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Sprachkontaktforschung

2013
978-3-8233-7826-6
Gunter Narr Verlag 
Claudia Maria Riehl

Sprachkontaktforschung beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Sprachen in multilingualen Gesellschaften oder bei mehrsprachigen Individuen wechselseitig beeinflussen. Dies betrifft die Dynamik von sprachlichen Systemen und Wandelprozessen ebenso wie sozio- und psycholinguistische Fragestellungen. Die Einführung gibt einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Ansätze, Methoden und Grundlagen dieser Forschungsrichtung. Sie beschreibt in einfacher, gut lesbarer Form die Wirkungen des Sprachkontakts und die Phänomene an der sprachlichen Oberfläche. Die 3., überarbeitete Auflage berücksichtigt die aktuellen Forschungsansätze und -entwicklungen.

Claudia Maria Riehl Sprachkontaktforschung Eine Einführung 3. Auflage Claudia Maria Riehl Sprachkontaktforschung Eine Einführung 3., überarbeitete Auflage 2014 Prof. Dr. Claudia Maria Riehl ist Inhaberin des Lehrstuhls für Germanistische Linguistik mit Schwerpunkt Deutsch als Fremdsprache und Leiterin des Instituts für Deutsch als Fremdsprache an der LMU München. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. 3., überarbeitete Auflage 2014 2., überarbeitete Auflage 2009 1. Auflage 2004 © 2014 ∙ Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 ∙ D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Printed in the EU ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-6826-7 Inhaltsverzeichnis Vorworte .............................................................................................................. 9 1 Einleitung ................................................................................................ 12 1.1 Was ist Sprachkontakt? ......................................................................................12 1.2 Aspekte des Sprachkontakts: Aufbau des Buchs ............................................14 2 Wirkungen des Sprachkontakts .......................................................... 16 2.1 "Arbeitsteilung" der Sprachen: Diglossie .........................................................16 2.1.1 Die klassische Einteilung nach Ferguson ........................................................16 2.1.2 Die Modifikation des Diglossie-Konzepts durch Fishman ...........................17 2.1.3 Tri- und Polyglossie ............................................................................................20 2.2 Von einer Sprache in die andere wechseln: Code-Switching ........................21 2.2.1 Das Prinzip des Code-Switchings .....................................................................21 2.2.2 Code-Switching vs. Entlehnung .......................................................................22 2.2.3 Funktionales Code-Switching ...........................................................................25 2.2.4 Nicht-funktionales Code-Switching .................................................................29 2.2.5 Code-Switching, Sprachmodus und Sprachkompetenz ................................31 2.2.6 Grammatische Bestimmung von Code-Switching .........................................33 2.3 Eine Sprache nach dem Muster einer anderen verändern: Transferenz .....35 2.3.1 Transfer und Sprachveränderung ....................................................................35 2.3.2 Lehnwort, Fremdwort, Ad-hoc-Entlehnung ...................................................39 2.3.3 Ad-hoc-Transfer, stabiler Transfer, Sprachwandel ........................................41 2.4 Zusammenfassung ..............................................................................................42 3 Methoden der Sprachkontaktforschung ............................................ 43 3.1 Allgemeines .........................................................................................................43 3.2 Sprachgeographie ...............................................................................................43 3.2.1 Grenzenüberschreitende Sprachatlanten: Beispiel ALE ................................44 3.2.2 Dialektometrie .....................................................................................................45 3.3 Soziolinguistische Herangehensweisen ...........................................................46 3.3.1 Erhebung soziolinguistischer Daten ................................................................47 3.3.2 Sozialpsychologische Befragungen ..................................................................50 3.4 Corpuserstellung und -aufbereitung ...............................................................51 3.4.1 Datenerhebung ....................................................................................................51 3.4.2 Materialaufbereitung: Transkription ................................................................53 3.5 Psycholinguistische Untersuchungen ..............................................................55 3.5.1 Methoden der Erforschung der mentalen Repräsentation ............................55 3.5.2 Kontrollierte Elizitation ......................................................................................58 3.6 Neurophysiologische Methoden ......................................................................60 Inhaltsverzeichnis 6 3.7 Zusammenfassung ..............................................................................................61 4 Formen mehrsprachiger Gesellschaften ............................................ 63 4.1 Typen von Mehrsprachigkeit ............................................................................63 4.2 Beispiele für gesellschaftliche Mehrsprachigkeit ...........................................64 4.2.1 Mehrsprachige Staaten mit Territorialprinzip ................................................64 4.2.2 Mehrsprachige Staaten mit individueller Mehrsprachigkeit ........................65 4.2.3 Einsprachige Staaten mit Minderheitsregionen ..............................................66 4.2.4 Städtische Immigranten .....................................................................................71 4.3 Zusammenfassung ..............................................................................................74 5 Individuelle Mehrsprachigkeit: Erwerb und Verlust ..................... 75 5.1 Definition von individueller Mehrsprachigkeit ..............................................75 5.2 Erwerb von Mehrsprachigkeit ..........................................................................76 5.2.1 Grundsätzliche Problematik ..............................................................................76 5.2.2 Ungesteuerter Zweitspracherwerb ...................................................................79 5.2.3 Bilingualer Erstspracherwerb ............................................................................80 5.2.4 Zweitspracherwerb und Lernervarietäten ......................................................87 5.2.5 Fossilisierung .......................................................................................................88 5.3 Verlust von Mehrsprachigkeit: Spracherosion ...............................................89 5.4 Zusammenfassung ..............................................................................................93 6 Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten ....................................................... 95 6.1 Typen von Kontaktphänomenen ......................................................................95 6.2 Transfererscheinungen .......................................................................................95 6.2.1 Transfer im Bereich des Lexikons .....................................................................97 6.2.2 Transfer im Bereich der Syntax .......................................................................105 6.2.3 Morphologie ......................................................................................................109 6.2.4 Phonologie und Prosodie .................................................................................113 6.2.5 Indirekte Auswirkungen des Sprachkontakts ..............................................115 6.3 Ursachen für Sprachkontaktphänomene .......................................................116 6.3.1 Entwicklungstendenzen in eine bestimmte typologische Richtung ..........116 6.3.2 Kognitive Prinzipien ........................................................................................118 6.3.3 Nur durch Kontakt bedingte Entwicklungen ...............................................118 6.3.4 Ausbau latenter Kategorien .............................................................................119 6.3.5 Ökonomieprinzip ..............................................................................................119 6.4 Zusammenfassung ............................................................................................120 7 Vereinfachte Sprachen: Pidgin, Xenolekt, Pidgindeutsch ........... 121 7.1 Der Begriff 'Pidgin' ...........................................................................................121 7.1.1 Charakteristika von Pidginsprachen ..............................................................121 7.1.2 Kriterien von Pidgins .......................................................................................123 Inhaltsverzeichnis 7 7.1.3 Auslöser zur Entstehung von Pidgins (Pidginisierungsprozesse) .............124 7.1.4 Thesen zur Genese von Pidginsprachen ........................................................126 7.2 Ausländerregister (Xenolekt) ..........................................................................128 7.3 Pidgindeutsch ....................................................................................................129 7.3.1 'Gastarbeiterdeutsch' als Pidgin? ....................................................................129 7.3.2 Ethnolekt ............................................................................................................135 7.3.3 Pidgindeutsch in Namibia ...............................................................................137 7.4 Zusammenfassung ............................................................................................140 8 Sprachkontakt vs. Varietätenkontakt .............................................. 141 8.1 Differenzen zwischen Dialekten im Kontakt ................................................141 8.2 Ergebnisse des Dialektkontakts ......................................................................143 8.2.1 Primäre und sekundäre Dialektmerkmale ....................................................143 8.2.2 Dialektkontakt in den deutschen Sprachinseln ............................................144 8.2.3 Koineisierung ....................................................................................................145 8.3 Kontakt von Dialekt und Standardsprache ...................................................146 8.3.1 Einwirkungen der Dachsprache .....................................................................146 8.3.2 Ausgleichsprozesse ...........................................................................................147 8.4 Umgangssprache als Sprachkontakterscheinung .........................................149 8.4.1 Beschränkungen und Code-Switching ...........................................................150 8.4.2 Weitere Kontaktmerkmale in regionalen Umgangssprachen .....................152 8.4.3 Dialektabbau und Dialektausbau durch Sprachkontakt .............................153 8.5 Beispiele von Varietätenkontakt aus Südtirol und Ostbelgien ...................154 8.5.1 Lexikalische Einflüsse ......................................................................................154 8.5.2 Morphologisch-syntaktische Einflüsse ..........................................................155 8.6 Zusammenfassung ............................................................................................156 9 Sprach- und Kulturkontakt ................................................................ 157 9.1 Kulturelle Unterschiede und Kulturkontakt in gesprochener Sprache .....157 9.1.1 Muster der Höflichkeit .....................................................................................157 9.1.2 Kulturspezifik und Sprachkontakt in weiteren Diskursen .........................159 9.1.3 Kulturspezifik und Kulturkontakt im nonverbalen Verhalten ..................160 9.1.4 Proxemik und interkulturelle Unterschiede ..................................................163 9.2 Kulturspezifik und Kulturkontakt in geschriebenen Texten ......................165 9.2.1 Höflichkeit in geschriebenen Texten ..............................................................165 9.2.2 Kulturelle Unterschiede und Kulturkontakt in akademischen Texten .....165 9.2.3 Auswirkungen des Kulturkontakts: Beispiele aus Südtirol und Ostbelgien ..................................................................................................169 9.3 Zusammenfassung ............................................................................................171 10 Sprachkontakt und ethnische Identität ........................................... 172 10.1 Faktoren für Identität .......................................................................................172 10.1.1 Geographische Zuordnung und Sprache ......................................................173 Inhaltsverzeichnis 8 10.1.2 Religiöse Zuordnung und Sprache .................................................................173 10.1.3 Komplexe und instabile Zuordnungen ..........................................................174 10.2 Fallbeispiel 1: Ethnische Identität bei den Minderheiten in Südtirol ........177 10.2.1 Regionale und nationale Identität ..................................................................177 10.2.2 Der Sonderfall Südtirol ....................................................................................177 10.2.3 Die Konstruktion von Identität anhand von Sprecheraussagen ................178 10.2.4 Überblick über die Unterschiede zwischen den beiden Minderheiten .....181 10.3 Fallbeispiel 2: Der Begriff 'Muttersprache' bei den Russlanddeutschen ...182 10.4 Förderung von Mehrsprachigkeit zur Erhaltung kultureller Identität .....183 10.5 Zusammenfassung ............................................................................................184 11 Spracherhalt und Sprachwechsel ...................................................... 185 11.1 Formen des Sprachwechsels ............................................................................185 11.2 Faktoren für Spracherhalt und Sprachwechsel .............................................187 11.2.1 Zustand und Konstellation der Sprachen ......................................................187 11.2.2 Bedingungen der Mehrsprachigkeit ...............................................................188 11.2.3 Kommunikationsbedingungen .......................................................................189 11.3 Spracherhalt und Sprachwechsel bei Sprachminderheiten .........................190 11.3.1 Sprachgebrauchswechsel am Beispiel der Ukraine ......................................190 11.3.2 Spracherhalt und Sprachwechsel am Beispiel des Deutschen in Mittel- und Osteuropa ......................................................................................190 11.3.3 Übersicht über die Faktoren für Spracherhalt und Sprachwechsel ...........196 11.4 Spracherhalt durch Sprachenpolitik und Sprachmanagement ..................197 11.5 Zusammenfassung ............................................................................................199 12 Historischer Sprachkontakt ............................................................... 200 12.1 Überblick ............................................................................................................200 12.2 Sprachkontakt in der Geschichte des Deutschen ..........................................202 12.2.1 Erste Kontaktphase: Germanen und Römer ..................................................202 12.2.2 Das lateinische Mittelalter ...............................................................................202 12.2.3 Klassisches Mittelhochdeutsch: Einflüsse der französischen Dichtungssprache .............................................................................................205 12.2.4 Latein in der Frühen Neuzeit ..........................................................................206 12.2.5 Das 18. Jahrhundert: Französisch als Sprache der Höfe ..............................211 12.2.6 Der Einfluss des Englischen ............................................................................213 12.3 Zusammenfassung ............................................................................................215 Corpora ............................................................................................................ 217 Literatur ........................................................................................................... 217 Register der Sprachen und Varietäten ....................................................... 239 Sachregister ..................................................................................................... 241 Vorwort zur ersten Auflage Nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Globalisierung unserer Gesellschaften und ihrer Auswirkungen auf das Sprachverhalten der Menschen nimmt das Interesse an Mehrsprachigkeit und den damit zusammenhängenden Einflüssen auf die Sprecher und Sprachen in rasantem Maße zu. Im englischsprachigen Raum sind alleine in den letzten drei Jahren vier wichtige Einführungen in die Sprachkontaktforschung erschienen: Thomason (2001), Myers-Scotton (2002), Winford (2003) und Clyne (2003). Die einzige deutschsprachige Einführung von Bechert/ Wildgen erschien bereits 1991 und wurde nicht mehr neu aufgelegt. Das vorliegende Buch versucht nun, die Gebiete der Sprachkontaktforschung deutschsprachigen Studentinnen und Studenten und interessierten Fachkolleginnen und -kollegen in einer gut lesbaren Form zugänglich zu machen. Es informiert über die wichtigsten Bereiche und Forschungsmethoden und illustriert dies vor allem anhand von Beispielen aus dem Sprachkontakt des Deutschen mit anderen Sprachen. Das ist zum einen daraus motiviert, dass die meisten Beispiele aus meinen eigenen Corpora entnommen sind und damit von mir am authentischsten beurteilt werden können, zum anderen daraus, dass deutschsprachige Beispiele für Leser des Deutschen am besten nachvollziehbar sind. Es wird aber auch auf viele andere Sprachkontaktsituationen eingegangen, so dass allen Leserinnen und Lesern ein grundlegender Überblick geboten wird. Das Buch bildet darüber hinaus eine Ergänzung zu den englischsprachigen Einführungsbüchern, indem es Bereiche wie Varietätenkontakt (Dialekt vs. Standardsprache), Kulturkontakt und historischen Sprachkontakt berücksichtigt. Hier soll die Verbindung der Sprachkontaktforschung zur Dialektologie, Pragmatik und Sprachgeschichte aufgezeigt werden. Die Einführung geht außerdem auf Methoden der Sprachkontaktforschung ein, die bereits Bechert/ Wildgen (1991) ausführlich diskutiert hatten, ergänzt diese aber um neuere Herangehensweisen aus Psycho- und Neurolinguistik. Die Beispiele aus Fremdsprachen werden übersetzt, mit Ausnahme des Englischen, da ich hier eine gewisse Mehrsprachigkeit bei Sprechern des Deutschen voraussetze. Besondere Fachbegriffe werden bei ihrem ersten Vorkommen paraphrasierend erklärt, um Studierenden die Lektüre zu erleichtern. Fachkolleginnen und -kollegen mögen mir diese Redundanz nachsehen. Für wertvolle Hinweise danke ich meinen Kollegen Peter Auer (Freiburg), Christian Mair (Freiburg), Claus D. Pusch (Freiburg) und Andreas Wesch (Köln). Mein ganz besonderer Dank gilt meinen beiden Hilfskräften Miriam Niehaus und Karsten Schmitz (Köln) für die kritische Korrektur des Manuskripts, Ergänzungen zur Vorwort 10 Bibliographie, Formatierung und die Erstellung der Register. Ihrer tatkräftigen Hilfe und ihrem kritischen Blick verdankt dieses Buch viel. Ich widme dieses Buch allen meinen Salzburger, Prager und Kölner Studentinnen und Studenten, die die Vorlesung zu diesem Thema mit Interesse und kritischen Fragen verfolgt haben. Auch ihre Anregungen und Hinweise gingen in diese Publikation ein. Köln, im August 2004 Claudia Maria Riehl Vorwort zur zweiten Auflage Das Interesse an der Sprachkontaktforschung und den damit verbundenen Themen zur Mehrsprachigkeit hat sich seit dem Erscheinen der ersten Auflage noch weiter verstärkt. Gerade im Bereich der Mehrsprachigkeitsforschung sind einige wichtige Einführungen erschienen, die in dieser Fassung ebenso berücksichtigt werden, wie aktuelle Handbücher zur Bilingualismusforschung und zu Code- Switching. Die zweite Auflage ergänzt die erste Auflage allerdings nicht nur um die neueren Publikationen, deren Beiträge an den entsprechenden Stellen referiert werden, sondern gestaltet u.a. das Methodenkapitel neu und bringt noch stringentere Erklärungen zu Grundbegriffen und Abgrenzungen (z.B. Code-Switching). Weitere Kapitel werden um aktuelle Themen (z.B. Ethnolekt, Sprachmanagement) und Daten aus aktueller Feldforschung ergänzt. Zum Gelingen dieser überarbeiteten Fassung haben einige Personen beigetragen: Zunächst möchte ich meinem geschätzten Kollegen Michael Clyne (Melbourne) danken, der mir während meines Aufenthalts in Melbourne für viele äußerst anregende Gespräche und Diskussionen zur Verfügung stand. Ein weiterer Dank gilt meiner Mitarbeiterin, Astrid Rothe, für ihre kritischen Anmerkungen zum Manuskript. Am meisten zu danken habe ich aber meinen Hilfskräften Simone Börger, Isabelle Feuerhelm und Nikolas Koch für ihre unermüdliche Mithilfe bei der Recherche und Korrektur und für die gewissenhafte Erstellung der Bibliographie und der Register. Köln, im August 2009 Claudia Maria Riehl Vorwort zur dritten Auflage Die Sprachkontaktforschung ist mittlerweile eine auch im deutschen Sprachraum etablierte Disziplin. Dies äußert sich unter anderem in einer Reihe von weiteren deutschsprachigen Beiträgen, die nun in diese Neuauflage einfließen. Darüber hinaus werden auch die zahlreichen englischsprachigen Neuerscheinungen, besonders Monographien und Handbücher berücksichtigt und finden Eingang in diese Auflage. Neben der Aktualisierung der Literatur finden sich in einigen Kapiteln auch noch weitere Ergänzungen inhaltlicher Art und aktualisierte Beispiele. Bei der Erarbeitung dieser aktualisierten Fassung bin ich besonders meiner Mitarbeiterin Rafaela Erl zu höchstem Dank verpflichtet. Sie hat sich durch ihre fundierte Mithilfe bei der Literaturrecherche, durch ihre gewissenhaften Korrekturen und bei der Erstellung der Bibliographie und der Register große Verdienste erworben. Weiter danke ich meinen Mitarbeitern Dr. Anne-Katharina Harr, Nikolas Koch, Till Woerfel und Seda Yilmaz Woerfel für kritische Anmerkungen und Korrekturen sowie Laura Rieger für die Mithilfe bei der Erstellung der Register. München, im Oktober 2013 Claudia Maria Riehl 1 Einleitung 1.1 Was ist Sprachkontakt? Der Begriff 'Sprachkontakt' wird häufig in Abgrenzung gegenüber dem Begriff 'Mehrsprachigkeit' verwendet: 'Sprachkontakt' rückt die beteiligten Sprachen ins Zentrum der Aufmerksamkeit, 'Mehrsprachigkeit' dagegen die Eigenschaften der Menschen, die diese Sprachen sprechen, oder der Gruppen, in denen diese Sprachen gesprochen werden. Sprachkontakt ist im Wesentlichen ein Ergebnis von Mehrsprachigkeit. Die Tatsache, dass Sprecher einer bestimmten Sprachgemeinschaft mehrere Sprachen (oder Varietäten) gleichzeitig verwenden, bewirkt auch Veränderungen in den beteiligten Sprachsystemen. Unter Sprachkontakt versteht man daher die wechselseitige Beeinflussung von zwei oder mehreren Sprachen. Dabei gibt es zwei Richtungen: einmal den Einfluss der Erstsprache (im Sinne der zuerst gelernten Sprache) auf die Zweitsprache und zum anderen den Einfluss der Zweitsprache auf die Erstsprache. In Lernsituationen ist ersteres der Fall, in mehrsprachigen Gesellschaften meist die zweite Möglichkeit. Alle Arten von Sprachkontakterscheinungen machen sich sowohl in individuellen Sprachäußerungen als auch im Sprachgebrauch einer mehrsprachigen Sprachgemeinschaft bemerkbar. Aus dieser Tatsache heraus leiten sich zwei Arten von Begriffsbestimmung ab: Die ursprüngliche Bestimmung von 'Sprachkontakt' geht auf Uriel Weinreich (1953) zurück 1 und besagt: Zwei oder mehrere Sprachen stehen miteinander in Kontakt, wenn sie von ein und demselben Individuum abwechselnd gebraucht werden. Das ist die sog. 'psycholinguistische Begriffsbestimmung'. Sie fragt danach, was in den Köpfen der Individuen vorgeht, wenn sie abwechselnd zwei oder mehrere Sprachen verwenden. Diesen Fall finden wir bei vielen Migranten, z.B. den türkischsprachigen Mitbürgern in Deutschland, die in der Familie und mit Freunden die türkische Sprache und in der Schule oder am Arbeitsplatz und in Institutionen die deutsche Sprache gebrauchen. Demgegenüber sollte man aber auch ins Auge fassen, dass nicht im eigentlichen Sinne die Sprachen selbst, sondern die Sprecher verschiedener Sprachen miteinander in Kontakt treten. Als Ort des 'Sprachkontakts' werden daher auch Gesellschaften oder Gruppen gesehen. Dann spricht man von einer sog. 'soziolinguistischen Begriffsbestimmung' (vgl. Nelde 1983): D.h. zwei oder mehrere 1 Viele Themen der Sprachkontaktforschung wie Entlehnung, Sprachinseln und Immigrantensprachen wurden bereits im 19. Jh. behandelt. Allerdings gab es vor Weinreich keine systematische Theorie der Sprachkontaktforschung. Vgl. dazu den Überblick von Clyne (2004). Was ist Sprachkontakt? 13 Sprachen stehen in Kontakt miteinander, wenn sie in derselben Gruppe gebraucht werden, z.B. in Südtirol Deutsch und Italienisch. Dabei ist es nicht notwendig, dass jedes einzelne Mitglied der Gruppe beide Sprachen spricht, Ort des Sprachkontakts ist dann sozusagen die Gruppe im Ganzen. Kolde (1981: 9f.) spricht in diesem Zusammenhang von einer "gemischtsprachigen Gruppe" und versteht darunter eine Gruppe, in der "nicht alle ihre Mitglieder die gleiche(n) Hauptsprache(n) haben. Die durch die gleiche(n) Hauptsprache(n) ausgezeichneten Mitglieder einer solchen gemischtsprachigen Gruppe bilden ihrerseits eine Sprachgruppe" [Hervorhebung im Original]. In einer gemischtsprachigen Gruppe ist nicht jedes Mitglied der Gruppe zweisprachig, sondern es ist vielmehr mit einer Konstellation wie der folgenden zu rechnen: S1 S1 als L1 + S2 als L2 S1 + S2 S2 als L1 + S1 als L2 S2 Abb. 1: Sprachgebrauch in einer gemischtsprachigen Gruppe Die Abbildung soll zeigen, dass es neben einer geringen Zahl von Sprechern, die bis auf einige Phrasen nur die eine Sprache (= S1) und Sprechern, die nur die andere Sprache (= S2) sprechen, eine gewisse Anzahl von Sprechern gibt, die entweder S1 oder S2 als Erstsprache (= L1) 2 und darüber hinaus die andere Sprache als Zweitsprache (= L2) in verschieden gutem Maße beherrschen. Eine bestimmte Zahl von Sprechern verfügt über beide Sprachen als Erstsprachen (= mittleres Feld). Dies sind in der Regel Sprecher, die aus Familien stammen, in denen Vater und Mutter jeweils eine andere Sprache sprechen, und die von klein auf eine zweisprachige Erziehung bekommen. Sprachkontakterscheinungen sind in der Regel dort am häufigsten, wo Sprecher beide Sprachen nebeneinander gebrauchen. Aus diesen zweisprachigen Gruppen diffundieren dann bestimmte Elemente auch in den Sprachgebrauch einsprachiger Sprecher (also den Sprachgebrauch von Sprechern, die nur S1 oder S2 sprechen). Der Begriff 'Sprachkontakt' ist nicht nur auf Sprachen zu beschränken, sondern auch auf einzelne Varietäten einer Sprache auszudehnen, z.B. einen Dialekt und die überdachende Standardsprache. In diesem Falle ist es besser von 'Varietätenkontakt' zu sprechen. Die dabei involvierten Phänomene sind aber die gleichen. Dabei nimmt der Dialekt in der Regel die Position einer Erstsprache und die Standardsprache die der Zweitsprache ein. 2 Der Begriff 'Erstsprache' ersetzt in der Sprachkontaktforschung den etwas missverständlichen Terminus 'Muttersprache'. Einleitung 14 Also kann man resümierend sagen: Sprachkontakt ist immer da, wo verschiedene Sprachen oder Varietäten einer Sprache aufeinander treffen, entweder im Kopf eines mehrsprachigen Sprechers oder in mehrsprachigen Gruppen. Das vorliegende Buch möchte nun einen Überblick über die Phänomene und Faktoren geben, die mit diesen Aspekten des Sprachkontakts zusammenhängen. 1.2 Aspekte des Sprachkontakts: Aufbau des Buchs Zunächst sollen die Wirkungen aufgezeigt werden, die der Sprachkontakt hat. Dazu gehört etwa, dass man die Sprachen unterschiedlich in einer Gruppe verteilen kann, dass man innerhalb einer Äußerung von der einen Sprache in die andere wechseln kann oder dass man eine Sprache nach dem Muster der Kontaktsprache verändern kann. Wie das vor sich geht und welche Prozesse dabei beteiligt sind, soll das 2. Kapitel zeigen. Danach werden die Methoden der Sprachkontaktforschung vorgestellt, die in der Regel Anleihen bei anderen Disziplinen machen: z.B. bei der Soziologie, der Ethnologie und der Psychologie. Es werden zunächst die Methoden vorgeführt, die sich mit den soziolinguistischen Aspekten der Sprachkontaktforschung auseinandersetzen und es wird auf die Erstellung eines Corpus eingegangen. Danach werden Methoden dargestellt, die die psycholinguistische Seite beleuchten, und schließlich noch neurologische Herangehensweisen aufgezeigt (Kap. 3). Im Anschluss an Grundlagen und Methoden stehen die Voraussetzungen für den soziolinguistischen Aspekt des Sprachkontakts im Mittelpunkt. Hier werden die Bedingungen von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit aufgezeigt, nämlich die verschiedenen Formen mehrsprachiger Staaten und Gruppen. Dabei wird besonders auf Sprachminderheiten und Migrantengruppen eingegangen (Kap. 4). Bei der zweiten Bestimmung von Sprachkontakt, der psycholinguistischen, werden zwei Aspekte berücksichtigt: zum einen, wie das Individuum Mehrsprachigkeit erwirbt, und zum anderen, wie es diese auch wieder verlieren kann. Dabei wird eine weitere Wirkung des Sprachkontakts angesprochen, nämlich dass durch sehr starken Einfluss der Kontaktsprache die Muttersprache abgebaut werden kann (Kap. 5). Nach dieser Beschreibung der Voraussetzungen werden Phänomene des sog. 'Transfers' im Rahmen des Sprachkontakts aufgezeigt. Anhand von deutschsprachigen Minderheiten, die sich im Sprachkontakt mit romanischen, germanischen oder slawischen Sprachen befinden, werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Entwicklungen vorgeführt, die das Deutsche unter dem Einfluss der jeweiligen Sprachen nimmt. Die anhand des Deutschen aufgezeigten Phänomene werden dann in einen allgemeinen Zusammenhang gestellt (Kap. 6). Ausgehend von den Einzelphänomenen, anhand derer sich eine Sprache im Sprachkontakt verändern kann, stellt sich die Frage nach der Entstehung von Mischsprachen. Das wird am Beispiel von Pidginisierungsprozessen verdeutlicht. Aspekte des Sprachkontakts: Aufbau des Buchs 15 In diesem Zusammenhang treten im Sprachkontakt häufig Erscheinungen von sog. 'vereinfachter Sprache' auf, einmal das Ausländerregister (Xenolekt) und einmal Varietäten, die unter ähnlichen Bedingungen wie Pidginsprachen entstehen, wie das sog.' Gastarbeiterdeutsch'. In diesem Zusammenhang werden auch jüngere Kontaktvarietäten wie Ethnolekte berücksichtigt (Kap. 7). Da der Grad der Durchmischung von Sprachen und die Übergänge zwischen den Sprachen vor allem bei ähnlichen Sprachen wichtig sind, wird auch das Phänomen des Varietätenkontakts angesprochen, d.h. des Kontakts zwischen zwei Dialekten oder zwischen einem Dialekt und der überdachenden Standardsprache. Hierbei wird diskutiert, inwiefern sog. 'Umgangssprachen' als Sprachkontakterscheinung betrachtet werden können (Kap. 8). Schließlich wird auf Einheiten eingegangen, die über die grammatische Ebene hinausgehen. Es wird illustriert, welchen Einfluss Sprach- und Kulturkontakt auf die Ebene der Pragmatik und des Diskurses haben. Dabei wird auch auf mögliche Kontakterscheinungen im Bereich der nonverbalen Kommunikation hingewiesen (Kap. 9). Die folgenden beiden Kapitel beschäftigen sich dann noch einmal mit außerlinguistischen Faktoren, die für den Sprachkontakt entscheidend sind: mit der Bedeutung der Sprache für die Konstruktion von Identität und mit den Faktoren, die für Spracherhalt und Sprachwechsel in einem anderssprachigen Umfeld verantwortlich sind. Zunächst werden Faktoren aufgeführt, die für die Markierung ethnischer Identität ausschlaggebend sind, und es wird gezeigt, welche Rolle dabei die Erstsprache spielen kann. Dies kann erklären, warum Sprecher trotz massivem Sprachkontakt ihre angestammte Sprache bewahren. Exemplifiziert wird dies an einem Beispiel aus Südtirol und einem Beispiel von der deutschen Sprachgruppe in Russland (Kap. 10). Daran schließt sich die Diskussion weiterer Faktoren, die für die Erhaltung einer Sprache in anderssprachigem Umfeld verantwortlich sind. Zudem werden die Aspekte beleuchtet, die dazu führen, dass eine Sprache nicht mehr gesprochen wird. In diesem Zusammenhang wird auch auf das Sprachenmanagement durch Institutionen und Sprecher eingegangen. All das sind Prozesse, die sich indirekt auf den Sprachkontakt auswirken: Falls eine Sprache aufgegeben wird, hinterlässt sie noch Spuren in der Umgebungssprache; wenn sie erhalten bleibt, verändert sich ihre Gestalt unter dem Einfluss der Mehrheitssprache (Kap. 11). Genau diese Prozesse lassen sich im Laufe der Sprachgeschichte immer wieder beobachten. Daher soll im abschließenden Kapitel die Wirkung des Sprachkontakts in der Sprachgeschichte aufgezeigt werden. Als Beispiel dienen zunächst die historischen Bedingungen des Französischen, danach widmet sich das Kapitel der Sprachgeschichte der deutschen Sprache und den Einflüssen, die die Kontaktsprachen Latein, Französisch und Englisch auf die Entwicklung des Deutschen hatten, bzw. noch haben. Das letzte Kapitel ist damit zugleich ein Ausblick auf weitere mögliche Forschungsfelder, in denen die Erkenntnisse der Sprachkontaktforschung nutzbar gemacht werden können (Kap. 12). 2 Wirkungen des Sprachkontakts 2.1 "Arbeitsteilung" der Sprachen: Diglossie Am wenigsten in Berührung kommen Sprachen, wenn ihr Gebrauch in einer bestimmten Sprachgemeinschaft geregelt ist, d.h wenn die beiden (oder mehrere) Sprachen nicht in allen Situationen verwendet werden. Es findet stattdessen eine Verteilung auf Domänen (= bestimmte Bereiche) statt: Die klassischen Bereiche sind Familie, Freunde, Arbeitsplatz und öffentliche Sphäre (Institutionen). Das ursprüngliche Konzept der Einteilung in diese unterschiedlichen Bereiche stammt von Ferguson (1959): Er spricht von Diglossie als Verwendung von zwei funktional unterschiedlichen Sprachvarietäten (vgl. Veith 2005: 196), 3 die in eine High Variety (= H-Varietät) und eine Low Variety (= L-Varietät) eingeteilt werden. Erstere ist reserviert für formelle Funktionen und wird in Institutionen gelernt und verwendet, letztere wird in informellen Situationen gebraucht. Diglossie entsteht entweder dadurch, dass eine Sprache sich ausdifferenziert, etwa weil sie sich territorial ausdehnt (wie etwa aus historischer Sicht das Lateinische), oder dadurch, dass zwei Sprachen sich in Folge von Eroberung, Kolonisation oder Ausdehnung des politischen Machtbereichs überlagern (so z.B. das Elsässische und das Französische) (vgl. Meisenburg 1999: 32). 2.1.1 Die klassische Einteilung nach Ferguson Ferguson (1959: 326ff.) führt das Diglossie-Konzept anhand von vier Beispielen vor. Diese sind: Arabische Schriftsprache (H-Varietät) gegenüber gesprochener arabischer Sprache in Ägypten (L-Varietät) Hochdeutsch (H-Varietät) und Schweizerdeutsch (L-Varietät) in der Schweiz Haitianisches Kreol (L-Varietät) und Französisch (H-Varietät) in Haiti Griechische Schriftsprache (Katharévusa = H-Varietät) vs. griechische Volkssprache (Dhimotiki = L-Varietät) Es handelt sich dabei um Varietäten der gleichen Sprache oder von genetisch nahe verwandten Sprachen. 3 Damit wird deutlich, dass diglossisch weder Sprachen noch einzelne Sprecher sein können, sondern nur ganze Sprachgemeinschaften. "Arbeitsteilung" der Sprachen: Diglossie 17 Ferguson (1959: 328ff.) nennt neun Bereiche, in denen sich H- und L-Varietät unterscheiden können: Funktion (Gebrauch in verschiedenen Situationen) Prestige (die H-Varietät hat ein höheres Prestige) Literarisches Erbe (die H-Varietät ist Literatursprache) Erwerb (die L-Varietät wird als L1 erworben) Standardisierung (nur die H-Varietät ist standardisiert) Stabilität (die Diglossiesituation bleibt über Jahrhunderte erhalten) Grammatik (die Grammatik der H-Varietät ist in der Regel komplexer) Lexikon (der Großteil des Lexikons ist gemeinsam, aber es gibt viele Wörter, die nur in der L-Varietät oder nur in der H-Varietät vorkommen, Bsp. gr. krasí vs. ínos 'Wein') Phonologie (beide Varietäten haben ein einheitliches phonologisches System, in dem die L-Varietät das Basissystem vorgibt) Abschließend definiert Ferguson (ebd.: 336) Diglossie wie folgt: a relatively stable language situation in which, in addition to the primary dialects of the language (which may include a standard or regional standards), there is a very divergent, highly codified (often grammatically more complex) superposed variety, the vehicle of a large and respected body of written literature, either of an earlier period or in another speech community, which is learned largely by formal education and is used for most written and formal spoken purposes but is not used by any sector of the community for ordinary conversation. Ferguson (ebd.: 338) räumt allerdings ein, dass umfassende Literalität aller Sprecher, das Bedürfnis nach überregionaler Kommunikation oder der Wunsch nach einer voll funktionsfähigen Nationalsprache die Diglossie-Situation ins Wanken bringen können. So kann einerseits soziale Stigmatisierung zum Verschwinden der L-Varietät beitragen - was ist mit ein Grund ist für den Untergang der Dialekte in Frankreich oder für das Verschwinden des Niederdeutschen. Andererseits kann das Gefühl der Gruppenidentität zur Aufwertung der L-Varietät führen. Dies ist bei den Dialekten in der Schweiz oder beim Südtiroler Dialekt der Fall. Dieser Prozess hat aber meist den Effekt, dass eine Zwischenvarietät bestehen bleibt, entweder eine modifizierte H-Varietät oder eine modifizierte L-Varietät (s. dazu Kap. 8.3 und 8.4). 2.1.2 Die Modifikation des Diglossie-Konzepts durch Fishman Fergusons Diglossie-Konzept wird von Fishman (1967) aufgegriffen und ergänzt. Fishman sieht die Diglossie-Situation als gesellschaftliche Übereinkunft. Zweisprachigkeit ist institutionell verankert; die Sprachen und/ oder Varietäten werden in unterschiedlichen Kontexten erworben. Die L-Varietät wird normalerweise zu Hause als Erstsprache gelernt und wird ein Leben lang benutzt, die H-Varietät wird in der späteren Sprachsozialisation außerhalb des Hauses gelernt, meist in Wirkungen des Sprachkontakts 18 Institutionen. Außerdem verlangt der Zutritt zu bestimmten Institutionen wie Schule, Universität oder Regierung die Kenntnis der H-Varietät. Die Mitglieder der Sprachgemeinschaft erachten es als wichtig, die richtige Varietät im richtigen Kontext zu gebrauchen. Folglich verletzt der Gebrauch der H-Varietät oder L- Varietät in falschen Domänen die Regeln der kommunikativen Kompetenz. Die H-Varietät wird von den Sprechern als höher eingestuft als die L-Varietät (bis zur Verleugnung der L-Varietät). Dies ist manchmal an Religion (z.B. Koran) oder auch literarische Traditionen geknüpft (vgl. Schiffman 1997: 205). Die L-Varietät dient dagegen der informellen Konversation auf der Straße oder auf dem Markt, am Telefon, im Kino oder Fernsehen. Aber auch das ist abhängig von Thema und Textsorte. So kann man auch innerhalb ein und derselben kommunikativen Interaktion zwischen den Varietäten wechseln (= Code-Switching, s. Kap. 2.2). Fishman (1967) dehnt in seinem Ansatz die Fergusonsche Unterscheidung, die sich auf Varietäten innerhalb einer Sprache bezog, auf genetisch nicht verwandte Sprachen aus. Man spricht in diesem Fall auch von extended diglossia (vgl. Schiffman 1997: 205). Darüber hinaus zieht Fishman in Betracht, ob die Sprachen der gleichen Kulturgemeinschaft entwachsen sind (wie Hebräisch und Jiddisch) oder aus verschiedenen Kulturgemeinschaften stammen. Das geschieht in der Regel im Falle von Eroberung oder Kolonialisierung (z.B. Französisch und Haitianisches Kreol). Dabei ergeben sich die folgenden Konstellationen: monokulturell bikulturell 1 Klassisches Arabisch H Volksarabisch L 2 Französisch (Haiti) H Haitianisches Kreol L genetisch verwandt genetisch nicht verwandt 3 Hebräisch (Israel) H Jiddisch L 4 Spanisch (Paraguay) H Guaraní L Abb. 2: Genetische Verwandtschaft und Kulturgemeinschaft (nach Coulmas 2005: 134) Diese vier Typen können noch um eine weitere Dimension erweitert werden, nämlich die zeitliche Dimension, d.h. ob die Konstellationen sich über eine lange Zeitspanne entwickelt haben oder abrupt entstanden sind (vgl. Coulmas 2005: 134ff.). Allerdings wird im Bewusstsein der Sprecher manches als Dialekt angesehen, was nach linguistischen Kriterien als eigene Sprache zu definieren ist und umgekehrt. 4 Ein Beispiel dafür ist das Niederdeutsche, das vom Großteil der Sprecher als Dialekt des Standarddeutschen angesehen wird, obwohl es aus linguistischer Perspektive dem Niederländischen wesentlich näher steht. H-Varietäten besitzen auch international gesehen ein höheres Prestige und sind meist die Sprache der Eliten oder einer dominierenden Religionsgemein- 4 Zur Definition von 'Sprache' vs. 'Dialekt' s.u. 8.1. "Arbeitsteilung" der Sprachen: Diglossie 19 schaft. In vielen diglossischen Situationen kontrolliert nur eine Minderheit oder eine bestimmte Elite die H-Varietät. Diejenigen, die nur die L-Varietät beherrschen, sind benachteiligt. Das geschieht besonders dann, wenn die H-Varietät die alleinige Schriftsprache ist, wie das in vielen afrikanischen Staaten der Fall ist. Diese Abstufung und das geringe Prestige einer Sprache können Einstellungen der Sprecher zu dieser Sprache sehr stark beeinflussen und zu einem Sprachwechsel beitragen (s.u. Kap. 11.2). Ein und dieselbe Sprache kann in einer Kommunikationsgemeinschaft eine H- Varietät sein und in einer anderen die L-Varietät. Das gilt z.B. für das Standardfranzösische in Frankreich. Es ist dort stets H-Varietät gegenüber allen Minderheitensprachen wie Elsässisch, Bretonisch, Baskisch etc. sowie gegenüber den französischen Dialekten. Im französischsprachigen Kanada ist es dagegen gegenüber dem Englischen als L-Varietät einzustufen: Das Englische hat ein größeres Prestige in Nordamerika insgesamt, der englischsprachige Bevölkerungsanteil ist größer und die Sprechergemeinschaft ist ökonomisch besser gestellt (Schiffman 1997: 206). Fishman (1971) differenziert zwischen Diglossie als gesellschaftlichem Phänomen (Arrangement, wann wer welche Sprache mit wem spricht) und Bilingualismus als individuellem Fall von Mehrsprachigkeit. Kombiniert man beide Möglichkeiten, gibt es auch hier vier mögliche Konstellationen, vgl.: Diglossie + - 1. Diglossie mit Bilingualismus (Bsp.: Schweiz) 2. Bilingualismus ohne Diglossie (Bsp.: USA) Bilingualismus + - 3. Diglossie ohne Bilingualismus (Bsp.: Russland historisch) 4. Weder Diglossie noch Bilingualismus (wohl nicht existent) Abb. 3: Bilingualismus und Diglossie (nach Fishman 1971: 89) Der erste Fall tritt in allen oben erwähnten Fällen auf. Für den zweiten Fall nennt Fishman das Beispiel der USA, wo Millionen von Einwanderern eine Vielzahl von Sprachen mitbrachten, für die sich keine getrennten Funktionen entwickelten. Das gilt aber nur bei individueller Einwanderung und nicht im Falle von Gruppenbildungen, wie wir sie klassischerweise in 'Little Italy' und 'China Town' vorfinden (s. Kap. 4.2.4.2). Der dritte Fall meint monoglossische Gruppen, die sich innerhalb einer Nation befinden, wie etwa im alten Russland, wo die Herrschaftsschicht nur Französisch und die Bevölkerungsmehrheit nur Russisch sprach. Doch auch hier lassen sich Situationen nicht ausschließen, wo beide Gruppen miteinander kommunizieren müssen (z.B. die Hausfrau mit ihren Zofen). Den vierten Fall gibt es vermutlich nicht. Hier müsste es sich um sehr kleine, isolierte Wirkungen des Sprachkontakts 20 und undifferenzierte Gemeinschaften handeln. Lüdi/ Py (1984: 13) schlagen vor, die Fälle Bilingualismus ohne Diglossie und Diglossie ohne Bilingualismus als Endpole einer Skala anzusehen, auf der man dann die zahlreichen Abstufungen von Bilingualismus mit Diglossie verorten könne. Eine Diglossie-Situation sagt nun voraus, welche Varietät oder Sprache eher dazu neigt, Elemente aus der anderen zu übernehmen. In der Regel ist dies die L- Varietät. Denn auch wenn die Sprachen in Sprechsituationen voneinander getrennt sind, sind sie doch im Gehirn der mehrsprachigen Sprecher miteinander vernetzt (s.u. Kap. 3.5.2). 2.1.3 Tri- und Polyglossie In vielen Sprachgemeinschaften gibt es jedoch nicht nur zwei Varietäten, sondern sogar mehrere, die nebeneinander gesprochen werden und zwischen denen auch eine funktionale Aufteilung besteht, z.B. zwei H-Varietäten und eine L-Varietät oder umgekehrt. In diesem Fall spricht man von Triglossie. Sehr häufig gibt es diesen Fall in Afrika. So hat etwa Kenia zwei offizielle Sprachen, Suaheli und Englisch, 5 und daneben eine Reihe von Bantu-Sprachen. Oder in Tunesien findet man das klassische Arabisch und das Französische als H-Varietäten neben den maghrebinischen Dialekten als L-Varietäten. Eine ähnliche Situation liegt auch in Südtirol vor: Hier werden Standarddeutsch und Italienisch als H-Varietäten gesprochen und der Südtiroler Dialekt als L-Varietät. Doch auch hier kommt es zu Domänenüberschneidungen, d.h. die beiden H-Varietäten konkurrieren miteinander. Es gibt auch polyglossische Situationen: Das sind Konstellationen, in denen mehr als drei Varietäten nebeneinander gebraucht werden, z.B. in vielen Sprachgemeinschaften in Osteuropa. In Transkarpatien, einem Gebiet in der heutigen Ukraine, leben noch deutschsprachige Minderheiten, die neben dem deutschen Dialekt und der deutschen Standardsprache einen ukrainischen Regionaldialekt (Ruthenisch), die ukrainische Standardsprache, Russisch und Ungarisch verwenden (vgl. auch Kap. 11.3.1). Die Domänen, in denen die jeweiligen Sprachen gebraucht werden können, überschneiden sich allerdings, da die Dialekte als L- Varietäten und die Standardsprachen als H-Varietäten angesehen werden. Innerhalb der H-Varietäten hat aber das Ukrainische ein geringeres Prestige als Deutsch oder Ungarisch. Wie bereits erwähnt, kann man auch innerhalb eines Redebeitrags von einer Varietät in die andere wechseln, wenn sich die Konstellation ändert. Darauf wird im folgenden Abschnitt eingegangen. 5 In solchen Fällen kann es allerdings passieren, dass eine H-Varietät ein höheres Prestige hat als die andere, in diesem Fall Englisch (vgl. auch Hamers/ Blanc 2000: 295). Von einer Sprache in die andere wechseln: Code-Switching 21 2.2 Von einer Sprache in die andere wechseln: Code- Switching 2.2.1 Das Prinzip des Code-Switchings Bei der Mischung von Sprachen gibt es mehrere Möglichkeiten: Eine Möglichkeit besteht darin, dass sich die Sprachen/ Varietäten gar nicht verändern, aber innerhalb von sprachlichen Äußerungen gemischt auftreten: Z.B. der erste Teil ist in der einen Sprache (S1) und der zweite Teil in der anderen (S2). In diesem Fall spricht man von Code-Switching. Dabei bedeutet der Begriff 'Code' sowohl 'Sprache' (im Sinne einer ausgebauten Schriftsprache) als auch 'Varietät' (im Sinne von Dialekt). 6 Ein Beispiel: 1. Es war Mr Fred Burger, der wohnte da in Gnadenthal and he went out there one day and Mrs Roehr said to him: Wer sind denn die Männer do her? (Clyne 1994: 112) In diesem Fall wechselt der Sprecher zunächst vom Deutschen zum Englischen und dann wieder zurück ins Deutsche. Dieser Wechsel kann sogar zwischen drei Sprachen erfolgen. Im folgenden Beispiel wechselt der Sprecher zwischen Italienisch (Kursivschrift), Spanisch (Fettschrift) und Englisch (normale Schrift): 2. un giorno normale en la city la cosa che me sorprende de Australia que el lunes el martes el miercoles tu va a la city plenty people (Bsp. nach Clyne/ Cassia 1999: 69) ['ein ganz normaler Tag in der Stadt, die Sache, die mich überrascht in Australien, dass am Montag, Dienstag, Mittwoch, du gehst in die Stadt, voller Leute'] Da Code-Switching ein sehr weit verbreitetes Phänomen in mehrsprachigen Gesellschaften und Gruppen ist und häufig auftritt, ist es nicht verwunderlich, dass sich sehr viele Forscher damit beschäftigt haben. Was unter Code-Switching zu verstehen ist, ist teilweise in der Sprachkontaktforschung sehr umstritten. 7 Das kommt zum einen daher, dass verschiedene Forscher verschiedene Aspekte betonen, zum anderen, dass der Begriff ursprünglich von einem Konversationsanalytiker (Gumperz 1964) eingeführt wurde und eigentlich eine Diskursstrategie bezeichnete. Die im Folgenden einsetzende Diskussion in der Grammatikforschung (s. Kap. 2.2.6) übertrug den Begriff dann auf verschiedene Fälle von Sprachmischungs- und Sprachkontaktprozessen und unterscheidet dabei nicht immer zwi- 6 Allerdings verstehen die Sprecher nicht immer das Gleiche unter 'Code' wie die Linguisten. Für manche ist gerade die gemischte Sprache die normale (s. Franceschini 1998: 62 u.a.). In Minderheitensituationen tritt außerdem oft Code-Switching zwischen einer Standard- und einer Dialektvarietät von verschiedenen Sprachen auf (vgl. Gardner-Chloros 2008: 55 am Beispiel Französisch - Elsässisch). 7 Deshalb spricht Clyne (2003: 70) auch von der "troublesome terminology around 'codeswitching'". Wirkungen des Sprachkontakts 22 schen Code-Switching und lexikalischem und/ oder grammatischem Transfer. Diese Unterscheidung halte ich aber für wichtig, handelt es sich nämlich in einem Fall um den Übergang von einer Sprache zur anderen (wie oben in Bsp. 1) und im anderen Fall um einen Vorgang, bei dem etwas von der einen Sprache in die andere übernommen und in deren System integriert wird. Im ersten Fall ändern sich die Sprachen nicht. D.h. also jeder einsprachige Zuhörer könnte diesen Teil der Äußerung ohne Probleme verstehen. Im zweiten Fall gibt es aber eine Veränderung: Indem eine Sprache etwas aus einer anderen integriert, verändert sie ihre Gestalt, so dass ein einsprachiger Zuhörer die Äußerung nicht mehr ganz verstehen kann. Z.B. wird der folgende Satz aus der Beispielsammlung von Clyne (1994: 114) nicht ohne Weiteres von einem Sprecher des Deutschen verstanden: Der war geborn über'n Schwamm von die alte Heimat an dieser Road (s. Bsp. 55). Dies sind die Fälle, mit denen sich die traditionelle Sprachkontaktforschung beschäftigt (s. Kap. 2.3). Aufgrund der erwähnten terminologischen Verwirrung muss man daher immer berücksichtigen, aus welcher Disziplin der jeweilige Forscher kommt. Die verschiedenen Aspekte und Forschungsrichtungen, unter denen Code-Switching betrachtet wird, sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. 