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Sprache und Einstellungen

2012
978-3-8233-7705-4
Gunter Narr Verlag 
Ludwig M. Eichinger
Albrecht Plewnia
Christiane Schoel
Dagmar Stahlberg

Einstellungen und Meinungen prägen das menschliche Handeln, auch die Sprache, die einen zentralen Anker der menschlichen Identität bildet, ist davon betroffen. Der vorliegende Band präsentiert die Ergebnisse eines interdisziplinären Forschungsprojekts zu aktuellen Spracheinstellungen in Deutschland aus sprachwissenschaftlicher und aus sozialpsychologischer Sicht. Mentale Konzepte von Dialekten werden dabei ebenso besprochen wie Bewertungen von Deutsch und anderen Sprachen, Stereotype und Eigen- und Fremdbewertungen. Des Weiteren wird in einer Sprachstandserhebung die Stellung der deutschen Sprache in Deutschland in der Zusammenschau mehrerer einschlägiger Daten und Statistiken, etwa zur Stellung des Deutschen an Schulen und Hochschulen oder zu deutschsprachigen Medien, dokumentiert. Der Band bietet damit die bislang erste umfassende Darstellung von Einstellungen zum Deutschen, zu Varietäten des Deutschen, zu anderen Sprachen und zu Sprechern dieser Sprachen und Varietäten.

Ludwig M. Eichinger / Albrecht Plewnia Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg (Hrsg.) Sprache und Einstellungen Spracheinstellungen aus sprachwissenschaftlicher und sozialpsychologischer Perspektive Mit einer Sprachstandserhebung zum Deutschen von Gerhard Stickel Studien zur Deutschen Sprache F O R S C H U N G E N D E S I N S T I T U T S F Ü R D E U T S C H E S P R A C H E S T U D I E N Z U R D E U T S C H E N S P R A C H E 6 1 Studien zur Deutschen Sprache F O R S C H U N G E N D E S I N S T I T U T S F Ü R D E U T S C H E S P R A C H E Herausgegeben von Arnulf Deppermann, Stefan Engelberg und Ulrich Hermann Waßner Band 61 Ludwig M. Eichinger / Albrecht Plewnia Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg (Hrsg.) Sprache und Einstellungen Spracheinstellungen aus sprachwissenschaftlicher und sozialpsychologischer Perspektive Mit einer Sprachstandserhebung zum Deutschen von Gerhard Stickel Redaktion: Dr. Elke Donalies Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2012 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Layout: Norbert Volz, Mannheim Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0949-409X ISBN 978-3-8233-6705-5 Inhalt Vorwort ........................................................................................................... 7 Albrecht Plewnia / Astrid Rothe Sprache - Einstellungen - Regionalität .......................................................... 9 Astrid Rothe Deutsch und andere Sprachen ..................................................................... 119 Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg Spracheinstellungen aus sozialpsychologischer Perspektive I: Deutsch und Fremdsprachen....................................................................... 163 Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg Spracheinstellungen aus sozialpsychologischer Perspektive II: Dialekte ....................................................................................................... 205 Gerhard Stickel unter Mitarbeit von Julia Weinheimer Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute: Daten und Einschätzungen.......................................................................... 227 Vorwort Im vorliegenden Band werden zum Abschluss der Projektzeit zusammenfassend zentrale Ergebnisse des Projekts „Erkundung und Analyse aktueller Spracheinstellungen in Deutschland“ präsentiert. Dieses Projekt, das gemeinsam vom Institut für Deutsche Sprache und dem Lehrstuhl für Sozialpsychologie der Universität Mannheim (Prof. Dr. Dagmar Stahlberg) durchgeführt und von der Volkswagen-Stiftung finanziert wurde, hatte sich vier Untersuchungsschritte vorgenommen. Zum ersten wurde gegen Ende 2008 eine bundesweite Repräsentativumfrage zum Projektthema durchgeführt. Ausgehend von deren Fragestellungen und zum Teil dann auch angeregt durch ihre Ergebnisse wurden sowohl von der Projektgruppe am Lehrstuhl für Sozialpsychologie wie auch von der soziolinguistischenArbeitsgruppe am IDS eine Reihe von Zusatzuntersuchungen durchgeführt. Diese Untersuchungen stellten den zweiten und dritten Schritt der Projektarbeit dar. Sie gingen auf unterschiedlichen Wegen der Überprüfung der Frage nach, woran sich Einschätzungen von Sprachen und auch ihren Sprechern festmachen und welche Einschätzungsprofile sich auf diese Weise ergeben. Der vierte Punkt der Projektarbeit bestand in der Erstellung einer umfänglichen Dokumentation zur Stellung des Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland und zu entsprechenden Regelungen auf verschiedenen Ebenen. Alle vier Schritte der Untersuchung sind im vorliegenden Band dokumentiert. Die Einschätzungen der Sprachlagenschichtung des Deutschen in Kapitel 1 beruhen auf den Daten der Repräsentativumfrage; sie werden ergänzt und erweitert durch die Befunde aus Befragungen von Schülern und Studierenden zu den regionalen Verhältnissen im Deutschen. Die Ergebnisse entsprechender weiterer Untersuchungen zur Einschätzung von Fremdsprachen machen den Inhalt von Kapitel 2 aus. In den Kapiteln 3 und 4 fasst die sozialpsychologische Projektgruppe Vorgehen und Ergebnisse ihrer Experimente zu Fremdsprachen und zum Nebeneinander von Standardsprache und Dialekten für diesen Band zusammen. Als letzter Teil findet sich die Dokumentation der Daten zur Lage des Deutschen (und anderer Sprachen) in Deutschland. Er wurde von Gerhard Stickel, dem früheren Direktor des IDS, zusammengestellt, der schon 1997 eine Umfrage zu den Spracheinstellungen des Deutschen hatte durchführen lassen und auch die Anregung zu dem jetzigen Projekt gab. Vorwort 8 Ihm sei für die Anregung wie die Bereitschaft zur Mitarbeit gedankt, der VW- Stiftung für die Förderung, bei deren Gewährung sie unter anderem betonte, sie fördere eine Art Pilotprojekt für eine Erhebung, deren regelmäßige Wiederholung bzw. Fortführung von öffentlichem Interesse sei. Das IDS bemüht sich derzeit, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Die Zusammenarbeit über die Grenzen der Wissenschaften mit ihren disziplinären Besonderheiten hinweg ist immer ein Lernprozess, aber zumindest in diesem Fall war es ein lohnender. Um jetzt nur von der sprachwissenschaftlichen Seite und von einem Beispiel zu sprechen: schon in der Gestaltung der Umfrage hat uns die sozialpsychologische Kompetenz geholfen, ein weniger von vorgängigen Kategorisierungen geprägtes Bild zu gewinnen. Ich danke Frau Kollegin Stahlberg für die engagierte Kooperation, Christiane Schoel und Albrecht Plewnia, bei denen die praktische Projektleitung lag, sei besonders dafür gedankt, allen am Projekt Arbeitenden für ihren Einsatz. Es lohnt sich, die Projektergebnisse in all ihren Einzelheiten zu würdigen, und man wird teils die eigenen Erwartungen bestätigt finden, teils auch Überraschungen erfahren. Positiv bewerten kann man sicher auf jeden Fall das große Überblicksbild, das die Umfrage gibt und das doch insgesamt von einer kritischen Gelassenheit der meisten Gewährspersonen zeugt, die durchaus Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden weiß. Mannheim, im Oktober 2012 Ludwig M. Eichinger Albrecht Plewnia / Astrid Rothe Sprache - Einstellungen - Regionalität 1. Das Sprachlagengefüge des Deutschen 1.1 Regionalsprache In der modernen Dialektologie stehen in jüngerer Zeit nicht mehr die standardfernsten Formen, die Basisdialekte, im Vordergrund, sondern regionale Sprachformen, die im mittleren Bereich des Dialekt-Standard-Kontinuums liegen (vgl. Schmidt 1998). In diesem mittleren Bereich (vgl. Bellmann 1983) zwischen (Basis-)Dialekt und Standardsprechsprache liegen regional geprägte, unterschiedlich dialektale, sprechsprachliche Formen, die unterhalb des Standards zu verorten sind. Sie werden beispielsweise als Substandard (z. B. Bellmann 1983, S. 124), Nonstandard (z. B. Henn-Memmesheimer 1986), Gebrauchsstandard (z. B. Berend 2005), regionale Umgangssprache (vgl. Lenz 2008), regionaler Standard (vgl. Auer 1997) oder moderne Regionalsprache (vgl. Herrgen 2006, Schmidt 2010) bezeichnet. Der zwischen Basisdialekt und Standard aufgespannte Bereich kann nach Schmidt (2005) in regionalsprachliche Sprechlagen und in standardsprachliche Sprechlagen (Standard geschulter Sprecher, Kolloquialstandard) eingeteilt werden. Eben diese zwei Bereiche offenbart die von Lenz (2003, siehe auch Lenz 2005) durchgeführte statistische Analyse (Clusteranalyse) von im moselfränkischen Wittlich erhobenen Daten: zum einen ein dialektaler Verdichtungsbereich (Basisdialekt und Regionaldialekt) und zum anderen ein nicht-dialektaler Verdichtungsbereich (unterer regionaler Substandard, oberer regionaler Substandard und Regionalakzent). Die subjektive Einteilung des Dialekt-Standard-Kontinuums durch die Sprachteilnehmer stimmt mit diesen objektiven sprachwissenschaftlichen Einteilungen nicht vollständig überein. Die meisten Sprachteilnehmer sind sich dieses mittleren Bereichs - besonders der weiteren graduellen Untergliederung desselben - nur bedingt bewusst 1 und verfügen über keine klaren Termini zur Beschreibung desselben. Am ehesten können linguistische Laien den Unterschied zwischen Regiolekt und Dialekt beschreiben. Mehr Mühe haben sie 1 Zur Perzeption der Dialektalität und Standardsprachlichkeit von Sprachproben unterschiedlicher Sprechlagen siehe Purschke (2003); siehe auch Eichinger (2010) zur mangelnden Wahrnehmung des mittleren Bereichs. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 10 jedoch mit den Sprechlagen innerhalb des Regiolekts und innerhalb des Dialekts, die sich jeweils graduell unterscheiden. Der Regiolekt wird von Gewährspersonen beispielsweise als „Kauderwelsch“, „kein direktes Hochdeutsch“, „kein reines Hochdeutsch“, „mittleres Hochdeutsch“, „normales Deutsch, kein Hochdeutsch“ oder „Hochdeutsch mit Knubbeln“ bezeichnet (vgl. Cornelissen 2005), der Dialekt wird umschrieben als „Platt, wie wir es können“ (vgl. Lenz 2003). Die regionalen Sprechlagen des Deutschen zu untersuchen, ist das Ziel der Regionalsprachforschung des Deutschen. Dazu werden derzeit eine ganze Reihe verschiedener Forschungsprojekte durchgeführt: zum Beispiel das Projekt Regionalsprache.de (REDE, vgl. z. B. Kehrein 2008a, b), das Projekt Sprachvariation in Norddeutschland (SiN, vgl. z. B. Elmentaler et al. 2006, Elmentaler 2006), das Projekt Variation des gesprochenen Deutsch am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim (vgl. z. B. Kleiner 2010, Berend 2005) und der Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA, vgl. z. B. Elspaß 2007, Möller / Elspaß 2008). Das Dialekt-Standard-Kontinuum des Deutschen ist im deutschen Sprachgebiet regional unterschiedlich ausgeprägt. 2 In der deutschsprachigen Schweiz stehen Dialekt und nationaler Standard ohne einen mittleren Bereich in einem diglossischen Verhältnis zueinander. Das gleiche gilt für das Niederdeutsche in Norddeutschland, sofern es noch gesprochen wird; ansonsten hat in weiten Teilen Norddeutschlands die standardnahe Umgangssprache die soziolinguistische Rolle des Basisdialekts übernommen (vgl. z. B. Stellmacher 2001). Im Süden des deutschsprachigen Raums dagegen, außer in der Schweiz, ist das Dialekt-Standard-Kontinuum in Gänze, d. h. mit Zwischenvarietäten, repräsentiert (ein diaglossisches Repertoire nach Auer 2005, S. 22). Das gilt auch für weite Teile des bezüglich des Dialekt-Standard-Kontinuums insgesamt eher heterogen strukturierten mitteldeutschen Varietätenraums. In allen Teilen des mitteldeutschen Sprachraums wird eine zum Teil starke Tendenz zum Dialektschwund beobachtet (vgl. Dingeldein 2001, S. 46). Für Teile des Westmitteldeutschen wird ein Nord-Süd-Gefälle beschrieben: Während im Norden die Basisdialekte fast vollständig verschwunden sind, ist im südlichen Rheinland, im mosel- und rheinfränkischen Rheinland-Pfalz und Saarland sowie im südlichen Hessen die Bindung an den Dialekt noch relativ stark (für das Rheinland vgl. Macha 2000, für Hessen vgl. Friebertshäuser/ Dingeldein 1989). Die Basisdialekte im Ostmitteldeutschen sind abgesehen 2 Auer (2005) stellt dazu fünf soziolinguistische Typen im Rahmen einer einheitlichen Beschreibung der soziolinguistischen Repertoires in Europa dar; siehe dazu auch Spiekermann (2005). Sprache - Einstellungen - Regionalität 11 vom Vogtland, dem Westerzgebirge und der südlichen Oberlausitz verschwunden (vgl. Schönfeld 1992, Weber 1994, Dingeldein 1997). In großen Teilen Sachsens und Thüringens haben dafür regionale Umgangssprachen die soziolinguistische Funktion der verschwundenen Dialekte übernommen. Das gleiche gilt auch für den Berliner Großraum (vgl. Schönfeld 2001), für das Ruhrgebiet (vgl. Mihm 1997) und für die städtischen Verdichtungsräume um Frankfurt, um Mannheim und Ludwigshafen und um Köln (vgl. Dingeldein 2001; zum Kolloquialstandard als neue überregionale Oralisierungsnorm in Mainz siehe Lameli 2004). In vielen Fällen haben also Stadtsprachen und Regiolekte die ehemals von den Dialekten getragene Funktion als regionale Identitätsmarker übernommen. 1.2 Laiendialektologie Ein außerdem stark betriebener Forschungszweig der modernen Dialektologie umfasst die Laienlinguistik (folk linguistics) und die Wahrnehmungsdialektologie (perceptual dialectology). Dieser Forschungszweig wurde besonders von Dennis Preston geprägt (z. B. 1999, 2010). In der Laienlinguistik wird das Alltagswissen von linguistischen Laien untersucht, also über welche Konzepte und Bewertungen von Varietäten Laien verfügen im Sinne einer „Dialektologie der Dialektsprecher“ (vgl. Mattheier 1985, S. 47). Genauere Hinweise auf die laienlinguistischen Vorstellungen von Dialekten ermöglichen beispielsweise ein präziseres Verständnis von Umfragedaten, die durch die Befragung von Laien gewonnen werden. Solche Daten werden auch in den folgenden Kapiteln beschrieben. Laienlinguistische Vorstellungen über Sprachkonzepte werden in der Wahrnehmungsdialektologie im Zusammenhang mit dem Faktor Raum untersucht. Es geht also um (elizitierte) Konzepte von Sprachräumen. So haben etwa in ersten Untersuchungen in diesem Bereich niederländische und japanische Forscher Ähnlichkeitsbzw. Unähnlichkeitsurteile von Laien erfragt (siehe beispielsweise Weijnen 1946, Sibata 1959; weitere Literatur in Preston 1999). Solche Befragungen sind etwa auch für den Atlas von Bayerisch-Schwaben (König 1997) durchgeführt und in Karten übertragen worden. Für diesen Atlas befragten die Exploratoren die Gewährspersonen nach Orten, in denen im Vergleich zu ihrem Wohnort gleich oder anders gesprochen wird. Ein Instrument zum Erheben von Sprachraumkonzepten sind die sogenannten mental maps bzw. handgezeichneten Karten. Die befragten Gewährspersonen werden bei diesem Instrument darum gebeten, in eine den für die Forschungsfrage relevanten Raum umfassende Blanko-Karte die ihnen bekannten Sprach- Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 12 räume einzuzeichnen, zu benennen und zum Teil auch zu bewerten. Der deutschsprachige Raum bzw. Teile davon wurden anhand dieser Methode handgezeichneter Karten beispielsweise bereits von Diercks (1988, 1994) untersucht. 3 Aktuellere Untersuchungen sind, neben der hier vorgestellten Studie, etwa die Studie von Lameli / Purschke / Kehrein (2008, Lameli 2009), Stoeckle (2010), Anders (2010) 4 und Hundt (2010). 5 Auf das Erhebungsinstrument mittels mental maps bzw. handgezeichneter Karten wird in Kapitel 3.3 genauer eingegangen. Im Atlas von Bayerisch-Schwaben wurden außerdem örtliche Einordnungen von Bayern, Franken und Schwaben elizitiert. Das deutet einen weiteren Aspekt an, der bei laienlinguistischen Sprachkonzepten eine wesentliche Rolle spielt, nämlich die mit den Konzepten unabhängig von ihrer räumlichen Einschätzung in Zusammenhang stehenden, bewertenden und stereotypen Vorstellungen. 6 Die Bewertung von Sprache und Varietäten hängt immer auch zusammen mit der Bewertung ihrer Sprecher. Die Kenntnis von Konzepten und ihre Wertung sind eng miteinander verknüpft. Das Konzept von etwas, das man kennt, wird immer auch bewertet. Ebenso muss man etwas, um es bewerten zu können, zunächst überhaupt kennen bzw. über ein Konzept davon verfügen (vgl. Kristiansen 2010). In Kapitel 3.1 und 3.2 werden solche Bewertungen von Dialekten durch Laien ausgewertet. 7 3 Siehe auch die in Auer (2004) genannten Studien. Auch in der romanistischen Linguistik werden solche Untersuchungen und Ansätze verfolgt (vgl. z. B. Krefeld / Pustka 2010, Pustka 2010). 4 Anders (2010) hat mittels handgezeichneter Karten und der pile-sort-Methode den obersächsischen Raum untersucht. 5 Die von Hundt (2010) vorgestellte Studie ist eine Pilotstudie für ein von der DFG gefördertes Projekt, das an der Universität Kiel durchgeführt wird (Der deutsche Sprachraum aus der Sicht linguistischer Laien, vgl. http: / / www.wahrnehmungsdialektologie.uni-kiel.de/ ) . Erhoben wurde für die Pilotstudie an den Universitäten in Dresden, Erlangen, Frankfurt an der Oder, Freiburg, Heidelberg und Kiel jeweils in Erstsemesterveranstaltungen; dabei wurden 845 Fragebögen ausgefüllt und anschließend ausgewertet. 6 Preston (1999) etwa hat beobachtet, dass Texaner von einer Gewährsperson aus Michigan eher negativ wertend als Hillbillies (‘Hinterwäldler’) bezeichnet werden. 7 Die in Kapitel 3.1 und 3.2 analysierten Ergebnisse stammen aus der Repräsentativumfrage des Projekts (zu dieser Umfrage und Auswertungen dieser Daten siehe Eichinger et al. 2009, Gärtig / Rothe 2009, Gärtig / Plewnia / Rothe 2010, Plewnia / Rothe 2009, Plewnia / Rothe 2011a, Plewnia / Rothe 2011b). Eine andere Studie zu Dialektbewertungen findet sich in Hundt (1992). Andere Studien untersuchen die Form-Assoziationen bzw. Visualisierungen von Varietäten (z. B. Berthele 2006, Spiekermann 2010). Sprache - Einstellungen - Regionalität 13 1.3 Selbsteinschätzungen und regionalsprachliches Wissen Im folgenden zweiten Kapitel wird der typische deutsche Dialektsprecher beschrieben (Kapitel 2). Dafür wird auf die Ergebnisse der Repräsentativumfrage des Projekts eingegangen. Es wird erläutert, wer laut Selbstaussage Dialekt kann (2.1) und wie häufig Dialekt gesprochen wird (2.2). Der aufgrund dieser Angaben gezeichnete repräsentative Dialektsprecher wird in Bezug auf den in der traditionellen Dialektologie beschriebenen sogenannten NORM gesetzt. Schließlich wird im letzten Teil dieses Kapitels (2.3) dieses allgemeine deutschlandweite Profil des repräsentativen Dialektsprechers regional spezifiziert, d. h. es wird genauer für bestimmte Dialekte betrachtet, etwa der typische Norddeutsch-Sprecher oder der typische Bairisch-Sprecher. Im dritten Kapitel werden laienlinguistische Konzepte von Dialekten, von Sprachräumen und laienlinguistische, wertende Meinungen gegenüber Dialekten untersucht (Kapitel 3). Dieses Kapitel besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil werden die in der Repräsentativumfrage des Projekts erhobenen Dialektbewertungen erläutert, und es wird die für die Erhebung der Dialektbewertungen verwendete Methode diskutiert und in Zusammenhang mit der diesbezüglichen Diskussion in der empirischen Sozialforschung gesetzt (3.1). Im zweiten Teil dieses Kapitels wird beschrieben, welche Faktoren dieses laienlinguistische Basiswissen beeinflussen (3.2); dazu gehören die Herkunft der Gewährsperson und die Prominenz einiger Dialekte (3.2.2 bis 3.2.4). Diese Faktoren werden anhand einer weiteren im Spracheinstellungsprojekt durchgeführten Umfrage mit Schülern validiert (3.2.5). Schließlich wird gesondert auf ein Sprachraumkonzept näher eingegangen, das im laienlinguistischen Basiswissen einen zentralen Platz einzunehmen scheint: Ostdeutsch (3.2.6). Im dritten Teil dieses Kapitels wird laienlinguistisches Raumwissen analysiert (3.3). Dafür werden die Ergebnisse einer dritten Studie erläutert, an der deutschlandweit an vier Erhebungsorten 430 Studierende teilgenommen haben. Erhoben wurden handgezeichnete Karten, d. h. die Befragten wurden gebeten, auf einer Blanko-Karte Deutschlands die ihnen bekannten Sprachräume einzutragen und zu benennen. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 14 2. Selbsteinschätzungen der Sprecher 2.1 Dialektkompetenz Die traditionelle, in ihrem Kern sprachhistorisch ausgerichtete Dialektologie interessiert sich für einen ganz bestimmten Sprechertypus. Der ideale Informant für dialektologische (sprachhistorische) Fragestellungen ist demnach derjenige, der einen Basisdialekt spricht, wobei dieser Basisdialekt als Materialisierung der kleinräumigsten sprachlichen Variation gedacht wird. Dieser prototypische Dialektsprecher wird als ein älterer, ländlich lebender und ortsfester Mann beschrieben. Dieser Idealsprecher wird nach Chambers und Trudgill (1980, S. 30) als NORM bezeichnet, d. h. als non-mobile older rural male (vgl. auch Barbour / Stevenson 1998, Niebaum / Macha 2006). In dem Maße, in dem auch soziolinguistische neben die sprachhistorischen Fragestellungen traten, wurde am Konzept dieses NORM verschiedentlich Kritik geübt, insofern der NORM nur einen ganz bestimmten Ausschnitt der sprachsoziologischen Realität repräsentiert. Schon für den Anfang des 20. Jahrhunderts können die NORM s nicht mehr als repräsentativ für die Alltagswirklichkeit des Dialektgebrauchs angesehen werden (vgl. König 1982, S. 472). Die Frage jedoch, wie ein modernes Alternativkonzept zum traditionellen NORM -Sprecher aussehen könnte und wie man sich einen deutschen „Durchschnitts-Dialektsprecher“ vorzustellen habe, ließ sich bisher nicht ohne weiteres beantworten. Auf der Grundlage der soziodemographischen Daten der Repräsentativumfrage des Projekts sind aber immerhin statistische Aussagen über einen durchschnittlichen „repräsentativen Dialektsprecher“ möglich. Für diesen repräsentativen Dialektsprecher kann berechnet werden, welche Eigenschaften ihn besonders kennzeichnen. 8 In einem ersten Schritt soll so ein virtueller Durchschnittsdialektsprecher für ganz Deutschland vorgestellt werden. Da es sich bei diesem deutschlandweiten Profil aber notwendigerweise um eine Verallgemeinerung handelt, die regionale Unterschiede nivelliert, wird dieses Profil 8 Dieser Zusammenhang kann mit einer logistischen Regression berechnet werden. Mithilfe einer logistischen Regression wird jeweils der Zusammenhang zwischen einer Reihe von unabhängigen Variablen (z. B. Geschlecht, Alter, Schulabschluss, Tätigkeit, politische Orientierung) mit einer dichotomen abhängigen Variable (z. B. Dialektkompetenz) berechnet. Die dichotome Variable der Dialektkompetenz hat zwei Ausprägungen: „ja“ bzw. „dialektkompetent“ und „nein“ bzw. „nicht dialektkompetent“. Mit der logistischen Regression wird berechnet, wodurch beeinflusst wird, ob eine Person eher dialektkompetent ist oder nicht. Dabei werden die potentiell erklärenden, unabhängigen Variablen auch Prädiktoren genannt. Wird einer dieser Prädiktoren als ein signifikanter Einflussfaktor berechnet, so heißt das, dass dieser Prädiktor bei der Erklärung der abhängigen Variable wesentlich ist. Zu diesem Fragekomplex siehe auch die Ergebnisse in Eichinger et al. (2009) und Gärtig / Plewnia / Rothe (2010). Sprache - Einstellungen - Regionalität 15 des repräsentativen Dialektsprechers in Kapitel 2.3 für einige Dialekte des Deutschen spezifiziert (zu Stereotypen von Dialektsprechern siehe Schoel / Stahlberg in diesem Band). Den Ergebnissen der Repräsentativumfrage des Projekts nach lässt sich das Profil des repräsentativen Dialektsprechers in Deutschland wie folgt beschreiben: - der repräsentative Dialektsprecher in Deutschland ist älter, - der repräsentative Dialektsprecher in Deutschland ist männlich, - der repräsentative Dialektsprecher in Deutschland stammt besonders aus Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland (vgl. Diagramm 1) und - der repräsentative Dialektsprecher in Deutschland wohnt in eher kleineren Orten oder in einer Großstadt (vgl. Diagramm 2). Diagramm 1 und Diagramm 2 zeigen den Anteil an Dialektsprechern nach Herkunftsbundesland und nach Größe des Wohnorts. SH+HH BW SN BB MV BE BY HE NI+HB NW RP+SL ST TH 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 1: Anteil an Dialektsprechern nach Herkunftsbundesland 9 9 Bei der statistischen Auswertung wurden aus statistischen Gründen einige Bundesländer zusammengefasst: Schleswig-Holstein und Hamburg, Niedersachsen und Bremen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Die Abkürzungen für die Bundesländer sind diejenigen, die in den offiziellen Schriften des Deutschen Bundesrats Anwendung finden (vgl. http: / / www. bundesrat.de/ nn_7216/ DE/ ServiceElemente/ abkuerzungen/ abkuerzungen-node.html? __nnn=true , Stand: August 2012); es bedeuten: BB: Brandenburg, BE: Berlin, BW: Baden-Württemberg, BY: Bayern, HB: Bremen, HE: Hessen, HH: Hamburg, MV: Mecklenburg-Vorpommern, NI: Niedersachsen, NW: Nordrhein-Westfalen, RP: Rheinland-Pfalz, SH: Schleswig-Holstein, SL: Saarland, SN: Sachsen, ST: Sachsen-Anhalt, TH: Thüringen. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 16 Die im ersten Diagramm abgebildeten Ergebnisse zeigen, dass der Anteil an Dialektsprechern in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Bremen, Thüringen und in Mecklenburg-Vorpommern eher kleiner ist. Die Aufschlüsselung der Anteile pro Wohnortgröße wird in Diagramm 2 abgebildet. bis 100 000 bis 5 000 bis 500 000 bis 2 000 bis 10 000 bis 20 000 bis 50 000 über 500 000 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 2: Anteil an Dialektsprechern nach Wohnortgröße (Einwohnerzahl) Das Diagramm 2 zeigt, dass Dialektsprecher eher in kleineren Orten leben. Der Anteil an Dialektsprechern nimmt ab, je größer der Wohnort ist. In den kleinsten Wohnorten (bis 2 000 Einwohner) sinkt der Anteil jedoch im Vergleich zu den nächstgrößeren Wohnorten, den Landstädten mit bis zu 5 000 Einwohnern, wieder etwas (der Unterschied ist statistisch jedoch nicht signifikant). Ein signifikanter Anstieg besteht zwischen dem Anteil der Dialektsprecher in Städten mit bis zu 500 000 Einwohnern und Städten mit über 500 000 Einwohnern. 10 Bezüglich des Schulabschlusses lässt sich der repräsentative Dialektsprecher nicht spezifizieren. 11 10 Der Vergleich der Anteile von Dialektkönnern und Nicht-Dialektkönnern in Städten mit bis zu 500 000 Einwohnern und Städten mit über 500 000 Einwohnern ist höchst signifikant, wenn auch die Effektstärke (Cramérs V 2 (1)=12,95, p<0,001, Cramérs V=0,18. 11 Die Verteilung der relativen Häufigkeiten von Dialektkönnern pro Bildungsabschluss (64,7 % der Personen mit Hauptschulabschluss sind Dialektkönner, 55,1 % der Personen mit Mittlerer Reife, 57,0 % der Personen mit Abitur und 56,8 % der Personen mit Hochschulabschluss; vgl. Gärtig / Plewnia / Rothe 2010, S. 140, Diagramm 291) suggeriert zwar einen Zusammenhang mit der angegebenen Dialektkompetenz. Es wird aber bei der logistischen Regression kein statistisch signifikanter Einfluss berechnet. Sprache - Einstellungen - Regionalität 17 Ein Punkt ist noch erklärungsbedürftig, nämlich das nicht stetige Abnehmen der Dialektkompetenz mit dem Zunehmen der Wohnortgröße besonders bei Städten mit über 500 000 Einwohnern (vgl. Diagramm 2). Das lässt sich vermutlich darauf zurückführen, dass das alltagssprachliche Konzept von Dialekt, auf dem die Antworten der Befragten basieren, unterschiedliche bzw. mehrere intermediäre Sprechlagen des Dialekt-Standard-Kontinuums umfasst (s. o. Kapitel 1). Für jemanden, der aus einem kleinen Ort stammt, in dem noch ein Basisdialekt oder dem Basisdialekt sehr nahe Sprechlagen verwendet werden, ist die Referenzgröße für das Konzept von Dialekt eine andere, nämlich eine eher am Basisdialekt orientierte, als für jemanden, der aus einem größeren Wohnort kommt bzw. in einer eher dialektfernen Umgebung lebt, in der standardnah gesprochen wird, und die Referenzgröße somit eher eine standardnähere und basisdialektfernere Sprechlage ist (z. B. die Stadtsprachen in Berlin, Köln und Hamburg). Während also für ersteren das Konzept von Dialekt wahrscheinlich eher basisdialektale Sprechlagen beschreibt, umfasst das Konzept von Dialekt für letzteren eher regional gefärbte Sprechlagen des Substandards (vgl. z. B. Kehrein 2008b). Wenn beide Gewährspersonen eine vergleichbare Sprechlage aus dem mittleren Bereich verwenden, fällt ihre Angabe, ob sie Dialekt können, deshalb trotzdem unterschiedlich aus, da sie sich bei der für die Angabe zugrundegelegten Definition von Dialekt auf verschiedene Referenzgrößen beziehen. Die eine Gewährsperson vergleicht die von ihr gesprochene Form mit dem Basisdialekt und ordnet sie als diesem eher entfernter ein; sie wird die Frage nach der Dialektkompetenz also negativ beantworten. Die andere Gewährsperson dagegen zieht den Vergleich der von ihr gesprochenen Sprechlage des mittleren Bereichs mit einer eher standardnahen Form und beurteilt ihre Sprechlage deshalb als dialektal; diese Gewährsperson wird die Frage also mit einem Ja beantworten. 12 Mit dieser Argumentation kann der Rückgang der Dialektkompetenz für die sehr kleinen Wohnorte erklärt werden. 12 Alternativ könnten in einer Befragung die Gewährspersonen darum gebeten werden, die Dialektalität der von ihnen gesprochenen Sprachformen auf einer Skala einzuschätzen oder genauer anzugeben, was genau sie unter Dialekt verstehen (vgl. dazu auch Mattheier 1994, Huesmann 1998). Damit würde die laienlinguistische Definition von Dialekt sozusagen geeicht an der sprachwissenschaftlichen Definition. Eine andere Möglichkeit, die Dialektalität des Dialektkonzepts der befragten Laien zu spezifizieren, ist, den Gewährspersonen Sprachproben vorzuspielen. Ein solches Vorgehen ist einerseits im Rahmen einer großen Repräsentativerhebung, bei der die Fragen zu Dialekten nur einen kleinen Teil ausmachen, nicht realistisch. Andererseits ist nicht klar, welche Ergebnisse ein solches Vorgehen genau erzielen würde. Letztlich bleibt für die Erhebung von Spracheinstellungen die ungeeichte Definition von Dialekt relevant, die für Laien maßgeblich ist. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 18 Drei Fünftel der Deutschen können einen Dialekt; zwei Fünftel, d. h. 40 Prozent der Deutschen, können dagegen keinen Dialekt. 13 Besonders häufig werden in Deutschland norddeutsche Dialekte, Bairisch, Sächsisch und Schwäbisch gesprochen (vgl. die detaillierte Tabelle mit den Häufigkeiten in Gärtig / Plewnia / Rothe 2010, S. 141ff.). Einige Menschen geben sogar an, mehr als einen Dialekt zu können. Bei den angegebenen Dialekten handelt es sich wahrscheinlich auch um regionale Substandardformen. Die Befragten sind Laien, sie verfügen also vermutlich lediglich über ein alltagssprachliches Verständnis der abgefragten Kategorien (vgl. Mattheier 1985, 1994), also sowohl von der Kategorie „Dialekt“ als auch von der Verbalphrase „Dialekt können“. Das, was im engen linguistischen Sinne als Dialekt definiert wird, stimmt nicht immer überein mit dem, was linguistische Laien für Dialekt halten. Sprachformen, die unter linguistischen Gesichtspunkten beispielsweise regionalsprachliche Gebrauchsstandards, also regional gefärbte Substandards sind, werden von Laien vielfach als Dialekt bezeichnet. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die in einigen Regionen an die Stelle des Dialekts getretenen Regiolekte als Dialekt wahrgenommen werden und sich daher Menschen, die 13 Das wird durch die Ergebnisse einer Umfrage der Gesellschaft für deutsche Sprache bestätigt (Hoberg / Eichhoff-Cyrus / Schulz 2008). In dieser 2008 vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführten Umfrage bejahen sogar 73 Prozent der Befragten die Frage „Können Sie die Mundart hier aus der Gegend sprechen? “. Diese Befragtengruppe setzt sich zusammen aus 48 Prozent, die „Ja, spreche die Mundart“ antworten, und 25 Prozent, die „Ja, ein wenig“ antworten. Bereits in den ähnlichen Allensbach-Umfragen der Jahre 1991 und 1998 sind vergleichbar hohe Werte verzeichnet: 72 Prozent (55 % „Ja, spreche die Mundart“, 17 % „Ja, ein wenig“, 1991) und 73 Prozent (50 % „Ja, spreche die Mundart“, 23 % „Ja, ein wenig“, 1998). Lediglich der Anteil derer, die antworten, sie können die Mundart nur ein wenig, nimmt etwas zu, während dagegen der Anteil derer, die angeben, die Mundart zu sprechen, entsprechend etwas abnimmt. Die Ergebnisse der 1998 durchgeführten Umfrage (vgl. Stickel / Volz 1999) - bei dieser vom Institut für Deutsche Sprache beauftragten, ebenfalls bundesweiten Repräsentativumfrage wurden im Winter 1997/ 98 insgesamt 2 025 Personen befragt - zeigen dagegen weniger deutliche Ergebnisse. Im Vergleich zur Repräsentativumfrage des Projekts von 2008 und den Umfragen der Gesellschaft für deutsche Sprache geben erkennbar weniger Menschen an, Dialekt zu können. 43,1 Prozent bejahen die Frage (die 43,1 % setzen sich wie folgt zusammen: 12,0 % „ja, sehr gut“, 14,3 % „ja, gut“, 16,8 % „ja, ein wenig“), 56,8 Prozent verneinen sie. In allen drei Umfragen wurde die Frage mit dem Verb „können“ gestellt (Frage in der Repräsentativumfrage des Projekts: „Können Sie einen deutschen Dialekt oder Platt? “, in der Umfrage 1997/ 98 (Stickel / Volz 1999) gestellte Frage: „Können Sie auch Dialekt oder Platt sprechen wie z. B. Schwäbisch oder Mecklenburger Platt? “, in der Umfrage der Gesellschaft für deutsche Sprache gestellte Frage: „Können Sie die Mundart hier aus der Gegend? “). Somit besteht bei all diesen Umfragen die Möglichkeit, dass einige der Befragten die Verbalphrase „Dialekt können“ weit fassen (z. B. inklusive der Lesart „einen Dialekt nachahmen zu können“). Ebenfalls gilt es, einzuschränken, dass nicht klar ist, was die Interviewten unter „Dialekt“, „Platt“ bzw. „Mundart“ verstehen (Mattheier 1985, 1994). Sprache - Einstellungen - Regionalität 19 lediglich Regiolekt sprechen, aber keinen Basisdialekt, entsprechend als dialektkompetent einordnen (s. o.). Das gilt besonders für die sprachlichen Verhältnisse im norddeutschen Sprachraum, wo die niederdeutschen Basisdialekte kaum mehr gesprochen werden. Laut einer rezenten Studie des Instituts für niederdeutsche Sprache geben 14 Prozent der Befragten an, „(sehr) gut“ Plattdeutsch sprechen zu können, 23 Prozent bewerten ihre Sprachkompetenz des Plattdeutschen als „mäßig“ (vgl. Möller 2008). In der Repräsentativumfrage des Projekts geben 24,6 Prozent 14 der Deutschen an, eine regionale Varietät des Norddeutschen zu können. Die Differenz zwischen dem Anteil von 14 Prozent und dem Anteil von 24,6 Prozent kommt daher, dass einige Befragte zwar kein Plattdeutsch können, sondern eine vermutlich relativ standardnahe regiolektale Form sprechen, diese aber als in ihrem Referenzsystem als ausreichend dialektal empfinden, um sie zu nennen. Vor diesem Hintergrund ist auch die große Anzahl von Dialektkönnern in den großen Städten (vgl. Diagramm 2) besser einzuordnen. Besonders die in einigen Ballungszentren großer Städte gesprochenen regionalen Substandards, z. B. Berlinisch in Berlin und Brandenburg, Kölsch im Kölner Raum, Obersächsisch um Leipzig und Dresden oder die im Ruhrgebiet gesprochene Sprachform werden als Dialekte wahrgenommen, und entsprechend geben die Befragten aus diesen Regionen bzw. Wohnorten an, Dialekt zu können. Das erklärt die insgesamt doch sehr hohe Zahl an Dialektsprechern. Dieser hohe Anteil der laut Selbstauskunft eine regionale Sprachform könnenden Menschen unterstreicht auch den Stellenwert von Regionalität. Regionale Sprechweisen und die Beherrschung dieser spielen für die Sprecher anscheinend eine wichtige Rolle: Es scheint allgemein besonders attraktiv zu sein, eine regionale Sprachform zu können. Der repräsentative Dialektsprecher ist nicht nur eine Person, die eine dem Basisdialekt nahestehende Form oder einen Regionaldialekt beherrscht, sondern eben auch eine Person, die einen regionalen Substandard oder sogar einen Regionalakzent kann und diesen möglicherweise als dialektal genug wahrnimmt, um ihn als beherrschten Dialekt zu nennen. 14 Diese 24,6 Prozent der Sammelkategorie Norddeutsch setzen sich folgendermaßen zusammen: 14,0 Prozent „Norddeutsch/ Platt“, 5,4 Prozent „Platt“, 2,1 Prozent „Westfälisches Platt“, 1,8 Prozent „Mecklenburger Platt“, 1,0 Prozent „Hamburgerisch“ und 0,3 Prozent „Norddeutsch, nicht Niederdeutsch“ (siehe Gärtig / Plewnia / Rothe 2010, S. 142). Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 20 2.2 Gebrauchsfrequenz von Dialekt Das Profil des repräsentativen Dialektsprechers kann auf der Grundlage der erhobenen Daten der Repräsentativumfrage des Projekts ergänzt werden um die Frequenz des Dialektgebrauchs. Nur weil jemand einen Dialekt beherrscht, heißt nicht, dass er ihn verwendet. Im Folgenden werden deshalb die relevanten Faktoren für die Gebrauchsfrequenz von Dialekt erläutert. Ob jemand häufig Dialekt spricht, hängt laut der Ergebnisse der Repräsentativumfrage des Projekts zusammen mit: 15 - dem Herkunftsbundesland (vgl. Diagramm 3), - der Wohnortgröße (vgl. Diagramm 4), - dem Schulabschluss (vgl. Diagramm 4) und - der politischen Orientierung (vgl. Diagramm 4). Keinen Einfluss hat das Geschlecht: Männer und Frauen sprechen gleich häufig Dialekt. In Diagramm 3 sind die Anteile der frequenten Dialektsprecher nach Herkunftsbundesland und in Diagramm 4 sind diese Anteile pro signifikantem Faktor aufgezeichnet. 15 Die signifikanten Einflussfaktoren für die Frequenz des Dialektgebrauchs werden auf der Grundlage der Daten der Repräsentativumfrage des Projekts wie für die Dialektkompetenz mittels einer logistischen Regression berechnet. Als erklärende unabhängige Variablen werden in die Berechnung folgende Variablen einbezogen: Geschlecht, Herkunftsbundesland, Einwohnerzahl bzw. Wohnortgröße, Schulabschluss, berufliche Tätigkeit und politische Orientierung (zu diesen Variablen siehe Gärtig / Plewnia / Rothe 2010). Für die logistische Regression werden die Antwortkategorien der Frage nach dem Dialektgebrauch (vgl. ebd., Kapitel 3.1.3, S. 146ff.) in zwei Kategorien umkodiert. Die Antwortkategorien „immer“ und „oft“ werden zusammengefasst in die Ausprägung „frequent“; die Antwortkategorien „manchmal“, „selten“ und „nie“ werden der Ausprägung „niederfrequent“ zugeordnet. Im Prinzip könnte für die Variable der Dialektgebrauchsfrequenz auch eine lineare Regression berechnet werden. Die Variable ist aber im engen Sinn nicht intervallskaliert, so dass zum einen eine Zusammenfassung der Ausprägungen der Variable in zwei dichotome Ausprägungen und die Berechnung einer logistischen Regression adäquater ist. Zum anderen stellt die logistische Regression außerdem weniger Ansprüche an die Beschaffenheit der Prädiktoren. Die Variable „Berufliche Tätigkeit“ hat nur einen sehr knapp signifikanten Einfluss auf die Dialektgebrauchsfrequenz: Personen, die eine gehobene Tätigkeit ausüben, sprechen eher niederfrequent Dialekt. Sprache - Einstellungen - Regionalität 21 SH+HH BW SN BB MV BE BY HE NI+HB NW RP+SL ST TH 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 3: Anteil an frequenten Dialektsprechern nach Herkunftsbundesland 16 HEW ALT por GES BIL 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent GES : Geschlecht ( männlich, weiblich); ALT : Alter ( 18-29, 30-59, 60+); BIL : Bildungsabschluss ( niedrig, hoch); HEW : Wohnortgröße ( niedrig, hoch); por : Politische Orientierung ( links, rechts) Diagramm 4: Anteil frequenter bzw. niederfrequenter Dialektsprecher nach signifikanten Prädiktoren 16 Für die Abkürzungen siehe Fußnote 9. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 22 Besonders häufig sprechen Personen Dialekt, die aus Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen stammen, in eher kleineren Wohnorten leben, über einen Hauptschulabschluss oder den Abschluss der Mittleren Reife verfügen und ihre politische Orientierung eher rechts einordnen. Besonders selten wird Dialekt dagegen in Schleswig-Holstein und Hamburg, Nordrhein- Westfalen sowie Niedersachsen und Bremen gesprochen. Anders als bei der Dialektkompetenz nimmt die Frequenz des Dialektgebrauchs mit dem Anstieg der Wohnortgröße stetig ab. Das erscheint vor dem Hintergrund des in Kapitel 2.1 beschriebenen Zusammenhangs der Wohnortgröße und der Dialektkompetenz überraschend. Eine mögliche Erklärung ist, dass diejenigen, die bejahen, einen Dialekt zu können, und dabei einen regionalen, städtischen Substandard meinen, sich bei der Frage nach der Frequenz des Dialektgebrauchs bewusst werden, dass es sich dabei nicht um einen Basisdialekt handelt. Möglicherweise versuchen sie ihre Dialektkompetenzangabe durch die Angabe einer niedrigen Gebrauchsfrequenz zu kompensieren. Die Konstruktion und Betrachtung eines repräsentativen Dialektsprechers, wie sie hier durchgeführt wurde, ist notwendigerweise eine Abstraktion. Sie setzt sich zusammen aus den Profilen von Sprechern der verschiedenen Dialekte. Diese Dialekte befinden sich bezüglich ihrer Konstitution im Dialekt- Standard-Kontinuum in einem sehr unterschiedlichen Zustand (siehe oben Kapitel 1.1). Es ist daher sinnvoll, die repräsentativen Sprecher einzelner Dialekte genauer zu betrachten. 2.3 Regionale Dialektsprecherprofile Im Folgenden werden die Profile der Sprecher einiger Dialekte näher betrachtet. Lediglich die größeren Dialekte, d. h. die am meisten als gekonnt angegebenen Dialekte, können dafür in Betracht gezogen werden, da sonst eine statistische Analyse wenig aussagekräftig und deshalb nicht zweckmäßig ist. Diese Dialekte sind Norddeutsch 17 (N=288), Bairisch (N=216), Sächsisch (N=138), Schwäbisch (N=130), Hessisch (N=83) und Berlinisch (N=75). Für die Sprechergruppen dieser Dialekte wurde überprüft, mit welchen soziodemographischen Faktoren sie zusammenhängen, also wie das soziodemographische Profil des typischen Norddeutsch-Sprechers oder das des typischen Bairisch-Sprechers aussieht. 18 17 Norddeutsch ist in dieser Analyse eine Sammelkategorie, in der alle genannten norddeutschen Varietäten zusammengefasst wurden (siehe Eichinger et al. 2009, S. 13; vgl. auch oben Fußnote 15). 18 Ob die Profile besondere Merkmale aufweisen, wird mittels logistischer Regressionen berechnet. Mit der logistischen Regression wird jeweils der Zusammenhang zwischen den Sprache - Einstellungen - Regionalität 23 In Diagramm 5 und in Diagramm 6 sind die für die jeweiligen Dialekte signifikanten soziodemographischen Faktoren aufgeführt. Es wird jeweils dargestellt, wie hoch der Anteil an Sprechern dieser Dialekte je nach Ausprägung des soziodemographischen Faktors ist. ALT DFR HEW ALT por DFR HEW Norddeutsch Bairisch 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent ALT : Alter ( 18-29, 30-59, 60+); HEW : Wohnortgröße ( niedrig, hoch); DFR : Dialektgebrauchsfrequenz ( niedrig, hoch); por : Politische Orientierung ( links, rechts) Diagramm 5: Signifikante soziodemographische Faktoren je Dialekt (Norddeutsch, Bairisch) unabhängigen Variablen Geschlecht, Alter, Schulabschluss, politische Orientierung, Dialektgebrauchsfrequenz und dem Sprechen eines der genannten Dialekte berechnet. Dafür werden die als gekonnte Dialekte genannten Variablen der näher betrachteten Dialekte (Norddeutsch, Bairisch, Sächsisch, Schwäbisch, Hessisch und Berlinisch) in dichotome Variablen umkodiert. Dabei wird für jeden dieser Dialekte eine Variable kodiert. Für jeden dieser Dialekte ist die eine Ausprägung der Variablen, dass dieser Dialekt angegeben wird, die andere Ausprägung, dass ein anderer Dialekt angegeben wird. Mit der logistischen Regression wird also berechnet, wodurch beeinflusst wird, ob von den Dialektkönnern ein bestimmter Dialekt eher angegeben wird oder nicht. Nicht einbezogen werden dabei das Herkunftsbundesland und zum Teil die Wohnortgröße, da besonders das Herkunftsbundesland, also die geographische Herkunft, ein entscheidender Bestandteil der untersuchten abhängigen Variable (Dialekt X) ist und die Wohnortgröße damit zusammenhängt. Die potentiell vorhandenen Wohnortgrößen sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Die Verteilung von Wohnortgrößen für bestimmte Dialekte hängt also eher mit der Beschaffenheit des Bundeslands zusammen als mit dem Dialekt. Es ist beispielsweise offensichtlich, dass bei der Sprechergruppe, die Berlinisch zu können angibt, die Wohnortgröße signifikant ist, da der Stadtstaat Berlin, in der diese Varietät vornehmlich - neben den angrenzenden Orten in Brandenburg - gesprochen wird, nun einmal eine Millionenstadt ist. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 24 ALT ALT BIL 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Sächsisch Hessisch Berlinisch ALT : Alter ( 18-29, 30-59, 60+); BIL : Bildungsabschluss ( niedrig, hoch) Diagramm 6: Signifikante soziodemographische Faktoren je Dialekt (Sächsisch, Hessisch, Berlinisch) Norddeutsch-Sprecher sind eher ältere Personen, und sie kommen eher aus größeren Wohnorten (vgl. Diagramm 5). Die Norddeutsch-Sprecher verwenden ihren Dialekt eher nicht so oft. Die Bairisch-Sprecher dagegen sind insbesondere jünger, sie kommen aus eher kleineren Orten, und sie gebrauchen den Dialekt häufiger (vgl. Diagramm 5). Ihre politische Orientierung schätzen sie eher rechts ein. Der Anteil der Sächsisch-Sprecher ist bei den 18-29-Jährigen sehr hoch (Diagramm 6). Bei keinem der drei Dialekte überwiegt der Anteil der Sprecher eines Geschlechts; Norddeutsch, Bairisch und Sächsisch können Männer und Frauen gleich oft. Die Schwäbisch-Sprecher zeichnen sich nicht durch besondere soziodemographische Merkmale aus. Hessisch-Sprecher sind vor allem ältere Personen (vgl. Diagramm 6). Berlinisch-Sprecher verfügen eher über einen höheren Bildungsabschluss (vgl. Diagramm 6). Ein bedeutsamer Unterschied zwischen den Sprechern dieser Dialekte ist die Verwendungshäufigkeit des Dialekts. In Diagramm 7 sind die Mittelwerte der Dialektgebrauchsfrequenz pro Dialekt abgebildet. 19 19 Die verwendeten Abkürzungen sind die folgenden: Bai: Bairisch, Ber: Berlinisch, Frä: Fränkisch, Hes: Hessisch, Nd: Norddeutsch, Sä: Sächsisch, Swä: Schwäbisch. Statistik: Welch F(6, 287)=31,66, p ! ! " #$ & ! Howell) und entsprechende t-Tests: M Nd =2,62 (SE Nd =0,07), M Bai =4,03 (SE Bai =0,09), t(404)= '12,46, p<0,001, r=0,53; M Nd =2,62 (SE Nd =0,07), M Sä =3,44 (SE Sä =0,13), t(176)='5,48, p<0,001, r=0,38; M Nd =2,62 (SE Nd =0,07), M Swä =3,67 (SE Swä =0,13), t(176)='7,26, p<0,001, Sprache - Einstellungen - Regionalität 25 5 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 BAI HES FRÄ SWÄ ND SÄ BER in Prozent Diagramm 7: Dialektgebrauchsfrequenz pro Dialekt (1=nie, 2=selten, 3=manchmal, 4=oft, 5=immer) Die Norddeutsch sprechenden Dialektsprecher verwenden ihren Dialekt am seltensten. Am häufigsten gebrauchen die Bairisch-Sprecher ihren Dialekt. Auch die Sprecher des Fränkischen verwenden ihren Dialekt relativ häufig. Diejenigen, die Schwäbisch sprechen, gebrauchen ihren Dialekt öfter als die Berlinisch-Sprecher. Bairisch und Sächsisch sind Dialekte, die von eher Jüngeren gesprochen werden. Im Gegensatz dazu wird Norddeutsch eher von älteren Menschen gesprochen. Auch Hessisch sprechen eher ältere Menschen. Der Vergleich der Gebrauchsfrequenz der Dialekte verdeutlicht den Stellenwert des Dialekts im Süden Deutschlands. Für das Sächsische, das mit hoher Frequenz gesprochen wird, ist anzunehmen, dass es sich wohl um einen regionalen Substandard handelt. Dagegen steht der eher seltenere Gebrauch des Dialekts im Norden. Diese Ergebnisse stimmen mit den bekannten Beobachtungen aus der Forschung (siehe Kapitel 1.1) überein. r=0,48; M Nd =2,62 (SE Nd =0,07), M Hes =3,29 (SE Hes =0,13), t(321)='4,77, p<0,001, r=0,26; M Nd =2,62 (SE Nd =0,07), M Frä =3,92 (SE Frä =0,14), t(314)='8,78, p<0,001, r=0,44; M Bai =4,03 (SE Bai =0,09), M Sä =3,44 (SE Sä =0,13), t(215)=3,67, p<0,01, r=0,24; M Bai =4,03 (SE Bai =0,09), M Hes =3,29 (SE Hes =0,13), t(238)=4,3, p<0,001, r=0,29; M Bai =4,03 (SE Bai =0,09), M Ber =3,01 (SE Ber =0,17), t(111)=5,39, p<0,001, r=0,46; M Swä =3,67 (SE Swä =0,13), M Ber =3,01 (SE Ber =0,17), t(177)=3,19, p<0,05, r=0,23; M Hes =3,29 (SE Hes =0,13), M Frä =3,92 (SE Frä =0,14), t(148)='3,33, p<0,05, r=0,26; M Ber =3,01 (SE Ber =0,17), M Frä =3,92 (SE Frä =0,14), t(137)='4,21, p<0,01, r=0,34. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 26 3. Spracheinstellungen und regionalsprachliches Wissen von Laien Im Folgenden geht es um Einstellungen zu Dialekten. Dafür werden neben den Ergebnissen der Repräsentativumfrage des Projekts die Daten aus zwei weiteren Umfragen untersucht: eine an vier Erhebungsorten durchgeführte Schülerumfrage und eine an ebenfalls vier Erhebungsorten durchgeführte Kartenstudie mit Studierenden. 3.1 Sympathie für Dialekte Laut den Ergebnissen der Repräsentativumfrage des Projekts finden die Menschen in Deutschland besonders Norddeutsch und Bairisch sympathisch. Darüber hinaus wird noch Schwäbisch von großen Teilen als sympathisch bewertet, außerdem Sächsisch, Berlinisch, Hessisch und Kölsch. 20 13,1 Prozent aller Deutschen finden keinen Dialekt sympathisch. Die genannten unsympathischen Dialekte werden von Sächsisch angeführt, gefolgt von der Nennung, dass kein Dialekt als unsympathisch bewertet wird. Dann werden als unsympathische Dialekte noch Bairisch angegeben und Schwäbisch, Berlinisch, Norddeutsch und Hessisch. In Tabelle 1 sind die Antworthäufigkeiten zu den erfragten sympathischen und unsympathischen Dialekten gegenübergestellt. Es ist auffällig, dass diejenigen Dialekte, die unter den ersten sechs der genannten sympathischen sind, auch bei den unsympathischen Dialekten vertreten sind (vergleichbar sind die Ergebnisse der Dialektbewertungen in Stickel / Volz 1999, S. 31f.). Diese sechs Dialekte sind das Bairische, das Sächsische, das Norddeutsche, das Schwäbische, das Berlinische und das Hessische. Dagegen werden andere Dialekte wie das Pfälzische, das Thüringische oder das Fränkische nur relativ selten als sympathische oder unsympathische Dialekte angegeben. Welche Dialekte bei einer solchen Frage nach der Meinung über sympathische und unsympathische Dialekte genannt werden, hängt zunächst sicherlich damit zusammen, welche Dialekte die Menschen überhaupt kennen. Um diesen Zusammenhang aufzudecken, bedarf es einer offen gestellten Frage; die Art der Fragestellung beeinflusst nämlich die Antworten. 20 Für spezifische Urteile zu Bairisch und Sächsisch siehe die ‘Attitudes Towards Languages’- Skala in Schoel / Eck / Roessel / Stahlberg in diesem Band und in Schoel / Roessel et al. (2012). Sprache - Einstellungen - Regionalität 27 Sympathische Dialekte Unsympathische Dialekte N Prozent N Prozent Bairisch 594 29,6 % Sächsisch 688 34,4 % Norddeutsch/ Platt 490 24,5 % keinen 653 32,6 % Schwäbisch 275 13,7 % Bairisch 316 15,8 % keinen 263 13,1 % Schwäbisch 137 6,8 % Sächsisch 190 9,5 % Berlinisch 101 5,1 % Berlinisch 157 7,8 % Norddeutsch/ Platt 85 4,3 % Hessisch 111 5,5 % Hessisch 60 3,0 % Kölsch 107 5,3 % Ostdeutsch 40 2,0 % Rheinisches Platt 81 4,0 % Kölsch 27 1,4 % Platt 73 3,6 % Platt 25 1,3 % Hamburgisch/ Hanseatisch 70 3,5 % Badisch 23 1,1 % Fränkisch 68 3,4 % Rheinisches Platt. 20 1,0 % alle 66 3,3 % ... Badisch 56 2,8 % alle 17 0,9 % Pfälzisch 48 2,4 % Ruhrpott 33 1,6 % Alemannisch 31 1,6 % Österreichisch 26 1,3 % Friesische Dialekte 26 1,3 % Thüringisch 24 1,2 % Westfälisches Platt 23 1,1 % Saarländisch 20 1,0 % weiß nicht / k.A. 197 9,8 % 132 6,6 % gesamt 3 156 157,5 % 2 479 123,9 % Tabelle 1: Sympathische und unsympathische Dialekte (Repräsentativumfrage Spracheinstellungsprojekt; Nennungen über 1 Prozent; für die detaillierte Liste siehe Gärtig / Plewnia / Rothe 2010, S. 159, 164) Der Einfluss des Frageschemas auf die Ergebnisse Am Themenkomplex der Einstellungen gegenüber Dialekten lassen sich einige allgemeinere, methodische Aspekte illustrieren. Bei der Erstellung des Erhebungsinstruments gibt es bei der Fragetechnik Alternativen: Fragen können sowohl offen als auch geschlossen gestellt werden. Als offen gilt eine Frage, für die keine vorformulierten Antworten vorgegebenen werden. Bei einer geschlossenen Frage dagegen werden Antwortmöglichkeiten vorgegeben. In der empirischen Sozialforschung werden die Vor- und Nachteile dieser beiden Fragetechniken diskutiert (vgl. z. B. Atteslander 2003, Diekmann 2006, Friedrichs 1990, Mayer 2008, Schnell et al. 2005, Schumann 2006). Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 28 Eine geschlossene Frage erfordert vom Befragten, Antworten wiederzuerkennen bzw. auszuwählen. Das ist für den Befragten nicht so schwierig. Diese Fragetechnik birgt jedoch die Gefahr der Suggestivwirkung und der sozialen Erwünschtheit. Möglicherweise wäre der Befragte bei einer vergleichbaren offenen Frage von allein nicht auf eine Antwort gekommen, die ihm bei Vorlage des Antwortmenüs plausibel erscheint. Geschlossene Fragen können einen Befragten also dazu bewegen, aus bisher nicht zu seinem Alltagswissen gehörenden Alternativen zu wählen (vgl. Schnell et al. 2005, S. 332). Es könnte darüber hinaus sein, dass der Befragte gar keine Meinung zur gestellten Frage hat und ihm auch keine Antwort plausibel erscheint, er aber aus Verlegenheit eine Antwort auswählt, um nicht uninformiert zu erscheinen (vgl. Schumann 2006, S. 59f.). Eine offene Frage verlangt dem Befragten mehr ab, denn er muss sich erinnern und dabei in seinem tatsächlichen Wissensbestand sein eigenes Referenzsystem aufrufen. Durch dieses aktive Erinnern und Aufrufen können unerwartete Bezugssysteme entdeckt werden, die bei einer geschlossenen Frageform nicht elizitiert worden wären (vgl. Schnell et al. 2005). Die Reihenfolge des Genannten sagt dabei nichts über die Wichtigkeit aus. Es ist sogar möglich, dass das vom Stellenwert her Wichtigste gar nicht genannt wird, weil es dem Befragten so selbstverständlich ist (vgl. Friedrichs 1990). Als Nachteile der offenen Fragetechnik gelten der hohe Aufwand bei der Auswertung, die Beeinflussung der Antworten durch aktuelle Geschehnisse und das Steigen der Wahrscheinlichkeit von Interviewereffekten (s. u.). Fragen, die offen formuliert sind, weisen also eine geringe Operationalisierbarkeit auf. Im Vergleich zu einer geschlossenen Frage generiert eine offene Frage mehr, nicht geordnete Antwortkategorien, die kategorisiert und analysiert werden müssen. Dafür ist unter Umständen geschultes Personal notwendig. Um die Antworten trotzdem statistisch verwertbar zu machen, werden sie nach einem Kategorienschema verkodet, das entweder vor der Untersuchung oder im Zuge der Auswertung entwickelt wird (vgl. Schumann 2006). Die eingesetzten Interviewer leisten oft schon einen Teil dieser Arbeit bei der Feldverschlüsselung, indem sie während der Interviews die Antworten nach einem vorliegenden Schema einordnen. Je mehr die Interviewer leisten müssen, etwa beim Notieren, Editieren und Einordnen der Antworten, desto höher ist allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass aufgrund der verschiedenen Fähigkeiten der Interviewer die Ergebnisse unterschiedlich ausfallen (sog. Interviewereffekte). Ein weiterer Faktor für die Qualität von Antworten auf offene Fragen kann in der Artikulationsfähigkeit der Befragten liegen (vgl. Schnell et al. Sprache - Einstellungen - Regionalität 29 2005). Nicht alle Befragten können ihre Meinungen gleich gut artikulieren. Erhobene Unterschiede sind also nicht unbedingt auf Meinungsunterschiede zurückzuführen, sondern können auch auf Unterschiede der Artikulationsfähigkeit zurückgehen. Inwiefern sich die Antworten unterscheiden in Abhängigkeit davon, ob man offen oder geschlossen fragt, zeigt der Vergleich der Antworten auf die Frage nach sympathischen und unsympathischen Dialekten. Danach wurde sowohl in der Repräsentativumfrage des Projekts gefragt als auch in einer Umfrage, die im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Sprache vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt wurde (im Folgenden GfdS-Umfrage). 21 Während in der Repräsentativumfrage des Projekts die Fragen dazu offen gestellt und bis zu drei Antworten möglich waren, stellte das Institut für Demoskopie Allensbach die Frage geschlossen. Den befragten Personen wurde für die Beantwortung der gestellten Frage eine Liste vorgelegt, auf der Antwortkategorien vorgegebenen waren. In der Repräsentativumfrage des Projekts wird nach den sympathischen Dialekten mit folgender Formulierung gefragt: „Unabhängig davon, ob Sie vielleicht selbst einen Dialekt bzw. Platt sprechen: Gibt es Arten von Dialekt oder Platt, die Sie besonders sympathisch finden? Welche sind das? “ Die als unsympathisch empfundenen Dialekte werden wie folgt erfragt: „Und gibt es Arten von Dialekt oder Platt, die Sie besonders unsympathisch finden? Welche sind das? “ Die Antworten werden also mit einer offenen Frage elizitiert. Die Befragten müssen dazu ihr eigenes individuelles Referenzsystem aufrufen und eigene Konzepte nennen, da ihnen keine vorgefertigten Antwortkategorien angeboten werden. Sie können jeweils bis zu drei Dialekte nennen. Die Ergebnisse der Repräsentativumfrage des Projekts sind weiter oben in Tabelle 1 abgebildet. Die entsprechenden Fragen der GfdS-Umfrage sind die folgenden: „Hier auf der Liste stehen verschiedene Dialekte - sind darunter welche, die Sie besonders gerne hören? “ und „Und umgekehrt, welche Dialekte hören Sie gar nicht gerne, welche mögen Sie überhaupt nicht? “ Im Zuge jeder dieser Fragen wurde bei der GfdS-Umfrage eine Liste vorgelegt, auf der Antwortkategorien vorgegeben sind. Die Kategorien sind: „Badisch-Alemannisch“, „Bairisch“, „Berlinisch“, „Fränkisch“, „Hessisch“, „Mecklenburgisch“, „Norddeutsches Platt (z. B. Hamburger Platt)“, „Ostpreußisch“, „Pfälzisch“, „Pommerisch“, 21 Diese Umfrage wurde zwischen dem 4. und 17. April 2008 durchgeführt. Befragt wurden 1 820 bevölkerungsrepräsentativ ausgewählte Personen ab 16 Jahren (vgl. Hoberg / Eichhoff-Cyrus / Schulz 2008). Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 30 „Rheinländisch“, „Saarländisch“, „Sächsisch“, „Schlesisch“, „Schwäbisch“, „Thüringisch“, „Westfälisch“ und „Höre keinen davon gern“ (bei der Frage nach sympathischen Dialekten) bzw. „Keinen Dialekt, höre alle gerne“ (bei der Frage nach unsympathischen Dialekten). 22 Die Nennungen zu sympathischen und unsympathischen Dialekten sind also mithilfe einer geschlossenen Frage, da die Antworten auf einer Liste vorgegeben sind, erfragt worden. Die Ergebnisse der GfdS-Umfrage sind in Tabelle 2 zusammengestellt. Sympathische Dialekte Unsympathische Dialekte Prozent Prozent Bairisch 35 % Sächsisch 54 % Norddeutsch/ Platt 29 % Berlinisch 21 % Berlinisch 22 % Bairisch 21 % Schwäbisch 20 % Schwäbisch 17 % Rheinländisch 19 % Thüringisch 12 % Hessisch 13 % keinen 12 % keinen 11 % Hessisch 11 % Sächsisch 10 % Ostpreußisch 9 % Fränkisch 10 % Norddeutsches Platt 8 % Pfälzisch 8 % Schlesisch 6 % Badisch-Alemannisch 8 % Pommerisch 6 % Westfälisch 7 % Rheinländisch 6 % Ostpreußisch 6 % Pfälzisch 5 % Mecklenburgisch 6 % Saarländisch 5 % Thüringisch 5 % Badisch-Alemannisch 5 % Saarländisch 3 % Fränkisch 5 % Schlesisch 3 % Mecklenburgisch 4 % Pommerisch 2 % Westfälisch 2 % 217 % 209 % Tabelle 2: Sympathische und unsympathische Dialekte (nach Hoberg / Eichhoff-Cyrus / Schulz 2008) Der Vergleich der Antworten beider Fragen der jeweiligen Umfragen zeigt, dass sich die Ergebnisse unterscheiden. Offenkundig schlägt sich die unterschiedliche Art der Fragestellung, offene Fragestellung oder geschlossene Fragestellung, auf die Ergebnisse nieder. 22 Über die Reihenfolge der Kategorien auf der Liste werden keine Angaben gemacht, obwohl davon auszugehen ist, dass es Reihenfolgeeffekte gibt. Es ist etwa anzunehmen, dass die Kategorie „Berlinisch“ relativ früh in der Liste genannt wurde, denn die Nennungen für Berlinisch sind sowohl bei den sympathischen als auch bei den unsympathischen Dialekten sehr viel höher als die Nennungen in der IDS / Uni-Mannheim-Umfrage (GfdS-Umfrage: 22 % sympathisch, 21 % unsympathisch; Repräsentativumfrage Spracheinstellungsprojekt: 7,8 % sympathisch, 5,1 % unsympathisch). Um solche Reihenfolgeeffekte zu vermeiden, werden die Antworten bzw. Fragen üblicherweise randomisiert. Sprache - Einstellungen - Regionalität 31 Zunächst geben die Befragten in der GfdS-Umfrage relativ gesehen mehr Antworten auf beide Fragen als die Befragten in der Repräsentativumfrage des Projekts. Der Hauptgrund dafür dürfte sein, dass durch die Vorgabe der möglichen Antworten auf einer Liste der jeweilige Befragte lediglich die dargelegten Konzepte auswählen muss, bzw. er muss sogar nur jeweils bejahen, ob er die genannte Kategorie sympathisch oder unsympathisch findet. Dafür muss der Befragte nicht innerhalb seines eigenen Referenzsystems Konzepte von Dialekten aufrufen und sie zunächst überhaupt benennen. Er braucht die abgefragte Kategorie selbst noch nicht einmal zu kennen, um zu bejahen, ob er sie sympathisch oder unsympathisch findet. Das Bejahen aufgelisteter Einheiten ist vermutlich einfacher, als Kategorien selbst zu benennen. Anstelle eines aktiven Erinnerns und Aufrufens vollzieht der Befragte lediglich ein Abhaken vorgelegter Kategorien, und die Wahrscheinlichkeit ist höher, dass er bei einem Großteil dieser vorgegebenen Kategorien „ja“ sagt, als dass er sie von selbst nennt. Kleinere, eher nicht so viel oder so gut wie nicht mehr gesprochene und nicht so bekannte Dialekte werden in der GfdS-Umfrage deutlich häufiger genannt. Vermutlich handelt es sich dabei um Echoformen: die Dialekte werden angegeben, weil sie vom Interviewer angeboten werden. In der GfdS-Umfrage werden etwa Fränkisch von 10 Prozent der Befragten, Pfälzisch von 8 Prozent, Thüringisch von 5 Prozent und Saarländisch von 3 Prozent als sympathische Dialekte angegeben, ebenfalls sympathisch sind 6 Prozent der Befragten Ostpreußisch, 3 Prozent Schlesisch und 2 Prozent Pommerisch. Die entsprechenden Häufigkeiten der als unsympathisch genannten Dialekte sind die folgenden: Fränkisch 5 Prozent, Pfälzisch 5 Prozent, Thüringisch 12 Prozent, Saarländisch 5 Prozent und Ostpreußisch 9 Prozent, Schlesisch 6 Prozent, Pommerisch 6 Prozent. Dagegen werden diese in der Repräsentativumfrage des Projekts weitaus weniger häufig genannt. Als sympathischer Dialekt wird Fränkisch nur von 3,4 Prozent der Befragten genannt, Pfälzisch lediglich von 2,4 Prozent, Thüringisch von 1,2 Prozent und Saarländisch von 1,0 Prozent. 23 Als unsympathischer Dialekt wird Fränkisch von 0,7 Prozent der Befragten angegeben, Pfälzisch von 0,9 Prozent, Thüringisch von 0,9 Prozent und Saarländisch von 0,6 Prozent. Dafür wird etwa in der Repräsentativumfrage des Projekts „Ostdeutsch“ genannt. Dass ein solches regionales Sprachkonzept - das übrigens auch in anderen Studien dokumentiert wird (vgl. dazu Kapitel 3.2.6 und 3.3.3.2) - exis- 23 Die Vertriebenenmundarten spielen in der Repräsentativumfrage des Projekts keine Rolle. Bei den sympathischen Dialekten geben lediglich vier Befragte Pommerisch an, drei Befragte Ostpreußisch und ein Befragter Niederschlesisch. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 32 tiert, kann die GfdS-Umfrage nicht zeigen. Um dieses Konzept zu elizitieren, ist eine offene Frageformulierung notwendig. Die geschlossene Frage ist nicht dazu geeignet, Neues und Unbekanntes zu elizitieren, sie kann lediglich Bekanntes - in Form der vorgegebenen Kategorien - bestätigen. Die unterschiedlichen Ergebnisse beider Studien und besonders die hohe Anzahl von Nennungen der GfdS-Umfrage liegen vermutlich auch an der Abfragemodalität mittels einer Liste. Hinzu kommt der Faktor der sozialen Erwünschtheit: Werden dem Befragten auf einer Liste Kategorien vorgelegt, so neigt er möglicherweise auch deshalb dazu, diese Kategorien dann zu „nennen“, weil er nicht preisgeben will, dass er mit der ein oder anderen Kategorie nichts anzufangen weiß bzw. sie nicht in seinem Referenzsystem verankert ist. Nennen könnte in diesem Fall Nicht-Kennen bzw. Nicht-Wissen kaschieren. Es fällt auf, dass laut GfdS-Umfrage 11 Prozent der Menschen in Deutschland keinen Dialekt sympathisch finden und 12 Prozent keinen Dialekt unsympathisch. Anscheinend war die Antwortkategorie „alle“ für die beiden Fragen nicht vorgesehen. Dass diese Kategorien bei der Beantwortung dieser Fragen aber durchaus relevant sind, zeigt der Vergleich mit den Ergebnissen der Repräsentativumfrage des Projekts. Danach finden 13,1 Prozent der Menschen in Deutschland keinen Dialekt sympathisch - also ein in etwa vergleichbarer Anteil zu dem von der GfdS-Umfrage ermittelten Wert -, und 3,3 Prozent finden alle Dialekte sympathisch. Dieser letzte, vergleichsweise geringe Anteil wurde über die Listenabfrage der GfdS-Umfrage jedoch nicht elizitiert. Des Weiteren geben laut der Repräsentativumfrage des Projekts 0,9 Prozent an, alle Dialekte unsympathisch zu finden, und 32,6 Prozent geben an, keinen Dialekt unsympathisch zu finden. Dieser letzte Wert ist relativ deutlich. Er entspricht den um rund 21 Prozentpunkte niedrigeren 12 Prozent in der GfdS- Umfrage. Möglicherweise ist die Bejahung dieser Antwortkategorie in der GfdS-Umfrage eher schwierig. Die Antwortkategorie „keinen Dialekt, höre alle gerne“ wurde wahrscheinlich am Ende vorgegeben. Die Befragten haben zu diesem Zeitpunkt bereits andere, zuvor vorgegebene Kategorien bejaht; die Antwort „keine“ wird dadurch obsolet. Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Umfragen bzw. Fragetypen besteht in den Typen von Antworten, die elizitiert werden. Während bei der GfdS- Umfrage die Kategorien durch die Liste vorgegeben sind, ihre Anzahl begrenzt ist und sich dadurch die Streuung von Antworten einschränken lässt, ist das bei der Repräsentativumfrage des Projekts durch die offene Fragestellung nicht der Fall. Die große Anzahl von sehr verschiedenen Antworten reicht somit von Stadtnamen („Dresdner“) über Regionsbezeichnungen („Vogtland“, „Erzgebir- Sprache - Einstellungen - Regionalität 33 ge“, „Oberlausitz“), spezifizierende Regionsbezeichnungen („Plauner Erzgebirge“, „Erzgebirgisch, nicht die ‘sächsische’ Dresdner Richtung“) 24 und Bundeslandnamen („Sachsen-Anhalt“) bis hin zum übergreifenden „Ostdeutsch“. 25 Die Ausdifferenzierung ist erwartungsgemäß für den eigenen Nähebereich stärker als für den (unbekannteren) Fernebereich. Die eigene (Sprach-)Biographie und die Interaktionserfahrungen beeinflussen also die Beantwortung in ihrem Umfang, ihrer Art und Granularität (vgl. auch Eichinger 2010). Ein solch diffuses Antwortbild mit Bezeichnungen auf verschiedenen Kategorisierungsebenen erschwert die Auswertung und erfordert fundiertes Wissen über die Antwortkategorien und deren Einteilung und Gruppierung. Das erhöht den Aufwand bzw. die Kosten bei der Auswertung der erhobenen Daten; es offenbart jedoch Einblicke in die Ordnung der mentalen Bilder zu Dialekten, die man sich mittels einer Auswertung von Antworten auf eine geschlossene Frage nicht erschließen kann. Die offene Fragestellung elizitiert folglich zwar ungeordnetere Antworten als die geschlossene Frage, dafür aber Antworten, die eher den mentalen Konzepten der Befragten und ihren Bewertungen derselben entsprechen. Eine solche Art der Erfragung und die entsprechenden Ergebnisse ermöglichen somit, weitere Analysen bezüglich der laienlinguistischen Konzeptualisierungen dialektaler Räume vorzunehmen, und erlauben es, ein laienlinguistisches Basiswissen abzuleiten, wie es im folgenden Abschnitt beschrieben wird. 3.2 Dialektales Grundwissen Die Bewertung von Dialekten wurde in der Repräsentativumfrage des Projekts mittels einer offenen Frage elizitiert. Es ist also anzunehmen, dass die Befragten ihr eigenes Referenzsystem bemühen, d. h. ihre mentalen Konzepte von Dialekten. Somit stellt die Auswertung dieser wertenden Angaben eine Möglichkeit dar, Rückschlüsse auf das laienlinguistische Basiswissen zu ziehen. Elizitiert werden zwar wertende Meinungen; um aber einen Dialekt bzw. sein Konzept bewerten zu können, muss man darüber zunächst überhaupt verfügen, es also kennen (siehe oben Kapitel 1). Daraus folgt, dass man über die Auswertung von bewerteten Konzepten auch schließen kann, welche Konzep- 24 Solch spezifizierende Nennungen lassen sich nur aus den offen notierten Nennungen gewinnen. Der Großteil der offenen Nennungen wird allerdings von den Interviewern direkt während des Interviews in Kodes überführt (verkodet) und ist somit im Nachhinein nicht mehr im Detail nachvollziehbar. 25 Siehe auch Christen (2010) für die Analyse der Kategorisierungsebenen von Dialektbezeichnungen in der Deutschschweiz. Für die Deutschschweiz scheint die politische Verwaltungseinheit Kanton bei der mentalen Organisation von Dialektbezeichnungen eine herausragende Rolle zu spielen. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 34 te bekannt sind. Aufgrund dieses Zusammenhangs werden in der folgenden Analyse Rückschlüsse gezogen von den als sympathisch bzw. unsympathisch genannten Dialekten auf die mentalen laienlinguistischen Repräsentationen von Dialekten. Dass das ein plausibler Analyseschritt ist, zeigen auch die Auswertungen der über handgezeichnete Karten erhobenen Dialektkonzepte, bei denen laienlinguistisches Wissen über Dialekte in Verbindung mit ihrem Raumwissen abgefragt wird (siehe dazu unten Kapitel 3.3). Die Ergebnisse der Studie mit handgezeichneten Karten ergänzen die Auswertung der Dialektbewertungen auch dahingehend, dass bei ersterer die Anzahl der eingezeichneten Dialekte offen ist, während die bei der Bewertung genannten Dialekte - bei der Sympathiebewertung und bei der Antipathiebewertung jeweils - auf drei begrenzt ist. Aufschlussreich ist zunächst, herauszufinden, welche Faktoren bei der Konstitution der Sympathiebzw. Antipathie-Konzepte und allgemeiner der Dialektkonzepte entscheidend sind. Voraussetzungen für diese detaillierte Analyse sind einerseits die offene Fragestellung und andererseits der Umfang des Datensatzes der Repräsentativumfrage des Projekts, der detaillierte Auswertungen ermöglicht. 3.2.1 Faktoren bei der Bewertung von Dialekten Im Folgenden wird für die am häufigsten bewerteten Dialekte analysiert, welche Faktoren, also welche soziodemographischen Merkmale, mit der Nennung bzw. Nicht-Nennung dieses Dialekts als sympathisch oder unsympathisch in Zusammenhang stehen, d. h. welche Faktoren dazu beitragen, dass z. B. Bairisch als sympathisch oder unsympathisch bewertet wird. Dafür werden wie in den vergleichbaren Analysen (vgl. etwa die Analyse der Prädiktoren für die Dialektkompetenz, siehe Kapitel 2.1) zunächst alle in Frage kommenden und in der Repräsentativumfrage des Projekts erhobenen soziodemographischen Angaben - neben der Herkunftsregion 26 etwa Geschlecht, Alter und Bildungsabschluss -, Spracheinstellungen und Einstellungen zu sozioökonomischen Fragen in Betracht gezogen. 27 Auch einbezogen wird die 26 Es wird lediglich die Herkunftsregion - eine Herkunftsvariable mit den Ausprägungen Nord, Mitte, Süd und eine Herkunftsvariable mit den Ausprägungen West und Ost - und nicht das Herkunftsbundesland in die logistische Regression einbezogen. Eine Variable mit allen Herkunftsbundesländern hat zu viele Ausprägungen und würde zu viele Freiheitsgrade in Anspruch nehmen. Eine detaillierte Analyse über die einzelnen Herkunftsbundesländer im Hinblick auf die Sympathie- und Antipathienennungen erfolgt im Anschluss. 27 Zu den detaillierten Ergebnissen der einzelnen in den logistischen Regressionen als Prädiktoren einbezogenen Variablen siehe Gärtig / Plewnia / Rothe (2010). Sprache - Einstellungen - Regionalität 35 Kompetenz in einem der als sympathisch und unsympathisch bewerteten Dialekte. 28 Im Folgenden werden zunächst die Faktoren für die Nennung der sympathischen Dialekte beschrieben und anschließend die Faktoren für die Nennung der unsympathischen Dialekte. 3.2.1.1 Sympathische Dialekte Die Ergebnisse einer solchen Analyse für das Norddeutsche sind in Diagramm 8 aufgeführt, darin sind die Anteile der Sympathienennungen für das Norddeutsche jeweils für einen signifikanten Faktor angegeben. Die signifikanten Faktoren bei der Benennung des Norddeutschen als sympathischen Dialekt sind, im Diagramm von links nach rechts, die Herkunftsregion, die Kompetenz im Norddeutschen, ob Deutsch die Muttersprache ist, das Sprachinteresse, die Bewertung der Entwicklung der deutschen Sprache, ob mehr für die deutsche Sprache getan werden soll, und die Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Lage. 29 28 Die statistisch bedeutsamen Faktoren, die mit der Nennung bzw. Nicht-Nennung eines sympathischen oder unsympathischen Dialekts im Zusammenhang stehen, werden wiederum mit einer logistischen Regression berechnet. Dabei werden zunächst die Variablen der Mehrfachnennungen der sympathischen und unsympathischen Dialekte in eine dichotome Variable umkodiert mit den Ausprägungen „Nennung eines Dialekts X“ und „Nicht-Nennung dieses Dialekts“. Mithilfe von logistischen Regressionen wird berechnet, welche Einflussfaktoren mit der Ausprägung dieser dichotomen Variable jeweils zusammenhängen. Die logistischen Regressionen werden lediglich für die sympathischen und unsympathischen Dialekte berechnet, die von ausreichend vielen Befragten genannt werden. Das sind bei den sympathischen Dialekten Norddeutsch, Bairisch, Schwäbisch, Sächsisch, Berlinisch, Hessisch, Kölsch und die Angabe, keinen Dialekt sympathisch zu finden; bei den unsympathischen Dialekten sind es Sächsisch, Bairisch, Schwäbisch und die Angabe, keinen Dialekt unsympathisch zu finden. Unter der Kategorie Norddeutsch sind wieder die verschiedenen norddeutschen Varietäten zusammengefasst. Die Variable „Kompetenz in Dialekt X“ besteht aus zwei Ausprägungen: eine Ausprägung umfasst all diejenigen, die angeben, diesen Dialekt X zu können; die andere Ausprägung umfasst all jene, die angeben, einen anderen Dialekt zu können. 29 Es ist nicht die Kombination all dieser signifikanten Faktoren, die einen Einfluss auf die abhängige Variable hat, sondern jeder Faktor einzeln. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 36 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 HNS smt DND spi wil MSD sew in Prozent HNS : Herkunft Nord-Süd ( Nord, Mitte, Süd); DND : Dialektsprecher Norddeutsch ( nein, ja); MSD : Muttersprache Deutsch ( nein, ja); spi : Sprachinteresse ( niedrig, hoch); sew : Sprachentwicklung ( niedrig, hoch); smt : Mehr tun für die deutsche Sprache ( niedrig, hoch); wil : Wirtschaftliche Lage ( schlecht, teils gut/ teils schlecht, gut) Diagramm 8: Anteil der Sympathienennungen für Norddeutsch pro signifikantem Faktor 30 Norddeutsch bzw. die norddeutschen dialektalen Varietäten finden besonders Menschen aus dem Norden Deutschlands sympathisch und besonders Menschen, die auch selbst Norddeutsch sprechen. Außerdem bewerten eher Menschen Norddeutsch als sympathisch, die Deutsch als Muttersprache haben. Des Weiteren sind diejenigen, die Norddeutsch sympathisch finden, eher sprachinteressiert, und Menschen, die glauben, dass die Entwicklung der deutschen Sprache Anlass zur Sorge gibt und deshalb mehr für sie getan werden müsste. Hinzu kommt, dass diejenigen, die Norddeutsch besonders sympathisch finden, ihre eigene wirtschaftliche Lage als eher gut bezeichnen. In den Diagrammen 9 bis 14 sind auf die gleiche Weise die Anteile der Sympathienennungen für die signifikanten Faktoren dargestellt für Bairisch (Diagramm 9), Schwäbisch (Diagramm 10), Sächsisch (Diagramm 12), Berlinisch und Hessisch (Diagramm 13), Kölsch (Diagramm 14) und für die Angabe, keinen Dialekt besonders sympathisch zu finden (Diagramm 11). 