuliert Doleschal eine über die bloße Relevanz hinausgehende Tendenz zur Obligatorik movierter Formen. Die Obligatorik gilt, so die Autorin, beispielsweise in prädikativ gebrauchten Nominalphrasen, die sich auf ein weibliches Subjekt beziehen und deren Adjektivattribut weibliche Geschlechtsstereotypen aktualisiert (vgl. ebd.: 75). Als Beispiel führt sie den folgenden Satz an, dessen prädikative Nominalphrase moviert werden müsse: „Sie ist eine gutaussehende Ministerin.“ (ebd.) An diesen konstruierten Beispielsätzen zeigt sich andeutungsweise auch ein präskriptiver Ansatz, ebenso wie in Doleschals Verständnis von Obligatorik. In dieser Arbeit wird demgegenüber nicht wie bei Doleschal von Obligatorik und Nicht-Obligatorik der Movierung ausgegangen. Stattdessen kann man annehmen, dass bei geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen die explizite Kennzeichnung weiblicher Referenten je nach Textzusammenhang in unterschiedlichem Ausmaß relevant sind. Dies bildet einen zentralen Unterschied zwischen Doleschal und dieser Untersuchung. Zudem ist der Untersuchungsgegenstand hier ein anderer: geschlechtsübergreifend referierende Personenbezeichnungen. Dennoch sind Doleschals Thesen von unmittelbarem Interesse für dieses Kapitel, da sie auf der Auffassung basieren, dass generell bei nach ihrem Verständnis referenziellen Benennungen von Frauen die Relevanz der Movierung größer sei als bei nicht-referenziell Benennungen. Diese These spielt hier eine zentrale Rolle, und zwar in der Hinsicht, dass sie hier auf die Wahl zwischen Beidbenennung einerseits und Maskulinum oder Neutralform andererseits übertragen wird. Es wird also hier untersucht, ob der Referenztyp die Wahl des 92 Realisierungstyps erklären könnte, oder im Klartext: Ob eine Personenbezeichnung beispielsweise konkret und spezifisch oder allgemein und nicht-spezifisch referiert und inwieweit man den Realisierungstyp und den Referenztyp ins Verhältnis zueinander bringen kann. Doleschals Daten beschränken sich auf einen Roman sowie auf eine Reihe publizistischer Texte, die nicht weiter spezifiziert sind. Ihr empirisches Material ist vermutlich nicht sehr umfangreich. 65 Auch dieser Umstand regt dazu an, ihre Thesen anhand eines größeren Materials zu prüfen, was auch die Autorin selbst als Forschungsdesiderat identifiziert. 66 Dies bildet einen weiteren Beweggrund, Doleschals Annahmen als Ausgangspunkt für die Analyse geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen anzunehmen. 5.2.1 Textanalysen Folgendes Bild ergibt sich nun: Für insgesamt zehn Quellentexte mit Variation zwischen unterschiedlichen Realisierungstypen der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnung ist festzustellen, dass überwiegend Maskulina zur nichtspezifischen und Beidbenennungen zur spezifischen geschlechtsübergreifenden Referenz benutzt werden. 67 Weitere Regelmäßigkeiten hinsichtlich der Beziehung zwischen Referenztyp und Realisierungstyp, beispielsweise in Hinblick auf Neutralformen, konnten bei den vorliegenden Quellentexten nicht festgestellt werden. Die einzige feststellbare Variation in Hinblick auf das Verhältnis zwischen Referenztyp und Realisierungstyp ist folglich eine Tendenz, die den Thesen von Doleschal (1992) ähnelt. Im Folgenden werden einige ausgewählte Texte, die dieses Variationsmuster auf unterschiedliche Weise realisieren, vorgestellt und diskutiert. 65 Die Reliabilität von Doleschals Beobachtungen lässt sich kaum beurteilen, da sie nur die folgende Bemerkung zur Materialauswahl macht: „Das von mir verwendete Korpus besteht einerseits aus allen Sätzen des Romans ‚Verhaltene Tage’ von Wolfgang TRAMPE, in denen entweder movierbare oder movierte Personenbezeichnungen auftreten, andererseits aus Sätzen aus neuesten österreichischen publizistischen Texten (Zeitungen, Radio), die sich auf Frauen beziehen.“ (ebd.: 56) 66 „Eine detaillierte Untersuchung dieser Veränderung [= der zunehmenden Verwendung von Movierungen - M.P.] sowie der Verteilung von Movierungen in verschiedenen Textsorten und Kontexten (nicht nur Satzkontexten) wäre ein wünschenswertes Unterfangen, einerseits um endlich Klarheit über die Verwendung der Movierung (und nicht nur über ihre morphologischen Aspekte) zu gewinnen, andererseits, weil dadurch Aufschluß über den Zusammenhang und die Interaktion von Norm und Grammatik gewonnen werden könnte.“ (ebd.: 78f.) 67 Das betrifft folgende Texte: „Die unsichtbaren Mädchen“ (Emma 1: 26-29), „Die schlaue Filiz“ (Emma1: 8), „Männerideen gegen Männergewalt“ (Emma3: 10), „Karten der Diplom- Hexen“ (Rubens 113: 3), „Ein Mann. Eine Frau. Ein Projekt. Die Böhm (Emma2: 96), „Zu wenig Herz und zu viel Hirn? “ (Emma3: 22), „Asylgrund Frau! “ (Emma3: 99), „Ausstellung“ (Rubens 113: 7), „Aktionstag gegen Alkohol“ (Rubens 116: 6) sowie „Endspurt aufs Forum“ (Rubens 116: 8). 93 5.2.1.1 Beidbenennung bei spezifizierenden Zahlenangaben Zunächst nehmen wir einen Artikel unter die Lupe, dessen Überschrift „Die unsichtbaren Mädchen“ (Emma1: 26-29) lautet. Der Artikel thematisiert allgemein die Situation arbeitsloser junger Frauen in Deutschland, insbesondere im Ruhrgebiet. Die Bedeutung des Attributs unsichtbar für das Textthema wird bereits durch die fettgedruckte Einleitung des Artikels deutlich: (9) „Nicht nur im angeschlagenen Ruhrpott ist die Lage an der Lehrstellenfront katastrophal. Dabei tauchen viele junge Frauen in [sic! ] gar nicht erst in der Statistik auf. Zum Beispiel Marina. Oder Linda und Tanja [...]“. (Emma1: 26) Dass die arbeitslosen Frauen als unsichtbar dargestellt werden, erklärt sich somit durch diesen thematisch zentralen Aspekt: Sie kommen in der Arbeitslosenstatistik nicht vor und werden so offiziell nicht als Arbeitslose wahrgenommen. Gerade Marina, Linda und Tanja stehen in den Teilen des Artikels im Mittelpunkt, die die Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt illustrieren und konkretisieren. Der Artikel beginnt mit einer Schilderung von Marina und ihren Schwierigkeiten, eine Stelle zu finden. Es wird hier beschrieben, wie viele Bewerbungen sie eingereicht hat, ohne je eine Zusage erhalten zu haben. Zudem kommt Marina selbst durch eigene Äußerungen in der Form von Zitaten zu Wort. Auf diese einleitende Sektion folgt ein Abschnitt, in dem anhand der Wiedergabe von Statistiken und Fakten die Situation auf dem Arbeitsmarkt für junge Frauen in Deutschland umrissen wird. Hier werden auch diesbezügliche Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen thematisiert. Die Abschlussnoten von Mädchen sind durchschnittlich höher sind als die der Jungen und mehr Mädchen als Jungen schließen die Schule mit dem Abitur ab. Daher sind, so die Autorin, die Mädchen einer schwerer wiegenden Ungerechtigkeit ausgesetzt: (10) „Folglich müssten Schulabgängerinnen öfter einen Ausbildungsplatz bekommen als die Jungs - theoretisch. Die Praxis sieht anders aus.“ (Emma1: 27) Diese Feststellung wird durch ein unmittelbar darauf folgendes Zitat der Bundesanstalt für Arbeit unterstützt: Der Arbeitsmarkt für jüngere Erwachsene in Deutschland sei auch weiterhin von dem Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Personen geprägt. Darauf wird an etlichen Stellen zurückgegriffen. Dies stellt einen zentralen thematischen Aspekt des Artikels dar und zeigt dessen intertextuelle Einbindung an. Der Rest des Artikels ist in etwa wie der einleitende Teil aufgebaut, in dem sich generelle tatsachenbasierte Beschreibungen des Arbeitsmarktes für junge Menschen mit konkretisierenden Darstellungen spezifischer Personen abwech- 94 seln. Aufgrund dieser Kombination aus Tatsachenbericht und Schilderung der jungen Frauen, gefärbt durch die Perspektive der Autorin, kann man den Text als Reportage klassifizieren (vgl. Lüger 1995: 113). Das Thema ist verhältnismäßig einheitlich, was sowohl die Tatsachen, auf die der Artikel Bezug nimmt, als auch das Polemische und Thesenähnliche betrifft (vgl. Adamzik 2004: 120f.) Insofern ist der Artikel eine relativ klar abgegrenzte Texteinheit, was auch an sonstigen textkonstituierenden Zeichen wie der Typographie erkennbar ist. Der vorliegende Text hat zwar eine vordergründig informierende Textfunktion (vgl. Brinker 2005: 113) und realisiert in erster Linie eine deskriptive Themenentfaltung, es lassen sich allerdings auch Züge argumentativer Themenentfaltung (vgl. ebd.: 79ff.) erkennen. Argumentativ zu erachten ist die Themenentfaltung insofern, als die Situation der jungen Frauen als negativ dargestellt wird. Es lassen sich im Text einige explizit argumentative Elemente finden, so zum Beispiel der Konnektor „folglich“ in Zitat (10) oben. Schon am Titel des Artikels ist die Einstellung zur Situation der Frauen im Artikel als unerwünscht abzulesen, da das Adjektivattribut unsichtbar als Bestimmung einer Personenbezeichnung (Mädchen) in diesem Zusammenhang eindeutig als negativ zu interpretieren ist. Die Frauen, besonders die drei näher geschilderten jungen Frauen Marina, Tanja und Lina, machen damit das empathische Zentrum des Artikels aus. Durch die Schilderung ihrer Situation wird die schwierige Lage junger arbeitsloser Frauen dem Leser nahe gebracht. Auch in der Einleitung wird dies deutlich: Die Situation auf dem Arbeitsmarkt wird durch das eindeutig negativ wertende Adjektiv katastrophal charakterisiert, wozu noch die Unsichtbarkeit vieler junger Frauen in der Arbeitslosenstatistik angeführt wird. Diese Frauen stecken somit nicht nur in einer schwierigen Situation, die Behörden nehmen sie nicht wahr. Hier liegt deshalb ein argumentativer Text vor, weil durch Konkretisierung anhand von Fakten und Schilderungen der Situation von Marina, Tanja und Linda einzelne Argumente geliefert werden. Dies macht das Strittige, das Polemische im Text aus, was eng mit dem Thema in Verbindung steht. Die Personenbezeichnungen in diesem Text beziehen sich auf unterschiedliche Gruppen. Viele davon referieren generell auf arbeitslose Frauen in Deutschland und spezifisch auf die drei interviewten Frauen Marina, Linda und Tanja. Im Hinblick auf das Geschlecht der Referenten sind diese Personenbezeichnungen als geschlechtsspezifisch einzustufen. Durch andere Personenbezeichnungen wird wiederum auf thematisch eher periphere Personen Bezug genommen, so zum Beispiel nicht-spezifisch auf Berufsberatern beim Arbeitsamt (Emma1: 28), spezifisch auf Kind sowie unspezifisch auf Ausländer (Pl). Die letztgenannten Personenbezeichnungen sind sie höchstwahrscheinlich geschlechtsübergreifend, da sie weder an sich noch im textuellen Zusammenhang geschlechtspezifische Lesarten favorisieren, obwohl sich andererseits die tatsächliche geschlechtliche Zusammensetzung der Referenten nicht eindeutig aus der textuellen Umgebung ergibt. Einige andere im Text vorkommende Per- 95 sonenbezeichnungen referieren weder spezifisch noch andersartig auf Personen, sondern sie beziehen sich auf Berufskategorien an sich, wie zum Beispiel auf Friseurin und Bäcker (Emma1: 28). Fast alle Personenbezeichnungen, mit denen lediglich weibliche Personen bezeichnet werden, sind Feminina, zum Beispiel einige Teilnehmerinnen (Emma1: 29). 68 Alle Personenbezeichnungen mit ausschließlich männlicher Referenz sind maskulin, wie zum Beispiel Jungen (Pl) (Emma1: 27) und Brüder (Emma1: 29). Ein interessantes Beispiel, das von diesem Muster abweicht, ist das Maskulinum Lehrstellensucher, das einmal geschlechtsspezifisch weiblich und einmal geschlechtsspezifisch vorkommt: (11) „Die Frage, ob die Lage für weibliche Lehrstellensucher katastrophaler ist als für männliche, könnte man auf den ersten Blick mit Nein beantworten.“ (Emma1: 27) Dass das Adjektivattribut männliche hier kein sichtbares Bezugswort hat, liegt an der elliptischen Formulierung des Satzes, in dem sich männliche auf dasselbe Bezugswort wie das von weibliche bezieht, nämlich Lehrstellensucher. Die Verwendung von Lehrstellensucher ist demzufolge in beiden Fällen geschlechtsspezifisch und belegt insofern das geschlechtsübergreifende Referenzpotenzial dieses Maskulinums. Wenn nämlich das Maskulinum kein geschlechtsübergreifendes Referenzpotenzial besitzen und somit keine geschlechtsübergreifende Lesart evozieren würde, wäre die Spezifizierung von Lehrstellensucher in weiblich und männlich nicht möglich oder zumindest redundant. Im Folgenden richten wir das Augenmerk auf die geschlechtsübergreifende Verwendungsweise maskuliner Personenbezeichnungen und die Verwendung von Beidbenennungen im Text: 69 68 Bis auf einen Fall, bei dem Frauen mit dem Maskulinum Teenager im Plural (Emma1: 28) und in prädikativer Verwendung bezeichnet werden: „Die zwölf Frauen, die im hellen Seminarraum in der Deutschen Straße Nr. 10 Infinitivsätze und E-Mails nach DIN 5008 in ihre Computertastaturen hacken, sind fast alle noch Teenager.“ Eine mögliche Erklärung der in der feministischen Emma äußerst ungewöhnlichen Verwendung eines Maskulinums bei Bezugnahme auf lediglich Frauen ist die folgende: die Endung -er in Teenager wird wahrscheinlich nicht in erster Linie auf das deutsche maskuline Suffix -er bezogen, da Teenager ein Lehnwort aus dem Englischen ist und -er im Englischen eher als neutral aufgefasst wird. 69 Es befinden sich in diesem Text auch einige Neutralformen. Auf diese wird jedoch nicht weiter eingegangen, da sie keine Konkurrenzformen zu lexikalisierten Maskulina oder Beidbenennungen ausmachen. Mit Sicherheit geschlechtsübergreifend unter den Neutralformen im Text sind Jugendliche (Pl) (Emma1: 26), Unvermittelten (Pl) (Emma1: 27) und wahrscheinlich auch Arbeitslose (Pl) (Emma1: 29). Die oben diskutierte Personenbezeichnung Teenager (Pl) (Emma1: 28) ist allerdings geschlechtsspezifisch weiblich in der Referenz, genauso wie weiblicher Auszubildender (Emma1: 28). Bei Kind (Emma1: 28) ist jedoch nicht klar, genau welchen Geschlechts die damit bezeichneten Kinder sind. 96 Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Referenztyp Realisierungstyp Maskulinum Beidbenennung Neutralform Spezifisch SchulabgängerInnen Jugendliche (Pl) BewerberInnen Unvermittelten (Pl) Anzahl 0 2 2 Nicht-spezifisch Berufsberatern jedeR siebte Unversorgten (Pl) Studenten (Pl) Kind Ausländer (Pl) Babies Eltern Arbeitslose Anzahl 3 1 5 Total 3 3 7 Tabelle 8: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in „Die Unsichtbaren Mädchen“ (Emma1: 26-29), sortiert nach Referenztyp und Realisierungstyp. Die geschlechtsübergreifenden sowie die mit hoher Wahrscheinlichkeit als geschlechtsübergreifend intendierten maskulinen Personenbezeichnungen sind Lehrstellensucher in (11), Berufsberatern (12) sowie Studenten und Ausländer (13): (12) „Die NRW-Koordinatorin für Berufswahlorientierung ist sich sicher, dass vor allem die jungen Lehrstellensucherinnen von den Berufsberatern beim Arbeitsamt zum Schulbesuch bedrängt werden, ‚damit die saubere Statistiken haben’.“ (Emma1: 28) (13) „In dem ehemaligen stolzen Arbeiterviertel leben heutzutage viele Arbeitslose. Und Studenten. Und Ausländer. In den ‚Planerladen’ kommen junge Frauen ‚mit Migrationshintergrund’ zum Bewerbungstraining und zur Berufsberatung.“ (Emma1: 29) Die tatsächliche Referenz der maskulinen Personenbezeichnungen Berufsberatern und Studenten lässt sich ausgehend von deren textuellen Umfeldern nicht eindeutig festmachen. Die Möglichkeit besteht, dass mit diesen Maskulina eine geschlechtsspezifisch männliche Referenz intendiert worden ist. Dagegen spricht indessen die Tatsache, dass weder Berufsberater, Student noch Ausländer an sich prototypisch männliche Kategorien darstellen. Zudem finden sich 97 in der textuellen Umgebung keinerlei Hinweise darauf, dass mit gerade Berufsberatern oder Studenten lediglich Männer intendiert worden wären. 70 Demgegenüber favorisiert bei Ausländer der nachfolgende Kotext die geschlechtsübergreifende Lesart der Personenbezeichnung, da Ausländer mit junge Frauen ‚mit Migrationshintergrund’ spezifizierend wieder aufgenommen wird (vgl. Brinker 2005: 46). Dieses Problem kann man nicht eindeutig lösen, weil in den aktuellen Fällen so genannte referenzielle Opakheit vorherrscht (vgl. Dittmann 2002: 75). Es lassen sich jedoch ausgehend vom aktuellen textuellen Zusammenhang Vermutungen über die geschlechtliche Zusammensetzung der Referenten anstellen. Beispielsweise ist beim bereits oben diskutierten maskulinen Beleg Studenten (13) anzunehmen, dass damit auf weibliche und männliche Personen Bezug genommen wird, weil Studenten allgemein sich gleichermaßen aus männlichen und weiblichen Personen zusammensetzen. Eine solche Annahme kann man aufgrund eines durch die Personenbezeichnung Student aktualisierten Bedeutungskonzepts vornehmen, wenn diese Personenbezeichnung wie im aktuellen Kotext allgemeine und nicht-spezifische Verwendung findet und hier keine Hinweise auf eine geschlechtsspezifische Lesart vorkommen. Wenn wir vom semiotischen Dreieck und zugleich dreistelligen Referenzmodell von Ogden und Richards (1989: 11f.) ausgehen, lässt sich dies auf folgende Weise formulieren: Über die Ebene der Bedeutung lassen sich Vermutungen über die Referenz des aktuellen Ausdrucks anstellen. Die drei als geschlechtsübergreifend verstandenen Maskulina in diesem Text haben ein Merkmal gemeinsam: sie referieren alle nicht-spezifisch. Sie bezeichnen also keine konkreten Berufsberater, Studenten oder Ausländer, sondern nicht spezifizierte Personen. Darüber hinaus werden mit diesen Personenbezeichnungen im Kotext keine für das übergreifende Textthema zentralen Personengruppen bezeichnet. Wenden wir uns den Beidbenennungen, jedeR siebte (14), SchulabgängerInnen (15) und BewerberInnen (16), in ihren jeweiligen textuellen Einbettungen zu: (14) „Im Dortmunder Norden ist jedeR siebte arbeitslos. Marina (links) hat immer noch keine Lehrstelle. Tanja und Linda (mit Töchtern Sarah, Kristin und Joana) werden im Projekt ‚Junge Mütter’ auf einen Ausbildungsplatz vorbereitet.“ [Bildtext] (Emma1: 26) (15) „Dazu gerechnet werden müssen 48.000 SchulabgängerInnen, die in Ermangelung einer Lehrstelle notgedrungen eine Warteschleife einlegen: Sie gehen weiter zur Schule oder besuchen eine sogenannte ‚berufsfördernde Maßnahme’, halten ihren ‚Vermittlungswunsch’ aber weiter aufrecht.“ (Emma1: 26) 70 Um der Kürze willen werden diese wahrscheinlich als geschlechtsübergreifend intendierten und so zu interpretierenden Personenbezeichnungen geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen genannt. 98 (16) „Die Berufe aber, in denen es bis zum 30. September mehr Lehrstellen als BewerberInnen gab, sind allesamt traditionelle ‚Männerberufe’: Landwirt, Zentralheizungs- und Lüftungsbauer, Bäcker, Fleischer, Maurer undsoweiter.“ (Emma1: 28) jedeR siebte, SchulabgängerInnen und BewerberInnen sind eindeutig als geschlechtsübergreifend zu verstehen, da die Großschreibung im Wortinneren die männlichen und weiblichen Referenten explizit sichtbar macht. Das mit der Beidbenennung einhergehende Bedeutungskonzept enthält immer das Merkmal ‚Frauen und Männer’. Den referenzsemantischen Zusammenhang zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem kann man hier folglich einfacher als bei einem Maskulinum festmachen. Die Beidbenennungen in diesem Text haben zwei Eigenschaften gemeinsam, die sie von den oben diskutierten maskulinen geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen unterscheiden. Zum einen bezeichnen sie solche Personen, die zentral für die thematische Konstituierung des Textes sind. Das sind Personen, die arbeitslos sind (jedeR siebte), keinen Ausbildungsplatz haben (SchulabgängerInnen) oder sich um die verhältnismäßig wenigen Stellen bewerben (BewerberInnen). Zum anderen - darauf wird im Folgenden das Augenmerk gerichtet - sind sie vom Referenztyp her anders als die Maskulina, indem sie spezifischer und konkreter sind. So stellt schon die Zusammenstellung jedeR siebte an sich eine Art Zahlenangabe dar, im Unterschied zu den geschlechtsübergreifenden Maskulina im Text wird hier eine verhältnismäßig konkrete Referenz vollzogen. Da sich aber keine absoluten Zahlen an diesem Ausdruck ablesen lassen und deshalb nicht eindeutig hervorgeht, auf genau welche spezifische Personen referiert wird, ist die Einstufung dieses Belegs als referenziell spezifisch fraglich. Die relative Genauigkeit hinsichtlich der Anzahl der Referenten dieses Ausdrucks führt allerdings ein erheblich größeres Maß an Konkretisierung der Referenz als bei den geschlechtsübergreifenden Maskulina im selben Text herbei. Vor diesem Hintergrund kann man behaupten, dass bei jedeR siebte die Relevanz größer ist, sowohl weibliche wie männliche Referenten in der Extension des Ausdrucks sprachlich sichtbar zu machen. Bezogen auf das Verständnis von Relevanz bei Sperber und Wilson (1995) 71 kann man damit das Mehr an Information, das das versale ‚R’ im Wortinneren zum Ausdruck bringt, als relevant charakterisieren. Eine entsprechende Schreibweise mit Maskulinum, in diesem Falle jeder siebte, wäre im Hinblick auf die geschlechtliche Zusammensetzung der Referenten ambig. Wir können dies auf folgende Weise zusammenfassen: Die explizite Bezugnahme auf weibliche und männliche Personen durch das versale ‚R’ hat insofern einen kontextuellen Effekt, als sie die Annahme einer geschlechtsübergreifenden Referenz eindeutig belegt. 71 „An assumption is relevant in a context if and only if it has some contextual effect in that context.“ (ebd.: 122) 99 Der Beleg jedeR siebte kommt in einem Bildtext vor, der zum Hauptartikel gehört. Deswegen erhebt sich die Frage, ob dieser Ausdruck kontextuelle Effekte auf einen schon vorhandenen Kontext haben kann, zumal das Relevanzkonzept in dessen Ausführung bei Sperber und Wilson am ehesten auf mündliche, lineare Kommunikation zugeschnitten zu sein scheint. In dieser Studie wird jedoch davon ausgegangen, dass die lineare Wahrnehmung der eines Textes ausmachen, keine Voraussetzung für die Anwendung des Relevanzkonzepts ist. Diese Position ist basierend auf dem Verständnis von Textbedeutung in dieser Arbeit plausibel, denn Textbedeutung wird hier in Anlehnung an Busse (1992) als das Ergebnis von Kontextualisierungen einzelner Textelemente zu einem Ganzen angesehen. Sie ist auch aus der rezeptionsseitigen Perspektive plausibel, denn beispielsweise Zeitungstexte werden nachweislich nicht nur linear gelesen. Die im mündlichen Dialog vorhandene Linearität stellt somit keine Voraussetzung dafür dar, den Inhalt eines geschriebenen Textes zu erschließen. Eine einzelne Informationseinheit, zum Beispiel eine Proposition oder eine Kennzeichnung wie jedeR siebte, lässt sich damit vor dem Hintergrund des ganzen Textes betrachten: Führt diese Einheit zu einem Mehr an Information, das kontextuelle Effekte hat, wenn man sie in Beziehung zur Textganzheit analysiert? Bei jedeR siebte ist dies offensichtlich der Fall. Daher können wir die explizite Kennzeichnung der männlichen und weiblichen Referenten als relevant charakterisieren. Der Beleg SchulabgängerInnen ist ferner durch die genaue Zahlenangabe 48.000 ergänzt. Auch bei diesem Ausdruck liegt demzufolge ein höherer Grad an Konkretisierung und Spezifizierung der Referenten im Vergleich zu den Maskulina im Text vor. Im Unterschied zu jedeR siebte, wodurch nur indirekt eine Zahlenangabe ausgedrückt wird, ist bei 48.000 SchulabgängerInnen jedoch die genaue Anzahl der Referenten gegeben. Da es sich gerade um diese spezifische Menge von SchulabgängerInnen zu einem spezifisch angegebenen Zeitpunkt handelt, ist die Referenz als spezifisch zu klassifizieren. Diese genaue Zahlenangabe hat einen erkennbaren kontextuellen Effekt. Sie spezifiziert nämlich eine schon vorher allgemein geschilderte Situation inhaltlich und steuert so neue Informationen bei. Da es sich auch zum großen Teil um weibliche Schulabgänger handelt, und da gerade weibliche Personen im thematischen Mittelpunkt dieses Artikels stehen, können wir die explizite Kennzeichnung der weiblichen und männlichen Personen an dieser Stelle als relevant ansehen. Bei BewerberInnen schließlich liegt keine genaue Zahlenangabe vor, weder indirekt wie bei jedeR siebte noch direkt wie bei SchulabgängerInnen. Sieht man sich jedoch den Kotext dieses Vorkommens an, so stellt sich heraus, dass hier ein Vergleich zwischen der Anzahl der Bewerber und den aktuell freien Lehrstellen angestellt wird: (17) „Aber auch die ‚typisch weiblichen’ Berufe bieten keine Garantie auf einen Ausbildungsplatz. In der weiblichen Top-Ten der Ausbildungsbe- 100 rufe stehen auf den ersten fünf Plätzen betonhart 1. die Büro- und Einzelhandelskauffrau, 2. die Arzt- und die Zahnarzthelferin und 3. die Friseurin. Die Berufe aber, in denen es bis zum 30. September mehr Lehrstellen als BewerberInnen gab, sind allesamt traditionelle ‚Männerberufe’: Landwirt, Zentralheizungs- und Lüftungsbauer, Bäcker, Fleischer, Maurer undsoweiter.“ (Emma1: 28) Es handelt sich hier folglich um eine (nicht genannte) Anzahl von Personen, welche die Anzahl von Lehrstellen nicht übersteigt. Daher vollzieht die Personenbezeichnung BewerberInnen eine spezifische Referenz. Zwar werden die Referenten nicht individualisiert bezeichnet, so dass sich ablesen ließe, genau wer sie sind und wie viele weibliche bzw. männliche Personen sich darunter befinden. Des Weiteren fehlen Angaben dazu, wie viele Lehrstellen und wie viele Bewerber es gibt. Als Leser kann man auch nicht ersehen, in welchem quantitativen Verhältnis die Lehrstellen und die BewerberInnen zueinander stehen. Man kann hier trotzdem von einem kontexuellen Effekt sprechen. Die Berufe, in denen es mehr Lehrstellen als Bewerber gab, werden als „traditionelle ‚Männerberufe’“ bezeichnet und so als männlich stereotypisiert. Vor diesem Hintergrund würde die maskuline Form Bewerber mit diesem Stereotyp konform gehen. Infolge der Ambiguität des Maskulinums ist die Referenz dieser Form allerdings nicht eindeutig. Bei Verwendung des Maskulinums Bewerber an dieser Stelle würde nicht eindeutig hervorgehen, ob nur männliche oder männliche und weibliche Personen bezeichnet werden. Die Beidbenennung BewerberInnen läuft jedoch diesem Stereotyp zuwider, indem die weiblichen Bewerber bei als stereotyp männlich beschriebenen Berufen sprachlich sichtbar gemacht werden. Hier geht es folglich darum, dass die durch die Beidbenennung BewerberInnen mittransportierte Information, dass auch Frauen unter den Bewerbern sind, „may provide evidence against, and perhaps lead to the abandonment of, old assumptions“ (Sperber und Wilson 1995: 109), wenn unter man unter „old assumptions“ die Vorstellung versteht, dass nur Männer unter den Bewerbern waren. Zusammenfassend kann man für den Reportagetext „Unsichtbare Mädchen“ folgende Variation feststellen: Maskuline geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen finden bei nicht-spezifischen Referenzen und zur Bezeichnung thematisch peripherer Personen Verwendung. Beidbenennungen werden aber bei spezifischen und, im Verhältnis zu den geschlechtsübergreifenden Maskulina, konkreteren Referenzen sowie zur Bezeichnung thematisch zentraler Personen benutzt. Auffallend an diesem Text ist demzufolge, dass Referenztyp, Realisierungstyp und die Rolle der jeweiligen bezeichneten Personengruppe für das Thema des Textes miteinander co-variieren. Dabei werden die geschlechtsübergreifenden Referenzen in diesem Text nicht nur mit unterschiedlichen Realisierungstypen vollzogen, sie werden immer mit unter- 101 schiedlichen Lexemen realisiert. Die Wiederholung eines einzelnen Lexems als geschlechtsübergreifende Personenbezeichnung kommt nicht vor. Demgegenüber werden in „Die unsichtbaren Mädchen“ zwei Lexeme sowohl in Form der geschlechtsübergreifenden Beidbenennung (SchulabgängerInnen, BewerberInnen) als auch in Form des geschlechtsspezifischen Femininums (Schulabgängerinnen, Bewerberinnen) benutzt. Was die geschlechtsübergreifenden Maskulina im Text, Berufsberatern, Studenten und Ausländer, angeht, kommen keine geschlechtsspezifisch femininen Realisierungstypen dieser Lexeme vor. Dieser auffällige Unterschied ist aus dem folgenden Grund interessant: Unter den geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen im Text kommen nur die Personenbezeichnungen, die in der geschlechtsübergreifenden Verwendungsweise als Beidbenennung auftreten, auch als geschlechtsspezifisches Femininum vor. Dies ist wahrscheinlich kein Zufall, sondern spiegelt die enge konzeptuelle Verwandtschaft zwischen diesen Feminina und den Beidbenennungen im Text wider. 5.2.1.2 Beidbenennung bei spezifizierender Wiederaufnahme Der kurze Text „Die schlaue Filiz“ (Emma1: 8) 72 realisiert eine Variation realisiert, bei der Beidbenennung zur Bezeichnung spezifischer Referenzen und Maskulina zur Bezeichnung nicht spezifischer Referenzen benutzt werden. Die Variation in diesem und in einem nachfolgend zu analysierenden Text unterscheidet sich allerdings von der Variation in dem oben bereits analysierten Text „Die unsichtbaren Mädchen“ (Emma1: 26-29). Die maskulinen Personenbezeichnungen und die Beidbenennungen beziehen sich nämlich nicht auf jeweils unterschiedliche Personengruppen, sondern zum Teil auf dieselben. Der Text „Die schlaue Filiz“ ist ebenfalls dem feministischen Magazin Emma entnommen. Räumlich nimmt er kaum ein Sechstel der Seite, auf der er abgedruckt ist, in Anspruch. Links des kleinen Texts befindet sich ein Foto von dem im Text thematisierten Mädchen Filiz, das von dem Bildtext (18) „Filiz setzt alle schachmatt“ begleitet wird. Es handelt sich um einen vergleichsweise kurzen Text. Texttypologisch ist er am ehesten als subjektiv gefärbte Meldung zu verstehen (vgl. Lüger 1995: 89f.). Er ist kurz und knapp formuliert und behandelt ein deutlich abgegrenztes Thema, das sich etwa auf folgende Weise formulieren lässt: Das kleine Mädchen und Schachgenie Filiz setzt bei den Jugendweltmeisterschaften die anderen Teilnehmer schachmatt. Es handelt sich um ein Personenportrait en miniature, das Filiz’ kleine Körpergröße und ihr junges Alter einerseits und 72 Da sich dieser Text in toto auf einer Seite (8) befindet, erübrigen sich Seitenhinweise in der folgenden Analyse. 102 ihre herausragende Schachkompetenz andererseits kontrastiert. Der Text beginnt auf folgende Weise: (19) „Sie ist so klein, dass sie eine dicke Unterlage für ihren Stuhl mitzubringen pflegt, um dem Gegner beim Spielen ins Auge blicken zu können.“ Der Artikel endet damit, dass zukünftige Erfolge für Filiz in Aussicht gestellt werden: (20) „Dazu übt sie täglich, meist mit Bilgin, ihrem neunjährigen Bruder. Wo das alles einmal enden soll, ist für Filiz klar: ‚Ich will Weltmeisterin werden! ’ - Bobby Fischer, warm anziehen.“ Die Themenentfaltung des Textes ist hauptsächlich deskriptiv. Bei der Schilderung der Weltmeisterschaften finden sich aber auch narrative Züge, vor allem die Verwendung des Erzähltempus Präteritum (vgl. Brinker 2005: 69ff.), wie in (21) unten. Die Hauptfunktion des Textes ist informierend, aber auch bestimmte bewertend subjektive Elemente lassen sich festmachen, so zum Beispiel der in (20) zitierte Ausruf: „Bobby Fischer, warm anziehen.“ Damit stimmt die Intention der in dem Text dargestellten Person, Filiz, mit der Meinungsäußerung überein, die der Text zum Ausdruck bringt. Es lassen sich daher positive Bewertungen von Filiz, von ihren Erfolgen und Intentionen vom Typ attitude (vgl. Martin und White 2005: 35) erkennen. Was die Personenbezeichnungen in diesem Text betrifft, so bezeichnen einige davon spezifisch und individualisiert die Person Filiz. Diese sind geschlechtsspezifisch weiblich und entweder Feminina (Siebenjährige, Türkin) oder, wie in einem Fall, ein Neutrum mit geschlechtsübergreifendem Referenzpotenzial (Schachgenie). Die Personenbezeichnungen mit geschlechtsübergreifender Referenz stellen im Unterscheid zu denen des Texts „Die unsichtbaren Mädchen“ zwei unterschiedliche Realisierungstypen ein und desselben Lexems dar, nämlich Gegner. Dieser Begriff kommt einmal als Maskulinum und einmal als Beidbenennung vor. Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Referenztyp Realisierungstyp Maskulinum Beidbenennung Neutralform Spezifisch GegnerInnen Anzahl 0 1 0 103 Nicht-spezifisch Gegner Anzahl 1 0 0 Total 1 1 0 Tabelle 9: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in „Die schlaue Filiz“ (Emma1: 8), sortiert nach Referenztyp und Realisierungstyp Das Maskulinum erscheint im ersten Satz des Textes: (19) „Sie ist so klein, dass sie eine dicke Unterlage für ihren Stuhl mitzubringen pflegt, um dem Gegner beim Spielen ins Auge blicken zu können.“ Die Beidbenennung GegnerInnen kommt im folgenden Kotext vor: (21) „Ende Oktober war die geborene Türkin die jüngste Teilnehmerin bei den Jugendweltmeisterschaften im griechischen Kallithea. Dort spielte sie elf Tage lang jeweils vier bis fünf Stunden ununterbrochen Schach. Und obwohl ihre GegnerInnen alle zwei, drei Jahre älter waren, entschied sie vier von elf Partien für sich, eine endete mit Remis.“ Über diese beiden Belege hinaus werden in diesem Text keine weiteren Personenbezeichnungen mit geschlechtsübergreifender Referenz verwendet. Die Tatsache, dass die einzigen geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen im Text zwei Realisierungstypen ein und desselben Begriffs sind und dass sie sich zudem teilweise auf dieselben Personen beziehen, optimiert deren Vergleichbarkeit. So lässt sich das Wesentliche an dem in diesem Kapitel behandelten Variationsmuster beleuchten, nämlich dass die Relevanz der weiblichen Geschlechtskennzeichnung bei spezifischer Referenz größer ist als bei nichtspezifischer Referenz. Der Unterschied zwischen dem Maskulinum Gegner (19) und der Beidbenennung GegnerInnen (21) ist auch an zwei besonders auffälligen Merkmalen ersichtlich. Zum einen unterscheiden sich die Belege im Numerus: Das Maskulinum steht im Singular, die Beidbenennung im Plural. Dieser Unterschied spiegelt den allgemeineren und für die Analyse entscheidenden und besonders auffälligen Unterschied wider: Mit Gegner wird eine nicht-spezifische Referenz vollzogen, während GegnerInnen spezifisch auf genau diejenigen Gegner referiert, gegen die Filiz in den Jugendweltmeisterschaften angetreten ist. Dieser Unterschied ist durch die jeweiligen Kotexte gegeben, in denen sich die beiden Belege befinden. Bei Gegner handelt es sich um eine allgemeine Beschreibung davon, wie es aussieht, wenn Filiz Schach spielt, mit der geringen Körpergröße der jungen Schachspielerin als thematischem Aufhänger. Bei GegnerInnen wird dagegen ein spezifisches Ereignis in der Vergangenheit geschildert. 104 Zum anderen kommt dieser Unterschied auch durch die Verwendung des generalisierenden, unmarkierten Tempus Präsens bei Gegner und des markierten, auf bestimmte Ereignisse und Zustände beschränkten Erzähltempus Präteritum bei GegnerInnen zum Ausdruck. 73 Es scheint, dass die Relevanz der weiblichen Geschlechtskennzeichnung bei GegnerInnen umso größer wird, da hiermit spezifische bezeichnet werden, auch wenn sie nicht individualisiert benannt sind. Insofern hat die Verwendung der Beidbenennung einen kontextuellen Effekt: Ausgehend vom referenziell ambigen Maskulinum Gegner, der Ersterwähnung der Gruppe der Gegner in diesem Text, liefert die Zweiterwähnung GegnerInnen eindeutige Hinweise darauf, dass es sich zumindest in diesem spezifischen Fall um weibliche und männliche Personen handelt. Deswegen lässt sich auch Folgendes vermuten: Die Ersterwähnung Gegner hat mit aller Wahrscheinlichkeit geschlechtsübergreifende Referenz. Diese allgemeine Beschreibung von Filiz beim Schachspielen abstrahiert nämlich von spezifischen Ereignissen, von denen das geschilderte Ereignis, nämlich die Jugendweltmeisterschaften in Kallithea, eines ist. Dort hat Filiz auch gegen weibliche Personen Schach gespielt, was die Form GegnerInnen aufzeigt. Wenn demzufolge das Maskulinum Gegner beim Leser den Eindruck erweckt, es handle sich nur um männliche Gegner, dann wird diese Vermutung durch die später im Text vorkommende Verwendung von GegnerInnen zurückgewiesen. Wenn das Maskulinum Gegner aber den Eindruck evoziert, dass es sich um entweder männliche Gegner oder um männliche und weibliche Gegner handle, dann löst die Verwendung von GegnerInnen auch die Ambiguität hinsichtlich der Referenz von Gegner auf. So lässt sich der kontextuelle Effekt der Beidbenennung GegnerInnen auf die Textbedeutung beschreiben. Ähnlich eindeutig ist die Realisierung dieses Variationsmusters im Text „Ausstellung“ (Rubens113: 7). 74 Es handelt sich ebenfalls um einen kurzen Text, der der Universitätszeitung Rubens der Ruhr-Universität Bochum entnommen ist. Die herangezogenen Ausgaben von Rubens unterscheiden sich jedoch von den Artikeln aus Emma in der Hinsicht, dass sie deutlich weniger Beidbenennungen beinhalten. Jedoch ist die Anzahl der Beidbenennungen nicht so gering wie in Tageszeitungen wie beispielsweise tageszeitung, Süddeutsche Zeitung, Neue Zürcher Zeitung und Blick, wie Bühlmann (2002) und Demey (2002) belegt haben. 75 Der Artikel „Ausstellung“ ist am ehesten als „weicher“ Nachrichtentext zu charakterisieren (vgl. Lüger 1995: 103). Er handelt von der Fotoausstellung „Betonschönheit“ über die Gebäude der Ruhr-Universität Bochum. Über diese 73 Zum Begriff der Markiertheit, siehe Bußmann (2002: 419f.). 74 Im Folgenden wird bei Zitaten aus diesem Text nicht wiederholt auf die Seite verwiesen, da der Text auf nur einer Seite abgedruckt ist. 75 Vgl. hierzu das Kapitel 1.3, in dem Bühlmann (2002), Demey (2002) sowie andere empirische Studien ausführlicher behandelt werden. 105 Gebäude herrsche, wie eingangs im Artikel festgestellt wird, die Auffassung, sie seien nicht besonders schön. Um dieser Vorstellung entgegenzuwirken, werden im Rahmen eines Kurses an der Uni Bochum die Gebäude von Studenten und Mitarbeitern fotographisch interpretiert. Der Artikel hat teils informierende Textfunktion, teils Appellfunktion. Die Appellfunktion kommt im Artikel nicht explizit zum Ausdruck, etwa in der Form einer Aufforderung an die Leser, die ausgestellten Fotos anzuschauen. Zwei Fotos von der Ausstellung begleiten den Text. Unterhalb des Textes befinden sich Orts- und Zeitangaben - nach dem fett gedruckten Einleiter Info: Orts- und Zeitangaben. Dies ist in diesem Zusammenhang als implizite Einladung an die Leserschaft zu verstehen. Außerdem ist der Artikel auf einer Seite abgedruckt, wo sich auch andere Informationstexte zu Terminen im Programm der Ruhr-Universität Bochum und ein Kalendarium befinden. Es handelt sich daher um Tipps für die Leser, von denen die Ausstellung einer ist. Das Thema (das heißt die Ausstellung „Betonschönheit“) wird deskriptiv und explikativ entfaltet: Deskriptiv, indem die Ausstellung und die Hintergründe nacheinander beschrieben werden; explikativ, indem durch den Text auch die eingangs im Artikel gestellte Frage beantwortet wird, inwiefern die Gebäude der Ruhr- Universität Bochum überhaupt etwas an Schönheit anzubieten haben. In diesem Text befinden sich insgesamt vier Personenbezeichnungen. Davon sind drei eindeutig geschlechtsübergreifend, sie beziehen sich zudem auf genau dieselbe Gruppe von Referenten. Die vierte Personenbezeichnung ist ein Maskulinum, das individualisierend und prädikativ eine dieser Personen bezeichnet. Allerdings kommt im Unterschied zum Text „Die schlaue Filiz“ ein und derselbe Begriff nicht mehr als einmal vor. Bei jeder Referenz handelt sich somit um ein anderes Lexem. Obwohl folglich weitgehend Referenzidentität besteht, unterscheidet sich die Bezeichnung von einer Referenz zur anderen und damit das Bedeutungskonzept, über das die Referenz erfolgt. Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Referenztyp Realisierungstyp Maskulinum Beidbenennung Neutralform Spezifisch Fotograf/ innen Anzahl 0 1 0 Nicht-spezifisch Studenten Mitarbeiter 106 Anzahl 2 0 0 Total 2 1 0 Tabelle 10: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in „Ausstellung“ (Rubens113: 7), sortiert nach Referenztyp und Realisierungstyp. Zwei der drei Personenbezeichnungen sind Maskulina, Studenten (Pl) und Mitarbeiter (Pl): (22) „Studenten und Mitarbeiter an der Ruhr-Uni interpretieren in einem Kurs des Bereichs Fotografie im Musischen Zentrum (MZ) die Architektur der Uni durch konzeptionell angelegte, großformatige Fotoserien und beziehen sich in ihren Arbeiten sowohl auf ‚Beton’ als auch auf ‚Schönheit’, trennen oder verbinden diese beiden Begriffe in ihren Bildserien und setzen sich intensiv und inhaltlich mit der Architektur der RUB auseinander.“ Die Beidbenennung, Fotograf/ innen, kommt weiter unten im Text vor: (23) „Sie [= die Ausstellung - M.P.] zeigt Fotos von elf Fotograf/ innen: Peter Gurack, Irmhild Käding, Meinhard Kamphausen, Rüdiger Kurtz, Karina Lange, Marion Nelle, Rolf-Otto Schmitz, Verena Schuh, André Schuster, Sebastian Sobansk und Heidi Träbert. André Schuster (Projektleiter).“ Die Studenten und Mitarbeiter in (22) sind mit den Fotografen identisch, die in (23) mit einer Beidbenennung bezeichnet werden. Eine mögliche alternative Interpretation ist allerdings, dass die Extension der Lexeme Studenten und Mitarbeiter mehr Personen als die des Lexems Fotograf/ innen beinhaltet. In dieser Lesart wäre die gesamte Gruppe der Studenten und Mitarbeiter des Kurses umfassender als die auf der Aufstellung vertretenen Fotografen. Unabhängig davon machen die Fotografen zumindest eine Teilmenge der mit Maskulina bezeichneten Studenten und Mitarbeiter aus. Der Unterschied hinsichtlich des Referenztyps zwischen den Maskulina einerseits und der Beidbenennung andererseits fällt deutlich auf. Die Maskulina vollziehen spezifische Referenzen, indem sie eine spezifische Gruppe von Studenten und Mitarbeiter bezeichnen. Jedoch wird diese Gruppe von Personen mit Personenbezeichnungen in der unbestimmten Form sowie nicht individualisiert und ohne weitere Angaben benannt. Bei der Beidbenennung handelt es sich auch um eine spezifische Referenz, im Gegensatz zu den Maskulina jedoch zudem um eine individualisierte und damit hochgradig konkrete Referenz, wenn man die Aufzählung der einzelnen elf Fotografennamen berücksichtigt. Darunter befinden sich sowohl typische Frauennamen (fünf) wie auch typische Männernamen (sechs). 107 Was den Referenztyp betrifft, kann man den Unterschied zwischen Studenten und Mitarbeiter einerseits und Fotograf/ innen andererseits durch die Differenzierung zwischen (1) spezifischer Referenz mit einem dem Empfänger unbekannten Referenten und (2) spezifischer Referenz mit einem dem Empfänger bekannten Referenten bei Linell (1982: 198) erfassen. Ersteres liegt bei Studenten und Mitarbeiter, Lezteres bei Fotograf/ innen vor. Bei der weniger spezifischen dieser beiden Referenzen (Typ 1) wird demzufolge das Maskulinum, bei der individualisierten und damit konkreteren Referenz die Beidbenennung verwendet. Das in diesem Analysekapitel behandelte Variationsmuster lässt sich daher auch an diesem Text belegen. Die Relevanz der expliziten Kennzeichnung der weiblichen Referenten ist bei der individualisierten und konkreteren Referenz umso größer, weil sie einen kontextuellen Effekt hat. Sie belegt eindeutig, dass bei den Kursteilnehmern Personen beider Geschlechter gemeint sind, was dann auch bei den referenziell ambigen Maskulina Mitarbeiter und Studenten mitgemeint ist. Diese Annahme wird auch durch die Aufzählung der Fotografennamen bestätigt. Da es sich nachweislich um Personen beider Geschlechtergruppen handelt, alle zudem namentlich genannt, scheint an dieser Stelle die Relevanz höher, auch durch die Personenbezeichnung die weiblichen Referenten sichtbar zu machen. Ein weiteres Beispiel ist dem Sachbuch „Der Baader-Meinhof-Komplex“ von Stefan Aust (Aust 2008) entnommen. Dieser Text enthält äußerst wenige Beidbenennungen, hingegen viele geschlechtsübergreifende Maskulina und Neutralformen. Im Folgenden wenden wir uns einem Kapitel zu, das eine interessante Beidbenennung enthält. 76 Dabei ist dieses Kapitel nur als ein kleiner Teil der größeren Texteinheit anzusehen, die das Buch ausmacht. Das Buch wiederum ist durch dessen viele Bezüge auf andere Quellen stark intertextuell eingebunden. An diesem Buchkapitel lässt sich zum einen zeigen, dass die einzige Beidbenennung dort eine spezifische Referenz vollzieht. Neutralformen und Maskulina finden dagegen hauptsächlich bei nicht-spezifischen, geschlechtsübergreifenden Personenreferenzen Verwendung. Zum anderen lässt sich zeigen, dass dieselben Personen - eine Gruppe weiblicher und männlicher Personen - an unterschiedlichen Stellen in ein und demselben Text mit jeweils verschiedenen Realisierungstypen bezeichnet werden. Im Unterschied zu den beiden zuletzt behandelten Texten werden hier allerdings die aktuellen Personen bei der Ersterwähnung mit Beidbenennung und bei der einzigen Wiederaufnahme dieser Referenten mit Maskulinum bezeichnet. Im behandelten Kapitel wird der Tag des 2. Juni 1967 geschildert, an dem der Student Benno Ohnesorg im Anschluss an eine Demonstration gegen den Besuch des persischen Schahs in West-Berlin von einem Polizisten erschossen wurde. Am Kapitelende wird noch die Beteiligung des künftigen RAF-Mitglieds Gudrun Ensslin an einer Demonstration am Tag nach dem Tod von Ohnesorg beschrieben. An dieser Textstelle (25) befindet sich auch die aktuelle 76 Das Kapitel ist „Der Schock des 2. Juni“ (Aust 2008: 56-61). 108 Beidbenennung, Studenten und Studentinnen (Aust 2008: 60). Bis auf diese Beidbenennung werden geschlechtsübergreifende Referenzen im aktuellen Kapitel ausschließlich mit Maskulinum oder Neutralform vollzogen. Am folgenden Beispiel für die Verwendung von Maskulina und Neutralformen wird exemplarisch deutlich, dass mit diesen Realisierungstypen nichtspezifische Personenreferenzen vollzogen werden: (24) „Langsam rückten die Demonstranten ab, wollten sich auf die umliegenden Kneipen verteilen und um 22.00 Uhr nach Schluß der Mozart- Aufführung zur Verabschiedung des Schahs neu versammeln. Plötzlich fuhren Krankenwagen auf, vierzehn insgesamt. Die Polizeibeamten, die sich in einer Reihe vor den Demonstranten aufgebaut hatten, zogen die Knüppel. Einige Schaulustige versuchten, über die Absperrgitter zu entkommen, wurden aber zurückgetrieben.“ (ebd.: 57) Im Unterschied zu diesen und den anderen Maskulina und Neutralformen mit geschlechtsübergreifender Referenz des Kapitels vollzieht die einzige Beidbenennung, Studenten und Studentinnen, eine spezifische Personenreferenz: (25) „Eine junge Frau, schlank, mit langen blonden Haaren, weinte hemmungslos und schrie: ‚Dieser faschistische Staat ist darauf aus, uns alle zu töten. Wir müssen Widerstand organisieren. Gewalt kann nur mit Gewalt beantwortet werden. Dies ist die Generation von Auschwitz - mit denen kann man nicht argumentieren! ’ Gudrun Ensslin traf damit etwas, was viele fühlten und dachten. Am nächsten Tag war sie dabei, als eine Gruppe von acht Studenten und Studentinnen auf dem Kurfürstendamm eine Protestaktion unternahm, obwohl ein generelles Demonstrationsverbot verhängt war.“ (ebd.: 60) Beidbenennung findet folglich nur dort Verwendung, wo die geschlechtsübergreifende Personenreferenz spezifisch und sehr konkret ist. Sogar die genaue Anzahl der Gruppe von Studierenden wird genannt. Für die Verwendung einer Beidbenennung an dieser Textstelle spielt möglicherweise auch eine Rolle, dass die einzige individualisiert dargestellte Person unter den acht demonstrierenden Studierenden gerade eine Frau ist. Dabei ist die Relevanz einer Beidbenennung hier hoch. Der Realisierungstyp hat nämlich den kontextuellen Effekt, eindeutig die Annahme zu bekräftigen, dass sich unter den Studenten Personen beider Geschlechtergruppen befinden. Interessant dabei ist die einzige Wiederaufnahme dieser Beidbenennung durch den Plural der maskulinen Form Demonstrant, nämlich Demonstranten: (26) „Fotos [= von den Studenten und Studentinnen - M.P.] erschienen in den Tageszeitungen. Gudrun Ensslin stand rechts außen, in Minirock und weißen Stiefeln. Die acht Demonstranten wurden verhaftet.“ (ebd.: 60) 109 Bei der zweiten Erwähnung wird demzufolge wieder das Maskulinum verwendet, obwohl Ensslin die einzige der Demonstrierenden ist, die individualisiert mit Namen benannt wird. Die Erklärung für das Maskulinum an diese Stelle liegt möglicherweise in der Tatsache, dass schon die erste Erwähnung der Gruppe durch die Beidbenennung Studenten und Studentinnen (25) relevante Eindeutigkeit hinsichtlich der geschlechtlichen Zusammensetzung der Referenten schafft. Eine nochmalige Beidbenennung wäre als redundant aufzufassen, zumal Beidbenennungen an sich eine Seltenheit bei Aust darstellen. Dies könnte auf ein textstrukturierendes Prinzip hinsichtlich der Verwendung geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen hindeuten: Wenn schon durch die erste Referenz auf eine bestimmte Gruppe Eindeutigkeit in Bezug auf die geschlechtliche Zusammensetzung erzielt worden ist, lassen sich die weiteren Bezugnahmen auf dieselbe Gruppe problemlos mit ambigen Sprachformen vollziehen. Solch ein textstrukturierendes Prinzip können wir aus sprachfunktionaler Sicht am ehesten als Ausdruck der textuellen Metafunktion bei Halliday und Matthiessen (2004) ansehen. Dies bedeutet, dass bei einem solchen Variationsprinzip die textuelle Metafunktion eine besonders wichtige Rolle spielt. 5.3 Beidbenennung bei Referenz auf die Empfänger einer Mitteilung Dieser Abschnitt behandelt geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen mit besonderer Berücksichtigung der interpersonellen Metafunktion. Es wird diskutiert, welche Rolle die interpersonelle Funktion für die Gestaltung der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen spielt. Spezifisch wird der Frage nachgegangen, ob Maskulinum oder Beidbenennung dort verwendet wird, wo die interpersonelle Metafunktion zentral ist, das heißt an solchen Textstellen, an denen auf die Empfänger der aktuellen Mitteilung referiert wird und gelegentlich ebendiese Empfänger explizit angesprochen werden. 5.3.1 Interpersonelle Metafunktion als Analysekategorie Das Verständnis der sprachlichen Metafunktionen in dieser Arbeit greift auf den sprachtheoretischen Ansatz Systemic Functional Linguistics (SFL) zurück. In diesem Kapitel wird insbesondere von der interpersonellen Metafunktion ausgegangen, so wie Halliday und Matthiessen (2004) sie verstehen. 77 Wie in Kapitel 4.3.4 ausgeführt, ist die interpersonelle Metafunktion neben der ideationellen 77 Das Konzept der interpersonellen Metafunktion wird von Halliday und Matthiessen (2004) übernommen. Ein Hinweis auf die erhebliche Bedeutung ihres Ansatzes in der SFL findet sich beispielsweise in Holmberg und Karlsson (2006: 10f.). 110 sowie der textuellen Metafunktion eine von drei Metafunktionen, welche die SFL als konstitutiv für Sprache ansieht. Da die Metafunktionen der Sprache inhärent sind, sind sie auch alle zugleich in der Sprache wirksam. So ist eine Wortwahl, zum Beispiel zwischen StudentInnen, Studierende oder Studenten, auf der paradigmatischen Ebene zugleich ideationell, interpersonell und textuell. Die interpersonelle Metafunktion zeigt nach Halliday und Matthiessen die sozialen Beziehungen zwischen den Beteiligten am Kommunikationsakt an. Sie nehmen dabei die sprachliche Einheit Satz (clause) als Ausgangspunkt: „The clause [...] ist not only a figure, representing some process - some doing or happening, saying or sensing, being or having - with its various participants and circumstances; it is also a proposition, or a proposal, whereby we inform or question, give an order or make an offer, and express our appraisal of and attitude towards whoever we are addressing and what we are talking about.“ (ebd.: 29) Die Metafunktionen werden gelegentlich auch als drei unterschiedliche Bedeutungsdimensionen, als „kinds of meaning“ (Martin und White 2005: 7) sprachlicher Mitteilungen, verstanden. Holmberg und Karlsson (2006) beschreiben die Rolle der interpersonellen Metafunktion so, dass die Sprache „fungerar som en resurs för att skapa relationer mellan talare och lyssnare (och mellan skribenter och läsare).“ (ebd.: 31). 78 Man kann davon ausgehen, dass die interpersonelle Metafunktion auch auf größere sprachliche Einheiten als den Satz übertragbar ist. Wenn mit dem Satz eine Bewertung der Personen ausgedrückt wird, von denen der Satz handelt, dann braucht dies nicht nur für einen isolierten Satz zu gelten, sondern auch für eine kohärente Abfolge von Sätzen, die zusammen eine kommunikative Einheit bilden. Die in dieser Arbeit entscheidende kommunikative Einheit ist der Text. Wenn man zum Beispiel textuell vermittelte soziale Beziehungen zwischen Absender und Empfänger gerade auf der Basis des ganzen Textes beschreibt, dann ergibt sich ein deutlich komplexeres Bild, als wenn man nur einzelne Sätze berücksichtigt. Möglicherweise kann man in bestimmten Fällen typische interpersonelle Elemente wie die Herstellung sozialer Beziehungen erst dann erfassen, wenn man Sätze vor dem Hintergrund der Textganzheit analysiert. Betrachtet man die folgende Mitteilung, die Einleitung eines umfassenderen Textes, so fällt auf, dass sowohl auf eine nicht näher spezifizierte Gruppe weiblicher Austauschstudierender als auch auf eine nicht näher spezifizierte Gruppe männlicher Austauschstudierender Bezug genommen wird: (27) „Liebe Austauschstudentin! Lieber Austauschstudent! “ (TU: 1) 78 Deutsch: „als eine Ressource zur Herstellung sozialer Beziehungen zwischen Sprechern und Hörern (und zwischen Verfassern und Lesern) funktioniert.“ (Übersetzung von M.P.) 111 Dieser inhaltliche Aspekt einer (Teil-)Äußerung ist die ideationelle Metafunktion. Zugleich wendet sich die Anredeformel explizit an die Austauschstudierenden, das heißt die gedachten Leser der Publikation. Somit realisiert die Anrede auch die interpersonelle Metafunktion. Die Realisierung der interpersonellen Metafunktion lässt sich nicht ohne eine Betrachtung der ideationellen Metafunktion analysieren; die Metafunktionen sind voneinander abhängig. Im Hinblick auf geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen und deren drei hauptsächliche Realisierungstypen Maskulinum, Beidbenennung und Neutralform existieren keine morphologischen oder semantischen Merkmale, an denen die interpersonelle Metafunktion an sich deutlich nachzuweisen ist. Um die textuelle, ideationelle und interpersonelle Metafunktion einer beliebigen Personenbezeichnung, beispielsweise LehrerInnen, erfassen zu können, muss man gewöhnlich den unmittelbaren Kotext hinzuziehen. Eine textlinguistische Perspektive ist notwendig. Es stellt sich dann die Frage, auf welche Weise man die Präsenz der interpersonellen Metafunktion nachweisen kann. Typische Texte mit einem deutlich interpersonellen Charakter sind Appelltexte, die eine Handlung oder Meinungsübernahme bezwecken: „Textsorten mit appellativer Grundfunktion: Werbeanzeige, Propagandatext, (Zeitungs-, Fernseh-, Rundfunk-)Kommentar, Arbeitsanleitung, Gebrauchsanweisung, Rezept, Gesetzestext, Gesuch, Antrag, Bittschrift, Predigt usw.“ (Brinker 2005: 118) Aber nicht nur Texte mit einer appellativen Grundfunktion haben interpersonelle Elemente, diese Funktion ist nur einer vieler Aspekte der Sprachverwendung überhaupt. Da hier von der sprachfunktionalen „Polyvalenz des Zeichens“ (Auer 1999: 33) ausgegangen wird, lässt sich nicht allein aufgrund der Textfunktion, das heißt der „Funktion, der ein Text als Ganzes dient, [...] seine[r] textuelle[n] Grundfunktion“ (Rolf 2000: 422), beurteilen, welche Funktion bei einer Personenbezeichnung oder bei deren Kotext die zentralere ist. Daher ist ein Analyseverfahren lediglich auf der Basis der Kategorie der textuellen Grundfunktion zu unspezifisch. Mit einer Beschreibung der textuellen Grundfunktion, sofern solch eine erkennbar ist, kann man allerdings eine erste Charakteristik des jeweiligen analysierten Texts geben, so wie bereits im Kapitel 4.3 vorgeschlagen wurde. Insofern ist Brinkers (2005) Verständnis von Textfunktion relevant, es muss aber durch die Erkenntnis ergänzt werden, dass mehrere Sprachfunktionen zugleich wirksam sind. Man kann auch annehmen, dass die interpersonelle Metafunktion immer an den Stellen eines Textes, sei er in seiner Grundfunktion appellativ oder informierend, erkennbar ist, an denen ein Bezug auf den Empfänger sichtbar wird. In einem ersten Schritt ist festzustellen, dass Personenbezeichnungen, die auf diese Weise der appellativen Textfunktion dienen, zugleich zentral für die Realisierung der interpersonellen Metafunktion sind. Solche Personenbezeichnun- 112 gen nehmen auf die Leser Bezug. Damit ist auch gleich eine spezifische Verwendungsweise von Personenbezeichnungen im Rahmen der interpersonellen Metafunktion gegeben: Der appellative Funktionstyp. Um eine Appellfunktion in einem Text zu explizieren, muss die vollzogene Sprachhandlung auf folgende Weise paraphrasiert werden können: „Ich (der Emittent) fordere dich (den Rezipienten) auf, die Einstellung (Meinung) X zu übernehmen/ die Handlung X zu vollziehen.“ (Brinker 2005: 117) 79 Ferner kann die Verwendung einer Personenbezeichnung der Herstellung, Aufrechterhaltung oder dem Abbruch des Kontakts zum Empfänger dienen. Dazu gehören die Verwendungen geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen, die der „Kontaktfunktion“ (ebd.: 127) dienen. Diese wird unter anderem in Texten wie Danksagung, Beglückwünschen, Gratulieren und Willkommenheißen durchgeführt. 80 (vgl. ebd.) Eine Personenbezeichnung, die der Kontaktfunktion dient, nimmt auf die Empfänger Bezug, ohne dass diese notwendigerweise zu einer Meinungsübernahme oder dergleichen aufgefordert werden. Sie werden aber in der Äußerung direkt angesprochen. Jakobson (1960) nennt in seinem Sprachfunktionsmodell die sprachliche Funktion, die den empfängerseitigen Aspekt der Herstellung sozialer Kontakte betrifft, konative Funktion genannt: „Orientation toward the ADDRESSEE, the CONATIVE function, finds its purest grammatical expression in the vocative and imperative [...].“ (ebd.: 355) Des Weiteren können Personenbezeichnungen auf die Empfänger referieren, so dass diese hiermit weder zur Übernahme einer Einstellung oder zu einer Handlung aufgefordert werden, noch dass die Beziehung zwischen Sender und Empfänger an sich zentrales Ziel der Äußerung ist. Diese Art von Bezugnahme kann man aber nicht kategorial von der direkten Bezugnahme auf die Empfänger unterscheiden. Die interpersonelle Metafunktion ist nämlich, wenn wir Halliday und Mattheissen (2004) folgen, konstitutiv für Sprachgebrauch überhaupt. Eine interpersonelle Dimension ist dieser Sichtweise zufolge immer vorhanden. Ausreichendes Kriterium für diese Art interpersoneller Referenz ist, dass die Empfänger der Mitteilung zumindest teilweise mit den im Denotat der aktuellen Personenbezeichnung benannten Personen identisch sind. 79 Brinker verwendet durchgehend die Begriffe Emittent für Sender und Rezipient für Empfänger. 80 Diese ist der phatischen Funktion (gelegentlich auch Kontaktfunktion genannt) im Funktionsmodell von Jakobson (1960) nicht gleichzusetzen. 113 5.3.2 Textanalysen 5.3.2.1 Beidbenennung bei direkten Anreden Aus der quantitativ ausgerichteten Forschung zum Gebrauch unterschiedlicher Realisierungstypen geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen im Deutschen ergibt sich eine deutliche Tendenz Maskulinum und Neutralform dominieren über die Beidbenennung (Kapitel 1.3). In Stellenanzeigen jedoch kommen Beidbenennungen erheblich häufiger vor. Berufsbezeichnungen, die häufig in Stellenanzeigen vorkommen, bilden eine zentrale Gruppe von Personenbezeichnungen. Als sprachliche Kennzeichnungen sind sie in europäischen Gesellschaften heutzutage identitätsstiftend, weil die meisten erwachsenen weiblichen und männlichen Personen berufstätig sind. Menschen identifizieren sich über Arbeit und Beruf, werden auch von anderen Menschen darüber identifiziert und wahrgenommen. Arbeit stellt eine zentrale Kategorie für das Individuum und für die Gesellschaft dar, psychologisch, soziologisch und ökonomisch (vgl. Bauman 2004: 17ff.). Beidbenennungen finden in den analysierten Texten, die weder feministisch noch dem Universitätsbereich zuzurechnen sind, äußerst selten Verwendung. 81 Jedoch ist eine bemerkenswerte Ausnahme festzustellen: Bei Anreden und Bezugnahmen auf die Leser kommen Beidbenennungen relativ oft vor. Diese Ausnahme liegt zugleich dem in diesem Kapitel behandelten Variationsmuster zugrunde. Und dadurch, dass in Anreden auf die Empfänger Bezug genommen wird, liegt eine Ähnlichkeit mit Stellenanzeigen vor. 82 Beispielsweise werden in der überregionalen Tageszeitung Tagesspiegel (Ausgabe vom 7. April 2006) geschlechtsübergreifende Referenzen beinahe ausschließlich mit dem Maskulinum vollzogen: (28) „Außerdem sollen alle Bürger nach ihrer Leistungskraft beteiligt werden - Gutverdiener also mehr zahlen als Menschen mit geringem Einkommen.“ (Tagesspiegel: 1) (29) „Auch Lindner forderte eine ‚Mischung aus Repression und Prävention’ für die Schüler.“ (Tagesspiegel: 9) Es kommen auch geschlechtsübergreifende Personenreferenzen vor, die mit unterschiedlichen Varianten der Neutralform vollzogen werden: 81 In diese Kategorie gehören die für die vorliegende Arbeit ausgewerteten Ausgaben von Tagesspiegel, tageszeitung, Stern, Neon und Brigitte. 82 In diesem Teilkapitel werden vereinzelte Beispiele aus meist kurzen Zeitungstexten angeführt, die im Übrigen wenige, in den meisten Fällen keine sonstigen geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen enthalten. Deswegen werden die Personenbezeichnungen nicht in Tabellen vorgestellt. 114 (30) „Die Altersversorgung der Bundestagsabgeordneten ist seit langem umstritten [...].“ (Tagesspiegel: 2) (31) „Mit viel Eigeninitiative versuchen Sport-Engagierte, den Sparmaßnahmen des Senats auszuweichen.“ (Tagesspiegel: 12) Die Norm des geschlechtsübergreifenden Maskulinums scheint in dieser Tageszeitung ebenso stark zu sein wie Bühlmann (2002: 167) sie für die Schweizer Tageszeitungen Blick, Neue Zürcher Zeitung und Tages-Anzeiger nachweisen konnte. In der Sektion für Jugendliche „werbinich“ (Tagesspiegel: 16) befindet sich indessen ein interessanter Beleg einer Beidbenennung: Liebe Leserin und lieber Leser (32). An der Stelle, an der diese Doppelform vorkommt, werden die Leser explizit angesprochen und zu einer Handlung aufgefordert, nämlich zum Mitwirken an der Seite „werbinich“. Somit weist der Text eine appellative Grundfunktion auf: (32) „Liebe Leserin und lieber Leser, wir danken für die schönen Gedichte und die vielen kleinen Tipps und Anregungen, mehr davon! Das alles schickt ihr bitte wie immer per Mail an uns - aber vergesst nicht, euer Alter und eure Telefonnummer anzugeben. Wir sind gespannt. Ach, und da wir Karfreitag nicht erscheinen: Bis in zwei Wochen! “ (Tagesspiegel: 16) 83 Die Leser werden direkt angesprochen, und zwar im Numerus Singular, wodurch die Konkretisierung der Referenz im Vergleich zum Numerus Plural etwas höher liegt. Wichtig bei einer Aufforderung zu einer Handlung oder Meinungsübernahme sind die stilistischen Mittel, die dazu dienen, die Empfänger zu überzeugen. Die explizite Geschlechtspezifizierung, das Nennen beider Geschlechtergruppen, übernimmt hier diese Funktion: Jeder Leser, ob weiblich oder männlich, sollte sich gleichermaßen angesprochen fühlen. Zum appellativen Charakter in diesem Text gehören auch einige Merkmale, die vom typischen Stil der Zeitungssprache abweichen. Wahrscheinlich sollen sie an die Zielgruppe der Jugendlichen appellieren. Als Beispiel dafür finden sich im Text die Interjektion ach und der Gebrauch der informellen Anredeform ihr: „Durch die Verwendung von ‚Umgangssprachlichem’ werden die Sachverhalte ‚näher’ gebracht als durch die ‚distanzherstellende’ Hochsprache [...]“ (Sandig 1986: 231). Auch in taz1 und taz2 macht das Maskulinum die größte Gruppe der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen aus. Die Beidbenennung hat den niedrigsten Anteil unter den drei Haupttypen Maskulinum, Neutralform und Beidbenennung. Auch hier kommen einige der Beidbenennungen gerade an solchen Stellen vor, an denen die Leser direkt angesprochen werden. Zu taz1 gehört die Abteilung „tazmag“, das Wochenendmagazin der taz. Es schließt mit einer als „taz muss sein“ (taz1: VIII) betitelten Seite, auf deren oberer Hälf- 83 Fettdruck einzelner Textstellen aus dem Original übernommen. 115 te sich der Artikel „Radeln mit Comfort“ befindet. 84 Dieser Text, begleitet von einem Foto von einem Fahrrad, zielt darauf ab, den Lesern das so genannte taz- Fahrrad zu verkaufen. Da der Text somit zu einer Handlung auffordert, ist die übergreifende Textfunktion appellativ. Der Charakter des Textes als Werbetext wird noch durch die anschließende Liste der Radhändler, die das Fahrrad zum Verkauf anbieten, verstärkt. Bezüglich des Layouts hebt sich der Artikel vom Layout der taz im Übrigen nicht ab. Weder verbale (etwa eine Kennzeichnung wie „Werbung“) noch typographische Merkmale sondern den Artikel von seinem redaktionellen Umfeld ab. Auch informationsstrukturell ähnelt dieser Text dem typischen Nachrichtentext oder Bericht. Die Themenentfaltung entspricht genau der Struktur, die als inverted pyramid bezeichnet wird und für den Nachrichtenartikel typisch ist (vgl. Lüger 1995: 95). Der Artikel über das taz-Fahrrad fängt folgendermaßen an : (33) „Noch kein Fahrrad für die Saison? Dann ein taz-Rad kaufen - zum Beispiel das neue taz rad comfort.“ Der Haupttext beschreibt das taz-Rad näher, wobei vor allem dessen Vorteile hervorgehoben werden. Zwei Personenbezeichnungen mit geschlechtsübergreifender Referenz befinden sich in diesem Text: taz-AbonnentInnen und taz- GenossInnen. Diese beziehen sich potenziell auf die Abonnenten und auf die Genossen, welche durch Abonnement und durch die Genossenschaft die taz finanziell unterstützen. Es liegt nahe, dass diese Gruppen auch einen Teil der Leserschaft ausmachen. Diese Personenbezeichnungen sind demzufolge zentral für die Herstellung eines sozialen Kontakts zwischen Absender und Empfänger auf der interpersonellen Ebene. Der interpersonelle Charakter dieser Personenbezeichnungen wird allerdings nicht durch Vokativ oder explizite Aufforderung zum Ausdruck gebracht. Dieser manifestiert sich stattdessen indirekt in der Verbindung zwischen der außersprachlichen Größe der Leserschaft und den Gruppen taz-Abonnenten und taz-Genossen, auf die taz-AbonnentInnen und taz-GenossInnen in der dritten Person Plural Bezug nehmen. Die explizite Nennung beider Geschlechtergruppen bei den Abonnenten und den Genossen kann man so als eine Strategie verstehen, jede und jeden explizit zu inkludieren. Diese beiden Vorkommen in den beiden Ausgaben der taz belegen, dass bei Bezugnahme auf die Leser durch das Bestimmungsglied tazdie Beidbenennung Verwendung findet. Auch bei den anderen Vorkommen von Personenbezeichnungen, bei denen tazdas erste Glied ausmacht, wird Beidbenennung benutzt. Dasselbe gilt auch für Komposita mit einer Personenbezeichnung als Erstglied, in denen das Bestimmungsglied tazenthalten ist: 84 Da sich der an dieser Stelle behandelte Text auf ein und derselben Seite befindet (VIII), erfolgen fortan keine Seitenverweise. 116 (34) „Die tageszeitung wird ermöglicht durch 6.758 GenossInnen, die in die Pressefreiheit investieren.“ (taz1: 1, taz2: 1) Des Weiteren kommen in taz1: 12 und taz2: 12 zwei Belege des Determinativkompositums leserInnenbrief vor. Dabei finden sich in den beiden Ausgaben etliche weitere Komposita derselben Art, bei denen das erste Glied eine Personenbezeichnung ist. Sie referieren jedoch nicht explizit auf die Leser der Zeitung. Sie werden durchgängig als geschlechtsübergreifendes Maskulinum realisiert. 85 Andere Belege, die den bereits diskutierten Vorkommen ähneln, finden sich auch im Editorial der zur Analyse herangezogenen Ausgabe der Zeitschrift Neon (Januar 2006). Was Personenbezeichnungen mit geschlechtsübergreifender Referenz angeht, enthält diese Ausgabe fast ausschließlich Maskulina und Neutralformen. Die Beidbenennung ist mit zwei Belegen vertreten. Der eine Beleg 86 befindet sich in der Sparte „Editorial“ (Neon: 3), in dem die Leser begrüßt werden, der Inhalt der Ausgabe erläutert wird und den Lesern abschließend „Viel Spaß mit diesem Heft“ gewünscht wird. 87 Hier ist die Kontaktfunktion zentral. Deswegen lässt sich ebenfalls behaupten, dass interpersonelle Elemente hier zentral sind. Zwei Personenbezeichnungen sind im Editorial als kontrastierende Belege von unmittelbarem Interesse: Leserinnen und Leser sowie Kanzler (Pl). 88 Leserinnen und Leser macht in der Zusammensetzung Liebe Leserinnen und Leser die begrüßende Überschrift des Artikels aus, während Kanzler in der folgenden textuellen Einbettung vorkommt: (35) „Wir haben uns entschieden, 2005 ganz hart zu bewerten: in Top-5- Listen haben wir die aufregendsten, peinlichsten und schrecklichsten Ereignisse aus zwölf Monaten voller Päpste, Kanzler und Klingeltönen zusammengefasst (S. 70).“ Kanzler ist hier wegen der Konstruktion mit voller als Pluralform zu verstehen, da im Laufe des Jahres 2005 das Kanzleramt nach Gerhard Schröders Amtsperiode von Angela Merkel neu besetzt wurde. Die Referenz ist somit eindeutig ge- 85 Vgl. demgegenüber ähnlich konstruierte Komposita wie Ausländeranteil (taz1: 3), Verbraucherdienst (taz2: 2), Pädagogenworkshop (taz2: 3), mit denen nicht auf die Leser referiert wird und die keine Beidbenennung enthalten. 86 Der zweite Beleg der Beidbenennung, Freundinnen und Freunden (Neon: 50) ist nicht in erster Linie mit der interpersonellen Metafunktion als Herstellung einer sozialen Beziehung zwischen Absender und Empfänger zu erklären. Für dieses Vorkommen sind Aspekte der Verwendung von Personenbezeichnungen relevant, die mit thematisch bedingter Relevanz der expliziten Geschlechtskennzeichnung und eher vor dem Hintergrund der ideationellen Metafunktion zu erklären sind. 87 Da dieser Text auf ein und derselben Seite (3) abgedruckt ist, werden nachfolgend keine Seitenverweise angegeben. 88 Von lexeminhärent geschlechtsneutralen und geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen wie Geschwister bzw. Papst wird hier abgesehen. 117 schlechtsübergreifend. Allerdings ist dieser Beleg nicht auf dieselbe Weise wie Leserinnen und Leser interpersonell, da nur Letztere sich explizit auf die Leser gerade dieser Illustrierten bezieht. Kanzler referiert demgegenüber nicht auf die Personen, an die sich die Publikation wendet. Bei einer Begrüßung oder Einleitung eines kommunikativen Ereignisses ist für das Fortbestehen des Interesses an der Kommunikation seitens der Empfänger wichtig, dass diese sich angesprochen fühlen, insbesondere in einer kommerziellen Situation, in dem der Sender (Hersteller/ Verkäufer) gleichsam um das Wohlwollen der Empfänger (Verbraucher/ Käufer) wirbt. Dies dürfte der Grund für die Verwendung der Beidbenennung sein und macht zugleich den kontextuellen Effekt aus. Die Beidbenennung dient der Herstellung von Eindeutigkeit hinsichtlich der Geschlechtskennzeichnung der Empfänger der Mitteilung. Jeder Leser, weiblich sowie männlich, soll sich als begrüßt betrachten können. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass der Aufmerksamkeitswert von Texten mit Kontaktfunktion nicht nur von der „Relevanz des Mitgeteilten“ (Lüger 1995: 83) abhängt, sondern auch vom „Grad des Betroffenseins auf seiten des Lesers“ (ebd.). Vor dem Hintergrund von Sperber und Wilsons (1995) Relevanzkonzepts ist festzustellen, dass die kontextuellen Effekte darin bestehen, die Annahme eindeutig zu belegen, dass sowohl Frauen als auch Männer angesprochen werden. Auf dieselbe Weise kann man ähnliche Belege von Begrüßungen im Berliner Queer-Magazin Siegessäule sowie im Uni-Mag analysieren: 89 (36) „Liebe Leserin, lieber Leser! “ (Siegessäule2: 3) (37) „Liebe Leserin, lieber Leser“ (Uni-Mag 1/ 07: 3, Uni-Mag 2/ 07: 3). Was Siegessäule angeht, lässt sich diese Anrede mit einem anderen im Editorial vorkommenden Bezug auf die Leser (Siegessäule-Leser) in der Form einer Personenbezeichnung vergleichen (38). Auch hier ist die interpersonelle Metafunktion zentral, jedoch wird sie nicht durch Beidbenennung zum Ausdruck gebracht. (38) „Klar: Die Siegessäule ist ein Special-Interest-Magazin. Und das ist gar nicht so einfach, denn einen einheitlichen homosexuellen Blick gibt es nicht. Gala-Leser wollen Promi-Geschichten, Rute & Rolle-Abonnenten interessieren sich fürs Angeln. Siegessäule-Leser repräsentieren einen Querschnitt der Bevölkerung.“ (Siegessäule2: 3) Auch in (38) nimmt man somit auf die Leser Bezug, jedoch nicht durch eine Anrede, die sich explizit an die Leser wendet. Dies lässt sich dadurch erklären, dass in diesem Fall eine Beidbenennung weniger relevant ist. 89 Dass hier gerade diese Ausgaben angeführt werden, dürfte nicht entscheidend sein. Derartige Begrüßungen scheinen sich zum festen Bestandteil des jeweiligen Editorials verfestigt zu haben. 118 In den bereits besprochenen Fällen handelt es sich wie bei Tagesspiegel und Neon um journalistische Publikationen, die viel mehr Maskulina und Neutralformen als Beidbenennungen beinhalten. Zudem herrscht in diesen Publikationen die Konvention vor, das Femininum an erste und das Maskulinum an zweite Stelle zu setzen. Dies kann man als Ausdruck eines traditionellen stilistischen Ideals verstehen, nach dem Frauen zuerst und Männer erst danach erwähnt werden sollten. Diesbezüglich interessiert besonders die Begrüßungsformel, die im Editorial der Frauenillustrierten Brigitte vorkommt (Brigitte: 3) (39). Im Unterschied zu den restlichen, in diesem Abschnitt behandelten Quellen hat Brigitte ein Publikum, das zum größten Teil aus Personen nur einer Geschlechtergruppe besteht, und zwar aus weiblichen Personen. Auch in Brigitte finden sich nur vereinzelt Beidbenennungen, ansonsten werden zur geschlechtsübergreifenden Personenreferenz entweder Maskulina oder Neutralformen benutzt. Auch im Editorial der Brigitte findet sich eine formelhafte Begrüßung von sowohl männlichen wie auch weiblichen Lesern, und auch hier wird mit der weiblichen Form eingeleitet. Jedoch ist die feminine Form (Liebe Leserin) in größerem Schriftgrad als die nachgestellte maskuline Form (lieber Leser) wiedergegeben, die sich zudem ein paar Zeilen unterhalb der femininen Form befindet. Außerdem stehen zwischen Liebe Leserin und lieber Leser zuerst drei Punkte [...] und danach die Konjunktion und: (39) „Liebe Leserin ... und lieber Leser! “ (Brigitte: 3) Durch die semiotischen Unterschiede hinsichtlich des Schriftgrads zwischen Liebe Leserin und lieber Leser bekommt die maskuline Form den Charakter eines Anhängsels, das der ersten Personenbezeichnung (Liebe Leserin) nicht gleichgestellt ist. Dies kann man dadurch erklären, dass Brigitte sich in erster Linie an Frauen und erst in zweiter Linie an Männer wendet. Es ließe sich auch relevanztheoretisch argumentieren, dass die Bezugnahme auf die männlichen Leser durch lieber Leser in (39) Relevanz besitzt. In spätmodernen, säkularisierten Demokratien wie Deutschland haben sich alte Geschlechterrollen zum Teil aufgelöst. Deswegen ist nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass nur weibliche Personen eine typische Frauenillustrierte wie Brigitte lesen. Da auch Männer zum Leserkreis gehören können, erscheint es als relevant, den kontextuellen Effekt der Aufhebung der Annahme, Brigitte wende sich nur an Frauen, zu bewirken. Allerdings erfolgt diese Aufhebung erst auf eine zum Teil humoristische Weise, indem die männlichen Leser derartig angesprochen werden, das heißt im Bewusstsein, dass trotzdem Frauen das eigentliche Kernpublikum dieser Illustrierten ausmachen. Die Variation, die in diesem Abschnitt beschrieben worden ist, kann man ferner mit dem Begriff Sozialdeixis (vgl. Levinson 2000: 97ff.) beleuchten. Unter Sozialdeixis versteht Levinson: 119 „diejenigen Aspekte der Sprachstruktur, die die gesellschaftliche Identität der Teilnehmer (oder besser, der Inhaber der Teilnehmer-Rollen) enkodieren sowie die soziale Beziehung zwischen ihnen oder zwischen einem von ihnen und Personen oder Größen, auf die referiert wird.“ (ebd.: 97) Levinson führt als Beispiel für die Art von Sozialdeixis, die Relationen betrifft, das heißt relationale Sozialdeixis, die Beziehung zwischen „Sprecher und Anwesenden (z.B. Höflichkeitsformen für Anwesende oder Zuhörer)“ (ebd.: 98) an. Bei der Verwendung der Beidbenennung bei Bezugnahme auf Leser ist anzunehmen, dass es sich um eine Höflichkeitsform handelt. Sie lässt sich so als Manifestierung von Sozialdeixis betrachten, obwohl man ausgehend von nur diesen Beispielen nicht feststellen kann, inwieweit sich diese sprachliche Höflichkeitspraxis konventionalisiert hat. 5.3.2.2 Protest gegen NPD Der Artikel „Mob gegen Moschee“ (taz1: 27) schildert Proteste gegen einen geplanten Moscheebau im Berliner Bezirk Pankow. Die Grundfunktion des Textes ist informierend und besteht darin, über ein politisches Ereignis zu berichten. Der Text lässt sich als vor allem als Reportage klassifizieren, weil über die Bürgerversammlung mit Plenardebatte gegen den Moscheebau aus einer Erlebnisperspektive berichtet wird (vgl. Lüger 1995: 115): (40) „Schon wenn man an der Haltestelle ‚Am Wasserturm’ aus der Tram steigt, hört man Pfiffe und Buhrufe.“ (taz1: 27) Der Text enthält folgende geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen: 120 Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Maskulinum Beidbenennung Neutralform Total Heinersdorfer (Pl) Mitglieder Gegner (Pl) Menschen (Pl) Muslime Leute Draußensteher (Pl Heinersdorfer (Pl) Vertreter (Pl) Muslime Heinersdorfer (Pl) Heinersdorfern Gegner Anzahl 10 0 3 13 Tabelle 11: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in „Mob gegen Moschee“ (taz1: 27). Abgesehen von den neutralen Bezeichnungen Mitglieder, Menschen und Leute sind damit sämtliche Personenbezeichnungen in diesem Text Maskulina und bezeichnen sowohl Gegner des geplanten Baus (Heinersdorfer) als auch dessen Befürworter (Vertreter). Die Dominanz des Maskulinums ist auffällig. Die Rubrik eines Textes nimmt nach Lüger (1995: 82) sowohl als Werbemittel für den Leser wie auch als Hinweis auf wichtige Inhalte des Haupttexts eine wichtige Position ein. Das pejorative Kollektivum Mob 90 bringt die wertende Einstellung des Senders (etwa Autor oder Zeitung) dem behandelten Phänomen gegenüber zum Ausdruck. Die dominierende Stellungnahme im Text erfolgt zugunsten der Moscheebaupläne und gegen die dazu negativ eingestellten Bürger. Diese machen, so der Artikel, den Mob aus. Diese politische Positionierung stimmt mit der Rolle der taz als linkskritischer Stimme in der Öffentlichkeit überein. Aus der Stellungnahme wird die Auseinandersetzung mit zentralen Themen wie Integration, Einwanderung, Multikultur und Fremdenfeindlichkeit im linkspolitischen Diskurs ersichtlich. So kommt die Rolle politischer Auffassungen und Normen für die Konstituierung eines Diskursfragmentes (vgl. Jäger 2004: 117) durch die Verwendung lexikalischer Mittel zum Ausdruck, da aus der Verwendung des pejorativen Lexems Mob die Macht des Senders, den Inhalt dieses Diskursfragmentes zu konstruieren und einzuschränken, deutlich wird: „the power to constrain content: to favour certain interpretations and ‚wordings’ of events, while excluding others [...].