8 2.2.2 Code-Switching vs. Entlehnung In der Forschung wird viel darüber diskutiert, ob man von Code-Switching nur sprechen kann, wenn es sich bei der anderssprachigen Komponente um eine Phrase oder einen Teilsatz handelt (wie in obigem Bsp. 1) oder auch dann, wenn nur ein Wort in der anderen Sprache geäußert wird, wie in dem folgenden Beispiel: 3. TM: Wir waren verschickt. Und er kam auf otpusk [= 'Urlaub']. Do is er gleich gelaufen in die Apteke. [Bsp. Russland, Russ 17] 9 Hier ist die ganze Äußerung auf Deutsch, nur das Wort otpusk ('Urlaub') wird auf Russisch geäußert. Viele Forscher (vgl. Myers-Scotton 2002: 153) zählen auch solche Fälle zu Code-Switching, vorausgesetzt, dass das andersprachige Wort nur spontan in dieser Äußerung vorkommt und nicht schon ein fester Bestandteil des Lexikons in der Varietät dieser Sprachgemeinschaft ist. Andere sprechen hier von nonce-borrowing (MacSwan 2005: 7, Poplack 2012) bzw. 'Ad-hoc-Entlehnung' oder 'Ad-hoc-Übernahme' (vgl. Riehl 2001: 61), d.h. von einer Form von Entlehung und nicht von Code-Switching. Poplack begründet diese Position damit, dass diese Ad-hoc-Entlehnungen sich von der Struktur her nicht von den im Lexikon kodifizierten Lehnwörtern unterscheiden. Ein Beispiel: ein ganz spontan aus dem Eng- 8 Eine sehr gute und übersichtliche Einführung in das Thema bietet Gardner-Chloros (2009). Eine deutschsprachige Einführung von Müller (2014) zum Code-Switching Italienisch, Spanisch, Franzöisch ist im Erscheinen. 9 Zu den Corpora vgl. u. S. 217. Die Siglen verweisen auf die Nummer der Aufnahme. Von einer Sprache in die andere wechseln: Code-Switching 23 lischen entlehntes Verb wie collecten hat die gleiche morphologische Struktur wie ein schon etabliertes Wort checken. In der Regel zeichnen sich Entlehnungen zwar dadurch aus, dass sie morphologisch und syntaktisch in die Nehmersprache (also die Sprache, in die das Wort entlehnt wird) integriert sind. D.h. sie nehmen Endungen der Nehmersprache an (z.B. du bikest) und sie übernehmen syntaktische Funktionen (z.B. als Prädikat). Die phonetische Integration ist dagegen nicht zwingend: Es gibt in allen Sprachen auch Lehnwörter, die im Lexikon stehen und phonetisch nicht in die Sprache integriert sind wie Restaurant oder Pendant. Beide Wörter enthalten den Nasal [-], der im Phonemsystem des Deutschen nicht existiert (s.u. Kap. 2.3.2). In einigen sprachübergreifenden Studien haben Poplack, Meechan und andere (1998) herausgefunden, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle von Sprachwechsel bei einzelnen Wörtern diese Wörter eine ähnliche Struktur hatten wie die Basissprache. Das heißt, dass morphologische Markierungen wie Plural- und Kasusendungen der Basissprache an die jeweiligen Wörter angefügt werden. Besonders gut lässt sich das bei Sprachen zeigen, die eine reiche Flexion aufzeigen, wie etwa Persisch oder Ukrainisch. Hierzu ein Beispiel aus dem persischenglischen Sprachkontakt: in house-ha: ('in diesen Häusern'). Das englische Wort house bekommt hier die persische Plural-Endung -ha (vgl. Samar/ Meechan 1998: 208). Poplack/ Meechan (1998) schlossen daraus, dass die Inhaltswörter, die in Äußerungen der anderen Sprache übernommen werden, fast immer Entlehnungen seien. Wichtig ist dabei, dass die Nehmersprache den grammatischen Rahmen vorgibt. Also könnte man hier nicht von einer sprachsystematischen Perspektive aus, sondern höchstens von einer soziolinguistischen Perspektive aus argumentieren und der Frage nachgehen, welchen Status das entlehnte Wort in der Sprachgemeinschaft hat (s. dazu Kap. 2.3.2). Eine andere Position vertritt Grosjean (1995ff.), der in diesem Zusammenhang von 'Gastwörtern' (guest-words) spricht. In seiner Definition ist die phonetischphonologische Einpassung entscheidend. Grosjean trifft folgende Unterscheidung: Werden die Wörter in der sog. 'Gastsprache' ausgesprochen, dann handle es sich um Code-Switching, werden sie aber in der Nehmersprache artikuliert, um Entlehnung. Beispiele für Gastwörter im Sinne von Grosjean sind die folgenden aus dem Englischen stammenden Wörter to switch und to slash, die lautlich und morphologisch völlig an das Französische angepasst werden: 4. a) On peu switcher les places? ['Können wir die Plätze tauschen? '] b) Il a slashé le rideau. ['Er hat den Vorhang zerrissen.'] (vgl. Grosjean 2008: 161) Allerdings bemerkt Grosjean zu Recht, dass eine binäre Entscheidung kaum möglich ist, sondern höchstens ein Kontinuum graduierlich zunehmender lautlicher Integration angesetzt werden kann. Grund dafür ist, dass viele Sprecher trotz hoher Kompetenz in ihrer L2 einen fremdsprachlichen Akzent haben, so dass sie Wirkungen des Sprachkontakts 24 die Wörter gar nicht ganz korrekt wie in der Zielsprache aussprechen können (vgl. dazu auch Bullock 2009). Daher sollte man besser von einem Kontinuum zwischen Entlehnung und Code-Switching sprechen. Das gilt besonders für unflektierte Formen (Substantive ohne Kasusmarkierung, unflektierte Adjektive etc.), bei denen die phonetische Form nicht einer bestimmten Sprache zugeordnet werden kann. Ich schlage daher vor, in diesem Zusammenhang von Transfer (s. dazu Kap. 2.3.1) zu sprechen: Ein individueller Sprecher übernimmt Elemente aus der einen Sprache und passt sie in das System der anderen Sprache ein, d.h. er schaltet nicht in die andere Sprache um, wie es der Terminus Code-"Switching" nahe legt, sondern er überträgt sprachliche Zeichen von der einen Sprache in die andere. Auf alle Fälle gilt festzuhalten, dass Code-Switching einzelne Wörter und auch Mehrworteinheiten bis zu ganzen Sätzen umfassen kann, während die lexikalische Entlehnung immer nur ein Wort (oder eine feste idiomatische Einheit) umfasst. Außerdem gibt es ja auch in Gesellschaften, die sich als einsprachig definieren, wie die deutsche Sprachgemeinschaft, Entlehnungen, aber Code-Switching findet man nur in mehrsprachigen Gesellschaften oder Gruppen (vgl. Clyne 2003: 73). Eine andere Einteilung der Phänomene des Sprachwechsels nimmt Muysken (2000) vor: Er vermeidet den Terminus Code-Switching und spricht stattdessen von Code-Mixing als übergreifendem Phänomen in einer bilingualen Rede. Der Begriff steht also für alle Fälle, in denen lexikalische Einheiten und grammatische Strukturen aus zwei verschiedenen Sprachen in einem Satz vorkommen (Muysken 2000: 1). Muysken (ebd.: 3) geht davon aus, dass dabei drei verschiedene Prozesse am Werk sind: Insertion, alternation und congruent lexicalisation. 10 Im Falle der Insertion werden Einheiten aus einer anderen Sprache in eine Basissprache eingebettet. Dies können entweder einzelne Wörter/ Stämme oder auch komplexe Konstituenteneinheiten sein (s. Bsp. 5a). Beginnt ein Satz dagegen in einer Sprache und endet in der anderen, handelt es sich um eine Alternation (s. Bsp. 5b). Haben die beiden Sprachen in dem jeweiligen gemischten Satz dieselbe grammatische Struktur, aber benutzen Material aus unterschiedlichen mentalen Lexika (s.o.), spricht Muysken von kongruenter Lexikalisierung (Bsp. 5c): 5. a) yo anduve in a state of shock pro dos días (Bsp. aus Muysken 2000: 5) b) Wenn ich mich so fühle, geh' ich 'raus in den Garten und/ well look after my flowers. (Bsp. aus Clyne 1991: 194) c) Weet je what she is doing? (Bsp. aus Muysken 2000: 149) Im Falle von 5c) beginnt der Satz auf Niederländisch und an der Stelle von what wird die Sprache gewechselt. Das wird dadurch begünstigt, dass hier die syntak- 10 Dies ist vor allem bei etymologisch nah verwandten Sprachen (z.B. Italienisch-Spanisch) der Fall, häufiger aber auch zwischen verschiedenen Varietäten einer Sprache (z.B. Standardsprache und Dialekt, vgl. dazu Kap. 8). Von einer Sprache in die andere wechseln: Code-Switching 25 tische Struktur für beide Sprachen gleich ist, d.h. Niederländisch und Englisch kennen den gleichen Typus von indirektem Fragesatz. In solchen Fällen ist die Matrixsprache, d.h. die Basissprache, die dem Satz zugrunde liegt, nicht bestimmbar. Neben diesen Abgrenzungsaspekten interessieren vor allem die Funktionen und Motivationen des Code-Switchings. Dabei ist zu unterscheiden zwischen soziolinguistisch motiviertem Code-Switching psycholinguistisch motiviertem Code-Switching Im ersten Fall kann man auch von funktionalem Code-Switching sprechen, im zweiten von nicht-funktionalem (vgl. Franceschini 1998: 58). 2.2.3 Funktionales Code-Switching Wie bereits erwähnt, geht die Diskussion um die Funktion von Code-Switching im Diskurs auf die Arbeiten des amerikanischen Soziolinguisten und Anthropologen John Gumperz zurück (vgl. Blom/ Gumperz 1972). Code-Switching hat in seiner Definition vor allem eine Kontextualisierungsfunktion und ist ein Ausdruck sprachlichen Handelns. Daher müssen die Einheiten umfangreich genug sein, um dies zum Ausdruck zu bringen. In der Regel findet in diesen Fällen Code-Switching zwischen Sätzen statt und der Sprecher weist oft explizit auf den Sprachwechsel hin, durch metasprachliche Kommentare, Wiederholungen oder Übersetzungen (sog. flagged code-switching, Poplack 2004: 593). Bei funktionalem Code-Switching setzt der Sprecher den Sprachwechsel entweder aufgrund von äußeren Faktoren ein oder aus strategischen Gründen. Man unterscheidet daher zwischen situativem und konversationellem Code-Switching (vgl. Auer/ Eastman 2010: 95ff.). 2.2.3.1 Situatives Code-Switching Beim situativen Code-Switching ändert sich die Sprache als Folge einer neuen Situation. Faktoren, die Code-Switching bedingen, können u.a. Wechsel des Gesprächspartners, Ort der Kommunikation und Thema sein: So wechselt man etwa die Sprache, wenn ein neuer Gesprächspartner adressiert wird, mit dem man normalerweise eine andere Sprache spricht: 6. CR: Und auf die passen Sie dann auch mal auf und gehen dorthin? OR: Ja, immer. [...] die allerkleanste die lernt noch net. Das ist die (Allerhaupts? ), die Kleanste. Zu Hause, wenn die Mutter sie, meine Tochter sie, we/ ein we- nig schellt oder was, na sacht sie: -no ich fahr fort. Wohin fahrst du schon wieder? Ich fahr bei die Oma! Mit der Oma gehn mer Lieder singen und - wenn mer zu Haus gehen. Ich wohn weit von ihr (weiter auf Russisch zu OT: ) ja daleko živu otsjuda, von tam po erno ['ich wohne weit von hier, da in der ernaja'] [Bsp. Russland, Russ 13] Wirkungen des Sprachkontakts 26 OT ist eine russischsprachige Projektmitarbeiterin, die sehr gut Deutsch spricht, aber außerhalb des Interviews von den Informanten automatisch auf Russisch adressiert wird. Diese Funktion, sich mit dem Sprachwechsel an jemanden bestimmten zu richten, wird auch als direktive Funktion bezeichnet (vgl. Appel/ Muysken 1987: 119). Auch ein Wechsel der Örtlichkeit kann Sprachwechsel bewirken: Bei vielen Sprachminderheiten sprechen die Sprecher zu Hause ihre Minderheitensprache und wechseln in die andere Sprache, wenn sie in einen öffentlichen Raum treten. Hier eine Beschreibung der Situation von einer russlanddeutschen Frau: 7. Dort waren Nachbarn, deutsche Frauen. No und wir haben immer gesprochen Deutsch. Und wo wir kamen raus aufn Hof, hab ich angefangen Russisch sprechen dort. [Bsp. Russland, Russ 17] In anderen Fällen ist auch das Thema ausschlaggebend: Gerade Kinder und Jugendliche wechseln häufig in ihre Schulsprache, wenn sie sich über Schulthemen unterhalten. Im folgenden Beispiel werden deutsch-englisch bilinguale Jugendliche in Australien zum Schulalltag befragt: 8. Denn gehen mer zu unsen Raum und warten, bis der Lehrer 'reinkommt und fangen an. Mir lernen Englisch und ... Well, we learn English, geography, history, science. (Clyne 2003: 161) Bisweilen kann auch der Typus der Interaktion eine Rolle spielen: Man kann mit ein und derselben Person für ein privates Gespräch die eine Sprache wählen, beim Wechsel in eine geschäftliche Interaktion aber in die andere Sprache übergehen. 2.2.3.2 Konversationelles Code-Switching Im Gegensatz zum situationsbedingten Code-Switching hat das konversationelle Code-Switching diskursstrategische Gründe und erzielt einen kommunikativen Effekt, z.B. wenn ein wörtliches Zitat gebraucht wird: 9. Wo seid ihr her? No, vot, my nemcy. ['also, wir sind Deutsche'] [Bsp. Russland, Russ 2] Das Zitieren in einer Sprache ist eine der häufigsten Formen von Code-Switching und kommt in allen mehrsprachigen Gruppen vor. Das hat zum einen damit zu tun, dass man oft die Stimmlage und den Wortlaut eines Zitats wiedergeben möchte. Aber es findet auch der umgekehrte Fall statt, d.h der Sprecher wechselt in die Sprache, in der das Zitat genau nicht geäußert wurde. Dies deutet darauf hin, dass es sich bei dieser Form des Code-Switching in erster Linie um einen sog. Kontextualisierungshinweis (contextualisation cue) handelt, d.h. ein Signal, das einen Wechsel des Gesprächskontextes ankündigt. Eine weitere diskursstrategische Funktion ist die sog. expressive Funktion (Appel/ Muysken 1987: 119f.): Hier drückt der Sprecher mit Hilfe des Sprach- Von einer Sprache in die andere wechseln: Code-Switching 27 wechsels eine persönliche Einstellung aus oder bewertet eine Situation (auch durch nachdrückliche Wiederholung), vgl.: 10. Siamo ritornati a Roma e poi l'abbiamo lasciato. It was just amazing. Era proprio perfetto. ['Wir sind nach Rom zurückgekehrt und dann haben wir es wieder verlassen. It was just amazing. Es war wirklich perfekt.] [Bsp. Australien, Corpus 2009] In diesem Beispiel markiert die italienisch-englisch bilinguale Sprecherin ihren persönlichen Eindruck bei der Rückkehr nach Italien (nach 28 Jahren) durch einen Wechsel ins Englische und verstärkt dadurch ihre Aussage. Danach kommentiert sie noch einmal auf Italienisch, um so wieder zur Ausgangssprache zurückzukehren. Auch metakommunikative Äußerungen, d.h. Äußerungen über die Sprache an sich, werden häufig durch Code-Switching kontextualisiert. In folgendem Beispiel fällt der Sprecherin die Bezeichnung für 'Tierarzt' auf Deutsch nicht ein und sie kommentiert dies auf Russisch: 11. Meine Mutter, die hat gearbeit als Köcherin und mein - Opa der war -kak veterinar kak u nich govoritsja? ['wie heißt Tierarzt, wie sagt man bei ihnen? '] [Bsp. Russland, Russ 7] Diese metakommunikativen Kommentare sind typisch, wenn die Sprecher sich im sog. 'monolingualen Sprachmodus' befinden (s.u. S. 32). Über die bei Gumperz erwähnten Funktionen des konversationellen Code- Switchings hinaus lassen sich noch weitere anführen (vgl. Appel/ Muysken 1987: 119ff.). Eine dieser Funktionen kommt besonders bei Sprechern von Sprachminderheiten häufig vor, die eine unvollständige Kompetenz in ihrer Erstsprache erworben haben, nämlich die referentielle Funktion. Diese besagt, dass der Sprecher dann in die andere Sprache wechselt, wenn er Schwierigkeiten hat, das, was er sagen möchte, in der Sprache der Interaktion auszudrücken: 12. KS: Wir haben die Fische sortirovat' [= 'sortieren'] wie? CR: sortiert. KS: in die Käste uflege alles. Gesaulzn haben mer immer. Der Winter habn mer zamoraživali i ukladyvali v jaš iki, letom solili i na nitki nanizyvali, vot to byla naša rabota. - [zu OT] Perevedite! ['zum Gefrieren gebracht und in die Kisten gelegt, im Sommer haben wir gepökelt und auf die Fäden aufgereiht, so das war unsere Arbeit. - [zu OT] Übersetzen Sie! ] [Bsp. Russland, Russ 13] Die Sprecherin möchte hier erklären, was sie während ihres Aufenthaltes in Sibirien machen musste. Da sie mit einer monolingualen Sprecherin [CR] spricht, versucht sie es zunächst auf Deutsch zu erklären. Offensichtlich kann sie das aber mit deutschen Worten nicht ausdrücken und fährt auf Russisch fort. Am Ende fordert sie dann eine mitanwesende zweisprachige Sprecherin, OT, auf, zu übersetzen (Perevedite! 'Übersetzen Sie! '). Wirkungen des Sprachkontakts 28 Es gibt noch einige weitere Funktionen, die aus dieser Übersicht jedoch ausgespart werden sollen, z.B. die bei Appel/ Muysken (1987) noch erwähnte poetische Funktion (Sprachspiele, Witze). Weitere Funktionen und Beispiele finden sich bei Auer (2010), Auer/ Eastman (2010), Gardner-Chloros (2009: 66f.) und Matras (2009: 121ff.). 2.2.3.3 Code-Switching als Identitätsmerkmal Sehr viele Untersuchungen gehen davon aus, dass Code-Switching zwischen zwei Sprachen einem Wechsel zwischen einem we-code und einem they-code gleichkommt und dass daher beim Code-Switching verschiedene soziale Identitäten der Sprecher aktiviert werden (vgl. etwa die Beiträge in Auer 1998 oder Mair 2003). Dies deutet der Sprecher im folgenden Beispiel an: 13. Manchmal wenn ich deutschsprachige Bekannte treffe, spreche ich deutsch, otherwise I speak only English (Clyne 2003: 160) Unter den Zuwanderern in Australien, von denen dieses Beispiel stammt, entspricht jede der beiden Sprachen einer anderen Identität: Deutsch hat die Funktion des we-code und Englisch die Funktion des they-code. Dabei hat, wie Gumperz (1982: 93) anhand von Sprecherbefragungen feststellen konnte, jeder der beiden Codes eine bestimmte Funktion. Der we-code drückt eher eine persönliche Aufforderung, Involviertheit oder persönliche Meinungen aus, der they-code bringt demgegenüber sachorientierte Warnung, Distanz zum Geschehen oder allgemeine Fakten zum Ausdruck. Deshalb hat das Wechseln von der einen in die andere Sprache in vielen Fällen eine kommunikative Bedeutung. Diese Identitätsfunktion der Sprache kann aber auch der Grund sein, warum es überhaupt zu Code-Switching kommt: Bei meinen Forschungen zum Code- Switching bei deutschsprachigen und italienischsprachigen Einwanderern in Australien stellte sich heraus, dass häufig der we-code (also in diesem Fall das Deutsche oder Italienische) die schwächere Sprache der Probanden war. Sie wählten aber aus Identitätsgründen diese Sprache als Konversationssprache. Wurden dann aber Themen angesprochen, die in dieser Sprache nicht adäquat behandelt werden konnten, wechselten sie in die dominantere Sprache, in diesem Fall das Englische. In diesen Fällen wird Sprachwechsel häufig kommentiert: Ich muss das jetzt auf Englisch sagen, weil ich nicht weiß, wie es auf Deutsch heißt. Meist kehrt der Sprecher danach wieder zur Ausgangssprache zurück und markiert dies, indem er einfach den letzten Satz in dieser Sprache wiederholt. Wie die obigen Beispiele zeigen, wird der Wechsel der Sprache oft im Gespräch erst ausgehandelt. Wichtig ist dabei, wie der Gesprächspartner auf einen eventuellen Codewechsel eingeht, ob er ihn aufgreift oder zur Ausgangssprache zurückkehrt. Oft endet ja das Gespräch nicht in der Sprache, in der es begonnen hat. Hier finden interessante Prozesse der wechselseitigen Anpassung an den Gesprächspartner statt, die sog. Akkommodation (vgl. Kap. 8.2). Von einer Sprache in die andere wechseln: Code-Switching 29 2.2.4 Nicht-funktionales Code-Switching Neben dem gerade besprochenen Typ von Code-Switching, der kommunikative Funktionen hat, gibt es noch einen zweiten Typ, der eher auf interne Prozesse der Sprachproduktion bezogen ist. Hier geschieht der Wechsel von der einen in die andere Sprache meist ohne direkte Absicht des Sprechers. Clyne (1967ff.) bezeichnet dies als psycholinguistisch motiviertes Code-Switching. Belege für nicht-intentionales Code-Switching sind beispielsweise Äußerungen, bei denen die Sprecher sich nach dem Code-Switching selbst korrigieren: 14. Da hängen dann die drogati 'rum (-) äh die Drogierten (-) oder wie sagt man auf Deutsch (--) Drogenabhängige. [Bsp. Südtirol, Sprecherin deutsch-italienisch] In diesem Beispiel zeigen die Pause und der Häsitationsmarker äh an, dass die Sprecherin das Code-Switching erst nachträglich bemerkt und sich verbessern will. Der Grund ist, dass sie mit einem monolingualen Sprecher spricht und daher italienische Ausdrücke vermeiden möchte. Daher ersetzt sie das italienische Wort drogati in einem zweiten Anlauf durch eine Ad-hoc-Entlehnung (die Drogierten). Auch hier bemerkt sie, dass das Wort so nicht existiert: oder wie sagt man auf Deutsch? (weitere Beispiele zu diesem Phänomen s. Kap. 3.5.1.1). Dieser nicht-intendierte Wechsel von einer Sprache in die andere kann durch bestimmte 'Auslösewörter' (trigger-words) hervorgerufen werden. Dies sind in der Regel in beiden Sprachen identische oder ähnlich klingende Wörter. Clyne (1967) bezeichnet diese als sog. homophonous diamorphs. Nach Clyne (2003: 162ff.) fallen darunter: Eigennamen Eigennamen sind in der Regel in beiden Sprachen identisch, vgl.: 15. Es war Mr Fred Burger, der wohnte da in Gnadenthal and he went out there one day and Mrs Roehr said to him [...] (Clyne 1994: 112) (s. bereits oben als Bsp. 1) Gnadenthal ist der Name einer alten deutschen Siedlung in Australien und tritt im Englischen und im Deutschen in der gleichen Form auf. Das Vorhandensein des Wortes in beiden Sprachen bewirkt hier den Übergang zum Englischen. Im Zusammenhang mit Eigennamen geschieht es auch häufig, dass bei der Aufzählung von mehreren Namen das Übersetzungsäquivalent der Konjunktionen und bzw. oder in der anderen Sprache realisiert wird, vgl.: 16. Bei uns ware viele Mar/ äh fünf Marschall, (--) Marschall. Jüngster Tucha evskij, Bljucher (-) Bljucher, Vorašilov, Budenyj i Egorov. Und Tucha evskij wenn der kam nach Hause [...] [Bsp. Russland, Russ 9] In diesem Beispiel werden nacheinander fünf russische Namen aufgezählt und - obwohl der Rest der Äußerung auf Deutsch erfolgt - mit der russischen Konjunktion i ('und') verknüpft. Wirkungen des Sprachkontakts 30 Lexikalische Übernahmen Damit sind lexikalische Einheiten gemeint, die entweder bereits etabliert sind (vgl. Bsp. 18 und 19) oder als Ad-hoc-Entlehnungen fungieren (vgl. Bsp. 17): 17. Ich les grade eins/ das is' ein/ handelt von einem alten/ secondhand-dealer and his son (Clyne 1991: 194) 18. Come che l'ha conosciuto su i film? Not in the films, are you, these pornographic films he gets in? (Bettoni, zit. Clyne 1991: 194) 19. Der war über die ganze Oblast'. Nu on mne srazu dal napravlene. ['Der war zuständig für den ganzen Verwaltungsbezirk. Also, er hat mich sofort in die Arbeit eingewiesen.'] [Bsp. Russland, Russ 17] Während es sich in Bsp. 18 (film) um ein allgemein auch im Standarditalienischen lexikalisiertes und kodifiziertes Lehnwort handelt, ist das Lehnwort Oblast' ('Verwaltungsbezirk') in Bsp. 19 eine Form, die nur in der russlanddeutschen Sprachgemeinschaft vorkommt, aber hier bereits konventionalisiert ist (vgl. Riehl 2010b). Bilinguale Homophone Darunter sind in beiden Sprachen gleichlautende Wörter zu verstehen, wie in folgendem englisch-niederländischen Beispiel: 20. Dit kan [kan] be anywhere. (Clyne 1991: 194) Solche Formen kommen natürlich in genetisch eng verwandten Sprachen weitaus häufiger vor. Aber es gibt auch in weniger eng verwandten Sprachen Homophone, die ähnliche Bedeutungen haben. Im Russlanddeutschen klingen beispielsweise die deutsche dialektale Diskurspartikel no ('nun') und die russische Adversativpartikel no ('aber') identisch: 21. Gib mir her deine Frau, wir wir gehen zusammen da in die Wiste. No, kak ja i ne mogla ego videt'. ['Gib mir deine Frau her, wir gehen zusammen in die Wüste. Nun/ aber wie, ich konnte ihn auch nicht sehen.'] [Bsp. Russland, Russ 17] In diesem Beispiel kann man nicht erkennen, ob no hier 'nun' oder 'aber' bedeuten soll, es bleibt also ambig. Unter bilinguale Homophone fallen auch sog. 'Kompromissformen', d.h. Formen, die normalerweise phonetisch verschieden sind, aber in der speziellen Varietät des Sprechers zusammenfallen: 22. Keine Apfelsinen. Wir haben se gehabt but oh großes Feuer come [kam] through and killed all the trees. (Clyne 2003: 164) Der Sprecher spricht entgegen der standarddeutschen und standardenglischen Lautung sowohl dt. [ka: m] als auch englisch [ ] gleich aus, d.h. in seinem System sind das Homophone. Allerdings ist hier zu bemerken, dass die meisten der triggering-Phänomene bei nah verwandten Sprachen zu finden sind, da diese viel stärker konvergieren oder bereits gleiche grammatische Strukturen besitzen (zum Von einer Sprache in die andere wechseln: Code-Switching 31 Begriff 'Konvergenz' s.u. S. 36). Teilweise haben wir es dabei auch mit der oben erwähnten congruent lexicalization zu tun (vgl. Bsp. 20). Unter diese bilingualen Homophone zählt Clyne auch aus der Kontaktsprache entlehnte Diskursmarker, die dann in beiden Sprachen häufig auftreten: 23. Wenn ich mich so fühle, geh' ich 'raus in den Garten und/ well look after my flowers. (Clyne 1991: 194, vgl. o.) Zu diesem interessanten Phänomen werden wir unten (in Kap. 6.2.1.1) noch Genaueres hören. Die Auslösewörter begünstigen den Übergang von einer Sprache in die andere, weil sie in beiden Sprachsystemen vorhanden sind. Neben den erwähnten lexikalischen Übereinstimmungen können auch syntaktische oder phonetisch-phonologische Ähnlichkeiten zwischen den Sprachen den Wechsel von der einen in die andere auslösen. Das heißt, überall da, wo sich Elemente des Systems überlappen, wird der Übergang (transversion) von einer Sprache zur anderen erleichtert. Diese Elemente bilden sozusagen die Schnittstelle. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die trigger-words nicht zwangsläufig Code-Switching auslösen, sie erleichtern lediglich den Übergang. Daher spricht Clyne in neueren Publikationen nicht mehr von triggering sondern von facilitation ('Erleichterung') (vgl. Clyne 2003: 159ff.). Diesen Erleichterungseffekt bestätigen Broersma/ de Bot (2006) in einer empirischen Untersuchung zum Code-Switching bei Niederländisch- Arabisch-Sprechern: Bei Wörtern, die in einem Basissatz vorkamen, der auch ein trigger-word enthielt, switchten die Probanden in 29,6% der Fälle, bei Wörtern, bei denen im Basissatz kein trigger-word vorkam, dagegen nur in 12,6%. Das bedeutet, dass die Anwesenheit von Auslösewörtern oder anderen strukturellen Ähnlichkeiten den Wechsel von der einen Sprache in die andere zwar nicht erzwingt, dass er aber in diesen Fällen signifikant öfter vorkommt. 2.2.5 Code-Switching, Sprachmodus und Sprachkompetenz Man kann nun feststellen, dass die gerade aufgeführten Auslösemechanismen nicht bei allen Sprechern den gleichen Effekt haben; was bei dem einen Sprecher Code-Switching auslöst, muss es beim anderen noch lange nicht. So bemerkt man gerade in Zusammenhang mit Code-Switching nach lexikalischen Übernahmen enorme Unterschiede bei den Sprechern. Außerdem sind die Anteile von Code- Switching auch bei Sprechern aus der gleichen Sprachgemeinschaft ziemlich unterschiedlich. Auf diese Problematik wird noch zurückzukommen sein (s.u. zum Sprachmodus). Manchmal ist es auch schwierig festzustellen, ob das Code-Switching mit einer bestimmten Absicht des Sprechers geschieht oder nicht. D.h. man kann nicht immer genau sagen, ob es sich um soziolinguistisch motiviertes oder um psycholinguistisch motiviertes Code-Switching handelt. Viele Beispiele von Einzelsätzen Wirkungen des Sprachkontakts 32 sind mehrfach interpretierbar, so dass es unerlässlich ist, den Kontext mit einzubeziehen! In diesem Zusammenhang ist ein weiteres sehr wichtiges analytisches Kriterium zu betrachten: Sprecher, die unbewusst von einer Sprache in die andere wechseln, brechen häufig die Äußerung ab und setzen sie in der zuvor ausgehandelten Konversationssprache fort: 24. E mia sorella è andata in Francia. - We also avevamo tre zii in Francia. ['Und meine Schwester ist nach Frankreich gegangen. We also - (wir) hatten drei Onkel in Frankreich'] [Bsp. Australien, Corpus 2009] In diesem Beispiel ist die Konversationssprache Italienisch. Die Sprecherin wechselt dann unbewusst in die ihr geläufigere Sprache Englisch: we also. Allerdings bemerkt sie dies und fährt nach einer sehr kurzen Pause dann wieder auf Italienisch fort. Die kontextuelle Einbettung und Gesprächspausen, auch wenn sie kurz sind, sind immer in die Analyse mit einzubeziehen. Dies ist besonders auch für die in Kap. 2.2.6 noch zu besprechende grammatische Beschreibung von Code-Switching wichtig. Denn hier werden meist nur einzelne Sätze ohne Kontext und ohne konversationsanalytische Aufbereitung analysiert, was zu falschen Schlüssen führen kann. 11 Wie bereits erwähnt, sind die Sprachen nicht immer zu trennen. Für viele Sprecher, die in mehrsprachigen Gemeinschaften leben, sind gemischte Varietäten die Normalität (vgl. Franceschini 1998) und ein monolinguales Verhalten eher unnatürlich. 12 In diesem Zusammenhang ist daher eine wichtige Unterscheidung einzuführen, die von François Grosjean stammt, nämlich die Trennung von monolingualem und bilingualem Sprachmodus (Grosjean 1982ff.). 13 In einem monolingualen Modus passen sich mehrsprachige Sprecher der Sprache eines einsprachigen Kommunikationspartners an und deaktivieren - so gut wie möglich - ihre andere(n) Sprache(n). Im bilingualen Modus dagegen sind beide Sprachen aktiviert und die Sprecher wechseln viel eher zwischen den Sprachen oder mischen diese. Grosjean betont, dass man diese Sprachmodi als ein Kontinuum ansehen muss. Der Sprachmodus wird nicht nur von den beteiligten Gesprächspartnern, sondern auch von der Situation (formell vs. informell), vom Thema, Ort etc. beeinflusst. Je stärker sich die Sprecher auf den monolingualen Modus zubewegen, desto stärker kontrollieren sie ihre Äußerungen mit Hilfe eines internen Monitors (s. Riehl 2005 und u. Kap. 3.5.1.1). 11 Bei Beispiel 24 müsste man, wenn man keinen Satzabbruch annähme, davon ausgehen, dass es sich um einen Sprachwechsel zwischen Subjektspronomen und Verb handelt - was etwa nach Auffassung der generativen Theorie nicht möglich wäre (s.u. Kap. 2.2.6). 12 Vgl. auch Meeuwis/ Bloomaert (1998): Sie führen Beispiele von zairischen Immigranten aus Belgien an, deren Standardcode ein Mischcode aus Französisch und Lingala oder Suaheli ist. Nur Französisch zu sprechen ist für sie ungewöhnlich. 13 Der Begriff Sprachmodus (language mode) bezieht sich darauf, wie stark die Sprachen jeweils aktiviert sind: einmal ein Modus, bei dem die beiden Sprachen gleich stark aktiviert sind und einmal ein Modus, bei dem eine Sprache viel stärker aktiviert ist als die andere. Von einer Sprache in die andere wechseln: Code-Switching 33 Möglicherweise gibt es auch Unterschiede zwischen Früh- und Spätmehrsprachigen, die sich darin äußern, welchen Typus von Code-Switching man verwendet oder wie oft man switcht. Zumindest konnte ich bei meinen Probanden in Australien (Migranten deutscher und italienischer Provenienz) meist nur Code- Switching beobachten, wenn sie sich in ihrer weniger dominanten Sprache bewegten (und das war bei allen die Herkunftssprache Deutsch bzw. Italienisch). Sprachen sie Englisch, wurde dagegen nur personenbezogen gewechselt. In gemischtsprachigen Gruppen ist Code-Switching sehr häufig diskursstrategisch gesteuert. Hier könnte sich also folgende Unterscheidung anbieten: Ausgewogen Mehrsprachige integrieren anderssprachiges Material in das System der jeweiligen Konversationssprache oder switchen aus diskursstrategischen Motiven. Nicht ausgewogen Mehrsprachige, die ihre weniger dominante Sprache als Ausgangssprache benutzen, switchen häufiger unbewusst oder aus Notwendigkeit (themenbezogen) in die dominantere Sprache. In einigen mehrsprachigen Gemeinschaften entwickeln sich daraus gemischte Codes: Das bedeutet, eine Sprachform, bei der man ständig zwischen den Sprachen hin- und herwechselt, wird der Normalfall der informellen Kommunikation (vgl. Auer 1999, Gardner-Chloros 2009: 45ff.). Bei mit zwei Sprachen aufgewachsenen Bilingualen haben auch Input und Sprachgewohnheiten in der Familie einen Einfluss darauf, ob und wie viel geswitcht wird (Nicoladis 2008). 2.2.6 Grammatische Bestimmung von Code-Switching Neben der Diskussion um die Länge der Einheiten, der Funktionen und Bedingungen des Code-Switchings gibt es verschiedene Sichtweisen auf die Struktur oder die Prinzipien von Code-Switching: Eine Reihe von Arbeiten beschäftigt sich daher mit der grammatischen Seite von Code-Switching. 14 In ihnen wird versucht, festzulegen, an welcher Stelle im Satz oder innerhalb einer Phrase man von einer Sprache in die andere wechseln kann. Man stellt fest, dass gerade Wechsel an Satzgrenzen oder nach einem Teilsatz (wie oben in Bsp. 1) besonders häufig sind. In diesem Fall spricht man von intersententiellem Code-Switching, während der Wechsel innerhalb einer Satzeinheit als intrasententielles Code- Switching bezeichnet wird. 15 Hier muss man allerdings wissen, dass Grammatiktheoretiker, die sich mit Code-Switching befassen, oft eine weitere Definition des Begriffs haben, d.h. sie verstehen auch Erscheinungen darunter, die im Folgenden als Transfer beschrieben werden (s.u. Kap. 2.3). Die umfassendste und einflussreichste Theorie, die sich mit der grammatischen Bestimmung von Code-Switching auseinandersetzt, ist das Matrix Language Frame Model (MLF) von Carol Myers-Scotton (s. etwa Myers-Scotton 2002, 2006). 14 Einen Überblick über die verschiedenen Theorien gibt etwa Gardner-Chloros (2009: 91ff.). 15 Hier muss man auch beachten, dass manche Forscher (z.B. Pfaff 1997) nur von 'Code- Switching' sprechen, wenn es zwischen Sätzen auftritt (wie etwa in Bsp. 1), und im Falle von Mischungen innerhalb eines Satzes den Begriff 'Code-Mixing' verwenden. Wirkungen des Sprachkontakts 34 In diesem Modell werden bestimmte Beschränkungen (constraints) festgelegt, wann der Wechsel möglich ist und wann nicht. Danach gibt eine Sprache, die sog. 'Matrixsprache', den morphosyntaktischen Rahmen für die Äußerung vor, d.h. die Reihenfolge der Satzglieder und der Morpheme (also welche "Grammatik" gebraucht wird), und die andere Sprache wird darin "eingebettet" (= embedded language). Allerdings bildet die eingebettete Sprache manchmal auch "Inseln". Hier treten längere Einheiten innerhalb der Matrixsprache auf, die die entsprechende Grammatik der eingebetteten Sprache aufweisen. Außerdem können natürlich auch Matrixsprache und eingebettete Sprache ihre Rollen tauschen. Z.B. kann ein Sprecher zuerst Englisch mit eingebetteten deutschen Elementen sprechen und danach Deutsch mit eingebetteten englischen Elementen. Wichtig sind dabei zwei Prinzipien, das System Morpheme Principle, welches besagt, dass alle syntaktisch relevanten Morpheme von der Matrixsprache kommen müssen und das Morphem Order Principle, dem zufolge die Abfolge der Morpheme die Abfolge in der Matrixsprache nicht verletzen darf. D.h. gemäß diesem Prinzip kann man nicht sagen: *You will die Kirche see. Denn hier ist die Matrixsprache Englisch und deshalb sollte auch die Wortstellung dem englischen Muster folgen (in diesem Fall: You will see die Kirche). In einer neueren Version, dem sog. 4-M-Modell, gehen Myers-Scotton und Jake (2001) davon aus, dass es unterschiedliche Typen von Morphemen gibt, nämlich Inhaltsmorpheme und Systemmorpheme. Während bei Inhaltsmorphemen problemlos von einer Sprache in die andere gewechselt werden kann, muss man bei den Systemmorphemen differenzieren: Nur solche, die früh im Sprachproduktionsprozess aktiviert werden (early system morphemes) - wie Determinanten (unbestimmter/ bestimmter Artikel) und Partikeln bei Partikelverben - erlauben den Sprachwechsel. Bei Morphemen, die Beziehungen innerhalb einer Phrase oder eines Satzes anzeigen (late system morphemes) - wie Verb-Subjekt-Kongruenz - ist dagegen kein Code-Switching möglich (vgl. Myers-Scotton 2006: 267ff.). Dieses Modell wurde von verschiedenen Seiten kritisiert, u.a. von MacSwan (2000, 2005), der vorschlägt, das Minimalistische Programm von Chomsky auf Code-Switching anzuwenden. Danach bestimmen die in den lexikalischen Subsystemen verankerten grammatischen Merkmale, wie das jeweilige Element in den Satz eingepasst wird. MacSwan postuliert ein sog. Phonetic Form Disjunction Theorem. Das bedeutet, Code-Switching ist nicht zulässig innerhalb oder unterhalb eines Kopfes X°, da dieser direkt in die phonologische Form überführt wird und phonologische Systeme nicht gemischt werden können. Das Modell birgt allerdings ein theoretisches und ein methodisches Problem: Das Minimalistische Programm nach Chomsky ist ein Modell linguistischer Kompetenz (s. MacSwan 2005: 3). Es kann daher zu Missverständnissen führen, wenn 'Code-Switching', das ursprünglich als ein Phänomen der Performanz definiert wurde, nun als Teil einer grammatischen Kompetenz verstanden werden soll. Außerdem bleiben die Kriterien, nach welchen die Sprecher Beispiele von Code-Switching bewerten, unklar und sind intersubjektiv nicht nachvollziehbar. Ich plädiere daher für einen Eine Sprache nach dem Muster einer anderen verändern: Transferenz 35 Begriff von 'Code-Switching', der sich auf die Performanzebene beschränkt und die Produktionsbedingungen gesprochener Sprache berücksichtigt (s. auch oben zum psycholinguistisch ausgelösten Code-Switching und Bsp. 24). 2.3 Eine Sprache nach dem Muster einer anderen verändern: Transferenz 2.3.1 Transfer und Sprachveränderung In Kap. 2.2 haben wir gesehen, dass Mehrsprachige häufig zwischen ihren Sprachen wechseln. D.h. aber auch, dass beide (oder mehrere) Sprachen ständig in ihrem Gehirn präsent sind. Wenn sie eine Sprache benutzen, wird die andere nicht völlig ausgeblendet, sondern bleibt im Hintergrund und kann jederzeit aktiviert werden. Diese Tatsache bleibt nun nicht ohne Folgen für die betroffenen Sprachen. Die jeweils aktive Sprache kann in bestimmten Äußerungen nach dem Muster der anderen verändert werden. In der älteren Sprachkontaktforschung und Sprachlehrforschung sprach man in diesen Fällen von Interferenz. Es wurde aber kritisiert, dass der Terminus 'Interferenz' negativ sei, weil er eigentlich 'Einmischung' bedeutet (vgl. dazu Riehl 2001: 59). 16 Daher schlug u.a. Clyne vor, den Begriff Transferenz ('Übertragung', 'Übernahme') zu verwenden, den er folgendermaßen definiert: Transference is employed for the process of bringing over any items, features or rules from one language to another, and for the results of this process. Any instance of transference is a transfer. (Clyne 1991a: 160, Auszeichnungen im Original) Nach dieser Definition bedeutet Transferenz zum einen die Übernahme von Elementen einer Sprache in die andere und zwar auf verschiedenen Ebenen, nicht nur auf dem Gebiet der Lexik, sondern auch in der Phonetik/ Prosodie, Morphologie und Syntax sowie auf der Ebene des Textes. 17 Dabei kann eine Sprache S1 konkretes Material (sog. matter borrowing s. Matras 2009) oder abstrakte Strukturmuster von S2 übernehmen und in ihr System integrieren (sog. pattern borrowing, ebd.). Die Sprache verändert sich dadurch und wenn sich dieser Prozess über eine lange Zeit erstreckt, kann sich am Ende eine ganz andere Sprache daraus entwickeln. Meist geschieht es, dass sich S1 stärker an S2 angleicht und ihr ähnli- 16 Der Terminus 'Interferenz' wird bisweilen noch in der Sprachlehrforschung verwendet, um Übertragungen von der Ausgangsin die Zielsprache bei Sprachlernern zu beschreiben (vgl. Roche 2013: 94ff.). Aber auch hier handelt es sich aus psycholinguistischer Sicht um Transferprozesse (s.u.). 17 NB: In einigen Arbeiten der grammatiktheoretischen Richtung zu Code-Switching wird diese Unterscheidung nicht gemacht. Hier werden Phänomene, die in der traditionellen Sprachkontaktforschung als Transfer oder Interferenz definiert werden, als Code-Switching bezeichnet. Dies betrifft besonders lexikalischen, aber auch morphologischen Transfer. Wirkungen des Sprachkontakts 36 cher wird. In diesem Fall spricht man von Konvergenz der Sprachen (s. dazu auch Kap. 8.2). Eine weitere Möglichkeit des Transfers ist die der Übernahme von Bedeutungen und Funktionen einer anderen Sprache. Das geschieht sehr häufig im Bereich des Lexikons. Dabei übernimmt ein Wort in S1 eine zusätzliche Bedeutung, die das Übersetzungsäquivalent eines Wortes in der anderen Sprache S2 hat. Ein Beispiel: Im Namibiadeutschen findet man den Satz Diese Straße ist sehr beschäftigt. Hier bekommt das deutsche Wort beschäftigt die zusätzliche Bedeutung von engl. busy oder afr. beesig ('beschäftigt', 'vielbesucht', 'belebt'). Man könnte daher sagen, der Gebrauchskontext des Wortes beschäftigt wird ausgedehnt. Etwas Ähnliches geschieht, wenn man Funktionen von grammatischen Elementen von S1 auf grammatische Elemente überträgt, die in S2 bereits vorhanden sind: D.h. die Sprecher gebrauchen dann die Sprache S1 nach dem Muster der Sprache S2 oder S3. So verwenden etwa die Deutschen in Namibia einige Muster der Kontaktsprachen Afrikaans oder Englisch, z.B.: Sie generalisieren die Verbzweitstellung im Nebensatz analog zum Englischen: Ich war dort am Strand, als es fing an schrecklich zu regnen (engl. when it started to rain heavily). Sie bilden den Infinitiv mit um ... zu wie im Afrikaansen: Ich habe keine Lust, um nass zu werden (afr. Ek het nie lus om nat te word nie). Sie benutzen bei bestimmten Verben Übersetzungsäquivalente englischer Präpositionen: fragen für (statt nach): Sie frägt für Kerzen (engl. to ask for), gucken für (statt nach): Ich muss für Katzenkost gucken (engl. to look for). In diesen Fällen werden allerdings keine grammatischen Muster verwendet, die es im Deutschen nicht gibt, sondern es wird ein Muster, das schon vorhanden ist, auf andere Gebrauchskontexte ausgeweitet: Die Wortstellung im Hauptsatz wird auf den Nebensatz übertragen, die finale Infinitivkonstruktion mit um...zu auf alle Infinitive, der Präpositionalkasus mit für auf andere Verben. Eine ähnliche Beobachtung macht man auch bei der Verwendung des Futurs im deutsch-englischen Sprachkontakt. Zweisprachige deutsch-englische Sprecher in Australien benutzen die Futurform im Deutschen auch bei naher Zukunft, wo monolinguale Deutsche das Präsens verwenden würden (Der Hase und ich werden jetzt nicht hingucken, weil [= 'während'] Nikolas die Karten vermischen wird). Durch diese Prozesse werden die Sprachen sich ähnlicher, d.h. Ausdrucks- und Inhaltsseite werden stärker zur Deckung gebracht. Diese Fälle von Sprachkontakt sind besonders interessant, weil hier an der Oberfläche zunächst gar nicht zu erkennen ist, dass eine andere Sprache den Einfluss auf das System ausübt, denn es wird ja kein fremdes Material in die Sprache übernommen. Aber dennoch ist dies genau der Punkt, an dem sich die Sprache verändert und die Wirkungen des Sprachkontakts zum Tragen kommen (vgl. auch Bechert/ Wildgen 1991: 78ff.). Man spricht hier auch von Restrukturierung der Sprache. Mit diesen Phänomenen wird sich Kap. 6 genauer befassen. Eine Sprache nach dem Muster einer anderen verändern: Transferenz 37 Bei den gerade erwähnten Einflussprozessen muss man allerdings die Richtung des Einflusses unterscheiden: Denn bei dem Einfluss der Erstsprache (L1) auf die Zweitsprache (L2) sind andere Prozesse im Gange als bei dem Einfluss der Zweitsprache auf die Erstsprache, d.h. es sind verschiedene strukturelle Bereiche des Sprachsystems betroffen: beim Einfluss von L1 auf L2 zunächst Phonologie, Syntax und Semantik und beim Einfluss von L2 auf L1 zuerst die Lexik und dabei vor allem Inhaltswörter. Das sind Wörter, die eine kommunikative Relevanz haben wie Substantive, Adjektive oder Verben. Wird der Einfluss der Zweitsprache auf die Erstsprache (im Sinne der zuerst gelernten Sprache) immer größer und wird die Zweitsprache irgendwann die dominantere Sprache, können auch alle anderen strukturellen Bereiche vom Sprachkontakt betroffen sein. Was sich zunächst auf der Ebene des individuellen Sprechers abspielt, kann dann in den Sprachgebrauch der Sprechergemeinschaft übergehen (s. auch Winford 2010: 171). Thomason/ Kaufman (1988: 74ff.) haben verschiedene Stufen des Einflusses von einer Zweitsprache auf die Erstsprache zusammengetragen, die auch von dem jeweiligen Druck abhängig sind, den die Gemeinschaft, die die Zweitsprache spricht, ausübt. Diese Stufen habe ich in der nachfolgenden Tabelle zusammengestellt: S TUFE L EXIKON P HONOLOGIE / P ROSODIE M ORPHOLOGIE S YNTAX 1: G ELEGENTLI- CHER K ONTAKT Inhaltswörter 2: E TWAS INTENSIVERER K ONTAKT Konjunktionen; Adverbien neue Phoneme in Lehnwörtern alte Strukturen mit neuer Funktion; neue Satzgliedfolgen ohne eine typologische Veränderung 3: I NTENSIVER K ONTAKT Adpositionen; Personal- und Demonstrativpronomina; niedrige Zahlwörter neue Allophone; entlehnte prosodische Struktur und Silbenstruktur Ableitungsaffixe an einheimischen Wörtern; Flexionsaffixe an entlehnten Wörtern geringfügige typologische Veränderungen in der Satzgliedfolge 4: S TARKER KUL- TURELLER D RUCK neue distinktive Strukturen; neue Silbenstrukturbeschränkungen; allophonische Regeln neue automatische morphophonematische Regeln; entlehnte Flexionsaffixe und -kategorien Wandel in der Satzgliedfolge; syntaktischer Wandel mit geringem Kategorienwandel Wirkungen des Sprachkontakts 38 5: S EHR STARKER KULTURELLER D RUCK phonetischer Wandel; Verlust von phonetischen Kontrasten neue morphophonematische Regeln; Verlust autochthoner morphophonematischer Regeln; Veränderungen von Wortstrukturregeln kategorialer und extensiver morphosyntaktischer Wandel; zusätzliche Konkordanzregeln Tab. 1: Entlehnungsskala (Daten aus Thomason/ Kaufman 1988: 74ff., Tabelle aus Riehl 2001: 63) Wie man aus der Tabelle sehen kann, ist der Sprachkontakt sehr stark von äußeren Faktoren wie Intensität des Kontakts mit der Mehrheitssprache abhängig. Ist der Kontakt gering, gibt es nur lexikalische Entlehnungen, die sich auf Inhaltswörter beschränken und in der Regel nicht den Grundwortschatz betreffen. Bei etwas intensiverem Kontakt findet man neben lexikalischen auch strukturelle Einflüsse, die sich in der Übernahme neuer Phoneme in Lehnwörtern und der Übernahme von syntaktischen Strukturen, die nur neue Funktionen übernehmen, erschöpfen. Bei intensivem Kontakt ist die strukturelle Entlehnung größer: Adpositionen (Präpositionen oder Postpositionen), Wortbildungsaffixe und Pronomina werden übernommen, Allophone aus der Kontaktsprache werden zu eigenen Phonemen. Schließlich kommt es zu einer Phase, die Thomason/ Kaufman (1988: 74) mit kulturellem Druck (cultural pressure) umschreiben. Dieser Begriff ist zwar etwas unklar und wurde daher auch öfter kritisiert (vgl. Matras 2009: 156f.). Was damit aber zum Ausdruck gebracht werden soll, ist, dass in diesen Konstellationen die Mehrheitssprache sehr dominant ist: z.B. dass sie als alleinige Schriftsprache fungiert und fast in allen Domänen verwendet wird. Damit wird diese Sprache bei einem Großteil der Minderheitensprecher ebenfalls die dominante Sprache. Ist dieser kulturelle Druck stark bzw. sehr stark, kommt es dann zu umfassenden strukturellen Entlehnungen, die zu einem typologischen Wechsel der Sprache führen können und in Extremfällen auch zur völligen Aufgabe der Sprache (s.u. Kap. 11.2). Sprachtypologen gehen davon aus, dass keine linguistische Einheit, sei es eine einzelne Form oder eine Struktur, völlig "entlehnungssicher" (borrowing-proof, s. Aikhenvald 2008: 2) sei. Allerdings lässt sich beobachten, dass bestimmte grammatische Elemente sehr schnell in ein anderes System übernommen werden, andere dagegen nur unter besonderen Umständen. Dabei wird im Allgemeinen die folgende Reihenfolge der Entlehnbarkeit angenommen (Field 2002, vgl. Matras 2010: 76ff.): Inhaltswörter > Funktionswörter > agglutinierende Affixe > fusionierte Affixe Diese Unterschiede haben zum einen mit einer gewissen Stabilität im grammatischen System zu tun, das bedeutet, dass gebundene Morpheme in der Regel resis- Eine Sprache nach dem Muster einer anderen verändern: Transferenz 39 tenter sind gegen Transfer als ungebundene. Zum anderen spielen aber auch außersprachliche Faktoren wie Häufigkeit in der Verwendung eine Rolle (vgl. van Coetsem 2000). In mehrsprachigen Gemeinschaften lässt sich in der Regel feststellen, dass es bei den jüngeren Sprechern von Sprachminderheiten mehr und häufigere Sprachkontakterscheinungen gibt als bei den Vertretern der älteren Generation. Außerdem zeigen verschiedene Register unterschiedliche Sprachkontaktmuster. In der Regel ist der Sprachkontakt in den informellen Registern weiter fortgeschritten. Es gibt allerdings auch Sprachkontakt, der sich auf die Ebene der geschriebenen Sprache beschränkt, v.a. in den Anfängen der Schriftlichkeit (s. Kap. 12). 2.3.2 Lehnwort, Fremdwort, Ad-hoc-Entlehnung Das, was wir unter dem Begriff 'Transfer' im Bereich des Lexikons fassen, wird in der Regel als 'Lehnwort' oder 'Fremdwort' bezeichnet. Dieses Kapitel möchte daher kurz auf die verschiedenen Typen im Bereich der Wortschatzentlehnung eingehen. Weitere Erscheinungen des Transfers werden dann in Kap. 6 behandelt. Die deutsche Sprache hat im Laufe ihrer Geschichte sehr viele Wörter aus anderen Sprachen (hauptsächlich aus dem Lateinischen, Französischen und Englischen) übernommen, von denen viele heute ein so selbstverständlicher Bestandteil des deutschen Wortschatzes sind, dass viele Sprecher gar nicht wissen, dass altbekannte Wörter wie Nase (von lat. naso) oder Tante (von frz. tante) aus anderen Sprachen stammen (vgl. dazu Kap. 12). In 2.2.2 haben wir schon die Problematik der Entlehnung von einzelnen Wörtern angesprochen: Hier geht es nun darum festzulegen, ab wann ein Wort als Lehnwort angesehen werden kann. Bei der Bestimmung eines Lehnwortes spielen eine Reihe von Faktoren zusammen (im Folgenden nach Riehl 2001: 59f.): Gebrauchsfrequenz: Wie häufig tritt das Lexem auf? (z.B. Jeans vs. obsolet) Kommentierung des Begriffs: Bezeichnen die Sprecher das Wort als Lehnelement? (z.B. "T-Shirt kommt aus dem Englischen") Synonyme: Welche anderen Bezeichnungen gibt es in der entlehnenden Sprache? (z.B. Fahrrad - Bike) Flexion: Werden auch die fremden Endungen verwendet oder ist das Wort morphologisch in das System der entlehnenden Sprache integriert? (z.B. drei Cappucini vs. drei Cappuccinos) Intonation: Besteht ein fremder Akzent oder ein einheimischer Akzent? (z.B. Büró mit Endbetonung wie im Französischen gegenüber Pízza mit Anfangsbetonung wie im Deutschen) Soziale Diffusion: Kommt das Wort nur in bestimmten Gruppen oder im gesamten Wortschatz der Sprachgemeinschaft vor? (z.B. cool in der Jugendsprache vs. Computer in der Allgemeinsprache) Wirkungen des Sprachkontakts 40 Gebrauchssituation: In welchen Diskursen oder Texten tritt das Wort auf? (z.B. Lexem in linguistischen Fachtexten vs. Ekzem auch in Alltagstexten) Phonemkombinationen: Sind die Phonemkombinationen mit denen in der entlehnenden Sprache kompatibel? (z.B. Drink wie dt. Drang vs. Snob mit einer untypischen Lautkombination im Anlaut) Betz (1949) hat in seiner einschlägigen Arbeit über Entlehnung die beiden Begriffe 'Lehnwort' und 'Fremdwort' festgelegt und definiert. Die Unterscheidung ist aber sehr schwer zu treffen. Bereits 1897 hatte Schuchardt diese beiden Begriffe kritisiert und ein Kontinuum gefordert, das auf synchronen Kriterien wie Bewusstsein der Sprecher über Fremdheit des Wortes oder Vertrautheit beruht (s. dazu Clyne 2004: 801). Ob ein Wort als Fremdwort oder Lehnwort eingeordnet wird, richtet sich entweder nach dem Grad der Assimilation und Integration in den Wortschatz einer Sprachgemeinschaft oder aber nach semantisch-strukturellen Kriterien. Dabei überschneiden sich beide Aspekte häufig. Poplack (1988: 221) verbindet beide Ansätze, indem sie fordert, dass man von Entlehnung nur dann sprechen dürfe, wenn die entsprechende Form bei vielen oder allen Sprechern auftrete, wenn sie phonologisch und morphologisch in die Nehmersprache integriert sei und darüber hinaus syntaktische Regeln der Nehmersprache akzeptiere. Es ist allerdings problematisch, linguistische Anpassung und Akzeptanz bzw. Verbreitung als Kriterium anzusetzen, da ein Großteil des Vokabulars einer Einzelsprache gruppenspezifisch ist oder sich auf ein bestimmtes Register bezieht. So kann einerseits ein morphologisch und phonetisch ins System integriertes Wort den meisten Sprachbenutzern unbekannt sein, wie im Deutschen das Wort Fillüre ('Gewebe'), und andererseits Material, das phonetisch nicht integriert ist, sehr weit verbreitet sein, wie das oben bereits erwähnte Restaurant. 