30 Für Details zu diesen Faktoren vgl. Gärtig / Plewnia / Rothe 2010 (Sprachinteresse: S. 15ff.; Sprachgefallen: S. 17ff.; Veränderungen in der deutschen Sprache: S. 195f.; Sprachentwicklung: S. 212ff.; mehr tun für die deutsche Sprache: S. 215ff.; Sprachgesetz: S. 224ff.; alltägliche Verständigung: S. 236f.; Bereiche Zuwanderer: S. 238f.; wirtschaftliche Lage: S. 275). Sprache - Einstellungen - Regionalität 37 HEW smt HWO spi zuw DBY svä 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 9: Anteil der Sympathienennungen für Bairisch pro signifikantem Faktor Diagramm 10: Anteil der Sympathienennungen für Schwäbisch pro signifikantem Faktor HEW niedrig, hoch ); HWO West, Ost ); DBY ! " # $ $ nein, ja ); spi # $ niedrig, hoch ); svä % $ # $ nein, ja ); smt & '( $ # $ nein, ja ); zuw $ * eher gut, eher schlecht ) HNS smt DSW svä sge 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent HNS ( ); DSW ! " # $ $ + $ nein, ja ); svä % $ # $ nein, ja ); smt : & '( $ # $ nein, ja ); sge # $ , nein, ja ) Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 38 ALT sew DKO svä sge wil dvb por 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 11: Anteil der Sympathienennungen für keinen Dialekt pro signifikantem Faktor BIL DSÄ HNS HWO sew por smt zuw 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 12: Anteil der Sympathienennungen für Sächsisch pro signifikantem Faktor ALT -" 18-29, 30-59, 60 +); DKO ! " / # , nein, ja ); svä : % $ # $ nein, ja ); sew # $ $ " niedrig, hoch ); sge # $ , nein, ja ); dvb ! $ " 0 + niedrig, hoch ); por 1 " 2 $ 2 links, rechts ); wil : $ " $ 3 schlecht, teils gut/ teils schlecht, gut ) BIL " + $ " niedrig, hoch ); HNS ( ); HWO West, Ost ); DSÄ ! " # $ $ $ nein, ja ); sew # $ $ " niedrig, hoch ); smt & '( $ # $ nein, ja ); zuw $ * eher gut, eher schlecht ); por 1 " 2 $ 2 links, rechts ) Sprache - Einstellungen - Regionalität 39 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent DBE spg DHE por Berlinisch Hessisch GES HNS ALT BIL HWO wil DKO ver 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 13: Anteil der Sympathienennungen für Berlinisch und Hessisch pro signifikantem Faktor Diagramm 14: Anteil der Sympathienennungen für Kölsch pro signifikantem Faktor DBE ! " # $ " $ nein, ja ); spg # $ ' "" niedrig, hoch ); DHE ! " # $ $ nein, ja ); por 1 " 2 $ 2 links, rechts ) GES 4 $ " $ männlich, weiblich ); ALT -" 18-29, 30-59, 60 +); BIL " + $ " niedrig, hoch ); HNS ( ); HWO West, Ost ); DKO ! " / # , nein, ja ); ver -"" " $ % eher schwierig, eher nicht so schwierig ); wil $ " $ 3 schlecht, teils gut/ teils schlecht, gut ) Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 40 Auch für die Bewertung des Bairischen ist u. a. die Herkunftsregion bedeutsam, außerdem die Kompetenz im Bairischen (vgl. Diagramm 9). Bairisch wird in besonderem Maße von Menschen aus den westlichen Bundesländern als sympathischer Dialekt bewertet, am stärksten von den Bairisch-Sprechern selbst, bei denen der Anteil sehr hoch ist. Das Bairische wird außerdem besonders von Menschen als sympathisch bewertet, denen Veränderungen im Deutschen aufgefallen sind, von Menschen, die finden, dass mehr für die deutsche Sprache getan werden müsste, und von Menschen, die es eher schlecht bewerten, dass es Bereiche gibt, wo Zuwanderergruppen überwiegend ihre Muttersprache sprechen. 31 Des Weiteren ist der Anteil der Sympathienennungen für das Bairische höher bei Menschen, die ihre politische Orientierung als eher rechts einstufen. Schwäbisch wird eher von Menschen aus dem Süden Deutschlands als sympathischer Dialekt genannt (vgl. Diagramm 10). Besonders hoch ist der Anteil an Sympathienennungen unter den Schwäbisch-Sprechern; es handelt sich also zum großen Teil um positive Selbstbewertungen. Personen, die Schwäbisch sympathisch finden, haben außerdem eher sprachkonservative Einstellungen: sie finden, dass mehr für die deutsche Sprache getan werden sollte, und befürworten ein Gesetz zum Schutz der deutschen Sprache. Das Profil der Menschen, die keinen Dialekt besonders sympathisch finden, ist weniger deutlich (vgl. Diagramm 11). 32 Diese Menschen sind eher jünger und eher keine Dialektsprecher. Außerdem sind diese Menschen sprachlichen Fragen gegenüber eher liberal eingestellt. 33 31 Die zu dieser Einstellung gestellte Frage lautete: „In einer Reihe von Städten und Gemeinden in Deutschland gibt es Bereiche, wo verschiedene Zuwanderergruppen überwiegend ihre Muttersprache sprechen. Finden Sie das … (sehr gut, gut, teils/ teils, schlecht, sehr schlecht)? “ (siehe dazu Gärtig / Plewnia / Rothe 2010, Kapitel 5.1.2, S. 238ff.). 32 Im Vergleich zu den logistischen Regressionen, die für die Sympathienennungen für konkrete Dialekte berechnet werden, ist das über die logistische Regression berechnete Modell für die Variable, keinen Dialekt sympathisch zu finden, weniger gut. Die Werte, die die Modellgüte anzeigen (Cox & Snell R-Quadrat und Nagelkerkes R-Quadrat) fallen deutlich geringer aus. Das bedeutet, dass die einbezogenen erklärenden Variablen keinen besonders starken Zusammenhang mit dem Ausgang der getesteten Variable aufweisen. 33 Der Anteil an Nennungen, dass kein Dialekt sympathisch ist, ist nämlich besonders hoch bei denjenigen Befragten, denen erstens keine sprachlichen Veränderungen aufgefallen sind und die zweitens nicht finden, dass mehr für die deutsche Sprache getan werden sollte (siehe im Vergleich dazu weiter oben die höheren Sympathiewerte für Schwäbisch und Bairisch bei eher sprachkonservativ eingestellten Menschen). Es sind außerdem Menschen, die sich mit Deutschland eher weniger stark verbunden fühlen, ihre politische Orientierung eher links einstufen und ihre eigene wirtschaftliche Lage eher schlecht einschätzen. Sprache - Einstellungen - Regionalität 41 Mit der Bewertung des Sächsischen als sympathischen Dialekt steht insbesondere die Herkunftsregion in Zusammenhang (vgl. Diagramm 12). Es sind eher Menschen aus der Mitte und dem Osten Deutschlands, die das Sächsische sympathisch finden. Besonders groß ist der Anteil an Sympathienennungen für das Sächsische bei den Sächsisch-Sprechern. Es handelt sich also in großem Maße um positive Selbstbewertungen und um nachbarschaftliche Sympathiebekundungen. Des Weiteren finden besonders Menschen mit Hauptschulabschluss und Mittlerer Reife Sächsisch sympathisch. Bemerkenswert ist, dass die Sympathienennungen für Sächsisch nicht mit Spracheinstellungen oder mit wirtschaftlichen und politischen Einstellungen in Zusammenhang stehen. Bezüglich dieser Merkmale lassen sich diejenigen, die Sächsisch sympathisch finden, nicht spezifizieren. Das Profil derjenigen Menschen, die Berlinisch und Hessisch als sympathische Dialekte bewerten, lässt sich dahingehend differenzieren, dass es sich insbesondere um positive Selbstbewertungen handelt, also jeweils um Berlinischbzw. um Hessisch-Sprecher (vgl. Diagramm 13). Maßgeblich für die Kölsch-Sympathienennungen sind die Herkunftsregion und die Kölsch-Dialektkompetenz (vgl. Diagramm 14). Es sind insbesondere Menschen, die Kölsch können, aber auch Menschen aus dem Norden und der Mitte Deutschlands, die Kölsch sympathisch finden. Kölsch ist der einzige Dialekt, bei dem der Sympathieanteil zwischen Frauen und Männern unterschiedlich ist: besonders Männer finden Kölsch sympathisch. Des Weiteren schätzen Menschen, die Kölsch sympathisch finden, die alltägliche Verständigung zwischen Deutschsprachigen und Anderssprachigen 34 als eher schwierig ein und ihre eigene wirtschaftliche Lage als eher schlecht. 3.2.1.2 Unsympathische Dialekte Auch für die häufigsten als unsympathisch bewerteten Dialekte wird analysiert, welche Faktoren mit der Nennung eines bestimmten Dialekts zusammenhängen. In Diagramm 15 ist der Anteil an Antipathienennungen für Sächsisch bei jedem signifikanten Faktor abgebildet. 34 Die zu dieser Einstellung gestellte Frage lautete: „Wie schwierig finden Sie im Allgemeinen die alltägliche Verständigung zwischen deutschsprachigen Personen und anderssprachigen Zuwanderern? “ (siehe dazu Gärtig / Plewnia / Rothe 2010, Kapitel 5.1.1, S. 236f.) Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 42 GES MSD HWO DSÄ spg zuw svä sew GES : Geschlecht ( männlich, weiblich); HWO : Herkunft West-Ost ( West, Ost); DSÄ : Dialektsprecher Sächsisch ( nein, ja); MSD : Muttersprache Deutsch ( nein, ja); spg : Sprachgefallen ( niedrig, hoch); svä : Veränderungen in der deutschen Sprache ( nein, ja); sew : Sprachentwicklung ( niedrig, hoch); zuw : Bereiche Zuwanderer ( eher gut, eher schlecht) 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 15: Anteil der Antipathienennungen für Sächsisch pro signifikantem Faktor Das Sächsische bewerten besonders Menschen als unsympathisch, deren Muttersprache Deutsch ist. Des Weiteren bewerten vor allem Menschen aus dem Westen Sächsisch als unsympathisch und Menschen, die selbst nicht Sächsisch sprechen. Außerdem werden Antipathienennungen für das Sächsische besonders von Menschen geäußert, denen die deutsche Sprache eher nicht so gut gefällt, denen Veränderungen im Deutschen aufgefallen sind, und die insgesamt die Entwicklung der deutschen Sprache als besorgniserregend bewerten. Im Folgenden sind die entsprechenden Diagramme für die Antipathienennungen, dass kein Dialekt als unsympathisch bewertet wird (Diagramm 16), für Bairisch (Diagramm 17), für Schwäbisch (Diagramm 18) und für Berlinisch (Diagramm 19) aufgeführt. Sprache - Einstellungen - Regionalität 43 DKO sew zuw por 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent ALT HNS BIL HEW HWO DBY 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 16: Anteil der Antipathienennungen für keinen Dialekt pro signifikantem Faktor Diagramm 17: Anteil der Antipathienennungen für Bairisch pro signifikantem Faktor DKO ! " / # , ); sew # $ $ " niedrig, hoch ); zuw $ * eher gut, eher schlecht ); por 1 " 2 $ 2 links, rechts ) ALT -" 18-29, 30-59, 60 +); BIL " + $ " niedrig, hoch ); HEW niedrig, hoch ); HNS ( ); HWO West, Ost ); DBY ! " # $ $ nein, ja ) Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 44 BIL HNS svä sew 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent ALT HNS ver 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 18: Anteil der Antipathienennungen für Schwäbisch pro signifikantem Faktor Diagramm 19: Anteil der Antipathienennungen für Berlinisch pro signifikantem Faktor BIL " + $ " niedrig, hoch ); HNS ( Nord, ); svä % $ # $ nein, ja ); sew # $ $ " niedrig, hoch ) ALT -" 18-29, 30-59, 60 +); HNS ( ); ver -"" " $ % eher schwierig, eher nicht so schwierig ) Sprache - Einstellungen - Regionalität 45 Für die Nennungen, dass kein Dialekt als unsympathisch bewertet wird, gilt das Gleiche wie für die Nennungen, dass kein Dialekt sympathisch bewertet wird (s. o.). Die genannten Faktoren sind im Vergleich zu den ausschlaggebenden Faktoren bei den anderen Sympathie- und Antipathienennungen nur in einem sehr geringen Maße aussagekräftig. 35 Diejenigen, die angeben, keinen Dialekt unsympathisch zu finden, sind eher Menschen, die selbst keinen Dialekt können. Es sind außerdem eher Menschen, die die Entwicklung der deutschen Sprache erfreulich finden und es eher gut finden, dass es Bereiche gibt, in denen Zuwanderergruppen überwiegend ihre Muttersprache sprechen (vgl. Diagramm 16). Bairisch finden besonders Menschen aus dem Osten Deutschlands unsympathisch und Menschen, die aus dem Norden und der Mitte und nicht dem Süden Deutschlands stammen (vgl. Diagramm 17). Erwartungsgemäß finden besonders Menschen Bairisch unsympathisch, die es nicht selbst können, und es sind eher Jüngere und Menschen mit Abitur oder Hochschulabschluss. Schwäbisch finden besonders Menschen aus dem Norden Deutschlands unsympathisch und Menschen mit Abitur und Hochschulabschluss (vgl. Diagramm 18). Die Antipathienennungen kommen zudem eher von Menschen, denen Veränderungen im Deutschen aufgefallen sind, und von Menschen, die die Entwicklung des Deutschen eher als besorgniserregend einstufen. Interessanterweise hängt die Antipathiebewertung des Schwäbischen nicht damit zusammen, ob jemand Schwäbisch kann oder nicht. Bei den Antipathienennungen für das Sächsische, das Bairische und das Norddeutsche ist das der Fall, dort überwiegt jeweils der Anteil an Antipathienennungen durch diejenigen, die den jeweiligen Dialekt nicht können. Wie für die Bewertung des Schwäbischen gilt auch für die Antipathienennungen für das Berlinische (vgl. Diagramm 19), dass die Dialektkompetenz im Berlinischen keinen Einfluss hat. Das kann zweierlei bedeuten (analog gilt die gleiche Argumentation für die Antipathienennungen beim Schwäbischen): entweder finden diejenigen, die nicht Berlinisch, sondern einen anderen Dialekt können, Berlinisch insgesamt nicht so unsympathisch, oder aber diejenigen, die Berlinisch selbst können, finden es insgesamt in höherem Maße unsympathisch. Tatsächlich nennen 6,7 Prozent der Berlinisch-Sprecher Berlinisch als unsympathisch (N=5). Etwa gleich hoch ist der Anteil der Antipathienennungen für Berlinisch durch andere Dialektkönner: 7,0 Prozent der Sprecher anderer Dialekte geben Berlinisch als unsympathischen Dialekt an 35 Das lässt sich erneut über die eher klein ausfallenden Werte ableiten, die die Modellgüte der berechneten logistischen Regression anzeigen (siehe Fußnote 33). Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 46 (N=78). 36 Berlinisch bewerten außerdem vor allem jüngere Menschen aus der Mitte Deutschlands als unsympathisch und Menschen, die die alltägliche Kommunikation zwischen Deutsch- und Anderssprachigen als eher nicht so schwierig bewerten. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ein Faktor, der sich bei der Nennung eines sympathischen oder unsympathischen Dialekts als statistisch besonders bedeutsam herausstellt, die Herkunft ist. Zweitens ist die Dialektkompetenz eines Dialekts bei der Sympathie- und Antipathienennungen entscheidend, außer bei den Antipathienennungen für Schwäbisch und Berlinisch. Weitere Muster bezüglich der Einflussfaktoren sind weniger deutlich. Einige Tendenzen, die sich anhand der Ergebnisse ablesen lassen, sind folgende: Eher sprachkonservative Menschen bewerten Bairisch und Schwäbisch als sympathisch und Sächsisch und Schwäbisch als unsympathisch, sprachinteressierte bewerten Norddeutsch als sympathisch, und jüngere, liberaler eingestellte Menschen und Nicht-Dialektsprecher finden eher keinen Dialekt sympathisch und keinen Dialekt unsympathisch. Einzig bei den Sympathienennungen für Sächsisch und Kölsch sind neben der Herkunft und der Kompetenz im jeweiligen Dialekt soziodemographische Faktoren einflussnehmend: Sächsisch finden eher Menschen mit Hauptschulabschluss und Mittlerer Reife sympathisch, Kölsch finden eher Männer sympathisch. Alter und Schulabschluss sind auch bei den Antipathienennungen relevant: Jüngere finden eher Bairisch und Berlinisch unsympathisch, Menschen mit höherem Schulabschluss eher Bairisch und Schwäbisch. 3.2.2 Herkunft als Faktor für die Bewertung von Dialekten Diese Auswertung der Dialektbewertungen hat also gezeigt, dass deutlich und am stärksten mit den meisten Sympathie- und Antipathiebewertungen die Herkunft und außerdem die Kompetenz in dem jeweiligen Dialekt zusammenhängen. Die Kenntnis und Bewertung eines Dialekts hängt demnach stark damit zusammen, aus welchem Bundesland man kommt. In den folgenden Abschnitten wird dieser Zusammenhang für die angegebenen sympathischen und unsympathischen Dialekte genauer betrachtet. In den Tabellen 3 und 4 sind die Anteile der Sympathie- und Antipathienennungen nach Herkunftsbundesland aufgeschlüsselt. 37 36 Für das Schwäbische findet sich ein vergleichbares Verhältnis: 6,9 Prozent (N=9) der Schwäbisch-Sprecher geben Schwäbisch als unsympathischen Dialekt an gegenüber 7,3 Prozent (N=78) derjenigen, die einen anderen Dialekt können. Sprache - Einstellungen - Regionalität 47 3.2.2.1 Sympathische Dialekte In Tabelle 3 sind die gewichteten Anteile pro Herkunftsbundesland für die Sympathienennungen für Pfälzisch, Fränkisch und Thüringisch aufgeführt. In den folgenden Tabellen ist die gleiche Darstellungsform gewählt, und zwar jeweils für die Sympathienennungen für Alemannisch, 38 Berlinisch, Hessisch, Kölsch und Rheinisch (vgl. Tabelle 4) und für Norddeutsch, 39 Bairisch und Sächsisch (vgl. Tabelle 5). Lokal begrenzte Prominenz: Pfälzisch, Fränkisch, Thüringisch Pfälzisch (45) Fränkisch (64) Thüringisch (23) BB 13,1 - 6,6 BE - 8,1 - BW 10,6 6,5 - BY 5,7 39,5 8,7 HE 7,5 6,4 - MV - 4,9 8,6 NI+HB 1,6 2,7 - NW 4,0 1,4 3,6 RP+SL 40,7 6,6 7,7 SH+HH 6,3 2,7 - SN 2,1 - 6,5 ST 4,0 13,6 12,0 TH 4,4 7,5 46,3 Tabelle 3: Sympathienennungen nach Herkunftsbundesland: lokal prominente Dialekte 37 Die in den Tabellen aufgeführten Werte sind gewichtete relationale Werte des Anteils der jeweiligen Nennungen pro Herkunftsbundesland, die wie folgt berechnet werden: Die Gesamtnennungen für eine genannte Dialektkategorie werden nach dem jeweiligen Herkunftsbundesland der Befragten aufgeschlüsselt, dabei werden einige Bundesländer aufgrund der kleinen Teilstichprobengröße zusammengefasst (SH+HH, NI+HB, RP+SL; zu den verwendeten Abkürzungen siehe Fußnote 9). Die Nennungen pro Herkunftsbundesland werden gewichtet, um Effekte aufgrund der Größe des Bundeslands und der entsprechenden Stichprobenstärke zu vermeiden. Für die Gewichtung wird die Anzahl der Nennungen aus einem Bundesland geteilt durch die Gesamtanzahl der potentiellen Nenner dieses Bundeslands, d. h. die Gesamtanzahl der Befragten aus einem Bundesland. Dann wird der Anteil dieser gewichteten Nennungen an den gesamten Nennungen aus allen Bundesländern für einen Dialekt als sympathisch bzw. unsympathisch prozentual berechnet. Es wird also durch diese Gewichtung suggeriert, dass die Herkunftskategorien gleich groß sind, so dass der jeweilige Anteil verglichen werden kann. Die Aussagekraft der Werte ist größer, wenn die Gesamtanzahl der zugrundeliegenden Nennungen hoch ist; bei einem kleineren zugrundeliegenden N (z. B. bei Pfälzisch oder Thüringisch) sind die Werte mit Vorsicht zu interpretieren. 38 Wie bei der Sammelkategorie Norddeutsch wurden für die Sammelkategorie Alemannisch die Nennungen für die südwestdeutschen Varietäten zusammengefasst, in diesem Fall aus den Nennungen Alemannisch, Badisch und Schwäbisch. 39 Zur Sammelkategorie Norddeutsch siehe Fußnoten 14 und 17. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 48 Pfälzisch wird von insgesamt 45 Befragten als sympathisch bewertet (vgl. Tabelle 3). Davon kommen knapp 41 (gewichtete) Prozent aus Rheinland- Pfalz und dem Saarland. Der Großteil der Sympathienennungen kommt also aus dem eigenen Bundesland, d. h. aus dem Bundesland, in dem dieser Dialekt verortet werden kann. Danach kommen mit großem Abstand einige Nennungen aus Baden-Württemberg und Hessen. Diese Bundesländer sind Nachbarn des Herkunftsbundeslands. Die nächsthohe Anzahl an Sympathienennungen erfolgt also durch die Nachbarn. 40 Befragte aus den anderen Bundesländern tragen nur sehr wenige oder gar keine Nennungen für das Pfälzische als sympathischen Dialekt bei. Die Amplitude, d. h. der Abstand zwischen dem maximalen und dem minimalen Wert, ist dadurch sehr groß. Die Sympathienennungen für das Pfälzische kommen also beinahe ausschließlich aus dem Heimatbundesland und den Nachbarbundesländern. Ähnliche Ergebnisse liefern die Aufschlüsselungen der Sympathienennungen für die Dialekte Fränkisch und Thüringisch (siehe in Tabelle 3 die zweite bzw. dritte Spalte). Von den 46 Sympathienennungen für das Fränkische kommen 40 gewichtete Prozent aus Bayern, also aus dem Bundesland, in dem der Dialekt vorrangig gesprochen wird. Die anderen Nennungen für das Fränkische kommen von Befragten aus den Nachbarbundesländern von Bayern bzw. von Franken: Thüringen, Baden-Württemberg, Hessen und im weitesten Sinne auch noch von den geographisch nicht weit entfernten Bundesländern Rheinland-Pfalz und dem Saarland und Sachsen-Anhalt. Die entfernten nördlichen Bundesländer liefern kaum Nennungen. Entsprechendes gilt für das Gros der Sympathienennungen für das Thüringische: 46 gewichtete Prozent der 23 Thüringisch-Nennungen kommen aus dem eigenen Bundesland Thüringen. Die Sympathienennungen für das Thüringische verteilen sich auf vergleichbare Weise. Neben den Selbstbewertungen, also Nennungen aus dem eigenen Bundesland, erfolgen Sympathienennungen aus den Nachbarbundesländern: Sachsen-Anhalt, Bayern und Sachsen. Einige weitere Nennungen kommen aus den anderen östlichen Bundesländern, außer aus Berlin (zum West-Ost- Effekt bei der Bewertung des Sächsischen vgl. Plewnia / Rothe 2011b). Dass andererseits Nachbarschaft keine Garantie für eine Nennung ist, sieht man daran, dass aus Hessen keine Nennungen kommen. Bei den drei Dialekten Pfälzisch, Fränkisch und Thüringisch handelt es sich also offenbar um überregional wenig prominente Dialekte. Sie werden besonders von Menschen gekannt und bewertet, die aus dem Bundesland stammen, 40 Der Anteil der Nennungen aus Brandenburg ist zwar größer, es handelt sich dabei aber absolut um lediglich drei Nennungen; insofern ist der Wert wenig aussagekräftig. Das gleiche gilt etwa für die Fränkisch-Nennungen aus Sachsen-Anhalt. Sprache - Einstellungen - Regionalität 49 in dem der Dialekt jeweils gesprochen wird, sowie in kleineren Teilen aus den angrenzenden Nachbarbundesländern. Pfälzisch, Fränkisch und Thüringisch sind also lediglich kleinräumig bekannt und nicht überregional prominent. Regionale und überregionale Prominenz: Kölsch, Berlinisch, Alemannisch, Hessisch Anders verhält es sich dagegen mit den Dialekten Kölsch, Berlinisch, Alemannisch und Hessisch. Ein erstes Indiz für die überregionale Prominenz dieser Dialekte zeigt bereits ihre häufige Nennung als sympathische Dialekte (vgl. Tabelle 1). Die gewichteten Sympathienennungen für Kölsch, Berlinisch, Alemannisch und Hessisch sind in Tabelle 4 nach Herkunftsbundesland aufgeschlüsselt. Kölsch (97) Berlinisch (147) Alemannisch (346) Hessisch (107) BB 6,7 17,3 7,0 12,2 BE 2,4 10,7 10,3 7,5 BW 7,0 4,7 20,2 3,6 BY 3,5 3,6 9,2 4,6 HE 10,2 2,8 13,9 24,9 MV 5,8 8,1 0,8 6,8 NI+HB 6,4 8,0 5,3 4,4 NW 14,7 6,8 5,3 5,7 RP+SL 14,2 2,9 9,7 13,2 SH+HH 9,7 0,7 3,2 5,0 SN 2,2 10,3 5,6 5,1 ST 6,1 7,9 1,7 - TH 11,1 6,2 7,7 7,0 Tabelle 4: Sympathienennungen nach Herkunftsbundesland: regional und überregional prominente Dialekte Ein weiterer relativ prominenter Dialekt ist offenbar Kölsch. Die meisten Nennungen für Kölsch kommen aus Nordrhein-Westfalen sowie aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Kölsch wird außerdem bundeslandübergreifend genannt, aus allen Bundesländern erfolgen Sympathienennungen für Kölsch. Das Maximum ist nicht so groß und das Minimum ist nicht so klein, d. h. die Amplitude ist weniger markant. Daraus kann gefolgert werden, dass Kölsch relativ bekannt bzw. prominent ist, weil es nicht nur im Herkunftsbundesland und von seinen Nachbarn genannt wird. Ein vergleichbares Bild ergibt die Aufschlüsselung der Sympathienennungen für Berlinisch (vgl. Tabelle 4, zweite Spalte). Auch bei den Nennungen für Berlinisch ist die Amplitude relativ niedrig: insgesamt kommen relativ viele Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 50 Nennungen aus allen Bundesländern. Daraus kann geschlossen werden, dass Berlinisch deutschlandweit eine bekannte Varietät ist. Das Bundesland, das die meisten Sympathienennungen für das Berlinische liefert, ist nicht Berlin, sondern Brandenburg. Das liegt möglicherweise daran, dass das Berlinische in Berlin zwar sicherlich ein bekanntes Konzept bzw. ein bekannter Dialekt ist, dieser aber unterschiedlich bewertet wird, sowohl positiv als auch negativ (s. u. Tabelle 6; vgl. auch z. B. Schönfeld 2001). Ein weiterer Grund ist, dass das Berlinische ein Stadtdialekt ist, der im ganzen Berliner Großraum gesprochen wird und auch über die Bundeslandgrenze nach Brandenburg ausstrahlt (vgl. z. B. Schönfeld 2001). Die Sympathienennungen für die südwestdeutsche Dialektgruppe des Alemannischen stammen vor allem aus Baden-Württemberg, dem Bundesland, in dem diese Dialekte gesprochen werden (vgl. Tabelle 4, dritte Spalte). Es handelt sich also größtenteils um positive Selbstbewertungen. Der zweitgrößte Anteil an Sympathienennungen kommt aus Hessen. Aus Berlin kommt der drittgrößte gewichtete Anteil der Sympathienennungen. Das liegt vermutlich an der mediatisierten Präsenz der Schwaben in Berlin. 41 Die Bewertung der Schwaben durch die Berliner zeigt sich nicht nur in der vielzitierten Abneigung der Berliner gegen die Schwaben (s. u. den Berliner Anteil an den Antipathienennungen), sondern anscheinend auch in einer positiven Bewertung. Der viertgrößte Anteil der Sympathienennungen kommt aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Außerdem kommen einige Nennungen aus Bayern, wo diese Dialekte in kleinen Teilen gesprochen werden. Aus den geographisch entfernteren nördlichen Bundesländern kommen dagegen nur sehr wenige Sympathienennungen für Schwäbisch. Rund ein Viertel der gewichteten Sympathienennungen pro Herkunftsbundesland für das Hessische kommen aus dem eigenen Bundesland, aus Hessen (vgl. Tabelle 4, vierte Spalte); gefolgt von den Sympathienennungen des westlichen Nachbarbundeslandes (Rheinland-Pfalz, Saarland). Dass der drittgrößte Anteil der Sympathiebewertungen von Befragten aus Brandenburg kommt, ist schwer zu interpretieren. Aus den meisten anderen Bundesländern, 41 Das Phänomen wird in diversen Zeitungsartikeln in den letzten Jahren thematisiert: „Schwabenhass im Szenekiez“ (Der Tagesspiegel, 29.8.2011), „Schwaben raus! “ (Süddeutsche Zeitung, 23.12.2008), „Die Super-Wessis und Proto-Yuppies“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.4.2009), „Mach meinen Schwaben nicht an“ (Berliner Zeitung, 4.6.2008), „Schwaben- Hatz in Prenzlauer Berg“ (Berliner Morgenpost, 8.6.2008); siehe auch das von Papen im Beitrag über sprachliche Landschaften in Prenzlauer Berg dokumentierte Grafitto „Schwabe raus“ (Papen 2012, S. 27). Sprache - Einstellungen - Regionalität 51 außer aus Sachsen-Anhalt, kommt ein relativ geringer Anteil an Sympathienennungen. Hessisch wird also in den meisten Bundesländern in einem eher geringen Umfang gekannt und positiv bewertet. Nationale Prominenz: Bairisch, Norddeutsch, Sächsisch Es gibt auch Dialekte, die überregional bekannt sind. Bairisch, Norddeutsch und Sächsisch sind national prominent. Die gewichteten Anteile für die Sympathienennungen des Bairischen, des Norddeutschen und des Sächsischen nach Herkunftsbundesland sind in Tabelle 5 aufgeführt. Bairisch (546) Norddeutsch (660) Sächsisch (176) BB 3,8 7,0 8,4 BE 6,8 8,8 11,1 BW 11,3 3,4 3,6 BY 14,9 3,4 4,9 HE 9,2 6,3 1,6 MV 3,3 11,8 6,1 NI+HB 6,4 12,1 3,7 NW 7,7 8,3 3,9 RP+SL 12,5 6,3 3,3 SH+HH 8,3 12,2 6,1 SN 3,3 5,8 15,1 ST 6,1 7,9 15,3 TH 6,3 6,7 16,8 Tabelle 5: Sympathienennungen nach Herkunftsbundesland: national prominente Dialekte Bairisch wird von insgesamt sehr vielen Befragten - die Gesamtanzahl an Nennungen ist sehr hoch - aus allen Herkunftsbundesländern als sympathisch angegeben. Die Amplitude ist somit geringer, und die Bundesländer mit den meisten Nennungen ragen weniger deutlich heraus. Die meisten Nennungen stammen aus dem Herkunftsbundesland des Dialekts, aus Bayern, gefolgt von nachbarschaftlichen Nennungen aus Baden-Württemberg und aus dem im weitesten Sinne nachbarschaftlichen Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Die Bundesländer, die die geringste Menge an Sympathienennungen für das Bairische liefern, sind östliche Bundesländer: Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, auch Sachsen und ebenfalls das Nachbarbundesland Thüringen (vgl. zum West-Ost-Effekt bei der Bewertung des Bairischen und dem Stereotyp des typischen Bayern Plewnia / Rothe 2011b). Ein ähnliches Bild ergibt die Aufschlüsselung der Nennungen nach Herkunftsbundesländern für Norddeutsch als sympathischen Dialekt (vgl. die Werte in Tabelle 5). Norddeutsch wird insgesamt sehr häufig genannt und ist ebenso Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 52 wie Bairisch überregional bekannt: Es wird von Menschen aus allen Bundesländern genannt und als sympathisch bewertet, nicht nur aus den Herkunftsbundesländern und den Nachbarbundesländern. Der mehrheitliche Teil der Nennungen erfolgt durch Befragte aus den nördlichen Bundesländern (Schleswig-Holstein und Hamburg, Niedersachsen und Bremen, Mecklenburg-Vorpommern). Ein im Vergleich eher geringer Anteil an Sympathienennungen kommt aus den geographisch weiter entfernten südlichen Bundesländern, Bayern und Baden-Württemberg. Sächsisch wird besonders von Befragten aus Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen als sympathischer Dialekt genannt (vgl. die gewichteten relationalen Anteile in Tabelle 5), anschließend auch in vergleichsweise geringerem Umfang von Befragten aus Berlin und Brandenburg. Kaum Nennungen, aber immerhin einige, kommen von Befragten aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland, Niedersachsen und Bremen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Schleswig-Holstein und Hamburg sowie aus Mecklenburg- Vorpommern. Mecklenburg-Vorpommern lässt sich in diesem Fall dem Antwortmuster zufolge offenbar eher den norddeutschen als den ostdeutschen Bundesländern zuordnen. Auch für die Sächsisch-Nennungen zeichnet sich also ein Heimatbzw. Nachbarschaftseffekt ab, der sich zu einem Ost-West- Effekt ausbildet (vgl. Plewnia / Rothe 2011b). Die Werte zeigen auch, dass Sächsisch relativ prominent ist, da aus allen Bundesländern Nennungen für das Sächsische kommen, wenn auch nicht so viele. Dass die Anzahl der Nennungen dieser Bundesländer nicht so hoch ist, liegt wohl daran, dass Sächsisch auch als ein besonders unsympathischer Dialekt bewertet wird (siehe unten). Die Amplitude der Nennungen für Sächsisch als sympathischen Dialekt nach Herkunftsbundesland ist im Vergleich zur Amplitude der Verteilung der Bewertungen für das Pfälzische, das Fränkische und das Thüringische eher gering ausgeprägt. Im Vergleich zur Amplitude für das Bairische und das Norddeutsche ist sie jedoch stärker ausgeprägt. Das ist darauf zurückzuführen, dass im Vergleich der Nennungen für das Pfälzische, Fränkische und Thüringische mehr Sympathienennungen aus allen Bundesländern für das Sächsische kommen, aber in einem geringeren Ausmaß als für das Bairische und das Norddeutsche. 3.2.2.2 Unsympathische Dialekte Auch für die Dialekte, die als unsympathisch bewertet werden, kann eine solche Analyse der Herkunftsbundesländer durchgeführt werden. In Tabelle 6 sind für die bundesweit am häufigsten als unsympathisch genannten Dialekte Sprache - Einstellungen - Regionalität 53 (Sächsisch, Bairisch, Alemannisch, Norddeutsch, Berlinisch, Hessisch und Kölsch) die auf die gleiche Weise berechneten gewichteten Anteile der Antipathienennungen pro Herkunftsbundesland aufgeführt (zur Berechnung der aufgeführten Werte siehe Fußnote 38). Sä (661) Bai (287) Ale (168) Nd (121) Ber (100) Hes (54) Kö (23) BB 8,3 11,6 10,9 12,0 3,7 4,3 - BE 10,0 7,9 13,1 3,2 12,0 4,6 - BW 8,2 2,1 7,6 11,4 3,2 8,9 25,1 BY 8,0 1,4 7,0 7,9 9,2 2,2 6,3 HE 9,3 2,8 3,5 4,3 9,5 17,1 - MV 6,7 15,2 11,1 9,8 4,8 5,6 - NI+HB 8,1 8,1 9,1 5,4 6,0 10,8 17,3 NW 8,7 7,5 8,4 2,5 2,7 15,7 11,0 RP+SL 9,3 7,1 4,9 6,1 11,8 7,5 14,0 SH+HH 9,0 6,2 8,7 1,1 4,0 6,2 26,2 SN 4,2 11,1 8,9 8,8 13,5 4,2 - ST 5,2 11,6 3,3 9,5 6,7 - - TH 4,8 7,3 3,6 18,0 12,9 12,8 - Tabelle 6: Unsympathische Dialekte nach Herkunftsbundesland 42 Die Muster für die als unsympathisch bewerteten Dialekte brauchen hier nicht ausführlich besprochen zu werden. Die relational gewichteten Anteile der Antipathienennungen offenbaren ein den Sympathienennungen vergleichbares Muster bezüglich der Reichweite der Prominenz der Dialekte. Die Verteilung der Antipathienennungen für das Bairische und das Sächsische auf die Herkunftsbundesländer macht außerdem einen West-Ost-Effekt sichtbar (siehe Plewnia / Rothe 2011b). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die einzelnen Dialekte also durchaus unterschiedlich eingeschätzt werden. Offenbar gibt es Dialekte, die nur sehr kleinräumig positiv (und negativ) bewertet werden (z. B. Pfälzisch, Thüringisch, Fränkisch), während andere eine hohe überregionale Prominenz haben (z. B. Norddeutsch, Bairisch und Sächsisch). Das zeigt auch, dass die ausschließlich kleinräumig bewerteten Dialekte vornehmlich dort bekannt sind, wo sie gesprochen werden, während Menschen in anderen Regionen für diese Dialekte über kein abrufbares Konzept verfügen, ihnen diese Dialekte nicht oder kaum bekannt sind und sie diese somit weder positiv noch negativ bewerten können. Es bestätigt sich also der Stellenwert der Faktoren Heimat 42 In der Tabelle werden für die Dialekte folgende Abkürzungen verwendet: Sä=Sächsisch, Bai=Bairisch, Ale=Alemannisch, Nd=Norddeutsch, Ber=Berlinisch, Hes=Hessisch, Kö= Kölsch. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 54 und Nähe für die Konstitution des laienlinguistischen Basiswissens über Dialekte. Der Dialekt der Heimat ist bekannt und kann somit bewertet werden. Von der Heimat ausgehend sind außerdem radiusartig die in der Nähe liegenden Dialekte bekannt und können entsprechend bewertet werden. Darüber hinaus kommt besonders bezüglich der Bewertung des Bairischen und des Sächsischen ein deutlicher West-Ost-Effekt hinzu (vgl. Plewnia / Rothe 2011b). Die Auswertung über die Herkunftsbundesländer der Dialektbewertungen zeigt auch, dass die Prominenz einiger Dialekte ein wesentlicher Faktor ist (vgl. unten Kapitel 2.1.3). 3.2.3 Selbstbewertungen Aus diesen Ergebnissen lässt sich jedoch noch nicht schließen, inwiefern die Bewertungen für den Dialekt der Heimat auch Wertungen von den jeweiligen Sprechern dieser Dialekte sind. Wäre das der Fall, dann würden sich diese Nennungen noch weiter dahingehend eingrenzen lassen, dass es sich um Selbstbewertungen handeln würde. Für eine solche Analyse sind in Diagramm 20 die Anteile der Selbstbewertungen jeweils für die genannten sympathischen Dialekte aufgeführt: Fränkisch (3,4%) Norddeutsch (35,3%) Pfälzisch (2,4%) Hessisch (5,5%) Bairisch (29,5%) Sächsisch (9,4%) Schwäbisch (13,7%) Berlinisch (7,8%) Kölsch (5,3%) Thüringisch (1,2%) Selbstbewertung Fremdbewertung 49% 29% 27% 24% 23% 22% 19% 15% 14% 4% 51% 71% 73% 76% 77% 78% 81% 85% 86% 96% Diagramm 20: Anteil an Selbstbewertungen bei sympathischen Dialekten Der linke Teil der Balken besteht jeweils aus Nennungen, die als Selbstbewertungen zu werten sind, da sie von Personen abgegeben werden, die angeben, den jeweiligen Dialekt zu können. Der rechte Teil der Balken dagegen besteht jeweils aus Nennungen derjenigen Personen, die den bewerteten Dialekt nicht sprechen. Die Prozentwerte links geben den Anteil der Selbstbewertungen an Sprache - Einstellungen - Regionalität 55 den Gesamtnennungen für einen Dialekt wieder, also den Anteil des linken Balkens am Gesamtbalken. Die Dialekte sind der Reihenfolge nach der Größe dieses Anteils absteigend geordnet. Am größten ist der Anteil der positiven Selbstbewertungen bei Fränkisch mit 49 Prozent, 43 gefolgt von Norddeutsch mit 29 Prozent und Pfälzisch mit 27 Prozent. 22 Prozent der Nennungen für Sächsisch sind Eigenbewertungen der Sächsisch-Sprecher. Der Großteil der anderen Nennungen kommt von Befragten aus den östlichen Bundesländern, außer aus Mecklenburg-Vorpommern, wie es die Analyse der Herkunftsbundesländer für die Sympathienennungen gezeigt hat (s. o.). Am geringsten ist der Anteil der Selbstbewertungen für Thüringisch, 44 Berlinisch und Kölsch. Dafür gibt es aber wahrscheinlich unterschiedliche Gründe: bei Thüringisch, weil man seinen eigenen Dialekt eher nicht sympathisch findet (vgl. dazu Anders 2010), und bei Kölsch und Berlinisch, weil der Dialekt jeweils vielen anderen bekannt ist und daher insgesamt oft von allen und nicht nur den Kölsch- und Berlinisch-Sprechern genannt wird. In Diagramm 21 sind die Anteile der Selbstbewertungen für die Antipathienennungen aufgeführt. Fränkisch (0,7%) Thüringisch (0,9%) Schwäbisch (6,8%) Norddeutsch (6,2%) Sächsisch (34,6%) Berlinisch (5,1%) Bairisch (15,8%) Pfälzisch (0,9%) Kölsch (1,3%) Hessisch (3,0%) Selbstbewertung Fremdbewertung 0% 0% 0% 3% 4% 5% 6% 6% 6% 23% 77% 94% 94% 94% 95% 96% 97% 100% 100% 100% Diagramm 21: Anteil an Selbstbewertungen bei unsympathischen Dialekten Insgesamt sind die Anteile der Selbstbewertungen bei den unsympathischen Dialekten erwartungsgemäß niedrig. 45 Das zeigt, dass den meisten Dialektsprechern ihr eigener Dialekt nicht unsympathisch ist. 43 Auch hier gilt es, die Werte mit Vorsicht zu interpretieren, da die absoluten Zahlen relativ klein sind. 44 Bei Thüringisch ist die Gesamtanzahl der Nennungen jedoch relativ klein. 45 Lediglich für Fränkisch ist der Anteil der negativen Eigenbewertungen etwas höher, das liegt aber wohl am kleinen N. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 56 3.2.4 Prominenz von Dialekten Ein weiteres Indiz auf die Prominenz einiger Dialekte - prominente Dialekte sind Dialekte, die nicht nur den eigenen Sprechern bekannt und von diesen bewertet werden, sondern auch überregional und national bekannt sind und bewertet werden - lässt sich aus der Nennung dieser Dialekte von Menschen mit einer anderen Muttersprache als Deutsch schließen, Menschen also, die aufgrund ihrer Lebensbiographie möglicherweise weniger vertraut mit der diatopischen Einteilung des Deutschen sind. In Tabelle 7 sind die als sympathisch und unsympathisch bewerteten Dialekte der in der Repräsentativumfrage des Projekts befragten Menschen mit einer anderen Muttersprache als Deutsch aufgeführt. sympathische Dialekte Prozent der Fälle unsympathische Dialekte Prozent derFälle Bairisch 20,3 % keinen 38,7 % keinen 16,6 % Bairisch 16,6 % Norddeutsch 10,5 % Sächsisch 10,3 % Schwäbisch 10,3 % Norddeutsch 4,8 % Berlinisch 6,7 % Schwäbisch 4,5 % Sächsisch 6,2 % Ostdeutsch 4,4 % Kölsch 5,5 % Hessisch 3,8 % alle 3,6 % weiß nicht / k.A. 26,0 % weiß nicht / k.A. 16,4 % Tabelle 7: Sympathische und unsympathische Dialekte, Personen mit einer anderen Muttersprache als Deutsch (N=169; aufgeführt sind die Dialekte, die von mehr als fünf Personen genannt werden) Wie es bereits die Analyse der Profile der Sympathienennungen andeutete (vgl. oben Kapitel 2.1), wird Norddeutsch auch von Menschen mit einer anderen Muttersprache als Deutsch häufig als sympathischer Dialekt bewertet. Weitere Dialekte, die genannt werden, sind Bairisch, Schwäbisch, Berlinisch, Sächsisch, Kölsch und Hessisch. Als unsympathische Dialekte werden nahezu die gleichen Dialekte, lediglich anders gereiht, angegeben: Bairisch, Sächsisch, Norddeutsch, Schwäbisch und, wie bei den Deutsch-Muttersprachlern, auch Ostdeutsch. Zumindest Bairisch, Norddeutsch, Sächsisch und Schwäbisch lassen sich demnach als deutschlandweit relativ prominente Dialekte einstufen. Eine mögliche Erklärung für die unterschiedliche Prominenz der Dialekte könnte in der Sprechergruppengröße der jeweiligen Dialekte liegen. Dialekte, die über eine große Sprechergruppe verfügen, könnten zunächst über viele Sprache - Einstellungen - Regionalität 57 positive Eigenbewertungen verfügen und auch über ihre anteilig hohe Präsenz, auch politisch, ökonomisch und vor allem medial, hohe Bekanntheit erreichen. In Tabelle 8 sind die gemäß der Repräsentativumfrage des Projekts in Deutschland gekonnten Dialekte aufgeführt (vgl. dazu oben Kapitel 2). Prozent der Fälle Norddeutsch 24,6 % Bairisch 18,1 % Sächsisch 11,6 % Schwäbisch 10,9 % Hessisch 7,0 % Berlinisch 6,3 % Fränkisch 6,1 % Badisch 4,6 % Rheinisches Platt 4,1 % Kölsch 2,5 % Pfälzisch 2,5 % Thüringisch 2,2 % weiß nicht / k.A. 26,0 % Tabelle 8: Sprechergruppengrößen der gekonnten Dialekte (gekürzte Tabelle aus Gärtig / Plewnia / Rothe 2010, S. 141ff.) Norddeutsch und Bairisch haben eine hohe Grundpräsenz. Bei diesen Dialekten geht die große Sprechergruppe mit einer nationalen Prominenz einher. Es gibt aber auch Dialekte, die prominent sind, ohne dass sie über eine große Sprechergruppe verfügen. Berlinisch und Kölsch beispielsweise haben nicht so viele Sprecher, sind aber überregional prominent. Andererseits ist Prominenz jedoch keine Garantie für Sympathie: Sächsisch ist etwa insgesamt ein prominenter Dialekt, der sowohl zu positiven als auch prononcierter zu negativen Bewertungen herausfordert. Entsprechendes gilt für das Schwäbische, das z. B. von den Berlinern sowohl als sympathisch als auch als unsympathisch bewertet wird. Bairisch ist ebenfalls sowohl bei den positiven als auch bei den negativen Dialekten in den höchsten Positionen vertreten. Die Sprechergruppengröße spielt zwar eine entscheidende Rolle, ist aber allein kein hinreichend erklärender Faktor für die Bekanntheit von Dialekten. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 58 3.2.5 Schülerumfrage: Dialektbewertungen durch Schüler Ergänzend zur Repräsentativumfrage des Projekts wurde zur Überprüfung der Einflussfaktoren auf Spracheinstellungen eine weitere Studie durchgeführt. Für diese Umfrage wurden zwischen Februar 2010 und Januar 2011 Schüler aus verschiedenen Regionen in Deutschland befragt: aus Mannheim, vom Niederrhein (Kreis Kleve und Kreis Wesel) und aus Schleswig-Holstein (Kreis Steinburg). 46 Es wurden insgesamt 628 Schüler der 9. und 10. Jahrgangsstufe mittels eines schriftlich auszufüllenden Fragebogens zu Einstellungen zum Deutschen, zu Dialekten und zu anderen Sprachen befragt (zu dieser Studie siehe Plewnia / Rothe (2011a) und Rothe: „Deutsch und andere Sprachen“ in diesem Band). 47 Davon konnten 619 Fragebögen ausgewertet werden: Mannheim (N=254), Niederrhein (N=256), Steinburg (N=109). Im Vergleich zur Repräsentativumfrage des Projekts ist diese Umfrage nicht repräsentativ. Das Ziel dieser Studie ist unter anderem, an einer exemplarischen Stichprobe, bei der einige Parameter, wie etwa das Alter, konstant gehalten werden, den Einfluss des Faktors Herkunft zu untersuchen. Die Schüler wurden in dieser Umfrage nach ihren Sympathie- und Antipathienennungen für Dialekte befragt. Dazu wurden im Fragebogen diese Fragen gestellt: „In Deutschland sprechen viele Menschen Dialekt. Gibt es Dialekte, die du besonders sympathisch findest? “ und „Und gibt es Dialekte, die du besonders unsympathisch findest? “ Für diese beiden Fragen hatten die Befragten jeweils drei offene Antwortmöglichkeiten. In diesem Kapitel werden jeweils für jeden Erhebungsort die Dialektbewertungen der Schüler, also welche Dialekte als sympathisch und welche als unsympathisch angegeben werden, beschrieben. Als erstes werden die Nennungen der Mannheimer Schüler erläutert, als zweites die der niederrheinischen Schüler und als drittes die der Schüler aus dem Kreis Steinburg. 46 Für die Durchführung dieser Umfrage danken wir den beteiligten Schülern, den Schulleitern, den Lehrern und besonders der Familie Müller (Kamp-Lintfort / Goch / Bielefeld). 47 Für die Unterstützung bei der Digitalisierung der Daten der in Kapitel 2.2 und 3.1 vorgestellten Studien danken wir Verena Keite, Esther Schüpferling und Julia Weinheimer für ihre Mithilfe. Verena Keite gilt zusätzlich der Dank für die Erstellung der Sprachraumkarten in Kapitel 3.3.2. Sprache - Einstellungen - Regionalität 59 3.2.5.1 Mannheim In Tabelle 9 sind die genannten sympathischen und unsympathischen Dialekte der Mannheimer Gewährspersonen aufgeführt. sympathische Dialekte Prozent der Fälle unsympathische Dialekte Prozent der Fälle Mannheimerisch 46,5 % Bairisch 23,2 % Bairisch 27,2 % Sächsisch 15,7 % Pfälzisch 9,1 % Schwäbisch 7,5 % Schwäbisch 8,7 % Berlinisch 7,5 % Berlinisch 8,3 % Mannheimerisch 7,5 % Sächsisch 7,1 % Norddeutsch 5,2 % Norddeutsch 48 6,7 % Pfälzisch 4,7 % Hessisch 3,9 % Hochdeutsch 3,9 % Ostdeutsch 3,9 % Kölsch 3,5 % Schweizerdeutsch 3,9 % Ostdeutsch 3,5 % Hochdeutsch 3,5 % Schweizerdeutsch 3,1 % ethnische Varietät des Deutschen 2,4 % ethnische Varietät des Deutschen 2,4 % (National-)Sprache 9,8 % (National-)Sprache 6,7 % keine Angabe 28,3 % keine Angabe 43,3 % Tabelle 9: Sympathische und unsympathische Dialekte (alle von mehr als fünf Gewährspersonen genannten Kategorien), Mannheimer Gewährspersonen (N=254) Die Mannheimer Gewährspersonen nennen als sympathischen Dialekt an der Spitze klar und deutlich mit 46,5 Prozent Mannheimerisch. An erster Stelle wird also der eigene Dialekt bzw. der Dialekt der heimatlichen sprachlichen Umgebung angegeben. An zweiter Stelle nennen 27,2 Prozent der Mannheimer Gewährspersonen Bairisch als sympathischen Dialekt, obwohl das Bairische für sie kein Dialekt der direkten Umgebung und auch kein naher Nachbarschaftsdialekt ist. Die Häufigkeit der Nennung des Bairischen entspricht dem hohen Stellenwert, den das Bairische als sympathischer Dialekt von den Menschen in Deutschland zugerechnet wird (siehe in Kapitel 3.1 Tabelle 1; siehe auch den hohen Anteil an Sympathienennungen für das Bairische von Baden-Württembergern in Tabelle 5). Es folgen als sympathische Dialekte die Nachbardialekte Pfälzisch (9,1 %) und Schwäbisch (8,7 %). Nicht so häufig bzw. sehr selten werden die noch relativ nah gelegenen Nachbardialekte Hessisch (3,9 %) und Fränkisch (0,8 %) genannt. Vergleichsweise oft mit 8,3 Prozent wird dagegen Berlinisch als sympathischer Dialekt angegeben. Norddeutsche Varietäten werden im Vergleich zu ihrer Spitzenposition in der 48 Auch in dieser Studie sind die norddeutschen Varietäten in einer Sammelkategorie „Norddeutsch“ zusammengefasst. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 60 Repräsentativumfrage des Projekts von den Mannheimer Gewährspersonen nur in einem eher geringen Umfang genannt (6,7 %). Für die Mannheimer Gewährspersonen ist der Norden Deutschlands offenbar nicht nur geographisch, sondern auch mental weit entfernt. Wie auch in der Repräsentativumfrage des Projekts wird von den Mannheimer Gewährspersonen neben dem Sächsischen (7,1 %) auch die Kategorie „Ostdeutsch“ (3,9 %) genannt. Als unsympathischen Dialekt geben 23,2 Prozent der Mannheimer Gewährspersonen an erster Stelle das Bairische an, gefolgt von Sächsisch (15,7 %). Abgesehen von der Reihenfolge entspricht das den Dialekten, die laut der Repräsentativumfrage des Projekts die Menschen in Deutschland unsympathisch finden. Auch genannt mit einem jeweils gleichen Anteil (7,5 %) werden Schwäbisch, Berlinisch und Mannheimerisch; also zunächst ein Nachbardialekt, dann der relativ prominente Dialekt der Hauptstadt und schließlich der heimatliche Dialekt. Außer für das Mannheimerische sind diese Nennungen in etwa vergleichbar mit den Meinungen der Menschen in Deutschland über unsympathische Dialekte, lediglich Mannheimerisch hat bei den Mannheimer Gewährspersonen einen höheren Stellenwert. Von einem relativ kleinen Anteil der Mannheimer Schüler werden noch Pfälzisch (4,7 %), Kölsch (3,5 %) und Ostdeutsch (3,5 %) als unsympathische Dialekte angegeben, darunter also ein Nachbardialekt und mit Kölsch ein Dialekt der über die Grenzen Nordrhein- Westfalens hinaus bekannt zu sein scheint. Kaum bzw. gar nicht genannt werden, wie auch in der Repräsentativumfrage des Projekts, Fränkisch (0,4 %) oder Thüringisch (0 %). Pfälzisch dagegen, das in der Repräsentativumfrage des Projekts eher selten genannt und bewertet wird, tritt bei den Bewertungen der Mannheimer Gewährspersonen - sowohl bei den Sympathieals auch bei den Antipathienennungen, aber besonders bei den Sympathienennungen - deutlich hervor. Ein Grund für diesen Unterschied liegt zweifellos in der für die Mannheimer Gewährspersonen geltenden geographischen Nähe zum Pfälzischen. Sprache - Einstellungen - Regionalität 61 3.2.5.2 Niederrhein Als zweites werden die Dialektbewertungen der niederrheinischen Schüler beschrieben. In Tabelle 10 sind die Nennungen der niederrheinischen Gewährspersonen aufgelistet. sympathische Dialekte Prozent der Fälle unsympathische Dialekte Prozent der Fälle Bairisch 32,8 % Bairisch 36,7 % Norddeutsch 15,9 % Sächsisch 27,3 % Kölsch 14,5 % Norddeutsch 15,4 % Berlinisch 10,2 % Hessisch 13,7 % Hessisch 8,6 % Schwäbisch 12,1 % Schwäbisch 8,2 % Berlinisch 6,3 % Sächsisch 5,9 % Kölsch 5,9 % Schweizerdeutsch 3,9 % Schweizerdeutsch 3,9 % Ostdeutsch 3,5 % Ostdeutsch 2,7 % Niederrheinisch/ Gochner Platt 3,9 % Hochdeutsch 2,7 % Wienerisch/ Österreichisch 2,0 % ethnische Varietät des Deutschen 2,3 % ethnische Varietät des Deutschen 1,2 % (National-)Sprache 16,0 % (National-)Sprache 10,9 % keine Angabe 31,6 % keine Angabe 25,0 % Tabelle 10: Sympathische und unsympathische Dialekte (alle von mehr als fünf Gewährspersonen genannten Kategorien), niederrheinische Gewährspersonen (N=256) Von den Niederrheinern wird Bairisch deutlich am häufigsten als sympathischer Dialekt genannt (32,8 %). Rechnet man alle genannten norddeutschen Varietäten (Plattdeutsch, Hamburgerisch, Norddeutsch, (Ost-)Friesisch) zusammen, dann folgen diese an zweiter Stelle (15,9 %). Diese Varietäten liegen sprachgeographisch nah am Niederrhein. Nicht genannt wird dagegen das Westfälische Platt. Die Eigennennungen „Niederrhein“ (3,1 %) und „Gochner Platt“ (0,8 %) werden nur von sehr wenigen Gewährspersonen aufgeführt. Das ist wohl der dialektalen Situation am Niederrhein geschuldet. Die dort zu verortenden Basisdialekte der kleverländischen Dialektgruppe, die zum Niederfränkischen gehören, werden kaum mehr gesprochen (vgl. Cajot 1995, Cornelissen 2008). Als dialektalste Form tritt wohl ein Regionalakzent, also ein regional gefärbtes Standarddeutsch, an die Stelle des Basisdialekts. Dieser wird möglicherweise als Dialekt wahrgenommen und entsprechend benannt. 49 49 Es ist auch möglich, dass die niederrheinischen Schüler die Kategorie „Niederrhein“ nennen, um ihre Sprechweise, die relativ standardnah sein dürfte, regional zu kennzeichnen (vgl. oben zum Norddeutschen in Kapitel 2.1). Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 62 Das erklärt, dass die positive Selbstbewertung bei den niederrheinischen Gewährspersonen nicht an erster Stelle liegt wie bei den Mannheimer Gewährspersonen. Der sympathischste Dialekt nach dem Bairischen und den norddeutschen Varietäten ist für die Gewährspersonen vom Niederrhein Kölsch (14,5 %). Darauf folgen Berlinisch (10,2 %), Hessisch (8,6 %), Schwäbisch (8,2 %) und auch Sächsisch (5,9 %). Obwohl diese Dialekte nicht in der Nachbarschaft gesprochen werden, scheinen sie den Gewährspersonen relativ bekannt zu sein und von ihnen als sympathisch bewertet zu werden. Die niederrheinischen Gewährspersonen geben bei den sympathischen Dialekten auch die Kategorie „Ostdeutsch“ an (3,5 %). Offenbar handelt es sich hierbei um ein verbreitetes und stabiles Konzept. Als unsympathische Dialekte liegen wie bei den Mannheimer Gewährspersonen und wie in der Repräsentativumfrage des Projekts Bairisch (36,7 %) und Sächsisch (27,3 %) mit Abstand vorn. An dritter Stelle werden norddeutsche Varietäten angegeben (Plattdeutsch, (Ost-)Friesisch, Norddeutsch, Hamburgerisch, Westfälisch (mit nur 1,2 %); insgesamt 15,4 %), also Varietäten des eigenen sprachgeographischen Näheraums. Ein großer Anteil der niederrheinischen Gewährspersonen nennt auch Hessisch als unsympathischen Dialekt (13,7 %). Hessisch scheint für die niederrheinischen Gewährspersonen im Gegensatz zu den Mannheimern, von denen nur knapp 4 Prozent Hessisch als sympathischen und knapp 1 Prozent als unsympathischen Dialekt nennen, als Konzept relativ gut verankert zu sein, da es auch bei den sympathischen Dialekten genannt wird. Die niederrheinischen Gewährspersonen nennen als unsympathische Dialekte auch Schwäbisch (12,1 %) und Berlinisch (6,3 %), also Dialekte, die - wie es bereits die Analyse der Daten aus der Repräsentativumfrage des Projekts zeigt - überregional bekannt sind. Lediglich vereinzelt bzw. gar nicht angegeben werden wiederum die Dialekte Thüringisch (0,4 %), Fränkisch (0 %) und Pfälzisch (0 %). 3.2.5.3 Steinburg Als drittes werden die Nennungen der Gewährspersonen aus dem Kreis Steinburg erläutert. Diese lassen sich ebenfalls in Bezug auf die Herkunft der Gewährspersonen hin interpretieren; die Nennungen sind in Tabelle 11 aufgeführt. Sprache - Einstellungen - Regionalität 63 sympathische Dialekte Prozent der Fälle unsympathische Dialekte Prozent der Fälle Norddeutsch 42,6 % Bairisch 39,4 % Bairisch 31,5 % Sächsisch 29,4 % Hessisch 10,2 % Norddeutsch 23,9 % Kölsch 9,3 % Hessisch 10,1 % Sächsisch 9,3 % Schwäbisch 10,1 % Berlinisch 9,3 % Berlinisch 9,2 % Hochdeutsch 6,5 % Schweizerdeutsch 6,4 % Schweizerdeutsch 5,6 % ethnische Varietät des Deutschen 1,9 % ethnische Varietät des Deutschen 4,6 % (National-)Sprache 12,0 % (National-)Sprache 3,7 % keine Angabe 28,7 % keine Angabe 22,0 % Tabelle 11: Sympathische und unsympathische Dialekte (alle von mehr als fünf Gewährspersonen genannten Kategorien), Steinburger Gewährspersonen (N=109) Die Gewährspersonen aus dem Kreis Steinburg geben an erster Stelle als sympathischen Dialekt norddeutsche Varietäten an (42,6 %). Diese Spitzenplatzierung stimmt überein mit den Ergebnissen der Repräsentativumfrage des Projekts. Für die Steinburger handelt es sich dabei um Varietäten der nördlichen Heimat. An zweiter Stelle nennen sie das Bairische (31,5 %). Dieser Dialekt ist also sogar im von Bayern entfernten Norden prominent und beliebt. Mit etwas Abstand werden Hessisch (10,2 %), Kölsch (9,3 %), Sächsisch (9,3 %) und Berlinisch (9,3 %) angegeben. Diese Dialekte scheinen, wie bereits die Ergebnisse der Repräsentativumfrage des Projekts zeigen, deutschlandweit einigermaßen bekannt zu sein. Fränkisch (0,9 %), Thüringisch (0,9 %), Pfälzisch (0,9 %) und auch Schwäbisch (1,9 %), die geographisch für die norddeutschen Gewährspersonen relativ weit entfernt liegen, werden nur von einzelnen Gewährspersonen genannt. Die am häufigsten genannten unsympathischen Dialekte sind nahezu die gleichen, die als sympathische Dialekte angegeben werden, nur dass sie anders gereiht sind. An erster Stelle wird Bairisch als am unsympathischsten bewertet (39,4 %), gefolgt von Sächsisch (29,4 %). An dritter Stelle werden norddeutsche Dialekte als unsympathische Dialekte bewertet (23,9 %), also Dialekte der eigenen Heimat und Umgebung. Des Weiteren werden als unsympathische Dialekte angegeben Hessisch (10,1 %), Schwäbisch (10,1 %), das im Gegenzug von nur zwei Schülern als sympathischer Dialekt angegeben wird, und Berlinisch (9,2 %). Im Vergleich zu den als unsympathisch bewerteten Dialekten von den Gewährspersonen aus Mannheim und vom Niederrhein fällt auf, dass die Gewährspersonen aus Steinburg nicht die Kategorie „Ostdeutsch“ Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 64 angeben. Dafür wird wie bei den Gewährspersonen vom Niederrhein und im Gegensatz zu den Mannheimern relativ häufig Hessisch bewertet. Die Analyse der von den Schülern angegebenen sympathischen und unsympathischen Dialekte unterstreicht den Stellenwert der Einflussfaktoren der Heimat und der Nachbarschaft für die Konzeptualisierung des Dialektraums. Vorhanden und bewertbar ist immer der Heimatdialekt - sofern er existiert bzw. benannt werden kann -, sei es Mannheimerisch oder nordbzw. niederdeutsche Varietäten. Auch bekannt und bewertet werden die Dialekte aus der unmittelbaren Nachbarschaft, beispielsweise Pfälzisch für die Mannheimer Gewährspersonen oder Kölsch für die Gewährspersonen vom Niederrhein. Von allen Gewährspersonen der drei Erhebungsorte werden - unabhängig davon, ob es um die Sympathie- oder Antipathiefrage geht - außerdem mindestens Bairisch, Sächsisch und Berlinisch genannt. Diese Dialekte sind also offenbar auch bei Schülern überregional bekannt. Alle Gewährspersonen besitzen also mindestens ein Konzept von Norddeutsch, Bairisch, Sächsisch, Berlinisch und mitunter auch von Schwäbisch und Hessisch. Über die drei Erhebungsorte hinweg kaum bzw. nicht genannt werden dagegen Fränkisch, Thüringisch und, außer von den Mannheimer Gewährspersonen aufgrund der nachbarschaftlichen Nähe, Pfälzisch. Für diese Dialekte verfügen die Gewährspersonen also anscheinend über kein mentales Konzept, das sie bewerten können. Dass die überregionale Prominenz einiger Dialekte bzw. ihrer Konzepte eine gewisse Rolle spielt, belegen somit auch die Ergebnisse dieser Studie. Die Ergebnisse unterstreichen, dass in einer mentalen Karte der Dialekte des Deutschen der Dialekt der Heimat, Dialekte der nachbarschaftlichen Umgebung und prominente Dialekte enthalten sind und somit bewertet werden können. 50 3.2.6 Das Konzept „Ostdeutsch“ Wie sich in der Auswertung der Repräsentativumfrage des Projekts und der Schülerumfrage gezeigt hat, wird häufig eine Kategorie genannt, die keine dialektologische Bezeichnung ist: die Kategorie „Ostdeutsch“. In der Repräsentativumfrage des Projekts nennen 0,5 Prozent (N=10) Ostdeutsch als sym- 50 Bemerkenswert ist übrigens, dass die Gewährspersonen aller drei Erhebungsorte bei der Frage nach sympathischen und unsympathischen Dialekten andere Nationalsprachen (z. B. Englisch, Dänisch, Serbisch, Türkisch) und ethnische Varietäten des Deutschen (z. B. Deutsch-Türkisch, Ukrainisch-Deutsch) angeben. Ein ähnliches Ergebnis zeigt Hofer (2004), der Schweizer Gewährspersonen aus Basel mental maps ohne Kartenvorlage zeichnen lässt. Dabei zeigt sich, dass für die Gewährspersonen neben den geographisch bedingtermaßen relevanten Nationalsprachen anscheinend auch ethnolektale Varietäten lebensweltlich relevant und mental repräsentiert sind; diese werden nämlich auch eingezeichnet (z. B. „Balkan-Slang“). Sprache - Einstellungen - Regionalität 65 pathischen Dialekt, 2,1 Prozent (N=40) als unsympathischen (vgl. oben Tabelle 1). Die befragten Schüler aus Mannheim und diejenigen vom Niederrhein verfügen ebenfalls über die Kategorie „Ostdeutsch“, etwa drei Prozent der Schüler aus Mannheim und vom Niederrhein nennen Ostdeutsch jeweils als sympathischen und als unsympathischen Dialekt (vgl. oben Tabelle 9 und Tabelle 10). Dagegen gibt keiner der Befragten Ostdeutsch als Dialekt an, den er oder sie kann. Das deutet bereits an, dass die Kategorie „Ostdeutsch“ lediglich für die Benennung eines fremden Dialekts bzw. für ein Heterostereotyp taugt und keine Bezeichnung für den eigenen Dialekt ist. Der Stellenwert des Konzepts Ostdeutsch wird unterstrichen durch die Ergebnisse von mental-map-Studien zu deutschen Dialekten (vgl. auch Auer 2004). In der Pilotstudie von Hundt (2010) beispielsweise wird Ostdeutsch 76 Mal eingezeichnet (9 %), und in der mental-map-Studie von Lameli / Purschke / Kehrein (2008) ist Ostdeutsch ebenfalls ein signifikant eingezeichneter Sprachraum. Des Weiteren stellen Lameli / Purschke / Kehrein (2008) fest, dass Sächsisch und Ostdeutsch Alternativbenennungen sind. Die Befragten zeichnen entweder Sächsisch ein oder Ostdeutsch. Verortet wird der Sprachraum dabei jeweils gleichermaßen in gesamten Gebiet der ehemaligen DDR mit der Ausnahme von Berlin. Lameli / Purschke / Kehrein (2008) vermuten, dass der Grund dafür darin liegt, dass „das Sächsische als sprachlich auffällige und medial verbreitete regionale Variante des Deutschen die Funktion eines [...] regionalen Prototyps wie Stereotyps übernimmt, in dem letztlich das mangelnde Wissen der Informanten über die Struktur des ostdeutschen Sprachraums zum Ausdruck kommt“ (Lameli / Purschke / Kehrein 2008, S. 77f.). Weitere Ergebnisse zum mentalen Dialektkonzept Ostdeutsch werden in Kapitel 3.3.2.2 vorgestellt. Dort werden die Ergebnisse einer weiteren Studie des Spracheinstellungsprojekts beschrieben. Dass Ostdeutsch in diesen Studien als Sprachraum eingezeichnet bzw. bewertet wird, liegt wohl auch daran, dass die befragten Gewährspersonen vorrangig aus westdeutschen Orten stammen. Alle drei Erhebungsorte der Schülerumfrage sind westdeutsche Orte. 51 51 Auch die Studie von Lameli / Purschke / Kehrein (2008) wurde in einer westdeutschen Stadt, Marburg, erhoben. Lediglich in der Pilotstudie zum Kieler DFG-Projekt (vgl. Hundt 2010) wurden auch Gewährspersonen aus ostdeutschen Städten befragt. Die Studie wurde an den Universitäten Dresden, Erlangen, Frankfurt an der Oder, Freiburg, Heidelberg und Kiel erhoben. Die Laienbezeichnung Ostdeutsch wird in dieser Studie nur von den Dresdener Studierenden nicht genannt (vgl. Hundt 2010, S. 199). Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 66 Dass das Dialektkonzept „Ostdeutsch“ ein sehr westdeutsches ist, zeigt auch das Profil derjenigen, die dieses in der Repräsentativumfrage des Projekts nennen. 52 Diejenigen, die Ostdeutsch nennen, kommen demnach zum großen Teil aus Bayern, Nordrhein-Westfalen und aus Rheinland-Pfalz. Das spiegelt sich auch in den von ihnen gekonnten und den als sympathisch empfundenen Dialekten. 53 3.3 Regionale Verortung In den ersten zwei Teilen des dritten Kapitels wurden die per Fragebogen erhobenen Spracheinstellungen zu Dialekten hinsichtlich der laienlinguistischen Strukturierung der Dialektlandschaft interpretiert. In diesem dritten Teil werden die Ergebnisse einer weiteren Studie beschrieben. Darin wurden Sprach- Raum-Konzepte mittels handgezeichneter Karten erhoben (zu den sogenannten mental maps siehe oben). Für diese mental-map-Studie wurden in den Jahren 2010 und 2011 an vier Erhebungsorten Germanistikstudierende der ersten Semester befragt. Erhoben wurde die Studie in Köln, Mannheim, Bielefeld und Leipzig. 54 Diese Studierendenumfrage ergänzt die Ergebnisse zu Einstellungen zu Dialekten der Repräsentativumfrage des Projekts und der Schülerstudie, die in den ersten beiden 52 Im Anhang in Tabelle 19 ist das Profil dieser Befragten im Hinblick auf einige soziodemographische Faktoren wie Herkunft, Geschlecht und Alter zusammengestellt und in Tabelle 20 im Hinblick auf die gekonnten Dialekte und die genannten sympathischen und unsympathischen. 53 Einige Besonderheiten bezüglich der genannten sympathischen und unsympathischen Dialekte der Ostdeutsch-Nenner sollen noch erwähnt werden; da es sich um insgesamt sehr kleine Zahlen handelt, ist die Aussagekraft dieser Beobachtungen als eher niedrig einzuschätzen. Eine Gewährsperson, die Ostdeutsch als sympathischen Dialekt angibt, nennt auch Sächsisch. Diese scheinbare Doppelnennung kann entweder auf einen Interviewereffekt zurückzuführen sein oder darauf, dass es sich um eine spezifizierende Nennung handelt. Ebenso geben drei der Gewährspersonen, die Ostdeutsch als sympathischen Dialekt nennen, zusätzlich Sächsisch als unsympathischen Dialekt an. Lediglich eine Person, die Ostdeutsch als unsympathischen Dialekt nennt, gibt an, Sächsisch zu können. Diese Gewährsperson gibt insgesamt an, Bairisch, Sächsisch und Schwäbisch zu können, sie findet keinen Dialekt sympathisch und nennt als unsympathische Dialekte eben die gleichen Dialekte, die sie angibt, zu können: Bairisch, Ostdeutsch - also in der Alternativnennung zum Sächsischen - und Schwäbisch. Bezüglich des Alters und des Geschlechts der Ostdeutsch-Nennenden lässt sich kein klares Profil erkennen. Bezüglich des Bildungsabschlusses sind es eher Menschen mit Hauptschulabschluss und Mittlerer Reife, die Ostdeutsch nennen. Dass auch einige Befragte, für die Deutsch nicht die Muttersprache ist, Ostdeutsch als unsympathischen Dialekt angeben, zeigt wiederum die Prominenz dieser Kategorie. 54 Für die Unterstützung bei der Durchführung der Studie danken wir den teilnehmenden Studierenden und Georg Albert, Beate Henn-Memmesheimer, Sonja Müller und Günther Öhlschläger. Sprache - Einstellungen - Regionalität 67 Teilen des dritten Kapitels erläutert wurden. Für die mental-map-Studie wurden als Gewährspersonen Studierende jüngere Semester ausgewählt, da diese am ehesten als linguistische Laien gelten können, insofern sie noch kein dialektologisches Wissen erworben haben. 55 Die Studierenden wurden gebeten, auf einer Blanko-Deutschlandkarte, 56 auf der lediglich die Bundeslandgrenzen eingezeichnet sind, die Dialekträume einzuzeichnen und zu benennen, die sie kennen. Die Mannheimer, Bielefelder und Leipziger Studierenden wurden in einer zweiten Aufgabe auf der Rückseite der Blanko-Karte zusätzlich darum gebeten, weitere Dialekte aufzulisten, die sie nicht in der Karte eingezeichnet haben. Die Frage lautet wie folgt: „Und fallen Ihnen noch weitere Dialekte ein, die Sie nicht eingezeichnet haben? Bitte nennen Sie diese.“ Diese Studie hat, anders als die Repräsentativumfrage des Projekts, keine repräsentative Gültigkeit. Wie bei der Schülerstudie wurde eine Stichprobe zusammengestellt, bei der der Erhebungsort variiert. Die Tätigkeit Studium und somit im Großen und Ganzen auch der Faktor Alter wurden konstant gehalten. Der variierende Faktor ist der Erhebungsort und somit der Wohnort und die Herkunft der Gewährspersonen. Die gesamte Stichprobe umfasst 430 Befragte. - Die Kölner Stichprobe besteht aus 70 Studierenden aus einem Einführungsseminar und zwei Proseminaren. Die Kölner Studierenden zeichnen im Durchschnitt 5,9 Dialekte ein (Maximum: 17 Dialekte). Die Kölner Studierenden sind relativ ortsfest, die meisten von ihnen kommen aus Köln oder aus der Kölner Umgebung. - Die Mannheimer Stichprobe setzt sich zusammen aus 90 Studierenden. Sie besuchten alle eine Einführungsvorlesung. Die Mannheimer Studierenden zeichnen im Durchschnitt 5,6 Dialekte in die Karte ein (Maximum: 21 Dialekte). Bei der zweiten Frage geben 46 Studierende Dialekte an; im Durchschnitt zwei Dialekte. Die Mannheimer Teilstichprobe ist etwas heterogener als die Kölner Teilstichprobe, das Einzugsgebiet ist größer. Die Mannheimer Studierenden kommen nicht nur aus Mannheim und der Umgebung von Mannheim, sondern auch aus einem größeren Umkreis. Da Mannheim sprachgeographisch in einer Grenzregion liegt, sind die Herkunftsbundesländer der Mannheimer Studierenden mit Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen und Bayern sehr vielfältig, bleiben aber größtenteils auf den Süden Deutschlands beschränkt. 55 Germanistikstudierende sind zwar in laienlinguistischer Hinsicht nicht die optimalen Gewährspersonen, sie sind jedoch sehr einfach zu erreichen und zu befragen. 56 Zum Effekt von unterschiedlichen Kartentypen für dieses Erhebungsinstrument siehe Lameli / Purschke / Kehrein (2008). Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 68 - Die Bielefelder Stichprobe besteht aus 97 Studierenden, die im Rahmen einer Einführungsvorlesung befragt wurden. In der Bielefelder Stichprobe werden im Durchschnitt 4,9 Dialekte eingezeichnet (Maximum: 18 Dialekte). Auch die Bielefelder Studierenden konnten bei einer zweiten Frage angeben, welche Dialekte sie nicht eingezeichnet haben, aber noch kennen; bei dieser Zusatzfrage werden von 38 Gewährspersonen im Durchschnitt 2,3 Dialekte angegeben. - In Leipzig haben 173 Studierende einer Einführungsvorlesung an der Umfrage teilgenommen. Die Leipziger Studierenden zeichnen im Durchschnitt 5,3 Dialekte ein (Maximum: 20 Dialekte). Bei der zusätzlichen Frage nach nicht eingezeichneten Dialekten nennen 61 Leipziger Studierende im Durchschnitt 2,0 Dialekte. Der Großteil der Befragten der Leipziger Stichprobe stammt aus Sachsen, Thüringen oder Sachsen-Anhalt. Die Karten der studentischen Gewährspersonen können unter zwei Gesichtspunkten ausgewertet werden. Zunächst können die genannten, eingezeichneten Dialekte analysiert werden, ohne dabei auf die Lage und Größe des eingezeichneten Raums einzugehen (3.3.1). 57 Die Nennungen werden jeweils pro Erhebungsort beschrieben. Als erstes werden die durch die Kölner Studierenden eingetragenen Dialekte erläutert, als zweites die der Mannheimer Stichprobe, als drittes die der Bielefelder Stichprobe und als viertes die der Leipziger Stichprobe. Über die Dialektnennungen können dann Rückschlüsse auf die Dialektkonzepte der Gewährspersonen gezogen werden. Die den Angaben zugrundeliegende Frage ist vergleichbar mit der offenen Frage nach der Bewertung von Dialekten in der Repräsentativumfrage des Projekts. Mit den in der Kartenstudie gestellten Fragen werden Antworten elizitiert, die die mentalen Konzepte der Befragten, also ihr laienlinguistisches Basiswissen zu Dialekten, repräsentieren. Besonders mit der zweiten Frage, bei der die Studierenden die Möglichkeit haben, Dialekte lediglich zu nennen, ohne sie einzuzeichnen, sie also nicht ihr geographisches oder landeskundliches Wissen über Deutschland bemühen müssen, wird gewährleistet, dass diese mentalen Konzepte abgerufen werden. Zweitens können die eingezeichneten Räume näher betrachtet werden (3.3.2). Eine geostatistische Analyse konnte für die eingetragenen Räume nicht durchgeführt werden. Sie wurden jedoch anhand manueller Methoden so aufbereitet, dass alle Räume einer Dialektkategorie visualisiert werden können. Einige der so visualisierten Räume werden in einem zweiten Teil beispielhaft erläutert. 57 Doppelnennungen des Typs „Berlin-Brandenburg“ oder „Ostdeutsch/ Sächsisch“ sind für die Auswertung problematisch. Letztere Einzelnennung (siehe Tabelle 12) kann beispielsweise weder in die Kategorie „Ostdeutsch“ noch in die Kategorie „Sächsisch“ gefasst werden (dazu siehe auch Hundt 2010). Sprache - Einstellungen - Regionalität 69 3.3.1 Eingezeichnete Dialekte 3.3.1.1 Köln In diesem Abschnitt werden die genannten Dialekträume der Befragten besonders in Bezug auf den Erhebungsort und die entsprechende Raumbiographie der Befragten hin ausgewertet. In Tabelle 12 sind die von den Kölner Studierenden in die Karte eingezeichneten Dialekte nach Häufigkeiten in absteigender Reihenfolge aufgelistet. N Prozent Prozent der Fälle Bairisch 69 12,0 % 98,6 % Berlinisch 51 8,9 % 72,9 % Sächsisch 51 8,9 % 72,9 % Hessisch 47 8,2 % 67,1 % Schwäbisch 42 7,3 % 60,0 % Kölsch 37 6,5 % 52,9 % Fränkisch 32 5,6 % 45,7 % Rheinländisch 30 5,2 % 42,9 % Platt 26 4,5 % 37,1 % Pfälzisch 25 4,4 % 35,7 % Norddeutsch 21 3,7 % 30,0 % Saarländisch 19 3,3 % 27,1 % Thüringisch 14 2,4 % 20,0 % Friesisch 13 2,3 % 18,6 % Hochdeutsch 12 2,1 % 17,1 % Westfälisch 12 2,1 % 17,1 % Badisch 12 2,1 % 17,1 % Hamburgerisch 10 1,7 % 14,3 % Ostfriesisch 7 1,2 % 10,0 % Ruhrgebiet 7 1,2 % 10,0 % Alemannisch 7 1,2 % 10,0 % regionales Norddeutsch 4 0,7 % 5,7 % sonstiges 3 0,5 % 4,3 % Mecklenburgisch-Vorpommerisch 2 0,3 % 2,9 % Brandenburgisch 2 0,3 % 2,9 % Vogtländisch 2 0,3 % 2,9 % Ostdeutsch 2 0,3 % 2,9 % Berlin-Brandenburg 2 0,3 % 2,9 % Ostdeutsch/ Sächsisch 1 0,2 % 1,4 % Preußisch 1 0,2 % 1,4 % Schlesisch 1 0,2 % 1,4 % Moselfränkisch 1 0,2 % 1,4 % Mannheimerisch 1 0,2 % 1,4 % Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 70 Schweizerdeutsch 1 0,2 % 1,4 % NRW 1 0,2 % 1,4 % Rheinhessisch 1 0,2 % 1,4 % Sauerland 1 0,2 % 1,4 % Sorbisch 1 0,2 % 1,4 % Eifel 1 0,2 % 1,4 % Nordfriesisch 1 0,2 % 1,4 % Tabelle 12: Eingezeichnete und benannte Dialekte (Kölner Stichprobe, N=70) Die Gewährspersonen der Kölner Stichprobe, von denen viele aus der Kölner Region bzw. aus Nordrhein-Westfalen stammen, nennen beinahe alle Bairisch, Berlinisch, Sächsisch, Hessisch und Schwäbisch (vgl. Tabelle 12). Bairisch, Berlinisch und Schwäbisch sind die prominenten Dialekte, die, wie es auch die Ergebnisse der Analyse der Sympathienennungen der Repräsentativumfrage des Projekts und die Analyse der Schülerumfrage zeigen, nahezu jeder kennt. Hessisch ist für die meisten Befragten aus Köln der nahe Nachbardialekt (vgl. oben Hessisch als regional bzw. überregional prominenten Dialekt). Viele Befragte zeichnen auch den Dialekt der direkten sprachlichen Umgebung ein: Kölsch und Rheinländisch. Die eingezeichneten Dialekte sind also vergleichbar mit dem von den Sympathie- und Antipathienennungen abgeleiteten Basiswissen über Dialekte und offenbaren gleichermaßen die das laienlinguistische Wissen beeinflussenden Faktoren Heimat, Nähe und Prominenz. Vier Karten aus der Kölner Teilstichprobe sollen hier exemplarisch aufgeführt und erläutert werden. In Abbildung 1 ist eine nur minimal beschriftete Karte dargestellt. Sprache - Einstellungen - Regionalität 71 Abbildung 1: Beispielkarte einer Kölner Gewährsperson (1) Die Gewährsperson hat darin lediglich ihren Heimatdialekt eingetragen. Das passt zu ihren soziodemographischen Angaben. Sie stammt aus Köln, ist dort zur Schule gegangen, wohnt dort auch aktuell und spricht Kölsch. Eine leichte Variation dieser Minimalkarte findet sich in Abbildung 2. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 72 Abbildung 2: Beispielkarte einer Kölner Gewährsperson (2) Auch die Gewährsperson dieser Karte verfügt über eine sehr lokale Raumbiographie. Sie ist geboren in einem westlichen Vorort von Köln, ist in Köln zur Schule gegangen, wohnt dort aktuell und spricht auch Kölsch. Zusätzlich zum gesprochenen Heimatdialekt wird von dieser Gewährsperson einer der prominentesten Dialekte eingezeichnet: Bairisch. Die Gewährsperson ergänzt die Dialektnennungen entgegen der Aufgabenstellung zwar nicht um räumliche Grenzen (z. B. Kreis, Ellipse o. Ä.), aber sie trägt außerdem eine graduelle Abstufung ein: im Süden Bayerns wird demnach stärker oder mehr Bairisch gesprochen als im Norden des Bundeslandes. Sprache - Einstellungen - Regionalität 73 Als drittes ist eine sehr detaillierte Karte abgebildet, die in der Kölner Stichprobe eher eine Ausnahme darstellt (Abbildung 3). Abbildung 3: Beispielkarte einer Kölner Gewährsperson (3) Die Ausführlichkeit dieser Karte hängt zusammen mit den für die Kölner Stichprobe eher außergewöhnlichen sprachbiographischen Erfahrungen der Gewährsperson. Sie ist in Leipzig geboren, hat die Schulzeit in Brandenburg verbracht, wohnt in Rheinland-Pfalz, studiert in Köln, also in Nordrhein- Westfalen, und spricht selbst Sächsisch und Berlinisch. Es ist also nicht überraschend, dass diese Gewährsperson Sächsisch angibt und relativ plausibel verortet und auch Thüringisch einzeichnet. Etwas unschärfer sind die Eintragungen im Südwesten Deutschlands („Wie heißt der Dialekt um Bodensee/ Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 74 Allgäu? “). Diese Unschärfe lässt sich auf die relative Ferne des südwestdeutschen Raums für die Gewährsperson und ihre bisherige Raumbiographie zurückführen. Pfälzisch und Schwäbisch werden ebenfalls nicht ganz den Dialekträumen entsprechend verortet. Was jedoch stimmt, ist die Verortung in Relation zum Wohnort der Gewährsperson. Platt wird von der Gewährsperson an den Küsten eingezeichnet, und die norddeutsche Tiefebene wird als „relativ dialektfrei“ bewertet. Als letztes soll eine Karte besprochen werden, die als ausführlichere Durchschnittskarte der Kölner Stichprobe bewertet werden kann (Abbildung 4). Abbildung 4: Beispielkarte einer Kölner Gewährsperson (4) Sprache - Einstellungen - Regionalität 75 Die Gewährsperson, die aus Haan stammt, in Wuppertal zur Schule gegangen ist, in Köln wohnt und selbst keinen Dialekt spricht, zeichnet in dieser Karte insgesamt acht Dialekte ein. Als süddeutsche Varietäten werden Fränkisch und „Bayrisch“ angegeben, im Norden etwa in Schleswig-Holstein und Nordniedersachsen wird „Hamburgerisch/ Norddeutsch“ eingezeichnet. Südlich davon wird im Westen, im Großteil des Bundeslands Niedersachsen, Hochdeutsch eingetragen und im Osten Berlinisch. Berlinisch ist somit zwar in Berlin, aber besonders im Norden von Berlin eingeordnet. Als mitteldeutsche Varietäten gibt die Gewährsperson Kölsch, Sächsisch und Hessisch an. Kölsch - der Dialekt des aktuellen Wohnorts - wird großzügig in weiten Teilen von Nordrhein-Westfalen eingezeichnet, Sächsisch dagegen wird in Sachsen-Anhalt und in Thüringen verortet, Hessisch wird in Sachsen und im südöstlichen Brandenburg eingeordnet. Diese Karte illustriert einen herausstechenden Aspekt dieser Studie. Viele Studierende sind sich bezüglich der Verortung der Dialekte sehr unsicher. Eine große Mehrzahl der befragten Studierenden verbalisierte während der Durchführung der Studie ihre Unkenntnis bezüglich der Benennung und der Lage der deutschen Bundesländer. Insofern verwundert die Verortung des Sächsischen und besonders die des Hessischen nicht, zumal die relative Verortung in Bezug auf den Wohnort der Gewährsperson einigermaßen plausibel ist: Sächsisch und Hessisch liegen beide in Relation zu Köln, Haan, und Wuppertal im (südlichen) Osten (siehe Kapitel 3.3.2 zu den eingezeichneten Räumen). Diese falsche Verortung von Dialekträumen hängt also nicht zuletzt damit zusammen, dass einige Gewährspersonen, obgleich sie über ein bestimmtes Dialektkonzept verfügen, nicht auf das entsprechende geopolitische (Fakten-)Wissen zurückgreifen können, um das Dialektkonzept plausibel in der vorgegebenen Blanko-Karte zu verorten. Dieser Umstand muss bei der räumlichen Auswertung solcher Karten sicherlich mitberücksichtigt werden (s. u.). 