“ (Fairclough 2001: 43) Neben diesem Artikel ist ein weiterer Text abgedruckt, ein Infokasten, der die Reportage begleitet. Er ist grafisch durch deutliche Textbegrenzungssignale 90 Siehe hierzu das Wörterbuch Duden (2003). 121 (vgl. Brinker 2005: 19) hervorgehoben, vor allem durch einen graphischen Rahmen, der ihn vom Haupttext trennt und als relativ selbständige Texteinheit kennzeichnet. Die Überschrift, in Großbuchstaben, lautet: „PROTEST GEGEN NPD“. Sie kündigt damit eine Demonstration gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) an, die wiederum plant, gegen den Moscheebau aufzumarschieren. Die Leser werden sozusagen zur Gegendemonstration aufgerufen - daher hat der Text hauptsächlich Appellfunktion. Davon zeugt auch die Tatsache, dass genaue Zeit- und Ortsangaben nicht für die NPD- Demonstration, sondern für die Gegenmanifestation angegeben sind. Auch an dieser Stelle stellt sich somit die Positionierung gegen moscheekritische Bürger und Rechtsradikale deutlich heraus. Wenden wir uns jetzt den Personenbezeichnungen im Infokasten (41) zu: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Maskulinum Beidbenennung Neutralform Total Teilnehmer (Pl) TeilnehmerInnen Rechtsextremisten (Pl) Gegenveranstalter Anzahl 3 1 4 Tabelle 12: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in „Protest gegen NPD“ (taz1: 27). Sämtliche vier geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen befinden sich in der folgenden textuellen Einbettung: (41) „150 Teilnehmer erwarten die Rechtsextremisten. Die Gegenveranstalter rechnen mit rund 700 TeilnehmerInnen. Treffpunkt für die Demonstration ist um 10.30 Uhr an der Kirche Alt-Pankow Ecke Breite Straße/ Berliner Straße.“ (taz1: 27) Das Vorkommen TeilnehmerInnen in (41) bezieht sich auf potentielle Demonstranten gegen die NPD. Indirekt werden somit taz-Leser apostrophiert, indem die Leser zur Demonstration eingeladen werden. Dies geschieht allerdings nicht in der Form eines expliziten Appells. Für diese Lesart sprechen dennoch die Tatsachen, dass die beiden Texte zum einen zum thematisierten Konflikt um den Moscheebau Stellung beziehen und der typische taz-Leser zum anderen eher gegen als für die NPD demonstrieren würde. Dies ist ein möglicher Grund für die Verwendung einer Beidbenennung an gerade dieser Stelle: Jeder Leser, ob männlich oder weiblich, sollte hier eindeutig angesprochen werden. Die Relevanz besteht damit im kontextuellen Effekt, die Vermutung eindeutig zu bekräftigen, dass weibliche und männliche Teilnehmer eingeladen und willkommen sind. 122 Als Kontrastierung hierzu kann man die Verwendung des Maskulinums Teilnehmer als Benennung der Rechten betrachten. Diese gehören nicht in die typische Zielgruppe der Mitteilung und sind keine typischen Leser der tageszeitung. Deswegen liegt seitens des Senders kein Bedarf vor, sich diesen Personen mit Hilfe stilistischer „Attraktivmacher“ (Sandig 1986: 228) zuzuwenden. Zugleich könnten die unterschiedlichen Bezeichnungsweisen bei den Rechten einerseits und den Gegendemonstranten andererseits von einer Vorstellung von Rechtsextremen als prototypisch männlich und von deren Antagonisten als gleichermaßen männlich und weiblich zeugen. Diese Interpretation lässt sich jedoch nicht auf im Text vorhandene Elemente stützen. Der Text „Protest gegen NPD“ enthält indessen noch zwei weitere Personenbezeichnungen, die Maskulina Rechtsextremisten und Gegenveranstalter. Bei einer Kontrastierung der Maskulina Teilnehmer, Rechtsextremisten und Gegenveranstalter einerseits und der Beidbenennung TeilnehmerInnen andererseits kann man das variierende Bezeichnungsverfahren mit unterschiedlichen Funktionsweisen erklären. Gemeinsam für die drei Maskulina im Text ist ihre vorwiegend ideationelle Funktion. Typisch für die einzige Beidbennung im Text, TeilnehmerInnen, ist demgegenüber gerade das Interpersonelle, indem sie sich direkt auf die Leser bezieht. Die interpersonelle Metafunktion tritt folglich hier stark in den Vordergrund. Auch bei einer Gegenüberstellung der zwei Personenbezeichnungen, welche die sympathisch geschilderten Gegenveranstalter bezeichnen (Gegenveranstalter und TeilnehmerInnen), ist die Begründung durch unterschiedliche Funktionsweisen anwendbar. Nur bei TeilnehmerInnen ist die interpersonelle Metafunktion zentral. Hinzu kommt, dass Gegenveranstalter nicht mit Notwendigkeit als Personenbezeichnung zu interpretieren ist. Gegenveranstalter wäre dieser Lesart zufolge eine Bezeichnung für ein Komitee oder einen Vorstand der veranstaltenden Organisation/ en oder gar diese Organisation/ en an sich. Die Wahrscheinlichkeit der Verwendung einer movierten oder beidbenannten Institutionsbezeichnung, die in der Grundform auf -er endet, ist niedriger als bei Personenbezeichnungen. Jedoch soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass movierte Institutionsbezeichnungen auf -in gelegentlich dort vorkommen, wo das Bezugswort feminin ist (vgl. Duden 2005: 157). So hat Jobin (2004) anhand von Beispielen aus Pressetexten wie „die Tradition der Kirche als Trägerin von Armenfürsorge“ 91 (ebd.: 228) dieses Phänomen nachgewiesen und ausführlich diskutiert. Gegenveranstalter in „Protest gegen NPD“ bezieht sich indessen nicht auf ein feminines Bezugswort. 91 Kursivierung und Fettdruck aus dem Original übernommen. 123 5.3.2.3 Informationen für internationale Austauschstudenten und Austauschstudentinnen In diesem Abschnitt steht der Informationsprospekt „Informationen für internationale Austauschstudenten und Austauschstudentinnen“ (2003) der Technischen Universität Berlin (kurz: TU) im Zentrum. 92 Das Heft liegt als broschierte Drucksache vor und wird im Folgenden als ein einheitlicher Text betrachtet. 93 Das Thema des Hefts lässt sich durch den Titel des Prospekts erfassen, „Informationen für internationale Austauschstudenten und Austauschstudentinnen“. Des Weiteren kann man es anhand der Überschriften der fünf Kapitel des Hefts veranschaulichen: „Kapitel 1. Die TU Berlin“, (4-11) „Kapitel 2. Vor der Abreise“ (12-21), „Kapitel 3. Vorbereitungen in Berlin“ (22-39), „Kapitel 4. Beim Studium“ (40-48), „Kapitel 5. Zum Ende des Studiums“ (50-53) samt „Anhang“ (54-62). Diese Textteile zielen darauf ab, den Lesern die notwendigen Informationen über das Studium zu vermitteln: (42) „Um Deinen Aufenthalt so einfach wie möglich zu gestalten, haben wir diese Broschüre entworfen. Sie enthält alle wichtigen Informationen - von Deinen Vorbereitungen am Heimatort bis zum Abschluss deines Studiums an der TU Berlin - und ist daher als Dein ständiger Begleiter konzipiert.“ (TU: 1) Damit ist auch die übergreifende Textfunktion dieses Hefts deutlich, nämlich die Informationsfunktion. Es finden sich jedoch auch etliche Hinweise und Aufforderungen zu Handlungen an die Studierenden, von denen viele explizite und direkte Aufforderungen sind. Aus diesem Grund ist auch die Appellfunktion (vgl. Brinker 2005: 117ff.) zentral. Der Überschrift auf der Titelseite „Informationen für internationale Austauschstudenten und Austauschstudentinnen“ entsprechend liefert der Text 92 Das Heft umfasst 63 Seiten und liegt im A5-Format vor. 93 Dem Prospekt beigelegt sind insgesamt vier vorgedruckte, von angehenden Austauschstudierenden auszufüllende Formulare. Dort befinden sich Personenbezeichnungen, die für die Fragestellung dieser Arbeit von Interesse sein könnten. Die Vordrucke werden jedoch nicht mit in die Analyse einbezogen, da sie ausgehend vom Textverständnis in dieser Arbeit als separate, relative selbständige Texte anzusehen sind. Die Formulare („Anmeldung als AustauschstudentIn“, „Learning Agreement“, „Sprachzeugnis“, „Antrag auf einen Wohnheimplatz“) erfüllen nicht in erster Linie Informationsfunktion, vielmehr dienen sie einem praktischen Zweck. Sie sollen den Hinweisen im Heft entsprechend von den angehenden Austauschstudenten ausgefüllt und an der TU Berlin eingereicht werden, damit sie zum Studium zugelassen werden und einen Wohnheimplatz erhalten. Sie gehören also einer ganz anderen Textsorte an, nämlich dem Formular, und realisieren auch andere textuelle Grundfunktionen, unter anderem die Obligationsfunktion (vgl. Brinker 2005: 126f.). Entscheidend dafür, diese Formulare nicht zu derselben Texteinheit wie die Informationsbroschüre zu zählen und diese nicht in die Analyse einzubeziehen, sind die vielen Textbegrenzungssignale (vgl. ebd.: 19), welche die Formulare von dem Heft absondern. 124 allgemeine Informationen über das Studium an der TU Berlin und Sonderrichtlinien sowie Hinweise für angehende Gaststudierende aus dem Ausland. Der Prospekt ist auch deswegen eine kommunikative Einheit, weil er einen einheitlichen informativen Zweck (über das Studium zu informieren) und zudem einen einheitlichen appellativen Zweck hat: Die angehenden Austauschstudierenden zu den korrekten Maßnahmen vor und während der Studienzeit anzuleiten. Die textuellen Grundfunktionen des Hefts sind somit die informative und die appellative, wenn auch der Appell nicht in jedem Fall in Form einer expliziten Aufforderung erfolgt. Im folgenden Zitat kommt er indirekt zum Ausdruck: (43) „Wahrscheinlich wirst Du in Berlin ein Konto eröffnen wollen, um über Dein Geld vor Ort besser, schneller und einfacher verfügen zu können.“ (TU: 20) Die angehenden Studierenden werden in diesem Text wiederholt explizit angesprochen. Dies geschieht gleich auf der ersten Seite: (44) „Liebe Austauschstudentin! Lieber Austauschstudent! Wir freuen uns, dass Du an der Technischen Universität Berlin studieren möchtest.“ (TU: 1) 94 Dies ist ein wichtiges Zeichen für die interpersonelle Metafunktion im Text. Sie kommt zudem, als ein Bemühen um eine Beziehung zum Leser, durch die Verwendung der informellen Anredeform der zweiten Person im Singular zum Vorschein. Dass die Anredeform für die Herstellung der sozialen Beziehung zum Leser relevant ist, kann man folgendermaßen begründen: Ein Sender kann leichter mit einer informellen Sprachform als mit einer formellen Variante einen hohen Grad an positivem Betroffensein seitens der Leser erzielen (vgl. Lüger 1995: 83, Sandig 1986: 231), wenn die Leser für solche informelleren Sprachformen offen sind. Für die Wahl der informellen Anredeform ist wahrscheinlich entscheidend, dass die gedachten Leser in der Regel noch relativ jung sind. Dieser Text aktualisiert auch ein paar referenztheoretische Probleme: Die Bestimmung der Personenbezeichnungen als geschlechtsübergreifend und die oben bereits behandelte Zuordnung der gedachten Leser der Broschüre zur Gruppe der Austauschstudierenden. Sämtliche Personenbezeichnungen in diesem Text werden als geschlechtsübergreifend verstanden. Die geschlechtsübergreifende Referenz der zahlreichen Beidbenennungen ergibt sich aus den grammatischen Eigenschaften dieses Realisierungstyps. Demgegenüber kann man bei den Neutralformen und bei den Maskulina wegen ihrer referenziellen Opakheit eine geschlechtsübergreifende Referenz nicht eindeutig nachweisen. Dass auch diese Personenbezeichnungen geschlechtsübergreifend referieren, lässt sich jedoch auf folgende Weise begründen: Die meisten Personenbezeich- 94 Fettdruck aus dem Original übernommen. 125 nungen in diesem Text referieren nicht-spezifisch, während einige generische und wiederum andere spezifische Referenz haben. 95 Abgesehen von den wenigen spezifischen Referenzen handelt es sich in sämtlichen Fällen um nicht spezifizierte Personen, wie beispielsweise um einen nicht-spezifischen Vermieter (TU: 25) und um nicht-spezifische StudentInnen und Dozenten (TU: 9) der Seminare an der TU Berlin. Ausgehend davon, dass an deutschen Universitäten solche Kategorien von Personen normalerweise nicht nur zu einer Geschlechterkategorie gehören, sondern dass Studenten, Dozenten, Vermieter, Nebenhörer (TU: 48) und auch der Präsident (TU: 7) der TU Berlin weiblich sein können, kann man hier geschlechtsübergreifende Referenzen annehmen. 96 Des Weiteren finden sich im Text keine Anzeichen für eine geschlechtsspezifische Lesart dieser Personenbezeichnungen. Dies stellt den Grund dafür dar, sie als geschlechtsübergreifend zu klassifizieren. Was die Zuordnung der Leser zur Gruppe der Austauschstudierenden angeht, ergibt sich dem referenztheoretischen Ansatz in dieser Arbeit folgendes Problem: Nicht alle Leser des Hefts sind notwendigerweise angehende Austauschstudierende. Beispielsweise besteht die Möglichkeit, dass sie nicht zugelassen werden oder dass sie überhaupt nicht planen, ein Austauschstudium anzufangen. Zudem kann es auch Austauschstudierende geben, die das Heft nicht lesen. Eine Gleichsetzung zwischen der Extension derjenigen Vorkommen des Lexems Austauschstudent, die auf die Leser Bezug nimmt, und den tatsächlichen Lesern des Hefts ist demzufolge nicht möglich. Dieses Problem können wir jedoch lösen, wenn wir den Unterschied zwischen aktueller Referenz eines Ausdrucks und dessen Referenzpotenzial beachten (vgl. Lyons 1977: 207, Vater 2005: 14). ‚Austauschstudierende an der TU’ lässt sich vor diesem Hintergrund als ein Begriff ansehen, der potenziell auf alle Personen referiert, die für ein Studium als Austauschstudent an der TU Berlin in Frage kommen. Wer von allen Lesern dieses Hefts, die einen solchen Studienaufenthalt planen, in der Tat auch an der TU studieren wird, lässt sich anhand des Texts jedoch nicht festmachen. Wenn also nachfolgend von Referenz 95 Dafür nachfolgend einige Beispiele. Im folgenden Satz referiert Bewohner nichtspezifisch: „Idealerweise erhältst Du ein Zimmer, dessen eigentlicher Bewohner selber gerade im Ausland ein Studienjahr verbringt.“ (TU: 17) Jeder und die Deutschen im folgenden Abschnitt referieren beide generisch, da der im Satz beschriebene Zustand (bei der Polizei registriert zu sein) eine essentielle, nicht auf bestimmte Individuen beschränkte Eigenschaft der beiden Kategorien ist: „Um in Deutschland wohnen zu können, muss jeder (auch die Deutschen) bei der Polizei registriert sein.“ (TU: 24) Jeder lässt sich als Kurzform von beispielsweise Jeder Einwohner interpretieren. Spezifisch ist die Referenz auf Studierende im folgenden Abschnitt: „Zur Orientierung: Im Sommersemester 2002 waren an der TU Berlin 28.291 Studierende immatrikuliert, darunter 5.677 mit ausländischer Nationalität (20,1%).“ (TU: 5) 96 Vgl. hierzu den Kotext des zweiten Belegs von Präsident: „Der Präsident steht an der Spitze der Universität und wird auf vier Jahre vom Konzil gewählt.“ (TU: 7) Dies ist eine allgemeine, generische Aussage über den Präsidenten der TU Berlin als solchen. 126 auf die Leser gesprochen wird, dann ist unter Referenz die potenzielle Referenz, das Referenzpotenzial der aktuellen Vorkommen zu verstehen. Wie schon oben erwähnt, variiert in diesem Text die Art des Referierens: Die allermeisten Personenbezeichnungen referieren nicht-spezifisch und generisch, wiederum andere spezifisch. Diese Variation korreliert allerdings nicht mit den unterschiedlichen Begriffskategorien der Personenbezeichnungen im Text, zum Beispiel Student, Professor, Dozent. Die für diesen Text feststellbare Variation lässt sich stattdessen dadurch erklären, dass im Text angesprochene Personengruppen häufiger mit Beidbenennung bezeichnet werden, während nicht angesprochene und für den Zusammenhang eher periphere Personen viel häufiger mit maskulinen Sprachformen bezeichnet werden. Diese Variation gilt es im Folgenden zu beschreiben. In der Tabelle und in der nachfolgenden Diskussion wird zwischen Personenkategorie und Begriffskategorie unterschieden. Die Personenkategorien sind Studenten, Angestellte (= an der TU Berlin) und Sonstige. Die zwei Hauptkategorien von Personen in diesem Text sind Studierende und Angestellte an der Universität. Hinzu kommen einige wenige Vorkommen, die nicht eindeutig zu einer dieser beiden Kategorien gehören, das heißt sonstige Personen. In jeder Personenkategorie findet sich zudem eine Reihe von Begriffskategorien. Diese Begriffe sind unterschiedliche Personenbezeichnungen, die zur Bezugnahme auf Personen in den jeweiligen Personenkategorien benutzt werden. Diejenigen Begriffskategorien, für die eine maskuline Personenbezeichnung als Grundform angenommen wird, enthalten zugleich auch die entsprechenden Beidbenennungen, die zu den maskulinen Grundformen gebildet sind. Die Zuordnung der Begriffskategorien zu den Personenkategorien erfolgt nicht aufgrund ausdrucksseitiger Eigenschaften der jeweiligen Personenbezeichnungen, sondern ausgehend von der Bezugnahme im jeweiligen Referenzakt (vgl. Wimmer 1979: 25). Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Person Begriff Mask. Neut. Beidb. Total Studenten Architekturstudent 0 0 1 1 Austauschstudent 0 0 19 19 Bewohner 1 0 0 1 Buddy 5 0 0 5 Gaststudent 0 0 1 1 Hauptmieter 1 0 0 1 Nebenhörer 1 0 0 1 Student 6 15 12 33 Studentenvertreter 1 0 0 1 Stud. Mitarbeiter 1 0 0 1 127 Untermieter 1 0 0 1 Versicherter 0 1 0 1 Vollzeitstudent 0 0 1 1 Anzahl 17 16 34 67 (60 %) Angestellte Dozent 8 0 0 8 Koordinator 5 0 0 5 Mitarbeiter 3 0 0 3 Person 0 1 0 1 Präsident 2 0 0 2 Privatdozent 0 0 1 1 Professor 10 0 2 12 Vorsitzender 0 1 0 1 Wiss. Mitarbeiter 2 0 0 2 Anzahl 30 2 3 35 (31 %) Sonstige Benutzer 3 0 0 3 Deutscher 0 1 0 1 Jeder 1 0 0 1 Kind 0 1 0 1 Leute 0 1 0 1 Person 0 1 0 1 Pförtner 1 0 0 1 Vermieter 1 0 0 1 Anzahl 6 4 0 10 (9 %) Total 53 (47 %) 22 (20 %) 37 (33 %) 112 (100 %) Tabelle 13: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in TU (2003; prozentuale Angaben in Klammern. 97 97 In der linken Kolumne sind übergeordnete Personenkategorien fett markiert aufgeführt (Studenten, Angestellte, Sonstige), während in der Kolumne daneben Begriffskategorien ohne Fettdruck geschrieben sind. Als Bezeichnungen einiger Begriffskategorien in Tabelle 13 sind deren maskuline Formen eingesetzt, z.B. Student, Austauschstudent, Professor, Dozent. Diese sind Oberbegriffe für unterschiedliche Schreibweisen (Neutralform und Beidbenennung) ein und desselben Begriffes. So finden sich beispielsweise in der Kategorie Student nicht nur Beidbenennungen wie StudentInnen, sondern auch geschlechtsneutrale Präsenspartizipien im Plural wie Studierende. Dies gilt allerdings nicht für diejenigen Personenbezeichnungen, die als lexikalisierte Begriffe nur jeweils ein inhärentes Genus haben können. In diese Kategorie gehören Lexeme wie Leute und Kinder. Bei dem Lexem der 128 Die Verteilung der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen nach Personenkategorie und Begriffskategorie zeugt davon, auf welche Weise die interpersonelle Metafunktion im Hinblick auf die gedachten Leser des Textes zum Ausdruck kommt. Die geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen, mit denen Studierende bezeichnet werden, belaufen sich auf 60 % aller Vorkommen im Text. Es wird folglich verhältnismäßig häufig auf die gedachten Leser referiert. Des Weiteren geht aus der Tabelle hervor, dass die meisten Beidbenennungen in der Personenkategorie Studenten auftreten: 34 der insgesamt 37 Beidbenennungen. Zugleich ist in der Personenkategorie Studenten die Anzahl der geschlechtsübergreifenden Maskulina relativ gering, vor allem wenn man sie mit der Personenkategorie der Angestellten vergleicht, welche die allermeisten Maskulina enthält. Ein Vergleich zu den Personenkategorien Angestellte und Sonstige fördert daher ein wichtiges Ergebnis zutage: Studenten ist die einzige Personenkategorie in diesem Text, in der der Realisierungstyp Beidbenennung eine verhältnismäßig hohe Frequenz aufweist. Zugleich nehmen in der Personenkategorie Studenten die meisten Personenbezeichnungen auf die gedachten Leser des Hefts Bezug. Dadurch ergibt sich aus TU, dass bei Bezugnahme auf die Leser eher Beidbenennungen als Maskulinformen benutzt werden. Nachfolgend werden, der Reihenfolge der obigen Tabelle entsprechend, die verschiedenen Personenkategorien und deren Begriffskategorien diskutiert. Unter den Begriffskategorien der Personenkategorie Studenten ist Student die mit den meisten Personenbezeichnungen. Diese Begriffskategorie weist einen verhältnismäßig hohen Anteil an Beidbenennungen und Neutralformen (das heißt die Pluralform des Präsenspartizips Studierende) auf. Maskulina kommen hier deutlich seltener vor. Die hohe Frequenz des Präsenspartizips Studierende kann man wahrscheinlich auf eine Sprachpraxis im universitären Bereich zurückzuführen, in dem der Realisierungstyp Studierende(n) (Pl) als geschlechtsneutrale Benennung für den Begriff ‚Studenten’ üblich geworden ist. So führt Samel (2000: 108f.) aus, dass die Verwendung von Studierende als geschlechtsneutralem Oberbegriff für Studenten schon in Diskussionen der 1950er Jahre begonnen hat. Der Realisierungstyp Studierende soll jedoch Samel zufolge erst in den 1990er Jahren einen bedeutenden Aufschwung erlebt haben (vgl. ebd.). Die meisten Vorkommen der Begriffskategorie Student referieren de facto auf Austauschstudierende, ohne dass der Begriff Austauschstudent verwendet wird. 98 Dies erfolgt auf folgende Weisen: Entweder wird mit einer Personenbezeichung, die zur Begriffskategorie Student gehört, auf die Gruppe der Austauschstudenten Bezug genommen, oder eine Personenbezeichnung in der Be- Buddy (etwa ‚Student, der ausländische Studenten betreut’) kann man nicht eindeutig beurteilen, ob diese Personenbezeichnung als geschlechtsneutral aufzufassen ist oder ob deren maskuline Form stereotyp männliche Konnotationen evoziert. 98 Mit 27 der 33 Vorkommen in dieser Kategorie wird gerade auf Austauschstudierende Bezug genommen. 129 griffskategorie Student nimmt allgemein auf Studenten an der TU Bezug. Im letzteren Fall wird auch potenziell auf das Zielpublikum der Broschüre, angehende Austauschstudenten, referiert, wobei die Extension des Ausdrucks auch andere Studierende als nur angehende Austauschstudierende beinhaltet und somit umfassender ist. Für den ersten Fall sei folgendes Beispiel genannt: (45) „Mit der Immatrikulation bist Du offiziell eingeschriebener Student/ eingeschriebene Studentin der TU Berlin.“ (TU: 28) Der zweite Fall, bei dem allgemein auf die Gruppe der Studenten an der TU und damit auch auf angehende Austauschstudenten Bezug genommen wird, lässt sich durch folgende zwei Vorkommen der Binnen-I-Variante StudentInnen exemplifizieren: (46) „Während Seminare für StudentInnen im Grundstudium vorgesehen sind, sind Hauptseminare für StudentInnen im Hauptstudium gedacht.“ (TU: 9) In der Begriffskategorie Student kommen jedoch auch sechs Belege vor, die auf andere Studenten als Austauschstudenten referieren. Die Referenz dieser Personenbezeichnungen deckt sich nicht mit der Extension der (angehenden) Austauschstudenten und unterscheidet sich daher von allen restlichen Vorkommen in dieser Begriffskategorie. Drei der Vorkommen, die auf andere Studenten als Austauschstudenten referieren, sind Neutralformen, während drei davon Beidbenennungen sind. Ein Beispiel dafür ist Studentinnen und Studenten im folgenden Satz: (47) „‚Buddies’ sind Berliner Studentinnen und Studenten, die selbst bereits im Ausland studiert haben oder einen Auslandsaufenthalt planen, und die Euch freiwillig in den ersten Tagen und Wochen helfen und zur Seite stehen wollen.“ (TU: 41) Dies bedeutet, dass unter den 27 Personenbezeichnungen der Begriffskategorie Student, die auf Austauschstudierende Bezug nehmen, sechs Maskulina sind. In der Personenkategorie Studenten ist (nach Student) Austauschstudent die zweitgrößte Begriffskategorie. Mit sämtlichen Belegen von Austauschstudent wird entweder eine Referenz spezifisch auf die angehenden Austauschstudenten an der TU oder eine Referenz auf Austauschsstudenten an der TU allgemein vollzogen. Die Belege sind ausnahmslos Beidbenennungen. Dabei kommt die Vollform in zwei Fällen bei einer direkten Anrede vor: (48) „Liebe Austauschstudentin! Lieber Austauschstudent! Wir freuen uns, dass Du an der Technischen Universität Berlin studieren möchtest.“ (TU: 1) 130 Die restlichen Vorkommen von Austauschstudent sind als Binnen-I-Variante realisiert. Die Bezugnahme auf die Leser erfolgt auf unterschiedliche Weise. Sechs Belege in der Begriffskategorie Austauschstudent kommen in Sätzen vor, in denen explizit und direkt auf die Leser referiert wird. Die Referenz erfolgt dabei entweder durch eine direkte Anrede wie beim bereits oben erwähnten Fall (48), oder die Referenz kommt durch das Personalpronomen Du zustande. Im letzteren Fall wird der Leser prädikativ durch eine Personenbezeichnung als Austauschstudent bezeichnet, so zum Beispiel: (49) „In Hinblick auf Kosten und Flexibilität bieten sich für Dich als AustauschstudentIn im wesentlichen zwei Alternativen zur dauerhaften Unterkunft [...].“ (TU: 15) In den restlichen Fällen wird auf die Leser Bezug genommen, ohne dass diese direkt und explizit apostrophiert werden. Dies ist zum Beispiel dort der Fall, wo die aktuellen Personenbezeichnungen in Überschriften einzelner Teilabschnitte des Texts vorkommen: „Anmeldung bei der TU Berlin“ (TU: 13-15). Hier sind verschiedene Hinweise für die jeweiligen Studierenden enthalten: (50) „AustauschstudentInnen Europäischer Universitäten [...].“ (TU: 14) Belege wie AustauschstudentInnen in (51) nehmen allgemein auf die gesamte Gruppe der Austauschstudierenden Bezug. Die Leser werden allerdings nicht explizit zur Extension dieser Vorkommen zugeordnet: (51) „Die Deutschkurse der ZEMS laufen unter dem Kürzel ‚DaF’ (Deutsch als Fremdsprache). Darunter gibt es spezielle Deutschkurse für AustauschstudentInnen (ERASMUS usw.).“ (TU: 38) Durch das Schlussfolgerungsverfahren Rekontextualisierung (vgl. Linell 1998: 144f.) lässt sich jedoch nachweisen, dass AustauschstudentInnen auch hier und in ähnlichen Fällen im Text in der Tat auf die Leser referieren. Die Zuordnung der gedachten Leser zur Gruppe der Austauschstudierenden an der TU erfolgt gleich auf dem Titelblatt des Hefts: Informationen für internationale Austauschstudenten und Austauschstudentinnen. Sie erfolgt ein zweites Mal durch die Apostrophierung der Leser bei einer direkten Bezugnahme in Beleg (48). Dies erlaubt den Rückschluss, dass an jeder Stelle in diesem Text, an der die Personenbezeichnung Austauschstudent mit Bezugnahme auf Austauschstudierende an der TU Berlin vorkommt, die Leser damit mitgemeint sind. Dies fördert ein interessantes Ergebnis zutage: Wo der Begriff Austauschstudent die Leser bezeichnet, erfolgt dies durch eine Beidbenennung, die weibliche und männliche Referenten explizit sichtbar macht. Dies trifft nicht in gleichem Maße für die Begriffskategorie Student zu, obwohl eine Tendenz zu verzeichnen ist: Von insgesamt 33 Belegen in der Begriffskategorie Student sind die 131 überwiegende Mehrheit Neutralformen und Beidbenennungen, die männliche und weibliche Referenten gleichermaßen sichtbar machen. Damit wird etwas Wesentliches über die interpersonellen Dimensionen dieses Texts ausgesagt. In den elf Begriffskategorien der Personenkategorie Studenten, die durch deutlich weniger Belege vertreten sind (Architekturstudent, Bewohner, Buddy, Gaststudent, Hauptmieter, Nebenhörer, Studentenvertreter, Studentischer Mitarbeiter, Untermieter, Versicherter, Vollzeitstudent), kommen Maskulina, Neutralformen und Beidbenennungen vor. Sowohl Maskulina als auch Beidbenennungen nehmen hier explizit auf die Leser Bezug. Bei diesen Belegen kann man allerdings keine Muster hinsichtlich der Variation verschiedener Realisierungstypen einerseits und der interpersonellen Dimension des Textes andererseits feststellen. Bei der Personenkategorie Angestellte fällt der geringe Anteil von Beidbenennungen und Neutralformen auf, im Unterschied zur Personenkategorie Studenten. Die meisten Belege in dieser Personenkategorie sind demzufolge Maskulina. So kommt der Begriff Professor nur zwei Mal als Beidbenennung, dagegen in zehn Fällen als Maskulinum vor. Der Begriff Dozent kommt nur als Maskulinum vor, genauso wie Koordinator, Mitarbeiter, Präsident und Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Ein interessantes Variationsmuster ergibt sich unter den Personenbezeichnungen in der Personenkategorie Angestellte. Sämtliche Maskulina haben nicht-spezifische Referenz, wie zum Beispiel Dozenten und Professors im folgenden Zitat: (52) „Die Vorlesung besteht hauptsächlich aus dem Vortrag des Dozenten, d.h. in der Regel des Professors, und bietet einen guten Überblick über bestimmte Themenschwerpunkte des Faches.“ (TU: 8) Die drei Beidbenennungen der Personenkategorie der Angestellten, neben zwei Vorkommen von ProfessorInnen auch ein Fall von PrivatdozentInnen, haben jedoch spezifische Referenz. Sie kommen im folgenden Kotext vor: (53) „In Forschung und Lehre waren 388 ProfessorInnen, 485 Gast-, Honorar-, außerplanmäßige ProfessorInnen und PrivatdozentInnen sowie 1.837 wissenschaftliche Mitarbeiter tätig, für technische Dienste und Verwaltungsaufgaben waren in den Fachbereichen und in der zentralen Universitätsverwaltung ca. 2.350 Personen beschäftigt.“ (TU: 5) Damit lassen sich hier Indizien des in Abschnitt 5.2 behandelten Variationsmusters beobachten, dass bei nicht-spezifischen Referenzen Maskulina und Neutralformen häufiger benutzt werden, während bei spezifischen Referenzen die Beidbenennung frequenter Verwendung findet. Diese Tendenz ist im bereits zitierten Abschnitt, mit den einzigen spezifischen Referenzen auf Personen der Kategorie der Angestellten im Text, jedoch nicht durchgängig. Auch 132 der Beleg wissenschaftliche Mitarbeiter hat nämlich spezifische Referenz, ohne als Beidbenennung realisiert worden zu sein. Die zwei Neutralformen in der Personenkategorie Angestellte sind Personen (TU: 5) und Vorsitzenden (TU: 7). Da diese Begriffe lexikalisierte Neutralformen darstellen, deuten sie wahrscheinlich nicht auf eine Neutralisierungsstrategie hin. In der Personenkategorie Sonstige findet sich keine einzige Beidbenennung. 99 Die Maskulina in dieser Personenkategorie hätten alle als Beidbenennung realisiert werden können: Benutzer (TU: 43), Benutzer (TU: 43), Benutzer (TU: 43), jeder (TU: 24), Pförtner (TU: 38), Vermieter (TU: 25). 100 Die drei Vorkommen von Benutzer referieren auf Benutzer der Universitätsbibliothek, und die Extension dieser Personenbezeichnung überlappt sich deswegen zum großen Teil mit der Extension der Personenkategorien Studenten und Angestellte. Da man jedoch nicht ausschließen kann, dass auch andere Personen als lediglich Studenten die Bibliothek nutzen können und dies auch tun, ist Benutzer zur Kategorie Sonstige zu zählen. Pförtner und Vermieter bezeichnen hier Personen, die weder Studenten noch Angestellte an der TU Berlin sind. In der Personenkategorie Sonstige befinden sich damit keine Personenbezeichnungen zur Bezeichnung der gedachten Leser, der primären Zielgruppe. Dies korreliert mit dem Umstand, dass in dieser Personenkategorie keine Beidbenennungen vorkommen. Bei einem Vergleich zwischen der Personenkategorie Studenten, insbesondere der Begriffskategorie Austauschstudent, und den Personenkategorien Sonstige und Angestellte ist folgendes Ergebnis festzuhalten: Es lässt sich deutlich das Muster nachweisen, dass Personengruppen, die ganz oder zum Teil identisch mit den gedachten Lesern sind, häufiger mit Beidbenennung bezeichnet werden. Dagegen wird auf Personengruppen, die nicht zur primären Zielgruppe des Hefts gehören, erheblich häufiger mit Maskulinum Bezug genommen. Der Grund für dieses Verhältnis ist darin zu suchen, dass durch die Personenbezeichnungen der interpersonellen Metafunktion in den verschiedenen Personenkategorien unterschiedliches Gewicht beigemessen wird. Bei Personenbezeichnungen, die auf Angestellte der Universität referieren, steht die ideationelle Metafunktion im Vordergrund, nicht aber die interpersonelle, und zwar in der folgenden Hinsicht: Personenbezeichnungen wie Dozent, Professor 99 Die vier Neutralformen, Deutschen (TU: 24), Kindern (TU: 34), Leute (TU: 41) und Personen (TU: 18), sind als solche lexikalisiert und haben keine konkurrierenden maskulinen Synonyme. Aus diesem Grunde deuten sie wahrscheinlich auf keine Strategie der Vermeidung maskuliner Sprachformen hin. 100 jeder ist zwar keine Personenbezeichnung, jedoch wird das aktuelle Vorkommen dieses Personalpronomens vereinzelt und ohne substantivisches Bezugswort verwendet und wird deswegen als Substantiv behandelt. Des Weiteren stellt es das einzige Pronomen im Text dar, das auf diese Weise benutzt wird und einfach durch eine Beidbenennung (zum Beispiel jede/ jeder) hätte realisiert werden können. Die Referenz von jeder ist generisch: „Um in Deutschland wohnen zu können, muss jeder (auch die Deutschen) bei der Polizei registriert sein.“ (TU: 24) 133 oder Wissenschaftlichen Mitarbeiter (54) nehmen nicht primär auf die gedachten Leser Bezug, im Unterschied zu vielen der Belege der Begriffskategorie Student und sämtlichen Belegen der Begriffskategorie Austauschstudent: (54) „Projekte dienen der eigenständigen Forschung und Anwendung von Erlerntem in einem zeitlich oft abgestecktem Rahmen, wobei der Dozent, ein Professor oder Wissenschaftlicher Mitarbeiter, im allgemeinen eine betreuende Funktion einnimmt.“ (TU: 9) Zwar ist die interpersonelle Metafunktion, dem Ansatz von Halliday und Matthiessen (2004) folgend, neben den anderen Metafunktionen konstitutiv für Sprache überhaupt. Jedoch kommt ihr je nach Situation und kommunikativem Zusammenhang unterschiedliches Gewicht zu. Bei Personenbezeichnungen, die nicht auf die primären Empfänger des aktuellen Textes referieren, kommt die interpersonelle Metafunktion nicht gleich stark zum Tragen wie bei Personenbezeichnungen mit Referenz auf die Empfänger. So lässt sich das Variationsmuster in Hinblick auf die Verteilung der Realisierungstypen der Personenbezeichnungen nach Kategorien erklären: Bei Referenzen auf die gelegentlich explizit apostrophierten Empfänger des Textes kommen Beidbenennungen deutlich häufiger vor als bei Referenzen auf Personen, die nicht zu den gedachten Lesern gehören und die an keiner Textstelle apostrophiert werden. Bei Bezugnahme auf diese Personen kommen in den allermeisten Fällen Maskulina vor. In einem weiteren Schritt kann das Variationsmuster in diesem Text auf folgende Weise erklären: Im Bemühen um einen für die potenziellen Austauschstudierenden einladenden Stil spielt offensichtlich von Seiten der TU Berlin die explizite Kennzeichnung von Geschlecht eine wichtige Rolle. Die Erklärung für die frequente Anwendung geschlechtsspezifizierender Beidbenennungen liegt somit in der Bestrebung, eine Beziehung zu den Lesern herzustellen. Jeder Austauschstudent, der die Broschüre liest, ob männlich oder weiblich, sollte sich durch die Benennung der Adressaten inkludiert fühlen. Zugleich ist dies bei den thematisch peripheren Personengruppen wie universitären Mitarbeitern und sonstigen Personen nicht der Fall. Diese sind nicht Empfänger der Mitteilung und müssen nicht durch so genannte „Attraktivmacher“ (Sandig 1986: 228) zu einer positiven Einstellung dem Sender gegenüber, zur Vollziehung einer Handlung oder zur Übernahme einer Einstellung bewegt werden. Insofern ähnelt die Variation dieses Textes derjenigen, die für die übrigen in diesem Kapitel analysierten Texten festgestellt worden ist: Dass zur Referenz auf die Leser häufiger Beidbenennung verwendet wird. Diese Art sprachlicher Höflichkeitspraxis kann man des Weiteren als eine Manifestation relationaler Sozialdeixis (vgl. Levinson 2000: 98) ansehen. Relevanztheoretisch lässt sich dieses Variationsmuster wie folgt erklären. Damit alle Leser des Prospekts angesprochen werden, unabhängig davon, ob sie weiblich oder männlich sind, legt der Sender auf Eindeutigkeit Wert. Die 134 Relevanz der Beidbenennungen (und Neutralformen) bei Referenzen auf die Leser ergibt sich aus einem kontextuellen Effekt. Dieser Effekt besteht somit darin, die rezipientenseitige Annahme zu bewahrheiten, dass weibliche und männliche Personen gleichermaßen angesprochen werden und damit zum Austauschstudium an der TU Berlin willkommen sind. 5.4 Zusammenfassung In Kapitel 5.2 steht das Verhältnis von Referenztyp und Realisierungstyp der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen im Vordergrund. Einige Texte werden behandelt, die folgendes Variationsmuster beinhalten: Bei spezifischen Referenzen wird Beidbenennung, bei nicht-spezifischen Referenzen Maskulinum und Neutralform benutzt. In einigen Fällen handelt es sich um Texte, in denen Maskulinum und Neutralform erheblich häufiger als Beidbenennung vorkommen. Am eindeutigsten wird dieser Variationstyp im Text „Die schlaue Filiz“ (Emma1: 8) realisiert, in dem zwei geschlechtsübergreifende Lexeme, das Maskulinum Gegner und die Beidbenennung GegnerInnen, die sich in ihrer Extension zum Teil überlappen, einander gegenübergestellt werden können. Dabei hat sich herausgestellt, dass das Maskulinum Gegner, in dem weibliche Referenten nicht explizit sichtbar gemacht werden, bei nicht-spezifischer Referenz benutzt wird. Dagegen wird bei spezifischer Referenz die Beidbenennung GegnerInnen verwendet, ein Realisierungstyp, der die weiblichen Referenten explizit sichtbar macht. Insofern kann man „Die schlaue Filiz“ als Idealtyp der in 5.2 behandelten Variation ansehen. Es zeigt sich bei der Ansicht der anderen Texte, dass die Variation von Text zu Text immer etwas anders ausfällt. So konnten wir beispielsweise anhand des Textes „Die unsichtbaren Mädchen“ (Emma1: 26-29) aufzeigen, dass sowohl Maskulinum als auch Beidbenennung bei nichtspezifischer Referenz Verwendung finden. Die Realisierungstypen Maskulinum und Beidbenennung korrelieren somit nicht mit den Referenztypen nichtspezifischer und spezifischer Referenz. Der Unterschied zwischen den Maskulina und den Beidbenennungen ergibt sich stattdessen daraus, dass bei Letzteren eine Zahlenangabe oder ein quantitätsbezogener Vergleich für eine spezifischere und konkretere Referenz als bei den Maskulina im Text sorgen. Diese Variation kann man durch die von Halliday und Matthiessen (2004: 29f.) angenommenen sprachlichen Metafunktionen beleuchten. Sie gehen davon aus, dass die drei Metafunktionen den Sprachgebrauch an sich konstituieren und somit obligatorisch für Sprache überhaupt sind. Die ideationelle, die interpersonelle und die textuelle Metafunktion können jedoch in verschiedenen Kontexten unterschiedlich zentral sein. Die nachgewiesene Variation ist in 135 erster Linie durch die ideationelle Metafunktion geprägt. Die Unterscheidung zwischen geschlechtsübergreifendem Maskulinum und Beidbenennung zeigt nämlich hier die sprachliche Repräsentation einer Gruppe von Menschen an, die aus männlichen und weiblichen Personen besteht. In dem Text „Ausstellung“ (Rubens113: 7) sind es sogar dieselben Personen, die an einer Stelle mit Maskulinum und an einer anderen Stelle mit Beidbenennung bezeichnet werden. Es handelt sich hier um die Explizitheit der sprachlichen Markierung der weiblichen Referenten als zentrales textstrukturierendes Merkmal. Bei Beidbenennung ist ein hoher Grad an Explizitheit vorhanden. Bei Maskulinum ist der Explizitheitsgrad allerdings niedriger, und daraus ergibt sich die mit dem Realisierungstyp verbundene Ambiguität, das heißt die referenzielle Opakheit (vgl. Dittmann 2002: 75), ergibt. Diesen Variationstyp kann man mit der textuellen Metafunktion in Verbindung zu bringen, denn die Beidbenennungen und die Maskulina werden bei Lexemen eingesetzt, die jeweils unterschiedlich referieren. Diese Lexeme kommen an unterschiedlichen Stellen im Text vor und bezeichnen entweder verschiedene Personengruppen oder dieselben Personengruppen auf unterschiedliche Weise. Sie sind somit an der Informationsstruktur des gesamten Textes beteiligt. Das Kapitel 5.3 behandelt die Variation Beidbenennung bei Bezugnahme auf Leser. Diese Art von Variation konnte vor dem Hintergrund der interpersonellen Metafunktion, so wie Halliday und Matthiessen (2004) sie verstehen, aufgezeigt werden. Es handelt sich erstens um Texte, in denen direkte Anreden an die und Apostrophierungen der Leser vorkommen. Ausgewertet und erwähnt worden sind direkte Anreden vor allem in Editorial-Texten unterschiedlicher Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen wie Tagesspiegel, tageszeitung, Neon, Siegessäule, Uni-Magazin und Brigitte. Hier ist ein journalistischer Text aus der tageszeitung („Protest gegen NPD“) (taz1: 27) zu erwähnen, der zwei entgegen gesetzte Demonstrationen thematisiert. Wir konnten feststellen, dass die erwarteten Teilnehmer der einen Demonstration mit Beidbenennung und die erwarteten Teilnehmer der anderen Demonstration mit Maskulinum bezeichnet werden. Insofern lässt sich die Ankündigung dieser Demonstration auch als implizite Einladung betrachten. Dies erklärt die Verwendung der Beidbenennung an dieser Stelle. Zweitens ist ein längerer Text (TU) analysiert und präsentiert worden. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass Personenbezeichnungen mit Bezugnahme auf die gedachten Leser häufig als Beidbenennung realisiert werden, vor allem die Begriffe Student und Austauschstudent. Demgegenüber ließ sich die Tendenz aufzeigen, dass Personen, die mit den primär gedachten Lesern nicht identisch sind, häufig mit maskulinen Formen bezeichnet werden. Die in Kapitel 5.3 beschriebene Variation kann man auf das Bemühen um eine soziale Beziehung zur Leserschaft zurückführen. Hier liegt eine interper- 136 sonelle Metafunktion vor. In allen in 5.3 analysierten Texten ist damit entweder die Appellfunktion (vgl. Brinker 2005: 117ff.) oder die Kontaktfunktion (vgl. ebd.: 127f.) vorherrschend. Damit geht eine inkludierende und offene Attitüde einher und dadurch werden die Leser häufig mit Beidbenennung bezeichnet. Levinsons (2000: 98) Verständnis der relationalen Sozialdeixis ist auf diesen Variationstyp übertragbar. Die Analysen in diesem Kapitel sind auch ausgehend vom relevanztheoretischen Ansatz von Sperber und Wilson (1995) beleuchtet worden. Die kontextuellen Effekte der Beidbenennungen in den analysierten Texten verstärken allgemein die Annahme, dass es sich sowohl um männliche wie auch weibliche Personen handelt. Damit geht eine Aufhebung der durch das Maskulinum entstandenen Ambiguität einher. Die Frage, ob es sich nur um Männer oder um sowohl Männer wie auch Frauen handelt, wird folglich durch Verwendung der Beidbenennung eindeutig beantwortet, nämlich dahingehend, dass Frauen und Männer gemeint sind. Die in Kapitel 5.2 behandelten Texte zeichnen sich dadurch aus, dass die Relevanz einer Beidbenennung dort größer ist, wo die aktuellen Personen oder Personengruppen spezifischer oder konkreter dargestellt werden. Der Relevanzbegriff trifft insofern für die in Kapitel 5.3 analysierten Texte zu, als alle Leser, ob männlich oder weiblich, wissen, dass sie mitgemeint sind, wenn sie mit einer Beidbenennung bezeichnet werden. 137 6 Variation unter besonderem Gesichtspunkt der thematischen Relevanz Dieses Kapitel behandelt Variationen, die auf das Prinzip der thematischen Relevanz der jeweiligen sprachlichen Geschlechtsmarkierung zurückzuführen sind. Im ersten Teil (6.2) des Kapitels steht eine Variation im Fokus, die in der Verwendung des Maskulinums zur Bezeichnung männlich assoziierter Personengruppen besteht. Der zweite Teil (6.3) greift eine Variation auf, bei der die Beidbenennung an solchen Stellen verwendet wird, an denen besonders Frauen thematisch hervorgehoben werden. Für beide Variationen gilt, dass sich die Relevanz des jeweiligen Realisierungstyps (Maskulinum, Beidbenennung, Neutralform) aus dem Thema ergibt. Sowohl die Stereotypisierung und Assoziierung gewisser Personengruppen als männlich wie auch die Hervorhebung weiblicher Referenten können wir vor diesem Hintergrund als thematische Aspekte verstehen. 6.1 Zum Begriff der thematischen Relevanz Der Begriff der thematischen Relevanz zielt auf die thematisch begründete Relevanz der Verwendung eines bestimmten Realisierungstyps in einem bestimmten Kotext ab. 101 Zentral für die folgenden Ausführungen sind deswegen die beiden Begriffe Thema und Relevanz. Dabei wird auch in diesem Kapitel auf das in Kapitel 4 ausgeführte Verständnis von Thema und Relevanz rekurriert. Unter Thema ist hier in Anlehnung an Lötschers (1987) handlungstheoretischen Textthemenbegriff „ein in irgendeiner Beziehung mangelhaftes Objekt, dessen Mangel in der Behandlung in diesem Text beseitigt werden soll“ (ebd.: 84) zu verstehen. Das mangelhafte Objekt ist nach Lötschers Verständnis ebenso wenig wie der Informationskern des Textes mit den Gegenständen dientisch, auf die der aktuelle Text Bezug nimmt. Bestimmte Gegenstände oder Vorgänge können zwar zum mangelhaften Objekt gehören, jedoch ist der Begriff mangelhaftes Objekt hier etwas weiter gefasst. Es reicht nämlich „von umstrittenen Propositionen bei kontroversen Diskussionen über Ereignisse in Erzählungen bis zu Dingen und Personen im geläufigen Sinne bei Beschreibungen“ (ebd.: 99f.). In den nachfolgenden Analysen wird es darum gehen, das so verstandene 101 Dabei findet sich in der Soziologie ein anderes Verständnis dieses Terminus. Der soziologische Begriff der thematischen Relevanz unterscheidet dabei „Thema und Horizont: Das Thema steht im Fokus der Aufmerksamkeit und ist für die Interagierenden momentan ‚relevanter’ als der gleichzeitig präsentierte Horizont.“ (Müller 2001: 1201) 138 Thema der jeweiligen Texte und Kotexte darzustellen. Auf dieser Basis gilt es zu begründen, dass die Verwendung eines bestimmten Realisierungstyps relevant ist. Relevanz wird in dieser Arbeit in Anlehnung an Sperber und Wilson (1995) als die Beziehung zwischen Proposition und Kontext verstanden. 102 Die entscheidende Frage bei der Feststellung von Relevanz oder Nicht-Relevanz ist dabei: Inwieweit vermag eine Proposition oder ein Teil einer sprachlichen Äußerung so genannte kontextuelle Effekte herbeizuführen (vgl. ebd.: 122)? Unter kontextuellen Effekten ist die Veränderung der Informationslage in einem bestimmten Kotext zu verstehen: „The sort of effect we are interested in is a result of interaction between new and old information.“ (ebd.: 109) 103 Relevanz ist in jeder sprachlichen Äußerung vorhanden, so der Ausgangspunkt von Sperber und Wilson. Der Grad der Relevanz einzelner sprachlicher Einheiten (Wörter, Propositionen etc.) variiert allerdings. Er lässt sich teils an kontextuellen Effekten, teils an der empfängerseitigen Anstrengung hinter der Erschließung dieser Effekte messen. In diesem Kapitel kann es sich um einen Effekt des folgenden Typs handeln: Durch Verwendung des Maskulinums wird eine durch den Text hergestellte Annahme gestärkt, dass es sich bei den aktuellen Bezugnahmen vorwiegend um Männer handelt. Die Anstrengung, diesen kontextuellen Effekt kognitiv zu verarbeiten, ist geringer als bei einer Beidbenennung. Dieser Realisierungstyp macht nämlich Frauen und Männer gleichermaßen sichtbar und evoziert nicht wie das Maskulinum die Konnotation „männlich“. Daher lässt sich behaupten, dass ein Maskulinum in diesem Falle relevanter als eine Beidbenennung ist - es weist nämlich einen kontextuellen Effekt auf, das man ausgehend vom Textthema erklären kann. 6.2 Thematische Relevanz des Maskulinums bei Männerstereotyp Ein Stereotyp lässt sich aus sozialpsychologischer Sicht ausgehend von Hinton (2000: 7f.) als eine Vorstellung über eine bestimmte Gruppe von Menschen betrachten. 104 Es finden sich zwar unterschiedliche Auffassungen dazu, welche Elemente ein Stereotyp konstituieren (vgl. Klein 1998: 25ff.), allgemein kann man jedoch Hinton (2000: 7f.) zufolge ein Stereotyp als Vorstellung und als 102 Vgl. hierzu die Darstellung in Kapitel 4.3.3. 103 Wie im Kapitel 4.3.3 ausgeführt wurde, zählen Sperber und Wilson zu kontextuellen Effekten folgende drei Erscheinungen: kontextuelle Implikationen, Stärkung von Informationen im aktuellen Kontext sowie Abschwächung bis hin zur Aufhebung ebensolcher Informationen (vgl. ebd.: 109, 118). 104 Stereotype können sich natürlich auch auf andere Lebewesen, möglicherweise auch auf nicht animate Objekte beziehen, diese Fälle können jedoch für die nachfolgenden Überlegungen ausgeblendet werden, da es sich in diesem Kapitel lediglich um stereotype Vorstellungen von Menschen handelt. 139 Resultat eines mentalen Prozesses verstehen. Dieser mentale Prozess zeichnet sich durch drei essentielle Eigenschaften aus: (1) Eine Gruppe von Personen wird über eine bestimmte gemeinsame Charakteristik identifiziert, zum Beispiel darüber, dass sie Deutsche sind; (2) zusätzliche Charakteristika werden der aktuellen Gruppe zugeschrieben, beispielsweise dass Deutsche viel Bier trinken; (3) einer Person, die als zur aktuellen Gruppe (zum Beispiel die Deutschen) zugehörig identifiziert wird, werden auch die zusätzlichen Charakteristika zugeschrieben. Klein (1998) sieht auch das Stereotyp als eine Verhaltensweise an. Bei einer solchen Verhaltensweise zeichnen sich die sterotypisierten Objekte, Sachverhalte oder Personen durch folgende Merkmale aus: „stark schematisch, [...] wenige Merkmale umfassend, [...] die Komplexität und/ oder Individualität der Bezugsobjekte und -sachverhalte nicht oder nur in sehr reduziertem Maße erfassend“ (ebd.: 26). Der Stereotypenbegriff lässt sich auch unter sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten betrachten. So unterscheidet Klein ausgehend von einer linguistischen Sichtweise onomasiologische, sozialpsychologische Stereotype von semasiologischen, semantischen (vgl. ebd. 27). Bei den onomasiologischen Stereotypen handelt es sich um die sprachliche Gestaltung der mit Wertungen und Einstellungen verbundenen Gruppen- und Personenkonzepte. Das Konzept des semasiologischen Stereotyps zielt hingegen auf die Zuordnung von Bedeutungen zu Wörtern auf der Lexemebene ab (vgl. ebd.: 36). 105 Den Unterschieden zwischen sozialpsychologischem und semantiktheoretischem Stereotyp zum Trotz ist ihnen ein wichtiges Merkmal gemeinsam: Beide Arten von Stereotypen kommen sprachlich zum Ausdruck. Semasiologische Stereotype sind schon an sich semantische, sprachliche Phänomene sind, während onomasiologische Stereotype keine per se nur sprachlichen Phänomene sind, diese kommen jedoch vorwiegend 106 durch Sprache zum Ausdruck. Vor diesem Hintergrund können wir annehmen, dass dem semantischen Stereotyp wahrscheinlich immer ein sozialpsychologisches Stereotyp zu Grunde liegt. Sozialpsychologische Stereotype müssen jedoch nicht notwendigerweise sprachlich erfasst sein. Ferner ist das semantische Stereotyp auf Lexeme und somit auf die Zuordnung stereotypisierter Bedeutungen zu einzelnen Lexemen 105 Es besteht zwischen dem semantiktheoretischen Stereotypenkonzept und dem linguistischen Prototypenbegriff eine Verwandtschaft. Das Stereotyp wird eher als mentale Einheit auf der kognitiven Ebene verortet, während der Prototyp auf der extensionalen Ebene als prototypischer Referent angesehen wird (vgl. ebd.: 34). 106 Dies wird hier vorsichtig formuliert, da in dieser Arbeit im Unterschied zu Klein (1998) nicht davon ausgegangen wird, dass sozialpsychologische Stereotype nur sprachlich zum Ausdruck kommen. Hinton (2000: 25, 129ff.) vertritt auch die Auffassung, dass Kategorisierungen überhaupt erst in der Sprachverwendung und Diskursen entstehen und versteht folglich die kritische Diskursanalyse als einen Ansatz, innerhalb dessen Stereotype als linguistische Konstruktionen untersucht werden können (vgl. ebd.: 141ff.). Auf theoretischer Ebene besteht eine enge Verwandtschaft zwischen der sprachkonstruktivistischen Sichtweise bei Klein (1998) und Hinton (2000) und der von Hornscheidt (2006). 140 beschränkt. 107 Das sozialpsychologische Stereotyp wird aber sprachlich auf unterschiedliche Weise ausgedrückt. Demzufolge kann man seine Realisierung auf verschiedenen sprachlichen Niveaus (zum Beispiel Lexikon, Satz, Text, Diskurs) untersuchen (vgl. ebd.: 38). Mit Kleins Position, dass semantische und sozialpsychologische Stereotype auf diese Weise eng verwandt sind, geht auch die Auffassung einher, dass zwischen semantisch-sprachlichem Wissen und Weltwissen nicht grundsätzlich unterschieden werden sollte (vgl. ebd.: 38f.). Klein sieht sozialpsychologische Stereotype als Frames an, das heißt als größere Wissenseinheiten, die durch Verwendung eines bestimmten Wortes hervorgerufen werden (vgl. ebd.: 39). Diese Sichtweise wird im Weiteren geteilt. Bezogen auf das Verständnis von Bedeutung und Referenz in diesem Buch ist das Stereotyp auf der begrifflichen, konzeptuellen Ebene zu verorten. Das Stereotyp kann demnach eine Pauschalisierung der Wirklichkeit oder sogar eine falsche Wirklichkeitsrepräsentation sein. Stereotype können demzufolge sprachlich ausgedrückt werden. Die sprachlich vermittelten Stereotype sind jedoch nicht an sich notwendigerweise an bestimmte sprachliche Ausdrücke gebunden, sondern ergeben sich als komplexe konzeptuelle Einheiten erst aus dem textuellen Zusammenhang. Dabei können bestimmte Schlüsselbegriffe und Wörter für die Herstellung bestimmter Stereotype entscheidend sein. Die männlichen Stereotype werden dahingehend als sozialpsychologische Stereotype verstanden. Diese wiederum können wir als Frames, als Wissenseinheiten ansehen, die unter anderem bestimmte Wörter im aktuellen Text hervorrufen können. Im Folgenden wird es darum gehen, auf welche Weise in den Texten bestimmte Personengruppen als stereotyp männlich dargestellt werden und wie diese stereotypisierte Darstellung mit dem Gebrauch des geschlechtsübergreifenden Maskulinums korreliert. Weiterhin können wir Stereotype zugleich als Ausdruck der Bewertung von Personen betrachten. Bewertung im Text kann ein Indiz der Senderintention, ein Ausdruck von Standpunkten in einem Diskursteil oder eine Manifestation davon sein, wie der Sender sich und/ oder seine Auffassungen dem Empfänger darstellt. Bewertung durch Sprache ist demnach eng verbunden mit der Herstellung einer Beziehung zwischen Sender und Empfänger. Deswegen lässt sich Bewertung auch als Ausdruck der interpersonellen Metafunktion 108 verstehen lässt: „it is important to note that appraisal is a central part of the meaning of any text and that any analysis of the interpersonal meanings of a text must take it into account.“ (Thompson 2004: 75) 109 Ausgehend von der in der SFL angenommenen Gleichzeitigkeit aller Metafunktionen im Sprachgebrauch ist Be- 107 Klein (1998: 37) bringt als Beispiel hierfür das semantische Stereotyp des Lexems Wessi, das wiederum ein sozialpsychologisches, im Diskurs immer wieder vorkommendes Stereotyp beinhaltet. 108 Zu einer Erörterung der interpersonellen Metafunktion im Rahmen der systemischfunktionalen Grammatik, siehe Kapitel 4.3.4 und 5.3.1 in dieser Arbeit. 109 Vgl. hierzu auch Holmberg und Karlsson (2006: 206f.) und Martin (2000: 145). 141 wertung aber zugleich Teil der ideationellen Metafunktion: Der Wiedergabe und Konstruktion von Inhalten. Daher wird nachfolgend ein den theoretischen Standpunkten dieses Buches angebrachtes Verständnis von Bewertung durch Sprache dargestellt. Bewertung durch Sprache ist ein textsemantisches Phänomen. Es geht über einzelne Lexeme und Formelemente hinaus und konstituiert sich in seiner Ganzheit erst im Text. Dabei wird auf das Verständnis von Bedeutung und Interpretation bei Busse (1992: 186) und Gardt (2007b: 272ff.) rekurriert, nach dem sich Textbedeutung erst durch die Interpretation völlig entfalten kann. Bewertung, damit auch Stereotypisierung von Personengruppen, ist Teil dieser Textbedeutung. Eine Analyse der Variation unterschiedlicher Realisierungstypen geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen unter dem Gesichtspunkt männlicher Stereotypisierungen hat aus diesem Grund über eine semantisch-pragmatische Textanalyse zu erfolgen. Analysemodelle, die Bewertung als Teil der interpersonellen Metafunktion und der Textbedeutung ansehen, liegen in verschiedenen Ansätzen vor. Sie verwenden für das Phänomen Bewertung unterschiedliche Begriffe wie evaluation, appraisal und stance 110 und definieren sie teilweise unterschiedlich. Thompson und Hunston (2000) unterscheiden in ihrem Verständnis von evaluation in text drei Hauptfunktionen von Bewertung: „1) to express the speaker’s or writer’s opinion, and in doing so to reflect the value system of that person and their community; 2) to construct and maintain relations between the speaker or writer and hearer or reader; 3) to organize the discourse.“ (ebd.: 6) Wie zeigt sich nun aber Bewertung im Textzusammenhang? Wie kann man sie analytisch erfassen? Die SFL hat sich ergiebig damit auseinander gesetzt, anhand welcher sprachlichen Erscheinungen die interpersonelle Metafunktion überhaupt ermittelt werden kann. In einigen Ansätzen wird Bewertung explizit als ein Aspekt interpersoneller Bedeutungen verstanden, während in anderen Ansätzen Bewertung überhaupt nicht thematisiert wird. Die interpersonelle Metafunktion drückt sich in Thompsons (2004) Verständnis durch sprachliche Erscheinungen wie „[m]ood, modality, evaluation and negotiation“ (ebd.: 46) aus. Bei ihm bildet somit Bewertung (evaluation) eine Kategorie neben den Kategorien Modus, Modalität und Verhandlung. Laut Halliday und Matthiessen (2004: 111ff.) ist die interpersonelle Metafunktion vorwiegend über die sprachlichen Erscheinungen Modus, Modalität, Pola- 110 In dieser Studie wird hierfür der deutsche Terminus Bewertung benutzt. 142 rität und Ton 111 zu ermitteln, während Holmberg und Karlsson (2006: 31ff.) in ihrer weniger umfassenden Darstellung vor allem auf die zwei Kategorien Sprachhandlungen und Modalität zurückgreifen. 112 „For us [...], evaluation is the broad cover term for the expression of the speaker or writer’s attitude or stance towards, viewpoint on, or feelings about the entities or propositions that he or she is talking about. That attidude may relate to certainty or obligation or desirabiltity [hierunter ist Modalität zu verstehen - M.P.] or any of a number of other sets of values. When appropriate, we refer specifically to modality as a sub-category of evaluation.“ (Thompson und Hunston 2000: 5) Bewertung ist demnach als ein Teil textueller Bedeutung zu verstehen. In Anlehnung an Busse (1992) können wir diese Bedeutung als erst durch Textanalyse erschließbar und erfassbar ansehen. Dabei stehen besonders lexikalischinhaltliche Aspekte in ihrem aktuellen Kotext im Vordergrund der nachfolgenden Analysen. Thompson und Hunston (2000) teilen die Position, dass Bewertung zum großen Teil durch lexikalische Wortwahlen erfolgt und eher über einen Text als Ganzes als über dessen einzelne Teile (Lexeme, Phrasen et cetera) zu ermitteln ist: „It is clear - and all studies of evaluation have said so - that evaluation tends to be found throughout a text rather than being confined to one particular part of it.“ (ebd.: 19). 113 Aufbauend auf diese Sichtweise können wir annehmen, dass Personen und ihre Handlungen sowohl direkt als auch indirekt charakterisiert werden können. Bewertung kann folglich direkt durch eine Zuschreibung wie ‚X benimmt sich schlecht/ männlich/ gut/ erstaunlich’ et cetera stattfinden. Sie kann aber auch indirekt erfolgen, wenn die Bewertung von Handlungen oder Eigenschaften von Personen sich erst aus der Analyse des aktuellen textuellen Zusam- 111 Mit Ton sind Intonationsmuster gemeint (vgl. Halliday und Matthiessen 2004: 140) und damit Gespräche als Untersuchungsobjekt beabsichtigt. Da die vorliegende Studie sich ausschließlich mit geschriebenen Texten befasst, ist die Analysekategorie Ton daher a priori auszuschalten. 112 Vgl. jedoch auch Thompson (2004: 65f), der Polarität nicht als eine Erscheinung versteht, die mit Modus und Modalität gleichrangig ist, sondern als eine semantische Dimension, die eher durch Modus und Modalität ausgedrückt werden kann. 113 Es sind zwar korpusbasierte, quantitative Beschreibungen evaluierender Elemente von Texten durchgeführt worden. Diese sind aber entweder auf ein bestimmtes Funktionselement im Text begrenzt, wie beispielsweise bei Conrad und Biber (2000), die lediglich Adverbiale untersuchen, oder es wird die evaluierende Wirkung umfassenderer Textteile ausgeschaltet. Letzteres trifft als Charakteristik der Studie von Channell (2000) zu, die nur individuelle lexikalische Einheiten und keine „examples where the function is carried by whole sentences or stretches of text (for example, the creation of implicatures which show attitude)“ (ebd.: 39) einbezieht. Mit solchen auf einzelne Lexeme begrenzten Analyseverfahren kann man evaluierende und komplexe Textbedeutungen in ihrer Ganzheit demnach nicht erschöpfend erfassen. Dabei können allerdings einzelne Lexeme, Phrasen, Sätze, Satzgefügen oder Textteile prominente Indizien solcher Textbedeutungen mit Bewertung sein. 143 menhangs ergibt. Dabei ist auf die stilistische Unterscheidung von showing und telling zurückzugreifen, wobei mit Ersterem indirekte und mit Letzterem direkte Darstellung gemeint ist. Martin (2003) spricht dies als „the problem of direct and implied evaluation“ (ebd.: 172) an. Zur Erfassung des Impliziten bieten sich Analysemethoden wie Kontextualisierung, Rekontextualisierung (Bedeutungserschließung über den Text als Ganzheit) und, methodologisch damit verbunden, verschiedene „Konzepte des Impliziten“ (Linke und Nussbaumer 2000: 435) an. Diese Konzepte sind konventionalisierte semantische Präsuppositionen und Implikationen (vgl. ebd.: 437ff.) sowie pragmatische Präsuppositionen und konversationelle Implikaturen (vgl. Grice 1975). Des Weiteren kommen Analysekategorien wie Kommentar, Verbot und Unterscheidung zwischen wahrem und falschem Wissen zum Tragen. Das sind verschiedene Legitimationsstrategien, die der Erfassung diskursiver Strukturen dienen können (vgl. Foucault 2007: 18, Mills 2007: 67ff.). 114 Die zentrale Frage für die nachfolgenden Analysen ist: Wie werden welche Personen dargestellt? Diese Analysemethoden greifen alle in unterschiedlicher Hinsicht auf Kontextualisierung zu. Dabei ist auf Holmberg (2002) zu verweisen, der die Bedeutung der Kontextualisierung zur Erfassung der emotiven Funktion von Sprache theoretisch ausgeführt hat. Die Schlusssätze seiner theoretischen Überlegungen zur Bewertung und zur emotiven Bedeutung (vgl. ebd.: 187, 283) deuten darauf hin, dass Bewertung ein zentraler Bestandteil von Texten ist. Bewertung kann man demnach weder durch das Effektkriterium nach dem semantischen Differential von Osgood et al. (1957: 125ff.) noch durch das Sprechaktkriterium für Testkontexte (vgl. Hedquist 1978: 25ff.) festlegen. Statt Kompositionalität (einzelne Textteile bilden gemeinsam eine Gesamtsumme von Bewertung) und Korrespondenz (Übereinstimmung zwischen Bewertung im Text und Wirkung beim Rezipienten) als Prinzipien für die Ermittlung evaluativer Bedeutung schlägt Holmberg (2002: 187) Kontextualisierung vor. Er sieht bewertende Bedeutung als eine soziale Handlung an, die durch den Text konstruiert und nur vor dem Hintergrund der Textganzheit analysiert werden kann. Diese Perspektive, die ebenso Lemke (1998: 47) annimmt, dient im Folgenden als Ausgangspunkt. Sie fordert Inhaltsanalysen (vgl. Kritz 2000: 220ff.) der Texte, damit ihre wesentlichen semantisch-inhaltlichen Aspekte erfasst werden können. 115 114 Diese Analysekategorien gehören vor allem in die kritische Diskursanalyse. Sie eignen sich jedoch auch für linguistische Textanalyse unter qualitativ-inhaltlichen Gesichtspunkten allgemein. Eine Matrix zur kritischen Befragung von Texten aus inhaltlicher, diskursanalytischer Sicht findet sich bei Arndt und Hornscheidt (2004: 228). 115 Die Notwendigkeit eingehender Inhaltsanalysen zur Aufdeckung von Stereotypisierung und Bewertung bildet zugleich den Grund dafür, dass die Textanalysen in diesem Kapitel verhältnismäßig umfassend sind. 144 6.2.1 Maskulinum und Männerstereotyp aus psycholinguistischer Sicht Vor den einzelnen Textanalysen zum Variationsmuster Maskulinum bei Männerstereotyp sei noch auf einige wichtige Ergebnisse aus der experimentellen Forschung hingewiesen. Diese Befunde können die Variation erhellen, die dieses Kapitel behandelt. Es handelt sich dabei um Befunde psycholinguistischer Studien zu Personenbezeichnungen, zum psycholinguistischen Status des Maskulinums und anderer Realisierungstypen der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnung (siehe Kapitel 1.4). Es lassen sich keine eindeutigen Schlussfolgerungen in Hinblick auf den kognitiven Status des Maskulinums im Deutschen ziehen. Viele Studien zur Thematik haben jedoch einige deutliche Tendenzen nachgewiesen, die hier von Relevanz sind. So stellt Hornscheidt (2008) in einer Auswertung mehrerer Perzeptionsstudien hinsichtlich des Deutschen, Schwedischen und Englischen fest, dass „[d]ie Wahl der Sprachform bezogen auf Genderdarstellungen und spezifizierungen [...] eine Rolle in der kommunikativen Konzeptualisierung“ (ebd.: 179) spielt. Das geschlechtsübergreifende Maskulinum im Deutschen evoziert bei den Sprachbenutzern im Vergleich zur Neutralform und Beidbenennung am geringsten Assoziationen zu Männern und Frauen in gleichem Ausmaß. Am besten evoziert die Beidbenennung gleichrangige Konzeptualisierungen der Referenten bei den Sprachbenutzern. Die Verwendung der Neutralform ist dahingehend eher eine Kompromisslösung. In einer frühen Perzeptionsstudie zum psycholinguistischen Status der Maskulina sowie anderer Realisierungstypen deutscher Personenbezeichnungen kommt Klein (1988) zu dem Ergebnis, dass die von der feministischen Sprachkritik behauptete Benachteiligung von Frauen durch das Maskulinum gar keine Schimäre sei. Aber „das grammatische Phänomen ‚generisches Maskulinum’ ist es nicht alleine und nicht in erster Linie, was zur Ignorierung von Frauen in gemischt-geschlechtlichen Personengruppen führt.“ (ebd.: 319) Dem Maskulinum komme demzufolge eher ein verstärkender Effekt beim sprachlichen Unsichtbarmachen von Frauen zu, als dass es der eigentliche Grund hierfür wäre. Klein erklärt die männerdominierten Konzeptualisierungen der Referenten beim Maskulinum und anderen Realisierungstypen mit gesellschaftlichen Stereotypen: „Das situationsübergreifende Stereotyp der Dominanz des Mannes, das Ausnahmen nur in Nischen gestattet, ist offenbar in tieferen kognitiven Schichten verankert als in der Grammatik der Wortbildung.“ (ebd.) Auch bei einer Zusammenschau der bisherigen psycholinguistischen Forschung zu Personenbezeichnungen im Deutschen unter dem Gesichtspunkt von Genus und Sexus lässt sich die Relevanz des Kontexts bestätigen (siehe Kapitel 1.2.3). So kommen sowohl Braun et al. (2005: 17) als auch Irmen und Linner (2005: 172) in ihren Zusammenstellungen und Analysen der meisten bis 145 dahin durchgeführten diesbezüglichen Arbeiten zum folgenden Ergebnis: Die Konzeptualisierung der Referenten beim Sprachbenutzer hängt nicht nur vom Genus der aktuellen Personenbezeichnung, sondern auch vom sprachlichen Kontext der Personenbezeichnung ab. Auch die damit verbundenen außersprachlichen Konnotationen und die mit der aktuellen Personenbezeichnung zusammenhängenden Konzepte sind für die Konzeptualisierung wichtig. Unterschiedliche Stereotype können bei verschiedenen Personenbezeichnungen und deren Kotexten, Äußerungssituationen und situativen Kontexten variieren. Demzufolge hängt die Konzeptualisierung der Referenten nicht nur von der grammatischen Form der aktuellen Personenbezeichnung, sondern auch von weiteren Einflussfaktoren ab. Dafür spricht generell die Tatsache, dass auch in Sprachen ohne grammatisches Genus Geschlechtsstereotype an unterschiedliche Personenreferenzformen gebunden sein können. Diese Erkenntnis belegt Braun (2000) empirisch in einer umfassenden Studie zum Türkischen, in der sie unter anderem das Phänomen covert gender (verdecktes Genus) untersucht. Sie hat eine Informantenuntersuchung (an der 135 Versuchspersonen teilgenommen haben) zu „Personenbezeichnungen nur in einem generischen Gebrauch und bei weitgehender Ausklammerung von Kontexten“ (ebd.: 158) durchgeführt. Ein wichtiges Ergebnis ist, dass auch in einer grammatisch neutralen Sprache wie dem Türkischen Informationen über Geschlecht mittransportiert werden. 6.2.2 Textanalysen 6.2.2.1 Frauen gehen auf die Barrikaden! Der Artikel „Frauen gehen auf die Barrikaden! “ (Emma1: 20-25) handelt von Protesten gegen politisch vorangetriebene Sparmaßnahmen in den Bereichen Bildung und Schutz für Frauen und Kinder. Er schildert abwechselnd Sparmaßnahmen, Protestaktionen sowie spezifische Personen und Ereignisse, vor allem bei einer Protestaktion in Düsseldorf gegen die Kürzungen. Im Text finden sich auch mündliche und schriftliche Kommentare einzelner Personen und Institutionen direkt wiedergegeben. Wegen dieser drei Bestandteile - Berichterstattung, Schilderung konkreter Ereignisse und Personen, Interviews mit Personen - lässt er sich als Reportage klassifizieren (vgl. Lüger 1995: 113). Die Einleitung des Artikels wird typografisch durch Fettdruck und größeren Schriftgrad hervorgehoben und fasst das übergreifende Textthema zusammen: (55) „In ganz Deutschland leisten Frauen Widerstand. Denn Vater Staat setzt den Rotstift an. Und wenn es nach den Finanzministern geht, werden nicht nur Fakultäten geschlossen, sondern auch Frauenhäuser.“ (Emma1: 20) 146 Das Thema des Artikels lässt sich leicht zusammenfassen, etwa wie in (55), und der Artikel ist von deutlichen Textbegrenzungssignalen umgeben. Er ist daher problemlos als ein- und dieselbe Texteinheit zu verstehen. 116 Das Thema und die ihm untergeordneten Themenstränge im Haupttext entfalten und verschränken sich in einander auf die folgende Weise: (I) Schilderung einer Frauendemonstration vor dem Düsseldorfer Landtag gegen die geplante Schließung von Frauenhäusern im Bundesland Nordrhein-Westfalen (Emma1: 20); (II) Beschreibung ähnlicher Proteste in Frankfurt am Main, Hamburg und Berlin (Emma1: 20-21); (III) Beschreibung der Situation an deutschen Universitäten am Beispiel der studentischen Proteste gegen Sparmaßnahmen an der Universität Köln (Emma1: 21); (IV) Beschreibung des Hintergrunds der Sparmaßnahmen im Bundesland Nordrhein-Westfalen (Emma1: 21-22); (V) Fortsetzung der Schilderung der Protestaktion in (I) sowie weitere Beschreibungen der Hintergründe der Sparmaßnahmen und deren eventueller Konsequenzen für die Arbeit für Frauen- und Kinderschutz (Emma1: 23-25). 117 Ausgehend von den vier Grundformen thematischer Entfaltung, deskriptiver, narrativer, explikativer und argumentativer Themenentfaltung (vgl. Brinker 2005: 65ff.), kann man in dieser Reportage Züge vor allem der deskriptiven und argumentativen Grundform nachweisen. Die Themenentfaltung ist deskriptiv, weil das Thema durch Unterthemen spezifiziert wird sowie zeitlich und räumlich situiert ist (vgl. ebd.: 65). Argumentativ, wenngleich auf indirekte Weise, erfolgt die Themenentfaltung, indem Argumente hervorgebracht werden, die eine These Argumente unterstützen (vgl. ebd.: 80). Die These lässt sich wie folgt formulieren: Menschen protestieren zu Recht gegen die Sparmaßnahmen. Das Hauptargumente ist folgendes: Mit den Sparmaßnahmen gehen negative Konsequenzen für Frauen, Kinder, Studierende und Lehrende an Hochschulen einher. Die Reportage wird zudem von zehn Fotos begleitet. Alle davon bilden die im Artikel behandelten oder diesen ähnelnden Protestaktionen ab. Auf den Fotos sind unter anderem Frauen zu sehen, die eine Banderole mit dem Ausruf (56) „ES REICHT! “ (Emma1: 20) 116 Vgl. hierzu Brinker (2005: 19). 117 Diese Strukturbeschreibung ist eine äußerst schematische Rekonstruktion der Themenentfaltung. Die unterschiedlichen Subthemen greifen auf noch kompliziertere Weise in einander, als dies in der Form einer linear ausgerichteten Themenabfolgebeschreibung wie der obigen dargestellt werden kann. 147 halten. Studierende, von welchen drei Frauen und ein Mann im Vordergrund des Fotos zu sehen sind, stehen vor dem Reichstagsgebäude in Berlin mit einer Banderole, deren Aufschrift sich gegen Sparmaßnahmen im universitären Bereich wendet: (57) „UNIVERSITOT? ! 75 MIO für Berlin Peanuts für die UNI’s das AUS- IRRSINN! Volksverdummung“ (Emma1: 23). Unterhalb dieses Fotos befindet sich der Bildtext (58) „Nicht nur vor dem Berliner Reichstag stehen an der Spitze des Studentenprotestes auffallend oft Studentinnen.“ (Emma1: 23) Dass die Fotos ausschließlich die Protestierenden abbilden und dass nur diese Personen in den Bildtexten vorkommen, ist ein deutliches Indiz auf einen wichtigen Umstand: Gerade sie und nicht die für die Sparmaßnahmen verantwortlichen Politiker befinden sich im thematischen Zentrum des Textes. Die Protestierenden und deren Standpunkte genießen die Sympathie der Autorin, was auch an der argumentativen Themenentfaltung ablesbar ist. Folgende Personengruppen kommen am häufigsten durch direkte Zitate im Artikel zu Wort: Protestierende in Düsseldorf (Emma1: 24), Frauenbeauftragte (Emma1: 22) und Forscher, die vor den Konsequenzen der Kürzungen warnen (Emma1: 25). Diese Gruppen werden insgesamt 23 Mal zitiert. Aber auch politische Vertreter des Establishments äußern sich gelegentlich im Text, und zwar durch die Institutionsbezeichnung „Pressestelle“ (Emma1: 22) der NRW- Frauenministerin Birgit Fischer (Emma1: 21), durch Zitate der rot-grünen Fraktion im Düsseldorfer Landtag (Emma1: 24), hinter der einige nicht namentlich benannte Personen stehen, und durch direkte Zitate Birgit Fischers. Mit insgesamt sieben Zitaten ist das politische Establishment, das heißt die Gegner der Proteste, somit in erheblich geringerem Ausmaß durch Zitate vertreten als die Protestierenden und deren Verbündete. Daran lässt sich die Gewichtung sogenannter Kommentare in diesem Text ablesen. Foucault (2007: 18) versteht den Kommentar als einen diskursiven Zirkulationsmechanismus, durch den auf andere Diskurse Bezug genommen und dem aktuellen Diskurs Autorität verliehen wird. 118 Dass der Artikel viel häufiger auf Diskurse der Protestierenden als auf Diskurse der politischen Vertreter Bezug nimmt, ist ein Indiz für die argumentative Struktur des Textes. So werden die Positionen der Protestierenden legitimiert. Schon im einleitenden Teil des Artikels werden die Sparmaßnahmen negativ bewertet. Dies geschieht unter anderem durch Verwendung des negativ besetzten metaphorischen Idioms den Rotstift ansetzen in Beleg (55): Mit den Kürzungen setzt Vater Staat den Rotstift an. Die Autorin erwähnt, dass zum Teil 118 Vgl. hierzu den Abschnitt zur Zirkulation von Diskursen bei Mills (2007: 72-81). 148 bei Frauenhäusern gespart werden soll. Dies lässt sich exemplarisch am folgenden Zitat (59) belegen. Hier wird die Wendung den Rotstift ansetzen nochmals aufgegriffen, so dass eine lexikalisch-idiomatische Verbindung zwischen der allgemeinen Einleitung des Artikels und dem konkreten, beschriebenen Fall hergestellt wird. Das Adverb rabiat verstärkt noch die negative Bewertung in (59). Damit dürfte kein Zweifel darüber entstehen, dass die Kürzungen als unerwünscht aufzufassen sind: (59) „Im Rahmen des ‚größten Sparpakets der hessischen Geschichte’ hatte Ministerpräsident Roland Koch (CDU) nicht nur bei Mütterzentren und Berufs-Wiedereinstiegs-Projekten rabiat den Rotstift angesetzt, sondern auch den Frauenhäusern kurzerhand die Hälfte der Landesförderung von bisher 2,7 Millionen Euro gestrichen. Folge: Acht hessische Frauenhäuser müssen zum 1. Januar 2004 schließen, rund 230 Plätze für Frauen und Kinder gibt es nicht mehr.“ (Emma1: 20) Die Kürzungen betreffen auch Universitäten. Dies geht aus dem folgenden Zitat hervor: (60) „Auch an den Unis herrscht Aufruhr. Im ganzen Land demonstrierten Zehntausende gegen Studiengebühren und die Schließung von Fakultäten, in Hessen legten streikende StudentInnen gleich drei Unis lahm, in Berlin, wo der Senat zwischen 2006 und 2009 stolze 75 Millionen Euro einsparen will, versuchten StudentInnen-Trupps das Christiansen-Studio zu stürmen.“ (Emma1: 21) In diesem Zusammenhang ist auch folgende Bemerkung zur Situation der Studentinnen der Pädagogik an der Universität Köln wichtig: (61) „Auffallend oft stehen bei den Studenten-Protesten die Studentinnen an vorderster Front. Kein Wunder: ‚Genau an den Fakultäten, an denen mehrheitlich Frauen studieren, ist es besonders schwer, die Regelstudienzeit einzuhalten“, weiß Julia Scholz vom Frauen-/ Lesbenreferat der Uni Köln. Angehende Pädagoginnen zum Beispiel überzögen schon deshalb, weil die DozentInnen überlastet und die Seminare überfüllt seien.“ (Emma1: 21) Die Bewertung der Sparmaßnahmen erfolgt in (61) nicht explizit, sondern implizit. Dies lässt sich mit Hilfe einer Rekontextualisierung (vgl. Linell 1998: 144f.) aufzeigen. Linell versteht Rekontextualisierung als die Übertragung diskursiver Elemente eines Diskurses (oder eines Textteils) in einen anderen Diskurs (oder in einen anderen Textteil). Bei Übernahme dieser Elemente in neue Kotexte kommen ihnen teilweise neue Bedeutungen zu, weil sie den neuen 149 Kotext mit konstituieren und beeinflussen; damit werden sie rekontextualisiert. 119 Die eingangs zitierte Einleitung des Artikels (55) konstruiert eine Verbindung zwischen den Sparmaßnahmen an deutschen Universitäten und der negativ bewerteten Aktivität, den Rotstift anzusetzen. In den Zitaten (60) und (61) geschieht eine thematische Spezifizierung (vgl. Brinker 2005: 65) dieser generellen Beschreibung. Dies stellt eine Rekontextualisierung der negativen Bewertung dar und lässt sich auf folgende Weise veranschaulichen: (1) Die finanziellen Kürzungen bei Frauenhäusern und Universitäten werden negativ bewertet; (2) an den Universitäten in Hessen und Berlin wird finanziell gekürzt; (3) deswegen sind die finanziellen Kürzungen an den Universitäten in Hessen und Berlin negativ bewertet. Nach der Beschreibung der Situation an Universitäten rücken die Frauenprojekte in Nordrhein-Westfalen erneut in den thematischen Vordergrund. Auch hier werden eventuelle Konsequenzen der Sparbestrebungen ausführlich beschrieben, für die Frauenprojekte im Bundesland Nordrhein-Westfalen (Schließung von Frauenhäusern et cetera) und für betroffene Menschen, vor allem für Frauen und Kinder. Dies erfolgt vor allem im Abschnitt IV und V (Emma1: 22-25). Der Standpunkt, dass die gekürzte Förderung und die Schließung nordrhein-westfälischer Frauenhäuser und Beratungsstellen negativ seien, wird hier noch zusätzlich durch Argumente aus Forschung und Politik unterstützt. Es handelt sich hier um sogenannte Kommentare, die andere Diskurse mit einbeziehen und intertextuelle Einbindungen herstellen (vgl. Foucault 2007: 18ff.). Beispielsweise sei ohne die Betreuung weiblicher Gewaltopfer, die ohne Finanzierung nicht aufrechtzuerhalten ist, das neue Gewaltschutzgesetz wirkungslos: (62) „Doch Expertinnen warnten schon früh: ‚Der Erfolg des Gewaltschutzgesetzes steht und fällt mit der Opferbetreuung.’