18 Der Begriff 'Fremdwort' wird unter dieser Voraussetzung sinnentleert, da hier keinerlei "Fremdheit" vorliegt. Dies ist gerade in mehrsprachigen Situationen der Fall, wo die Kontaktsprache sehr vielen Sprechern und nicht nur einer kulturellen Elite äußerst vertraut ist. Von Polenz (1967: 15) schlägt daher vor, dann von Fremdwort zu sprechen, wenn eine Sprache ein Wort (oder einen Ausdruck) einer anderen nur gelegentlich und als Zitat gebraucht, und von Lehnwörtern, wenn die entsprechenden Wörter zum üblichen Vokabular wenigstens einer größeren Gruppe von Sprechern gehören. In der englischsprachigen Literatur wird hier keine Unterscheidung getroffen: Hier hat sich der Begriff loanword für beide Erscheinungen eingebürgert (vgl. Hoffer 1996: 543). 19 18 Vgl. dazu aber die Bemerkung von Grosjean (2008) zum Akzent in einer Sprache und oben S. 23. 19 Van Coetsem (1988: 8ff.) hat allerdings in Anlehnung an Haugen die Unterscheidung zwischen imitation und adaptation eingeführt. Im ersteren Fall wird die phonologische Form des entlehnten Wortes beibehalten, im letzteren wird das Wort in das phonologische System der Aufnahmesprache eingepasst (vgl. dazu auch Winford 2010: 173). Eine Sprache nach dem Muster einer anderen verändern: Transferenz 41 Wie bereits in Kap. 2.2.1 angesprochen, finden sich in den Äußerungen von Mehrsprachigen häufig einzelne Wörter aus der jeweils anderen Sprache, die äußerlich von Lehnwörtern nicht zu unterscheiden sind. Sie kommen aber nur bei diesem Sprecher oder wenigen anderen vor und sind nicht sehr weit verbreitet. Hier kann man deshalb nicht von Lehnwort sprechen, weil dafür ja die Bedingung ist, dass es in der ganzen Sprachgemeinschaft akzeptiert sein muss. Man spricht daher in diesem Fall von Ad-hoc-Entlehnung (zur Problematik der Abgrenzung von Code-Switching s. Kap. 2.2.2). Allerdings handelt es sich bei der sozialen Akzeptanz um eine problematische Kategorie. Gerade in einer Minderheitensituation werden nämlich bestimmte Entlehnungen aus der L2 von einigen Sprechern aufgrund einer bestimmten sprachpolitischen Haltung heraus bewusst abgelehnt, oder ihre Existenz wird sogar geleugnet. So etwa bei der deutschsprachigen Minderheit in Südtirol: In den Zeitungen erscheinen häufig Leserbriefe, die sich über Italianismen im Südtiroler Deutschen beklagen (vgl. das Beispiel u. S. 198). Ob eine mehrsprachige Gemeinschaft viele oder wenige Entlehnungen in ihrem allgemeinen Sprachgebrauch hat, hängt vom kommunikativen Verhalten (wird oft zwischen den Sprachen gewechselt oder nicht), vom Prestige der Kontaktsprache und von den sozialen Netzwerken ab (viel oder wenig Umgang mit den Sprechern der Umgebungssprache) (vgl. Winford 2003: 40f.). 2.3.3 Ad-hoc-Transfer, stabiler Transfer, Sprachwandel Die Beobachtungen, die wir nun für lexikalische Phänomene gemacht haben, lassen sich auch auf grammatische Phänomene übertragen. Wie wir in Kap. 2.3.1 gesehen haben, findet der Transfer auf allen Ebenen der Sprache statt. Auch hier lassen sich Übernahmen in einzelnen Sprecheräußerungen von Erscheinungen im Sprachgebrauch einer ganzen mehrsprachigen Gemeinschaft trennen. Ob Sprachkontaktphänomene in einer Sprache Fuß fassen, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die auch für Sprachwandel in einsprachigen Gesellschaften relevant sind und die etwa Keller (2003) sehr anschaulich dargestellt hat. Sprecher wollen nicht die Sprache verändern, sondern sie benutzen bestimmte neue Formen und Strukturen, weil sie entweder ökonomischer oder anschaulicher sind als die bisher verwendeten oder bestimmten kommunikativen Prinzipien (wie z.B. Höflichkeit) folgen. Bei mehrsprachigen Sprechern kommt hinzu, dass sie oft nach funktionalen Äquivalenten von einer Sprache in der anderen suchen (vgl. Hickey 2010). Wenn viele Sprecher den gleichen Prinzipien folgen und damit die gleichen Ausdrucksformen verwenden, so breiten sich diese Erscheinungen im Sinne eines Prozesses der unsichtbaren Hand in der gesamten Sprachgemeinschaft aus und werden damit zur allgemeinen Konvention. Weiter sind auch das Sprachmanagement (s. Kap. 11.4) und sprachinterne Entwicklungen von Bedeutung, wie in Kapitel 6 zu zeigen sein wird (zum Sprachwandel durch Sprachkontakt s. auch die Beiträge in Chamoreau/ Léglise 2012). Wirkungen des Sprachkontakts 42 2.4 Zusammenfassung Wie gezeigt wurde, beeinflussen verschiedene Phänomene den Sprachkontakt: Wenn die Sprachen in einer Sprachgemeinschaft eine funktionale Trennung erfahren (Diglossie), treten sie nicht so häufig in Kontakt, als wenn sie in ein und demselben Diskurs abwechselnd auftreten (Code-Switching). Wir haben gesehen, dass Letzteres ganz bewusst von den Sprechern eingesetzt werden kann (soziolinguistisch motiviertes Code-Switching), aber auch durch interne Prozesse ausgelöst werden kann (psycholinguistisch motiviertes Code-Switching). Das eigentliche Interesse der Sprachkontaktforschung liegt dabei auf der Tatsache, ob eine Sprache Elemente aus dem Wortschatz oder der Grammatik der Kontaktsprache übernimmt und wie sie diese in die eigene Sprache integriert (Transfer). Ein prominentes Beispiel dafür ist die lexikalische Entlehnung, weil sie in allen Sprachen vorkommt und je nach Stärke des Kontakts viel oder wenig Wörter in der anderen Sprache hinterlässt. 3 Methoden der Sprachkontaktforschung 3.1 Allgemeines Die Methoden, die in der Sprachkontaktforschung angewandt werden, sind vielfältig und in der Regel aus anderen Disziplinen übernommen: So geht vor allem die Methode der Datenerhebung im Bereich der Sprachgeographie auf die dialektologische Forschung zurück. Hiermit lassen sich Zusammenhänge und Übergänge zwischen einzelnen Arealen feststellen. Fragetechniken im Bereich freies oder gesteuertes Interview werden aus Soziologie und Ethnologie übernommen, ebenso wie freie Beobachtung im Rahmen der Feldforschung. Geht es aber um individuelle Mehrsprachigkeit und um die Vernetzung der Sprachen im Gehirn, so wird in der Regel auf psycholinguistische Testmethoden Bezug genommen. Schließlich erhält man Aufschlüsse über die Speicherung der Sprachen und Abrufprozesse über moderne Methoden der Neurophysiologie. 3.2 Sprachgeographie Sprachen sind geographisch verteilt und bilden räumliche Muster (Sprachräume). Die Distribution hat aber eine Tiefendimension. Die einzelnen Merkmale von Sprache, wie phonetische, morphologische, syntaktische, semantische, aber auch pragmatische Merkmale können kovariieren oder divergieren. D.h. die Sprachen in Kontakt können auf einem Gebiet (z.B. der Phonetik) Gemeinsamkeiten haben, auf dem anderen (z.B. der Syntax) sich voneinander unterscheiden. Um die geographische Verteilung von Sprachvarietäten darzustellen, werden über den gesamten Sprachraum verteilt Daten erhoben und in Sprachatlanten aufgezeichnet. Diese Daten werden gesammelt, indem ein Explorator von Ort zu Ort geht und die Antworten der Informanten entweder sofort schriftlich aufzeichnet oder mit einem elektronischen Aufnahmegerät aufnimmt. Die Aufzeichnung auf einen Tonträger hat den Vorteil, dass durch wiederholtes Abhören auch lautliche Nuancen festgestellt werden können (vgl. Niebaum/ Macha 2006: 15f.). Eine Vergleichbarkeit der Daten ist allerdings nur dann gewährleistet, wenn ein fester Katalog von Fragen vorliegt. Die Fragen bestehen entweder aus Sätzen, die der Informant übertragen soll, oder aus Wörterlisten. Bei den neueren Sprachatlaserhebungen werden Fragebücher verwendet, die thematisch angelegt sind, teilweise Bildmaterial enthalten oder in denen das Gemeinte umschrieben wird: Man kommt von der Sache zum Wort, sog. 'onomasiologische Methode' (Beispiel: Wie nennt man das Gemüse aus grünen Blättern, das mit Essig und Öl angemacht wird? [Zielwort: Salat]. Manchmal wird auch ein Lückentext vorgelegt (vgl. ebd.). Methoden der Sprachkontaktforschung 44 3.2.1 Grenzenüberschreitende Sprachatlanten: Beispiel ALE Sprachatlanten sind normalerweise rein nationalsprachlich angelegt. Beispiele für Sprachatlanten, in denen auch Übergangszonen erfasst werden, sind der Sprachatlas Italiens und der Südschweiz (AIS), der Allgemeinslawische linguistische Atlas (OLA) und der Atlas linguarum Europae (ALE). Der ALE wurde 1970 unter der Schirmherrschaft der UNESCO gegründet und ist ein Beispiel für einen Sprachen und Länder überschreitenden Atlas. Seine Grundkonzeption ist die Dokumentation der Mehrsprachigkeit im Großraum Europa. Er umfasst sechs Sprachfamilien mit 22 Sprachgruppen und den dazugehörigen Einzelsprachen, die sich auf 51 Länder bzw. Gebiete zwischen Island und dem Ural verteilen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Wortgeographie, aber auch alle anderen Aspekte der Sprachen sollen berücksichtigt werden. Das erste Fragebuch besteht aus ca. 500 Fragen, die verschiedenen schon bestehenden dialektologischen Fragebüchern entnommen sind. Ein zweites Fragebuch fragt dann bestimmte semantische Felder ab, z.B. Verwandtschaftsbezeichnungen, Farbbezeichnungen, Grußformen, räumliche Dimensionen etc. Da es zwischen vielen Begriffen keine 1: 1-Übersetzungen gibt, werden alle Fragen in Form von Umschreibungen gestellt. Ein Beispiel: Wenn man das Wort Regenbogen hören möchte, fragt man: "Wie heißt der farbige Halbkreis, den man nach einem Gewitter am Himmel sieht? " (vgl. Weijnen et al. 1976: 26, Übersetzung CMR). Außerdem gibt es noch einen Katalog mit Abbildungen von Gegenständen. Inzwischen liegen 7 Bände vor und eine digitalisierte Version ist ebenfalls in Planung (s. Viereck 2008). Ein Beispiel zur Motivation des Begriffs 'Regenbogen': Abb. 4: Karte A: Motivation 'Bogen' (Ausschnitt aus dem ALE, Vol. 1) Sprachgeographie 45 Die Karten verzeichnen etwa 3000 Ortspunkte, für die jeweiligen Bezeichnungen werden in die Karte Symbole eingetragen, die in einer Legende entschlüsselt werden. Pro Etymon, d.h. Wort gleichen Ursprungs wie it. arco, frz. arc 'Bogen', gibt es ein Symbol, wie in dem in Abb. 4 gezeigten Ausschnitt. Für die Wörter mit der Bedeutung 'Regenbogen' gibt es insgesamt vier Karten: A: Karte für alle Komponenten mit der Bedeutung 'Bogen' (s. abgebildeten Ausschnitt) B: Karte mit Varianten für das bestimmte Wort C: Karte für die Bestimmungswörter mit einer naturbezogenen Bedeutung D: Karte für Bestimmungswörter mit mythologischem Inhalt Diese Aufbereitung in vier verschiedene Karten lässt Rückschlüsse auf Prozesse des Sprach- und Kulturkontakts und auf Überlagerungen zu. Sie werden in einem Kommentarband erläutert. Es stellt sich heraus, dass trotz unterschiedlicher Etyma die Mehrheit der Wörter eine Komponente mit der Bedeutung 'Bogen' enthält (Karte A): lat. arcus, germ. *bogan, slav. doga, gr. toxon. Als Varianten dafür (Karte B) fanden sich relativ wenige Bezeichnungen wie 'Gürtel', 'Heiligenschein', 'Ring' (und andere runde Objekte). Im bestimmenden Wort findet man an naturbezogenen Bezeichnungen (Karte C) Wörter mit der Bedeutung 'Regen', 'Wasser', 'Donner', 'Wetter', 'Himmel', 'Farbe', 'Licht', 'Sonne', 'Abend'. Bestimmungswörter mit mythologischem Inhalt (Karte D) sind Begriffe von Tieren (z.B. litauisch straubl s 'Rüssel'), Göttern (span. arco iris 'Bogen der Göttin Iris') oder christliche Begriffe (frz. couronne 'Heiligenschein'). Neben den Gemeinsamkeiten im Wortschatz kann man hier auch sehr schön sehen, wie mythologische Vorstellungen durch die Kulturkreise wandern (vgl. Alinei et al. 1983: 47ff.). Aus kulturhistorischer Sicht lassen sich verschiedene Schichten im Wortschatz sowie ihre Vernetzung in den verschiedenen Sprachgruppen und Sprachfamilien rekonstruieren (vgl. Viereck 2005). 3.2.2 Dialektometrie Ein Bild von der Sprachähnlichkeit und der Sprachverschiedenheit sowie den zugrunde liegenden Sprachkontaktprozessen kann mit modernen Methoden der Computergraphik am besten vermittelt werden. Eine wichtige Methode ist hierbei die sog. 'Dialektometrie', die maßgeblich von dem Romanisten Hans Goebl entwickelt wurde (vgl. Goebl 2001). Dabei werden in eine Datenmatrix die für eine Anzahl von Karten und Kartierungspunkten zutreffenden Werte eingetragen. Mit Hilfe von farbigen Darstellungen oder Höhenprofilen lässt sich dann die Ähnlichkeit von verschiedenen Sprachen oder Varietäten feststellen. In folgendem Beispiel soll das anhand der Umsetzung der Daten des Atlasses für Italien und die Südschweiz gezeigt werden: Methoden der Sprachkontaktforschung 46 Abb. 5: Ähnlichkeitskarte zum AIS-Messpunkt 261 (Mailand) (aus Goebl 1994: 182) Die Abbildung zeigt die Konzentration hoher Ähnlichkeitswerte rund um Mailand (mit Wert 6) und extrem niedrige Ähnlichkeitswerte (mit Wert 1) im Aostatal, in Graubünden und Südtirol. Daraus kann man erkennen, dass dort Sprachen gesprochen werden, die weit weniger in Kontakt mit der Mailänder Varietät sind. Das Verfahren der Dialektometrie lässt sich für alle Sprachen und Daten anwenden, und man kann damit die sprachliche Bewirtschaftung des Raumes und historische Entwicklungslinien aufzeigen (vgl. Goebl 2006, 2010). Grundsätzlich zeigen die Methoden der Dialektologie und ihre Aufarbeitung in Sprachkarten, wie Varietäten miteinander in Kontakt stehen, d.h. wo sie sich überschneiden und wo sie Unterschiede aufweisen. Grenzüberschreitende Atlanten haben den Vorteil, dass sie auch zeigen können, wie sich Dialekte unter dem Einfluss verschiedener Dachsprachen in unterschiedliche Richtungen entwickeln (vgl. Goebl 2000; damit beschäftigen wir uns besonders in Kap. 8). Allerdings liegt bei dialektologischen Methoden der Schwerpunkt eindeutig auf der Laut- und Wortgeographie, d.h. Unterschiede und Kontaktphänomene in grammatischen Strukturen werden in der Regel kaum erfasst und sind auch mit der Fragebuchmethode schwierig zu erheben. Hier greift man in der Regel auf Corpora zurück (s.u Kap. 3.4). 3.3 Soziolinguistische Herangehensweisen Soziolinguistische Fragestellungen fokussieren besonders auf das Verhalten von Sprechern in bestimmten Domänen, die schon von Fishman (1965) im Hinblick auf die Diglossieforschung angesprochen wurden. Fishmans zentrale Frage und Titel seines Aufsatzes lautete: Who speaks what language to whom and when? Um diese Frage zu beantworten, sind verschiedene Methoden entwickelt worden, die Soziolinguistische Herangehensweisen 47 entweder aus der Soziologie (Fragebögen, Interviews) oder aus der Ethnographie (teilnehmende Beobachtung) übernommen wurden. Diese Erhebungsmethoden sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. 3.3.1 Erhebung soziolinguistischer Daten 3.3.1.1 Fragebögen Bevor ein Fragebogen erstellt werden kann, müssen zunächst die Faktoren eruiert werden, die für die zu untersuchende Situation wichtig sind. Z.B.: Wie viele Sprachen werden gesprochen? Wie sind diese in der Bevölkerung verteilt? Welches sind die Schulsprachen oder Amtssprachen, etc.? Diese Daten kann man entweder der Fachliteratur entnehmen oder indem man Gewährspersonen vor Ort befragt. Hier eignen sich besonders Multiplikatoren wie Priester, Lehrer oder Vertreter von Institutionen. Es ist ratsam, beide Möglichkeiten zu verbinden. Aufgrund der Einschätzung, die sich daraus ergibt, wird ein Fragebogen entwickelt und eine Befragung mit Hilfe des Fragebogens vor Ort durchgeführt. Dieser Fragebogen kann auch in einzelnen Teilen nur als Leitfaden eingesetzt werden, d.h. hier kann man auch Raum für freiere Äußerungen lassen (zum Entwurf eines Fragebogens vgl. Albert/ Marx 2010: 65ff.). Der Fragebogen soll die folgenden Aspekte berücksichtigen (nach Nortier 2008: 39): I Sprachbiographie II Sprachgebrauch in verschiedenen Bereichen III Sprachdominanz IV Spracheinstellungen Sprachbiographische Daten umfassen neben Einzelheiten zur Biographie des Sprechers wie Alter, Beruf, Schulbildung, vor allem Daten über den Erwerb der Sprachen (wann und in welchem Umfeld). Sprachgebrauch in verschiedenen Bereichen betrifft die private, berufliche und öffentliche Sphäre; hier soll eine eventuelle diglossische Verteilung festgestellt werden (vgl. Kap. 2.1). Der private Bereich kann eingeteilt werden in Sprechen mit Kindern, Ehepartnern, Eltern, Verwandten und Freunden. Die öffentliche Sphäre kann unterteilt werden in Verwaltung, Handel und Verkehr (Einkaufen, Arzt, Apotheker usw.), aber auch Freizeitstätten (Kino, Schwimmbad) oder Kneipen und Restaurants. Der Bereich Beruf kann das spezielle Sprachverhalten mit Kollegen, Untergebenen und Vorgesetzten, aber auch Kunden beinhalten. Allerdings muss man immer die Möglichkeit ins Auge fassen, dass sich die Bereiche vermischen: Es gibt keine allgemeine Klassifikation von Domänen, da man z.B. auch mit Arbeitskollegen befreundet sein kann oder gerade auf dem Dorf die öffentliche Sphäre nicht von Methoden der Sprachkontaktforschung 48 der privaten getrennt werden kann. Jeder kennt den Bäcker im Dorf und weiß, welche Sprache oder Varietät er spricht. Um Sprachdominanz abzufragen, soll man neben Fragen zur Selbsteinschätzung eruieren, in welcher Sprache man Briefe schreibt, Witze erzählt, rechnet oder träumt, welche Sprache man mit Haustieren verwendet oder in welcher Sprache man flucht. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, welche Medien der Sprecher in welcher Sprache verwendet, z.B. Fernsehen, Rundfunk, Zeitungen, Bücher und Internet. Informationen über die gesellschaftliche Sprachverteilung und individuelle Sprachdominanz lassen Aussagen auf zugrunde liegende Prozesse zu: D.h., wenn eine Sprache/ Varietät X nur noch in der privaten Sphäre gesprochen wird, könnte das auf längere Sicht zum Sprachwechsel führen. Das kann man etwa sehr schön bei den aktuellen Entwicklungen des Deutschen in Osteuropa feststellen (s. dazu Kap. 11). Die Spracheinstellungen kann man u.a. erfahren, wenn man danach fragt, welche Sprache die Sprecher am liebsten sprechen und welche Sprache sie am schönsten finden. Das kann sehr aufschlussreich sein, wie eine Studie, die wir an Kölner Schulen durchgeführt haben, zeigte: Von etwa 100 zweisprachig aufgewachsenen Kindern haben 34,2% zwar angegeben, dass sie Deutsch am liebsten sprechen, aber nur 5,3%, dass ihnen die Sprache am besten gefällt. Dies lässt darauf schließen, dass die Schüler das Deutsche deshalb am liebsten sprechen, weil sie es am besten beherrschen und nicht, weil sie es mehr schätzen als die Muttersprache. 3.3.1.2 Teilnehmende Beobachtung Eine weitere wichtige Methode, um Sprachgebrauch und Sprachverhalten zu eruieren, stammt aus der Ethnologie, nämlich die teilnehmende Beobachtung: Hierbei nimmt der Forscher selbst an der Interaktion teil und wird von anderen Personen als Teil des Handlungsfeldes gesehen (vgl. Albert/ Marx 2010: 43ff., Bowern 2010: 352). Bereits Fishman und seine Kollegen (Fishman ed. 1971) haben in ihrer berühmt gewordenen Studie zur Mehrsprachigkeit in einer Englisch-Puerto- Ricanischen Sprachgemeinschaft teilnehmende Beobachtung mit einbezogen: Sie gingen auf Hochzeiten und Beerdigungen, saßen mit den Leuten in Straßencafés, passten auf deren Kinder auf und konnten so quasi als Gruppenmitglied den Sprachgebrauch der Gruppe beobachten. Dieser Versuch, Teil der Gruppe zu werden, ist zwar zeitaufwändig und gelingt auch nicht immer (z.B. kann eine Frau aus Mitteleuropa niemals Mitglied einer Gruppe von muslimischen Männern werden), hat aber den großen Vorteil, dass man dann das sog. 'Beobachterparadox' überwinden kann. Dieses Paradox bedeutet, dass ein Beobachter, der nicht Teil der Gruppe ist, als Fremdkörper in der Gruppe wahrgenommen wird und die Gruppe sich damit nicht authentisch verhält (vgl. Nortier 2008: 44ff.). Die Beobachtungen, die man als teilnehmender Beobachter macht oder auch Äuße- Soziolinguistische Herangehensweisen 49 rungen, die man hört, werden dann protokolliert und können ebenso als Teil der Datenbasis oder zur Interpretation der vorgefundenen Phänomene dienen. 3.3.1.3 Interviews Die in der Sprachkontaktforschung wohl am häufigsten verwendete Methode ist die Befragung von Gewährspersonen in Form von Interviews: Hierbei unterscheidet man zwischen dem gesteuerten Interview, das sozusagen aus einer Art "Abfragen" eines vorbereiteten Leitfadens besteht, und dem freien soziolinguistischen Interview, das sich frei entwickeln kann. Dadurch können die Sprecher ein möglichst natürliches Gesprächsverhalten zeigen. Die Vor- und Nachteile der beiden Formen von Interviews liegen auf der Hand: Um eine möglichst objektive Vergleichbarkeit der erhobenen Daten zu erzielen, eignet sich das gesteuerte Interview besser. Außerdem werden hier vor allem nicht-sprachliche Faktoren erhoben, die für die Interpretation von Sprachverhalten notwendig sind. Das ungesteuerte, freie Interview bietet dagegen wesentlich authentischeres Sprachmaterial und lässt so viele Rückschlüsse auf das tatsächliche Sprachverhalten zu. Es liefert auch Daten zur Sprache, die zu einem Corpus zusammengefasst werden können (s.u.). Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, beide Erhebungsmethoden miteinander zu verbinden, d.h. etwa mit einem gesteuerten Interview zu beginnen, bei dem die wichtigsten persönlichen Daten abgefragt werden, und dann in einen freien, ungesteuerten Teil überzugehen. Grundsätzlich muss man dabei im Auge behalten, dass Interviews als Erzählungen aufzufassen sind, in denen der Sprecher nur das äußert, was er von sich preisgeben will, und dass er sich in einem bestimmten Licht darstellen wird. Ein Beispiel: In einem Interview, das wir 2001 in Mukatschewo mit einer Angehörigen der deutschsprachigen Minderheit in der Ukraine geführt haben (vgl. Hvozdyak 2008), behauptet die Informantin, dass sie mit der Tochter nur Deutsch spreche, obwohl die Umgebungssprachen Ukrainisch und Ungarisch sind. Zufällig kommt die Tochter während der Aufnahmen zur Tür herein, und sie und ihre Mutter sprechen Ungarisch miteinander! Die gerade beschriebenen Methoden eignen sich besonders, um den Sprachgebrauch und das Sprachverhalten der Sprecher festzustellen. Die Daten geben Auskunft über die Kompetenz der Sprecher in den Sprachen und die Dominanz der einen oder anderen Sprache. Diese Informationen werden u.a. dazu verwendet, um die Intensität des Sprachkontakts zu erklären. Wie wir in Kap. 2.3.1 gesehen haben, gehen ja Thomason/ Kaufmann (1988) davon aus, dass der Kontakt zur Umgebungskultur und gegebenenfalls auch der kulturelle Druck eine wichtige Rolle in Bezug auf die Intensität der Kontaktphänomene spielen. Ein weiterer wichtiger Indikator für Sprachkontaktprozesse ist die Einstellung der Sprecher gegenüber Sprache und Eigenart einer Kontaktgruppe. Dieser Aspekt wird zwar ebenfalls in den Interviews und Fragebögen erfragt, man muss Methoden der Sprachkontaktforschung 50 aber immer damit rechnen, dass - wie oben erwähnt - die Sprecher manche Dinge anders darstellen. Eine eindrucksvolle Methode, um objektive Daten in diesem Bereich zu gewinnen, sind verdeckte Fragemethoden, die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen. 3.3.2 Sozialpsychologische Befragungen Im Bereich der Einstellungsforschung hat sich eine aus der Sozialpsychologie übernommene experimentelle Vorgehensweise sehr bewährt, nämlich der sog. Subjective Evaluation Test (Chambers 2000: 73). Diese Methode wurde von Wallace Lambert und seinen Kollegen von der McGill University in Montreal, Québec, entwickelt. Lambert et al. (1960) stellten dabei die zentrale Bedeutung von Sprache beim Evozieren subjektiver Reaktionen fest, die Identität, Vorurteile und Stereotype erkennen lassen. In einem ersten Test führten Lambert et al. eine Studie mit 64 englischsprachigen und 68 französischsprachigen Kanadiern durch. Die Versuchspersonen sollten zehn Tonbandausschnitte interpretieren, von denen die Hälfte auf Französisch und die andere Hälfte auf Englisch gesprochen wurde. Die Versuchspersonen sollten dabei die Sprecher nach bestimmten Eigenschaften einstufen. Es waren 14 Eigenschaftstypen vorgegeben, die auf einer Skala mit sechs Feldern von very little bis very much einzuordnen waren. Dabei gab es zwei verschiedene Bewertungsklassen: gesellschaftlich relevante Leistungen wie Bildung, Reichtum, Zielstrebigkeit und individuelle Charaktereigenschaften wie Freundlichkeit, Sympathie, Vertrauenswürdigkeit. Was die Probanden nicht wussten, war, dass Lambert das sog. matched guise- Verfahren anwandte, d.h. er setzte hauptsächlich zweisprachige Sprecher ein: Acht Ausschnitte waren von vier bilingualen Sprechern und zwei von monolingualen. Ein Ergebnis war, dass die bilingualen Personen, je nachdem, ob sie Französisch oder Englisch sprachen, unterschiedlich bewertet wurden. Damit konnte man eindeutig sagen, dass hier die Sprachgruppenzugehörigkeit und nicht die Sprecher selbst bewertet wurden. Es zeigte sich, dass die englischsprachigen Probanden englischsprachige Sprecher in den Bereichen gutes Aussehen, Intelligenz, Verlässlichkeit und Zielstrebigkeit höher einschätzten, die französischsprachigen Stimmen dagegen im Bereich Sinn für Humor. Französischsprachige Probanden schätzten englischsprachige Stimmen gleich ein wie ihre englischsprachigen Kollegen, bestätigten ihnen aber zusätzlich noch Selbstvertrauen und Führungsqualitäten, schätzten dagegen bei den französischsprachigen Stimmen noch Religiosität und Freundlichkeit höher ein. Das überraschende Resultat ist, dass die Probanden mit ihrer Einschätzung zeigen, wie sie von Personen denken, die mit einem bestimmten Akzent sprechen. Wenn die Meinungen der Probanden übereinstimmen, enthüllen sie bestimmte Einstellungen oder Stereotype ihrer Sprachgemeinschaft (vgl. Chambers 2000: 75). Ein weiteres Ergebnis war, dass die französischsprachigen Probanden ihre eigene Sprache negativer einschätzten als die der anderen Gruppe. Das wur- Corpuserstellung und aufbereitung 51 de in weiteren Experimenten in anderen Gruppen bestätigt (z.B. bei Cockney- Sprechern, neufundländischen Studenten oder cantonesischen Arbeitern, vgl. dazu ebd.). Der Befund hängt damit zusammen, dass die ökonomisch und politisch schwächere Gruppe Bewertungsnormen der stärkeren übernimmt. Ausgenommen davon sind solidaritätsbezogene Charakteristika wie Freundlichkeit, Religiosität oder Vertrauenswürdigkeit. Die in diesem Unterkapitel vorgestellten Methoden dienen zur Interpretation von Sprachkontaktdaten und werden in vielen Forschungen zusammen mit dem Sprachcorpus erhoben, um allgemeine Aussagen zur Entwicklung der Sprachen machen zu können. Dazu muss man wissen, wie die Phänomene in der Sprachgruppe verteilt sind. Die zentrale Aufgabe der Sprachkontaktforschung ist jedoch die Erstellung eines geeigneten Corpus, anhand dessen die Sprachkontaktphänomene aufgezeigt und interpretiert werden können. 3.4 Corpuserstellung und aufbereitung Eine grundlegende Problematik bei der Corpuserhebung besteht immer noch darin, wie man eine möglichst authentische und verlässliche Datenbasis bekommt. Die meisten Daten kommen dabei aus Äußerungen der gesprochenen Sprache. Diese können in Gesprächen aufgenommen (3.4.1.1) oder in besonderen Fällen auch elizitiert werden (3.4.1.2). Gelegentlich werden auch schriftliche Daten herangezogen (3.4.1.3). 3.4.1 Datenerhebung 3.4.1.1 Spontane und gesteuerte Gespräche Es bietet sich an, die Daten, die man in den Interviews mit den Gewährspersonen erhoben hat, zu transkribieren und sie nicht nur inhaltlich auszuwerten, sondern auch als sprachliches Datenmaterial zu verwenden. Das gilt besonders für die ungesteuerten Passagen der Interviews. Diese Methode wurde v.a. bei unserem Projekt zu Deutsch in Osteuropa angewendet (s. Eichinger/ Plewnia/ Riehl 2008). In diesem Projekt wurden etwa 45-50 Interviews pro Sprachgemeinschaft mit einer Länge von je 1-1,5 Stunden geführt, so dass hier eine relativ umfangreiche Datenbasis existiert. Man muss sich aber vor Augen halten, dass es sich auch bei narrativen Interviews um eine eher formelle Sprechsituation handelt, bei der der Sprecher im monolingualen Sprachmodus zu kommunizieren versucht. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Sprachform. Sprachkontaktphänomene werden bisweilen bewusst unterdrückt. Statt einer "Interviewform" lassen sich auch freie Sprachdaten aufnehmen: Häufig ist es so, dass im Laufe des Interviews andere Gesprächspersonen hinzukommen (wie im obigen Beispiel) oder dass die Interviewten Telefongespräche - - Methoden der Sprachkontaktforschung 52 entgegennehmen. Diese Passagen kann man mitschneiden und hat dann authentischere Vergleichsdaten. 20 Die beste Quelle für authentische gesprochene Daten sind allerdings spontane Gespräche, wie Tischgespräche oder Gespräche bei der Arbeit und anderen Tätigkeiten. Um auch hier das Beobachterparadox auszuschließen, hat es sich bewährt, die Aufnahmen von einem Mitglied der In-group machen zu lassen. Diese Methode haben etwa Dirim/ Auer (2004) bei ihren Untersuchungen zum Sprachgebrauch in multiethnischen Jugendgruppen in Hamburg erfolgreich angewandt (s. dazu u. Kap. 7.3.2). Da ein bestimmtes Sprachverhalten (z.B. Code-Switching) nicht in allen Gesprächen auftreten muss, kann man bestimmte Themen ansprechen, auf die die Teilnehmer besonders emotional reagieren. Bei den Untersuchungen von Nortier zu marokkanischen Einwanderern in den Niederlanden waren dies etwa Themen wie Diskriminierung, Sport oder Heimaturlaub in Marokko (s. Nortier 2008: 44f.). Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Probanden Geschichten anhand von Bildern erzählen zu lassen. Diese Möglichkeit hat bereits Michael Clyne (1967) bei seinen Untersuchungen zum Sprachkontakt in Australien angewendet (s. dazu die Beispiele in Kap. 6). Clyne ließ seine Probanden ein Bild beschreiben, auf dem eine typisch australische Landschaft abgebildet war, und hat dadurch viele vergleichbare Äußerungen erheben können. Diese Daten sind allerdings nicht ganz als spontan einzustufen, sondern befinden sich auf einer Skala zwischen spontan geäußerter Sprache und experimentell elizitierten Äußerungen. 3.4.1.2 Elizitierte Daten Es wird immer wieder das Problem diskutiert, dass bestimmte Konstruktionen oder Sprachkontaktphänomene in spontanen Kommunikationssituationen nur sehr selten auftreten. Daher versucht man, diese experimentell zu elizitieren. In diesem Zusammenhang möchte ich ein Experimentdesign erwähnen, das von Peter Muysken entwickelt wurde, das sog. 'Partyspiel'. Zwei Mannschaften treten gegeneinander an und müssen einsprachige und gemischtsprachige geschriebene Beispielsätze möglichst schnell ergänzen: Die Sätze bestehen aus einer Nominalphrase, einer Präpositionalphrase und einem Verb und das direkte Objekt wird als Bild dargestellt, z.B.: 25. a) Die Frau am Tisch twists [Abbildung von einem grünen Löffel] b) The woman at the table verbiegt [Abbildung von einem grünen Löffel] (Bsp. adaptiert aus Nortier 2008: 48) In diesen Fällen wird nun untersucht, ob die Probanden in der Sprache des Verbs fortfahren (also in 25a) the green spoon antworten und in 25b) den grünen Löffel) 20 Diese Methode beschreibt bereits Labov (1966) bei seiner Studie zur schichtenspezifischen Verteilung sprachlicher Phänomene in New York und prägte in diesem Zusammenhang den Begriff 'Kontextstile'. Dieser Begriff besagt, dass je nach Kontext die Variation höher oder geringer ist. Corpuserstellung und aufbereitung 53 oder nicht. Weil das Ganze ein Wettkampf ist, konzentrieren sich die Sprecher nicht auf die Sprache, so dass man davon ausgehen kann, dass die dort auftretenden Beispiele von Code-Switching sehr spontan sind (Nortier 2008: 48). Um möglichst umfassende und objektivierbare Daten zu bekommen, ist es wichtig, mehrere Erhebungsmethoden (Beobachtung, Interviews, freie Gespräche und evtl. auch elizitierte Daten) miteinander zu verbinden (s. Heller 2008: 256). 3.4.1.3 Schriftliche Quellen Als Datenbasis lassen sich auch schriftliche Quellen heranziehen, im Bereich des historischen Sprachkontakts sind sie sogar das alleinige Quellenmaterial. Hier kann auch Code-Switching in literarischen Texten aufschlussreich sein. Doch selbst wenn man feststellen will, welche Kontaktphänomene sich bereits in einer Sprachgemeinschaft verfestigt haben, eignen sich schriftliche Quellen wie Zeitungsberichte, Briefe u.ä. Gerade Letztere bilden eine gute Corpusgrundlage bei Sprachminderheiten, die keine Möglichkeit zum Schriftspracherwerb in ihrer Muttersprache hatten. Dieses Quellenmaterial wurde etwa bei unseren Untersuchungen zum Deutschen in Osteuropa mit berücksichtigt (vgl. z.B. Berend/ Riehl 2008: 33f.). Geschriebene Texte werden ebenfalls bei Untersuchungen zu Sprach- und Kulturkontakt herangezogen. In einem Projekt zum Kontakteinfluss der romanischen Sprachen in Südtirol und Ostbelgien wurden Schülertexte auf Einflüsse der Kontaktsprache und Kontaktkultur hin analysiert (Riehl 2001 u. Kap. 9.2.3). Im Gegensatz dazu hat man neuerdings auch Zugang zu sehr spontanen schriftsprachlichen Daten im Internet, und zwar in Foren von bilingualen Gruppen bzw. Sprachminderheiten. Dieses Sprachmaterial ist wesentlich informeller als andere schriftliche Quellen und enthält tatsächlich eine ganze Reihe spontaner Sprachmischungen. Die Daten sind zwar sehr leicht zugänglich und verwertbar, haben aber den großen Nachteil, dass man keinerlei Hintergrundinformationen oder soziolinguistische Informationen über die Schreiber erhält (vgl. dazu Nortier 2008: 50 und Androutsopoulos 2003). Diese Quelle bietet sich daher eher als Ergänzung und Bestätigung bereits festgestellter sprachlicher Phänomene an. 3.4.2 Materialaufbereitung: Transkription Während im Falle der geschriebenen Quellen die Texte direkt analysiert werden können, müssen gesprochene Daten noch aufbereitet werden. Die Methoden der Materialaufbereitung richten sich ebenfalls nach dem Ziel der Untersuchung: Für die Analyse bestimmter sprachlicher Entwicklungen auf der lexikalischen, syntaktischen oder morphologischen Ebene genügt in der Regel eine literarische Transkription, d.h. die Umschrift des Interviews in einen normalen orthographischen Text. Lediglich einige dialektale Eigenschaften oder Auslassungen (z.B. eigenlich statt eigentlich, nich statt nicht, oder des statt das) werden nachgeahmt: - Methoden der Sprachkontaktforschung 54 CS: Dann im Gymnasium waren wir eigenlich verpflichtet Hochdeutsch zu sprechen. Das gehörte bei uns da(zu). CR: Aber auch unternander, dann? CS: Ja des nich so. Aber es es is ja so, daß also - die meisten Münchner sin keine Münchner. Ma hat dann im Freundeskreis Leute, deren Eltern Hochdeutsch sprechen, wo dann die Kinder auch gar kein kein Bairisch sprechen. Also das is ziemlich gemischt. Möchte man dagegen das Gesprächsverhalten analysieren und auch berücksichtigen, wann der Sprecher eine Pause macht und wie er die Stimme führt, dann bietet sich eine diskursanalytische Transkription an, z.B. nach dem GAT-Modell (vgl. Selting et al. 2009). Das ist vor allem bei der Bewertung von Code-Switching wichtig, weil man hier feststellen kann, ob der Sprecher innerhalb eines Satzes switcht oder den Satz abbricht und in der anderen Sprache neu beginnt (s.o. Kap. 2.2.5): CS: dann im GymNAsium (-) WARN wir eigenlich verPFLICHtet ä: HOCHdeutsch zu sprechen. [das gehörte bei uns da] CR: [aber auch UNternander,] dann, CG: ja des nich so, aber (-) es es=is ja SO daß also (-) die meisten MÜNchner SIN keine MÜNchner, (-) ma hat dann im FREUNdeskreis LEUte deren ELtern (-) HOCHdeutsch sprechen, wo dann die KINder auch gar kein (-) kein BAIrisch [sprechen] (--) also das is ZIEMlich gemischt CR: [hm=hm] In diesem Fall wird durch die Satzzeichen angezeigt, ob die Stimme nach oben oder unten geht: bei Komma nach oben, bei Punkt nach unten. Die untereinander stehenden Passagen in eckigen Klammern bedeuten Simultansprechen und die Klammern mit Gedankenstrichen (-) deuten schließlich Pausen an. Die diskursanalytische Transkription bedient sich immer der Kleinschreibung, da die Großbuchstaben dafür eingesetzt werden, anzuzeigen, wenn etwas besonders betont wird. Außerdem ist diese Transkription viel genauer als die orthographische Umschrift: Auch gefüllte Pausen (wie äh) und Bestätigungen wie hm werden mittranskribiert. Es gibt auch die Möglichkeit, die beiden Transkriptionsformate miteinander zu kombinieren: So haben wir uns bei unseren Untersuchungen zum Deutschen in Osteuropa darauf verständigt, die orthographische Umschrift zu verwenden, aber trotzdem stumme und gefüllte Pausen zu markieren, um Aufschlüsse über Planungsprozesse zu erhalten. Dieser Typus von Transkription wird auch in diesem Buch angewandt. Schließlich gibt es noch die Möglichkeit der phonetischen Transkription, die vor allem bei dialektologischen Aufnahmen zum Einsatz kommt oder wenn man den Einfluss des Sprachkontakts auf der phonetisch-phonologischen Ebene analysieren möchte. In diesem Fall werden die Aufnahmen in einer Lautschrift präsentiert. Meist ist das das Alphabet der Association Phonétique Internationale (API, engl. IPA), wobei die deutsche Dialektologie sich des etwas vereinfachten und leichter lesbaren sog. 'Theutonista'-Systems bedient (vgl. Niebaum/ Macha Psycholinguistische Untersuchungen 55 2006: 18ff.). Der erste Satz unseres Beispiels sieht in der API-Umschrift dann folgendermaßen aus: ' ' ' : u ' : ' ç : ' 'tsu: ' : ' ' ' ' Man muss bei Transkriptionen allerdings immer in Erwägung ziehen, dass diese bereits den ersten Schritt in der Interpretation und Analyse ausmachen. Inzwischen wurden schon umfangreiche Datenbanken erstellt und es empfiehlt sich daher, sich ein Datencodierungssystem (z.B. LIDES) anzusehen. Hier können auch bestimmte grammatische Phänomene codiert werden, so dass danach systematisch gesucht werden kann (dazu Turell/ Moyer 2008 mit Erläuterungen und weiteren Angaben). 3.5 Psycholinguistische Untersuchungen Psycholinguistische Untersuchungen beruhen fast ausschließlich auf empirischen Versuchen. Sie untersuchen Strategien des Sprachverhaltens (z.B. Code- Switching) und des Sprachlernens sowie die mentale Repräsentation von Mehrsprachigkeit. Hier wird vor allem gezeigt, wie Sprachen im Gehirn miteinander verknüpft sind. Daraus werden wiederum Hinweise gezogen, wie die wechselseitige Beeinflussung zweier Sprachen im Gehirn vor sich gehen kann. 3.5.1 Methoden der Erforschung der mentalen Repräsentation 3.5.1.1 Analyse von Sprech- und Schreibfehlern Ein sehr beliebtes Mittel, um Prozesse, die sich in unserem Gehirn abspielen, aufzudecken, sind Versprecheranalysen. Diese Methode gehört zu den ältesten Methoden der Sprachproduktionsforschung. Trotz ihrer Mängel, wie subjektive Wahrnehmung, Mehrdeutigkeit, Vernachlässigung der Auftretenshäufigkeit und situativen Umstände (vgl. Rickheit/ Strohner 1993: 108) sind sie immer noch ein wichtiges Potential, um Produktionsprozesse nachzuvollziehen, aber auch, um Grundlagen für experimentelle Tests zu haben (vgl. Schade 1999, Poulisse 1999). In der Bilingualismusforschung kann man auch eine Art "Versprecher" feststellen: Anstelle eines falschen Wortes wird einfach das Wort in der "falschen" Sprache artikuliert. Dass es sich hier um ähnliche Phänomene wie Versprecher handelt, kann man daran erkennen, dass sich die Sprecher selbst verbessern (vgl. Riehl 2002a): 26. Da hängen dann die drogati 'rum (-) äh die Drogierten (-) oder wie sagt man auf Deutsch (--) Drogenabhängige [...] (Sprecherin deutsch-italienisch) In diesem Beispiel nimmt die Sprecherin wahr, dass sie ein Wort in der falschen Sprache gebraucht hat, also statt eines deutschen ein italienisches, und sie verbessert sich. Allerdings braucht sie sogar zwei Anläufe, indem sie zuerst nach dem Methoden der Sprachkontaktforschung 56 italienischen Wort eine an das System der deutschen Sprache völlig angepasste Form präsentiert (Drogierte). Dann erkennt die Sprecherin, dass es dieses Wort in der deutschen Sprache auch nicht gibt. Sie denkt weiter nach, um schließlich nach längerer Pause das richtige Wort zu produzieren. Oft wird die Übersetzung sogar erst nach einem Teilsatz nachgeschoben: 27. Bereza wenn sie nass ist (-) Birken (-) dann fault sie. (Sprecherin deutschrussisch) Auch hier ist ein ganz ähnlicher Fall wie bei einsprachigen Versprechern festzustellen: Der Teilsatz wenn sie nass ist war schon im Artikulator (der Artikulationsinstanz), als die Sprecherin bemerkte, dass sie ein Wort mit der falschen Sprachmarkierung ausgewählt hat. Aus der Versprecherforschung ist hier ein analoges Beispiel anzuführen: Das hat sie mir am Radio gesagt -am Telefon (Schade 1999: 56). Beispiele wie diese lassen uns vermuten, dass die Sprecher über ein Überwachungssystem (Monitor) verfügen, das ihnen diese Abweichungen signalisiert, so dass sie sich selbst verbessern können. Andererseits lässt sich aber auch erkennen, dass die Sprachen eng miteinander verbunden sein müssen, da unbewusst Lexeme aus der anderen Sprache "hereinrutschen" können (vgl. Riehl 2010c). 3.5.1.2 Pausenmessung Bei der Analyse von Gesprächen stellt man immer wieder fest, dass an verschiedenen Stellen ganz verschieden lange Pausen auftreten. Der Zeitpunkt und die Dauer der Pausen geben uns ebenfalls Rückschlüsse auf Planungsprozesse. Allerdings bleibt hier unklar, ob die Ursachen für die Pausen in den bereits vergangenen oder in den künftigen Textstellen liegen (Rickheit/ Strohner 1993: 109). In den obigen Beispielen entstanden die meisten Pausen ja, weil die Sprecherinnen bemerkten, dass da etwas fehlerhaft war, und sie sich verbessern mussten. Lediglich die letzte Pause in Bsp. (26) ist eine Produktionspause: Die Sprecherin überlegt, wie das Wort auf Deutsch heißt. In der Mehrsprachigkeitsforschung kann durch Pausenmessungen vor allem herausgefunden werden, wie präsent die Sprachen noch sind: Vor allem bei Spracherosion (= Sprachverlust) werden die Pausen immer länger und häufiger (vgl. die Beispiele bei Köpke 2002 und u. Kap. 5.3). 3.5.1.3 Protokolle lauten Denkens (LD-Protokolle) Eine weitere Möglichkeit, in die Black Box des Gehirns hineinzuschauen, sind Protokolle lauten Denkens. Diese werden vor allem bei schriftlicher Textproduktion angewandt. Dabei werden Probanden, z.B. bei der Übersetzung eines Textes von einer Sprache in die andere, aufgefordert, alle Gedanken, die ihnen während dieser Tätigkeit in den Kopf kommen, laut zu äußern. Diese Äußerungen werden dann auf Tonträger aufgenommen und analysiert. Ein Beispiel (aus Müller-Lancé 2003: 290): Psycholinguistische Untersuchungen 57 Eine Probandin, die Romanistik studiert, soll folgenden Text aus dem Katalanischen, einer romanischen, aber ihr unbekannten Sprache, übersetzen. Sie kann dabei ihre Kenntnisse aus anderen romanischen Sprachen zu Hilfe nehmen: Una dona intenta enverinar el marit Un home de 37 anys, veí de Badajoz, ha denunciat la seva dona, a qui acusa d'intentar enverinar-lo i d'abandonar el domicili conjugal. Pocs dies abans de deixar casa seva, la dona va intentar emmetzinar el marit posant-li un producte químic al menjar 21 Dabei wurde folgendes Protokoll aufgenommen: Abb. 6: Laut-Denken-Protokoll (aus Müller-Lancé 2003: 295) Aus dem Protokoll lässt sich nun ersehen, dass die Probandin ihr unbekannte Wörter aus anderen romanischen Sprachen ableitet und dass sie auch andere romanische Muster beim Übersetzen zu Hilfe nimmt. Man kann auch alle Pausen, Planungs- und Verbesserungsversuche nachvollziehen. Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass die Probanden nicht auf eine falsche Fährte gelockt werden und irgendeine Strategie anwenden. Der Nachteil besteht aber darin, dass die Protokolle auch falsch gedeutet werden können: Schweigen kann als Nachdenken oder Abgelenkt-Sein interpretiert werden. Es ist außerdem möglich, dass die Probanden nur das verbalisieren, was sie für relevant 21 Textnahe Übersetzung: 'Eine Ehefrau versucht, ihren Mann zu vergiften. Ein Mann von 37 Jahren aus Badajoz, hat seine Frau angezeigt, der er vorwirft zu versuchen, ihn zu vergiften und das eheliche Zuhause zu verlassen. Wenige Tage vor dem Auszug aus ihrem Haus versuchte die Frau, ihren Mann zu vergiften, indem sie ihm ein chemisches Produkt ins Essen mischte' (vgl. Müller-Lancé 2003: 290). Methoden der Sprachkontaktforschung 58 halten. Das Ausmaß der durch die Aufgabe provozierten Artefakte ist daher nicht genau vorherbestimmbar. Die Laut-Denken-Protokolle können allerdings noch ergänzt werden durch Fragebögen oder nachträgliche Interviews mit den Probanden, in denen sie ihre jeweilige Entscheidung (warum sie an welcher Stelle was geschrieben haben) begründen. Für die Sprachkontaktforschung kann diese Methode zeigen, dass offensichtlich eine stärkere Vernetzung von verwandten Sprachen stattfindet und dass nicht unbedingt die dominante Sprache die ausschlaggebende sein muss. Dieses Ergebnis ist v.a. in Sprachkontaktsituationen zu berücksichtigen, in denen mehrere Sprachen (oder Varietäten) miteinander in Kontakt treten. 3.5.2 Kontrollierte Elizitation Neben den gerade erwähnten Methoden, bei denen man die Produktion beobachtet und aus den tatsächlich vorkommenden Fällen Auffälligkeiten herausfiltert, gibt es auch die Möglichkeit, bestimmte Besonderheiten bewusst zu elizitieren, d.h. sie den Probanden zu "entlocken". Das kann dadurch geschehen, dass man den Probanden Abbildungen von Objekten zeigt und sie diese benennen sollen, oder dass man Buchstabenketten auf einem Computerbildschirm einblendet und die Probanden sollen entscheiden, ob dieses Wort in einer bestimmten Sprache existiert oder nicht (vgl. Kroll/ Gerfen/ Dussias 2008: 110). 3.5.2.1 Priming-Tests Eines der wichtigsten Verfahren der experimentellen Untersuchung von Sprachverarbeitung ist die sog. Priming-Technik (von engl. to prime 'schärfen'). Hier werden neben der Abfrage von Begriffen noch Zusatzaufgaben oder Störbegriffe eingeblendet. Die Reaktionszeit, die man benötigt, um den Begriff zu benennen, lässt Rückschlüsse darauf zu, ob und wie stark der Begriff bereits aktiviert war. Ein Beispiel: Einer Versuchsperson wird die Abbildung eines Objektes gezeigt und sie erhält die Aufgabe, dieses zu benennen. Dieser Stimulus fungiert als Prime. Bei den meisten Durchgängen soll auch nur das Objekt genannt werden und dies ist kein Problem. Bei kritischen Durchgängen dagegen wird eine Lautsequenz, die ein Wort oder Pseudowort (also lediglich eine sinnlose Silbenfolge wie urts) sein kann, eingespielt. Die Testperson wird nun aufgefordert, per Knopfdruck zu entscheiden, ob es sich dabei um ein Wort oder um ein Pseudowort handelt. Für diese Entscheidung braucht der Proband weniger Zeit, wenn das Wort bereits durch das Prime-Konzept aktiviert ist (vgl. Schwarz/ Chur 1993: 75). Z.B. wenn der Proband einen See sieht, dann kann er, wenn das Wort Wasser eingeblendet ist, schneller entscheiden, ob das ein Wort ist oder nicht, als wenn er das Wort Fahrrad eingeblendet bekommt. Der Priming-Effekt wird dadurch erklärt, dass bei der Aktivierung einer Bedeutung auch die miteinander verbundenen Bedeutungen aktiviert werden, in diesem Fall ruft ein Konzept wie 'See' auch Konzepte wie 'Wasser' oder auch Psycholinguistische Untersuchungen 59 'Schiff' oder 'Fische' auf. Diese für Einsprachige entwickelten Tests werden zur Erforschung der mentalen Vernetzung von mehreren Sprachen herangezogen, indem man das Testwort in der Zweitsprache angibt. Also z.B. statt in unserem Fall einen See zu zeigen, wird das Wort lake eingeblendet. Mit den Priming- Techniken konnte man beispielsweise nachweisen, dass mit dem Konzept verbundene Lexeme in der Zweitsprache den gleichen Beschleunigungseffekt hatten wie die in der Erstsprache. Besonders gilt dies für etymologisch verwandte Wörter in beiden Sprachen, sog. cognates (z.B. water - Wasser, sun - Sonne). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Sprachen im Gehirn eng miteinander vernetzt sind und dass, wenn die eine Sprache aktiv ist, die andere nicht völlig ausgeschaltet werden kann. 3.5.2.2 Stroop-Tests Die gerade gezeigte Priming-Methode und andere psycholinguistische Tests zielen hauptsächlich auf Worterkennung, d.h. auf rezeptive Fähigkeiten. Um auch die Sprachproduktion zu testen, müssen andere Methoden herangezogen werden. Eine dieser Methoden, die in neueren Studien sehr extensiv genutzt wird, ist der sog. 'Stroop'-Test (vgl. Kroll/ Gerfen/ Dussias 2008: 113ff.). Dieses Testverfahren wurde zum ersten Mal von Stroop 1935 angewandt. Die klassische Form besteht darin, dass die Versuchspersonen die Farbe der Tinte benennen müssen, mit der bestimmte Farbwörter geschrieben sind. Dabei ist das Wort einmal mit der Farbe der Tinte identisch (z.B. das Wort rot wird mit roter Farbe geschrieben), ein anderes Mal nicht (z.B. das Wort blau wird mit roter Tinte geschrieben). Stroop stellte fest, dass die Probanden schneller bei der Benennung sind, wenn Farbe und Wort übereinstimmen, als wenn das Wort eine andere Farbe benennt. Das bedeutet also, dass die Wahrnehmung der Schriftzeichen die Farbwahrnehmung beeinflusst. Auch dies wurde erfolgreich zum Testen mentaler Repräsentation von Mehrsprachigkeit herangezogen: Denn man bekam bei Mehrsprachigen die gleichen Verzögerungseffekte, wenn das Wort in der anderen Sprache geschrieben war. Z.B. das Wort engl. blue war mit roter Tinte geschrieben und man musste auf Deutsch die Farbe der Schrift benennen. Dies heißt also, dass die zweite (oder weitere) Sprache beim Sprachprozess nicht ausgeschaltet werden kann. In neueren Forschungen arbeitet man mit Modifikationen des Stroop-Tests, nämlich Bildbenennungen: Bei dieser Versuchsanordnung erscheint ein Bild auf dem Bildschirm, das der Proband so schnell wie möglich benennen muss, z.B. Berg. Dann werden auditiv oder visuell Störwörter in der anderen Sprache eingeblendet. Diese sind einmal semantisch verwandt wie valley, einmal nicht (z.B. candle). Man stellt nun fest, dass semantisch verwandte Wörter einen Verzögerungseffekt bewirken, auch wenn sie in der anderen Sprache geäußert oder geschrieben werden. Dies deutet nicht nur darauf hin, dass die Sprachen untereinander vernetzt sind, sondern auch darauf, dass der Zugriff auf das Lexikon zunächst sprachunabhängig ist (vgl. ebd.). Methoden der Sprachkontaktforschung 60 Reaktionszeit kurz lang valley: semantisch verwandt candle: nicht verwandt Abb. 7: Stroop-Test: Bildbenennung (adaptiert aus Kroll/ Gerfen/ Drussias 2008: 115) Mit den psycholinguistischen Methoden lässt sich die Vernetzung nachweisen und man kann damit Sprachkontaktphänomene wie nicht-funktionales Code- Switching (s.o. Kap. 2.2.4) oder Formen des semantischen Transfers erklären (s.u. Kap. 6.2.1.3). 