3.3.1.2 Mannheim In Tabelle 13 sind die von den Mannheimer Studierenden in die Karte eingezeichneten Dialekte ihrer Häufigkeit nach in absteigender Reihenfolge aufgeführt. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 76 N Prozent Prozent der Fälle Bairisch 81 10,6 % 91,0 % Schwäbisch 72 9,4 % 80,9 % Berlinisch 66 8,6 % 74,2 % Hessisch 65 8,5 % 73,0 % Pfälzisch 63 8,2 % 70,8 % Sächsisch 58 7,6 % 65,2 % Badisch 49 6,4 % 55,1 % Platt 45 5,9 % 50,6 % Saarländisch 41 5,4 % 46,1 % Fränkisch 40 5,2 % 44,9 % Kölsch 29 3,8 % 32,6 % Hamburgerisch 18 2,3 % 20,2 % Friesisch 13 1,7 % 14,6 % sonstiges 13 1,7 % 14,6 % Ruhrgebiet 12 1,6 % 13,5 % Hochdeutsch 11 1,4 % 12,4 % Rheinländisch 9 1,2 % 10,1 % Mannheimerisch 9 1,2 % 10,1 % Norddeutsch 8 1,0 % 9,0 % Alemannisch 8 1,0 % 9,0 % regionales Norddeutsch 6 0,8 % 6,7 % Rheinhessisch 6 0,8 % 6,7 % Thüringisch 5 0,7 % 5,6 % Schweizerdeutsch 5 0,7 % 5,6 % Kurpfälzisch 5 0,7 % 5,6 % Ostdeutsch 4 0,5 % 4,5 % Oberbairisch 4 0,5 % 4,5 % Mecklenburgisch-Vorpommerisch 3 0,4 % 3,4 % Brandenburgisch 3 0,4 % 3,4 % Hohenlohisch 3 0,4 % 3,4 % Niederbairisch, Unterbairisch 3 0,4 % 3,4 % Westfälisch 2 0,3 % 2,2 % Hannoveranisch 2 0,3 % 2,2 % Österreichisch 2 0,3 % 2,2 % Ostfriesisch 1 0,1 % 1,1 % Schlesisch 1 0,1 % 1,1 % Eifel 1 0,1 % 1,1 % Tabelle 13: Eingezeichnete und benannte Dialekte (Mannheimer Stichprobe, N=90) Sprache - Einstellungen - Regionalität 77 In Tabelle 14 sind die Ergebnisse der zweiten Frage dieser Erhebung dargestellt, d. h. die den Gewährspersonen bekannten, aber nicht in die Karte eingezeichneten Dialekte. N Prozent Prozent der Fälle Sächsisch 20 18,0 % 43,5 % Friesisch 11 9,9 % 23,9 % sonstiges 9 8,1 % 19,6 % Ostfriesisch 6 5,4 % 13,0 % Pfälzisch 6 5,4 % 13,0 % Schweizerdeutsch 6 5,4 % 13,0 % Platt 5 4,5 % 10,9 % Berlinisch 5 4,5 % 10,9 % Kölsch 5 4,5 % 10,9 % Mannheimerisch 5 4,5 % 10,9 % Fränkisch 5 4,5 % 10,9 % Hamburgerisch 3 2,7 % 6,5 % Thüringisch 3 2,7 % 6,5 % Hessisch 3 2,7 % 6,5 % Schwäbisch 3 2,7 % 6,0 % Österreichisch 3 2,7 % 6,5 % Hochdeutsch 2 1,8 % 4,3 % Saarländisch 2 1,8 % 4,3 % Badisch 2 1,8 % 4,3 % Alemannisch 2 1,8 % 4,3 % Luxemburg 2 1,8 % 4,3 % Ostdeutsch 1 0,9 % 2,2 % Bairisch 1 0,9 % 2,2 % Sauerland 1 0,9 % 2,2 % Tabelle 14: Weitere nicht eingezeichnete Dialekte (Mannheimer Stichprobe, N=90) Auch die Mannheimer Studierenden tragen fast alle Bairisch ein (vgl. Tabelle 13). Außerdem nennt die große Mehrheit die nachbarschaftlichen Dialekte bzw. die Heimatdialekte Schwäbisch, Hessisch, Pfälzisch, Badisch und Fränkisch. Hinzu kommen Berlinisch, Saarländisch und Hamburgerisch, die wohl deshalb relativ oft angegeben werden, weil ihre Nennung zusätzlich zur räumlichen Nähe des Saarlands durch die Angabe der Bundeslandgrenzen hervorgerufen wird. Auch die relativ prominenten Dialekte Sächsisch, Platt und Kölsch werden häufig eingezeichnet. Der lokale Dialekt wird auch relativ Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 78 häufig eingetragen, aber nicht so häufig wie der lokale Dialekt Kölsch von den Kölner Gewährspersonen. Das lässt sich einerseits darauf zurückführen, dass die Mannheimer Stichprobe etwas heterogener ist, da viele Befragte nicht aus Mannheim, sondern aus der weiteren Umgebung bzw. aus dem Süden Deutschlands kommen. Einige der Befragten sind etwa aus der Pfalz; 17 Studierende geben an, Pfälzisch zu können (31,5 %). Es kann andererseits auch daran liegen, dass die Benennung des lokalen Dialekts aufgrund des dialektalen Grenzbzw. Übergangsgebiets und der konkurrierenden Bezeichnungen (Mannheimerisch, Kurpfälzisch, Badisch, Pfälzisch) schwer fällt. Eine andere Erklärungsmöglichkeit ist, dass der Raum, in dem dieser lokale Dialekt zu verorten wäre, aufgrund fehlender Orientierungspunkte auf der Karte nicht einfach zu finden ist. Das wird dadurch bestärkt, dass Mannheimerisch von einigen als Antwort auf die Zusatzfrage nach den nicht eingezeichneten Dialekten angegeben wird. Als weitere nicht eingezeichnete Dialekte nennen die Studierenden am häufigsten Sächsisch, gefolgt von Friesisch bzw. Ostfriesisch (vgl. Tabelle 14). Die Nennung des Sächsischen an dieser Stelle unterstreicht den Befund, dass Sächsisch bzw. Ostdeutsch für viele Gewährspersonen ein nicht besonders klar umrissener Dialektraum ist, der von vielen, die ihn einzeichnen, im gesamten Gebiet der ehemaligen DDR verortet wird (vgl. Kapitel 2.3). Möglicherweise bedeutet die Angabe des Sächsischen an dieser Stelle, dass die Gewährspersonen zwar über ein Konzept Sächsisch verfügen und im Prinzip auch über das Wissen, dass es ein Bundesland Sachsen gibt, aber diese Wissensbestandteile nicht zusammenbringen können bzw. nicht sicher sind, wie das Dialektkonzept Sächsisch und das Bundesland Sachsen miteinander räumlich in Beziehung stehen. Wie bei der Kölner Stichprobe werden im Folgenden anhand einiger exemplarischer Karten (Abbildung 5 bis Abbildung 7) die Nennungen der Mannheimer im Hinblick auf die eingezeichneten Räume erläutert. Sprache - Einstellungen - Regionalität 79 Abbildung 5: Beispielkarte einer Mannheimer Gewährsperson (1) Die Gewährsperson zeichnet in der Karte in Abbildung 5 lediglich einen heimatnahen Dialekt - sie stammt aus Worms und wohnt auch dort - ein, den sie selbst aber nicht spricht. Es sind zwar keine die Sprachräume eingrenzenden Kreise eingezeichnet, aber es kann angenommen werden, dass die Gewährsperson die Bundeslandgrenzen als Räume zugrundelegt. Der Sprachraum für das eingetragene Pfälzisch liegt in Hessen. Dieser Eintrag illustriert das in relativ vielen Karten manifeste unsichere geopolitische Wissen bezüglich der deutschen Bundesländer. Als einziger weiterer Dialekt wird von der Gewährsperson der prominenteste der deutschen Dialekte eingezeichnet, das Bairische. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 80 Eine etwas detailliertere Karte mit vier eingetragenen Dialekten ist in Abbildung 6 dargestellt: Abbildung 6: Beispielkarte einer Mannheimer Gewährsperson (2) Die Gewährsperson stammt aus Schwetzingen, ist dort und in Hockenheim zur Schule gegangen und wohnt aktuell in Hockenheim. Sie zeichnet als eigenen Dialekt Badisch ein, den sie eher schlecht kann und manchmal spricht. Außerdem werden die nahen Nachbardialekte eingetragen: Pfälzisch und Schwäbisch; außerdem Bairisch. In den anderen Teilen der Karte werden keine weiteren Angaben gemacht. Bei der ergänzenden Frage gibt die Gewährsperson noch Sächsisch als nicht eingezeichneten, aber bekannten Dialekt an. Sprache - Einstellungen - Regionalität 81 Eine andere relativ detaillierte Karte wird von einer Mannheimer Gewährsperson geliefert, die in Mannheim geboren wurde, zur Schule gegangen ist, aktuell dort wohnt und selbst „Monnemerisch“ spricht. Abbildung 7: Beispielkarte einer Mannheimer Gewährsperson (3) Entsprechend ist der eigene Dialekt eingezeichnet. Neben den nahe gelegenen Umgebungsdialekten Pfälzisch, Schwäbisch, Fränkisch und Bairisch werden außerdem die prominenten Sprachräume Sächsisch, Kölsch, Platt und Hamburgerisch eingezeichnet. Für Kölsch wird ein relativ großer Raum angenommen, der Sprachraum Platt beschränkt sich auf den Großteil der norddeutschen Küste. Ein Grund für den Eintrag des Hamburgerischen dürfte auch hier in der Beschaffenheit der Karte liegen, die die Bundeslandgrenzen abbildet. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 82 Außerdem nennt diese Gewährsperson bei der ergänzenden Frage nach den nicht eingezeichneten Dialekten noch Ostfriesisch. Diese exemplarische Karte zeigt außerdem alternative Markierungstechniken der Dialekträume. Neben Kringeln gibt die Gewährsperson Räume durch Grob- und Feinschraffur an. 3.3.1.3 Bielefeld In Tabelle 15 sind die in die Karte eingezeichneten Dialekte der Bielefelder Studierenden aufgeführt. N Prozent Prozent der Fälle Bairisch 86 13,0 % 96,6 % Berlinisch 74 11,2 % 83,1 % Sächsisch 69 10,5 % 77,5 % Hessisch 63 9,5 % 70,8 % Schwäbisch 51 7,7 % 57,3 % Rheinländisch 36 5,5 % 40,4 % Friesisch 34 5,2 % 38,2 % Platt 29 4,4 % 32,6 % Westfälisch 27 4,1 % 30,3 % Hamburgerisch 25 3,8 % 28,1 % Kölsch 25 3,8 % 28,1 % Sonstiges 18 2,7 % 20,2 % Fränkisch 16 2,4 % 18,0 % Ostfriesisch 15 2,3 % 16,9 % Pfälzisch 15 2,3 % 16,9 % Saarländisch 13 2,0 % 14,6 % Thüringisch 11 1,7 % 12,4 % Alemannisch 9 1,4 % 10,1 % Norddeutsch 8 1,2 % 9,0 % Hochdeutsch 5 0,8 % 5,6 % regionales Norddeutsch 5 0,8 % 5,6 % Ostfälisch 5 0,8 % 5,6 % Brandenburgisch 4 0,6 % 4,5 % Badisch 4 0,6 % 4,5 % Ruhrgebiet 3 0,5 % 3,4 % Moselfränkisch 3 0,5 % 3,4 % Ostdeutsch 2 0,3 % 2,2 % Vogtländisch 1 0,2 % 1,1 % Sprache - Einstellungen - Regionalität 83 Rheinhessisch 1 0,2 % 1,1 % Sorbisch 1 0,2 % 1,1 % Luxemburg 1 0,2 % 1,1 % Österreichisch 1 0,2 % 1,1 % Tabelle 15: Eingezeichnete und benannte Dialekte (Bielefelder Stichprobe, N=97) Die von den Bielefelder Studierenden nicht eingezeichneten, als Antwort auf die zweite Frage angegebenen Dialekte sind in Tabelle 16 der Häufigkeit nach aufgelistet. N Prozent Prozent der Fälle Platt 16 17,2 % 42,1 % Sächsisch 9 9,7 % 23,7 % Fränkisch 9 9,7 % 23,7 % Friesisch 8 8,6 % 21,1 % Hessisch 7 7,5 % 18,4 % Schwäbisch 7 7,5 % 18,4 % Kölsch 6 6,5 % 15,8 % Schweizerdeutsch 5 5,4 % 13,2 % Berlinisch 4 4,3 % 10,5 % regionales Norddeutsch 2 2,2 % 5,3 % Ostfriesisch 2 2,2 % 5,3 % Saarländisch 2 2,2 % 5,3 % Bairisch 2 2,2 % 5,3 % Sonstiges 2 2,2 % 5,3 % Österreichisch 2 2,2 % 5,3 % Hochdeutsch 1 1,1 % 2,6 % Norddeutsch 1 1,1 % 2,6 % Hamburgerisch 1 1,1 % 2,6 % Westfälisch 1 1,1 % 2,6 % Ruhrgebiet 1 1,1 % 2,6 % Rheinländisch 1 1,1 % 2,6 % Thüringisch 1 1,1 % 2,6 % Schlesisch 1 1,1 % 2,6 % Moselfränkisch 1 1,1 % 2,6 % Mannheimerisch 1 1,1 % 2,6 % Tabelle 16: Weitere nicht eingezeichnete Dialekte (Bielefelder Stichprobe, N=97) Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 84 Am häufigsten, von nahezu der gesamten Bielefelder Stichprobe, wird Bairisch eingetragen, gefolgt von Berlinisch, Sächsisch (vgl. Tabelle 15). Über die Hälfte dieser Stichprobe zeichnet noch Hessisch und Schwäbisch ein. Die Dialekte des Erhebungsortes und der nahen Umgebung, Ostfälisch und Westfälisch, werden von insgesamt 35,9 Prozent der Gewährspersonen eingezeichnet. Die von der Lage her weiter entfernten Kölner Gewährspersonen geben Westfälisch im Vergleich nur mit 17,1 Prozent an, die Mannheimer mit 2,2 Prozent und die Leipziger mit 4,7 Prozent. Die Nähe der Bielefelder zum Norden Deutschlands wird im Anteil der eingezeichneten norddeutschen Dialekte offenbar: Die Bielefelder Gewährspersonen geben etwa 30 Prozentpunkte häufiger norddeutsche Dialekte in der Karte an als die Kölner und die Mannheimer. Die ersten fünf eingezeichneten Dialekte der Bielefelder Gewährspersonen entsprechen somit, auch in der Reihenfolge, denen der Kölner Gewährspersonen. Vergleichbar ist auch der Anteil der eingezeichneten Kategorien „Rheinländisch“ und „Kölsch“, für die Bielefelder nicht weit entfernte Nachbardialekte; Kölsch wird von den Kölner Gewährspersonen natürlich häufiger angegeben, handelt es sich doch um ihren Heimatdialekt. Wie auch bei der Mannheimer Stichprobe zeigt die Auswertung der angegebenen, nicht eingezeichneten Dialekte, dass Sächsisch ein diffuser Sprachraum ist, der sich nicht leicht verorten lässt. Etwa 24 Prozent der Bielefelder Gewährspersonen geben bei der zweiten Frage auf der Rückseite des Fragebogens das Sächsische an (vgl. Tabelle 16). Das kann einerseits an den unsicheren geopolitischen Kenntnissen über die deutschen Bundesländer und ihre Grenzen liegen und andererseits daran, dass der Dialekt Sächsisch für die Gewährspersonen nicht klar definiert ist und sie deshalb Schwierigkeiten haben, ihn auf der Karte einzuzeichnen. Unsicher sind die Bielefelder Gewährspersonen auch bei der Einordnung von Platt. Insgesamt geben die Bielefelder bei dieser Frage, nach den nicht eingezeichneten Dialekten, sehr viele Dialekte an, was ihre allgemeine Unsicherheit bezüglich der dialektalen Sprachräume zeigt. Das lässt sich möglicherweise darauf zurückführen, dass der Sprachraum, in dem sie leben, als dialektfrei wahrgenommen wird. Wie auch bei den anderen Teilstichproben werden für die Bielefelder Stichprobe einige Karten exemplarisch illustriert; sie sind im Folgenden in Abbildung 8 bis Abbildung 10 dargelegt. Sprache - Einstellungen - Regionalität 85 Abbildung 8: Beispielkarte einer Bielefelder Gewährsperson (1) In der in Abbildung 8 dargestellten Karte hat die Gewährsperson vier Dialektraumbezeichnungen eingetragen, ohne für sie jedoch einen Raum einzuzeichnen. Angegeben werden Hochdeutsch in Nordrhein-Westfalen, Schwäbisch - mit einem die Unsicherheit, wahrscheinlich bezüglich der Verortung, markierenden Fragezeichen - im Norden Bayerns, Bairisch in der südlichen Mitte des Bundeslands Bayern und Berlinisch in Berlin. Ergänzend gibt diese Gewährsperson bei der Zusatzfrage das offenbar schwer zu verortende Sächsisch an. Somit sind einige der prominentesten Dialekträume benannt. Außer diesen prominenten Dialekträumen wird der Nähebereich kaum ausdifferenziert und lediglich als Hochdeutsch spezifiziert. Nicht genannt wird von dieser Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 86 Gewährsperson außerdem eine - eigentlich geographisch naheliegende - norddeutsche Varietät. Die nächste in Abbildung 9 abgebildete exemplarische Karte ist wiederum von einer Gewährsperson, die keinen Dialekt kann und aus Bielefeld stammt. Abbildung 9: Beispielkarte einer Bielefelder Gewährsperson (2) Sie gibt fünf Dialekträume an: Westfälisch, Rheinländisch, Berlinisch, Sächsisch und Bairisch. Neben dem Heimatdialekt (Westfälisch), dem Dialekt der nahen südlichen Umgebung (Rheinländisch) werden also prominente Dialekte (Sächsisch, Bairisch, Berlinisch) eingetragen. Beim prominenten Dialekt Berlinisch könnte außerdem die Vorgabe der Bundeslandgrenzen den Ein- Sprache - Einstellungen - Regionalität 87 trag stimuliert haben. Diese Karte ist dahingehend mit der zuvor beschriebenen Karte in Abbildung 8 vergleichbar. Die beiden Karten unterscheiden sich lediglich darin, dass Sächsisch hier in Sachsen verortet wird. Bei der Zusatzfrage gibt die Gewährsperson außerdem sehr viele weitere Dialekte an (Fränkisch, Saarländisch, „Frankfurter Dialekt“, Hamburgerisch, Schwäbisch). Für diese verfügt sie aber anscheinend über keine klar konturierten Konzepte oder zumindest über keine genauen geopolitischen Informationen, da sie sie nicht in die Karte eingetragen hat. Abbildung 10: Beispielkarte einer Bielefelder Gewährsperson (3) Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 88 Die letzte exemplarische Karte (vgl. Abbildung 10) unterscheidet sich von den vorher erläuterten darin, dass neben dem Westfälischen und den weiteren prominenten Dialekten (Sächsisch, Berlinisch) Plattdeutsch eingezeichnet wird. Das liegt wohl daran, dass die Bezeichnung des Dialekts, den diese Gewährsperson angibt zu sprechen, Plattdeutsch ist. Außerdem wird noch Pfälzisch genannt, das großzügig im südlichen Rheinland-Pfalz und dem Saarland eingetragen ist. Bemerkenswerterweise wird der prominenteste Dialekt - Bairisch - von dieser Gewährsperson nicht eingetragen. 3.3.1.4 Leipzig In Tabelle 17 sind die von der Leipziger Teilstichprobe eingetragenen und benannten Dialekte aufgeführt. N Prozent Prozent der Fälle Bairisch 160 11,3 % 93,6 % Sächsisch 159 11,3 % 93,0 % Berlinisch 149 10,6 % 87,1 % Schwäbisch 123 8,7 % 71,9 % Platt 110 7,8 % 64,3 % Hessisch 102 7,2 % 59,6 % Fränkisch 87 6,2 % 50,9 % Thüringisch 63 4,5 % 36,8 % Kölsch 40 2,8 % 23,4 % Friesisch 39 2,8 % 22,8 % Vogtländisch 38 2,7 % 22,2 % Erzgebirgisch 37 2,6 % 21,6 % sonstiges 25 1,8 % 14,6 % Pfälzisch 24 1,7 % 14,0 % Saarländisch 24 1,7 % 14,0 % regionales Norddeutsch 21 1,5 % 12,3 % Brandenburgisch 19 1,3 % 11,1 % Sachsen-Anhaltinisch, Anhaltinisch 19 1,3 % 11,1 % Ostfriesisch 14 1,0 % 8,2 % Dresden 14 1,0 % 8,2 % Hamburgerisch 13 0,9 % 7,6 % Rheinländisch 12 0,8 % 7,0 % Sprache - Einstellungen - Regionalität 89 Badisch 12 0,8 % 7,0 % Hochdeutsch 11 0,8 % 6,4 % Oberbairisch 11 0,8 % 6,4 % Norddeutsch 9 0,6 % 5,3 % Sorbisch 9 0,6 % 5,3 % Westfälisch 8 0,6 % 4,7 % Leipzig 8 0,6 % 4,7 % Lausitz 7 0,5 % 4,1 % Mecklenburgisch-Vorpommerisch 6 0,4 % 3,5 % Niederbairisch, Unterbairisch 6 0,4 % 3,5 % Ruhrgebiet 5 0,4 % 2,9 % Preußisch 4 0,3 % 2,3 % Österreichisch 4 0,3 % 2,3 % Halle(nsisch) 4 0,3 % 2,3 % Rhön 3 0,2 % 1,8 % Osterländisch 3 0,2 % 1,8 % Alemannisch 2 0,1 % 1,2 % Schweizerdeutsch 2 0,1 % 1,2 % Nordfriesisch 2 0,1 % 1,2 % Hannoveranisch 2 0,1 % 1,2 % Moselfränkisch 1 0,1 % 0,6 % Mannheimerisch 1 0,1 % 0,6 % Tabelle 17: Eingezeichnete und benannte Dialekte (Leipziger Stichprobe, N=173) Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 90 Die nicht eingezeichneten, als Antworten auf die zusätzliche Frage genannten Dialekte sind in Tabelle 18 aufgelistet. N Prozent Prozent der Fälle Schwäbisch 21 15,2 % 34,4 % Platt 15 10,9 % 24,6 % Kölsch 14 10,1 % 23,0 % Hessisch 11 8,0 % 18,0 % Fränkisch 10 7,2 % 16,4 % Pfälzisch 7 5,1 % 11,5 % Friesisch 6 4,3 % 9,8 % sonstiges 6 4,3 % 9,8 % Thüringisch 5 3,6 % 8,2 % Badisch 5 3,6 % 8,2 % Ostfriesisch 4 2,9 % 6,6 % Rheinländisch 4 2,9 % 6,6 % Erzgebirgisch 4 2,9 % 6,6 % regionales Norddeutsch 3 2,2 % 4,9 % Berlinisch 3 2,2 % 4,9 % Schweizerdeutsch 3 2,2 % 4,9 % Hochdeutsch 2 1,4 % 3,3 % Hamburgerisch 2 1,4 % 3,3 % Oberbairisch 2 1,4 % 3,3 % Mecklenburgisch-Vorpommerisch 1 0,7 % 1,6 % Preußisch 1 0,7 % 1,6 % Brandenburgisch 1 0,7 % 1,6 % Ruhrgebiet 1 0,7 % 1,6 % Sorbisch 1 0,7 % 1,6 % Hannoveranisch 1 0,7 % 1,6 % Niederbairisch, Unterbairisch 1 0,7 % 1,6 % Österreichisch 1 0,7 % 1,6 % Dresden 1 0,7 % 1,6 % Leipzig 1 0,7 % 1,6 % Sachsen-Anhaltinisch, Anhaltinisch 1 0,7 % 1,6 % Tabelle 18: Weitere nicht eingezeichnete Dialekte (Leipziger Stichprobe, N=173) Sprache - Einstellungen - Regionalität 91 Nahezu alle Leipziger Gewährspersonen tragen Bairisch und Sächsisch in die Blanko-Karte ein (vgl. Tabelle 17). Die eingezeichneten ostmitteldeutschen Sprachräume sind insgesamt gerechnet sogar noch zahlreicher. Aufgrund des heimatbedingt differenzierteren Wissens über den ostmitteldeutschen Sprachraum werden viele kleinteiligere Dialekträume benannt (z. B. Vogtländisch 22,2 %, Erzgebirgisch 21,6 %, Lausitz 4,1 %, Halle(nsisch) 2,3 %), so dass die Gesamtanzahl an Dialekträumen der ostmitteldeutschen Kategorie deutlich höher ist als in den anderen Teilstichproben (zur kleinteiligen Differenzierung des Ostmitteldeutschen siehe auch die mental-maps-Studie in Anders 2008). Höher als in den anderen Teilstichproben ist des Weiteren die Anzahl der Thüringisch- Nennungen mit knapp 37 Prozent. Sehr weit oben in der Liste rangieren außerdem norddeutsche Dialekträume, besonders wenn man alle Nennungen dieses Typs zusammenfasst. Der prominente Nachbardialekt Berlinisch wird an dritter Stelle von 87,1 Prozent der Leipziger Gewährspersonen eingetragen. 71,9 Prozent der Leipziger Gewährspersonen benennen in der Karte auch den Sprachraum Schwäbisch. 21 Leipziger Gewährspersonen geben Schwäbisch außerdem als Dialekt an, den sie nicht in die Karte eingezeichnet haben (vgl. Tabelle 18). Schwäbisch scheint also ein für die Gewährspersonen dieser Teilstichprobe stark präsentes, aber nicht ganz einfach zu verortendes Dialektkonzept zu sein. Über 20 Prozent dieser Teilstichprobe nennen in diesem Kontext außerdem noch Platt und Kölsch, und über 15 Prozent nennen die geographisch näher an Leipzig gelegenen Dialekte Hessisch und Fränkisch. Als nächstes werden mit Abbildung 11 bis Abbildung 13 exemplarisch drei Karten aus der Leipziger Teilstichprobe vorgestellt. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 92 Abbildung 11: Beispielkarte einer Leipziger Gewährsperson (1) In der Karte, die in Abbildung 11 gezeigt ist, hat die Gewährsperson vier Räume eingezeichnet: Berlinisch, Sächsisch, Bairisch und Plattdeutsch. Die Gewährsperson stammt aus Quedlinburg, wo sie zur Schule gegangen ist und wo sie aktuell auch, neben ihrem zweiten Wohnort Leipzig, wohnt. Sie kann keinen Dialekt. Außer dem lokalen Sprachraum (Sächsisch) gibt diese Gewährsperson also einen relativ nah am Erhebungsort Leipzig liegenden Sprachraum an (Berlinisch), einen der prominentesten Sprachräume (Bairisch) und einen Sprachraum im Norden Deutschlands (Plattdeutsch). Die Nennung des Berlinischen wird hier möglicherweise wieder dadurch stimuliert, dass in der Karte die Bundeslandgrenzen eingezeichnet sind. Das unterstützt möglicherweise Sprache - Einstellungen - Regionalität 93 auch die Nennung des Bairischen. Als zusätzlichen Dialekt, den sie nicht eingezeichnet hat, nennt die Gewährsperson aus Leipzig Schwäbisch. Schwäbisch scheint für die gesamte Leipziger Stichprobe ein relativ bekannter Sprachraum zu sein (s. o.), wenn er auch für einige nicht einfach zu verorten ist, wie etwa für diese Gewährsperson und die Gewährsperson, die die Karte in Abbildung 13 weiter unten liefert. Der Rest der Karte bleibt frei. Während in der Karte in Abbildung 11 der Näheraum nicht genauer ausdifferenziert ist, spezifiziert die Gewährsperson der nächsten Karte in Abbildung 12 den Näheraum stärker aus. Abbildung 12: Beispielkarte einer Leipziger Gewährsperson (2) Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 94 Diese Gewährsperson ist in Chemnitz geboren, in Mittweida zur Schule gegangen und wohnt in Leipzig. Sie kann Sächsisch, bewertet ihre Dialektkompetenz als gut und gibt an, oft Sächsisch zu sprechen. Der Sprachraum Sächsisch wird weiter differenziert in kleinteiligere Sprachräume wie Leipzigerisch, Dresdnerisch, Erzgebirgisch, Vogtländisch. Hinzu kommen drei weitere nah gelegene Sprachräume: Hallensisch, Thüringisch und Fränkisch. Im größeren Umkreis folgen Bairisch, Berlinisch und Hessisch. Im Norden gibt diese Gewährsperson noch Plattdeutsch an und im Südwesten Schwäbisch. Diese Karte ist also mit insgesamt dreizehn Nennungen relativ ausführlich. Zusätzlich werden in der umseitigen Frage nach weiteren, nicht eingetragenen Dialekten drei Angaben gemacht: „Ruhrpott-Dialekt“, „Pfälzerisch“ und „Oberbayern / Bad Tölzer Raum“. Abbildung 13: Beispielkarte einer Leipziger Gewährsperson (3) Sprache - Einstellungen - Regionalität 95 Die letzte exemplarisch beschriebene Karte in Abbildung 13 ist mit zehn Nennungen etwas weniger detailliert als die zweite. Hier ist der Näheraum weniger stark ausdifferenziert. Die Gewährsperson, die diese dritte exemplarische Karte liefert, ist im Vogtland geboren, dort und in Leipzig zur Schule gegangen und aktuell wohnhaft in Leipzig. Sie kann Vogtländisch, spricht es nach eigener Bewertung gut und manchmal. Erwartungsgemäß werden die Sprachräume der Heimatregion detailliert kartiert: neben Sächsisch werden im Südwesten des Bundeslands Sachsen der eigene Dialekt Vogtländisch und der Nachbardialekt Erzgebirgisch eingetragen. In Thüringen wird Thüringisch verzeichnet und im nördlichen Berlin und Brandenburg Berlinisch, wobei dafür zwei Kringel eingetragen werden: ein kleinerer Kringel auf dem Stadtstaat Berlin und in Brandenburg ein Kringel mit einem größeren Radius um den kleineren Kringel. Dieser größere Kringel wird mit einer gestrichelten Linie gezeichnet. Das markiert möglicherweise, dass es sich um einen Ausdehnungsbzw. Randbereich des Berlinisch-Kerns handelt. Im Süden wird noch ein großer Sprachraum Bairisch eingetragen. Im Norden zeichnet die Gewährsperson außerdem den Sprachraum Plattdeutsch ein, im Raum Osnabrück/ Münster Kölsch, im südwestlichen Nordrhein-Westfalen Hessisch und in Rheinland-Pfalz und Südhessen Schwäbisch. Die Verortung des Schwäbischen und Hessischen scheint problematisch, wenn auch beide Sprachräume im Hinblick auf ihre westliche Ausrichtung zum Erhebungsort einigermaßen richtig verortet werden. Zusätzlich zu den eingetragenen Sprachräumen werden in der Zusatzaufgabe keine weiteren Dialekte genannt. 3.3.2 Eingezeichnete Räume Die eingezeichneten Räume wurden manuell für einige ausgewählte Dialekträume pro Erhebungsort zusammengefasst. Diese zusammenfassenden Karten vereinen alle eingezeichneten Dialekträume einer Kategorie pro Erhebungsort. Jeder Dialektraum ist grau eingefärbt, so dass bei einer Überlagerung von mehreren eingezeichneten Dialekträumen die Einfärbung dunkler erscheint. Je dunkler die Einfärbung also ist, desto höher ist die Übereinstimmung der Verortung eines Dialektraums von den Gewährspersonen eines Erhebungsorts. Auf diese Weise werden in diesem Kapitel die Dialekträume Hessisch, Sächsisch und Ostdeutsch beschrieben. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 96 3.3.2.1 Hessisch In Abbildung 14 bis Abbildung 17 sind zuerst die Dialekträume für das Hessische pro Erhebungsort abgebildet. Abbildung 14: Sprachraumkarte Hessisch, Mannheimer Stichprobe Sprache - Einstellungen - Regionalität 97 Abbildung 15: Sprachraumkarte Hessisch, Bielefelder Stichprobe Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 98 Abbildung 16: Sprachraumkarte Hessisch, Kölner Stichprobe Sprache - Einstellungen - Regionalität 99 Abbildung 17: Sprachraumkarte Hessisch, Leipziger Stichprobe Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 100 Der Dialektraum Hessisch wird von den 65 Mannheimer Gewährspersonen (73 %) mit großer Übereinstimmung im Bundesland Hessen eingezeichnet. Eine ebenso hohe Dichte der Verortungsflächen weisen auch die Karten der Marburger Schüler in Lameli / Purschke / Kehrein (2008) auf. Ein Faktor für die insgesamt relativ sicheren Einträge der Mannheimer Gewährspersonen ist sicherlich die Vorgabe der hessischen Bundeslandgrenzen im Stimulus der Blanko-Karte. Die Bundeslandgrenzen werden für den Eintrag des Dialektraums Hessisch, den Lameli / Purschke / Kehrein (2008, S. 83) als geographisch-politisches Raumkonzept identifizieren, somit lediglich ungefähr nachgezeichnet (vgl. ebd.). Die von den Gewährspersonen aus Köln (N=47, 67,1 %), Bielefeld (N=63, 70,8 %) und Leipzig (N=102, 59,6 %) eingetragenen Dialekträume für Hessisch stimmen weniger stark überein. Besonders die von den Kölner Gewährspersonen eingezeichneten Dialekträume streuen stark über den gesamten mitteldeutschen Raum, besonders in den ostmitteldeutschen Raum hinein. 3.3.2.2 Sächsisch und Ostdeutsch In Abbildung 18 bis Abbildung 21 ist jeweils pro Erhebungsort der Dialektraum Sächsisch zusammengefasst und in Abbildung 22 die eingetragenen Räume mit der Bezeichnung Ostdeutsch der Gewährspersonen aus Bielefeld, Köln und Mannheim. Sprache - Einstellungen - Regionalität 101 Abbildung 18: Sprachraumkarte Sächsisch, Bielefelder Stichprobe Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 102 Abbildung 19: Sprachraumkarte Sächsisch, Mannheimer Stichprobe Sprache - Einstellungen - Regionalität 103 Abbildung 20: Sprachraumkarte Sächsisch, Kölner Stichprobe Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 104 Abbildung 21: Sprachraumkarte Sächsisch, Leipziger Stichprobe Sprache - Einstellungen - Regionalität 105 Abbildung 22: Sprachraumkarte Ostdeutsch, 58 Bielefelder, Kölner und Mannheimer Stichprobe Der Sprachraum Sächsisch wird von den Gewährspersonen aus Bielefeld (N=69, 77,5 %), Mannheim (N=58, 65,2 %) und Köln (N=51, 72,9 %) auf eine vergleichbare Art und Weise eingezeichnet. Der hoch verdichtete Kern der eingetragenen Sprachräume liegt im Bundesland Sachsen. Etwas weniger stark verdichtet wird der Sprachraum zudem noch in Thüringen, Sachsen- Anhalt und in Teilen Brandenburgs verortet. Es handelt sich also um ein politisches Konzept, das am Bundesland Sachsen orientiert ist und sich zuweilen 58 Der einmal eingezeichnete Sprachraum mit der Bezeichnung „Ostdeutsch/ Sächsisch“ wurde in diese zusammenfassende Karte miteinbezogen. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 106 mit den politischen Grenzen des Gebiets der ehemaligen DDR deckt (vgl. Auer 2004, S. 166). Die Karten der Marburger Schüler in Lameli / Purschke / Kehrein (2008, S. 67) weisen ein ähnliches Muster auf. Bemerkenswerterweise umfassen die groß eingezeichneten Sächsisch-Dialekträume nicht das gesamte Gebiet der ehemaligen DDR. Mecklenburg-Vorpommern und nördliche Teile von Brandenburg werden ausgespart (vgl. dazu auch Plewnia / Rothe 2011b). Neun Gewährspersonen aus Bielefeld, Köln und Mannheim zeichnen einen Sprachraum ein, den sie Ostdeutsch nennen. Diese in westdeutscher Sicht alternative Nennung zum Sächsischen deckt etwa den gleichen Raum ab wie die Sächsisch-Karte. Lediglich bei zwei eingetragenen Räumen deckt der nördliche Teil noch Mecklenburg-Vorpommern ab. Die Sächsisch-Sprachraumkarte der Leipziger Gewährspersonen (N=159, 93 %) dagegen verfügt über die höchste Dichte und beschränkt sich auf das Bundesland Sachsen. Eine Ausdehnung auf das Gebiet der ehemaligen DDR und eine Gleichsetzung mit dem Konzept Ostdeutsch weisen die Karten nicht auf. Entsprechend wird von den Leipziger Gewährspersonen kein Sprachraum eingezeichnet, der als Ostdeutsch bezeichnet wird. 3.3.3 Erhebungsinstrument handgezeichnete Karten Insgesamt zeigt die Auswertung der handgezeichneten Karten folgende Ergebnisse: Bairisch kennen die meisten der befragten Studierenden, und es wird relativ sicher verortet. Das liegt daran, dass Bairisch sehr prominent ist; die sichere Verortung lässt sich auch auf die im Kartenstimulus vorgegebene Bundeslandgrenze zurückführen. Bemerkenswert ist, dass bei einigen der eingezeichneten Bairisch-Sprachräume Franken freigelassen wird. Meistens wird außerdem der Dialekt der direkten Umgebung genannt: z. B. Kölsch, Mannheimerisch bzw. Pfälzisch. Die meisten Befragten kennen auch Sächsisch oder ein stereotypisiertes Ostdeutsch, das sie großräumig im Gebiet der ehemaligen DDR bzw. im südlichen Teil davon verorten. Die Mehrheit der Befragten gibt außerdem eine norddeutsche Varietät an, die unterschiedlich benannt wird („Platt“, „Hamburgerisch“, „Norddeutsch“ u. Ä.). Einige Befragte zeichnen zusätzlich eine Kategorie ein, die sie „Hochdeutsch“ 59 nennen. Diese - laut einer Gewährsperson - „dialektfreie Zone“ wird meist in etwa in der Gegend um Hannover - also südlich von den norddeutschen Varietäten und nördlich von den rheinländischen und östlichen Varietäten - eingeordnet. Hessisch ist ebenfalls vielen bekannt, es scheint jedoch in seiner Verortung, be- 59 Eine Gewährsperson gibt dafür die Bezeichnung „Oxford-Deutsch“ an, welche vom Mannheimer Comedian Bülent Ceylan für das Hochdeutsche um Hannover geprägt wurde. Sprache - Einstellungen - Regionalität 107 sonders für die Kölner und zum Teil für die Bielefelder Gewährspersonen, relativ problematisch zu sein. 60 In Relation zum Befragungsort Köln wird Hessisch von der Kölner Teilstichprobe zwar größtenteils korrekt verortet, nämlich (süd)östlich von Köln, jedoch teilweise zu weit östlich. Das zeigt wiederum den Einfluss der Ortsgebundenheit, d. h. letztlich den Einfluss der Raumbiographie der Gewährspersonen, auf die Ergebnisse solcher handgezeichneten Karten. 61 Einen weiteren Einfluss auf die eingezeichneten Dialekte hat das Alter der Gewährspersonen. Ältere Befragte zeichnen in handgezeichneten Karten tendenziell mehr Räume ein, außerdem werden diese mitunter auch einheitlicher und topologisch stimmiger eingetragen (vgl. Lameli 2009, Purschke 2010). Je älter die Gewährspersonen sind, desto mehr Erfahrungen können sie ansammeln und verfügen entsprechend auch über mehr geographische Erfahrungen, mehr geographisches Wissen und mehr Dialektkonzepte. Der Eintrag eines Dialekts kann auf ein vorhandenes mentales Konzept dieses Dialekts zurückgeführt werden. Diese mentalen Konzepte scheinen unterschiedlich stark konturiert zu sein - u. a. in Abhängigkeit von der individuellen Raumbiographie der Gewährspersonen. Welche Schlüsse jedoch hinsichtlich der (eingezeichneten) räumlichen Ausdehnung dieser Dialekte gezogen werden dürfen, ist fraglich, da beim Erstellen dieser handgezeichneten Karten das geographische und geopolitische Wissen der Gewährspersonen eine große Rolle spielt. Dieses Wissen scheint vielfach unzulänglich vorhanden zu sein. Das zeigen etwa die Verortung des Hessischen oder auch die Antworten auf die zusätzlich gestellte Frage nach den nicht eingezeichneten Dialekten. Demnach ist Sächsisch etwa für einige Mannheimer Gewährspersonen ein schwer zu verortender Dialekt, ebenso wie Mannheimerisch, der Dialekt des Erhebungsorts. Verdeutlicht wird dieses unklare geographische Wissen durch die Angabe einer Gewährsperson „[…] hab alle irgendwie eingemalt, egal ob ich wusste, wo sie gesprochen werden.“ Letztlich ist fraglich, ob bzw. wie geopolitisches (Fakten-)Wissen und mentale Dialektbilder zusammenhängen. In der (traditionellen) Dialektologie ist der Faktor Raum entscheidend, und damit einhergehend auch Grenzen. Aber auch wenn man nicht weiß, wo Sachsen 60 Die in der Studie von Lameli / Purschke / Kehrein (2008) befragten Marburger Schüler dagegen zeichnen Hessisch örtlich sehr sicher ein. Das ist nicht überraschend, da es sich für die Befragten um den Heimatdialekt des eigenen Bundeslandes handelt. Insgesamt stimmen die Ergebnisse dieser Studie mit den Ergebnissen der hier durchgeführten Kartenstudie mit Studierenden im Großen und Ganzen überein. 61 Nach Kehrein / Lameli / Purschke (2010) wird die Struktur des regionalsprachlichen Wissens von psychologischen Faktoren beeinflusst: das (Sprach-)Wissen, die (individuelle) Fokussierung, d. h. die lebensweltlichen Orientierungs- und die erworbenen Interaktionsmuster, und die (individuelle) Wahrnehmung. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 108 genau liegt, woran das Bundesland angrenzt, welche Region wo zu verorten ist, selbst dann kann man über die Vorstellung eines Dialekts der Gegend, d. h. über ein mentales Bild davon verfügen, das man als sympathisch oder unsympathisch bewerten kann. Das liegt sicherlich auch daran, dass zum Konzept eines Dialekts nicht nur die sprachlichen, rein strukturellen Merkmale gehören, sondern auch die diese Merkmale verwendenden Sprecher, die entsprechenden Stereotypen (vgl. dazu Plewnia / Rothe 2011b) und weitere kulturelle und traditionelle Merkmale. Insgesamt zeigt sich, dass die mit der Kartenstudie elizitierten Dialektkonzepte die Ergebnisse der Sympathie- und Antipathienennungen der Repräsentativumfrage des Projekts und der Schülerumfrage stützen; lediglich „Hochdeutsch“ wird in der Kartenstudie häufiger angegeben, obwohl in der Fragestellung ausdrücklich nach Dialekträumen gefragt wurde. Bairisch und Sächsisch sind prominente Dialekte, die nahezu immer genannt werden. Berlinisch wird ebenfalls häufig angegeben. Hinzu kommen die Dialekte, die die Befragten selber können oder die sie sich über ihre aktuelle oder durch Umzüge erfahrene sprachliche Lebensumwelt erschließen. Die Ergebnisse der Kartenstudie haben außerdem gezeigt, dass die aus sprachwissenschaftlicher Sicht konstituierenden Merkmale Raum und Grenze für die mentalen Dialektkonzepte von Laien nicht so stark konturiert oder sogar nicht notwendig scheinen. Auch mit unzureichendem Raumwissen können Dialektkonzepte und Dialektstereotype vorhanden sein, obgleich diese aufgrund des fehlenden Faktenwissens bezüglich der Räume und Grenzen nicht geographisch adäquat verortet werden. Das Erhebungsinstrument der handgezeichneten Karten, das mentale Dialektkonzepte jedoch über geographisches Raumwissen abfragt, scheint daher als Methode nur bedingt geeignet zu sein. 4. Zusammenfassung In der traditionellen Dialektologie wurden insbesondere Sprachlagen am dialektalen Pol des Sprachlagenkontinuums beschrieben, die Basisdialekte. Um diese zu erheben, wurden möglichst auf dem Land lebende, sesshafte, ältere Gewährspersonen befragt. In jüngerer Zeit ist der Fokus stärker auf die mittleren Sprachlagen gerückt. Analog zur prototypischen Gewährsperson für Basisdialekte sollte es auch für die aktuelle dialektale Sprachwirklichkeit, die sich besonders durch die mittleren Lagen auszeichnet, einen Prototyp geben. Um den Prototyp des heutigen typischen Dialektsprechers zu erfassen, wurde auf der Basis der in der Repräsentativumfrage des Projekts erhobenen Selbsteinschätzungen der Gewährspersonen, die dialektologische Laien sind, ein Sprache - Einstellungen - Regionalität 109 repräsentativer Dialektsprecher berechnet. Die kennzeichnenden Merkmale dieses berechneten repräsentativen Dialektsprechers sind das Alter, das Geschlecht, das Herkunftsbundesland und die Wohnortgröße (nicht jedoch der Bildungsabschluss). 62 Bezeichnenderweise gibt es nicht nur zwischen dem repräsentativen Dialektsprecher und besonders kleinen Wohnorten einen Zusammenhang, sondern auch mit dem Wohnen in einer Großstadt. In diesem nur scheinbaren Paradox manifestiert sich der Stellenwert der Regiolekte, der für viele Laien den Stellenwert eines (Basis-)Dialekts eingenommen hat. Weiteren Aufschluss über mentale Dialektkonzepte von linguistischen Laien geben die diesbezüglich erhobenen Einstellungen; insbesondere zeigen diese, welche Dialektkonzepte Laien überhaupt haben. Als Einstellungen zu Dialekten können etwa in der Repräsentativumfrage des Projekts und in der Schülerstudie die als sympathisch und als unsympathisch bewerteten Dialekte und die Ergebnisse der Kartenstudie mit Studierenden herangezogen werden. Die Analyse der Ergebnisse dieser drei Umfragen hat gezeigt, dass bei der Konstituierung mentaler Dialektkonzepte besonders die Herkunft der Gewährspersonen und die Prominenz von Dialekten eine Rolle spielen. Immer vorhanden sind die Dialekte der eigenen Umgebung, besonders wenn es sich dabei um den eigenen Dialekt handelt. Ebenso werden meistens die Dialekte im Radius der umgebenden Region gekannt. Der Faktor Herkunft strukturiert also die mentalen Dialektkonzepte. Das heißt, dass die mentalen Dialektkonzepte von Laien in einem starken Zusammenhang mit ihrer Raumbiographie stehen. Der Terminus ‘Raumbiographie’ umschreibt genauer als der Begriff ‘Herkunft’ die dynamische Komponente der lokalen Gebundenheit einer Gewährsperson, die mit dem individuellen Verlauf des Lebens zusammenhängt. Die Raumbiographie schließt nicht nur den Geburtsort ein, sondern auch weitere (Wohn-)Orte, die im Verlauf des Lebens etwa aufgrund von Umzügen erlebt werden. Die Raumbiographie ist also dynamisch und kann sich im Laufe des Lebens weiter ausdifferenzieren, so dass sie wiederum mit dem Alter zusammenhängt. Alle Orte und Regionen und die dort erlebte Regionalität beeinflussen und verändern die mentalen Dialektkonzepte von Laien. Zu den aufgrund der Raumbiographie vorhandenen Dialektkonzepten kommen die national prominenten Dialekte hinzu, über die nahezu alle als Konzepte verfügen. Verknüpft man Prominenz und Herkunft miteinander, ergeben sich drei sich auf unterschiedliche Weise konstituierende Gruppen: eine Gruppe von national prominenten Dialekten, die so gut wie durchgängig genannt werden (z. B. Bairisch, Norddeutsch und Sächsisch), eine Gruppe regional und über- 62 Der Bildungsabschluss wird lediglich für die Gebrauchsfrequenz von Dialekt als konstitutives Merkmal berechnet. Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 110 regional prominenter Dialekte (z. B. Alemannisch, Berlinisch, Hessisch und Kölsch) und eine Gruppe von Dialekten mit lokal begrenzter Prominenz, die fast nur genannt werden, wenn sie in den individuellen Näheraum gehören (z. B. Fränkisch, Pfälzisch und Thüringisch). Über die drei Umfragen hinweg hat sich diese Struktur der mentalen Dialektkonzepte als robust erwiesen. 5. 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Anhang unsympathisch (N=40) sympathisch (N=10) Herkunft NS 4,5 % 10,6 % NW 2,0 % 31,5 % HE 9,8 % - RP 11,5 % - SL 8,3 % - BW 8,2 % - BY 36,7 % 35,6 % TH - 22,3 % Geschlecht männlich 47,2 % 30,3 % weiblich 52,8 % 69,7 % Alter 18-20 6,5 % 26,7 % 21-24 4,6 % 37,1 % 25-29 25,2 % 3,4 % 30-34 16,4 % - 35-39 9,6 % - 40-44 8,6 % - 45-49 12,3 % - 50-59 3,1 % 7,0 % 60-69 8,0 % - 70+ 5,5 % 25,8 % Dialektkompetenz ja 80,6 % 60,7 % nein 19,4 % 39,3 % Bildungsabschluss Hauptschulabschluss 42,7 % 61,5 % Mittlere Reife 33,9 % 21,2 % Abitur 17,2 % 17,3 % Hochschulabschluss 6,2 % - D Muttersprache ja 81,1 % 100 % nein 18,9 % - Tabelle 19: Profil der Ostdeutsch-Nenner, soziodemographische Faktoren (Repräsentativumfrage) Albrecht Plewnia / Astrid Rothe 118 unsympathisch (N=40) sympathisch (N=10) gekonnte Dialekte Bairisch 21,1 % - Fränkisch 16,2 % 24,8 % Schwäbisch 16,0 % - Norddeutsch (Platt) 12,1 % - Hessisch 12,0 % - Saarländisch 10,0 % - Moselfränkisch 9,1 % - Badisch 5,8 % - Pfälzisch 3,0 % - Ruhrpott 1,7 % - Berlinisch 1,3 % - Westfälisches Platt 1,3 % 27,0 % Sächsisch 1,2 % - Rheinisches Platt - 27,6 % Platt - 20,6 % sonstiges - 24,8 % sympathische Dialekte Bairisch 46,0 % - Norddeutsch (Platt) 19,6 % 7,0 % \ ^&_ 17,1 % - andere Dialekte in Bayern 14,0 % - Fränkisch 12,4 % 12,8 % Schwäbisch 12,0 % - Hessisch 11,0 % - Hamburgerisch, Hanseatisch 8,9 % - Badisch 4,6 % - Saarländisch 4,5 % - \ `` { ` | ` sympathisch 3,4 % - Rheinisches Platt 2,7 % 14,2 % Alemannisch 2,4 % - Pfälzisch 2,4 % - Kölsch 2,2 % - Ruhrpott 0,7 % - Ostdeutsch - 100,0 % Sächsisch - 22,9 % Berlinisch - 7,0 % unsympathische Dialekte Ostdeutsch 100,0 % - Sächsisch 20,0 % 36,5 % Schwäbisch 9,4 % 7,0 % Platt 6,2 % - Bairisch 5,4 % 12,8 % Berlinisch 4,6 % - Thüringisch 0,7 % - keinen - 50,8 % Tabelle 20: Profil der Ostdeutsch-Nenner, Dialektnennungen (Repräsentativumfrage) Astrid Rothe Deutsch und andere Sprachen 1. Einstellungen von Schülern gegenüber Deutsch und anderen Sprachen In Deutschland wird nicht nur Deutsch gesprochen. Am präsentesten sind andere Sprachen wie Russisch und Türkisch (vgl. dazu Stickel in diesem Band). Diese und weitere Sprachen, z. B. Griechisch, werden in Deutschland infolge der Migrationsgeschichte der letzten Jahrzehnte von vielen Menschen gesprochen. In Deutschland gibt es außerdem die Regional- und Minderheitensprachen Dänisch, Friesisch, Niederdeutsch, Sorbisch und Romani (vgl. Stickel in diesem Band). Da sie jedoch nur über wenige Sprecher verfügen, sind sie - obwohl sie rechtlich anerkannt sind - weniger präsent als etwa Russisch und Türkisch. Ähnliches gilt für die Deutsche Gebärdensprache, die in Deutschland seit 2002 rechtlich anerkannt ist. Neben diesen als Erstbzw. Familiensprache gesprochenen Sprachen werden an deutschen Schulen des Weiteren Fremdsprachen unterrichtet. Als Fremdsprachen spielen in Deutschland neben Englisch vor allem die traditionell verankerten romanischen Nachbarsprachen Französisch, Spanisch und - in geringerem Umfang - Italienisch eine Rolle. All diese Sprachen - die typischen Fremdsprachen, die anderen Erstsprachen neben Deutsch - haben unterschiedliche soziale Zuschreibungen und werden demzufolge von den Menschen in Deutschland auf unterschiedliche Weise wahrgenommen. Das Mannheimer Spracheinstellungsprojekt hat bereits erste Ergebnisse zu Spracheinstellungen gegenüber anderen Sprachen und gegenüber der Mehrsprachigkeit in Deutschland geliefert (vgl. Eichinger et al. 2009, Gärtig / Plewnia / Rothe 2010, Schoel / Eck / Roessel / Stahlberg in diesem Band). Im Rahmen des Spracheinstellungsprojekts wurde außerdem im Winter 2010/ 2011 eine Umfrage unter insgesamt 628 Schülern aus der 9. und 10. Jahrgangsstufe in vier Schulen aus drei Regionen Deutschlands durchgeführt: in Mannheim, am Niederrhein und im Kreis Steinburg in Schleswig-Holstein. In Mannheim nahmen Schüler einer innenstadtnahen Realschule an der Umfrage teil, am Niederrhein Schüler einer Realschule (im Kreis Wesel) und Schüler eines Gymnasiums (im Kreis Kleve) und im Kreis Steinburg Schüler einer Real- und Hauptschule. Diese Schülerumfrage 1 ist anders als die Reprä- 1 Erste Ergebnisse dieser Schülerumfrage werden in Plewnia / Rothe (2011) vorgestellt. Darin konnten jedoch noch nicht alle Daten verwendet werden, da die Teilstichprobe aus dem Astrid Rothe 120 sentativumfrage des Projekts (vgl. Eichinger et al. 2009, Gärtig / Plewnia / Rothe 2010) nicht repräsentativ. Die Antworten dürfen also nicht als für die deutsche Gesamtbevölkerung repräsentativ interpretiert werden. Die Schülerumfrage ergänzt die Repräsentativumfrage des Projekts aber in zwei Aspekten, nämlich erstens bezüglich des Alters der Befragten und zweitens bezüglich des Anteils der mehrsprachigen Befragten. Bei der Analyse der Repräsentativumfrage des Projekts erwies sich das Alter als ein signifikanter Faktor. Die genannten sympathischen und unsympathischen fremdsprachlichen Akzente 2 der jüngeren Befragten unterscheiden sich stark von denen, die die älteren Befragten nennen (Eichinger et al. 2009, S . 27ff.; Gärtig / Plewnia / Rothe 2010, Kapitel 5.2). Unterschiede bezüglich des Alters gibt es auch bei den genannten Fremdsprachen, die in der Schule gelernt werden sollten. Das zeigt, dass sich die Spracheinstellungen je nach Altersgruppe unterscheiden. Bei der Repräsentativumfrage des Projekts haben Personen ab 18 Jahren teilgenommen. Das Durchschnittsalter der Jugendlichen, die in der Schülerumfrage befragt wurden, liegt bei ca. 16 Jahren. Diese Schülerumfrage ergänzt also insofern die Repräsentativumfrage des Projekts, als noch jüngere Personen befragt werden. Hinzu kommt, dass die Schülerumfrage einen besonders hohen Anteil an Befragten aufweist, die über mehrere Erstsprachen verfügen. Eine solche Teilstichprobe von Mehrsprachigen ist in der Repräsentativumfrage des Projekts nur unzulänglich vorhanden. Die Schülerumfrage liefert also zusätzliche Ergebnisse, welche die repräsentative Erhebung ergänzen. Als erstes wurde im Fragebogen danach gefragt, welche Sprachen die Schüler sich zu sprechen wünschen. Der Wunsch nach bestimmten Sprachen und das Ausmaß dieser Wünsche offenbaren das Prestige von Sprachen und die Einstellungen der Menschen gegenüber diesen Sprachen. Der Wunsch ist natürlich keiner, der ohne Weiteres erfüllt werden kann. Es handelt sich lediglich um ein Gedankenspiel, das als Einstiegsfrage in den Fragebogen ermöglicht, vorhandene Konzepte von Sprachen abzurufen und zugrundeliegende Einstellungen gegenüber Sprachen offenzulegen. Kreis Steinburg erst später erhoben wurde und noch nicht zur Verfügung stand. Des Weiteren werden die Ergebnisse der Schülerumfrage bezüglich der Einstellungen zu deutschen Dialekten in Plewnia / Rothe (in diesem Band) beschrieben. 2 } ~ _ ` _ `  € &  ‚ `` „ ‚ † `„ (2011) zeigen anhand sozialpsychologischer Experimente, dass Sprache bzw. der Akzent bei der ethnischen Kategorisierung von Personen ein entscheidenderes Kriterium sein kann als das Aussehen dieser Personen. Deutsch und andere Sprachen 121 Wunschsprachen N Prozent der Fälle Englisch 476 77,1 Spanisch 378 61,3 Französisch 248 40,2 Italienisch 145 23,5 Chinesisch 75 12,2 Russisch 72 11,7 Türkisch 68 11,0 Niederländisch 55 8,9 Polnisch 42 6,8 Arabisch 34 5,5 keine Angabe 0 0 Tabelle 1: Wunschsprachen (Nennungen über 5 %) Frage: „Wenn du den Wunsch frei hättest, drei Sprachen (außer Deutsch) perfekt zu können, welche würdest du aussuchen? (Das können auch Sprachen sein, die du schon kannst, aber nicht Deutsch.)“ Es sind bis zu drei Antworten möglich. 3 Die Frage nach den Wunschsprachen wird von allen Schülern beantwortet. Das Gedankenspiel um mühelos erworbene Sprachen scheint also nicht besonders abwegig und eine Antwort darauf eher einfach zu sein. Englisch führt als Spitzenreiter die Liste der gewünschten Sprachen an. Dieser Wunsch ist ein sehr naheliegender, ist doch Englisch die globale lingua franca. Gefolgt wird das Englische an zweiter Stelle vom Spanischen, das sich noch über 60 Prozent der befragten Schüler zu können wünschen. In Schritten von jeweils rund zwanzig Prozentpunkten folgt an dritter Stelle Französisch und an vierter Stelle Italienisch. Auf den Plätzen zwei bis vier befinden sich also die romanischen Sprachen, die traditionell - etwa aus ökonomischen und touristischen Gründen - in Deutschland eine wichtige Rolle spielen. Dann folgt mit etwas Abstand erst Chinesisch, das die erste relativ exotische Sprache auf dieser Liste ist. Chinesisch wird möglicherweise deshalb genannt, weil Chinesisch zu können als wirtschaftlich vielversprechend gilt. Schließlich wird die Liste der Nennungen über fünf Prozent von Russisch (11,7 %), Türkisch (11,0 %), Niederländisch (8,9 %), Polnisch (6,8 %) und Arabisch (5,5 %) abgeschlossen. Diese Sprachen wünschen sich insgesamt deutlich weniger Schüler. 3 Dass in der Frageformulierung die Nennung des Deutschen explizit ausgeschlossen wurde, liegt an Ergebnissen eines Pretests. In diesem Pretest wurde bei der Frage nach Wunschsprachen Deutsch kaum angegeben. Die Kompetenz des Deutschen ist für die meisten Befragten vermutlich so selbstverständlich, dass sie bei der Frage nach Wunschsprachen nicht an das Deutsche denken. „Sprache“ wird in diesem Kontext von den Schülern also als „Fremdsprache“ verstanden. Astrid Rothe 122 Russisch, Türkisch, Polnisch und auch Arabisch sind Sprachen von in Deutschland lebenden Mehrsprachigen; es sind sogenannte Migrantensprachen. Die Sprecher dieser Sprachen werden stark - besonders etwa im Vergleich zu Englisch- oder Französisch-Mehrsprachigen - als separate Gruppe wahrgenommen. Niederländisch dagegen gehört nicht zu dieser Gruppe. Für die Schüler vom Niederrhein ist Niederländisch allerdings eine im Alltag relevante Sprache, da sie die Sprache der Grenznachbarn ist und zum Teil in der Schule als Fremdsprache unterrichtet wird. Um die Einstellungen zu Sprachen detaillierter zu erheben, wurde in der Schülerumfrage nicht nur nach den Wunschsprachen, sondern auch nach sympathischen und unsympathischen Sprachen und nach gewünschten Schulfremdsprachen gefragt. Außerdem wurden die Schüler in einer geschlossenen Fragen dazu aufgefordert, vorgegebene Sprachen danach zu bewerten, wie sie ihnen gefallen. Diese Fragen sind angelehnt an die in der repräsentativen Erhebung gestellten Fragen. Ein wichtiger Unterschied besteht darin, dass in der Repräsentativumfrage des Projekts nach sympathischen und unsympathischen fremdsprachlichen Akzenten gefragt wurde, während in der Schülerumfrage direkt nach sympathischen und unsympathischen Sprachen gefragt wurde. In Tabelle 2 sind die Antworten auf die Fragen nach sympathischen und unsympathischen Fragen dargestellt. sympathische N Prozent der Fälle unsympathische N Prozent der Fälle Spanisch 302 48,9 Türkisch 227 36,8 Englisch 217 35,2 Russisch 155 25,1 Italienisch 198 32,1 Französisch 116 18,8 Französisch 173 28,0 Polnisch 99 16,0 Russisch 65 10,5 Chinesisch 84 13,6 Deutsch 64 10,4 Niederländisch 73 11,8 Türkisch 41 6,6 Arabisch 67 10,9 Niederländisch 40 6,5 Latein 54 8,8 Polnisch 35 5,7 Japanisch 34 5,5 Chinesisch 33 5,3 keine Angabe 50 8,1 keine Angabe 97 15,7 Tabelle 2: Sympathische und unsympathische Sprachen (Nennungen über 5 %) Fragen: „Gibt es Sprachen, die du besonders sympathisch findest? “ und „Gibt es Sprachen, die du besonders unsympathisch findest? “ Es sind bis zu drei Antworten möglich. Deutsch und andere Sprachen 123 Die Antworten auf diese Sympathiefragen 4 erzielen weniger hohe Prozentzahlen als die Frage nach den Wunschsprachen. Die Antworten auf diese Fragen variieren also mehr, und es gibt einen größeren Anteil an Schülern, die diese Fragen gar nicht beantworten. Bei den sympathischen Sprachen machen 8,1 Prozent der Schüler keine Angabe. Bei der Frage nach unsympathischen Sprachen sind es sogar 15,7 Prozent. Dagegen haben bei der Frage nach den Wunschsprachen alle Schüler mindestens eine Sprache angegeben (s. o.). Die relativ hohen Werte für fehlende Angaben haben ihre Entsprechung in den Ergebnissen der Repräsentativumfrage des Projekts. Auf die Fragen nach sympathischen und unsympathischen fremdsprachigen Akzenten geben dort relativ viele Befragte keine Antwort (17,1 % bei den sympathischen Akzenten) oder machen die Angabe, dass sie keinen Akzent sympathisch (16,9 %) bzw. unsympathisch (57,7 %) finden. Ein Grund für diese hohen Zahlen könnte in der sozialen Erwünschtheit liegen. Eine Sprache als sympathisch oder unsympathisch anzugeben, ist eine relativ starke Aussage, die möglicherweise gegen sozial etablierte Normen verstößt. Leichter ist es dagegen, anzugeben, welche Sprachen man sich zu können wünscht. Letztlich liegen diesen Fragen aber mutmaßlich ähnliche Einstellungen zugrunde, da man Sprachen, die man sich zu können wünscht, meistens auch sympathisch findet (zum Zusammenhang dieser Einstellungsfragen siehe Kapitel 2). Knapp die Hälfte der Schüler (48,9 %) findet Spanisch sympathisch. Spanisch wird auch von 61,3 Prozent als Wunschsprache angeben. An zweiter Stelle (35,2 %) wird von den Schülern als sympathische Sprache Englisch genannt, das wiederum bei den Wunschsprachen an erster Stelle steht. Knapp dreißig Prozent der Schüler geben noch Italienisch und Französisch als sympathische Sprachen an. Russisch (10,5 %), Türkisch (6,6 %), Niederländisch (6,5 %) und Polnisch (5,7 %) werden nicht so häufig genannt. Deutsch finden 10,4 Prozent der Schüler sympathisch (vgl. dazu Fußnote 3). Chinesisch, das sich 12,2 Prozent der Schüler zu können wünschen, finden nur 5,3 Prozent sympathisch. Die ersten zwei am häufigsten als unsympathisch angegebenen Sprachen sind Türkisch (36,8 %) und Russisch (25,1 %; über den Einfluss der Einstellung zum Russischen im Kontext von Personalauswahlverfahren siehe Schoel / Eck / Roessel / Stahlberg in diesem Band). 4 Für spezifische Urteile zu anderen Sprachen siehe die ‘Attitudes Towards Languages’-Skala in Schoel / Eck / Roessel / Stahlberg (in diesem Band), Schoel / Roessel et al. (2012). Astrid Rothe 124 Als einzige der bei den sympathischen Sprachen genannten romanischen Sprachen wird Französisch auch als unsympathische Sprache genannt (18,8 %). 5 Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass das allgemein als schwierige Schulsprache geltende Französisch bereits für viele Schüler Schulfach ist und einige der Schüler darin eher schlechtere Noten haben. 6 Dieser Zusammenhang zwischen Nennung und Benotung gilt auch für Latein, das 8,8 Prozent der Schüler als unsympathische Sprache angeben. 7 Außerdem wurden die Schüler nach den Sprachen gefragt, die ihrer Meinung nach in der Schule gelernt werden sollen. Die im Fragebogen formulierte Frage ist die folgende: „Welche Fremdsprachen sollten deiner Meinung nach in der Schule gelernt werden? Das können die Sprachen sein, die es schon gibt, oder auch andere.)“ Die von den Schülern genannten Schulfremdsprachen sind in Tabelle 3 aufgeführt. Schulfremdsprache N Prozent der Fälle Englisch 464 75,4 Spanisch 396 64,4 Französisch 266 43,3 Italienisch 138 22,4 Russisch 070 11,4 Niederländisch 069 11,2 Chinesisch 055 8,9 Türkisch 049 8,0 Latein 039 6,3 keine Angabe 0 2 0,3 Tabelle 3: Schulfremdsprachen (Nennungen über 5 %) Frage: „Welche Fremdsprachen sollten deiner Meinung nach in der Schule gelernt werden? Das können die Sprachen sein, die es schon gibt, oder auch andere.)“ Es sind bis zu drei Antworten möglich. 5 Das ist auch in der Repräsentativumfrage des Projekts der Fall. Dort nennen 36,0 Prozent Französisch als sympathischen Akzent und 2,0 Prozent als unsympathischen Akzent. 6 Bestätigt wird diese Vermutung durch die von den Schülern angegebene Benotung ihres Französisch: Schüler, die Französisch als unsympathische Sprache nennen, geben sich für ihr Französisch im Durchschnitt eine schlechtere Note (3,64) als die Schüler, die Französisch nicht als unsympathische Sprache nennen (3,25). Der Unterschied beider Noten ist signifikant (t# ‡ˆ ‰ Š‡ p<0,05, r = 0,15). 7 Die Schüler, die Latein als unsympathische Sprache angeben, benoten ihr Latein schlechter (4,08) als diejenigen Schüler, die Latein nicht als unsympathische Sprache angeben (3,35). Der Unterschied beider Noten ist hoch signifikant (t# ‰Š p<0,01, r = 0,29). Deutsch und andere Sprachen 125 Drei Viertel der Schüler meinen, dass Englisch in der Schule gelernt werden sollte. An zweiter Stelle nennen sie Spanisch (64,4 %). Etwas weniger als die Hälfte (43,3 %) der Schüler gibt auch Französisch an. Dass Italienisch in der Schule gelernt werden sollte, findet knapp ein Fünftel der Schüler. Knapp ein Zehntel der Befragten bzw. noch weniger geben Russisch, Niederländisch, Chinesisch und Türkisch als Sprachen an, die in der Schule gelernt werden sollen. 8 Die Frage nach Schulfremdsprachen beantworten fast alle Schüler; der Anteil an fehlenden Angaben ist etwa gleich niedrig wie bei der Frage nach den Wunschsprachen. Vergleicht man die Antworten auf die Sympathiefragen mit den gewünschten Sprachen, ist zu erkennen, dass zwischen diesen ein Zusammenhang besteht. Es liegt auch nahe, dass man sich die Sprachen zu können wünscht, die man sympathisch findet. Das ist wohl einer der stärksten Gründe, neben anderen Gründen, die beispielsweise ökonomischer Natur sein können. Die Zusammenhänge zwischen den Antworten auf diese Fragen werden im folgenden zweiten Kapitel näher betrachtet. Einen starken Zusammenhang gibt es vermutlich etwa zwischen den Sprachen, die man sich zu können wünscht, und den Sprachen, die man in der Schule gelernt wissen will. Das lässt sich bereits aus den Ähnlichkeiten der Listen der Antworten für beide Fragen schließen. 2. Zusammenhänge zwischen den Spracheinstellungen Um die den Antworten zugrunde liegenden Spracheinstellungen besser zu verstehen und um die naheliegende Vermutung, dass die Antworten auf die Einstellungsfragen - welche Sprachen man sich zu können wünscht, welche man sympathisch bzw. unsympathisch findet oder welche Sprachen in der Schule gelernt werden sollten, und außerdem, welche Sprachen einem gefallen - zusammenhängen, zu überprüfen, können statistische Zusammenhänge (Korrelationen) zwischen diesen Fragen berechnet werden. Solche Korrelationen wurden durchgeführt; die Ergebnisse dieser Berechnungen sind jeweils in den Tabellen 4 bis 11 zusammengefasst. Die Tabellen sind wie folgt zu lesen: In den ersten zwei bis vier Zeilen sind die - zum Teil transformierten 9 - Variablen aufgelistet, die einen direkten Bezug mit der jeweils untersuchten Sprache X haben: z. B. die Nennung der Sprache 8 In der Repräsentativumfrage des Projekts wurde diese Frage auch gestellt. Die genannten Sprachen sind in etwa die gleichen, sie werden jedoch in einer unterschiedlichen Reihenfolge genannt. Das gilt beispielsweise für Spanisch und Französisch sowie Italienisch und Russisch (vgl. Gärtig / Plewnia / Rothe 2010, S. 253ff.). 9 Aus den Antworten auf die offenen Fragen wurden binäre Variablen berechnet. Für die an erster Stelle genannte Wunschsprache Englisch wurde beispielsweise aus den Mehrfachant- Astrid Rothe 126 X als Wunschsprache (in den folgenden Tabellen und Diagrammen abgekürzt als wun X ), die Nennung der Sprache X als sympathische Sprache (symp X ), die Nennung der Sprache X als unsympathische Sprache (unsymp X ), die Nennung der Sprache X als in der Schule zu lernende Sprache (fremd X ) und die Bewertung des Sprachgefallens 10 für Sprache X (X ). Als binäre Variable wurden jeweils diejenigen Sprachen kodiert, die bei den Antworten unter den häufigsten sind. Diese Sprachen sind folgende: Arabisch (in den folgenden Tabellen und Diagrammen abgekürzt als Arab), Chinesisch (Chin), Englisch (Engl), Französisch (Frz), Italienisch (Ital), Polnisch (Poln), Russisch (Russ), Spanisch (Span) und Türkisch (Türk). Mit diesen Variablen und mit allen anderen Variablen, die für eine Frage die Nennung bzw. Nicht-Nennung oder die Bewertung des Sprachgefallens einer Sprache kodieren, werden Korrelationen berechnet. Wenn zwei Variablen miteinander statistisch signifikant korrelieren, dann wird der Korrelationskoeffizient jeweils in die Zelle eingetragen, in der sich diese beiden Variablen kreuzen. Eingetragen werden lediglich die Werte, die ab einem Niveau von p<0,01 signifikant sind. 11 Die Werte der aufgeführten Korrelationskoeffizienten können im positiven wie im negativen Bereich zwischen 0 und ±1 liegen. Je näher der Wert an ±1 liegt, desto größer ist der Zusammenhang. Aus Tabelle 4, in der die Korrelationen für Englisch aufgeführt sind, lässt sich etwa lesen, dass es zwischen der Nennung des Englischen als Wunschsprache und der Nennung des Englischen als sympathische Sprache eine kleine Korrelation gibt (0,18). Das bedeutet, dass diejenigen, die Englisch als Wunschsprache angeben, auch Englisch als sympathische Sprache angeben. Da es sich lediglich um einen richtungslosen Zusammenhang handelt, kann aus diesem Korrelationskoeffizienten ebenso das Umgekehrte geschlossen werden: Dieworten - denn es gab drei mögliche Antworten auf die Frage nach den Wunschsprachen - eine binäre Variable berechnet, deren eine Ausprägung die Nennung des Englischen als Wunschsprache ist und die andere Ausprägung die Nicht-Nennung des Englischen als Wunschsprache. Die Antworten auf die geschlossenen Fragen wurden mittels Medianhalbierung als binäre Variable zusammengefasst. Das bedeutet, dass die Stichprobe den Bewertungen nach in zwei gleichgroße Hälften geteilt wird; in eine Teilstichprobe mit höheren Bewertungen (erste Ausprägung der binären Variable) und in eine mit niedrigeren Bewertungen (zweite Ausprägung der binären Variable). 10 Die Schüler wurden im Fragebogen, dazu aufgefordert, Sprachen danach zu bewerten, wie sie ihnen gefallen. Die Frageformulierung dazu lautet: „Bitte bewerte nun einige Sprachen danach, wie gut sie dir gefallen. Wie gut gefällt dir ...“ Die Schüler konnten für die Sprachen Deutsch, Polnisch Italienisch, Russisch, Französisch, Spanisch, Türkisch und Englisch angeben, ob ihnen die jeweilige Sprache „sehr gut“, „gut“, „teils/ teils“, „schlecht“ oder „sehr schlecht“ gefällt, oder sie konnten „weiß nicht“ ankreuzen. 11 Da das Signifikanzniveau für keinen der berechneten Korrelationskoeffizienten kleiner als p<0,01 ist, wird das Signifikanzniveau nicht spezifiziert. Deutsch und andere Sprachen 127 jenigen, die Englisch als sympathische Sprache angeben, nennen eher Englisch als Wunschsprache. Einen negativen Zusammenhang gibt es beispielsweise zwischen Englisch als Wunschsprache und Italienisch als Wunschsprache ( ‰ 0,20). Das bedeutet, dass diejenigen, die Englisch als Wunschsprache angeben, eher nicht Italienisch als Wunschsprache nennen; oder anders herum: diejenigen, die Italienisch als Wunschsprache angeben, nennen eher nicht Englisch als Wunschsprache. Im Folgenden werden diese Zusammenhänge für einige Sprachen näher beschrieben; diese Sprachen sind Englisch (2.1), Spanisch (2.2), Italienisch (2.3), Französisch (2.4), Chinesisch (2.5), Türkisch (2.6), Russisch (2.7) und Polnisch (2.8). 12 2.1 Englisch Die für das Englische berechneten Korrelationen zeigen, dass es zwischen den Nennungen des Englischen als Wunschsprache, als sympathische Sprache, als Schulfremdsprache und der Bewertung des Sprachgefallens Zusammenhänge gibt (vgl. dazu die Korrelationskoeffizienten in den ersten drei Zeilen von Tabelle 4). Die für das Englische berechneten Korrelationen sind in Tabelle 4 dargestellt. wun Engl symp Engl fremd Engl Engl Englisch wun Engl - 0,18 0,28 0,12 symp Engl 0,18 - 0,23 0,23 fremd Engl 0,28 0,23 - 0,11 andere Sprachen symp Ital ‰ Š unsymp Arab 0,12 wun Ital ‰ wun Türk ‰ ‹ fremd Frz 0,25 fremd Ital ‰ ‰ Š fremd Russ ‰ fremd Türk ‰ ˆ fremd Chin ‰ Frz ‰ Span ‰ Tabelle 4: Korrelationen für die Einstellungen zum Englischen 12 Die Zusammenhänge der Einstellungen zu Latein und zum Niederländischen werden nicht analysiert, da sich hier ein starker Effekt des Erhebungsortes und der Schulart findet (siehe Kapitel 3.5). Astrid Rothe 128 Des Weiteren gibt es Zusammenhänge mit der Nennung von anderen Sprachen. Die Nennung des Englischen als Wunschsprache hängt insbesondere zusammen mit: - der Nicht-Nennung des Italienischen als Wunschsprache, - der Nicht-Nennung des Italienischen als Schulfremdsprache, - einer eher weniger guten Bewertung des Sprachgefallens für das Spanische und - der Nicht-Nennung des Türkischen als Wunschsprache. Für die Nennung des Englischen als sympathische Sprache gibt es einen Zusammenhang mit der Nicht-Nennung des Italienischen als sympathische Sprache, und die Nennung des Englischen als Schulfremdsprache korreliert mit - der Nennung des Französischen als Schulfremdsprache, - der Nicht-Nennung des Italienischen als Schulfremdsprache, - der Nicht-Nennung des Russischen als Schulfremdsprache, - der Nicht-Nennung des Türkischen als Schulfremdsprache und - der Nicht-Nennung des Chinesischen als Schulfremdsprache. Eine eher sehr gute Bewertung des Englischen hängt außerdem zusammen mit der Nennung des Arabischen als unsympathische Sprache und einer eher weniger guten Bewertung des Französischen. 2.2 Spanisch Für Spanisch, die erste der beschriebenen romanischen Sprachen, werden die Zusammenhänge der Einstellungen in Tabelle 5 aufgelistet. Wie beim Englischen bestehen auch für das Spanische Korrelationen zwischen der Nennung als Wunschsprache, als sympathische Sprache, als Schulfremdsprache und der Bewertung des Sprachgefallens. Die Korrelationen sind jedoch stärker als beim Englischen (vgl. die Höhe der Korrelationskoeffizienten in Tabelle 5 mit denen in Tabelle 4). Deutsch und andere Sprachen 129 wun Span symp Span fremd Span Span Spanisch wun Span - 0,37 0,48 0,34 symp Span 0,37 - 0,36 0,41 fremd Span 0,48 0,36 - 0,25 andere romanische Sprachen fremd Frz ‰ Frz 0,13 symp Ital 0,11 0,17 fremd Ital 0,11 Ital 0,11 0,28 andere Sprachen unsymp Russ 0,12 unsymp Chin 0,11 wun Engl ‰ wun Türk ‰ wun Russ ‰ ‡ wun Chin ‰ fremd Chin ‰ ‰ ‡ Türk 0,12 Tabelle 5: Korrelationen für die Einstellungen zum Spanischen Des Weiteren gibt es einen Zusammenhang mit den Einstellungen gegenüber den anderen romanischen Sprachen Italienisch und Französisch. Gefällt den Schülern Spanisch gut, gefallen ihnen auch eher Französisch und Italienisch gut (und umgekehrt); außerdem nennen sie dann eher Italienisch als sympathische Sprache und als Schulfremdsprache. Darüber hinaus besteht ein Zusammenhang zwischen der Nennung des Spanischen als sympathische Sprache und einer eher positiven Bewertung des Italienischen. Hinzu kommt ein Zusammenhang zwischen der Nennung des Spanischen und des Französischen als Schulfremdsprache: Schüler, die finden, dass Spanisch Schulfremdsprache sein sollte, finden dagegen eher nicht, dass Französisch Schulfremdsprache sein sollte. Außerdem gibt es andere signifikante, aber nicht so starke Zusammenhänge zwischen Einstellungen zum Spanischen und zu anderen Sprachen. Die Nennung des Spanischen als Wunschsprache hängt etwa zusammen: - mit der Nennung des Russischen als unsympathische Sprache, - mit der Nicht-Nennung des Russischen als Wunschsprache, - mit der Nicht-Nennung des Türkischen als Wunschsprache und - mit der Nicht-Nennung des Chinesischen als Wunschsprache. Astrid Rothe 130 Die Angabe des Spanischen als sympathische Sprache hängt ebenfalls zusammen mit der Nennung des Chinesischen als unsympathische Sprache und der Nicht-Nennung des Chinesischen als Schulfremdsprache. Letzteres korreliert auch mit der Nennung des Spanischen als Schulfremdsprache. Zwischen dem Sprachgefallen für das Spanische und sowohl erstens dem Nicht-Nennen des Englischen als Wunschsprache als auch zweitens dem Sprachgefallen für das Türkische bestehen weitere Zusammenhänge. 2.3 Italienisch Vergleichbar starke Korrelationen gibt es für das Italienische zwischen der Angabe als Wunschsprache, als sympathische Sprache, als Schulfremdsprache und der Bewertung des Sprachgefallens für das Italienische. In Tabelle 6 sind diese und weitere Zusammenhänge für das Italienische dargestellt. wun Ital symp Ital fremd Ital Ital Italienisch wun Ital - 0,43 0,49 0,29 symp Ital 0,43 - 0,33 0,37 fremd Ital 0,49 0,33 - 0,28 andere romanische Sprachen symp Span 0,11 0,11 Span 0,17 0,11 0,28 unsymp Frz ‰ Š wun Frz ‰ ˆ fremd Frz ‰ Frz 0,14 andere Sprachen symp Engl ‰ Š symp Russ ‰ ‡ unsymp Türk ‰ unsymp Russ 0,14 unsymp Poln 0,12 wun Engl ‰ ‰ wun Russ ‰ ‹ wun Chin ‰ fremd Engl ‰ Š Türk 0,19 Tabelle 6: Korrelationen für die Einstellungen zum Italienischen Deutsch und andere Sprachen 131 Zwischen den Einstellungen zu den romanischen Sprachen Italienisch, Spanisch und Französisch bestehen ebenfalls zahlreiche positive Zusammenhänge, wie sie bereits teilweise im vorherigen Abschnitt zum Spanischen erläutert wurden. Positive Korrelationen bestehen - zwischen der Nennung des Italienischen als sympathische Sprache und erstens des Spanischen als sympathische Sprache und zweitens einer eher guten Bewertung des Spanischen, - zwischen einer eher guten Bewertung des Sprachgefallens für das Italienische und erstens einer eher guten Bewertung des Französischen, zweitens einer eher guten Bewertung des Spanischen und drittens der Nennung des Spanischen als sympathische Sprache, - zwischen der Nennung des Italienischen als Schulfremdsprache und einer eher guten Bewertung des Spanischen. Negative Korrelationen bestehen dagegen zwischen Italienisch und Französisch, nämlich - zwischen einer eher guten Bewertung für das Italienische und der Nennung des Französischen als unsympathische Sprache, - zwischen der Nennung des Italienischen und des Französischen als Wunschsprache und - zwischen der Nennung des Italienischen und des Französischen als Schulfremdsprache. Mit den Einstellungen anderen Sprachen gegenüber gibt es folgende Zusammenhänge mit dem Italienischen: Zunächst bestehen mit dem Englischen Korrelationen zwischen - der Nennung des Italienischen als Wunschsprache und der Nicht-Nennung des Englischen als Wunschsprache, - der Nennung des Italienischen als sympathische Sprache und der Nicht- Nennung des Englischen als sympathische Sprache, - der Nennung des Italienischen als Schulfremdsprache und der Nicht-Nennung des Englischen als Wunschsprache und als Schulfremdsprache. Mit Russisch und Polnisch gibt es des Weiteren Zusammenhänge - zwischen der Nennung des Italienischen als sympathische Sprache und der Nennung des Russischen und des Polnischen als unsympathische Sprache, - zwischen einer eher guten Bewertung des Italienischen und der Nicht-Nennung des Russischen als sympathische Sprache und als Wunschsprache. Astrid Rothe 132 Außerdem hängen die Einstellungen zum Türkischen mit den Einstellungen zum Italienischen zusammen: Es besteht erstens ein Zusammenhang zwischen einer eher guten Bewertung des Italienischen und der Nicht-Nennung des Türkischen als unsympathische Sprache und zweitens zwischen einer eher guten Bewertung des Italienischen und einer eher guten Bewertung des Türkischen. 2.4 Französisch Für die letzte der beschriebenen romanischen Sprachen, Französisch, gibt es auch eine Reihe an Zusammenhängen der Einstellungen zum Französischen untereinander. In Tabelle 7 sind die Zusammenhänge für die Einstellungen gegenüber dem Französischen aufgeführt. wun Frz symp Frz unsymp Frz fremd Frz Frz Französisch wun Frz - 0,32 ‰ ‡ 0,41 0,38 symp Frz 0,32 - ‰ Š 0,22 0,47 unsymp Frz ‰ ‡ ‰ Š - ‰ ˆ ‰ ‹Š fremd Frz 0,41 0,22 ‰ ˆ - 0,28 andere romanische Sprachen wun Ital ‰ ˆ fremd Span ‰ fremd Ital ‰ Ital ‰ Š 0,14 Span 0,13 andere Sprachen symp Russ ‰ ‡ ‰ Š 0,19 ‰ unsymp Russ 0,14 ‰ Ž 0,13 0,14 unsymp Arab ‰ wun Türk ‰ Š wun Russ ‰ ‰ Š wun Chin ‰ ‹ fremd Engl 0,25 fremd Russ ‰ ‰ ‘ ‰ fremd Türk ‰ Ž fremd Ch ‰ ‹ Russ ‰ Engl 0,11 Tabelle 7: Korrelationen für die Einstellungen zum Französischen Deutsch und andere Sprachen 133 Wie auch beim Spanischen und Italienischen korrelieren die Nennung des Französischen als Wunschsprache, als sympathische Sprache, als Schulfremdsprache, eine eher gute Bewertung des Französischen und die Nicht-Nennung des Französischen als unsympathische Sprache miteinander. Die Einstellungen zum Französischen korrelieren auch mit den Einstellungen zu den anderen romanischen Sprachen, wie es bereits aus Perspektive des Spanischen und Italienischen beschrieben wurde. Einerseits gibt es positive Korrelationen zwischen den Bewertungen der romanischen Sprachen - eine eher gute Bewertung des Französischen hängt zusammen mit einer eher guten Bewertung des Italienischen und des Spanischen -, und andererseits gibt es negative Korrelationen mit den Nennungen als Wunsch- und Schulfremdsprache: - die Nennung des Französischen als Wunschsprache korreliert mit der Nicht-Nennung des Italienischen als Wunschsprache, - die Nennung des Französischen als Schulfremdsprache korreliert mit der Nicht-Nennung des Spanischen und Italienischen als Schulfremdsprache, - die Nicht-Nennung des Französischen als unsympathische Sprache hängt zusammen mit einer eher guten Bewertung des Italienischen. Im Gegensatz zu den anderen romanischen Sprachen zeigen die Korrelationen eine hohe Anzahl an Zusammenhängen der Einstellungen zum Französischen mit den Einstellungen zum Russischen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Nennung des Französischen als Wunschsprache und der Nicht-Nennung des Russischen - als sympathische Sprache, - als Wunschsprache, - als Schulfremdsprache und - einer eher weniger guten Bewertung des Russischen. Zusammenhänge gleicher Art weisen die Korrelationen mit den Einstellungen zum Russischen und der Nennung des Französischen als sympathische, als unsympathische und als Schulfremdsprache auf (siehe Tabelle 7). Ebenfalls korreliert eine eher gute Bewertung des Französischen mit - der Nicht-Nennung des Russischen als sympathische Sprache, - der Nennung des Russischen als unsympathische Sprache, - der Nicht-Nennung des Russischen als Wunschsprache und - der Nicht-Nennung des Russischen als Schulfremdsprache. Astrid Rothe 134 Mit den Einstellungen zum Englischen korrelieren die Einstellungen zum Französischen einerseits bei einer eher guten Bewertung und andererseits bei der Nennung als Schulfremdsprache (für die anderen Korrelationen siehe die Koeffizienten in Tabelle 7). 2.5 Chinesisch Chinesisch wird bei den Fragen nach den Einstellungen insgesamt nicht ganz so häufig genannt wie etwa Englisch oder Spanisch. Deswegen konnten lediglich drei Variablen (wun Chin, unsymp Chin, fremd Chin) in die Berechnung der Korrelationen einbezogen werden. Die berechneten Korrelationen der Einstellungen zum Chinesischen untereinander sind unter anderem aufgrund dieser niedrigen Häufigkeitsfrequenz nicht so signifikant wie für die anderen, bisher beschriebenen Sprachen. Ein starker Zusammenhang besteht zwischen der Nennung des Chinesischen als Wunschsprache und als Schulfremdsprache. Die Zusammenhänge für die Einstellungen zum Chinesischen sind in Tabelle 8 dargestellt. wun Chin unsymp Chin fremd Chin Chinesisch wun Chin - (-0,09) 13 0,53 unsymp Chin (-0,09) - (-0,09) 14 andere Sprachen symp Span 0,11 ‰ wun Span ‰ wun Frz ‰ ‹ wun Ital ‰ fremd Engl ‰ fremd Span ‰ ‡ fremd Frz ‰ ‹ Tabelle 8: Korrelationen für die Einstellungen zum Chinesischen Die Nennung des Chinesischen als Wunschsprache korreliert mit - der Nicht-Nennung des Spanischen als Wunschsprache, - der Nicht-Nennung des Französischen als Wunschsprache und - der Nicht-Nennung des Italienischen als Wunschsprache. 13 Die negative Korrelation zwischen der Nennung des Chinesischen als Wunschsprache und als unsympathische Sprache ist in der Tabelle in Klammern gesetzt, da sie nur auf dem p ‡! ’ “  \ „ 14 Die negative Korrelation zwischen der Nennung des Chinesischen als Schulfremdsprache und als unsympathische Sprache ist in der Tabelle ebenfalls in Klammern gesetzt, da sie nur auf dem p ‡! ’ “  \ „ Deutsch und andere Sprachen 135 Zweitens gibt es Zusammenhänge zwischen der Angabe des Chinesischen als Schulfremdsprache und - der Nicht-Nennung des Englischen als Schulfremdsprache, - der Nicht-Nennung des Spanischen als sympathische Sprache und als Schulfremdsprache und - der Nicht-Nennung des Französischen als Schulfremdsprache. 