“ (Emma1: 24) Man kann folglich am Konflikt um die Sparmaßnahmen die zentrale Bewertungsdimension im Text ablesen. Die Kürzungen werden dabei als eindeutig negativ dargestellt, während die Argumente und Proteste dagegen positiv bewertet sind. Diese Bewertung macht einen zentralen Aspekt der Textbedeutung aus und lässt sich als ein Subtyp von appraisal einstufen, den Martin und White (2005: 35) attitude nennen. Attitude „is concerned with our feelings, including emotional reactions, judgements of behaviour and evaluation of things.” (ebd.) 119 „Aspects of discourse which can be recontextualized include linguistic expressions, concepts and propositions, ‚facts’, arguments and lines of argumentation, stories, assessments, values and ideologies, knowledge and theoretical constructs, ways of seeing things and ways of acting towards them, ways of thinking, and ways of saying things.“ Linell (1998: 145) 150 Hinzu kommt eine wichtige textsemantische Komponente. Sie ist für die Erfassung der Variation der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen entscheidend, weil sie mit der Bewertung der zentralen Personengruppen in diesem Text korreliert. Der Artikel schildert den Konflikt zwischen sparenden Politikern und protestierenden Personen als ein Kampf, der sich in großem Ausmaß zwischen stereotypisiert männlichen Personengruppen einerseits und eher weiblichen oder in Bezug auf die geschlechtliche Zusammensetzung ausgewogenen Personengruppen abspielt. Dies kann man anhand zahlreicher rhetorischer Gegenüberstellungen von Männern und Frauen belegen, die auf ein stilistisches Muster des antithetischen Kontrastierens schließen lassen (vgl. Sandig 2006: 206). So werden in der Einleitung (55) Frauen, die Widerstand leisten, und Vater Staat einander ausdrücklich gegenüber gestellt: Frauen in ganz Deutschland kämpfen gegen Vater Staat. Vater Staat ist eine metaphorische Zusammenstellung, in der die männliche Verwandtschaftsbezeichnung Vater auf die politische Einheit Staat übertragen wird. Diese Konstruktion kann man unter rhetorischen Gesichtspunkten als Personalisierung charakterisieren, da die politische Einheit Staat als eine Person konzeptualisiert wird. Ein Vater ist notwendigerweise männlich und der Staat stellt typischerweise eine machtvolle Größe dar. Daraus ergibt sich, dass die Zusammenstellung Vater Staat eine patriarchalisch konnotierte Metapher ist und aus feministischer Perspektive negativ bewertend. 120 Vater Staat ist in diesem Artikel durch Politiker vertreten. Daher liegt die Annahme nahe, dass Vater Staat als Metapher nicht in erster Linie eine patriarchalische Konzeptualisierung des Staatsapparates per se ist, sondern eine Konzeptualisierung vor allem der Politiker, die über den Staatsapparat entscheiden. Hinter einem handlungsfähigen Staat stehen Menschen, die durch den Staat ihre Macht ausüben. Diese werden auch zum Teil in der Reportage genannt, sie sind in den meisten Fällen Männer: Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (Emma1: 20), Ole von Beust in Hamburg (Emma1: 20), NRW-Finanzminister Jochen Dieckmann (Emma1: 22) und Klaus Wowereit in Berlin (Emma1: 21). Der Artikel schildert sie alle als Vertreter der Kürzungspolitik in ihren jeweiligen geographischen Bereichen. Darüber hinaus werden einige Politikerinnen genannt: Die NRW-Frauenministerin Birgit Fischer (Emma1: 22), Marianne Hürte, frauenpolitische Sprecherin der Grünen in der Düsseldorfer Fraktion, (Emma1: 25) und Christa Hove, sozialdemokratische Vorsitzende des Frauenausschusses in Düsseldorf (Emma1: 25). Diesen Frauen wird zwar auf unterschiedliche Weise die Fähigkeit zugeschrieben, problematische Folgen der Kürzungspolitik zu erkennen. 120 Vgl. dazu folgende Definition im Universalwörterbuch Duden (2003) von patriarchal: „im familiären o.ä. Bereich als Mann seine Autorität geltend machend, bestimmend.“ Vater Staat ist dort mit der stilistischen Angabe „scherzhaft“ versehen und wird wie folgt definiert: „der Staat, bes. im Zusammenhang mit Finanzen, Steuern.“ 151 Als Vertreterinnen der Sparmaßnahmen sind sie dennoch kritisch dargestellt, obwohl nicht als eindeutige Befürworterinnen der Kürzungen - im Unterschied zu den männlichen Politikern. Es kommen auch weitere Belege für die antithetisch kontrastierende Gegenüberstellung von Frauen und Männern vor. So stellt die Autorin zu Beginn des Artikels die Frauenfront der Männergewalt gegenüber: (63) „Eine Stunde lang hatten die Aktivistinnen von der Frauenfront gegen Männergewalt vor dem Düsseldorfer Landtag Karton auf Karton getürmt, einen symbolischen Wall gegen Gewalt errichtet: jede Kiste ein Frauenhaus, eine Frauenberatungsstelle, ein Mädchenhaus, ein Notruf für vergewaltigte Frauen.“ (Emma1: 20) Weiter unten wird die in der Einleitung (55) vorkommende Zusammenstellung Vater Staat aufgegriffen und mit dem Frauenprotest kontrastiert: (64) „Nordrhein-Westfalen ist nicht das einzige Bundesland, in dem sich Frauenprotest gegen Vater Staat regt.“ (Emma1: 20) In (64) stellt die Autorin etwas stereotypisiert Weibliches und etwas stereotypisiert Männliches einander gegenüber, indem sie die Proteste so schildert, als kämpften Frauen gegen den patriarchalischen Staat. Die rhetorische Dichotomie „weiblich“ einerseits und „männlich“ andererseits ist auch an Stellen im Text wieder zu finden, an denen nicht die Proteste, sondern andere Inhalte thematisiert werden. Sie geht somit über die Beschreibung der Proteste hinaus. Zitat (65) behandelt die Folgen von Gewalt gegen Kinder, die keine Möglichkeit bekommen, ihre Traumata aufzuarbeiten. Dabei werden Mädchen und Jungen jeweils distinkt unterschiedliche Rollen (Mädchen als Opfer, Jungen als Täter) zugeschrieben. (65) „Da erhebt sich die Frage nach den Folgekosten. Denn: Frauen, die nach jahrelanger Misshandlung nicht mehr Tritt fassen, werden zu Sozialhilfeempfängerinnen. Kinder, die ihre Traumata nicht rechtzeitig aufarbeiten können, werden depressiv (die Mädchen) oder ihrerseits zu Schlägern (die Jungen).“ (Emma1: 24) Ein weiterer Aspekt dieser Gegenüberstellung ist die Darstellung von Frauen als Opfern der Sparmaßnahmen. Sie zieht sich durch den Text hindurch und ist ein wichtiger Aspekt des Konflikts: Frauen, für welche die Protestierenden kämpfen, sind in größerem Ausmaß als Männer von der Sparpolitik betroffen. Dies wird noch an einer interessanten Stelle (66) deutlich. Dort gibt die Autorin zu bedenken, dass möglicherweise auch bei Frauen gespart werden müsse: 152 (66) „Aber: Es steigt der Verdacht, dass Politiker ihren Rotstift bei den lobbyschwachen Frauenprojekten leichter ansetzen. Und vor allem: Dass ausgerechnet am neuralgischen Punkt des Anti-Gewalt-Kampfes gespart wird, gibt zu denken.“ (Emma1: 21) Was die Leser unter „gibt zu denken“ zu verstehen haben, führt sie allerdings nicht explizit aus. Die Frage, auf welche Weise das Sparen am Anti-Gewalt- Kampf zum Denken veranlasst, wird somit nicht beantwortet. Es handelt sich an dieser Stelle um einen Fall nicht ausreichender Information. Dennoch ist davon auszugehen, dass diese Aussage für den Zusammenhang relevant ist, das heißt kontextuelle Effekte hat. Der Satz „Und vor allem [...]“ lässt sich so als relevant verstehen, weil er eine Andeutung auf etwas im Text nicht Explizites ist. Damit ist hier ein kontextueller Effekt des Typs kontextuelle Implikation vorhanden (vgl. Sperber und Wilson (1995: 108ff.). Die kontextuelle Implikation lautet in diesem Kotext, dass Politiker absichtlich gerade am Anti-Gewalt-Kamp sparen. Linke und Nussbaumer (2000: 446) sehen derartige Andeutungen als impliziten Sprachgebrauch. Sie können beispielsweise dann ins Spiel gebracht werden, wenn es sich darum handelt, „Negatives über andere Menschen in die Welt zu setzen, aber auch, wenn es z.B. darum geht, tabuisierte Themen anzusprechen“ (ebd.). Eine mögliche Explikation dieser kontextuellen Implikation ist somit, dass es sich um eine Andeutung handelt, dass Politiker bewusst mit der Absicht, den Anti-Gewalt-Kampf zu unterdrücken, gerade in diesem Bereich sparen. Möglicherweise erscheint diese Auffassung, wenn explizit artikuliert, als eine so gewagte Unterstellung, dass sie gerade deswegen nur impliziert geäußert wird. Das lässt sich am Text selbst jedoch nicht nachweisen. Die Darstellung der von den Sparmaßnahmen Betroffenen und der für ebendiese Sparmaßnahmen Verantwortlichen kann man daher folgendermaßen beschreiben: Hauptsächlich Frauen sind von der Sparpolitik betroffen, die von Politikern beschlossen wird. Die Politiker wiederum werden als stereotyp männlich geschildert. Dies ist als komplexe Textbedeutung zu verstehen. Ein weiteres Indiz für die enge Verbindung zwischen Protestierenden und Betroffenen (darunter hauptsächlich Frauen) findet sich in zahlreichen nominalen Bezeichnungen von Projekten und Stellen, welche die Protestierenden verteidigen. Diese werden häufig mit dem Erstglied Frauenrealisiert. Dadurch kommt eine explizite Assoziierung dieser Institutionen zu Frauen zustande: Frauenhäuser (Emma1: 20), Frauenberatungsstelle (Emma1: 20), Frauenprojekt (Emma1: 21), Frauenprojekte (Emma1: 22), Frauenberatungsstelle (Emma1: 23), Frauenhäusern (Emma1: 24), Frauenprojekte (Emma1: 25). Die Bewertung der politischen Vertreter, der Protestierenden und des politischen Kampfs dienen als Hintergrund der Analyse der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen im Text. 153 Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Maskulinum Neutralform Beidbenennung Total Finanzministern Kinder StudentInnen Politiker (Pl) Zehntausende DozentInnen Schläger Kindern PolitikerInnen Beamten (Pl) Kind ForscherInnen Täter Kind Polizisten (Pl) Opfer NRW-Frauenbeauftragten (Pl) Leidtragenden (Pl) Kindern Kinder Kinder Personen Privatpersonen Anzahl 6 13 4 23 Tabelle 14: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in „Frauen gehen auf die Barrikaden“ (Emma1: 20-25). In einem ersten Schritt können wir festhalten, dass die Gruppe der Neutralformen sich nur aus solchen Personenbezeichnungen zusammensetzt, bei denen keine synonymen Beidbenennungen oder Maskulina vorliegen. In dieser Kategorie befinden sich lexeminhärent geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen, die ein geschlechtsübergreifendes Referenzpotenzial (vgl. Vater 2005: 14) haben. Zudem sind sie als Begriffe lexikalisiert: Kind, Opfer, Person, Privatperson. Die Belege der Lexeme Kind und Opfer bezeichnen in sämtlichen Fällen Personen, die von Gewalt betroffen sind. Bei Person und Privatperson handelt es sich um Individuen, die Frauenprojekte fördern. Bei diesen beiden Vorkommen findet keine geschlechtsbezogene Stereotypisierung statt: (67) „Ein Blick nach Amerika, wo es eine stolze Tradition des gesellschaftlichen Engagements bei Wirtschaft und Personen gibt, zeigt, wie das gehen könnte. Für Unternehmen wie wohlhabende Privatpersonen gelten Spenden (auch) für Frauenprojekte dort als imagefördernd und gehören schlicht zum guten Ton.“ (Emma1: 25) Unter den Neutralformen kommen auch ein Zahlsubstantiv (Zehntausende), ein substantiviertes Adjektiv (Leidtragenden) und ein Kompositum mit einem substantivierten Perfektpartizip (NRW-Frauenbeauftragten) vor, sämtliche im 154 Plural. Sie bezeichnen entweder Protestierende (Zehntausende, NRW- Frauenbeauftragten) oder Gewaltopfer (Leidtragenden). Keine Neutralformen bezeichnen Personen, die männlich stereotypisiert oder deren Handlungen negativ bewertet sind. Dagegen sind die meisten der mit Neutralformen bezeichneten Personengruppen weiblich stereotypisiert. Dies trifft für Opfer, Leidtragenden, Zehntausende und NRW-Frauenbeauftragten zu. Es stellt sich nun die Frage, ob man dieses Benennungsverfahren mit der weiblichen Stereotypisierung dieser Gruppen in Verbindung bringen kann. Bei keiner Neutralform in diesem Text liegt ein konkurrierendes Synonym vor, etwa ein Maskulinum oder eine Beidbenennung. 121 Sie sind entweder als Neutralformen lexikalisiert oder Substantivierungen nicht lexikalisierter Begriffe. Höchstwahrscheinlich werden gerade diese Lexeme verwendet, da diese zur Bezeichnung der aktuellen Personen häufig benutzt werden. Deswegen kann man nicht behaupten, dass an diesen geschlechtsneutralen Lexemen eine Variation ablesbar wäre, bei der maskuline Sprachformen zugunsten neutraler Sprachformen verwendet werden. In einer systemisch-funktionalen Sichtweise (vgl. Halliday und Mattheissen 2004) lässt sich dies folgendermaßen ausdrücken: Da gerade Neutralformen zur Bezeichnung dieser Kategorien von Personen geläufig sind, ist das Benennungsverfahren am ehesten auf die ideationelle Metafunktion zurückzuführen. Wenden wir uns jetzt den Maskulina und Beidbenennungen zu. Die Maskulina (Finanzministern, Politiker (Pl), Schläger, Beamten (Pl), Täter, Polizisten (Pl)) befinden sich in folgenden Kotexten: (68) „Denn Vater Staat setzt den Rotstift an. Und wenn es nach den Finanzministern geht, werden nicht nur Fakultäten geschlossen, sondern auch Frauenhäuser.“ (Emma1: 20) (66) „Aber: Es steigt der Verdacht, dass Politiker ihren Rotstift bei den lobbyschwachen Frauenprojekten leichter ansetzen. Und vor allem: Dass ausgerechnet am neuralgischen Punkt des Anti-Gewalt-Kampfes gespart wird, gibt zu denken.“ (Emma1: 21) (69) „Seit dem 1. Januar 2002 können geschlagene Frauen per Gerichtsbeschluss erwirken, dass sie in der gemeinsamen Wohnung bleiben können - der Schläger muss sich eine neue Bleibe suchen.“ (Emma1: 23f.) (70) „Wird die Polizei zu einem Einsatz bei häuslicher Gewalt gerufen, die bis dato ‚Familienstreitigkeit’ hieß, können die Beamten den Täter für zehn Tage aus der Wohnung weisen.“ (Emma1: 24) 121 Siehe hierzu Duden (2003). 155 (71) „Fast 5.000 gewalttätige Männer warfen nordrhein-westfälische Polizisten schon im Jahr 2001 aus der Wohnung.“ (Emma1: 24) An diesen Zitaten wird ersichtlich, dass die Verwendung des Maskulinums auffallend oft entweder mit der männlichen Stereotypisierung und negativen Bewertung der politischen Vertreter oder mit einer negativen Bewertung anderer Gruppen korreliert. In (66) und (68) repräsentieren Finanzministern und Politiker das sowohl negativ bewertete als auch männlich stereotypisierte politische Establishment. Die Maskulina Schläger und Täter ihrerseits bezeichnen Personen, die Frauen schlagen. Das ist - besonders in einem feministischen Diskurs - als eindeutig negativ bewertete Handlung zu verstehen. Darüber hinaus werden auch Schläger und Täter in diesem Artikel als stereotyp männlich dargestellt. Möglicherweise liegt dies daran, dass Personen, die Frauen misshandeln, in der Mehrheit Männer sind. Es lässt sich allerdings nicht ausschließen, dass unter Tätern auch Frauen sein können. Und vergleicht man Zitat (69) mit dem Gesetzestext, auf den sich die Autorin bezieht, stellt sich heraus, dass auch hier zwar „Täter“ als Maskulinum vorkommt. Der Gesetzestext jedoch ist in der Hinsicht geschlechtsneutral, dass die misshandelte Person, die das Nutzungsrecht zur gemeinsamen Wohnung haben kann, gerade als „Person“ konzeptualisiert wird: „(1) Hat die verletzte Person zum Zeitpunkt einer Tat nach § 1 Abs. 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Abs. 3, mit dem Täter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt, so kann sie von diesem verlangen, ihr die gemeinsam genutzte Wohnung zur alleinigen Benutzung zu überlassen.“ 122 Dass die Schläger aber männlich stereotypisiert werden, zeigt sich auf folgende Weise: Wenn sie konkretisiert erwähnt werden, dann handelt es sich nur um Männer. Beispielsweise könne, so die Autorin, Folgendes passieren, wenn wegen geplanter Kürzungen ein bestimmtes Frauenhaus keinen Rund-um-die- Uhr-Service aufrechterhalten kann: (72) „Die Sozialpädagogin befürchtet, dass die ohnehin schon hohe Quote der Frauen, die zurück zu ihren Männern gehen, weiter stiege.“ (Emma1: 23) Man denke hier auch an die Demonstration in Düsseldorf, die als „Frauenfront gegen Männergewalt“ (Emma1: 20) charakterisiert wird. Unter den sechs Maskulina im Text bezeichnen somit Finanzministern, Politiker, Täter und Schläger Personen, die männlich stereotypisiert und negativ 122 Vgl. hierzu den Paragraphen „§ 2 Überlassung einer gemeinsam genutzten Wohnung“ aus dem Gewaltschutzgesetz „Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz von Gewalttagen und Nachstellungen“: http: / / bundesrecht.juris.de/ gewschg (Link überprüft am 24.02.2011). 156 bewertet sind. Beamten und Polizisten bezeichnen demgegenüber weder Personen, die explizit männlich stereotypisiert sind, noch negativ bewertete Personen. Umgekehrt sind die von den Polizisten und Beamten vollzogenen Handlungen am ehesten als positiv bewertet anzusehen, da sie dazu beitragen, Frauen vor gewalttätigen Männern zu schützen. Sie scheinen folglich das Variationsmuster nicht zu bestätigen. Eine mögliche Erklärung für das Maskulinum Polizisten könnte die Vorstellung sein, dass Polizisten zum überwiegenden Teil Männer sind. Diese Vorstellung ist auch berechtigt, denn 2007/ 2008 waren unter den Polizisten in Deutschland eine überwiegende Mehrheit - 83,4 % - Männer. 123 Dies bedeutet somit nicht, dass nur Männer den Polizistenberuf ausüben würden. Die Verwendung des Maskulinums kann also nicht damit begründet werden, dass nur Männer potenzielle Referenten dieser Personenbezeichnung sind. Möglicherweise kann eine ähnliche Erklärung auch beim Maskulinum Beamten gültig sein. Erklärungsversuche dieser Art bleiben allerdings spekulativ, da sie sich am Text nicht festmachen lassen. Nimmt man jedoch an, dass diese Erklärung hier gültig ist, dann heißt dies Folgendes: Die Stereotypisierung dieser Personengruppen als männlich würde sich nicht so sehr aus dem aktuellen Text selbst als aus Vorstellungen heraus ergeben, die unabhängig von diesem individuellen Textexemplar existieren. Das sind Vorstellungen, die aus dem Umstand resultieren, dass deutlich mehr Männer als Frauen den Beruf des Polizisten ausüben. Dies könnte darauf hindeuten, dass man sprachlich vermittelte Stereotype durch außersprachliche Faktoren erklären kann. Das würde ferner mit den zugrunde liegenden sprachtheoretischen Voraussetzungen dieser Arbeit im Einklang stehen - mit der Annahme, dass Sprache sich auf eine außersprachliche Wirklichkeit beziehen kann. Den Maskulina sind jetzt die Beidbenennungen im Text gegenüberzustellen: StudentInnen, DozentInnen, PolitikerInnen, ForscherInnen. Sämtliche Beidbenennungen referieren auf Gruppen von Personen, die auf der Seite der betroffenen Frauen stehen, positiv bewertet sind, die Interessen der Protestierenden anerkennen oder Betroffene der Sparmaßnahmen sind: (73) „Im ganzen Land demonstrierten Zehntausende gegen Studiengebühren und die Schließung von Fakultäten, in Hessen legten streikende StudentInnen gleich drei Unis lahm, in Berlin, wo der Senat zwischen 2006 und 2009 stolze 75 Millionen einsparen will, versuchten StudentInnen-Trupps sogar, das Christiansen-Studio zu stürmen.“ (Emma1: 21) 123 Aus einer Statistik des Jahres 2007/ 2008 geht hervor, dass in den Bundesländern (Berlin, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern ausgenommen) samt einigen Teilorganen der deutschen Bundespolizei 31130 von 188017 Beschäftigten weiblich gewesen sind. Der Anteil weiblicher Polizisten beläuft sich somit auf 16,6 % sämtlicher Polizisten. Solche außersprachliche Fakten können zu Stereotypen beitragen (Statistik erhalten durch Annette Terweide, Bundesvorstand Gewerkschaft der Polizei, in einer E-Mail vom 5.5.2009). 157 (74) „Angehende Pädagoginnen zum Beispiel überzögen schon deshalb, weil die DozentInnen überlastet und die Seminare überfüllt seien.“ (Emma1: 21) (75) „Die PolitikerInnen hatten die Bedarfslawine, die da auf sie zurollte, durchaus erkannt. So war der rot-grünen Koalition in Düsseldorf klar, dass ‚mit dem Gewaltschutzgesetz deutlich mehr Frauen und Kinder, die von Gewalt bedroht sind, erreicht werden können und daher ein weiterer Beratungsbedarf entsteht’, verkündete die Koalition schon 2001.“ (Emma1: 24) (76) „Auf 400 Millionen Franken schätzt eine Schweizer Studie die ökonomischen Folgekosten für Gewalt gegen Frauen - von den Medikamenten bis zur Sozialhilfe. Die niederländische Frauenhausstiftung und das Kriminologische Institut errechneten 150 Millionen Euro pro Jahr. Auf noch höhere Beträge kommen ForscherInnen, wenn sie nicht nur die unmittelbare medizinische Versorgung in die Rechnung einbeziehen, sondern auch langfristige Kosten wie Ausfallzeiten am Arbeitsplatz.“ (Emma1: 25) In (73) und (76) werden eindeutig positiv bewertete Personen bezeichnet. Die StudentInnen protestieren gegen die unerwünschten Sparmaßnahmen, während die ForscherInnen die Folgekosten von Gewalt berechnen. Was DozentInnen in (74) betrifft, liegt hier weder geschlechtsbezogene Stereotypisierung noch positive Bewertung vor. Allerdings wird diese Personengruppe in (74) als eine Gruppe von Betroffenen ungerechter Kürzungen dargestellt. Insofern gehören sie zu denjenigen Personengruppen, die der Text mit Sympathie und Verständnis schildert. Das Variationsmuster in diesem Text kann man durch einen Vergleich zwischen der Beidbenennung PolitikerInnen in (75) und dem geschlechtsübergreifenden Maskulinum Politiker in Beispiel (66) veranschaulichen. Hier werden somit zwei verschiedene Realisierungstypen ein und desselben Begriffes in zwei verschiedenen Kotexten verwendet. Es geht hier nicht so sehr um die Stereotypisierung der Gruppen in Bezug auf Geschlecht als um die Bewertung der Handlungen und Ansichten der beiden Gruppen von Politikern. In (66) bezieht sich das Maskulinum Politiker allgemein auf Politiker, die für die Sparmaßnahmen die Verantwortung tragen. Die Referenz ist dabei nichtspezifisch. Diese Politiker, ihre Pläne und Handlungen sind negativ bewertet, da sie dem Text zufolge eher bei lobbyschwachen Frauenprojekten als anderswo Geld sparen. Die Politiker gehören demnach zum männlich stereotypisierten politischen Establishment. In (75) wird die Beidbenennung PolitikerInnen benutzt. Auch hier ist die Referenz nicht-spezifisch, hinsichtlich der Extension jedoch etwas begrenzter als die des Maskulinums Politiker. Es handelt sich bei PolitikerInnen nämlich um eine kleinere Gruppe Politiker, die rot-grüne Koalition in Düsseldorf. Zwar 158 sind diese Politiker, so der Artikel, den Bedürfnissen infolge des neuen Gewaltschutzgesetzes finanziell nicht nachgekommen. Die Autorin erkennt ihnen aber ein bestimmtes Maß an Fähigkeiten zu, wichtige politische Maßnahmen identifizieren zu können. Dies ist als positive Bewertung anzusehen. An dieser Textstelle werden demzufolge die Politiker mit der Beidbenennung bezeichnet, zugleich macht die Beidbenennung die weiblichen Mitglieder der Politikergruppe sprachlich explizit. Es erfolgen damit gleichzeitig eine zum Teil positive Bewertung und eine Darstellung dieser Politikergruppe als explizit aus Männern und Frauen bestehend. Wie bei vielen anderen Maskulina in den Quellentexten kann man auch hier einen wichtigen Einwand formulieren, nämlich den, dass diese Maskulina keine geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen sind, sondern geschlechtsspezifisch männliche. Wenn dies der Fall ist, muss man das Ergebnis dieser Analyse modifizieren. Demnach würde es sich hier stattdessen um eine Variation zwischen männlich geschlechtsspezifischen Maskulina und geschlechtsübergreifenden Beidbenennungen handeln. Die Beidbenennungen werden als geschlechtsübergreifend eingestuft. Das Kriterium dafür lautet, dass dieser Realisierungstyp sowohl männliche als auch weibliche Referenten explizit macht. Bei den Maskulina in diesem Text kann man aber festhalten, dass ihre Referenz im Sinne von „Teil der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke, der den Bezug zu ihren außersprachlichen Gegenstücken - den ‚Referenten’ - betrifft“ (Vater 2005: 16) nicht eindeutig festgelegt werden kann. Wir können folglich am Text nicht eindeutig bestimmen, ob mit beispielsweise Täter lediglich Männer oder sowohl Frauen als auch Männer gemeint sind. Die Maskulina zeichnen sich durch Ambiguität, „referenzielle Opakheit von Personenbezeichnungen“ (Dittmann 2002: 75), aus. Es lässt sich jedoch für die Klassifizierung der Maskulina in diesem Text auf folgende Weise argumentieren. Erstens ist die Referenz sämtlicher Maskulina nicht-spezifisch und in hohem Grad allgemein. Zweitens gibt es im Artikel keine Anzeichen für die Interpretation von Politikern, Finanzministern Beamten und Polizisten als geschlechtsspezifisch männlich. Politikern und Finanzministern sind zwar männlich stereotypisiert; Stereotypisierung ist allerdings nicht mit tatsächlicher Referenz gleichbedeutend. Sämtliche der genannten Lexeme zeichnen sich in ihrer Verwendung dadurch aus, dass Frauen Teil des Referenzpotenzials der jeweiligen Personenbezeichnungen sind. Die Lesart einer allgemeinen, nicht-spezifischen Bezugnahme auf Politiker und Beamte als geschlechtsspezifisch männlich ist deswegen nicht plausibel. Bei Schläger und Täter findet sich eine männliche Stereotypisierung. Damit geht jedoch nicht notwendig die Bestimmung der Referenz dieser Vorkommen als de facto geschlechtsspezifisch männlich einher. Die Maskulina in diesem Text können wir vor diesem Hintergrund als höchstwahrscheinlich geschlechtsübergreifend klassifizieren. 159 Daher ist es in diesem Zusammenhang wichtig, den Schwerpunkt nicht so sehr auf die ohnehin nicht festlegbare tatsächliche Referenz zu setzen, sondern auf den folgenden Aspekt: Unabhängig davon, ob die Referenz de facto geschlechtsspezifisch oder geschlechtsübergreifend ist, werden einige Personengruppen mit geschlechtsübergreifenden Maskulina und andere mit Beidbenennungen bezeichnet. Demnach kann man das Variationsmuster folgendermaßen Weise formulieren: Bei Personengruppen, die stereotyp männlich und negativen berwertet sind, werden potenzielle weibliche Referenten nicht explizit sichtbar gemacht. Dagegen sind weibliche Personen dort sichtbar, wo es sich um eher weiblich stereotypisierte Personen handelt, oder wenn Personen benannt werden, die für die Interessen der Frauen kämpfen. Man kann dies wiederum durch das Relevanzprinzip (vgl. Sperber und Wilson 1995: 122) erklären: Die explizite Kennzeichnung weiblicher Personen ist deswegen relevant, weil Frauen in diesen Personengruppen eine hervortretende Rolle spielen. Die Beidbenennungen tragen demzufolge zur Darstellung der Personen als eindeutig aus Männern und Frauen bestehend bei. Sie verstärken so die Annahme, dass Frauen unter den Referenten sind, und bewirken dabei einen kontextuellen Effekt. Bei den Maskulina demgegenüber ist eine ähnliche Explizitheit weniger relevant, denn diese Personengruppen sind männlich stereotypisiert und spielen im Kampf gegen Kürzungen keine positive Rolle. Wir können auch Folgendes festhalten: In einem Text mit verhältnismäßig vielen Beidbenennungen kommt der maskulinen Form wahrscheinlich verstärkt die Bedeutung [+MÄNNLICH] zu. Dies in diesem Text umso deutlicher, da bei vielen Maskulina eine männliche Stereotypisierung explizit erfolgt. Man kann dabei auf die in zahlreichen psycholinguistischen Studien nachgewiesene Tendenz rekurrieren, dass maskuline Sprachformen in höherem Grad als Neutralformen und Beidbenennungen zu männlichen Konzeptualisierungen der Referenten bei Sprachbenutzern führen (vgl. Kapitel 1.4 und Irmen und Linner 2005: 173f.). Daher lässt sich annehmen, dass in diesem Text auch die maskuline Sprachform zur Konzeptualisierung bestimmter Personengruppen als stereotyp männlich beiträgt. 124 Zusammenfassend konnten wir an diesem Texte Folgendes nachweisen: Die Verwendung des Maskulinums in diesem Text korreliert teilweise mit männlicher Stereotypisierung und negativer Bewertung der Personengruppen. Die Beidbenennung findet dagegen bei weiblicher Stereotypisierung und positiver Bewertung von Personen Verwendung. Dieses Muster kann man durch die Textanalyse aufdecken und ist unabhängig davon, ob die Referenz der maskulinen Personenbezeichnungen de facto geschlechtsspezifisch männlich oder geschlechtsübergreifend ist. 124 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die mit vielen maskulinen Belegen im Text einhergehende negative Bewertung der Referenten mit der grammatischen Form der Personenbezeichnung an sich etwas zu tun hätte. 160 In diesem Zusammenhang ist auch auf den Begriff soziales Geschlecht bei Hellinger (1990: 61) zu verweisen. 125 Hellinger versteht soziales Geschlecht als eine sterotype Vorstellung darüber, welche Geschlechtszugehörigkeit bestimmte Gruppen von Personen besitzen. Soziales Geschlecht ist somit nicht an das tatsächliche biologische Geschlecht der aktuellen Referenten gebunden. Durch das soziale Geschlecht kann man beispielsweise erklären, warum bestimmte geschlechtsindefinite Personenbezeichnungen häufig mit bestimmten geschlechtsspezifischen Personalpronomina wieder aufgenommen werden (zum Beispiel a secretary... she): „Die Wahl der Pronomina kann hier nicht mit dem natürlichen Geschlecht der bezeichneten Person erklärt werden. Vielmehr gibt es stereotype Vorstellungen darüber, welchem Geschlecht im allgemeinen jemand angehört, der/ die als lawyer oder secretary arbeitet. Diese weder grammatisch noch natürlich motivierte Eigenschaft von Personenbezeichnungen möchte ich als soziales Geschlecht (social gender) bezeichnen.“ (ebd.: 61) Das Konzept des sozialen Geschlechts kann man auch auf die geschlechtsübergreifenden Maskulina in „Frauen gehen auf die Barrikaden! “ übertragen. Nicht durch das tatsächliche Geschlecht sämtlicher Referenten lässt sich die Verwendung des Maskulinums erklären, sondern durch stereotype, mehr oder weniegr berechtigte Vorstellungen darüber, dass die aktuellen Personengruppen zum großen Teil aus Männern bestehen. Zugleich ist deutlich geworden, dass man geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen und das damit verbundene Problem der opaken Geschlechterreferenz fruchtbar analysieren kann. Die Analyse hat gezeigt, dass man von einem dynamischen Konzept von Textbedeutung und Interpretation (vgl. Busse 1992, Gardt 2007b), ausgehen kann, ohne dass man die Annahme einer sprachlicher Referenz und einer außersprachlichen Wirklichkeit an sich zurückweisen muss. 6.2.2.2 Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen In diesem Abschnitt wird der „Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ (kurz: Aktionsplan) analysiert. 126 Der 125 In einer späteren Veröffentlichung nennt Hellinger (2004b: 143) dieses Phänomen verdecktes Geschlecht. 126 Die Publikation war unter folgender Internetadresse abrufbar: http: / / www.bmfsfj.de. Der Link wurde zuletzt am 9.5.2009 überprüft. Bei der Überarbeitung dieses Buches hat sich herausgestellt, dass das Aktionsprogramm durch ein neues ersetzt worden ist. Das neue Programm trägt denselben Titel wie das hier analysierte, der Text stimmt auch zum allergrößten Teil inhaltlich damit überein. Doch das Vorwort ist neu geschrieben und die Pagi- 161 Text ist als Online-Publikation vom deutschen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegeben worden. 127 Im Vorwort begründet die zuständige Ministerin Ursula von der Leyen die Relevanz des Programms auf folgende Weise: (77) “Gewalt gegen Frauen ist kein Problem am Rande unserer Gesellschaft, sondern findet mitten unter uns statt. Daher muss Gewalt auch in der Mitte der Gesellschaft durch die Zusammenarbeit aller Verantwortlichen verhindert und abgewendet werden.“ (Aktionsplan: 3) (78) „Ich verbinde mit der Veröffentlichung dieses Bundesprogramms die Hoffnung, dass Landesregierungen und Kommunen in ihren jeweiligen Zuständigkeiten ihre Aktivitäten zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ebenfalls fortsetzen und intensivieren und dass in der Zusammenarbeit von öffentlichen Stellen mit Nichtregierungsorganisationen und Verbänden die Ziele des zweiten Aktionsplans wirkungsvoll unterstützt werden.“ (Aktionsplan: 4) Damit geht die politische Positionierung des Textes hervor: Gewalt gegen Frauen ist ein gesellschaftliches Problem und die Bekämpfung hat mit Einbeziehung mehrerer öffentlicher Stellen und Institutionen zu erfolgen. Diese Positionierung bildet gleichzeitig auch die Legitimation des Aktionsplans und wird noch dadurch gestützt, dass wissenschaftliche Studien und Erfahrungen aus der Praxis hinzugezogen werden. Dies zeigt auch die starken intertextuellen Bezüge auf andere Quellen an: (79) „Mit dem Aktionsplan II sollen die Fragestellungen und Herausforderungen aufgegriffen werden, die sich aus dieser Untersuchung sowie weiteren wissenschaftlichen Studien und Hinweisen aus der Praxis ergeben.“ (Aktionsplan: 7) Die Positionierung ist aus der Sichtweise der SFL eine Bewertung vom Typ Attitude (vgl. Martin und White 2005: 35). Diese Bewertung, die den ganzen Text prägt, lässt sich auf folgende Weise formulieren: Gewalt gegen Frauen im Besonderen und Menschen im Allgemeinen sowie Unterlassung der Bekämpfung dieser Gewalt sind negativ. Die Bekämpfung der Gewalt ist positiv. Dabei handelt es sich um bestimmte Handlungen und Verhaltensweisen, die verschiedene Personengruppen repräsentieren. Zudem schildert das Programm die Opfer der Gewalt mit Verständnis und Sympathie (vgl. Aktionsplan: 4f.). Darüber hinaus hat das Aktionsprogramm einen normierenden Charakter. Es dient nämlich dazu, als Leitfaden für verantwortliche Institutionen auf sämtlichen staatlichen Ebenen (Bund, Land und Kommune) benutzt zu werden. Die nierung ist eine andere. Die Seitenverweise in dieser Analyse basieren sich auf der älteren Version des Aktionsprogramms. 127 Er umfasst 75 Seiten. 162 übergreifenden Textfunktionen sind daher Informationsfunktion und Appellfunktion (vgl. Brinker 2005: 117). Ein Ziel der Publikation ist es nämlich, bestimmte Verhaltensweisen und Handlungen hervorzurufen. Insofern kann man die Themenentfaltung des Textes nicht nur als deskriptiv, sondern auch als argumentativ bestimmen, als der Artikel wiederholt Argumente für die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und für die Zwecksmäßigkeit des Aktionsplans hervorbringt. Aktionsplan ist als selbständige Publikation veröffentlicht worden. Es hat ein deutlich abgrenzbares Thema und zeichnet sich durch erkennbare übergreifende Textfunktionen aus. Daher lässt es sich als ein Text im Sinne einer kommunikativen Einheit bestimmen. Dennoch ist die intertexuelle Einbindung dieses Textes stark. Es wird nämlich häufig, wie unten noch zu zeigen ist, auf andere Quellen Bezug genommen. Zudem liegt dem Aktionsplan eine noch ältere Fassung zu Grunde. Auch dieser Umstand indiziert die Intertextualität. Inhaltlich ist der Text auf folgende Weise gegliedert: Auf das Vorwort der zuständigen Bundesministerin Ursula von der Leyen (Aktionsplan: 3-5) folgt die „I. Einleitung“ (Aktionsplan: 7-15), welche die beiden Teilabschnitte „1.1 Wo liegen die neuen Herausforderungen? “ (Aktionsplan: 7-14) sowie „1.2 Ziele und Struktur des Aktionsplans II“ (Aktionsplan: 14-15) enthält. Nach der Einleitung folgt der Hauptteil des Dokuments, „II. Inhalte des Aktionsplans II der Bundesregierung“ (Aktionsplan: 16-75). Der erste Teilabschnitt der Einleitung (Aktionsplan: 7-15) greift die hauptsächlichen Probleme und die wichtigsten Maßnahmen auf, beispielsweise „Stärkerer Schutz von Migrantinnen, die von Gewalt betroffen sind“ (Aktionsplan: 8) und „Frauen mit Behinderung mehr in den Blick nehmen“ (Aktionsplan: 9). Das Hauptkapitel, „II. Inhalte des Aktionsplans II der Bundesregierung“ ist thematisch nach zehn Unterrubriken organisiert, beispielsweise folgenden: „2.1 Prävention“ (Aktionsplan: 16-30), „2.2 Rechtsetzung durch den Bund: Gesetzgebung und Verwaltungsvorschriften“ (Aktionsplan: 30-38) und „2.9 Europäische und sonstige internationale Zusammenarbeit“ (Aktionsplan: 59-68). Die Personen, die mit geschlechtsübergreifend referierenden Personenbezeichnungen bezeichnet werden, kann man in drei Hauptkategorien unterteilen: Opfer der Gewalt, Gewalttäter und sonstige Personen. Diese analytische Einteilung ist für die nachfolgende Analyse entscheidend. Opfer der Gewalt sind thematisch zentral, weil der Aktionsplan auf deren Schutz abzielt. Gewalttäter stehen nicht so sehr im thematischen Fokus wie Opfer, hier ist ein anderer Aspekt zentral: Wer diese Täter sind und wie man sie rehabilitieren kann. Sonstige Personen sind weder eindeutige Opfer noch Täter, sondern in den meisten Fällen Träger medizinischer, therapeutischer, politischer und wissenschaftlicher Verantwortung bei der Arbeit gegen Gewalt und für Frauenschutz, zum Beispiel Expertinnen und Experten und Ärztinnen und Ärzte. Der Text benennt keine Personen namentlich, sondern jedes Mal mit der jeweiligen Personenbezeichnung. Die allermeisten Personenbezeichnungen 163 beziehen sich nicht-spezifisch auf Gruppen von Personen. Es finden sich hingegen keine generisch verwendeten Personenbezeichnungen mit geschlechtsübergreifender Referenz im Aktionsplan. Äußerst wenige Personenbezeichnungen realisieren eine spezifische Referenz. Die Personenbezeichnungen verteilen sich nach Referenztyp und Personenkategorie folgendermaßen: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Maskulinum Neutralform Beidbenennung Anzahl Gewaltopfer 102 1 103 (43 %) Gewalttäter 25 13 8 46 (19,3 %) Sonstige Personen 7 51 32 90 (37,7 %) Anzahl 32 (13, 4 %) 166 (69,5 %) 41 (17,1 %) 239 (100 %) Tabelle 15: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in Aktionsplan (2003); prozentuale Angaben in Klammern. Die meisten geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen in diesem Text sind somit Neutralformen, während Beidbenennungen und Maskulina etwas seltener vorkommen. Darüber hinaus kommen etliche Personenbezeichnungen mit geschlechtsspezifisch weiblicher Referenz und geschlechtsspezifisch männlicher Referenz. Die geschlechtsspezifische Referenz ist in diesen Fällen entweder an lexeminhärenter Geschlechtsspezifik (zum Beispiel bei Lexemen wir Frauen und Männer) oder am jeweiligen Kotext ablesbar. Es findet sich auch eine Anzahl lexeminhärent geschlechtsneutraler Personenbezeichnungen, die eindeutig geschlechtspezifische Referenzen vollziehen. In dieser Kategorie kommt vor allem das Opfer zur Bezeichnung von Frauen als Gewaltopfern vor. Dies stimmt mit dem Thema des Aktionsplans (Frauen als Opfer der Gewalt) überein und ist ein Zeichen dafür, dass Opfer oft als Frauen konzeptualisiert werden. Wenden wir uns zuerst den 166 Neutralformen zu. Einige wenige davon beziehen sich eindeutig nur auf Gewalttäter, zum Beispiel Elternteil (Aktionsplan: 32), Elternteils (Aktionsplan: 33), Haftentlassene (Aktionsplan: 36), Person (Aktionsplan: 36) und Pflegebedürftigen (Aktionsplan: 54). Andere Neutralformen bezeichnen Opfer und Täter zugleich, beispielsweise Jugendliche im folgenden Zitat: 164 (80) „Fragen zu sexueller Gewalt bei Jugendlichen 128 beinhaltet die im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchgeführte repräsentative Befragung zur Jugendsexualität.