3.6 Neurophysiologische Methoden Mit den modernen Techniken der Hirnstrommessungen und Computertomographie wurden ebenfalls Methoden entwickelt, die für die Untersuchung von Sprachverarbeitungs- und -produktionsprozessen interessant sind, vor allem die neuen bildgebenden Verfahren wie die Magnetresonanz, Positronenemissionstomographie, aber auch andere Verfahren wie MEG, EEG etc. (vgl. Abutalebi/ della Rosa 2008). Bei der Positronenemissionstomographie (PET) werden leicht radioaktive Stoffe in den Blutkreislauf und das Gehirn gebracht. Da bei erhöhter Aktivität die entsprechenden Zonen besser durchblutet sind, kann man diese Zonen sichtbar machen und zum Beispiel feststellen, welche Zentren im Gehirn bei welcher Äußerungsaktivität beteiligt sind. Ähnliches wird bei dem sog. functional magnetic resonance imaging (fMRI) festgestellt. Das fMRI zählt zu den sog. 'neuen bildgebenden Verfahren', die wesentlich zur Entwicklung der Kognitionswissenschaften beigetragen haben. Mit Hilfe dieser Verfahren versucht man, Fragen zu klären wie: Existieren unterschiedliche Aktivierungen im Gehirn, je nachdem, ob man die Sprachen früh oder spät erworben hat? Sehen ähnlich gut beherrschte Sprachen in ihren Aktivierungsmustern gleich aus? Welche Rolle spielt dabei die Kompetenz? (vgl. Wattendorf/ Festman 2008). "BERG" Distraktoren Distraktoren auf Englisch, Bildbenennung auf Deutsch Zusammenfassung 61 In einem interdisziplinären Projekt an den Universitäten Basel und Saarbrücken wurden Probanden in einen Tomographen geschoben und mussten mit einer inneren Stimme ihren Tagesablauf in ihrer ersten, zweiten und dritten Sprache erzählen. Die jeweiligen Aktivierungszentren im Gehirn wurden aufgezeichnet und miteinander verglichen. Es wurde u.a. festgestellt, dass bei Frühmehrsprachigen (s. Abb. 8 linkes Bild) die Sprachen kompakter repräsentiert sind als bei Spätmehrsprachigen (s. Abb. 8 rechtes Bild). Das gilt auch für eine später erworbene dritte Sprache. Die Forscher schließen daraus, dass bei Früh-Bilingualen im Sprachenzentrum ein Netzwerk etabliert wird, an das weitere Sprachen "angedockt" werden können. Abb. 8: fMRI-Modell eines Früh- und eines Spätbilingualen (aus Franceschini 2002: 55, im Original farbig) Die Studien mit Hilfe der bildgebenden Verfahren sind bisher noch zu grobmaschig, um etwas über die tatsächliche Vernetzung aussagen zu können (zur Kritik vgl. auch Paradis 2007), aber sie können immerhin zeigen, wie Bilinguale ihre Sprachen aktivieren. In anderen Studien, die nicht die Sprachproduktion im Visier hatten, sondern in denen die semantische Korrektheit von Sätzen bewertet werden musste, konnte gezeigt werden, dass nicht das Alter des Erwerbs eine Rolle spielt, sondern der Grad der Kompetenz (Wartenburger et al. 2003). 3.7 Zusammenfassung Wir haben gesehen, dass es sehr unterschiedliche Methoden gibt, die in der Sprachkontaktforschung angewandt werden, und sie müssen je nach Untersuchungsziel eingesetzt werden: Erhebungen von Sprachdaten mit den Methoden der Dialektologie geben uns Aufschluss über die areale Verteilung von Sprachen und Grenzen, an denen sie in Kontakt treten. Soziolinguistische Untersuchungsmethoden in Form von Fragebögen, gesteuerten oder ungesteuerten Interviews sowie Tests zu Spracheinstellungen informieren über den Sprachgebrauch und das Sprachverhalten der Sprecher, wie gut sie ihre Sprachen auseinanderhalten Methoden der Sprachkontaktforschung 62 können und wollen und wie Sprachkontaktprozesse in Sprachgemeinschaften wirksam werden können. Die eigentlichen Daten, an denen wir Sprachkontaktphänomene feststellen, gewinnen wir dagegen aus Corpora, die aus spontanen, halbspontanen oder elizitieren Äußerungen, gelegentlich auch aus schriftlichen Texten, zusammengestellt sind. Die psycholinguistischen Experimente schließlich sind dazu geeignet, aufzuzeigen, wie die einzelnen Sprachen im Gehirn des einzelnen Sprechers miteinander vernetzt sind. Damit kann man grundlegende kognitive Voraussetzungen für Sprachkontaktprozesse (z.B. "unbewusstes" Code- Switching) oder die Hintergründe für Transferprozesse erforschen. Neurophysiologische Methoden können schließlich die Vernetzung mit genauen Messmethoden nachzeichnen. Um umfassende Aussagen über bestimmte Phänomene treffen zu können, empfiehlt es sich, verschiedene Untersuchungsmethoden miteinander zu kombinieren. 4 Formen mehrsprachiger Gesellschaften 4.1 Typen von Mehrsprachigkeit In der Sprachkontaktforschung wird im Allgemeinen zwischen drei Typen von Mehrsprachigkeit unterschieden (vgl. Lüdi 1996): 22 individuelle Mehrsprachigkeit gesellschaftliche (territoriale) Mehrsprachigkeit institutionelle Mehrsprachigkeit Dabei muss man aber davon ausgehen, dass diese verschiedenen Typen von Mehrsprachigkeit gekoppelt sind, vor allem territoriale Mehrsprachigkeit geht meist mit individueller Mehrsprachigkeit einher. Mit diesem Typus wird sich eingehender Kap. 5 beschäftigen. Im Zentrum dieses Kapitels soll die gesellschaftliche Mehrsprachigkeit stehen. Unter diesem Begriff versteht man etwa eine Konstellation, bei der auf ein und demselben Territorium mehrere Sprachen gesprochen werden. Das ist in der Regel in Gebieten der Fall, in denen sog. 'Sprachminderheiten' leben, z.B. im Baskenland und in Südtirol. Wie ich schon im einleitenden Kapitel dargestellt habe, gibt es in diesen Gebieten meist gemischtsprachige Gruppen, in denen nicht alle Mitglieder die gleiche Sprache als Erstsprache haben (s. S. 13). In diesen Gruppen kann man dann noch zwischen 'primär Zweisprachigen' unterscheiden, das sind Kinder aus gemischtsprachigen Familien, die beide Sprachen als Erstsprachen erwerben, und 'sekundär Zweisprachigen', Sprechern, die die zweite Sprache nicht schon im Elternhaus, sondern ab dem Kindergarten oder gar erst der Schule erlernen (vgl. Riehl 2001: 57). Seltener dagegen ist eine Konstellation wie in der Schweiz, wo jede der als Staatssprache definierten Sprachen in einem eigenen Gebiet gesprochen wird. In diesem Fall spricht man von territorialer Mehrsprachigkeit. In dieser Form von mehrsprachigen Staaten sind die Individuen, die dort leben, normalerweise nicht mehrsprachig, da sie in ihrem jeweiligen Gebiet in allen Institutionen und Situationen ihre Muttersprache verwenden können. Der dritte Fall, institutionelle Mehrsprachigkeit, ist dann gegeben, wenn die Verwaltung einer Stadt, eines Bezirks oder eines Landes bzw. die einer Organisation ihre Dienste in mehreren Sprachen anbietet. Das ist z.B. in den territorial mehrsprachigen Staaten der Fall, aber natürlich auch in internationalen Organisa- 22 Zusätzlich zu diesen bisher in der Forschung diskutierten Formen von Mehrsprachigkeit schlägt Franceschini (2011: 347) eine vierte Dimension vor, nämlich die diskursive Mehrsprachigkeit (s.u. Kap. 5). Formen mehrsprachiger Gesellschaften 64 tionen wie der UNO, dem Europa-Parlament usw. Im Folgenden wollen wir uns aber der sog. 'gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit' widmen. 4.2 Beispiele für gesellschaftliche Mehrsprachigkeit Bei den Formen mehrsprachiger Gesellschaften lassen sich nun vier Typen unterscheiden: Mehrsprachige Staaten mit Territorialprinzip Mehrsprachige Staaten mit individueller Mehrsprachigkeit Einsprachige Staaten mit Minderheitsregionen (häufig mit Sonderregelung) Städtische Immigrantengruppen 4.2.1 Mehrsprachige Staaten mit Territorialprinzip Zu diesen Formen gehört - wie bereits erwähnt - die Schweiz, die in den jeweiligen Kantonen eine bestimmte Sprache als offizielle Sprache bestimmt hat. Nur in vier Kantonen gelten mehrere Sprachen, in den Kantonen Wallis, Freiburg und Bern Französisch und Deutsch und im Kanton Graubünden Deutsch, Italienisch und Rätoromanisch. Aber auch in den französisch-deutschen Kantonen sind das französische und das deutsche Territorium klar definierten Grenzen zugewiesen. So ist beispielsweise im Kanton Wallis Französisch die offizielle Sprache in den Bezirken und Gemeinden des Mittel- und Unterwallis, Deutsch in denen des Oberwallis. Das Bewusstsein um die Zweisprachigkeit des Kantons ist eher gering (vgl. Fuchs 1998). Hier sind die Individuen in der Regel nicht mehrsprachig, außer in einigen Grenzorten an der Sprachgrenze wie Freiburg/ Fribourg oder Biel/ Bienne (vgl. Kolde 1981). Ebenfalls mehrsprachig sind die Sprecher der Kleinsprache Bündnerromanisch. Denn wie Solèr (1998: 149) es ausdrückt: Grundsätzlich bedingen mehrsprachige Staaten nicht automatisch auch mehrsprachige Menschen. [...] Erst wenn eine Sprachgruppe klein und geographisch, wirtschaftlich oder organisatorisch in einer größeren eingebettet ist und deren Sprache nicht alle Bereiche umfaßt, müssen alle Mitglieder mehrsprachig werden. Ein weiteres Beispiel für einen territorial mehrsprachigen Staat ist Belgien mit einem flämischsprachigen Gebiet, einem französischsprachigen und einem deutschsprachigen Territorium. Hier ist die Hauptstadt Brüssel zweisprachig definiert, es gelten Französisch und Flämisch als Amtssprachen. Und auch die Sprecher in dem deutschsprachigen Gebiet (Kantone Eupen und St. Vith) sind in der Regel mehrsprachig, da das Gebiet sehr klein ist (63 000 Einwohner) und nur verwaltungstechnisch eigenständig, wirtschaftlich aber abhängig von der französischsprachigen Wallonie ist (vgl. Riehl 2001 u.a.). Eine gewisse Sonderstellung nimmt Kanada ein: Hier ist die französische Sprache auf den Gesamtstaat gesehen eine Minderheitensprache (s.u. Kap. 4.2.3) Beispiele für gesellschaftliche Mehrsprachigkeit 65 mit entsprechenden Sonderregelungen. In der Provinz Québec allerdings ist Französisch seit 1974 und endgültig seit dem Sprachgesetz von 1977 alleinige offizielle Sprache. Daneben gibt es auch eine offiziell zweisprachige kanadische Provinz, nämlich New Brunswick/ Nouveau Brunswick. Da aber die kanadische Bundesregierung streng zweisprachig ist (d.h. alles, was von den Bundesbehörden abhängt, wird überall zweisprachig ausgegeben), ist das Französische in Kanada auch in den Provinzen, in denen es kaum gesprochen wird, sehr viel präsenter, als das etwa in Belgien der Fall ist (vgl. Erfurt 2005). 4.2.2 Mehrsprachige Staaten mit individueller Mehrsprachigkeit In den meisten Staaten, die als mehrsprachig zu definieren sind, sind die Sprachen nicht auf Territorien verteilt, sondern werden je nach Gebrauchssituation eingesetzt. Beispiele dafür findet man in fast allen afrikanischen Staaten. In Afrika werden nicht nur innerhalb der Staatsgrenzen, die meist von den Kolonialmächten gezogen wurden, eine Vielzahl verschiedener Sprachen gesprochen, sondern auch in ein und demselben Territorium spricht ein und derselbe Sprecher mehrere Sprachen. Dabei ist allerdings eine Sprache sozusagen die 'Hauptsprache' eines Sprechers und dies ist in der Regel die Sprache der Ethnie, aus der er stammt (vgl. Laponce 1984: 20f.). Die Sprachen sind hier viel weniger territorial und viel stärker sprechergebunden als in Europa. In besonderem Maße gilt dies für ethnische Gruppen ohne eigenes Territorium (z.B. Nomaden). Viele dieser Sprachen sind nicht verschriftet, werden meist nur innerhalb bestimmter kleiner ethnischer Gemeinschaften gesprochen und häufig von zwei oder mehreren Sprachen überdacht: Das kann eine (oder mehrere) Nationalsprache(n) sein wie die afrikanischen Verkehrssprachen Suaheli, Hausa und Ewe und eine offizielle Amtssprache, meistens eine europäische Sprache (Französisch, Englisch oder Portugiesisch). 23 Als Beispiel für die Komplexität von Mehrsprachigkeit in solchen mehrsprachigen Staaten möchte ich Namibia aufführen. Hier war unter deutscher Kolonialzeit, also bis 1920, Deutsch die einzige offizielle Sprache. Danach kam das Gebiet unter südafrikanisches Mandat und Englisch und Afrikaans traten als europäische Sprachen hinzu, wobei Afrikaans für den wirtschaftlich-sozialen Aufstieg am wichtigsten war. Englisch wurde vor allem im Schriftverkehr und in der Verwaltung verwendet. Als gesprochene Sprache gebrauchte man fast ausschließlich Afrikaans, Deutsch hatte kooffiziellen Status. Seit der Unabhängigkeit 1990 ist Englisch als einzige offizielle Sprache erhalten geblieben, die Verkehrssprache (Lingua franca) ist immer noch Afrikaans und innerhalb der deutschsprachigen Gruppe wird weiter Deutsch verwendet. Die jeweilige Muttersprache der verschiedenen ethnischen Gruppen ist jeweils nur in den ersten drei Jahren der Primarschulen Unterrichtssprache, danach findet der Unterricht auf Englisch 23 Vgl. dazu Reh (1981: 534ff.) mit vielen Beispielen typischer Konstellationen. Formen mehrsprachiger Gesellschaften 66 statt. Allerdings kann die Erstsprache noch als Sprachfach weiter unterrichtet werden, wenn genügend Teilnehmer vorhanden sind (vgl. Ministry of Education, Namibia 2010). 4.2.3 Einsprachige Staaten mit Minderheitsregionen In den meisten europäischen Ländern gibt es nur eine offizielle Sprache als Staatssprache, wie z.B. in Deutschland oder Italien. Aber auf sehr vielen dieser Staatsgebiete leben anderssprachige Sprachgemeinschaften, die durch neue Grenzziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind oder die als sog. 'Restminderheiten' nach der Staatenbildung in Europa ohne eigenen Staat blieben (z.B. die Sorben in Deutschland oder die Ladiner in Italien). Von diesen Minderheiten bilden einige Gruppen auch die Mehrheit in ihrem Territorium (z.B. die Deutschen in Südtirol mit 69%), andere sind dort aber immer noch eine Minderheit (wie die Ladiner im gleichen Territorium mit nur 4,5%) (vgl. auch u. Kap. 10.2.2). Fast alle bilingualen Gemeinschaften sind Träger der Mehrsprachigkeit. Der Begriff 'Minderheit' ist allerdings problematisch und wird auch nicht einheitlich verwendet. Oksaar (2003: 153) verweist darauf, dass die Begriffe 'Minderheit' und 'Mehrheit' auch mit einer Reihe von Konnotationen verknüpft sind: 'Minderheit' beinhaltet oft das Fehlen von Selbstbestimmung oder das Fehlen eines eigenen Territoriums und im Falle neuer Minderheiten das Fehlen von historischer Kontinuität. Im Gegensatz dazu verfügt die 'Mehrheit' genau über diese Aspekte. 4.2.3.1 Typen von Sprachminderheiten Innerhalb der Gruppe von Sprachminderheiten ist zu unterscheiden zwischen Minderheiten, die es nur in einem einzigen Staat gibt (z.B. Bretonen), Minderheiten, die über mehrere Staaten verteilt sind, aber dort überall eine Minderheit sind (z.B. Katalanen, Basken), und Minderheiten, die in einem bestimmten Gebiet Minderheiten sind, aber eine Mehrheit anderswo bilden (vgl. Edwards 1990: 140). Das gilt etwa für die zahlreichen deutschsprachigen Gruppen, die in anderssprachigen Gebieten leben. Denn Deutsch ist ja in anderen Staaten eine Staatssprache. Was die deutschsprachigen Minderheiten betrifft, so muss man auch hier unterscheiden zwischen Sprachgemeinschaften in einem anderssprachigen Gebiet, die in geographischer Kontaktstellung zu einem eigenen Sprachkernland sind, sog. 'Grenzminderheiten' (Deutsche in Südtirol, in Ostbelgien, im Elsass und in Dänemark), und räumlich getrennten Sprachgemeinschaften inmitten einer anderssprachigen Mehrheit, sog. 'Sprachinselminderheiten'. Die Unterschiede bestehen vor allem darin, dass die Grenzminderheiten einen direkten Kontakt zum sprachlichen Mutterland haben. Die deutschen Grenzminderheiten im Westen und Süden sind dabei relativ jung, d.h. sie kamen in diese Minderheitensituation erst nach dem Ersten Weltkrieg. Es gibt aber noch angrenzende Sprachminderheiten im Osten, die lange Zeit aufgrund des Eisernen Vorhangs isoliert waren (z.B. Deutsche in Tschechien oder Polen). Durch die unmittelbare Nähe zum deut- Beispiele für gesellschaftliche Mehrsprachigkeit 67 schen Sprachraum hat die Minderheitensprache einen breiteren Kommunikationsradius, da sie auch grenzüberschreitend verwendet werden kann. Umgekehrt gilt das auch für einige Sprachgemeinschaften, die innerhalb des deutschen Sprachraums siedeln: Dänen in Schleswig-Holstein, Slowenen in Kärnten oder Kroaten im Burgenland. Anders ist das im Falle von Sprachinselminderheiten. Diese sind relativ isoliert vom Mutterland und bewahren meist die Minderheitensprache nur in ihrer kleinen Gemeinschaft. Dies soll im Folgenden kurz dargestellt werden. 4.2.3.2 Das Konzept 'Sprachinsel' Das Konzept 'Sprachinsel' wurde von Dialektologen geprägt, die in den Sprachinselminderheiten eine Möglichkeit sahen herauszufinden, wie alte Dialektschichten konserviert werden. Daher galt das Interesse zunächst der Herkunftsfrage, d.h. dem Versuch, den ursprünglichen Herkunftsort der Sprachinselbewohner zu erschließen. Dies erwies sich aber nicht zuletzt deshalb als problematisch, weil Sprachinseln "immer auch Diversität/ Heterogenität von Dialekten, Dialektmischung und Kontakt mit fremden Sprachen" bedeuteten (Mattheier 1994: 104). Das Konzept 'Sprachinsel' lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten: Wiesinger (1980: 491) versteht darunter "punktuell oder areal auftretende, relativ kleine geschlossene Sprach- und Siedlungsgemeinschaften in einem anderssprachigen, relativ größeren Gebiet" (ähnlich auch Hutterer 1982). Protze (1995: 55) betont die nur geringe Beziehung zum Mutterland und zum umgebenden Staatsverband und führt als Hauptcharakteristik die anderssprachige Überdachung und das sprachliche und kulturelle Eigenleben der Gemeinschaft an. Mattheier (1994: 105) hebt besonders die soziolinguistischen Aspekte von 'Sprachinsel' hervor: Eine Sprachinsel ist eine durch verhinderte oder verzögerte sprachkulturelle Assimilation entstandene Sprachgemeinschaft, die - als Sprachminderheit von ihrem Hauptgebiet getrennt - durch eine sprachlich/ ethnisch differente Mehrheitsgesellschaft umschlossen und/ oder überdacht wird, und die sich von der Kontaktgesellschaft durch eine die Sonderheit motivierende soziopsychische Disposition - eine Sprachinselmentalität - abgrenzt bzw. von ihr ausgegrenzt wird. In diesem Zusammenhang ist zu diskutieren, ob die Sprachinselmentalität alleine genügt, um eine Sprachinsel als solche zu definieren, oder ob unbedingt auch die Verwendung der Sprache als ausschlaggebender Punkt zu sehen ist. Mattheier (1994: 106) argumentiert, dass in Sprachinseln lebende Sprachgemeinschaften selten als sprachlich klar abgrenzbare und dialektgeographisch differenzierte Sprachräume zu sehen sind. Das gleiche gilt für die Abgrenzung nach außen, so Formen mehrsprachiger Gesellschaften 68 dass Sprachinseln "eher in den Köpfen der Sprachinselbewohner als auf der Landkarte" zu suchen seien (ebd.; vgl. auch Mattheier 2003). Die deutschen Sprachinseln lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: die alten Sprachinseln aus der Zeit des Mittelalters, die vom 12. bis 14. Jh. besiedelt wurden, und neuere Siedlungen aus dem 17. bis 19. Jh. Aus der ersten Siedlungswelle im Mittelalter gibt es noch einige Restgruppen jenseits der Alpen, z.B. Walser Mundarten im Aosta-Tal und Reste der 7 und 13 Gemeinden in Oberitalien (die sog. 'Zimbern'). Die größeren Siedlungswellen gingen nach Osten. Förderer der Siedlungsbewegung waren Grundherren, die die fortschrittliche Agrartechnik (Dreifelderwirtschaft, Gebrauch von Sensen und Mühlen) und Wirtschaftsorganisation der deutschen Siedler für ihr Land in Anspruch nehmen wollten. Als Ausgleich boten sie dann entsprechende soziale Vorteile an (Gottas 1995: 16). Das Ende dieser kontinuierlichen Wanderbewegung ist in der Pest zu sehen, die Ende des 14. Jhs. in Europa grassierte. Alte Sprachinseln finden sich vor allem im südöstlichen Mitteleuropa und in Südosteuropa, in Ungarn, der Slowakei und Rumänien (Siebenbürgen). Die zweite Siedlungswelle setzte dann Ende des 17. Jhs. ein und erstreckte sich teilweise bis in die Mitte des 19. Jhs. Viele der neuzeitlichen Siedlungen wurden nach Beseitigung der Türkenherrschaft in Südost- und Osteuropa gegründet (z.B. in Ungarn, Nord-Rumänien, im Banat und der Batschka). In diese Zeit fällt auch die Kolonisation deutschsprachiger Gebiete in Russland; es entstanden deutschsprachige Dörfer an der Wolga, in der Gegend um St. Petersburg und am Schwarzen Meer. 24 Gleichzeitig begann auch die Übersiedlung in überseeische Gebiete, nach Nord- und Südamerika und nach Australien (s. Riehl 2010a: 81f.). In den meisten Fällen waren wirtschaftliche Gründe dafür ausschlaggebend, dass die deutschsprachigen Gemeinschaften ihre Heimat verließen, aber es gibt auch religiöse Motive: So siedelte etwa die ursprünglich aus der Schweiz stammende Sekte der Amischen ('Amish people') zunächst im Pfälzer Raum, als aber auch hier der Druck auf diese Religionsgemeinschaft zu groß wurde, ließen sie sich ebenfalls in den USA nieder, und zwar in Pennsylvania (ab 1730). Die Gemeinschaft ist besonders deshalb interessant, weil sie noch alte Muster des Deutschen als Schriftsprache bewahrt hat, die allerdings nur noch rituelle Funktion haben (vgl. Eichinger 2003). Eine noch weitere Wanderbewegung machten einige Mennonitengruppen mit, die zuerst in der Ukraine siedelten, weil ihnen dort zugesichert wurde, dass sie vom Militärdienst befreit würden und Deutsch als Schulsprache verwenden könnten. Als sich dort die Bedingungen änderten und sie mit dem Verlust ihrer Privilegien rechnen mussten, wanderten sie schließlich nach Kanada aus. Auch dort verschlechterte sich die Lage des Deutschen nach 24 Die neue Siedlungsbewegung unterscheidet sich von der mittelalterlichen Besiedlung in einigen wesentlichen Punkten (Gottas 1995: 19): Es handelt sich hier um eine "von oben gelenkte Bevölkerungsbewegung und um planmäßige Siedlungspolitik". Diese wurde nicht nur von Österreich-Ungarn, sondern auch von Preußen betrieben und später von Katharina II. aufgegriffen. Beispiele für gesellschaftliche Mehrsprachigkeit 69 dem Ersten Weltkrieg und so zog etwa ein Drittel der deutschsprachigen Mennoniten nach Mexiko weiter (vgl. Kaufmann 1997: 59f.). Diese religiösen Gruppen sind für die Sprachkontaktforschung besonders interessant, weil sie durch ihre konservative Haltung einerseits einen sehr alten Sprachstand bewahrt haben und andererseits durch die verschiedenen Umgebungen, in denen sie gelebt haben, Elemente aus den jeweiligen Umgebungssprachen (Russisch, Englisch) aufgenommen haben. 25 Der Einfluss der Mehrheitssprache auf die Inselsprache äußert sich zunächst im Wortschatz aus der jeweils anderen Umgebung. Dieser kann sich im Laufe der Zeit im Gebrauch so verfestigen, dass er schließlich als zur Mundart gehörig empfunden werden kann. Daneben gibt es strukturelle Entlehnungen, die bis hin zum Entstehen einer Mischsprache reichen können. Hier ein Beispiel aus den 7 und 13 Gemeinden in Oberitalien (sog. 'Zimbern'): 28. Geistar i han gatust gian kam Abato tze kofan Gestern ich habe gemußt gehen gen Abato zu kaufen eipas tze senn un tze steikan 'ime garte. etwas zu säen und zu stecken im Garten. [pflanzen] I hami vru darbeikat un benje s'ist gabest tzait Ich hab mich früh (d)erweckt und wenn es ist gewesen Zeit [bin früh aufgewacht (it. 'mi sono svegliato')] i han gatziegat aussar main auto un hin drabege ich habe gezogen heraus mein Auto und hin [auf dem] Weg [herausgefahren (it. 'ho tirato fuori')] (aus: Fabbris 1976: 40) Hier sieht man, dass in dieser Sprachinselmundart zwar deutsche Wörter gebraucht werden, die Grammatik ist aber völlig dem Italienischen nachempfunden. Das gilt auch für Phrasen wie sich erwecken (it. svegliarsi) oder (das Auto) herausziehen (it. tirar fuori). Mit diesen Phänomenen wird sich jedoch das Kap. 6 eingehender beschäftigen. Weitere Beispiele aus aktueller Feldforschung zu den Zimbern finden sich etwa bei Kolmer (2012). 4.2.3.3 Sprachminderheiten und Sprachkontakt Im Ausmaß der Sprachkontaktphänomene bestehen auch die größten Unterschiede zwischen den Grenzminderheiten einerseits und den Sprachinseln andererseits. Die Grenzminderheiten haben meist in viel stärkerem Maße die Möglichkeit einer "sprachlichen Auffrischung", da die Kontakte und grenzüberschreitenden Beziehungen viel größer sind. Sogar zur Zeit des Eisernen Vorhangs profitierten die grenznah lebenden Deutschen in Tschechien und Polen von die- 25 Ein ausführlicher Überblick über das Konzept 'Sprachinsel', Forschungsgeschichte und Methodik findet sich etwa in Mattheier (2002), Földes (2006) und Riehl (2010a). Formen mehrsprachiger Gesellschaften 70 ser räumlichen Nähe: Sie konnten deutschsprachiges Fernsehen empfangen und hatten dadurch auch Kontakt zur deutschen Standardsprache (laut Informantenaussagen). Aber auch innerhalb der Sprachinseln gibt es Unterschiede: Bestimmte religiöse Sekten wie die bereits erwähnten Amischen oder Mennoniten zeigen teilweise stärkeren Spracherhalt durch enge soziale Netzwerke. Unterstützend wirkt hier vor allem, dass Deutsch als Sprache der Religion weiter gepflegt wird (vgl. Kap. 11.3.2). Umgekehrt ist ein wesentlicher Faktor für verstärkten Sprachkontakt, wenn es keine Schule in der Muttersprache gibt und die in den Sprachinseln gesprochenen Mundarten dadurch eine anderssprachige Überdachung erfahren. Weitere Faktoren sind ein geringer Kommunikationsradius, oft einhergehend mit geringer Sprecherzahl. Ausnahmen bilden hier die Sprachinseln in Rumänien, wo auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die deutschsprachige Schule weiterbestand und Kontakte zum Mutterland gepflegt wurden. So wurden etwa aus der im Mittelalter besiedelten Sprachinsel Siebenbürgen über Jahrhunderte hinweg die Kinder zur Ausbildung und zum Studium nach Deutschland geschickt. Deutsch war immer in Schule, Kirche und in den Medien als Schriftsprache präsent (vgl. Bottesch 2008 und u. Kap. 11.3.2). Die Konsequenzen für die Entwicklung der deutschen Sprache bestehen nun darin, dass man davon ausgehen kann, dass bei hohem Alter der Sprachinseln und der fehlenden Überdachung durch die deutsche Schriftsprache auch der Kontakteinfluss der Umgebungssprache(n) stärker ist. Teilweise handelt es sich dann um die Grammatik der Umgebungssprache mit dem Wortschatz der Erstsprache, wie bei dem obigen Beispiel aus den oberitalienischen 7 und 13 Gemeinden. Je größer der Zugang zur Schriftlichkeit im Deutschen, desto geringer ist der Kontakteinfluss (vgl. Riehl 2001). 4.2.3.4 Weitere Minderheitentypen und -sprachen Außer diesen Sprachinseln, die anderswo ein sprachliches "Mutterland" besitzen, in diesem Falle Deutschland, Österreich oder Schweiz, gibt es Sprachgruppen, die in anderssprachigen Gebieten siedeln, aber nirgendwo eine Nation haben, in der man diese Sprache auch spricht. Diese bilden die sog. 'autochthonen Restminderheiten': z.B. Ladiner in Italien, Galizier und Katalanen in Spanien, Bretonen, Gaskognier und Basken in Frankreich, Friesen oder Sorben in Deutschland, Waliser und Schotten in Großbritannien, Kurden in der Türkei. Doch auch hier muss man unterscheiden zwischen Gruppen, die es nur in einem einzigen Gebiet gibt (wie die Galizier), und Gruppen, die in mehreren Territorien in verschiedenen Staaten leben, wie die Basken in Frankreich und Spanien oder die Samen in Norwegen, Schweden und Finnland. In Gesamteuropa gibt es rund 100 derartige Sprachminderheiten (vgl. Oksaar 2003: 154). In Bezug auf die Sprache unterscheidet Wirrer (2000) zwischen Minderheiten- und Regionalsprachen: Sprachminderheiten definieren sich vor allem über den Beispiele für gesellschaftliche Mehrsprachigkeit 71 Begriff der Ethnie und der Religion, in erster Linie auf Selbstdefinition beruhend, in zweiter auf Fremddefinition. Die Minderheitensprache ist dann die von dieser Gruppe gesprochene Sprache. Darunter fällt etwa Sorbisch, Sardisch oder Katalanisch und auch Sprachen ohne Territorium wie Romani oder Jiddisch. D.h. das Vorhandensein eines Territoriums spielt hier nicht die entscheidende Rolle. Anders ist das bei den Regionalsprachen: Diese definieren sich neben linguistischen Kriterien gerade durch das Territorium, die Region, in der sie verbreitet sind. Darunter zählt man beispielsweise Okzitanisch oder Irisch-Gälisch. Die Sprecher dieser Sprachen fühlen sich ethnisch zur Sprachmehrheit zugehörig und nehmen daneben noch eine zusätzliche regionale Identität an (vgl. Kap. 10.2.1). 4.2.4 Städtische Immigranten Eine vierte Gruppe bilden sog. 'allochthone Minderheiten'. Im Gegensatz zu den autochthonen Gruppen, die schon sehr lange in einem bestimmten Gebiet siedeln, handelt es sich hierbei um Immigrantengruppen, die im Zusammenhang mit der Nachkriegsmigration entstanden. Diese Migrantengruppen sind nach Nelde (1994: 119) in drei Gruppen zu unterteilen: sozial schwache Migrantengruppen Mittelschichtsangehörige (z.B. Facharbeiter) in den reichen Metropolen Westeuropas "minorities from affluent countries", wie Diplomaten, Eurokraten oder Kulturvermittler (Sprachlehrer, Akademiker) Im Zusammenhang mit der ersten Gruppe sind die Grenzen zwischen Kategorien wie 'Gastarbeiter' und den Angehörigen der 'neuen Minderheit' eher fließend, meist spielt hier der Zeitfaktor eine Rolle, d.h. die geplante oder realisierte Aufenthaltsdauer im Gastland (s. Oksaar 2003: 153). Von diesen sog. 'neuen Minderheiten' beherrschen viele Mitglieder die Zweitbzw. Landessprache nur unzureichend, während bei den alten, autochthonen Minderheiten meist das Gegenteil der Fall ist, nämlich dass die Erstsprache nicht oder nur unzureichend beherrscht wird. Diese lernen dann oft die Minderheitensprache als Zweitsprache, wie viele Vertreter der jüngeren Generation in den deutschen Sprachinseln (s.u. Kap. 11.3.2). Die beiden übrigen Gruppen, der Facharbeiter, Firmenangehörigen im Auslandsdienst, Diplomaten oder Entsandten internationaler Organisationen und im Bereich der Kulturvermittlung sind bisher kaum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen (vgl. Erfurt/ Amelina 2008). Allerdings ist der Aufenthalt dieser Gruppen in der anderssprachigen Umgebung meist begrenzt und viele von ihnen sind sog. 'Transmigranten', d.h. sie halten sich im Laufe ihres Lebens in vielen verschiedenen Ländern auf. Formen mehrsprachiger Gesellschaften 72 4.2.4.1 Historische Formen städtischer Migration Obwohl diese Gruppierungen im Zuge der Globalisierungsprozesse zunehmen, sind sie aber nicht nur ein modernes Phänomen, sondern finden sich auch in der Geschichte immer wieder (vgl. Riehl 2008): So gab es über Jahrhunderte hindurch eine Arbeitsmigration von hochqualifizierten Spezialisten wie Ärzten, Apothekern, Lehrern und anderen Angehörigen der Oberschicht, die besonders die städtischen Zentren Osteuropas bevölkerten. Dazu kamen Militärpersonen, besonders hohe Offiziere, die beispielsweise in den Dienst der russischen Zaren traten. Diese Migranten bildeten etwa im 18. Jh. in Moskau und St. Petersburg neben Fachleuten, die Peter der Große gerufen hatte, eine breite Schicht (1869 waren 46.000 Deutsche in St. Petersburg). An der Petersburger Akademie der Wissenschaften, an Universitäten und höheren Schulen unterrichten im 18. Jh. viele deutsche Gelehrte. Die Deutschen hatten in dieser Zeit in Moskau und später in St. Petersburg eine eigene Knaben- und eine Mädchenschule, mehrere Vereine und eine deutschsprachige Zeitung. Von allen ethnischen Minderheiten gab es unter den Deutschstämmigen in Russland die meisten Adligen, Ehrenbürger, Kleinbürger und Kaufleute. Allerdings waren auch unter den Handwerkern die Deutschen stark vertreten: Besonders Bäcker, Metzger, Bierbrauer, Uhrmacher, Schneider und Schuhmacher kamen aus dem deutschsprachigen Raum (vgl. Brandes 1999). Hier ist aber zu bedenken, dass Angehörige der Oberschicht Träger der Mehrsprachigkeit sind und sich schneller an die Mehrheitsgesellschaft assimilieren als Handwerker. In dieser Schicht ist also weniger mit langfristigem Spracherhalt zu rechnen. Ein weiterer prominenter Fall sind die jüdischen Gruppen, die sich im Laufe der letzten Jahrhunderte in verschiedenen städtischen Zentren Mittel- und Osteuropas angesiedelt hatten. Auch hier waren alle Bevölkerungsschichten vertreten. 4.2.4.2 Die Situation der Migranten heute In neuerer Zeit kennt man aus den USA die berühmt gewordenen Viertel 'Chinatown' oder 'Little Italy', in denen der überwiegende Prozentsatz der Bevölkerung chinesischer oder italienischer Abstammung ist (vgl. Milroy/ Milroy 1992). In diesen kompakten Gebieten wird meist die sog. 'Drei-Generationen-Regel' durchbrochen, die bei herkömmlichen Migranten gilt. Diese besagt, dass die erste Generation die neue Sprache des Einwandererlandes nur unvollständig erwirbt, die zweite Generation zweisprachig ist (in der Sprache der Eltern und der Sprache des Einwanderlandes) und die dritte Generation schließlich wieder einsprachig in der Sprache des Gastlandes. In diesen festgefügten Gemeinschaften von Migrantengruppen dagegen kommt es zu einer ähnlichen Situation wie bei den Sprachinselminderheiten, d.h. die Sprache wird über längere Zeit erhalten, aber sie verändert sich. Vergleichbare Situationen in Deutschland haben wir etwa mit den türkischen Migrantengruppen in Berlin, Hamburg oder Köln, die inzwischen nicht mehr nur Beispiele für gesellschaftliche Mehrsprachigkeit 73 sozial niedrige Schichten umfassen, sondern in der zweiten und dritten Generation wichtige Positionen in der deutschen Gesellschaft bekleiden. Sie bildeten im Jahr 2011 mit etwa 1,6 Millionen die größte Gruppe unter den insgesamt über 7 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland. Dazu kommen noch weitere etwa 1,4 Millionen türkischstämmige Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit (vgl. http: / / www.bamf.de) . In den türkischen Vierteln der Großstädte gibt es Kinder, die bis zum Schuleintritt nur in ihrer Muttersprache aufwachsen, und viele sprechen bei ihrer Einschulung kaum Deutsch (vgl. Oksaar 2003: 157). Inzwischen deutet sich auch bereits eine "Koloniebildung" einer russischen Minderheit unter den Russlanddeutschen an, deren Vertreter der dritten und vierten Generation bei ihrer Einreise das Deutsche kaum beherrschen (vgl. Berend 1998). Diese Sprachgemeinschaften folgen dem Modell des Lebenskreislaufs, das Mattheier (2003) für Sprachinseln vorschlägt: Ausschlaggebend für den Spracherhalt in der zweiten (und weiteren) Generation sind demnach enge soziale Netzwerke, Endogamie, Austausch mit dem Mutterland durch Neueinwanderer, lange Aufenthalte im Herkunftsland in den Ferien und die Präsenz einer gut etablierten Medienlandschaft. Dies trifft zumindest für die türkische Sprachgemeinschaft weitgehend zu. Das Türkische hat trotz seines verhältnismäßig niedrigen Prestiges in der Mehrheitsgesellschaft ein beachtliches verdecktes Prestige bei den Muttersprachlern und anderen Einwanderergruppen (s. Dirim/ Auer 2004). Da die meisten Sprecher der zweiten und dritten Generation keinen Türkischunterricht haben, passiert ähnliches für die türkische Sprache in Deutschland, wie es für viele Sprachinseln des Deutschen zutrifft: Ihre Sprache wird durch die Umgebungssprache überdacht. Das führt ebenfalls zu interessanten Sprachkontakterscheinungen. Viele Leser dieses Buches haben sicher schon türkische Sätze wie hauptbahnhofa gidiyorum ('ich fahre zum Hauptbahnhof') gehört. Aber der Sprachkontakt beschränkt sich nicht nur auf den Wortschatz, sondern hat auch strukturelle Auswirkungen (vgl. ebd.: 15ff. und Cindark/ Aslan 2004). Darüber hinaus ist noch ein weiterer Aspekt zu berücksichtigen: In bestimmten Städten, die bereits mehrsprachig sind (z.B. Brüssel, Bozen, Strasbourg), treffen allochthone Gruppen (z.B. Migranten aus Marokko und der Türkei) auf die autochthonen Minderheiten (z.B. Flamen, Deutschsprachige). Damit werden die bodenständigen Minderheiten weiter minorisiert. Für die Migrantengruppen bedeutet das außerdem, dass sie de facto dreisprachig werden müssen, wenn sie sich in die Mehrsprachigkeitssituation ihres neuen Domizils einfügen wollen. Hier ist also mit Sprachkontakt auf weiteren Ebenen zu rechnen (vgl. Nelde 1994: 119). Formen mehrsprachiger Gesellschaften 74 4.3 Zusammenfassung Sprachkontakt findet vor allem statt, wenn Sprecher verschiedener Sprachen zusammentreffen und diese gemeinsam gebrauchen. Das geschieht besonders dann, wenn die Gesellschaften mehrsprachig sind. Dabei gibt es unterschiedliche Konstellationen: Staaten mit territorialer Mehrsprachigkeit, in denen aber die einzelnen Territorien nicht mehrsprachig sind, mehrsprachige Staaten, in denen viele Sprachen nebeneinander gesprochen werden, und Minderheiten in an sich einsprachigen Staaten. Hier ist wiederum zu unterscheiden zwischen Grenzminderheiten (d.h. Gruppen, die an der Grenze zu einem Staat leben, in dem man die Sprache auch spricht), Sprachinseln (Gruppen, deren Sprache zwar in einem Staat gesprochen wird, die sich aber als Insel innerhalb einer anderssprachigen Mehrheit befinden), und Sprachminderheiten, deren Sprache nirgendwo Staatssprache ist. Neben diesen Gruppen, die meist in eher ländlichen Strukturen leben, gibt es Migrantengruppen in großstädtischen Ballungsgebieten, die ihre Sprache und Kultur ebenfalls im anderssprachigen Umfeld bewahren. Je nachdem, wie hoch der Grad der Abschottung nach außen und der Druck der umgebenden Mehrheitssprache ist, ist dann die Intensität des Sprachkontakts zwischen der Minderheits- und Mehrheitssprache mehr oder weniger stark. 5 Individuelle Mehrsprachigkeit: Erwerb und Verlust 5.1 Definition von individueller Mehrsprachigkeit Im vorausgehenden Kapitel haben wir uns mit der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit beschäftigt, die eine wichtige Voraussetzung dafür darstellt, dass Sprachen miteinander in Kontakt treten. In diesem Kapitel wollen wir uns der Mehrsprachigkeit beim Individuum zuwenden; denn der eigentliche Prozess der Sprachmischung findet ja in den Köpfen der Sprecher statt. Individuelle Mehrsprachigkeit kann sich, wie wir in Kap. 2 gesehen haben, in ganz unterschiedlicher Weise und in ganz unterschiedlichen Situationen äußern, die Lüdi/ Py (1984: 8) wie folgt beschreiben: "zwei (mehrere) Gebrauchssprachen, die täglich in einer Vielfalt von Situationen gesprochen werden, sei es in 'einsprachigen Situationen' (A oder B), sei es in 'mehrsprachigen Situationen' (AB), mit oder ohne Prestigehierarchie eine Gebrauchssprache in der Jugend, eine andere im Erwachsenenalter eine 'Wochenendsprache', die bei der wöchentlichen Heimkehr in die Familie gesprochen wird, und eine 'Wochentagssprache', die alle täglichen Bedürfnisse erfüllt eine gesprochene Sprache und eine geschriebene Sprache [...] eine einzige Gebrauchssprache gepaart mit sehr guten fremdsprachlichen Kenntnissen, die sporadisch im Kontakt mit Fremden (Arbeit, Ferien, Zufallskontakte) verwendet werden usw." Ausgehend von diesen Situationstypen muss man sich die Frage stellen: Wie erwirbt ein Individuum Mehrsprachigkeit? Und ab wann ist nun ein einzelner Sprecher mehrsprachig? Diese Frage wird seit Beginn der Bilingualismus- Forschung viel und sehr kontrovers diskutiert (vgl. Appel/ Muysken 1987: 2f., Földes 2005: 7ff.). Grundsätzlich muss man davon ausgehen, dass 'perfekte' Mehrsprachigkeit, d.h. quasi-muttersprachliche Kompetenz in zwei oder mehr Sprachen, die Ausnahme bildet. Im Allgemeinen ist für die Herausbildung der Kompetenzen in den zwei oder mehr Sprachen der Sprachgebrauch in unterschiedlichen Domänen (oder in unterschiedlichen sozialen Rollen) ausschlaggebend. Viele Publikationen berufen Individuelle Mehrsprachigkeit: Erwerb und Verlust 76 sich daher auf die Definition von Els Oksaar, die Mehrsprachigkeit funktional zu definieren sucht: Mehrsprachigkeit definiere ich funktional. Sie setzt voraus, dass der Mehrsprachige in den meisten Situationen ohne weiteres von der einen Sprache zur anderen umschalten kann, wenn es nötig ist. Das Verhältnis der Sprachen kann dabei durchaus verschieden sein - in der einen kann, je nach der Struktur des kommunikativen Aktes, u.a. Situationen und Themen, ein wenig eloquenter Kode, in der anderen ein mehr eloquenter verwendet werden. (Oksaar 1980: 43) Nimmt man diese Definition beim Wort, so kann man auch Individuen als mehrsprachig bezeichnen, die eine oder mehrere weitere Sprachen irgendwann im Laufe ihres Lebens erlernt haben und es zumindest so weit gebracht haben, dass sie ohne Weiteres von der einen in die andere Sprache umschalten können. Dabei muss man auch in Betracht ziehen, dass Mehrsprachigkeit ein dynamischer Prozess ist: Zum einen können sich die Kompetenzen im Laufe des Lebens immer wieder verlagern, zum anderen muss man davon ausgehen, dass jede kleine Veränderung eine Umstrukturierung des ganzen Systems zur Folge hat. De Bot/ Verspoor/ Lowie (2007) führen in diesem Zusammenhang die Dynamic Systems Theory ins Feld. Diese ursprünglich aus der Mathematik stammende Theorie besagt, dass Sprachwissen und Sprachkompetenz eines Mehrsprachigen nicht aus getrennten oder trennbaren Subsystemen (L1, L2, L3 usw.) bestehen, sondern dass sie ein holistisches dynamisches System bilden, in dem jede Veränderung Auswirkungen auf alle Subsysteme hat. Das heißt, wenn ein Mehrsprachiger ein bestimmtes Konzept oder ein sprachliches Muster in einer Sprache erwirbt, kann sich das auch auf die Konzepte und Muster in seinen anderen Sprachen auswirken. Die Fähigkeit, die gesamten sprachlichen Ressourcen nutzen zu können, wird auch als Multicompetence bezeichnet (vgl. Cook 2003, Franceschini 2011). Man kann jedoch Sprachen auch wieder vergessen, und davon kann sogar die Erstsprache betroffen sein. In diesem Falle spricht man von Spracherosion (vgl. Kap. 5.3). 5.2 Erwerb von Mehrsprachigkeit 5.2.1 Grundsätzliche Problematik Zunächst ist einmal zwischen den verschiedenen Arten von Zweit- (oder Dritt-) Spracherwerb zu differenzieren. Man unterscheidet: ungesteuerten Zweitspracherwerb (acquisition) gesteuerten Zweitspracherwerb bzw. Zweitspracherwerb durch Unterricht (learning) Diese beiden Formen lassen sich aber in der Regel nicht trennen. In vielen Fällen sind beide Möglichkeiten gekoppelt, z.B. bei Migrantenkindern. Diese lernen die Erwerb von Mehrsprachigkeit 77 Sprache des Gastlandes im Umgang mit Gleichaltrigen und in ihrer Umwelt (acquisition), und gleichzeitig in der Schule (learning). 26 Hier ist allerdings zu bedenken, dass man zwar die gesprochene Varietät einer zweiten Sprache einfach durch das Eintauchen in eine anderssprachige Gesellschaft erlernen kann, dass aber Schriftspracherwerb in der Regel an institutionelle Vermittlung, d.h. an Schulunterricht, gekoppelt ist (vgl. Riehl 2006). Das gilt umgekehrt auch für die Erstsprache: Wenn nun Migrantenkinder in Deutschland in die Schule gehen, lernen sie in der Regel nur das Deutsche als Schriftsprache, ihre Muttersprache bleibt oft lediglich "Haussprache". Davon ist die überwiegende Zahl von Migranten in der ganzen Welt betroffen. Die Kinder wachsen in einem Land mit einer anderen Sprache auf und werden in dieser Sprache alphabetisiert. Doch auch in vielen mehrsprachigen Gesellschaften ist die Sprache, in der in der Schule unterrichtet wird, nicht die Muttersprache der Sprecher. Das gilt für die meisten Staaten in Afrika, für Indianer, Aborigines und eine große Zahl von Sprachminderheiten, denen nicht das Recht auf Schulunterricht in der Muttersprache eingeräumt wird. Ausgewogene Mehrsprachigkeit erwirbt man aber nur, wenn man auch die Schriftsprache in der jeweiligen Sprache lernt, d.h. wenn man zweisprachige Schulen oder Schulen mit sog. 'Immersionsunterricht' besucht. Dieses Unterrichtsmodell wurde erfolgreich im französischsprachigen Kanada erprobt und hat schon viele Anhänger gefunden: Die Schüler bekommen ein "Sprachbad" in der Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist. Dies geschieht, indem neben dem Sprachunterricht auch andere Unterrichtsfächer (wie Geographie, Geschichte, Mathematik etc.) in dieser Sprache abgehalten werden. Die Immersionsprogramme sind sehr vielfältig (vgl. dazu Cathomas 2005: 71ff.). Man kann grob drei Typen von Immersion unterscheiden (vgl. Hamers/ Blanc 2000: 332f.): Totale Immersion: Der Unterricht in der L2 beginnt bereits im Kindergarten und wird in den ersten beiden Schuljahren fortgesetzt. Die L1 kommt erst im dritten Schuljahr "häppchenweise" hinzu, am Ende des Primarschulunterrichts nimmt sie dann 50% ein. Frühe teilweise Immersion: Beide Sprachen werden gleichzeitig zu Schulbeginn unterrichtet, der jeweilige Anteil der Sprachen variiert aber sehr stark von Programm zu Programm. Späte Immersion: Diese beginnt erst in der Sekundarschule, die Schüler hatten aber vorher schon traditionellen Fremdsprachenunterricht in der L2. Der Anteil der Sprachen variiert auch hier sehr stark. Im europäischen Kontext verwendet man den Begriff 'Immersion' kaum. Hier hat sich inzwischen das Akronym CLIL (für Content and Language Integrated Learning) durchgesetzt (vgl. García 2009: 208ff.). 26 Auch Butzkamm (2002: 96) kritisiert diese von Krashen stammende Trennung: Bewusstsein ist kein einheitlicher Zustand, die Übergänge vom bewussten zum unbewussten Lernen sind daher fließend. Individuelle Mehrsprachigkeit: Erwerb und Verlust 78 Dass man in den ersten Jahren des Schulunterrichts auch Unterricht in der Muttersprache bekommt, ist deshalb wichtig, weil man in der Festigung der Kompetenzen in der L1 die Grundlage für den Erwerb der Zweitsprache sieht. Daher ist auch Schrifterwerb in der Muttersprache ein dringendes Anliegen. Allerdings ist das in vielen Staaten gar nicht möglich, da die L1 nicht verschriftlicht ist. Das gilt noch immer für eine große Zahl von afrikanischen Sprachen, für die es keine Grammatiken oder Schulbücher gibt. Außerdem kann hier noch eine zusätzliche Dimension hinzukommen, der sog. 'Biliteralismus', der auftritt, wenn sich L1 und L2 zweier verschiedener Schriftsysteme bedienen. In diesem Zusammenhang wird die Problematik der sog. 'Doppelten Halbsprachigkeit' (double semilingualism) diskutiert. Damit wird ausgesagt, dass Kinder (v.a. von Arbeitsmigranten) im Ausland einerseits eine reduzierte muttersprachliche Kompetenz aufweisen und auf der anderen Seite auch nur mangelnde Kenntnisse in der Sprache des Gastlandes erwerben. Sie haben dann nur eine Teilkompetenz in beiden Sprachen. Doppelte Halbsprachigkeit wird definiert als ein sprachliches Handicap, das einen Sprecher daran hindert, die linguistischen Fertigkeiten zu erlangen, die er eigentlich aufgrund seines Potentials erreichen könnte. Dies kann dadurch entstehen, dass die Kinder bei der Einschulung "die Stufe der wissenschaftlichen Begriffe im Sinne Wygotskis" (Butzkamm 2002: 53) nicht erreicht haben. Der amerikanische Bildungsforscher Jim Cummins hat hier den Begriff CALP (Cognitive Academic Language Proficiency) geprägt, d.h. die Fähigkeit sich in dekontextualisierten abstrakten Zusammenhängen ausdrücken zu können - im Gegensatz zu den sog. BICS (Basic Interpersonal Communication Skills), die für die mündliche Alltagskommunikation ausreichend sind (vgl. etwa Cummins 2004). Allerdings ist die Bezeichung 'Semilingualismus' in der Mehrsprachigkeitsforschung sehr kontrovers diskutiert worden und heute nicht mehr wissenschaftlich haltbar (vgl. Busch 2013: 53f.). So weist etwa Oksaar (2003: 163) darauf hin, dass dieser Begriff ohne gesicherte Daten und empirische Grundlagen entstanden ist und Sprachen als "statische, absolute und messbare Größen" auffasst, die zudem an monolingualen Normen orientiert seien. Vielmehr sollte hier der Begriff 'sprachliche Heimatlosigkeit' verwendet werden, der die dynamische Situation des Zweitspracherwerbs und der Beherrschung von Sprachen besser erfasse. Sprachliche Heimatlosigkeit äußere sich vor allem in einem Unsicherheitsgefühl bei der Sprachverwendung in vielen Situationen. 27 Die Forscher sind sich aber darin einig, dass zuerst die Muttersprache so gefördert werden sollte, dass sie als Verstehens- und Denkgrundlage fungieren kann. Nach Cummins (2000) müssen Muttersprache und intellektuelle Entwicklung einen bestimmten Schwellenwert erreicht haben, damit man erfolgreich zweisprachig werden kann. Dies bedeutet, dass Kinder von Sprachminderheiten 27 Am Begriff 'Halbsprachigkeit' wurde auch kritisiert, dass das Defizit an standardisierten Normen gemessen wird. Daraus könnten keine Schlüsse auf ein kognitives Defizit gezogen werden (vgl. Hamers/ Blanc 2000: 95). Erwerb von Mehrsprachigkeit 79 auch Lesen und Schreiben in ihrer Muttersprache erlernen sollten. Ergebnisse von Untersuchungen bei türkischen Migrantenkindern (etwa Aytemiz 1990) legen nahe, dass eine gute Sprachkompetenz in L1 auch eine gute Sprachkompetenz in L2 nach sich zieht. So erzielten etwa Schüler, die in der Türkei die Schule besucht hatten, bevor sie nach Deutschland kamen, in der Regel bessere Ergebnisse als in Deutschland eingeschulte Gleichaltrige. Zu einem ähnlichen Resultat gelangt auch Knapp (1997): Bei der Analyse von Erzähltexten in der Zweitsprache Deutsch zeigte sich, dass Migrantenkinder, die bereits im Heimatland die Schule besucht hatten, eine höhere Text- und Erzählkompetenz im Deutschen besitzen als Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die in Deutschland eingeschult wurden. Dies bestätigt die These, dass die Kinder, die in ihrem Heimatland schriftsprachlich sozialisiert wurden, die Fähigkeit zur Bildung von Makrostrukturen besitzen, die auf die Zweitsprache übertragen werden können. Ähnliche Ergebnisse zur Bedeutung des muttersprachlichen Unterrichts bei Migrantenkindern finden sich auch in der Studie von Schader (2006) zu albanisch-deutschen bilingualen Kindern und von Caprez-Krompàk (2010) zu Schülern mit Türkisch oder Albanisch als L1 in der Schweiz. Außerdem ist es wichtig, dass die Eltern weiterhin ihre Muttersprache beibehalten und nicht die Kinder mit einem Sprachmischmasch konfrontieren und dass sie die Kinder zum Lesen animieren. Allerdings ist die Anregung zum Lesen und Schreiben in bestimmten Migrantengruppen, die selbst kaum alphabetisiert sind, gering. Diese Problematik wurde von einigen Programmen aufgegriffen, die die Muttersprache von Migrantenkindern im Unterricht fördern; grundsätzlich wird dieses Ziel aber noch viel zu wenig verfolgt (vgl. die Übersicht über die Programme bei Reich/ Roth 2002: 20ff., Reich 2008, Gogolin et al. 2011). Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die positive Bewertung der Muttersprache der Migrantenkinder durch Lehrer und Mitschüler (s. Oomen-Welke 1999). 5.2.2 Ungesteuerter Zweitspracherwerb Beim ungesteuerten Zweitspracherwerb gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man erwirbt die zweite Sprache schon als kleines Kind zusammen mit der Erstsprache, dann spricht man vom sog. 'bilingualen Erstspracherwerb' (etwa bis zum Alter von drei Jahren). Oder man eignet sich die Sprache in einem späteren Stadium als älteres Kind oder Erwachsener an. Die Problematik, die im zweiten Fall auftritt, ist, dass beim Erwerb in einem späteren Stadium (etwa ab zehn Jahren) ein akzentfreies Beherrschen einer Sprache kaum mehr möglich ist. Man spricht daher von einer 'kritischen (neuerdings sensitiven) Periode' für Zweitspracherwerb. Dafür gibt es verschiedene Erklärungsmöglichkeiten: Individuelle Mehrsprachigkeit: Erwerb und Verlust 80 Prozess der Lateralisation Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Akzent Verminderte Wahrnehmung phonetischer Kontraste Unter dem Prozess der sog. 