2.6 Türkisch Sehr viele Korrelationen gibt es bei den Einstellungen zum Türkischen untereinander (vgl. Zeile 1 bis 4 in Tabelle 9). In der folgenden Tabelle werden die Korrelationskoeffizienten für die Zusammenhänge zwischen den Angaben zum Türkischen aufgeführt. wun Türk symp Türk unsymp Türk fremd Türk Türk Türkisch wun Türk - 0,38 ‰ 0,47 0,22 symp Türk 0,38 - ‰ 0,40 0,19 unsymp Türk ‰ ‰ - ‰ Ž ‰ ‹‡ fremd Türk 0,47 0,40 ‰ Ž - 0,17 andere Sprachen unsymp Russ ‰ unsymp Poln 0,12 unsymp Arab 0,12 wun Engl ‰ ‹ wun Span ‰ wun Frz ‰ Š wun Russ 0,17 ‰ fremd Engl ‰ ˆ fremd Frz ‰ Ž fremd Russ 0,13 ‰ ‡ Ital ‰ 0,19 Span 0,12 Tabelle 9: Korrelationen für die Einstellungen zum Türkischen Mit Einstellungen zu anderen Sprachen hängen Einstellungen zum Türkischen wie folgt zusammen: Die Nennung des Türkischen als Wunschsprache korreliert negativ mit der Angabe des Englischen, des Spanischen und des Französischen als Wunschsprache. Ebenso gibt es einen negativen Zusammenhang Astrid Rothe 136 zwischen der Nennung des Türkischen als Schulfremdsprache und der Nennung des Englischen und Französischen als Schulfremdsprache und der Nennung des Russischen als unsympathische Sprache. Des Weiteren hängt die Angabe des Türkischen als unsympathische Sprache zusammen - mit der Nennung des Polnischen und des Arabischen als unsympathische Sprache, - mit der Nennung des Russischen als Wunschsprache und als Schulfremdsprache und - einer eher weniger guten Bewertung des Italienischen. Letzteres spiegelt sich darin, dass eine eher gute Bewertung des Türkischen korreliert mit - einer eher guten Bewertung des Italienischen und des Spanischen und - der Nicht-Nennung des Russischen als Wunschsprache und als Schulfremdsprache. 2.7 Russisch Auch für das Russische gibt es zahlreiche Korrelationen zwischen den Nennungen als Wunschsprache, als sympathische Sprache, als unsympathische Sprache, als Schulfremdsprache und der Bewertung des Sprachgefallens. In Tabelle 10 werden die Zusammenhänge der Einstellungen für das Russische dargestellt. Neben den Zusammenhängen der Einstellungen zum Russischen untereinander weisen die Korrelationskoeffizienten auch Verbindungen mit den Einstellungen zu den anderen Sprachen auf, die zum Teil schon in den jeweiligen Kapiteln zu diesen Sprachen beschrieben wurden. Markant ist die Nähe zu den Einstellungen zum Polnischen. Eine eher gute Bewertung des Russischen hängt etwa zusammen mit einer eher guten Bewertung des Polnischen und mit der Nicht-Nennung des Polnischen als unsympathische Sprache. Ebenso hängt die Nicht-Nennung des Polnischen als unsympathische Sprache mit der Nicht-Nennung des Russischen als unsympathische Sprache zusammen. Des Weiteren besteht ein Zusammenhang mit einer eher guten Bewertung des Polnischen und der Nennung des Russischen - als Wunschsprache, - als sympathische Sprache und - der Nicht-Nennung des Russischen als unsympathische Sprache. Deutsch und andere Sprachen 137 wun Russ symp Russ unsymp Russ fremd Russ Russ Russisch wun Russ - 0,55 ‰ ‡ 0,49 0,30 symp Russ 0,55 - ‰ 0,38 0,29 unsymp Russ ‰ ‡ ‰ - ‰ ‹ ‰ ‹‘ fremd Russ 0,49 0,38 ‰ ‹ - 0,25 Polnisch unsymp Poln 0,23 ‰ Š Poln 0,12 0,16 ‰ 0,40 andere Sprachen symp Ital 0,14 symp Frz ‰ Š 0,14 unsymp Türk 0,17 0,13 unsymp Frz 0,19 ‰ Ž wun Span ‰ ‡ 0,12 wun Frz ‰ ‰ ‡ ‰ ‰ fremd Engl ‰ fremd Frz 0,13 ‰ ‘ fremd Türk ‰ Ital ‰ ‹ ‰ ‡ Frz ‰ Š ‰ 0,14 ‰ Türk ‰ ‰ ‡ Tabelle 10: Korrelationen für die Einstellungen zum Russischen Die sich eher ausschließenden Nennungen des Russischen und des Französischen wurden bereits in Kapitel 2.4 erläutert. Mit den anderen romanischen Sprachen Italienisch und Spanisch weisen die Einstellungen zum Russischen ebenfalls Korrelationen auf. So korreliert die Nennung des Russischen als Wunschsprache negativ mit - der Nennung des Spanischen als Wunschsprache und - der Bewertung des Italienischen. Die Bewertung des Italienischen hängt ebenso negativ mit der Nennung des Russischen als sympathische Sprache zusammen. Außerdem gibt es jeweils einen Zusammenhang zwischen der Angabe des Russischen als unsympathische Sprache und - der Nennung des Italienischen als sympathische Sprache und - der Nennung des Spanischen als Wunschsprache. Astrid Rothe 138 Zwischen den Einstellungen zum Russischen und zum Türkischen gibt es ebenfalls Zusammenhänge. Die Nennung des Russischen als Wunschsprache korreliert mit - der Nennung des Türkischen als unsympathische Sprache und - einer eher weniger guten Bewertung des Türkischen. Die Nennung des Russischen als unsympathische Sprache hängt zusammen mit der Nicht-Nennung des Türkischen als Schulfremdsprache. Des Weiteren korreliert die Nennung des Russischen als Schulfremdsprache mit der Nennung des Türkischen als unsympathische Sprache. Mit den Einstellungen zum Englischen hängen die Einstellungen zum Russischen dahingehend zusammen, dass die Nennung des Russischen als Schulfremdsprache mit der Nicht-Nennung des Englischen als Schulfremdsprache korreliert. 2.8 Polnisch Neben der erwartbaren negativen Korrelation zwischen der Bewertung des Polnischen und der Nennung des Polnischen als unsympathische Sprache gibt es insbesondere Korrelationen mit den Einstellungen zum Russischen, die schon in Kapitel 2.7 beschrieben wurden. Diese und weitere Korrelationen sind in Tabelle 11 aufgeführt. unsymp Poln Poln Polnisch unsymp Poln - ‰ ‘ Russisch wun Russ 0,12 symp Russ 0,16 unsymp Russ 0,23 ‰ Russ ‰ Š 0,40 andere Sprachen symp Ital 0,12 unsymp Türk 0,12 Tabelle 11: Korrelationen für die Einstellungen zum Polnischen Daneben gibt es noch Zusammenhänge zwischen der Nennung des Polnischen als unsympathische Sprache und der Nennung des Italienischen als sympathische und des Türkischen als unsympathische Sprache. Deutsch und andere Sprachen 139 3. Spracheinstellungen beeinflussende Faktoren Im vorigen Kapitel wurde beschrieben, inwiefern Spracheinstellungen untereinander zusammenhängen. In diesem Kapitel werden Faktoren besprochen, die diese Spracheinstellungen erklären. Als erstes sollen dafür die Sprachen betrachtet werden, die die Schüler zu können angeben, also ihr Sprachrepertoire, welches für Spracheinstellungen vermutlich eine große Rolle spielt. Diesen Zusammenhang illustriert die Tabelle 12, in der die Koeffizienten für die Korrelationen zwischen den angegebenen, gekonnten Sprachen (in der Tabelle abgekürzt als Rep X) und den angegebenen sympathischen Sprachen aufgeführt sind. Rep Frz Rep Türk Rep Span Rep Russ Rep Ital symp Engl ‰ ” symp Frz ‡”” symp Türk Š‘”” symp Span ‰ ‹”” ”” ” symp Poln symp Russ ‹ ”” symp Ital ” Ž”” Tabelle 12: Korrelationen zwischen Sprachrepertoire und sympathischen Sprachen 15 Die Koeffizienten offenbaren Zusammenhänge zwischen der jeweils gekonnten Sprache und der als sympathisch genannten. Etwas plakativ könnte man formulieren: Man findet tendenziell die Sprache sympathisch, die man kann. In diesem Sinne korrelieren - Französisch als gekonnte Sprache mit der Nennung von Französisch als sympathischer Sprache, - Türkisch als gekonnte Sprache mit der Nennung von Türkisch als sympathischer Sprache, - Spanisch als gekonnte Sprache mit der Nennung von Spanisch als sympathischer Sprache, - Russisch als gekonnte Sprache mit der Nennung von Russisch als sympathischer Sprache und - Italienisch als gekonnte Sprache mit der Nennung von Italienisch als sympathischer Sprache. 15 • " `` – ` \~ —  ` ˜ \ ~ “  - #” p ‡ ”” p<0,01). Astrid Rothe 140 Die höchsten Korrelationskoeffizienten für diese Zusammenhänge gibt es für das Russische und das Türkische, gefolgt vom Italienischen. Der Grund für die Höhe dieser Korrelationen dürfte darin liegen, dass diese Sprachen für einige der Schüler Erstsprachen sind. Die als gekonnt angegebenen Sprachen unterscheiden sich also darin, was für Sprachen sie für die Schüler sind: Erstsprachen oder Fremdsprachen. Für einen Teil der Stichprobe ist Russisch beispielsweise die Sprache ihrer Mutter oder ihres Vaters. Das Russische haben diese Schüler als erste Sprache erworben. Dagegen lernen die meisten Schüler erst später im schulischen Kontext etwa Französisch. Das Russische hat in diesem Fall den Status einer Erstsprache, das Französische dagegen den Status einer Schulfremdsprache. Im nächsten Unterkapitel wird daher das Sprachrepertoire der Schüler genauer beschrieben. 3.1 Sprachrepertoire Die Schüler wurden im Fragebogen gebeten, anzugeben, welche Sprachen sie können, diese zu bewerten und anzugeben, ob es sich bei einer Sprache jeweils um ihre Mutter- oder Vatersprache handelt. In Tabelle 13 ist das Sprachrepertoire, also die als gekonnt angegebenen Sprachen, der gesamten Stichprobe der Schüler aufgeführt. Sprachrepertoire N Prozent der Fälle Englisch 586 96,7 Deutsch 576 95,0 Französisch 267 44,1 Latein 107 17,7 Türkisch 102 16,8 Spanisch 49 8,1 Polnisch 42 6,9 Russisch 40 6,6 Italienisch 35 5,8 Niederländisch 33 5,4 Tabelle 13: Sprachrepertoire (Nennungen über 5 %) Frage: „Welche Sprachen kannst du, und wie gut kannst du sie? “ Es sind bis zu fünf Antworten möglich. Laut eigenen Angaben können fast alle Schüler Englisch und Deutsch. Fast die Hälfte der Schüler (44,1 %) kann auch Französisch. Latein und Türkisch geben jeweils etwa ein Sechstel der Schüler als gekonnte Sprache an. Deutlich Deutsch und andere Sprachen 141 weniger Schüler können ihrer Selbsteinschätzung nach Spanisch, Polnisch, Russisch, Italienisch und Niederländisch. Dabei muss man aber differenzieren, denn die gekonnten Sprachen unterscheiden sich danach, ob es sich um eine Erstsprache, um die Umgebungssprache oder um eine in der Schule gelernte Fremdsprache handelt. Listet man das Sprachrepertoire für die gesamte Stichprobe auf, dann findet sich dort neben dem für die Mehrheit als Fremdsprache gelernten Englisch auch das für einige der Schüler als Erstsprache erworbene Russisch und das für einige als frühe Zweitsprache erworbene Deutsch. Eine Aufstellung der gekonnten Sprachen muss also danach differenziert werden, welchen Status die gelisteten Sprachen haben. Dafür werden im Folgenden die Sprachrepertoires der Schüler getrennt danach betrachtet, welches ihre Erstsprache ist. Dafür wurde die Stichprobe nach dem Kriterium der Erstsprache in Teilstichproben eingeteilt. Als Erstsprache wird jeweils die Sprache analysiert, die als Mutter- oder Vatersprache gekennzeichnet ist. Die gültige Stichprobe von insgesamt 617 Schülern umfasst demnach fünf Teilstichproben. 16 Die größte Gruppe mit 388 Schülern (62,9 %) bilden die Schüler, die nur Deutsch als Erstsprache angeben. Die zweitgrößte Gruppe mit 82 Schülern (13,3 %) ist die Gruppe der Schüler, die (auch) Türkisch als Erstsprache angibt. Als drittgrößte Gruppe mit 27 Schülern (4,4 %) sind die Schüler mit Polnisch als Erstsprache vertreten. Die kleinste Stichprobe bilden die Schüler mit Russisch als Erstsprache (N=18; 2,9 %). Da diese Teilstichprobe relativ klein ist, gilt, dass die Ergebnisse diesbezüglich mit Vorsicht zu interpretieren sind. Schüler mit anderen Erstsprachen wie z. B. Arabisch, Italienisch und Ungarisch sind in der Stichprobe auch vertreten, jedoch mit einem so geringen Anteil, dass keine 16 Einige Schüler geben die jeweilige Sprache zwar nicht als Mutter- oder Vatersprache, also als Erstsprache an, über die zusätzlichen Fragen danach, welche Sprachen die Schüler mit ihrer Mutter und ihrem Vater sprechen, kann jedoch auf die Mutter- und Vatersprache geschlossen werden. Entsprechend werden diese Schüler in die jeweilige Teilstichproben eingeteilt. Für einige Schüler kann, da sie bei den weiterführenden Fragen nach verwendeten Sprachen mit Mutter und Vater keine Angaben machen, nicht bestimmt werden, welches die Erstsprache ist. Diese Schüler werden in keine der Teilstichproben bezüglich der Erstsprache eingeteilt. Einige Schüler geben mehrere Erstsprachen an. Die Einteilung der Schüler wird dabei immer zugunsten der kleineren Teilstichprobe vollzogen: Wenn ein Schüler beispielsweise Deutsch und Türkisch als Erstsprachen angibt, dann wird dieser Schüler in die Teilstichprobe mit Türkisch als Erstsprache eingeteilt. Die Teilstichprobe der Schüler mit Türkisch als Erstsprache umfasst also neben Schülern, die nur Türkisch als Erstsprache angeben, auch Schüler, die Türkisch und Deutsch als Erstsprachen angeben. Dieser Sachverhalt gilt entsprechend für alle aufgrund der Erstsprache eingeteilten Teilstichproben. Astrid Rothe 142 jeweils eigene Teilstichprobe gebildet werden kann. Diese Schüler finden sich in der Teilstichprobe „sonstige Erstsprachen außer Deutsch“ (N=90; 14,6 %). 17 In den folgenden Tabellen ist jeweils das Sprachrepertoire der Schüler angegeben mit Deutsch als einziger Erstsprache (vgl. Tabelle 14), mit Türkisch als einer der Erstsprachen (vgl. Tabelle 15), mit Russisch (vgl. Tabelle 16) und mit Polnisch (vgl. Tabelle 17). Die Schüler, die nur Deutsch als Erstsprache angeben, können nahezu alle Englisch und Deutsch (vgl. Tabelle 14). 18 Die Hälfte von ihnen kann auch Französisch, ein Viertel kann Latein. Nur Deutsch (388) N Prozent der Fälle Englisch 372 98,7 Deutsch 366 97,1 Französisch 175 46,4 Latein 96 25,5 Spanisch 31 8,2 Niederländisch 26 6,9 Italienisch 13 3,4 Russisch 13 3,4 Polnisch 13 3,4 Türkisch 11 2,9 Tabelle 14: Sprachrepertoire, Erstsprache nur Deutsch Es fällt auf, dass Deutsch nicht von allen Schülern als gekonnte Sprache angegeben wird, obwohl davon eigentlich auszugehen wäre. Im Zusammenhang mit gelernten (Fremd-)Sprachen wird Deutsch nicht als gelernte Sprache wahrgenommen. Deutsch wird als selbstverständlich gekonnte Sprache in diesem Kontext nicht abgerufen und ist sozusagen der Nullpunkt, dem andere Sprachen hinzugefügt werden können, der aber selbst keiner Erwähnung bedarf (vgl. Fußnote 3). Andere Sprachen wie Französisch oder Spanisch hingegen sind weniger selbstverständlich und ein erwähnungswürdiges, bewertbares Unterscheidungsmerkmal: einige lernen Französisch, andere Spanisch. 17 Vgl. dazu auch die Herkunftsstaaten ausländischer Schüler an deutschen Schulen in Stickel (in diesem Band). 18 Einige Schüler haben die Frage nach dem Sprachrepertoire nicht beantwortet. In der Teilstichprobe mit nur Deutsch als Erstsprache sind es elf Schüler. In den anderen Teilstichproben bezüglich der Erstsprache haben jeweils alle Schüler gekonnte Sprachen angegeben. Deutsch und andere Sprachen 143 Schüler mit der Erstsprache Türkisch geben an, Deutsch, Türkisch und Englisch zu können (vgl. Tabelle 15). Etwas weniger als die Hälfte kann auch Französisch. 19 Türkisch (82) N Prozent der Fälle Deutsch 81 98,8 Türkisch 81 98,8 Englisch 79 96,3 Französisch 35 42,7 Arabisch 6 7,3 Italienisch 3 3,7 Tabelle 15: Sprachrepertoire, Erstsprache auch Türkisch Das Sprachrepertoire der Schüler mit Türkisch als Erstsprache ist also dem der Schüler mit nur Deutsch als Erstsprache sehr ähnlich mit dem Unterschied, dass die Schüler mit Türkisch als Erstsprache über eine zusätzliche Erstsprache, nämlich Türkisch, verfügen. Deutsch ist für diese Schüler außerdem entweder eine Erstsprache oder eine frühe Zweitsprache, die sie vermutlich über ungesteuerten Zweitspracherwerb erworben haben. Französisch und Englisch dagegen haben wahrscheinlich alle als Fremdsprache in der Schule gelernt. Die Schüler mit Russisch als Erstsprache können alle Russisch, Englisch, Deutsch und fast zur Hälfte Französisch (vgl. Tabelle 16; zum Kompetenzverhältnis von Deutsch und Russisch bei Jugendlichen aus russischsprachigen Familien siehe z. B. Anstatt 2011, Berend 2009). 20 19 Für die detaillierte Beschreibung einer türkischsprachigen Migrantinnengruppe aus Mannheim, also einem der Erhebungsorte der Schülerumfrage, siehe Keim (2008). 20 Drei Schüler dieser Teilstichprobe geben außerdem an, Türkisch zu können. Die Teilstichprobe der Schüler mit Russisch als Erstsprache ist sehr klein, deshalb müssen die Ergebnisse für diese Teilstichprobe vorsichtig interpretiert werden. Die drei Schüler mit Russisch als Erstsprache, die auch Türkisch können, haben folgendes Profil: Eine dieser Gewährspersonen macht insgesamt kaum soziodemographische Angaben, gibt aber an, mit Mutter und Vater Deutsch und Russisch zu sprechen und mit den Freunden „alles“. Die Schüler wurden auch gebeten, anzugeben, wie gut sie die Sprachen können, die sie nennen. Dafür sollten sie Schulnoten vergeben. Diese Gewährsperson benotet ihr Deutsch und Englisch jeweils mit einer 3 und ihr Russisch und Türkisch jeweils mit einer 1. Die zweite Gewährsperson, die Türkisch angibt, ist in Moskau geboren und hat die russische Staatsangehörigkeit. Sie lebt seit 2000, seit ihrem achten Lebensjahr, in Deutschland und fühlt sich mit Russland stark verbunden. Mit Mutter und Vater spricht diese Gewährsperson Russisch und mit ihren Freunden Deutsch, Russisch, Spanisch, Englisch und Türkisch. Während sie ihr Russisch mit einer 2 benotet, bewertet sie ihr Türkisch mit 5-6 (weitere Sprachen: Deutsch: 2, Englisch: 3, Spanisch: 5-6). Die dritte Gewährsperson, die auch Türkisch angibt, kommt aus Kasachstan, wo sie bis zu ihrem dritten Lebensjahr gelebt hat. Mit Kasachstan fühlt sie sich auch noch verbunden. Ihr Staatsangehörigkeit ist die deutsche. Mit ihren Eltern spricht sie Astrid Rothe 144 Russisch (18) N Prozent der Fälle Englisch 18 100,0 Russisch 18 100,0 Deutsch 17 94,4 Französisch 8 44,4 Türkisch 3 16,7 Spanisch 2 11,1 Tabelle 16: Sprachrepertoire, Erstsprache auch Russisch Die Schüler, die Polnisch als Erstsprache haben, können Polnisch, Englisch und Deutsch, außerdem fast zur Hälfte auch Französisch (vgl. Tabelle 17). 21 sowohl Russisch als auch Deutsch, mit ihren Freunden Russisch, Deutsch und Türkisch. Sie benotet ihren Sprachen wie folgt, Russisch: 2+, Englisch: 4+ Französisch: 4+ und Türkisch: 5. Es handelt sich also nicht um türkisch-russische Bilinguale, sondern um Schüler, die über Russisch als Erstprache verfügen und die auch (ein bisschen) Türkisch können (vgl. dazu Dirim / Auer 2004). 21 Drei dieser Schüler können außerdem Russisch. Genau wie die Teilstichprobe der Schüler mit Russisch als Erstsprache, die auch Türkisch können, ist die Teilstichprobe der Schüler, die Polnisch als Erstsprache haben und auch Russisch können, sehr klein. Das Profil dieser drei Gewährspersonen ist das folgende: Die erste Gewährsperson ist in Deutschland geboren und hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Mit Polen fühlt sie sich sehr stark verbunden. Sie gibt an, Deutsch, Polnisch, Englisch und Russisch zu können. Davon markiert sie Deutsch und Polnisch als Mutterbzw. Vatersprache. Mit Mutter und Vater spricht die Gewährsperson Deutsch; mit den Freunden Deutsch und Polnisch. Ihr Russisch benotet sie mit einer Fünf (Deutsch: 2, Polnisch: 3, Englisch: 2). Die zweite Gewährsperson, die Russisch als gekonnte Sprache angibt, ist auch in Deutschland geboren und hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Verbundenheit mit Polen gibt sie im mittleren Bereich mit „teils/ teils“ an. Sie nennt und benotet als gekonnte Sprachen Deutsch (1), Polnisch (2), Englisch (2), Französisch (4) und Russisch (5). Deutsch und Polnisch sind als Mutterbzw. Vatersprache markiert. Mit den Eltern und Freunden spricht die Gewährsperson nur Deutsch. Die dritte Gewährsperson dieser Teilstichprobe ist ebenfalls in Deutschland geboren und hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie fühlt sich sehr stark mit Oberschlesien verbunden. Als gekonnte Sprachen nennt diese Gewährsperson Deutsch, Englisch, Polnisch, Schlesisch und Russisch, die sie jedoch nicht benotet. Als Mutterbzw. Vatersprache markiert sie Polnisch und Schlesisch. Mit den Eltern spricht sie Deutsch und Polnisch und mit den Freunden Deutsch, Polnisch und Russisch. Die Russischkompetenz dieser Teilstichprobe ist also eher als eine marginal fremdsprachliche einzuschätzen. Deutsch und andere Sprachen 145 Polnisch (27) N Prozent der Fälle Polnisch 26 96,3 Englisch 25 92,6 Deutsch 24 88,9 Französisch 12 44,4 Russisch 3 11,1 Spanisch 2 7,4 Latein 2 7,4 Tabelle 17: Sprachrepertoire, Erstsprache auch Polnisch Auffällig ist auch hier, dass nicht alle Schüler angeben, Deutsch zu können. Bei den Schülern mit Polnisch als Erstsprache sind es sogar nur 24 von 27 Schülern (knapp 89 %; vgl. Tabelle 17), die Deutsch nennen. Ansonsten gilt für diese Schüler das gleiche wie für die Schüler mit Türkisch als Erstsprache: Deutsch ist vermutlich eine weitere Erstsprache oder eine früh erworbene Zweitsprache, während Englisch und Französisch Schulfremdsprachen sind. 3.2 Der Einfluss der Erstsprache auf Spracheinstellungen Auf der Suche nach den die Spracheinstellungen beeinflussenden Faktoren liegt der gerade beschriebene Faktor der Mutterbzw. Erstsprache sehr nah. Darauf deuten die Korrelationen mit dem Sprachrepertoire bereits hin (vgl. Tabelle 12). Es steht etwa zu erwarten, dass Menschen mit Deutsch als Erstsprache Deutsch positiv bewerten, besonders im Vergleich zu Menschen, die eine andere Erstsprache haben. Ebenso wäre es plausibel anzunehmen, dass das gleiche für andere Erstsprachen gilt, also dass die Einstellungen zum Russischen von Personen mit Russisch als Erstsprache andere sind, vermutlich positivere, als die von Personen mit einer anderen Erstsprache als Russisch. Bereits in der Repräsentativumfrage des Projekts deutet sich dies an. Darin wurde gefragt, welche Fremdsprachen in der Schule gelernt werden sollten. Türkisch wird als Antwort auf diese Frage besonders von denjenigen genannt, für die Deutsch nicht die Muttersprache ist (11,8 % vs. 1,5 % von Personen mit Deutsch als Muttersprache, von denen 21,5 % Türkisch angeben). Tatsächlich offenbart die statistische Analyse der in der Schülerumfrage erhobenen Daten mittels offener und geschlossener Fragen, dass der Faktor der Erstsprachigkeit ein statistisch stark signifikanter ist (vgl. dazu auch die statistischen Gruppenvergleiche in Plewnia / Rothe 2011). Im Folgenden wird be- Astrid Rothe 146 schrieben, inwiefern der Faktor der Erstsprachigkeit bei den erhobenen Spracheinstellungen signifikant ist. 22 Die folgenden Diagramme zeigen jeweils auf, wie hoch der Anteil an Nennungen für eine dichotome Variable (z. B. Englisch als Wunschsprache links in Diagramm 1) pro Ausprägung des als signifikant berechneten Prädiktors ist. Der in diesem Teil vorgestellte Prädiktor ist die Erstsprache mit den Ausprägungen Türkisch, Polnisch, Russisch und nur Deutsch. 23 In Diagramm 1 ist beispielsweise der Anteil an Nennungen für Englisch als Wunschsprache am höchsten bei denjenigen, die nur Deutsch als Erstsprache haben, und am geringsten bei denjenigen, die Polnisch als Erstsprache haben. wun Engl Bew Dt fremd Engl unsymp Arab L1 Türkisch L1 Polnisch L1 Russisch L1 nur Deutsch 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 1: Einstellungen zu Englisch, Arabisch und Deutsch und die Erstsprache der Befragten 22 Mithilfe einer logistischen Regression wird jeweils der Zusammenhang zwischen einer Reihe von unabhängigen Variablen (z. B. Erstsprache oder Geschlecht) mit einer dichotomen abhängigen Variable (z. B. Nennung oder Nicht-Nennung des Englischen als Wunschsprache) berechnet. Mit der logistischen Regression wird berechnet, wodurch beeinflusst wird, ob die dichotome abhängige Variable eher die eine oder eher die andere Ausprägung aufweist. Die potentiell erklärenden, unabhängigen Variablen werden auch Prädiktoren genannt. Wird einer dieser Prädiktoren als ein signifikanter Einflussfaktor berechnet, so heißt das, dass dieser Prädiktor bei der Erklärung der abhängigen Variable wesentlich ist. Der Prädiktor „Erstsprache“ weist in den logistischen Regressionen jeweils einen sehr großen Effekt auf. 23 Die Anteile für die Ausprägung des Prädiktors „sonstige Erstsprachen“ werden in Diagramm 1 bis Diagramm 4 nicht aufgeführt, da eine Interpretation aufgrund der heterogenen Zusammensetzung dieser Teilstichprobe wenig sinnvoll ist. Deutsch und andere Sprachen 147 Englisch als Wunschsprache wird von den Schülern aller Erstsprachen angegeben, etwas häufiger jedoch von Schülern mit nur Deutsch als Erstsprache. Als Schulfremdsprache wird Englisch nicht nur von Schülern mit nur Deutsch als Erstsprache genannt, sondern auch von Schülern mit Russisch und Polnisch als Erstsprache. Arabisch wird von den Schülern insgesamt eher selten als unsympathische Sprache angegeben, am häufigsten jedoch von Schülern mit Russisch und Polnisch als Erstsprache und gefolgt von Schülern mit anderen Erstsprachen außer Türkisch und nur Deutsch. Der Anteil an eher guten Bewertungen des Deutschen ist in allen Teilstichproben relativ hoch (geschlossene Frage, in Diagramm 1 und in folgenden Diagrammen abgekürzt als Bew), am höchsten erwartungsgemäß in der Teilstichprobe der Schüler, die nur Deutsch als Erstsprache haben, gefolgt von den Schülern, die auch Türkisch als Erstsprache angeben (vgl. Diagramm 1). Die Erstsprache ist auch für die Einstellung gegenüber den romanischen Sprachen Italienisch und Französisch signifikant (vgl. Diagramm 2). symp Span wun Span wun Ital symp Ital fremd Ital Bew Ital L1 Türkisch L1 Polnisch L1 Russisch L1 nur Deutsch 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 2: Einstellungen zu romanischen Sprachen und die Erstsprache der Befragten Die Muster lassen sich jedoch nicht so eindeutig interpretieren wie für das Türkische und das Russische. Das liegt vermutlich zum einen daran, dass Spanisch und Italienisch prestigereiche und traditionell in Deutschland gut verankerte Sprache sind (vgl. Plewnia / Rothe 2011), und zum anderen daran, dass die Stichprobe aufgrund der niedrigen Zahlen nicht aufgeteilt werden konnte in eine separate Spanisch-Schüler-Gruppe und in eine Italienisch-Schüler- Astrid Rothe 148 Gruppe. 24 Hervorzuheben ist, dass Italienisch und Spanisch besonders von Schülern mit nur Deutsch als sympathische Sprache, als Wunschsprache und als Fremdsprache, die in der Schule gelernt werden sollte, angegeben werden. Schüler mit Russisch als Erstsprache dagegen nennen Spanisch und Italienisch in diesen Kontexten eher weniger häufig (vgl. Diagramm 2 und die Analysen der Korrelationen zwischen den Einstellungen zum Russischen und den romanischen Sprachen in Kapitel 2.7). Für die Einstellungen zum Türkischen zeichnet sich ab, dass erwartungsgemäß besonders die Schüler mit Türkisch als Erstsprache Türkisch sympathisch finden, Türkisch als Wunschsprache angeben und als Sprache nennen, die in der Schule gelernt werden sollte (vgl. Diagramm 3). L1 Türkisch L1 Polnisch L1 Russisch L1 nur Deutsch symp Türk unsymp Türk wun Türk fremd Türk Bew Türk 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 3: Einstellungen zu Türkisch und die Erstsprache der Befragten Entsprechend finden diese Schüler umgekehrt Türkisch so gut wie gar nicht unsympathisch. Dagegen sind es besonders Schüler mit Polnisch oder Russisch als Erstsprachen, die Türkisch als unsympathische Sprache angeben (vgl. dazu auch Plewnia / Rothe 2011). Diese zwei Schülergruppen nennen Türkisch vergleichsweise deutlich häufiger als unsympathische Sprache als Schüler mit Deutsch oder einer anderen Erstsprache (der Anteil ist um 21,2 24 Schüler mit Spanisch oder Italienisch als Erstsprache sind, da sie in der Stichprobe zahlenmäßig im Vergleich zu den Teilstichproben mit Türkisch, Russisch und Polnisch als Erstsprachen nur wenig vertreten sind, gemeinsam mit Schülern anderer Erstsprachen (z. B. Griechisch, Arabisch) in der Teilstichprobe „sonstige Erstsprachen außer Deutsch“ zusammengefasst, die im Diagramm jedoch nicht gesondert aufgeführt wird. Deutsch und andere Sprachen 149 bzw. 28,9 Prozentpunkte höher). Das spiegelt sich auch in der Bewertung des Türkischen (geschlossene Frage): Den Schülern mit Türkisch als Erstsprache gefällt Türkisch fast ausschließlich sehr gut, den Schülern mit Deutsch oder einer anderen Erstsprache gefällt Türkisch auch eher gut, der Anteil an positiven Gefallensbewertungen seitens der Schüler mit Polnisch und Russisch als Erstsprachen ist dagegen eher gering (vgl. Diagramm 3). symp Russ wun Russ fremd Russ Bew Russ Bew Poln L1 Türkisch L1 Polnisch L1 Russisch L1 nur Deutsch 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 4: Einstellungen zu Russisch und Polnisch und die Erstsprache der Befragten Vergleichbar sind die Ergebnisse für das Russische. Es sind besonders und in hohem Maße die Schüler mit Russisch als Erstsprache, die Russisch sympathisch finden, als Wunschsprache nennen und als Sprache, die in der Schule gelernt werden sollte. Alle anderen Schüler geben Russisch in diesen Kategorien eher selten an, nur Schüler mit Polnisch als Erstsprache nennen vergleichsweise dazu ein wenig öfter Russisch als sympathische Sprache und als Wunschsprache. Diese Tendenz findet sich auch in den Bewertungen für das Russische. Russisch gefällt allen Schülern mit Russisch als Erstsprache besonders gut; sehr viele positive Gefallensbewertungen erhält das Russische auch wieder von den Schülern mit Polnisch als Erstsprache. Andersherum findet sich aber diese Bewertung nicht seitens der Schüler mit Russisch als Erstsprache für Polnisch: Polnisch wird lediglich von Schülern mit Polnisch mit hohem Anteil positiv bewertet, nicht aber von Schülern mit Russisch als Erstsprache (vgl. Diagramm 4; siehe auch Kapitel 2.7 und 2.8 und Plewnia / Rothe 2011). Astrid Rothe 150 3.3 Der Einfluss der Klassenmehrsprachigkeit auf Spracheinstellungen Die eigene Mehrsprachigkeit, also die Sprachen, die man als Erstsprachen beherrscht, hat also offenbar einen Effekt auf die Einstellungen gegenüber den eigenen und anderen Sprachen. Ebenso werden Spracheinstellungen von der Präsenz, der Relevanz und dem Prestige von Sprachen beeinflusst. 25 Niederländisch beispielsweise spielt besonders für die Schüler vom Niederrhein eine besondere Rolle (dazu siehe Kapitel 3.5). Es ist naheliegend, dass Schüler, die täglich mit anderen Sprachen in Form der Mehrsprachigkeit ihrer Mitschüler konfrontiert werden, (mindestens) gegenüber den durch die Mehrsprachigkeit ihrer Mitschüler repräsentierten und erlebten Sprachen andere Einstellungen haben - bzw. überhaupt Einstellungen gegenüber diesen Sprachen haben - als Schüler, die kaum oder gar keine Mitschüler mit mehreren Erstsprachen haben. Der im Folgenden untersuchte Faktor ist also der Effekt der Mehrsprachigkeit von Mitschülern auf nicht mehrsprachige monolingual deutsche Schüler. Dafür werden lediglich diejenigen Schüler betrachtet, die nur Deutsch als Erstsprache angeben, um den Einfluss der eigenen Mehrsprachigkeit (siehe die vorigen Kapitel) auszuschließen. Für jede erhobene Klasse wird ausgezählt, wieviel Prozent der Schüler eine andere Erstsprache als bzw. neben Deutsch haben. Diese Variable wird in eine ordinalskalierte Variable umgewandelt mit den Ausprägungen: wenig = 6,2 bis 20,8 Prozent, viel = 40 bis 50 Prozent, sehr viel = 53,3 bis 80 Prozent. Es wird dabei nicht differenziert, um welche anderen Sprachen es sich handelt, da dafür die Stichprobe nicht groß genug ist und die jeweiligen Sprachen für eine getrennte Analyse anteilsmäßig nicht stark genug vertreten sind. Schließlich wird mittels logistischer Regressionen berechnet, welchen statistischen Effekt der Anteil mehrsprachiger Schüler pro Klasse auf die erhobenen Spracheinstellungen der nur deutschsprachigen Schüler hat. Auch hier gilt, dass sich dieser Faktor in der Stichprobe nicht allein isolieren lässt. Vermutlich handelt es sich um eine Anhäufung von Faktoren (ein Faktorenbündel). Die Mehrsprachigkeit hängt beispielsweise mit der Urbanität zusammen. Der Anteil an mehrsprachigen Menschen ist in Städten höher als auf dem Land. Das spiegelt die Stichprobe wider: im urbanen Mannheim ist der 25 So hat etwa die Analyse der Repräsentativumfrage des Projekts gezeigt, dass die Deutschen aus den östlichen Bundesländern deutlich häufiger als die Deutschen aus den westlichen Bundesländern finden, dass Russisch als Schulfremdsprache unterrichtet werden sollte. Das liegt wohl daran, dass Russisch in den Bundesländern in der ehemaligen DDR aus historisch-politischen Gründen als Schulfremdsprache verankert ist. Deutsch und andere Sprachen 151 Anteil an mehrsprachigen Schülern höher (57,8 %) als im ländlichen Steinburg (12,9 %). Am Niederrhein ist der Anteil in der Realschule im urbaneren Kreis Wesel eher hoch (40,6 %) und im Gymnasium im ländlichen Kreis Kleve eher niedrig (12,4 %). Die im Folgenden erläuterten Diagramme bilden die Anteile an Nennungen pro Teilstichprobe ab. Betrachtet werden die Nennungen für die offenen Fragen nach Spracheinstellungen, also Wunschsprachen, sympathische Sprachen, unsympathische Sprachen und Schulfremdsprachen. Für die drei Ausprägungen der Variable der Klassenmehrsprachigkeit wenig, viel und sehr viel illustriert die Höhe des Balkens jeweils den prozentualen Anteil der Nennung einer Sprache. In Diagramm 5 sind die prozentualen Anteile der Nennungen für die romanischen Sprachen abgebildet. In Diagramm 6 sind die Mittelwerte der geschlossenen Bewertungsfrage des Sprachgefallens für die Sprachen aufgetragen je Ausprägung der Variable zur Klassenmehrsprachigkeit. In diesem Diagramm sind die Mittelwerte der Bewertungen aufgeführt, wie gut den Schülern Französisch, Türkisch und Polnisch gefallen. Da die Stichprobe geteilt ist in die drei Ausprägungen der Variable der Klassenmehrsprachigkeit, gibt es für jede bewertete Sprache jeweils drei Mittelwertsbalken (siehe Diagramm 6). In Diagramm 6 ist für das Französische etwa der Mittelwert der Teilstichprobe mit der Ausprägung wenig höher als die Mittelwerte der Teilstichproben mit der Ausprägung viel und sehr viel. symp Ital wun Span symp Frz fremd Frz wenig viel sehr viel 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 5: Einstellungen zu romanischen Sprachen und die Klassenmehrsprachigkeit Astrid Rothe 152 wenig viel sehr viel 2 1,5 1 0,5 0 -0,5 -1 -1,5 -2 Bew Frz Bew Türk Bew Poln Diagramm 6: Einstellungen zu romanischen Sprachen und die Klassenmehrsprachigkeit (geschlossene Frage; Teilstichprobe L1 nur Deutsch) unsymp Russ unsymp Poln unsymp Chin wun Engl fremd Engl wenig viel sehr viel 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 7: Einstellungen zum Russischen und die Klassenmehrsprachigkeit (Teilstichprobe L1 nur Deutsch) Französisch und Italienisch scheinen eher von Schülern weniger stark mehrsprachiger Klassen als sympathische Sprache und als Schulfremdsprache genannt zu werden (vgl. Diagramm 5), und sie gefallen diesen Schülern besser (vgl. Diagramm 6). Spanisch dagegen wird eher von Schülern mit nur Deutsch Deutsch und andere Sprachen 153 als Erstsprache als Wunschsprache genannt, in deren Klassen ein höherer Anteil an mehrsprachigen Schülern ist (vgl. Diagramm 5). Genauso werden Russisch und Polnisch eher von Schülern nicht mehrsprachiger Klassen als unsympathische Sprache genannt (vgl. Diagramm 7). Umgekehrt ist der Anteil an Nennungen nur deutschsprachiger Schüler für das Chinesische als unsympathische Sprache höher in Klassen, in denen sehr viele mehrsprachige Schüler sind. Englisch wird weniger häufig von Schülern als Wunsch- und Schulfremdsprache angegeben, die in Klassen mit sehr vielen mehrsprachigen Schülern sind. Türkisch wird besonders von Schülern als unsympathische Sprache angegeben, die in Klassen mit wenigen mehrsprachigen Schülern sind, und von Schülern, die in Klassen mit vielen mehrsprachigen Schülern sind (vgl. Diagramm 8). Nur deutschsprachige Schüler dagegen aus Klassen mit sehr vielen mehrsprachigen Schülern nennen Türkisch seltener als unsympathische Sprache. Dieses Muster zeigt sich auch - obgleich die Zahlen insgesamt nur sehr klein sind - für Türkisch als Wunschsprache und als Schulfremdsprache: mit steigendem Anteil an mehrsprachigen Schülern pro Klasse steigt auch der Anteil an Nennungen für das Türkische. Das entspricht auch der Gefallensbewertung für das Türkische (geschlossene Frage): Türkisch wird von nur deutschsprachigen Schülern deutlich positiver bewertet, die in Klassen mit dem höchsten Anteil mehrsprachiger Schüler sind (vgl. Diagramm 6). wenig viel sehr viel unsymp Türk wun Türk fremd Türk 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 8: Einstellungen zum Türkischen und die Klassenmehrsprachigkeit (Teilstichprobe L1 nur Deutsch) Astrid Rothe 154 Von einem anderen Typ sind die Einstellungen gegenüber Niederländisch und Latein (vgl. Diagramm 9). wenig viel sehr viel symp Ndl fremd Ndl unsymp Lat wun Ndl 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 9: Einstellungen zu Niederländisch und Latein und die Klassenmehrsprachigkeit (Teilstichprobe L1 nur Deutsch) Niederländisch finden besonders Schüler sympathisch, die als Erstsprache nur Deutsch angeben und die in Klassen mit nur wenigen mehrsprachigen Schülern sind. Diese Schüler nennen eher Niederländisch als Wunschsprache und als Schulfremdsprache. Hier konfundiert der Faktor des Anteils mehrsprachiger Schüler jedoch mit dem Faktor des Erhebungsortes, denn im niederrheinischen Gymnasium, in dem Niederländisch die nahe Nachbarsprache ist und als Schulfach unterrichtet wird, ist der Anteil an mehrsprachigen Schülern in allen Klassen sehr gering. Das gleiche gilt für Latein: Es geben zwar mehr Schüler aus Klassen mit einem sehr geringen Anteil mehrsprachiger Schüler Latein als unsympathische Sprache an. Das liegt aber daran, dass es sich dabei um Klassen des Gymnasiums handelt und in diesen Klassen Latein entweder Schulfremdsprache ist oder zumindest am Gymnasium Latein als Schulfremdsprache bekannt ist. An Real- und Hauptschulen dagegen wird Latein nicht als Schulfremdsprache unterrichtet und dürfte daher für die Schüler dieser Schulen eine weniger starke Rolle spielen. Deutsch und andere Sprachen 155 3.4 Der Einfluss des Geschlechts Ein weiterer potentieller soziodemographischer Faktor, der Einfluss auf die Spracheinstellungen haben könnte, ist das Geschlecht der Befragten. Die Ergebnisse der Schülerumfrage zeigen, dass es tatsächlich Unterschiede zwischen den Spracheinstellungen der Schüler und Schülerinnen gegenüber Fremdsprachen und auch gegenüber dem Deutschen gibt. 26 Die nächsten drei Diagramme zeigen auf die gleiche Weise wie in den Abschnitten 3.2 und 3.3 die Anteile der Nennungen für den Faktor Geschlecht für die offenen Nennungen (vgl. Diagramm 10 und Diagramm 12) und den Vergleich der Mittelwerte für die geschlossene Bewertung des Sprachgefallens für Spanisch, Italienisch und Französisch (vgl. Diagramm 11); lediglich für diese drei sind die Mittelwertsunterschiede für den Faktor Geschlecht signifikant. symp Span wun Ital fremd Span symp Ital fremd Ital symp Frz weiblich männlich 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 10: Einstellungen zu romanischen Sprachen und das Geschlecht der Befragten (offene Fragen; Teilstichprobe L1 nur Deutsch) 26 Für diese Analyse wurden die Schüler und Schülerinnen einbezogen, die nur Deutsch als Erstsprache angeben. Diese Auswahl wurde getroffen, um den Einfluss des Faktors der Mehrsprachigkeit auszuschließen (dazu siehe die vorigen Kapitel). Der Analyse liegt eine logistische Regression zugrunde. Für die logistische Regression wurden die Mehrfachnennungen auf die offenen Fragen und die Antworten auf die geschlossenen Bewertungsfragen als binäre Variablen kodiert (vgl. Fußnote 22); für diese wurde dann als abhängige Variablen in einer logistischen Regression berechnet, welche Prädiktoren signifikant sind - u. a. das Geschlecht. Astrid Rothe 156 weiblich männlich 2 1,5 1 0,5 0 -0,5 -1 -1,5 -2 Bew Span Bew Ital Bew Frz Diagramm 11: Einstellungen zu romanischen Sprachen und das Geschlecht der Befragten (geschlossene Frage; Teilstichprobe L1 nur Deutsch) Besonders große Unterschiede zwischen den Einstellungen der Schülerinnen und Schüler gibt es bei den romanischen Sprachen Spanisch, Italienisch und Französisch. Diese Sprachen werden von den Schülerinnen jeweils deutlich häufiger als Wunschsprache, als sympathische Sprache und als Schulfremdsprache angegeben als von den Schülern (vgl. Diagramm 10). Dazu passt, dass diese drei Sprachen den Schülerinnen besser gefallen als den Schülern (geschlossene Frage, vgl. Diagramm 11). 27 Ein weiteres Muster bezüglich des Geschlechts der befragten Schüler betrifft die Nennung des Chinesischen. Die Schüler haben dem Chinesischen gegenüber eine besonders positive Einstellung (vgl. Diagramm 12): Sie geben Chinesisch viel häufiger als Wunsch- und als Schulfremdsprache an als die Schülerinnen, und sie nennen es weniger oft als unsympathische Sprache. Außerdem geben die Schüler häufiger als die Schülerinnen Deutsch als sympathische Sprache an (vgl. Diagramm 12). 27 Dazu passt auch, dass die Schülerinnen ihr Französisch jeweils besser benoten (3,2) als die Schüler (3,6; t(257) = '3,53, p<0,001, r = 21). Deutsch und andere Sprachen 157 unsymp Chin wun Chin fremd Chin symp Dt weiblich männlich 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent Diagramm 12: Einstellungen zum Chinesischen und das Geschlecht der Befragten (Teilstichprobe L1 nur Deutsch) 3.5 Der Einfluss des Wohnorts Wie im Kapitel über Einstellungen zu Dialekten dargelegt wird, spielen die Herkunft und die Raumbiographie (dazu siehe Plewnia / Rothe in diesem Band) für Spracheinstellungen eine wichtige Rolle. Es steht also zu erwarten, dass diese auch bei Einstellungen gegenüber (anderen) Sprachen relevant sind. 28 Effekte in der Bewertung von Sprachen und in der Sympathiebekundung für Sprachen lassen sich auch in der Schülerumfrage finden. Türkisch etwa gefällt den Schülern aus Mannheim deutlich besser als den Schülern aus dem Kreis Steinburg. In Mannheim ist allerdings der Anteil an mehrsprachigen Schülern besonders hoch (was auch ein Grund dafür war, die Studie dort durchzuführen). Für die Schülerumfrage ist der Faktor Erhebungsort also nicht ohne Einschränkung als Herkunftsvariable zu interpretieren. Des Weiteren sind unter diesem Faktor vermutlich auch Unterschiede zwischen Stadt und Land erfasst, 29 die aber nicht klar voneinander abgegrenzt werden können, da sie 28 Ein Hinweis darauf zeigt sich bereits in der detaillierten Auswertung der Ergebnisse der Repräsentativumfrage des Projekts für die Bewertung von Sympathie zu fremdsprachigen Akzenten. Der italienische Akzent, also wenn Deutsch mit einem italienischen Akzent gesprochen wird, wird besonders von Personen aus den südlichen, näher an Italien gelegenen Bundesländern Deutschlands angegeben (vgl. Plewnia / Rothe 2011). 29 Zwischen Stadt und Land gibt es etwa erhebliche Unterschiede bezüglich der Siedlungskonzentration einzelner Nationalitäten (vgl. Schönwälder / Söhn / Schmid 2007). Astrid Rothe 158 sich nicht eineindeutig auf den Erhebungsort aufteilen. Mannheim kann als städtisch gelten, während die erfasste Schule im Kreis Steinburg in einer eher ländlichen Umgebung liegt. Am Niederrhein ist der Kreis Wesel eher städtisch, der Kreis Kleve ist dagegen eher ländlich. Trotzdem liefern die Daten wertvolle Ergebnisse und zeigen Muster, Tendenzen und Effekte auf, die es jeweils in ihren entsprechenden Rahmen zu stellen und zu interpretieren gilt. Um den Effekt des Erhebungsortes vernünftig interpretieren zu können, bietet es sich beispielsweise an, zumindest die eigene Mehrsprachigkeit der Schüler als Faktor auszuschließen - wie es auch bei der Beschreibung des Einflusses des Faktors Geschlecht durchgeführt wurde. Das kann erreicht werden, indem man die Angaben der Schüler betrachtet, die als Erstsprache nur Deutsch angeben. 30 Ein deutlicher Effekt des Erhebungsortes findet sich (neben der bereits erwähnten Antipathienennung für Latein) auch für das Niederländische (vgl. Diagramm 13). 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 in Prozent unsymp Ndl fremd Ndl unsymp Lat Steinburg Niederrhein Mannheim Diagramm 13: Einstellungen zu Niederländisch und Latein und der Erhebungsort (Teilstichprobe L1 nur Deutsch) Als Sprache, die an der Schule gelernt werden sollte, wird Niederländisch beinahe ausschließlich von niederrheinischen Schülern genannt. Die Niederlande und damit Niederländisch sind für diese Schüler stark präsent zum 30 Die Auswahl dieser Teilstichprobe wird bereits bei der Untersuchung der Faktoren Klassenmehrsprachigkeit und Geschlecht durchgeführt. Deutsch und andere Sprachen 159 einen durch die geographische Nähe und zum anderen dadurch, dass Niederländisch am niederrheinischen Gymnasium in der 10. Klasse als Schulfremdsprache gewählt werden kann und es somit einen festen Platz in der Alltagswirklichkeit der Schüler hat. Für die Schüler aus Steinburg oder aus Mannheim spielt das Niederländische als Schulfremdsprache dagegen keine Rolle. Die etablierte Präsenz des Niederländischen für die niederrheinischen Schüler zeigt sich auch darin, dass der größte Anteil an Nennungen für das Niederländische als unsympathische Sprache besonders von den niederrheinischen Schülern kommt. Die Präsenz in der Alltagswirklichkeit ist also Voraussetzung für sowohl Sympathieals auch Antipathiebekundungen (vgl. dazu beispielsweise auch die Bewertung der südwestdeutschen Varietäten in Berlin und Brandenburg in Plewnia / Rothe in diesem Band). Hinzu kommt, dass die Erhebungsorte nicht ohne Weiteres miteinander verglichen werden können, da ein Zusammenhang mit der Schulart besteht. Latein etwa wird besonders von den Schülern vom Niederrhein als unsympathische Sprache angegeben (vgl. Diagramm 13). Dass die Mehrheit der Nennungen für Latein als unsympathische Sprache vom Niederrhein kommt, liegt jedoch nicht an der Geographie der Erhebungsorte, sondern an der Art der Schulen, in denen jeweils die Studie durchgeführt wurde. 4. Zusammenfassung Diese Analysen zeigen, dass es Muster und Faktoren für Spracheinstellungen zu Sprachen gibt. Die Sympathie für eine romanische Sprache geht beispielsweise einher mit Sympathien für andere romanische Sprachen. Geht es jedoch darum, diese Sprachen als Schulfremdsprache oder als Wunschsprache auszuwählen, dann schließen sich die romanischen Sprachen gegenseitig aus. Das gilt besonders bei den Schulfremdsprachen. Es wird entweder Spanisch oder Französisch als gewünschte Schulfremdsprache angegeben. Mit dem Englischen dagegen schließt sich die Nennung des Französischen als Schulfremdsprache nicht aus. Das liegt wohl an einem lernökonomischen Phänomen. Das Englische ist als Schulfremdsprache gesetzt. Die Angabe des Englischen ist also selbstverständlich. Die Auswahl einer zweiten, weiteren Sprache, die zusätzlich zum gesetzten Englisch noch gelernt werden soll, ist dagegen freier. Französisch ist für diesen zweiten Platz die üblichere Auswahl, denn die Kombination von Englisch und Französisch als Schulfremdsprache ist die in der Schule und für die meisten Schüler übliche (siehe Kapitel 3.1 für die Analyse des Sprachrepertoires der befragten Schüler). Auffällig ist des Weiteren, dass es ein gegenseitiges Ausschließen von Einstellungen Astrid Rothe 160 zu den romanischen Sprachen und zum Russischen gibt. Man findet etwa entweder die romanischen Sprachen sympathisch oder das Russische. Besonders stark ist der Gegensatz von Französisch und Russisch. Deutliche Zusammenhänge zeigte die Auswertung der Korrelationen außerdem zwischen Russisch und Polnisch. Die Sympathie für das Polnische geht zumeist mit Sympathie für das Russische einher. Dies liegt wohl nicht zuletzt an den Erstsprachen der Schüler. Betrachtet man die Stichprobe getrennt nach Erstsprachen, erweist sich der Faktor der Erstsprachigkeit als ein stark signifikanter. Eher positive Einstellungen haben Schüler für eine Sprache, wenn es sich dabei um ihre Erstsprache handelt. Türkisch etwa wird besonders von denjenigen positiv bewertet, für die Türkisch eine Erstsprache ist, während besonders Schüler mit Russisch und Polnisch als Erstsprachen eine konträre Einstellung zum Türkischen aufweisen. Russisch und Polnisch werden auch besonders von den Schülern positiv bewertet, für die es eine Erstsprache ist. Die Sympathie für das Russische wird dabei zusätzlich von Schülern mit Polnisch als Erstsprache geteilt. Umgekehrt zeichnen sich die Einstellungen der Schüler mit Russisch als Erstsprache jedoch nicht mit einer besonderen Sympathie für das Polnische aus. Über die verschiedenen Einstellungs- und Bewertungsfragen hinweg zeigt sich also, dass die Erstsprache die Spracheinstellungen stark beeinflusst. Weitere signifikante soziodemographische Faktoren sind neben der Erstsprache das Geschlecht und der Wohnort. Ein weiterer Faktor, der in dieser Analyse lediglich in Ansätzen untersucht werden konnte, ist die erlebte Mehrsprachigkeit. Diese wurde über den Anteil mehrsprachiger Schüler pro Klasse erfasst und für Schüler mit nur Deutsch als Erstsprache ausgewertet. Tatsächlich scheint dieser Faktor einen Effekt auf die Einstellungen anderen Sprachen gegenüber zu haben. Jedoch müsste dieser systematischer isoliert und getestet werden, um diese Ergebnisse zu stützen und zu präzisieren. Deutsch und andere Sprachen 161 5. Literatur Anstatt, Tanja (2011): Russisch in der zweiten Generation: Zur Sprachsituation von Jugendlichen aus russischsprachigen Familien in Deutschland. In: Eichinger, Ludwig M. / Plewnia, Albrecht / Steinle, Melanie (Hg.): Sprache und Integration. Über Mehrsprachigkeit und Migration. (= Studien zur Deutschen Sprache 57). Tübingen: Narr, S. 101-128. Berend, Nina (2009): Vom Sprachinseldialekt zur Migrantensprache. Anmerkungen zum Sprachwandel der Einwanderungsgeneration. In: Liebert, Wolf-Andreas / Schwinn, Horst (Hg.): Mit Bezug auf Sprache. Festschrift für Rainer Wimmer. 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Mit all diesen Fragen hat sich das vorliegende Teilprojekt im Rahmen dieses von der Volkswagenstiftung geförderten Forschungsprojekts beschäftigt. Ausgehend von sozialpsychologischen Theorien und Methoden, wurden Spracheinstellungen in Deutschland näher untersucht. Im Folgenden wird eine Reihe von sozialpsychologischen Studien vorgestellt, in denen Einstellungen zu verschiedenen Sprachen bzw. Sprachvarietäten und ihren SprecherInnen erfasst und zugrunde liegende Mechanismen dieser Einstellungen untersucht wurden. Der erste Forschungsschritt bestand dabei in der Entwicklung und Validierung eines neuen Instruments, mit dem Einstellungen gegenüber unterschiedlichen Sprachen und Sprachvarietäten erfasst werden können. Da ein solches Instrument, das einerseits spezifisch genug auf Spracheinstellungen fokussiert ist, andererseits aber allgemein genug ist, um auf verschiedene Sprachen und Sprachvarietäten wie z. B. Dialekte angewandt zu werden, bislang nicht existierte, war an dieser Stelle eine solche Methodenentwicklung notwendig. Mit diesem neu entwickelten Instrument wurden dann die Einstellungen zu Sprachen wie Deutsch, Englisch und Französisch aber auch zu Sprachvarietäten wie Bairisch und Sächsisch vergleichend untersucht. Neben einer Validierung im deutschen Sprachraum wurden Erhebungen in England, Frankreich, Italien, Spanien und Serbien durchgeführt. Die Befunde bestätigen zunächst die sprachübergreifende Validität und Reliabilität des neuen Maßes. Darüber hinaus weisen sie sprachspezifische Einstellungsprofile auf. Im weiteren Projektverlauf lag der Fokus dann auf der Wahrnehmung und Bewertung der englischen Sprache. Als lingua franca übt die englische Sprache einerseits einen entscheidenden Einfluss auf die deutsche Sprache aus. So Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 164 wurde in der Repräsentativumfrage im Englischen ein wichtiger Einfluss gesehen, der für Veränderungen in der deutschen Sprache verantwortlich sei (z. B. Anglizismen; siehe Eichinger et al. 2009). Andererseits spielt die Beherrschung der englischen Sprache in vielen beruflichen Kontexten eine wichtige Rolle und Englisch wird häufig als erste Fremdsprache an deutschen Schulen gelehrt. In den vorliegenden Studien wurde deshalb zum einen untersucht, wie die Verwendung von Anglizismen bewertet wird, zum anderen, wie sich ein deutscher Akzent im Englischen auf die Personenwahrnehmung und -beurteilung auswirkt. Im letzten Teil dieses Beitrags geht es schließlich um Stereotype und Vorurteile gegenüber fremdsprachigen Akzenten im Deutschen. In diesem Zusammenhang wird eine Studie vorgestellt, die den Einfluss eines französischen und eines russischen Akzents auf die Personenbewertung in einem Einstellungsgespräch untersucht. Akzente, so die hier untersuchte Hypothese, können Stereotype und Vorurteile gegenüber den sprechenden Personen aktivieren. Anders herum wurde in einer zum Abschluss dargestellten Studie geprüft, ob sich wechselseitige Stereotype und Vorurteile (hier von deutschen und türkischen SchülerInnen) auch darin ausdrücken können, wie positives und negatives Verhalten der eigenen und der jeweils anderen Gruppe sprachlich beschrieben wird. 1. Einstellungen als Untersuchungsgegenstand Ein wichtiges Teilgebiet der sozialpsychologischen Forschung ist die Erfassung von Einstellungen. Der Begriff der Einstellung hat seit seiner Einführung in die Sozialpsychologie von Thomas / Znaniecki (1918) viele verschiedene Definitionen erfahren. Die meisten von ihnen stellen dabei den bewertenden Charakter von Einstellungen heraus. Eagly / Chaiken (1993, S. 1) verstehen z. B. unter einer Einstellung: „a psychological tendency that is expressed by evaluating a particular entity with some degree of favour or disfavour“. Dabei kann es sich um eine zusammenfassende Bewertung einer Person, eines Objektes oder eines Konzeptes handeln, im vorliegenden Zusammenhang also beispielsweise um die deutsche Sprache. In der Literatur wird häufig zwischen ein- und mehrdimensionalen Einstellungsmodellen unterschieden. So differenzieren einige AutorInnen z. B. zwischen einer kognitiven, affektiven und konativen (handlungsorientierten) Einstellungskomponente. Die kognitive Komponente beschreibt Überzeugungen und Meinungen bezüglich der Eigenschaften des Einstellungsobjektes (z. B. „Die deutsche Sprache ist schwer zu lernen“). Gefühle und Emotionen bilden die affektive Komponente (z. B. Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 165 „Ich liebe die deutsche Sprache“). Die verhaltensbasierte Komponente schließlich setzt sich aus Verhaltenstendenzen und -intentionen dem Einstellungsobjekt gegenüber zusammen (z. B. „Ich würde niemanden in meinem Unternehmen einstellen, der kein reines Hochdeutsch spricht“). Eindimensionale Modelle halten dagegen die Unterscheidung dieser Komponenten aufgrund ihres hohen Zusammenhangs untereinander für nicht sinnvoll und legen ausschließlich Wert darauf, dass die Einstellungsmessung immer die oben zitierte evaluative Komponente enthalten sollte (für eine Übersicht siehe Stahlberg / Frey 1996). Einstellungen können einerseits als relativ stabile, zeitlich überdauernde Konstrukte verstanden werden, die bei der Begegnung mit dem Einstellungsobjekt aus dem Gedächtnis abgerufen werden (chronische Verfügbarkeit; z. B. fällt mir sofort ein, dass ich die deutsche Sprache liebe, wenn ich ein Gedicht lese). Andererseits können Einstellungen aber auch in einer gegebenen Situation konstruiert und durch Informationen, die in dieser spezifischen Situation aufgenommen werden (temporäre Verfügbarkeit), beeinflusst werden (Higgins / King 1981, Lord / Lepper 1999, Schwarz / Bless 1992). So könnte ich nach meiner Einstellung zum „französischen Akzent“ gefragt werden. Ich überlege dann vielleicht, wo mir dieser Akzent in der Vergangenheit begegnet ist, ob ich andere Personen kenne, die sich über diesen Akzent schon einmal geäußert haben und mein Urteil könnte anders ausfallen, je nachdem, ob ich gerade aus meinem Frankreichurlaub zurückkomme oder von einer Kollegin am Arbeitsplatz befragt werde. Schließlich wird in der Literatur zwischen sogenannten expliziten und impliziten Einstellungen unterschieden (für eine Übersicht siehe Fazio / Olson 2003). Explizite Einstellungen sind bewusst und lassen sich in Worte fassen, wenn man nach ihnen gefragt wird. Abweichend davon sind implizite Einstellungen nicht oder zumindest nicht vollständig bewusst. Sie können aber dennoch Verhalten steuern (z. B. dazu führen, dass man gegenüber Mitgliedern von Minoritäten weniger hilfsbereit ist als gegenüber Mitgliedern der Majorität). Neuere Methoden der Sozialpsychologie erlauben heute auch solche impliziten Einstellungen zu messen. Gemeinsam ist allen Einstellungen ihre Funktion, die Wahrnehmung einer komplexen Umwelt zu organisieren, zu kategorisieren und zu vereinfachen. Entsprechend kann mir die Sprache einer Person oder ihr Akzent dabei helfen einzuschätzen, inwieweit die Person mir ähnlich ist oder einen vergleichbaren kulturellen Hintergrund hat wie ich selbst. Relevant sind Einstellungen auch deshalb, weil sie das eigene Verhalten oder das Verhalten anderer, die Infor- Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 166 mationsverarbeitung sowie soziale Interaktionen beeinflussen können und einen Teil unseres Selbstkonzepts darstellen (Frey / Stahlberg / Gollwitzer 1993). So könnte ich jemandem, dessen Akzent mir vertraut ist, mehr Vertrauen entgegenbringen als einer anderen Person mit einem mir fremden Akzent. Obwohl die Erfassung von Einstellungen und die Entwicklung entsprechender Messverfahren ein Kerngebiet der Sozialpsychologie darstellt, wurden Einstellungen gegenüber Sprachen und SprecherInnen früher weitestgehend vernachlässigt und erst in jüngerer Zeit von einigen ForscherInnen zum Untersuchungsgegenstand gewählt (z. B. Mulac 1975, Yzerbyt / Provost / Corneille 2005, Zahn / Hopper 1985). Das vorliegende Teilprojekt war somit in besonderer Weise der Untersuchung von Spracheinstellungen gewidmet. 2. Erfassung von Spracheinstellungen - ein neues Maß Einstellungen sind einer unmittelbaren Beobachtung nicht zugänglich. Sie können aber durch explizite oder implizite Einstellungsmaße erfasst werden. Betrachten wir zunächst die explizite Messung. Hier werden Personen direkt nach ihren Einstellungen dem fraglichen Objekt gegenüber befragt. Ein häufig eingesetztes Messverfahren ist z. B. das sogenannte semantische Differential (Osgood / Suci / Tannenbaum 1957), das den Vorteil hat, dass es Einstellungen zu ganz unterschiedlichen Objekten mit vergleichbaren Fragen erfassen kann. Es besteht aus einer Liste von fünf- oder siebenstufigen bipolaren Skalen, deren Pole durch antonyme Adjektive bezeichnet sind (z. B. 1 = angenehm; 5 = unangenehm). Osgood / Suci / Tannenbaum (1957) fanden über eine große Anzahl von Studien hinweg, in denen sie ganz unterschiedliche Konzepte auf einer langen Liste von Adjektivpaaren einschätzen ließen, drei entscheidende Faktoren: Evaluation (z. B. gut - schlecht), Macht (z. B. stark - schwach) und Aktivität (z. B. schnell - langsam). Sie konnten in ihren empirischen Arbeiten zur Bewertung von Konzepten nachweisen, dass sich mit diesen drei Dimensionen das Einstellungsspektrum zu ganz unterschiedlichen Einstellungsobjekten abbilden lässt. Allerdings, so stellte bereits Osgood (1962) fest, lassen sich diese Einstellungsinstrumente noch in ihrer Zuverlässigkeit verbessern, wenn sie neben dem allgemeinen Kern, der auf alle Objekte angewandt werden kann, dem fraglichen Objekt spezifisch angepasste Eigenschaftspaare enthalten. Während es jedoch inzwischen einige Maße zur Erfassung von Einstellungen gegenüber SprecherInnen gibt (z. B. Mulac 1975, Zahn / Hopper 1985), existiert bislang unseres Wissens kein systematisches, reliables und valides Messinstrument zur Erfassung von Einstellungen gegenüber einer Sprache an sich. Eine Reihe von Studien hatte deshalb zum Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 167 Ziel, ein neues Maß zur Erfassung von Spracheinstellungen, die Attitudes Towards Languages- (AToL)-Skala, zu entwickeln und zu validieren (Roessel et al. 2010, Roessel / Schoel / Stahlberg 2011, Schoel / Roessel et al. 2012). In Vorarbeiten wurden von unserer Arbeitsgruppe 64 semantische Differentiale (Items) entwickelt, die die Einstellung gegenüber Sprache abbilden können. Diese Sammlung enthielt unter anderem Items des klassischen Instruments von Osgood / Suci / Tannenbaum (1957), aber auch eigene, dem spezifischen Sprachkontext angepasste Items. Eine studentische Stichprobe beurteilte die deutsche Sprache auf diesen semantischen Differentialen (z . B. „Die deutsche Sprache ist…“: 1 = schön; 7 = hässlich). Eine explorative Faktorenanalyse (ein statistisches Verfahren, das aus dem Zusammenhang zwischen den einzelnen Bewertungen eines Objekts wie der deutschen Sprache, Basisdimensionen der Bewertung, sogenannte „Faktoren“, extrahiert) ergab wie bei Osgood / Suci / Tannenbaum (1957) eine Dreifaktorenlösung, aber mit den sprachspezifischen Faktoren Wert (z. B. kostbar - wertlos, interessant - langweilig), Klang (z. B. warm - kalt, weich - hart) und Struktur (z. B. logisch - unlogisch, systematisch - unsystematisch). Die weiteren Studien bauten auf diesen ersten Vorarbeiten auf. Entwicklung der AToL-Skala In einer Serie von drei Studien wurde die AToL-Skala entwickelt und validiert. Eine umfassende Darstellung der Entwicklung und Anwendung der AToL-Skala (auch in Bezug auf Zusammenhänge und Einstellungen gegenüber SprecherInnen) findet sich in Schoel / Roessel et al. (2012). Zunächst wurden hierfür semantische Differentiale (Items) entwickelt, die die Einstellung gegenüber Sprache abbilden können. Diese Sammlung enthielt unter anderem Items des klassischen Instruments von Osgood und Kollegen (Osgood / Suci / Tannenbaum 1957), aber auch eigene dem spezifischen Sprachkontext angepasste Items. Um Einstellungen gegenüber Sprache erfassen zu können, abgrenzbar von Einstellungen gegenüber SprecherInnen, wurden Items, die eine primäre Assoziation mit Personenbewertungen aufwiesen, ausgeschlossen. Dabei sollte das Messinstrument möglichst auf verschiedene Sprachen und Sprachvarietäten anwendbar sein. Studien in Deutschland: In den ersten beiden Studien wurden die Teilnehmenden zu Ihren Einstellungen bezüglich Deutsch, Englisch, Französisch, Bairisch und Sächsisch befragt. Neben Deutsch wurden Englisch und Französisch als weitere Sprachen ausgewählt, weil diese die Sprachen darstellen, die Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 168 am häufigsten als Schulfremdsprachen unterrichtet werden. Bairisch und Sächsisch sind hingegen Dialekte mit einer hohen nationalen Präferenz (vgl. Plewnia / Rothe in diesem Band, Kap. 2.1). Es konnte also davon ausgegangen werden, dass die Befragten sich etwas unter den jeweiligen Sprachen bzw. Sprachvarietäten vorstellen konnten. Ähnlich wie bei Osgood / Suci / Tannenbaum (1957) fanden wir über die Sprachen und Sprachvarietäten hinweg, dass sich sprachbezogene Einstellungen auf drei Dimensionen abbilden lassen: Wert (z. B. abstoßend - anziehend), Klang (z. B. weich - hart) und Struktur (z. B. logisch - unlogisch). Die Analysen führten so zu einer allgemein anwendbaren Skala mit 15 Items zur Erfassung von Spracheinstellungen (siehe Schoel / Roessel et al. 2012), die so allgemein wie möglich (auf verschiedene Sprachen und Sprachvarietäten anwendbar) und dabei so sprachspezifisch wie nötig ist (alle wichtigen Komponenten dieser Einstellungen werden durch drei Unterskalen reliabel erfasst). Eine zweite sich anschließende Frage war nun, ob sich mit diesem neuen Instrument auch Unterschiede in den Einstellungen zu verschiedenen Sprachen / Sprachvarietäten erfassen lassen. In der Tat zeigten sich spezifische Profile. So wurde die deutsche Sprache als sehr strukturiert bewertet, wohingegen ihr Klang als eher hart und eckig wahrgenommen wurde. Anders sah es bei den Dialekten aus: Sie schnitten auf der Wert- und auf der Strukturdimension weniger positiv ab (insbesondere Sächsisch). Dafür erhielten sie die positivsten Werte auf der Klangdimension. In Bezug auf die Fremdsprachen zeigte sich, dass Französisch am positivsten auf Wert und Klang bewertet wurde, hingegen weniger positiv auf Struktur. Bei Englisch zeigte sich keine Differenzierung auf den drei Dimensionen - die lingua franca wurde gleichermaßen positiv auf Wert, Klang und Struktur bewertet. Sprachübergreifender Vergleich Ziel einer dritten Studie war es schließlich, die Anwendbarkeit der AToL-Skala auch in anderen Sprachen zu überprüfen und gleichzeitig die Bewertung dieser Sprachen von ihren jeweiligen MuttersprachlerInnen 1 zu erfassen. Zu diesem Zweck wurde die AToL-Skala in fünf verschiedene Sprachen übersetzt und in England, Frankreich, Italien, Spanien und Serbien eingesetzt. Die Wahl fiel auf England und Frankreich, weil die Einstellungen der englischen und 1 Die Bezeichnung MuttersprachlerInnen wird hier der Einfachheit halber verwendet. Tatsächlich handelte es sich generell um Personen, die in dem jeweiligen Land lebten, in dem die Sprache primär gesprochen wird, und die somit alltäglich mit dieser Sprache konfrontiert wurden. Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 169 französischen MuttersprachlerInnen mit jenen der deutschen Stichproben in Studie 1 und 2 verglichen werden sollten. Italienisch und Spanisch wurden als zusätzliche romanische Sprachen neben Französisch ausgewählt. Hierbei handelt es sich um Sprachen, die sowohl in der Repräsentativumfrage (Eichinger et al. 2009) als auch in der Schülerumfrage in Rothe (in diesem Band, Kap. 1) als sympathische Akzente bzw. Sprachen genannt wurden. Weil möglichst verschiedene Sprachfamilien abgedeckt werden sollten, wurde schließlich Serbisch als slawische Sprache ausgewählt (dabei zählt Englisch, wie auch Deutsch, zu den germanischen Sprachen). Unsere Ergebnisse belegen, dass sich die Bedeutung der drei Dimensionen Wert, Klang und Struktur auch in anderen Sprachen zeigt. Obwohl alle Befragten dieser internationalen Studie ihre Muttersprache bewerteten, zeigten sich differenzierende Profile auf den Dimensionen. Allerdings stach heraus, dass sich bei fast allen Sprachen die positivste Bewertung auf der Wertdimension zeigte - die eigene Landessprache wird also grundsätzlich gemocht, wobei sich diese Vorliebe am stärksten in Frankreich zeigte. Von diesem allgemeinen Befund wich nur Serbisch ab - ähnlich wie bei Deutsch erhielt es die höchsten Werte auf der Struktur- und die niedrigsten auf der Klangdimension. Hier scheint sich eine Spezifität von Sprachen zu zeigen, die eher hart klingen, wofür aber deren Struktur positiv hervorgehoben wird. Für weitere sprachspezifische Befunde verweisen wir auf Schoel / Roessel et al. (2012). Bewertung der Sprechergruppen In Studie 2 und 3 wurden neben den Einstellungen zu den verschiedenen Sprachen und Sprachvarietäten auch die Einstellungen zu den jeweiligen Sprechergruppen erfasst. Grund dafür war, dass Einstellungen zur eigenen und zu fremden Sprachen nicht nur auf sprachinhärenten Merkmalen, sondern auch auf stereotypen Vorstellungen über die Sprechergruppen selbst beruhen können. Fiske et al. (2002) postulieren in ihrem Modell des Stereotypeninhalts, dass Stereotype durch die zwei primären Dimensionen Kompetenz und Wärme abgebildet werden. Entsprechend wurden die Stereotype bezüglich der SprecherInnen der jeweiligen Sprachen und Sprachvarietäten auf den Dimensionen Kompetenz (effizient, kompetent, erfahren, selbstsicher, intelligent, fähig) und Wärme (vertrauenswürdig, freundlich, aufrichtig, gutmütig, wohlmeinend, warm; Items übernommen von Fiske et al. 2002) gemessen. Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 170 Um den Zusammenhang zwischen der Bewertung der Sprachen bzw. Sprachvarietäten und den Bewertungen der SprecherInnen zu ermitteln, betrachteten wir die Korrelationen (Zusammenhangsanalyse) von Kompetenz und Wärme mit den drei Skalen Wert, Klang und Struktur. Es zeigte sich, dass die AToL- Dimensionen in beiden Studien mit Kompetenz und Wärme korrelierten. Während Wert und Struktur jedoch stärker mit Kompetenz zusammenhingen, wies Klang eine höhere Korrelation mit Wärme auf. Dieser Befund weist auf einen deutlichen und dimensionsspezifischen Zusammenhang zwischen Sprach- und Sprecherbewertung hin. Bei der Betrachtung der Mittelwerte für Kompetenz und Wärme ergaben sich eindeutige Unterschiede in der Bewertung der SprecherInnen der jeweiligen Sprache bzw. Sprachvarietät. In Studie 2 wurden deutsche SprecherInnen am kompetentesten eingeschätzt, gefolgt von Englisch-, Französisch- und BairischsprecherInnen, die sich nicht unterschieden. Die niedrigsten Kompetenzeinschätzungen ergaben sich für SächsischsprecherInnen. Bezüglich Wärme ergaben sich hingegen keine Bewertungsunterschiede. Bei Betrachtung der einzelnen Sprachen und Sprachvarietäten zeigten sich zudem unterschiedliche Bewertungsmuster. Während deutschen SprecherInnen mehr Kompetenz als Wärme zugeschrieben wurde, erhielten Bairisch- und SächsischsprecherInnen höhere Bewertungen auf der Wärmeals auf der Kompetenzdimension. Ein Befund, der auch aus anderen Forschungsarbeiten zu Standard- und Non-Standardvarietäten bekannt ist. SprecherInnen der Standardvarietät (hier das Deutsche) werden eher mit Kompetenz und SprecherInnen von Non- Standardvarietäten (hier Bairisch und Sächsisch) werden eher mit Wärme assoziiert (für eine Übersicht siehe Giles / Coupland 1991). Für Englisch- und FranzösischsprecherInnen zeigten sich keine Unterschiede zwischen den Dimensionen. In Studie 3 zeigten sich bei der Betrachtung der Mittelwerte für Kompetenz keine Unterschiede zwischen Spanisch-, Französisch-, Englisch- und SerbischsprecherInnen. Nur ItalienischsprecherInnen erhielten deutlich negativere Bewertungen. Bezüglich Wärme wurden Spanisch-, Serbisch- und FranzösischsprecherInnen gleichermaßen positiv beurteilt, gefolgt von Englisch und ItalienischsprecherInnen. Betrachtet man überdies die Bewertungsmuster innerhalb der Sprachen, zeigt sich, dass Englisch- und FranzösischsprecherInnen höhere Kompetenzals Wärmebeurteilungen bekamen. SerbischsprecherInnen erhielten hingegen höhere Wärmeals Kompetenzbewertungen. Für Spanisch- und ItalienischsprecherInnen unterschieden sich die Beurteilungen auf der Kompetenz- und Wärmedimension hingegen nicht. Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 171 Diskussion: In drei Studien wurde ein neues Maß - die AToL-Skala - zur Erfassung von Spracheinstellungen entwickelt und validiert. Das Messinstrument besteht aus insgesamt 15 Items, welche die Dimensionen Wert, Klang und Struktur erfassen. Insgesamt gelang es in diesen Studien, ein reliables und valides Maß für Spracheinstellungen zu entwickeln, das allgemein genug ist, um unterschiedliche Sprachen und Sprachvarietäten zu beurteilen und gleichzeitig dem Sprachkontext durch die Bewertung von Klang und Struktur ausreichend angepasst ist. Darüber hinaus liefert Studie 3 erste Hinweise auf die Übertragbarkeit der AToL-Skala auf andere Sprachen und kulturelle Kontexte. Betrachtet man die Ergebnisse zur Bewertung des Deutschen und seiner Varietäten sowie des Französischen und Englischen durch Personen mit deutscher Muttersprache in Bezug auf die Skalen Wert, Klang und Struktur, so stehen sie mit Teilergebnissen der Repräsentativumfrage (Eichinger et al. 2009) in Einklang. Auch hier erhielt Deutsch beispielsweise deutlich bessere Bewertungen bezüglich Wert und Struktur als bezüglich Klang. Auch für die Dialekte zeigte sich ein vergleichbares Muster: positivere Bewertung des Klangs, dafür negativere Einschätzungen von Wert und Struktur. In der Repräsentativumfrage wurde Französisch am häufigsten als sympathischer Akzent genannt, ein Ergebnis das dazu passt, dass Französisch in Studie 1 und 2 die besten Bewertungen bezüglich Wert und Klang erhielt. In Bezug auf die Bewertungen der SprecherInnen zeigten sich in Studie 2 nur Unterschiede zwischen den Dimensionen Kompetenz und Wärme für Deutsch und für die Varietäten Bairisch und Sächsisch. Während deutsche SprecherInnen eher kompetent als warm eingeschätzt wurden, erhielten Bairisch- und SächsischsprecherInnen höhere Einschätzungen auf der Wärmeals auf der Kompetenzdimension; ein Muster, das auch in anderen Untersuchungen zu Sprachvarietäten gefunden wurde (für einen Überblick siehe Giles / Coupland 1991; siehe hierzu Schoel / Stahlberg in diesem Band). Die länderübergreifenden Ergebnisse aus Studie 3 deuten auf ein allgemein positives Autostereotyp von SpanischsprecherInnen und ein allgemein eher negatives Autostereotyp von ItalienischsprecherInnen bezüglich Kompetenz und Wärme hin. Das positive Autostereotyp von Französisch- und EnglischsprecherInnen scheint hingegen vor allem durch die Kompetenzdimension und dasjenige von SerbischsprecherInnen vor allem durch die Wärmedimension bedingt zu sein. Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 172 Insgesamt sprechen die Befunde aus drei Studien dafür, dass die AToL-Skala ein reliables und valides Messinstrument zur Erfassung von Spracheinstellungen darstellt, das die Messung von Einstellungen gegenüber SprecherInnen sinnvoll ergänzen kann. 3. Der Gebrauch von Anglizismen - kompetent oder sympathisch? Als lingua franca wird dem Englischen heute zweifelsohne ein hoher Stellenwert zugeschrieben, und es ist für die globale Kommunikation von besonderer Bedeutung. Dieser Einfluss macht sich auch dahingehend bemerkbar, dass englische Wörter in mehr oder weniger „eingedeutschter“ Form in allen Lebensbereichen und Kommunikationssituationen beruflicher oder privater Natur ihren Einzug in die deutsche Sprache gehalten haben. In einer Reihe von Studien wurde im Rahmen des vorliegenden Projekts daher der Einfluss von Anglizismen auf die Personenbewertung untersucht. Zunächst werden zwei Studien vorgestellt, in denen untersucht wurde, wie sich die Verwendung von Anglizismen auf die Kompetenz- und Wärmezuschreibung von Personen auswirkt. Daran anschließend folgt eine Studie, bei der untersucht wurde, wie die Verwendung von Anglizismen im Kontext der Personalauswahl wahrgenommen und beurteilt wird. Zunächst wird jedoch in den Untersuchungsgegenstand eingeführt und der Begriff Anglizismus definiert. „Ein Anglizismus ist ein Wort aus dem britischen oder amerikanischen Englisch im Deutschen oder eine nicht übliche Wortkomposition, jede Art der Veränderung einer deutschen Wortbedeutung oder Wortverwendung [...] nach britischem oder amerikanischem Vorbild“ (Zindler 1959, S. 2). Bei Anglizismen handelt es sich somit unter anderem um Begriffe, bei denen die englische Herkunft zumindest teilweise noch zu erkennen ist, wie bei „Marketing“ oder „Krisenmanager“. Sie umfassen aber z. B. auch Begriffe, bei denen die englische Herkunft nicht mehr ohne weiteres festzustellen ist, wie beim Wort „Klimaanlage“ von „air conditioning“ oder „Wolkenkratzer“ von „skyscraper“. Insbesondere die unveränderten und vollständigen Wortübernahmen aus dem Englischen, die auch von Laien eindeutig als Fremdwörter identifiziert werden können, verdeutlichen den Einfluss des Englischen auf die deutsche Sprache. In der Repräsentativumfrage (Eichinger et al. 2009) gaben insgesamt 84 Prozent der Befragten an, dass ihnen in den letzten Jahren Veränderungen in der deutschen Sprache aufgefallen seien. Auf die Frage nach der Art der Veränderungen gaben 28 Prozent der Befragten den Einfluss durch fremde Sprachen an, wobei 21 Prozent direkt den Einfluss des Englischen nannten. Bei der Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 173 Beantwortung dieser Frage spielte allerdings das Alter der Befragten eine Rolle. Wurde der Einfluss des Englischen von Personen über 60 Jahren mit 30 Prozent an erster Stelle genannt, so kam er bei den 18bis 29- und 30bis 59-Jährigen mit 17 Prozent und 19 Prozent der Nennungen dagegen erst an zweiter Stelle. In einer Umfrage der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS; Hoberg / Eichhoff-Cyrus / Schulz 2008), an der sich 1 820 Personen ab 16 Jahren beteiligten, störten sich 39 Prozent der Befragten an der zunehmenden Verwendung von Anglizismen. Dabei empfanden vor allem ältere Personen und Personen ohne Englischkenntnisse Anglizismen als störend. Viele der Befragten befürchteten, dass durch die zunehmende Verwendung von Anglizismen immer mehr deutsche Wörter verdrängt würden und vieles von dem, was die deutsche Sprache auszeichnet, verloren gehe. Demgegenüber äußerte nur ein geringer Anteil der Befragten die Ansicht, dass Anglizismen die deutsche Sprache moderner und internationaler machen würden und dass man mit Anglizismen oft besser ausdrücken könne, was man eigentlich sagen wolle. In einer von der CASIO Europe GmbH in Auftrag gegebenen forsa-Umfrage zum Thema „Bekanntheit und Verwendung von Anglizismen“ (Forsa 2008), an der 1 007 Personen im Alter zwischen 14 und 65 Jahren teilnahmen, fühlte sich die Hälfte der Befragten durch die Verwendung von Anglizismen in der Alltagssprache und in der Werbung gestört. Wie bereits in der Umfrage der GfdS empfanden besonders ältere Personen die Verwendung von Anglizismen als störend. Die befragten 14bis 25-Jährigen bewerteten Anglizismen in der Alltagssprache hingegen eher positiv als störend. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Häufigkeit, mit der Anglizismen verwendet werden, mit steigendem Alter stark abnahm, und dass Personen mit einem Hauptschulabschluss deutlich seltener auf Anglizismen zurückgriffen als Personen mit höheren Bildungsabschlüssen. In den Studien des vorliegenden Projekts (Eck 2010, Eck / Schoel / Sawatzki / Stahlberg i. Bearb., Sawatzki 2010) lag das Interesse auf der Frage, wie eine Person, die Anglizismen verwendet, wahrgenommen wird, da die Art und Weise, wie eine Person spricht, unser Urteil über diese Person beeinflussen kann (Giles / Powesland 1975). Zur Untersuchung dieser Fragestellung wurde neben Fragebögen zur Erfassung expliziter, bewusster Einstellungen auch ein Verfahren zur Erfassung impliziter, nicht vollständig bewusster oder unbewusster Einstellungen eingesetzt (zum Vergleich von expliziten und impliziten Einstellungen siehe oben Kap. 1). Diese Vorgehensweise wurde als notwendig erachtet, weil die Einstellung gegenüber der Verwendung von An- Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 174 glizismen unter Umständen introspektiv eher schwer zugänglich sein kann, beispielsweise wenn sich der/ die Befragte zuvor noch nie Gedanken über seine/ ihre Einstellung gegenüber Anglizismen gemacht hat. Ebenso wäre es möglich, dass eine Person nach Anglizismen gefragt, diese explizit negativ beurteilt, weil deren Verwendung für sie reines Imponiergehabe darstellt, obwohl sie unbewusst durchaus beeindruckt sein könnte, wenn ein/ e SprecherIn solche Wörter flüssig und anstrengungslos in seine/ ihre Rede einbaut. Folglich können explizit und implizit erfasste Einstellungen divergieren. Wie aus den anfangs in diesem Beitrag berichteten Umfragen hervorgeht, scheint die Einstellung gegenüber Anglizismen maßgeblich von folgenden drei Faktoren abzuhängen: dem Alter, der Bildung und den Englischkenntnissen des/ der Befragten. Entsprechend fanden diese Faktoren Berücksichtigung in den nun folgenden Studien. Studie 1: Bewertung von Anglizismen durch Studierende Inwieweit wirkt die Verwendung von Anglizismen kompetent oder sympathisch? Um dieser Frage nachzugehen, wurde in einer ersten Studie untersucht, wie die Verwendung von Anglizismen mit den Dimensionen Kompetenz und Wärme aus der Stereotypenforschung in Zusammenhang steht (Fiske et al. 2002; vgl. oben Kap. 2). In einer studentischen Stichprobe wurden dafür die Einstellungen gegenüber Anglizismen anhand von expliziten und impliziten Maßen erfasst. Die Stichprobe stellte hinsichtlich Alter, Bildung und Englischkenntnissen eine relativ homogene Gruppe dar. So waren die Studierenden eher jung, verfügten über einen höheren Bildungsabschluss (allgemeine Hochschulreife) und schätzten ihre Englischkenntnisse fast ausschließlich als gut bis sehr gut ein. In dieser ersten Studie wurden die drei Faktoren Alter, Bildung und Englischkenntnisse somit weitgehend konstant gehalten. In bisherigen Umfragen äußerten Personen mit diesen Eigenschaften, wie oben bereits erwähnt, eine positivere Einstellung gegenüber Anglizismen als Personen höheren Alters, als Personen mit einem niedrigeren Bildungsabschluss und als Personen mit schlechten Englischkenntnissen (z. B. Hoberg et al. 2008, Forsa 2008). Als implizites Messverfahren wurde ein prominentes und viel verwendetes Verfahren mit guten psychometrischen Eigenschaften - der Implizite Assoziationstest (IAT) von Greenwald / McGhee / Schwartz (1998) - eingesetzt. Die Kernidee dieses computergestützten Verfahrens besteht darin, dass man die relative Assoziationsstärke zwischen verschiedenen Konzepten (z. B. die Assoziation zwischen Anglizismus und Kompetenz im Vergleich zur Assoziation Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 175 zwischen Deutsch und Kompetenz) dadurch messen kann, dass man Reaktionszeiten bei einer Zuordnungsaufgabe erfasst. So bestand die Aufgabe der ProbandInnen in der vorliegenden Studie darin, z. B. Anglizismen und entsprechende deutsche Begriffe per Tastendruck den Kategorien Anglizismus versus Deutsch zuzuordnen. Befand sich die Kategorie Anglizismus beispielsweise auf der linken Bildschirmseite und die Kategorie Deutsch auf der rechten, so musste der Stimulus Job durch Drücken einer linken Taste der Kategorie Anglizismus und der Stimulus Arbeit durch Drücken einer rechten Taste der Kategorie Deutsch zugeordnet werden. Alternierend dazu hatten die ProbandInnen die Aufgabe kompetente und inkompetente Eigenschaftswörter (z. B. intelligent und ungebildet) oder warme und kalte Eigenschaftswörter (z. B. herzlich und distanziert) den Kategorien kompetent versus inkompetent bzw. warm versus kalt zuzuordnen. Um automatische Reaktionen zu erfassen, wurden die ProbandInnen instruiert, so schnell und akkurat wie möglich zu reagieren. Entscheidend ist beim IAT, dass es eine im Sinne der zu messenden Assoziationen kompatible und inkompatible Kombination gibt. Unter der Annahme, dass Anglizismen Kompetenz signalisieren, mussten die ProbandInnen dieser Studie in Durchgängen mit kompatibler Kombination z. B. auf Anglizismen und kompetente Stimuli mit ein und derselben Taste antworten und auf deutsche Begriffe und inkompetente Stimuli mit einer anderen Taste. In Durchgängen mit inkompatibler Kombination wurde dann - genau entgegengesetzt - eine Antworttaste zusammen für Anglizismen und inkompetente Stimuli verwendet und eine andere Antworttaste gemeinsam für deutsche Begriffe und kompetente Stimuli. Der Unterschied in den mittleren Reaktionszeiten zwischen kompatibler und inkompatibler Kombination kann dann als Maß für die automatische (assoziative) Präferenz für Anglizismus oder Deutsch interpretiert werden. Wurde in dieser Studie beispielsweise schneller reagiert, wenn sich Anglizismen und kompetente Stimuli eine Taste teilten, als wenn für deutsche Begriffe und kompetente Stimuli dieselbe Taste gedrückt werden musste, sprach dies für eine vergleichsweise stärkere Assoziation zwischen Anglizismus und Kompetenz als zwischen Deutsch und Kompetenz. Um die impliziten Einstellungen gegenüber der Verwendung von Anglizismen differenziert erfassen zu können, wurden vier IATs entwickelt. Zum einen wurde variiert, ob die ProbandInnen die Stimuli den Kategorien kompetent versus inkompetent (Kompetenzdimension) oder warm versus kalt (Wärmedimension) zuordnen mussten. Zum anderen wurden für die Kategorien Anglizismus versus Deutsch entweder Begriffe aus dem beruflichen Kontext (z. B. Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 176 Meeting und Besprechung) oder dem privaten Kontext (z. B. Outfit und Kleidung) verwendet. Diese Unterscheidung in einen beruflichen und einen privaten Kontext erschien wichtig, da Anglizismen je nach Kontext mit unterschiedlichen Stereotypen verbunden sein können. So könnte beispielsweise die Verwendung von Anglizismen im Berufskontext als kompetent empfunden werden, weil Anglizismen in diesem Bereich häufig Fachausdrücke repräsentieren, wohingegen die Verwendung von Anglizismen im Freizeitkontext weniger kompetent wirken könnte, wenn Anglizismen z. B. als Erscheinung der modernen Jugendsprache aufgefasst werden. Folglich gab es einen Kompetenz-IAT und einen Wärme-IAT mit berufsspezifischen Stimuli (Kompetenz-Berufs-IAT und Wärme-Berufs-IAT) und einen Kompetenzwie auch einen Wärme-IAT mit freizeitspezifischen Stimuli (Kompetenz-Freizeit-IAT und Wärme-Freizeit-IAT). Da die im IAT verwendeten Stimuli die Reaktionszeiten erheblich beeinflussen können (z. B. Bluemke / Friese 2006, Steffens / Plewe 2001), wurden die Stimuli der entwickelten IATs mit großer Sorgfalt anhand einer Vorstudie ausgewählt. Die ausgewählten Anglizismen und deutschen Begriffe sind in Tabelle 1 dargestellt. Für die Kompetenz- und Wärmedimension wurden die folgenden Eigenschaftswörter verwendet: intelligent, fähig, belesen, effizient und selbstsicher als kompetente Stimuli, naiv, unfähig, ungebildet, ineffizient und unsicher als inkompetente Stimuli, freundlich, herzlich, wohlmeinend, gutmütig und ehrlich als warme Stimuli sowie abweisend, distanziert, feindselig, hartherzig und scheinheilig als kalte Stimuli. Berufs-IAT Freizeit-IAT Anglizismus Deutsch Anglizismus Deutsch Marketing Deadline Know-how Handling Meeting Job Feedback Consulting Management Workshop Vertrieb Frist Fachwissen Handhabung Besprechung Arbeit Rückmeldung Beratung Geschäftsleitung Seminar Teenager Look Lifestyle City Sound Story Jackpot Poser Lolly Jugendlicher Aussehen Lebensstil Stadt Klang Geschichte Hauptgewinn Kleidung Angeber Lutscher Tabelle 1: Anglizismen und deutsche Begriffe aus den entwickelten IATs. Alle ProbandInnen bearbeiteten nur einen der vier IATs. Im Anschluss wurden die expliziten Einstellungen erfasst. Die ProbandInnen wurden gebeten für jeden Anglizismus und deutschen Begriff aus dem zuvor absolvierten IAT anzugeben, inwieweit sie dessen Verwendung als kompetent versus inkompetent Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 177 bzw. warm versus kalt einstufen würden. Die ProbandInnen wurden zudem nach einer Kompetenz- und Wärmebeurteilung der Verwendung von Anglizismen im Allgemeinen gefragt. Zum Schluss wurden noch demographische Angaben einschließlich der Englischkenntnisse abgefragt. Ergebnisse: Auf den impliziten Maßen fand sich unabhängig vom Verwendungskontext (beruflich vs. privat) eine klare Bevorzugung der deutschen Begriffe sowohl auf der Kompetenzals auch auf der Wärmedimension. Mit anderen Worten: deutsche Stimuli wurden im Durchschnitt eher mit Kompetenz und Wärme assoziiert, während Anglizismen eher mit Inkompetenz und Kälte in Verbindung gebracht wurden. Im Hinblick auf die expliziten Kompetenzbeurteilungen der IAT-Stimuli wurden die deutschen Begriffe ebenfalls durchweg als eher kompetent eingestuft, d. h. die Urteile lagen über dem Skalenmittelpunkt. Die Verwendung von Anglizismen aus dem Berufskontext wurde vergleichbar kompetent beurteilt, wohingegen die Anglizismen aus dem Freizeitkontext eine Abwertung erfuhren. Folglich wirkte die Verwendung von Anglizismen aus dem Freizeitkontext auf Studierende im Durchschnitt weniger kompetent als die Verwendung entsprechender deutscher Begriffe. Hinsichtlich der expliziten Wärmebeurteilungen der IAT-Stimuli erhielten sowohl deutsche Begriffe als auch Anglizismen im Mittel eine neutrale Bewertung, d. h. die Urteile lagen nahe dem Skalenmittelpunkt und unterschieden sich nicht. Die implizite Präferenz für deutsche Begriffe gegenüber Anglizismen konnte somit explizit nur in der Bedingung Kompetenz-Freizeit-IAT wiedergefunden werden. In der Bedingung Kompetenz-Berufs-IAT fiel der Unterschied zwischen implizitem und explizitem Urteil hingegen am größten aus. Die expliziten Kompetenz- und Wärmeurteile der Verwendung von Anglizismen im Allgemeinen lagen im Durchschnitt nahe dem Skalenmittelpunkt. Der zuvor bearbeitete IAT hatte jedoch einen Einfluss auf die expliziten Kompetenzurteile. So wirkte die Verwendung von Anglizismen im Allgemeinen nach einem Berufs-IAT eher kompetent, während sie nach einem Freizeit-IAT eher inkompetent wirkte. Betrachtet man die expliziten Wärmeurteile, so nahmen Studierende unabhängig vom vorausgehenden IAT die Verwendung von Anglizismen allgemein im Mittel weder als besonders warm noch als besonders kalt wahr. Die Ergebnisse zeigen, dass explizit und implizit erfasste Einstellungen gegenüber der Verwendung von Anglizismen nicht immer übereinstimmen. So spiegelten sich die situationsübergreifenden impliziten Präferenzen der Stu- Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 178 dierenden für deutsche Wörter explizit lediglich in den Kompetenzbeurteilungen von Anglizismen und deutschen Begriffen aus dem Freizeitkontext wider. Dass sich hinsichtlich der Begriffe aus dem Berufskontext explizit keine Bevorzugung deutscher Begriffe gegenüber Anglizismen zeigte, könnte beispielsweise an der bereits festen Etablierung von Anglizismen im Berufskontext und der damit einhergehenden weit verbreiteten Überzeugung liegen, dass die Verwendung von Anglizismen im Berufskontext von Kompetenz zeugt. Diese Annahme wird durch die Ergebnisse bezüglich der expliziten Bewertung von Anglizismen im Allgemeinen unterstützt. So deutet der Einfluss des Kontextes (beruflich vs. privat) des zuvor absolvierten IATs an, dass verstärkt an die Begriffe aus dem IAT gedacht wurde. Es scheint demnach so zu sein, dass die Verwendung von Anglizismen aus dem Berufskontext explizit eher als kompetent, die Verwendung von Anglizismen aus dem Freizeitkontext dagegen eher als inkompetent beurteilt wurde. Die Ergebnisse der impliziten Messung weisen jedoch darauf hin, dass es sich dabei um ein übernommenes Urteil handelt, das noch nicht so stark verinnerlicht ist, dass es sich auch in den automatischen Präferenzen widerspiegelt. Studie 2: Vergleich von Studierenden und Nicht-Studierenden In einem nächsten Schritt wurden in einer zweiten Studie explizite und implizite Einstellungen gegenüber der Verwendung von Anglizismen anhand einer breiteren Stichprobe untersucht. Wie bereits herausgestellt, hängt die Einstellung gegenüber Anglizismen insbesondere von den Faktoren Alter, Bildung und Englischkenntnisse ab. Um diese Einflussfaktoren übergreifend untersuchen zu können, wurde in Studie 2 eine studentische mit einer nicht-studentischen Stichprobe verglichen. Die nicht-studentische Stichprobe setzte sich aus Auszubildenden, Erwerbstätigen, RentnerInnen und Arbeitslosen zusammen. Die Nicht-Studierenden in Studie 2 waren damit zum einen signifikant älter, hatten im Mittel einen niedrigeren Bildungsabschluss und gaben geringere Englischkenntnisse an als die Studierenden. Das Vorgehen und das verwendete Material wurden bis auf die folgenden Veränderungen aus der ersten Studie übernommen. Aufgrund der Priorität von Kompetenzeinschätzungen im Berufskontext und von Wärmeeinschätzungen im Freizeitkontext wurde in der vorliegenden Studie nur der Kompetenz- Berufs-IAT und der Wärme-Freizeit-IAT eingesetzt, so dass es je Studierendenstatus (Studierende versus Nicht-Studierende) zwei Versuchsgruppen gab. Zudem wurde mit den expliziten Maßen primär erfasst, wie kompetent und warm die Verwendung von Anglizismen im Allgemeinen beurteilt wurde. Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 179 Dazu mussten bezüglich der Aussage „Die Verwendung von Anglizismen wirkt meiner Meinung nach eher…“ Urteile anhand von Wortpaaren gefällt werden, die entweder Kompetenz-/ Inkompetenzeinschätzungen bzw. Wärme-/ Kälteeinschätzungen repräsentierten (z. B. fähig - unfähig bzw. freundlich - abweisend). Ergebnisse: Wie in der ersten Studie zeigte sich auf den impliziten Maßen generell eine klare Bevorzugung der deutschen Begriffe. Demnach besaßen die ProbandInnen im Hinblick auf den Berufskontext durchschnittlich stärkere Assoziationen zwischen Deutsch und Kompetenz als zwischen Anglizismus und Kompetenz und hinsichtlich des Freizeitkontextes durchschnittlich stärkere Assoziationen zwischen Deutsch und Wärme als zwischen Anglizismus und Wärme. Darüber hinaus war die implizite Präferenz für deutsche Begriffe gegenüber Anglizismen unabhängig vom Bewertungskontext (Kompetenz / Beruf vs. Wärme / Freizeit) bei Nicht-Studierenden stärker ausgeprägt als bei Studierenden. Bei den expliziten Kompetenzurteilen bezüglich der Verwendung von Anglizismen im Allgemeinen ergaben sich wie in Studie 1 erneut unterschiedliche Bewertungen in Abhängigkeit vom Kontext (beruflich vs. privat) des vorangehenden IATs. So schätzten die ProbandInnen nach Bearbeitung des Kompetenz-Berufs-IATs die Verwendung von Anglizismen im Durchschnitt als eher kompetent ein, wobei die Kompetenzurteile der Nicht-Studierenden höher ausfielen als die der Studierenden. Nach Bearbeitung des Wärme-Freizeit- IATs wurde die Verwendung von Anglizismen hingegen von beiden Gruppen durchschnittlich weder als besonders kompetent noch als besonders inkompetent bewertet. Die expliziten Wärmeurteile blieben vom jeweiligen IAT unberührt. So gaben sowohl Studierende als auch Nicht-Studierende an, dass die Verwendung von Anglizismen im Allgemeinen auf sie weder besonders warm noch besonders kalt wirke. Die Ergebnisse aus der ersten Studie, die an einer rein studentischen Stichprobe durchgeführt wurde, konnten anhand der teilnehmenden Studierenden dieser zweiten Studie repliziert werden. Wie in Studie 1 zeigten die Studierenden dieser Studie eine implizite Präferenz für deutsche Begriffe gegenüber Anglizismen sowohl auf der Kompetenzals auch auf der Wärmedimension. Explizit wirkte die Verwendung von Anglizismen im Allgemeinen auf die Studierenden wieder nur nach Bearbeitung eines Berufs-IATs eher kompetent und unabhängig vom Kontext als weder besonders warm noch besonders kalt. Für die Nicht-Studierenden zeigte sich ein vergleichbares Muster. Allerdings fiel in der nicht-studentischen Stichprobe der Unterschied zwischen implizitem Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 180 und explizitem Urteil noch größer aus als in der studentischen Stichprobe, wobei er in der Bedingung Kompetenz-Berufs-IAT am größten war. So zeigten die Nicht-Studierenden im Vergleich zu den Studierenden einerseits eine stärkere implizite Präferenz für deutsche Begriffe gegenüber Anglizismen und andererseits nach Bearbeitung des Berufs-IATs eine höhere explizite Kompetenzeinschätzung bezüglich der Verwendung von Anglizismen. Das Alter, die Bildung und die Englischkenntnisse einer Person spielen demnach in der Tat eine tragende Rolle bei der Einstellung gegenüber Anglizismen. Interessanterweise belegen die vorliegenden Studien dies auch für implizite Urteile und nicht nur für explizit geäußerte allgemeine Einstellungen, wie sie in bisherigen Studien erfasst wurden. Der signifikante Einfluss des absolvierten IATs auf das explizite Kompetenzurteil bezüglich der Verwendung von Anglizismen im Allgemeinen deutet darauf hin, dass bei der expliziten Beurteilung überwiegend an die Anglizismen aus dem IAT gedacht wurde. Somit scheint es, dass die Verwendung von Anglizismen aus dem Berufskontext, aber nicht die Verwendung von Anglizismen aus dem Freizeitkontext, explizit kompetent wirkte. Explizit wurde vermutlich lediglich die stark verankerte Annahme wiedergegeben, dass die Verwendung von Anglizismen im Berufskontext aufgrund ihres Status als Fachbegriffe Kompetenz ausstrahle. Diese Ansicht wurde zudem von Nicht- Studierenden stärker zum Ausdruck gebracht als von Studierenden. Studie 3: Anglizismenbewertung im Kontext der Personalauswahl In den ersten beiden Studien konnte gezeigt werden, dass bezüglich des Berufskontextes implizit eine Präferenz für deutsche Begriffe gegenüber Anglizismen dominierte, wohingegen explizit die Verwendung von Anglizismen aus dem Berufskontext vergleichbar kompetent wie die Verwendung entsprechender deutscher Begriffe beurteilt wurde. Wie sieht es aber nun in Bezug auf das Verhalten im Berufskontext aus? Führt die Verwendung von Anglizismen z. B. in einem Personalauswahlverfahren zur gleichen Einstellungsentscheidung wie die reine Verwendung äquivalenter deutscher Begriffe? Im Rahmen einer Diplomarbeit am Lehrstuhl Sozialpsychologie der Universität Mannheim (Sawatzki 2010) wurde zur Beantwortung dieser Frage untersucht, ob die Verwendung von Anglizismen die Personenwahrnehmung im Kontext der Personalauswahl beeinflusst. Die Stichprobe bestand überwiegend aus Studierenden, einer Stichprobe also, die den bisher dargestellten Befunden zufolge weniger negative Einstellungen gegenüber der Verwendung von Anglizismen besitzen sollte. Die ProbandInnen erhielten die Information, diese Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 181 Studie untersuche Faktoren, die bei der Personalauswahl und der Bewertung von Führungsqualifikationen eine Rolle spielen können. Zuerst bekamen die ProbandInnen eine Stellenausschreibung für eine leitende Position im Vertrieb und Marketing einer fiktiven Firma vorgelegt. Anschließend wurden ihnen Ergebnisse eines Einstellungstests eines angeblichen Bewerbers oder einer angeblichen Bewerberin präsentiert. Die Ergebnisse des Einstellungstests waren so gewählt, dass die ProbandInnen glaubten, der/ die BewerberIn habe gut abgeschnitten, um eine grundlegende Eignung für die Stelle sicherzustellen. Anschließend hörten alle ProbandInnen einen Ausschnitt aus dem Vorstellungsgespräch des angeblichen Bewerbers bzw. der angeblichen Bewerberin, in dem ein fiktiver Interviewer dem/ der BewerberIn zwei Fragen stellte, die sich auf den beruflichen Kontext bezogen (z. B. „Auf welchen Bereich haben Sie Ihren Studienschwerpunkt gelegt? “), und zwei Fragen, die den privaten Kontext ansprachen (z. B. „Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit? “). Der/ die BewerberIn verwendete Anglizismen entweder nur bei den Antworten auf die Fragen zum beruflichen Kontext oder nur bei den Antworten auf die Fragen zum privaten Kontext. In einer weiteren Versuchsbedingung antwortete der/ die BewerberIn ohne einen Anglizismus zu verwenden. Folglich gab es drei Versuchsgruppen: keine Anglizismen versus Anglizismen im Berufskontext versus Anglizismen im Freizeitkontext. Inhaltlich waren die Hörbeispiele für alle Versuchsgruppen gleich, außer dass gegebenenfalls entsprechende deutsche Begriffe durch Anglizismen ersetzt wurden. So lautete z. B. die Antwort auf die Frage „Auf welchen Bereich haben Sie Ihren Studienschwerpunkt gelegt? “ unter Verwendung von Anglizismen wie folgt (in Klammern ist jeweils ein entsprechendes deutsches Äquivalent angeführt): „Ich habe meine Schwerpunkte auf die Bereiche Sales und Marketing (Vertrieb und Verkaufsförderung) gelegt. Sowohl das Internship (die Tätigkeit) in einer Werbeagentur, die sich vornehmlich mit B2B (dem Handel zwischen gewerblichen Anbietern) beschäftigt, als auch die Tätigkeit im Key Account Management eines Global Players (die Betreuung von Großkunden eines weltweit tätigen Unternehmens) im Rahmen einer Werkstudententätigkeit haben mir meine Vorlieben und Fähigkeiten verdeutlicht.“ Die Antwort auf die Frage „Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit? “ lautete hingegen: „Sportlich power (verausgabe) ich mich am liebsten beim Joggen (Laufen) aus - da kann ich gut den Kopf frei bekommen. Zum Relaxen (Entspannen) lese ich am liebsten, besonders Short Stories (Kurzgeschichten).“ Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 182 Im Anschluss an das Hörbeispiel gaben die ProbandInnen an, ob sie den/ die BewerberIn einstellen würden und beurteilten ihn/ sie hinsichtlich Qualifikation und sprachlicher Kompetenz. Ergebnisse: Es zeigte sich, dass die Verwendung von Anglizismen die Einstellungschancen des Bewerbers bzw. der Bewerberin deutlich verringerte. Im Gegensatz zur ausschließlichen Nutzung deutscher Begriffe führte die Verwendung von Anglizismen zu niedrigeren Qualifikationsbewertungen und einer geringer eingeschätzten sprachlichen Kompetenz des Bewerbers bzw. der Bewerberin. Auf die Frage, wie verständlich sich der/ die BewerberIn ausgedrückt habe, wurden bei der Verwendung von Anglizismen ebenfalls schlechtere Bewertungen abgegeben. Ob Anglizismen bei den Antworten auf die Fragen zum beruflichen oder zum privaten Kontext verwendet wurden, hatte dabei keinen Einfluss auf die Urteile. Wie beim impliziten Urteil in den ersten beiden Studien scheint also auch bei tatsächlichem Verhalten im Berufskontext eine Präferenz für die deutsche Sprache gegenüber einer Vermischung des Deutschen und Englischen vorzuliegen. Diskussion: In den ersten beiden Studien wurde untersucht, inwieweit die Verwendung von Anglizismen kompetent bzw. sympathisch wirkt. Da in bisherigen Umfragen die Einstellung gegenüber Anglizismen von Alter, Bildung und Englischkenntnissen abhing, wurde der Einfluss dieser Faktoren in einer ersten Studie zunächst konstant gehalten. In Studie 1 wurden deshalb die Einstellungen von Studierenden - einer hinsichtlich der genannten Einflussfaktoren relativ homogenen Gruppe - erfasst. Studie 2 verglich daran anschließend die Einstellungen von Studierenden und Nicht-Studierenden, um übergreifend die Auswirkungen der genannten Einflussfaktoren zu untersuchen. In beiden Studien wurden die Einstellungen sowohl explizit als auch implizit erfasst, weil nicht alle Gefühle und Reaktionen auf ein Einstellungsobjekt wie Anglizismen introspektiv zugänglich sein müssen, was die vorliegenden Ergebnisse auch bestätigen. So zeigten alle ProbandInnen eine implizite Präferenz für Deutsch gegenüber Anglizismen, die bei Nicht-Studierenden stärker ausgeprägt war als bei Studierenden. Explizit konnte die Bevorzugung von Deutsch gegenüber Anglizismen ausschließlich in der studentischen Stichprobe hinsichtlich des Kompetenzurteils über die Verwendung von Anglizismen und deutschen Begriffen aus dem Freizeitkontext wiedergefunden werden. Die Verwendung von Anglizismen aus dem Berufskontext wurde hingegen vergleichbar kompetent eingestuft wie die Verwendung entsprechender deutscher Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 183 Begriffe. Dieses Ergebnis könnte auf eine verbreitete Meinung zurückgeführt werden, dass die Verwendung von Anglizismen im Berufskontext ein Signal für Kompetenz darstellt. Für diese Annahme spricht der Befund, dass nur nach Bearbeitung eines Berufs-IATs die Verwendung von Anglizismen allgemein eher kompetent wirkte, aber nicht nach einem Freizeit-IAT. Offenbar dachten die ProbandInnen verstärkt an die Begriffe aus dem zuvor bearbeiteten IAT und fällten ihr Urteil danach, wie kompetent die Verwendung von Anglizismen aus dem Berufskontext oder aus dem Freizeitkontext auf sie wirkte. Die expliziten Wärmeurteile fielen hingegen im Durchschnitt neutral aus. Die Verwendung von Anglizismen wurde explizit weder als besonders warm noch als besonders kalt bewertet. Dieser Befund entspricht dem Ergebnis der Schülerstudie aus Rothe (in diesem Band, Kap. 1), dass nur ungefähr ein Drittel der Schüler Englisch als sympathisch bewertete, während über zwei Drittel Englisch als Wunschsprache angaben. Und auch die Korrelation zwischen diesen beiden Angaben fiel mit r = 0,18 eher niedrig aus. Die Motivation Englisch zu lernen, scheint also weniger darauf zurückzuführen zu sein, dass Englisch sympathisch wirkt als darauf, dass man sich Kompetenz- und Berufsvorteile vom Beherrschen der Sprache verspricht. Der Unterschied zwischen implizitem und explizitem Urteil war in der nichtstudentischen Stichprobe zudem größer als in der studentischen Stichprobe. Alter, Bildung und Englischkenntnisse beeinflussten also sowohl die implizite als auch die explizite Kompetenz- und Wärmebeurteilung bezüglich der Verwendung von Anglizismen. Diese Befunde bestätigen und erweitern somit vorangehende Studienergebnisse zu allgemeinen explizit geäußerten Einstellungen. In einer weiteren Studie wurde gezeigt, dass die Verwendung von Anglizismen auch einen entscheidenden Einfluss auf die Verhaltenskomponente der Einstellung im Bereich der Personalauswahl haben kann. So verringerte die Verwendung von Anglizismen in einem Vorstellungsgespräch die Einstellungschancen deutlich und führte zu einer niedrigeren Qualifikationsbewertung sowie einer geringeren zugeschriebenen sprachlichen Kompetenz des Bewerbers bzw. der Bewerberin. An dieser Stelle muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Manipulation der Anglizismen auch sehr auffällig erfolgte, so dass weitere Studien replizieren müssen, ob auch ein etwas gemäßigter Einsatz von Anglizismen ähnlich negative Urteile provoziert. Allerdings zeigen auch andere Ergebnisse aus dem vorliegenden Projekt, dass sprachliche Merkmale den ersten Eindruck so dominieren können, dass sie Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 184 alle anderen Informationen überschreiben (vgl. Kap. 4 und 5). Da es bei den meisten Berufen vorrangig um Leistungen und inhaltliche Argumente geht, bleibt dennoch zu hoffen und wohl auch zu erwarten, dass sich die Verantwortlichen in der Personalauswahl nicht ausschließlich vom ersten Eindruck leiten lassen. Schließlich liegen in einem realen Bewerbungsverfahren weitaus mehr Informationen über eine/ n BewerberIn vor als in den vorliegenden Studien. 4. Denglisch? - Die Wirkung deutscher Akzente im Englischen Denglisch bezeichnet eine Vermischung des Deutschen und Englischen und wird meist als kritischer Ausdruck für den Gebrauch von Anglizismen im Deutschen verwendet (Duden 2009, Hoberg 2002). Im vorliegenden Teilprojekt wurde das Augenmerk auf eine andere Form der Vermischung von Deutsch und Englisch auf phonetischer Ebene gelegt - auf die Aussprache der englischen Sprache mit einem deutschen Akzent (Roessel 2010, Roessel et al. eingereicht). Als moderne lingua franca dient Englisch heute als globales Kommunikationsmittel, das die Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Muttersprachen ermöglicht (Dewey 2007). Nicht nur auf Auslandsreisen, sondern auch innerhalb Deutschlands finden täglich Konversationen auf Englisch statt - Universitäten mit englischem Lehrangebot und Graduiertenschulen, internationale Kongresse und Unternehmen mit einer „Corporate Language English“ nehmen hierbei eine Vorreiterrolle ein (Graddol 2006, vgl. auch Stickel in diesem Band, Kap. 7). In allen Schulformen wird Englisch spätestens ab der fünften Klasse unterrichtet und 81 Prozent der Deutschen sehen Englisch als wichtigste Sprache für ihre persönliche Entwicklung und Karriere an (Eurobarometer 2006). Diese Überzeugung scheint sich schon früh zu entwickeln wie die in Rothe (in diesem Band, Kap. 1) dargestellte Schülerstudie zeigte. Hier gaben nicht nur 75,4 Prozent der SchülerInnen an, dass Englisch in der Schule gelernt werden sollte, sondern 77,1 Prozent der SchülerInnen wünschte sich zudem, Englisch perfekt zu können. Doch während Motivation und Anstrengung zur Erlangung sehr guter Vokabel- und Grammatiknutzung in einer Fremdsprache führen können, ist der willentliche Einfluss auf akzentfreies Sprechen jedoch wesentlich geringer. Wer nicht schon in frühen Jahren z. B. mit englischsprachigen MuttersprachlerInnen Kontakt hatte, wird in der Regel immer einen Akzent behalten (Birdsong 2006, Moyer 2004, Piske / MacKay / Flege 2001). Obwohl die korrekte Aus- Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 185 sprache einer Fremdsprache in der Tat unabhängig von Intelligenz ist (Gardner / Lambert 1965), wirken Personen, die akzentfrei Englisch sprechen, häufig kompetenter auf uns. Komplementär dazu gibt es zahlreiche Studien, die niedrigere Kompetenzbewertungen bei fremdsprachigen Akzenten belegen (Giles / Billings 2004, Gluszek / Dovidio 2010). In vier Studien wurde, an diese Beobachtungen anknüpfend, die Wirkung eines deutschen Akzents beim Sprechen der englischen Sprache untersucht. Alle Studien wurden in den Kontext einer vorgeblichen Personalauswahlsituation an einer Universität eingebettet, um die Relevanz von „gutem“ Englisch zum einen durch die Personalauswahlsituation (Notwendigkeit einer positiven Selbstdarstellung) und zum anderen durch den Kontext Universität (Bedeutung von Internationalisierung) aufzugreifen. Studie 1: Deutsche Akzente im Englischen bei der Personalauswahl Die erste Studie, deren Daten im Rahmen einer Diplomarbeit am Lehrstuhl Sozialpsychologie der Universität Mannheim erhoben wurden (Oltscher 2011), sollte zunächst klären, ob ein deutscher Akzent im Englischen zu einer nachteiligen Bewertung führt. Die Wirkung des eigenen Akzents in einer Fremdsprache wurde außerhalb von inhärent negativ assoziierten Immigrationskontexten noch nicht untersucht (z. B. Callan / Gallois / Forbes 1983, Ryan / Carranza 1975). Die Wahl des Universitätskontexts für die vorliegende Untersuchung bot mit Verweis auf die zunehmende Internationalisierung von Universitäten einen neutralen Grund, den Teilnehmenden englische Hörproben zu präsentieren. Den studentischen ProbandInnen wurde gesagt, es ginge um die Besetzung einer Juniorprofessur an einer deutschen Universität. Sie hörten daraufhin Auszüge aus dem vermeintlichen Berufungsverfahren einer deutschen Bewerberin, das auf Englisch stattgefunden habe. Wichtig dabei war jedoch, dass die ProbandInnen ferner informiert wurden, dass die spätere Unterrichtssprache Deutsch sei, damit sicher gestellt war, dass die englische Aussprache der Bewerberin keinerlei Bedeutung für ihre Qualifikation hatte. Bei der präsentierten Hörprobe handelte es sich um die Antwort auf die Frage „Was macht Sie zu einer guten Dozentin für Ihre Studierenden? “. Den ProbandInnen wurde dann ein englisches Hörbeispiel präsentiert, das von einer Deutschen entweder nahezu akzentfrei oder mit einem starken deutschen Akzent gesprochen worden war. Um den internationalen Standard einer englischen Muttersprachlerin zum Vergleich heranziehen zu können, wurde einem weiteren Teil der ProbandInnen eine Hörprobe einer amerikanischen Sprecherin dargeboten, wobei den ProbandInnen hier gesagt wurde, dass es sich um die Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 186 Besetzung einer Juniorprofessur an einer Universität in den USA handele. Bei den knapp einminütigen Aufnahmen wurde auf vergleichbare Sprechgeschwindigkeit, Intonation und wahrgenommene Motiviertheit der Sprecherinnen geachtet. Neben der Aussprache wurde die Güte der genannten Argumente variiert. Entweder nannte die Bewerberin starke Argumente (z. B. eine klare Struktur ihrer Seminare und Expertise) oder sie gab schwache Argumente an (z. B. sie habe schon immer davon geträumt, Professorin zu werden, oder sie gehe gern auf Studentenpartys). Die zugrunde liegenden Texte waren gleich lang und in korrekter englischer Grammatik verfasst. So lautete der Text für die starken Argumente: „In my opinion, I have several characteristics which I find essential to be a good lecturer. Well, first of all, my courses and seminars all have a clear structure. This gives the students a good base for test preparations and makes it easy to follow my arguments and explanations. And I really enjoy teaching in general. I love to teach young people in my area of expertise, see their enthusiasm for the subject grow and watch their progress over the semester. Additionally, I put a lot of time into the preparation of the courses. In my opinion it’s important to provide examples of the latest research rather than relying only on textbooks as teaching material. To me all this is fundamental for working with students and therefore I think I have been a good lecturer so far.“ Starke wie auch schwache Argumente begannen und schlossen mit demselben ersten und letzten Satz. Der eingebettete Text für die schwachen Argumente war wie folgt: „Well, first of all, I always dreamed of working as a professor at a university. It’s always been what I wanted to do. And I like to get to know my students outside of school, for example, at parties or other events at the university. I think it’s important to meet them in their free time as well, not just in class lecturing about course material. Additionally, my own children are studying as well and I learn a lot about their difficulties as when they plan hectic schedules under strict deadlines. So I have a great understanding of the problems students have nowadays.“ Im Anschluss an das Hörbeispiel bewerteten die ProbandInnen die Bewerberin. Da alle ProbandInnen nur eine Bewerberin hörten, resultierten mit den schwachen versus starken Argumenten bei einem kaum hörbaren versus einem starken deutschen Akzent im Englischen versus amerikanischem Englisch sechs Versuchsgruppen, die eine Untersuchung des relativen Einflusses von Akzent versus Argumenten erlaubten. Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 187 Ergebnisse: Es zeigte sich, dass die Bewerberinnen mit einem starken deutschen Akzent deutlich seltener Einstellungsempfehlungen und niedrigere Qualifikationsbewertungen erhielten als die Bewerberinnen, die nahezu akzentfrei sprachen oder solche mit Englisch als Muttersprache. Obwohl die Englisch-Muttersprachlerinnen nicht in einer Fremdsprache redeten und somit keine besondere sprachliche Kompetenz zeigten, wurden sie sogar leicht positiver bewertet als die fast akzentfrei sprechenden deutschen Bewerberinnen. Darüber hinaus hatte die Güte der inhaltlichen Argumente einen Einfluss auf die Einstellungsempfehlung. Wie zu erwarten war, führten starke Argumente eher zu einer befürwortenden Einstellungsentscheidung und besseren Qualifikationsbewertungen als schwache. Dies galt allerdings nur für die Bewerberinnen mit einem schwachen deutschen Akzent oder Englisch als Muttersprache. Demgegenüber entschieden sich zwei Drittel der ProbandInnen unabhängig von der Güte der Argumente gegen eine Einstellung, wenn die Bewerberin Englisch mit einem starken deutschen Akzent gesprochen hatte. Hier wurden die Argumente offenbar überhaupt nicht mehr für die Qualifikationsbewertung herangezogen. Weitere Analysen zeigten, dass diese negativen Bewertungen zu einem Großteil auf negative Gefühle, die durch den starken Akzent ausgelöst wurden, zurückgeführt werden können. Studie 2: Kontrolle von Vorurteilen gegenüber den Akzentsprecherinnen Die erste Studie verdeutlicht, dass in Deutschland der eigene deutsche Akzent im Englischen mit einer negativen Einstellung auf allen Ebenen (geringe Kompetenzzuschreibung, negative Gefühle, Ablehnung einer Einstellung) verbunden ist. Dies ist angesichts der hohen Bedeutung des Englischen in unserer Gesellschaft ein praktisch sehr bedeutsamer Befund - nicht zuletzt ist Englisch auch die Kommunikationssprache in der Wissenschaft, in der argumentative Überzeugungskraft essentiell ist (Ammon 1991, Skudlik 1990). Vor diesem Hintergrund stellt sich zwangsläufig die Frage, ob solche negativen Reaktionen auf SprecherInnen mit Akzent unausweichlich sind bzw. wie ihnen entgegengewirkt werden kann. Studie 2 hatte daher zum Ziel zu untersuchen, ob Aufforderungen zur Kontrolle von Vorurteilen negative Reaktionen gegenüber einem starken deutschen Akzent abschwächen können. In der durchgeführten Onlinestudie an studentischen ProbandInnen wurde dasselbe Material wie in Studie 1 verwendet. Allerdings wurden die Hörbeispiele auf die Aufnahmen der deutschen Bewerberinnen mit starken Argumenten beschränkt. Es gab somit vier Versuchsgruppen: Die ProbandInnen hörten entweder eine Bewerberin, die Englisch nahezu ohne deutschen Akzent sprach, Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 188 oder eine Bewerberin, die mit einem starken deutschen Akzent sprach. Die eine Hälfte der ProbandInnen bekam die gleiche Beschreibung über das Bewerbungsverfahren wie in Studie 1, während bei der anderen Hälfte zusätzlich folgende Aufforderung zur Vorurteilskontrolle eingebettet war: „Bitte vergegenwärtigen Sie sich, dass die meisten der Bewerberinnen und Bewerber aufgrund des englischen Verfahrens nicht in ihrer Muttersprache sprechen. Aktuelle Forschung hat gezeigt, dass der Akzent von Personen beim Sprechen einer Fremdsprache die Wahrnehmung und Beurteilung durch andere verzerren kann. Wir möchten Sie aus diesem Grund bitten, sich in Ihrem Urteil nicht von einem möglichen Akzent der Bewerberin / des Bewerbers und Ihren hierdurch eventuell ausgelösten Gefühlen beeinflussen zu lassen. Versuchen Sie, möglichst eine vorurteilsfreie Bewertung abzugeben, bei der Sie sich nicht von Ihren Stereotypen leiten lassen.“ Ergebnisse: Zunächst zeigte sich der gleiche Effekt wie in Studie 1: Die Bewerberinnen mit einem starken deutschen Akzent erhielten seltener Einstellungsempfehlungen und schlechtere Qualifikationsbewertungen als die nahezu akzentfreien Bewerberinnen. Wurden die ProbandInnen jedoch aufgefordert, sich nicht von ihren Vorurteilen leiten zu lassen, stieg die Zahl der Einstellungsempfehlungen. Zudem unterschieden sich die Qualifikationsbewertungen nicht mehr bedeutsam zwischen Bewerberinnen mit einem starken und jenen mit einem schwachen Akzent. Auch berichteten die ProbandInnen in dieser Bedingung keine negativeren Gefühle mehr gegenüber dem starken Akzent. Die explizite Aufforderung, automatisch ausgelöste negative Reaktionen gegenüber einem Akzent zu kontrollieren, führte folglich zu einer erfolgreichen Korrektur der sonst benachteiligenden Bewertungen. Studie 3: Bewertung eines deutschen Akzents in den USA Vor dem Hintergrund, dass Personen, deren Muttersprache Englisch ist, den Standard in der internationalen Kommunikation diktieren, ist es weiterhin von großem Interesse, wie solche Personen „Denglisch“ bewerten. Zum einen könnte auch hier das Stereotyp „Akzent = geringe Kompetenz“ durchschlagen. Zum anderen könnten aber auch Assoziationen mit dem nationalen Stereotyp von „kompetenten und effizienten Deutschen“ (Katz / Braly 1933, Lindemann 2005, Poppe / Linssen 1999) die Urteile leiten. Ein Beispiel dafür, dass das deutsche Kompetenzstereotyp auch mit einem deutschen Akzent assoziiert ist, dürfte wohl Albert Einstein sein, der mit seinem <th> = [z] und ž Ÿ-¡ € „ ¢£  ¤ ` ! ˜   Studierende aus allen Staaten der USA gewinnen. Wir verwendeten dieselben Hörproben wie in Studie 1, so dass mit den drei Sprachvarietäten (starker oder Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 189 schwacher deutscher Akzent im Englischen und Englisch als Muttersprache) und den starken versus schwachen Argumenten sechs Versuchsgruppen gegeben waren. Den ProbandInnen wurden die Fragebögen aus Studie 1 in englischer Sprache präsentiert, wobei alle Versuchsgruppen nun die Information erhielten, dass es um die Besetzung einer Position als „assistant professor“ an einer Universität in den USA ginge. Hierdurch hätte man sogar eine kritischere Bewertung der Bewerberinnen als in den Studien 1 und 2 erwarten können, da alle ProbandInnen annehmen mussten, dass der Unterricht auf Englisch gehalten werde. Ergebnisse: Im Gegensatz zu Studie 1, in der Bewerberinnen mit einem starken deutschen Akzent im Englischen unabhängig von der Güte der vorgebrachten Argumente eine schlechte Bewertung erfuhren, fanden wir in der amerikanischen Stichprobe für alle Sprachvarietäten, dass starke Argumente generell zu vermehrten Einstellungsempfehlungen und besseren Qualifikationsbewertungen führten als schwache Argumente. Weiterhin zeigte sich, dass die deutschen Bewerberinnen mit starkem wie auch mit schwachem Akzent sogar besser beurteilt wurden als die Englisch-Muttersprachlerinnen. Eine genauere Betrachtung zeigte, dass weniger die Stärke des Akzents als vielmehr die Information, dass die Bewerberin aus Deutschland sei, zu positiven Gefühlen bei den ProbandInnen führten. Interessant waren hier die offenen Kommentare der Teilnehmenden auf unsere Frage, was sie spontan mit einem deutschen Akzent oder deutschen Personen verbinden. Knapp ein Drittel der Befragten berichtete persönliche Verbindungen mit Deutschen, ein Viertel hatte Assoziationen mit dem Zweiten Weltkrieg (wobei hier oft hervorgehoben wurde, dass dies eher eine historische Verbindung sei und als Vergangenheit der Deutschen angesehen werde), ebenfalls ein Viertel dachte an gutes Essen oder deutsches Bier. Am verbreitetesten waren jedoch bei knapp vierzig Prozent der Befragten Assoziationen mit Eigenschaften wie Kompetenz, Effizienz oder deutscher Technik. Die Ergebnisse lassen die Frage offen, ob die positivere Bewertung hinsichtlich Eignung und Qualifikation der deutschen Bewerberinnen in der amerikanischen Stichprobe primär auf ein nationales Kompetenzstereotyp gegenüber den Deutschen zurückzuführen ist oder ob ihnen eine zusätzliche Kompetenz zugesprochen wurde, da sie sich fließend in einer Fremdsprache artikulieren konnten. Die ausbleibende Abwertung der Akzentsprecherinnen könnte jedoch auch auf eine allgemeine Aufgeschlossenheit gegenüber fremdsprachigen Akzenten der US-Studierenden zurückzuführen sein, da 93 Prozent der Teilnehmenden Erfahrung mit Lehrenden mit einem fremdsprachigen Akzent berichteten. Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 190 Studie 4: Akzentbewertung in den USA ohne gegebene Herkunftsinformation In Studie 4 sollte abschließend untersucht werden, ob der deutsche Akzent überhaupt als solcher erkannt wird und ob sich die positivere Bewertung der deutschen Bewerberinnen, die in Studie 3 zu beobachten war, auch zeigt, wenn die ProbandInnen keine Information über die Herkunft der Bewerberinnen erhalten. Von dieser Änderung abgesehen, wurden dasselbe Versuchsmaterial und dieselben Hörbeispiele wie in Studie 3 verwendet. An der Onlinestudie nahmen Studierende aus allen Staaten der USA teil, wobei ausgeschlossen werden konnte, dass sich die Befragten aus Studie 3 erneut beteiligten. Ergebnisse: Der Akzent der deutschen Bewerberinnen wurde nur von einem Viertel der ProbandInnen als deutscher Akzent erkannt. Andere Befragte hielten den Akzent häufig für asiatisch und zu ungefähr gleichen Anteilen für russisch, osteuropäisch oder für einen Akzent aus anderen Teilen Europas (oder der Welt bei wenigen Befragten). Die US-Studierenden waren folglich nicht besonders gut darin, die Herkunft von fremdsprachigen Akzenten zu erkennen. Ohne eine Information über die Herkunft der Bewerberinnen variierten die Einstellungsempfehlungen und Qualifikationsbewertungen jetzt nur noch in Abhängigkeit von der Güte der Argumente, während die Akzentstärke keinen bedeutsamen Einfluss auf das Urteil hatte. Eine genauere Betrachtung zeigte jedoch eine Tendenz, dass ProbandInnen, die den Akzent als deutsch identifizierten, Bewerberinnen, die schwache Argumente hervorbrachten, hinsichtlich ihrer Qualifikation positiver bewerteten als ProbandInnen, die andere Herkunftsannahmen über den Akzent hatten. Offenbar gab es bei den amerikanischen Studierenden, von denen auch in dieser Stichprobe 84 Prozent Erfahrung mit Lehrenden mit einem fremdsprachigen Akzent berichteten, keine vergleichbar negativen Assoziationen mit Akzenten wie in Deutschland. Eher im Gegenteil könnte gerade der deutsche Akzent durch seine Assoziation mit Kompetenz sogar von Vorteil sein. Diskussion: In dieser Studienreihe konnte gezeigt werden, dass Deutsche ihrem eigenen Akzent in der englischen Sprache (trotz grammatikalisch und stilistisch korrekter Sprechweise) sehr kritisch gegenüberstehen - so kritisch und mit solchen negativen Gefühlen, dass der Inhalt des Gesagten für eine vermeintliche Einstellungsempfehlung keine Rolle mehr spielte. Anscheinend lässt sich der Befund aus der Repräsentativumfrage (Eichinger et al. 2009), dass 92 Prozent der Deutschen Sorgfalt beim Sprechen für sehr wichtig halten, auf die Aussprache des Englischen übertragen. Im Gegensatz zu der gefunde- Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 191 nen Bevorzugung deutscher Begriffe gegenüber Anglizismen in Personalauswahlsituationen (vgl. Kap. 3) scheint die „Beibehaltung“ des Deutschen in der englischen Sprache nicht erwünscht zu sein. Ganz im Gegenteil sind sich die Deutschen der Bedeutung des Englischen gerade im Berufskontext bewusst (Eurobarometer 2006), so dass ein starker Akzent bei BewerberInnen zu niedrigeren Einstellungsempfehlungen und Qualifikationsbewertungen führt. Vor dem Hintergrund, dass vollständig akzentfreies Sprechen in einer Fremdsprache jedoch nur sehr begrenzt trainiert werden kann, gewinnt der Befund, dass entsprechende Vorurteile gegenüber SprecherInnen mit Akzent kontrolliert werden können, eine große Bedeutung. In Bereichen, in denen auf Englisch kommuniziert wird und für die Überzeugungskraft entscheidend ist, sollte nach den vorliegenden Befunden daher auf den möglichen benachteiligenden Einfluss von Akzenten hingewiesen und eine vorurteilsfreie Bewertung normativ verankert werden. Wird das Bewusstsein der Interagierenden für ihre möglichen Vorurteile wiederholt über einen längeren Zeitraum geschärft, können solche Normen verinnerlicht werden (Kawakami et al. 2000, Plant / Devine 1998). Ein Verweis auf die Befunde aus den USA (Studie 3 und Studie 4) könnte hierfür einen ersten Ansatz bieten. Anders als in Deutschland zeigte sich bei den amerikanischen Teilnehmenden, die überwiegend Erfahrung mit fremdsprachigen Akzenten hatten, keine Benachteiligung der Akzentsprecherinnen und im Falle einer Assoziation mit Deutschland sogar positivere Bewertungen. Wir könnten unserem eigenen Akzent folglich mehr Akzeptanz entgegenbringen. 5. Einstellungen gegenüber fremdsprachigen Akzenten Dass nicht nur der Inhalt unserer Äußerungen, sondern auch das Wie, mit dem wir etwas vermitteln, von großer Bedeutung sein kann, wurde in den vorangehenden Abschnitten (Kap. 3 und 4) illustriert. Insbesondere Akzente gehören nach bisherigem Forschungsstand zu den wichtigsten Faktoren für die eigene Identität wie auch für die Wahrnehmung anderer Personen (Giles / John- ‘ˆŽ š ` | $ ` | ‚^ | œ ‘‘‹ ‚ † | ˜ | ™&& ^ 2011). Als Varietäten, die von einer als Standard anerkannten Aussprache abweichen, werden sie primär mit geringerem Status und niedriger Kompetenz assoziiert. Zudem können nationale Stereotype die Wahrnehmung fremdsprachiger Akzente beeinflussen (Ryan 1983). So erweckt vielleicht der „romantische“ französische Akzent positive Gefühle, während der „raue“ russische Akzent negativere Reaktionen auslöst. In den folgenden Studien wurde die Natur solcher Wahrnehmungen untersucht. Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 192 Studie 1: Der Einfluss von fremdsprachigen Akzenten auf die Personalauswahl In einer ersten Studie, die im Rahmen einer Diplomarbeit am Lehrstuhl Sozialpsychologie der Universität Mannheim durchgeführt wurde (Weidenauer 2010), sollte zunächst die Auswirkung fremdsprachiger Akzente auf die Personenwahrnehmung untersucht werden. Im Kontext der Personalauswahl wurden die Einstellungschancen von BewerberInnen mit einem französischen und einem russischen Akzent untersucht. Diese beiden Akzente wurden ausgewählt, weil sie in der Repräsentativumfrage (vgl. Eichinger et al. 2009) am häufigsten als sympathischer (Französisch, 36 %) und unsympathischer Akzent (Russisch, 14 %) genannt worden waren. Zudem gaben in der in Rothe (in diesem Band, Kap. 1) dargestellten Schülerstudie 28 Prozent der SchülerInnen Französisch als sympathische und 25,1 Prozent der SchülerInnen Russisch als unsympathische Sprache an. Studentische Befragte erhielten die Information, in dieser Studie ginge es um Einflussfaktoren auf die Personalauswahl und die Bewertung von Führungsqualifikationen. Zunächst wurde ihnen eine Stellenausschreibung präsentiert, bei der es (wie in Kap. 3) um die Leitung von Vertrieb und Marketing in einer fiktiven Firma ging. Im Anschluss bekamen die Befragten Ergebnisse eines Einstellungstestes eines vorgeblichen Bewerbers oder einer Bewerberin vorgelegt. Eine Hälfte der Studienteilnehmenden erhielt dabei die Information, es handele sich um einen/ eine sehr gute BewerberIn. Die andere Hälfte der Befragten hingegen glaubte der/ die BewerberIn habe „nur“ gut im Einstellungstest abgeschnitten und hatte somit weniger eindeutige Informationen über die Eignung erhalten. Im Anschluss hörten alle Teilnehmenden einen Ausschnitt aus dem Einstellungsinterview des/ der vorgeblichen Bewerbers/ Bewerberin, in dem die Person ihre Eignung für das Unternehmen darlegte. Inhaltlich waren die Hörbeispiele identisch. Der Text lautete: ¥€ ˜ & ¦ ` & § ` \~ & ~ ¨  & © € & ˜  & ~ `reiche Praktika und Weiterbildungen. Ich bringe eine hohe Motivation mit, mich für das Unternehmen und auch die Mitarbeiter einzusetzen und zum Firmenerfolg beizutragen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist ein gutes Verhältnis zu – ``  ™  ` ª ~!  – © `«  sowie Team- und Kommunikationsfähigkeit Werte sind, denen ich große Bedeutung für mich selbst beimesse. Desweiteren bin ich sehr zielstrebig, zuverlässig und verfüge über gute organisatorische Fähigkeiten.“ Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 193 Während dieser Inhalt in allen Bedingungen identisch war, hörten einige der Befragten die Aufnahmen in akzentfreiem Deutsch, einige in einem französischen und andere schließlich in einem russischen Akzent. Mit diesen Sprachvarietäten und den eindeutigen versus weniger eindeutigen Informationen über die Eignung der BewerberInnen gab es insgesamt sechs Versuchsgruppen. Im Anschluss an das Hörbeispiel wurden die Studienteilnehmenden gefragt, ob sie den/ die BewerberIn einstellen würden. Ergebnisse: Es zeigte sich, dass sowohl ein französischer als auch ein russischer Akzent generell die Einstellungschancen eines Bewerbers/ einer Bewerberin verschlechterte: Bei Personen mit akzentfreiem Deutsch gaben deutlich mehr Befragte an, dass sie den/ die BewerberIn einstellen würden als bei Personen mit einem Akzent. Zusätzlich war aber auch die Information über die Qualifikation der BewerberIn von Bedeutung. Während es bei „sehr guten“ BewerberInnen nur eine untergeordnete Rolle spielte, ob das Deutsch akzentfrei oder akzentbehaftet war, zeigte sich bei „nur“ guten BewerberInnen ein deutlicher Effekt des Akzents: Hier hatten insbesondere BewerberInnen mit russischem Akzent geringere Einstellungschancen. Studie 2: Auswirkungen von ethnischen Stereotypen auf den Sprachgebrauch bei der Beschreibung von Personen Nationale und ethnische Stereotype und damit einhergehende Vorurteile gegenüber bestimmten Akzenten haben einen wichtigen Einfluss auf die Bewertung von akzentsprechenden Personen. Sprache kann jedoch nicht nur stereotype Inhalte auslösen, sondern auch auf subtile Weise Stereotype und Vorurteile zum Ausdruck bringen. So können wir z. B. durch eine bestimmte Wortwahl unsere eigene Gruppe positiver und Fremdgruppen negativer darstellen. Diese Verzerrung wurde als Linguistic Intergroup Bias bezeichnet (LIB; Maass et al. 1995, Schöl / Stahlberg / Maass 2008, Schoel / Maass 2009). Genauer beschreibt der LIB das Phänomen, dass positives Verhalten von Mitgliedern einer Fremdgruppe relativ konkret, positives Verhalten von Mitgliedern der Eigengruppe dagegen relativ abstrakt beschrieben wird (z. B. „Das Mitglied der Fremdgruppe hält jemandem die Tür auf“, aber „Das Mitglied der Eigengruppe ist hilfsbereit“). Umgekehrt wird negatives Verhalten der Eigengruppe relativ konkret, negatives Verhalten der Fremdgruppe relativ abstrakt beschrieben („Das Mitglied der Eigengruppe versetzt jemandem einen Schlag“, aber „Das Mitglied der Fremdgruppe ist aggressiv“). Das hat zur Folge, dass positives Verhalten der Eigengruppe und negatives Verhalten der Fremdgruppe eher Personenmerkmalen, negatives Verhalten der Eigengruppe Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 194 und positives Verhalten der Fremdgruppe hingegen eher Situationsmerkmalen zugeschrieben wird. Dadurch wird die eigene Gruppe aufgewertet, die Fremdgruppe hingegen abgewertet. Eine Reihe von Studien konnte zeigen, dass der LIB ein weitverbreitetes Phänomen ist, das vor allem in Intergruppenkontexten auftritt, die durch Konflikte und Wettstreit zwischen den Gruppen geprägt sind (Maass / Ceccarelli / Rudin 1996). In der Repräsentativumfrage (Eichinger et al. 2009) wurde Türkisch (11 %) nach Russisch (14 %) am häufigsten als unsympathischer ausländischer Akzent genannt. Vor allem jüngere Befragte (27 %) empfanden den türkischen Akzent als unsympathisch. Dieser Befund stimmt mit dem Ergebnis der in Rothe (in diesem Band, Kap. 1) dargestellten Schülerstudie überein, bei der sogar 37 Prozent der SchülerInnen Türkisch als unsympathische Sprache angaben. Auf der anderen Seite stellen türkische Migranten mit über eineinhalb Millionen Personen den größten Anteil der ausländischen Bevölkerung in Deutschland dar, und Türkisch ist entsprechend die am stärksten vertretene allochthone Minderheitssprache (vgl. Stickel in diesem Band, Kap. 2.2). In einer Studie, die im Rahmen einer Diplomarbeit am Lehrstuhl Sozialpsychologie der Universität Mannheim durchgeführt wurde (Jacobsen 2009), wurde deshalb genauer untersucht, welche Stereotype und Vorurteile deutsche und türkische SchülerInnen übereinander haben, indem erfasst wurde, inwiefern sie einen LIB zeigen (Schoel / Jacobsen / Stahlberg in Revision). Die Betrachtung des LIB hat den Vorteil, dass mit ihm Stereotype indirekt erfasst werden können, die bei direkter Befragung weniger wahrscheinlich zu Tage treten würden. Um diese sprachliche Verzerrung untersuchen zu können, wurden deutsche und türkische Jugendliche gebeten, dasselbe positive oder negative Verhalten eines deutschen (Tim) und eines türkischen (Cem) Jungen zu beschreiben. Dafür wurden deutschen und türkischen Jugendlichen Abbildungen präsentiert, auf denen ein Mitglied aus der Eigen- oder ein Mitglied aus der jeweiligen Fremdgruppe bei einer sozial erwünschten bzw. sozial unerwünschten Handlung dargestellt war. Die SchülerInnen wurden instruiert, fünf mögliche Beschreibungen der dargestellten Szene, die auf verschiedenen Abstraktionsebenen (von konkret bis abstrakt) konstruiert waren, zu lesen und diejenige Antwortalternative auszuwählen, die ihrer Meinung nach am besten zu der Abbildung passte. Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 195 Ein Beispiel für ein stereotyp positives türkisches Verhalten war: (1) Cem hat einen Freund mit nach Hause gebracht und holt ihm Chips und Cola [sehr konkret], (2) Cem versorgt seinen Freund mit Essen und Trinken, (3) Cem hat Spaß daran, Freunde zu sich nach Hause einzuladen, (4) Cem ist gastfreundlich, (5) Cem ist ein guter Gastgeber [sehr abstrakt]. Ein Beispiel für ein stereotyp negatives deutsches Verhalten war: (1) Tim isst die Chips, die er gekauft hat, ganz allein [sehr konkret], (2) Tim teilt die Chips nicht mit den anderen Kindern, (3) Tim mag nicht teilen, (4) Tim ist eigennützig, (5) Tim ist ein Egoist [sehr abstrakt]. Ein LIB würde bedeuten, dass deutsche Jugendliche positives Verhalten von deutschen und negatives Verhalten von türkischen Akteuren abstrakt beschreiben („Tim ist ein guter Gastgeber“, „Cem ist ein Egoist“), während sie negatives Verhalten von deutschen und positives Verhalten von türkischen Akteuren sehr konkret beschreiben („Tim isst die Chips, die er gekauft hat, ganz allein“, „Cem hat einen Freund mit nach Hause gebracht und holt ihm Chips und Cola“). Türkische Jugendliche sollten im Falle eines LIB ihre sprachlichen Beschreibungen genau gegenläufig auswählen. Die Studie wurde in zehn Klassen an fünf verschiedenen Mannheimer Schulen durchgeführt. Ungefähr jeweils ein Drittel der SchülerInnen besuchte die Hauptschule, die Realschule oder das Gymnasium. Etwas über zwei Drittel der Befragten waren deutsche, etwas weniger als ein Drittel waren türkische SchülerInnen im Alter zwischen 13 und 20 Jahren. Ergebnisse: Es trat kein genereller LIB auf, d. h. nicht alle SchülerInnen bevorzugten die Eigengruppe und werteten die jeweilige Fremdgruppe ab. Für bestimmte Untergruppen deutscher und türkischer SchülerInnen konnte der Effekt jedoch nachgewiesen werden. So zeigte sich, dass sowohl deutsche als auch türkische Jugendliche einen starken LIB-Effekt aufwiesen, wenn der Anteil an ausländischen SchülerInnen in der Klasse hoch war, wenn es laut Angaben der Lehrenden häufiger zu Konflikten zwischen deutschen und ausländischen SchülerInnen kam, und wenn die Jugendlichen nach Angaben der Lehrenden das Mischungsverhältnis von deutschen und ausländischen Schü- Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 196 lerInnen als Nachteil erlebten. Bisherigen Forschungsergebnissen entsprechend kam es also vor allem in solchen Klassen zu einer verstärkten Bevorzugung der Eigengruppe und Diskriminierung der jeweiligen Fremdgruppe, die durch Konflikte und Wettbewerb gekennzeichnet waren (Maass et al. 1996). Diskussion: Die vorliegenden Studien demonstrieren, dass die Wirkung von Sprache nicht losgelöst von Identitäten betrachtet werden sollte. In der ersten Studie zeigte sich, dass als sympathisch bewertete Akzente wie der französische Akzent und als unsympathisch bewertete Akzente wie der russische Akzent zu Benachteiligungen bei Einstellungsentscheidungen in der Personalauswahl führen können. Jedoch war dies bei einem russischen Akzent besonders stark ausgeprägt. Der Abschnitt über deutsche Akzente im Englischen schloss mit einem Plädoyer dafür, Akzeptanz von Akzenten normativ zu etablieren. Solche Versuche werden jedoch kaum Früchte tragen, solange negative Stereotype gegenüber der akzentsprechenden Personengruppe stark ausgeprägt sind (Allport 1958, Ryan 1983). Wie Stereotype zudem durch subtile sprachliche Mechanismen ausgedrückt und vermittelt werden, hat Studie 2 anhand des LIB bei deutschen und türkischen Jugendlichen untersucht. Diese sprachliche Bevorzugung der Eigengruppe gegenüber der Fremdgruppe zeigte sich insbesondere in Klassen mit einem hohen Ausländeranteil, einem hohen Konfliktpotential und Klassen, in denen das Mischungsverhältnis von deutschen und ausländischen Jugendlichen als Lernnachteil empfunden wurde. Diese Ergebnisse sind nicht nur für sich genommen interessant und belegen die Anwendbarkeit des Verfahrens zur Erfassung des LIB auf diese Fragestellung, sondern sie weisen auf bestimmte Problemursachen hin und liefern damit wertvolle Hinweise für mögliche Interventionen in der Praxis. Mögliche Ansatzpunkte könnten hier das Erlernen von gezielten Konfliktmanagementstrategien und das gezielte Fördern von Wettbewerben zwischen Gruppen gemischter Herkunft (deutsch-türkisch) sein. Zudem sollte man nach den Befunden auf sprachlicher Ebene darauf achten, wie man das Verhalten seiner Mitmenschen beschreibt. In dem Maße, indem man anderen Kulturen gegenüber weniger vorurteilsbehaftet ist, können auch Akzente auf offenere Ohren treffen. 6. Zusammenfassung In diesem Beitrag wurden eine Reihe sozialpsychologischer Studien zum Thema Spracheinstellungen vorgestellt. Das Vorgehen in diesen Studien unterschied sich dabei zum Teil vom Vorgehen in der Repräsentativumfrage (Eichinger et al. 2009). Während es bei der Repräsentativumfrage darum ging, Spracheinstellungen I: Deutsch und Fremdsprachen 197 ein möglichst umfassendes Bild über die Spracheinstellungen der deutschen Bevölkerung zu bekommen (vgl. Einleitung dieses Bandes), zielten die vorliegenden sozialpsychologischen Studien auf die Aufdeckung universeller kognitiver und motivationaler Effekte von Spracheinstellungen ab. So wurde in einem ersten Schritt die AToL-Skala zur Erfassung von Spracheinstellungen entwickelt. Dabei zeigte sich, dass solche Einstellungen auf den drei Dimensionen Wert, Klang und Struktur abgebildet werden können. Die Befragten unterschieden auf diesen Dimensionen zwischen verschiedenen Sprachen und Sprachvarietäten. Besonders relevant in der Sozialpsychologie sind Einstellungen zu Personen und Gruppen. Da die Bewertung von Sprache immer auch mit ihren Sprechenden verbunden ist, wurden neben innersprachlichen Merkmalen vor allem auch stereotype Einstellungen gegenüber bestimmten Sprechergruppen erfasst. Die Effekte von Sprachvarietäten auf Bewertungen und Verhaltenstendenzen wurden dabei im Kontext der Personalauswahl betrachtet, da eine positive Selbstdarstellung insbesondere auf dem Arbeitsmarkt existenziell sein kann. Aufgrund der bedeutenden Rolle der englischen Sprache in der globalen Kommunikation wurde einerseits untersucht, wie die Verwendung von Anglizismen - also von englischen Begriffen im Deutschen - und wie andererseits ein deutscher Akzent im Englischen wahrgenommen wird. Bei der Untersuchung von Anglizismen zeigte sich in Bezug auf Kompetenz und Wärme auf impliziten Einstellungsmaßen eine klare Präferenz für Deutsch gegenüber Anglizismen. Die Ergebnisse im Hinblick auf explizite Einstellungsmaße, also jenen Überzeugungen, die bewusst zugänglich sind, waren hingegen nicht so eindeutig. Wer durch Anglizismen kompetenter oder sympathischer wirken möchte, sollte diese Strategie den vorliegenden Ergebnissen zufolge also überdenken. Im Kontext der Personalauswahl führte die Verwendung von Anglizismen überdies explizit zu einer negativeren Personenwahrnehmung und somit zu geringeren Einstellungschancen. Während sich also in Bezug auf implizite Einstellungen und Personalentscheidungen in diesen Studien eine Präferenz des Deutschen über Anglizismen zeigte, fand sich im Falle einer notwendigen Kommunikation in englischer Sprache eine Assoziation von akzentfrei gesprochenem Englisch mit Kompetenz. Personen, die hingegen mit einem starken deutschen Akzent Englisch sprachen, erhielten unabhängig von der Qualität ihrer Argumente seltener Einstellungsempfehlungen. Diese Abwertung ließ sich nur durch explizite Aufforderungen zu einer vorurteilsfreien Bewertung aufheben oder durch die Betrachtung des deutschen Akzents aus den USA, einem Land, in dem der Umgang mit fremdsprachigen Akzenten Christiane Schoel / Jennifer Eck / Janin Roessel / Dagmar Stahlberg 198 zum Alltag gehört und in dem insbesondere der deutsche Akzent mit einem Kompetenzstereotyp positivere Bewertungen hervorrufen kann. Der Beitrag schließt mit zwei Studien zu Einstellungen gegenüber fremdsprachigen Akzenten. Die erste Studie weist auf Benachteiligungen im Bewerberkontext aufgrund von französischen und russischen Akzenten im Deutschen hin. Die zweite Studie untersuchte die gegenseitigen Vorurteile von deutschen und türkischen Jugendlichen im Schulkontext mittels eines sprachlichen Maßes zur Erfassung von Stereotypen (LIB). Es zeigte sich, dass auf sprachlicher Ebene Vorurteile und Stereotype sehr subtil und vorrangig in besonders konfliktträchtigen und wettbewerbsorientierten Intergruppenkontexten auftreten können. Obwohl diese Studien keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, geben sie doch einen guten Einblick in die Herangehensweise und damit methodischen Möglichkeiten der Sozialpsychologie, Einstellungen gegenüber Sprache und ihren SprecherInnen zu untersuchen. Damit ergänzen sie die soziolinguistische Forschung und können auch richtungsweisend für zukünftige Forschung und Anwendungen in der Praxis sein. 7. Literatur Allport, Gordon W. (1958): The nature of prejudice. Garden City, NY : Doubleday Anchor. Ammon, Ulrich (1991): Die internationale Stellung der deutschen Sprache. Berlin: de Gruyter. Birdsong, David (2006): Age and second language acquisition and processing: A selective overview. In: Language Learning 56, S. 9-49. 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Christiane Schoel, Dagmar Stahlberg Spracheinstellungen aus sozialpsychologischer Perspektive II: Dialekte In Schoel / Eck / Roessel / Stahlberg (in diesem Band) ging es um Einstellungen gegenüber Deutsch im Vergleich zu anderen Sprachen. Im Folgenden liegt der Fokus auf innerdeutschen, regionalen Varietäten und der Bewertung ihrer jeweiligen SprecherInnen. Es wird der Frage nachgegangen, wie Personen wirken, die die Standardvarietät sprechen, und wie demgegenüber Personen wahrgenommen werden, die einen Dialekt sprechen. In Schoel / Eck / Roessel / Stahlberg (in diesem Band; vgl. dort Kap. 2 und 3) wurde bereits dargestellt, dass zwei wichtige Dimensionen der Personenbewertung die Kompetenz- und die Wärmedimension sind. Die Studien zur AToL-Skala (Schoel / Eck / Roessel / Stahlberg in diesem Band, Kap. 2; Schoel / Roessel et al. 2012) untersuchten bereits die expliziten Einstellungen gegenüber Deutsch, Bairisch und Sächsisch bezüglich der Subskalen Wert, Klang und Struktur und der jeweiligen Sprecherbeurteilungen bezüglich Kompetenz und Wärme. Dabei zeigte sich, dass Deutsch positiver in Bezug auf Wert und Struktur, Bairisch und Sächsisch hingegen positiver in Bezug auf den Klang beurteilt wurden. DeutschsprecherInnen wurde zudem mehr Kompetenz und DialektsprecherInnen mehr Wärme zugeschrieben. Darüber hinaus zeigten sich spezifische positive Korrelationen von Wert und Struktur mit Kompetenz, sowie von Klang mit Wärme - ein Hinweis darauf, dass Bewertungen von Sprachen und Varietäten nicht unabhängig von der Bewertung ihrer jeweiligen SprecherInnen ist. In den folgenden Studien wird der Frage nachgegangen, warum StandardsprecherInnen stärker mit Kompetenz und Non-StandardsprecherInnen stärker mit Wärme in Verbindung gebracht werden. 1. Standard = Kompetenz, Non-Standard = Wärme? Die Befunde von Schoel / Roessel et al. (2012) bezüglich Bairisch und Sächsisch replizieren bisherige Forschungsergebnisse der Untersuchung von Einstellungen gegenüber Standard- und Non-StandardsprecherInnen im Allgemeinen (z. B. Dialekte oder Akzente; für eine Übersicht siehe Giles / Coupland 1991). Diese Arbeiten zeigen, dass Standardvarietäten häufig in Bezug auf ihre generellen ästhetischen Merkmale als positiver und schöner bewertet werden als Non-Standardvarietäten. Zudem wird StandardsprecherInnen ein höherer Status, mehr Prestige und mehr Kompetenz zugeschrieben als Non- Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg 206 StandardsprecherInnen. Gleichzeitig zeigt sich in Bezug auf Solidarität und Wärme in vielen Untersuchungen das umgekehrte Bild. Auf diesen Dimensionen schneiden Non-StandardsprecherInnen besser ab. Ein Problem, das jedoch für bisherige Untersuchungen besteht, ist die Konfundierung von Urteilen über Sprache und SprecherInnen. Mit anderen Worten: Sprache wird nie nur als „Sprache an sich“ wahrgenommen, sondern ist immer auch mit der Bewertung der SprecherInnen bzw. der Sprechergruppe verbunden und umgekehrt. Ein Hinweis darauf ist z.B. auch die Korrelation von Struktur und Kompetenz bzw. von Klang und Wärme in den Studien von Schoel / Roessel et al. (2012; siehe auch Schoel / Eck / Roessel / Stahlberg in diesem Band, Kap. 2). Die jeweilige Sprachvarietät ist ein salientes Merkmal und steht für eine bestimmte Gruppenzugehörigkeit. Dadurch lässt sich in vielen Fällen bereits von gesprochenen Äußerungen auf die Gruppenzugehörigkeit einer Person schließen. Umgekehrt können auch die Einstellungen zu bestimmten Personengruppen die Beurteilung einer Sprachvarietät beeinflussen. Auf diesen Annahmen basierend wurde in den folgenden Untersuchungen postuliert, dass Informationen über eine Sprachvarietät - z. B. schon allein das Wissen, dass es sich um die Standardvarietät bzw. um einen Dialekt handelt - das Urteil über die zugehörigen SprecherInnen beeinflussen können. Umgekehrt sollten aber auch Informationen über die Sprechergruppe - z. B. das Wissen, dass es sich um kompetente oder warme Personen handelt - Einfluss auf die Bewertung der jeweiligen Sprachvarietät nehmen. Um diese Hypothesen zu testen und gleichzeitig dem Problem der Konfundierung zu begegnen, wurde eine Reihe von Studien durchgeführt, in denen ProbandInnen Hörbeispiele von ihnen unbekannten Sprachen vorgegeben wurden und bei denen entweder die Informationen über die Sprachvarietäten (Studie 1-3) oder über die Sprechergruppen (Studie 4) variierte. 