“ (Aktionsplan: 57) Zusammenfassend können wir zur Verwendung von Neutralformen feststellen, dass sie zum überwiegenden Teil Opfer von Gewalt und sonstige Personen bezeichnen. Bezugnahmen auf Täter kommen erheblich seltener vor. 129 Die meisten Neutralformen machen Lexikalisierungen von Begriffen aus. Eine Erklärung der hohen Präsenz der Opfergruppe bei den Neutralformen liegt darin, dass einige solche geschlechtsneutrale Lexeme oft gerade Opfer bezeichnen. Dies gilt vor allem für das Lexem Opfer, aber auch für Lexeme wie Kind, Mensch, Eltern und Jugendliche. Bei einzelnen Neutralformen liegen maskuline konkurrierende Sprachformen vor. Die Verwendung solcher Neutralformen kann eventuell auf eine Neutralisierungsstrategie hindeuten, obwohl man dies am Text selbst nicht endeutig belegen kann. 130 Sie bezeichnen fast ausschließlich sonstige Personen. Nur in einem Fall, Pflegebedürftigen (Aktionsplan: 54), wird eine solche Neutralform zur Bezeichnung der männlich assoziierten Gruppe der Täter benutzt. Viele Neutralformen sind Lexikalisierungen, bei denen keine maskulinen oder beidbenannten Synonyme vorliegen. Sie deuten daher wahrscheinlich nicht auf Neutralisierungsstrategien hin. Deswegen richten wir im Folgenden das Augenmerk auf die geschlechtsübergreifenden Maskulina und Beidbenennungen. Bis auf zwei Belege sind alle Beidbenennungen in diesem Text als Vollformen realisiert, so zum Beispiel Täterinnen und Täter (Aktionsplan: 9). Sie enthalten sowohl die maskuline als auch die feminine movierte Form in ihrer Vollständigkeit. Ausnahmen davon bilden die zwei Belege Ansprechpartnerinnen und -partner (Aktionsplan: 12) und Maßregelvollzugspatientinnen und 128 Fettdruck hier und in nachfolgenden Zitaten aus Aktionsplan aus dem Original übernommen. 129 Dabei sind die Grenzen dieser Personenkategorien nicht immer trennscharf. Im folgenden Zitat kann man nicht eindeutig festlegen, ob Hilfe- und Pflegebedürftige der Kategorie der Gewaltopfer oder einer allgemeinen Kategorie zuzuordnen sind: „Hilfe- und Pflegebedürftige sind in besonderem Maße verletzlich und angreifbar und in ihren Möglichkeiten, sich um Hilfe und möglicherweise um eine Verfolgung des Täters oder der Täterin zu bemühen, vielfach stark eingeschränkt.“ (Aktionsplan: 29) 130 Für folgende Neutralformen liegen jedoch maskuline (und beidbenannte) Synonyme vor: drei Vorkommen von Ansprechpersonen (= Ansprechpartner) (Aktionsplan: 12, 25, 40), Beteiligte (= Teilnehmer) (Aktionsplan: 52), Betreuungs- und Assistenzpersonen (= Betreuer, Assistent) (Aktionsplan: 9), Hilfe- und Pflegebedürftige (= Patient) (Aktionsplan: 29), Lehrkräfte (= Lehrer) (Aktionsplan: 52), vier Belege von Mitarbeitende (= Mitarbeiter) (Aktionsplan: 20, 23, 49, 50), zwei Vorkommen von Pflegebedürftige (= Patient) (Aktionsplan: 29, 54), zwei Belege von Pflegende (Aktionsplan: 29, 54), Pflegekräfte (= Pfleger) (Aktionsplan: 52) und ein zu Pflegende (= Patient) (Aktionsplan: 54). Das drei Mal im Plural vorkommende Präsenspartizip Reisende/ Reisenden (Aktionsplan: 20) wird allerdings nicht zu dieser Kategorie von Neutralformen gezählt, da es im Text nicht synonym mit Fahrgast oder Passagier benutzt wird. 165 -patienten (Aktionsplan: 36). Sämtliche dieser Beidbenennungen machen folglich die weiblichen Referenten explizit sichtbar. Beidbenennungen werden zur Bezeichnung sämtlicher der drei zentralen Personengruppen (Opfer der Gewalt, Täter, sonstige Personen) benutzt. Allerdings lässt sich eine ähnliche Tendenz wie bei den Neutralformen erkennen. Die überwiegenden Mehrheit der Vorkommen bezeichnet nämlich sonstige Personen. In dieser Kategorie befinden sich Personenbezeichnungen wie beispielsweise Ärztinnen und Ärzte (Aktionsplan: 12), Richterinnen und Richter (Aktionsplan: 50) sowie Expertinnen und Experten (Aktionsplan: 64), die alle auch als geschlechtsübergreifendes Maskulinum hätten realisiert werden können. Demgegenüber bezeichnet lediglich eine Beidbenennung die Opfer der Gewalt: Migrantinnen und Migranten (Aktionsplan: 23). Dies ist ein interessanter Befund, da gerade die Gewaltopfer eher weiblich konzeptualisiert sind. Die aktuelle Textstelle thematisiert ein Internetportal, das jungen Menschen, die sexuelle Gewalt erfahren haben, Online-Beratung anbietet: (81) „Die netzcheckers-Redaktion hat junge Migrantinnen und Migranten als besondere Zielgruppe des Portals erkannt.“ (Aktionsplan: 23) Unter den Beidbenennungen, die Gewalttäter bezeichnen, wird in beinahe sämtlichen Fällen der Begriff Täter benutzt, wie zum Beispiel Täterinnen und Täter (Aktionsplan: 9). Die einzige Ausnahme ist Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten (Aktionsplan: 36). Von den 32 geschlechtsübergreifenden Maskulina bezeichnen 25 Gewalttäter bezeichnet, während sonstige Personen erheblich seltener und Opfer in keinem Fall bezeichnet wird. 131 Ein Vergleich zwischen den Maskulina, Neutralformen und Beidbenennungen vor dem Hintergrund der drei zentralen Personengruppen ergibt folgendes Bild. Auf Täter wird insgesamt 46 Mal geschlechtsübergreifend referiert. Von 131 Sieben Belege bezeichnen sonstige Personen und 25 Belege Täter. Unter den Letztgenannten sind elf Belege die Personenbezeichnung Täter, die das ‚Täter’-Konzept lexeminhärent beinhalten. Diese kommen entweder selbständig wie in Täter (zum Beispiel Aktionsplan: 7, 13, 16, 29, 30, 31, 60) oder als Hauptwort in den Substantivkomposita Gewalttätern (Aktionsplan: 56), Sexualstraftätern (Aktionsplan: 36) und Straftätern (Aktionsplan: 35) vor. Weitere Maskulina, die Täter bezeichnen, sind sieben Vorkommen der Personenbezeichnung Partner (3, 10, 11, 13, 18), ein Vorkommen von Ex-Partner (Aktionsplan: 10). Hier finden sich auch ein Vorkommen von (Ex-)Partner (Aktionsplan: 11), drei Vorkommen des substantivierten Perfektpartizips im Maskulinum Singular Verurteilter (Aktionsplan: 35, 36), ein Vorkommen von Menschenhändlern (Aktionsplan: 36) sowie ein Vorkommen von Mitarbeiter (Aktionsplan: 72). Die restlichen sieben maskulinen Personenbezeichnungen referieren auf sonstige Personen: ein Vorkommen von Experten im Bereich der Gewaltforschung (Aktionsplan: 74), zwei Belege von Ehegatten (Aktionsplan: 38), ein Vorkommen von Angehörigen der Gewaltopfer (Aktionsplan: 31), Zeugen von Gewalt (Aktionsplan: 33) sowie ein Vorkommen der dem Verurteilten nach seiner Entlassung zur Verfügung gestellten Bewährungshelfer (Aktionsplan: 35) und ein Beleg von Therapeuten (Aktionsplan: 36). 166 diesen Vorkommen sind 13 Neutralformen, acht Beidbenennungen und 25 Maskulina. 132 Unter den 90 Personenbezeichnungen, die sonstige Personen bezeichnen, sind 32 Beidbenennungen, 51 Neutralformen und sieben Maskulina. Demgegenüber finden sich unter den 103 geschlechtsübergreifenden Bezugnahmen auf Opfer 102 Neutralformen, eine Beidbenennung und kein Maskulinum. Die Dominanz der Neutralform hier fällt auf. Wir können somit erstens festhalten, dass zur Bezeichnung der Täter das Maskulinum am häufigsten Verwendung findet. Zweitens ist Täter die Personenkategorie, zu deren Benennung die meisten Maskulina benutzt werden. 133 Zugleich ist die Personenkategorie der Täter zu Männern stereotypisiert. Deshalb sind nachfolgend Maskulina und Beidbenennungen im Fokus, besonders die mit Referenz auf Täter. Wann werden mit anderen Worten Täter mit welchem Realisierungstyp benannt? Zwischen den Vorkommen unterschiedlicher Realisierungstypen zur Bezeichnung von Tätern besteht ein Spannungsverhältnis, das man unter anderem durch die Stereotypisierung der Täter als Männer erhellen kann. Schon das Vorwort der zuständigen Ministerin stereotypisiert die Täter als Männer: (82) „Dabei wird Gewalt gegen Frauen überwiegend durch Männer und vor allem durch den Partner im häuslichen Bereich verübt.“ (Aktionsplan: 3) Obwohl hier Täter zu Männern und insbesondere zu männlichen Partnern assoziiert werden, präsupponiert die Formulierung „überwiegend durch Männer“, dass nicht nur Männer Täter sind. Dagegen ist die Referenz der Personenbezeichnung Partner in (82) nicht eindeutig geschlechtsübergreifend. Daher ist dieses Vorkommen von Partner als höchstwahrscheinlich geschlechtsübergreifend einzustufen. Die Schwierigkeit, die Referenz dieses Maskulinums festzulegen, selbst in einem Kotext wie diesem, stellt einen deutlichen Beweis für die referenzielle Opakheit maskuliner Personenbezeichnungen dar (vgl. Dittmann 2002: 75). Auch die zweite geschlechtsübergreifende Bezugnahme auf Täter im Haupttext 134 erfolgt durch ein Maskulinum: 132 Dabei werden unter den Neutralformen mit fünf Vorkommen lediglich Täter und mit acht Vorkommen Täter und Opfer zugleich bezeichnet. 133 Allerdings werden Täter in acht Fällen mit Beidbenennung bezeichnet, während Maskulinum in sieben Fällen zur Bezeichnung sonstiger Personen herangezogen wird. Die Verwendung des Maskulinums deckt sich demzufolge nicht in sämtlichen Fällen mit der Bezugnahme auf die Gruppe der Täter. 134 Es wird jedoch ein Mal im Text vor diesem Beleg durch Beidbenennung (Tätern und Täterinnen) auf Täter Bezug genommen (vgl. Aktionsplan: 6). Dieses Vorkommen kommt als Teil einer Kapitelüberschrift im Inhaltsverzeichnis vor und wird deswegen nicht zu den Belegen im fortlaufenden Text gezählt. 167 (83) „Die Täter sind überwiegend Männer, viele der Taten geschehen im nahen sozialen Umfeld.“ (Aktionsplan: 7) Die Referenz von Täter ist eindeutig als geschlechtsübergreifend zu verstehen, da die Formulierung „überwiegend Männer“eine Menge weiblicher Täter präsupponiert. Täter in (83) befindet sich im Unterabschnitt „1.1 Wo liegen die neuen Herausforderungen? “ des Abschnitts „1. Einleitung“. Dieser Abschnitt stellt Gewalt gegen Frauen allgemein dar, unter anderem unter Hinzuziehung „der breit angelegten Studie ‚Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland’ im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Repräsentativuntersuchung)“ (Aktionsplan: 7). Diese Studie wird wiederholt als Legitimationsquelle für die Aussagen über Gewalt gegen Frauen verwendet. Dies kann man in Foucaults (2007: 18) Verständnis als einen Kommentar ansehen, als einen Zirkulationsmechanismus zwischen Diskursen. Die Hinzuziehung dieser Studie zeigt auch die intertextuelle Einbindung des Aktionsplans an. Wie in (82) findet an dieser Stelle eine deutliche Assoziierung der Täter mit Männern statt. Auch hier korreliert dieser textsemantische Aspekt mit der Verwendung des Maskulinums. Die explizite Inbeziehungsetzung von Tätern und Männern an diesen beiden Textstellen ist hier besonders wichtig für den Text, denn sie umreißen das Thema einleitend für die weiteren Ausführungen. Daher kann man die Täterbenennungen Partner (82) und Täter (83) als textsemantische Schlüsselstellen ansehen: Sie sind entscheidend für die Konzeptualisierung der Tätergruppe nicht nur an diesen beiden Textstellen, sondern für das Programm überhaupt. Dabei ist folgender Punkt für die Beziehung zwischen Realisierungstyp der Personenbezeichnung und textsemantischen Aspekten zentral: Gerade bei Verwendung des Maskulinums findet eine Darstellung der Täter als überwiegend männlich statt. Bei den restlichen geschlechtsübergreifenden Maskulina, die Täter bezeichnen, ist eine ähnliche männliche Stereotypisierung nicht explizit. Diese kommt stattdessen, wegen der am Anfang vollzogenen männlichen Stereotypisierung der Täter, als implizit mitschwingende Bedeutung im Text vor. Dies ist zum Beispiel beim folgenden Vorkommen von Partner der Fall: (84) „Frauen, die in Kindheit und Jugend selbst häufig oder gelegentlich Opfer von körperlicher Gewalt durch Erziehungspersonen wurden, waren dreimal so häufig wie andere Frauen später von Gewalt durch den Partner betroffen.“ (Aktionsplan: 10) Dabei sind sämtliche geschlechtsübergreifende Verwendungen der Begriffe Partner und Ex-Partner 135 Maskulina. Der Partner stellt somit eine besondere 135 Es handelt sich um insgesamt neun Vorkommen von Partner oder Ex-Partner. 168 Kategorie der Täter dar. Der Begriff ‚Täter’ kommt hingegen sowohl geschlechtsübergreifend maskulin als auch beidbenannt vor. Der maskuline Realisierungstyp des Begriffs ‚Täter’ wird mehrmals geschlechtsübergreifend verwendet, einschließlich des explizit männlich assoziierten Vorkommens Täter in (83). 136 Die ebenso maskulinen Gewalttätern, Sexualstraftätern und Straftätern werden je ein Mal geschlechtsübergreifend benutzt. Nur ein Mal bei Verwendung des Begriffes ‚Täter’ findet eine explizite männliche Stereotypisierung der bezeichneten Personengruppe statt, und zwar in (83). Wichtig dabei ist auch, dass das Maskulinum Täter und andere maskuline Personenbezeichnungen (zum Beispiel Väter, Männer), die auf Täter referieren wird, an etlichen Stellen eine geschlechtsspezifisch männliche Referenz vollziehen. Dies ist ein Ausdruck für die Assoziierung der Tätergruppe mit Männern. Ein Beispiel dafür, wie nah aneinander die geschlechtsübergreifende und die geschlechtsspezifische männliche Bezugnahme liegen, findet sich in einem kurzen Teilabschnitt mit der Überschrift: (85) „Die Täter in die Verantwortung nehmen und auf Verhaltensänderungen hinwirken“ (Aktionsplan: 13). Täter ist in (85) am ehesten als geschlechtsübergreifend zu verstehen. Dies kann man so begründen, dass es sich um eine allgemeine Aussage zum Thema Arbeit mit Tätern handelt und dass die Tätergruppe nicht ausschließlich aus Männern besteht. Dem aktuellen Textabschnitt zufolge ist Arbeit mit Tätern nur in Ansätzen vorhanden, abschließend werden jedoch ein paar Beispiele für die Arbeit mit Tätern genannt: (86) „z.B. die Adressierung von gewalttätigen Männern als Väter und die Entwicklung von Bausteinen für Täterprogramme, die sich an Männer mit Migrationshintergrund wenden.“ (Aktionsplan: 13) In (86) wird folglich die Tätergruppe, die schon in der Überschrift Erwähnung findet, zweimal aufgegriffen: Einmal als gewalttätige Väter und einmal als Männer mit Migrationshintergrund. In beiden Fällen sind es somit nur männliche Täter, mit denen das Täterkollektiv in diesem Teilabschnitt konkretisiert wird. An diesem Beispiel wird also Konzeptualisierung von Tätern als Männer deutlich. Während der maskuline Realisierungstyp von Täter insgesamt achtmal benutzt wird, findet der beidbenannte Realisierungstyp von Täter siebenmal Verwendung. Darüber kommt die Beidbenennung Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten einmal zur Bezeichnung von Tätern vor. Ein Vergleich zwischen sämtlichen 25 maskulinen Personenbezeichnungen mit Referenz auf Tätern und sämtlichen acht beidbenannten Personenbezeichnungen mit ge- 136 In insgesamt acht Fällen. 169 schlechtsübergreifender Referenz auf Täter ergibt Folgendes: In sechs von acht Fällen werden Beidbenennungen in ihrem Kotext nicht explizit mit irgendeiner der beiden Geschlechtergruppen assoziiert. In zwei Fällen jedoch werden sie explizit mit weiblichen Personen assoziiert (siehe Belege (92) und (93) unten). Unter den maskulinen, geschlechtsübergreifend Personenbezeichnungen mit Referenz auf Tätern finden explizite Assoziierungen zu Männern in zwei Fällen statt (siehe Belege (82) und (83), während eine Assoziierung zu weiblichen Tätern in einem Fall erfolgt, und zwar in (94). Die Beidbenennungen kommen in den meisten Fällen entweder in Überschriften mit genereller Bezugnahme auf das Täterkollektiv oder dort vor, wo Täter eher weiblich stereotypisiert werden. Drei Vorkommen der Beidbenennung Tätern und Täterinnen (Aktionsplan: 6, 15, 47) finden sich in Wiederholungen ein und derselben Abschnittsüberschrift: 137 (87) „2.6 Arbeit mit Tätern und Täterinnen“ (Aktionsplan: 47). Der Abschnitt „2.6 Arbeit mit Tätern und Täterinnen“ (Aktionsplan: 47-49) steht im Fokus der folgenden Überlegungen. Mann kann nämlich anhand des Abschnittes die semantisch-konzeptuelle Nähe zwischen geschlechtsübergreifender Referenz auf Täter und geschlechtsspezifisch männlicher Referenz auf Täter erörtern. Sowohl die Überschrift wie auch der erste Satz des Abschnittes referiert mit einer Beidbenennung auf Täter: (88) „Die Adressierung von Tätern und Täterinnen ist gerade bei der frühzeitigen Intervention gegen Gewalt an Kindern und Frauen ein wichtiger Baustein.“ (Aktionsplan: 47) Weibliche und männliche Täter werden somit hier explizit benannt. Da diese Belege in der Überschrift bzw. im ersten Satz des Abschnitts stehen, kann man ihnen auch ein besonderes Gewicht zuschreiben - die Textstellen führen nämlich allgemein ins Abschnittsthema ein. Gleich unten, in der konkreten Beschreibung der Arbeit mit Tätern, findet sich jedoch folgende Aussage. Bei Täterarbeit handelt es sich demnach um (89) „Maßnahmen, die gezielt und strukturiert Gewalthandlungen von Männern gegenüber ihren (Ex-)Partnerinnen bearbeiten.“ (Aktionsplan: 47) In diesem kurzen Abschnitt werden bei Bezugnahme auf Täter abwechselnd die maskulinen Personenbezeichnungen Beschuldigter, Männer, Täter, Teilnehmer und Väter verwendet. Sie kommen alle in der relativ konkreten Beschreibung 137 Diese drei Vorkommen kann man auch als ein und denselben Beleg ansehen, der an drei Textstellen wiederholt wird. 170 von Täterprogrammen für Männer vor. Daher kann man auf die geschlechtsspezifisch männliche Referenz dieser Vorkommen schließen. Der Abschnitt endet indessen mit einer allgemeineren, hinausblickenden Bemerkung zur Arbeit mit Tätern im Kontext der Europäischen Union: (90) „Mittels Kofinanzierung fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend spezielle EU-Projekte zur Arbeit mit Tätern und Täterinnen.“ (Aktionsplan: 49) Aufs Neue findet in einem allgemeiner referierenden Kotext die Beidbenennung Verwendung. Dadurch wird die Einbeziehung weiblicher und männlicher Personen in die Arbeit mit Tätern sprachlich explizit. Die Analyse dieses Abschnittes zeigt folglich den sprachlich markierten Unterschied zwischen der generellen Konzeptualisierung der Täter als Frauen und Männer und der konkreten Konzeptualisierung von Tätern als Männern an. Aktionsplan zeichnet sich aber generell durch eine enge Verbindung zwischen Tätern allgemein und ausschließlich männlichen Tätern. Die sprachliche Formengleichheit zwischen geschlechtsspezifischen und geschlechtsübergreifenden Maskulina verstärkt nämlich diese Verbindung. Abgesehen von diesen Beidbenennungen, (87), (88) und (90), kommen noch drei Beidbenennungen vor, die Täter bezeichnen. Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten (Aktionsplan: 36) referiert auf verurteilte Personen (eine bestimmte Kategorie von Tätern). Dabei erfolgt im Kotext dieses Vorkommens keine explizite Assoziierung zu einer Geschlechtergruppe. Die Referenz ist nicht-spezifisch und betrifft weibliche wie männliche Maßregelvollzugspatienten allgemein: (91) „Bestehende Möglichkeiten der ambulanten psychiatrischen, psychologischen oder sozialtherapeutischen Betreuung und Nachsorge für Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten und Haftentlassene, insbesondere durch forensische Ambulanzen, wurden in die rechtlichen Regelungen der Führungsaufsicht einbezogen.“ (Aktionsplan: 36) Darüber hinaus finden sich im Aktionsplan noch zwei Beidbenennungen von ‚Täter’ (92, 93). In beiden Fällen sind die Referenten weiblich assoziiert: (92) „Die Täterinnen und Täter kommen überwiegend aus dem nahen sozialen Umfeld der Frauen. Übergriffe und sexualisierte Gewalt werden nicht selten von Personen, welche die Pflege übernehmen, ausgeübt.“ (Aktionsplan: 9) (93) „Pflegebedürftige und Pflegende sind - in stationären Einrichtungen, aber auch im häuslichen Bereich - in der Mehrheit Frauen. Hilfe- und Pflegebedürftige sind in besonderem Maße verletzlich und angreifbar und in ihren Möglichkeiten, sich um Hilfe und möglicherweise um eine Ver- 171 folgung des Täters oder der Täterin zu bemühen, vielfach stark eingeschränkt.“ (Aktionsplan: 29) Bei (92) liegt keine explizite Assoziierung der Tätergruppe Frauen vor. Trotzdem lässt sich behaupten, dass es sich bei den mit Täterinnen und Täter benannten Personen zumindest zu einem erheblichen Teil um weibliche Täter handelt. Erstens können wir als textexternes Argument dafür die erhebliche Frauendominanz im Berufsfeld Fürsorge hervorheben. Zweitens lässt sich auch textintern für diese Lesart argumentieren. Im Abschnitt „2.1 Prävention“ (Aktionsplan: 16-30) findet sich eine Sektion zum Thema Gewalt in Pflegebeziehungen wieder, vor allem bei Frauen höheren Alters. Dort werden die Pflegenden explizit als mehrheitlich weiblich dargestellt (siehe (93) oben). Dies erlaubt den Rückschluss auf den Beleg in (92), wo zum ersten Mal im Aktionsprogramm Gewalt in Pflegebeziehungen thematisiert wird, dass auch hier die Mehrheit der Pflegenden Frauen sind. Ein Unterschied zwischen (92) und (93) liegt allerdings darin, dass sich (92) in einem Abschnitt zu „Frauen mit Behinderungen“ (Aktionsplan: 9) befindet. Diesen Rückschluss kann man mithilfe einer Rekontextualisierung (vgl. Linell 1998: 144f.) begründen, und zwar auf folgende Weise: (1) Pflegende und Pflegebedürftige sind mehrheitlich Frauen (93); (2) Übergriffe und sexuelle Gewalt bei behinderten Frauen werden nicht selten von Personen verübt, welche die Pflege übernehmen und aus dem sozialen Umfeld kommen (92); (3) deswegen sind die Personen, welche Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen behinderte Frauen verüben, nicht selten Frauen. Auf dieser Basis lässt sich behaupten, dass das Berufsfeld, zu dem die Täterinnen und Täter (Aktionsplan: 9) gehören, implizit weiblich assoziiert ist. Die Verwendung der Beidbenennung korreliert hier folglich mit der Assoziierung der Täter mit Frauen. Der Beleg (93) befindet sich demgegenüber in einem Kotext, der explizit die Tätergruppe als mehrheitlich weiblich darstellt. An dieser Stelle korreliert die Verwendung der Beidbenennung des Begriffs Täter mit der Assoziierung dieser Gruppe zu (mehrheitlich) Frauen. Zwei Eigenschaften unterscheiden allerdings (93) von sämtlichen anderen Beidbenennungen in diesem Text: Zum einen wird hier die Singularform verwendet, zum anderen sind maskuline und feminine Wortform nicht durch die Konjunktion und, sondern oder verknüpft. Die Referenz von Täters/ Täterin ist zwar nicht-spezifisch, da es sich um keinen spezifischen Täter handelt. Dennoch stellt die Singularform einen höheren Grad an Konkretisierung des geschilderten Szenarios dar. So kann man wahrscheinlich auch die Verwendung der Konjunktion oder an dieser Stelle erklä- 172 ren, denn die Konjunktion und würde hier die Verfolgung zweier Personen andeuten und so der szenischen Konkretisierung der Situation zuwider laufen. In diesem Zusammenhang ist auch das folgende geschlechtsübergreifende Maskulinum interessant: (94) „Soweit der Blick sich auf das Thema Gewalt in Pflegebeziehungen richtet, sind die potenziellen Täter wie die möglichen Opfer mehrheitlich Frauen.“ (Aktionsplan: 29) Auch hier findet eine Assoziierung der Gewalttäter in Pflegebeziehungen mit Frauen statt, diesmal aber bei Verwendung eines Maskulinums. Eine Gegenüberstellung der Beidbenennung Täters/ Täterin (93) und des geschlechtsübergreifenden Maskulinums Täter (94) fördert prinzipiell Interessantes zutage. In den zwei unterschiedlichen Benennungsweisen - Maskulinum bzw. Beidbenennung - lassen sich zwei einander entgegen gesetzte Benennungsprinzipien veranschaulichen. Unter Berücksichtigung des Nahkotexts von Täters/ Täterin (93) kann man an dieser Stelle nur mit Beidbenennung oder mit einer anderen Sprachform, die beide Geschlechter sichtbar macht, eine eindeutig geschlechtsübergreifende Referenz auf Täter vollziehen. 138 Dagegen scheint bei Täter (94) ein sprachökonomisches Prinzip entscheidend zu sein. Die Formulierung „mehrheitlich Frauen“ als Prädikativ ergibt eine eindeutig geschlechtsübergreifende Referenz von Täter. Daher würde eine Beidbenennung statt des Maskulinums an dieser Stelle referenzlinguistische Redundanz herbeiführen. 139 Den Unterschied im Benennungsverfahren zwischen (93) und (94) kann man durch die erste Konversationsmaxime der Quantität bei Grice erklären: „Make your contribution as informative as is required [...].“ (Grice 1975: 45) Auch die zweite Konversationsmaxime der Modalität ist relevant: „Avoid ambiguity [...].“ (ebd.: 46) Was das eindeutig geschlechtsübergreifende Maskulinum Täter in (94) angeht, lässt sich das Nicht-Vorhandensein einer Benennung, die beide Geschlechter sichtbar macht, durch die zweite Konversationsmaxime der Quantität erklären: „Do not make your contribution more informative than is required.“ (ebd.: 45) Die jeweilige Wahl des Realisierungstyps in (93) und (94) ist daher auf ein Relevanzprinzip in Bezug auf Informativität zurück zu führen (vgl. Sperber und Wilson 1995: 122). Zusammenfassend können wir die Verwendung der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen im Aktionsplan auf folgende Weise erfassen. Ein eindeutiges Muster in der Variation der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen lässt sich an diesem Text nicht feststellen. Jede der Perso- 138 Möglich wäre beispielsweise auch eine Formulierung wie „des weiblichen oder männlichen Täters“. 139 Zum Beispiel wie folgt: „Soweit der Blick sich auf das Thema Gewalt in Pflegebeziehungen richtet, sind die potenziellen Täter und Täterinnen wie die möglichen Opfer mehrheitlich Frauen.“ 173 nenkategorien (Gewalttäter, Gewaltopfer und sonstige Personen) wird an zumindest einer Stelle mit jedem der Realisierungstypen Neutralform, Maskulinum und Beidbenennung bezeichnet. Allerdings hat sich ein interessanter Befund ergeben, und hierdurch kann man die Zuordnung dieses Textes zu dem Variationsmuster dieses Kapitels begründen: Erstens findet bei Bezugnahmen auf Täter, zugleich die einzige männlich stereotypisierte Personengruppe, Maskulinum häufiger als bei den zwei anderen Personenkategorien Verwendung. Zweitens werden die meisten Maskulina zur Benennung von Tätern benutzt. Der häufige Gebrauch des Maskulinums korreliert demzufolge mit der Assoziierung der Täter mit Männern. Dabei werden Täter durchgehend nicht als ausschließlich, sondern als mehrheitlich männlich dargestellt. Ein Ausdruck für die konzeptuell-semantische Nähe zwischen der allgemeinen, geschlechtsübergreifenden Darstellung von Tätern und der geschlechtsspezifisch männlichen Darstellung von Tätern findet sich in dem Umstand, dass beide häufig mit Maskulinum bezeichnet werden und die tatsächliche Referenz dieser Maskulina (ob geschlechtsübergreifend oder geschlechtsspezifisch männlich) nicht in jedem Fall erschließbar ist. Es ist nicht die Verwendung des Maskulinums an sich, die eine männliche Stereotypisierung der Tätergruppe herstellt. Die Stereotypisierung ergibt sich vor allem dadurch, dass die Täter explizit an einigen zentralen Stellen im Vorwort und in der Einleitung des Aktionsplans als mehrheitlich männlich konzeptualisiert werden. Ausgehend von den zahlreichen Perzeptionsstudien zum Maskulinum im Deutschen (vgl. Kapitel 1.4) liegt allerdings die Annahme nahe, dass gerade die Verwendung des Maskulinums die empfängerseitige Konzeptualisierung der Täter als hauptsächlich Männer verstärken kann. Solche Konzeptualisierungen sind aber kognitive Phänomene und am Text an sich nicht ablesbar. Die nachgewiesene Existenz solcher empfängerseitigen Konzeptualisierungen widerlegt jedoch nicht das geschlechtsübergreifende Referenzpotenzial des Maskulinums an sich. Selbst in einem behördlichen Text wie Aktionsplan, mit einem hohen Grad an sprachlicher Gleichbehandlung, kommt das geschlechtsübergreifende Referenzpotenzial des Maskulinums häufig zum Tragen. Beidbenennungen ihrerseits werden bei Bezugnahme auf Täter vor allem dort benutzt, wo die Tätergruppe zu weiblichen Personen assoziiert werden, oder an Textstellen, an denen generalisierend und allgemein auf die Tätergruppe Bezug genommen wird. Beispiele dafür sind das Inhaltsverzeichnis und die Überschrift eines Teilabschnitts. Man kann hier somit Hellingers (1990: 61) Begriff soziales Geschlecht heranziehen, um zu erklären, dass gerade maskuline Personenbezeichnungen relativ häufig auf Täter referieren. 6.2.2.3 ZtG Ein weiteres Beispiel für die Verwendung des geschlechtsübergreifenden Maskulinums bei Bezugnahme auf männlich stereotypisierten Personengruppen 174 findet sich in der Publikation „Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien. Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin“ (2007) (kurz: ZtG). Diese Drucksache steht im Mittelpunkt der nachfolgenden Analyse, und zwar nicht nur wegen der interessanten Variation unter den Personenbezeichnungen, sondern auch aus einem weiteren Grund: Dieser Text enthält einen bestimmten Realisierungstyp der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnung, der an keiner anderen Stelle in den Quellentexten vorkommt. Dieser Realisierungstyp, am ehesten als Neuerung zu verstehen, lässt sich als Unterstrichvariante bezeichnen und sieht folgendermaßen aus: Student_innen. ZtG präsentiert das Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität Berlin sowie die dortige Forschung und Lehre. ZtG gliedert sich wie folgt: „Was sind Gender Studies? “ (ZtG: 7-10), „Was machen wir inhaltlich? “ (ZtG: 11-26), „Wie arbeiten wir? “ (ZtG: 27-32), „Was bietet das Studium Geschlechterstudien? “ (ZtG: 33-39), „Mit und in den Gender Studies promovieren? “ (ZtG: 39-40), „Wo kommen wir her? “ (ZtG: 40-41), „Wo wollen wir hin? “ (ZtG: 42-43), „Service“ (ZtG: 44-48). Damit vollzieht der Text eine Themenentfaltung, die in einer inhaltlichen Beschreibung des Faches Gender- Studien ansetzt und danach Fragen zum Studium am ZtG und zum eigentlichen Institut (dessen Organisationsformen, Mitgliedern, Geschichte und Zukunft) aufgreift. Die Broschüre schließt mit praktischen Hinweisen und Kontaktinformationen. Die gesamte Publikation ist als eine Texteinheit zu verstehen. Sie zeichnet sich nämlich durch zwei hauptsächliche Textfunktionen aus, hat ein einfach abgegrenztes Thema zum Gegenstand und enthält keine Textbegrenzungssignale, die auf eine Lesart der verschiedenen Abschnitte als jeweils separater Texte schließen lassen. Auch dieser Text ist allerdings durch die vielen intertextuellen Bezüge nur bedingt als abgeschlossene kommunikative Einheit anzusehen. Die Verortung des Textes in einem wissenschaftlichen Diskurs zum Feminismus und Queertheorien ist auffällig. Der Text realisiert neben der Informationsfunktion auch die Appellfunktion, weil ZtG Züge eines Werbetexts hat. Das übergreifende Thema spiegelt sich im Titel der Publikation wider und zerfällt in die Unterthemen, die in den Abschnittsüberschriften formuliert sind (siehe oben). Diese Themen greifen jedoch deutlich ineinander und bauen aufeinander auf. ZtG ist am ehesten als Informationstext zu bestimmen. Etwas spezifischer kann man ihn als direktiv definieren. Direktive Texte zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich als Informationstexte geben: „Die direktive Textfunktion ist implizit, aber durch den Rückgriff auf außersprachliche Merkmale (Situation und Weltwissen, z.B. dass die positive Darstellung kein Selbstzweck ist) für den Rezipienten leicht zu ermitteln.“ (Hundt 2000: 655) Da der Absender (Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien) von ZtG und das übergreifende Thema zusammenfallen, handelt es sich folglich um eine institutionelle Selbstdarstellung. Daher liegt es nahe, dass in Bezug auf inhaltliche sowie sprachliche 175 Textgestaltung, Bildwahl, Layout, Format et cetera in diesem Prospekt das vom Zentrum selbst gewollte Image hergestellt worden ist. Es ist die Intention dieses Textes, ein positives Bild zu vermitteln, damit Studierende, Forschende und möglicherweise auch Fördernde angelockt werden, auch wenn diese Ambition an keiner Stelle im Text explizit zum Ausdruck kommt. Den deutlich appellativen Charakter des Textes zeigen unter anderem die Fragen, welche am Rande einiger Seiten auftauchen und den Text begleiten. Das sind zum Beispiel Fragen, die an potenzielle Studierende gerichtet sind. Unter der Überschrift „Mit und in den Gender Studies promovieren“ (ZtG: 39- 40) befinden sich folgende Fragen, bei denen sich neugierige Leser und Studierende mit dem ich identifizieren können: (95) „In welchen Fächern kann ich an der Humboldt-Universität mit einem Gender-Thema promovieren? “ (ZtG: 39) (96) „Kann ich auch in Gender Studies promovieren? “ (ZtG: 39) Die inhaltlichen Zugänge zum Fach Gender-Studien sind noch dadurch konkretisiert, dass unter den Unterrubriken im Abschnitt „Was machen wir inhaltlich? “ (ZtG: 11-26) einzelne Forschende unterschiedliche thematische Schwerpunkte des Fachprofils exemplifizieren. Unter der Überschrift „Transformationen“ findet sich folgende Präsentation: (97) „Eine erweiterte Perspektive auf institutionelle und gesellschaftliche Wandlungsprozesse ermöglicht die Forschung von HILDEGARD MARIA NICKEL 140 , die sie gemeinsam mit Promovend_innen und Student_innen im Rahmen ihrer Professur zum Zusammenhang von Erwerbs-/ Arbeit und Gender durchführt. Sie untersucht, wie sich die gesellschaftlichen und betrieblichen Transformationsprozesse in Deutschland seit 1989 auf die Geschlechterverhältnisse in Ost und West auswirk(t)en, insbesondere Veränderungen der Erwerbsintegration von Frauen.“ (ZtG: 17) Der Text enthält folgende geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Maskulinum Neutralform Beidbenennung Unterstrichvariante Anzahl 1 14 1 62 78 Tabelle 16: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in ZtG (2007). 140 Großschreibung hier und in nachfolgenden Zitaten aus dem Original übernommen. 176 Die geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen in ZtG realisieren spezifische, nicht-spezifische und generische Referenz. 141 Dabei sind die meisten Neutralformen lexikalisierte Begriffe wie beispielsweise Angehörige und Jugendliche. In allen Kategorien sind die allermeisten Vorkommen Personenbezeichnungen, die zum semantischen Feld des universitären Bereichs gehören, beispielsweise Student_innen, Forscher_innen, Promovend_innen, Postgraduierte (Pl), Autoren, Promovend_innen, Wissenschaftler_innen, Geschlechterforscher_innen, Stipendiat_innen, Absolvent_innen, ZtG-Wissenschaftler_innen, Lehrenden (Pl), Gender-Student_innen, Master-Student_innen, Gender-BA- Absolvent_innen, Gender-Professor_innen, Kollegiat_innen. Auffällig sind die vielen Belege der Unterstrichvariante und die verhältnismäßig wenigen Vorkommen der anderen Realisierungstypen. Alle Unterstrichformen sind nach dem folgenden Muster gebildet: Auf die maskuline Grundform der jeweiligen Personenbezeichnung folgt ein Unterstrich, an den das Movierungssuffix -in (Plural: -innen) angehängt wird: Student_innen. Die textempirische Forschung zu Personenbezeichnungen im Deutschen hat diesen Realisierungstyp allerdings noch nicht belegt (vgl. Andersson 2004, Bühlmann 2002, Castillo Díaz 2003, Decuyper 1995, Demey 2002, Kohlström 2000). 142 Ebenso wenig hat die psycholinguistische Forschung zu Personenbezeichnungen sie getestet (vgl. zum Beispiel Braun et al. 1998, Klein 1988, Rothmund und Scheele 2004). Auch nicht Arbeiten, welche die feministische Sprachkritik und den feministischen Sprachwandel im deutschsprachigen Raum im Überblick darstellen, hat die Unterstrichvariante rezipiert (vgl. Klann-Delius 2005, Samel 2000, Schwarze 2008). Daher können wir darauf schließen, dass es sich bei der Unterstrichvariante um eine sprachliche Neuerung handelt und dass sie im Vergleich zur Beidbenennung noch keine verbreitete Verwendung gefunden hat. In ZtG finden sich keine metasprachlichen Bemerkungen zum Gebrauch der Unterstrichvariante. Die Vermutung, dass die Unterstrichvariante eine auf bestimmte gesellschaftliche Kontexte beschränkte Neuerung sei, wird jedoch von Hornscheidt (2008) bestätigt: „Die Unterstrichform wird bisher vor allem in Internetmedien benutzt und hier vor allem in Blogs, die sich links verorten und zumeist einen 141 So befindet sich beispielsweise Mitglieder in einer Überschrift im Abschnitt „Service“: „Mitglieder des ZtG“ (ZtG: 46). Daraufhin werden die spezifischen Professor_innen, Mitarbeiter_innen und Kollegiat_innen des Graduiertenkollegs Geschlechts als Wissenskategorie namentlich aufgezählt. Diese Personenbezeichnungen beziehen sich alle auf konkrete Personen und referieren mithin spezifisch. Nicht-spezifisch sind hingegen Belege wie beispielsweise Student_innen im folgenden Ausschnitt: „Während des Studiums erwerben Student_innen erste professionelle Erfahrungen mit einem Praktikum im In- oder Ausland in verschiedenen Bereichen [...]“ (ZtG: 35). 142 Auch nicht in den Arbeiten zu Personenbezeichnungen in Stellenanzeigen ist die Unterstrichlösung belegt. Siehe dazu Kapitel 1.3 in dieser Arbeit. 177 akademischen Hintergrund haben. Innerhalb der Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin bekommt die Form momentan eine verstärkte Verwendung und wird hier als strategische ReSignifizierung eines als Zweigeschlechtlichkeit vor- und festschreibenden Sprachgebrauchs verstanden. Es finden sich aber auch Stellenanzeigen, die diese Form verwenden.“ (ebd.: 422) Hornscheidt, die selbst in der hier zitierten Arbeit die Unterstrichvariante benutzt, sieht sie dabei als eine „in den letzten Jahren aufkommende schriftsprachliche Strategie strategischer ReSignifizierung im deutschsprachigen Raum“ (ebd.: 421) an. Der Begriff strategische ReSignifizierung hat sie auf der Basis einer radikal konstruktivistischen Sprach- und Weltauffassung entwickelt (vgl. Hornscheidt 2006, 2007 und 2008). Nach dieser Auffassung existiert keine vorsprachliche Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit werde erst immer erst durch Sprachhandlungen hergestellt und ist somit eigentlich eine Vorstellung von Wirklichkeit. Dieser Sichtweise liegt die Prämisse zugrunde, „dass es ein ursprüngliches Ideal oder Original nicht gibt, sondern jede sprachliche Benennung eine Zitierung ist, die Teil einer Signifikationskette ist.“ (Hornscheidt 2008: 283) Vor diesem Hintergrund sind ReSignifizierungen Umbenennungen von Konstrukten, die erst sprachlich geschaffen sind. Dabei zeichnen sich Hornscheidt strategische ReSignifizierungen „durch einen Bruch mit sozial etablierten Konventionen der Verwendung beispielsweise bestimmter appellativer Praktiken“ (ebd.: 283) aus. Und die sozialen Konventionen, welche die Unterstrichvariante in Frage stellen soll, sind Vorstellungen von Zweigeschlechtlichkeit, das heißt Vorstellungen davon, dass die Geschlechterdichotomie Mann/ Frau ein naturgegebenes Faktum sei: „Der Unterstrich signalisiert Brüche und Leerstellen in als eindeutig vorgestellten Genderkonzepten und irritiert damit eindeutige Wahrnehmungen. Während das Binnen-I beispielsweise die Sichtbarkeit der Gruppe der Frauen in generischen Appellationen erhöhen soll, wird durch den Unterstrich auf die Leerstellen in ebendiesem dichotomen Genderkonzept hingewiesen, die nicht alle gegenderten Lebewesen erfassen kann. Durch den Unterstrich in personalen Appellationsformen wird somit die Vorgängigkeit und Natürlichkeit von Zweigeschlechtlichkeit in Frage gestellt.