'Lateralisation' oder 'Hemisphärenspezialisierung' ist folgendes zu verstehen: Die Großhirnhemisphären werden auf bestimmte Funktionen wie Sprache, Händigkeit und Gestalterfassung spezialisiert. Durch die Lateralisation entsteht eine anatomische und vor allem funktionelle Ungleichheit der beiden Hirnhälften (funktionelle Asymmetrie). In Bezug auf die sprachliche Entwicklung fällt eine deutliche Dominanz der linken Hemisphäre für Sprache auf (vgl. Hanser 2000: 114f.). Die Hemisphärendominanz für Sprache entwickelt sich aber erst im Verlauf der Hirnreifung (Corballis 1991). Für die grundlegenden Fähigkeiten der Lautsprache ist eine erste Spezialisierung mit fünf bis sechs Jahren erreicht. Im Verlauf der Schulzeit nimmt mit dem Erlernen der Schriftsprache die Spezialisierung weiter zu und ist mit dem Eintritt in die Pubertät weitgehend abgeschlossen. Bei Kindern, bei denen der Prozess der Hemisphärenspezialisierung noch nicht ganz abgeschlossen ist, wird auch die rechte Hemisphäre noch stärker zum Spracherwerb herangezogen. Die zweite Erklärung besteht darin, dass die Ausbildung der Persönlichkeit sehr stark mit der eigenen Stimme und dem eigenen Akzent zusammenhängt. Das würde bedeuten, dass man nach dem Eintritt in die Pubertät die Aufgabe von Persönlichkeitsmerkmalen fürchtet, wenn man einen anderen Akzent oder eine andere Sprechweise annimmt (vgl. Oksaar 2003: 64f.). Die dritte Erklärungsmöglichkeit, die verminderte Wahrnehmungsfähigkeit für phonetische Kontraste, besagt, dass die Fähigkeit, bestimmte Nuancen zwischen den Lauten einer Sprache zu unterscheiden, von frühester Kindheit an zunehmend abnimmt. Allerdings weisen neuere Studien darauf hin, dass auch Erwachsene eine zweite Sprache bei entsprechendem Training durchaus noch perfekt erlernen können (vgl. Gass/ Selinker 2008: 405ff., Oksaar 2003: 52ff.). 5.2.3 Bilingualer Erstspracherwerb Auch beim bilingualen Erstspracherwerb, also wenn man zwei Sprachen von klein auf gleichzeitig lernt, gibt es wiederum verschiedene Konstellationen, die sich auf den Spracherwerb positiv oder negativ auswirken können: eine Familiensprache (L1), eine Umweltsprache (L2) gemischtsprachige Familien (Vater spricht L1, Mutter spricht L2), die Umwelt spricht L1 oder L2 gemischtsprachige Familien (Vater spricht L1, Mutter spricht L2) in einer anderssprachigen Umwelt (L3) Romaine (1995: 183ff.) nimmt sogar eine Unterscheidung in sechs verschiedene Konstellationen vor. Sie unterscheidet noch einmal, ob die Eltern in den jeweili- Erwerb von Mehrsprachigkeit 81 gen Konstellationen ihre Muttersprache sprechen oder nicht (z.B. kann ja auch im ersten Fall eine Familiensprache verwendet werden, obwohl einer der Elternteile diese als Zweitsprache spricht) und ob die Sprachen gemischt verwendet werden oder nach dem 'Eine Person-eine Sprache'-Prinzip vorgegangen wird. Dieses Prinzip, das auf Ronjat (1913) zurückgeht, besagt, dass jeder Elternteil mit den Kindern seine eigene Erstsprache sprechen soll. Dies ist wichtig für den Spracherwerb der Kinder, weil der Sprachgebrauch an bestimmte Personen gebunden ist. Außerdem drücken die Eltern damit eine gewisse Solidarität mit der Sprache aus, was deren Prestige stärkt. Aber das Prinzip birgt auch Nachteile, etwa wenn einer der Partner einsprachig ist und damit von einem Teil des Familiengesprächs ausgeschlossen bleibt (vgl. Egger 1994: 164). Das 'Eine Person-eine Sprache'-Prinzip wird zwar in der Bilingualismus-Forschung immer wieder als das einzig sinnvolle hervorgehoben, aber es gibt ebenso Studien, die feststellen, dass auch Kinder, die einem gemischten Input ausgesetzt sind, keine unnormale Sprachentwicklung aufweisen (vgl. Romaine 1995: 204). 28 Der Hauptunterschied liegt wohl vor allem im Bewusstsein des Kindes darüber, dass es zwei Sprachen spricht (eine 'Muttersprache' und eine 'Vatersprache'). Dieses ist bei den Kindern, die nach dem 'Eine Person-eine Sprache'-Prinzip erzogen werden, schon sehr früh ausgeprägt. Etwa mit drei Jahren können die Kinder die Sprachen unterscheiden und benennen. 29 So etwa die dreijährige Betty (Mutter englisch, Vater deutsch) aus Washington. Obwohl sie Deutsch nur passiv versteht, macht sie ihren Vater bei einem Ausflug nach Mount Vernon auf einen deutschen Touristen aufmerksam: Papa, the man spricht Deutsch! 5.2.3.1 Phasen des Erwerbs Wie erwirbt ein Kind zwei Sprachen? Kinder, die zwei Sprachen gleichzeitig erwerben, haben zunächst ein gemischtes Vokabular (vgl. Romaine 1995: 190). Wie auch im monolingualen Erstspracherwerb werden die Begriffe in spezifischen Situationen gelernt. Wichtig ist hier der Erwerb von Synonymen: Kinder lernen das Wort Baum in einem Kontext und das Wort tree in einem anderen. Somit haben sie zwei pragmatisch-semantische Bereiche und müssen lernen zu generalisieren. Wenn sie das geschafft haben, erkennen sie, dass sie es mit zwei verschiedenen Sprachen zu tun haben. Ein Beispiel aus Taeschner (1983: 36f.): Ihre Tochter 28 In der Realität wird das Prinzip auch wirklich nicht so konsequent angewandt: So hat Egger (1985) für Südtirol festgestellt, dass nur etwa die Hälfte der Eltern, die beide Sprachen (hier: Italienisch und Deutsch) in der Familie verwenden, das Prinzip anwenden. In den übrigen Familien spricht ein Elternteil eine Sprache und der andere beide. 29 Studien von Genesee et al. konnten allerdings zeigen, dass sich Kinder bereits im Alter von zwei Jahren auf die Sprache des Gesprächspartners einstellen können, d.h. mit einem Fremden auch in dessen Sprache sprechen (wenngleich noch mit gewissen Anteilen an Sprachmischung, s.u. S. 83 und Genesee/ Nicoladis 2007). Individuelle Mehrsprachigkeit: Erwerb und Verlust 82 Giulia (deutsch-italienisch) bezeichnet zunächst nur den Spiegel im Bad mit dem italienischen Wort specchio, den im Schlafzimmer dagegen als Spiegel. Sehr schön zeigen lässt sich diese funktionale Trennung auch am Beispiel eines deutsch-italienisch zweisprachigen Kindes, das Egger (1994: 143ff.) aufführt. Lorena im Alter von 4 Jahren und 2 Monaten spricht vom italienischsprachigen Kindergarten und "zitiert" quasi aus einer anderen Welt: 29. Mama: Und wer tuat'n Wasser aufschenkn? Lorena: I, und dann der Vincenzo. Mama: Ah so! Lorena: Und die Giulia. Mama: Und die Giulia a. Lorena: Ja. Lei die grandi terfen, net die piccoli. Der Simone Pallone (? ), der is a kloaner. Der geaht a letto. [...] In, in Kindergarten. Weil sem sogn sie alm: I piccoli vanno a letto. Und i bin a grandi, die grandi vanno (nicht? ) [...] Na, i mach nar, i mach zun basta, i tue in die Kind[r] sog[n]: schun basta mit di Lampostil colorare und i kriag, die Lorena, die Lorena kriagg schede. (nach Egger 1994: 143ff., leicht modifiziert) ['Wer schenkt Wasser auf? Ich und dann der Vincenzo. Ah so! Und die Giulia. Und die Giulia auch. Ja. Nur die Großen dürfen, nicht die Kleinen. Der Simone Pallone, der ist ein Kleiner. Der geht ins Bett. Im Kindergarten. Weil dort sagen sie immer: Die Kleinen gehen ins Bett. Ich bin eine Große, die Großen gehen (nicht). Ich mach dann, ich mach zum 'Schluss jetzt'. Ich sage den Kindern: schon Schluss jetzt mit dem Anmalen mit den Leuchtstiften und ich bekomme, die Lorena bekommt Blätter.'] Für die Welt des Kindergartens sind grandi ('die Großen') und piccoli ('die Kleinen') eine wichtige Einteilung, denn die Großen dürfen mittags aufbleiben, während die Kleinen ins Bett gehen müssen (= andare a letto). Dass diese als Kategorien aufzufassen sind, zeigt eindeutig die Tatsache, dass Lorena den Simone P. als einzelnes Kind mit a kloaner ('ein Kleiner') bezeichnet. Weitere italienische Versatzstücke bilden wichtige Tätigkeiten im Kindergarten: andare a letto ('ins Bett gehen'), colorare ('anmalen') oder Gegenstände, mit denen die Kinder arbeiten: lampostil ('Leuchtstifte') und schede ('Blätter'). Auch basta ('Schluss jetzt! ') ist eine Aufforderung, die man im Kindergarten immer wieder hört. Lorena verwendet nur deutsche Satzstrukturen, italienische Teilsätze werden in die deutschen Satzstrukturen eingebaut: Italienische Substantive bekommen einen deutschen Artikel (die schede, die grandi) und werden damit in das Sprachsystem des Deutschen integriert (s.o. Kap. 2.3.2) (s. auch Egger 1994: 145f.). 5.2.3.2 Ein System oder zwei Systeme? In diesem Zusammenhang wird diskutiert, ob es sich bei den Kindern im frühen Stadium schon um ein Sprachsystem oder um zwei Systeme handelt (s. dazu den Überblick über die verschiedenen Ansätze bei Müller et al. 2011). Würde es sich um ein System handeln, müssten die Kinder in allen Kontexten unabhängig von- Erwerb von Mehrsprachigkeit 83 einander alle Muster beider Sprachen benutzen. Dies ist aber nicht der Fall. So haben etwa Genesee und andere in verschiedenen Versuchsreihen herausgefunden, dass zweisprachige Kinder je nach Gesprächspartner durchaus in der Lage sind zu differenzieren und dann jeweils ein stärker gemischtes oder weniger stark gemischtes System verwenden. D.h. wenn sie mit einem unbekannten Gesprächspartner konfrontiert werden, dehnen sie den Gebrauch der von diesem Gesprächspartner gesprochenen Sprache so weit wie möglich aus und unterdrücken die andere Sprache, soweit sie können. Bei der Fähigkeit zwischen den beiden Sprachen zu differenzieren, spielt auch der Input durch die Eltern eine Rolle (vgl. Genesee 2005, Nicoladis 2008). Die Tatsache, dass ein mehrsprachig aufwachsendes Kind ein gemischtes Lexikon verwendet, ist demnach kein zuverlässiges Kriterium dafür, dass dem Kind nicht bewusst ist, dass es zwei Sprachen benutzt. Die Sprachmischung kann nachlassen, wenn das Vokabular so groß ist, dass die Kinder keine Notwendigkeit mehr sehen, etwas aus der anderen Sprache zu entlehnen. Am Anfang legt das Kind mehr Wert darauf, neue Bezeichnungen für die Objekte und Konzepte seiner Umwelt zu lernen, als dass es Wert darauf legt, Übersetzungsäquivalente zu erwerben. Also, ein Wort für ein Objekt ist erstmal genug. So sind zweisprachige Kinder in der Regel in der Lage, genauso viele Konzepte zu bezeichnen wie gleichaltrige einsprachige Kinder, aber eben nicht in einer einzigen Sprache. Als Kriterium für die Existenz zweier getrennter Lexika wird auch das Faktum angenommen, dass die Kinder eine ausreichende Zahl von Übersetzungsäquivalenten zur Verfügung haben (vgl. Yip/ Matthews 2008: 35). Die Trennung der Sprachen in einem späteren Stadium ist darüber hinaus abhängig von der Bewusstheit der beiden Sprachen, d.h. davon dass die Kinder wissen, dass es zwei Systeme gibt. Grundsätzlich besteht aber die Möglichkeit, dass das Kind zwar ein gemischtes Lexikon verwendet, aber die Grammatiken trennt. Ein wichtiges Kriterium, um herauszufinden, ob das Kind ein gemischtes Sprachsystem hat oder bereits trennt, sind deshalb syntaktische Strukturen. Kinder übertragen bisweilen grammatische Regeln der einen Sprache auf die andere. Im folgenden Beispiel weitet das deutsch-englisch zweisprachige Kind Hildegard die Regel von der Zweitstellung des deutschen Verbs auch auf das Englische aus: 30. Then is here your school. [genau nach dem Muster Dann ist hier deine Schule] (Leopold 1949, zit. nach Romaine 1995: 209) Bei Kindern, bei denen das Englische dominant ist, findet sich der umgekehrte Fall für das Deutsche. Hier wird z.B. das finite Verb im Nebensatz wie im Englischen an die zweite Position gesetzt (31a). Ähnliches findet sich auch bei italienisch-deutsch aufwachsenden Kindern in früheren Phasen (31b): 31. a) Und das ist, was ich hab heute gemacht. (Louise 5; 8, Aufnahme Washington, 2003, unveröff.) b) Guck mal was mach ich. (Carlotta 2; 8, s. Müller et al. 2011: 179) Individuelle Mehrsprachigkeit: Erwerb und Verlust 84 Auch der Gebrauch des Hilfsverbs haben bei der Perfektbildung kann auf Kontexte ausgeweitet werden, in denen das Deutsche das Hilfsverb sein verwendet: Die hat weggelaufen (engl. she has run away, Louise 5; 8). Hier macht sich, wie schon in Kap. 2.3.1 erwähnt, bemerkbar, welche der beiden Sprachen dominant ist. Die dominantere Sprache hat einen stärkeren Einfluss auf die schwächere Sprache, wie das im Falle von Transfer zwischen zwei Sprachsystemen auch bei Erwachsenen der Fall ist. In neueren Forschungen wird deshalb nicht mehr die Frage gestellt, ob es ein oder zwei Systeme gibt, sondern wie stark der Kontakt zwischen den Sprachen ist und in welchen Bereichen es zur Trennung kommt (vgl. J. Paradis 2007). So hat etwa Döpke (2001) deutschenglisch aufwachsende Kinder untersucht. Sie nahm dabei besonders die Position des Verbs (Mum play tennis / Mama Tennis spielen), die Finitheit (häufiger im Deutschen) und die Stellung von Negation oder Modalpartikel (I don't go - Ich gehe nicht, He also goes er geht auch) in den Blickpunkt. Dabei konnte sie folgende Beobachtungen machen: Die Kinder produzierten in allen Entwicklungsstadien wesentlich mehr korrekte Satzstrukturen als abweichende. Fast alle abweichenden Strukturen kommen auch bei einsprachigen Kindern vor, nur die zweisprachigen verwenden sie häufiger. Die beiden Sprachsysteme entwickeln sich von Anfang an, aber es gibt wechselseitige Einflüsse (cross language cue competition). Diese sog. cross language cue competition, die maßgeblich ist für Sprachkontakterscheinungen, besagt, dass die Kinder offensichtlich bestimmte Regeln kennen, etwa dass die Abfolge OV (Objekt-Verb) typisch für das Deutsche ist (z.B. Tennis spielen) und dass VO in beiden Sprachen möglich ist (z.B. Vater spielt Tennis - Father plays tennis). Aber die Kinder wissen nicht, unter welchen Bedingungen VO im Deutschen auftritt. Studien von Genesee und anderen zur Sprachmischung bei Kindern zeigen, dass die Kinder nur dort mischen, wo die Sprachen sich überlappen. Wie die Erwachsenen befolgen auch sie die entsprechenden Beschränkungen (s. auch den Überblick bei de Houwer 2009: 277ff.). Grundsätzlich kann man sagen, dass diejenigen Strukturen zuerst erworben werden, die in beiden Sprachen gleich sind. So verwenden etwa französischdeutsch zweisprachige Kinder hauptsächlich die Wortstellung SVO (Subjekt- Verb-Objekt), die in beiden Sprachen vorkommt, während einsprachige französische Kinder häufiger das Subjekt ans Satzende stellen und einsprachige deutsche das Verb. Deutsch-italienisch aufwachsende Kinder erkennen, dass Deutsch eine Sprache mit Verbzweitstellung ist, aber nicht, dass die Anwesenheit einer nebensatzeinleitenden Konjunktion diese Stellungsmöglichkeit im Deutschen ausschließt. Somit wird die fehlende Hauptsatz-Nebensatz-Asymmetrie von der romanischen auf die deutsche Sprache übertragen (vgl. Müller et al. 2011: 174ff.). Erwerb von Mehrsprachigkeit 85 Hier kann aber noch den Ausschlag geben, dass die SVO-Wortstellung auch diejenige ist, die weniger markiert 30 und damit universaler ist. Die Bevorzugung bestimmter Strukturen kann auch dadurch bedingt sein, dass der Input in einer Sprache unklarer ist als in der anderen: So kann man im Französischen Adjektive vor oder nach dem Nomen platzieren, während sie im Englischen oder Deutschen immer voranstehen. Der Grund, warum im Französischen die Adjektive einmal vor, einmal nach dem Nomen stehen, ist für das Kind zunächst nicht durchschaubar. In einer zweisprachigen Situation präferiert das Kind daher zunächst die Voranstellung nach dem Muster des Englischen, weil dort die Inputdaten eindeutig sind (vgl. Yip/ Matthews 2008: 46ff.). Die gegenseitige Beeinflussung der Systeme kann aber auch zur Folge haben, dass der Erwerb von bestimmten Strukturen in einer Sprache beschleunigt wird. So konnten etwa Yip/ Matthews (2008) sehr schön zeigen, dass zweisprachige mit Englisch und Chinesisch aufwachsende Kinder schneller die w-Fragen im Englischen lernen als gleichaltrige monolinguale englische Kinder. Der Grund liegt darin, dass das System im Chinesischen offenbar einfacher ist und daher auch von einsprachigen Chinesen schneller erworben wird. Wenn nun die bilingualen Kinder die kognitive Kategorie einer w-Frage im Chinesischen bereits kennen, sind sie dazu bereit, die Struktur auch im Englischen zu erwerben. An diesem Beispiel lässt sich zeigen, dass auch immer die Bereitschaft des Lerners da sein muss, um eine bestimmte Struktur aufzunehmen (s.u. Kap. 5.2.4). Alle diese Beispiele geben bereits einen guten Einblick in die Funktionsweise von Sprachkontakt, wie sie noch im nächsten Kapitel näher erläutert werden wird (vgl. v.a. Kap. 6.3). 5.2.3.3 Übungsstrategien zweisprachiger Kinder Da zweisprachige Kinder zwei Lexika auf einmal lernen müssen, ist ihr Vokabular in einer Sprache bei ihrer Einschulung in der Regel noch nicht so groß wie das von gleichaltrigen Einsprachigen in dieser Sprache. Doch können sie Sprache flüssiger produzieren und besser Geschichten erzählen. Auch andere kommunikative Fertigkeiten, wie die Fähigkeit sich auf seinen Kommunikationspartner einzustellen, sind bei bilingualen Kindern ausgeprägter (vgl. Nicoladis 2008). Butzkamm (2002: 65) macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass bilingual aufwachsende Kinder auch selbst daran arbeiten, ihre Sprachen zu verbessern und sie auseinanderzuhalten. Sie fragen nach und wiederholen Wörter. Ein Beispiel: 32. Giulia: Mami, was ist das da? Mutter: Das ist eine Klammer. 30 Ein bestimmtes sprachliches Phänomen gilt als unmarkiert, wenn es natürlicher wirkt und einfacher aufgebaut ist. Die unmarkierte Form wirkt als Grundform, von der andere Formen abgeleitet werden können. Diese anderen Formen werden dann als markiert bezeichnet. Individuelle Mehrsprachigkeit: Erwerb und Verlust 86 Giulia: Klammer, Klammer (she repeats the word several times). (Taeschner 1983: 41) Oder die Kinder bauen ihr Lexikon auf, indem sie bemerken, welcher der beiden Elternteile welches Wort für ein bestimmtes Objekt benutzt: "Mama sagt train - Papa Eisenbahn" (Jens 2; 4, nach Kielhöfer/ Jonekeit 1983: 47). Ältere Kinder haben vor allem den Wunsch, nicht aufzufallen und sich den Spielkameraden anzupassen. Sie versuchen daher auch, ihre Sprachen zu üben, um nicht ausgelacht zu werden. So berichtet Butzkamm (2002: 66) von einem niederländischsprachigen Mädchen, das im Alter von acht Jahren nach Hamburg kommt und von ihren Klassenkameraden ausgelacht wird, weil sie elend wie im Niederländischen auf der zweiten Silbe betont (elléndig). Daraufhin trainiert sie die beiden Sätze parallel: Ik ben elléndig - ich fühle mich élend. Doch ist es auch wichtig, dass die Eltern mit den Kindern üben, und hier vor allem die schwächere Sprache. Dies ist in der Regel die Vatersprache, da meist immer noch den Müttern die Erziehung in den ersten Jahren obliegt. Vgl.: 33. Vater: [...] Jetzt lauft die Vera schnell das Lexikon holen, das Mayer's Buch, das von "Dörte weint", lauf. Und du tust derweil mir sagen: nach Meran fahrn. Sissi: Nach Meran gehn Vater: Durch die Türe gehn Sissi: Durch a Tür gehn Vater: Nach Meran fahrn Sissi: Nach Meran fahrn Vater: Durch die Türe gehn Sissi: Durch a Türe gehn Vater: Zur zia ['Tante'] gehn Sissi: Zur zu mm Vater: Zur zia gehn Sissi: Zu zia gehn (vgl. Egger 1994: 196) In diesem Beispiel aus Südtirol übt der deutschsprachige Vater mit seinen Kindern, die eine italienischsprachige Mutter haben und auch in einem italienischsprachigen Umfeld leben, ihre schwächere Sprache in Form von Übungssätzen. Interessant ist dabei Folgendes: Die Kinder hören einzelne sprachliche Strukturen einfach nicht, auch wenn sie ihnen deutlich vorgesagt werden. Sissi sagt zunächst nach Meran gehen statt fahren, analog zu italienisch andare ('fahren', 'gehen'). Auch der bestimmte Artikel wird umgewandelt in einen unbestimmten a Tür statt die Türe. Sie bleibt dabei und verbessert im zweiten Anlauf nur Tür zu Türe. Die Verschleifung der Präposition zu mit dem Artikel der wird von Sissi ebenso ignoriert: Statt zur zia sagt sie einfach zu zia. Hier verhalten sich die Kinder analog zu anderen Sprachlernern, die auf verschiedenen Stufen Verbesserungen nicht annehmen, weil sie noch nicht auf dem entsprechenden Entwicklungsstand sind. Erwerb von Mehrsprachigkeit 87 5.2.4 Zweitspracherwerb und Lernervarietäten Erwirbt ein Mensch seine zweite Sprache nach dem Alter von etwa 3 Jahren, spricht man nicht mehr von bilingualem Erstspracherwerb, sondern von Zweitspracherwerb. Auch hier unterscheidet man weiter zwischen dem sog. frühkindlichen Zweitspracherwerb (bis zum Alter von 6 Jahren) und dem Erwerb in einem späteren Stadium als älteres Kind oder Erwachsener. Für den späteren Zweitspracherwerb (ungesteuert wie gesteuert) spielt die Theorie der Interlanguage eine entscheidende Rolle. Eine Interlanguage (Lernervarietät) ist aufzufassen als eigenes System auf dem Weg zu einer Zielsprache. Die Idee der Interlanguage geht zurück auf Larry Selinker (1972), der die Interlanguage- Theorie ursprünglich für den ungesteuerten Zweitspracherwerb entworfen hat. Später wurde sie dann auch auf den gesteuerten Erwerb übertragen. Die Theorie besagt: Jede Lernervarietät besitzt neben vielen instabilen Komponenten eine innere Systematik. Die Funktionen von Wörtern oder Strukturen lassen sich nicht alleine aus der Zielsprache ableiten. Der gesamte Spracherwerb lässt sich als eine Reihe von Übergängen von einer Lernervarietät zur nächsten auffassen; die Übergänge zeigen ebenfalls eine gewisse Systematik. Die Lernergrammatik ist durchlässig: von außen aufgrund neuen Inputs und von innen durch Transfer aus der L1 (oder einer anderen bereits gelernten Sprache). Die Lernergrammatik ist vorübergehend: Sie kann sich von einem Tag auf den anderen ändern, wenn neue Regeln dazukommen. Nach Selinker ist das System der Interlanguage das Ergebnis eines psycholinguistischen Prozesses des Zusammenspiels zwischen zwei Sprachsystemen - das der Muttersprache und das der Zielsprache. 31 Die Interlanguages zeigen mehr Variation als natürliche Sprachen. Hier findet man interessante Beispiele beim Erwerb der Negation. So kann es sein, dass ein und derselbe Sprecher, der das Englische als Zweitsprache erwirbt, in der einen Äußerung don't verwendet und in der nächsten no, um ein Verb zu verneinen: 34. a) No look my card. b) Don't look my card. (Gass/ Selinker 2008: 260) Was sind nun die Gründe für die Variation? Beide Möglichkeiten sind für den Lerner des Englischen zunächst austauschbar; es wird kein Unterschied in der Bedeutung gemacht. Dann wird allmählich der unsystematische Gebrauch zu 31 Neuerdings weiß man jedoch, dass nicht nur die Muttersprache, sondern auch weitere bereits erlernte Sprachen einen Einfluss auf den Erwerb der Zielsprache ausüben. Damit beschäftigt sich die sog. 'Tertiärsprachenforschung', vgl. Hufeisen/ Lindemann (1998). Individuelle Mehrsprachigkeit: Erwerb und Verlust 88 einer Quelle für Hypothesen über den Gebrauch. Zuerst ist das Verhältnis 17: 1 für no, dann wird immer häufiger don't verwendet. In der Mitte der Übergangsphase haben wir eine besonders starke Variation zwischen no und don't (vgl. Gass/ Selinker 2008: 260). Die systematische Variation zeichnet sich dadurch aus, dass der jeweilige linguistische Kontext bestimmt, welche Struktur gewählt wird. Wichtig für das Weiterkommen von Stufe zu Stufe und damit für die Entwicklung einer komplexeren Lernergrammatik ist ein verstehbarer Input: Zu lange Abschnitte oder Monologe und zu viele unbekannte Wörter behindern den Erwerb und führen nicht zu einer Weiterentwicklung der Lernergrammatik (vgl. Ellis 1997: 47). Unterschiedliche Lernergrammatiken entstehen aber auch dadurch, dass die Lerner verschiedene Strategien des Spracherwerbs entwickeln - es gibt auch unterschiedliche Lernertypen - und dass sie, je nachdem, welche Muttersprache (oder andere Sprachen) sie sprechen, bestimmte Strukturen als übertragbar erachten und andere nicht (ebd.: 76f.). Über diese linguistische Variation hinaus gibt es auch Variation je nach Gesprächspartner, Aufgabe und Gesprächsthema (vgl. Gass/ Selinker 2008: 275f.). Es besteht allerdings Uneinigkeit darüber, ob es sich um variable Regeln handelt oder ob die Regeln fest sind und die Variabilität, die die Lerner zeigen, nur eine Folge von Performanzfehlern, d.h. Fehlern bei der Produktion, sind. Daneben darf nicht vergessen werden, dass es auch eine Variation in Lerner-Daten gibt, die völlig frei ist; die systematische Variation ist allerdings häufiger. 5.2.5 Fossilisierung Beim ungesteuerten L2-Erwerb in späteren Lebensphasen tritt in diesem Zusammenhang oft die Problematik der Fossilisierung auf: D.h. man erreicht nicht alle korrekten grammatischen Strukturen der Zielsprache. Viele Lerner bleiben auf einer bestimmten Stufe des Spracherwerbs stehen, besonders dann, wenn ihnen die Kompetenz bereits genügt, um sich kommunikativ in dieser Sprache zurechtzufinden. Nach Selinker (1972) erreichen nur 5% der Sprachlerner die gleiche Grammatikkompetenz wie ein Muttersprachler. 32 Und die Sprecher, die fossilisieren, sind dann auch nicht mehr zugänglich für Unterricht in der Sprache. Sie bleiben einfach auf diesem Niveau stehen. Dieses variiert natürlich von Lerner zu Lerner sehr stark in Abhängigkeit von Bildungsgrad und Beruf, Alter der Zuwanderung und auch in Abhängigkeit vom Typus der Sprache. Wir bemerken z.B. bei vielen Gastarbeitern in Deutschland, die schon im Erwachsenenalter zuwanderten, keine höhere Schulausbildung in ihrem Heimatland bekommen hatten und außerdem in ihrem Beruf keine guten Sprachkenntnisse brauchen, dass sie auch nach zwanzig, dreißig Jahren in 32 NB: Hier geht es nur um Grammatikkompetenz. Wir haben ja gesehen, dass die phonetischphonologischen Regeln bei älteren Lernern nur in Ausnahmefällen noch erlernt werden können (s.o. S. 80 zur Lateralisation). Verlust von Mehrsprachigkeit: Spracherosion 89 Deutschland noch viele Fehler beim Sprechen machen. Ein wichtiger Faktor ist dabei auch die Akkulturation, d.h. inwieweit sich die Sprecher in die Gemeinschaft des Gastlandes integrieren und wie groß die soziale Distanz ist. Mit dieser Problematik wird sich Kap. 7 näher auseinandersetzen (vgl. besonders 7.3.1). Andere Migranten, die beispielsweise ein Studium in ihrem Heimatland absolviert haben und auch in Deutschland die deutsche Sprache in ihrem Beruf und in ihrem sozialen Umfeld häufig gebrauchen, erlangen schon nach sehr wenigen Jahren ein sehr hohes Niveau, auch im Schriftlichen. Bei nahe verwandten Sprachen (wie dem Deutschen und dem Niederländischen) kommt allerdings hinzu, dass die Lerner zwar sehr schnell eine hohe Kompetenz erreichen können, weil die Strukturen sehr ähnlich sind, dass sie aber dennoch auf einem gewissen Niveau fossilisieren, weil sehr kleine Unterschiede zwischen den Sprachen nicht bemerkt werden. Das fällt unter die sog. 'Ähnlichkeitshemmung': Zu nahe verwandte Phänomene fallen nicht auf und werden daher auch nicht beseitigt. Dieses Problem finden wir auch bei Dialektsprechern, die das Standarddeutsche als L2 erwerben (vgl. dazu Kap. 8). 5.3 Verlust von Mehrsprachigkeit: Spracherosion So wie man Mehrsprachigkeit erwerben kann, kann man sie auch wieder verlieren. Dabei gibt es mehrere Möglichkeiten, beispielsweise das normale Vergessen einer Sprache, das ein jeder Fremdsprachenlerner kennt. Wenn man eine Sprache nicht immer übt, vergisst man sehr schnell zunächst Wörter und Wendungen, dann grammatische Formen und Strukturen. Green (1998) spricht allerdings hier von dormant language, also einer schlafenden Sprache, die wieder aktiviert werden kann. Im Falle des Sprachabbaus kommt es dann so weit, dass diese schlafende Sprache nicht mehr genug aktiviert werden kann. Diesen Prozess des allmählichen Vergessens einer Sprache bezeichnet man als 'Spracherosion' oder 'Attrition' (engl. attrition), manchmal auch als 'Sprachverlust', wobei Letzteres mehr den Verlust in einer ganzen Sprachgemeinschaft bezeichnet, während Spracherosion sich auf das Individuum bezieht. Der Begriff 'Spracherosion' bzw. 'Attrition' besagt, dass nach und nach Strukturen verschwinden und die Sprecher am Ende nicht mehr in der Lage sind, ein Gespräch in dieser Sprache zu führen. Attrition reicht also von kleinen Zugangsproblemen wie Wortfindungsschwierigkeiten bis zum völligen Verlust einer Sprache. Man unterscheidet drei verschiedene Ursachen von Attrition (vgl. Hamers/ Blanc 2000: 76): umweltbedingte Attrition (aufgrund des eingeschränkten Gebrauchs einer Sprache) altersbedingte Attrition (aufgrund von Alterungsprozessen) pathologische Attrition (aufgrund von Krankheit oder Trauma) Individuelle Mehrsprachigkeit: Erwerb und Verlust 90 Wie schon erwähnt, ist die umweltbedingte Attrition einer Zweit- oder Drittsprache, die nur teilweise beherrscht wurde, ein bekanntes Phänomen, vor allem wenn die Sprache längere Zeit nicht mehr gebraucht wurde. Dies berührt aber Sprachkontakt kaum und soll daher ausgeklammert bleiben. Ebenso soll auf alters- oder krankheitsbedingten Verlust einer Sprache nicht näher eingegangen werden, da bei Zweisprachigen meist ein paralleler Abbau beider Sprachen festzustellen ist (vgl. etwa Obler 1997). Man kann also hier nicht vom Verlust von Mehrsprachigkeit sprechen. Bei mehrsprachigen Individuen, die lange in anderssprachiger Umgebung gelebt haben oder in mehrsprachigen Gesellschaften, die zum Sprachwechsel übergehen oder in denen die Sprecher abwandern, kann es dazu kommen, dass ihre Muttersprache immer schwächer wird. Bei diesem umweltbedingten Abbau der Erstsprache handelt es sich (außer bei ganz jungen Migrantenkindern, s.u.) nie um völligen Verlust, sondern nur um den Verlust einiger Aspekte einer voll ausgebauten Sprache (Chin/ Wigglesworth 2007: 71ff.). Somit kann man Spracherosion hauptsächlich nur feststellen, wenn die Sprecher gezwungen sind im monolingualen Sprachmodus (nach Grosjean 2008, s.o. Kap. 2.2.5) zu sprechen. In vielen Sprechsituationen würden die Sprecher die Sprachen mischen, d.h. durch den Kontakt mit der L2 würde die L1 dann umstrukturiert, wäre aber in diesem Falle ein völlig funktionstüchtiges Kommunikationsmedium. Selbstverständlich hängen Attrition und Sprachwechsel zusammen: Sprachen gehen verloren durch eine Kombination von Attrition innerhalb einer Generation und einem Wechsel zwischen den Generationen. Der beste Input, den die nachfolgenden Generationen bekommen, ist schon eine "verschlissene" Version von Sprache, wie sie die ältere Generation präsentiert. Das lässt sich sehr schön an der russlanddeutschen Sprachgemeinschaft zeigen. Hier spricht die zweite Generation nur noch eine sehr verarmte Version des Deutschen, so dass sie nicht mehr als Kommunikationsmedium mit der dritten Generation ausreicht; man wechselt daher häufig zum Russischen, in das nun wiederum Elemente des Deutschen gemischt werden (vgl. Kap. 11.3.2). Spracherosion wird meist erforscht durch einen Generationenvergleich und einen Vergleich mit dem Herkunftsland (sog. Querschnittsstudien), z.B. werden deutsche Auswanderer nach Australien in der ersten und zweiten Generation interviewt und es wird festgestellt, was die zweite Generation schon abgebaut hat. Außerdem werden die Daten der Auswanderer mit denen einer gleichaltrigen Kontrollgruppe in Deutschland verglichen. Diese Daten sind aber nicht so aussagekräftig, weil man im ersten Fall nicht genau weiß, wie viel von der Kompetenz der ersten Generation der zweiten als Input zur Verfügung steht, und im zweitem Fall ist ja auch die Sprache des Herkunftslandes Veränderungen ausgesetzt (Clyne 2003: 6). Daher ist es besser, mit den gleichen Probanden eine Langzeitstudie durchzuführen, um genau zu sehen, was sich verändert (vgl. auch Schmid 2011: 118ff.). Verlust von Mehrsprachigkeit: Spracherosion 91 So haben etwa de Bot/ Clyne (1994) niederländische Einwanderer in Australien über 16 Jahre lang beobachtet, um festzustellen, wie die niederländische Sprache allmählich unter dem Einfluss des Englischen abgebaut wird. Hierbei stellte sich heraus, dass Einwanderer die meisten Attritionserscheinungen in den ersten zehn Jahren entwickeln und sich das System danach offenbar auf einem bestimmten Niveau stabilisiert. Natürlich hat der Umfang der Attritionserscheinungen auch etwas mit außerlinguistischen Faktoren wie Identitätsbewahrung bzw. Akkulturation, dem Grad der schriftsprachlichen Kompetenz in der Erstsprache und den Funktionen, die der Erstsprache noch zukommen, zu tun. Es ist auch anzunehmen - und das gilt für Sprachkontakt generell -, dass man es nicht zwangsläufig mit einer linearen Bewegung zu tun hat. In dem Moment, wo Sprecher wieder Kontakt zu ihrer Erstsprache bekommen und diese wieder öfter verwenden, werden bestimmte Verlusterscheinungen rückgängig gemacht. Dies hängt auch mit der unten aufgeführten Schwellenwerthypothese zusammen (s. S. 93). Außerdem hängt das Ausmaß der Attrition auch davon ab, in welchem Alter der Gebrauch dieser Sprache eingeschränkt wurde. So kann es bei Kindern, die relativ früh ihre Muttersprache nicht mehr gebrauchen, zu einem regelrechten Sprachverlust kommen (vgl. Köpke 2002: 31). Montrul (2008) spricht hier von unvollständigem Erwerb. Sie geht davon aus, dass Kinder von Einwanderern in der zweiten Generation teilweise nicht genügend Input bekommen, um das Sprachsystem in ihrer L1 vollständig auszubilden oder zu erhalten. Daher geht Montrul (S. 65) davon aus, dass Spracherosion bei Erwachsenen hauptsächlich die Performanz betrifft und sich nicht in abweichenden grammatischen Konstruktionen äußert. Sprecher, die die Sprache unvollständig erworben haben, haben dagegen ein Sprachsystem ausgebildet, das teilweise von dem kompetenter Sprecher abweicht. Deshalb plädiert Schmid (2011: 74) dafür, dass unter dem Aspekt der Spracherosion nur Sprecher, die nach dem Alter von 12 Jahren ausgewandert sind, analysiert werden sollten. Meist basieren die Forschungen zur Attrition auf Studien zu Sprachkontaktphänomenen, d.h. inwiefern die Kontaktsprache die Erstsprache so beeinflusst, dass diese nicht mehr ohne Strukturen der L2 auskommt. Wenn diese Strukturen, die zunächst bei einzelnen Sprechern vorkommen, in den Sprachgebrauch der gesamten Gemeinschaft übernommen werden, kommt es zu einer Veränderung der Sprache (vgl. Kap. 6). Zu Beginn der Spracherosion werden zunächst spezifische Wörter durch Wörter des Grundwortschatzes ersetzt, erst wenn diese auch nicht mehr zugänglich sind, wird stattdessen ein Wort aus der L2 verwendet. Die häufigsten Anzeichen von Attrition sind lexiko-semantische Fehler (35a), Ausdrucksfehler (35b), Wortfindungsschwierigkeiten (35c) und auch Code-Switching (35d): 35. a) Ähwawawa, ja er nimmt sein Ziel an. [statt: 'peilt, zielt'] b) dass er sich halb tot lacht, krumm lacht, was immer. [vgl. engl. 'what-ever'] Individuelle Mehrsprachigkeit: Erwerb und Verlust 92 c) Er geht diiie, (----) 33 wie heißt das noch mal (-----) Leiter hoch, wie sagt man das noch diese Leiter, (-----) fällt mir nicht ein, die Leiter die er raufgeht, weil - (-----) ja, wie heißt's ? [= Strickleiter] d) Ja, auf'm zweiten Bild leckt sie sich die - "whiskers", was sind "whiskers"? Was sind die Katzenhaare? [= Schnurrhaare] (vgl. Köpke 2002: 35f.) Darüber hinaus kommt es auch zur Bildung von neuen Wörtern: iberflächlich (statt 'oberflächlich'), verdolmetscht (statt 'gedolmetscht') Tu ich doch manchmal des Deutsche übersagen (statt: ‚vorsagen, wiederholen‘) (Beispiele aus dem Barossa- Deutschen, vgl. Riehl 2012: 45). Clyne (1968: 39) bezeichnete dies als 'idiolectal neologisms', die sich aber - wie die hier aufgeführten Erscheinungen - durchaus der deutschen Wortbildungsmuster bedienen. Es finden sich in diesem Zusammenhang auch ungewöhnliche Kollokationen: Der tat alle die Flinten ... einnehm (statt 'die Flinten einsammeln') (Barossa-Deutsch, vgl. Riehl ebd.). Daneben gibt es eine Reihe von indirekten Erscheinungen wie eingeschränkter Wortschatz oder eine Unsicherheit in der Bildung von Formen: 36. a) KE: und da hat mein Vadder gsitze, gsotzt am Tisch [Bsp. Russland, Russ 1] b) SM: haben sie uns auch eine Bibel geschonken [= 'geschenkt'] [Bsp. Russland, Russ O1] In diesen beiden Beispielen aus Russland wird deutlich, dass die beiden Sprecher, die der zweiten Generation der Russlanddeutschen angehören, Probleme haben, die unregelmäßigen Verbformen zu bilden. Sprecher KE schwankt zwischen gsitze und gsotzt (für gesessen) und Sprecherin SM kennt die richtige Partizipialform von schenken nicht mehr. Bei den Sprechern des Deutschen in Osteuropa äußert sich der Sprachabbau vor allem darin, dass sie sehr große Unsicherheiten beim Gebrauch des Artikels zeigen. Das ist eine indirekte Auswirkung des Sprachkontakts mit den slawischen Sprachen, in denen es keinen bestimmten oder unbestimmten Artikel gibt. Bei Sprechern, die die deutsche Sprache längere Zeit nicht mehr gebraucht haben, finden sich zahlreiche Beispiele ohne Artikel: in Saratover Gebiet, hast du zuhause Bibel? , und die Mutter hat Kommandant gefragt (vgl. Berend/ Riehl 2008: 39f.). Eine weitere indirekte Auswirkung ist das einfache Wechseln in die häufiger gebrauchte Sprache, wenn schwierigere Sachverhalte ausgedrückt werden sollen. Diese können dann nicht mehr mit dem Wortschatz bewältigt werden, der den Sprechern noch im Deutschen zur Verfügung steht. Sehr oft kommt dies vor, wenn bestimmte Berufe beschrieben werden sollen. Hier sind die Berufsbezeichnungen wie die damit zusammenhängenden Tätigkeiten im Deutschen nicht bekannt: 37. OR: Ah, Mutter. Mutter u menja byla vospitatel'niza. Vospitatelem v detskom sadu ['(Mutter) von mir war Erzieherin. Als Erzieherin im Kindergarten.'] to das weiß ich nicht, wie auf Deitsch sagen. [Bsp. Russland, Russ 13] 33 Mit (-) werden Pausen angezeigt. Ein "-" bezeichnet etwa 1 sec. Zusammenfassung 93 Diese oben erwähnten Erscheinungen lassen sich mit der sog. 'Schwellenwerthypothese' von Michel Paradis erklären (Paradis 2004): Diese Theorie geht davon aus, dass eine lexikalische, phonologische oder syntaktische Komponente durch eine Summierung von Impulsen aktiviert wird. Mit jeder Aktivierung wird der Schwellenwert herabgesenkt und steigt dann langsam wieder an. Häufig gebrauchte oder erst kürzlich aktivierte Elemente haben einen niedrigeren Schwellenwert als selten verwendete Elemente und Elemente, deren Aktivierung schon länger zurückliegt. Je weniger ein Element aktiviert wird, desto schwieriger ist es, wieder darauf zuzugreifen. Daher können Sprecher, die eine Sprache nur selten verwenden, diese schwer oder gar nicht aktivieren. Wird dagegen der Input verstärkt (durch vermehrten Kontakt mit Sprechern dieser Sprache) kann der Schwellenwert wieder sinken und die Sprecher haben dann erneut Zugriff auf die Wörter und Formen. Grundsätzlich lässt sich sagen: Spracherosion in der Erstsprache ist kein willkürliches Vergessen, sondern das Ergebnis der Entwicklung einer sehr ökonomischen Grammatik, die auf beide Sprachen angewendet werden kann. Neuere Ansätze in der Attritionsforschung sprechen daher auch von Restrukturierungsprozessen (vgl. de Bot/ Lowie/ Verspoor 2007: 14). Trotzdem kann der Prozess einer immer mehr fortschreitenden Attrition zum Verlust der Sprache und damit auch zum Verlust von Mehrsprachigkeit führen. Nach der obigen Definition von Oksaar (s. S. 76f.) ist man dann nicht mehr in der Lage, "in den meisten Situationen" in die zweite Sprache umzuschalten oder, um mit Grosjean (2008: 40) zu sprechen, in einen monolingualen Sprachmodus in dieser Sprache zu wechseln. Neben diesen gerade erwähnten Möglichkeiten des Sprachverlustes beim Individuum gibt es auch den Sprachverlust innerhalb einer ganzen Sprachgemeinschaft, der zum Sprachwechsel führt. Interessant in diesem Zusammenhang ist die sog. 'Reliktvarietät', d.h. eine Varietät, die bereits als Kontaktvarietät von den Sprechern unvollständig erworben wurde und die, da sie nicht mehr aktiv verwendet wird, sehr viele Attritionsphänomene aufweist. Ein Beispiel dafür ist etwa das Barossa-Deutsche in Südaustralien (vgl. Riehl 2012 und forthc.). Dieser Aspekt wird allerdings in Kap. 11 näher untersucht werden. 5.4 Zusammenfassung Individuelle Mehrsprachigkeit kann man auf verschiedene Weise erwerben: ungesteuert durch die Umwelt oder gesteuert im Unterricht. Oft sind auch beide Arten miteinander kombiniert. Ein entscheidender Aspekt für das Erreichen einer mehrsprachigen Kompetenz sind u.a. das Alter, in dem man eine Sprache erlernt (bilingualer Erstspracherwerb oder später), die Bildungsvoraussetzungen und das Sprachbewusstsein. Diese Faktoren und eine Reihe von anderen haben nun Auswirkungen auf die Intensität, mit der die beiden Sprachen in Kontakt kommen. Ist eine Sprache dominant, wird sie stärkere Spuren in der jeweils anderen Individuelle Mehrsprachigkeit: Erwerb und Verlust 94 hinterlassen. Ist die Mehrsprachigkeit ausgewogen, kann man mit etwa gleich hohen Anteilen in beiden (oder mehreren) beteiligten Sprachen rechnen. Bei einer zu starken Verlagerung zugunsten der Zweitsprache kann es auch zu Sprachverlust (Attrition) kommen. Hier wird die Muttersprache durch den sehr starken Druck der Zweit- und Umgebungssprache immer stärker "abgenutzt" und dient im Extremfall nicht mehr als voll funktionierendes Kommunikationsmedium. 6 Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten 6.1 Typen von Kontaktphänomenen Wie bereits in Kap. 2 besprochen, gibt es verschiedene Formen von Sprachkontaktphänomenen. So gibt es Transfererscheinungen, d.h. die Übertragung von sprachlichen Phänomenen der einen Sprache auf die andere, aber auch Vermeidungsstrategien, die sich nur indirekt erforschen lassen, und schließlich hybride Formen, d.h. Strukturen, die es weder in der einen noch in der anderen Sprache gibt. Hier erinnern wir uns an das System der Interlanguage (vgl. Kap. 5.2.4), wo wir auch mögliche Strukturen finden, die keiner der beteiligten Sprachen angehören. Alle diese Erscheinungen zusammen kann man mit Kellerman/ Sharwood Smith (1986) als crosslinguistic influence bezeichnen oder auch einfach als Phänomene des Sprachkontakts. Das wichtigste Phänomen sind dabei die Erscheinungen des Transfers, denen sich dieses Kapitel widmet, und zwar im Sinne der Kontakteinwirkung einer Zweitsprache auf die Erstsprache (s.o. Kap. 2.3.1). Die Beispiele stammen zum großen Teil aus meinem eigenen Material zum Sprachkontakt bei deutschsprachigen Minderheiten oder Migranten (vgl. die Angaben zu den Corpora S. 217). Hier ergeben sich Kontaktkonstellationen zwischen dem Deutschen (oder einer dialektalen Varietät des Deutschen) einerseits und einer Reihe von anderen Sprachen wie Englisch, Afrikaans, Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Rumänisch, Russisch, Tschechisch, Polnisch, Ungarisch usw. Viele dieser deutschsprachigen Minderheiten wurden in Kap. 4.2.3 vorgestellt. 6.2 Transfererscheinungen Die Transfererscheinungen können, wie wir gesehen haben, in beide Richtungen gehen und unterschiedliche Bereiche betreffen, je nachdem, welche Richtung der Sprachkontakt hat (vgl. Kap. 2.3.1): Einfluss der L1 auf die L2 oder umgekehrt. Im Folgenden sollen aber nur die Einflüsse in einer Richtung dargestellt werden, und zwar der Transfer von der Zweitsprache oder Umgebungssprache auf das Deutsche. Dadurch lassen sich sehr gut Vergleiche zwischen den verschiedenen Sprachkonstellationen ziehen und universelle von einzelsprachlichen Phänomenen trennen. Es wird im Folgenden v.a. der oben in 2.3.3 erläuterte stabile Transfer besprochen, d.h. Phänomene, die Eingang in das Sprachsystem einer Gemein- Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten 96 schaft gefunden haben. 34 Nur gelegentlich wird auf einige neuere Beobachtungen zu Erscheinungen in Migrationskontexten eingegangen. Vom Transfer sind die folgenden Bereiche betroffen, hier in der Reihenfolge, wie sie am häufigsten auftreten: Lexikon Syntax Phonologie/ Prosodie Morphologie 35 Dabei sind aber nicht nur die Unterschiede zwischen den beteiligten Sprachen zu berücksichtigen, sondern auch die Unterschiede in der Intensität des Sprachkontakts in den verschiedenen mehrsprachigen Gemeinschaften (vgl. auch die Entlehnungsskala von Thomason/ Kaufman 1988, s.o. 2.3.1, Tab. 1). In mehrsprachigen Gemeinschaften lässt sich in der Regel feststellen, dass es bei den jüngeren Sprechern einer sprachlichen Minorität mehr und häufigere Sprachkontakterscheinungen gibt als bei den Vertretern der älteren Generation. Grundsätzlich kann man aber festhalten, dass viele Phänomene, die in allen Konstellationen vorkommen, sich in manchen Sprachgemeinschaften erst im Anfangsstadium und in anderen schon in einem fortgeschritteneren Stadium befinden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, sich die in Kap. 2.3.1 getroffene Unterscheidung noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, wonach man entweder konkretes Sprachmaterial oder aber bestimmte Bedeutungen oder Gebrauchskontexte von einer Sprache in die andere übertragen kann. In der Regel gibt es im Bereich des Wortschatzes beide Möglichkeiten, d.h. es werden sowohl Wörter aus der anderen Sprache übernommen und entsprechend in das System der Nehmersprache integriert, oder aber Bedeutungen von verwandten Wörtern übertragen. Beides sind sehr häufige Verfahren im Bereich des Sprachkontaktes. Im Bereich der Morphologie und Syntax handelt es sich meist um die Ausdehnung von Gebrauchskontexten - d.h. bereits vorhandene Muster bekommen zusätzliche Funktionen -, aber auch hier können entweder Morpheme übernommen werden (z.B. Wortbildungsaffixe oder Pluralsuffixe) oder fremde syntaktische Muster kopiert werden (z.B. andere Formen der Wortstellung). Im Gegensatz dazu handelt es sich im Bereich der Phonologie und Prosodie meist um die Übernahme von Material, d.h. zusätzlichen Phonemen, oder den direkten Ersatz von Phonemen oder Intonationsmustern der L1 durch die L2. 34 Vgl. aber dazu die Problematik der Definition einer Norm in mehrsprachigen Gemeinschaften (Riehl 2010b). 35 Auch im Bereich von Text und Diskurs kann es zu Übernahmen kommen, damit wird sich aber Kap. 9 beschäftigen. Transfererscheinungen 97 6.2.1 Transfer im Bereich des Lexikons Wie wir bereits in Kap. 2.3.2 gesehen haben, ist das Lexikon einer Sprache am ehesten von Transfererscheinungen betroffen. Sogar einsprachige Gesellschaften entlehnen Wörter aus Sprachen, mit denen sie in Kontakt kommen. In diesem Falle werden entweder Lexeme aus der anderen Sprache übernommen und in das System mehr oder weniger integriert oder aber es werden Bedeutungen der Kontaktsprache auf bereits vorhandene Lexeme übertragen. Im ersten Fall betrifft dies die Übernahme von Ausdrucks- und Inhaltsseite, im zweiten Fall nur die Inhaltsseite des Lexems. 6.2.1.1 Entlehnungstypen und Wortarten Bei Sprachminderheiten geschieht es häufig, dass sie sich an eine neue Umwelt sprachlich anpassen müssen und dort schon in der Natur Dinge vorfinden, die sie mit dem eigenen Wortschatz nicht benennen können. So haben etwa die deutschen Einwanderer in Namibia Wörter wie Pad für die plattgewalzte Sandpiste und Vlej für das Trockental aus dem Afrikaansen übernommen und andere Bezeichnungen aus heimischen afrikanischen Sprachen entlehnt, wie Munoko ('lehmiger Schlamm', der nach dem Regen entsteht) aus dem Herero. Viele Sprachgemeinschaften treffen auf neue Staats- und Gesellschaftssysteme, die bestimmte Einrichtungen haben, die es ebenfalls in deutschsprachigen Ländern nicht gibt: z.B. carabiniere ('Militärpolizist') in Italien, das die Südtiroler übernommen haben, oder kolchos ('Kolchose'), das die Russlanddeutschen verwenden. In Sprachgemeinschaften, die schon länger in anderssprachigem Umfeld leben, werden auch andere Bezeichnungen übernommen: technische Neuerungen: russlanddt. Aftobus 'Bus', Samolot 'Flugzeug', ukrainiendt. Ekskavator 'Bagger', Benzopila 'Motorsäge' Verwaltungseinheiten und geographische Bezeichnungen: russlanddt. Oblast 'Verwaltungsbezirk', Rajon 'Kreis', Sewer 'Norden', australiendt. Creek 'Bach' Nahrungsmittel: russlanddt. Warenje 'Marmelade', brasiliendt. Pataten 'Kartoffeln', tschechiendt. Kascha 'Brei' Gebrauchsgegenstände: russlanddt. Sumka 'Tasche', Banka 'Einmachglas', tschechiendt. Kudla 'Taschenmesser' Bei Auswanderern, die noch in Deutschland (oder Österreich) zur Schule gingen, aber bereits über 30 Jahre im Sprachkontakt leben, stellt man fest, dass sie besonders Wörter für die Dinge aus der anderen Sprache übernehmen, mit denen sie sich in ihrem Herkunftsland nie beschäftigten, z.B. mit dem Hausbau (Bsp.: Australiendt. brick-veneer 'Ziegelvorblendung', plasterboard 'Gipskartonwand', plumbing 'Installation', scrapingboard 'Fußleiste'). Die Entlehnungen können auch als hybride Bildungen in Form von Komposita, die mit einheimischen Wörtern zusammengesetzt sind, auftreten: z.B. russlanddt. Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten 98 Parteibilet ('Parteiausweis'), Waffelprijanik ('Waffelgebäck'), Kolchosarbeit ('Arbeit in der Kolchose'), australiendt. Gumbaum ('Eukalyptusbaum'). 36 Clyne (2003: 113) weist darauf hin, dass im Australiendeutschen Wörter aus dem Englischen auch dann übernommen wurden, wenn es keine einheitliche überregionale Bezeichnung im Deutschen gab, z.B. Butcher für 'Metzger', 'Fleischer', 'Fleischhauer' oder Rubbish-tin für 'Mülleimer', 'Mistkübel', 'Abfalleimer'. Außerdem werden auch Lexeme aus der Kontaktsprache übernommen, die eine sehr weite semantische Bedeutung haben und damit mehrere deutsche Wörter ersetzen können, vgl.: putten (< engl. to put) 'setzen', 'stellen', 'legen', 'hängen' (ebd.). Ähnliches gilt für Verben, die komplexere Ausdrücke im Deutschen ersetzen: z.B. etw. bei der Versicherung claimen (statt: bei der Versicherung einen Anspruch auf etw. anmelden) oder das Auto servicen lassen (statt: eine Inspektion für das Auto machen lassen). In beiden Fällen wird die Argumentstruktur des Verbs vereinfacht. Dabei wird die ökonomischere Struktur des Englischen und seine verstärkte Fähigkeit, Substantive in Verben zu konvertieren und mit einfachen direkten Objekten zu verbinden, genutzt. Somit kann der lexikalische Transfer auch eine Auswirkung auf die Entwicklung neuer morphosyntaktischer Muster haben (s.u.). Neben diesen Inhaltswörtern gibt es eine weitere Wortklasse, aus der sehr früh und häufig entlehnt wird, nämlich die Klasse der Diskursmarker. Das sind Wörter, die das Gespräch steuern und keine eigentliche semantische Bedeutung haben, z.B. dt. also. Sie haben "interaktionsstrategische" Funktionen oder tragen zur Strukturierung von Äußerungen bei (Blankenhorn 2003: 75ff.). Es handelt sich daher um die Entlehnung eines sprachlichen Subsystems, nämlich der "oral communication patterns" (Matras 1998: 310). Diese Ausdrucksformen stehen dem Kommunikationssystem der Gestik nahe. Partikeln, die als Gesprächswörter dienen, werden umso eher entlehnt, je weniger durchsichtig ihre lexikalische Bedeutung ist und je mehr gestenhaften Charakter sie haben, d.h. ihre Funktion der von entsprechenden Gesten gleichkommt. Bei Sprachgemeinschaften, die einen intensiven Kontakt zur Zweitsprache haben, wie das bei fast allen Sprachinseln der Fall ist, durchziehen entlehnte Diskursmarker den ganzen Text und bilden eine ganz typische Textstruktur. So kommen etwa in der russlanddeutschen Sprachgemeinschaft die Partikeln to ('also, nun') und vot ('also') bei allen Sprechern vor: 38. EM: Die warn au vertriebn vieraverzig [...] allerhand neu National/ to. No in die Schul, no hen Russisch verzählt. Vot. Das Dorf, wo wir hinkomme, die erschte äh wo das Dorf han ge[grindt], Uropinka hat sichs genennt, die sin äh vot in Volgograd hat ma eine Stadt, nicht große Stadt, nennt sich Uropinsk. Vot, wie mir dort hinkame, warn noch alte Leit. [Bsp. Russland, Russ 1] In diesem Beispiel durchziehen die beiden russischen Partikeln das gesamte Gespräch und gestalten zusammen mit noch weiteren aus dem Russischen übernommenen Partikeln wie kone no ('natürlich') den ganzen Text. Da es sich bei diesen Partikeln oder Phrasen um ein eigenes sprachliches Subsystem neben der 36 Bsp. aus dem Australiendeutschen aus Clyne (1994: 114). Transfererscheinungen 99 Grammatik und dem Lexikon handelt, werden nicht nur die lexikalischen Einheiten entlehnt, sondern auch der pragmatische Kontext, in dem sie vorkommen. Das Phänomen findet sich nun in allen Sprachkontaktsituationen und zwar schon in einem recht frühen Stadium des Kontaktes, vgl.: 39. a) Well, meine Mutter war schon tot. [Bsp. Australien, engl. well 'also'] b) Hát, wenn sie wechseln, aber nicht alle wechseln. [Bsp. Ungarn, ung. hát 'also'] c) Mais, das ist nicht der Weg nach Malmedy. [Bsp. Ostbelgien, frz. mais 'aber'] d) Ich will jetzt wrachtach nicht zur Lokasi fahren. [Bsp. Namibia, afr. wrachtig 'wirklich'] e) No verdad, wir haben de ganze Obre [= Arbeit] gemacht. [Bsp. Brasilien, port. verdad 'wirklich'] 37 In diesem Falle ist der Vergleich verschiedener Sprachkontaktsituationen besonders aufschlussreich: Man kann feststellen, dass am häufigsten Partikeln wie unter (39a-b) entlehnt werden, die etwa dem dt. 