1.1 Einfluss der Sprachinformation auf die Bewertung der Sprechergruppe Studie 1: Der Einfluss der Information „Hochsprache“ versus „Dialekt“ auf die Bewertung einer Kunstsprache In einer ersten Studie wurde ProbandInnen ein und dasselbe Hörbeispiel einer Kunstsprache (Elbisch; Tolkien 1954; 1955) vorgespielt, über deren Sprecher- Innen zuvor keine stereotypen Erwartungen existierten. Der Text des Hörbeispiels lautete wie folgt: Spracheinstellungen II: Dialekte 207 Na Mithrim tunc i-’waith hún, ab ho orthorn Chelcharaes, pe-chîr, pen-aes, pen-estel. Chithlum ho carn i-mbar hoen. Entas cuianter mae; mae dan diachas ar mi ndýr chiph. Ned lû hen i Vrannon-dûr tunc i-nDagor Bragollach; lith, når ar ‘urth. Pen-niphred, rœgiant na-ndagor ereb hún, ar di-’weth Than- & °š ² ! & `³´ `` „ " & ` ¢ `\ `  & ` ar cheleg; luin ar glân. Grond dringant ðaith nuir, Ringil ristant odog heiru, i-aran dår ú-dirn ad i-mbair hún. Le linnam. Ae, berenwain ar aglarwain in Aranath Edhellin. No mae, adaren, no mae. (adaptiert von Florian Dombach, http: / / www.elvish.org/ gwaith/ north_sindarin.htm ) Während eine Gruppe die Information erhielt, es handele sich um einen Dialekt, bekam die andere Gruppe die Information, eine Hochsprache zu hören. Dabei wurde der Begriff „Hochsprache“ verwendet, da im Deutschen umgangssprachlich sehr häufig von „Hochdeutsch“ die Rede ist und „Standarddeutsch“ bzw. „Standardsprache“ im Alltag weniger geläufig ist. Im Anschluss an das Hörbeispiel schätzten die TeilnehmerInnen Personen, die die gehörte Sprache sprechen, auf den Dimensionen Kompetenz (effizient, kompetent, erfahren, selbstsicher, intelligent, fähig) und Wärme (vertrauenswürdig, freundlich, aufrichtig, gutmütig, wohlmeinend, warm; Items übernommen von Fiske / Cuddy / Glick / Xu 2002) ein. Da die ProbandInnen ein und dasselbe Hörbeispiel hörten, können Unterschiede in der Bewertung allein auf die Information „Hochsprache“ bzw. „Dialekt“ zurückgeführt werden. Ergebnisse: TeilnehmerInnen, die die Information „Hochsprache“ bekommen hatten, beurteilten die SprecherInnen der unbekannten Sprache als kompetenter als Personen mit der Information, es handele sich um einen Dialekt. Auf der Wärmedimension zeigten sich hingegen keine Unterschiede in Abhängigkeit von der Information „Hochsprache“ versus „Dialekt“. Mit anderen Worten: für die vermeintlichen DialektsprecherInnen blieb die erwartete Aufwertung auf der Wärmedimension, die in bisherigen Studien zu realen Non- Standardvarietäten berichtet wurden, aus. Studie 2: Der Einfluss der Information „Hochsprache“ versus „Dialekt“ und sprachlicher Merkmale auf die Bewertung einer Kunstsprache In Studie 1 wurde nur die Information, ob die ProbandInnen vorgeblich eine Hochsprache oder einen Dialekt gehört hatten, variiert. Das Hörbeispiel war jedoch identisch für alle Teilnehmenden. In Studie 2 wurde deshalb neben der Information auch das Hörbeispiel an sich variiert. Ziel dabei war es, zu untersuchen, was einen stärkeren Einfluss auf die Bewertung von SprecherInnen Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg 208 und Varietäten hat, die Information „Hochsprache“ versus „Dialekt“ oder die tatsächlichen sprachlichen Charakteristika. Da sich Standard- und Non-Standardvarietäten in vielerlei Hinsicht unterscheiden, ist es nahezu unmöglich eine Kunstsprache mit „echten“ dialektalen Merkmalen zu generieren. Stattdessen wurden deshalb Lento- und Allegroformen der Hörbeispiele als Audiodateien aufgenommen, d. h. in Studie 2 wurde ein elbischer Textauszug einmal in normaler Geschwindigkeit und deutlich artikuliert gesprochen (Lentoform) und einmal in erhöhter Geschwindigkeit unter Weglassung von Silben (Allegroform). Einer Gruppe wurden beide Hörbeispiele ohne zusätzliche Information präsentiert, einer zweiten Gruppe wurden die beiden Hörbeispiele mit der Information präsentiert, es handele sich um eine Hochsprache bzw. um einen Dialekt, und einer dritten Gruppe wurden die Hörbeispiele mit vertauschter Information vorgegeben. Es ergaben sich die folgenden drei Versuchsgruppen: keine Information (Lentovs. Allegroform), Informationsgruppe 1 (Lentoform = Hochsprache vs. Allegroform = Dialekt) und Informationsgruppe 2 (Lentoform = Dialekt vs. Allegroform = Hochsprache). Im Anschluss wurden die ProbandInnen gebeten, den Sprecher bezüglich Kompetenz und Wärme zu bewerten. Ergebnisse: Für die Gruppe, die keine zusätzliche Information erhalten hatte, zeigte sich, dass der Sprecher kompetenter wahrgenommen wurde, wenn den ProbandInnen das Hörbeispiel in der Lentoform präsentiert wurde, als wenn sie das Hörbeispiel in der Allegroform hörten. Das Gleiche galt für Informationsgruppe 1. Die Kompetenz des Sprechers wurde in der Bedingung „Lentoform = Hochsprache“ positiver beurteilt als in der Bedingung „Allegroform = Dialekt“. Für Informationsgruppe 2 drehte sich dieses Muster um. Mit anderen Worten, auch wenn es generell einen Unterschied in der Kompetenzbewertung des Sprechers zwischen den beiden Hörbeispielen (Lentovs. Allegroform) gab, war die Vorgabe einer Information entscheidend. Glaubten die ProbandInnen, eine Hochsprache gehört zu haben, fielen die Urteile bezüglich Kompetenz deutlich positiver aus, als wenn sie meinten, einen Dialekt gehört zu haben. Es ist jedoch anzumerken, dass die Bewertungsunterschiede zwischen der vorgeblichen „Hochsprache“ und des vorgeblichen Dialekts in Informationsgruppe 1 (Lentoform = Hochsprache vs. Allegroform = Dialekt) größer waren als bei Informationsgruppe 2 (Lentoform = Dialekt vs. Allegroform = Hochsprache). Außerdem gab es auch einen Unterschied in der Gruppe ohne zusätzliche Information. Deshalb ist anzunehmen, dass auch Sprachmerkmale an sich einen Einfluss auf die Bewertung hatten. Für die Wärmedimension zeigten sich erneut keine Unterschiede innerhalb und zwischen den Gruppen. Spracheinstellungen II: Dialekte 209 Studie 3: Der Einfluss der Information „Hochsprache“ versus „Dialekt“ und sprachlicher Merkmale am Beispiel Tansania In Studie 1 und Studie 2 wurden den Befragten Hörbeispiele der Kunstsprache Elbisch präsentiert, um den Einfluss von bestehenden Stereotypen oder Vorurteilen gegenüber bestimmten Varietäten oder Sprechergruppen zu vermeiden. Ein Nachteil dieser Vorgehensweise ist, dass es sich bei Elbisch nicht um eine real gesprochene Sprache handelt. Eine andere Möglichkeit, mit dem Problem bestehender Voreinstellungen umzugehen, besteht darin, Personen reale Sprachvarietäten vorzuspielen, die keine Kenntnisse über die in Frage stehende Sprache haben. Aus diesem Grund wurde ergänzend zu den Elbischstudien eine Studie mit SchülerInnen in Tansania durchgeführt. Die lingua franca in Tansania ist Swahili, daneben existieren viele verschiedene Dialekte. Als Stimulusmaterial diente „Hochdeutsch“ und „Saarländisch“, gesprochen von einem männlichen Sprecher, und „Hochdeutsch“ und „Plattdeutsch“, gesprochen von einer weiblichen Sprecherin. Nach der Matched-Guise-Technik (Lambert / Hodgson / Gardner / Fillenbaum 1960) wurden allen Teilnehmenden messwiederholt entweder die zwei Aufnahmen des Sprechers oder der Sprecherin präsentiert, so dass Unterschiede in der Bewertung zwischen den Hörbeispielen nicht auf die Stimme, das Alter oder das Geschlecht des Sprechers / der Sprecherin zurückgeführt werden konnten. Zudem erhielten die Probanden entweder keine Informationen, konsistente Informationen (Hochdeutsch = Hochsprache und Plattdeutsch/ Saarländisch = Dialekt) oder inkonsistente Informationen (Hochdeutsch = Dialekt und Plattdeutsch/ Saarländisch = Hochsprache) über die Varietäten. Im Anschluss bewerteten die Befragten den/ die SprecherIn auf den Dimensionen Kompetenz und Wärme. Darüber hinaus schätzten sie ein, ob der gesprochene Text eher einen positiven oder eher einen negativen Inhalt hatte, ob der Text eher an jemanden gerichtet ist, der wichtig für den / die SprecherIn ist, und ob man selbst den / die SprecherIn um Rat fragen würde. Ergebnisse: Die Bewertungen der Probanden, die keine Informationen zu den Hörbeispielen präsentiert bekamen, unterschieden sich auf keiner der erfassten Dimensionen. Unabhängig davon, ob sie „Hochdeutsch“ oder einen Dialekt gehört hatten, fiel die Wahrnehmung des Sprechers / der Sprecherin vergleichbar aus. Das gleiche galt für den Fall inkonsistenter Informationen. Erhielten die Teilnehmenden jedoch konsistent die Information, bei „Hochdeutsch“ handele es sich um die Hochsprache und bei Plattdeutsch bzw. Saar- Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg 210 ländisch handele es sich um einen Dialekt, zeigten sich deutliche Effekte. So wurde der/ die SprecherIn wärmer, die Nachricht positiver und der Adressat der Botschaft wichtiger eingeschätzt, wenn die ProbandInnen die Information hatten, Hochdeutsch zu hören, und das auch zutraf, als wenn sie meinten, einen deutschen Dialekt zu hören, und das tatsächlich so war. Auf der Kompetenzdimension ergaben sich wider Erwarten keine Unterschiede. Es zeigten sich also die stärksten Effekte in der konsistenten Bedingung, d. h. wenn sprachliche Merkmale mit der gegebenen Information übereinstimmten. Dieses Muster gibt einen erneuten Hinweis darauf, dass möglicherweise die Interaktion von Sprachmerkmalen und Information entscheidend ist. 1.2 Einfluss der Information über die Sprechenden auf die Bewertung der Sprachvarietät Studie 4: Einfluss von Personenmerkmalen auf die Bewertung einer Kunstsprache Nicht nur Informationen über eine Varietät (Hochsprache versus Dialekt) können die Beurteilung ihrer SprecherInnen beeinflussen, sondern auch stereotype Vorstellungen über die Sprechergruppe können Einfluss auf die Bewertung von sprachlichen Varietäten nehmen. Um diese Hypothese zu testen, wurden in Studie 4 anstelle von Informationen über die Sprachvarietät Informationen über die Sprechergruppe einer Varietät vorgegeben. Den ProbandInnen wurde mitgeteilt, dass es in der Studie darum ginge, wie Personen ihnen unbekannte Gruppen anhand von nur wenigen Informationen beurteilen und dass ihnen im Folgenden die beiden Gruppen „Anoba“ und „Onaba“ von einem fremden Planeten vorgestellt würden. Dabei gab es drei Versuchsgruppen, in denen die Kompetenz (kompetent versus inkompetent), die Wärme (freundlich versus unfreundlich) oder die Gesundheit (gesund versus krank) der „Anoba“ und „Onaba“ variiert wurden. Neben Kompetenz und Wärme wurde Gesundheit als Dimension aufgenommen, da sie von den anderen beiden Dimensionen unabhängig ist (Yzerbit / Kervyn / Judd 2008). Der genaue Wortlaut war: Im Folgenden werden Ihnen die Anoba und die Onaba vorgestellt, zwei Völker, die auf dem fremden Planeten Wonabi leben, der sich weit entfernt von der Erde in einer anderen Galaxie befindet. Ein Teil der Probanden erhielt dann die Information, die eine Gruppe sei kompetent: Die Anoba zeichnen sich durch ihre stark ausgeprägte Zielstrebigkeit aus. Sie sind ein sehr gebildetes Volk. Hinsichtlich der Ziele, die es zu erreichen gilt, Spracheinstellungen II: Dialekte 211 sind sie besonders ehrgeizig und ausdauernd. Ihre Intelligenz und Erfahrung bewirken, dass sie ihre Aufgaben überdurchschnittlich gut bewerkstelligen. Die Anoba haben außerdem eine schnelle Auffassungsgabe, und es fällt ihnen leicht, etwas Neues zu lernen. Bei beruflichen Begegnungen mit den Anoba erlebt man sie als gut organisiert und kompetent. Die andere Gruppe hingegen sei inkompetent: Die Onaba zeichnen sich durch ihre stark ausgeprägte Planlosigkeit aus. Sie sind ein eher einfaches Volk. Hinsichtlich der Ziele, die es zu erreichen gilt, sind sie wenig ehrgeizig und ausdauernd. Ihre Einfältigkeit und Naivität bewirken, dass sie ihre Aufgaben nur schlecht bewerkstelligen. Die Onaba haben außerdem eine langsame Auffassungsgabe, und es fällt ihnen schwer, etwas Neues zu lernen. Bei beruflichen Begegnungen mit den Onaba erlebt man sie als unorganisiert und inkompetent. Ein zweiter Teil der Probanden las, dass die eine Gruppe besonders freundlich (warm) sei: Die Anoba zeichnen sich durch ihre stark ausgeprägte Aufgeschlossenheit aus. Sie sind ein sehr geselliges Volk. Im Umgang mit anderen sind sie besonders herzlich und liebenswürdig. Ihre unbeschwerte und humorvolle Art bewirkt, dass man sich in ihrer Gegenwart wohlfühlt. Die Anoba sind außerdem fürsorglich und kümmern sich besonders um das Wohlergehen anderer. Bei persönlichen Begegnungen mit den Anoba erlebt man diese als tolerant und bescheiden. Die andere Gruppe hingegen sei eher unfreundlich (kalt): Die Onaba zeichnen sich durch ihre stark ausgeprägte Distanziertheit aus. Sie sind ein sehr zurückgezogenes Volk. Im Umgang mit anderen sind sie eher kühl und abweisend. Ihre ernste und humorlose Art bewirkt, dass man sich in ihrer Gegenwart unwohl fühlt. Die Onaba sind außerdem egoistisch und kümmern sich vor allem um ihr eigenes Wohlergehen. Bei persönlichen Begegnungen mit den Onaba erlebt man diese als intolerant und überheblich. Die verbleibenden ProbandInnen erfuhren, dass die eine Gruppe gesund sei: Die Anoba zeichnen sich durch ihre stark ausgeprägte Vitalität aus. Sie sind ein sehr aktives Volk. Sie leben gesundheitsbewusst und legen viel Wert auf eine ausgewogene Ernährung. Ihre naturverbundene und sportliche Art bewirkt, dass sie sich viel an der frischen Luft bewegen. Die Anoba lehnen den Konsum von Alkohol und Nikotin ab und machen sich viele Gedanken über gesundheitliche Risiken. Bei Begegnungen mit den Anoba erlebt man diese als energiegeladen und temperamentvoll. Die andere Gruppe hingegen sei häufig krank: Die Onaba zeichnen sich durch ihre stark ausgeprägte Anfälligkeit für Krankheiten aus. Sie sind ein eher lethargisches Volk. Sie leben ungesund und legen Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg 212 keinerlei Wert auf eine ausgewogene Ernährung. Ihre körperlich schwerfällige und unsportliche Art bewirkt, dass sie die meiste Zeit zu Hause auf dem Sofa verbringen. Die Onaba sind dem Konsum von Alkohol und Nikotin zugeneigt und machen sich wenig Gedanken über gesundheitliche Risiken. Bei Begegnungen mit den Onaba erlebt man diese als energielos und gemütlich. Direkt im Anschluss an die jeweilige Beschreibung einer Gruppe wurde den Befragten ein Hörbeispiel der vorgeblichen Sprache dieser Gruppe vorgespielt, und sie wurden gebeten, diese auf den Dimensionen Wert, Klang und Struktur zu bewerten. Tatsächlich handelte es sich bei beiden Hörbeispielen, die ein/ e Proband/ in hörte, um ein und dieselbe Elbischaufnahme. Auftretende Unterschiede in der Bewertung können deshalb ausschließlich auf den Einfluss der sozialen Informationen (kompetent vs. inkompetent, warm vs. kalt oder gesund vs. krank) zurückgeführt werden. Ergebnisse: Für die Wertdimension zeigte sich ein genereller Effekt, positive soziale Informationen (d. h. kompetent, warm oder gesund) führten zu einer positiveren Bewertung der Sprache als negative soziale Informationen (d. h. inkompetent, kalt oder krank). Die Ergebnisse für Klang und Struktur waren hingegen spezifisch. Während die Sprache der kompetenten Gruppe strukturierter wahrgenommen wurde als die Sprache der inkompetenten Gruppe, wirkte die Sprache der freundlichen Gruppe klangvoller als die Sprache der unfreundlichen Gruppe. Zwischen der gesunden und der kranken Gruppe zeigten sich hingegen keine Unterschiede bezüglich Struktur oder Klang. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass das Stereotyp, eine Gruppe sei kompetent, die Bewertung der Struktur einer Sprache beeinflusste. Das Stereotyp, eine Gruppe sei warm, wirkte sich hingegen positiv auf die Klangbewertung der Sprache aus. Diese Befunde stehen im Einklang mit den beschriebenen Korrelationen zwischen den Dimensionen des Spracheinstellungsmaßes und den Dimensionen Kompetenz und Wärme (siehe Schoel / Eck / Roessel / Stahlberg in diesem Band, Kap. 2). Hier hatte sich gezeigt, dass Kompetenz stärker mit Struktur und Wärme stärker mit Klang zusammenhing. Gesundheit hingegen scheint eine Dimension zu sein, die weitestgehend unabhängig von der Sprachbewertung ist. Diskussion: In drei Studien wurde untersucht, ob allein die Information „Hochsprache“ versus „Dialekt“ über eine Sprachvarietät die Bewertung der jeweiligen SprecherInnen beeinflussen kann. Die Ergebnisse sprechen dafür. So bewerteten Befragte die Sprecher einer Kunstsprache (Elbisch) als kompetenter, wenn sie glaubten, eine Hochsprache gehört zu haben. Schüler aus Tansania zeigten höhere Wärmebewertungen des Sprechers/ der Sprecherin, posi- Spracheinstellungen II: Dialekte 213 tivere Urteile über die Botschaft und den vermeintlichen Adressaten sowie eine stärkere Absicht, den/ die SprecherIn um Rat zu fragen, wenn sie deutsche Sprachaufnahmen hörten, von denen sie glaubten, es handele sich um Hochdeutsch im Vergleich zu einem deutschen Dialekt. Interessanterweise führte in den Elbischstudien zwar die Information, es handele sich um eine Hochsprache, zu einer höheren Kompetenzbewertung der SprecherInnen. Die Information, es handele sich um einen Dialekt, führte jedoch nicht wie in der AToL- Studie im deutschen Sprachraum zu einer positiveren Bewertung auf der Wärmedimension (Schoel / Roessel et al. 2012). In der Tansania-Studie fiel die Wärmebewertung sogar deutlich zugunsten der vorgeblichen HochsprachesprecherInnen aus. Die Assoziation „Hochsprache = Kompetenz“ scheint also ein geteiltes Stereotyp zu sein, dass selbst auf unbekannte Sprachen angewendet wird. Eine Erklärung für dieses Phänomen bietet die Normdekrethypothese (Giles / Bourhis / Davies 1979). Sie geht davon aus, dass die Ursache des höheren Prestiges der Standardsprache darin liegt, dass diese von statushohen Gruppen in einer Gesellschaft gesprochen und sozial wie institutionell gefördert wird. Für die Assoziation „Dialekt = Wärme“ scheint hingegen ein anderer Mechanismus verantwortlich zu sein, auf den im nächsten Abschnitt näher eingegangen wird. In einer weiteren Studie wurde untersucht, ob umgekehrt Informationen über eine Sprechergruppe (bezüglich Kompetenz, Wärme und Gesundheit) auch die Bewertung der Sprachvarietät beeinflussen können. Studie 4 zeigte, dass ein und dasselbe elbische Hörbeispiel unterschiedlich bewertet wurde, je nachdem welche Informationen über die Sprechergruppe vorgegeben wurden. So wurde eine Sprache als wertvoller eingeschätzt, wenn generell positive Informationen über ihre SprecherInnen vorlagen. Die Sprache vorgeblich kompetenter SprecherInnen wurde als strukturierter und die Sprache vorgeblich „warmer“ SprecherInnen als klangvoller wahrgenommen als die Sprache vorgeblich inkompetenter bzw. „kalter“ SprecherInnen. Insgesamt deuten die Ergebnisse dieser vier Studien darauf hin, dass die Einflüsse tatsächlich in beide Richtungen gehen: Sprachinformationen können die Bewertung von SprecherInnen beeinflussen und Sprecherinformationen die Bewertung von Sprache. Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg 214 2. Dialekt = Wärme - Die Kompensationshypothese Während die Normdekrethypothese (Giles / Bourhis / Davies 1979) einen Erklärungsansatz dafür liefern kann, warum StandardsprecherInnen mit mehr Status und Kompetenz assoziiert werden, bleibt die Frage offen, warum SprecherInnen eines Dialektes häufig - wenn auch nicht immer (siehe z. B. den vorherigen Abschnitt) - mit mehr Wärme und Solidarität in Verbindung gebracht werden. Eine mögliche Erklärung bietet hier die Kompensationshypothese von Yzerbyt / Provost / Corneille (2005). Die Autoren gehen davon aus, dass Sprache ein sehr wichtiger Teil der eigenen Identität ist. Genauso wie es Bedeutung für uns hat, dass wir selbst positive Eigenschaften wie z. B. Ehrlichkeit, Kompetenz und Liebenswürdigkeit aufweisen, ist es uns wichtig, dass die Gruppen, denen wir angehören, in einem positiven Licht wahrgenommen werden. Gehören wir z. B. zur Gruppe der Personen, die einen bairischen Dialekt sprechen, so wünschen wir uns, dass diese Gruppe als kompetent und herzlich wahrgenommen wird, denn die Eigenschaften der Gruppe stellen nach der sozialen Identitätstheorie (SIT; Tajfel / Turner 1979) einen Teil unserer eigenen Identität dar, die soziale Identität. Wie oben bereits beschrieben, werden SprecherInnen der Standardsprache typischerweise als kompetenter beurteilt als SprecherInnen eines Dialekts. Mit anderen Worten, DialektsprecherInnen erfahren eine Abwertung ihrer Gruppe auf der Kompetenzdimension, d. h. eine Bedrohung ihrer sozialen Identität. Nach der SIT gibt es verschiedene Möglichkeiten und Strategien, mit dieser Bedrohung umzugehen. Zum Beispiel kann man seine eigene Gruppe verlassen und sich der statushöheren Gruppe anschließen. Im Fall von DialektsprecherInnen hieße das, den eigenen Dialekt abzulegen und stattdessen nur noch Hochdeutsch zu sprechen. Aber nicht immer ist das möglich oder gewünscht. Eine andere Möglichkeit besteht darin, als Gruppe mit der statushöheren Gruppe in Wettbewerb zu treten und dadurch die sozialen Verhältnisse zu verändern. Da die Statusdifferenzen zwischen Standard- und Non-Standard-Varietäten jedoch in der Regel fest etabliert sind und institutionell unterstützt werden, ist es in der Regel schwierig für DialektsprecherInnen, den Status ihrer Gruppe tatsächlich zu erhöhen. Leichter umzusetzen scheinen die drei folgenden Strategien zu sein, die auch als soziale Kreativität bezeichnet werden. So kann die statusniedrige Gruppe erstens eine andere Gruppe zum Vergleich heranziehen, deren Status noch niedriger ist, d. h. im vorliegenden Fall eine andere Gruppe von Dialekt- oder AkzentsprecherInnen. Zweitens ist es möglich, die Dimension des Vergleichs - hier Kompetenz - als weniger positiv oder unwichtig zu bewerten. Schließlich hat die statusniedrige Gruppe noch die Möglichkeit, Spracheinstellungen II: Dialekte 215 eine alternative Vergleichsdimension einzuführen, auf der sie nun positiver abschneidet als die Vergleichsgruppe. Sie kann also durch ihre Überlegenheit auf dieser neuen Dimension den Mangel auf der anderen Dimension kompensieren. Wie schon weiter oben erwähnt, ist aus der Forschung zur Personenwahrnehmung bekannt, dass hier neben Kompetenz die Wärmedimension eine entscheidende Rolle spielt (z. B. Fiske et al. 2002; siehe auch Schoel / Eck / Roessel / Stahlberg in diesem Band). So erscheint es naheliegend, auf diese Dimension zurückzugreifen. Entsprechend formulieren Yzerbyt / Provost / Corneille (2005) ihre Kompensationshypothese. Die Autoren nehmen an, dass Non-StandardsprecherInnen motiviert sein sollten, den Mangel an zugeschriebener Kompetenz durch höhere Bewertungen auf der Wärmedimension auszugleichen. In vielen Studien zeigt sich jedoch nicht nur eine positivere Bewertung auf der Wärmedimension durch SprecherInnen der Non- Standardvarietäten, sondern auch durch die SprecherInnen der Standardvarietät (Giles / Coupland 1991). Eine mögliche Erklärung hierfür bietet die System Justification Theory (Jost / Banaji 1994). Diese nimmt an, dass Menschen bestrebt sind, ein ausgeglichenes Bewertungsverhältnis zwischen sozialen Gruppen zu schaffen, um das bestehende soziale System zu rechtfertigen. Da eine Bevorzugung von Standardsprechern auf der Kompetenzdimension gleichzeitig eine Benachteiligung der Non-StandardsprecherInnen darstellt, sollten deshalb auch StandardsprecherInnen eine Kompensation auf der Wärmedimension zeigen, um dieses Ungleichgewicht aufzuheben und ein konfliktfreies Miteinander zu garantieren. Diese Annahmen waren bislang vor allem theoretischer Natur. Obwohl korrelative Daten von Yzerbyt / Provost / Corneille (2005) bereits in die postulierte Richtung weisen, erlauben sie keine kausalen Schlüsse über Ursache und Wirkung. In den folgenden Arbeiten (Schoel / Harris / Stahlberg i. Bearb.) wurde deshalb das Ziel verfolgt, die Kompensationsmechanismen mit Hilfe experimenteller Methoden genauer zu untersuchen. Ausgangspunkt waren dabei Befunde aus der allgemeinen Einstellungsforschung, die zeigen, dass Einstellungen nicht immer stabil und unveränderlich sind, sondern auch durch das beeinflusst werden können, woran wir unmittelbar zuvor gedacht haben (Bless / Fiedler / Strack 2004). Wenn wir z. B. an ein trauriges Ereignis in unserem Leben denken und im Anschluss nach unserer allgemeinen Lebenszufriedenheit gefragt werden, wird unser Urteil negativer ausfallen als wenn wir uns an ein positives Ereignis erinnert haben (Schwarz / Clore 1983). Dieser Logik folgend nahmen wir an, dass die Kompensation auf der Wärmedimension insbesondere dann hoch sein sollte, wenn die Bevorzugung der StandardsprecherInnen auf Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg 216 der Kompetenzdimension unmittelbar vorher stattgefunden hat. In vier Studien wurde deshalb die Reihenfolge der Abfrage von Kompetenz und Wärme bzw. Standard und Dialekt variiert. Zudem wurde untersucht, ob der Prozess, der bei der Kompensation abläuft, explizit (Studie 1 und 2) oder implizit (Studie 3) ist und wie sich explizite und implizite Urteile gegenseitig beeinflussen (Studie 4). Studie 1: Einfluss der Reihenfolge von expliziten Kompetenz- und Wärmeurteilen auf die Gruppenbewertung von Hochdeutsch- und DialektsprecherInnen In Studie 1 wurden ProbandInnen gebeten, an SprecherInnen von Hochdeutsch oder SprecherInnen eines beliebigen deutschen Dialektes zu denken. Von der Relevanz der Reihenfolge ausgehend wurde eine Hälfte der ProbandInnen zunächst gebeten, die Kompetenz von Standard- und Dialektsprecher- Innen und im Anschluss die Wärme der beiden Gruppen zu beurteilen. Eine Vergleichsgruppe gab zuerst ihre Wärmeurteile ab, bevor sie die Kompetenz der Standard- und DialektsprecherInnen bewertete. Beim Auftreten einer Kompensation sollte die Wärmebeurteilung der DialektsprecherInnen positiver ausfallen, wenn zuvor bereits die Kompetenzurteile abgefragt worden waren, als wenn die Wärmeurteile zuerst abgegeben wurden. Ergebnisse: Bisherigen Forschungsergebnissen entsprechend zeigte sich zunächst, dass unabhängig von der Reihenfolge der Abfrage HochdeutschsprecherInnen als kompetenter eingeschätzt wurden als DialektsprecherInnen und das sowohl von Standardals auch von DialektsprecherInnen. In Bezug auf Wärme ergab sich hingegen folgendes Bild: Wurden die ProbandInnen zunächst um ihre Wärmeeinschätzung gebeten und die Kompetenzbeurteilung folgte, zeigte sich kein Unterschied in der zugeschriebenen Wärme zwischen Hochdeutsch- und DialektsprecherInnen. Beide Gruppen wurden als gleich warm beurteilt. Wurden die ProbandInnen aber zuerst nach ihren Kompetenzbewertungen gefragt, fielen die anschließenden Wärmebewertungen der DialektsprecherInnen deutlich positiver aus als die der HochdeutschsprecherInnen. Diese Ergebnisse entsprechen der Annahme, dass die Reihenfolge der Abfrage einen Einfluss auf die Kompensation hat. Wenn zuerst nach der Wärme gefragt wird, fällt die Kompensation gering aus: es zeigen sich keine Unterschiede zwischen den Gruppen auf der Wärmedimension, weil die Bevorteilung der Gruppe der Hochdeutschsprechenden noch gar nicht stattgefunden hat und von daher auch nicht aktiviert ist. Wird jedoch zuerst nach der Kompetenz gefragt, findet dadurch eine Bevorzugung der HochdeutschsprecherIn- Spracheinstellungen II: Dialekte 217 nen und damit eine Abwertung der DialektsprecherInnen statt, die die Kompensation verstärkt: DialektsprecherInnen werden jetzt im Gegenzug wärmer beurteilt als HochdeutschsprecherInnen. Interessanterweise spielte es für die Ergebnisse keine Rolle, ob die ProbandInnen selbst DialektsprecherInnen waren oder nicht, d. h. sowohl Personen, die selbst einen Dialekt sprachen als auch diejenigen, die keinen Dialekt beherrschten, zeigten eine Aufwertung der DialektsprecherInnen auf der Wärmedimension, wenn zuvor eine Abwertung auf der Kompetenzdimension stattgefunden hatte. Studie 2: Einfluss der Reihenfolge von expliziten Kompetenz- und Wärmeurteilen auf die Personenbewertung von Hochdeutsch- und BairischsprecherInnen In Studie 1 wurde die Bewertung von Standard- und Non-StandardsprecherInnen als allgemeine Gruppe auf den Dimensionen Kompetenz und Wärme anhand der Bewertungsreihenfolge betrachtet. Dabei wurde kein konkreter Dialekt vorgegeben, und den ProbandInnen wurden auch keine Hörbeispiele präsentiert, an denen sie sich orientieren konnten. In Studie 2 wurde deshalb untersucht, ob auch für einzelne SprecherInnen eines bestimmten Dialekts auf der Wärmedimension kompensiert wird. Die Wahl fiel auf Bairisch, da es sich hierbei um einen der verbreitetsten und bekanntesten deutschen Dialekte handelt (vgl. Eichinger et al. 2009, Plewnia / Rothe in diesem Band). Eine Gruppe von ProbandInnen wurde zunächst gebeten, SprecherInnen von Hochdeutsch und SprecherInnen eines deutschen Dialektes (hier wurde noch nicht spezifiziert, welcher Dialekt) bezüglich Kompetenz zu beurteilen. Eine weitere Gruppe nahm eine Beurteilung derselben Gruppen auf der Wärmedimension vor. Im Anschluss wurde den ProbandInnen entweder ein Hörbeispiel präsentiert, in dem sich eine Sprecherin in Standarddeutsch oder in bairischem Dialekt vorstellte. Der gesprochene Text war hierbei identisch und lautete: Hallo, ich möchte mich kurz vorstellen: Ich bin 24 Jahre alt, 1,68 groß und habe schulterlange braune Haare. In meiner Freizeit treffe ich mich gerne mit Freunden. Wir gehen ins Kino, machen Radtouren oder setzen uns einfach gemütlich zusammen. Im Sommer gehe ich am liebsten an den See zum Schwimmen und im Winter in die Berge zum Skifahren. Gerade freue ich mich besonders auf die nächsten Ferien, weil ich da nach Italien fahre. Reisen ist nämlich auch eins meiner Hobbys. Ich finde, dabei macht man oft spannende Erfahrungen und lernt auch viel über andere Kulturen. So ergaben sich vier Versuchsgruppen: Gruppenbewertung Wärme + Hörbeispiel Standard, Gruppenbewertung Wärme + Hörbeispiel Bairisch, Gruppenbewertung Kompetenz + Hörbeispiel Standard, Gruppenbewertung Kompe- Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg 218 tenz + Hörbeispiel Bairisch. Die Hörbeispiele stammten von zwei bilingualen weiblichen Sprecherinnen, die sowohl Standard als auch Bairisch sprechen konnten. Schließlich beurteilten die ProbandInnen die jeweilige Sprecherin, die sie gehört hatten, bezüglich Kompetenz und Wärme. Im Falle einer Kompensation wurde erwartet, dass die Wärmebeurteilung der Sprecherin dabei positiver ausfiele, wenn ProbandInnen zuvor die Kompetenz von Hochdeutsch- und DialektsprecherInnen im Allgemeinen beurteilt hatten, als wenn sie Einschätzungen zur Wärme dieser beiden Gruppen abgegeben hatten. Ergebnisse: Es zeigte sich, dass die Sprecherinnen generell kompetenter eingeschätzt wurden, wenn sie im Hörbeispiel Standard sprachen, als wenn sie Bairisch sprachen, d. h. die Kompetenzbeurteilung der Sprecherinnen war unabhängig davon, ob die Befragten zuvor Hochdeutsch- und DialektsprecherInnen in Bezug auf Kompetenz oder in Bezug auf Wärme bewertet hatten. Die Wärmebewertungen der Person waren hingegen durch die vorherige Abfrage über die Gruppen beeinflusst. Wenn ProbandInnen zunächst Kompetenzbeurteilungen von Hochdeutsch- und DialektsprecherInnen abgaben, bevor sie das Hörbeispiel hörten, fiel ihr Wärmeurteil über die Sprecherin, die Bairisch sprach, positiver aus, als wenn sie zuvor Wärmebeurteilungen von Hochdeutsch- und DialektsprecherInnen abgaben. Es machte keinen Unterschied, ob die ProbandInnen selbst einen Dialekt beherrschten oder nicht. Der Kompetenzvergleich der Gruppe HochdeutschsprecherInnen mit der Gruppe DialektsprecherInnen führte also dazu, dass eine Bairisch sprechende Person wärmer beurteilt wurde als bei einem vorherigen Wärmevergleich der Gruppen. Im Sinne einer Kompensation fand nur bei einem Kompetenzvergleich der Gruppen eine Abwertung der DialektsprecherInnen im Allgemeinen statt. Um dafür auszugleichen, erhielt daraufhin die Person, die Bairisch sprach, eine positivere Wärmebewertung. Dieser Befund ist zum einen eine Replikation von Studie 1, die ebenfalls zeigte, dass eine vorherige Abfrage der Kompetenzurteile für Hochdeutsch- und DialektsprecherInnen eine positivere Wärmebewertung der DialektsprecherInnen zur Folge hatte, als wenn die Urteilsreihenfolge umgekehrt war. Zum anderen zeigt Studie 2 darüber hinaus, dass diese Kompensation nicht auf allgemeine Gruppen beschränkt ist, sondern sich auch in Bezug auf einzelne Personen, die einen bestimmten Dialekt - Bairisch - sprechen, zeigt. Spracheinstellungen II: Dialekte 219 Studie 3: Einfluss der Reihenfolge von impliziten Kompetenz- und Wärmeurteilen auf die Bewertung von Hochdeutsch- und BairischsprecherInnen In Studie 3 wurden wie in Studie 2 die Einstellungen gegenüber SprecherInnen von Hochdeutsch und Bairisch untersucht. Während in Studie 1 und 2 ProbandInnen jedoch direkt anhand von expliziten Skalen in einem Fragebogen nach ihren Urteilen gefragt wurden, ging Studie 3 der Frage nach, ob es sich bei diesen Urteilen um das Ergebnis eines bewusst zugänglichen und deliberativen Prozesses handelt oder ob die Kompensation eher implizit und automatisch abläuft. Eine Möglichkeit, diese Frage zu untersuchen, besteht darin, anstelle von Fragebogenmaßen (explizite Einstellungsmaße) implizite Maße zu verwenden. In diesem Zusammenhang ist der Implizite Assoziationstest (IAT) von Greenwald / Banaji (1995) ein prominentes und viel verwendetes Instrument (siehe auch Schoel / Eck / Roessel / Stahlberg in diesem Band, Kap. 3). Die Kernidee dieses computergestützten Verfahrens besteht darin, dass man die Stärke von Assoziationen zwischen verschiedenen Konzepten (z. B. die Assoziation zwischen Hochdeutsch und Kompetenz) dadurch messen kann, dass man Reaktionszeiten bei einer Zuordnungsaufgabe erfasst. So ordnen ProbandInnen z. B. auditive Standard- und dialektale Stimuli per Tastendruck den Kategorien „Hochdeutsch“ oder „Dialekt“ zu. Alternierend dazu haben die ProbandInnen die Aufgabe, kompetente und inkompetente Eigenschaftswörter so schnell wie möglich den Kategorien „kompetent“ und „inkompetent“ zuzuordnen. Entscheidend ist beim IAT, dass es eine im Sinne der zu messenden Assoziationen kompatible und eine inkompatible Kombination dieser beiden Diskriminationsaufgaben gibt. So müssen z. B. ProbandInnen in der assoziationskompatiblen Kombination mit der gleichen Taste auf „kompetente“ und „hochdeutsche“ Stimuli bzw. auf „inkompetente“ und „dialektale“ Stimuli reagieren. In der assoziationsinkompatiblen Kombination muss dagegen mit der gleichen Taste auf „inkompetente“ und „hochdeutsche“ Stimuli bzw. auf „kompetente“ und „dialektale“ Stimuli reagiert werden. Der Unterschied in den mittleren Reaktionszeiten zwischen kompatibler und inkompatibler Kombination kann dann als Maß für die automatische (assoziative) Präferenz für „Hochdeutsch“ oder „Dialekt“ interpretiert werden. Wird z. B. auf „kompetente“ Wörter schneller reagiert, wenn man dieselbe Taste drücken soll wie bei einem „hochdeutschen“ Wort, als wenn man dieselbe Taste für „kompetente“ und „dialektale“ Stimuli drücken muss, spricht dies für eine engere Assoziation zwischen Kompetenz und Hochdeutsch als zwischen Kompetenz und Dialekt. Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg 220 Für die vorliegenden Untersuchungszwecke wurde ein Kompetenz- und ein Wärme-IAT entwickelt, bei denen verschiedene Stimuli so schnell und akkurat wie möglich den Kategorien „Hochdeutsch“ versus „Bairisch“ und „kompetent“ versus „inkompetent“ bzw. „warm“ versus „kalt“ per Tastendruck zugeordnet werden mussten. Für die Kategorien „Hochdeutsch“ und „Bairisch“ wurden auditive Stimuli vorgegeben (z. B. Füße, Löffel), da Dialekte nur selten in geschriebener Form vorzufinden sind und so eine einheitliche Bewertungsgrundlage geschaffen wurde. Für die Kategorien „kompetent“ versus „inkompetent“ (z. B. intelligent, einfältig) bzw. „warm“ versus „kalt“ (z. B. freundlich, abweisend) wurden die Stimuli visuell als geschriebene Wörter präsentiert. Die Reaktionszeiten bei dieser Zuordnungsaufgabe sollten dann Auskunft darüber geben, wie stark eine Person Hochdeutsch und Bairisch mit Kompetenz bzw. Wärme assoziiert. Wie in Studie 1 wurde die Darbietungsreihenfolge von Kompetenz und Wärme variiert, indem ProbandInnen entweder zuerst den Kompetenz- oder zuerst den Wärme-IAT bearbeiteten. Im Anschluss wurden zudem wie in den vorhergehenden Studien mittels Fragebogen die expliziten Einstellungen der Befragten gemessen. Ergebnisse: Wie in den vorhergehenden Studien zeigte sich unabhängig von der Reihenfolge der Abfrage eine klare Bevorzugung der HochdeutschsprecherInnen auf der Kompetenzdimension, und das sowohl auf expliziten wie impliziten Maßen. Überraschenderweise zeigte sich auch auf dem Wärme- IAT, anders als in Studie 1 und 2, eine Präferenz für Hochdeutsch gegenüber Bairisch, und das in beiden Reihenfolgebedingungen (Wärme-IAT - Kompetenz-IAT, Kompetenz-IAT - Wärme-IAT). Nichtsdestoweniger traten Unterschiede zwischen den beiden Bedingungen auf. Wurde zuerst der Kompetenz- IAT und dann der Wärme-IAT bearbeitet, war die Bevorzugung des „Hochdeutschen“ auf der Wärmedimension deutlich geringer ausgeprägt, als wenn zuerst der Wärme-IAT bearbeitet wurde. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass auch auf impliziten Maßen Kompensation stattfinden kann, jedoch nicht in dem Ausmaß wie auf den expliziten Maßen in den vorhergehenden Studien. Interessanterweise zeigte sich auf der expliziten Wärmebeurteilung in beiden Reihenfolgebedingungen eine klare Bevorzugung von Bairischgegenüber HochdeutschsprecherInnen. Erklären könnte man dieses Ergebnis damit, dass die Bearbeitung des Kompetenz-IATs in beiden Fällen vor der expliziten Abfrage stattfand. Dadurch kam es in beiden Reihenfolgebedingungen zu einer impliziten Bevorzugung der HochdeutschsprecherInnen auf der Kompetenzdimension, bevor ein explizites Urteil abgegeben wurde. Die insgesamt positiveren expliziten Wärmeurteile für Bairisch-SprecherInnen deuten auf eine Spracheinstellungen II: Dialekte 221 Kompensation in beide Bedingungen hin. Erneut spielte es für die Ergebnisse keine Rolle, ob die Befragten selbst DialektsprecherInnen waren oder nicht. Studie 4: Einfluss der Reihenfolge von expliziten und impliziten Kompetenz- und Wärmeurteilen auf die Bewertung von Hochdeutsch- und BairischsprecherInnen Die Ergebnisse aus Studie 3 sprechen dafür, dass die Kompensation der DialektsprecherInnen auf der Wärmedimension für die Benachteiligung auf der Kompetenzdimension zumindest teilweise automatisch abläuft. Während in Studie 1 und 2 der Einfluss der Reihenfolge von expliziten Maßen und in Studie 3 der Einfluss der Reihenfolge von impliziten Maßen untersucht wurde, steht im Fokus von Studie 4 nun, wie sich explizite und implizite Urteile einander beeinflussen können. Dafür wurden explizite und implizite Maße aus Studie 3 in verschiedenen Reihenfolgen abgefragt. Insgesamt gab es vier Bedingungen: (1) explizit Kompetenz - implizit Wärme, (2) implizit Kompetenz - explizit Wärme, (3) explizit Wärme - implizit Kompetenz, (4) implizit Wärme - explizit Kompetenz. Wenn sowohl eine explizite Beurteilung Einfluss auf ein implizites Urteil haben kann als auch ein implizites Urteil auf eine explizite Beurteilung, so sollte sich nach der Kompensationshypothese zeigen, dass sowohl in Fall (1) explizit Kompetenz - implizit Wärme als auch in Fall (2) implizit Kompetenz - explizit Wärme die Wärmebewertungen positiver zugunsten der DialektsprecherInnen ausfallen als in Fall (3) explizit Wärme - implizit Kompetenz oder Fall (4) implizit Wärme - explizit Kompetenz. Ergebnisse: Abermals zeigte sich für die Kompetenzurteile sowohl explizit als auch implizit eine klare Befürwortung für Hochdeutschgegenüber BairischsprecherInnen, und das unabhängig davon, ob die Kompetenzurteile vor oder nach der Wärmebeurteilung abgegeben wurden. In Bezug auf die expliziten Wärmeurteile zeigte sich hingegen eine klare Präferenz für Bairischgegenüber HochdeutschsprecherInnen, unabhängig davon, ob zuvor ein Kompetenz-IAT bearbeitet wurde oder nicht. Demnach hatte ein implizites Kompetenzurteil, anders als die expliziten Kompetenzbewertungen in Studie 1 und 2, keinen Einfluss auf die expliziten Wärmebewertungen von Hochdeutsch- und BairischsprecherInnen. In Bezug auf die impliziten Wärmeurteile zeigte sich wie in Studie 3 und anders als auf den expliziten Maßen eine Bevorzugung von Hochdeutschgegenüber BairischsprecherInnen. Zudem trat jedoch auch ein Kompensations- Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg 222 effekt auf. Wenn die ProbandInnen zuerst explizit eine Kompetenzbewertung für Hochdeutsch- und BairischsprecherInnen abgaben und erst dann den Wärme-IAT bearbeiteten, war die implizite Bevorzugung des Hochdeutschen deutlich geringer ausgeprägt, als wenn zuerst der Wärme-IAT bearbeitet wurde. Diskussion: In vier Studien wurde die Kompensationshypothese untersucht, dass eine positivere Bewertung von DialektsprecherInnen auf der Wärmedimension eine Folge der Abwertung gegenüber HochdeutschsprecherInnen auf der Kompetenzdimension ist. Dabei wurde davon ausgegangen, dass dieser Kompensationsmechanismus vor allem dann besonders stark ausgeprägt sein sollte, wenn diese Abwertung unmittelbar zuvor stattgefunden hat. Um diese Annahme zu prüfen, wurde in allen vier Studien die Reihenfolge der Abfrage variiert: Die ProbandInnen gaben entweder zuerst ein Wärme- und dann ein Kompetenzurteil oder zuerst ein Kompetenz- und dann ein Wärmeurteil für beide Varietäten ab. Während in Studie 1 die Bewertungen von Hochdeutsch- und DialektsprecherInnen im Allgemeinen betrachtet wurden, fokussierten Studie 2 bis 4 auf Bairisch als weitläufig bekannten und als sympathisch bewerteten Dialekt. Studie 1 zeigte eine Kompensation auf der Wärmedimension für die Gruppe der DialektsprecherInnen. Studie 2 konnte diesen Befund für Bairisch sprechende Personen replizieren. Neben expliziten Fragebogenurteilen wurden in Studie 3 und 4 auch implizite, automatische Einstellungen erfasst. Überraschenderweise zeigte sich, dass auf impliziter Ebene Hochdeutsch klar gegenüber Bairisch bevorzugt wurde und das in Bezug auf Kompetenz und Wärme. Dennoch war diese Bevorzugung von Hochdeutsch auf der Wärmedimension deutlich geringer, wenn dem impliziten Wärmeurteil eine implizite (Studie 3) oder eine explizite Kompetenzbewertung (Studie 4) vorausging - ein Hinweis darauf, dass auch hier eine Kompensation zugrunde lag. 3. Zusammenfassung Besonders relevant in der Sozialpsychologie sind Einstellungen zu Personen und Gruppen. Da die Bewertung von Sprache immer auch mit ihren SprecherInnen verbunden ist, wurden neben innersprachlichen Merkmalen vor allem stereotype Einstellungen gegenüber bestimmten Sprechergruppen erfasst. Bereits die in Schoel / Eck / Roessel / Stahlberg (in diesem Band, Kap. 2) dargestellten Untersuchungen zur AToL-Skala zeigten, dass bayrische und sächsische DialektsprecherInnen negativer auf der Kompetenzdimension bewertet wurden als auf der Wärmedimension. In Studien mit einer unbekannten (Kunst-)Sprache wurde in diesem Kapitel darüberhinaus gezeigt, dass bereits Spracheinstellungen II: Dialekte 223 minimale Informationen über eine Sprache Einfluss auf die Bewertung ihrer SprecherInnen haben. So führt die Information, es handele sich um einen Dialekt, zu einer negativeren Bewertung der SprecherInnen auf der Kompetenzdimension als die Information, es handele sich um eine Hochsprache. Umgekehrt haben auch stereotype Informationen über die Sprechergruppe einen Einfluss auf die Sprachbewertung. Glaubt man, die Sprache einer kompetenten Gruppe zu hören, so bewertet man die Struktur dieser Sprache positiver. Meint man hingegen, das Hörbeispiel stamme von einer warmen, freundlichen Gruppe, so bewertet man den Klang der Sprache positiver. Während sich konsistent eine positivere Bewertung der Hochsprache-SprecherInnen auf der Kompetenzdimension zeigte, blieb die erwartete Bevorzugung der vermeintlichen DialektsprecherInnen auf der Wärmedimension aus. In einer in Tansania durchgeführten Schülerstudie zeigte sich sogar eine positivere Bewertung der vermeintlichen Hochsprache-SprecherInnen auf dieser Dimension. Daraus wurde geschlussfolgert, dass der Kompetenz- und Wärmeeinschätzung unterschiedliche Prozesse zugrunde liegen. Die Assoziation Hochsprache = Kompetenz scheint ein weitverbreitetes und geteiltes Stereotyp zu sein, das auch auf andere unbekannte Sprachen übertragen wird. Nach der Normdekrethypothese handelt es sich um ein gesellschaftliches Phänomen, das eine Varietät durch sozialen und institutionellen Druck zum Standard werden lässt und sowohl der Varietät als auch ihren SprecherInnen Prestige und Status verleiht. Die Assoziation Dialekt = Wärme hingegen scheint den hier dargestellten Studien zufolge von anderen Faktoren abhängig zu sein. Nach der Kompensationshypothese ist eine solche Assoziation primär darauf zurückzuführen, dass Personen unter bestimmten Umständen motiviert sind, für den Mangel an zugeschriebener Kompetenz auszugleichen. In vier Studien wurden erste experimentelle Belege für diese Annahme angeführt. Fand eine Aufwertung von Hochdeutsch-SprecherInnen auf der Kompetenzdimension vor der Bewertung der DialektsprecherInnen auf der Wärmedimension statt, trat eine stärkere Bevorzugung der DialektsprecherInnen bezüglich Wärme auf als bei der Abfrage in umgekehrter Reihenfolge. Hinweise auf diesen Ausgleichsprozess ließen sich auf expliziten wie auch auf impliziten Maßen nachweisen - ein erster Hinweis darauf, dass dieser Kompensationsmechanismus zumindest teilweise automatisch abläuft. Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg 224 4. Literatur Bless, Herbert / Fiedler, Klaus / Strack, Fritz (2004): Social cognition. How individuals construct social reality. Hove: Psychology Press. Eichinger, Ludwig M. / Gärtig, Anne-Kathrin / Plewnia, Albrecht / Roessel, Janin / Rothe, Astrid / Rudert, Selma / Schoel, Christiane / Stahlberg, Dagmar / Stickel, Gerhard (2009): Aktuelle Spracheinstellungen in Deutschland. Erste Ergebnisse einer bundesweiten Repräsentativumfrage. Mannheim: Institut für Deutsche Sprache / Universität Mannheim. Fiske, Susan T. / Cuddy, Amy J. / Glick, Peter / Xu, Jun (2002): A model of (often mixed) stereotype content: Competence and warmth respectively follow from perceived status and competition. 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Einführung Die Bundesregierung legte 1985 einen Bericht über „Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt“ vor, der vom Auswärtigen Amt unter Beteiligung des Goethe-Instituts erarbeitet worden war. 1 Darin wurde anhand detaillierter Tabellen über die Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache an Schulen und Hochschulen im nichtdeutschsprachigen Ausland 2 berichtet und das damalige auf dieses Feld gerichtete sprachpolitische Konzept der Bundesregierung und der Länderregierungen dargestellt. In der Diskussion des Berichts im Deutschen Bundestag und anderen Gremien wurde erstaunlicherweise nie erwähnt, dass ein komplementärer Bericht über die Stellung der deutschen Sprache im Inland fehle und deshalb erarbeitet werden solle. Nützlich wäre ein solcher Bericht schon damals gewesen, weil die Stellung des Deutschen als Fremdsprache im Ausland zweifellos auch von seinem Status im Inland abhängt, das heißt, von seinem Gebrauch in Deutschland und von den Einstellungen der Deutschen zu ihrer eigenen Sprache. Ein Zusammenhang zwischen der Stellung des Deutschen im Ausland und seinem Status im Inland wird gerade auch von Auslandsgermanisten betont, die das abnehmende Interesse an der deutschen Sprache und Literatur in ihren Ländern nicht zuletzt auf die vermutete geringe Sprachloyalität und das sprachliche Desinteresse vieler Deutschen zurückführen. 3 Die Stellung oder der Status der deutschen Sprache im Inland soll im Folgenden verstanden werden als begriffliche Zusammenfassung der bundesweiten Bedingungen für den Gebrauch der deutschen Sprache. Hierzu gehören unter anderem die Anzahl der Sprecher, die Vermittlung und der Gebrauch des Deutschen im Bildungssystem, seine rechtlichen Gebrauchsbedingungen, seine Verwendung in der öffentlichen Verwaltung, den Medien und im Berufsle- 1 Siehe Auswärtiges Amt (Hg.) (1985). 2 Seit zwei Jahren werden erneut entsprechende statistische Daten vom Netzwerk Deutsch erhoben. Zu den Ergebnissen siehe Netzwerk Deutsch (Hg.) (2010). 3 Als Beispiel hierzu die kritische Einschätzung des ungarischen Germanisten Csaba Földes (2000), bes. S. 278. Gerhard Stickel 228 ben, dies auch im Verhältnis zu anderen Sprachen, die in Deutschland gemeinsam oder in Konkurrenz mit dem Deutschen gelernt und verwendet werden. Zu den Statusbedingungen des Deutschen sind auch die Einstellungen zu rechnen, welche die Bevölkerung in Deutschland zur deutschen Sprache und ihren Varietäten hat. Speziell mit den Einstellungen befassen sich die anderen Beiträge zu diesem Band. Deutsch wird nicht nur in Deutschland gesprochen. Es ist offizielle Sprache auch in Österreich und Liechtenstein, eine der offiziellen Sprachen der Schweiz, Belgiens und der Provinz Bozen in Italien und Minderheitssprache in weiteren Staaten. Es wird außerdem in vielen Ländern als Fremdsprache in Schulen und Hochschulen gelehrt und gelernt. Der vorliegende Bericht beschränkt sich auf die sprachlichen Verhältnisse im heutigen Deutschland. Aspektreiche Beschreibungen und Analysen der deutschen Gegenwartssprache in ihren Varietäten und Entwicklungstendenzen finden sich in einer Fülle von Wörterbüchern, Grammatiken, anderen monographischen Darstellungen und einer Vielzahl von Aufsätzen, die hier nicht referiert oder diskutiert werden können. Anders aber als linguistische Arbeiten über die formalen und semantischen Eigenschaften des heutigen Deutsch und über bemerkenswerte Entwicklungen von Einheiten und Strukturen der Sprache sagt der vorliegende Bericht wenig über die Sprache selbst. Er konzentriert sich vielmehr auf verfügbare Angaben über den Gebrauch des Deutschen und anderer Sprachen im Inland, darunter auch schulische und andere Maßnahmen, Deutschkenntnisse zu vermitteln. Empirisch gestützte Berichte über die sprachlichen Verhältnisse im eigenen Land gibt es aus verschiedenen Staaten, unter anderen aus Österreich, das 2008 eine detaillierte Darstellung seiner sprachlichen Situation und seiner derzeitigen Sprachenpolitik vorgelegt hat. 4 Im Unterschied zu vielen anderen Staaten 5 hat es aber weder in der alten Bundesrepublik noch im wiedervereinigten Deutschland je einen Sprachenzensus gegeben. Auch bei den Mikrozensus, die das Statistische Bundesamt in mehrjährlichem Abstand durchführt, wurden bisher keine Daten zu den sprachlichen Gegebenheiten erhoben. Dies ist erstaunlich und könnte auch als Indiz gesehen werden für das vergleichsweise geringe Interesse des Staates und seiner Vertreter an empirisch gesicherten umfassenden Informationen über die im eigenen Land verwendeten Sprachen, einschließlich der Sprache, die für die allermeisten Bürger eines der 4 Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur [...] (Hg.) (2008). 5 Sprachzählungen werden u. a. in Frankreich, der Schweiz, in Schweden und in Kanada in jeweils mehrjährlichen Abständen durchgeführt. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 229 Merkmale nationaler Zugehörigkeit ist. Das Statistische Bundesamt bietet im Internet und in seinen gedruckten Veröffentlichungen zum Teil sehr spezielle Daten an, etwa über die jährliche Anzahl der Besuche von Volks- und Heimatkundemuseen und von Opern- und Ballettaufführungen 6 oder auch über den täglichen Zigarettenkonsum von Männern und Frauen mit und ohne Migrationshintergrund; 7 es sind aber offensichtlich keine Daten über die in Deutschland gesprochenen Sprachen und die Anzahl ihrer Sprecher verfügbar. 8 Ein sprachbezogener Makrozensus, wie er in anderen Ländern auch im Zusammenhang mit Volkszählungen durchgeführt wird, wäre zweifellos mit beträchtlichen Kosten verbunden. Zu einer solchen Datenerhebung haben sich die zuständigen staatlichen Instanzen in Deutschland bisher nicht entschlossen. Auch der 2011 durchgeführte Zensus, 9 bei dem eine Vielzahl von Daten über die Lebensumstände der Bevölkerung erfasst werden, darunter sogar die Religionszugehörigkeit der Befragten, ermittelt wiederum keine Daten über die sprachlichen Verhältnisse in Deutschland. Da eine umfassende Erhebung zu Sprachkenntnissen und Sprachgebrauch in Deutschland in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, wird hier der Versuch unternommen, quantitative Daten und Regelungen zum Gebrauch der deutschen Sprache und anderer Sprachen aus vorhandenen Quellen zu ermitteln und zu kommentieren. Hierzu werden zunächst die verfügbaren Daten zusammengestellt, aus denen auf die ungefähre Anzahl der Deutschsprecher und der Sprecher anderer Sprachen geschlossenen werden kann, dann die rechtlichen Vorschriften für den Gebrauch der deutschen Sprache wiedergegeben, danach etwas ausführlicher Daten zur Vermittlung von Deutsch in den Schulen und anderen Bildungseinrichtungen und schließlich Angaben über den Gebrauch von Deutsch in den Medien und in der Industrie und über die Vermittlung anderer Sprachen in den Bildungseinrichtungen. Dass manche der hier präsentierten Daten und sonstigen Informationen die tatsächlichen Verhältnisse nur unzureichend wiedergeben können, wird dabei jeweils angemerkt. Eines der Motive für die hier zusammengestellten und kommentierten Daten ist die Erwartung, dass damit speziellere, auch qualitative Untersuchungen und sprachpolitischen Maßnahmen anreget werden, außerdem auch eine bun- 6 Siehe www.destatis.de unter „Kultur“. 7 Statistisches Bundesamt (2010c, S. 340-369). 8 Dies haben auch wiederholte Anfragen an diese Behörde bestätigt. 9 www.zensus.de . Gerhard Stickel 230 desweiter Sprachzensus, der zu empirisch sichereren Daten führen würde, als sie hier präsentiert werden können. Die in den folgenden Kapiteln dieses Teils genannten Zahlen beruhen, wie schon erwähnt, nicht auf eigenen Erhebungen, sondern wurden aus verfügbaren Quellen, darunter auch solchen im Internet, übernommen sowie durch Anfragen bei verschiedenen einschlägigen Stellen erkundet. Die Zahlen sind je nach den Quellen unterschiedlich genau und aktuell, dürften aber, wenn auch kein genaues Bild, so doch in groben Zügen einen Eindruck von den derzeitigen sprachlichen Gegebenheiten in Deutschland ermöglichen. 1. Statistische Grunddaten Quantitative Informationen zur Bevölkerung in Deutschland bietet vor allem das Statistische Bundesamt. Die verfügbaren Angaben variieren ein wenig je nach den quantifizierten Kategorien. Laut Statistischem Bundesamt lebten am 31.12.2009 insgesamt 81 842 300 Personen in Deutschland. 10 Unter Bezug auf einen Mikrozensus wird an anderer Stelle eine Gesamtbevölkerung von 81 904 000 Personen genannt. 11 Die Bevölkerungsentwicklung ist schon seit mehreren Jahren leicht rückläufig (2004 waren es vermutlich noch 82 502 000 Personen). Ende 2009 hatten laut Statistischem Bundesamt 74 671 000 Personen die deutsche Staatsangehörigkeit. 12 Das entspricht ungefähr 91,2 % der genannten Gesamtbevölkerung. 7 131 000 Personen, also 8,8 % der Bevölkerung, hatten demnach andere Staatsangehörigkeiten oder waren zu einem geringen Teil staatenlos. Ähnliche Zahlen bieten entsprechende Tabellen von Eurostat, dem Amt für Statistik der Europäischen Kommission. Die Gesamtbevölkerung in Deutschland wird dort für das Jahr 2009 mit 81 802 257 angegeben, die Anzahl der Ausländer mit 7 185 921, 13 was ebenfalls einem Anteil von rund 8,8 % entspricht. Das Statistische Bundesamt nennt an anderer Stelle 14 unter Bezug auf das Ausländerzentralregister eine etwas kleinere Anzahl von Ausländern, und zwar 6 694 000 Personen. Das entspricht einem Ausländeranteil von rund 8,2 %. In Vorbereitung des umfangreichen Zensus im Jahr 2011, der zu genaueren Zahlen führen soll, geht das Statistische Bundesamt 10 Siehe www.destatis.de unter „Bevölkerungsstand“. 11 Siehe www.destatis.de unter „Migration und Integration“. 12 Siehe www.destatis.de unter „Deutsche und ausländische Bevölkerung nach Geschlecht“. 13 Siehe http: / / epp.eurostat.ec.europa.eu unter „Gesamtbevölkerung“ und „Bevölkerung nach Staatsangehörigkeit“. Deutschland hatte danach 2009 mit 8,8 % einen größeren Ausländeranteil als Frankreich (5,8 %), Italien (6,5 %) und Großbritannien (6,6 %), aber einen kleineren als Österreich (10,3 %) und die Schweiz (21,7 %). 14 Siehe www.destatis.de unter „Ausländische Bevölkerung“. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 231 zurzeit von einer Gesamtbevölkerung von 81,8 Millionen aus, vermutet aber, dass diese Zahl zu hoch ist. Dies soll mit einer breit angelegten Erhebung geprüft werden, bei der etwa 7,9 Millionen Personen, also rund 10 % der Bevölkerung befragt werden. 15 Angesichts der divergierenden Angaben und der zwischenzeitlichen Fluktuation kann man deshalb für die Bevölkerung in Deutschland wohl nur annehmen, dass derzeit etwa 80-81 Millionen Menschen in Deutschland leben, von denen 91-92 % deutsche Staatsbürger und 8-9 % Ausländer sind. Auf die linguistisch nahe liegende Frage nach den Erstsprachen (Muttersprachen) der Menschen in Deutschland gibt es bisher keine Antwort der amtlichen Statistik. Deutsch ist zweifellos die Erstsprache der meisten Personen deutscher Staatsangehörigkeit; doch werden schon seit mehreren Jahren viele Menschen mit anderen Erstsprachen eingebürgert, die Deutsch als Zweitsprache erworben haben. Von den Behörden wurde und wird hierzu zwar geprüft, ob die Bewerber um die deutsche Staatsbürgerschaft über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen; es werden aber keine Angaben über die Herkunftssprachen der Neubürger und anderer Zuwanderer erfasst. Zumindest elementare Deutschkenntnisse werden seit einigen Jahren auch von Ausländern für die so genannte Niederlassungserlaubnis, d. h. die Berechtigung zum unbefristeten Aufenthalt in Deutschland, erwartet (näheres hierzu in Kap. 3). Aber auch hierbei werden die Herkunftssprachen dieser Personen nicht erfragt. Das heißt, es sind statistische Angaben über die Herkunftsländer der Ausländer und frühere Staatsangehörigkeiten der Neubürger verfügbar, aber nicht über deren Muttersprachen, die sich bei Menschen aus mehrsprachigen Ländern und Regionen aus der Angabe des jeweiligen Herkunftslandes nicht sicher erschließen lassen. Dies wurde schon vor einigen Jahren auch schon in einer Publikation des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bemängelt (Chlosta / Ostermann 2005) . Es ist anzunehmen, dass die anderssprachigen und mehrsprachigen Bevölkerungsanteile in den vergangenen Jahren gewachsen sind und wahrscheinlich zunächst weiter zunehmen werden, wenn auch die Anzahl der jährlichen Einbürgerungen derzeit rückläufig ist. Die weltweit größte sprachstatistische Dokumentation Ethnologue (Lewis 2009) gibt an, dass 1990 bei einer Gesamtbevölkerung von damals 82 652 000 Personen in Deutschland Deutsch die Erstsprache von 75 300 000 Menschen (ca. 91,1 %) war. Danach hatten 1990 etwa 8,9 % der Menschen in Deutsch- 15 Siehe www.zensus.de . Gerhard Stickel 232 land eine andere Erstsprache. Ethnologue beruft sich bei der Größe der Gesamtbevölkerung auf Angaben deutscher Behörden, gibt aber nicht an, woher die genannte Anzahl der Erstsprachensprecher stammt. Nach dem Eurobarometer Spezial 243 (2006, S. 8), 16 das auf einer Repräsentativbefragung beruht, haben 90 % der Deutschen die deutsche Sprache als Muttersprache erworben und 11 % eine andere Erstsprache. Diese Prozente addieren sich zu 101 %. Ein Teil der Befragten hatte angegeben, mehr als eine Muttersprache zu haben. Die Befragung des Eurobarometers war auf deutsche Staatsbürger beschränkt, darunter auch solche mit anderen Herkunftssprachen, berücksichtigte aber nicht die in Deutschland lebenden Ausländer. Der Anteil der Menschen mit einer anderen Erstsprache an der gesamten Wohnbevölkerung ist deshalb sicherlich größer. (Zu den in Deutschland lebenden Ausländern mehr in Kapitel 2.2.) Eine andere Annäherung an vermutliche relative Anteile von Personen mit deutscher und anderer Erstsprache ermöglichen die verfügbaren Daten zum so genannten Migrationshintergrund von Teilen der Bevölkerung in Deutschland. Hierzu eine Tabelle des Statistischen Bundesamts: 2007 2008 2009 Bevölkerung (Mikrozensus) 82 257 000 82 135 000 81 908 000 Personen mit Migrationshintergrund im engeren Sinne (Mikrozensus) 15 411 000 15 566 000 15 703 000 Ausländische Bevölkerung (Ausländerzentralregister) 6 745 000 6 728 000 6 695 000 Einbürgerungen (Einbürgerungsstatistik) 113 000 94 000 96 000 Tabelle 1: Bevölkerung nach detailliertem Migrationsstatus 17 16 Eurobarometer heißen die europaweiten Umfragen, die im Auftrag der Europäischen Kommission regelmäßig durchgeführt werden. Die hier zitierte Erhebung mit dem Titel Die Europäer und ihre Sprachen wurde im November und Dezember 2005 durchgeführt und im Februar 2006 veröffentlicht. 17 Quelle: www.destatis.de µ Migration und Integration µ Migrationshintergrund. Zur Definiton von „Personen mit Migrationshintergrund“ und verwandten Termini siehe Statistisches Bundesamt (2010c, S. 368ff.). Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 233 Unter Personen mit Migrationshintergrund (im engeren Sinne) werden hierbei Menschen verstanden, die selbst oder deren beide Eltern oder ein Elternteil aus einem anderen Staat nach Deutschland zugewandert sind. 2009 machten sie nach dem Mikrozensus mit 15,7 Millionen rund 19,2 %, also fast ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland aus. Bemerkenswert ist, dass nach dieser Statistik weniger als die Hälfte der Personen mit Migrationshintergrund Ausländer sind. 10,99 %, das heißt mehr als die Hälfte der Personen mit Migrationshintergrund hat demnach die deutsche Staatsangehörigkeit. Grafisch lässt sich dies für das Jahr 2009 wie folgt veranschaulichen: Deutsche Deutsche mit Migrationshintergrund Ausländer 8,17% 10,99% 81,80% Abbildung 1: Bevölkerungsanteile Zu den Deutschen mit Migrationshintergrund gehören auch die deutschstämmigen Aussiedler 18 aus Polen, Rumänien und Staaten der ehemaligen Sowjetunion, die als deutsche Staatsbürger gelten. Da auch viele von ihnen zunächst nur geringe oder keine Deutschkenntnisse hatten bzw. haben, kann von der Staatsangehörigkeit bei Deutschen mit Migrationshintergrund nicht sicher auf Deutsch als Erstsprache geschlossen werden. 18 Als Aussiedler werden nach geltendem Recht bis zum 31.12.1992 Angehörige deutscher Minderheiten bezeichnet, die ihren Wohnsitz in den ehemaligen deutschen Ostgebieten oder in anderen ost- oder südosteuropäischen Gebieten hatten und diese aufgrund zwischenstaatlicher Abmachungen verlassen haben, um ihren ständigen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen. Sie sind Deutsche im Sinne des Grundgesetzes (GG). Die seit 1993 zugewanderten Aussiedler werden als Spätaussiedler bezeichnet. Bis etwa 1990 kamen die meisten Aussiedler aus Polen, seitdem kommen vorwiegend Personen aus den ehemaligen Mitgliedstaaten der UdSSR nach Deutschland. Viele der Spätaussiedler hatten oder haben Polnisch oder Russisch als Erstsprachen und nur geringe Deutschkenntnisse. Hierzu Haug / Sauer (2007), bes. S. 102-106. Gerhard Stickel 234 Genauere quantitative Angaben über Personen mit einem anderssprachigen Hintergrund im Verhältnis zu primär Deutschsprachigen gibt es aus einem sehr speziellen gesellschaftlichen Sektor, nämlich der Kinder- und Jugendhilfe in Tageseinrichtungen (Kitas) und in öffentlich geförderter Kindertagespflege. Hierzu führt das Statistische Bundesamt seit 2008 vollständige jährliche Erhebungen durch. Erfasst werden dabei alle Kinder in Deutschland im Alter von 0 bis 14 Jahren, die entweder in Tageseinrichtungen oder in Tagespflege betreut werden. 19 Aus den detaillierten statistischen Tabellen hier nur die zusammengefassten Zahlen zum Stichtag 1.3.2010: Gesamtanzahl der Kinder 3 190 921 100% Kinder mit mindestens einem Elternteil ausländischer Herkunft 780 813 24,1% In der Familie wird vorrangig nicht deutsch gesprochen 464 851 14,7% Tabelle 2: Kinder in Kitas und staatlich geförderter Tagespflege 2010 Danach ist der Anteil der rund 3,2 Mio. Kinder, die wenigstens einen Elternteil ausländischer Herkunft haben und die in Kitas oder Tagespflege betreut werden, mit 24,1 % etwas höher als der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung (19,2 %). Hieraus ist jedoch zunächst nur zu schließen, dass die Eltern, von denen wenigstens ein Teil aus dem Ausland stammt, ihre Kinder besonders häufig tagsüber betreuen lassen. In mehr als der Hälfte dieser Familien wird kein Deutsch gesprochen. Leider wurden keine Angaben über die verwendeten anderen Familiensprachen erfasst. Die Zahlen sind aber auch ein Hinweis darauf, dass die Anzahl der Personen in Deutschland mit einer anderen Erstsprache als Deutsch zunimmt, d. h. von Menschen, deren Deutschkenntnisse möglicherweise gefördert werden sollten, die aber auch die Anzahl der mehrsprachiger Menschen in Deutschland vergrößern können. Zu den Sprachfähigkeiten von Kindern mit Migrationshintergrund gibt es eine größere Anzahl von Studien, die sich aber durchweg nur auf kleinere Probandengruppen beziehen. 20 Aufgrund der bisher genannten Daten kann als wahrscheinlich angenommen werden, dass wenigstens 80 % der Menschen in Deutschland Deutsch als Erstsprache erworben haben bzw. derzeit als Kinder erwerben. 19 Statistisches Bundesamt (2010a, S. 76ff.). 20 Mehrere dieser Studien werden diskutiert in Haug (2008, S.20-23). Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 235 Deutsch als Erstsprache andere Erstsprache 20,00% 80,00% Abbildung 2: Vermutliche Anteile der Personen mit Deutsch als Erstsprache und mit anderen Erstsprachen an der Bevölkerung Mit etwa 65 Millionen Personen mit Deutsch als Erstsprache sind dies mehr Menschen, als es muttersprachliche Deutschsprecher in der Vergangenheit in Deutschland gegeben hat. Dies ist natürlich auch eine Folge der generellen Bevölkerungszunahme im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts. Von den verbleibenden 20 % kann angenommen werden, dass darunter viele Personen mehr oder weniger erfolgreich Deutsch als Zweitsprache gelernt haben, die meisten jedenfalls über passive Deutschkenntnisse verfügen. Mangels einer umfassenden Erhebung kann dies freilich nur vermutet werden. Zu den Sprachen der Menschen mit anderen Erstsprachen mehr im Folgenden. 2. Regional- und Minderheitensprachen Für die Stellung der deutschen Sprache im Inland ist nicht nur der Anteil der primären Deutschsprecher an der Gesamtbevölkerung wichtig, sondern auch, welche anderen Sprachen neben oder statt Deutsch gebraucht werden. Bei diesen Sprachen ist zu unterscheiden zwischen autochthonen Sprachen, d. h. den Sprachen, die schon seit langem von ‘alteingesessenen’ Bevölkerungsgruppen innerhalb Deutschlands verwendet werden, und allochthonen Sprachen, die von Menschen gesprochen werden, die erst in neuerer Zeit nach Deutschland gekommen sind, darunter vor allem die Sprachen von Personen mit Migrationshintergrund. Gerhard Stickel 236 2.1 Autochthone Regional- und Minderheitssprachen Zu den autochthonen Minderheitensprachen in Deutschland, nämlich Dänisch, Friesisch, Romanes 21 und Sorbisch, sowie zur Regionalsprache Niederdeutsch hat das Bundesinnenministerium folgende Sprecheranzahlen veröffentlicht: 22 Dänisch 10 000 (von 50 000) Nordfriesisch 10 000 Saterfriesisch 2 000 Romanes 70 000 Obersorbisch 20 000 (von 40 000) Niedersorbisch 10 000 (von 20 000) Niederdeutsch 2 600 000 Tabelle 3: Geschätzte Anzahl der Sprecher von autochthonen Minderheitssprachen in Deutschland und von Niederdeutsch Zu Dänisch und den beiden Varietäten des Sorbischen ist hier jeweils auch die ungefähre Anzahl der Menschen angegeben, die sich der jeweiligen Volksgruppe zurechnen. Als Sprecher werden hierbei die Personen betrachtet, die die jeweilige Sprache neben oder statt Deutsch auch im Alltag verwenden. Die Varietäten der Regionalsprache Niederdeutsch (Plattdütsch) werden in mehreren, meist ländlichen Regionen der Bundesländer Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen- Anhalt und Brandenburg gesprochen. Die hierfür angenommene Anzahl von 2,6 Millionen Sprechern ist aus den 14 % der Befragten hochgerechnet, die bei einer Repräsentativumfrage des Instituts für Niederdeutsch im Jahr 2007 (Möller 2008) angaben, Niederdeutsch gut oder sehr gut zu sprechen. Bei dieser Umfrage erklärten 46 % der Befragten, dass sie Niederdeutsch gut oder sehr gut verstehen, was einer Anzahl von etwa 8,5 Mio. Personen im Befragungsgebiet entspricht. Die passive Kompetenz des Niederdeutschen ist danach erheblich weiter verbreitet als die Fähigkeit zur aktiven Nutzung. Festzuhalten ist aber auch, dass sich die Anzahl der Personen, die Niederdeutsch gut oder sehr gut verstehen oder sogar sprechen, seit einer früheren Umfrage (Stellmacher 1987) ungefähr halbiert hat und vermutlich weiter zurückgeht. 23 21 Romanes oder Romani: die territorial nicht gebundene Sprache der in Deutschland lebenden Sinti und Roma. 22 Siehe Bundesministerium des Innern (Hg.) (2008, 2010a und 2010c). 23 Wie stark die Kenntnis des Niederdeutschen mit dem Generationswechsel zurückgeht, ergab eine gesonderte Auswertung von Daten aus Schleswig-Holstein, einem Bundesland mit traditionell hohem Anteil von Niederdeutschsprechern: „Bei den über 14-Jährigen kam ich auf Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 237 Nicht speziell erfasst wurden bei beiden Erhebungen die Menschen in Norddeutschland, die je nach der Situation eine dem Standarddeutschen angenäherte Form des Niederdeutschen (‘Missingsch’) verwenden. 24 Auch von den allermeisten kompetenten Sprechern des Niederdeutschen ist anzunehmen, dass sie deutsch-niederdeutsch zweisprachig sind. Dies gilt vermutlich auch für die Sprecher der anderen hier aufgeführten autochthonen Minderheitensprachen. Ein deutlicheres Bild von den derzeitigen Verhältnissen könnte nur durch breiter angelegte empirische Untersuchungen oder im Rahmen eines umfassenden Sprachenzensus gewonnen werden. 25 Nach den verfügbaren Zahlen ist anzunehmen, dass zurzeit insgesamt 3,4 % der deutschen Bevölkerung Sprecher einer authochthonen Minderheitsprache oder der Regionalsprache Niederdeutsch sind, wobei die kompetenten Sprecher des Niederdeutschen allein etwa 3,2 % ausmachen. Als Mitglied des Europarats hat Deutschland die Europäische Charta der Regional- und Minderheitssprachen vom 5.11.1992 unterzeichnet und am 8.9.1998 ratifiziert. Sie ist am 1.1.1999 in Kraft getreten. Danach werden Dänisch, Nordfriesisch, Saterfriesisch und Sorbisch in einzelnen Bundesländern als Minderheitssprachen geschützt und gefördert, Romanes im gesamten Bundesgebiet und Niederdeutsch als Regionalsprache in mehreren norddeutschen Bundesländern. 26 2.2 Allochthone Minderheitssprachen Während die autochthonen Minderheitssprachen in Deutschland recht gut untersucht sind und in den jeweiligen Bundesländern auch gefördert werden, lässt sich von der erheblich größeren Gesamtanzahl der Sprecher und der Vielfalt der allochthonen Sprachen und ihrer Sprecherzahlen nur schwer ein genaues Bild gewinnen. Ethnologue führt in seiner jüngsten Ausgabe (Lewis (Hg.) 2009) folgende Sprachen allochthoner Minderheitsgruppen in Deutschland auf, aber nur zum Teil mit ungefähren Sprecherzahlen. eine Zahl von 690 000 Personen (= Anteil von 27 %). Wenn man nur die 15-35-Jährigen betrachtet, sind es nur 75 000 Personen, da hier der Anteil der aktiven Sprecher nur bei etwa 10 % liegt.“ Persönliche Mitteilung von Prof. Michael Elmentaler, Universität Kiel. 24 Sie sind vielleicht zu den Personen zu rechnen, die angegeben haben, Niederdeutsch ‚mäßig’ (23 %) zu sprechen oder „nur einige Wörter“ (25 %). Siehe Möller (2008), S. 32 f. 25 Das Ergebnis der Repräsentativumfrage von Stellmacher (1987) zum Gebrauch des Niederdeutschen ist 23 Jahre alt. 26 Siehe Näheres zur Charta der Regional- oder Minderheitensprachen im Internet unter http: / / conventions.coe.int/ treaty/ Commun/ QueVoulezVous.asp? NT=148&CM=1&CL=GER , außerdem Bundesministerium des Innern (Hg.) (2010b). Gerhard Stickel 238 Adygeisch 2 000 Afghanische Sprachen 29 000 Algerisch gespr. Arabisch 26 000 Assyrisch Neu-Aramäisch Chaldäisch Neu-Aramäisch 3 000 Chinesische Varietäten 40 000 Dimli Englisch 273 000 Griechisch 314 000 Hausa Hebräisch Hindi 24 500 Italienisch 548 000 Japanisch 20 000 Jütisch (Kabardinisch) 14 000 Kapverdisch 3 000 Kalmükisch-Oirat Kasachisch Katalanisch-Valenzianisch-Balearisch Kirmanjki Koreanisch 14 000 Kroatisch 652 000 Lasisch 1 250 Lettisch 8 000 Marokkanisch gespr. Arabisch 44 200 Niederländisch 101 000 Nordkurdisch 541 000 Ossetisch (Polnisch) 241 000 Portugiesisch 78 000 Russisch 360 000 Spanisch 134 000 Tamil 35 000 " \ Tigrinja 15 000 Toskisch Albanisch 25 000 Tschetschenisch Tunesisch gespr. Arabisch 26 000 Türkisch 2 110 000 Turkmenisch Turoyo 20 000 Uigurisch Urdu 23 000 Vietnamesisch 60 000 West-Farsi 90 000 Tabelle 4: Sprachen allochthoner Minderheitsgruppen in Deutschland Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 239 Polnisch und Kabardinisch sind in der Liste in Klammern gesetzt, weil Ethnologue sie kurioserweise unter den autochthonen Sprachen aufführt. Bei den genannten Sprachen und Sprecherzahlen stützt sich Ethnologue auf schon ältere Publikationen, von denen lediglich die Autorennamen und Erscheinungsjahre genannt sind (S. Barbour and P. Stevenson 1990; B. Comrie 1987; M. Stephens 1976), die aber bibliographisch nicht weiter identifiziert werden. 27 Mehr als einen oberflächlichen Eindruck von der Vielzahl der allochthonen Sprachen, die vor etwa zwanzig Jahren oder einigen mehr in Deutschland neben Deutsch gesprochen wurden und eine grobe Vorstellung von der unterschiedlichen Größe der Sprechergruppen kann diese Liste nicht geben. Vollständig ist sie ohnehin nicht, da etwa Minderheitensprachen, von denen es auch damals sicherlich schon Sprecher in Deutschland gab, nicht genannt werden, wie z. B. Amharisch, Armenisch, Georgisch, Schwedisch, Indonesisch (Tagalog), Ukrainisch und Ungarisch. Im Übrigen lässt Ethnologue nicht erkennen, inwieweit sich die aufgeführten Sprachen und deren Sprecherzahlen auf die gesamte Wohnbevölkerung in Deutschland oder nur die deutschen Staatsangehörigen beziehen. Leider gibt es bislang keine anderen linguistischen Datenquellen, die ein genaueres Bild von der derzeitigen Sprachenvielfalt in Deutschland vermitteln könnten. Von den in Deutschland gesprochenen Sprachen der Personen mit Migrationshintergrund geben die Angaben über deren Herkunft bzw. der ihrer Eltern nur eine vage Vorstellung. Das betrifft sowohl die Sprachen wie die Anzahl ihrer Sprecher. Relativ genaue Zahlen sind aber zur staatlichen Herkunft der länger als vorübergehend in Deutschland lebenden Ausländer verfügbar. Hier die Daten des Statistischen Bundesamts, die sich auf das Zentrale Ausländerregister stützen, geordnet nach geographischen Großregionen der Herkunftsländer. 27 Sie werden auch in der Bibliographie von Ethnologue nicht aufgeführt. Gerhard Stickel 240 Europa 5 327 599 EU-Staaten 2 367 908 Belgien 22 388 Bulgarien 61 854 Dänemark 18 789 Estland 4 108 Finnland 12 901 Frankreich 107 257 Griechenland 278 063 Irland 9 899 Italien 517 474 Lettland 11 650 Litauen 21 423 Luxemburg 11 701 Malta 438 Niederlande 134 850 Österreich 174 548 Polen 398 513 Portugal 113 260 Rumänien 104 980 Schweden 17 099 Slowakei 24 930 Slowenien 20 054 Spanien 104 002 Tschechische Republik 34 337 Ungarn 61 417 Vereinigtes Königreich 95 852 Zypern 855 Sonstige 5 266 EU-Kandidatenländer 1 942 193 Kroatien 221 222 Mazedonien 62 888 Türkei 1 658 083 EWR-Staaten / Schweiz 44 218 Island 1 262 Liechtenstein 203 Norwegen 5 893 Schweiz 36 860 Sonstiges Europa 973 280 Albanien 9 991 Bosnien und Herzegowina 154 565 Kosovo 84 043 Moldau 12 147 Montenegro 10 201 Russische Föderation 189 326 Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 241 Ukraine 125 617 Serbien 164 942 ehem. Serbien u. Montenegro 122 897 Weißrussland 18 646 sonstige 80 905 Afrika 268 410 Nordafrika 116 769 Ägypten 11 923 Algerien 13 219 Marokko 64 842 Tunesien 22 921 sonstige 3 864 Westafrika 69 976 Ghana 20 893 Nigeria 17 903 Togo 10 933 sonstige 20 247 Zentralafrika 30 562 Kamerun 14 646 DR Kongo 10 892 sonstige 5 024 Ostafrika 35 206 Äthiopien 9 990 sonstige 25 216 Südliches Afrika 15 360 Südafrika 4 531 sonstige 10 829 Sonstiges Afrika 537 Amerika 215 116 Nordamerika 111 464 Vereinigte Staaten (USA) 98 352 sonstige 13 112 Mittelamerika und Karibik 30 081 Südamerika 73 550 Argentinien 4 608 Brasilien 32 445 Chile 5 960 sonstige 30 537 Sonstiges Amerika 21 Asien 815 104 Vorderasien 259 348 Armenien 9 999 Aserbaidschan 14 207 Georgien 13 506 Gerhard Stickel 242 Irak 79 413 Iran 52 132 Israel 10 053 Jordanien 7 752 Libanon 36 960 Syrien 28 921 sonstige 6 405 Süd- und Südostasien 288 587 Indien 45 638 Indonesien 11 654 Pakistan 28 578 Philippinen 19 059 Sri Lanka 27 505 Thailand 55 324 Vietnam 84 437 sonstige 16 392 Ost- und Zentralasien 264 386 Afghanistan 48 752 China 79 870 Japan 29 410 Kasachstan 52 583 Korea (Republik) 23 550 Taiwan 4 670 sonstige 25 551 Sonstiges Asien 2 783 Australien u. Ozeanien 11 397 Australien 8 868 sonstige 2 529 Sonstige Ausprägungen 57 150 staatenlos 13 495 ungeklärt / ohne Angabe 43 655 Insgesamt: 6 694 776 Personen Tabelle 5: Ausländische Bevölkerung am 31.12.2009 28 Seit dem Stichtag 31.12.2009 hat es sicherlich Veränderungen gegeben, die sich vermutlich aber auf die ungefähren Größen der personenstärkeren Ausländergruppen nicht wesentlich ausgewirkt haben. Einen deutlicheren quantitativen Eindruck vermittelt eine Sortierung der Herkunftsstaaten nach der jeweiligen Anzahl der Personen. 28 Daten übernommen und ergänzt aus: Statistisches Bundesamt (2010c, S. 62-65). Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 243 Türkei 1 658 083 Italien 517 474 Polen 398 513 Griechenland 278 063 Kroatien 221 222 Russische Föderation 189 326 Österreich 174 548 Serbien 164 942 Bosnien und Herzegowina 154 565 Niederlande 134 850 Ukraine 125 617 ehem. Serbien und Montenegro 122 897 Portugal 113 260 Frankreich 107 257 Rumänien 104 980 Spanien 104 002 Vereinigte Staaten (USA) 98 352 Vereinigtes Königreich 95 852 Vietnam 84 437 Kosovo 84 043 sonstige europäische Staaten 80 905 China 79 870 Irak 79 413 Marokko 64 842 Mazedonien 62 888 Bulgarien 61 854 Ungarn 61 417 Thailand 55 324 Kasachstan 52 583 Iran 52 132 Afghanistan 48 752 Indien 45 638 ungeklärt / ohne Angabe 43 655 Libanon 36 960 Schweiz 36 860 Tschechische Republik 34 337 Brasilien 32 445 sonstige südamerikanische Staaten 30 537 Mittelamerika und Karibik 30 081 Japan 29 410 Syrien 28 921 Pakistan 28 578 Sri Lanka 27 505 sonstige ost- und zentralasiatische Staaten 25 551 sonstige ostafrikanische Staaten 25 216 Gerhard Stickel 244 Slowakei 24 930 Korea (Republik) 23 550 Tunesien 22 921 Belgien 22 388 Litauen 21 423 Ghana 20 893 sonstige westafrikanische Staaten 20 247 Slowenien 20 054 Philippinen 19 059 Dänemark 18 789 Weißrussland 18 646 Nigeria 17 903 Schweden 17 099 sonstige süd- und südostasiatische Staaten 16 392 Kamerun 14 646 Aserbaidschan 14 207 Georgien 13 506 staatenlos 13 495 Algerien 13 219 sonstige nordamerikanische Staaten 13 112 Finnland 12 901 Moldau 12 147 Ägypten 11 923 Luxemburg 11 701 Indonesien 11 654 Lettland 11 650 Togo 10 933 DR Kongo 10 892 sonstige südafrikanische Staaten 10 829 Montenegro 10 201 Israel 10 053 Armenien 9 999 Albanien 9 991 Äthiopien 9 990 Irland 9 899 Australien 8 868 Jordanien 7 752 sonstige vorderasiatische Staaten 6 405 Chile 5 960 Norwegen 5 893 sonstige EU-Staaten 5 266 sonstige zentralafrikanische Staaten 5 024 Taiwan 4 670 Argentinien 4 608 Südafrika 4 531 Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 245 Estland 4 108 sonstige nordafrikanische Staaten 3 864 sonstiges Asien 2 783 sonstiges Australien und Ozeanien 2 529 Island 1 262 Zypern 855 sonstiges Afrika 537 Malta 438 Liechtenstein 203 sonstiges Amerika 21 Insgesamt: 6 694 776 Personen Tabelle 6: Herkunftsländer der ausländischen Bevölkerung: Reihenfolge nach Personenanzahl Da die deutschen Ausländerbehörden nicht nach den Sprachen fragen, sind die tatsächlich gesprochenen Sprachen besonders dann nicht aus den Herkunftsangaben zu entnehmen, wenn die betreffenden Personen aus offiziell mehrsprachigen Ländern stammen wie etwa Spanien, Belgien, Indien und der Schweiz oder aus Ländern mit großen sprachlichen Minderheiten wie der Türkei, der Russischen Föderation, Bulgarien, Afghanistan oder dem Iran. Der offiziellen Statistik ist jedenfalls nicht zu entnehmen, wie viele der in Deutschland lebenden Ausländer z. B. Katalanisch, Kurdisch, Paschtu, Aserbaidschanisch oder Bengalisch als Erstsprachen sprechen und dies möglicherweise neben weiteren Sprache ihrer Herkunftsländer. Die Anzahl der neben Deutsch gesprochenen Sprachen ist zweifellos erheblich größer als die Anzahl der Herkunftsstaaten der in Deutschland lebenden Ausländer. Es sind vermutlich weit über 100 verschiedene Sprachen. Die beiden Listen lassen aber annehmen, dass unter den in Deutschland lebenden Ausländern folgende Sprachen wahrscheinlich je mehr als 100 000 Sprecher haben (in der Reihenfolge der vermutlichen Größen der Sprechergruppen): Gerhard Stickel 246 Türkisch 1 700 000 Italienisch 517 000 Polnisch 398 000 Griechisch 278 000 Arabisch 265 000 Englisch 235 000 Kroatisch 221 000 Russisch 189 000 Spanisch 174 000 Serbisch 165 000 Französisch 164 000 Bosnisch 155 000 Portugiesisch 145 000 Niederländisch 135 000 Ukrainisch 126 000 Rumänisch 105 000 Tabelle 7: Geschätzte Anzahl der ausländischen Sprecher der ‘größeren’ Fremdsprachen in Deutschland In der Aufstellung wird davon abgesehen, dass in Deutschland auch erheblich mehr als 100 000 Ausländer aus deutschsprachigen Staaten und Regionen leben. 