“ (Hornscheidt 2007: 104f.) 143 Auch Herrmann (2005) verwendet die Unterstrichvariante. Ähnlich wie bei Hornscheidt (2007, 2008) wird sie auch dort metasprachlich begründet. Durch die Gewalt-Metaphorik erfolgt Herrmanns (2005) Begründung entschiedener. Besonders die von Herrmann postulierte Rolle der Sprache als machtvoller Agent ist hier auffällig: 143 Vgl. auch Hornscheidt (2008: 421f.) 178 „Der _ markiert einen Platz, den unsere Sprache nicht zulässt. Er repräsentiert all diejenigen, die entweder von einer zweigeschlechtlichen Ordnung gewaltsam ausgeschlossen werden oder aber nicht Teil von ihr sein wollen. Mit Hilfe des _ sollen all jene Subjekte wieder in die Sprache eingeschrieben werden, die gewaltsam von ihr verleugnet werden.“ (ebd.: 64) Nach Hornscheidt (2007, 2008) und Herrmann (2005) unterschiedet sich somit die Unterstrichvariante von der Beidbenennung in der Hinsicht, dass sie nicht Zweigeschlechtlichkeit impliziert. Die Kritik an der Geschlechterdichotomie geht mit konstruktivistischen Vorstellungen von Geschlecht als einem diskursiven Konstrukt Hand in Hand. Diese Position ist vor allem von Butler (1991) angeregt worden, auf die Hornscheidt (2008: 27) bei der Entwicklung des Begriffs ReSignifizierung rekurriert. Nach Butler (1991) lässt sich kein ausschließlich natürlicher Körper von kulturellen Vorstellungen über ebendiesen Körper unterscheiden (vgl. ebd.: 26). Damit kann man, so Butler, die Geschlechterdichotomie Mann/ Frau als naturgegebene Tatsache nicht aufrechterhalten. Stattdessen geht es darum, selbst die Idee des natürlichen Körpers als diskursive Konstruktion zu verstehen. 144 „Diese Produktion des Geschlechts als vordiskursive Gegebenheit muß umgekehrt als Effekt jenes kulturellen Konstruktionsapparats verstanden werden, den der Begriff ‚Geschlechtsidentität’ (gender) bezeichnet“, stellt Butler (1991: 24) fest. Davon ausgehend würden die Kategorien ‚Mann’ und ‚Frau’ weder Vorgängigkeit (im Verhältnis zur Sprache) noch Natürlichkeit besitzen. Sie wären stattdessen willkürliche Kategorien, und über diese Kategorien hinaus könnten viele andere Geschlechtskonfigurationen möglich sein. Nach Herrmann (2005) und Hornscheidt (2007, 2008) dient die Leerstelle oberhalb des Unterstriches der Vorstellung einer geschlechtlichen Leerstelle, die nicht durch maskuline oder feminine Endungen zu erfassen sei. Aus semiotischer Perspektive ist diese Leerstelle somit kein übliches symbolisches Zeichen. Indem sie vielmehr den konzeptuellen Leerraum in Bezug auf Geschlecht ikonisch abbildet, handelt es sich hier um ein ikonisches Zeichen. Typisch für Ikonizität ist die gestalthafte Ähnlichkeit zwischen abgebildetem Objekt und abbildendem Zeichen. Der leere Raum über dem Strich imitiert so die in Queertheorien angenommene Vielfältigkeit möglicher Geschlechteridentitäten (vgl. Ambjörnsson 2006: 144ff.) als ikonisches Zeichen. In semiotischer Hinsicht unterscheidet sich die Unterstrichform damit von sämtlichen anderen in diesem Buch belegten Realisierungstypen der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnung, denn diese enthalten ausschließlich symbolische Zeichen. 144 Es kann in diesem Zusammenhang nicht ausführlich auf die auch im feministischen Diskurs hervorgebrachte Kritik gegen queertheoretische Annahmen vom Körper als diskursiver Konstruktion nicht eingegangen werden. Siehe dazu zum Beispiel Benhabib (1995: 236ff.) und Landweer (1994: 165f.) 179 Wenn man eine Person, deren Geschlechtsidentität nicht durch das Zweigeschlechtermodell erfasst werden kann, weder mit Maskulinum noch Femininum bezeichnen kann, so heißt dies im Umkehrschluss auch, dass Feminina nur Frauen und Maskulina nur Männer bezeichnen können oder sollen. Die Argumentation bei Herrmann (2005) und Hornscheidt (2007, 2008) fußt mit anderen Worten auf einer Gleichsetzung der grammatischen Kategorie Genus und der biologischen und/ oder sozialen Kategorie Geschlecht. Hornscheidt bestätigt aber durch ihre eigenen Einwände gegen die Unterstrichvariante implizit die Auffassung, dass das Maskulinum Männer und das Femininum Frauen bezeichne. Sie stellt dabei Folgendes fest: „In der Verwendung von genau einem Unterstrich kann aber zusätzlich auch eine polare gegenderte Zuordnung hineingelesen werden, die ‚irgendwo in der Mitte’ eine Leerstelle aufweist.“ (Hornscheidt 2008: 423) 145 Bei einer solchen Interpretation der Unterstrichvariante liegt nach Hornscheidt nahe, dass man Zweigeschlechtlichkeit als den eigentlichen Bezugsrahmen ansieht. Folglich würde die Unterstrichvariante wiederum das Zweigeschlechtsmodell bestätigen, obwohl genau das Gegenteil die Absicht ist. Um festzustellen, dass die Unterstrichvariante das Zweigeschlechtermodell bestätigt, ist jedoch eine Prämisse notwendig, die weder Hornscheidt (2007, 2008) noch Herrmann (2005) formuliert. Die Prämisse lautet, dasss in diesem Zusammenhang das Femininum nur Frauen, das Maskulinum nur Männer bezeichnen könne. Diese Gleichsetzung von sprachlichem Genus und biologischem Geschlecht im Deutschen ist aber fraglich. Auch wenn konzeptuelle Zusammenhänge zwischen Genus und Sexus nachweislich bestehen, ist die Gleichsetzung an sich nicht haltbar, wie beispielsweise Corbett (1991: 1), früher Hornscheidt (1998: 170), Leiss (1994: 283ff.) und Schwarze (2008: 133ff.) ausführen. Genus und Sexus sind im Grunde unterschiedliche Kategorien, auch wenn sie zum Beispiel bei Personenbezeichnungen in bestimmten Genussprachen wie dem Deutschen mehr oder weniger miteinander verwoben sind. In diesem Zusammenhang kann man auch folgende Frage stellen: Inwieweit ist die Unterstrichvariante, mit ihrer ideologisch begründeten Kritik am Zweigeschlechtermodell, für Benutzer der deutschen Sprache, die sich im Bereich der Gendertheorien nicht auskennen, in vollem Ausmaß verständlich? Wenn sie nicht verständlich und nachvollziehbar ist, so ist künftig keine Verbreitung dieser Form wie etwa bei der Beidbenennung zu vermuten. Dass gerade Unterstrichvarianten in diesem Text so häufig vorkommen, deutet auf einen reflektierten Umgang mit sprachlichen Kategorisierungen in Bezug auf Geschlecht hin: „Unsere Perspektiven sind kritisch reflektierend auf die Wissenschaft wie auch auf die Konstruktionen, Manifestationen und Transformationen von Geschlecht gerichtet.“ (ZtG: 11) Man kann in diesem Zusammenhang auch die Frage stellen, ob auch die relativ häufige Verwendung geschlechtsabstrahierender Neutralformen im Text durch diese kritische Per- 145 Dieselbe Kritik kommt auch in Hornscheidt (2007: 105) zum Ausdruck. 180 spektive erklärt werden könnte. Auch in der Abstrahierung von Geschlecht als expliziter sprachlicher Kategorie kann man eine Leerstelle einlesen. Die Neutralformen sind aber in den meisten Fällen als solche lexikalisiert. Es liegen somit keine konkurrierenden Synonyme vor. Dies dürfte die Erklärung für die Verwendung der meisten Neutralformen sein. Neben Neutralformen und Unterstrichvarianten kommen eine Beidbenennung und ein geschlechtsübergreifendes Maskulinum vor. Sie stehen nachfolgend im Fokus. Die Beidbenennung Täterinnen oder Täter befindet sich im folgenden Kotext: (98) „Geschlechtsspezifische Bilder von Täterinnen oder Tätern untersucht KONSTANZE HANITZSCH (Graduiertenkolleg). Sie beschäftigt sich mit solchen Bildern im Familiengedächtnis und verbindet dabei medientheoretische Aspekte mit Gedächtnistheorien und Vorstellungen von Scham und Schuld.“ (ZtG: 19) Wenn man die oben beschriebenen Begründungen der Unterstrichvariante berücksichtigt, so müsste es sich bei Täterinnen oder Tätern um eine Benennung handeln, die nur auf Frauen und Männer referieren. Damit würde sich die Referenz der Beidbenennung Täterinnen oder Tätern von der Referenz der Unterstrichvarianten im Text unterscheiden. Interessanterweise befindet sich am Rande derselben Seite ein Stichwort, das sich auf Beispiel (98) bezieht: Das Kompositum Täter-/ Täterinnenbilder (ZtG: 19). Dieser Beleg stellt das im Text einzige Kompositum im Text dar, dessen determinierendes Erstglied eine Beidbenennung ist. Die Beidbenennung in (98) stimmt in dieser Hinsicht somit mit diesem Kompositums überein.Ansonsten enthalten in ZtG auch Komposita mit Personenbezeichnungen als Erstglied ausschließlich die Unterstrichvariante, zum Beispiel Staatsbürger_innenschaft (ZtG: 7). Daher erhebt sich die Frage, warum gerade bei Täterinnen oder Tätern (98) ein anderer Realisierungstyp eines Begriffs vorkommt, der auch durch die Unterstrichvariante hätte realisiert werden können. Eine mögliche Erklärung liegt in der Tatsache, dass eine Konstruktion mit der alternativen, disjunktiven Konjunktion oder einen anderen Realisierungstyp als die Unterstrichvariante erforderlich. 146 Die Schwierigkeit, eine konzeptuelle Leerstelle in Hinblick auf Geschlechtsidentität mit einer oder-Formulierung zu kombinieren, liegt auf der Hand, denn das Verständnis von Geschlecht als nicht festlegbar, fließend und sich verändernd enthält keine distinkten und sich einander gegenseitig ausschließenden Kategorien. Zudem wird die Unterstrichvariante als ein und dasselbe Wort wiedergegeben, und noch ein Wort ließe sich nur schwer ins Wortinnere einfügen. Wie dieses Beispiel zeigt, hat die Unterstrichvariante somit 146 Zu den Gebrauchsweisen von oder und anderen Konjunktionen, siehe Duden (2005: 628ff) und Zifonun et al. (1997b: 2423ff.). 181 Konsequenzen für den Satzbau, indem sie eine disjunktive Konjunktion wie oder kaum zulässt. 147 Wie kann man denn die Verwendung der Beidbenennung bei Täterinnen oder Tätern begründen? Eine mögliche Erklärung ist, dass sie eine spezifische Referenz auf einige spezifische Täterinnen und Täter vollzieht. Bei einer spezifischen Referenz kann man davon auszugehen, dass sich die Verfasser des Textes und die genannte Forscherin des Geschlechts der bezeichneten Täter bewusst sind. Sind unter den Tätern lediglich Männer und Frauen, erübrigt sich eine Bezugnahme auf Personen mit anderen Geschlechtsidentitäten. Diese Erklärung kann man allerdings nicht am Text an sich nachweisen. Sie kann aber als plausible Erklärung dieser interessanten Abweichung vom Muster dienen. Wenden wir uns jetzt dem Maskulinum Autoren (ZtG: 15) zu. Auch dieser Beleg weicht vom dominierenden Benennungsverfahren (Unterstrichvarianten und Neutralformen) im Text ab. Dieses Vorkommen ist es auch, das das Variationsmuster realisiert: Maskulinum bei thematischer Relevanz: (99) „‚Entgrenzungen des Autobiographischen’ sind als ‚Durchquerungen des Ich in afrikanischen Literaturen’ in der Forschung von SUSANNE GEHRMANN zentral. Sie untersucht, wie die Kategorie Gender in ihrem Wechselverhältnis zu weiteren sozialen Differenzkriterien im selbstreflexiven Schreiben vorrangig männlicher Autoren verhandelt wird.“ (ZtG: 15) (99) zeigt, dass in der thematisierten Forschung vorwiegend männliche Autoren Gegenstand der Untersuchungen sind. Dass die untersuchten Autoren vorwiegend Männer sind, ergibt sich aus der Verwendung des vorangestellten Adjektivattributs männlicher bei der Personenbezeichnung Autoren. Die Männerdominanz unter den untersuchten Autoren ergibt sich somit aus lexikalischen Mitteln. Sie wird noch von der Verwendung des Maskulinums an sich verstärkt, denn maskuline Sprachformen können zur stereotyp männlichen Konzeptualisierung der Referenten beitragen. Die tatsächliche Referenz von Autoren jedoch ist an dieser Stelle geschlechtsübergreifend, weil das Adverb vorrangig das Attribut männlicher spezifiziert. Vorrangig wird hier in der Bedeutung ‚in erster Linie’, ‚hauptsächlich’ angewendet. Daraus kann man mengentheoretisch auf weibliche Autoren in der Referenz von Autoren schließen. Demzufolge untersucht die Forscherin nicht lediglich, wohl aber überwiegend männliche Autoren und deren Texte. 147 Was ferner die Schreibweisen der Beidbenennungen angeht, dürfte die Groß-I-Variante (TäterInnen) wegen der morphologischen Fusionierung zweier semantischer Kategorien (männlich bzw. weiblich), zwischen denen mittels oder zu unterscheiden wäre, in ein und demselben Wort kaum mit oder kombinierbar sein. Möglich wäre zwar eine Schreibweise wie etwa Täter oder -Innen, wobei aber durch die deutliche Trennung der maskulinen Grundform von der additierten femininen Form das versale I redundant wird. 182 Die attributive Bestimmung vorrangig männlicher disambiguiert nämlich das ambige Maskulinum und legt die Referenz eindeutig fest. 148 Die Frage stellt sich, warum gerade an dieser Stelle eine maskuline Form und nicht eine Unterstrichvariante, Beidbenennung oder geschlechtsabstrahierende Neutralform Verwendung findet. Besonders interessant ist diese Frage, weil das Maskulinum hier nicht der einzige mögliche Realisierungstyp ist. Ausgehend von der geschlechtsübergreifenden Referenz des Maskulinums Autoren könnte man stattdessen eine Unterstrichvariante oder eine Beidbenennung benuten, zum Beispiel vorrangig männlicher Autor_innen oder vorrangig männlicher AutorInnen. Es liegt jedoch bei diesem Beleg eine semantische Eigenschaft vor, die ihn deutlich von sämtlichen anderen geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen im Text unterscheidet: Die bezeichnete Personengruppe der Autoren wird durch die semantische Spezifizierung (vorrangig männlicher) als eine Gruppe charakterisiert, die sich überwiegend aus männlichen Personen zusammensetzt - sie wird männlich assoziiert. Die Assoziierung der bezeichneten Autorenmenge zu Männern korreliert somit mit der Verwendung einer maskulinen Sprachform. In dieser Hinsicht macht dieser Beleg ein weiteres Beispiel für das Variationsmuster aus, dass bei männlich stereotypisierten oder assoziierten aber geschlechtsübergreifend referierenden Personenbezeichnungen das Maskulinum vorkommt. Wir können die Verwendung des Maskulinums folglich auch hier durch thematische Relevanz begründe. Der kontextuelle Effekt des Maskulinums besteht in der Stärkung der Annahme, dass es sich bei den Autoren vorrangig um Männer handelt. Der kontextuelle Effekt trägt zur männlichen Stereotypisierung bei. Diese Erscheinung können wir in erster Linie auf der Ebene der ideationellen Metafunktion (vgl. Halliday und Matthiessen 2004: 29) verorten. Sie indiziert, dass maskuline Sprachformen zur Bezeichnung gemischtgeschlechtlicher Gruppen selbst in Texten mit einem außergewöhnlich hohen Grad an sprachfeministischer Bewusstheit vorkommen - jedoch, wie es scheint, nur unter bestimmten Bedingungen. Und die Bedingung für die Verwendung des Maskulinums in diesem Falle scheint die Darstellung der Autoren als überwiegend männlich zu sein. 148 Zentral ist hier die unter anderem von Lyons (1977) und Wimmer (1979) postulierte Unterscheidung von Referenzpotential eines Lexems und dessen Referenz. Unter Referenzpotential werden alle Gegenstände, auf die das aktuelle Lexem referieren kann, verstanden. Bei Referenz ist hingegen die aktuelle Referenz im konkreten Äußerungsakt gemeint. Vor diesem Hintergrund wäre ein Ausdruck wie männlicher Autoren, das heißt ohne das Adverb vorrangig, zwar nicht geschlechtsübergreifend in der konkreten Referenz, er würde jedoch das geschlechtsübergreifende Referenzpotential des Maskulinums Autor indizieren. Wenn nämlich Autor in seinem Referenzpotential geschlechtsspezifisch wäre, wäre die Formulierung männlicher Autoren redundant. 183 6.3 Thematische Relevanz der Beidbenennung Im Folgenden werden einige Texte unter einem anderen Blickwinkel als in Kapitel 6.2 untersucht. Hier steht nämlich die thematische Relevanz der Beidbenennungen im Fokus. Es handelt sich um Texte, in denen die Verwendung des Maskulinums nicht mit männlicher Stereotypisierung oder Assoziierung erklärt werden kann. Stattdessen erscheint in einigen dieser Texte die Verwendung des Maskulinums als Normalfall, während die Beidbenennung erst bei thematischer Fokussierung auf Frauen Verwendung findet. Diesen Variationstyp habe ich in Pettersson (2009: 59ff.) anhand eines wissenschaftlichen Artikels mit feministischen Ausgangspunkten in der Zeitschrift Feministische Studien bereits belegt. Nachfolgend werden eine Reihe von Beispielen unterschiedlicher Texte angeführt, die diesen Variationstyp belegen. Es gilt dabei dasselbe Prinzip wie für die Quellentexte des Abschnitts 6.2, dass man die thematische Relevanz des aktuellen Realisierungstyps durch kontextuelle Effekte (vgl. Sperber und Wilson 1995: 122) erklären kann. 6.3.1 Grüne Frauen wollen aufsteigen Der Artikel „Grüne Frauen wollen aufsteigen“ (taz1: 26) 149 lässt sich als eine Texteinheit charakterisieren. Er zeichnet sich durch ein abgegrenztes Thema aus und ist mit deutlichen typographischen sowie textuellen Textbegrenzungssignalen versehen, zum Beispiel die typographische Abgrenzung des Textblocks von anderen Texten. Der Text ist am ehesten als Bericht oder harte Nachricht zu bezeichnen (vgl. Lüger 1995: 94ff.), obwohl durch die analytischen Züge auch ein gewisses Maß an Subjektivität vorhanden ist. Das übergreifende Textthema lässt sich durch die in größerem Schriftgrad abgedruckte Einleitung zusammenfassen: (100) „Die Berliner Grünen klopfen heute ihre Landesliste für die Abgeordnetenhauswahl im September fest. Das Gerangel ist groß. Gekämpft werden dürfte auf dem Parteitag vor allem unter den Kandidatinnen.“ Die Themenentfaltung des Textes ist insofern deskriptiv, als einige Kandidaten auf der grünen Landesliste für eine Abgeordnetenhauswahl präsentiert werden. Der Text behandelt auch ihre Chancen, neu- oder wiedergewählt zu werden. Wie aus (100) hervorgeht, fokussiert der Artikel insbesondere die weiblichen Kandidaten und den Kampf zwischen ihnen. Im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Haupttext befindet sich zudem ein begleitender Text mit der Vignette „Thema des Tages“ versehener Kurztext, der die Rubrik „Ein Wo- 149 Da sich der ganze Text auf ein und derselben Seite (26) abgedruckt befindet, wird bei nachfolgenden Zitaten aus diesem Text nicht auf die Seite verwiesen. 184 chenende voller Parteitage“ trägt und kurz über andere, zugleich stattfindende Parteitage in Berlin berichtet. Dieser Text beinhaltet drei geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen im Plural, die als Beidbenennung realisiert sind: KandidatInnen, SozialdemokratInnen, KandidatInnen. Zwischen diesem Text und „Grüne Frauen wollen steigen“ besteht eine enge intertextelle Verbindung. Der Text „Grüne Frauen wollen aufsteigen“ enthält folgende Personenbezeichnungen mit geschlechtsübergreifender Referenz: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Maskulinum Neutralform Beidbenennung Total Parlamentarier (Pl) Personen KandidatInnen Mitglieder NeuparlamentarierInnen Gescheiterten (Pl) Anzahl 1 3 2 23 Tabelle 17: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in „Grüne Frauen wollen aufsteigen“ (taz1: 26). Wie teilweise aus Tabelle 17 hervorgeht, beziehen sich alle geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen auf Kandidaten für die Landeswahl. Zudem befinden sich in diesem Text etliche geschlechtsspezifisch männlich und weiblich referierende Personenbezeichnungen, entweder mit Bezug auf eine Gruppe von Personen oder auf ein spezifisches Individuum. Auch diese referieren auf die Kandidaten. 150 Daher kann man die Kandidaten als dominierende „Referenzträger des Textes“ (Brinker 2005: 46) ansehen. Dies stimmt mit dem Thema des Textes überein und konstituiert dieses mit: Im Mittelpunkt der Darstellung stehen die Kandidaten, vor allem die weiblichen. Bei den Neutralformen liegen keine konkurrierenden Synonyme in der Form von Maskulina oder Beidbenennungen vor. Mitglied und Person sind als Neutralformen lexikalisierte Begriffe. Gescheiterten stellt eine Gelegenheitsbildung eines nicht lexikalisierten Begriffes dar. Die interessante Frage besteht somit darin, wie man die Variation zwischen der maskulinen Personenbezeichnung einerseits und den Beidbenennungen andererseits erfassen kann. Das geschlechtsübergreifende Maskulinum Parlamentarier befindet sich im ersten Absatz des Haupttextes: (101) „Zwischen Angst und Freude - so lässt sich die Stimmung bei den Berliner Grünen am besten beschreiben. Denn einerseits sonnen sie sich seit Wochen im Umfragehoch und rechnen fest damit, dass die derzeit 150 Darunter sind unter anderem Kandidatinnen, Spitzenkandidatin, Fraktionschef und weiblichen Newcomern. 185 14-köpfige Abgeordnetenhausfraktion nach der Wahl im September um mindestens ein Viertel anwachsen wird. Andererseits müssen viele der jetzigen Parlamentarier um ihre Sitze bangen. Denn das Gerangel bei der Aufstellung der Landesliste ist groß.“ An dieser Stelle wird eine allgemeine Beschreibung der Stimmungslage unter den Berliner Grünen vor der Landtagwahl vollzogen. Das Geschlecht der Parlamentarier und Kandidaten werden aber - im Unterschied zur Einleitung des Artikels (100) - nicht explizit thematisiert. In dieser generellen Schilderung wird somit das Maskulinum an der einzigen Stelle im Artikel geschlechtsübergreifend benutzt. Die Wiederaufnahme des in der Einleitung thematisierten Kampfes unter den Kandidatinnen der Grünen erfolgt unmittelbar auf (101) und befindet sich im selben Absatz: (102) „Mindestens 64 KandidatInnen stehen bei der heutigen Landesmitgliederversammlung zur Wahl. Vor allem die Kandidatinnen werden mit harten Bandagen kämpfen.“ In (102) wird durch die Nennung der Kandidatinnen die Fokussierung auf weibliche Kandidaten explizit. Das ist eine für den Artikel als Ganzes zentrale thematische Gewichtung. Auch Weiterhin werden bei der Nennung der Kandidaten meist Frauen erwähnt. Das geschlechtsspezifische Femininum Kandidatinnen in (102) macht eine Wiederaufnahme von der Beidbenennung KandidatInnen aus. Wir können daher enge Bezüge zwischen der Beidbenennung und dem geschlechtsspezifisch weiblichen Femininum feststellen. Die Verwendung der ersten Beidbenennung im Text findet folglich in einem Kotext statt, in dem die Nennung der weiblichen Kandidaten zentral ist. Die zweite Beidbenennung des Textes, NeuparlamentarierInnen, befindet sich im folgenden Kotext: (103) „Der fünfte Listenplatz wird an Fraktionschefin Sibyll Klotz 151 gehen. Auf Platz 6, der ebenfalls NeuparlamentarierInnen vorbehalten ist, hat die besten Chancen der 24-jährige Benedikt Lux. Der ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen Jugend (GJ) war maßgeblich am Aufbau des inzwischen 400 Personen starken Jugendverbands in Berlin beteiligt - was die Mitglieder entsprechend honorieren wollen.“ Die Formulierung, dass der sechste Platz „ebenfalls Neuparlamentarierinnen vorbehalten ist“, stellt einen impliziten Verweis auf Platz fünf dar, der derselben Kandidatenkategorie vorbehalten ist und voraussichtlich an eine Frau, Fraktionschefin Sibyll Klotz, gehen wird. Davon ausgehend bezieht sich die Beidbenennung NeuparlamentarierInnen nicht nur auf den männlichen Kan- 151 Fettdruck hier und im nachfolgenden Zitat aus dem Original übernommen. 186 didaten Benedikt Lux, sondern auch auf die Kandidatin Sibyll Klotz. Die Thematisierung weiblicher Kandidaten ist somit auch hier zentral. Über die geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen hinaus kommt zudem ein Kompositum vor, dessen bestimmendes Erstglied eine Beidbenennung ist: KandidatInnenkarussell. (104) „Sie kämpft um den 11. Listenplatz, den wiederum neben der Sozialpolitikerin Elfi Jantzen und der Fraktionslinken Lisa Paus auch die übrig gebliebenen Frauen von vorne beanspruchen werden. Und so wird sich das KandidatInnenkarussell auf den folgenden Plätzen weiter drehen.“ Es handelt sich in (104) vorwiegend um weibliche Kandidaten. Frauen stellen demzufolge auch hier eine zentrale thematische Kategorie dar. Auf diese Frauen und auf andere, nicht spezifiziert genannte Kandidaten wird - indirekt, durch das erste Glied des Kompositums KandidatInnenkarussell - mittels Beidbenennung Bezug genommen. Zusammenfassend ergibt die Analyse folgendes Bild: In dem einzigen Fall, bei dem weibliche Kandidaten keine explizit zentrale thematische Kategorie ausmachen, wird Maskulinum benutzt. Demgegenüber kommt an den zwei Textstellen mit Beidbenennungen weiblichen Kandidaten zentrales thematisches Gewicht zu. Damit kann man auch für diesen Text die Gestaltung der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen durch ein Relevanzprinzip erklären: Dort, wo Frauen eine thematisch zentrale Kategorie darstellen, wird Beidbenennung angewendet. Die Verwendung der Beidbenennung führt zur Bestätigung der Vermutung, dass Frauen unter den aktuellen Referenten sind. Dies ist der kontextuelle Effekt, den die Verwendung der Beidbenennung im Unterschied zu anderen Realisierungstypen bewirkt. 6.3.2 Die Geschichte einer Flucht Der Artikel „Die Geschichte einer Flucht“ (Emma2: 44-47) trägt Züge des Genres Reportage, verstanden „als eine konkrete, stark persönlich gefärbte Geschehens- oder Situationsdarstellung“ (Lüger 1995: 113). Er lässt sich auch als persönlich gefärbte Erzählung beschreiben, denn die Themenentfaltung des Textes ist ausgehend von Brinkers (2005: 71) Verständnis nicht nur deskriptiv, sondern auch narrativ. Das Thema des Textes ist deutlich abgegrenzt und verbale wie typographische Textbegrenzungssignale liegen vor. Man kann den Artikel daher als eine Texteinheit einstufen. Wie aus dem Titel hervorgeht, handelt dieser Text von einer Flucht aus dem Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg in einen anderen Stadtteil. Der Text enthält solche narrativen Züge wie lokal-temporale Situierung, handelnde Personen (die Erzählerin und ihre Nachbarn) und prozessual-aktional repräsentierte 187 Ereignisse. Zur letzteren Kategorie gehören Komplikationen, hier allen voran Konflikte zwischen Erzählerin und Nachbarn. Diese Konflikte veranlassen die Erzählerin zu Bewertungen und Stellungnahmen den Nachbarn und dem sich verändernden Charakter ihrer Nachbarschaft gegenüber sowie zu einer Lösung der Komplikationen: Dem Umzug aus der Nachbarschaft, der Flucht. „Die Geschichte einer Flucht“ lässt sich vor diesem Hintergrund als eine persönliche Erzählung verstehen, für die zudem ein polemisch zugespitzter Ton charakteristisch ist. Ein Beispiel dafür sei im Folgenden angeführt. Aus dem Beispiel geht hervor, dass das Hauptziel der Kritik Mütter und schwangere Frauen sind: (105) „Freiwillig kinderlosen Menschen wie mir sprechen Kampfmütter, wie die, die leider inzwischen die Regel geworden sind und keine bizarre Ausnahme mehr darstellen, offenkundig jegliche Existenzberechtigung ab.“ (Emma2: 46) Thematisch kreist der Artikel um den Umzug der Autorin aus dem Viertel Prenzlauer Berg und um die Beweggründe dieses Umzugs. Die Grund für die Flucht ist der Umstand, dass die Wohngegend längst keine heruntergekommene, aber ansprechende Gegend mehr darstellt, in der verschiedene Menschen unterschiedlichen Hintergrunds wohnen. Stattdessen hätten alte, traditionelle Läden zugemacht, Studenten wären ausgezogen und alte Ostrentner gestorben. An ihrer Stelle sind, so die Autorin, bornierte Kleinkinderfamilien eingezogen. Ihre Kinder bedeuten für sie Alles und sie träten kinderlosen Menschen wie der Autorin ohne Respekt gegenüber. Die Autorin schildert als negative Erlebnisse Begegnungen mit Müttern und Schwangeren, die sie respektlos behandelt. Etwas seltener werden ebenso respektlose Väter geschildert. Der thematische Schwerpunkt auf Begegnungen mit weiblichen Einwohnern der Wohngegend geht aus der fett gedruckten und in größerem Schriftgrad wiedergegebenen Einleitung hervor. Hier kommt auch die negativ bewertende Personenbezeichnung Kampf- und Demomüttern vor: (106) „Sind Anette C. Anton [= die Autorin von „Die Geschichte einer Flucht“ - M.P.] und Susie Reinhardt mütterfeindlich? Oder gar, noch schlimmer, kinderfeindlich? Oder hat es ganz andere Gründe, wenn das vermehrte Auftreten von Kampf- und Demomüttern vom Prenzlauer Berg bis Blankensee sie kräftig irritiert? “ (Emma2: 44) Nach der Schilderung der vielen negativen Erlebnisse, die den Großteil des Textes ausmacht, erfolgt eine Beschreibung der neuen Wohngegend. Diese sei zwar katastrophal sei, habe aber den Vorteil, (107) „dass sie auf junge Eltern so abschreckend wirken muss wie eine Kita, in der Brechdurchfall ausgebrochen ist.“ (Emma2: 47) 188 Der Artikel endet mit der Feststellung, dass der Autorin aus ihrer alten Gegend nichts bis auf eine kleine Eisdiele fehlen wird. Folgende geschlechtsübergreifend referierende Personenbezeichnungen befinden sich im Artikel: Geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen Maskulinum Neutralform Beidbenennung Total Graffiti-Künstler Kindern ErzeugerInnen Ostrentner (Pl) Arbeitslose (Pl) Studenten (Pl) Singles (Pl) Westler (Pl) Kinder Ostler (Pl) Teenager (Pl) Ostrentner (Pl) Kinder Baby Boomers (Pl) Eltern Ostler (Pl) Eltern Studenten (Pl) Kinder Bewohner (Pl) Eltern Taxifahrern Eltern Kleinkindern Gleichgesinnten (Pl) Kindern Kinder Eltern Kleinen (Pl Menschen (Pl) Babys Kind Mensch Erwachsenen (Pl) Schreihals Kinder Anzahl 10 25 1 36 Tabelle 18: Geschlechtsübrgreifende Personenbezeichnungen in „Geschichte einer Flucht“ (Emma2: 44-47) Unter den geschlechtsübergreifend referierenden Personenbezeichnungen sind die meisten Neutralformen. Die allermeisten davon machen feste Lexikalisierungen von Begriffen aus (Eltern, Kind, Erwachsene). Dass so viele der Neutralformen gerade auf Kinder und Eltern Bezug nehmen, indiziert die textse- 189 mantische Funktion dieser Personengruppen als zentraler Referenzträger im Text. Dies stimmt was mit Thema des Artikels überein: Kindern und deren Eltern, besonders den Müttern, kommt eine textsemantisch zentrale Rolle zu. Im Fokus soll hier jedoch eine Gegenüberstellung der Maskulina und Beidbenennungen stehen, wie bei der obigen Analyse von „Grüne Frauen wollen aufsteigen“ (taz1: 26). Dabei ist hier besonders interessant, dass nur eine Beidbenennung neben mehreren geschlechtsübergreifenden Maskulina Verwendung findet. Sämtliche geschlechtsübergreifende Maskulina sowie die einzige Beidbenennung, ErzeugerInnen, vollziehen nicht-spezifische Referenzen. Spezifisch in der Referenz sind in diesem Text lediglich Bezugnahmen auf jeweils ein bestimmtes Individuum, zum Beispiel die Nennung einer bestimmten Mutter: (108) „Einfach der Vollständigkeit halber sollte erwähnt werden, dass besagte Mutter und ihr Kind ihre Fahrräder nicht etwa an einem Fahrradständer, der zum Spielplatz gehört, anschließen wollten, sondern an dem meines Hauses, obwohl sie dort nicht wohnen.“ (Emma2: 46) Bei keinem der geschlechtsübergreifenden Maskulina steht die thematische Kategorie weibliches Geschlecht/ Frauen im Vordergrund. Frauen sind im Kotext der geschlechtsübergreifenden Maskulina weder implizit noch explizit hervorgehoben. Wie aus Tabelle 18 hervorgeht, nehmen die Maskulina fast ausschließlich auf Kollektive wie Studenten und Ostrentner Bezug, sämtliche im Plural. Das sind zugleich Personengruppen, bei denen weibliche Personen thematisch nicht zentral sind. Es liegt allerdings eine Ausnahme unter den geschlechtsübergreifenden Maskulina im Text vor: Baby Boomers. Dieser Beleg sowie die Beidbenennung ErzeugerInnen sind die einzigen Personenbezeichnungen im Text, die geschlechtsübergreifend auf diese Personenkategorie referieren. Sonst wird sie meistens durch feminine, geschlechtsspezifisch weibliche Personenbezeichnungen wiederaufgenommen, beispielsweise Kampfmütter (Emma2: 46) und Mütter (Emma2: 46). Es geht hier um eine weiblich assozierte Gruppe. Die weibliche Assoziierung des Elternkollektivs ergibt sich aus den etlichen Nennungen der Mütter und schwangeren Frauen als Teil der Textbedeutung. Dabei sind die vielen nicht-spezifischen und spezifischen Nennungen von Müttern und Vätern implizite und in vielen Fällen spezifizierte Wiederaufnahmen (vgl. Brinker 2005: 31ff.) von Baby Boomers und ErzeugerInnen. Dies wiederum ist mit dem Thema des Artikels eng verbunden: Gerade das respektlose Benehmen bornierter Mütter (und Väter) kleiner Kinder habe die Autorin zu ihrer Flucht aus Prenzlauer Berg veranlasst. Die einzige Beidbenennung in diesem Text bezeichnet somit eine Personengruppe, die weiblich assoziiert ist: 190 (109) „Ich finde es schön, dass sich jemand um den Erhalt unserer Art kümmert, habe auch gar nichts gegen Kinder, erwarte aber von ihren ErzeugerInnen wenigstens so viel Respekt, dass ich mich dort, in meiner Nachbarschaft so frei bewegen und benehmen darf wie vor dieser Babyschwemme.“ (Emma2: 47) Hier kann man die Verwendung der Beidbenennung auf ein Prinzip der thematischen Relevanz zurückführen. Dies stellt sich allerdings erst durch einen Vergleich zu den Maskulina und durch eine Ermittlung relevanter Textbedeutungen heraus: Da weibliche Personen zentral in der Gruppe der Erzeuger sind, erscheint es um so relevanter, gerade eine Bezugnahme auf diese Gruppe als Beidbenennung zu realisieren. Der kontextuelle Effekt der Beidbenennung an dieser Stelle - im Vergleich zu einem Maskulinum oder einer Neutralform - besteht in einer Bestätigung der Annahme, dass es zum großen Teil um weibliche Personen geht. Zudem ist ErzeugerInnen als Bezeichnung von Eltern abwertend, ein Ausdruck für negative Bewertung. Die Personenbezeichnung verstärkt somit die kritische Einstellung der Verfasserin gegenüber den Eltern in Prenzlauer Berg. Vor diesem Hintergrund könnte das ebenso geschlechtsübergreifend referierende Maskulinum Baby Boomers widersprüchlich erscheinen: (110) „Früher waren junge Familien in Provinzstädte oder aufs Land gezogen, heute ziehen die Baby Boomers in den Prenzlauer Berg zu lauter Gleichgesinnten, denn nur dort wissen sie sich verstanden. Leider verstehen sie außer sich selbst keinen anderen mehr.“ (Emma2: 46) Die Verwendung eines Maskulinums gerade in (110) lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass Baby Boomer ein Lehnwort aus dem Englischen ist. Die maskuline Endung auf -er wird wahrscheinlich nicht als gleichermaßen stark männlich konnotiert wie das entsprechende deutsche Maskulinmorphem -er aufgefasst. Ein weiterer Ausdruck für die explizite Erwähnung beider Geschlechter, wenn die Relevanz einer Sichtbarmachung größer ist, findet sich bei der ironisch gefärbten Nennung von Mamas und Papas in (111). Dieser Beleg ist allerdings nicht als Beidbenennung zu verstehen (vgl. Kapitel 1.1), sondern als Nennung zwei geschlechtsspezifisch lexikalisierter Begriffe: (111) „Denn freie Parkplätze gibt es in meiner Straße nicht mehr, seit die Mamas und Papas jedes verfügbare Eckchen mit ihren Volvo Kombis und Passats zuparken, mit denen sie die lieben Kleinen und deren Dreiräder, Fahrräder, Bobbycars, Sandeimer und Schaufeln zum Spielplatz transportieren.“ (Emma2: 46) 191 6.3.3 Beispiele aus belletristischen Texten und Sachprosatexten Ohne in dieser Arbeit die Textgenres Erzählprosa und Sachbuch einer systematischen Auswertung unterworfen zu haben, kann man sie dadurch charakterisieren, dass sie verhältnismäßig wenig Beidbenennungen enthalten. 152 Dennoch kommen Beidbenennungen vereinzelt vor. Im Folgenden werden einige Beispiele dafür gebracht, dass das Variationsmuster auch in erzählenden Texten sowie in Sachbuchtexten anzutreffen ist. Die Titelerzählung des Erzählbands „Revolution und Filzläuse“ (2008) von Thorsten Schulz enthält fast ausschließlich Maskulina und Neutralformen bei geschlechtsübergreifenden Referenzen. Sie handelt von einem deutschen Studenten, der die kubanische Hauptstadt Havanna besucht. Dort verliebt er sich in die einheimische Studentin Tania. Nach ersten Begegnungen verschwindet sie, woraufhin sich der Student auf die Suche nach ihr begibt. Im folgenden Abschnitt wird ein Teil dieser Suche geschildert. Hier kommt die einzige Beidbenennung Freundinnen oder Freunde im Text vor: (112) „Er zog abermals durch die Straßen von Havanna, und immer wieder steuerte er den Platz der Revolution an. Schließlich suchte er die Universität auf, und eine der Sekretärinnen kannte eine Germanistikstudentin, eine sehr fleißige, begabte, namens Tania. Doch diese Tania hatte sie schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Freundinnen oder Freunde von Tania? Und wo sie wohne? Nein, dazu konnte oder wollte die Sekretärin nichts sagen.“ (Schulz 2008: 154) Der Autor verwendet im unmittelbaren Kotext der Beidbenennung die Erzählform der erlebten Rede. So wird die Frage des Studenten an die Sekretärin indirekt wiedergegeben. Da sich der Student in seiner Suche nach Tania immense Mühe gibt, ist die explizite Unterscheidung in weibliche und männliche Person rational und relevant. Zudem besteht in diesem Zusammenhang ein lexikalischer Unterschied zwischen Freund und Freundin, da Freund neben ‚Befreundeter’ auch ‚Geliebter, fester Freund’ bedeuten kann, während Freundin in diesem Zusammenhang nur die Bedeutung ‚Befreundete’ trägt. Daher kann man die Verwendung einer Beidbenennung an dieser Stelle auf ein Prinzip der thematischen Relevanz rekurrieren. Die Beidbenennung hat hier einen kontextuellen Effekt, denn er schafft referenzielle Eindeutigkeit und bestätigt die Annahme, dass der Student nach weiblichen und männlichen Bekannten von Tania sucht. Das folgende Beispiel hat Ähnlichkeiten mit dem Beleg (112), jedoch ist hier die Verbindung zwischen Beidbenennung und weiblichen Referenten expliziter. Der Beleg ist der ebenfalls fiktionalen Erzählung „Nachtzug nach Lissabon“ (2004) von Pascal Mercier entnommen. Auch in diesem Roman werden ge- 152 Diese Einschätzung basiert auf Eindrücken beim kontinuierlichen Lesen deutschsprachiger Gegenwartsliteratur. Es liegen meines Wissens keine systematischen Studien zu geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen in deutschsprachigen belletristischen Texten vor. 192 schlechtsübergreifend referierende Personenbezeichnungen als Maskulina und Neutralformen realisiert. An einer Stelle jedoch kommt eine Beidbenennung vor: (113) „Er klappte das Notizbuch zu. Von Zeit zu Zeit war er in der Stadt einem Schüler oder einer Schülerin begegnet, die er vor vielen Jahren unterrichtet hatte. Es waren keine Jungen und Mädchen mehr, sondern Männer und Frauen mit Partnern, Berufen und Kindern.“ (Mercier 2004: 44) Hier besteht eine Wiederaufnahmerelation zwischen der Beidbenennung einem Schüler oder einer Schülerin einerseits und den geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen Jungen und Mädchen sowie Männer und Frauen andererseits. Jungen und Mädchen sowie Männer und Frauen nehmen Schüler oder einer Schülerin wieder auf. Vor diesem Hintergrund kann man den Gebrauch der Beidbenennung in diesem Kotext auf ein Prinzip der thematischen Relevanz zurückführen. Da die explizite Identifizierung dieser Schüler als Mädchen und Jungen bzw. als Frauen und Männer zum Thema gehört, erscheint die Nennung beider Geschlechter auch in der ersten Bezugnahme als relevant. Der kontextuelle Effekt besteht darin, dass die Geschlechtsspezifizierung bereits an der ersten Stelle eindeutig wird. Weibliche wie männliche Personen sind gleichermaßen thematisch zentral. Diese Lesart lässt sich auch dadurch begründen, dass die ebenfalls in (113) erwähnten Partnern mit Maskulinum bezeichnet werden, obwohl auch diese Personenbezeichnung geschlechtsübergreifend referiert. Partnern bezeichnet eine andere Personengruppe als die der Schüler. Diese ist thematisch peripherer als die Schüler. Daher ist auch die explizite Markierung von Geschlecht kein zentraler textthematischer Aspekt. Interessanterweise wird der nachfolgende Relativsatz durch das Relativpronomen die eingeleitet und nicht in Numerus- und Genuskongruenz mit der komplexen Nominalphrase einem Schüler oder einer Schülerin als Korrelat durch den oder die. Zwei Lesarten bieten sich für das Relativpronomen die an. In der einen Lesart macht nur die zweite Personenbezeichnung der Nominalphrase, das Femininum Schülerin, das Korrelat aus. Das Pronomen die würde demnach nur auf die Schülerin Bezug nehmen und demzufolge als Femininum Singular funktioniern. Nach der anderen möglichen Lesart ist die eine Pluralform. Dabei wäre folglich die komplexe Nominalphrase einem Schüler oder einer Schülerin dem Sinn nach als pluralisch anzusehen. 