'also' entsprechen, gefolgt von Konnektoren (39c). Weit weniger häufig werden dagegen Diskursmarker mit einer lexikalischen Bedeutung (39d-e) übernommen. Diese Tatsache ist nun nicht allein durch die strukturellen Eigenschaften von Diskursmarkern erklärbar, sondern durch ihre jeweilige pragmatische Funktion. Während die ersten beiden Partikeltypen die Funktion der Dialogsteuerung übernehmen, haben die letzteren v.a. eine bewertende Funktion. Im Extremfall kann es dazu kommen, dass Sprecher den Inhalt einer Äußerung in L1 darstellen, die Steuerung der Interaktion oder auch die Bewertung der Aussage dagegen in L2 vornehmen (vgl. Riehl 2009). 6.2.1.2 Integration von lexikalischen Transfers Während die gerade erwähnten Partikeln und Phraseme außerhalb des Satzverbandes stehen und unflektiert übernommen werden, müssen andere Wortarten in das grammatische System integriert werden. Das gilt allerdings nicht immer für Substantive, die im Gegensatz zu Verben und attributiven Adjektiven "morphologisch neutral" verwendet werden können, d.h. sie lassen sich ohne größere Veränderungen in das System der deutschen Sprache einpassen. Vgl.: 40. a) Geh mal einen scontrino holen. [Bsp. Südtirol, it. scontrino 'Zahlschein'] b) Gib mir den pen. [Bsp. Namibia, engl. pen 'Federhalter'] Wie wir in Kap. 2.3.2 gesehen haben, lässt sich der Grad der Integration von neuen Wörtern aus der Kontaktsprache auf zwei Ebenen messen: an der morphologischen Einpassung ins Flexionssystem der Zielsprache (= Die Wörter bekommen deutsche Endungen.) 37 Auch in Gesprächen von deutschen und anderssprachigen Jugendlichen, die häufig Kontakt zu türkischsprachigen Jugendlichen haben, fällt auf, dass viele die Formel biliyon mu ('weißt du') in die Diskurse einbauen (vgl. Dirim/ Auer 2004: 193). Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten 100 an der phonetisch-phonologischen Einpassung in das entsprechende Lautsystem (= Die Wörter werden nach deutschem Muster ausgesprochen.) Substantiva aus der Kontaktsprache werden mit Hilfe des Artikels problemlos in das System der deutschen Sprache integriert: Das Genus wird dabei vom Genus der Gebersprache bestimmt, falls diese Genus markiert. Oder es wird von einem Wort mit gleicher oder ähnlicher Bedeutung übernommen. So ist etwa scontrino im Italienischen maskulin und bleibt es auch im Deutschen, engl. pen ist genusneutral, es bekommt das maskuline Genus von dt. Federhalter. 38 Weitere Möglichkeiten für Genusbestimmung sind Reihenbildung: z.B. der Foxtrott, Quickstep, Rock'n'Roll, Swing nach der Tanz (vgl. Yang 1990: 155) oder lautlich-morphemische Ähnlichkeit: der Roof ('Dach') analog zu der Ruf (vgl. Clyne 1994: 110). Bei Endungen wie engl. -er, frz. -eur dienen die Substantiva auf dt. -er als Vorbild. Im Kontakt mit dem Englischen gibt es auch eine Übergeneralisierung von die (vermutlich aufgrund der lautlichen Nähe zu the): vgl. die Buggy, die Car, die Fence im Australiendeutschen (Clyne 1994: 110). 39 Die Pluralbildung bietet keine Schwierigkeiten in den Fällen, in denen die Lexeme der Ausgangssprache eine Flexionsendung besitzen, die auch im Deutschen vorkommt, z.B. der s-Plural: 41. a) Kauf fünf pistolets. [Bsp. Ostbelgien, belg.-frz. pistolet, 'Milchbrötchen'] b) Ich muß diese aukies checken. [Bsp. Namibia, afr. oukie 'Kerl, Typ'] Der s-Plural wird bei Fremdwörtern im Deutschen häufig verwendet, vgl. Auto-s, Büro-s etc. (vgl. u. Kap. 12.2.5). Der italienische i-Plural hat dagegen kein Pendant im Deutschen, vgl. das bereits bekannte Beispiel (s.o. Bsp. 14): c) Da hängen dann die drogati rum. [Bsp. Südtirol, it. drogato 'Drogenabhängiger'] Diese Formen werden im Südtiroler Deutsch nicht mit einem im Deutschen üblichen Pluralmorphem versehen, sondern behalten die Endung des Italienischen. Sie sind also nur durch den Artikel in das System der deutschen Sprache integriert. Allerdings werden in älteren Sprachinseln, wie etwa im Russlanddeutschen, manche Entlehnungen schon so in das System eingebaut, dass sie bereits im Singular die deutsche e-Endung haben, z.B. Balnize (russ. bol'nica 'Krankenhaus'). Bei diesen Substantiven wird dann der Plural auf -en gebildet: Balnizen. Ähnliches tritt im Australiendeutschen auf, wo band und road zu die Bande, die Roade werden 38 Allerdings gilt auch bei der Integration von Fremdwörtern im Deutschen die Regel, dass einsilbige Substantive häufig maskulin sind (Yang 1990: 55). Details zur Genuszuweisung bei Anglizismen finden sich etwa bei Onysko (2007: 151ff.). 39 Im Namibiadeutschen allerdings, wo diese Analogie aufgrund des afrikaansen Einheitsartikels die noch näher liegen würde, konnte ich diese Tendenz noch nicht feststellen. Die ist allerdings auch sehr häufig im Gastarbeiterdeutsch (s.u. Kap. 7.3.1). In einer pidginisierten Variante des Deutschen, dem sog. 'Halbdeutsch' in Estland, tritt dagegen erstaunlicherweise der Einheitsartikel das auf (vgl. Lehiste 1965: 67). Transfererscheinungen 101 (vgl. Clyne 1994: 116) oder im Brasiliendeutschen die Barange (port. baranga 'Uferböschung'). Interessant ist die Einpassung von Verben. Im deutsch-romanischen Sprachkontakt beobachtet man, dass die Verben mit Hilfe des Suffixes -ieren integriert werden. Dieses Suffix wurde schon in mhd. Zeit aus französischen Lehnwörtern isoliert und mit seiner Hilfe wurden zahlreiche Lehnwörter aus romanischen Sprachen (diktieren, traktieren) oder Verben mit lateinischer oder griechischer Basis (protestieren, telefonieren) in das Deutsche integriert (vgl. dazu Kap. 12.2.3): 42. a) Sie panikiert. [Bsp. Ostbelgien, frz. paniquer 'in Panik geraten'] b) Wenn es Sie nicht stuffiert [...] [Bsp. Südtirol, it. stufarsi 'überdrüssig sein'] c) Aber tu nicht deine Familie inkomodieren. [Bsp. Brasilien, port. incomodar 'belästigen, verärgern'] Im deutsch-englischen oder deutsch-afrikaansen Sprachkontakt wird dagegen immer die deutsche Verbendung -en angehängt. Das geschieht auch mit den neuen Entlehnungen aus dem Englischen, die wir im Standarddeutschen vorfinden (vgl. checken, testen, biken): d) Die morschen meine Zeit [Bsp. Namibia, afr. om te mors 'pantschen, vergeuden'] e) Du worriest nicht? [Bsp. Namibia, engl. to worry 'sich Sorgen machen'] f) Die collecten die animals. [Bsp. Australien, engl. to collect 'sammeln'] 40 Das Gleiche gilt auch im slawischen Kontext: z.B. russlanddt. znaje (russ. znat' 'wissen'). Hier wird entsprechend die dialektale Infinitivendung -je analog zu standdarddt. -en angefügt. Dass im deutsch-romanischen Sprachkontakt das erweitere Suffix -ieren verwendet wird, scheint entweder durch das Vorhandensein des Infinitivsuffixes auf -r in den romanischen Sprachen oder durch die romanisch-lateinische Basis beeinflusst zu sein. Das Fehlen eines Infinitivsuffixes im Afrikaansen und Englischen und in den slawischen Sprachen zieht eine bloße Anfügung des einfachen Suffixes -en nach sich. So lautet die Entlehnung von engl. to panik und frz. paniquer ('in Panik geraten', s. auch oben Bsp. 42a) im Namibiadeutschen paniken und im Belgiendeutschen panikieren. Auch Adjektive können durch Hinzufügen der deutschen Endungen einfach in das System der deutschen Sprache eingepasst werden: 43. a) Sonntag war mooies Wetter. [Bsp. Namibia, afr. mooi 'schön, hübsch'] b) Das ist ein lelikes Fluchwort. [Bsp. Namibia, afr. lelik 'häßlich'] 40 Bei Clyne (2003: 111) finden sich noch Wörter aus dem älteren australischen Deutsch wie gärtnerieren und farmerieren. Solche Formen treten in meinem Corpus des Namibiadeutschen und auch bei meiner neuen Erhebung zu deutschen Einwanderern in Australien nicht mehr auf. Allerdings hat sich in der deutschen Sprachinsel im Barossa-Valley (Südaustralien) etwa das Verb farmerieren gehalten (vgl. Riehl 2012). Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten 102 Die Integration in das System der deutschen Sprache scheint dagegen bei englischen Adjektiven schwieriger zu sein. So stellt man fest, dass im Australiendeutschen viele aus dem Englischen übernommene Adjektive ausschließlich prädikativ gebraucht werden: Da war er happy. Das war so annoying. (Australiendeutsch, Corpus 2009). Hier spielen offensichtlich Unterschiede in der Kombinierbarkeit von Phonemen und/ oder Unterschiede in der Silbenstruktur eine Rolle. Bei Adjektiven mit einer dem Deutschen ähnlichen Laut- und Silbenstruktur (ein cooler Typ [analog zu kühler], ein cleveres Mädchen [analog zu braveres]) ist das dagegen kein Problem. Im Gegensatz dazu scheint die Einpassung von Verben in allen Sprachkontaktsituationen mit dem Deutschen zu funktionieren. In anderen Sprachpaarungen gibt es dagegen Schwierigkeiten, so dass etwa im türkischdeutschen Sprachkontakt die deutschen Verben mit dem türkischen Passepartout-Verb yapmak 'machen' integriert werden, das deutsche Verb bleibt dabei im Infinitiv (z.B. tauschen yapmam 'ich tausche nicht', wörtl. 'ich mache nicht tauschen'); ähnliches geschieht im Italienischen mit fare 'machen' (fa una Pokemon- Karte einsetzen 'er setzt eine Pokemon-Karte ein', facciamo schmücken 'wir schmücken', vgl. Krefeld 2004: 105). 41 Auch dies deutet darauf hin, dass ähnliche phonotaktische Regeln von Sprachen bzw. gleiche Silbenstrukturen die Integration erleichtern oder vielleicht sogar erst ermöglichen. Das kann man etwa sehr schön an im Australiendeutschen gebrauchten Verben zeigen, auf die man deutsche Verben reimen kann: expiren - verfeiern, showern - dauern, gehookt - gespukt, invaden - entscheiden. Dabei spielen kleine phonetische Unterschiede (etwa in der Realisierung des Diphthongs / ai/ ) keine Rolle. 42 6.2.1.3 Übernahmen lexikalischer Bedeutung: semantischer Transfer Semantischer Transfer heißt, dass Bedeutungen der Kontaktsprache auf heimische Wörter übertragen werden. Wie bereits erwähnt, wird dabei kein fremdes Wortmaterial übernommen, sondern die Wörter bekommen eine zusätzliche Bedeutung. Das passiert am häufigsten bei sog. cognates. Dies sind etymologisch miteinander verwandte Wörter in beiden Sprachen. Je näher die Sprachen miteinander verwandt sind, desto größer ist der gemeinsame Erbwortschatz. Im namibianischen Deutsch oder süddänischen Deutsch gibt es daher am meisten Bedeutungserweiterungen, weil sehr viele Wörter des Deutschen und des Afrikaansen und Dänischen (bzw. sonderjütischen Dialekts) eine gemeinsame Herkunft haben: 41 Vgl. auch Gardner-Chloros (2008: 64) zu anderen Sprachpaarungen sowie Winford (2010: 174) zum Gebrauch des Verbs suru 'machen' bei der Entlehung von englischsprachigen Verben ins Japanische. 42 Schöne Beispiele zur Einpassung in die native Morphophonologie bei englischen Lehnwörtern im Japanischen finden sich bei Winford (2010: 174) (zum Einfluss der Prosodie im Sprachkontakt auch Hickey 2010: 158ff.). Transfererscheinungen 103 44. a) Jetzt muß der Hund zum Arzt. Um halb drei hat sie ne Absprache gekriegt. [Bsp. Namibia, afr. afspraak 'Verabredung, Termin'] b) Hier ist noch ein Happie, dann bist du klar. [Bsp. Namibia, afr. klaar 'fertig, bereit'] c) Mein Bruder meinte, der könnte hundert fahren, aber [...] ich weiß nicht, ob das passt. [Bsp. Dänemark, sjüt. passe 'stimmen, passen'] (adaptiert aus Westergaard 2008: 280) Aber auch das Deutsche und das Englische sind nahe verwandte Sprachen und so finden wir hier ebenfalls eine Reihe von semantischen Übernahmen, manchmal auch bei aus dem Lateinischen stammenden Wörtern (s. 45c): 45. a) Das hat aber eine ganz andere Meinung. [Bsp. Australien, engl. meaning 'Bedeutung'] b) Das Krankenhaus wird jetzt als Business gerannt. [Bsp. Australien, engl. to run 'betreiben'] c) Da fühlt er sich sofort komfortabel. [Bsp. Australien, engl. to feel comfortable 'sich wohl fühlen'] Im deutsch-romanischen Kontakt besteht der verwandte Wortschatz vor allem aus Fremdwörtern lateinischer Herkunft, die im Standarddeutschen bereits zum Gemeinwortschatz gehören: 46. a) Nichts ist präpariert [= vorbereitet] worden. [Bsp. Ostbelgien, frz. préparer 'vorbereiten'] b) Englisch ist da ja schon familiärer. [Bsp. Südtirol, it. familiare 'vertraut, bekannt'] Im ostbelgischen Deutsch erhalten französische Wörter, die im Standarddeutschen ebenfalls gebräuchlich sind (Büro, Rendezvous), weitere Bedeutungen, die sie auch in der Ausgangssprache haben: 47. a) Morgen bin ich nicht vor halb zehn zurück, ich hab ein Rendezvous beim Arzt in Verviers. [Bsp. Ostbelgien, frz. rendez-vous 'Verabredung, Termin'] b) Ich schreibe lieber mit einem französischen Klavier. [Bsp. Ostbelgien, frz. clavier 'Tastatur'] Diese Erscheinung ist bekannt unter dem Begriff faux amis 'Falsche Freunde' und jeder Fremdsprachenlerner wird damit konfrontiert: Vgl. etwa engl. become ('werden') und dt. bekommen, engl. gift ('Geschenk') und dt. Gift, ital. caldo ('warm') und dt. kalt (Wandruszka 1977). Semantischer Transfer bei verwandten Wörtern ist nicht nur auf Inhaltswörter beschränkt, sondern kann auch bei Funktionswörtern erfolgen. Hier ist der deutsch-englische Sprachkontakt sehr aufschlussreich, weil bei diesem Sprachenpaar auch Konjunktionen und Präpositionen mit unterschiedlicher Bedeutung etymologisch verwandt sind: 48. a) Der Hase und ich werden jetzt nicht hingucken, weil Nikolas die Karten vermischen wird. [Bsp. Australien, engl. while 'während'] Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten 104 b) Wenn ich ein ganz junges Kind war [...]. [Bsp. Australien, engl. when 'wenn, als'] c) Das war bei Gesetz verboten. [Bsp. Australien, engl. by law 'per Gesetz'] Es gibt natürlich auch Bedeutungsübernahmen bei etymologisch nicht miteinander verwandten Wörtern: so etwa im Russlanddeutschen Brot in der Bedeutung 'Getreide' (russ. chleb 'Getreide, Brot'), [auf Tonband] aufschreiben (russ. zapisat' 'aufschreiben, aufzeichnen'), Platz im Südtiroler Deutsch in der Bedeutung 'Stelle' (it. posto 'Platz, Stelle') oder im Australiendeutsch in der Bedeutung 'Besitz' (engl. place 'Platz, Besitz'). Ein interessantes Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Bedeutungserweiterung des Verbs fragen. Sowohl im ostbelgischen Deutsch, im Südtiroler Deutsch als auch im Namibiadeutschen hat es die zusätzliche Bedeutung 'etwas fordern, verlangen': 49. a) Ich frag 500 Franken. [Bsp. Ostbelgien, frz. demander 'fragen, verlangen, fordern'] b) Frag die Speisekarte [Bsp. Südtirol, it. chiedere, 'fragen, verlangen, fordern'] c) Ich möchte Sie um einen Gefallen fragen. [Bsp. Namibia, afr. om te vra, engl. to ask 'fragen, bitten, verlangen'] Dies deutet darauf hin, dass bestimmte Bedeutungserweiterungen quasi "auf der Hand liegen" und durch den Sprachkontakt nur ausgelöst werden (s. dazu u. Kap. 6.3). Durch die Ausdehnung des Bedeutungsradius' analog zur Kontaktsprache, werden Ausdrucks- und Inhaltsseite von Wörtern in beiden Sprachen stärker zur Deckung gebracht. Es handelt sich also hier um einen Fall von Konvergenz der Sprachen. Daneben findet man im Sprachkontakt häufig Konstruktionen im Sinne einer 1: 1-Übersetzung. Dabei handelt es sich oft um feste Wendungen, sog. idiomatische Prägungen (Feilke 1996). Feilke versteht darunter konventionell im gesellschaftlichen Umgang mit Sprache sich verfestigende Gebrauchsregeln auf verschiedenen Ebenen der Sprache, u.a. figurative Wendungen wie ins Gras beißen oder plastische Wendungen wie ins Bett gehen. Im Falle einer 1: 1-Übersetzung solecher Prägungen spricht Clyne (2003: 78) von morpheme-for-morpheme transference, vgl.: 50. a) Sie hat den Bus verloren. [Bsp. Südtirol, it. perdere l'autobus 'den Bus verpassen'] b) Ich nehme ein Rendezvous beim Arzt. [Bsp. Ostbelgien, frz. prendre rendezvous 'einen Termin vereinbaren'] c) Du musst sicher machen, dass du noch Tickets bekommst. [Bsp. Australien, engl. to make sure 'sich vergewissern'] d) Ich habe auch immer deutsche Zeitunge rausgschrieben. [Bsp. Russland, Russ 2, russ. vypisat'gasetu 'eine Zeitung abonnieren', wörtlich: 'herausschreiben'] Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass die Verknüpfung der Wörter in der Erstsprache nicht mehr besteht und sie nicht mehr als Kollokationen gespeichert sind. Transfererscheinungen 105 Daher wird dann der Ausdruck der Zweitsprache direkt übersetzt. Sehr häufig geschieht dies bei Kombinationen mit Passe-partout-Verben wie nehmen oder machen, vgl. Australiendeutsch ein Foto nehmen, die Gelegenheit nehmen, ein Interview nehmen (engl. to take a foto/ the opportunity/ an interview etc.) oder Südtiroler Deutsch Konfusion machen (it. fare confusione). Ähnliches geschieht bei festen Wendungen wie Bist du warm? analog zu engl. Are you warm? im Australiendeutschen. Hier übernehmen also die Sprecher die ganze Prägung aus der Kontaktsprache und füllen sie mit Wortformen aus dem Deutschen. Matras (2009: 240ff.) spricht in diesem Zusammenhang von sog. pivot-matching, d.h. der Sprecher zerlegt die Konstruktion zunächst und isoliert ihre Schlüsselcharakteristika (pivotal features). Dieses Konstruktionsgerüst mit den jeweiligen Angelpunkten (pivots) wird dann auf das entsprechende Formeninventar der anderen Sprache übertragen. Dies entspricht der allgemein im Sprachkontakt festzustellenden Tendenz, dass Sprachen im Kontakt eine Wort-für-Wort-Übersetzbarkeit anstreben (s. Aikhenvald 2008: 28). Lattey/ Tracy (2005) sprechen diesem Fall von Crossover und bezeichnen damit das Phänomen, dass trotz lexikalischer Realisierung in einer bestimmten Sprache die Syntax den Prinzipien einer anderen Sprache folgt. 6.2.2 Transfer im Bereich der Syntax 6.2.2.1 Wortstellungsbesonderheiten Im Bereich der Syntax finden wir eine Reihe von Erscheinungen, die in vielen deutschen Sprachinseln und Minderheitengruppen auftreten. So lässt sich im Bereich der Nebensätze ein Abbau der Verbendstellung zugunsten der Zweitstellung des Verbs feststellen. Das beginnt beim indirekten Fragesatz: 51. a) Wissen Sie, weshalb schrieb ich? [Bsp. Russland, Russ 21, russ. Znaete, po emu napisala ja? ] b) Hast du gehört, was sagt Claudia. [Bsp. Namibia, afr. Het jy gehoor wat sê Claudia.] Bei Sprechern und in Sprachgemeinschaften, die schon einem langen und intensiven Sprachkontakt ausgesetzt sind, wird die Zweitstellung des Verbs auf alle Typen von Nebensätzen übertragen: 52. a) Wie wir kommen nach Kasachstan, war Schnee. [Bsp. Russland, Russ 17, russ. kak my prijechali v Kazachstan, ...] b) das hilft [...], dass sie können die deutsche Sprache [Bsp. Ungarn, Ung 3, ungar. [...], hogy tudják a német nyelvet.] c) und wenn ma sind in Geschäft kommen [...]. [Bsp. Tschechien, CZ 28, tschech. a když jsme p išli do obchodu.] d) Wenn wir waren Kinder, [...]. [Bsp. Australien, engl. when we were children] (Clyne 1994: 114) Wie Clyne (1994) herausgefunden hat, haben in den älteren Sprachinseln, z.B. im Pennsylvania-Deutschen oder im australischen Deutsch, etwa 45% aller Neben- Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten 106 sätze schon Verbzweitstellung. 43 Clyne nimmt an, dass das möglicherweise auch durch Fälle von Code-Switching wie in dem Satz if der Vater hat keine Farm ausgelöst sein könnte. Eine andere auch in allen Kontaktkonstellationen typische Erscheinung ist der Abbau der Verbklammer, vgl.: 53. a) Die Traube ist herangereift an dem Weinstock. [Bsp. Südtirol, Schülertext] b) Die 7 Zwerge werden numeriert durch Zahlen. [Bsp. Ostbelgien, Schülertext] c) Schade war [...], daß es sehr unruhig war im Saal. [Bsp. Namibia, Zeitungstext] Normalerweise bilden finites Verb und infinite Formen bzw. Prädikatsnomen eine Klammer, die die übrigen Satzteile umschließt. Hier dagegen sind die beiden Konstituenten, d.h. in diesem Fall das Hilfsverb und Partizip oder Adjektiv, zusammengerückt. Derartige Satzmuster können zwar durch die romanischen Kontaktsprachen oder im Falle von Namibia durch das Englische beeinflusst sein (Afrikaans kennt ebenfalls die Klammerbildung). Sie werden aber auch gestützt durch Muster der gesprochenen deutschen Sprache. Daher sind die zahlreichen Beispiele aus dem ostbelgischen Deutsch oder aus dem Namibiadeutschen nicht ungrammatisch, sondern fallen in schriftlichen Texten lediglich aus stilistischen Gründen auf. Die Ausklammerung verstößt jedoch gegen die Norm in Fällen, in denen ein direktes thematisches Objekt, ein pronominales Objekt oder ein Adverb ins Nachfeld gestellt wird. Im Gegensatz zur Ausklammerung von adverbialen Bestimmungen oder anderen nicht obligatorischen Satzgliedern ist diese Wortstellung auch in gesprochener deutscher Sprache nicht üblich und kann grundsätzlich als eine Nachahmung von Wortstellungsgepflogenheiten der Kontaktsprache gesehen werden. Vgl. folgende Beispiele aus dem Russlanddeutschen: 54. a) No, ich hab jesessen auf die Schaukel und hab jelesen Buch. [Bsp. Russland, Russ 17, russ. Ja sidela na ka alke i itala knigu.] b) Sie haben uns gelernt sehr gut. [Bsp. Russland, Russ 21, russ. oni nas u ili o en' chorošo.] c) Dort hawen wir Arbeitstage verdient uns. [Bsp. Russland, Russ O1, russ. Tam my trudodni zarabatyvali sebe.] Bei Clyne (1994) findet sich eine Reihe von ähnlichen Beispielen aus dem Australiendeutschen: 43 In ihrer Analyse zum sog. 'Springbok-German' (einer Varietät, die in Südafrika gesprochen wird) hat Franke (2008: 319ff.) festgestellt, dass v.a. die weil-Sätze Verbzweitstellung aufweisen, für die ja auch im Gegenwartsdeutschen Verbzweitstellung möglich ist, wenn sie eine präsupponierte Begründung wiedergeben. Hier wird diese Möglichkeit auf andere Kontexte ausgedehnt. Bei dass-Sätzen findet Franke dagegen nur 5% mit Verbzweitstellung. Transfererscheinungen 107 55. Der war geborn über'n Schwamm von die alte Heimat an dieser Road. [Bsp. Australien, engl. He was born over the swamp from the old home, on this road.] (Clyne 1994: 114) Durch diese Tendenz zur Ausklammerung entsteht häufig eine Kontaktstellung von Hilfsverb und Partizip: 56. a) Die hat geerbt viel Land. [Bsp. Barossa-Deutsch, engl. She has inherited lots of land] b) In die Familie sin großgezoche wora zwölf Kinner. [Bsp. Russland, Russ 1, russ. V sem'e vyrastili dvenadcat' detej.] c) Ohren haben gehört etwas. [Bsp. Russland, Russ 21, russ. Uši uslyšali to-to.] In den in drei aufgeführten Fällen ist nur im ersten Fall tatsächlich von direktem Kontakteinfluss auszugehen, da die englische Kontaktsprache vergleichbare Formen aufweist. In den Fällen 56b) und c) handelt es sich eher um indirekte Auswirkungen, da das Russische in den gegebenen Fällen keine zusammengesetzten Tempusformen, sondern ein synthetisches Präteritum bildet. Andere Wortstellungsbesonderheiten, die das Deutsche im Sprachkontakt zeigt, ist die Stellung der Negationspartikel nicht: 57. a) Du mußt nicht das jetzt machen. [Bsp. Namibia, afr. Moenie dit nou doen nie, engl. You need not do that now.] b) Der hat nicht seine Frau ermordet. [Bsp. Namibia, afr. Hy het nie sy vrou vermoor nie, engl. He has not murdered his wife.] Interessant ist, dass diese Wortstellungsbesonderheit im Namibiadeutschen nur den ersten Teil der Verneinung nachahmt und nicht die doppelte Verneinung des Afrikaansen ebenfalls übernimmt. Genau diese Erscheinung tritt dagegen im Russlanddeutschen auf. Möglicherweise wird diese im Russischen übliche Konstruktion auch gestützt durch ähnliche Muster in den deutschen Basisdialekten der Sprecher: 58. a) In meiner Familie spricht keiner nicht. [Bsp. Russland, Russ 21, russ. V mojej sem' je nikto ne govorit.] b) Und niemals waren keine Probleme. [Bsp. Russland, Russ 4, I nikogda ne bylo nikakich problem.] 6.2.2.2 Infinitivsätze Eine Besonderheit in verschiedenen Sprachkontaktsituationen stellen unterschiedliche Typen von Infinitiverweiterungen dar. So kommen in einer Reihe von Konstellationen um...zu-Konstruktionen vor, die keine finale oder konsekutive Bedeutung haben. Sie stehen vielmehr anstelle des Infinitivs mit zu: 59. a) Die Rebe sah die Gelegenheit, um endlich mitgenommen zu werden. [Bsp. Ost- belgien, frz. l'occasion d'être emmené] b) Schwierigkeiten, um Freundschaften zu knüpfen [Bsp. Südtirol, it. difficoltà a farsi delle amicizie] Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten 108 Diese Ausweitung des Gebrauchs von um...zu findet sich am stärksten im namibianischen Deutsch; dort ersetzt sie häufig die einfache Infinitivkonstruktion mit zu: 44 c) Ich habe keine Lust, um naß zu werden. [Bsp. Namibia, afr. Ek het nie lus om nat te word nie] d) Sie hatten keine Gewohnheit, um mit Schwarzen an einem Tisch zu sitzen. [Bsp. Namibia, afr. Hulle is nie gewoond om met swartes aan tafel te sit nie.] Der Grund dafür ist, dass Afrikaans den Infinitiv immer mit om te ('um zu') bildet. Diese Form wird einfach ins Deutsche übertragen. Aber die Übersetzungen zu den Beispielen aus dem romanischen Sprachkontakt (Bsp. 59 a-b) zeigen: Nicht immer sind die Beispiele angeregt durch eine finale Präposition wie etwa frz. pour oder it. per. In den obigen Beispielen werden beispielsweise die Präpositionen de bzw. a verwendet. D.h., es geht bei Sprachkontaktphänomenen nicht immer um eine direkte 1: 1 umrechenbare Übernahme, sondern es kommen auch bestimmte Prinzipien zum Tragen, z.B. das Prinzip, eine markiertere, d.h. auffälligere Form zu verwenden (wie hier um ... zu statt einfachem zu). Dieser Annahme widersprechen dagegen Beispiele aus dem Russlanddeutschen, in denen bei Infinitivkonstruktionen selbst die Partikel zu fehlt. Diese Konstruktion wird analog zum russischen Vorbild gebildet: e) Ich träume mal einen Besuch machen. [Bsp. Russland, Russ 4, HS] f) Kommendant hat erlaubt hinfahre. [Bsp. Russland, Russ 9, HF] Wieder anders sieht der Fall in der Walserdeutschen Sprachgemeinschaft aus. So gibt Zürrer (1999: 139) Beispiele, bei denen der finale Infinitiv nur mit um konstruiert wird: g) Un doa seinsch bljibben um etsen ds höi [Bsp. Walserdeutsch, wörtl. Und da sind sie geblieben, um verfüttern das Heu (= 'um zu verfüttern')] (Zürrer 1999: 139) Eine Erklärung dafür könnte sein, dass auch im Italienischen nur eine Präposition verwendet wird, hier also an der Oberfläche strukturelle Ähnlichkeit erzielt werden soll. Auf diese Problematik komme ich in 6.3.3 noch einmal zurück. Insgesamt zeigen die Beispiele für syntaktischen und morphosyntaktischen Transfer, dass hier einerseits Strukturen reduziert werden (Bsp. Abbau der Verbendstellung), andererseits Strukturen eine andere oder zusätzliche Funktion bekommen (Bsp. um...zu-Konstruktionen). Lediglich im Bereich der Wortstellung gibt es neue topologische Muster, die bestimmten Stellungsbesonderheiten der Kontaktsprachen folgen. 44 Franke (2008: 304) bemerkt in ihrem Corpus zum Springbok-German, dass etwa 19% der nicht finalen Infinitivkonstruktionen um...zu aufweisen. Transfererscheinungen 109 6.2.3 Morphologie 6.2.3.1 Kasusabbau und Kasussynkretismus Wie schon auf dem Gebiet der Syntax werden auch im Bereich der Morphologie meist Regeln oder Analogiebildungen übernommen. Auffällig ist hier der Verlust der Kasusmarkierung. Dies beginnt bereits in Gebieten mit nur geringem Sprachkontakt mit den Umgebungssprachen, wie in Namibia oder Rumänien. Dort findet man den Abbau der Deklination im Singular bei ehemals schwachen Nomina auf -e: 60. a) Er hieß Albers mit Nachname[ ]. [Bsp. Namibia] b) Sie geben es dem Löwe[ ]. [Bsp. Namibia] c) Ich hab bei einer Bekannte[ ] geschlafen hier in die Stadt. [Bsp. Rumänien] d) Ich hab mich sehr wohl gefühlt zwischen unsere[ ] Leute[ ]. [Bsp. Rumänien] In Gebieten mit sehr intensivem Sprachkontakt führt dies zu einem Zusammenfall von Dativ und Akkusativ. Im Texas- und Barossa-Deutschen sowie im Russlanddeutschen ist die Entwicklung schon weit fortgeschritten. Sie beginnt im Russlannddeutschen bei Feminina und im Plural und dehnt sich dann im Singular auf alle Genera aus. Im Barossa-Deutschen ist die Dativmarkierung in Nominalphrasen bis auf wenige frequente Konstruktionen (v.a. Präpositionalphrasen mit zur) völlig verschwunden. Vgl.: 61. a) In die Felder habn se geschaffen. [Bsp. Russland, Russ 7] b) Mei Vadder hat auch viel gewusst von Regime, den Stalin un alles. [Bsp. Russland, Russ 1] c) Und in Adelaide tat kein Mensch Deutsch sprechen vor den Krieg. [Bsp. Australien, Barossa-Deutsch-Corpus] Im Extremfall betrifft das auch das Pronominalsystem, besonders die Possessivpronomina (62a). Am Ende wird auch das System der Personalpronomina reduziert. Hier hat das Pennsylvania-Deutsche im Feminin sogar nur noch eine einzige Form (sie), im Maskulin zwei Formen (er und ihn): 62. a) Der woar bei sei Leit. [Bsp. Pennsylvania-Deutsch, 'Der war bei seinen Leuten'] (Born 2003: 155) b) [...] so ich schwetze Deitsch zu sie. [Bsp. Pennsylvania-Deutsch, 'Ich spreche Deutsch mit ihnen'] ( Fuller 2001: 359) c) [...] wann ich sie Blumme bringe deet. [Bsp. Pennsylvania-Deutsch, 'Wenn ich ihr Blumen bringen würde'] (Huffines 1994: 51) d) Ich helf ihn bluge. [Bsp. Pennsylvania-Deutsch, 'Ich helfe ihm pflügen'] (Louden 1994: 84) Dies ist also sozusagen der Endpunkt des Kasuszusammenfalls. Auch im australischen Barossa-Deutschen deutet sich ein Restrukturierungsprozess an: Hier werden bis auf wenige hochfrequente Ausnahmen die Dativpronomina in der 1. und 2. Pers. Sg. (mir, dir) für Dativ und Akkusativ verwendet, in der 3. Pers. Sg. Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten 110 und Pl. dagegen nur die Akkusativformen (wie auch im Pennsylvania- Deutschen) (s. dazu Riehl forthc.). In allen anderen Sprachkontaktgebieten - soweit ich das bis jetzt übersehen kann - wird zwar oft Dativ und Akkusativ vertauscht, aber im Grunde ist das Pronominalsystem noch intakt. Der Kasusabbau breitet sich also allmählich aus: Pronomina, Adjektive und Zahlwörter sind resistenter gegen den Abbau als Substantive (vgl. auch Zürrer 1999: 196). Rosenberg (2003: 309) erklärt das damit, dass kasusmarkierende Flexionsmorpheme "anfälliger" für die Reduktion seien als ganzheitlich lexikalisierte Formen (sog. full listed items). Substantive, Possessivpronomina und Demonstrativpronomina sind in Dekomposition gespeichert. Das bedeutet: Die Grundform und die Flexionsmorpheme sind einzeln abgelegt und werden bei der Sprachproduktion erst zusammengesetzt. Die Personalpronomina dagegen sind als einzelne Wörter ganzheitlich gespeichert. 45 Weitere Argumente sind, dass sie frequenter sind und oft belebte Referenten bezeichnen etc. Zürrer (1999: 196ff.) stellt einen ähnlichen Kasusabbau in den Walserdeutschen Sprachinseln (Sprachkontakt aleman. Dialekt/ Italienisch/ Französisch) fest. In einem Test, bei dem er bei Sprecherinnen zwischen 14 und 74 Jahren Dativ- Pluralformen abfragte, fand er heraus, dass der Kasusabbau stark vom Alter der Sprecher abhängig ist: Bei den jüngeren sind schon 85% der Formen nicht mehr flektiert, bei den älteren werden dagegen noch 83% korrekt gebildet. Allerdings zeigt bereits in dieser Generation eine gewisse Unsicherheit und häufige Eigenkorrektur den Wandel an. So hat beispielsweise eine Sprecherin keine einzige Dativpluralform verwendet, aber als sie danach gefragt wurde, alle Formen korrekt verbessert. Hier trifft man also bereits auf Unterschiede zwischen der eigentlichen Kompetenz (dem Wissen über die Formen) und der Performanz (was man dann tatsächlich beim Sprechen verwendet). Auch die Frequenz der Substantive spielt eine entscheidende Rolle. Hochfrequente Wörter wie töchter ('Tochter'), wetta ('Schwester'), muma ('Tante') haben noch viel häufiger Dativ-Endungen als andere (ebd.: 200). Der Dativ wird meist durch präpositionale Kasusrektion ersetzt, z.B. durch a + Akk. Dabei ist die Präposition a gleichzeitig eine dialektale Form von an und identisch mit der italienischen und frankoprovenzalischen Präposition a ('in, an, auf'): 63. a) Dits töchterli glejt a meini chin. [Bsp. Walserdeutsch, wörtl. 'dieses Mädchen gleicht an meine Kinder'] (Zürrer 1999: 200) Ähnliches deutet sich auch schon beim Namibiadeutschen an: b) Gib das für Dieter! [statt 'dem Dieter']. [Bsp. Namibia, afr. om te gee vir] Beim Sprachkontakt mit dem Englischen, dem Afrikaansen und den romanischen Sprachen könnte man nun annehmen, dass das Phänomen des Kasusabbaus und der Ersatz durch Präpositionalkasus eine Transfererscheinung aus der Kontakt- 45 Dies hängt auch damit zusammen, dass sie häufig Suppletivformen sind, d.h. Formen aus verschiedenen Wortstämmen (es, er vs. ihm, ihn) (Rosenberg 2003: 293). Transfererscheinungen 111 sprache ist. Denn in diesen Sprachen wird zwischen Dativ und Akkusativ morphologisch nicht unterschieden, auch nicht bei den Pronomina. Die Kasusunterscheidung erfolgt stattdessen durch die Präpositionen. Es ist daher verblüffend, dass das Phänomen des Kasuszusammenfalls auch im Kontakt mit den slawischen Sprachen auftritt, die ein sehr reiches Kasussystem besitzen. Hier ist der Kasuszusammenfall allerdings noch nicht vollständig abgeschlossen, sondern tritt, wie bereits erwähnt, durchgängig nur bei Feminina und im Plural auf. Das geschieht etwa im Russlanddeutschen besonders in Verbindung mit Präpositionen: von die Wolga, aus die deitsche Sprache, mit die Kinder und die Mutter, in unsre schwere Zeit (vgl. Riehl 2010b). Es scheint also hier ein anderes Prinzip eine Rolle zu spielen, auf das wir in 6.3 noch zurückkommen werden. 6.2.3.2 Kontakteinflüsse im Verbal- und Pronominalbereich Eine sehr häufige Erscheinung im Bereich der Verbflexion ist die Ausbreitung von reflexiven Formen auf nicht-reflexive: 64. a) Man kann sich die Worte nicht so schnell finden. [Bsp. Russland, Russ 13, russ. Ne najdeš' sebe tak bystro slov.] b) Da due die Russen, wo wohnen in Ukraine, sich beleidigen. [statt: beleidigt sein, Bsp. Russland, Russ 1, russ. obidet'sja] Diese Erscheinung geht auf den Einfluss der Kontaktsprachen zurück und wird analog ausgedehnt. Ein ähnlicher Fall ist die Generalisierung des generischen Reflexivpronomens sich durch den Einfluss der slawischen Sprachen (in den slawischen Sprachen gibt es nur ein einziges Reflexivpronomen für alle Personen): 65. a) Du hast ja keine Zeit, zum lustig zu machen sich. [Bsp. Russland, Russ 13, statt: dich] b) Ihr müsst sich schreiben gleich. [Bsp. Tschechien, Tsch 6, statt: euch] Eine andere sehr interessante morphologische Erscheinung zeigt sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Sprachkontakts des Deutschen mit sog. Pro-Drop- Sprachen. Das sind Sprachen, in denen die Subjektpronomina fehlen können, wie z.B. im Italienischen (sono Claudia ich bin Claudia). Im Walserdeutschen wird diese Möglichkeit nachgeahmt, aber durch eine andere morphologische Entwicklung kompensiert. Hier ein Beispiel: 66. finneber indsch em liskam [Bsp. Walserdeutsch, wörtl. 'finden uns im Lyskamm' = 'wir treffen uns im (Hotel) Lyskamm'] (Zürrer 1999: 369) Das Walserdeutsche weist hier die Besonderheit auf, dass die Verbformen durch eine Subjektsenklise erweitert wurden. Das bedeutet: Die Personalpronomina werden enklitisch an das Verb angehängt (finne + ber = 'finden' + 'wir'). Die verschiedenen Verbformen können damit klar auseinandergehalten werden. Die Homonymie zwischen der 1. und 3. Pers. Plural, die es im Standarddeutschen gibt, ist damit beseitigt: vgl. wir/ dschii tien ('wir/ sie tun') gegenüber wir tieber / dschii (= sie) tiendsch. Damit schafft eine eigenständige Entwicklung im System Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten 112 des Dialekts die Voraussetzungen dafür, dass das Prinzip der Subjektellipse aus der Kontaktsprache Italienisch nachgeahmt werden kann. 6.2.3.3 Ausbau grammatischer Kategorien durch Sprachkontakt Eine weitere wichtige Erscheinung im Sprachkontakt ist der Ausbau von grammatischen Kategorien, die in der Kontaktsprache grammatikalisiert sind, jedoch nicht in der Nehmersprache. So gibt es zum Beispiel im Deutschen keine grammatische Markierung von Aspektualität, d.h. ob eine Handlung als im Verlauf befindlich oder als abgeschlossen betrachtet wird. Es gibt zwar Umschreibungsformen (er ist am Arbeiten) und lexikalische Mittel (z.B. Adverbien: er arbeitet gerade), um dies auszudrücken. Dies sind aber nur optionale Möglichkeiten. Im Englischen dagegen wird der Verlauf einer Handlung durch die Konstruktion to be + -ing zum Ausdruck gebracht (he is working, sog. 'Progressiv-Konstruktion'). Der Sprachkontakt mit dem Englischen führt nun im Pennsylvania-Deutschen dazu, dass die optionale Umschreibungsform ist am X-en als morphosyntaktische Markierung der Kategorie Aspekt allmählich grammatikalisiert und damit obligatorisch wird (vgl. Louden 1994): 46 67. a) Er is in die Schtadt an gehe nau. [Bsp. Pennsylvania-Deutsch, engl. 'he is going to town now'] (Louden 1994: 85) b) Ich bin der Mann, as du an gucke bischt defoor. [Bsp. Pennsylvania-Deutsch, engl. 'I am the man you are looking for'] (ebd.) Im Gegensatz dazu finden wir aber im Kontakt mit den slawischen Sprachen, die ein ausdifferenziertes Aspektsystem besitzen, keine Anzeichen dafür, dass Aspekt mit grammatikalischen Mitteln zum Ausdruck gebracht wird. Dies muss damit zu tun haben, dass es sich beim slawischen Aspekt um einen anderen Typ von Aspekt handelt, der im Deutschen auch nicht als latente Kategorie vertreten ist (dazu u. 6.3.4). 6.2.3.4 Übernahme von Morphemen Während in den vorangehenden Fällen Regeln kopiert werden, d.h. sich entweder Gebrauchskontexte verändern oder bestimmte grammatische Kategorien oder Muster mit dem Inventar der eigenen Sprache nachgebildet werden, gibt es auch einige Fälle, in denen morphologisches Material übernommen wird. So finden sich in vielen Sprachkontaktsituationen Beispiele, in denen grammatische Funktionen doppelt markiert sind, nämlich mit Morphemen aus beiden Sprachen (vgl. Aikhenvald 2008: 25). Das ist besonders interessant bei Sprachen, die unterschiedlichen Sprachfamilien angehören, wie das Deutsche und das Ungarische. Das Ungarische, eine agglutinierende Sprache, besitzt eine Reihe von Suffixen, um bestimmte grammatische Relationen auszudrücken, die im Deutschen durch Prä- 46 Die Konstruktion sein + Präp. + substantiviertes Verb existiert auch im Keltischen (s. Mac- Kinnon/ Macaulay 2000: 49). Transfererscheinungen 113 positionen enkodiert werden. So markiert etwa das Suffix -ba (bzw. -be) eine Ortsbestimmung des inneren Raumes auf die Frage 'wohin? ' (sog. 'Illativsuffix', vgl. Földes 1996: 21). Im Deutschen wird diese Relation in der Regel durch in + Akkusativ zum Ausdruck gebracht. Nun finden sich im Ungarndeutschen Fälle wie die folgenden: 68. a) Tuars naj a Suppába [Bsp. Ungarn, 'Tu es hinein in die Suppe'] (Földes 1996: 21) b) Schits miar ans Kläsliba [Bsp. Ungarn, 'Schütte es mir ins Glas'] (ebd.: 31) Hier werden also die grammatischen Beziehungen doppelt mit ganz verschiedenen grammatischen Mitteln zum Ausdruck gebracht, mit der deutschen Präposition an [= 'in'] und gleichzeitig mit dem ungarischen Suffix -ba, das die gleiche Bedeutung hat. Bei nahe verwandten Sprachen sind solche Fälle natürlicherweise weniger häufig, doch auch hier kommt es zu bestimmten "Überblendungen". So wird im Namibiadeutschen die Possessivkonstruktion aus einer Mischung von Übernahmen aus dem Afrikaansen und dem Englischen konstruiert: Aus Konstruktionen wie meiner Oma sein Vater und dem englischen my grandma's father entstehen Konstruktionen wie meiner Omas Vater. Franke (2008: 291ff.) kann sogar feststellen, dass der s-Genitiv im Springbok-German (Südafrika) auf Feminina ausgedehnt wird, die diese Endung gar nicht haben: seine zweite Kusines Tochter. Damit übernimmt das Genitiv-Suffix eine ähnliche Funktion wie das englische s-Klitikon zur Bezeichnung des Possessivs. 6.2.4 Phonologie und Prosodie Im Gegensatz zu Morphologie und Syntax wird im Bereich der Phonologie weitgehend das Material (d.h. Phoneme) der anderen Sprache übernommen. Es werden aber auch Muster, z.B. Intonation, und phonotaktische Regeln nachgeahmt. Für prosodische Muster der Kontaktsprache trifft das schon in sehr frühen Stadien des Kontakts zu. 6.2.4.1 Übernahme von Intonationsmustern Bereits im Südtiroler Deutsch sind Intonationsmuster zu erkennen, die aus der italienischen Kontaktsprache stammen. Im Russlanddeutschen fallen Intonationsmuster ins Auge, die sehr stark von den üblichen Mustern der deutschen Sprache abweichen. Dies zeigt sich vor allem bei Aufzählungen. Dort wird ein Muster verwendet, das einer russischen Intonationskontur entspricht, der sog. IK3. Kennzeichnend für diese Kontur ist der plötzliche Anstieg des Tones im Intonationszentrum. Dieser Typ tritt besonders bei Entscheidungsfragen auf, aber auch in Aussagesätzen bei Weiterführung eines nicht abgeschlossenen Sinnabschnittes. Vgl. das folgende Beispiel, hier steigt der Ton beim betonten Wort Schwester sehr stark an: Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten 114 69. Der Malinkova sein SCHWESTER hat Mathemátik vorgetrache [Bsp. Russland, Russ 1]. Ähnliche Beobachtungen konnte Birkner (2004) bei den Brasiliendeutschen machen: Sie untersuchte die Intonationskonturen bei Listen und Reihungen (Aufzählungen) von mehrsprachigen brasiliendeutschen Sprechern. Dabei stellte sie fest, dass diese im Portugiesischen die steigend-fallende Kontur benutzen (s. Abb. 9) und im deutschen Dialekt, dem Hunsrückischen, eine Plateaukontur (mit auf einer Höhe bleibendem Ton, s. Abb. 10), d.h. die Sprecher verwenden je nach Sprache ein anderes Intonationsmuster. Interessanterweise stellte sich aber heraus, dass die Sprecher bei gemischtsprachigen Aufzählungen (vom Typ: aí planta umas florzinhas und dann komme do die Uhre, dann dann tue ich pilhas wechsle, ebd. 39, im Original in konversationsanalytischer Umschrift) die steigend-fallende Kontur wie im Portugiesischen verwenden. Das weist eindeutig auf die Richtung des Kontakteinflusses hin. Abb. 9: steigend-fallende Kontur Abb. 10: Plateau-Kontur (ebd.) (aus Birkner 2004) 6.2.4.2 Kopie von phonologischen Mustern und Phonemen Auch auf der phonologischen Ebene gibt es im Russlanddeutschen ein auffälliges Phänomen, nämlich dass besonders bei internationalem Wortschatz häufig der Vokal / o/ in unbetonter Position analog zum Russischen reduziert wird (sog. 'a-kanje'): telefaniert statt telefoniert, kanfirmiert statt konfirmiert, Aperation statt Operation, Kampanist statt Komponist. Gerade das letzte Beispiel zeigt sehr schön, dass es sich nicht um eine Übernahme des Lexems mit entsprechender Aussprache, sondern um einen Transfer von Artikulationsregeln handelt: Das Übersetzungsäquivalent lautet im Russischen kompozítor. Hier erbt also das Deutsche eine phonotaktische Regel des Russischen. Außerdem sprechen die meisten Sprecher das / e/ offener aus als im Deutschen. Jüngere Sprecher artikulieren betonte Kurzvokale ebenfalls analog zum Russischen als mittellange Vokale: ['mu: t ] statt ['mut ] für Mutter. Im Namibiadeutschen hört man durchgehend ein gerolltes apiko-alveolares / r/ (= 'Zungenspitzen-r') trotz einer sonst eher norddeutschen Lautung. Im Brasiliendeutschen bemerkt Rosenberg (2003: 287) die Velarisierung des Laterals / l/ analog zum Portugiesischen. Für das australische Deutsch führt Clyne (2003: 116) Transfererscheinungen 115 Überlappungen von englischer und sächsisch-schlesischer Lautung (Basisdialekte der Einwanderer) an: In der ursprünglich dialektalen Lautung findet sich der ungerundete Diphthong / / an Stelle von standarddt. / : / in Wörtern wie lesen sowie der Diphthong / / für standarddt. / o: / in groß. Durch den Sprachkontakt mit dem Englischen werden nun diese Diphthonge des deutschen Dialekts zu / / wie in engl. wine oder / / wie in engl. cow. Zudem verwenden die Australiendeutschen häufig alveolares [ ! ] in Wörtern wie Regen (Clyne 2003: 116). Eine interessante Erscheinung findet man auch im elsässischen Französisch: Hier hat umgekehrt die deutsche Lautung (der elsässische Dialekt) Spuren hinterlassen. Das äußert sich nicht nur in der typischen Prosodie oder in einem gewissen Hang zur Anfangsbetonung, sondern beispielsweise auch im Gebrauch von / h/ in Wörtern wie hein ('also'), also eine durch Sprachkontakt bedingte Einführung eines Lautes, den es im Lautsystem des Französischen gar nicht gibt (zum aspirierten 'h' vgl. u. Kap. 12.1). 6.2.5 Indirekte Auswirkungen des Sprachkontakts Es gibt noch zwei Beobachtungen, die man ebenfalls bei vielen Sprachminderheiten machen kann und die man als indirekten Sprachkontakt bezeichnen könnte. Das sind Erscheinungen, die darauf zurückzuführen sind, dass die Sprecher in Sprachkontaktsituationen ihre L1 weniger häufig gebrauchen. Daher kommt es zu Unsicherheiten im Wortgebrauch, die Clyne (1981a: 38) als "sprachliche Entfremdung" bezeichnete: Die Sprecher weichen auf semantisch verwandte Begriffe aus (vgl. 70a,b), setzen Lexeme in falschen oder unüblichen Verwendungskontexten ein (70c) oder kreieren neue Wörter nach bekannten Mustern (70d, e): 70. a) Sie wurde von einem Ufo aufgeschnappt. [Bsp. Ostbelgien, statt: aufgenommen] b) Das war früher Mode - der älteste Sohn musste die Farm übernehmen [Bsp. Barossa-Deutsch, statt: Brauch] c) [...] von einem heranreifenden Schüler [Bsp. Südtirol, statt: heranwachsenden] d) 3 103 Tiere wurden während Nachternten erlegt. [Bsp. Namibia, statt: Nacht jagden] e) Nu, auf Deitsch was so - Hochwörter das kann ich nicht. [Bsp. Russland, Russ 13, statt: standardsprachliche Wörter oder Wörter auf Hochdeutsch] Eine zweite Tendenz ist, dass nicht nur neue Wortkombinationen, sondern Wörter mit ungewöhnlichen Präfixen oder Suffixen geschaffen werden, vgl.: 71. a) Wir müssen das Wasser besparen. [Bsp. Namibia] b) Das war moi ['schön'], unsere Zusammenarbeitung. [Bsp. Namibia] c) Da hab ich mir das Deutsche wieder erholt [Bsp. Barossa-Deutsch] Daneben bleibt auch alter Wortschatz aus den deutschen Dialekten erhalten, der mittlerweile im geschlossenen deutschen Sprachraum nicht mehr gebraucht wird. Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten 116 So berichtet Clyne (1994: 117), dass im Australiendeutschen aus der Bibel stammende Wörter wie wahrlich oder gewohnet verwendet werden oder Wortschatz der Vorkriegszeit wie Backfisch und Eisschrank. In meinem Corpus des Barossa- Deutschen finden sich Hauptmann für 'Chef', Backpfeife für 'Ohrfeige' oder Heim für 'Haus'. Die Russlanddeutschen gebrauchen noch manchmal die Diskurspartikel gewiss statt sicher, freilich etc. und Wörter wie alleinig ('allein'), Mannsleit, Weibsleit ('Männer', 'Frauen'), Bud ('Geschäft'). Interessant ist in diesem Zusammenhang der Gebrauch des Wortes Luftschiff für 'Flugzeug': Clyne (1994: 117) berichtet dies für das Deutsche in Australien und in meinem Corpus aus Russland taucht es ebenfalls auf. D.h. unabhängig voneinander haben hier die Mitglieder der Minderheit eine technische Neuerung, die es vor ihrer Auswanderung aus dem deutschen Sprachraum nicht gab, mit dem Wort für etwas Ähnliches bezeichnet. Dies gilt aber nur mehr für Sprecher der ältesten Generation; alle anderen übernehmen dafür das Wort aus der Kontaktsprache: engl. aeroplane oder russ. samolot. 6.3 Ursachen für Sprachkontaktphänomene Wir haben im vorangegangenen Abschnitt eine Reihe von Sprachkontaktphänomenen gesehen, die teilweise in den unterschiedlichen Gebieten und im Kontakt mit unterschiedlichen Sprachen gleich ausfallen. Dann haben wir auch wieder einzelne isolierte Phänomene feststellen können. Wie sind nun diese Unterschiede erklärbar, und wie wirkt hier der Sprachkontakt? Dabei kann man einige Tendenzen erkennen, die ich zusammenfassen möchte unter: Beschleunigung von in der Sprache bereits angelegten Entwicklungstendenzen in eine bestimmte typologische Richtung Wirkung bestimmter kognitiver Prinzipien nur durch Kontakt bedingte Entwicklungen Ausbau latenter Kategorien unter Sprachkontaktbedingungen Ökonomieprinzip 6.3.1 Entwicklungstendenzen in eine bestimmte typologische Richtung Im Hinblick auf den Kasusabbau, der ja auch im Sprachkontakt mit Sprachen festzustellen ist, die eine sehr reiche Kasusflexion haben (wie das Russische) spricht Rosenberg (2003: 288) von einer typologisch bedingten Sprachvereinfachung. Das hat damit zu tun, dass sich die deutsche Sprache langfristig von einer Sprache mit synthetischen Strukturen zu einer Sprache mit immer mehr analytischen Strukturen entwickelt. Das bedeutet eine "Externalisierung" syntaktischer Merkmale, z.B. die Verteilung verschiedener Funktionen auf verschiedene Ele- Ursachen für Sprachkontaktphänomene 117 mente, von denen jedes einzelne nur wenig Information trägt. Aus ahd. riganota (ein Wort) wird nhd. es hat geregnet (drei Wörter). Hier ist also die Tendenz schon in der Sprache angelegt. Man sieht das übrigens auch sehr schön an den Dialekten des Deutschen, wo dieser Prozess ebenfalls viel weiter fortgeschritten ist als in der deutschen Standardsprache. Der Sprachkontakt beschleunigt also diese Tendenz nur, vgl. Clyne (1991: 179): There is evidence from studies of immigrant bilingualism that the speech of bilinguals will diverge from that of monolinguals in the heartland of the immigrant language not only because of the effects of the dominant language but also because in the relative isolation of the immigrant situation, changes in accordance with the dominant typology of the language are accelerated in the language. Kontaktphänomene zeigen also Simplifizierung und Beschleunigung von sprachinternen Entwicklungen. Interessant ist allerdings, dass wir in den verschiedenen Sprachkontaktsituationen unterschiedliche Stadien der Entwicklung beobachten können: In Kontaktsituationen mit soziolinguistisch gesehen geringerem Sprachkontakt (z.B. in Namibia, Ostbelgien, Rumänien) findet man erst Anfänge des Kasusabbaus wie Verlust der Endung bei den schwachen Nomina. Bei stärkerem Kontakt wie im Russlanddeutschen oder Pennsylvania-Deutschen fallen bereits in sehr vielen Fällen Dativ und Akkusativ zusammen. Die Intensität des Kontaktes spielt also, wie es auch Thomason/ Kaufman annehmen (s.o. S. 38), eine bedeutende Rolle. Rosenberg (2003) gibt auch an, dass es sich bei dem Dativ um eine markiertere Form handelt und die Vereinfachung darin bestehe, dass markierte Formen zuerst abgebaut werden. Diesem widersprechen aber individuelle Sprachkontakterscheinungen wie das Ausbreiten der um...zu-Konstruktionen auf alle Infinitive im Namibiadeutschen. Hier wird nämlich die markiertere Form anstelle der unmarkierten verwendet. Möglicherweise kann hier eine Rolle spielen, ob es sich um gebundene Morpheme (Endungen) oder um freie Morpheme (z.B. Präpositionen) handelt. Eine andere Entwicklung im Bereich der Morphosyntax widerspricht allerdings der typologischen Konvergenz in Richtung auf einen analytischen Sprachbau völlig, nämlich der Wegfall der Subjektpronomina im Walserdeutschen unter Einfluss der Pro-Drop-Sprache Italienisch. Hier kommt wieder eine andere Tendenz zum Tragen, nämlich das Ökonomieprinzip (s. Kap. 6.3.5). Für die Übergeneralisierung der Verbzweitstellung und die Abschaffung der Verbendstellung im Nebensatz gilt Ähnliches. Es handelt sich dabei zwar um eine Vereinfachung, 47 aber ebenfalls um eine Entwicklung in eine bestimmte typologische Richtung: Deutsch ist eine typologisch gemischte Sprache, mit einer starken Tendenz zu VO, also Kopf vor Adjunkt: Diese Entwicklung zeigt sich bereits in der Tendenz, das vorangestellte Genitivattribut durch das nachgestellte zu erset- 47 Vereinfachungen wie der Verlust markierter Formen sind auch Zeichen von Spracherosion (s. Kap. 5.3) oder von Pidginisierung (vgl. Kap. 7.1.1) (vgl. auch Winford 2003: 263). Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten 118 zen Das Haus von Oma statt Omas Haus. Das ist schon obligatorisch mit Possessivpronomen: Das Haus meiner Oma (vgl. Eisenberg 2006: 250f.). Im Sprachkontakt wird nun diese Richtung stärker verfolgt und die Entwicklung wird je nach Intensität des Kontakts vorangetrieben, wie die unterschiedlichen Stadien in den verschiedenen Sprachgemeinschaften zeigen. Allerdings gibt es auch hier gegenläufige Tendenzen, wie die Entwicklung des s-Genitivs im Nambia-Deutschen und Springbok-German andeuten. In diesen Fällen ist eine andere Tendenz wirksam (s. Kap. 6.3.3). 6.3.2 Kognitive Prinzipien Es gibt auch Erscheinungen im Sprachkontakt, die nicht auf eine typologische Entwicklung zurückzuführen sind, sondern kognitiven Prinzipien folgen. In diesen Bereich gehört der Abbau der Verbklammer zugunsten einer Kontaktstellung der Verbteile. Kontaktsprachen, die die Kontaktstellung kennen, unterstützen diese Entwicklung. Aber auch im Kontakt mit Sprachen wie dem Russischen und Tschechischen, die eine sehr flexible Wortstellung haben, finden wir einen Abbau der Verbklammer. Das könnte damit zusammenhängen, dass nach dem kognitiven Prinzip der Nähe (Givón 1990: 970f.) Einheiten, die funktional, konzeptionell oder kognitiv zusammengehören, auch an der sprachlichen Oberfläche, d.h. zeitlich oder räumlich, nahe zusammenstehen sollten. Nach diesem Prinzip sollten die zusammengehörenden Teile des Verbs, nämlich der Träger der grammatischen Information (Hilfsverb) und der Träger der semantischen Information (Vollverb), in relativer Nähe zueinander stehen. Das ist aber bei einer extremen Klammerbildung nicht gegeben. Daher entsprechen die Beispiele unter (53-56) wesentlich besser dem Prinzip der Nähe als die eigentlich grammatisch korrekten Formen. 6.3.3 Nur durch Kontakt bedingte Entwicklungen Übernahme von Formen wie der um...zu-Konstruktion lassen eindeutig erkennen, dass hier die Kontaktsprache entscheidend dazu beiträgt, dass der Gebrauchskontext dieser Konstruktion ausgebaut wird. Beweis dafür sind Sprachkontaktsituationen, in denen das nicht der Fall ist. Im Kontakt mit dem Russischen, das den präpositionslosen Infinitiv kennt, werden analog dazu die Infinitivkonstruktionen mit zu abgebaut. Ein weiteres Beispiel für eine Entwicklung, die lediglich durch die spezifische Kontaktsituation bewirkt wird, ist die Stellung der Negation im Namibiadeutschen: Hier bildet sich sogar in einem noch wenig intensiven Kontakt ein eigener Wortstellungstyp für die Negation heraus (s.o. Bsp. 57). Eine Sonderentwicklung zeigen auch die Genitivkonstruktionen des Namibiadeutschen und Springbok- German oder die Generalisierung der Reflexivpronomina im Kontakt mit den slawischen Sprachen. Ursachen für Sprachkontaktphänomene 119 6.3.4 Ausbau latenter Kategorien Im Falle der Markierung des progressiven Aspekts im Pennsylvania-Deutschen haben wir gesehen, dass eigene bereits schon in der Sprache vorhandene Ausdrucksweisen genutzt werden, um voll grammatikalisierte Kategorien der Kontaktsprache auszudrücken. Theoretisch bestünde ja die Möglichkeit, die Konstruktion des Englischen nachzubilden: I'm going = *ich bin gehend. Stattdessen wird aber eine eigene Form benutzt, die für den optionalen Ausdruck der Kategorie eingesetzt werden kann: ist am Gehen. Durch den Einfluss der Kontaktsprache Englisch wird nun diese Möglichkeit allmählich grammatikalisiert. Diesen Anstoß von einer Kontaktsprache zur Grammatikalisierung eigener Formen haben schon viele Sprachen genutzt (sog. 'Replikakonstruktion', vgl. Heine/ Kuteva 2005: 92f.). Allerdings sind diese Konstruktionen dann oft auch weniger stark grammatikalisiert (d.h. in weniger Kontexten) als in der Kontaktsprache (s. Heine 2012). Dass nun das Russlanddeutsche und auch die anderen deutschsprachigen Gruppen, die mit slawischen Sprachen zusammenkommen, diese Möglichkeit nicht ausbauen, hängt vermutlich damit zusammen, dass es sich hierbei um einen anderen Typus von Aspekt handelt (imperfektiv vs. perfektiv) oder dass einfach entsprechende grammatische Ausdrucksmöglichkeiten fehlen. So argumentiert etwa Hickey (2010: 155) mit einem Beispiel aus dem Irischen: Eine grammatische Kategorie kann nur dann übernommen werden, wenn die Nehmersprache auch die formalen Möglichkeiten hat, diese auszudrücken. 6.3.5 Ökonomieprinzip Man könnte diese Erscheinungen noch einmal zusammenfassen unter einem übergeordneten Gesichtspunkt, nämlich dem der kognitiven Ökonomie. Die Sprecher versuchen, die unterschiedlichen Sprachsysteme so zu organisieren, dass sie viele der Strukturen möglichst ökonomisch nutzen können. Dabei geht es weniger um die Speicherung - denn hier ist die Kapazität des Gehirns ja sehr hoch - sondern um die Geschwindigkeit bei der Sprachverarbeitung und Sprachproduktion. Im Bereich des Lexikons wird ausdrucksseitige Ökonomie angestrebt: Reduktion von Benennungen ein und desselben Vertreters in der außersprachlichen Wirklichkeit und möglichst hohe Deckungsgleichheit von Ausdrucks- und Inhaltsseite in beiden Sprachen. In der Morphologie erzielt man Ökonomie meist durch eine Vereinfachung von Formen und Reduktion des Formenreichtums. Auf diese Weise muss sich der Sprecher nicht so ein großes Inventar an Formen merken und auch nicht so viele Ausnahmen als Einzelelemente (als full listed-items) speichern. In der Syntax wird auch die Speicherung von Varianten reduziert, z.B. indem man in der Wortstellung nicht mehr zwischen Haupt- und Nebensatz unterscheidet. Gleichzeitig besteht aber hier viel stärker als in der Morphologie die Möglichkeit den anderen Code zu kopieren, so dass möglichst viele syntaktische Muster in einem gemeinsamen Speicher angesiedelt werden Phänomene des Sprachkontakts. Beispiele von deutschsprachigen Minderheiten 120 können. Das gilt auch für morphosyntaktische Muster, z.B. im Falle der Ellipse der Subjektpronomina im Walserdeutschen. Hier müssen sich die Sprecher jetzt nur noch eine Möglichkeit merken. Ähnliches geschieht bei der Kopie der um...zu- Infinitivformen des Afrikaansen im Namibiadeutschen oder der Ausweitung des s-Genitivs im Springbok-German. Die Konvergenzprozesse werden erleichtert durch eine strukturelle Ähnlichkeit und etymologische Verwandtschaft der beteiligten Sprachen, sowie die Existenz ähnlicher phonotaktischer Bedingungen. 6.4 Zusammenfassung Erscheinungen des Sprachkontakts können auf allen Ebenen der Sprache auftreten. Dabei sind die Bereiche Lexikon und Semantik am anfälligsten für Übernahmen aus einer anderen Sprache, gefolgt von Syntax, Phonetik und Prosodie. Grundsätzlich ist die Intensität des Kontaktes verantwortlich für das Ausmaß der Übernahmen. In Extremfällen kommt es zu einer Veränderung des Sprachsystems. Die Sprachkontakterscheinungen haben verschiedene Ursachen, einige davon sind prinzipieller Natur (wie kognitive Prinzipien oder das Ökonomieprinzip), andere sind sprachintern motiviert (Beschleunigung bestimmter sprachinterner Prozesse) und andere wiederum sind nur durch den Einfluss der jeweiligen Kontaktsprache erklärbar. 7 Vereinfachte Sprachen: Pidgin, Xenolekt, Pidgindeutsch 7.1 Der Begriff 'Pidgin' Die Sprachkontaktphänomene, die in Kap. 6 aufgezeigt wurden, waren Beispiele von Auswirkungen der Zweitsprache auf die Erstsprache, d.h. sie traten auf in Fällen von Sprachkontakt bei Sprachminderheiten und in traditionell mehrsprachigen Gesellschaften. Ein anderes Phänomen entsteht beim späteren Erwerb einer Zweit- oder Drittsprache: Hier ist zunächst der Einfluss der Erstsprache (oder anderer Sprachen) auf die neu zu erwerbende Zweitsprache sehr hoch. Wie in Kap. 5.2.1 beschrieben, kann der Erwerb entweder gesteuert im Schulunterricht oder ungesteuert durch den Kontakt mit Sprechern dieser Sprache vor sich gehen. Auch eine Koppelung beider Möglichkeiten ist häufig, z.B. wenn man sich in dem Land, in dem die Zweitsprache gesprochen wird, befindet und gleichzeitig noch Sprachkurse oder die Schule besucht. Betroffen davon sind und waren vor allem Migranten, aber auch kolonialisierte Gesellschaften. In letzterem Fall kam es aber häufig gar nicht zum Erwerb der Sprache der Kolonisatoren, sondern zum Erwerb einer eigenen Mischvarietät, des sog. 'Pidgin'. Hier entstand also durch Sprachkontakt eine ganz neue Sprache. Im Gegensatz zu voll ausgebauten Sprachen handelt es sich dabei aber eher um eine Hilfsvarietät, eine vereinfachte Form einer Sprache (vgl. Bechert/ Wildgen 1991: 16). 7.1.1 Charakteristika von Pidginsprachen Pidginsprachen sind allgemeine Verständigungssprachen, die sich vor allem durch eingeschränkten Gebrauch und Einfachheit ihrer Strukturen auszeichnen. Woher der Begriff kommt, ist unklar, vielleicht verbirgt sich dahinter eine Verballhornung des englischen Wortes business durch Sprecher des Chinesischen. Dafür spräche, dass Pidginsprachen vor allem im Handel eingesetzt wurden. Allerdings entstanden auch sehr viele Pidgins auf Plantagen, im Bergbau oder in multi-ethnischen Schiffsmannschaften, besonders aber im Zusammenhang mit der Sklaverei (Rickford/ McWhorter 1997). Viele Pidginsprachen bildeten sich im Kontakt von europäischen mit afrikanischen und austronesischen (überwiegend in Indonesien und Polynesien beheimateten) Sprachen heraus und zwar mit dem Lexikon der europäischen Sprachen und der Grammatik der afrikanischen oder austronesischen Sprachen. Typisch Vereinfachte Sprachen: Pidgin, Xenolekt, Pidgindeutsch 122 für Pidgins sind Paraphrasen mit einfachen Worten. Das betrifft auch den Grundwortschatz, vgl. dazu folgende Beispiele aus dem Tok Pisin, das zwar heute eine Kreolsprache ist, aber in vielen Fällen noch die Paraphrasierungsmuster des Pidgins erhalten hat: 72. gras bilong fes (= grass belong face) 'Bart' gras bilong hed (= grass belong head) 'Haare' gras bilong ai (= grass belong eye) 'Augenbraue' [Tok Pisin, vgl. Mesthrie et al. 2009: 282] Eine weitere Besonderheit ist die Vereinfachung der Grammatik wie das Fehlen von Affixen und anderen Flexionsmarkern, Fehlen von funktionalen Kategorien wie Tempus, Modus und Aspekt (TAM), ein minimales Inventar von Funktionswörtern und eine begrenzte Anzahl von Fragewörtern und Pronomina. Ein weiteres Merkmal ist die Verwendung eines universalen Negationsmarkers (vgl. Winford 2003: 276). Fehlende Markierungen, wie Tempusmarkierungen am Verb werden durch einfache Adverbien wie before, today, later ersetzt, vgl.: 73. Before my sellum for ten dollars Before I sell for ten dollars ('Ich habe es für 10 Dollar verkauft') [Chinese Pidgin English, vgl. Mesthrie et al. 2009: 282] In der Syntax werden grammatische Funktionen v.a. durch die Wortfolge ausgedrückt. Es gibt eine begrenzte Anzahl von Satzmustern und auch Mechanismen der Subordination und Einbettung fehlen. Interessant sind auch Vereinfachungen in der Phonologie: Auch hier findet man ein reduziertes Inventar von Phonemen und einen Verlust von phonologischen Kontrasten im Vergleich zur sog. 'Lexifizierersprache', d.h. der Sprache, aus der das überwiegende Lexikon stammt. In der Regel werden v.a. Laute eliminiert, die die Kontaktsprachen nicht teilen, besonders solche, die in der Lexifizierersprache markiert sind. Es gibt auch Pidgins, die eine beträchtliche Variation in ihrem Phoneminventar zeigen. Das sind meist solche, die von verschiedenen Sprachgemeinschaften benutzt werden wie Chinook Pidgin und Mobilian Pidgin. Beide Sprachen werden auf dem amerikanischen Kontinent als Handelssprache zwischen den Sprechern einer Vielzahl verschiedener indianischer Sprachen mit europäischen Siedlern verwendet. Die unterschiedlichen Sprecher haben quasi einen Akzent in der Pidginsprache, der von ihrer jeweiligen Erstsprache beeinflusst ist (Winford 2003: 276ff.). Neben diesen auf europäischen Sprachen basierenden Pidgins gibt es auch eine Reihe von Pidgins, die nicht von europäischen Sprachen beeinflusst sind, z.B. den Chinook-Jargon an der Westküste Kanadas (s.u.) oder das Fanakalo (Süd- Afrika), dessen Basis eine Bantusprache ist. Interessant sind auch das chinesische Pidgin-Russisch und das Russenorsk: Ersteres ist eine Verständigungssprache Der Begriff 'Pidgin' 123 zwischen Chinesen und Russen und Letzteres ein Verständigungsmedium zwischen Russen und Norwegern. 7.1.2 Kriterien von Pidgins Es gibt drei wichtige Kriterien, die bei der Bestimmung von Pidginsprachen herangezogen werden: Unverständlichkeit im Hinblick auf die Quellsprachen Konventionalisierung (Stabilisierung) Keine Erstsprache einer Sprechergemeinschaft Pidgins sind vor allem dadurch als eigene "Sprachen" gekennzeichnet, dass sie nicht ohne Weiteres von den Sprechern der einen oder anderen Quellsprache verstanden werden können. Ein Beispiel dafür ist das Russenorsk, ein Handelspidgin, das sich vor allem in den Hafenstädten an der nordnorwegischen Küste aufgrund von intensiven Handelsbeziehungen zwischen russischen Kaufleuten und norwegischen Fischern herausbildete. Diese Sprache wurde von seinen Sprechern auch moja på tvoja genannt, was soviel heißt wie "ich spreche in deiner Art und Weise". Das bedeutet, dass die Russen meinten, Russenorsk wäre Norwegisch und die Norweger, es wäre Russisch. Hätten die Russen das Russenorsk gleich verstanden, hätten sie ja nicht denken können, es wäre Norwegisch (Thomason/ Kaufman 1988: 167f.). Diese Beobachtung sagt aber gleichzeitig aus, dass diese Sprache auch von beiden Seiten gesprochen und eben in der spezifischen Kontaktsituation benutzt wird. Die wechselseitige Verstehbarkeit kann aber in der Entstehungsphase der Pidginsprache oder im Falle typologisch sehr nahe verwandter Sprachen noch gegeben sein. Eine Sprachform ist allerdings auch als Pidgin klassifizierbar, wenn ein von Sprechern der Ausgangssprache noch verstehbares Pidgin als Verständigungsmittel von Sprechern ganz anderer Sprachen verwendet wird. Das war etwa der Fall bei dem oben erwähnten Chinook-Jargon: Sprecher des Lower Chinook, einer indianischen Sprache am Columbia River, konnten dieses Pidgin verstehen, aber es wurde von den Europäern auch mit anderen Gruppen von Indianern verwendet und sogar unter bestimmten Sprechern von Indianersprachen selbst (vgl. ebd: 169). Das zweite wichtige Kriterium, das zur Charakterisierung einer Pidginsprache angeführt wird, ist die Konventionalisierung. Eine Pidginsprache muss man lernen, sie kann nicht von einem Sprecher einfach produziert werden, indem er seine eigene Sprache ad hoc simplifiziert und ein paar Begriffe durch anderssprachige ersetzt. Natürlich gibt es hier auch Grenzfälle in der Entstehungsphase ei- Vereinfachte Sprachen: Pidgin, Xenolekt, Pidgindeutsch 124 ner Pidginsprache, das nennt man dann häufig ein pre-pidgin (dazu und mit Beispielen Siegel 2008: 2f.). 48 Das dritte wichtige Charakteristikum für eine Pidginsprache ist der Tatbestand, dass es keine Sprechergemeinschaft gibt, die diese Sprache als Muttersprache hat. Alle Pidginsprecher haben noch eine andere Sprache, in der sie sich ausdrücken können. Das hängt natürlich mit dem eingeschränkten Repertoire dieser Sprache zusammen. Pidgins besitzen nicht nur einen eingeschränkten Wortschatz und eine reduzierte Grammatik, sondern sie verfügen auch nicht über Möglichkeiten der stilistischen oder pragmatischen Differenzierung (vgl. Rickford/ McWhorter 1997: 240). Allerdings ist dies ein gesellschaftlich bedingtes Kriterium, denn sobald der Bedarf besteht, die Sprache in weiteren Kontexten anzuwenden, kann sie auch ausgebaut werden und alle nötigen grammatikalischen und stilistischen Kategorien entwickeln. In der Regel entstehen so Kreolsprachen. Kreolsprachen sind dann Erstsprachen einer bestimmten Sprechergruppe. Dieser Ausbauprozess kann auch schon vor der Kreolisierung einsetzen. Dann spricht man von einem erweiterten Pidgin, wie etwa im Falle des Tok Pisin, einem Pidgin- Englisch, das in Papua-Neuguinea gesprochen wird. Ob Pidgins ihre Grammatik im Laufe ihrer Geschichte ausbauen oder nicht, hängt allerdings von der Gebrauchssituation ab: Wird das Pidgin nur in ganz eingeschränkten Kontexten verwendet, besteht keine Notwendigkeit zum Ausbau. Beispiele dafür sind der Chinook-Jargon und das chinesische Pidgin-Russisch. Andere Pidginsprachen veränderten ihre Gebrauchskontexte: So wurde das melanesische Pidgin-Englisch zuerst als Verständigungssprache einer multilingualen Schiffsmannschaft auf Walfangbooten verwendet, danach als Lingua franca bei den Plantagenarbeitern im Sandelholz- und Seegurkenhandel und wurde schließlich zu einer wichtigen Sprache im interethnischen Verkehr in den Städten. Dieser Prozess des Ausbaus der Verwendungskontexte geht automatisch mit dem grammatischen, lexikalischen und stilistischen Ausbau einer Sprache einher. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass eine Pidginsprache expandiert, wenn sie von Sprechern verschiedener gleichgeordneter Sprachen gebraucht wird, als wenn sie das Verständigungsmittel zwischen Sprechern einer Superstratsprache (übergeordneten Sprache) und einer Substratsprache (untergeordneten Sprache) ist, wie dies bei einem klassischen Herren-Sklaven-Verhältnis der Fall ist (vgl. Rickford/ McWhorter 1997: 244f.). 7.1.3 Auslöser zur Entstehung von Pidgins (Pidginisierungsprozesse) Bei der Diskussion um die Entstehung von Pidginsprachen taucht immer wieder die Frage auf, wodurch die typischen Strukturen einer Pidgingrammatik entste- 48 Thomason/ Kaufman (1988: 169) verweisen auf eine Beobachtung von Bickerton 1981, wo dieser bemerkt, dass das Hawaiian Pidgin English wirklich von Sprecher zu Sprecher variiert und keine eigene Grammatik hat. Der Begriff 'Pidgin' 125 hen. Hier wurden drei verschiedene Prozesse vorgeschlagen und von verschiedenen Forschern immer wieder verteidigt: Vereinfachung der das Lexikon bestimmenden Sprache(n) Grammatikalischer Einfluss der Substratsprache(n) Universalistische Tendenzen zur Erzeugung einer maximal vereinfachten Sprache Diese Prozesse schließen einander nicht aus und es ist sogar wahrscheinlich, dass sie ineinandergreifen. Dennoch ist zu fragen, welcher Prozess der Auslöser der Pidginisierung ist. Die am häufigsten vertretene Auffassung ist, dass der Anfang der Entstehung einer Pidginsprache darin besteht, dass die Lexikon-Geber- Sprache vereinfacht wird. Das hat gewisse Gemeinsamkeiten mit dem sog. 'Ausländerregister', der Art und Weise, wie man mit Fremden, die die Sprache nicht gut beherrschen, spricht. Ferguson (1971) sieht deshalb darin den Ausgangspunkt für Pidgins. Damit wird sich Abschnitt 7.2 noch genauer befassen. Aus der Genese einiger Pidgins, wie des auf dem Delaware (einer Indianersprache in Nordamerika) basierenden Pidgin, wissen wir, dass die Sprecher absichtlich nur eine pidginisierte Form ihrer Sprache an Fremde weitergaben, diese aber glaubten, die richtige Sprache zu lernen (Thomason/ Kaufman 1988: 175). Die zweite These besagt - vereinfacht dargestellt -, Pidgins hätten das Lexikon von der einen und die Grammatik von der anderen Sprache. In einer klassischen Kontaktsituation sähe das dann so aus, dass die Sprecher nach und nach die Grammatik ihrer Sprache relexifizieren, d.h. sie übernehmen die Wörter aus der Kontaktsprache in ihr eigenes grammatisches System. Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie benutzen die deutsche Grammatik mit französischen oder englischen Wörtern: 74. Ich komme nicht ins Restaurant, weil ich krank bin. frz. Pidgin *Je viens ne pas au restaurant, parce que je malade suis. engl. Pidgin *I come not to the restaurant, because I sick am. Die Zusammensetzung der Pidgins scheint aber auch von soziologischen Faktoren abzuhängen. Hier gibt es Unterschiede, je nachdem, ob die Pidginsprache von gleichberechtigten Partnern, z.B. zum Zwecke des Handels, gesprochen wurde oder von einem gesellschaftlich dominanten Partner und seinem Untergebenen (Herr-Sklave-Verhältnis). Im ersten Fall zeigt die Sprache mehr Anteile aus beiden Sprachen in allen Bereichen, z.B. das Russenorsk (vgl. Broch/ Jahr 1984 mit sehr schönen Beispielen). Im zweiten Fall wird das Lexikon aus der Sprache der dominanten Gruppe übernommen, beispielsweise aus dem Englischen oder Französischen. Die dritte These hat vor allem seit den 80er Jahren viel Beachtung gefunden. Sie geht davon aus, dass die Art, wie die Sprecher ihre Sprache vereinfachen, universal ist. Damit kann man sowohl erklären, warum geographisch weit auseinanderliegende Pidginsprachen strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen, als auch, warum Vereinfachte Sprachen: Pidgin, Xenolekt, Pidgindeutsch 126 eine große Zahl von universalen, markierten Strukturen in den Pidginsprachen fehlen. All diesen Thesen ist gemeinsam, dass sie in der Pidginisierung einen Vereinfachungsprozess einer bestimmten Sprache sehen, entweder durch Einfluss des Substrats, d.h. der untergeordneten Sprache, oder aufgrund universaler Tendenzen. 7.1.4 Thesen zur Genese von Pidginsprachen Die weitgehende strukturelle Ähnlichkeit vieler, auch geographisch weit auseinanderliegender Pidginsprachen, hat dazu geführt, Hypothesen über die Genese aufzustellen. Diese gehen entweder von der Entstehung aus einer "Ur- Pidginsprache" (Monogenese) aus, von einer unabhängigen Parallelentwicklung oder von einer universalistischen Theorie, nämlich dass die Entstehung von Pidgins gleichsam die Ursprünge der Entstehung einer Sprache abbildet. Daneben gibt es auch eine ethnisch und historisch ausgerichtete Theorie, die die entsprechenden geographischen und sozial-ökonomischen Bedingungen der Entstehung von Pidgin- (und Kreol-)sprachen in den Vordergrund stellt (Bechert/ Wildgen 1991: 130): Die Theorie von der Monogenese der Pidginsprachen geht davon aus, dass das Sabir, das seit dem Mittelalter als Lingua franca im Mittelmeerraum verwendet wurde, den Ausgangspunkt für ein portugiesisch basiertes Proto- Pidgin bildete, das von den Portugiesen als Sprache für erste Kontakte mit unbekannten Ländern entwickelt wurde. Die späteren Pidgins, die Spanisch, Englisch, Französisch, Holländisch und auch Deutsch als Lexikon-gebende Sprachen haben, entwickelten sich nach dieser Theorie aus dem Proto-Pidgin, indem in die ursprüngliche Grundstruktur jeweils andere lexikalische Einheiten eingesetzt wurden, eben die entsprechenden spanischen, englischen, französischen etc. Wörter. Die These von der unabhängigen Parallelentwicklung besagt, dass die Pidginsprachen zwar an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind, dass sie aber immer unter parallelen Umständen entstanden und daher ähnliche Ergebnisse herauskamen. Das gilt aber im Prinzip nur für Pidgins, die auf europäischen Sprachen basieren (vgl. Versteegh 2008 mit vielen Beispielen). Die universalistische These, die vor allem von Bickerton (1981 u.a.) vertreten wird, besagt, dass den Pidginsprachen gewissermaßen ein Bioprogramm von Sprache zugrunde liegt. Bickerton zeigt einige universale Tendenzen der Pidginsprachen auf: Fokussierung durch Voranstellung, Markierung von Tempus, Modus und Aspekt durch Partikeln vor dem Verb und weitere Besonderheiten (zur Diskussion der Bioprogrammthese s. Veenstra 2008). Der Begriff 'Pidgin' 127 Thomason/ Kaufman (1988) wenden sich gegen die erste und letzte These, indem sie darauf hinweisen, dass für diese Argumentation meist die bekanntesten Pidginsprachen herangezogen werden, die wiederum ein europäisches Lexikon und afrikanische oder austronesische Substratsprachen haben. Betrachtet man dagegen Pidgins außerhalb des europäischen Kontexts, findet man größere typologische Unterschiede zwischen den Pidginsprachen und auch markierte Strukturen, die in einer maximal vereinfachten Sprache gar nicht vorkommen dürften. So zeigt etwa das Hiri Motu, eine Pidginsprache, die auf der Papuasprache Motu basiert und Einflüsse aus dem Englischen, Tok Pisin und weiteren austronesischen Sprachen aufweist, die Wortfolge OSV (Objekt - Subjekt - Verb). Diese Struktur kommt nur sehr selten in den Sprachen der Welt vor und gilt daher als sehr markiert. Andere Pidgins wie das Fanakalo, das an der Ostküste Südafrikas entstand, haben eine relativ ausgeprägte Morphosyntax, z.B. Tempussuffixe oder Passivmarkierungen, die unüblich sind für eine einfache Pidgingrammatik. Beispiele wie diese deuten darauf hin, dass es sich bei der Herausbildung von Pidgins wohl um eine wechselseitige sprachliche Angleichung handelt. Hierbei spielt auch eine Rolle, ob die Sprecher schon einmal eine Sprachkontaktsituation erlebt haben und wie sie die Annahmen, die sie daraus gezogen haben, auf die neuen Gesprächspartner anwenden. Sie verwenden demnach Strategien, die sie schon gelernt haben, um ihre Sprache zu vereinfachen. Der Grad der Vereinfachung wird zwar von allgemeinen Tendenzen gesteuert, hängt aber auch davon ab, inwieweit Strukturen von den bereits bekannten Sprachen Parallelen in der Sprache der neuen Kontaktpartner haben. Kennen diese z.B. einen präfigierten Plural, dann kann auch dieser in das Pidgin übernommen werden, selbst wenn er eine markierte Form ist. Vor allem wenn die Ausgangssprachen miteinander typologisch verwandt sind, findet man kompliziertere morphosyntaktische Strukturen als bei nicht verwandten Sprachen (Thomason/ Kaufman 1988: 192ff.). 49 Schon diese wenigen Beispiele deuten darauf hin, dass man sich bei der Beschreibung von Pidgin- (und Kreol-)sprachen von dem Gedanken verabschieden muss, dass es sich dabei um eine relativ einheitliche Erscheinung handelt: Das hängt damit zusammen, dass Pidginsprachen ein universelles und weit verbreitetes Phänomen darstellen, das weit über die bekannten, im Zusammenhang mit der Kolonialisierung entstandenen Sprachformen hinausgeht: Pidgins appear to represent a universal and common human response to the need for constrained communication between groups speaking unintelligible languages - a need which can arise almost anywhere on earth" (Rickford/ McWhorter 1997: 245). 49 Holm (2010: 254) schließt allerdings eine Pidginisierung zwischen verwandten Sprachen aus. Er schlägt vor, in diesem Fall von Koineisierung zu sprechen (vgl. auch Kap. 8.2.3). Vereinfachte Sprachen: Pidgin, Xenolekt, Pidgindeutsch 128 Die Verschiedenheit der Pidginsprachen ergibt sich aus den verschiedenen beteiligten Sprachen, den verschiedenen Gebrauchskontexten und der unterschiedlichen Zusammensetzung der Sprechergruppen (gleiche oder verschiedene soziale Schicht). Daraus resultieren wiederum verschiedene Stadien des Entwicklungsprozesses. Als ein wichtiges Kriterium darf dabei nicht aus dem Auge verloren werden, dass Pidgins immer eine Kombination von Elementen verschiedener Sprachen sind und von Sprechern verschiedener Muttersprachen verwendet werden (ebd.: 240). 7.2 Ausländerregister (Xenolekt) Im Zusammenhang mit der Entstehung von Pidginsprachen wird immer wieder diskutiert, inwiefern das sog. Ausländerregister (Xenolekt) eine Auswirkung auf die Entstehung von Pidgins habe. Bei diesem Register handelt es sich um eine "spontane oder gewohnheitsmäßige 'Vereinfachung' der eigenen Sprache in Anpassung an die (vermeintlichen) Erfordernisse der Kontaktsituation mit Anderssprachigen" (Bechert/ Wildgen 1991: 58). So kann etwa ein Deutscher zu einem Ausländer sagen: 75. Du gehen Bürgermeister, Büro, Polizei, verstehen? statt: Sie müssen aufs Einwohnermeldeamt. (Bsp. aus Bechert/ Wildgen 1991: 58) 50 Die Vereinfachungen betreffen alle Ebenen der Sprache. So findet man auf dem Gebiet der Prosodie und Phonologie Erscheinungen wie langsames Sprechtempo, Pausen und überdeutliche Aussprache. Morphologie und Syntax erfahren zahlreiche Vereinfachungsprozesse: So stehen beispielsweise Verben vorwiegend im Infinitiv (gehen, verstehen). Oft fehlen die Artikel, Präpositionen und andere Funktionswörter (vgl. Bsp. 75: hier fehlen zu und dem). Auch Flexionsendungen zur Kasusmarkierung sind häufig nicht vorhanden. Ferguson (1971: 145f.) stellt sogar folgende Hypothese auf: Wenn eine Sprache ein Flexionssystem besitze, werde dies in der vereinfachten Sprache durch unflektierte Formen ersetzt. Diese "verlorenen Funktionen" der Flexionsendungen werden durch Substantive, Pronomina, Adjektive oder Verben ersetzt (vgl. Hinnenkamp 1982: 155). Außerdem wird die Wortstellung geändert und es gibt kaum Nebensätze. Und wenn Nebensätze benutzt werden, dann nicht mit der typischen Nebensatzstellung des Verbs, sondern mit Hauptsatzstellung: wenn gehen Bürgermeister, dann sagen [...]. Auch das Lexikon wird stark reduziert, im Wesentlichen auf einfache, nichtzusammengesetzte Wörter des Grundwortschatzes. Diese bekommen häufig eine weitere Bedeutung, als sie ursprünglich haben. Schwierige Begriffe werden um- 50 Allerdings kann die soziale Bewertung (Einstufung des Ausländers als sozial niedriger), die mit dem Ausländerregister verbunden ist, dazu führen, dass die Sprecher leugnen, dieses Register zu benutzen (vgl. Meisel 1975: 32). Pidgindeutsch 129 schrieben wie im obigen Beispiel das Wort Einwohnermeldeamt mit 'Bürgermeister, Polizei'. Ein Aspekt, der allerdings nicht den Wegfall eines Elements, sondern eine Erweiterung bedeutet, ist der Gebrauch des Subjektpronomens beim Imperativ: Du Lehrling sagen: Bier holen (Meisel 1975: 41). Dies dürfte allerdings pragmatische Gründe haben. Ohne das Pronomen ist nicht klar, wer Subjekt ist. Auch ein weiterer pragmatischer Aspekt kommt beim Ausländerregister mit ins Spiel: Man versichert sich sehr häufig, ob der Gesprächspartner die Äußerung auch verstanden hat, z.B. mit der Floskel Du verstehen? Weitere Besonderheiten des Ausländerregisters finden sich auf der paraverbalen (mimisch-gestischen) und nonverbalen Ebene. Hier treten sog. 'klarifizierende Merkmale' in Erscheinung. Das sind etwa eine überlaute und abgehackte Sprechweise und eine aktivere Gestik und Mimik. Oft gibt es "textbegleitende Vorführungen", z.B. statt dem Verb boxen wird eine Boxbewegung ausgeführt. Fragemarkierung wird nur durch die Intonation geleistet (vgl. Hinnenkamp 1982: 157). Eine Überblicksliste über alle Phänomene des Ausländerregisters findet sich bei Roche (2013: 98f.). Allerdings lässt sich der Xenolekt nicht als einheitliches System beschreiben. Roche (1989) nimmt hier vier Stufen an: Auf einer ersten Stufe finden keine Veränderungen statt, auf der zweiten lediglich eine überdeutliche Aussprache mit deutlichen Trennungsmarkierungen durch Pausen. Erst auf der dritten Stufe kommen nun vereinzelte grammatische Vereinfachungen vor und auf der vierten fallen Flexion und die meisten Funktionswörter aus. Roche kann zeigen, dass je nach Kommunikationskontext unterschiedliche Stufen angewandt werden: Je höher die kommunikative Relevanz der Aussage eingeschätzt wird (z.B. bei Erklärungen), desto stärker sind die strukturellen Veränderungen (vgl. auch Roche 2013: 98ff.). Ferguson (1971) geht davon aus, dass alle Sprachen solche besonderen Register ausbilden. Diese dienen der Kommunikation mit Personen, von denen man annimmt, dass sie nicht in der Lage sind, die gewöhnliche Sprechweise zu verstehen. Neben Ausländern sind dies vor allem Kleinkinder, Hörbehinderte, geistig Behinderte oder auch alte Leute. In vielen Sprachen gibt es ähnliche Tendenzen. Z.B. wird die Negation im englischen, französischen und deutschen Ausländerregister in gleicher Weise vor das negierte Element gestellt: engl. no go ('don't go'), frz. A. et B. pas aller ('A. et B. n'iront pas'), dt. zwei Monat nix arbeiten (vgl. Meisel 1975: 38). 7.3 Pidgindeutsch 7.3.1 'Gastarbeiterdeutsch' als Pidgin? Analysen zu dem in Deutschland von Gastarbeitern gesprochenen Deutsch, dem sog. 'Gastarbeiterdeutsch', haben die Frage aufgeworfen, ob es sich dabei nicht Vereinfachte Sprachen: Pidgin, Xenolekt, Pidgindeutsch 130 um eine Form von Pidgin handle, zumal diese Varietät auch dem Ausländerregister sehr ähnlich sei. Man könne dessen Entstehung dann damit erklären, dass Deutsche mit den Gastarbeitern überwiegend im Xenolekt sprechen. Tatsächlich weist das Deutsch der Gastarbeiter (der 60er und 70er Jahre) Züge eines Pidgins auf. Das gilt vor allem für das Prinzip der Simplifizierung, das ein Grundmerkmal von Pidginsprachen ist (s.o.). So fallen etwa im Gastarbeiterdeutsch verschiedene syntaktische Kategorien (Artikel, Personalpronomina, Präpositionen, Kopula) weg, Verbformen stehen im Infinitiv, Flexionsendungen fehlen und es besteht eine Tendenz zur Generalisierung des femininen Genus (vgl. Meisel 1975: 21). Das Gastarbeiterdeutsch hat zudem mit Pidgins gemeinsam, dass es nur eingeschränkt gebraucht wird (nämlich überwiegend am Arbeitsplatz) und auch als Verständigungssprache von Sprechern verschiedener nicht-deutscher Herkunftssprachen untereinander verwendet wird, z.B. von Gastarbeitern aus Italien, Griechenland und der Türkei. 7.3.1.1 Studien zum Gastarbeiterdeutsch Mit der Problematik des Gastarbeiterdeutsch hat sich als Erster Clyne (1968) auseinandergesetzt: Er hat Interviews mit insgesamt 15 Ausländern und Ausländerinnen mit spanischer, griechischer, türkischer und slowenischer Muttersprache analysiert und in diesen Äußerungen eine ziemlich einheitliche Tendenz herausgefunden, die Züge von Pidginvarietäten aufweist: Einwortsätze (Blume statt Das ist eine Blume) Ausfall von Verben (jetzt Pause) Fehlen des bestimmten und unbestimmten Artikels (mit Zug) Ausfall von Flexionsformen (vielleicht morgen niks arbeit) Verwendung des Infinitivs (Hier alles saubermachen) Generalisierung des femininen Artikels die (mit die Kind kommen) Verwendung von viel als Gradpartikel (viel kalt) niks als Wort- und Satznegation (niks Arbeit; niks mehr zurück) Außerdem konnte Clyne besondere Wortstellungsmuster nachweisen, die eine Tendenz zur Verbendstellung zeigen. Clyne erklärt diese besondere Form des Gastarbeiterdeutsch damit, dass die Deutschen den Gastarbeitern gegenüber das Ausländerregister verwenden, so dass diese nur einen beschränkten Input zur Verfügung hätten, der damit zum Pidgin führe. 51 Clynes Pilotstudie wurde ab Mitte der 70er Jahre in einem großangelegten Projekt der Universität Heidelberg vertieft, bei dem ebenfalls die Frage der Pidginisierung und die Stufen der Entwicklung eines möglichen 'Pidgindeutsch' diskutiert wurden (vgl. Heidelberger Forschungsprojekt 'Pidgindeutsch' 1975). Das Projekt basiert auf Sprachmaterial, das sich aus zweibis vierstündigen Inter- 51 Keim (1984: 20) kritisiert an dieser Studie, dass dabei nur die sprachliche Seite berücksichtigt wird und nicht die politischen und sozialen Bedingungen, unter denen normalerweise Pidgins entstehen. Pidgindeutsch 131 views mit insgesamt 48 Probanden zusammensetzt. In dem Projekt wurde diskutiert, dass es sich im Falle von Gastarbeiterdeutsch um ein "Pidgin im weiteren Sinne" handle, da die Bedingungen denen klassischer Pidginsituationen ähnlich seien: Kooperationszwang am Arbeitsplatz und Notwendigkeiten des Alltags (Einkaufen etc.) in sozial und sprachlich eng begrenztem Kontakt. Außerdem ist die Lernmotivation in der Regel aufgrund von Rückkehrplänen gering. Das Pidgin weise auch eine gewisse Stabilität auf und die Sprecher gehörten zu einer bestimmten sozialen Schicht, nämlich dem Subproletariat. Aufgrund des Kooperationszwangs näherten sich Deutsche und Ausländer in ihrem Sprachverhalten aneinander an. 7.3.1.2 Das Heidelberger Projekt 'Pidgindeutsch' Die These, dass es sich bei dem Gastarbeiterdeutsch um 'Pidgindeutsch' handle, wurde in dem erwähnten Heidelberger Projekt allerdings insofern relativiert, als in diesem Zusammenhang vier syntaktische Stufen herausgearbeitet werden konnten (vgl. Klein/ Dittmar 1979). Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt: 52 52 Die folgenden Beispiele (1-4) sind aus Klein/ Dittmar (1979: 138ff.) übernommen. Allerdings sind sie dort in phonetischer Umschrift abgedruckt. Hier wurde dagegen versucht, die Transkription in eine literarische Umschrift umzuwandeln, um Leserinnen und Lesern, die mit phonetischen Schriften nicht vertraut sind, das Lesen der Beispiele zu vereinfachen. Dabei wurden auch weitere Vereinfachungen (z.B. im Anlaut) zur besseren Lesbarkeit vorgenommen. Stufe 1: Der erste Sprecher, Battista I. (= B), stammt aus der Gegend von Neapel, kommt mit 15 Jahren nach Heidelberg und ist zum Zeitpunkt der Aufnahme 18 Monate dort. Er arbeitet bei einer holzverarbeitenden Firma (I = Interviewer): 76. I: Nicht eine Minute Pause (dürfen Sie bei der Arbeit machen)? 1 B: Wanne wann isch drink, drei Uhr, drei Uhr, ein Mann, eine mal deutsch, 2 ein Gaste Bier alles, eh? + Wann isch drink, Chef gomm, sage, hö! Was 3 mag du, eh? Warum isch nix, warum warum Alfred gomme Bier, isch 4 bezahl, warum isch nix drink? 5 I: Ach so, die Deutschen dürfen trinken und die Italiener dürfen nicht? 6 B: Ja, wann isch in Toilett, he, eine mal ein Dag isch in Toilett, Chef gomm, 7 so v'stesch, dududu, he, was mage des, he? Nix rauge, ja, isch, isch rau- 8 ge, ja, isch eine ein Paket Zigarett ein Tag, he? Ja, warum nix rauge, he? 9 (nach: Klein/ Dittmar 1979: 138) 10 Die Äußerungen von Battista I. bestehen lediglich aus sehr kurzen Sätzen; er verwendet nur wenige Verben: trinken, kommen, machen, sagen, bezahlen, verstehen, rauchen. Die Kopula sein fehlt. An Personalpronomina werden nur ich und du verwendet; Formeln der höflichen Anrede fehlen ebenfalls. Die Nominalgruppe besteht nur aus einem Nomen, manchmal mit indefinitem Artikel (ein Gaste Z. 3, ein Paket Z. 9). Auffällig ist der typische Gebrauch von nix als partielle Negation Vereinfachte Sprachen: Pidgin, Xenolekt, Pidgindeutsch 132 und als Satznegation. Dies ist eine typische soziale Markierung von deutschen Gastarbeitern und wird auch von Deutschen benutzt, wenn sie deren Sprechweise nachahmen. Stufe 2: Isabel M. (= Is) stammt aus einem Dorf in der Provinz Andalusien. Sie kommt mit 23 Jahren nach Heidelberg, zur Zeit des Interviews ist sie bereits zehn Jahre dort. Sie hat in Spanien keine Schule besucht und hat kaum Kontakt zu Deutschsprachigen. Im Interview spricht Isabel M. von Problemen ihres ältesten Sohns in der deutschen Schule: 77. Is: Meine Kinde viel tschimfe su mir, viel tschimfe + sagen zag isch ni ++ 1 komme Sohn fümfa Jahre komm in die Schule + un dann bissele äh lese 2 Spani und andre, und dann komme hier. Maestra vo die Schule imme 3 tschimfe "ho, deiner Soh viel dumm, deiner Soh(n) viel dung" und da i 4 schimpfe, zage "meiner Soh ni dumm! Warum du ni spreche Spanik? 5 Schwer su dir, a fo main Soh au schwer! Langsa, un da mein Sohn lenek." 6 (nach: Klein/ Dittmar 1979: 140) 7 Im Vergleich zu Text 1 gebraucht die Sprecherin mehr Präpositionen (zu, in, von) und benutzt als Determinantien auch den bestimmten Artikel und die Possessivpronomina mein und dein. Die sozial stigmatisierte Form dieser Varietät ist der Gebrauch des Quantifizierers viel statt sehr vor einem Adjektiv (viel dumm Z. 4, statt sehr dumm). Stufe 3: Tomás A. (= T) kommt aus einem Dorf in Galizien, in der Nähe der portugiesischen Grenze, und besuchte dort sieben Jahre die Schule. Er kommt mit 19 Jahren nach Deutschland und ist zur Zeit des Interviews über vier Jahre in Heidelberg. Tomás arbeitet als Bauarbeiter, ist angeblich häufig in Kontakt mit Deutschsprachigen während der Arbeit, aber kaum in seiner Freizeit. Im Interview erklärt er, warum er die Arbeit als Schweißer aufgegeben hat und jetzt auf dem Bau arbeitet: 78. T: Wann viel nix igal eine Stunde sweiße mache oder swei Stund oder Tage 1 oder eine Monat, mach nix, aber wann jente Tage jente, des immer son le- 2 esecht machen: das son slegt. Der Maske machen nix, wann jente Tage, 3 der der Maske machen nix, ja? Vielleicht sie jet kommen bein Wohnet- 4 simmer, ne? Immer kanze F -ganze Fabrik immer laufen, vleis eine Freu 5 do sweiße mache und andre so. Ni lins und res, un der andre Gas immer 6 au selber machen, wann sie fort machen wie wie seine Plass arbeite und 7 der Maske muss raus machen der Maske, ne? Ich muss kommen, bei mir 8 Dolmetscher bein Doktor, muss i fragen alles fir Maske Arbeit oder so. 9 Und der Doktor mir sagen, egal, wann du vielleicht kommen bein Toilet- 10 ten oder Zimmer Wohnezimmer, ne? Du Maske raus machen, in der 11 ganze Halle imme viel Rauch fir Eise, gel das? Und dau alles egal. Un ich 12 muss fragen bein der Meister, ne? Und da geben eine eine Brief von der 13 Pidgindeutsch 133 Doktor, muss bring von Meister, Meister muss lesen, sagen, gi mir Pa- 14 pier, der Meister muss eine Papier. Ich beim Bau kommen, Bau besser. 15 (nach: Klein/ Dittmar 1979: 141) 16 Es fällt auf, dass die Sätze mehr Satzkonstituenten umfassen als die Sätze in Bsp. (76) und (77). Der definite und indefinite Artikel sind korrekt verwendet, das Verb ist oft mit einem Modalverb verknüpft. Typisch für diese Stufe ist die vage Verwendung von verschiedenen lexiko-semantischen Elementen (z.B. Wohnzimmer für 'Aufenthaltsraum', Z. 4f.). Die Präposition bei übernimmt auch die Funktion von in, auf und zu (bein Toiletten Z. 10f., beim Bau Z. 15). Das Modalverb müssen in Kombination mit dem Verb zeigt sowohl Präsens als auch Perfekt an (muss raus machen Z. 8., muss bring von Meister Z. 14). Die unterordnende Konjunktion wann leitet Temporalsätze und Konditionalsätze ein. Stufe 4: Manuel E. (= M) aus Andalusien hat dort zehn Jahre die Schule besucht und eine Lehre als Mechaniker absolviert. Er kommt mit 19 nach Deutschland und ist zur Zeit des Interviews 3 1/ 2 Jahre dort. Er arbeitete zuerst als Chauffeur, dann als Küchenhilfe, schließlich als Schweißer. Manuel hat gute Kontakte zu Deutschsprachigen bei der Arbeit, aber nur sporadisch in der Freizeit. Im Interview erzählt er, wie er gefeuert wurde, weil er zum Zahnarzt ging: 79. M: Ich war an Dowar ein Donnersta und hab ich am acht Uhr (...) und 1 dann hab ich zu ihre Sohn gesach "Ich möchte heute mittach em drei 2 Uhr zu Mauer [= Dorfname] zum Zahaetz geh. Isch (h)abe große 3 Schmerzen" und de sach "gut". So, am sieben Uhr bis acht Uhr morgens 4 (h)ab ich das gesach, ne? Gut, also ich am (h)alber drei Feieraben 5 machen, ne, so normal, ne? Aha, bei dem imme länger bleiben un nich 6 bezahle Iberstunde, gar nix. Drei Uhr sach: "Ja, ich geh for un weg. Ja, 7 ech geh zum Zahnaetz". Ja, mirs gesach: "Du gescht net weg. Du 8 muscht arbeite fertisch mache". Ich sach: "(H)eute morge hab ich zu 9 dir gesach " ich mechten zum Zahnaetz gehn". "Du hast mir gar nix ge 10 sach, nur jetz". "Ne, das stimm net; ich (h)aba so groß Schmerze, ne, is 11 geh s weg." "Gut, wann du gehs, komm nie mehr." So einfach gut, hab 12 ich rausgegang, aber vorher (h)ab ich gesach: "Barum de? " "Nis, (h)au 13 ab! Weg! Du Simpl, du Hund! " Do (h)ab ich s veschtande, ne? (nach 14 Klein/ Dittmar 1979: 142) 15 Im Vergleich zu den drei vorhergehenden Texten ist dieser Text leicht verstehbar und zeigt auch deutlich Spuren des Pfälzer Dialekts (halber drei Z. 5, net Z. 8, gescht Z. 8, muscht Z. 9). Modus und Tempus des Verbs sind korrekt verwendet (hab ich gesach Z. 5, ich möchte [...] geh Z. 2f.). Der Sprecher zeigt eine relativ gut entwickelte Morphologie, sowohl bei den Verben (hast, gesach, rausgegang) als auch bei den Nomina (große Schmerzen Z. 3f.). Die Wortstellung ist an vielen Stellen korrekt, es werden Präsens- und Präteritumsformen der Kopula verwendet (war Z. 1). Das Pronominalsystem wird ökonomisch genutzt. Vereinfachte Sprachen: Pidgin, Xenolekt, Pidgindeutsch 134 Zusammenfassend stellen Klein/ Dittmar (1979: 143ff.) folgende Stadien fest: 1. Im Anfangsstadium findet man Äußerungen ohne finites Element und ohne Subjekt: Kinder drei ('ich habe drei Kinder'), ein Tag eine Mark fufzig ('ich bekomme an einem Tag eine Mark fünfzig'). Fortgeschrittene Lerner haben dagegen immer ein Subjekt und finites Element. Für den Verbkomplex gilt die Lernreihenfolge: einfaches Verb, Kopula, Modalverb, Hilfsverben. Die Kombination Modalverb + Verb wird relativ spät erworben. 2. Im nominalen Komplex überwiegen im Anfangsstadium einfache Nomina ohne Artikel, am Anfang haben Nominalphrasen keine Modifizierer oder Determinantien. Innerhalb der Determinantien geht der Erwerb von einfachen Zahlen (swei mark) und Quantifizierern (viel arbei) zu Artikeln. Die ersten Attribute sind Adjektive; Präpositionalphrasen und Relativsätze treten sehr spät auf, Nominalsätze (dass-Sätze) erst im mittleren Stadium. 3. Im Bereich des Adverbialkomplexes finden sich erst Adverbiale und einfache Nominalphrasen ohne Präposition: Deutschla (= 'in, nach, für Deutschland'), danach einfache Adverbien, Präpositionalphrasen, schließlich Adverbialphrasen. Präpositionalphrasen mit Nomina werden vor Präpositionalphrasen mit Pronomina gelernt: bei mein Kollega vor bei ihm. 4. Auch bei untergeordneten Sätzen gibt es eine klare Erwerbsreihenfolge: Adverbialsätze werden vor Nominalsätzen gelernt, diese vor Relativsätzen. Insgesamt fällt eine starke Abweichung zwischen den verschiedenen Stufen auf, so dass sich die Annahme erhärtet, dass es sich dabei um Lernervarietäten handelt. Dies bestätigt auch die Annahme von Meisel (1975), der den Begriff 'pidginisierte Lernervarietäten' vorschlug. Meisel weist (ebd.: 22) darauf hin, dass es sich im Falle des Gastarbeiterdeutsch nicht um eine "Mischung von fremdem mit deutschem Vokabular" handle, wie das etwa bei Handelspidgins der Fall sei. Im Bereich der Syntax lasse sich ebenfalls keine Mischung nachweisen, vielmehr findet man hier Simplifizierungen und Abweichungen, die auf die Besonderheiten des Deutschen zurückgehen (z.B. die besondere Verbstellung, s.o. Kap. 6.2.3). Ein weiteres Kriterium von Pidgins, nämlich dass sie für Sprecher der Ausgangssprache unverständlich sind, trifft ebenfalls nicht zu. Auch das Merkmal der Stabilität ist schwierig darzustellen, da es ständig die Möglichkeit gibt, der Zielsprache näher zu kommen. Deshalb ist die Variation relativ hoch und es gibt verschiedene Stadien. Eine weitere Annahme, nämlich dass das Gastarbeiterdeutsch auf das Ausländerregister zurückgehe, ist ebenfalls nicht haltbar. Die im Gastarbeiterdeutsch auftretenden Simplifizierungen können nicht vollständig aus Übernahmen aus dem Ausländerregister erklärt werden. Zwar könnte unter besonderen Bedingungen des Kommunikationskontextes das Ausländerregister zum Anfangsstadium eines Pidgin werden. Wie wir aber oben gesehen haben, handelt es sich bei Pidgindeutsch 135 Pidginsprachen in der Regel um eine wechselseitige Anpassung. Das würde in diesem Falle heißen, der Sprecher des Ausländerregisters würde auch Elemente aus der Sprache der Nichtmuttersprachler annehmen. Das ist aber nicht der Fall. Ein Unterschied besteht auch darin, dass Muttersprachler bei ihrer Verwendung des Ausländerregisters keine wirklich inexistenten Formen verwenden wie die Gastarbeiter: dann is meine Frau eine ma verschwinde (statt: 'verschwunden', Bsp. aus Clahsen/ Meisel/ Pienemann 1983: 342). 53 Man kann davon ausgehen, dass das Gastarbeiterdeutsch mit dem Ausländerregister und dem Pidgin deshalb so viele Gemeinsamkeiten hat, weil die Simplifizierungsmerkmale universal sind. Das Vorhandensein vereinfachter Strukturen ist zwar ein notwendiges, aber kein ausreichendes Kriterium, um diese Varietät mit einer Pidginsprache gleichzusetzen. Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass um zu einer Stabilisierung zu gelangen, der Kontakt zur Standardsprache abgebrochen werden müsste. Denn so steht die Normsprache als Modell zur Verfügung, sei es als Schulsprache für die Kinder oder durch die Medien. Keim (1984: 35) kommt daher zu dem Schluss: Das GAD [= Gastarbeiterdeutsch] ist kein Pidgin-Deutsch, sondern es konstituiert sich aus einer Menge von Lernersprachen [...]. Diese Lernersprachen unterscheiden sich voneinander durch Auftreten und Häufigkeit des Auftretens bestimmter Strukturen und spezifischer Merkmale. Das GAD ist damit keine stabile Sprache, sondern durch hohe Variabilität ausgezeichnet. Je nach Grad der Durchbrechung von sozialer Distanz und von emotionalen Barrieren ist mit größerem Erfolg beim Zweitsprachenerwerb, d.h. Annäherung an die Zielsprache, oder mit geringerem Erfolg zu rechnen, d.h. in höherem Maße Auftreten von Pidginmerkmalen (ebd.: 73). Diese Annahmen, die in den 70er und 80er Jahren aufgestellt wurden, haben sich inzwischen bestätigt. Man kann aber auch feststellen, dass Gastarbeiter, die schon sehr lange in Deutschland leben und deren Kinder bilingual aufgewachsen sind und Deutsch als zweite L1 erworben haben, auf einem unterschiedlichen Niveau fossilisieren (s.o. Kap. 5.2.5). 7.3.2 Ethnolekt Die Studien zum Gastarbeiterdeutsch stammen, wie gezeigt, aus den 70er und 80er Jahren. Inzwischen lebt bereits die zweite und dritte Generation dieser Gastarbeiter in Deutschland, und hier hat sich eine neue Varietät herausgebildet, die 53 Allerdings findet sich bei Clyne (1968: 137) ein Beispiel, wo der deutsche Sprecher im Ausländerregister den Artikel im falschen Genus und eine falsche Präposition verwendet: Kommt ein Mann und nimmt eine Ding auf im Tonband. Vereinfachte Sprachen: Pidgin, Xenolekt, Pidgindeutsch 136 mit dem Begriff 'Türkendeutsch' oder 'Kanaksprak' bezeichnet wird. 54 Im Gegensatz zum oben beschriebenen Gastarbeiterdeutsch zeichnet sich diese Varietät durch eine flüssige Sprechweise aus und stellt einen sog. 'Ethnolekt' des Deutschen dar. Der Ethnolekt ist im Gegensatz zum Gastarbeiterdeutsch nicht die einzige Sprechweise der Sprecher, sondern Teil eines sprachlichen Repertoires, das auch andere Varietäten und Sprechstile umfasst. Der Ethnolekt unterscheidet sich von der gesprochenen Umgangssprache der Muttersprachler durch einige typische Merkmale auf verschiedenen Ebenen der Sprache, u.a. (Beispiele aus Dirim/ Auer 2004: 207ff. und Androutsopoulos 2002): Phonetische Merkmale: Koronalisierung des stimmlosen, palatalen Frikativs / ç/ (isch statt ich) Nicht-Vokalisierung von auslautendem / r/ (mach weiter) apikale Aussprache von / r/ im Anlaut (Training) Reduktion der Affrikate / ts/ in Anlautclustern zum Frikativ / s/ (swei) Vokalepenthese in komplexen Konsonantengruppen (schätrasse, schätudio, kalein) Morphologische und syntaktische Merkmale: Fehlen von Präpositionen, Artikel, Pronomen (da wird Messer gezogen, ich gehe Hauptbahnhof) Fehlen der Inversion (jetzt ich bin 18) Abweichungen in Genus und Kongruenz (ein Ohrfeige geben) Lexikalische und phraseologische Merkmale: Wortschatz aus dem Türkischen: lan ('Mann'), siktir ('fuck you') Floskeln: weißt du, ich schwör, (h)ey Alter Türkendeutsch wird von türkischen Jugendlichen entweder in Konfliktsituationen mit Deutschen verwendet, um eine fremde und bedrohliche Identität zu projezieren oder in der In-group in spielerischen Konflikten und als Karikatur der Inkompetenz Dritter. Insgesamt dient diese Varietät als Kennzeichnung der spezifischen Identität als "Türkendeutsche" (s.u. Kap. 10). Der Ethnolekt erfuhr nun durch Comedy-Sendungen eine mediale Stilisierung, in die auch reine Comedy-Erfindungen wie der Universalartikel dem (dem is korrekt) und neue Wortbildungen (brontal aus brutal und frontal) einflossen. Diese stilisierte Form wird als 'sekundärer Ethnolekt' bezeichnet. Der sekundäre Ethnolekt wird nun wiederum von jugendlichen Sprechern nicht-türkischer Herkunft imitiert und verwendet, um dem Gespräch eine spielerische Wendung zu geben oder um Dinge auszusprechen, die in der eigenen Sprache Gesichtsverletzung oder Tabubruch zum Ausdruck brächten (double voicing, s. Rampton 1995). Diese Variante bezeichnet man als 'tertiären Ethnolekt' (vgl. Androutsopoulos 2002). Allerdings wird auch der primäre Ethnolekt von Jugendlichen anderer ethnischer Herkunft und von jungen Leuten mit deutschem Familienhintergrund ver- 54 Der Begriff 'Kanaksprak' ist übernommen von dem gleichnamigen Buch von Feridun Zaimo lu. Das Phänomen des Ethnolekts ist in vielen europäischen Ländern vor allem unter Jugendlichen sehr verbreitet. Pidgindeutsch 137 wendet, die enge Netzwerkbeziehungen zu Sprechern des Ethnolekts haben. Man spricht dann in diesem Zusammenhang von einem sog. 