2009 waren es allein aus Österreich über 170 000 Personen. Englisch und Französisch gehören in diese Reihe, weil Sprecher aus mehreren englischsprachigen Ländern (USA, Vereinigtes Königreich u. a.) bzw. frankophonen Ländern (Frankreich, Belgien, mehrere afrikanische Staaten) in Deutschland leben. Entsprechendes gilt auch für Spanisch, Portugiesisch und auch Arabisch, da in der Liste zusammen jeweils erheblich mehr als 100 000 Personen aus mehrheitlich spanisch-, portugiesischbzw. arabischsprachigen Ländern gezählt werden. Nicht berücksichtigt ist auch hier mangels entsprechender Daten, dass unter den jeweiligen Staatsangehörigen auch Sprecher anderer als der offiziellen Sprachen der betreffenden Länder sind. Mit den Sprachen der Ausländer sind jedoch die vermutlichen ungefähren Sprecherzahlen der allochthonen Minderheitssprachen in Deutschland nur zum Teil berücksichtigt. Hinzukommen müssten die Erstsprachen von Deutschen mit Migrationshintergrund. Es ist anzunehmen, dass von den eingebürgerten Zuwanderern („mit eigener Migrationserfahrung“) die meisten ihre Herkunftssprache bewahren und dass viele von denen, deren Eltern (oder wenigstens ein Elternteil) aus einem anderen Land stammen, ebenfalls deren Herkunftssprache noch sprechen. Anders als zu den in Deutschland lebenden Ausländern gibt es aber über die Herkunft der Deutschen mit Migrationshintergrund bzw. von deren Eltern nur wenige Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 247 quantitative Daten. Hierzu einige Zahlen, die aus statistischen Tabellen des Statistischen Bundesamts zusammengefasst sind. 29 Zunächst Angaben zu den Personen, die selbst aus anderen Staaten nach Deutschland gekommen sind: Insgesamt 5 007 (Spät-)Aussiedler 3 265 aus Polen 585 aus Rumänien 233 aus der ehem. Sowjetunion 1 427 durch Einbürgerung 1 742 aus europäischen Staaten 1 192 aus Polen 186 aus Rumänien 82 aus der Russ. Föderation 157 aus der Türkei 312 aus der Ukraine 36 aus dem ehem. Jugoslawien 136 aus der ehem. Sowjetunion 372 aus Afrika 98 aus Amerika 41 aus Asien, Australien, Ozeanien 399 aus dem Nahen u. Mittleren Osten 237 ohne Angabe 12 Tabelle 8: Deutsche mit eigener Migrationserfahrung 2009 (in 1000) Zur sprachlichen Herkunft der eingebürgerten Migranten lassen diese Zahlen nur in einigen Fällen Vermutungen zu, darunter zu den Sprachen der eingebürgerten Rumänen, Türken und Ukrainer. Dies ist bei der hier angegeben Herkunft aus geographischen Großregionen (Afrika etc.) überhaupt nicht möglich. Inwieweit die Aussiedler in ihren Herkunftsländern mit Deutsch oder anderen Sprache aufgewachsen sind, ist den Daten nicht zu entnehmen. Da seit mehreren Jahren Grundkenntnisse in deutscher Sprache zur Bedingung für die Einbürgerung gemacht werden (siehe Kap. 3), ist anzunehmen, dass von den hier genannten rund 1,7 Mio. Deutschen zumindest diejenigen, die in den letzten Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben, über elementare oder auch bessere Deutschkenntnisse verfügen. Noch weniger ergiebig sind die entsprechenden statistischen Daten zur Herkunft der eingebürgerten Personen ohne eigene Migrationserfahrung, d. h. der Menschen, die in Deutschland geboren sind, von denen aber ein Elternteil oder beide Eltern zugewandert sind. 29 Zusammengefasst aus Statistisches Bundesamt (2010c, S. 144-148). Gerhard Stickel 248 Insgesamt 3 472 durch Einbürgerung 404 aus europäischen Staaten 326 aus der Türkei 216 aus dem sonstigen Europa 264 aus dem Rest der Welt und ohne Angabe 79 mit zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland lebenden Elternteilen 3 068 mit beidseitigem Migrationshintergrund 1 571 mit einseitigem Migrationshintergrund 1 497 Tabelle 9: Deutsche mit Migrationshintergrund ohne eigene Migrationserfahrung 2009 (in 1 000) Zumindest von den knapp 1,5 Millionen Deutschen, von denen nur ein Elternteil zugewandert ist („mit einseitigem Migrationshintergrund“), kann angenommen werden, dass sie zweisprachig aufgewachsen sind, sie also neben ihrer Herkunftssprache bzw. die des betreffenden Elternteils auch über gute Deutschkenntnisse verfügen. In ca. 216 000 Fällen könnte die Erstsprache Sprache Türkisch oder eine andere in der Türkei gesprochene Sprache sein. Ergiebiger als die Daten des Statistischen Bundesamtes ist zu den Sprechern mehrerer allochthoner Minderheitssprachen ein Bericht, der 2008 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgelegt worden ist (Haug 2008). Er liefert detaillierte Daten über die Sprachenkenntnisse und den Sprachgebrauch der fünf größten Migrantengruppen, nämlich Ausländern aus der Türkei, Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, Italien, Griechenland und Polen. Grundlage ist eine Repräsentativbefragung aus den Jahren 2006/ 2007 (RAM). Außerdem werden Ergebnisse weiterer spezieller Erhebungen und Untersuchungen referiert, darunter die der so genannten PISA-Studien. Der Bericht diskutiert auch die verschiedenen Verfahren der Sprachstandsmessung, d. h. der Ermittlung der tatsächlichen sprachlichen Fähigkeiten der Probanden. Befragungsergebnisse wie etwa auch die des Eurobarometers beruhen häufig nur auf den Selbsteinschätzungen der Befragten. Hier nur eine zusammenfassende Tabelle aus der Ergebnissen der RAM-Studie: Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 249 Türkei ehem. Jugoslawien Italien Griechenland Polen Insgesamt Verstehen Sehr gut 36,2 48,1 51,6 46,6 42,7 42,7 Gut 27,0 34,3 29,4 30,4 31,1 29,7 Mittelmäßig 24,6 12,6 15,3 15,2 19,3 19,2 Schlecht 7,5 4,0 2,5 5,2 3,9 5,4 Sehr schlecht 3,6 1,0 0,6 2,3 2,8 2,4 Gar nicht 1,1 0,1 0,6 0,3 0,3 0,6 Insgesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 Sprechen Sehr gut 31,7 39,7 46,1 41,3 33,2 36,7 Gut 24,0 36,4 28,7 28,7 31,6 28,6 Mittelmäßig 26,0 16,5 19,5 19,9 24,7 22,2 Schlecht 12,9 5,5 4,1 6,5 6,3 8,8 Sehr schlecht 3,8 1,7 0,9 2,8 3,3 2,7 Gar nicht 1,6 0,2 0,7 0,8 0,8 1,0 Insgesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 Lesen Sehr gut 31,7 37,2 40,1 38,0 31,4 33,3 Gut 24,0 30,4 23,7 27,1 33,9 26,6 Mittelmäßig 26,0 19,4 22,1 15,2 18,7 19,1 Schlecht 12,9 7,0 9,0 9,3 10,2 10,9 Sehr schlecht 3,8 3,6 1,9 5,7 2,8 4,5 Gar nicht 1,6 2,4 3,2 4,7 3,0 5,6 Insgesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 Schreiben Sehr gut 24,5 30,4 32,0 31,5 23,2 27,5 Gut 18,9 20,4 16,3 22,0 25,7 19,7 Mittelmäßig 17,2 23,8 26,4 15,2 26,5 20,7 Schlecht 18,0 14,5 12,7 15,2 15,2 15,9 Sehr schlecht 8,1 6,6 6,2 7,2 4,4 7,1 Gar nicht 13,4 4,3 6,5 8,8 5,0 9,2 Insgesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 Tabelle 10: Deutschkenntnisse (Verstehen, Sprechen, Lesen und Schreiben) nach Nationalität; RAM-Untersuchung 2006/ 2007 30 30 Haug (2008, Tabellenband). Zu einer differenzierten Erörterung der statistischen Werte siehe Haug (2008, S. 23-30). Gerhard Stickel 250 Diese Befunde sind freilich nicht auf andere Migrantengruppen oder auf Deutsche mit Migrationshintergrund übertragbar; außerdem sind sie schon fünf Jahre alt oder älter. Immerhin bietet der Bericht erprobte Erhebungs- und Auswertungsverfahren, die für einen umfassenden Sprachenzensus genutzt werden könnten. 31 Auf jeden Fall verdeutlichen auch dieser Bericht und die vorausgegangen Tabellen, dass die in Deutschland dominante Sprache Deutsch gegenwärtig im sozialen Kontext einer großen Vielzahl anderer Sprachen gebraucht wird. Auch in der Vergangenheit war Deutschland nicht einsprachig. Die sprachliche Diversität war jedoch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts neben dem sozial begrenzten Gebrauch von Altgriechisch, Hebräisch, Latein, Französisch und Englisch als Schulfremdsprachen (Latein auch als Kirchensprache) und den regional beschränkten autochthonen Minderheitssprachen vor allem durch das Miteinander der deutschen Standardsprache und einer Vielzahl von Dialekten bestimmt. 32 Anders als für die autochthonen Minderheits- und Regionalsprachen gibt es für die allochthonen Sprachen in Deutschland keine rechtlichen Schutz- oder Förderungsbestimmungen. Eine gewisse Förderung mehrerer dieser Sprachen wird allenfalls dadurch erreicht, dass in manchen Schulen einiger Bundesländer neben den traditionellen Schulfremdsprachen auch etwa Unterricht in Spanisch, Italienisch, Russisch und Türkisch als Wahlfächer angeboten wird (siehe hierzu Kap. 13). Seit mehreren Jahren haben aber die staatlichen Bemühungen zugenommen, Migranten und deren Kindern in gesonderten Programmen Kenntnisse in Deutsch als Zweitsprache zu vermitteln, um ihre soziale Integration zu erleichtern und auch, weil ausreichende Deutschkenntnisse eine Voraussetzung für die Einbürgerung sind. Angesichts der großen Heterogenität der anderen Sprachen, auf welche die bisher angeführten Daten schließen lassen, werden aber auch Probleme erkennbar, die mit der Vermittlung von Deutschkenntnissen an die Menschen mit anderen Erstsprachen verbunden sind. Eine methodische Berücksichtigung der Ausgangssprachen der Deutschen mit Migrationshintergrund und der in Deutschland lebenden Ausländer ist in erheblichen Umfang im Sprachunterricht nur für die zuvor genannten größeren Sprechergruppen möglich, weil Lehrer mit ausreichenden Kenntnissen in den vielen übrigen Sprachen kaum zu gewinnen sind. 31 Aus anderen Ergebnistabellen der RAM-Studie ist u. a. zu entnehmen, dass im Durchschnitt die besten Deutschkenntnisse bei Männern aus Polen und die geringsten bei Frauen türkischer Herkunft anzutreffen sind. 32 Zum heutigen Verhältnis von Standardsprache und Dialekten siehe die Beiträge von Plewnia / Rothe und Schoel / Stahlberg (in diesem Band). Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 251 3. Sprachenrechtliche Bestimmungen Der Status einer Sprache in einem Land ist unter anderem durch die rechtlichen Bedingungen bestimmt, die für seinen Gebrauch gelten. Anders als in Österreich, Liechtenstein, Belgien und der Schweiz hat die deutsche Sprache in Deutschland keinen Verfassungsrang. 33 Sie wird im Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland gar nicht erwähnt. Auf Sprachen generell bezieht sich lediglich Art. 3 (3) GG: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. [Hervorh. G. S.] Diese Bestimmung räumt dem Deutschen keinen Vorzug vor anderen Sprachen ein. Hervorgehoben ist Deutsch jedoch dadurch, dass das Grundgesetz wie alle anderen Gesetze in Deutschland nur in deutscher Sprache gültig ist; d. h. es gibt keine rechtsgültigen Übersetzungen der Gesetze in anderen Sprachen. Seit mehreren Jahren wird auch in der Öffentlichkeit darüber diskutiert, ob eine Ergänzung des Grundgesetzes vorgenommen werden solle, mit der die deutsche Sprache ausdrücklich als Sprache der Bundesrepublik bestimmt würde. Streitfrage ist, ob durch eine solche Verfassungsänderung die Stellung der deutschen Sprache gestärkt oder geschwächt würde. Ein Antrag auf Ergänzung von Art. 22 des Grundgesetzes mit dem Satz „Die Sprache in der Bundesrepublik ist Deutsch“ wurde auf dem Bundesparteitag der derzeit größten politischen Partei, der CDU, am 2.12.2008 angenommen. Dies stieß jedoch auf Kritik auch innerhalb dieser Partei und wird seitdem nicht weiter verfolgt. Mit einer entsprechenden Verfassungsänderung ist deshalb in absehbarer Zeit kaum zu rechnen. Es gibt auch kein deutsches Sprachgesetz oder Sprachschutzgesetz, vergleichbar etwa der loi Toubon in Frankreich 34 . Anders aber als im Grundgesetz wird die deutsche Sprache in mehreren speziellen Gesetzen hervorgehoben, in denen sie als Amts- und Gerichtssprache vorgeschrieben ist. Zu nennen sind die folgenden Gesetze, aus denen jeweils die einschlägigen Bestimmungen zitiert werden: 33 Siehe die österreichischen und schweizerischen Verfassungsbestimmungen im Anhang. 34 Die genaue Bezeichnung dieses oft auch in Deutschland erwähnten Sprachgesetzes ist: LOI n° 94-665 du 4 août 1994 relative à l‘emploi de la langue française. Siehe http: / / www.culture. gouv.fr/ culture/ dglf/ lois/ loi-fr.htm . Gerhard Stickel 252 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG): § 8b. Ersuche sind in deutscher Sprache an Behörden anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu richten; soweit erforderlich, ist eine Übersetzung beizufügen. § 12. Die Amtssprache ist deutsch. Der Paragraph 8b ist eine außenpolitische Sprachregelung, die deutschen Behörden vorschreibt, mit staatlichen Instanzen anderer Staaten der EU auf Deutsch zu verkehren. Wie das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes enthalten die entsprechenden Gesetze aller 16 Bundesländer die Bestimmung: Die Amtssprache ist deutsch. Für die Kommunikation von und mit den Finanzämtern in Deutschland ist ebenfalls die deutsche Sprache vorgeschrieben. Abgabenordnung (AO): § 87, 1. Die Amtssprache ist deutsch. Werden bei einer Finanzbehörde in einer fremden Sprache Anträge gestellt oder Eingaben, Belege, Urkunden oder sonstige Dokumente vorgelegt, kann die Finanzbehörde verlangen, dass unverzüglich eine Übersetzung vorgelegt wird. Ähnliche Vorschriften gelten auch für die Sozialämter: Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X): - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz: § 19, 1. Die Amtssprache ist deutsch. 2. Werden bei einer Behörde in einer fremden Sprache Anträge gestellt oder Eingaben, Belege, Urkunden oder sonstige Dokumente vorgelegt, soll die Behörde unverzüglich die Vorlage einer Übersetzung innerhalb einer von ihr zu setzenden angemessenen Frist verlangen, sofern sie nicht in der Lage ist, die Anträge oder Dokumente zu verstehen. Auch für die Gerichte ist Deutsch als Verfahrenssprache bestimmt. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG): § 184. Die Gerichtssprache ist deutsch. Das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, ist gewährleistet. Sorbisch ist die einzige Minderheitssprache, die in einer begrenzten Region ausdrücklich als zusätzliche Gerichtssprache zugelassen ist. Derzeit gibt es Bemühungen, für internationale Wirtschaftsprozesse auch Englisch als Ge- Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 253 richtssprache zuzulassen. Nach Modellversuchen an einzelnen Gerichten beschloss der Bundesrat am 7.5.2010 den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen (KfiHG). 35 Als Hauptargument für diese Initiative wird im Entwurf ausgeführt: Der Gerichtsstandort Deutschland wird durch die Einführung von Englisch als Gerichtssprache in hohem Maße an Attraktivität gewinnen. Deutsche Kammern für internationale Handelssachen werden bedeutende wirtschaftsrechtliche Verfahren anziehen, die bisher entweder vor Schiedsgerichten oder im englischsprachigen Ausland verhandelt werden. Der Gesetzesentwurf liegt mittlerweile dem Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung vor. Mit einer entsprechenden Änderung des Gerichtsverfahrensgesetzes würde das Primat der deutschen Sprache in einer wichtigen Domäne des offiziellen Sprachgebrauchs aufgegeben. Als eine Bedingung für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft und auch des Rechts auf unbefristeten Aufenthalt in Deutschland werden in folgenden Gesetzen Deutschkenntnisse gefordert. Es wird außerdem geregelt, wie diese Kenntnisse erworben werden sollen und können: Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG): § 10, 1. Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach Maßgabe des § 80 des Aufenthaltsgesetzes oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn er (…) 6. über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen der Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen) in mündlicher und schriftlicher Form erfüllt. Aufenthaltsgesetz (AufenthG): § 9 Niederlassungserlaubnis Die Niederlassungserlaubnis ist ein unbefristeter Aufenthaltstitel. Einem Ausländer ist die Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn [...] 7. er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Die Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 7 sind nachgewiesen, wenn ein Integrationskurs erfolgreich abgeschlossen wurde. 35 Bundesrat, Drucksache 42/ 10 vom 7.5.2010; siehe http: / / www.bundesrat.de/ SharedDocs/ Drucksachen/ 2010/ 0001-0100/ 42-10,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/ 42-10.pdf . Gerhard Stickel 254 § 43. Integrationskurs: 1) Die Integration von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland wird gefördert und gefordert. 2) Eingliederungsbemühungen von Ausländern werden durch ein Grundangebot zur Integration (Integrationskurs) unterstützt. Ziel des Integrationskurses ist, den Ausländern die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland erfolgreich zu vermitteln. Ausländer sollen dadurch mit den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet so weit vertraut werden, dass sie ohne die Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbständig handeln können. 3) Der Integrationskurs umfasst einen Basis und einen Aufbausprachkurs von jeweils gleicher Dauer zur Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse sowie einen Orientierungskurs zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland. Der Integrationskurs wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge koordiniert und durchgeführt, das sich hierzu privater oder öffentlicher Träger bedienen kann. Für die Teilnahme am Integrationskurs sollen Kosten in angemessenem Umfang unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit erhoben werden. Neben diesen gesetzlichen Bestimmungen gibt es Vorschriften einzelner staatlicher Behörden, die sich auf den Gebrauch der deutschen Sprache in bestimmten Domänen beziehen. Dazu gehört der Beschluss der Kultusminister und der Ministerpräsidenten der Länder vom März 2006 (wirksam zum 1.8.2006) zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, die so genannte Rechtschreibreform. 36 Diese Regelung der Rechtschreibung, die sich in einigen Punkten von der vorher geltenden orthographischen Norm des Deutschen unterscheidet, wird auch von den anderen deutschsprachigen Staaten und Regionen getragen. Sie ist freilich auf den schriftlichen Sprachgebrauch in den öffentlichen Bildungseinrichtungen und im öffentlichen Dienst beschränkt, das heißt, den Domänen, die staatlicher Regelungskompetenz unterliegen. 37 Im Hinblick auf die internationale rechtliche Stellung der deutschen Sprache ist zu ergänzen, dass Deutsch eine der Amts- und Arbeitssprachen der Europäischen Union ist. Dies galt seit einer entsprechenden Verordnung im Zusammenhang mit den Römischen Verträgen von 1957 auch schon für die Vorformen der Union. 38 Der so genannte Vertrag von Lissabon von 2007 bestätigt 36 Die einschlägigen Dokumente hierzu finden sich unter www.ids-mannheim.de/ service/ reform . 37 Näheres hierzu unter www.rechtschreibrat.de . 38 Es ist die Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die mit den Entwicklungsstufen und der Erweiterung der Europäischen Union schrittweise ergänzt wurde. Siehe hierzu http: / / eur-lex.europa.eu/ LexUriServ/ LexUriServ.do? uri=CO NSLEG: 1958R0001: 20070101: DE: PDF . Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 255 diesen offiziellen Status von Deutsch neben dem der 22 Amtssprachen der anderen Mitgliedsstaaten der Union. 39 Neben Englisch und Französisch ist Deutsch auch eine der drei internen Arbeitssprachen der Europäischen Kommission. 4. Deutschunterricht in den Schulen Neben dem kindlichen Spracherwerb in der Familie und im näheren sozialen Umfeld ist vor allem der Sprachunterricht in den Schulen für die Vermittlung und die Entwicklung einer Sprache von Bedeutung. Der Schulunterricht ist besonders wichtig für die Vermittlung überregionaler sprachlicher Standards. Dass die deutsche Standardsprache (‘Hochdeutsch’) heutzutage von Greifswald bis Konstanz, von Flensburg bis Passau 40 weitgehend verstanden, wenn auch nicht in allen Domänen und Situationen aktiv gebraucht wird, ist weniger dem Spracherwerb im Elternhaus, der oft auch dialektal oder fremdsprachig ist, als dem Deutschunterricht in den Schulen zu verdanken. Die folgende Tabelle 41 bietet zunächst eine Übersicht über die Vielzahl der verschiedenen Schularten in Deutschlands und die Anzahl der Schüler im Schuljahr 2009/ 2010: Schulart Deutsche Schüler Ausländische Schüler Anteil privater Einrichtungen Vorklassen 8 463 878 8,8% Schulkindergärten 15 763 2 759 15,5% Grundschulen 2 680 814 234 044 2,8% Schulartenunabhängige Orientierungsstufe 97 233 13 927 5,2% Hauptschulen 616 720 150 538 3,3% Schularten mit mehreren Bildungsgängen 313 772 16 055 4,2% Realschulen 1 118 085 102 968 9,3% Gymnasien 2 365 290 110 081 11,1% Integrierte Gesamtschulen 459 957 70 889 4,2% Freie Waldorfschulen 78 545 156 100% Förderschulen 334 513 53 279 18,3% 39 Siehe Rat der Europäischen Union (2008, S. 61, Art. 55). 40 Die Reichweite der deutschen Standardsprache reicht über diese grenznahen Städte hinaus. Der vorliegende Bericht beschränkt sich aber auf die sprachlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. 41 Diese und die folgenden Tabellen bzw. Zahlen sind übernommen aus den Tabellen des Statistisches Bundesamts unter www.destatis.de µ Weitere Themen µ Bildung, Forschung, Kultur µ Schulen µ Tabellen. Detaillierte Tabellen finden sich auch in Statistisches Bundesamt (2010d). Gerhard Stickel 256 Abendhauptschulen 668 491 1,9% Abendrealschulen 16 635 4 976 18,9% Abendgymnasien 16 813 2 581 25,1% Kollegs 16 408 1 099 14,5% Teilzeit-Berufsschulen 1 574 789 106 852 2,6% Berufsvorbereitungsjahr 44 810 9 906 11,0% Berufsgrundbildungsjahr 29 030 5 298 3,4% Berufsaufbauschulen 493 103 keine Angabe Berufsfachschulen 445 612 53 912 22,8% Fachoberschulen 130 210 10 018 8,2% Fachgymnasien 149 773 9 103 4,2% Berufsoberschule / Techn. Oberschule 22 695 967 0,7% Fachschulen 161 742 5 812 30,9% Fachakademien 7 199 447 66,0% Insgesamt 10 706 032 968 539 Schülerzahl insgesamt: 11 674 571 Tabelle 11: Vielzahl der verschiedenen Schularten in Deutschland und Anzahl der Schüler im Schuljahr 2009/ 2010 Nach den Gesamtzahlen haben die ausländischen Schüler einen Anteil von rund 8,2 %. Wie weiteren Tabellen des Statistischen Bundesamts zu entnehmen ist, beträgt der Anteil der ausländischen Schüler in den allgemeinbildenden Schulen 8,6 % und in den berufsbildenden Schulen 7,3 %. Mit der Unterscheidung zwischen deutschen und ausländischen Schülern wird aber keine genaue Unterscheidung zwischen den Lernern deutscher Muttersprache und denen mit anderen Erstsprachen ermöglicht. Unter den deutschen Schülern sind auch solche, deren Eltern einen Migrationshintergrund haben, Schüler also, von denen manche wie die meisten ausländischen Schüler Deutsch als Zweitsprache erlernen. Von der Mehrzahl der ausländischen Schüler kann wohl angenommen werden, dass sie mit einer anderen Sprache als Muttersprache und Familiensprache aufwachsen, Deutsch also als Zweitsprache lernen. Die folgende Tabelle zeigt die Staatsangehörigkeit bzw. Herkunftsregion ausländischer Schülerinnen und Schüler an den allgemeinbildenden Schulen in den Schuljahren 2008/ 2009 und 2009/ 2010. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 257 Kontinent / Land der Staatsangehörigkeit Schuljahr 2008/ 2009 Schuljahr 2009/ 2010 absolut absolut in %* Insgesamt 805 979 766 121 100 Europa 642 023 606 011 79,1 EU-Länder 16 200 161 715 21,1 Belgien 1 146 1 107 0,1 Bulgarien 2 217 2 877 0,4 Dänemark 993 1 035 0,1 Estland 335 308 0,0 Finnland 543 481 0,1 Frankreich 6 592 6 536 0,9 Griechenland 28 017 26 405 3,4 Irland 425 450 0,1 Italien 50 892 48 045 6,3 Lettland 864 899 0,1 Litauen 1 731 1 747 0,2 Luxemburg 629 741 0,1 Malta 36 35 0,0 Niederlande 6 026 6 247 0,8 Österreich 6 088 5 929 0,8 Polen 24 571 24 984 3,3 Portugal 11 937 11 470 1,5 Rumänien 4 679 5 262 0,7 Schweden 822 820 0,1 Slowakei 1 046 1 076 0,1 Slowenien 984 949 0,1 Spanien 6 027 5 913 0,8 Tschechische Republik 1 962 1 789 0,2 Ungarn 1 697 1 852 0,2 Vereinigtes Königreich 4 923 4 736 0,6 Zypern 18 22 0,0 übrige europäische Länder 476 823 444.296 58,0 Bosnien und Herzegowina 19 693 18.294 2,4 Kroatien 18 266 16.739 2,2 Mazedonien 9 423 9.079 1,2 Montenegro 2 457 2.398 0,3 Norwegen 259 261 0,0 Russische Föderation 23 577 22.999 3,0 Schweiz 1 793 1.741 0,2 Serbien 32 729 28.708 3,7 Türkei 324 845 298.714 39,0 Sonstige 43 781 45 363 5,9 Gerhard Stickel 258 Afrika 31 929 31 316 4,1 Amerika 14 862 14 636 1,9 Asien 105 392 101 978 13,3 Australien / Ozeanien 736 776 0,1 Sonstige 11 037 11 404 1,5 * Anteil der jeweiligen Staatsangehörigen an der Gesamtanzahl Tabelle 12: Staatsangehörigkeit bzw. Herkunftsregion ausländischer Schülerinnen und Schüler an den allgemeinbildenden Schulen Hier die Herkunft ausländischer Schülerinnen und Schüler an den berufsbildenden Schulen: Kontinent / Land der Staatsangehörigkeit Schuljahr 2008/ 2009 Schuljahr 2009/ 2010 absolut absolut in %* Insgesamt 195 972 202 418 100 Europa 167 110 171 961 85,0 EU-Länder 46 331 47 168 23,3 Belgien 295 298 0,1 Bulgarien 385 477 0,2 Dänemark 197 187 0,1 Estland 88 90 0,0 Finnland 84 53 0,0 Frankreich 924 957 0,5 Griechenland 7 282 7 416 3,7 Irland 72 112 0,1 Italien 19 093 19 271 9,5 Lettland 287 261 0,1 Litauen 445 475 0,2 Luxemburg 157 180 0,1 Malta 8 7 0,0 Niederlande 847 898 0,4 Österreich 1 597 1 650 0,8 Polen 5 130 5 268 2,6 Portugal 3 427 3 544 1,8 Rumänien 1 391 1 473 0,7 Schweden 108 125 0,1 Slowakei 294 313 0,2 Slowenien 444 314 0,2 Spanien 1 897 1 859 0,9 Tschechische Republik 595 603 0,3 Ungarn 416 439 0,2 Vereinigtes Königreich 862 890 0,4 Zypern 6 8 0,0 Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 259 übrige europäische Länder 120 779 124 793 61,7 Bosnien und Herzegowina 5 252 5 017 2,5 Kroatien 5 851 5 610 2,8 Mazedonien 1 724 1 796 0,9 Montenegro 598 711 0,4 Norwegen 27 26 0,0 Russische Föderation 5 066 5 550 2,7 Schweiz 509 551 0,3 Serbien 7 384 7 072 3,5 Türkei 84 724 87 425 43,2 Sonstige 9 644 11 035 5,5 Afrika 7 237 7 383 3,6 Amerika 3 065 3 284 1,6 Asien 17 119 18 391 9,1 Australien / Ozeanien 123 138 0,1 Sonstige 1 318 1 261 0,6 * Anteil der jeweiligen Staatsangehörigen an der Gesamtanzahl Tabelle 13: Staatsangehörigkeit bzw. Herkunftsregion ausländischer Schülerinnen und Schüler an den berufsbildenden Schulen Größere Gruppen (mehr als 10 000) ausländischer Schüler kommen hiernach vermutlich derzeit noch aus folgenden Staaten: - Türkei ca. 360 000 - Italien ca. 65 000 - Serbien ca. 35 000 - Griechenland ca. 33 000 - Polen ca. 30 000 - Russische Föderation ca. 28 000 - Bosnien und Herzegowina ca. 23 000 - Kroatien ca. 23 000 - Portugal ca. 14 000 - Mazedonien ca. 12 000 Die bei weitem größte Gruppe ausländischer Schülerinnen und Schüler stammt aus der Türkei. Die Herkunftsangaben „Asien“ und „Afrika“ lassen keine Zuordnung zu Staaten oder Sprachen zu. Vermutlich sind darunter relativ viele Schüler aus arabischsprachigen Ländern. Gerhard Stickel 260 Im Schuljahr 2009/ 2010 wurden die rund 8,9 Millionen Schülerinnen und Schüler an den verschiedenen allgemeinbildenden Schulen von 670 927 Lehrkräften (darunter 399 729 Vollzeitkräften) unterrichtet, die rund 2,8 Millionen Schülerinnen und Schüler an den berufsbildenden Schulen von 124 306 Lehrkräften (darunter 85 139 Vollzeitkräften). 42 Leider wird in der offiziellen Statistik der Anteil der Deutschlehrer an der Gesamtzahl der Lehrkräfte in Deutschland nicht erfasst. 43 Im Bereich der öffentlichen und öffentlich geförderten Schulen wird Deutschunterricht an allen Schularten und auf allen Schulstufen vermittelt wird. Bundeseinheitliche Regelungen gibt es hierzu aber nicht, zumal das öffentliche Bildungswesen in die Kompetenz der einzelnen Bundesländer fällt. Detaillierte Angaben über den Umfang des Deutschunterrichts konnten nur für die öffentlichen Schulen ermittelt werden. Daten zum Umfang des Deutschunterrichts etwa in Teilzeit-Berufsfachschulen und Berufsschulen mit ihren vielen Lernern wurden nur aus einer Region erfragt, lassen sich aber nach Aussage der zuständigen Behörden verallgemeinern. Die Daten zu den Regelschulen sind den Internetveröffentlichungen der Kultusministerien der einzelnen Bundesländer entnommen. 44 42 Detaillierte Zahlen zu den Lehrkräften an den verschiedenen Schularten unter www.destatis. de µ Weitere Themen µ Bildung, Forschung, Kultur µ Schulen µ Tabellen und auch in Statistisches Bundesamt (2010d). 43 Die Anzahl der Lehrkräfte für das Fach Deutsch als Fremdsprache im nichtdeutschsprachigen Ausland wie auch die Anzahl der Lerner in den einzelnen Ländern bietet das Netzwerk Deutsch (Hg.) 2010. 44 Für die Ermittlung ergänzender Daten hier die entsprechenden Webseiten der Ministerien: Baden-Württemberg: www.kultusportal-bw.de Bayern: www.stmuk.bayern.de Berlin: www.berlin.de/ sen/ bwf Brandenburg: www.mbjs.brandenburg.de Bremen: www.bildung.bremen.de Hamburg: www.hamburg.de/ stadt-staat Hessen: www.kultusministerium.hessen.de Mecklenburg-Vorpommern: www.regierung-mv.de Niedersachen: www.mk.niedersachsen.de Nordrhein-Westfalen: www.schulministerium.nrw.de Rheinland-Pfalz: www.mbwjk.rlp.de Saarland: www.saarland.de/ ministerium_bildung.htm Sachsen: www.sachsen-macht-schule.de Sachsen-Anhalt: www.sachsen-anhalt.de/ LPSA Schleswig-Holstein: www.schleswig-holstein.de/ MBK Thüringen: www.thueringen.de/ de/ tmbwk . Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 261 Umfang des Deutschunterrichts nach Wochenstunden (WS) auf den verschiedenen Stufen öffentlicher Schulen in den 16 Bundesländern 45 Abkürzungen: BW Baden-Württemberg, BY Bayern, BE Berlin, BB Brandenburg, HB Bremen, HH Hamburg, HE Hessen, MV Mecklenburg-Vorpommern, NI Niedersachsen, NRW Nordrhein-Westfalen, RP Rheinland-Pfalz, SA Sachsen, ST Sachsen-Anhalt, SL Saarland, SH Schleswig-Holstein, TH Thüringen Grundschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 1 und 2 6-7 4-6 6-7 6 6-7 6 6 6-7 6 3 6-7 5 6-7 3-4 6 5-6 Klassenstufe 3 und 4 6-7 6 7 6-7 5 5 5 7 6 3-4 6-7 5 7 7 6 5-6 Klassenstufe 5 und 6 5 6 Hauptschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 4-5 5 4-5 5 5 5 4-5 Klassenstufe 7 bis 9 4-5 4-5 4-5 4 5 4-5 3-5 Klassenstufe 10 5 5 4 4 4-5 3-5 Gesamtschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 5 5-6 4 4 4-5 5 5 5 5 4-5 Klassenstufe 7 bis 9 4-5 3 3-4 2-3 3-4 4 3-4 4-5 4 3-4 4 3-4 Klassenstufe 10 4 3 4 3 4 4 4 4 4 4 4 3 Realschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 4-5 5 5 5 4-5 4 4-5 5 Klassenstufe 7 bis 9 4-5 4 4 3-4 4 4 3-4 4-5 Klassenstufe 10 4-5 4 4 4 4 4 4 4 Regionale Schule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 5-6 4-5 5 4-5 45 Zusammengefasst aus den Kontingentstundentafeln der einzelnen Bundesländer. Gerhard Stickel 262 Klassenstufe 7 bis 9 2-3 4 4 3-4 Klassenstufe 10 3 4 4 3 Sekundarschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 5 5 Klassenstufe 7 bis 9 4 4 4 Klassenstufe 10 4 4 4 Oberschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 3-4 4-5 Klassenstufe 7 bis 9 4-5 3-4 4 Klassenstufe 10 4 3-4 3 Sekundarstufe Gymnasium BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 4 4-5 3-4 2-4 5-6 5-6 4-5 4 4-5 5 4-5 5 5 4-5 Klassenstufe 7 bis 9 4 4 4 4 3-4 2-4 4 2-3 3-4 3-4 4 3-4 4 3-4 4-5 3-4 Klassenstufe 10 4 3 4 4 2-4 3 3 3 4 4 4 3 Tabelle 14: Umfang des Deutschunterrichts nach Wochenstunden auf den verschiedenen Stufen öffentlicher Schulen in den 16 Bundesländern In mehreren Bundesländern sind die Wochenstundenzahlen für den Deutschunterricht fest vorgegeben (u. a. in BW, RP, TH), in anderen wird den Schulen und/ oder Lehrern ein gewisser Spielraum gelassen (u. a. in HB, BE, SH). Die folgende zusammenfassende Übersicht zeigt noch deutlicher die Variationsbreite der Umfänge des Deutschunterrichts in den einzelnen Bundesländern und den verschiedenen Schulstufen. Die zweite Spalte der Tabelle gibt die jeweils geringsten Wochenstundenanzahlen an und die dritte die höchsten. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 263 min. WS max. WS Grundschule 1. bis 4. Klasse 3 WS (NRW, ST) 7 WS (BW, BE, HB, MV, RP, SA) Hauptschule 5. bis 9. / 10. Klasse kaum Abweichungen, meist 4 oder 5 Wochenstunden Deutsch Gesamtschule 5. und 6. Klasse 4 WS (NI, NRW, RP, TH) 6 WS (MV) 7. bis 10. Klasse 2 WS (MV) 5 WS (BB, SL) Realschule 5. und 6. Klasse kaum Abweichungen, meist 4 oder 5 Wochenstunden Deutsch 7. bis 10. Klasse 3 WS (HE, RP) 5 WS (BW, SL) Gymnasium 5. und 6. Klasse 2/ 3 WS (HH, HB) 6 WS (HE, MV) 7. bis 10. Klasse 2 WS (HH, MV) 5 WS (SH) Tabelle 15: Variationsbreite der Umfänge des Deutschunterrichts in den einzelnen Bundesländern und den verschiedenen Schulstufen Erkennbar ist, dass der Umfang des Deutschunterrichts mit den Klassenjahrgängen durchweg abnimmt, von 5 bis 7 Wochenstunden in den vier Grundschuljahren bis zu einem Minimum von nur 2 Wochenstunden in den folgenden Klassen in den Schulen einzelner Bundesländer. Bemerkenswert ist unter anderem, dass der Deutschunterricht in Mecklenburg-Vorpommern in fast allen Schularten ab der 7. Jahrgangsstufe auf 2 Stunden fällt, während in anderen Bundesländern 4 bis 6 Wochenstunden vorgesehen sind. Gesichert ist aber offensichtlich, dass alle Kinder und Jugendlichen Deutschunterricht erhalten, wenn auch je nach Bundesland und Altersstufen in verschiedenem Umfang. An den Teilzeit-Berufsschulen und Berufsfachschulen mit ihren zusammen über 2,2 Mio. Lernern wird in allen Bundesländern eine Wochenstunde Deutschunterricht erteilt. 46 Auch an den Privatschulen spielt der Deutschunterricht eine wichtige Rolle. Sofern die jeweiligen Schulen staatlich anerkannt sind, hat ihr Deutschunterricht einen ähnlichen Umfang wie an den öffentlichen Regelschulen. Zusammenfassende Daten für Deutschland ließen sich hierzu nicht ermitteln. 47 46 Mündliche Auskunft der Handwerkskammer Mannheim. Als Beispiel im Anhang die Stundentafeln der Berufsschule Ansbach. 47 Ausführliche Auskünfte über die Rolle und Funktion des Deutschunterrichts in ihren Unterrichtsprogrammen bieten Waldorfschulen in ihren Internetpräsentationen. Z. B. http: / / waldorfschulen-hamburg.de , http: / / www.waldorfschule-trier.de/ schule-allg/ unterricht/ deutsch . Gerhard Stickel 264 Neben dem eigentlichen Deutschunterricht ist Deutsch durchweg auch die Unterrichtssprache in den anderen Fächern, die an den verschiedenen Schulen unterrichtet werden. Ausnahmen sind der Fremdsprachenunterricht, der zumindest teilweise in der jeweiligen Zielsprache gegeben wird, zudem die Versuche einiger Schulen mit bilingualem Fachunterricht (CLIL 48 ) und der Sprachgebrauch in den noch relativ wenigen binationalen oder internationalen Begegnungsschulen, die es im Inland neben den von deutscher Seite geförderten Begegnungsschulen im Sprachausland gibt. 49 Bundeseinheitliche Vorschriften oder Richtlinien zur Unterrichtssprache in den Schulen gibt es nicht. Den Angaben der Kultusbehörden, die hier tabellarisch zusammengefasst worden sind, ist zu entnehmen, dass die deutsche Sprache in allen Schulen und auf allen Schulstufen unterrichtet und gelernt wird. Der Unterricht variiert aber in seinem Umfang nach Art der Schulen und zwischen den 16 Bundesländern. Der Unterricht variiert sicherlich auch nach den jeweiligen Methoden, didaktischen Zielen und verwendeten Unterrichtsmaterialien, was aber für diesen Bericht nicht untersucht werden konnte. Inwieweit die tatsächlichen sprachlichen Fähigkeiten der Schüler mit Art und Umfang des erteilten Sprachunterrichts korrelieren, war für diesen Bericht ebenfalls nicht zu ermitteln. 5. Förderung der Deutschkenntnisse von Kindern anderssprachiger Herkunft Zur Sprachförderung von Kindern mit nichtdeutschen Herkunftssprachen gibt es in den verschiedenen Bundesländern unterschiedliche Vorschriften und Programme in Form von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften oder Empfehlungen. Die Maßnahmen reichen von vorschulischer Förderung bis zu zusätzlichem Deutschunterricht in den Schulen. Genauere Daten zum Umfang der Fördermaßnahmen und zur Anzahl der betroffenen Kinder konnten mit überschaubarem Zeitaufwand nicht gewonnen werden. Die einschlägigen Dokumente der Kultusbehörden lassen erkennen, dass es für das Bundesgebiet insgesamt keine einheitlichen oder auch nur ähnlichen Regelungen und Maßnahmen gibt. Als Beispiele hier Auszüge aus den einschlägigen Richtlinien und Konzepten von drei Bundesländern. Die Angaben stützen sich auf Auskünfte der jeweiligen Kultusministerien. 48 CLIL: Content and Language Integrated Learning. Eine Übersicht über CLIL-Projekte bietet das Goethe-Institut unter http: / / www.goethe.de/ ges/ spa/ dos/ ifs/ cdl/ deindex.htm . 49 Z. B. die Staatliche Europaschule Französisch-Deutsch und die John-F.-Kennedy-Schule (englisch-deutsch) in Berlin. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 265 Bayern Bayern stellt seine Maßnahmen zur Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund folgendermaßen dar: Besondere Fördermaßnahmen für Schüler mit Migrationshintergrund 50 Die Fördermaßnahmen für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund umfassen - die Vorkurse Deutsch, - die Deutschförderklassen, - die Deutschförderkurse, - die Übergangsklassen. Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache mit unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Sprachen bereichern den Unterricht und beleben den Schulalltag. An Schulen mit einem hohen Anteil von Schülern und Schülerinnen mit Migrationshintergrund besteht aber auch die Gefahr kultureller und gesellschaftlicher Konflikte. Hier setzt die interkulturelle Erziehung an, die das Kennenlernen der unterschiedlichen Kulturen, gegenseitige Toleranz und Akzeptanz sowie weitergehendes Verständnis im Umgang der Schülerinnen und Schüler miteinander beinhaltet. Neben den Deutschfördermaßnahmen, die das Erlernen der deutschen Sprache zum Ziel haben, wird seit dem Schuljahr 2009/ 10 in allen Jahrgangsstufen der Grund- und Haupt-/ Mittelschule die Höchstzahl 25 eingehalten, wenn der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund mehr als 50% beträgt. Im Schuljahr 2010/ 11 wurde diese Regelung fortgeführt und es konnten bayernweit 401 zusätzliche Klassen eingerichtet werden. Davon profitieren vor allem große Städte wie München, Nürnberg und Augsburg. Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache werden auf breiter Basis in der deutschen Sprache gefördert. Dabei muss zwischen Intensiv- und Begleitmaßnahmen unterschieden werden. Alle Maßnahmen basieren auf dem Lehrplan für das Fach ‘Deutsch als Zweitsprache’. Der Lehrplan ist seit dem 01.08.2002 für alle Jahrgangsstufen verbindlich. Er gilt für den Unterricht im Fach Deutsch als Zweitsprache in Grundschule, Haupt-/ Mittelschule, Gymnasium, Realschule, Wirtschaftsschule, Berufsschule und Förderschule. [...] 50 Ein Auszug aus der Internetveröffentlichung des Bayrischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus ( http: / / www.km.bayern.de/ ministerium/ schule-und-ausbildung/ foerderung/ sprachfoerderung.html ). Gerhard Stickel 266 Berlin und Brandenburg Für Fördermaßnahmen dieser beiden Bundesländer gilt die folgende Verordnung, aus der die einschlägigen Bestimmungen zitiert werden: 51 Verordnung über die Eingliederung von fremdsprachigen Schülerinnen und Schülern in die allgemeinbildenden und beruflichen Schulen (Eingliederungsverordnung- EinglV) vom 19. Juni 1997 geändert am 29. August 2001 § 5 Vorbereitungsgruppen (2) Vorbereitungsgruppen können erst ab Jahrgangsstufe 2 im Rahmen der personellen Ausstattung eingerichtet und ab 17 Einzugliedernde geteilt werden. Es können Einzugliedernde verschiedener Sprachzugehörigkeit zusammengefasst werden. Vorbereitungsgruppen sind bei Bedarf über höchstens vier Jahrgangsstufen jahrgangsstufenübergreifend und mit Zustimmung des staatlichen Schulamtes auch schulübergreifend zulässig, sofern die Schulwege zumutbar sind. (3) Einzugliedernde in den Jahrgangsstufen 2 bis 4 verbleiben in der Regel bis zu sechs, ab Jahrgangsstufe 5 in der Regel bis zu zwölf Monate in der Vorbereitungsgruppe. (4) Bereits während des Besuchs der Vorbereitungsgruppe soll eine Teilintegration in den Fächern Sport, Musik, Kunst, Arbeitslehre und Sachunterricht erfolgen, um Sprachkompetenz auch im alltäglichen Umgang sowie eine schnellere soziale Integration zu. § 6 Förderkurse (3) Ab Jahrgangsstufe 2 erhalten Einzugliedernde eine auf zwei Jahre begrenzte Förderung in Förderkursen, die mit dem Regelunterricht sorgfältig abzustimmen ist. (4) Der Unterricht in Förderkursen beträgt bei mindestens fünf Einzugliedernden grundsätzlich bis zu zwei Unterrichtsstunden täglich und ersetzt in der Regel den Unterricht in einem Fach. Bei weniger als fünf Einzugliedernden ist grundsätzlich nur von bis zu einer Unterrichtsstunde pro Tag auszugehen. (5) In der gymnasialen Oberstufe muss die Förderung in Förderkursen bis zum Ende der Einführungsphase abgeschlossen sein. Hessen Das hessische Kultusministerium hat ein detailliertes Förderkonzept „Intensiv Deutschlernen“ in mehreren Sprachen veröffentlicht, aus der hier nur die Titel der verschiedenen Programme zitiert werden: 52 51 Quelle: http: / / www.bravors.brandenburg.de/ sixcms/ detail.php? gsid=land_bb_bravors_01.c.14990.de . 52 Der vollständige Text in verschiedenen Sprachen findet sich im Internet unter: http: / / www. hessen.de/ irj/ HKM_Internet? cid=f2fd9845270981331a9685a4756782ec zept Intensiv Deutschlernen. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 267 Intensiv Deutsch lernen - Förderkonzept für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund 1. Vorlaufkurse für Kinder im Jahr vor der Einschulung - freiwilliges Angebot in Grundschulen oder Kindergärten - Start: 9 Monate vor der Einschulung 2. Sprachkurse bei Zurückstellung für schulpflichtige Kinder zum erfolgreichen Start in das erste Schuljahr - verpflichtendes Angebot in Vorklassen oder speziellen Sprachkursen der Grundschule - Möglichkeit der nachträglichen Aufnahme in die Jahrgangsstufe 1 3. Deutsch & PC - für Grundschulkinder zur Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse - Förderung in der Jahrgangsstufe 1 parallel zum Klassenverband - in Klassenstufe 1 jeweils 2 Unterrichtsstunden täglich in Deutsch und Mathematik - wird in den Jahrgangsstufen 2 bis 4 angemessen fortgeführt 4. Intensivklassen für Neuankömmlinge ohne hinreichende Deutschkenntnisse - regionale oder überregionale Organisation - Gruppengröße: 12 bis 16 Schüler / Dauer: i. d. R. ein Jahr - Umfang: i. d. R. min. 28 WS an weiterführenden Schulen und 20 an Grundschulen 5. Alphabetisierungskurse für Schüler, die noch keine Schule besucht haben 6. Intensivkurse für Neuankömmlinge ohne hinreichende Deutschkenntnisse - verpflichtende Hilfe für alle Neuankömmlinge - Gruppengröße: maximal 12 Schüler / Dauer: bis zu 2 Jahre - Umfang: i. d. R. min. 12 WS 7. Förderkurse für SchülerInnen zur Erweiterung ihrer Deutschkenntnisse - verpflichtende Förderkurse - Umfang in der Grundschule: bis zu 2 zusätzliche WS - Umfang in der weiterführenden Schule: bis zu 4 zusätzliche WS Das hessische Kultusministerium macht im Unterschied zu den Kultusbehörden anderer Bundesländer auch Angaben zur Anzahl der von der Förderung betroffenen Kinder und Jugendlichen: Im Schuljahr 2007/ 08 besuchten rund 77 000 Schülerinnen und Schüler rund 9 851 Förderkurse zur Verbesserung ihrer Sprachkenntnisse, Kurs- und Schülerzahl haben sich damit seit 1999 mehr als verdreifacht. Mit dem seit 2002 verbindlichen Konzept der Deutsch-Vorlauf-Kurse ist Hessen Vorreiter in Deutschland. Kein anderes Land in der Bundesrepublik Deutschland ermög- Gerhard Stickel 268 lichte bisher eine so intensive schulische Sprachförderung für Vorschülerinnen und Vorschüler. Rund 13 Prozent der jährlich rund 55 000 Schulanfängerinnen und Schulanfänger nehmen mittlerweile an schulischen Vorlaufkursen teil. Im Schuljahr 2007/ 2008 sind es 6-944 Kinder in 889 Vorlaufkursen (Stand Dezember 2008). Die Vorschriften, Empfehlungen oder Konzepte der anderen Bundesländer sind leicht über die Webseiten der jeweiligen Kultusministerien abzurufen. Sie ergeben insgesamt aber nur ein Bild föderaler Heterogenität. Neben dem schulischen Bereich im engeren Sinn gibt es eine Vielzahl lokaler und regionaler Programme und Maßnahmen zur vorschulischen und schulischen Sprachförderung von Kindern mit anderen Herkunftssprachen, darunter auch private Initiativen. 53 Für den Erhalt und die positive Weiterentwicklung der deutschen Sprache sind diese Maßnahmen besonders wichtig, weil die vorschulische Zeit und die ersten Schuljahre einen prägenden Einfluss auf den kindlichen Spracherwerb haben und durch eine geeignete Förderung in dieser Zeit die Anzahl der kompetenten Deutschsprecher stabilisiert wird. Angesichts der großen Vielfalt der der Herkunftssprachen der Kinder ist zu beachten, dass didaktische Verfahren der Sprachvermittlung, welche die Herkunftssprache der Lernenden gezielt berücksichtigen, nur für Lerner der zahlenmäßig großen Ausgangssprachen einsetzbar sind. Dies gilt auch für den Deutschunterricht für die Erwachsenen in Deutschland mit ihren vielen Erstsprachen. 6. Förderung der Deutschkenntnisse von Erwachsenen mit anderen Herkunftssprachen Um erwachsenen Zuwanderern und Aussiedlern 54 Deutschkenntnisse zu vermitteln oder ihre unzureichenden Kenntnisse zu verbessern, gibt es ebenfalls eine Vielzahl öffentlicher und öffentlich finanzierter Förderungsprogramme. Im Bereich des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stellt der im Rahmen des Integrationskurses durchgeführte Sprachunterricht das zentrale Angebot dar. 53 Detaillierte Informationen und Übersichten hierzu bietet das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter: www.bamf.de/ DE/ Willkommen/ DeutschLernen/ deutschlernen -node.html . 54 Zur Definition von ‘Zuwanderer’ siehe Fußnote 18. Viele Spätaussiedler hatten oder haben Polnisch oder Russisch als Erstsprachen und nur geringe Deutschkenntnisse. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 269 Der Sprachkurs dauert 600 Stunden, aufgeteilt in einen Basis- und einen Aufbausprachkurs. Das Ziel: Die Teilnehmer sollen sich im Alltag auf Deutsch (Sprachniveau B1) 55 verständigen können. Es gibt Vollzeit- und Teilzeitkurse. Die Teilzeitkurse sollen es insbesondere Eltern und Berufstätigen ermöglichen, an einem Integrationskurs teilzunehmen. Zudem gibt es spezielle Integrationskurse (945 Stunden) für Eltern, Jugendliche, Frauen und Teilnehmer, die noch nicht schreiben und lesen können. Für Personen mit einem erhöhten sprachpädagogischen Förderbedarf können Förderkurse eingerichtet werden. In Intensivkursen (430 Stunden) lernen Teilnehmer, die aufgrund ihrer Vorkenntnisse das Ziel des Integrationskurses schneller erreichen können. Die Teilnehmer dürfen auf Antrag einmalig 300 Unterrichtsstunden im Sprachkurs wiederholen, wenn sie ordnungsgemäß am Integrationskurs teilgenommen und in der Sprachprüfung das Sprachniveau B1 nicht erreicht haben. Grundlage des Sprachkursteils des Integrationskurses bildet das Konzept für einen bundesweiten Integrationskurs sowie das „Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache“. An dem Integrationskurs nahmen im Jahr 2009 145 934 Personen (darunter 33 367 Kurswiederholer) teil. 53 451 Personen nahmen im zweiten Halbjahr an einem skalierten Sprachtest teil. Von ihnen erreichten 25 212 den Abschluss B1, 20 225 den Abschluss A2. 56 Neben dem Interrationskurs gibt es das ESF-BAMF Programm, 57 welches sich an Personen mit Migrationshintergrund richtet, die eine berufsbezogene sprachliche und fachliche Weiterqualifizierung benötigen. Danach werden jeweils bis zu 30 000 Personen in einem sechsmonatigen Programm gefördert. In diesen Kursen erwerben die Teilnehmer die sprachlichen Ressourcen, die sie am Arbeitsplatz benötigen, um kompetent mit Kollegen, Kunden und Vorgesetzten kommunizieren zu können. Außerdem lernen sie, auch kompliziertere Texte zu verstehen und erfahren, was zum Beispiel beim Schreiben von E-Mails und Briefen im beruflichen Kontext beachtet werden muss. Gleich- 55 Die Angabe des Sprachniveaus B1 bezieht sich auf den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER). Näheres hierzu u. a. unter www.goethe.de/ z/ 50/ commeuro/ deindex.htm . 56 B1 und B2 beziehen sich auf den Europäischen Referenzrahmen. Die Daten sind übernommen aus Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Hg.) (2010b, S. 9). 57 ESF-BAMF: Europäischer Sozialfonds für Deutschland - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Gerhard Stickel 270 zeitig werden durch diese Kurse auch die allgemeinen Sprachkenntnisse der Teilnehmer weiterentwickelt. 58 Zum Umfang der diversen Programme und der Anzahl der Teilnehmer liegen keine Daten vor. Es ist also nicht ersichtlich, inwieweit alle erwachsenen Migranten oder auch die meisten von ihnen die Möglichkeit haben, an entsprechenden Kursen teilzunehmen bzw. wie groß der Anteil an diesem Teil der Bevölkerung ist, der von diesen Angeboten keinen Gebrauch macht. Als konkretes Beispiel für Angebote der Volkshochschulen das Kursangebot der Abendakademie (Volkshochschule) Mannheim : 59 Kursname Sitzungsanzahl einzelne Sitzungsdauer Prüfungsmöglichkeit Gebühr B1 - Fit für die Einbürgerung 50 3h 15min schriftlich und mündlich 504 € (A1 / A2 / B1 / B2) Deutsch-Intensiv-Ferienkurs 30 4h 405 € A1 oder A2 Teilzeitkurs Vormittag/ Nachmittag/ Abend 25 3h 15min 261 € oder 169 € Prüfungsvorbereitung $ º \ œ | š 42 2h 30min schriftlich und mündlich 387 € Vorbereitungskurs auf den Einbürgerungstest 4 4h 61 € Tabelle 16: Kursangebot der Abendakademie Mannheim Zu erwähnen ist außerdem das Inlandsprogramm des Goethe-Instituts, das sich an erwachsene Lerner mit anderen Muttersprachen richtet. Das Goethe- Institut bietet Deutschkurse in seinen 13 inländischen Instituten 60 folgende Kurse an: 58 Quelle: Robert Drews, Stab Leitungshilfen, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Weitere Informationen unter www.integration-in-deutschland.de . 59 Quelle: http: / / www.abendakademie-mannheim.de . 60 Inlandsinstitute des Goethe-Instituts in: Hamburg Bremen Berlin Göttingen Dresden Weimar Düsseldorf. Bonn Frankfurt Mannheim-Heidelberg Schwäbisch-Hall Freiburg München Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 271 Kursname Kursdauer Unterrichtseinheiten Prüfungsmöglichkeit Niveaustufe Intensiv 8 ca. 8 Wochen 170 à 45 min am Ende des Kurses alle Intensiv 4 ca. 4 Wochen 85 à 45 min am Ende des Kurses alle Intensiv 2 ca. 2 Wochen 45 à 45 min alle Deutsch am Abend © » ` © » ` Tabelle 17: Kursangebot des Goethe-Instituts Prüfungen: von Goethe Zertifikat A1 (Start Deutsch 1) bis zu C2 (Zentrale Oberstufenprüfung) und für das Kleine und das Große deutsche Sprachdiplom. Die Anzahl der Deutschlernenden an den Inlandsinstituten des Goethe-Instituts betrug im Jahr 2009 insgesamt 24 343 Personen. Von diesen halten sich aber viele nur zu Studien-, Fortbildungs- oder Forschungszwecken in Deutschland auf und kehren dann in ihre Heimatländer zurück. 61 7. Deutsch und andere Sprachen an Hochschulen und Forschungsinstituten Deutsch ist weiterhin die vorherrschende Unterrichtssprache an den staatlichen Universitäten und Hochschulen in Deutschland. Es gibt jedoch eine Reihe fachspezifischer und örtlicher Ausnahmen. In diesen Fällen wird zumeist auf Englisch gelehrt. Bundeseinheitliche Regelungen oder gar gesetzliche Vorschriften zur Unterrichtssprache(n) im Hochschulbereich gibt es nicht. Zum Sprachgebrauch in Lehrveranstaltungen machen die einzelnen Hochschulen oder Fakultäten ihre eigenen Vorgaben oder auch keine. Eine Umfrage bei allen Universitäten und weiteren Hochschulen wie auch bei einer Anzahl von privaten Hochschulen führte zu keinem klaren Gesamtbild, zumal viele von ihnen nach eigenem Bekunden nicht über entsprechende Daten zum Sprachgebrauch in den verschiedenen Fächer verfügen bzw. Auskünfte sogar ausdrücklich verweigerten. 62 Detaillierte Angaben konnten nur einige Univer- 61 Quelle: www.goethe.de . 62 Z. B. Antwort der Universität Bonn: „… wir hatten bereits mitgeteilt, dass wir uns an Ihrer Befragung nicht beteiligen möchten.“ Gerhard Stickel 272 sitäten und andere Hochschulen machen. 63 Im Folgenden eine Zusammenstellung der per E-Mail übermittelten Auskünfte von staatlichen Hochschulen, die hier in ihrer Vielfalt und unterschiedlichen Ausführlichkeit wiedergegeben werden: Ungefähre Anteile der deutschen Sprache an der Lehre folgender Fächer bzw. Fächergruppen? 1) In den geisteswissenschaftlichen Fächern: Universität Augsburg: fast 100 % Deutsch; Anglistik, Kanadistik, Romanistik: vereinzelt Veranstaltungen in der jeweiligen Fremdsprache. Universität Bamberg: Anglistik: 100 % Englisch; Romanistik: ca. 50 % romanische Sprachen; übrige Fächer: Deutsch. Universität Braunschweig: über 90 % Deutsch. Universität Duisburg-Essen: Institut für Anglophone Studien: alle Veranstaltungen in englischer Sprache; Germanistik: keine englischsprachigen Lehrveranstaltungen. Universität Frankfurt: ca. 90 % Deutsch; Ausnahme: sprachbezogene Fächer (hier in jeweils studierter Sprache). Universität Gießen: vorwiegend in den Kulturwissenschaften 100 % Deutsch. 63 Gefragt wurden die Hochschulen per E-Mail: Bitte, teilen Sie uns mit, welche ungefähren (eventuell geschätzten) prozentualen Anteile die deutsche Sprache in der Lehre folgender Fächer bzw. Fächergruppen hat (sofern es diese Fächer bei Ihnen gibt): 1) In den geisteswissenschaftlichen Fächern? 2) In den Wirtschaftswissenschaften? 3) In der Rechtwissenschaft? 4) In den medizinischen Fächern? 5) In den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern? 6) In den Ingenieurwissenschaften? 7) In weiteren Fächern? (Bitte, nennen.) Falls sich der Sprachgebrauch in den verschiedenen Studienabschnitten (BA-, MA-, Doktorandenprogramm) unterscheidet, bitten wir um entsprechende Hinweise. Außerdem bitten wir Sie um Antwort auf die Frage: Welche anderen Sprachen werden außer oder neben dem Deutschen in der Lehre der verschiedenen Fächer gebraucht? (Vermutlich meist Englisch). Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 273 Universität Heidelberg: ca. 95 % Deutsch. Universität Hildesheim: im Fachbereich „Sprach- und Informationswissenschaft“ ca. 25 % Englisch. Universität Kaiserslautern: Das Angebot englischsprachiger Veranstaltungen wird im Fachbereich Sozialwissenschaften zunehmend ausgebaut: In den Bachelorstudiengängen findet sich momentan nur eine englischsprachige Lehrveranstaltung, allerdings haben wir in unserem .-Studiengang Integrative Sozialwissenschaft ein Sprach-Kompetenzmodul mit 12LPs, in denen die Studierenden frei Sprachkurse aus dem Angebot der Uni auswählen, u. a. auch Englisch. In den Masterstudiengängen finden sich eine ganze Reihe von Lehrveranstaltungen in englischer Sprache: Im M.A.-Studiengang Integrative Sozialwissenschaft bieten wir drei englischsprachige Veranstaltungen an, ferner bieten wir etwa fünf Veranstaltungen im „Querschnitt“, d. h. im Nebenfach für Informatiker und Biologen an. Universität Kassel: 55 % Deutsch. Universität Mannheim: 84,6 % der Lehre an der Fakultät sind auf Deutsch. Neben dem Englischen werden in nennenswertem Umfang in der Romanistik auch Spanisch, Französisch und Italienisch gebraucht, darüber hinaus Russisch und Serbokroatisch in der (Rest-) Slavistik. An der Fakultät für Sozialwissenschaften sieht die Sprachverteilung laut Prüfungsordnung (PO) der einzelnen Studiengänge wie unten dargelegt aus. Grundsätzlich sind in allen Studiengängen Veranstaltungen auf Englisch erlaubt. Diese, nicht in der PO verankerten, auf Englisch durchgeführten Veranstaltungen, finden Sie in den Klammern: B.A. Politikwissenschaft 100 % Deutsch (ca. 15% englischsprachig); M.A. Political Science 100 % Englisch; B.Sc. Psychologie 100 % Deutsch; M.Sc. Psychologie 100 % Deutsch; B.A. Soziologie 100 % Deutsch (ca. 15 % englischsprachige Veranstaltungen); M.A. Soziologie 72,5 % Deutsch und 27,5 % Englisch (zusätzlich werden weitere Veranstaltungen auf Englisch gehalten, insgesamt 45 %). Universität Münster: Evangelisch-Theologische Fakultät: 100 % Deutsch Katholisch-Theologische Fakultät: 90-100 % Deutsch Politikwissenschaft: B.A.-Studiengänge 90-100 % Deutsch (Ausnahme: zwei internationale B.A./ M.A.-Studiengänge, hier jeweils 50 % Deutsch + 50 % Niederländisch bzw. Französisch). Universität Paderborn: Fakultät für Kulturwissenschaften: Der Anteil an fremdsprachigen Veranstaltungen in der Fakultät für Kulturwissenschaften liegt bei ca. 20%. Das Gros der fremdsprachlichen Veranstaltungen findet in englischer Sprache statt. Die Verteilung auf die verschiedenen Lehreinheiten ist allerdings stark heterogen: Im Institut Gerhard Stickel 274 für Anglistik und Amerikanistik wird das Gros aller Lehrveranstaltungen in Englisch gehalten, im Institut für Romanistik ein Teil der Veranstaltungen in Französisch oder Spanisch. Weiterhin werden Sprachlehrveranstaltungen in Englisch, Französisch und Spanisch aus der Fakultät in den von der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften ausgerichteten Bachelor-Masterstudiengang „International Business Studies“ integriert. In einzelnen Masterstudiengängen (Komparatistik, Kulturerbe) findet ein Teil des Lehrangebots in einer modernen Fremdsprache statt. Das naturgemäß fremdsprachliche Angebot des der Fakultät zugeordneten „Zentrums für Sprachlehre“ bleibt bei der Ermittlung ausgespart. Universität Trier: ca. 90 % Deutsch, 9 % Englisch, 1 % Französisch. 2) In den Wirtschaftswissenschaften: Universität Augsburg: fast 100 % Deutsch. Universität Bamberg: ca. 90 % Deutsch und 10 % Englisch. Universität Frankfurt: im B.A. ca. 90 % Deutsch / M.A. teilweise vollständig in englischer Sprache . Universität Heidelberg: ca. 90 % Deutsch. Universität Hohenheim: ca. 10% Englisch. Universität Kassel: 75 % Deutsch. Universität Mannheim: Fakultät BWL: B.A.- und M.A.-Studiengänge ca. 50 % Deutsch und 50 % Englisch, MBA- und Doktorandenprogramm 100 % Englisch; Fakultät VWL: B.A. 70-80 % Deutsch, M.A. und Promotionsprogramm 0 % Deutsch, neben Englisch wir mit marginalem Anteil ggf. Französisch und Spanisch in einzelnen Seminar- und Bachelorarbeiten verwendet. TU München: ca. 65 % Deutsch. Universität Paderborn: Der Anteil der englischsprachigen Lehrveranstaltungen an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften beläuft sich auf etwa 13 Prozent. Allerdings können und werden Projekte oder Seminare auch in Englisch abgehalten, so dass sich der gelebte Anteil erhöht. Universität Trier: ca. 84 % Deutsch, 12 % Englisch, 4 % Französisch. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 275 3) In der Rechtswissenschaft: Universität Augsburg: 100 % Deutsch. Universität Frankfurt: Fast 100 % Deutsch. Universität Heidelberg: fast 100 % Deutsch. Universität Kassel: 98 % Deutsch. Universität Münster: B.A.-Studiengänge 90-100 % Deutsch; M.A. Studiengänge 100 % Deutsch (Ausnahme: Zertifikatsstudiengang „Fachspezifische Fremdsprachenausbildung für Juristinnen und Juristen mit 100 % Englisch). Universität Trier: ca. 91 % Deutsch, 5 % Englisch, 4 % Französisch. 4) In den medizinischen Fächern: Universität Duisburg-Essen: 100 % Deutsch. Universität Frankfurt: Fast 100 % Deutsch. Universität Heidelberg: ca. 80 % Deutsch. TU München: 50 % Deutsch (nur zwei Studiengänge, einer davon ist ein englischsprachiger PhD). Universität Ulm: keine englischsprachigen Veranstaltungen. 5) In den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern: Universität Augsburg: ca. 90 % Deutsch (Fremdsprache bezieht sich nahezu ausschließlich auf spezielle Masterprogramme). Universität Braunschweig: über 90 % Deutsch. Universität Frankfurt: im B.A. ca. 80 % Deutsch, im M.A. in einigen Arbeitsgruppen nur Englisch. Universität Kassel: 95 % Deutsch. Gerhard Stickel 276 Universität Gießen: häufiger Fachvorträge in englischer Sprache (auch Medizin und Veterinärmedizin). Universität Heidelberg: ca. 75 % Deutsch. Universität Hohenheim: Fakultät für Naturwissenschaften: ca. 3 % Englisch (= 18 Lehrveranstaltungen). Universität Mannheim: Wirtschaftsinformatik: B.Sc. 85 % Deutsch + 15 % Englisch, M.Sc. 30 % Deutsch + 70 % Englisch, der M.Sc. Wirtschaftsinformatik kann je nach Fächerwahl komplett auf Englisch studiert werden; Wirtschaftsmathematik: B.A. ca. 90 % Deutsch + 10 % Englisch. TU München: 80% Deutsch. Universität Münster: Biologie: B.A. 100 % Deutsch; M.A. 90 % Deutsch; Doktoranden 10 % Deutsch + 90 % Englisch; Chemie und Pharmazie: B.A. 100 % Deutsch; M.A. und Promotionsstudiengänge 90 % Deutsch. Universität Paderborn: Hauswirtschaft (ausschließlich Lehramt): Derzeit keine englischsprachigen Angebote; Sport: Nur punktuell englischsprachige Angebote z. B. aufgrund der Anwesenheit von Gastwissenschaftlern (aktuell 1 von 67 Veranstaltungen); Chemie: Geschätzt je nach Nachfrage ca. 5-10 % englischsprachige Veranstaltungen im Jahresangebot von ca. 180 Veranstaltungen; Physik: Geschätzt je nach Nachfrage ca. 15 % englischsprachige Veranstaltungen im Jahresangebot von ca. 86 Veranstaltungen. Hervorzuheben: Es wird ein durchgängig englischsprachiger Masterstudiengang angeboten. Universität Trier: ca. 99 % Deutsch, 1 % Englisch. Universität Ulm: M.A. Schwerpunkt Finanzmathematik: ca. 1/ 6 der Vorlesungen in Englisch ( = Fakultät für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften) Biologie: ein Juniorprof aus Belgien hält Vorlesungen in Englisch, zudem in höheren Semestern viel englischsprachig. Chemie: einige Vorlesungen in Englisch, im M.A. ab 1. Semester Physik: ca. 20 % der Lehrveranstaltungen in Englisch 6) In den Ingenieurwissenschaften: Universität Braunschweig: Über 90 % Deutsch. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 277 Universität Duisburg-Essen: In der Fakultät für Ingenieurwissenschaften werden im international ausgerichteten Studienprogramm ISE (International Studies in Engineering) die folgenden sechs Bachelor Studiengänge im ersten Studienjahr komplett in Englisch gelehrt und ab dem dritten Semester hälftig in Englisch und Deutsch: B.Sc. Automation and Control Engineering, B.Sc. Computer Engineering, B.Sc. Computer Science and Communications Engineering, B.Sc. Electrical and Electronic Engineering, B.Sc. Mechanical Engineering, B.Sc. Metallurgy and Metal Forming. Der duale Bachelorstudiengang Steel Technology and Metal Forming basiert auf dem Lehrplan des Bachelorstudienganges Metallurgy and Metal Forming (s. o.). Das internationale Master Programm im Rahmen von ISE hat acht Studiengänge, die von Anfang an zu 50 % in Deutsch und 50 % in Englisch gelehrt werden: M.Sc. Automation and Control Engineering, M.Sc. Computer Engineering, M.Sc. Computer Science and Communications Engineering, M.Sc. Computational Mechanics, M.Sc. Electrical and Electronic Engineering, M.Sc. Mechanical Engineering, M. Sc. Metallurgy and Metal Forming, M.Sc. Management and Technology of Water and Waste Water. Der Masterstudiengang Technische Logistik ist ebenfalls international ausgerichtet, seine Lehrveranstaltungen sind ca. zu 30 % auf Englisch und zu 70 % auf Deutsch. Der berufsbegleitende kostenpflichtige Masterstudiengang Public Transport Management hat ca. 25 % englischsprachige und 75 % deutsche Lehrveranstaltungen. Die weiteren nationalen Studiengänge der Fakultät für Ingenieurwissenschaften werden zu 90 % auf Deutsch und 10 % auf Englisch gelehrt. Universität Kaiserslautern: Alle Pflichtveranstaltungen im Studiengang „Bauingenieurwesen“ werden in deutscher Sprache gehalten. Es gibt einige wenige englischsprachige Veranstaltungen im Wahlpflichtbereich. Im Fachbereich Maschinenbau und Verfahrenstechnik werden vier Vorlesungen komplett in Englisch, 27 weitere Vorlesungen je nach Wunsch der Studierenden wahlweise in Englisch oder Deutsch gehalten. Universität Kassel: 75 % Deutsch. TU München: mit Informatik: ca. 75 % Deutsch. Universität Paderborn: Fakultät für Maschinenbau: derzeit offiziell keine englischsprachigen Veranstaltungen. Universität Ulm: B.A.: nur Technical Presentation Skills (Vorlesung) in Englisch M.A.: je nach Vertiefungsrichtung mehr oder weniger. Gerhard Stickel 278 7) In weiteren Fächern: Universität Augsburg: Katholisch-Theologische Fakultät: 100 % Deutsch. Universität Bamberg: Wirtschaftsinformatik und angewandte Informatik: min. 50 % Englisch. Universität Hohenheim: Agrarwissenschaften: 75 % Deutsch und 25 % Englisch Ursache: mehrere internationale Master-Studiengänge. Universität Kaiserslautern: Informatik: B.A. weitestgehend in Deutsch / M.A. überwiegend in Englisch. Universität Kassel: Kunst und Kunstwissenschaften: 99 % Deutsch. TU München: Lebens- und Gesundheitswissenschaften: ca. 95 % Deutsch. Universität Münster: Musikhochschule: B.A. und M.A. 95 % Deutsch. Universität Ulm: Informatik und Psychologie: bisher 100 % Deutsch. Zusätzliche Hinweise: Universität Bamberg: im Rahmen integrierter Auslandsaufenthalte: durchweg Englisch, neuer Master- Studiengang „Allgemeine Sprachwissenschaft“: 100 % Englisch. Universität Braunschweig: Ausnahmen bilden die M.A.-Studiengänge Computational Sciences in Engineering (bilingual: deutsch/ englisch) und Internet Technologies and Information Systems (englisch) sowie English / English Studies (2-Fach-B.A. und M.A. Lehramt). Universität der Künste (Berlin): Die UdK hat nur wenige Studienveranstaltungen, die auf Englisch abgehalten werden, dafür gibt es häufiger Veranstaltungen - wie Vorträge u. Ä. - die in englischer Sprache gehalten werden. Offiziell gibt es an der UdK keine Studiengänge in englischer Sprache, trotzdem kann es sein, dass internationale Gastprofessoren z. B. in der Musik oder der bildenden Kunst ihre Studierenden in Englisch unterrichten. Universität Duisburg-Essen: M.A.-Studiengang „Contemporary East Asian Studies sowie Graduiertenkolleg Risk and East Asia werden vollständig in englischer Sprache angeboten. PH Freiburg: In den Lehrveranstaltungen an der Pädagogischen Hochschule wird ganz überwiegend Deutsch verwendet. Ausnahmen sind die Lehrangebote in den Lehramtsstudiengängen in den Fremdsprachenfächern Englisch und Französisch (Englisch Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 279 bzw. Französisch als Sprachen), die Veranstaltungen zum Bilingualen Lehren und Lernen im Studiengang Europalehramt (Verwendung der Zielsprachen E und F), das Sprachkursangebot der Hochschule (Verwendung der Zielsprachen Italienisch, Spanisch, Russisch, Arabisch, Polnisch, Türkisch) sowie einzelne Lehrveranstaltungen in den BA-MA-Studiengängen (je nach Thematik und ggf. Lehrendem gelegentlich Lehrveranstaltungen in Englisch, Französisch, auch Spanisch). Ich schätze, dass 90-95 % der Lehrveranstaltungen Deutsch verwenden. Wir erwarten aber natürlich von unseren Studierenden, dass sie mit englischer und möglichst mit französischer Fachliteratur arbeiten können und z. B. Gastveranstaltungen zumindest in Englisch folgen können. TU Hamburg Harburg: im Wintersemester: ca. 20 % englischsprachige Lehrveranstaltungen, im Sommersemester: ca. 15 % englischsprachige Lehrveranstaltungen. Universität Gießen: rein englischsprachiger Studiengang „Agrobiotechnology“. Universität Hannover: Vier oder fünf M.A.-Studiengänge, die auf englischer Sprache abgehalten werden. Darüber hinaus gibt es nur vereinzelte Vorlesungen in Englisch, z. B. von Gastprofessoren. TU Ilmenau: In den Bachelor-Studiengängen gibt es zumeist je ein Fächerangebot zur „Fachsprache“ in Englisch im Umfang von 2 Leistungspunkten bei 180 bzw. 210 Leistungspunkten insgesamt. Von insgesamt 40 Studiengängen (Bachelor und Master) werden an der TU Ilmenau drei Master-Studiengänge mit englischsprachigem Lehrangebot angeboten, namentlich: - Master Communications and Signal Processing - Master Electrical Power and Control Engineering - Bilingualer Master Medien- und Kommunikationswissenschaften Universität Jena: Tendenziell ist das Angebot an englischsprachigen Veranstaltungen in den Natur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften stärker ausgeprägt als in den Fächern der Geisteswissenschaften. In der Regel werden die englischsprachigen Veranstaltungen eher im Bereich des fortgeschrittenen Bachelorstudiums oder auf Masterebene angesiedelt. Die Vermittlung fachwissenschaftlicher Grundlagen zu Beginn des Bachelorstudiums erfolgt hingegen primär (ausgenommen sei das Fach Anglistik/ Amerikanistik) in deutscher Sprache. Eine ausreichende Sprachkompetenz im Englischen ist jedoch für den Umgang mit englischer Fachliteratur in nahezu allen Fächern von essentieller Bedeutung. Das Studienangebot im Masterbereich beinhaltet eine Reihe von Studiengängen, die ausschließlich oder überwiegend in englischer Sprache durchgeführt werden. Als rein englischsprachige Studiengänge sind Economics (M.Sc. bzw. M.Ec.), Molecular Medicine (M.Sc.) und Photonics (M.Sc.) zu nennen. Der zum Wintersemester 2012/ 13 startende Master- Gerhard Stickel 280 studiengang Molecular Nutrition (M.Sc.) soll ebenfalls in englischer Sprache angeboten werden. In den Studiengängen Biochemistry (M.Sc.), Microbiology (M.Sc.) und Molecular Life Sciences (M.Sc.) bildet Englisch die regulär vorgesehene Unterrichtssprache; bei einem rein deutschsprachigen Teilnehmerkreis könnte auf Wunsch der Studierenden allerdings in einzelnen Veranstaltungen davon abgewichen werden. Umgekehrt ist die Unterrichtssprache in den Studiengängen Bioinformatik (M.Sc.), Informatik (M.Sc.), Computational Science (M.Sc.) und Evolution, Ecology and Systematics (M.Sc.) im Regelfall Deutsch; bei Bedarf können die Lehrveranstaltungen und Prüfungen aber auch in englischer Sprache durchgeführt werden. Die fachwissenschaftliche Arbeit setzt hier ohnehin entsprechende Englischkenntnisse voraus, die zudem über einzelne Modulleistungen dokumentiert werden. Umfangreiche englischsprachige Anteile sind auch in die Studiengänge Biogeowissenschaften (M.Sc.), Betriebswirtschaftslehre (M.Sc.), Betriebswirtschaftslehre für Naturwissenschaftler und Ingenieure (M.Sc.), Wirtschaftsinformatik (M.Sc.), Wirtschaftsmathematik (M.Sc.), Wirtschaftspädagogik (M.Sc.), Chemical Biology (M.Sc.) und Nordamerikastudien (M.A.) integriert. PH Ludwigsburg: 70% der Studiengänge bereiten auf das Lehramt an Grund-, Haupt-, Real-, Werkreal- und Sonderschule vor. Die Sprachanteile hängen somit immer von den Fächern ab, die sehr unterschiedlich sind. Der Hauptsprachgebrauch ist sicherlich Deutsch, mit Ausnahme der (Unterrichts-)Fächer Englisch und Französisch. Auch die B.A.- und M.A.-Studiengänge sind im bildungswissenschaftlichen Bereich angesiedelt, auch hier wird der Großteil der Lehre in Deutsch angebracht. Eine Ausnahme bildet der Studiengang „Internationales Bildungsmanagement“ (Deutsch- Ägyptische Kooperation), dessen Unterrichtssprache Englisch ist. TU München 15 % aller Studiengänge komplett in englischer Sprache (M.A. und PhD). In weiteren 19 % der Studiengänge wird ein Teil der Kurse in englischer Sprache gehalten. Zusätzlich: „Double Degree Programme“. Die Studierenden erwerben ihren Studienabschluss parallel an der TUM und einer Partneruniversität im Ausland. Die Studienprogramme der Partneruniversitäten sind meist in englischer, vereinzelt in französischer Sprache. Universität Oldenburg: Anteil englischsprachiger Veranstaltungen liegt ca. bei 5 % (bei zunehmender Tendenz). Universität des Saarlandes: Einzelne Studiengänge der Universität des Saarlandes werden komplett in einer Fremdsprache angeboten und richten sich insbesondere auch an internationale Studierende. Zu den englischsprachigen Angeboten zählen abgesehen von den Studiengängen der Fachrichtung Anglistik (Bachelor, Master, Lehramt) die Master-Studiengänge Philosophie, Bioinformatik, Informatik, Visual Computing und Language, Science and Technology sowie der MBA-Aufbaustudiengang Euro- Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 281 pean Management. Darüber hinaus sind in vielen Bachelor-Studiengängen Wahlmodule in englischer Sprache integriert, so z. B. in Computer- und Kommunikationswissenschaft, in Philosophie, im Optionalbereich (insbesondere im Studienangebot Europaicum) oder in Betriebswirtschaftslehre, wo die Prüfungsordnung festlegt, dass 10 % der Module in englischer Sprache belegt werden sollen. Insgesamt sind im Vorlesungsverzeichnis vom vergangenen Jahr (WS 2009/ 10) 176 englischsprachige Lehrveranstaltungen verzeichnet. Universität Vechta: Von 885 Lehrveranstaltungen in diesem Wintersemester sind 36 englischsprachig. Sie verteilen sich auf das Institut für Gerontologie (4), das Institut für Soziale Arbeit, Bildungs- und Sportwissenschaften (2) und das Fach Anglistik am Institut für Geistes- und Sozialwissenschaften (30). PH Weingarten: in den Lehramtsstudiengängen: 100 % Deutsch, in den B.A.- und M.A.-Studiengängen: 95 % Deutsch und 5 % Englisch. Andere Sprachen, die außer oder neben dem Deutschen in der Lehre der verschiedenen Fächer gebraucht werden: Universität Bamberg: Englisch und in der Sprachenausbildung die jeweils unterrichteten Sprachen. Universität Braunschweig: Englisch. Universität Kassel: Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Ungarisch. Leider waren Auskünfte von einigen Universitäten mit großen Studierendenzahlen (wie etwa München, Köln und FU Berlin) trotz wiederholter Nachfrage nicht zu erhalten. Aus den vorhandenen Antworten kann aber geschlossen werden, dass der akademische Unterricht an den staatlichen Hochschulen keinesfalls soweit von Deutsch auf Englisch umgestellt worden ist, wie das etwa an den Universitäten in den Niederlanden der Fall ist. Die Tendenz zum Englischen ist je nach Hochschule und Fachgebiet recht unterschiedlich, am wenigstens bisher ausgeprägt in den geisteswissenschaftlichen Fächern und in der Rechtswissenschaft. Der vollständig auf Englisch angebotene Master-Studiengang „Allgemeine Sprachwissenschaft“ an der Universität Bamberg scheint ein kurioser Sonderfall zu sein. Gerhard Stickel 282 Hier die Ergebnisse aus den Antworten privater Hochschulen: Welche ungefähren prozentualen Anteile hat die deutsche Sprache in der Lehre folgender Fächer bzw. Fächergruppen? 1) In den geisteswissenschaftlichen Fächern: --- 2) In den Wirtschaftswissenschaften: AKAD Hochschulen: 64 ca. 95 % Deutsch. Accadis Hochschule Bad Homburg: B.A.-Studiengänge: ca. 70 % Deutsch und 30 % Englisch, M.A.