153 Für diese Lesart 153 Die Konjunktion oder ermöglicht grundsätzlich zwei Lesarten: die inklusive und die exklusive (vgl. Zifonun et al 1997b: 2424). Bei inklusivem oder ist zumindest eine der beiden durch diese Konjunktion verknüpften Phrasen oder Aussagen wahr, während bei exklusivem oder lediglich eine der beiden Phrasen oder Aussagen wahr sein kann. Bezogen auf die Phrase einem Schüler oder einer Schülerin heißt dies Folgendes: Bei inklusivem oder kann das erzählende Ich sowohl Schülern als auch Schülerinnen begegnet sein. Vor diesem Hintergrund wäre die ganze 193 würde auch der Umstand sprechen, dass gerade Pluralformen, Jungen und Mädchen sowie Männer und Frauen, die Beidbenennung Schüler oder einer Schülerin wieder aufnehmen. Zur Relevanz einer Beidbenennung an der aktuellen Textstelle trägt wahrscheinlich auch bei, dass die Bezugnahme durch den Numerus Singular erfolgt. Obwohl die Referenz auf die Schüler nicht-spezifisch ist, werden diese durch den Numerus Singular als jeweils individuelle Schüler konkretisiert dargestellt. Wegen des höheren Grads an Konkretisierung bei der Referenz auf Schüler erscheint die Relevanz einer Beidbenennung hier als größer. Es finden sich auch in Sachbüchern Beispiele für Beidbenennungen in Texten, die sonst fast nur Maskulina und Neutralformen bei geschlechtsübergreifenden Referenzen vewenden. Das erste Beispiel ist Manfred Geiers Doppelbiographie „Die Brüder Humboldt. Eine Biographie“ (2009) entnommen: (114) „Alexander mokiert sich über das vertraute Verhältnis zwischen seiner Schwägerin und dem leichtlebigen Burgsdorff. Und Wilhelm studiert den Wiener Volkscharakter, dessen Pikanterie auf ihn eine angenehme Wirkung ausübt. Auch einige amouröse Erlebnisse lässt er sich nicht entgehen. Die Wienerinnen und Wiener seien viel fröhlicher und humorvoller, in ihrem Verhalten leichter und gewandter als die Menschen im nördlichen Deutschland.“ (Geier 2009: 206) Geier verwendet durchgehend bei Maskulina und Neutralformen bei geschlechtsübergreifenden Referenzen. Es liegt lediglich eine Ausnahme davon vor: Wienerinnen und Wiener in (114). Hier findet sich eine thematisch bedingte Kohärenz zwischen dem von Wilhelm ermittelten „Wiener Volkscharakter“, seinen „amouröse[n] Erlebnisse[n]“ und dem Umstand, dass die „Wienerinnen und Wiener [...] viel fröhlicher und humorvoller, in ihrem Verhalten leichter und gewandter als die Menschen im nördlichen Deutschland“ seien. Die eigentliche Beschreibung dieses Volkscharakters kann man ausgehend von der thematisch bedingten Kohärenz (vgl. Brinker 2005: 45ff..) zwischen diesen Textteilen als einen Teil der Erklärung der amourösen Erlebnisse von Wilhelm verstehen. Durch die Ermittlung dieser Textbedeutung kann man die Beidbenennung an gerade dieser Stelle auf ein Prinzip der thematischen Relevanz zurückführen. Da es sich bei Wilhelms konkreter Erfahrung des Wiener Volkscharakters um amouröse Erlebnisse handelt, erscheint es relevant, durch Beidbenennung hier die Frauen sichtbar zu machen. Ein ähnlicher Befund kommt in Stefan Austs Sachbuch über die Rote- Armee-Fraktion „Der Baader-Meinhof-Komplex“ (2008) vor. In diesem Buch werden äußerst wenige Beidbenennungen benutzt, hauptsächlich Maskulina komplexe Phrase einem Schüler oder einer Schülerin semantisch betrachtet pluralisch, was die Verwendung des pluralischen Relativpronomens die erklären könnte. Es würde sich dann um eine Kongruenz handeln, die sich nicht nach formalgrammatischen Merkmalen, sondern nach dem Sinn richtet. Vgl. hierzu auch Duden (2005: 964). 194 und Neutralformen. An einer Stelle jedoch, die eine Demonstration der 1950er Jahre schildert, an der Ulrike Meinhof teilnimmt, wird eine Beidbenennung verwendet: (115) „Zum Abschluß dieser Demonstration ordentlich gekleideter Studenten in Schlips und Kragen und Studentinnen in Röcken erlebten die Demonstranten eine für damalige Zeiten kleine Sensation.“ (Aust 2008: 35) Bi der Konzeptualisierung der Demonstranten kommen somit auch Erwähnungen äußerer, zu dieser Zeit geschlechtsspezifischer Attribute vor. Diese Attribute werden den jeweils männlichen und weiblichen Studenten zugeschrieben. An derselben Stelle benutzt der Autor eine Beidbenennung. Dies kann man auf die thematische Relevanz der Hervorhebung weiblicher Studenten in diesem Kotext zurückführen. Demgegenüber wird dieselbe Gruppe, wenn als Demonstranten benannt, mit Maskulinum bezeichnet. In diesem Fall macht für die Konzeptualisierung der Studierenden Geschlechtsspezifizierung keinen zentralen thematischen Aspekt aus. 6.4 Zusammenfassung Dieses Kapitel beschreibt Variationen vor dem Hintergrund der thematischen Relevanz. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Relevanzkonzept von Sperber und Wilson (1995). Es hat sich bei der Auswertung der Quellentexte herausgestellt, dass zwei Variationstypen vorhanden sind. Erstens sind Texte beschrieben worden, die viele Beidbenennungen und Neutralformen enthalten (Kapitel 6.2). Die Maskulina in diesen Texten werden dabei verhältnismäßig oft zur Bezeichnung solcher Personengruppen verwendet, die männlich stereotypisiert oder assoziiert sind. Die drei analysierten Texte entstammen Kontexten, in denen Feminismus und Gleichstellung zentral sind. Ein Text („Frauen gehen auf die Barrikaden! “) ist dem feministischen Magazin Emma entnommen. Hier werden Maskulina zur Bezeichnung männlich stereotypisierter Personen verwendet. Diese Personen sind zugleich Repräsentanten des politischen Establishments, das Geldkürzungen im Bereich von Universitäten und Frauenhäusern in die Wege leitet. Gegen die Sparmaßnahmen protestieren Personen, auf welche die Autorin mit Beidbenennungen referiert. Die Proteste werden im Artikel positiv bewertet und die Personen hinten den Protesten stehen dabei auf der Seite von Frauen, Gleichstellung und feministischer Arbeit. Ferner stellt der Artikel den Kampf um die Gelder als einen Streit zwischen einem patriarchalischen Establishment und feministischen Aktivisten dar. Die Verwendung des Maskulinums bei Bezugnahmen auf Repräsentanten des politischen Establishments kann man so als einen Aus- 195 druck für Relevanz verstehen, denn dadurch kommt die männliche Stereotypisierung dieser Personen deutlich zum Ausdruck. Der Text Aktionsplan stellt ein Aktionsprogramm für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen dar. Die Analyse zeigt, dass die meisten Maskulina zur Bezeichnung der Gewalttäter eingesetzt werden, obwohl diese Täter nicht notwendigerweise in jedem Fall Männer sind. Dabei wird die Tätergruppe als männlich stereotypisiert. Die Opfer der Gewalt werden dagegen in den meisten Fällen mit Neutralformen bezeichnet. Die Variation in diesen zwei Texten können wir durch Hellingers (1990: 61) Konzept des sozialen Geschlechts beleuchten. Nicht das tatsächliche Geschlecht der Referenten scheint die Verwendung der geschlechtsübergreifenden Maskulina erklären zu können, sondern stereotype Vorstellungen über die aktuellen Personengruppen. Der dritte Text ist eine Broschüre des gendertheoretischen Instituts Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin (ZtG). Aus der Analyse ergibt sich, dass bei fast allen geschlechtsübergreifenden Bezugnahmen entweder Neutralformen oder Unterstrichvarianten benutzt werden. Nur in zwei Fällen bei den Personenbezeichnungen erfolgt eine geschlechtsübergreifende Referenz durch andere Realisierungstypen. Im ersten Fall (98) kann man die Verwendung der Beidbenennung möglicherweise dadurch erklären, dass die Bezugnahme referenziell spezifisch ist und einige spezifische Täter und Täterinnen gemeint sind, deren Geschlecht bekannt ist. Damit würde sich die in in Bezug auf Geschlechtszugehörigkeit konzeptuelle Leerstelle der Unterstrichvariante erübrigen. Im zweiten Fall (99) kann man die Verwendung des geschlechtsübergreifenden Maskulinums Autoren damit begründen, dass die aktuellen Personen männlich assoziiert sind. Wichtig bei dieser Textanalyse ist auch, dass der relativ neue Realisierungstyp Unterstrichvariante (Student_innen) belegt werden konnte. Danach sind Texte vorgestellt worden, wo Beidbenennung erst dann verwendet werden, wenn Frauen thematisch zentral sind (Kapitel 6.3). Auch in diesem Fall können wir von thematischer Relevanz der Verwendung eines bestimmten Realisierungstyps sprechen. Es handelt sich in den meisten Fällen um Texte, in denen Maskulinum zur geschlechtsübergreifenden Referenz dominiert. Die analysierten Texte sind der tageszeitung und Emma entnommen. Ebenso sind einige Beispiele aus Fachbüchern und belletristischen Texten präsentiert worden, die Beidbenennung an den Stellen verwenden, an denen Frauen in den thematischen Vordergrund rücken. Dort scheint es relevanter, die weiblichen Referenten sprachlich sichtbar zu machen. Dieser Variationstyp hat sowohl mit der ideationellen als auch mit der interpersonellen Metafunktion bei Halliday und Matthiessen (2004) zu tun. Interpersonell ist der beschriebene Variationstyp insofern, als Stereotypisierung und Bewertung Manifestierungen interpersoneller, sozialer Bedeutungen sind. Relevanztheoretisch kann man den Variationstyp in Kapitel 6.2 so begründen, 196 dass die Verwendung des Maskulinums bei männlich stereotypisierten Personengruppen den kontextuellen Effekt (vgl. Sperber und Wilson 1995) herbeiführt, dass das „Männliche“ verstärkt wird. Für den in Kapitel 6.3 beschriebenen Variationstyp besteht der kontextuelle Effekt darin, dass Beidbenennungen in Kotexten, in denen Frauen thematisch zentral sind, eindeutig die geschlechtsübergreifende Referenz festlegen. Zusammenfassend können wir in den analysierten Texten einen kreativen Umgang mit geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen feststellen. Bestimmte Realisierungstypen stellen bestimmte Textbedeutungen (Hervorhebung von Geschlechtszugehörigkeit der Referenten) her und bringen verschiedene Vorstellungen (Stereotypisierung) zum Ausdruck. Es hat sich in den Textanalysen gezeigt, dass geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen in einem komplexen und interessanten Verhältnis zu sonstigen Textbedeutungen stehen. III Resümierender Teil 199 7 Zusammenfassende Schlussfolgerungen In diesem Buch konnten wir anhand einer Reihe von Textanalysen verschiedene Variationsmuster in Hinblick auf geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen aufzeigen. Die analysierten Texte stellen allerdings nur eine kleine Auswahl sämtlicher für diese Studie ausgewerteter Quellentexte dar. Deswegen können wir davon ausgehend keine Verallgemeinerungen ableiten, zumal die Quellentexte nicht stellvertretend für zeitgenössische geschriebene Texte des Deutschen stehen. Dennoch haben sich aus der Auswertung der Texte einige Tendenzen ergeben. Sie werden im Folgenden zusammengefasst. Bisherige Arbeiten zu Personenbezeichnungen im Deutschen unter dem Gesichtspunkt von Genus und Sexus sind häufig quantitativ ausgerichtet. Daher hat auch über die Fragestellung, wie unterschiedliche Realisierungstypen in Beziehung zueinander in Texten verwendet werden, bis heute ein erhebliches Wissensdefizit vorgeherrscht. Dieses Buch hat zum Ziel, etwas mehr Wissen in den sprachwissenschaftlichen Diskurs über die Verwendung geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen im Deutschen zu bringen. Spezifisch lautet die zentrale Fragestellung: Lassen sich hinsichtlich der textinternen Variation verschiedener Realisierungtypen geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen Muster erkennen? In Kapitel 4 wurde festgestellt, dass ein dynamisches Verständnis von Bedeutung notwendig ist, um die konkrete Verwendung geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen in Texten zu untersuchen. Die Bedeutung und die Funktion von Personenbezeichnungen ergeben sich demnach zu einem erheblichen Teil aus ihrer Verwendung. Zu den Verwendungsaspekten gehören der Kotext (die unmittelbare textuelle Umgebung), der Kontext (verstanden als soziale, mediale und sonstige Rahmenbedingungen des jeweiligen Textes) und die aktuelle Referenz der Personenbezeichnungen. Dabei ist die Unterscheidung zwischen dem Referenzpotenzial einer Personenbezeichnung und ihrer aktuellen Referenz zentral. Mit dem Referenzpotenzial - das heißt, mit der Menge an Objekten, auf die eine Personenbezeichnung zutreffen kann - sind semantische Konzepte der Personenbezeichnung verknüpft. Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich eine Bedeutung. Deswegen ist den Analysen auch ein Verständnis von Text, Textbedeutung und Textinterpretation zugrunde gelegt worden. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass man mit Sprache auf eine außersprachliche Wirklichkeit referieren kann. Diese Sichtweise ist mit einem dynamischen Bedeutungsverständnis vereinbar. Ein weiteres Thema in Kapitel 4 ist die teilweise irreführende Terminologie in vielen Studien zu Personenbezeichnungen im Deutschen. Der Terminus generisch wird häufig etwa in den Bedeutungen ‚beide Geschlechter bezeich- 200 nend’, ‚Nennung des Geschechts irrelevant’ und ‚Geschlecht unbekannt’ benutzt. In diesem Buch wird generisch lediglich als Terminus eines bestimmten Referenztyps benutzt, während für die semantisch-extensionale Kategorie ‚beide Geschlechter bezeichnend’ der Terminus geschlechtsübergreifend verwendet wird, dies in Anlehnung an den englischen Terminus gender-inclusive. Was die Befunde aus den Quellentexten betrifft, haben sich daraus zwei hauptsächliche Variationstypen ergeben. Referenz und Relevanz spielen für sämtliche Analysen eine zentrale Rolle zur Erfassung der Variationsmuster. Dennoch ist die Gewichtung von Referenz und Relevanz jeweils unterschiedlich. Die in Kapitel 5 beschriebene „Variation unter besonderem Gesichtspunkt der Referenz“ hat in erster Linie mit der Referenz der aktuellen Personenbezeichnungen zu tun. Kapitel 6, „Variation unter besonderem Gesichtspunkt der thematischen Relevanz“, fokussiert dagegn stärker die thematische Relevanz. Kapitel 5.2 erläutert ein Variationsmuster unter besonderer Berücksichtigung des Referenztyps der aktuellen Personenbezeichnung. Es handelt sich bei dieser Variation darum, dass in einigen Texten mit Variation Beidbenennungen bei spezifischen und/ oder konkreten Referenzen Verwendung finden. Dieser Variationstyp kommt im analysierten Text „Die schlaue Filiz“ (Emma1: 8) deutlich zum Ausdruck. Dort wird Gegner als geschlechtsübergreifendes Maskulinum und GegnerInnen als Beidbenennung verwendet. Das Maskulinum Gegner besitzt nicht-spezifische Referenz, die Beidbenennung GegnerInnen (zudem eine Pluralform) spezifische Referenz. Dieser Variationstyp lässt sich so begründen, dass bei einer spezifischen Bezugnahme die explizite Nennung des Geschlechts der Referenten wichtiger ist. Eine nicht-spezifische Bezugnahme stellt die Referenten abstrakter dar. Nicht die einzelnen Individuen als solche werden fokussiert, sondern die Gruppe, weswegen die sprachlich explizite Kennzeichnung solcher Merkmale wie des Geschlechts der Referenten als weniger zentral erscheint. In dem Zeitschriftenartikel „Die unsichtbaren Mädchen“ (Emma1: 26-29), in Kapitel 5.2.1.1 analysiert, handelt es sich um den Unterschied bezüglich der Konkretheit der aktuellen Referenz. Hier konnten wir nachweisen, dass bei genauen Zahlenangaben als Spezifizierung der aktuellen Personenbezeichnung Beidbenennung benutzt wird. Andere Personenbezeichnungen im selben Text, ohne Zahlenangaben, sind hingegen Maskulina. Dieses Phänomen konnte ausgehend vom Relevanzkonzept von Sperber und Wilson (1995) erklärt werden. Bei den spezifischen und/ oder verhältnismäßig konkreten Bezugnahmen sind die kontextuellen Effekte einer Beidbenennung größer als bei den nicht-spezifischen und/ oder abstrakteren Bezugnahmen. Ausgehend von Halliday und Matthiessens (2004) Sprachfunktionsmodell handelt ist dies ein Phänomen, das man anhand der ideationellen Metafunktion erklären kann, das heißt anhand der Art und Weise, wie bestimmte Gegenstände und Ereignisse versprachlicht werden, ohne dass dabei interpersonelle Aspekte im Vordergrund stehen. 201 Kapitel 5.3 behandelt einen weiteren Subtyp der in Kapitel 5 beschriebenen Variation, nämlich die Variation unter dem Gesichtspunkt der interpersonellen Metafunktion. Halliday und Matthiessen (2004) verstehen diese Metafunktion als die sprachlichen Aspekte, die mit der sozialen Beziehung zwischen Sender und Empfänger zu tun haben. In den Analysen konnte gezeigt werden, dass in Texten mit vielen Maskulina und Neutralformen die Beidbenennung besonders unter Bezugnahme auf die Leser des Textes verwendet wird. Dies lässt sich mit Levinson (2000) als ein Ausdruck von Sozialdeixis verstehen. Es handelt sich dabei um Editorials in Zeitungen, Begrüßungen in Überschriften und Ähnliches. Die Verwendung der Beidbenennung an gerade diesen Stellen kann man mit der Relevanz erklären, sämtliche Leser unabhängig vom Geschlecht zu inkludieren. Auch dieser Variationstyp lässt sich somit durch das Relevanzkonzept von Sperber und Wilson (1995) erklären. Die kontextuellen Effekte bestehen für die Leser in der Bestätigung der Annahme, dass sie durch die aktuellen Personenbezeichnungen angesprochen werden. Weniger relevant ist demgegenüber die Verwendung der Beidbenennung bei Bezugnahmen auf Personen, die nicht explizit angesprochen werden, da diese nicht zu den gedachten Lesern gehören. Weiterhin ist in diesem Kapitel ein umfassenderer Text (TU), ein Informationsprospekt für internationale Austauschstudierende, analysiert worden. Daran konnte gezeigt werden, dass angehende Austauschstudierende in den meisten Fällen entweder mit Beidbenennung oder Neutralform bezeichnet werden, während sonstige Personenkategorien - beispielsweise Angestellte der Universität - mehrheitlich mit maskulinen Sprachformen benannt werden. Auch in diesem Falle können wir die Variation mit dem unterschiedlichen Grad der Relevanz einer expliziten Kennzeichnung beider Geschlechterkategorien erklären. Da die angehenden Austauschstudierenden zur Zielgruppe der Publikation gehören, sind die kontextuellen Effekte von Beidbenennungen mit Bezugnahme auf sie größer als auf sonstige Personen, weil dadurch bewusst gemacht werden soll, dass sowohl männliche als auch weibliche Personen angesprochen werden. In Kapitel 6 stand die thematische Relevanz im Vordergrund der Textanalysen. Unter thematischer Relevanz ist Folgendes zu verstehen: Die Verwendung des einen oder anderen Realisierungstyps (Maskulinum oder Beidbenennung) lässt sich mit dem Thema des aktuellen Texts oder der aktuellen Textstelle begründen. Kapitel 6.2 analysiert Texte mit Maskulinum bei männlich stereotypisierten Personengruppen, während Beidbenennungen und Neutralformen zur Bezeichnung anderer Personengruppen in diesen Texten benutzt werden. Ein Männerstereotyp wird dabei als eine Art thematisch verankerter Bewertung (evaluation) der betroffenen Gruppe angesehen. Zahlreiche psycholinguistische Studien haben nachgewiesen, dass der Realisierungstyp Maskulinum in vielen Zusammenhängen männlich konnotiert ist. Daher können wir annehmen, dass die Verwendung des Maskulinums bei stereotyp männlichen Personengruppen diese Stereotypisierung stützt. Ausgehend von Sperber und Wilsons (1995) Relevanz- 202 konzept kann man diese Variation so erklären, dass das Maskulinum einen kontextuellen Effekt herbeiführt. Es verstärkt die männliche Stereotypisierung, nämlich die Annahme, dass es sich vorwiegend um Männer handle. Auf diese Weise erscheint das Maskulinum als relevant. Durch Verwendung des Maskulinums werden allerdings eventuelle Zweifel über die tatsächliche Referenz nicht beseitigt, weil das Maskulinum ambig ist. Vielmehr handelt es sich, wie in der Analyse des Texts „Frauen gehen auf die Barrikaden! “ (Emma1: 20-25) deutlich geworden ist, um eine Suggestion, dass es sich bei manchen Maskulina nur um Männer handle, obwohl durch das Weltwissen deutliche Indizien für die geschlechtsübergreifende Lesart bei diesen Maskulina vorliegen. Bezogen auf die im Kapitel 2 konkretisierten Fragestellungen kann somit auch hier die von Castillo Díaz (2003) und Kohlström (2000) nachgewiesene Variation belegt werden: Das Maskulinum findet in negativer Umgebung, und bei Personen, die als Repräsentanten des Patriarchats dargestellt werden, Verwendung. In ZtG kommt ein Realisierungstyp vor, den man nicht ohne Weiteres zu den drei in diesem Buch angenommenen Realisierungstypen Maskulinum, Beidbenennung und Neutralform zählen kann: Die Unterstrichvariante. Diese als queerpolitisch zu verstehende Leerstellenvariante (Forscher_innen) interessiert dabei als Neuerung. Er unterscheidet sich des Weiteren von den sonstigen behandelten Realisierungstypen, indem das Zweigeschlechtsmodell mit Hilfe ikonischer Zeichen in Frage gestellt wird. Das Kapitel 6.3 behandelt einige Texte, in denen Beidbenennung an den Stellen verwendet wird, an denen Frauen thematisch im Vordergrund stehen und informationsstrukturell fokussiert werden. Die präsentierten Belege entstammen sowohl den zusammengestellten Quellentexten als auch einigen belletristischen Texten und Sachbüchern. Die Verwendung von Beidbenennungen erscheint an diesen Stellen insofern als relevant, als die damit herbeigeführten kontextuellen Effekte zu einer eindeutigen Referenz auf weibliche und männliche Personen führt. In sämtlichen Analysen wurde die referenzielle Opakheit von Maskulina deutlich. Dies stellt zwar an sich keine neue Erkenntnis dar, sie konnte aber durch diese Studie anhand konkreter Textbeispiele belegt und damit im Textzusammenhang analysiert werden. Durch die Variationsmuster - Beidbenennung bei spezifischer Referenz, Beidbenennung bei Bezugnahme auf die Leser, Maskulinum bei Männerstereotyp und Beidbenennung bei thematischer Relevanz - sind unterschiedliche kotextuelle Eigenschaften beschrieben worden. Diese Eigenschaften scheinen die Verwendung des einen oder anderen Realisierungstyps zur geschlechtsübergreifenden Referenz zu fördern. Die Wahl des Realisierungstyps auf der paradigmatischen Achse scheint somit von semantischen und pragmatischen und im weiteren Sinne kommunikativen Faktoren abzuhängen. Es handelt sich bei dieser Wahl darum, welche Sprachfunktion auf welche Weise zum Ausdruck gebracht werden soll. Es handelt sich auch darum, welche Relevanz ein- 203 zelne Realisierungstypen im jeweiligen Kotext haben und was die Wahl eines bestimmten Realisierungstyps über die bloße Referenz hinaus sagt. Personenbezeichnungen tragen mithin zur Konstituierung von Bedeutungen in Texten bei. Das sind Bedeutungen, die sich nicht nur auf die Personenbezeichnungen beschränken, sondern deren Spuren an vielen Stellen im Text vorhanden sind. Solche Bedeutungen können zum Beispiel Stereotypisierungen von Personengruppen als männlich und Hervorhebungen von Gruppen als zentraler als andere Personengruppen sein. Dies zeigt auch, dass die Variation zwischen verschiedenen Realisierungstypen geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen in den untersuchten Texten bestimmte Muster realisiert und nicht willkürlich erfolgt. So kann man den Umgang mit geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnungen vor dem Hintergrund von Stereotypisierungen und Hervorhebungen von Personengruppen als kreativ ansehen. Dies ist allerdings nicht so zu verstehen, dass dabei eine Verfasserintention ermittelt worden wäre. Musterhafte textuelle Erscheinungen können auftreten, ohne dass dahinter bestimmte Absichten stecken. Um die konkrete Verwendung geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen in Texten zu erfassen, ist ein qualitativ ausgerichteter, textlinguistischer Ansatz notwendig. Quantifizierungen von Vorkommen sind dabei wichtig. Sie liefern Frequenzen über die Verwendung verschiedener geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen in unterschiedlichen Medien, Textsorten, Kontexten et cetera. Auch für die einzelnen Textanalysen sind Quantifizierungen zentral, da sie die qualitative Analyse untermauern. Doch nur ausgehend von qualitativen Textanalysen können wir Aussagen über die mit den Personenbezeichnungen zusammenhängenden Textbedeutungen und deren Variationsmuster machen. Der qualitative Ansatz führt jedoch auch mit sich, dass im Rahmen einer Arbeit wie der vorliegenden eine nur begrenzte Anzahl von Texten ausführlich behandelt und analysiert werden kann. Die Variationsmuster - so unterschiedlich sie in den verschiedenen Texten zum Ausdruck kommen - zeichnen sich durch ein gemeinsames Merkmal aus. Sie scheinen sich nämlich durch die Parameter Nähe und Distanz erfassen zu lassen. 154 In einem der Muster werden Beidbenennungen häufig bei spezifischen Referenzen und vom Geschlecht abstrahierende Neutralformen und Maskulina bei nicht-spezifischen Referenzen verwendet. Hier ist spezifische Referenz Ausdruck für Nähe und nicht-spezifische Referenz ein Ausdruck für Distanz. Bei Variation unter dem Aspekt der Bezugnahme auf die Leser steht in kommunikativ-pragmatischer Sicht die Referenz auf die Empfänger für Nähe. 154 Dieses Begriffspaar wird hier allerdings nicht wie bei Koch und Oesterreicher verwendet. Sie verstehen unter Nähe und Distanz etwa den Unterschied zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Nähe und Distanz stellen dabei mehrdimensionale Analysekategorien dar, die zur Erfassung medialer Formen von Sprache und Kommunikation dienen. Siehe hierzu Ágel und Hennig (2010: 1ff.). 204 Dagegen zeichnen sich aus kommunikativer Sicht Bezugnahmen auf sonstige Personen durch Distanz aus. Ähnliches gilt für das in (6.3) beschriebene Variationsmuster. Thematisch relevante Personen, das heißt Gruppen, zu denen Frauen gehören, werden mit Beidbenennung, sonstige Gruppen mit anderen Realisierungstypen bezeichnet. Ein anderer im Fall der thematischen Relevanz in (6.3) ist die Stereotypisierung gewisser Personengruppen als Männer und die Verwendung des Maskulinums. Die Parameter Nähe und Distanz sind auf diese Art thematischer Relevanz insofern anwendbar, als bei den mit Maskulinum bezeichneten Personen eine distanzierende Bewertung (evaluation) zum Ausdruck kommt, weil diese gleichsam als Repräsentanten der Macht und des Patriarchats dargestellt werden. Patriarchalische Macht ist aus einer feministischen Perspektive wie der des Magazins Emma als negativ zu verstehen. So ließ sich am Quellenmaterial diese Art thematischer Relevanz auch nur in feministisch orientierten Texten belegen. Nähe und Distanz sind für sprachliche Kommunikation überhaupt grundlegend. Sie lassen sich durch das Relevanzprinzip, so wie Sperber und Wilson (1995) es verstehen, begründen. Bei Nähe zum behandelten Bezugsobjekt (wenn thematisch zentral oder bei spezifischer Referenz) oder zu den gedachten Empfängern der Mitteilung erscheint die sprachliche Explizitheit in Bezug auf das Geschlecht als relevanter, wenn die damit erzielten kontextuellen Effekte größer sind. Bei Distanz zum Bezugsobjekt (wenn thematisch peripher, wenn als stereotyp männlich dargestellt und/ oder bei nicht-spezifischer Referenz) ist die sprachliche Explizitheit der aktuellen Personenbezeichnung hinsichtlich des Geschlechts weniger relevant, weil die mit einer Beidbenennung erzielten kontextuellen Effekte geringer ausfallen würden. Nähe und Distanz kann man aber auch aus rhetorischer Sicht beleuchten. Jeder Ausdruck sprachlicher Kommunikation ist den Erkenntnissen der Neuen Rhetorik zufolge auch ein rhetorischer Akt (vgl. Ueding und Steinbrink 1986: 167). Zentral in diesem breiten Verständnis von Rhetorik ist der Begriff der Identifikation bei Burke (1950: 20). Er versteht unter Identifikation die Verbindung verschiedener Entitäten, Bezugsobjekte oder Personen miteinander. Durch Identifikation wird eine Beziehung hergestellt. Es mag sich dabei um die Identifikation von Sender und Empfänger, um die Identifikation von Thema der Mitteilung und Empfänger, um die Identifikation von Sender und Thema seiner Mitteilung handeln et cetera. Burke beschreibt Rhetorik so, dass sie immer adressiert ist, einen Adressaten hat, und sich immer der Identifikation bedient. Eine klare Grenze zwischen Kommunikation, Überredung und Identifikation lässt sich nach Burke nicht ohne Weiteres ziehen (vgl. ebd.: 46). In Bezug auf Überredung, einen Kerngegenstand der klassischen Rhetorik und zugleich eine auf den Empfänger bezogene Verbindung oder Identifikation, stellt er Folgendes fest: „You persuade a man only insofar as you can talk his language by speech, gesture, tonality, order, image, attitude, idea, identifying your ways with his.“ (ebd.: 55) 205 Vor diesem Hintergrund kann man, wie Kjeldsen (2006: 233) feststellt, Identifikation mit den klassischen rhetorischen Begriffen Topos und Locus in Verbindung bringen. Unter diesen Begriffen werden so verschiedene Dinge wie mentale Schemata, grundlegende Argumentationsmuster und feste sprachliche Ausdrucksweisen und Argumente verstanden (vgl. ebd.: 151f.). Gemeinsam für sie ist, dass man darunter einen gemeinsamen gedanklichen Platz, in vielen Fällen einen Klischee (vgl. Curtius 1954: 79f.), versteht, an dem sich Sender und Empfänger begegnen können. Dieser gemeinsame Platz erleichtert, so der Gedanke der klassischen Rhetorik, die Kommunikation erheblich. Topos und Locus stellen demnach ein Mittel zur Vereinfachung der Kommunikation dar, ebenso die Identifikation. Bezogen auf die Befunde in diesem Buch kann man Nähe in den Variationsmustern als Ausdruck von Identifikation verstehen. Beim Variationstyp Beidbenennung bei spezifischer Referenz handelt es sich um eine Identifikation der benannten Personen. Auf diese Personen wird spezifisch referiert. Deswegen ist deren Identifikation als Personen - das heißt, die Möglichkeit für den Empfänger, sie als konkrete Personen wahrzunehmen - wichtiger als bei Personen, auf die nicht-spezifisch Bezug genommen wird. Zu dieser Identifikation gehört in den aktuellen Fällen auch die sprachliche Kennzeichnung von Geschlecht. Beim Variationstyp Beidbenennung zur Referenz auf die Empfänger ist die Identifikation insofern relevant, als die Empfänger der aktuellen Mitteilungen sich durch die Personenbezeichnungen als identifiziert wieder finden sollten. In Anlehnung an den Topos- und Locusbegriff kann man bei den texteinleitenden, an die Leser gerichteten Grußformeln (vom Typ Liebe Leserinnen und Leser...) von formelhaften loci communes sprechen (vgl. Kjeldsen 2006: 161ff.). Darunter versteht man formelhafte Wendungen, die der Rhetorik zufolge benutzt werden, um die Hörer oder Leser vom Anfang an mit einzubeziehen um und deren Wohlwollen zu erzielen. Der Begriff der Identifikation kann auch das in Kapitel 6 diskutierte Variationsmuster beleuchten. Bei Maskulinum als Männerstereotyp handelt es sich um die Identifikation gewisser Personengruppen mit Männern. Das Maskulinum verstärkt diese Identifikation, was sich nicht zuletzt in vielen experimentellen Studien zum psycholinguistischen Status verschiedener Realisierungstypen der geschlechtsübergreifenden Personenbezeichnung zeigt (vgl. Irmen und Linner 2005). Diese Art von Variation konnte bisher nur in feministisch orientierten Texten belegt werden. Ähnlich kann man bei dem in Kapitel 6.2 beschriebenen Variationsmuster argumentieren: Verwendung der Beidbenennung dort, wo weibliche Personen thematisch zentral sind. Hier dient die Beidbenennung dazu, die Identifikation der benannten Personen herzustellen. Zu dieser Identifikation gehört dann die explizite Markierung des Geschlechts. Zunächst stellt sich die Frage nach der Gültigkeit der Variationsmuster auch für andere Texte. Um die Tragfähigkeit der Variationsmuster über die analysierten Texte hinaus zu überprüfen, müssten diese anhand eines umfassen- 206 deren Quellenmaterials untersucht werden. Dabei können auf systematische Weise quantitative Methoden mit qualitativen textanalytischen Ansätzen kombiniert werden. Außerdem könnte man systematisch weitere textsortenspezifische Merkmale berücksichtigen, um die jeweils textsortenspezifischen Rahmenbedingungen der Variationsmuster herauszuarbeiten. Ein wichtiger Aspekt für künftige Forschung in diesem Bereich ist zudem die Frage nach weiteren Variationsmustern. Beispielsweise wäre noch systematisch zu untersuchen, inwiefern bestimmte Bezeichnungen von Personen häufiger als andere als Maskulinum, Beidbenennnug oder Neutralform vorkommen. Treten zum Beispiel Personenbezeichnungen, die stereotyp männliche Aktivitäten benennen (etwa Elektriker, Holzfäller), signifikant häufiger als Maskulinum oder als Beidbenennung auf? Wenn ja, in welchen Kontexten? Ein weiterer, in diesem Buch kaum diskutierter Aspekt der Verwendung geschlechtsübergreifender Personenbezeichnungen im Text sind die grammatischen Eigenschaften Numerus und Determinanz der Personenbezeichnungen. Lassen sich beispielsweise Numerus und Determinanz mit der Variation von verschiedenen Realisierungstypen in Verbindung bringen? Ein weiterer textlinguistischer Aspekt, den man einer systematischen Untersuchung unterwerfen kann, ist die Position der jeweiligen Personenbezeichnung im Text. Liegen der Variation etwa text- und informationsstrukturierende Faktoren zugrunde, so dass beispielsweise in Bezug auf Geschlechtsmarkierung explizite Formen wie Beidbenennungen eher am Textanfang und geschlechtsabstrahierende Formen wie Maskulinum und Neutralformen später im selben Text vorkommen? Eine systematische Ermittlung davon, ob noch weitere Regelmäßigkeiten festzustellen sind, könnte noch etliches zu Tage fördern. Insbesondere wäre ein Aspekt interessant, der hier kaum Beachtung finden konnte: Auf welche Weise verhalten sich verschiedene Variationen zueinander? Treten sie kombiniert oder vereinzelt auf? Wenn sie kombiniert auftreten, welche Variationen vertragen sich dann am ehesten miteinander? Interessant ist auch die Frage, wie häufig solche textinternen Variationen vorkommen, bei denen sich gar keine keine Systematizität erkennen lässt. 207 8 Abstract This thesis deals with patterns of variation in the usage of gender-inclusive personal nouns in contemporary German texts. The aim is to examine the existence and shape of such patterns on the basis of textual analyses. The approach is qualitative; the theoretical point of departure is text linguistics and referencesemantics. A functional and social perspective on language is crucial, as well as the notion of relevance. The main strategies for referring to female and male persons with personal nouns are 1) the gender-inclusive masculine (der Lehrer = the teacher), 2) splitting forms (e.g. der Lehrer und die Lehrerin = the male and the female teacher) and 3) gender-neutral forms (e.g. die Lehrenden = ‘those who teach’). The material consists of texts from different contexts, mainly from feminist and academic discourses, but also from popular magazines and newspapers. The texts studied contain a variation between at least two of the three referring strategies. Two main patterns of variation are proposed in the thesis. The first pattern is described in chapter 5 and concerns the art of reference of the current personal noun. Two variation subtypes are distinguished. The first one contains the notion that personal nouns with specific reference are more likely to appear as a splitting form, whereas personal nouns with non-specific reference are more likely to appear in the masculine. The second subtype suggests that personal nouns with reference to the recipients of the current text are more likely to appear as a splitting form. This is considered as an ambition for explicitly including every reader of the text and furthermore as a manifestation of the interpersonal metafunction of language (in the sense of Systemic Functional Linguistics). The second type of variation is described in chapter 6. Here, the concept of relevance is crucial. Focus is on the relevance of pointing out the gender of the referents. The first variation subtype concerns the fact that gender-inclusive masculine nouns are used for denoting groups of people who are stereotyped as male. The second subtype concerns texts where mainly masculine forms are used for gender-inclusive reference. In these texts, splitting forms occur when women are thematically important. The study argues that the patterns found manifest an underlying principle which is central in verbal communication and rhetoric in general: the tension between closeness and distance. Key words: gender, feminism, German, language change, text linguistics, reference theory, relevance theory, semantics, pragmatics, media discourse, systemic functional grammar, evaluation 209 Quellentexte und Literatur Quellentexte Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. hrsg. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 2007. (Aktionsplan). [Im Internet verfügbar: http: / / www.bmfsfj.de, überprüft am 9.5.2009]. Aust, Stefan (2008): Der Baader-Meinhof-Komplex. 5. Auflage. München: Wilhelm Goldmann Verlag. Bochumer Stadt- & Studierenden-Zeitung. 700/ 2006. (bsz700). Bochumer Stadt- & Studierenden-Zeitung. 701/ 2006. (bsz701). Bochumer Stadt- & Studierenden-Zeitung. 703/ 2006. (bsz703). Bochumer Stadt- & Studierenden-Zeitung. 717/ 2007. (bsz 717). 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Jakob Wüest Was Texte zusammenhält Zu einer Pragmatik des Textverstehens Europäische Studien zur Textlinguistik 12 2011, XII, 269 Seiten €[D] 68,00/ SFr 96,90 ISBN 978-3-8233-6642-3 Was macht aus einer Abfolge von Sätzen einen Text? Diese grundlegende Frage der Textlinguistik lässt sich nicht auf einer rein linguistischen Grundlage lösen. Das liegt daran, dass das Verstehen von Texten eine aktive Tätigkeit ist, die mehr als nur sprachliche Kenntnisse voraussetzt. An einen Text gehen wir dabei mit einer gewissen Erwartungshaltung heran, die das Verstehen steuert, aber auch im Verlauf der Lektüre modifiziert werden kann. Unsere grundsätzliche Annahme ist dabei, dass einem Text nicht nur eine bestimmte Kommunikationsabsicht zugrunde liegt, sondern dass auch dessen Sätze beziehungsweise dessen Sprechakte irgendwie untereinander zu einem Ganzen verbunden sind. Diese Verbindungen, die wir Konnektive nennen, werden aber häufig nicht sprachlich markiert. Aufgrund der Untersuchung zahlreicher Textsorten kommen wir zum Schluss, dass das Inventar der Konnektive durchaus begrenzt ist. Zudem ist ihre Verwendung auf bestimmte Textsorten beschränkt, so dass die Kenntnis der Textsorte es erlaubt, den Aufbau eines Textes ohne Mühe zu erkennen. Die vorliegende Studie beruht auf einer Synthese von Ansätzen, die vor allem aus der germanistischen Textlinguistik, der französischen analyse du discours und der Psycholinguistik stammen. 033411 Auslieferung April 2011 8 08.04.11 13: 52