-Studiengänge: ca. 30-50 % Deutsch, 50-70 % Englisch. FHAM Erding: In nahezu allen Studiengängen jeweils ein Modul „Englisch“ sowie „Business English“. Diese Veranstaltungen werden in der Regel in englischer Sprache abgehalten. Studiengang „Intercultural and International Management“ vollständig auf Englisch. Frankfurt School of Finance & Management: B.A.: 90 % Deutsch, M.A.: 100 % Englisch. WHU Vallendar: B.Sc.: 1. Semester auf Deutsch, anschließend hauptsächlich auf Englisch, M.Sc., MBA-Programme, MLB-Programm, EMBA-Programm: komplett Englisch, Doktoranden: sowohl Englisch als auch Deutsch. EBS Wiesbaden: B.Sc.: 10 % Deutsch, sonst Englisch (+ Sprachunterricht), M.Sc. und MBA: 100 % Englisch. 3) In der Rechtswissenschaft: Bucerius Law School Hamburg: An der Bucerius Law School gibt es drei Programme. Das LL.B.-Programm (Bachelor of Laws), das MLB-Programm (Master of Law and Business) und das International Exchange Programme im Rahmen des LL.B.-Austauschprogrammes. Im LL.B.-Programm sind die Vorlesungen mit wenigen Ausnahmen in deutscher Sprache. Wir haben allerdings im Rahmen unserer fremdsprachlichen Ausbildung zwei Pflichtvorlesungen, die in englischer Sprache gehalten werden. Des Weiteren werden im Wahlprogramm bis zu 15 Vorlesungen pro Jahr ebenfalls in englischer Sprache angeboten. Unser MLB-Programm wird komplett in englischer Sprache abgehalten; gleiches gilt für unser Austauschprogramm. 64 AKAD-Hochschulen: mehrere Hochschulen unter gemeinsamer privater Trägerschaft. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 283 4) In den medizinischen Fächern: --- 5) In den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern: --- 6) In den Ingenieurswissenschaften: AKAD Hochschulen: ca. 95 % Deutsch 7) In weiteren Fächern: --- Zusätzliche Hinweise: Welche anderen Sprachen werden außer oder neben dem Deutschen in der Lehre der verschiedenen Fächer gebraucht? AKAD-Hochschulen: In der Regel Englisch. Die Tendenz zu Englisch als Unterrichtsprache ist an privaten Hochschulen offensichtlich stärker aus geprägt als an der staatlichen. Aber auch an denen scheint sich in einigen Fächern Englisch stärker zu etablieren. 65 Anders als in der Lehre ist die deutsche Sprache in den Publikationen der Hochschulwissenschaftler in mehreren Fächern nicht mehr vorherrschend. In den Natur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften wird überwiegend auf Englisch publiziert. In den Geisteswissenschaften ist Deutsch weiterhin die dominierende Publikationssprache. Genaue pauschale Zahlen liegen zu den Publikationssprachen der Dissertationen aus den letzten zehn Jahren vor. Von 2001 bis einschließlich 2010 sind in Deutschland 332 851 Dissertationen erschienen: Davon waren 69 220 in englischer Sprache verfasst, also 20,7 %. 66 Die Verteilung der Dissertationen auf Fächergruppen nach ihren Anteilen in deutsche Sprache kann nur grob geschätzt werden: 65 Ein detaillierteres Gesamtbild des Sprachgebrauchs im deutschen Hochschulwesen ließe sich nur in einem aufwendigen standardisierten Erhebungsverfahren gewinnen. Wegen der geringen Kooperationsbereitschaft mancher Hochschulen wäre hierzu unter anderem die Unterstützung der Deutschen Hochschulrektorenkonferenz erforderlich. 66 Ermittelt aus den Dateien der Deutschen Nationalbibliothek unter www.dnb.de , und zwar: https: / / portal.d-nb.de/ opac.htm? index=hss&term=diss.&operator=and&index=woe&term=&operator=and & i n d e x = i n h & t e r m = & o p e r a t o r = a n d & i n d e x = s w & t e r m = & o p e r a t o r = a n d & i n d e x = jhr&term=2001-2010&index=wvn&wvnStart=&wvnEnd=09.03.2011&method=enhancedSearch und https: / / p o r t a l . d n b . d e / o p a c . h t m ? i n d e x = h s s & t e r m = d i s s . & o p e r a t o r = a n d & i n d e x = c o d & t e r m = e n g & o p e r a t o r = a n d & i n d e x = i n h & t e r m = & o p e r a t o r = a n d & i n d e x = s w & t e r m = & operator=and&index=jhr&term=2001-2010&index=wvn&wvnStart=&wvnEnd=09.03.2011&method= enhancedSearch . Gerhard Stickel 284 - Anteil der Dissertationen in geisteswissenschaftlichen Fächern auf Deutsch: ca. 85-95 %. - Anteil der Dissertationen in sozialwissenschaftlichen Fächern auf Deutsch: ca. 50-60 %. - Anteil der Dissertationen in naturwissenschaftlichen oder mathematischen Fächern auf Deutsch: ca. 20-30 %. Zur den Sprachen, in denen Dissertationen abzufassen sind, gibt es an den einzelnen Universitäten bzw. Fakultäten unterschiedliche Vorschriften. Als Beispiele hier Auszüge aus den Promotionsordnungen der Universitäten Heidelberg, Bonn, Göttingen, Berlin und München bzw. einzelner ihrer Fakultäten. 67 Universität Heidelberg a) Naturwissenschaftlich-mathematische Fakultät § 7, 3. Die Dissertation ist grundsätzlich in deutscher oder englischer Sprache abzufassen. In besonderen Ausnahmefällen wird der Promotionsausschuss prüfen, ob eine andere Sprache genehmigt werden kann. Eine deutsche und eine englische Kurzfassung der wichtigsten Ergebnisse sind dem eigentlichen Text voranzustellen. b) Fakultät für Wirtschafts-und Sozialwissenschaften § 8, 2. Die Dissertation ist in der Regel in deutscher, englischer oder französischer Sprache abzufassen. Der Promotionsausschuss kann auf schriftlichen Antrag gestatten, eine in einer anderen Sprache geschriebene Dissertation vorzulegen. Sofern eine Dissertation mit Zustimmung des Promotionsausschusses in einer anderen Sprache vorgelegt wird, hat der Promotionsausschuss die Auflage zu erteilen, eine Zusammenfassung der Dissertation in deutscher Sprache vorzulegen, in der die Untersuchungsziele, die angewandten Methoden und die Untersuchungsergebnisse dargestellt werden. c) Philosophische Fakultät § 7, 3. Die Dissertation ist in der Regel in deutscher, lateinischer, englischer oder französischer Sprache abzufassen. Universität Bonn a) Naturwissenschaftlich-mathematische Fakultät § 8, 2. Die Dissertation kann in deutscher oder englischer Sprache abgefasst werden. Mit Genehmigung des Promotionsausschusses ist auch eine andere Sprache zulässig. § 8, 3. Der Dissertation ist eine Zusammenfassung in deutscher oder englischer Sprache beizufügen. 67 Quelle: Promotionsordnungen der genannten Universitäten. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 285 b) Philosophische Fakultät § 11, 2. Die Dissertation ist in deutscher oder englischer Sprache abzufassen. Ist die Dissertation nicht in deutscher Sprache abgefasst, so ist ihr eine Kurzfassung in deutscher Sprache im Umfang von min. 20 000 Zeichen beizufügen. Universität Göttingen a) Naturwissenschaftlich-mathematische Fakultät - keine Vorgabe - b) Philosophische Fakultät § 10, 1. Die Dissertation soll in deutscher Sprache abgefasst sein. Die Dissertation kann auch in einer anderen als der deutschen Sprache abgefasst werden, wenn dies die Dekanin oder der Dekan zugelassen hat. Die Dekanin oder der Dekan lässt dies zu, wenn eine Begutachtung gesichert ist und die Kandidatin oder der Kandidat zudem eine deutschsprachige Zusammenfassung vorlegt, [...] c) Sozialwissenschaftliche Fakultät § 17. Die Dissertation ist in deutscher oder englischer Sprache abzufassen. Von diesem Erfordernis kann der Fakultätsrat in Ausnahmefällen befreien. § 31, 6. Mit den Pflichtexemplaren der Dissertation hat die Kandidatin oder der Kandidat zwei Zusammenfassungen einzureichen und zwar eine in deutscher und eine in englischer Sprache. Freie Universität Berlin a) Naturwissenschaftliche Fakultät § 7, 3. Die Dissertation ist in deutscher oder englischer Sprache abzufassen. § 17, 4. Die Arbeit kann in Deutsch oder Englisch verfasst werden und muss ggf. neben der deutschen und englischen Zusammenfassung eine Zusammenfassung in der dritten Sprache enthalten. b) Philosophische Fakultät § 6, 6. Bei fremdsprachigen Dissertationen muss der Anhang eine Zusammenfassung ihrer Ergebnisse im Unfang von max. zehn Seiten in deutscher Sprache enthalten. § 7, 2. Die Promotionsleistung ist auf deutscher, englischer oder auf Antrag in einer anderen Wissenschaftssprache abzufassen. c) Fakultät für Politik und Sozialwissenschaften § 7, 4. Bei fremdsprachigen Dissertationen muss der Anhang eine Zusammenfassung ihrer Ergebnisse im Umfang von max. zehn Seiten in deutscher Sprache enthalten. § 16, 4. Die Arbeit kann in Deutsch, Englisch oder auf Antrag in einer anderen Wissenschaftssprache verfasst werden und muss ggf. neben der deutschen und englischen Zusammenfassung eine Zusammenfassung in der dritten Sprache enthalten. Gerhard Stickel 286 Universität München a) Sozialwissenschaftliche Fakultät und Philosophische Fakultät § 6, 1. Die Dissertation ist in deutscher Sprache abzufassen. Im besonders begründeten Einzelfall kann die Dissertation in einer anderen Sprache als der deutschen abgefasst werden. Eine in einer Fremdsprache abgefasste Dissertation ist mit einer ausführlichen Zusammenfassung in deutscher Sprache zu versehen. b) Mathematische Fakultät § 8, 2. Die Dissertation soll druckfertig in deutscher oder englischer Sprache vorgelegt werden. Auf Anfrage kann die Dekanin bzw. der Dekan genehmigen, dass die Dissertation in einer anderen fremden Sprache eingereicht wird. [...] Diese Zusammenfassung ist in deutscher und in englischer sowie im Fall von Satz 2 in der Sprache, in der die Dissertation abgefasst ist, zu verfassen. Zum Sprachengebrauch an den deutschen Forschungseinrichtungen, besonders der Max-Planck-Gesellschaft, der Frauenhofer-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft, liegen keine aktuellen Daten vor. Eine schon 11 Jahre zurückliegende Befragung von Wissenschaftlern an den rund 80 Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft (Stickel 2000) ergab, dass auch dort zunehmend Englisch als Arbeits- und Publikationssprache verwendet wird, und zwar vor allem in den Natur-, Ingenieur- und Lebenswissenschaften und auch dort mehr zur schriftlichen als zur mündlichen Kommunikation und mehr von jüngeren als von älteren Wissenschaftlern. Dieser Trend zum Englischen als internationaler Verkehrssprache dürfte sich in den Einrichtungen der sog. ‘harten’ Wissenschaften fortgesetzt haben, zum Teil auch in den geisteswissenschaftlichen Forschungsinstituten. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 287 8. Deutsch- und anderssprachige Zeitungen und Zeitschriften 8.1 Deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften Das vielfältige Massenmedium der Zeitungen und allgemeinen Publikumszeitschriften ist in Deutschland weitgehend einsprachig deutsch. Als Beispiele im Folgenden Listen der auflagestärksten Zeitungen und Zeitschriften: Name Redaktionssitz Bild Berlin 3 014 102 Süddeutsche Zeitung München 445 822 Westdeutsche Allgemeine Zeitung Essen 397 145 Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurt a. M. 367 983 Rheinische Post Düsseldorf 356 388 Südwest-Presse Ulm 310 396 Freie Presse Chemnitz 287 385 Sächsische Zeitung Dresden 265 893 Die Rheinpfalz Ludwigshafen 245 065 Neue Westfälische Bielefeld 240 325 Köln 236 200 Hamburger Abendblatt Hamburg 235 044 Augsburger Allgemeine Augsburg 228 414 Leipziger Volkszeitung Leipzig 223 998 Mitteldeutsche Zeitung Halle 219 662 Rhein-Zeitung Koblenz 207 322 Magdeburger Volksstimme Magdeburg 199 202 Münchner Merkur München 198 782 Die Welt Berlin 185 800 B.Z. Berlin 184 762 Tabelle 18: Die 20 auflagenstärksten Tageszeitungen Name Redaktionssitz Bild am Sonntag Hamburg 1 509 618 Sonntag Aktuell Stuttgart 647 196 Die Zeit Hamburg 503 110 Welt am Sonntag Hamburg 402 326 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Frankfurt a. M. 343 877 Die Rheinpfalz am Sonntag Ludwigshafen 237 803 Berliner Kurier am Sonntag Berlin 171 291 Kurier am Sonntag Bremen 156 897 VDI-Nachrichten Düsseldorf 151 357 Morgenpost für Sachsen am Sonntag Dresden 148 934 Tabelle 19: Die 10 auflagenstärksten Wochen- und Sonntagszeitungen 68 68 Quelle: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Liste_deutscher_Zeitungen#Tageszeitungen . Hier finden sich auch Angaben zu einer Vielzahl mittelgroßer Zeitungen. Gerhard Stickel 288 Neben ihren gedruckten Ausgaben bieten immer mehr Zeitungen auch Online-Versionen an, die zunehmend genutzt werden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung z. B. gibt für ihre Online-Versionen im August 2009 zusammen 91 Mio. Zugriffe an. Zu den Tages- und Wochenzeitungen kommt eine Vielzahl deutschsprachiger Zeitschriften (ca. 20 000), die wöchentlich, 14-täglich, monatlich oder in größeren Abständen erscheinen. Hier nur eine Auswahl von Wochenzeitschriften mit hohen Auflagen: 69 Name Redaktionssitz Hamburg 1 399 000 Bild der Frau Hamburg 1 135 000 Der Spiegel Hamburg 985 000 Hamburg 901 000 Stern Hamburg 884 000 Neue Post Hamburg 764 000 Focus München 576 000 Das Neue Blatt Hamburg 536 000 Bravo Hamburg / München 512 000 Superillu Berlin 491 000 Tabelle 20: Auswahl von Wochenzeitschriften mit hohen Auflagen Alle bis hierher genannten Zeitungen und Zeitschriften wie auch die mit kleineren Auflagen sind in ihren redaktionellen Teilen deutsch geschrieben, von gelegentlichen englischen, französischen oder anderssprachigen Zitaten abgesehen. In mehreren Zeitungen mit überregionaler Verbreitung finden sich neben deutschsprachigen Stellenanzeigen und Werbetexten auch solche auf Englisch. Als Besonderheit fügt die Süddeutsche Zeitung ihren Montagsausgaben jeweils eine Ausgabe der New York Times bei. 8.2 Anderssprachige und mehrsprachige Tages-, Wochen- und Monatszeitschriften In Deutschland erscheint neben der Vielzahl der deutschsprachigen Zeitungen und Zeitungen auch eine kleinere Anzahl von Zeitungen und Periodika in anderen Sprachen mit zumeist relativ kleinen Auflagen. 70 69 Quelle: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Liste_deutschsprachiger_Zeitschriften . 70 Quellen: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ The_German_Times http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Flensborg_Avis http: / / www.chinesen.de/ http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ European_Chinese_News http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ The_Atlantic_Times Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 289 Name Redaktionssitz Sprache Tageszeitungen Flensborg Avis Flensburg Deutsch / Dänisch 5 428 Serbske Nowiny Bautzen Obersorbisch 2 000 Wochenzeitungen World and Press (zweimal monatlich) Bremen Englisch MK Germanija Frankfurt a. M. Russisch 35 000 Russkaja Germanija Berlin Russisch 47 435 Nowi Casnik Bautzen Niedersorbisch / Deutsch 1 100 Monatszeitungen The German Times Berlin Englisch 60 000 European Chinese News Bamberg Zho 18 000 Chinese European Post Frankfurt a. M. Zho Exberliner Berlin Englisch 20 000 Spotlight Martinsried bei München Englisch / Deutsch 97 315 The Atlantic Times Berlin Englisch 50 000 La Gazette de Berlin Berlin Französisch 13 000 Adesso Martinsried bei München Italienisch 35 399 Corriere d’Italia Frankfurt a. M. Italienisch Samo zycie Dortmund Polnisch Semljaki Kalletal Russisch 100 000 Plomjo Bautzen Obersorbisch 1 600 Tabelle 21: Zeitungen und Periodika in anderen Sprachen Neben den vergleichsweise wenigen anderssprachigen Zeitungen, die in Deutschland produziert werden und erscheinen, werden besonders in den Städten Zeitungen und Zeitschriften angeboten, die aus verschiedenen Ländern importiert und besonders im städtischen Zeitschriftenhandel angeboten werden. Angaben über Auflagen und verkaufte Exemplare auch aus den bevorzugten Herkunftsländern waren nicht zu ermitteln. http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Spotlight_%28Sprachmagazin%29 http: / / www.exberliner.com/ http: / / www.sprachzeitungen.de/ main.php? include=10&session_id=aKT8vZrVeS6t3LzmvDsfJ6l3Cz8R5N&z eitung_id=1 http: / / www.lagazettedeberlin.de/ http: / / www.corritalia.de/ Il-Corriere.17.0.html http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ MK_Germanija http: / / www.samo-zycie.de/ index.php? option=com_content&view=article&id=1&Itemid=3 http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Russkaja_Germanija http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Semljaki http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Nowy_Casnik http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Plomjo http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Serbske_Nowiny http: / / www.serbske-nowiny.de/ . Gerhard Stickel 290 Zusammengenommen machen die Listen deutlich, dass die überwiegende Anzahl der Tages- und Wochenzeitungen wie der Zeitschriften im Inland, besonders auch der mit hohen Auflagen in deutscher Sprache verfasst sind, darunter selbst die mit dem hybriden Titel Financial Times Deutschland. Alle Teile der Bevölkerung haben also Zugang zu gedruckten Massenmedien in deutscher Sprache. Bei Zeitungen und Zeitschriften ist anzunehmen, dass die Anzahl der Leser eher größer ist als die Anzahl der verkauften Exemplare. Die Bildzeitung z. B. gibt an, dass die täglichen ca. 3,1 Mio. Exemplare von zusammen rund 12,6 Mio. Menschen gelesen werden; die Süddeutsche nimmt für die täglichen 438 000 Exemplare 1,16 Mio. Leser an. 9. Deutsch- und anderssprachige Bücher Wie bei den Zeitungen und Zeitschriften ist die deutsche Sprache auch in den in Deutschland veröffentlichten Büchern dominant. Laut Angabe der Deutschen Bibliothek sind in den Jahren 2005 bis 2009 jeweils knapp 100 000 Bücher neu erschienen, darunter jeweils etwa ein Zehntel Übersetzungen aus anderen Sprachen: 71 Jahr Neuerscheinungen Übersetzungen Anteil an den Titeln in % 2005 89 869 11 214 12,5 2006 94 716 10 045 10,6 2007 96 479 8 786 9,1 2008 94 276 11 903 12,6 2009 93 124 11 800 12,7 Tabelle 22: Deutsch- und anderssprachige Bücher Von der Anzahl der erschienenen Büchern lässt sich zwar nicht auf die Anzahl der gelesenen Bücher oder auch der Leser schließen, sie vermittelt aber dennoch einen Eindruck vom Sprachgebrauch in einem wichtigen Medium. Anders aber als bei Zeitungen und Zeitschriften ist bei Büchern die Anzahl der gelesenen Exemplare wahrscheinlich eher kleiner als Anzahl der produzierten. Nach einer vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2008 veranlassten Repräsentativerhebung lassen sich folgende Käufer- und Lesertypen in Deutschland unterscheiden: 72 71 Zahlen übernommen aus Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hg.) (2009). 72 Zitiert aus der Kurzfassung von Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hg.) (2008). Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 291 Käufertypen: ! "# $ % &' ( & & ein Buch gekauft, 43 Prozent haben kein Buch erworben und zählen daher zur Gruppe der Nichtkäufer. Die Käufer lassen sich abhängig von der Anzahl der erworbenen Bücher in drei Gruppen einteilen: - Wenigkäufer (38 %): Personen, die 1-7 Bücher im Jahr kaufen - Durchschnittskäufer (10 %): Konsumenten, die etwa 11 Bücher erwerben und - Vielkäufer (9 %): Personen, die jährlich mehr als 14 Bücher kaufen. Lesertypen: % % &' & ( ) * % &' ! Monaten mindestens ein Buch gelesen. Unter den Lesern lassen sich ja nach Anzahl der gelesenen Bücher drei Gruppen unterscheiden: - Wenigleser (43 %): Personen, die bis zu 9 Bücher im Jahr lesen - Durchschnittsleser: (23 %): Personen, die jährlich 9 bis 18 Bücher lesen und - Vielleser (25 %): Personen, die mehr als 18 Bücher pro Jahr lesen Diesen Zahlen ist immerhin zu entnehmen, dass zusammen knapp die Hälfte der „Deutschen“ pro Jahr wenigstens 9 Bücher lesen, die Mehrzahl von ihnen sogar erheblich mehr. Leider wurde nicht nach den Sprachen der gelesenen Bücher und den Erstsprachen der Leser gefragt. Es ist aber anzunehmen, dass die allermeisten Befragten und Bücher deutschsprachig waren bzw. noch sind. 10. Sprachgebrauch in Rundfunk und Fernsehen Die öffentlich-rechtlichen und die privaten Rundfunk- und Fernsehanstalten senden - abgesehen von wenigen anderssprachigen Spezialsendungen für größere in Deutschland lebende Ausländergruppen - in der Regel in deutscher Sprache. Dies gilt durchweg für die so genannten Wortsendungen. Ein Sonderfall ist die Deutsche Welle, der Auslandsrundfunk der Bundesrepublik, der seine Radio- und Fernsehsendungen in 30 Sprachen weltweit aussendet. 73 Ein Großteil der Texte der von den Inlandsendern verbreiteten Lieder ist fremdsprachig, meist englisch, aber auch französisch, spanisch und italienisch, seltener in weiteren Sprachen. Trotz wiederholter Forderungen sprachpflegerischer Gruppen gibt es in Deutschland bisher keine gesetzliche Bestimmungen oder andere allgemeine Vorschriften zum Anteil deutschsprachiger Musiktexte (‘Radioquote’) an den Radio- oder Fernsehprogrammen. Es lässt sich nur allgemein sagen, dass der Anteil fremdsprachiger, besonders englischer Musiktexte an den Programmen privater Sender höher ist als an denen der öffentlich-rechtlichen Sender. 73 Näheres unter www.dw-world.de . Gerhard Stickel 292 11. Sprachgebrauch in Theater, Oper und Filmen Mit wenigen Ausnahmen werden auf den Bühnen in Deutschland nur Stücke in deutscher Sprache gespielt; Stücke anderssprachiger Autoren werden meist in deutscher Übersetzung gegeben. Zu den Ausnahmen gehören Gastspiele ausländischer Ensembles. Zu erwähnen sind zudem einige Theater, die auf Stücke in niederdeutscher Sprache oder in süddeutschen Dialekten spezialisiert sind. Die Opernhäuser bieten überwiegend Opern in deutscher Sprache an, gelegentlich auch klassische Opern im italienischen Original. Von Musicals werden meist deutschsprachige Versionen aufgeführt, nur gelegentlich auch englische. Nach Auskunft des Deutschen Bühnenvereins gab es in der Saison 2007/ 2008 insgesamt mehr als 26 Millionen Besuche von öffentlichen und privaten Theatern. Hierzu eine Tabelle des Statistischen Bundesamtes: 74 Insgesamt 26 439 818 Öffentliche Theater 19 006 122 Opern und Ballette 5 838 000 Operetten und Musicals 2 031 000 Schauspiele 5 439 000 Kinder- und Jugendstücke 2 716 000 Konzerte 1 465 000 sonstige Veranstaltungen* 1 517 000 Private Theater 7 439 818 * = einschließlich Besuche, die nicht nach Sparten gliederbar sind Tabelle 23: Besucherzahlen von öffentlichen und privaten Theatern (Saison 2007/ 2008) Die Anzahl der Besuche kann selbstverständlich nicht mit der Anzahl der verschiedenen Besucher gleichgesetzt werden, da viele Menschen mehr als eine Veranstaltung pro Jahr besuchen. Immerhin lassen die entsprechenden Zahlen annehmen, dass auch die ‘Sprachtheater’ weiterhin zur Prägung des Sprachgebrauchs in Deutschland beitragen. In den Vokalbeiträgen zu Pop- und Rockkonzerten überwiegt Englisch. Vereinzelt gibt es auch solche Konzerte mit türkischsprachigen Musikgruppen. Mangels verfügbarer Zahl ist jedoch nicht abzuschätzen, inwieweit solche Konzerte auf den Sprachgebrauch der meist jüngeren Menschen in Deutschland einwirken. In den Kinos werden neben deutschsprachigen Originalfilmen auch fremdsprachige Filme zumeist deutsch synchronisiert gezeigt. Dies gilt auch für die ausländischen Filme, die in deutschen Fernsehprogrammen gezeigt werden. 74 www.destatis.de µ Kultur µ Tabellen. Detaillierte, aktuelle Daten zur Anzahl der Besuche wie auch zur den aufgeführten Werken bieten: Deutscher Bühnenverein (Hg.) (2010a, b). Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 293 Filme in originaler Fremdsprache werden nur selten und dann meist in speziellen Kinos oder Kulturprogrammen des Fernsehens gezeigt, dies oft mit deutschen Untertiteln. Viele Filme werden in mehreren Sprachversionen auf DVD- oder BlueRay-Datenträgern verkauft. Es ist aber nicht bekannt und unseres Wissens auch noch nicht erforscht, welche Sprachversionen dieser Filme von wie vielen Zuschauern dann konsumiert werden. 12. Sprachgebrauch in Firmen mit Sitz in Deutschland In deutschen Industrie- und Handelsfirmen wird zunehmend Englisch neben Deutsch oder auch als vorherrschende Firmensprache verwendet. Dies gilt vor allem für Firmen, die auch Niederlassungen im nichtdeutschsprachigen Ausland haben und/ oder stark exportorientiert sind. Angaben hierzu waren bisher nur von mehreren großen Firmen leicht zu ermitteln. 75 12.1 Große Firmen (Beispiele): Name Volkswagen Deutsch Englisch Daimler Deutsch Englisch Siemens Englisch Deutsch E.ON Deutsch Englisch Metro Deutsch Englisch Deutsche Post Deutsch Englisch Deutsche Telekom Deutsch Englisch BASF Deutsch Englisch BMW Englisch Deutsch ThyssenKrupp Deutsch Englisch Porsche Deutsch (Englisch) Lufthansa Englisch - Tabelle 24: Sprachgebrauch in großen Firmen 75 Quellen: http: / / www.volkswagenag.com/ vwag/ vwcorp/ content/ de/ homepage.html http: / / www.daimler.com/ dccom/ home/ de http: / / www.siemens.com/ entry/ cc/ en/ http: / / www.eon.com/ de/ index.jsp http: / / www.metrogroup.de/ servlet/ PB/ menu/ -1_l1/ index.html http: / / www.dp-dhl.com/ de http: / / www.telekom.com/ dtag/ cms/ content/ dt/ de/ start http: / / www.basf.com/ group/ corporate/ de/ http: / / www.bmwgroup.com/ http: / / www.thyssenkrupp.com/ . Gerhard Stickel 294 Nach Auskunft der Porsche AG wird Englisch lediglich im internationalen Verkehr verwendet. 76 Mit „offiziellen“ Sprachen ist vermutlich in den meisten der genannten Betriebe der Sprachgebrauch auf den verschiedenen Leitungsebenen und in den Verwaltungsbereichen gemeint. Die Lufthansa AG verwendet nur Englisch als offizielle Firmensprache, und zwar auch in den technischen Bereichen wie Wartung, Reparatur etc. in Deutschland. Deutsch wird außer bei inländischen Kundenkontakten nur bei informellen Treffen deutschsprachiger Mitarbeiter gesprochen 77 Bei den übrigen Firmen war der aktuale Sprachgebrauch in den eigentlichen Produktionsbereichen, am Förderband etc. in überschaubarer Zeit nicht zu ermitteln. 12.2 Mittelgroße Firmen Eine umfassende Übersicht über den Sprachgebrauch in Firmen des so genannten Mittelstandes war, schon wegen der Heterogenität solcher Betriebe nach Größe und Branche kaum zu gewinnen. Äußerungen von Kennern verschiedener Branchen war jedoch zu entnehmen, dass in den meisten mittelgroßen Firmen weiterhin Deutsch die vorherrschende Sprache ist. Die Industrie- und Handelskammer Rhein-Neckar 78 etwa schätzt, dass von den rund 19 000 eingetragenen Firmen in ihrem Bereich allenfalls 50 Englisch als Arbeitssprache verwenden. Dabei handele es sich vor allem um Betriebe mit amerikanischen Investoren und/ oder Entwicklungs- und Produktionsarbeiten im Bereich neuerer IT- oder Biotechnologien. Ähnliche Einschätzungen wurden uns von den Industrie- und Handelskammern Rheinhessen, Karlsruhe und Köln mitgeteilt. 79 Soweit ich weiß, gibt es auch hier nur wenige Konzerne die offiziell deutschenglisch kommunizieren. Im Mittelstand ist Englisch oft auf bestimmte Funktionsbereiche beschränkt, die mit Export oder dem Management der Auslandstöchter zu tun haben. Vereinzelt wird in ausländischen Firmen (vor allem aus Nordamerika und Asien) in der Führungsebene englisch kommuniziert. Abhängig vom Kunden im Ausland wird auch manchmal eine Fremdsprache in Projektteams vereinbart (bei Dienstleistern wie Kanzleien, Agenturen, IT Firmen etc.). (Victor Vogt, Geschäftsführer International der IHK Köln) Wir haben rund 25 000 Handelsregisterfirmen, sind aber im Gegensatz zur Region Rhein-Neckar deutlich mittelständischer geprägt. Mit anderen Worten: 76 Briefliche Auskunft der Stelle für Öffentlichkeitsarbeit der Porsche AG 77 Telefonische Auskunft der Abteilung ‘Media Relations’. 78 Telefonische Auskunft vom 3.2.2011 79 E-Mail-Auskünfte der Pressestellen der genannten Industrie- und Handelskammern. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 295 Die Firmen sind kleiner und fast ausschließlich inhabergeführt. Englisch ist daher maximal in 40 Betrieben Arbeitssprache und meist auch nur im Vertrieb und nicht in der Produktion. (Michael Hölle, Leiter Kommunikation der IHK Karlsruhe) 12.3 Kleine Firmen In kleineren Firmen, insbesondere Handwerksbetrieben, wird überwiegend deutsch gesprochen und geschrieben, englisch allenfalls bei grenzüberschreitenden Kontakten und Arbeiten. 80 13. Mehrsprachigkeit und ihre Förderung Im Jahr 2002 verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (d. h. mit deutscher Beteiligung) auf ihrem Gipfeltreffen in Barcelona zur „Verbesserung der Aneignung von Grundkenntnissen insbesondere durch Fremdsprachenunterricht in mindestens zwei Sprachen vom jüngsten Kindesalter an.“ 81 Dieses Sprachbildungsziel, das möglichst alle Europäer oder wenigstens ihre Kinder oder Enkel erreichen sollen, wurde in der Folge oft zu 1 + 2 Sprachen, oder M + 2 Sprachen abgekürzt, d. h. Muttersprache plus wenigstens zwei weitere Sprachen. Die Übereinkunft von Barcelona hat freilich nur Empfehlungscharakter, zumal die konkrete Sprachpolitik in der Europäischen Union nach dem so genannten Subsidiaritätsprinzip eine Angelegenheit der einzelnen Mitgliedsstaaten ist. Insoweit es aber den derzeitigen Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen in Deutschland beeinflusst, gehört es zum sprachpolitischen und sprachsoziologischen Kontext für die derzeitige und künftige Stellung der deutschen Sprache. Zur Mehrsprachigkeit der Menschen in Deutschland fehlen wieder einmal verlässliche Daten. Nach einem speziellen Eurobarometer von 2006 82 gaben 67 % der befragten Deutschen an, sich außer in ihrer Muttersprache in mindestens einer weiteren Sprache unterhalten zu können, 27 % gaben an, dies in zwei Fremdsprachen zu können, und 8 % sogar in drei Sprachen zusätzlich zu ihrer Muttersprache. Demnach entsprächen die Sprachkenntnisse von 27 % der Deutschen schon jetzt dem Barcelona-Ziel M+2 Sprachen. Befragt wurden bei der Umfrage für diesen Eurobarometer 1 557 mindestens 15 Jahre alte Personen deutscher Staatsangehörigkeit. Da die tatsächlichen Sprachfähigkei- 80 Telefonische Auskunft der Handwerkskammer Mannheim-Rhein-Neckar. 81 Europäischer Rat (2002, Nr. 44). 82 Europäische Kommission (2006, S. 10). Gerhard Stickel 296 ten nicht geprüft wurden, was nur mit erheblichem Aufwand möglich gewesen wäre, ist schwer zu sagen, inwieweit die Selbsteinschätzungen der Befragten realistisch waren und damit auch repräsentativ für die tatsächlichen Sprachkenntnisse der Menschen in Deutschland zum Erhebungszeitpunkt waren. Die vom Institut für Deutsche Sprache veranlasste Repräsentativumfrage von 2008 ergab andere Werte: 81 % der Befragten stimmten zwar der Empfehlung zu, M+2 Sprachen zu lernen, und 71 % gaben an, Englisch gelernt zu haben, von denen aber nur weniger als die Hälfte meinten, diese Sprache gut zu können. 83 Individuelle Mehrsprachigkeit 84 ist derzeit vermutlich eher bei Angehörigen von sprachlichen Minderheitsgruppen anzunehmen als bei der Mehrheit der Deutschen mit Deutsch als Erstsprache. Wie in den anderen europäischen Staaten gibt es auch im deutschen Bildungssystem Maßnahmen zur Förderung der Mehrsprachigkeit der Bevölkerung. Darunter ist vor allem der Fremdsprachenunterricht in den Schulen zu nennen. Er ist neben dem Spracherwerb in mehrsprachigen Familien oder durch längere Auslandsaufenthalte weiterhin das wichtigste Feld zu Vermittlung von Fremdsprachenkenntnissen. Deshalb hier eine detaillierte Übersicht über den Umfang des Fremdsprachenunterrichts in den öffentlichen Schulen der verschiedenen Bundesländer. 85 Abkürzungen zu den nachfolgenden Tabellen: BW Baden-Württemberg, BY Bayern, BE Berlin, BB Brandenburg, HB Bremen, HH Hamburg, HE Hessen, MV Mecklenburg-Vorpommern, NI Niedersachsen, NRW Nordrhein-Westfalen, RP Rheinland-Pfalz, SA Sachsen, ST Sachsen-Anhalt, SL Saarland, SH Schleswig-Holstein, TH Thüringen 83 Gärtig / Plewnia / Rothe (2010, S. 250ff.). 84 Mit „individueller Mehrsprachigkeit“ wird die Fähigkeit von Menschen bezeichnet, in mehr als einer Sprache kommunizieren zu können. Sie ist zu unterscheiden von territorialer Mehrsprachigkeit, d. h. dem Gebrauch mehrerer Sprachen in einem Land oder einer Region wie z. B. Belgien, und sozialer Mehrsprachigkeit, d. h. dem Gebrauch mehrerer Sprachen in einer Gesellschaft, z. B. der in Luxemburg. In einem mehrsprachigen Land oder einer mehrsprachigen Gesellschaft sind nicht alle Menschen mehrsprachig. 85 Die Zahlen in den Tabellen 25 und 26 sind aus den Kontingentstundentafeln der Bundesländer zusammengefasst. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 297 13.1 Unterricht in der 1. Fremdsprache Grundschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 1 und 2 1-2 1 Klassenstufe 3 und 4 1-2 2 2-3 3 2 2 2 3 2 2 1 2 2 2 2 2 Klassenstufe 5 und 6 4-5 4 Hauptschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 3-4 4 4 5 4 4 4-5 Klassenstufe 7 bis 9 3-4 3 3-4 3 3 3-4 3-4 Klassenstufe 10 5 5 3 4 3-4 3-4 Gesamtschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 5 5 4 4 3-5 4 5 5 5 4 Klassenstufe 7 bis 9 3-4 3 3-4 2-3 3-4 3-4 3-4 2-4 3-4 3-4 4 3-4 Klassenstufe 10 3 3 3 4 4 3-4 4 4 3 3 4 3 Realschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 3-4 4-5 4 5 4 4 3-5 4 Klassenstufe 7 bis 9 3-4 3-4 4 3-4 4 3-4 4 2-4 Klassenstufe 10 3-4 4 4 3 4 3-4 3 4 Regionale Schule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 5 4 5 4 Klassenstufe 7 bis 9 2-3 3-4 4 3-4 Klassenstufe 10 4 4 3 3 Gerhard Stickel 298 Sekundarschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 4-5 5 Klassenstufe 7 bis 9 3 3-4 3-4 Klassenstufe 10 3 3 3 Oberschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 3-4 4 Klassenstufe 7 bis 9 3-4 3-4 3-4 Klassenstufe 10 3 3-4 4 Sekundarstufe Gymnasium BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 3-5 4-5 3-4 2-3 4-5 5 4 4 4-5 4-5 4-5 5 5 4 Klassenstufe 7 bis 9 3-5 3 3 3-4 3-4 2-3 4 2-3 3-4 3-4 3-4 3-4 3-4 3-4 3-4 3-4 Klassenstufe 10 3-5 3 3 3 2-3 4 3 3 3 3 3 3 3 Tabelle 25: Umfang des Unterrichts in der 1. Fremdsprache in Anzahl der Wochenstunden 13.2 Unterricht in der 2. Fremdsprache Grundschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 1 bis 4 (bzw. 6) Hauptschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 und 6 2 Klassenstufe 7 bis 9 (bzw. 10) 3-4 Gesamtschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 1 Klassenstufe 6 2-3 4 1 Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 299 Klassenstufe 7 bis 8 3 3-5 3-4 4 2-3 3 4 4 4 4 Klassenstufe 9 3 3 3 3-4 4 2-3 4 4 4 4 4-5 Klassenstufe 10 3 3 3 3 4 2-3 4 4 4 4 4-5 Realschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 1-2 Klassenstufe 6 4 1-2 4 Klassenstufe 7 bis 9 3-5 3-5 4 3-5 4 2-3 3-4 4 Klassenstufe 10 3-5 3-5 4 3 4 2-3 4 4 Regionale Schule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 1 Klassenstufe 6 4 4 1 Klassenstufe 7 bis 9 3-4 3-4 4 4-5 Klassenstufe 10 3 4 4 4-5 Sekundarschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 Klassenstufe 6 4 Klassenstufe 7 bis 9 3-4 3 Klassenstufe 10 3 3 Oberschule BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 2-3 Klassenstufe 6 2-3 4 Klassenstufe 7 bis 8 2-3 5 Gerhard Stickel 300 Klassenstufe 9 3 2-3 5 Klassenstufe 10 3 2-3 3 Sekundarstufe Gymnasium BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SA ST SH TH Klassenstufe 5 2-3 3 2-3 0-4 2 2-3 Klassenstufe 6 4 2-3 3 2-3 4 2-4 4 4 4 2 2-3 Klassenstufe 7 bis 9 3-4 3-4 3-4 3-4 2-3 3-4 3-4 3-4 3-4 3-4 3-4 3-4 3-4 4 3-4 2-3 Klassenstufe 10 3-4 3 3 3-4 2-3 3-4 3 4 3 3 3 4 3 Tabelle 26: Umfang des Unterrichts in der 2. Fremdsprache in Anzahl der Wochenstunden Wie beim Deutschunterricht bestehen auch beim Fremdsprachenunterricht an den Schulen der einzelnen Bundesländer Unterschiede, und zwar sowohl im Umfang, gemessen an der Anzahl der Wochenstunden, als auch in den vorgeschriebenen bzw. angebotenen Fremdsprachen. Hier bundesweit zusammenfassend die Anzahl der Lerner der verschiedenen Sprachen auf den einzelnen Schulstufen im Schuljahr 2009/ 2010: Englisch Grundschulen 1 899 533 Schulartenunabhängige Orientierungsstufe 110 821 Hauptschulen 763 190 Schularten mit mehreren Bildungsgängen 322 160 Realschulen 1 226 631 G9-Gymnasien 787 440 G8-Gymnasien 1 583 156 Integrierte Gesamtschulen 521 680 Freie Waldorfschulen 76 699 Förderschulen 135 575 Abendschulen und Kollegs 53 367 Insgesamt: 7 480 252 Französisch Grundschulen 114 003 Schulartenunabhängige Orientierungsstufe 4 086 Hauptschulen 2 541 Schularten mit mehreren Bildungsgängen 63 488 Realschulen 291 833 G9-Gymnasien 311 388 G8-Gymnasien 736 566 Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 301 Integrierte Gesamtschulen 108 471 Freie Waldorfschulen 47 262 Förderschulen 1 102 Abendschulen und Kollegs 13 433 Insgesamt: 1 694 173 Latein Schulartenunabhängigen Orientierungsstufe 348 Hauptschulen 1 Schularten mit mehreren Bildungsgängen 169 Realschulen 521 G9-Gymnasien 209 998 G8-Gymnasien 571 072 Integrierten Gesamtschulen 32 764 Freie Waldorfschulen 1 770 Förderschulen 364 Abendschulen und Kollegs 5 666 Insgesamt: 822 673 Griechisch Grundschulen 76 Hauptschulen 67 Schularten mit mehreren Bildungsgängen 1 Realschulen 9 G9-Gymnasien 4 797 G8-Gymnasien 8 435 Integrierte Gesamtschulen 91 Freie Waldorfschulen 164 Abendschulen und Kollegs 745 Insgesamt: 14 385 Spanisch Grundschulen 1 245 Schulartenunabhängigen Orientierungsstufe 456 Hauptschulen 248 Schularten mit mehreren Bildungsgängen 3 107 Realschulen 9 092 G9-Gymnasien 132 542 G8-Gymnasien 134 792 Integrierte Gesamtschulen 53 016 Freie Waldorfschulen 428 Förderschulen 52 Abendschulen und Kollegs 2 316 Insgesamt: 337 294 Gerhard Stickel 302 Italienisch Grundschulen 531 Schulartenunabhängige Orientierungsstufe 2 Hauptschulen 129 Schularten mit mehreren Bildungsgängen 26 Realschulen 2 677 G9-Gymnasien 24 313 G8-Gymnasien 22 406 Integrierte Gesamtschulen 5 921 Freie Waldorfschulen 3 Förderschulen 15 Abendschulen und Kollegs 146 Insgesamt: 56 169 Russisch Grundschulen 497 Schulartenunabhängige Orientierungsstufe 392 Hauptschulen 30 Schularten mit mehreren Bildungsgängen 20 427 Realschulen 1 276 G9-Gymnasien 11 642 G8-Gymnasien 36 867 Integrierte Gesamtschulen 5 914 Freie Waldorfschulen 22 612 Förderschulen 556 Abendschulen und Kollegs 1 164 Insgesamt: 101 377 Türkisch Grundschulen 663 Schulartenunabhängige Orientierungsstufe 125 Hauptschulen 113 Schularten mit mehreren Bildungsgängen 164 Realschulen 598 G9-Gymnasien 740 G8-Gymnasien 1 000 Integrierte Gesamtschulen 7 145 Förderschulen 31 Abendschulen und Kollegs 169 Insgesamt: 10 748 Sonstige Sprachen Grundschulen 11 907 Schulartenunabhängige Orientierungsstufe 522 Hauptschulen 3 846 Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 303 Schularten mit mehreren Bildungsgängen 1 662 Realschulen 11 910 G9-Gymnasien 12 201 G8-Gymnasien 10 214 Integrierte Gesamtschulen 8 135 Freie Waldorfschulen 664 Förderschulen 26 Abendschulen und Kollegs 518 Insgesamt: 61 605 Tabelle 26: Schüler/ innen mit fremdsprachlichem Unterricht 2009/ 2010 86 Welche Sprachen mit welchen Anteilen an den Lernerzahlen unter „Sonstige Sprachen“ zusammengefasst sind, ist den Daten des Statistischen Bundesamtes nicht zu entnehmen. Bekannt ist, dass an einzelnen Schulen unter anderem Japanisch und Chinesisch als Wahlfächer unterrichtet wird. In grenznahen Gegenden in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg wird an einzelnen Schulen auch Niederländisch bzw. Polnisch angeboten. Die genannten Schülerzahlen addieren sich zu 10 578 676. Da aber viele Schüler mehr als eine Fremdsprache lernen, gibt die Gesamtsumme nicht die Anzahl der verschiedenen Schüler wieder, die am Fremdsprachenunterricht teilnehmen, sondern nur die Anzahl der ‘Teilnahmen’ insgesamt. Daten über Anzahl der Schüler, die Unterricht in mehr als einer Fremdsprache erhalten, oder gar über die Sprachkombinationen im Fremdsprachenunterricht der verschiedenen Schularten und -stufen waren auch beim Sekretariat der KMK 87 nicht zu ermitteln. Der Vergleich der Teilnehmerzahlen lässt aber deutlich erkennen, dass bei weitem mehr Schüler Englisch lernen als irgendeine andere Sprache. Englisch wird in manchen Schularten und Schulstufen sogar als einzige Fremdsprache unterrichtet. Zur Förderung der Mehrsprachigkeit von Erwachsenen in Deutschland sind quantitative Daten nur schwer zu finden. Zu nennen sind hier unter anderem entsprechende Programme und Einrichtungen der Hochschulen zur Vermittlung von Fremdsprachenkenntnissen an Studierende. Hinzu kommen die Sprachkurse in den Volkshochschulen und privaten Sprachschulen wie den Berlitz-Schools. Anfragen bei einzelnen Volkshochschulen ergaben Antworten wie die folgende der Abendakademie (Volkshochschule) Mannheim: [...] wir bieten zur Zeit pro Jahr etwas über 1.000 Sprachkurse in etwa 40 Fremdsprachen an (außer Deutsch als Fremdsprache). Die „Hauptsprachen“ 86 Zahlen zusammengefasst aus den Tabellen in: Statistisches Bundesamt (2010d, S. 94-122). 87 KMK = Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Gerhard Stickel 304 sind nach wie vor Englisch, Spanisch, Französisch und Italienisch. Welche Sprachen daneben besonders häufig gelernt werden hängt von verschiedenen äußeren Faktoren ab. Zurzeit boomen z. B. Japanisch und Schwedisch. Alleine im 1. Semester 2011 laufen 12 Schwedischkurse mit über 200 Teilnehmenden. Dies kann sich aber sehr schnell ändern. Fremdsprachenkurse bieten auch viele kommerzielle Betriebe für ihre Mitarbeiter an, besonders exportorientierte oder in anderer Weise ‘global’ orientierte Firmen. Erkundigungen bei einigen Firmen ergaben, dass auch in dieser Domäne Unterricht in Englisch dominiert. 14. Übersetzen und Dolmetschen Die individuelle Mehrsprachigkeit der Menschen in Deutschland, die bei einem Großteil der Bevölkerung noch nicht erreicht ist, ist nur einer der Wege, die Kommunikation mit anderssprachigen Menschen zu meistern. Sie wird bei den meisten Menschen auch künftig kaum über das Barcelona-Ziel M+2 Sprachen hinausgehen können. Für den Sprachverkehr mit anderssprachigen Menschen und den Umgang mit fremdsprachigen Texten werden weiterhin in vielen Situationen und Fällen Sprachexperten, also Dolmetscher und Übersetzer, benötigt, die zwischen Deutsch und anderen Sprachen vermitteln. Wie viele Menschen insgesamt mit Dolmetschen und Übersetzen vom Deutschen und in das Deutsche befasst sind, ist nicht bekannt, zumal diese Aufgaben oft auch von mehrsprachigen Menschen ohne eine spezifische Ausbildung wahrgenommen werden. Der Bund deutscher Übersetzer (BDÜ) schätzt, dass es etwa 24 000 freiberufliche und circa 7 000 angestellte Übersetzer und Dolmetscher in Deutschland gibt. Bekannt ist die Anzahl der professionellen Übersetzer und Dolmetscher, die in den Mitgliedsverbänden des BDÜ zusammengeschlossen sind. Hierzu die Auskunft des Geschäftsführers des BDÜ: 88 Übersetzer und Dolmetscher in Deutschland Die in den Mitgliedsverbänden des BDÜ zusammengeschlossenen Übersetzer und Dolmetscher (derzeit annähernd 7 000) arbeiten nach heutigem Stand (22.02.2011) in insgesamt 81 verschiedenen Sprachen. Nachfolgend finden Sie eine Tabelle dieser Sprachen, sortiert nach Anzahl der Mitglieder, die für die jeweilige Arbeitssprache qualifiziert sind (in absteigender Reihenfolge). 88 Auskunft von Wolf Baur, dem Geschäftsführer des Bundes Deutscher Übersetzer (BDÜ), per E-Mail am 22.2.11. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 305 Nr. Sprache Anzahl 1 Deutsch 6 864 2 Englisch 4 140 3 Französisch 2 154 4 Spanisch 1 613 5 Russisch 776 6 Italienisch 719 7 Polnisch 279 8 Portugiesisch 242 9 Niederländisch 154 10 Arabisch 138 11 Chinesisch 120 12 Tschechisch 111 13 Ungarisch 83 14 Kroatisch 80 15 Türkisch 76 16 Serbisch 75 17 Japanisch 75 18 Griechisch 71 19 Rumänisch 63 20 Bulgarisch 63 21 Schwedisch 62 22 Ukrainisch 53 23 Slowakisch 44 24 Dänisch 41 25 Bosnisch 37 26 Norwegisch 37 27 Finnisch 34 28 Persisch 31 29 Katalanisch 29 30 Koreanisch 25 31 Gebärdensprache 20 32 Albanisch 20 33 Litauisch 17 34 Vietnamesisch 17 35 Serbokroatisch 15 36 Mazedonisch 15 37 Slowenisch 13 38 Kurdisch 12 39 Moldauisch 11 40 Thailändisch 10 41 Lettisch 9 Gerhard Stickel 306 42 Weißrussisch 9 43 Estnisch 9 44 Georgisch 9 45 Indonesisch 8 46 Armenisch 8 47 Hebräisch 8 48 Dari 8 49 Paschtu 8 50 Urdu 7 51 Mongolisch 6 52 Hindi 6 53 Lateinisch 5 54 Isländisch 4 55 Pandschabisch 4 56 Berberisch 3 57 Igbo 3 58 Nepalesisch 3 59 Tamilisch 3 60 Luxemburgisch 2 61 Pidgin 2 62 Amharisch 2 63 Aserbaidschanisch 2 64 Afrikaans 2 65 Baskisch 2 66 Suaheli 2 67 Javanisch 1 68 Lingala 1 69 Singhalesisch 1 70 Laotisch 1 71 Oromo 1 72 Kikuyu 1 73 Madagassisch 1 74 Kambodschanisch 1 75 Tatarisch 1 76 Sheng 1 77 Haussa 1 78 Galicisch 1 79 Twi 1 80 Malaiisch 1 81 Bengalisch 1 Tabelle 27: Übersetzer und Dolmetscher in Deutschland Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 307 Da nahezu alle aufgeführten Personen mit Deutsch als Ausgangs- oder Zielsprache arbeiten und mehrere auch mit mehr als einer Fremdsprache, enthält die Liste mehrere Doppelzählungen. Einen Eindruck von den quantitativ wichtigsten Übersetzungs- und Dolmetscherrichtungen vermittelt die folgende Übersicht über die Anfrage während eines einjährigen Zeitraums, die ebenfalls vom BDÜ zur Verfügung gestellt wurde: 89 Anfrage Anzahl der Suchanfragen Anteilzahl {  µ ª ` 37 241 16,62% ª ` µ {  19 002 7,97% {  µ ¢ ~« 11 817 4,96% {  µ ˜_ 8 600 3,61% ¢ ~« µ {  7 246 3,04% {  µ ‚ 7 010 2,94% {  µ • ` 5 834 2,45% ˜_ µ {  5 798 2,43% ‚ µ {  4 692 1,97% {  µ ` 4 203 1,76% {  µ  3 820 1,60% {  µ š 3 695 1,55% • ` µ {  3 648 1,53% {  µ "£ 3 344 1,40% ` µ {  3 275 1,37% {  µ } 3 111 1,30% {  µ ’ `¨ 2 792 1,17% {  µ ¼ _ 2 773 1,16% ’ `¨ µ {  2 664 1,12% } µ {  2 581 1,08% Tabelle 28: Quantitativ wichtigste Übersetzungs- und Dolmetscherrichtungen N. B.: Diese Verteilung bezieht sich auf die Anzahl der Suchanfragen, nicht etwa auf das Volumen der Aufträge, das hinter diesen Suchanfragen steht. Die praktische Erfahrung zeigt, dass das Volumen der einzelnen Übersetzungsaufträge in den „Haupt- _ ° {  ½ ª ` |¢ ~«   ˜_  wenigen weiteren Sprachen häufig wesentlich größer ist, als in seltener nachgefragten Sprachen. 90 Nicht ermittelt war, in welchem Umfang Industrie- und Handelsfirmen in Deutschland neben Übersetzern (den so genannten ‘Humanübersetzern’) auch maschinelle Übersetzungsverfahren nutzen oder computerbasierte Überset- 89 Hierzu die Nachricht des Geschäftsführer des BDÜ: Eine Auswertung der Suchanfragen nach Dolmetschern und Übersetzern über die Online-Datenbank des BDÜ unter www.bdue.de für den Zeitraum 3.3.2009 bis 21.2.2011 ergibt folgende statistische Verteilung der Suchanfragen für die 20 gefragtesten Sprachrichtungen. 90 Ebenfalls eine Anmerkung des BDÜ. Gerhard Stickel 308 zungshilfen (translation memories) nutzen. Bekannt ist aber, dass dies in manchen Firmen geschieht. 91 Die Entwicklung maschineller Dolmetscher ist dagegen erst in Experimentierstadien. 15. Sprachgesellschaften und Sprachinstitutionen Neben den öffentlichen und privaten Einrichtung des Bildungssystems, die mit der Vermittlung oder - wie an den Hochschulen - auch der Erforschung des Deutschen befasst sind, sind weitere Institutionen und Organisationen zu erwähnen, die sich die Erforschung, Vermittlung oder Pflege der deutschen Sprache zur Aufgabe gemacht haben. Sie tragen ebenfalls zur Erhaltung und Weiterentwicklung des Deutschen bei. Hier werden nur die größeren von ihnen genannt (in alphabetischer Reihenfolge): Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung 92 ist eine Mitgliedervereinigung aus deutschsprachigen Schriftstellern, Publizisten und Wissenschaftlern. Mit ihren derzeit 6 Mitarbeitern und 185 Mitgliedern hat sie ihren Sitz in Darmstadt. Sie „betrachtet den ganzen deutschen Sprachbereich als ihr Wirkungsfeld. Sie ist die einzige deutsche Akademie, die nicht in verschiedene Klassen gegliedert ist, sondern sich allein der deutschen Sprache und der deutschen Literatur widmet. Sie vereinigt deutschsprachige Schriftsteller und Gelehrte aus dem In- und Ausland.“ Ihre Aufgaben beschreibt sie so: Die Akademie sieht es als ihre Aufgabe an, die deutsche Literatur und Sprache zu pflegen und, wo es sein muß, zu vertreten, nicht zuletzt neue Entwicklungen aufmerksam und kritisch zu verfolgen, nach Möglichkeit auch zu ermutigen und zu fördern. Zu ihrem Aufgabenbereich zählen: - Durchführung von Veranstaltungen zur Literatur, Sprache oder kulturpolitischen Themen - Vergabe von Preisen - Herausgabe von Publikationen - Engagement in der Debatte um die Rechtschreibreform 91 Automatische Übersetzungsdienste werden mittlerweile auch im Internet angeboten, z. B. unter www.reverso.net . 92 www.deutscheakademie.de . Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 309 Deutscher Sprachrat Der Deutsche Sprachrat 93 ist eine Arbeitsgemeinschaft aus den größeren staatlich finanzierten Einrichtungen zur Erforschung, Pflege und Vermittlung der deutschen Sprache: dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, der Gesellschaft für Deutsche Sprache, dem Goethe-Institut und dem Institut für Deutsche Sprache. Der Vorsitz wechselt zwischen den Mitgliedsinstitutionen. Seine Aufgaben beschreibt der Sprachrat so: Der Deutsche Sprachrat sieht es als seine Aufgabe an, durch Sensibilisierung des Sprachbewusstseins die Sprachkultur im Inland sowie die Stellung der deutschen Sprache im Ausland zu fördern. Dies will er durch Sprachkultivierung im Sinne von Information und Aufklärung über Sprache und vermehrter Diskussion sprachlicher Themen erreichen. In Zusammenarbeit mit den sprachgebundenen Medien sucht der Deutsche Sprachrat auf eine vermehrte öffentliche Sprachkritik und auf eine entwickelte Kritikfähigkeit vieler Menschen hinzuwirken, und zwar möglichst anhand von konkreten Anlässen, bei denen falsche oder unangemessene Ausdruckswahl zu Unverständnis, Fehlinformation oder Verärgerung führen. Der Sprachrat wird auch Bemühungen unterstützen, besonders gelungenen, kreativen Sprachgebrauch in der Öffentlichkeit als vorbildlich herauszustellen. Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) Die GfdS 94 hat in Ihre Geschäftsstelle in Wiesbaden und zwei Arbeitsstellen in Berlin mit zusammen 23 Mitarbeitern (davon 8 Projektmitarbeiter). Sie hat im In- und Ausland rund 3 000 Mitglieder. Sie stellt sich so dar: Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) ist eine politisch unabhängige Vereinigung zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache. Seit ihrer Gründung im Jahre 1947 sieht sie es als ihre Aufgabe an, in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für die deutsche Sprache zu vertiefen und ihre Funktion im globalen Rahmen sichtbar zu machen. Die GfdS hat sich zum Ziel gesetzt, die Sprachentwicklung kritisch zu beobachten und auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschung Empfehlungen für den allgemeinen Sprachgebrauch zu geben. 93 www.deutscher-sprachrat.de . 94 www.gfds.de . Gerhard Stickel 310 Goethe-Institut Das Goethe-Institut 95 mit seiner Zentrale in München hat 2 825 Mitarbeiter weltweit, darunter 256 Mitarbeiter in Deutschland. Es unterhält Einrichtungen in über 100 Staaten des nicht-deutschsprachigen Auslands und 13 Institute in Deutschland. Seine Selbstdarstellung lautet: Das Goethe-Institut ist das weltweit tätige Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland. Wir fördern die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland und pflegen die internationale kulturelle Zusammenarbeit. Darüber hinaus vermitteln wir ein umfassendes Deutschlandbild durch Information über das kulturelle, gesellschaftliche und politische Leben. Mit unserem Netzwerk aus Goethe-Instituten, Goethe-Zentren, Kulturgesellschaften, Lesesälen sowie Prüfungs- und Sprachlernzentren nehmen wir seit über fünfzig Jahren weltweit zentrale Aufgaben der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik wahr Institut für Deutsche Sprache (IDS) Das IDS 96 mit Sitz in Mannheim hat 134 Mitarbeiter (ohne studentische Hilfskräfte), davon 84 Wissenschaftler, 11 Projektmitarbeiter und 38 Verwaltungs- und technische Angestellte. Hier ein Auszug aus seiner Selbstdarstellung: Es ist die zentrale außeruniversitäre Einrichtung zur Erforschung und Dokumentation der deutschen Sprache in ihrem gegenwärtigen Gebrauch und in ihrer neueren Geschichte. In seinen Forschungseinrichtungen verfolgt das Institut überwiegend längerfristige Projekte, die die Arbeit in größeren Forschungsgruppen erforderlich machen. Bei einer Reihe von Forschungsvorhaben arbeitet das IDS mit Projektgruppen und Einzelforschern aus den Hochschulen zusammen. Bibliothek, Archive, Dokumentationen, maschinenlesbare Textsammlungen und Sprachdatenbanken stehen auch externen Wissenschaftlern zur Verfügung. Die bisher genannten Institutionen werden ganz oder zum Teil staatlich gefördert. Die größte privat finanzierte Sprachorganisation ist der Verein Deutsche Sprache (VDS) 97 Der VDS beschreibt sich so: Der gemeinnützige Verein Deutsche Sprache e. V. fördert Deutsch als eigenständige Kultursprache. Wir wirken zusammen mit Sprachfreunden in Deutsch- 95 www.goethe.de . 96 www.ids-mannheim.de . 97 www.vds-ev.de . Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 311 land und mit Muttersprachlern im Ausland; wir sind ein weltweit tätiger Verband mit über 33 000 Mitgliedern, der für das Ansehen der deutschen Sprache wirbt. Der Verein befasst sich in erster Linie mit den Anglizismen im heutigen Deutsch: Wir wollen der Anglisierung der deutschen Sprache entgegentreten und die Menschen in Deutschland an den Wert und die Schönheit ihrer Muttersprache erinnern. Wir wollen unsere Sprache bewahren und weiter entwickeln. Die Fähigkeit, neue Wörter zu erfinden, um neue Dinge zu bezeichnen, darf nicht verloren gehen. Außer den genannten Einrichtungen gibt es eine Vielzahl weiterer Vereine und Institutionen, die sich die Förderung der deutschen Sprache zur alleinigen Aufgabe oder zu einer ihrer Aufgaben gemacht haben. Eine nicht mehr ganz aktuelle Dokumentation 98 verzeichnet über 120 solcher Einrichtungen und Organisationen. Zu erwähnen sind auch die Verlage, die sich in besonderer Weise der deutschen Sprache annehmen wie u. a. der Dudenverlag (eine Abteilung des Verlags Bibliographisches Institut), der Klett-Verlag und der Bertelsmann-Verlag. Angesichts dieser vielen Institutionen, Vereine und Verlage ist jedoch zu beachten, dass es in Deutschland anders als in manchen anderen Ländern keine Sprachakademie oder eine andere zentrale Einrichtung gibt, die normative Kompetenzen hätte, die also in umfassender Weise entscheiden könnte, was sprachlich ‘richtig’ ist. Normative Aufgaben hat lediglich eine gemeinsame Einrichtung der deutschsprachigen Staaten und Regionen, der Rat für deutsche Rechtschreibung mit seinem Sekretariat beim Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. 99 Er beschreibt seine Aufgabe so: Der Rat für deutsche Rechtschreibung ist die zentrale Instanz in Fragen der Rechtschreibung. Nachdem er im Jahre 2006 Empfehlungen zur Modifikation des amtlichen Regelwerks vorgelegt hatte, hat er sich seinen langfristigen Aufgaben zugewandt. Zu diesen gehört insbesondere die Beobachtung des Schreibgebrauchs der deutschen Rechtschreibung, die wie alle Bereiche der Sprache einer steten Entwicklung unterworfen ist, und die Bewahrung der Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum. 98 Gesellschaft für deutsche Sprache / Institut für Deutsche Sprache (Hg.) (1999). 99 http: / / rechtschreibrat.ids-mannheim.de . Gerhard Stickel 312 16. Gesamteinschätzung und Schlussbemerkungen Eine zusammenfassende Einschätzung der derzeitigen Stellung der deutschen Sprache im Inland auch in ihrem Verhältnis zu anderen Sprachen ist aus den hier präsentierten Daten nur mit Vorsicht abzuleiten. Einige der Daten lassen die jeweiligen sprachlichen Fakten nur unscharf erkennen. Noch wichtiger ist, dass Vergleichsdaten aus der Vergangenheit bisher fehlen und aus anderen Ländern mit ihren Sprachen nur für sehr begrenzte Aspekte herangezogen werden könnten. Unter Berücksichtigung auch der Ergebnisse der Repräsentativumfrage zu den Spracheinstellungen können aber als leidlich plausibel diese Folgerungen gezogen werden: (1) Schon wegen der bis vor wenigen Jahren anhaltenden Bevölkerungszunahme ist festzuhalten, dass die Anzahl der Deutschsprecher in den Grenzen der Bundesrepublik noch nie so groß war wie in der Gegenwart. Noch nie wurden aber neben der deutschen Sprache so viele andere Sprachen von so vielen Menschen in Deutschland gebraucht. Als relativ wahrscheinlich kann angenommen werden, dass etwa 80 % der Bevölkerung Deutsch als Muttersprache erworben haben bzw. erwerben. Die übrigen 20 % haben einen Migrationshintergrund; d. h. entweder sind diese Personen selbst aus anderen Ländern zugewandert oder ihre beiden Eltern oder ein Elternteil. Inwieweit sie selbst mit Deutsch als Erst- oder Zweitsprache aufgewachsen sind oder aufwachsen, ist derzeit nicht bekannt. Genauere Daten über die derzeitige Anzahl der Menschen mit Deutsch als Muttersprache wie auch über die Anzahl der Menschen mit anderen Erstsprachen sind bisher nicht verfügbar. (2) Selbst ohne einen Sprachenzensus kann als sicher angenommen werden, dass die deutsche Standardsprache (Hochdeutsch) noch nie so verbreitet war wie zurzeit. Sie wird zwar nicht überall in allen Situationen und für alle Zwecke gebraucht, wird aber von den allermeisten Menschen in Deutschland verstanden. Die standardsprachliche Kompetenz der Bevölkerung wird unter anderem erhalten und gestärkt - durch den in allen Schularten erteilten Deutschunterricht, einschließlich der Fördermaßnahmen für anderssprachige Kinder, Jugendliche und Erwachsene und - durch die Dominanz der deutschen Sprache in Politik, Rechtswesen und öffentlicher Verwaltung, in den Medien, Theatern und Kinos. - durch einen entwickelten Buch- und Zeitschriften- und Zeitungsmarkt, der von großen Teilen der Bevölkerung offensichtlich intensiv genutzt wird. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 313 Zu einem überregionalen sprachlichen Ausgleich zur Standardsprache hin trägt auch die größere Mobilität von Teilen der Bevölkerung bei, was aber in unserem Zusammenhang nicht untersucht werden konnte. (3) Der zunehmende Gebrauch der Standardsprache und standardnaher Regional- und Umgangssprachen geht zulasten des Niederdeutschen, und wahrscheinlich auch der autochthonen Minderheitensprachen und der herkömmlichen kleinregionalen Mundarten. (4) Auch angesichts der weiterhin gegebenen Dominanz des Deutschen in den meisten kommunikativen Domänen ist festzustellen, dass Deutschland ein vielsprachiges Land ist. Die deutsche Sprache wird im sozialen und situativen Kontext vieler anderer Sprachen gebraucht, insbesondere der Sprachen der Migranten und deren Nachkommen. Es gibt eine Vielzahl von Programmen für die Vermittlung von Deutschkenntnissen an anderssprachige Kinder und Erwachsene. Angesichts der Heterogenität der Programme der verschiedenen Bundesländer, Gemeinden und privater Organisationen ist das Erfolg dieser Bemühungen insgesamt bisher aber kaum abzuschätzen. (5) Anders als ihre territoriale Verbreitung ist die soziale Verbreitung der deutschen Sprache etwas eingeschränkt. In einigen Domänen ist die deutsche Sprache ernsthaft beeinträchtigt, genauer gesagt: Dort werden die Möglichkeiten deutschsprachiger Menschen, sich in ihrer eigenen Sprache zu äußern, zunehmend eingeschränkt. Dabei geht es nicht bloß um Ersatz oder Ergänzung von Teilen des Wortschatzes durch Anglizismen, sondern um die partielle oder völlige Aufgabe des Deutschen zugunsten des Englischen. Besonders auffällig ist dies in der wichtigen Domäne der Wissenschaftskommunikation. Bisher ist die deutsche Sprache zwar die dominante Unterrichtsprache an den staatlichen Hochschulen. Die meisten deutschsprachigen Naturwissenschaftler und Mediziner, viele Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler publizieren aber überwiegend oder nur noch auf Englisch. In manchen Fächern nimmt auch der Gebrauch von Englisch als Unterrichtssprache zu. Dies gilt besonders für mehrere private Hochschulen. (6) Nicht erkennbar beeinträchtigt wird die Stellung des Deutschen in Deutschland durch die zunehmende individuelle Mehrsprachigkeit von Teilen der Bevölkerung. Individuelle Mehrsprachigkeit ist besonders ausgeprägt bei Personen mit Migrationshintergrund, die neben dem Deutschen als Erst- oder Zweitsprache ihre Herkunftssprache oder die ihrer Gerhard Stickel 314 Eltern beibehalten. Individuelle Mehrsprachigkeit wird auch gezielt gefördert durch den schulischen Fremdsprachenunterricht und Programme für erwachsene Lerner. Deutlich ist aber, dass beim Fremdsprachenerwerb Englisch gegenüber anderen Sprachen stark bevorzugt wird. (7) Die hier zusammengestellten Daten verweisen auf einen erheblichen Mangel an einer empirisch gesicherten Erfassung der makrosoziologischen sprachlichen Verhältnisse in Deutschland. Weil bei den offiziellen Erhebungen bisher keine Fragen zu Sprachkenntnissen und Sprachgebrauch der Bevölkerung in Deutschland gestellt werden, ist bisher nicht genau bekannt: a) wie viele Menschen in Deutschland Deutsch als Erstsprache erworben haben, b) wie viele Menschen mit Deutsch als Erstsprache wie viele und welche anderen Sprachen verstehen, lesen, sprechen und schreiben können, c) wie viele Menschen welche anderen Sprachen als Erstsprache erworben haben, d) wie viele Menschen mit welchen anderen Herkunftssprachen Deutsch verstehen, lesen, sprechen und schreiben können. (8) Die präsentierten und kommentierten Daten gestatten zu diesen Fragen nur mehr oder weniger vage Abschätzungen. Ein entsprechender umfassender Sprachenzensus sollte so angelegt sein, dass er in fünf- oder zehnjährigem Abstand wiederholt werden kann, um so eine Kurzdiachronie der sprachlichen Verhältnisse zu liefern und dabei unter anderem auch eine Überprüfung der Wirksamkeit sprachpolitischer Maßnahmen zu ermöglichen. (9) Zu ergänzen wäre der Zensus um Erhebungen des tatsächlichen Sprachgebrauchs in Institutionen, darunter besonders in gewerblichen Betrieben, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. (10) Aufschlussreich wären auch Daten über den Sprachgebrauch in den Familien, die sich aber nur schwer im Rahmen eines umfassenden Zensus erheben ließen. Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 315 17. Literatur und Internetquellen Auswärtiges Amt (Hg.) (1985): Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt. Bericht der Bundesregierung. Bonn: Auswärtiges Amt. Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hg.) (2008): Buchkäufer und Leser - Profile, Motive Wünsche. 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Nr. 1/ 1930, zuletzt geändert durch BGBI. I Nr. 81/ 2005) legt in Artikel 8, Abs. (1) die deutsche Sprache als Staatssprache der Republik Österreich fest. In Abs. (2) (geändert durch BGBI. I Nr. 68/ 2000) und in Abs. (3) (geändert durch BGBI. I Nr. 81/ 2005) werden explizit auch die Sprachen der Volksgruppen besonders hervorgehoben und anerkannt sowie in dem 2005 eingefügten Abs. 3 die Österreichische Gebärdensprache. Art. 8 lautet: Art. 8. (1) Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik. (Quelle: Bundesministerium für Unterricht [...] 2008) Gerhard Stickel 318 Schweiz: SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft: 99 Art. 70 Sprachen 1 Die Amtssprachen des Bundes sind Deutsch, Französisch und Italienisch. Im Verkehr mit Personen rätoromanischer Sprache ist auch das Rätoromanische Amtssprache des Bundes. 2 Die Kantone bestimmen ihre Amtssprachen. Um das Einvernehmen zwischen den Sprachgemeinschaften zu wahren, achten sie auf die herkömmliche sprachliche Zusammensetzung der Gebiete und nehmen Rücksicht auf die angestammten sprachlichen Minderheiten. 3 Bund und Kantone fördern die Verständigung und den Austausch zwischen den Sprachgemeinschaften. 4 Der Bund unterstützt die mehrsprachigen Kantone bei der Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben. 5 Der Bund unterstützt Maßnahmen der Kantone Graubünden und Tessin zur Erhaltung und Förderung der rätoromanischen und der italienischen Sprache. Bundesgesetz über die Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften (Sprachengesetz, SpG) Vom 5. Oktober 2007 100 [...] 2. Abschnitt: Amtssprachen des Bundes Art. 6 Wahl der Sprache 1. Wer sich an eine Bundesbehörde wendet, kann dies in der Amtssprache eigener Wahl tun. 2. Die Bundesbehörden antworten in der Amtssprache, in der sie angegangen werden. Sie können sich mit den Personen, die an sie gelangen, auf eine andere Amtssprache einigen. 3. Personen rätoromanischer Sprache können sich in deren Idiomen oder in Rumantsch grischun an die Bundesbehörden wenden. Diese antworten in Rumantsch grischun. 4. Der Bundesrat kann die freie Wahl der Amtssprachen einschränken für den Verkehr mit Behörden, deren Tätigkeit regional begrenzt ist. 5. Im Verkehr mit Personen, die keine Amtssprache beherrschen, verwenden die Bundesbehörden nach Möglichkeit eine Sprache, welche diese Personen verstehen. 6. Die besonderen Bestimmungen der Bundesrechtpflege sind vorbehalten. 99 Quelle: http: / / www.admin.ch/ ch/ d/ sr/ 101/ a70.html. 100 Quelle: http: / / www.admin.ch/ ch/ d/ ff/ 2007/ 6951.pdf . Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 319 Art. 9 Bundesrat und Bundesverwaltung 1. Die Mitglieder des Bundesrates, die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler und die Angestellten der Bundesverwaltung arbeiten wahlweise in deutscher, französischer oder italienischer Sprache. Art. 10 Veröffentlichungen in Deutsch, Französisch und Italienisch 1. Die Erlasse des Bundes und andere Texte, die nach dem Publikationsgesetz vom 18. Juni 2004 oder aufgrund anderer Bestimmungen des Bundesrechts amtlich zu veröffentlichen sind, werden in Deutsch, Französisch und Italienisch veröffentlicht, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. 2. Die Veröffentlichung erfolgt gleichzeitig in Deutsch, Französisch und Italienisch. Art. 11 Veröffentlichungen in Rätoromanisch Texte von besonderer Tragweite sowie die Unterlagen für eidgenössische Wahlen und Abstimmungen werden auch in Rätoromanisch veröffentlicht. Art. 15 Unterricht 1. Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeit dafür, dass die Unterrichtssprache, namentlich ihre Standardform, auf allen Unterrichtsstufen besonders gepflegt wird. 2. Sie fördern im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Mehrsprachigkeit der Lernenden und Lehrenden. 3. Sie setzen sich im Rahmen ihrer Zuständigkeit für einen Fremdsprachenunterricht ein, der gewährleistet, dass die Schülerinnen und Schüler am Ende der obligatorischen Schulzeit über Kompetenzen in mindestens einer zweiten Landessprache und einer weiteren Fremdsprache verfügen. Der Unterricht in den Landessprachen trägt den kulturellen Aspekten eines mehrsprachigen Landes Rechnung. Zu Kapitel 4: Als Beispiel für die Einbettung des Deutschunterrichts in den Stundenplan von Berufsfachschulen hier die Angaben aus der Staatlichen Berufsschule Ansbach: 101 Jahrgangsstufe 10 pro Woche 1 Unterrichtstag Religion 1 Deutsch 1 Englisch 1 Sozialkunde 1 Allgemeine Wirtschaftslehre 2 Berufsbezogene Projektarbeit 1 Grundlagen Buchführung und Rechnungswesen 2 Insgesamt 9 Tabelle 29: Stundentafel: Wirtschaftliche Grundbildung 101 Quelle: http: / / www.berufsschule-i-ansbach.de/ 327.html . Gerhard Stickel 320 Diesen Unterricht besuchen Auszubildende zum/ zur Automobilverkäufer/ in, Bürokaufleute und Kaufleute für Bürokommunikation, jeweils mit einem dreijährigen Ausbildungsvertrag. Sie wechseln nach der 10. Klasse in die jeweilige Fachklasse. Die Stundentafel gilt für Einzeltagesunterricht und gibt die Zahl der wöchentlichen Unterrichtsstunden an. Jahrgangsstufe 10 Jahrgangsstufe 11 Jahrgangsstufe 12 Unterrichtstage pro Woche 1,5 1 1 Religion 1 1 1 Deutsch 1 1 1 Englisch 1 1 1 Sozialkunde 1 1 1 Kundenorientiertes Verkaufen 3 2 - Einzelhandelsprozesse 6 2 2 Kaufmännische Steuerung und Kontrolle 2 1 3 wöchentliche Stundenzahl 15 9 9 Tabelle 30: Stundentafel: Kaufleute im Einzelhandel Jahrgangsstufe 10 Jahrgangsstufe 11 Jahrgangsstufe 12 Unterrichtstage pro Woche 1,5 1 1 Religion 1 1 1 Deutsch 1 1 1 Englisch 1 1 1 Sozialkunde 1 1 1 Kaufmännische Steuerung und Kontrolle 1,5 2 2 Groß- und Außenhandelsprozesse 6,5 2 3 Betriebs- und gesamtwirtschaftliche Prozesse 3 1 - wöchentliche Stundenzahl 15 9 9 Tabelle 31: Stundentafel: Kaufleute im Groß- und Außenhandel (Anmerkungen zur Stundentafel: Die Wochenstunden für die 12. Jahrgangsstufe gelten für die Fachrichtung Großhandel.) Deutsch im Kontext anderer Sprachen in Deutschland heute 321 Zu Kapitel 11: Nr. Titel (Autor) Aufführungen Besucher 1 Der Gott des Gemetzels (Reza) 555 114 928 2 Faust (Goethe) 467 154 535 3 Szenen (Loriot) 449 54 659 4 Romeo und Julia (Shakespeare) 381 97 748 5 Der zerbrochene Krug (Kleist) 354 130 320 6 Die 39 Stufen (Buchan / Hitchcock) 341 91 863 7 Ein Sommernachtstraum (Shakespeare) 336 114 194 8 Ladies Night (Sinclair / McCarten) 334 66 629 9 % + ( (Galceran) 328 54 416 10 Werther (Goethe) 315 32 782 11 Mondscheintarif (Kürthy) 301 45 670 12 An der Arche um acht (Hub) 294 43 182 13 Don Karlos (Schiller) 286 91 512 14 Die Räuber (Schiller) 274 109 731 15 Ganze Kerle (Renard) 274 53 994 16 Buddenbrooks (Mann / Düffel) 268 59 140 17 Ein Schaf fürs Leben (Matter) 263 25 827 18 Sechs Tanzstunden in sechs Wochen #}`\ 254 27 500 19 Der Menschenfeind (Molière) 230 63 551 20 Kabale und Liebe (Schiller) 218 84 760 Tabelle 32: Schauspielwerke mit den höchsten Aufführungszahlen 2008/ 2009 (lt. Deutscher Bühnenverein 2010) Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.narr.de · E-Mail: info@narr.de Nachdem die Erforschung der Wortbildungsregularitäten des Deutschen in den zentralen Bereichen zu erheblichen For tschritten und weithin konsensfähigen Ergebnissen geführt hat, wendet sich die Forschung in den letzten Jahren verstärkt neuen Aspekten zu, wobei textlinguistische und in verschiedener Weise anwendungsorientierte Fragen eine erhebliche Rolle spielen, daneben aber auch andere, häufig theoriespezifischere Herangehensweisen gewählt werden. Wie viele andere Bereiche der Sprachwissenschaft hat sich auch die Wortbildungsforschung mit der neuen Möglichkeit auseinanderzusetzen, elektronische Korpora als empirische Basis zu nutzen. Ludwig M. Eichinger / Meike Meliss / Maria José Dominguez Vázquez (Hg.) Wortbildung heute Tendenzen und Kontraste in der deutschen Gegenwartssprache Studien zur deutschen Sprache 44 2008, 356 Seiten, €[D] 72,00/ Sfr 121,00 ISBN 978-3-8233-6386-6 008708 Auslileferung Februar 2005 5 13.02.2008 14: 35: 35 Uhr Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! Hardarik Blühdorn Negation im Deutschen Syntax, Informationsstruktur, Semantik Studien zur Deutschen Sprache, Band 48 2012, 482 Seiten €[D] 98,00/ SFr 121,00 ISBN 978-3-8233-6444-3 Für die Grammatikschreibung des Deutschen ist die Negation eine Herausforderung. Das betrifft schon das Inventar der Negationsausdrücke wie nicht , kein oder niemand . In welchem Verhältnis stehen sie zueinander, und wann wird welcher Negationsausdruck gewählt? Die Negationspartikel nicht kann in den meisten Sätzen unterschiedliche Stellungen einnehmen, womit subtile Bedeutungsunterschiede einhergehen. Welchen genauen syntaktischen Status nicht hat, ist bis heute umstritten. Die Negation interagiert auch eng mit der Informationsstruktur, die unter anderem durch Intonation und Akzentuierung ausgedrückt wird. Die Intonation negierter Äußerungen und ihre Auswirkungen auf die Bedeutung werden in diesem Buch besonders gründlich behandelt. Schließlich sind zur Bedeutung der Negation selbst noch wichtige Fragen zu klären, unter anderem die, welche semantischen Objekte überhaupt negiert werden können und was genau durch ihre Negation bewirkt wird. Das Buch versucht eine Gesamtschau der Grammatik der Negation im Deutschen, die für Fachwissenschaftler, für Studierende und für allgemein Sprachinteressierte, etwa für Lehrende des Deutschen als Mutter- und Fremdsprache, zugänglich sein soll. Die begrif ichen und methodischen Voraussetzungen aller Teile werden leserfreundlich eingeführt. Dadurch ist das Buch auch als Lehrwerk für die Gebiete der Syntax, Informationsstruktur und Satzsemantik des Deutschen im Linguistikstudium verwendbar. 062912 Auslieferung Juli 2012.indd 8 16.07.12 13: 42 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BESTELLEN! Ludwig M. Eichinger / Albrecht Plewnia Melanie Steinle (Hrsg.) Sprache und Integration Über Mehrsprachigkeit und Migration Studien zur deutschen Sprache, Band 57 2011, 253 Seiten, €[D] 72,00/ SFr 96,50 ISBN 978-3-8233-6632-4 Die Frage, wie unter den Bedingungen sich ändernder demographischer Verhältnisse einerseits europäische Mehrsprachigkeit, andererseits Zuwanderung und Integration - individuell und kollektiv - erfolgreich organisiert werden können, ist eine der europäischen Schlüsselfragen. Sprache ermöglicht im Integrationskontext nicht nur den entscheidenden Zugang, sie ist auch einer der wichtigsten Identitätsträger: Will man etwas wissen über die Bedingungen und Möglichkeiten von Integration, dann ist das Wissen um die primären sprachlich-identitären Verortungen der Menschen die Basis dafür. Von Interesse ist dabei nicht nur die Zielsprache der Mehrheitsgesellschaft, sondern sind auch die jeweiligen Erstsprachen. Die spezifischen sprachlichen Kompetenzen von Menschen mit Migrationshintergrund werden gegenwärtig kaum wahrgenommen, geschweige denn genutzt - weder in Programmen zur sprachlichen Integration noch auf dem Arbeitsmarkt oder als Vorteil für die einheimische Wirtschaft. Hier liegt jedoch viel individuelles wie gesamtgesellschaftliches Potenzial. In diesem Band wird die gegenwärtige Situation in Deutschland mit derjenigen in Ländern mit prominenten Mehrsprachigkeitskonstellationen (von der Schweiz bis Indien) kontrastiert. Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! Kathrin Steyer (Hrsg.) Sprichwörter multilingual Theoretische, empirische und angewandte Aspekte der modernen Parömiologie Studien zur deutschen Sprache, Band 60 2012, 470 Seiten €[D] 98,00/ SFr 121,00 ISBN 978-3-8233-6704-8 Das Sprichwort lebt, auch im 21. Jahrhundert. Und es sind gerade sprachtechnologische Er ndungen der Neuzeit, wie große elektronische Textkorpora, die eindrucksvoll von der Häu gkeit und Festigkeit, aber ebenso von der Wandlungsfähigkeit solcher fest geprägten Sätze im aktuellen Sprachgebrauch zeugen. Sprichwörter sind tradiertes Kulturgut und Weisheitssätze, die universale Bilder und kulturspezi sche Symbole erschließbar und verstehbar machen. Man lernt durch sie auch einiges über die Sprache selbst: über Invarianz und Varianz, über Musterhaftigkeit und Produktivität, über sprachliche Ober ächen und pragmatischen Mehrwert. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes sind renommierte Forscher auf dem Gebiet der Parömiologie und Phraseologie. Die Beiträge wurden auf der internationalen Tagung „Sprichwörter multilingual. Sprachliche Muster - kommunikative Einheiten - kulturelle Symbole“ vorgestellt, die vom 27. bis 28. September 2010 am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim stattfand. Der erste Teil des Bandes widmet sich theoretischen, empirischen und sprachvergleichenden Aspekten moderner Sprichwortforschung. Der zweite Teil dokumentiert die Ergebnisse des EU-Projekts „ SprichWort . Eine Internetplattform für das Sprachenlernen“. Dabei werden Konzepte, Vorgehensweisen und praktische Erkenntnisse des Projekts präsentiert sowie innovative Fragestellungen für die Parömiologie diskutiert. 072912 Auslieferung August 2012.indd 14 15.08.12 15: 01 Einstellungen und Meinungen prägen das menschliche Handeln; auch die Sprache, die einen zentralen Anker der menschlichen Identität bildet, ist davon betroffen. Der vorliegende Band präsentiert die Ergebnisse eines interdisziplinären Forschungsprojekts zu aktuellen Spracheinstellungen in Deutschland aus sprachwissenschaftlicher und aus sozialpsychologischer Sicht. Mentale Konzepte von Dialekten werden dabei ebenso besprochen wie Bewertungen von Deutsch und anderen Sprachen, Stereotype und Eigen- und Fremdbewertungen. Des Weiteren wird in einer Sprachstandserhebung die Stellung der deutschen Sprache in Deutschland in der Zusammenschau mehrerer einschlägiger Daten und Statistiken, etwa zur Stellung des Deutschen an Schulen und Hochschulen oder zu deutschsprachigen Medien, dokumentiert. Der Band bietet damit die bislang erste umfassende Darstellung von Einstellungen zum Deutschen, zu Varietäten des Deutschen, zu anderen Sprachen und zu Sprechern dieser Sprachen und Varietäten.