'Multiethnolekt', da Sprecher verschiedenster Ethnien sich dieser Ausdrucksform bedienen (dazu Clyne 2000 und Freywald et al. 2011). Eine interessante Beobachtung in diesem Zusammenhang sind bestimmte Besonderheiten in der Sprache deutscher Jugendlicher, die aus dem primären Ethnolekt übernommen sein könnten, wie die Auslassung von Artikeln und Präpositionen (Bsp. aus Dirim/ Auer 2004: 209f.): 80. a) Hast du denn Wörterbuch mit? (Michael, dt.) b) Ich hab Fotoapparat. (Nadine, dt.) c) Die geht so Laden rein. (Maike, dt.) d) Dann bin ich Gymnasium zwei Jahre gegangen. (Annette, dt.) e) Das war da, wo meine Mutter Wiener Platz kam. (eigener Hörbeleg) Diese Beispiele zeigen, dass hier möglicherweise eine Form von Sprachkontakt vorliegt, der Auswirkungen auf die Entwicklung der deutschen Sprache haben könnte. Es deutet sich dabei ein Prozess an, der sich immer wieder in Sprachkontaktsituationen im Laufe der Geschichte findet, nämlich dass eine Substratsprache die Entwicklung der Mehrheitssprache beeinflusst (s. dazu besonders u. Kap. 12). Wiese hat in neueren Untersuchungen (2009, 2012 u.a.) gezeigt, dass sich besonders in multiethnischen Stadtvierteln von Berlin eine eigene Sprechweise unter Jugendlichen herausbildet, die sie mit dem Begriff 'Kiezdeutsch' bezeichnet. Sie findet darin typische Phänomene, wie sie für Multiethnolekte beschrieben werden, nämlich Transfer aus Migrantensprachen auf der phonetischen und lexikalischen Ebene und grammatische Vereinfachungen auf der morphologischen und syntaktischen Ebene (wie das Weglassen von Präpositionen und Artikeln, s. Bsp. 80). Allerdings zeigt Wiese (2009) auch, dass neue produktive Muster entstehen, wie Funktionsverbgefüge vom Typ "Ampel machen" und Grammatikalisierung von Direktiven wie musstu ('musst du') und lassma ('lass mal') zu Modalpartikeln: So wird etwa musstu auch verwendet, wenn eine Gruppe angesprochen wird (musstu hinten aussteigen, ebd.: 801). Wie in 6.2.3 gezeigt wurde, ist diese Entwicklung typisch für Kontaktvarietäten. 7.3.3 Pidgindeutsch in Namibia Außer dem von Migranten gesprochenen Deutsch, das innerhalb Deutschlands gesprochen wird, gibt es historisch gesehen noch weitere Varianten, die im Kontakt mit dem Deutschen außerhalb Deutschlands entstanden sind. Als solche deutsch-orientierten Kontaktsprachen listet Smith (1995) auf: Bosnisches Pidgindeutsch (das 1878-1918 von österreichisch-ungarischen Siedlern mit der multilingualen einheimischen Bevölkerung benutzt wurde) Halbdeutsch in Estland und Lettland Wolgadeutsch-Pidgin in Orenburg (Ural) Vereinfachte Sprachen: Pidgin, Xenolekt, Pidgindeutsch 138 Pidgindeutsch in Kiautschou und Papua-Neuguinea Unserdeutsch (Rabaul Creole) Allerdings ist unklar, ob es sich hier wirklich um Pidginsprachen handelt. Das von Lehiste (1965) untersuchte Gedicht im sog. 'Halbdeutsch' von Estland weist zumindest morphologisch markierte Verbformen und auch Pluralbildung auf. Mühlhäusler (1993) schlägt deshalb für diese Varietäten den Begriff 'Koiné' vor (s. Kap. 8.2.3). Da, wie wir gesehen haben, Pidginsprachen vor allem im Zusammenhang mit Kolonialisierungsprozessen entstehen, stellt sich die Frage, ob nicht in ehemals deutschen Kolonien ein Pidgindeutsch entstanden ist. So verweist etwa Mühlhäusler (1980) auf eine Reihe von kleineren Gebieten im Pazifik (z.B. die Marshall Islands, Nord-Ost Neuguinea, Kiautschou), in denen ab den 1870er Jahren deutscher Einfluss bestand. Allerdings zogen diese Gebiete nur eine ganz kleine Zahl von deutschen Siedlern an, so dass sich der Spracheinfluss im Wesentlichen auf den Wortschatz beschränkt (vgl. Engelberg 2012). Es gibt darüber hinaus einige Hinweise (Berichte von Reisenden oder Briefe) darauf, dass auch eine pidginisierte Varietät des Deutschen gesprochen wurde. Mühlhäusler (1980, 1983) listet dazu einige Beispiele auf, u.a. folgende Bemerkung aus dem Reisebericht von Hesse- Wartegg 1898, der über den Besitzer des Hotels 'Kaiser' in Kiautschou schreibt, dass dieser schon Deutsch gelernt und ihn mit folgenden Worten begrüßt habe: 81. Ik sabe Deutsch [...] Gobenol at gebene pamischu open Otel, kommen Sie, luksi, no hebe pisiman, no habe dima, bei an bei. [Ich kann Deutsch, der Gouverneur hat mir Erlaubnis gegeben, ein Hotel zu eroeffnen, kommen Sie, besehen Sie es; Ich habe noch keinen Gast, weil ich keine Zimmer habe, aber nach und nach.] (zit. nach Mühlhäusler 1983: 141, Übersetzung aus dem Original) Die Wörter pamischu ('permission'), luksi ('look see'), pisi ('piece') sind dabei aus dem in dieser Gegend bereits existierenden Pidgin-Englisch übernommen, ebenso die Phrase bei an bei ('by and by'). Hier zeigt sich also ein Prozess der Relexifizierung eines bereits vorhandenen Pidgins, das allerdings sehr kurzlebig war (s. Mühlhäusler 1983: 142). Besser dokumentiert ist die Situation in der ehemals deutschen Kolonie Deutsch-Südwest, heute Namibia. Namibia war von 1884-1914 deutsche Kolonie, danach unter südafrikanischem Protektorat. Es ist seit 1990 selbstständig. Heute leben noch etwa 20.000 Deutschsprachige dort (s.o. Kap. 4.2.2). Diese Sprecher sprechen eine Variante des Deutschen, die als 'Südwesterdeutsch' bezeichnet wird, und eine völlig ausgebaute Varietät des Deutschen darstellt, die lediglich einige Einflüsse des Englischen und Afrikaansen zeigt (Beispiele dazu haben wir in Kap. 6 besprochen, vgl. etwa Bsp. 44). Deumert (2003) stellt allerdings fest, dass es auch noch Sprecher der autochthonen Bevölkerung gibt, die Deutsch sprechen. Das sind vor allem Frauen, die einmal bei Deutschsprachigen in Dienst waren. Deumert bezeichnet diese Varie- Pidgindeutsch 139 tät als Namibia Black German und diskutiert, ob man in diesem Zusammenhang von Pidgindeutsch sprechen könnte. Als Kontaktsprachen kommen einheimische Sprachen in Frage (Wambo, Herero und Khoekhoegowab) bzw. Afrikaans, die Sprache, die bis 1990 die gängigste Verkehrssprache in Namibia war und auch heute noch ist. Deumert (2000) führt zwei Typen von pidginisierten Varietäten in Namibia auf: das sog. 'Pidgin'-German I, eine Mischvarietät zwischen Afrikaans und Deutsch (vgl. Bsp. 82), und ein 'Pidgin'-German II (vgl. Bsp. 83): 82. Meine Kinders is in die Schule, und da moet ich struggle, helfen, helfen kry, die Schule auch bezahl. Meine Kinders is noch klein, die eers is noch in Schule / sule/ [...] Ich hab bei Mevrou K., da hab ich Kinders aufgepassen, da hab ich gelern die Duits. [...] Ich hab in Omaruru geboren, daardie Zeit hab ich neun en ... een-entwintig jaar hab ich gearbeit. Ich hab Schule gegehn, aber die Schule is auch duur. Dann hab ich die Schule gelos, dann hab ich Arbeit gesuch, dann hab ich gearbeit, Arbeit bei Frau K.-hulle, da hab ich gelern Duits. Ich hab nich gelern nie, ich hab net da gehört. (Pauline, Omaruru 21/ 2/ 2000, zitiert nach Deumert 2000) Diese Varietät ist deshalb so interessant, weil hier zwei nahe verwandte Sprachen, nämlich Deutsch und Afrikaans, aufeinander treffen. Durch diese Ähnlichkeit ist es möglich, Wörter aus dem Afrikaansen in die deutsche Sprache einzufügen (moet 'muss', kry 'bekommen', Duits 'Deutsch', daardie 'diese', een-entwintig jaar 'einundzwanzig Jahre', duur 'teuer', hulle 'sie', net 'nur'). Auffallend ist auch eine grammatische Besonderheit: Die doppelte Verneinung des Afrikaansen nie ... nie (nie leer nie) wird nachgemacht, wobei aber im ersten Teil die deutsche Verneinungspartikel (nich) verwendet wird. Die Varietät zeigt zwar an einigen Stellen eindeutige Pidginzüge (fehlende Präposition: Schule gehen), aber es gibt durchaus flektierte Formen (is, hab gearbeit), der Artikel wird meist benutzt. Die Problematik, die sich hier andeutet, dürfte sein, dass das Afrikaanse und das Deutsche zu nahe verwandt sind. Das Afrikaanse bildet Vergangenheitsformen und Partizipien mit geähnlich wie das Deutsche, so dass hier eher Koineisierungsmuster, d.h. Muster einer gemeinsamen Varietät, entstehen (vgl. Kap. 8.2.3). Es handelt sich also um sog. 'Konvergenzprozesse', Prozesse, bei denen sich Sprachen aufeinander zu bewegen, wie noch in Kap. 8 gezeigt werden wird. Noch deutlicher wird dies beim nächsten Beispiel: 83. Der alte Maletzki war in die Dings gewesen, in die Krieg, in diese Hererokrieg, un dann ham die ge [unklar], un dann ham die so raufgezogen, so immer mit die Krieg hin un her, und ich weiß nich wo der, der ich weiß nich, is der geschossen? Aber ich weiß nich, anne Beine oder so, dann hat der da ins Feld geliegen. [...] Und da hat diese Schwarze, die die die Damaras, der Anna Anna, der Frau Anna Maletzki sein Vater, hat ihn da getrofft, und der hat ihn da aufgehoben und versorgt und da hat der wieder gesund geworden, da war die Anna Maletzki ein junges Mädel, und dann hat der, na ja, wie die Männer is ..., un dann hat der wieder zurückgegangen nach Deutschland Vereinfachte Sprachen: Pidgin, Xenolekt, Pidgindeutsch 140 und wieder zurückgekommen; da war die Anna schon ein großes Frau schon beinah ein Frau un dann hat der da die Anna genommen, hat viele Kinder gekrieg [...] (Gertrud, *1928, nach Deumert 2003: 597f., leicht modifiziert) Dieses Beispiel zeigt eine noch weiter entwickelte Varietät, die sogar in Ansätzen bereits Flexion der Adjektive (junges, großes, viele) und Kasusunterscheidung (der Frau Anna Maletzki sein Vater) zeigt. Weiter auffällig sind starke Verbformen (gegang, gekomm), die als markierte Einheiten ebenfalls nicht in Pidginsprachen vorkommen sollten (vgl. Ferguson 1971). Ebenso werden verschiedene Präpositionen verwendet (in, mit, nach Deutschland). Es sind hier ähnliche Tendenzen wie beim Gastarbeiterdeutsch zu vermerken, so dass von einem Lernersprachenkontinuum gesprochen werden könnte. Allerdings sind hier die soziolinguistischen Bedingungen, die auch Deumert (2000, 2003) betont, ganz andere als diejenigen, die wir bei den Gastarbeitern in Deutschland vorfinden. Das Namibia Black German ist in einem strengen Apartheidsystem entstanden, eine Akkulturation war für die Sprecher völlig ausgeschlossen. Deumert (2003: 564) bezeichnet diese Varietät deshalb als "non-canonical contact language", die sich zwischen gruppenbasierten Pidginvarietäten und individuellen Lernervarietäten befindet. Die Übergänge sind hier sicher fließend. 7.4 Zusammenfassung Ein besonderer Effekt des Sprachkontakts ist die Entstehung von Mischvarietäten und vor allem die Entstehung vereinfachter Sprachen. Prototypische Beispiele vereinfachter Sprachen sind die Pidginsprachen, die zum Zwecke der Verständigung zwischen Herren und Sklaven, im Handel und in multi-ethnischen Arbeitsgemeinschaften entstanden sind. Die Pidginsprachen zeigen viele gemeinsame Muster der Vereinfachung, so dass Thesen einer Monogenese (Entstehung aus einem Protopidgin) oder von Universalität (Bioprogramm) aufgestellt wurden. Wahrscheinlich ist jedoch eine Kombination aus bestimmten universalen Vereinfachungstendenzen, ähnlicher Entstehungsumstände und Beteiligung von verwandten Sprachen. Eine weitere vereinfachte Sprache, die ähnliche Vereinfachungsstrategien zeigt, ist das Ausländerregister, eine Form der Sprache, die Muttersprachler mit Ausländern, die die Sprache nur rudimentär verstehen, sprechen. Es gibt auch Beispiele aus dem Deutschen, die als Pidginvarietäten eingestuft werden könnten, nämlich das Gastarbeiterdeutsch und das Namibia Black German. Bei beiden stellte sich jedoch heraus, dass sie aufgrund von zu hoher Variation und der Feststellung verschiedener Stufen eher als Kontinuum von Lernervarietäten aufgefasst werden sollten. Im Gegensatz dazu präsentiert sich der Ethnolekt des sog. 'Türkendeutschen' als Varietät mit leichten Kontakteinflüssen, die teilweise stilisiert sind, aber gerade im morphosyntaktischen Bereich Sprachwandelprozesse im Deutschen auslösen könnten. 8 Sprachkontakt vs. Varietätenkontakt 8.1 Differenzen zwischen Dialekten im Kontakt Anders als unter Sprachkontakt zwischen klar unterscheidbaren Formen von Standardsprachen versteht man unter Varietätenkontakt den Sprachkontakt zwischen verschiedenen Varietäten, insbesondere Dialekten ein und derselben Sprache. Dialekt kann definiert werden als eine regional bestimmbare Varietät einer Sprache, die von einer sprachsoziologisch höherstehenden Varietät überdacht ist. Diese Varietät wird in der Regel als 'Dachsprache' bezeichnet, d.h. eine Verkehrs- oder Standardsprache, unter deren "Dach" verschiedene Nicht-Standard-Varietäten subsumiert werden können (vgl. Kloss 1977). Demnach kann also der Begriff 'Dialekt' nicht mit rein linguistischen Kriterien bestimmt werden, sondern wird weitgehend soziolinguistisch festgelegt. Dialekte befinden sich grundsätzlich im Schnittpunkt zweier Kontinua. Einmal kann man die Wechselwirkung zwischen einem bestimmten Dialekt A und seinem Nachbardialekt B betrachten, dann aber auch die Wechselwirkung zwischen einem Dialekt und der ihn überdachenden Standardsprache. Zwischen den einzelnen Dialekten einer Sprache gibt es ein geographisches Kontinuum: Die Dialekte sind innerhalb einer Sprachgruppe durch eine Kette wechselseitiger Verständlichkeit verbunden. Die jeweiligen Standardsprachen stehen diesen als autonome, überlagernde Varietäten gegenüber. Je weiter die Verbreitungsräume der Dialekte auseinanderliegen, desto verschiedener sind sie, so dass am Ende die Dialekte an den beiden Polen nur noch wenig miteinander zu tun haben. Wenn Menschen mit verschiedenen Dialekten eines Kontinuums miteinander in Kontakt kommen, werden die Varietäten sprachlich aneinander angepasst. So vermeiden die Sprecher auffällige Phänomene eines Dialekts, von denen sie annehmen, dass sie der Gesprächspartner nicht kennt. Diesen Prozess nennt man Akkommodation. Auf längere Sicht gesehen kommt es dann zur Konvergenz der Dialekte, d.h. die Dialekte bewegen sich aufeinander zu (dazu u. 8.2). Es gibt aber auch umgekehrt das Phänomen der Divergenz: D.h. die beiden Varietäten entwickeln sich auseinander. Das geschieht vor allem dann, wenn Ähnlichkeiten vermieden werden sollen. Ein Beispiel: Das Kontinuum der sog. 'kontinentalwestgermanischen Dialekte' wird von einigen Staatsgrenzen durchschnitten, die Grenzen von Standardsprachen sind, nämlich Grenzen des Deutschen, Niederländischen, Dänischen, Französischen und Italienischen. Ist die Staatssprache mit dem Dialekt genetisch verwandt, wird die Mundart als Mundart der jeweiligen Staatssprache verstanden. Das ist beim Dänischen, Niederländischen und Deutschen der Fall. So werden die Sprachkontakt vs. Varietätenkontakt 142 Dialekte zwischen Dollart und Niederrhein, einer Dialektgrenze, die wesentlich deutlich ausgeprägt ist als diejenige zwischen Mitteldeutsch und Niederdeutsch, auf der einen Seite der Grenze als deutsche Dialekte und auf der anderen Seite der Grenze als niederländische Dialekte angesehen (s. Niebaum 1990). Und tatsächlich entwickeln sie sich auch unter dem Einfluss der verschiedenen Dachsprachen auseinander (s.u. Kap. 8.3.1). Gibt es eine überdachende Standardsprache, besteht der Dialektkontakt häufig in der Konvergenz in Richtung Standard. Kontakt von Dialekten untereinander ohne Interferenzwirkung durch eine Standardvarietät gibt es nur: wo eine geringe sprachliche Differenz zwischen Dialekt und Standardvarietät besteht. Das gilt etwa für die Dialektgebiete in Südostengland (vgl. Trudgill 1986: 39ff., vgl. auch Kerswill 2003). wo aufgrund von Industrialisierungsprozessen, Siedlungsbewegungen oder Kolonisation völlig neue soziale Gemeinschaften entstehen. Das trifft z.B. für die Neugründungen von Industriestädten zu, in denen Leute aus allen Landesteilen zusammenkommen. Bei Trudgill (1986: 95ff.) findet sich ein Beispiel aus Norwegen, nämlich der Ort Høyanger. Trudgill führt vor, wie hier innerhalb dreier Generationen aufgrund des Kontakts der unterschiedlichsten Dialekte eine völlig neue Varietät entstand. Ein ähnlicher Fall ist die Mundartmischung in deutschsprachigen Siedlungen in der ehemaligen Sowjetunion (Schwarzmeergebiet, Wolgagebiet, Wolhynien). Hier kamen Siedler aus allen Teilen Deutschlands zusammen, die ganz verschiedene Mundarten mitbrachten (vgl. dazu 8.2.2). wo eine Sprachgemeinschaft durch politische Entwicklungen ihre überdachende Standardvarietät verliert. Das ist z.B. im Elsass und in Lothringen der Fall. Die alemannischen und fränkischen Dialekte auf diesem Gebiet werden durch die französische Standardsprache überdacht (vgl. Bechert/ Wildgen 1991: 110). Obwohl sich, wie in diesem Kapitel gezeigt werden wird, Sprach- und Varietätenkontakt von den Wirkungen her nicht unterscheiden, sind doch unterschiedliche Ebenen der Sprache betroffen: Sehr viele Kontakt- und Ausgleichsprozesse finden bei Varietätenkontakt auf der phonologischen Ebene statt (vgl. Siebenhaar 2010). Das hängt sicher damit zusammen, dass im Falle von Dialekten ein Großteil des Lexikons identisch ist, die Wörter eben nur anders ausgesprochen werden. Auch syntaktische und morphologische Strukturen überlappen sich in der Regel stärker als bei zwei verschiedenen ausgebauten Sprachen. Die unterschiedlichen Bereiche kann man herausarbeiten, wenn man den Sprachkontakt zwischen zwei Varietäten und zwei verschiedenen Sprachen in ein und derselben Gruppe vergleicht. Dies hat etwa Westergaard (2008) für die Varietäten Sønderjysk und Standarddänisch und die Sprachen Deutsch und Dänisch sehr überzeu- Ergebnisse des Dialektkontakts 143 gend dargestellt. Alle drei Varietäten werden von der deutschen Minderheit in Nordschleswig/ Dänemark verwendet. 8.2 Ergebnisse des Dialektkontakts Treffen Sprecher verschiedener dialektaler Varietäten aufeinander, dann versuchen sie, die Verschiedenheiten in ihrer jeweiligen Sprechweise möglichst zu reduzieren und sich soweit es geht an die Sprechweise des Partners anzupassen. Wie bereits erwähnt, spricht man hier von Akkommodation (vgl. Giles 1980). Allerdings zeigen eine Reihe von Untersuchungen, dass die Anpassung nicht zwangsläufig an die tatsächliche Sprechweise des Gesprächspartners erfolgt, sondern oft von Stereotypen geleitet wird. D.h. der Sprecher stellt sich vor, dass sein Gegenüber aufgrund seiner Herkunft oder Schichtenzugehörigkeit bestimmte Sprechweisen verwendet und er gebraucht diese sogar, wenn der Gesprächspartner das gar nicht tut. Die in der jeweiligen Situation entstehenden Muster der Anpassung können sich über längere Zeit hin in einer Dialektgemeinschaft verfestigen. Dieser Prozess vollzieht sich in drei Stufen (vgl. Auer/ Hinskens 2005): Unterste Stufe: Der Sprecher verwendet eine bestimmte Struktur nur in einer individuellen Situation (sog. short-term accommodation). Mittlere Stufe: Die Struktur wird von dem Sprecher immer verwendet (sog. long-term accommodation). Oberste Stufe: Die Struktur breitet sich in der ganzen Sprachgemeinschaft aus und führt zu Sprachwandel. Obwohl man eigentlich nur im letzten Falle von Konvergenz sprechen sollte, wird der Terminus auch für die sprachliche Anpassung durch die Sprecher verwendet. Statt 'Akkommodation' gebraucht man dann den Begriff 'kurzfristige Konvergenz' (Hinskens/ Auer/ Kerswill 2005: 5). 8.2.1 Primäre und sekundäre Dialektmerkmale Ein Resultat von Dialektkontakt ist etwa die Nivellierung von besonders auffälligen sprachlichen Differenzen. Hier wird häufig auf die von Schirmunski getroffene Unterscheidung zwischen primären und sekundären Dialektmerkmalen verwiesen. Primäre Dialektmerkmale sind die besonders auffälligen Merkmale eines Dialekts und sekundäre Merkmale die weniger auffallenden. So ist etwa im Bairischen die l-Vokalisierung (Geid statt Geld) oder das alte auf den Dual zurückgehende Pronomen es bzw. enk (Akk.) für ihr bzw. euch besonders auffällig und wird in der Regel im Umgang mit Sprechern anderer Dialekte vermieden. Die besondere Färbung des / a/ dagegen oder die apiko-alveolare Sprachkontakt vs. Varietätenkontakt 144 Aussprache des / r/ [= 'Zungenspitzen-r'] dagegen bleiben erhalten. 55 Hier sind zwei verschiedene Ursachen ausschlaggebend: Im Falle der Verdumpfung von / a/ handelt es sich nur um eine phonetische Variante und nicht um den Kontrast zwischen zwei verschiedenen Phonemen. Bei der Aussprache des / r/ dagegen dürfte es sich um phonotaktische Schwierigkeiten handeln: Für die Sprecher ist es sehr schwer, die uvulare Variante des / r/ [= 'Zäpfchen-r'] auszusprechen (vgl. auch Trudgill 1986: 14ff. mit ähnlichen Beispielen aus dem Sprachkontakt britisches und amerikanisches Englisch). Aus diesem Grund ist auch nicht immer leicht erkennbar, ob der Sprecher das als Identitätsmarker einsetzt oder nicht. Nur Phänomene, die dem Sprecher bewusst sind, können auch operationalisiert werden (s.u. Kap. 10.1). 8.2.2 Dialektkontakt in den deutschen Sprachinseln Der Prozess des Dialektkontakts ist sehr deutlich nachzuvollziehen bei den deutschen Sprachinseln. Wie wir in Kap. 4.2.3.2 gesehen haben, sind gerade mit den Siedlungswellen im 18. und 19. Jh. sehr viele Siedler aus den unterschiedlichsten Teilen Deutschlands nach Osteuropa oder Übersee ausgewandert. Die Dialekte, die sie aus ihren Heimatgegenden mitbrachten, kamen dort miteinander in Kontakt. Wie Protze (1995: 58) angibt, werden auffallende (oder einen gewissen Anstoß erregende) Besonderheiten (die "primären Merkmale") [...] gegenseitig neutralisiert, selbst wenn diese durch eine Mehrheit der Sprecher vertreten werden, während sich die weniger auffallenden (die "sekundären Merkmale") im allgemeinen in die neuentstandene Mischmundart hinüberretten. Protze erklärt damit vor allem die Tatsache, dass besonders niederdeutsche Mundarten eingeebnet werden. Denn hier sei die Ablehnung auffälliger mundartlicher Primärmerkmale am größten. Diese Beobachtungen decken sich auch mit Ergebnissen über die aktuelle Situation der Russlanddeutschen im Ural. Der wolgadeutsche Dialekt, der auf einer westmitteldeutschen Basis mit vielen Elementen aus dem Hessischen und Pfälzischen beruht, ist hier sehr stark vertreten und wird auch von Sprechern beherrscht, die nicht aus dem Wolgagebiet stammen. Auf der anderen Seite wird auch hier das Niederdeutsche kaum mehr gesprochen (vgl. Berend/ Riehl 2008: 47f.). Oft werden auch Formen gewählt, die dem Standarddeutschen am nächsten stehen. Allerdings kann man Entwicklungen beobachten, wonach Merkmale, die sich besonders stark vom Standard unterscheiden, ausgewählt werden, vermut- 55 Wodurch die Auffälligkeit bedingt ist, ist allerdings umstritten. Die ursprünglichen Annahmen, dass es etwa in der Aussprache phonemische Unterschiede seien, hat sich in einer Untersuchung, die die Hörerbeurteilung berücksichtigte, nicht bestätigt (zur Diskussion, vgl. Auer/ Barden/ Großkopf 1995: 143, Siebenhaar 2010: 252). Vgl. auch Rosenberg (2005: 225) zur Problematik von Schirmunskis Unterscheidung: Die Kriterien beruhen auf Selbstevaluierung der Sprecher. Ergebnisse des Dialektkontakts 145 lich weil sie als authentischer angesehen werden. Als Beispiel gibt etwa Rosenberg (2005: 226f.) die Wahl von [y: ] statt [u: ] für den standarddeutschen Diphthong [au] in einigen Sprachinseln des Ural. Im Bereich der Morphologie wird die morphologisch einfachere Form gewählt (z.B. schreibe statt schreiben als Infinitivform, gedenkt statt gedacht), meist aber die, die näher am Standard ist, wie Auer (2005) für das Hunsrückische in Brasilien zeigt. 8.2.3 Koineisierung Der Ausgleich der primären Merkmale kann auch als Reduktion gesehen werden. So ist etwa Trudgill (1986) der Ansicht, dass langfristiger Kontakt von Dialekten zur Reduzierung der Varietätenvielfalt führt. Er spricht in diesem Zusammenhang von 'Koineisierung', d.h. der Schaffung einer gemeinsamen Varietät. Trudgill (2004) weist diese Genese anhand der Entstehung des Neuseeländischen Englisch nach: Anhand eines umfangreichen Corpus' von Aufnahmen kann er zeigen, dass in der zweiten Generation der Einwanderer auf dem Gebiet der Phonetik noch eine sehr starke Variation herrscht und zwar nicht nur zwischen den Sprechern, sondern auch bei ein und demselben Sprecher. Hier findet also kaum Akkommodation statt. Erst in der dritten Generation stabilisiert sich dann das neue System; Trudgill bezeichnet dies als 'Focusing'. Bei der Reduzierung der Varietätenvielfalt spielt auch der Druck der Standardsprache eine Rolle. Dies kann man sehr deutlich beim Französischen feststellen. Hier war der Konvergenzdruck der Standardsprache so groß, dass mittlerweile die français régionaux, d.h. die regionalen Varianten des Französischen, die alten Dialekte zum großen Teil ersetzen. Falls jüngere Sprecher noch den Dialekt beherrschen, ist es nicht mehr der Basisdialekt (patois de village), sondern ein Regionaldialekt, der aber von diesen Sprechern als der eigentliche Dialekt identifiziert wird (vgl. Wesch 1998: 121). Die Entfernung zwischen den beiden Polen von regionaler Varietät und übergeordnetem Standard wird dadurch immer geringer. Ein Beispiel dafür ist auch die Vereinheitlichung der gerade erwähnten wolgadeutschen Dialekte im Ural: In diesem Fall kann man schon von einer 'Wolgadeutschen Koiné', d.h. einer gemeinsamen Verkehrsvarietät, sprechen. Denn die verschiedenen wolgadeutschen Varietäten, die auf rheinpfälzischen, hessischen und ostmitteldeutschen Stammmundarten beruhten, haben sich im Exil einem weiteren Angleichungsprozess unterzogen. Hier haben sich entweder die westmitteldeutsche Basis oder standardnähere Varianten durchgesetzt. Die mhd. Diphthonge ou und ei werden in den meisten Fällen wie im Standarddeutschen als au bzw. ai artikuliert: laufe ('laufen'), saif ('Seife') und nicht mehr wie im rheinpfälzischen Dialekt als laafe, seef, oder wie im Hessischen als laafe, saaf. Allerdings verwenden hier auch noch einige Sprecher den hessischen Monophthong aa, aber in der Regel lexemgebunden. Das bedeutet, dieser Monophthong tritt nur bei bestimmten Wörtern auf wie haam ('heim'), waaß ('weiß'), bei anderen kommt er dagegen kaum vor, z.B. fast nie bei auch oder auf (vgl. Berend/ Riehl 2008: 38). Sprachkontakt vs. Varietätenkontakt 146 Grundsätzlich besteht die Koineisierung nach Trudgill aus zwei Prozessen: der Nivellierung von selten vertretenen oder sehr markierten Formen und der Vereinfachung, d.h. der Reduzierung von unregelmäßigen Formen. Beispiele dazu aus Høyanger (vgl. Trudgill 1986: 98ff.): Die nur in wenigen Teilen Norwegens vertretene Diphthongierung von / y: / / i: / / " / und / u/ wird abgelegt. Die unregelmäßige Pluralbildung -er (meist maskulin, aber auch für einige Feminina) und -ar (meist feminin, aber auch für einige Maskulina) wird vereinheitlicht, indem alle Maskulina auf -er und alle Feminina auf -ar enden. Die Auffälligkeit ('Salienz') von Dialektmerkmalen ist zwar eine notwendige Bedingung dafür, dass sie im Dialektkontakt abgebaut werden, dies reicht aber alleine noch nicht aus. Wie Auer/ Barden/ Großkopf (1995) festgestellt haben, muss dazu noch eine negative Bewertung des Merkmals kommen. Sind nämlich die Merkmale positiv besetzt und haben auch bei Sprechern anderer Dialekte ein bestimmtes Prestige, dann werden sie nicht abgebaut. So behielten etwa die Sprecher des Sächsischen, die nach Konstanz bzw. Saarbrücken gezogen waren, ihre monophthongische Realisierung von ei und ou bei. Sie sagten also nach wie vor weeßte ('weißt du') und ooch ('auch'), weil dies auch von ihrer neuen Umgebung positiv bewertet wurde. Möglicherweise ist die relativ weite Verbreitung des Phänomens im gesamten ostdeutschen Gebiet dafür verantwortlich (vgl. Auer/ Barden/ Großkopf 1995: 163). Das bedeutet, dass man anhand von linguistischen Kriterien alleine nicht unbedingt den Wandel voraussagen kann, sondern dass dabei auch soziolinguistische Erklärungsmuster in Betracht gezogen werden müssen. 8.3 Kontakt von Dialekt und Standardsprache 8.3.1 Einwirkungen der Dachsprache Wie bereits erwähnt, können sich auch nahe verwandte Mundarten diesseits und jenseits einer Staatsgrenze unter den verschiedenen Dachsprachen auseinanderentwickeln. Dies ist auf die Ausgleichserscheinungen zwischen dem Dialekt und der jeweils überdachenden Staatssprache zurückzuführen. Beispiel dafür sind etwa die unterschiedlichen Verhältnisse im Elsass und in Baden: Die badischen Dialekte nähern sich im Zuge allgemeiner Konvergenzprozesse lautlich immer mehr dem Standarddeutschen an, die elsässischen Dialekte dagegen konservieren den alten Lautstand, da sie eine andere Dachsprache haben. Auch im Wortschatz bleiben im Elsässischen einerseits altererbte Wörter erhalten und anderseits werden viele neue Bezeichnungen aus dem Französischen entlehnt, die in den badischen Dialekten aus dem Standarddeutschen übernommen werden. Beispiele für alte Dialektwörter sind Hornung/ Hornig für 'Februar', Zeine für 'Korb' oder Maire Kontakt von Dialekt und Standardsprache 147 für 'Bürgermeister' (eine alte Entlehnung aus dem Französischen). Diese Wörter verwendet man in den badischen Dialekten nicht mehr oder nur noch in vereinzelten Reliktgebieten (vgl. Klausmann 1990, 2000). Auch für die niederländischdeutschen Grenzmundarten lässt sich ein starker Konvergenzprozess auf dem Gebiet der Phonologie, Morphologie und Syntax in Richtung auf die jeweilige Standardsprache feststellen, der zu einer Auseinanderentwicklung der Dialekte führt (Smits 2011). Eine andere Situation herrscht dagegen in den Fällen, wo jenseits der Grenzen dieselbe Standardsprache gilt. So zeigen sich im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet in den jeweiligen Dialekten diesseits und jenseits der Grenze auch binnendeutsche und binnenschweizerische Übernahmen im Laut- und Formensystem sowie im Wortschatz. Ein Beispiel: glii (= schweiz. 'bald, früh') wird in den Dialekten auf der deutschen Seite mit der Bedeutung 'gleich' verwendet (s. Schifferle 1990: 331). Ganz Ähnliches gilt auch für die Grenzdialekte zwischen Bayern und Österreich, die sich kaum voneinander unterscheiden. Sie nähern sich aber im Bereich der Umgangssprache entweder der jeweiligen Staatssprache oder den Prestigedialekten unterschiedlicher Zentren (Wienerisch vs. Münchnerisch) an (vgl. Scheuringer 1990). Ganz typisch ist dafür das wienerische aa in Wörtern wie aans, zwaa ('eins', 'zwei') gegenüber bair. oans, zwoa. 56 8.3.2 Ausgleichsprozesse Die Prozesse, die beim Kontakt zwischen einem Dialekt und der überdachenden Standardsprache wirksam sind, ähneln den Prozessen beim Kontakt zwischen zwei Dialekten. Es kommt zu einem strukturellen Ausgleich, wobei häufig komplexere dialektale Strukturen einfacheren hochsprachlichen angepasst werden. Ein Beispiel: Die im bairischen Dialekt übliche Form i geh zum Radlfahrn wird allmählich reduziert zu i geh Radlfahrn, da diese weniger komplex ist. Wie wir bereits in Kap. 2.1 gesehen haben, sind Dialekte und Standardsprache in der Regel auf verschiedene Domänen verteilt (sog. 'Diglossie'). Diese Diglossie besteht etwa im Deutschen seit der Entwicklung einer überregionalen Schriftsprache im 16.-18. Jh. Seit dieser Zeit breitet sich die Standardsprache immer mehr aus, so dass die Diglossie-Situation immer instabiler wird, da die Standardsprache immer mehr Verwendungsdomänen hinzugewinnt (vgl. Bechert/ Wildgen 1991: 112). Diese Diglossie-Situation ist im deutschsprachigen Raum sehr un- 56 Ähnliches führt Gerritsen (1999) für die limburgischen Dialekte in den Niederlanden, Belgien und Deutschland an. Für die Romania zeigt etwa Goebl (2000) eindeutige Unterschiede zwischen den lombardischen Dialekten auf der schweizerischen und der italienischen Seite oder den frankoprovenzalischen Dialekten auf der italienischen und französischen Seite. Einen Überblick und Beispiele aus dem polnisch-weißrussischen Grenzgebiet liefert Woolhiser (2005). Er erklärt den größeren Konservatismus der weißrussischen Dialekte auf der polnischen Seite mit der größeren genetischen und typologischen Distanz zwischen Dialekt und Dachsprache. Es ist in diesem Falle schwierig, die Flexionsmorpheme zu transferieren. Sprachkontakt vs. Varietätenkontakt 148 terschiedlich zu beurteilen, was wiederum Auswirkungen auf die Konvergenz- und Divergenzprozesse zwischen Dialekt und Standardsprache hat. Mattheier (1980: 166ff.) hat eine Typologie des Verhältnisses von Dialekt und Standardsprache im Deutschen aufgestellt. Er kristallisiert drei Haupttypen heraus: I Dialekt als Reliktsprache: Der Dialekt wird nur noch von alten Leuten gesprochen und steht auch hier schon unter starkem Standardeinfluss. II Dialekt als Sozialsymbol: Der Dialekt wird gesellschaftlich und situativ geschichtet verwendet, mit a) negativem Wert b) positivem Wert. III Dialekt als Hauptvarietät: Dialekt ist Alltagssprache der gesamten Gemeinschaft. Es entsteht eine klassische Diglossie-Situation zwischen Sprech- und Schreibsprache (s.o. Kap. 2.1). Während der Typus I fast für den gesamten niederdeutschen Raum zutrifft, ist der mittlere und südlichere Teil Deutschlands Typus II zuzurechnen, wobei besonders in den südlichen Regionen (Baden, Bayern) dem Dialekt ein positiver Wert zugemessen wird. Dialekt als Hauptvarietät ist wohl nur noch in der Schweiz und in Südtirol (sowie ländlichen Regionen Österreichs) vorzufinden. Je stärker die Verteilung noch ist, desto vielfältiger sind die Zwischenstufen (vgl. Kap. 8.4), d.h. "die Vielfalt umgangssprachlicher Varianten [ist] dort am größten, wo für eine große Bevölkerungsmehrheit die Diglossie-Situation fortbesteht" (Munske 1983: 1004). In der Dialektologie ist allgemein umstritten, ob es einen stufenweisen Übergang zwischen den einzelnen Varietäten gibt (z.B. Basisdialekt, Verkehrsdialekt, Umgangssprache, Standardsprache), der sich auf der sprachlichen Ebene und im Bewusstsein der Sprecher widerspiegeln soll, oder ob es sich hierbei um ein Kontinuum handelt. Geht man von verschiedenen abgrenzbaren Varietäten aus, so differieren auch die Vorschläge über die Zahl der vorhandenen und von den Sprechern wahrgenommenen Stufen. In der Germanistik hat etwa Wiesinger ein vierstufiges Modell eingeführt (vgl. Wiesinger 1997). Stehl (1994) geht für die Romania von einem fünfstufigen Modell aus (s.u., Anm. 59; zur Diskussion auch Lenz 2003: 388f.). Es besteht auch die Möglichkeit, dass man zwar auf der linguistischen Ebene fließende Übergänge feststellen kann, dass aber die Sprecher selbst klare Abgrenzungen wahrnehmen. Fließende Übergänge können für den Beobachter dadurch zustande kommen, dass sich in jeder Varietätsstufe, die der Sprecher verwendet, Übernahmen aus einer der anderen Varietäten finden, die dem Sprecher aber nicht als solche bewusst sind. D.h. es passiert das Gleiche wie beim Sprachkontakt zwischen unterschiedlichen Sprachen. Die Sprecher übernehmen mal mehr, mal weniger aus der Kontaktsprache und für ein und denselben Be- Umgangssprache als Sprachkontakterscheinung 149 griff wird einmal ein Wort aus der einen und einmal eines aus der anderen Varietät verwendet. 57 Grundsätzlich gilt, dass nur die an den beiden Polen angesiedelten Varietäten, nämlich die Standardsprache einerseits und der Basisdialekt andererseits, als klar abgegrenzte Systeme angesehen werden können. Die Zwischenvarietäten entstehen im Kontakt mit diesen: Der Regionaldialekt ist ein Dialekt, der sprachliche Phänomene aus dem Standard übernimmt, die Umgangssprache eine Sprachform, die auf der Standardsprache beruht, aber auch Phänomene aus dem zugrunde liegenden Dialekt enthält. Selbstverständlich gilt auch hier, was wir schon beim Sprachkontakt zwischen verschiedenen Sprachen gesehen haben. Es entstehen bisweilen hybride Strukturen, die es weder im Dialekt noch in der Standardsprache gibt und die nicht durch Konvergenz entstanden sind (s.u. zur Hyperkorrektur, S. 153). 8.4 Umgangssprache als Sprachkontakterscheinung Im Zusammenhang mit den Konvergenz- und Divergenzprozessen ist es interessant zu diskutieren, inwieweit das diffuse System der sog. 'Umgangssprache' als Sprachkontakterscheinung zu betrachten ist. 58 So schlägt es bereits Munske (1983) vor und definiert Umgangssprache als eine Sprachform, die durch Kontakt von Dialekt und Hochsprache entstanden ist. Dabei seien die lautliche und lexikalische Ebene am anfälligsten für Konvergenz oder Divergenz. Die Vorstellung einer "mittleren" Varietät, die nicht mehr Dialekt und noch nicht Hochsprache ist, ist jedoch insofern falsch, weil diese Zwischenvarietät nicht als empirisch abgrenzbare Einheit bezeichnet werden kann (vgl. Scheutz 1999: 105). Geht man von dem oben erwähnten klassischen Modell aus, sind im regionalen Varietätenspektrum des Deutschen vier Stufen anzunehmen: (1) Standardsprache (2) Umgangssprache (3) Verkehrsdialekt (4) Basisdialekt 57 Lenz (2003) kann bei ihrer Analyse des Varietätenspektrums des Ortes Wittlich/ Eifel allerdings zeigen, dass man mit linguistischen Kriterien fünf sog. 'Verdichtungsbereiche' beschreiben kann. Bei einer Beurteilung dieser Verdichtungsbereiche durch Laiensprecher kann Lenz feststellen, dass Sprachproben desselben Verdichtungsbereichs übereinstimmend beurteilt werden. Das heißt also, die Sprecher haben intuitiv eine genaue Vorstellung von den Abstufungen zwischen Basisdialekt und Standardsprache. 58 Der Begriff 'Umgangssprache' ist im Deutschen sehr unklar, in der Romanistik hat man hierfür viel treffendere Begriffe: français régional, italiano regionale oder español regional. Man sollte daher auch sinnvoller von 'Regionaldeutsch' sprechen (vgl. dazu Riehl 1994). Sprachkontakt vs. Varietätenkontakt 150 Diese entsprechen im Französischen etwa dem français commun, français régional français dialectal und patois de village (vgl. Wesch 1998: 91ff.). Zehetner (1986: 158) veranschaulicht diese vier Stufen anhand eines Beispiels aus dem Bairischen: 59 (1) Josef trinkt Bier, aber Rosi, sein Mädchen, trinkt lieber heiße Milch. (2) Josef trinkt Bia, aba Rosi, sein Mädl, dringgd liaba heiße Milch. (3) Da Sepp dringgd a Bia, aba de Rosi, sei Mädl, dringgd liaba a hoasse Muich. (4) Da Sebb dringgd a Bia, awa d' Rosi, sei Màdl, dringgd liawa-r-a hoasse M ich. In diesem Beispiel sind aber nur zwei Varietäten, nämlich der Basisdialekt (Nr. 4) und die Standardsprache (Nr. 1), geschlossene Systeme. Alle dazwischenliegenden Varietäten entstehen durch Varietätenkontakt und dadurch ausgelöste Adaptionsprozesse. Allerdings fällt auf, dass keines der vorkommenden Wörter vier Realisierungsstufen aufweist, so dass jedes Wort einer bestimmten Varietät zugeordnet werden könnte. Die eine Hälfte zeigt zwei Varianten (trinkt-dringgd, Bier- Bia, sein-sei, heiße-hoasse), die andere Hälfte drei Varianten (Mädchen-Mädl-Mádl, aber-aba-awa, lieber-liaba-liawa, Milch-Muich-M ich) (vgl. auch Scheutz 1999: 107). Es gibt aber durchaus noch weitere Realisierungsmöglichkeiten. Man könnte z.B. auch sagen der Josef oder eine heiße Milch. Außerdem ist fraglich, ob die dialektale Form liaba mit dem standardsprachlichen Milch überhaupt kombiniert werden kann (s.u.). Daher ist, wie Scheutz (ebd.) zu Recht bemerkt, auszuschließen, dass in den vier Beispielsätzen die einzigen möglichen Kombinationen erfasst wurden. Und wenn es schon bei einzelnen Sätzen nicht entschieden werden kann, wird es noch komplexer, wenn die Texte länger werden. Man muss also Ausgleichsvorgänge zwischen dem Dialekt und der Standardsprache so deuten, dass hier Merkmale und Regeln von der jeweils einen in die andere Varietät übernommen werden, die sich aber wiederum gegenseitig beeinflussen. Trotz der Variationsvielfalt handelt es sich aber dabei nicht "um ein 'chaotisches Durcheinander' aus Idiosynkrasien und Zufälligkeiten, sondern um eine nach verschiedenen Parametern geordnete, strukturierte Heterogenität" (Scheutz 1999: 106). 8.4.1 Beschränkungen und Code-Switching Diese Beschränkung, dass nur bestimmte Varianten gleichzeitig miteinander auftreten dürfen, nennt man Kookkurrenzrestriktion. Auch diese bezieht sich weitgehend auf lautliche Kombinationen. Ein Beispiel: Man kann im Bairischen beim Partizip II den Schwa-Laut ([ ]) im Präfix getilgen. Man sagt also gheat statt ge- 59 Zehetner (1986: 158), der das Beispiel aus einer Untersuchung zur Sprachverwendung übernommen hat (genauere Angaben fehlen), kritisiert diese Einteilung als zu vereinfacht und stellt im Folgenden ein fünfstufiges Modell vor: dialektfreies Hochdeutsch, Hochdeutsch mit erkennbarem Dialektanklang, mundartlich gefärbte Umgangssprache, regionaler Dialekt, Ortsdialekt (ebd.: 159). Das entspricht auch dem Vorschlag von Stehl (1994), der auf der Ebene des Standards zwischen exogenem Standard (kodifizierte Standardsprache) und endogenem Standard (regionale Ausprägung des Standards, d.h. Standard mit regionalem Akzent) differenziert. Umgangssprache als Sprachkontakterscheinung 151 hört. Steht davor noch ein hin- oder an-, so wird dieses im Basisdialekt nasaliert: bair. õgheat für standarddt. angehört. Man kann nun ohne Weiteres bei einer Zwischenvarietät diese Nasalierung tilgen und trotzdem das Präfix verkürzen. Man kann also sagen angheat. Aber man kann nicht annasalieren und gleichzeitig das Präfix in der Vollversion gebrauchen: Eine Form *õgeheat ist schlichtweg unmöglich (vgl. Auer 1986: 107f.). Das Gleiche gilt auch für Prozesse zwischen benachbarten Wörtern. So können standardsprachliches Du weißt viel und dialektales Du woaßt vui gebraucht werden, aber eine Kombination wie Du weißt vui oder Du woaßt viel ist fraglich und nur möglich, wenn weißt oder viel betont werden sollen (ebd.: 109f.). Allgemein gilt immer, dass bei besonderer Hervorhebung die standardsprachliche Form gewählt werden kann. Daneben entstehen auch Ad-hoc-Mischungen, bei denen einmal die standardsprachliche Form und kurz darauf die dialektale verwendet wird, vgl.: 84. Des weiß i no net genau. I woaß à dass du wenig Platz hast. (Auer 1986: 100, dort in phonetischer Umschrift) Der Sprecher verwendet unmittelbar hintereinander einmal die standardsprachliche Variante weiß und einmal die dialektale Form woaß. In der Dialektologie (z.B. Moosmüller 1991) wird hier der Terminus 'Input-Switch' verwendet, d.h. der Sprecher kann auf die Lexikoneinträge der jeweils anderen Varietät zugreifen. Dieses Phänomen stellt aber nichts anderes dar als die schon in Kap. 2.2.2 erwähnte Ad-hoc-Übernahme, nur dass einmal zwischen zwei verschiedenen Sprachen und einmal zwischen den Varietäten einer Sprache gewechselt wird. Wie in Kap. 2.2 bereits diskutiert, bezeichnen dies einige Forscher ebenfalls als Code- Switching (s. dazu o. S. 23). Im Varietätenkontakt findet häufig auch nichtfunktionales Code-Switching statt, da durch die nahe Verwandtschaft der Varietäten sehr viele homophone Diamorphe, also in beiden Sprachen gleichlautende Wörter (s. Kap. 2.2.4), zu finden sind, vgl.: 85. a) De hot dann net de Kraft sich zu wehren auf de Dauer imma, na, na lasstsn hoit wieda geh. (unveröffentl. Aufnahme 2011) b) Etz is doch dann der F. weg und dann muas-i doch de bauleitung machen. (unveröffentl. Aufnahme 2011) In beiden Beispielen wird vom Dialekt in den Standard gewechselt und umgekehrt an Stellen, an denen Lexeme vorkommen, die in beiden Varietäten gleich lauten: Kraft und auf in 85a) und Bauleitung in 85b). Diese Beispiele kann man so interpretieren, dass diese Diamorphe den Wechsel in die jeweils andere Varietät auslösen, ähnlich wie Trigger-words in zwei verschiedenen Sprachen (s.o. Kap. 2.2.4 und mit Beispielen aus der Schweiz Christen 2007 und Christen/ Guntern/ Petkova 2012). Im Übrigen lässt sich auch feststellen, dass gewisse lautliche Veränderungen an bestimmte Wörter gebunden sind (d.h. sie sind 'lexemgebunden'). Scheutz (1999: 118) führt an, dass Sprecher aus Ulrichsberg/ Oberösterreich die Variante aa statt ai, die sie aus dem Wiener Prestigedialekt übernommen haben, vor allem in Sprachkontakt vs. Varietätenkontakt 152 den Wörtern eins, zwei und im kommentarankündigenden ich meine (= wienerisch i maan) verwenden. Ähnliches haben wir auch schon oben bei der wolgadeutschen Umgangssprache bemerkt (hier vor allem haam und waaß). Auch Auer/ Barden/ Großkopf (1995: 149) haben bei Sprechern des Sächsischen festgestellt, dass sie ihr oo für au vor allem in dem Wort auch (ooch) erhalten (s.o. Kap. 8.2.3). 8.4.2 Weitere Kontaktmerkmale in regionalen Umgangssprachen Grundsätzlich ist die lautliche und die lexikalische Ebene immer diejenige, die am anfälligsten für Konvergenz- und Divergenzprozesse ist. Es gibt aber auch Einflüsse auf dem Gebiet der Morphologie und Syntax. So kann man beispielsweise im Regionalfranzösischen der Pikardie folgende Erscheinung sehen: 86. [...] ça nous fait une moyenne de sept mille francs par jour quoi pour nous vivre tous les deux. (Wesch 1998: 119) Die Konstruktion pour nous vivre tous les deux ('für uns beide zu leben') statt standardfrz. pour que nous vivions ('damit wir beide leben können') ist aus dem pikardischen Dialekt in die Standardsprache übernommen. Ein weiteres prominentes Beispiel im Deutschen ist die sog. 'Rheinische Verlaufsform': In den ripuarischen Dialekten wird die Progressivkonstruktion ist am X-en nicht nur wesentlich häufiger verwendet als im Standarddeutschen, sondern es ist zusätzlich möglich, ein Objekt und/ oder ein Adverb in die Konstruktion zu integrieren. Diese Möglichkeit wird in die regionale Umgangssprache übernommen: 87. a) Ich bin ein Zaubertrick am Machen. (eigener Hörbeleg) b) Er ist die Kartoffeln roh am essen. (Bhatt/ Schmidt 1993: 77) Damit wird eine optionale Kategorie des Deutschen unter dem Einfluss der zugrunde liegenden dialektalen Varietäten weiter grammatikalisiert. An dieser Stelle soll daran erinnert werden, dass ähnliche Erscheinungen auch beim Kontakt mit dem Englischen auftreten (z.B. im Pennsylvania-Deutschen, s.o. Kap. 6.2.3.3). Das heißt, je näher die Sprachen oder Varietäten miteinander verwandt sind, desto leichter konvergieren sie. Die Trennung zwischen Sprachkontakt im weiteren Sinne und Varietätenkontakt im engeren Sinne ist daher nicht wirklich zu leisten, sondern es handelt sich dabei um ein Kontinuum. Ein weiteres interessantes Gebiet betrifft wiederum die Diskurspartikeln (vgl. Kap. 6.2.1). Auch in standardnaher Sprechweise verwenden etwa Sprecher des Bairischen die typischen Diskurspartikeln halt, fe oder eh, oder obersächsische Sprecher verwenden nu. Ein Beispiel aus dem Bairischen: 88. CG: Also ich bin sowieso, also ich bin halt auch in Kreisen irgenwie groß geworden, wo der Heimatbegriff eigenlich irgenwie so als Schimpfwort gesehen wurde. Al- so dass man halt möglichst kosmopolitisch is und ja (-) das bin ich eigenlich schon. (Aufnahme München, April 1998, unveröff.) Umgangssprache als Sprachkontakterscheinung 153 Das Gleiche gilt für gesprächssteuernde rückversichernde Partikeln wie nich, ne, newa, wa, gell(e). Auch diese werden aus dem Dialekt in die regionale Standardsprache übernommen (vgl. Munske 1983: 1014). Damit kann wieder auf die erwähnte Tatsache verwiesen werden, dass das System der Diskursmarker pragmatisch ablösbar ist (s.o. S. 98). Wenn man außerdem davon ausgeht, dass das Gestensystem einer Diskursgemeinschaft in noch stärkerem Maße als die Sprache ein Symbol für ethnische Identität ist, kann man dieser Verwendung auch eine starke symbolische Funktion zuschreiben (vgl. u. Kap. 10.1.3). 8.4.3 Dialektabbau und Dialektausbau durch Sprachkontakt Die Konsequenzen aus dem Sprachkontakt zwischen Dialekt und Standardsprache haben auch Auswirkungen auf Entwicklungsprozesse des Dialekts. So fördert der Kontakt zur Standardsprache einerseits den Dialektabbau: Bestimmte Formen, die im Dialekt vorhanden sind, aber in der Standardsprache nicht, können verschwinden. So wird in schweizerdeutschen Basisdialekten (wie auch in einer Reihe von anderen Dialekten) die Numerale zwei je nach Genus variiert: mask. zwee, fem. zwoo und neutr. zwäi (z.B. zwee Hünd, zwoo Chüe, zwäi Hüener). Diese Varianten werden nun durch Dialektabbau reduziert zu zwoo und zwäi. Die beiden Formen zeigen aber nicht mehr das Genus an, sondern können ganz frei variiert werden. Ein anderes Beispiel aus dem Bereich der Semantik: Im Ostniederdeutschen bedeutete geel sowohl 'gelb' als auch 'hässlich'. Die zweite Bedeutung wird aufgegeben, so dass nun geel semantisch dem standarddt. gelb entspricht. Hier spricht man von einem strukturellen Ausgleich zwischen dem Dialekt und dem Standard. Dieser Vorgang kann gleichzeitig auch als Verstehenserleichterung für Nicht-Dialektsprecher erklärt werden (vgl. Munske 1983: 1007f.). Als sehr stabil gegen Abbau haben sich übrigens phonologische Erscheinungen wie Kürzung, Dehnung, Assimilation und Wort- und Satzintonation erwiesen. Deswegen können auch Laien die regionale Heimat eines Sprechers gerade an diesen Merkmalen erkennen (ebd.: 1011). Umgekehrt kann aber der Dialekt unter dem Einfluss der Standardsprache auch ausgebaut werden. Das bedeutet, dass ursprünglich weniger komplexe Strukturen komplexer werden. Ein Beispiel: Das Niederdeutsche unterscheidet bei den Personalpronomina nicht zwischen Dativ und Akkusativ. So bedeutet nd. mi sowohl 'mir' als auch 'mich'. Der Kontakt mit der Standardsprache bewirkt nun, dass diese Opposition auch im Dialekt eingeführt wird. Hier greift nun allerdings ein Phänomen, das immer dann entsteht, wenn Strukturen neu eingeführt werden, aber ihre Gebrauchskontexte nicht eindeutig erworben werden, die sog. 'Hyperkorrektur'. So hört man oft z.B. im Berlinischen: Ik wundre mir heut über dir [...] (Munske 1983: 1011). Ein weiteres Beispiel für Hyperkorrektur aus dem Italienischen: In Kampanien ist die Entwicklung von d zu r weit verbreitet (sog. 'Rhotazismus'). Die Sprecher sagen statt dicere ('sagen') ricere. In bestimmten Sprachkontakt vs. Varietätenkontakt 154 Kontexten machen die Sprecher, wenn sie Standard sprechen, diese Entwicklung auch bei Wörtern rückgängig, die im Standarditalienischen schon ein r haben. Sie sagen dann ddispunne ('er antwortet') statt risponde (vgl. Radtke 2000: 21). 8.5 Beispiele von Varietätenkontakt aus Südtirol und Ostbelgien In meiner Untersuchung zum Sprach- und Kulturkontakt in Südtirol und Ostbelgien (Riehl 2001) konnte ich feststellen, dass sich der Varietätenkontakt zwischen einer standardsprachlichen Variante des Deutschen und der gesprochenen Varietät in diesen Gebieten auch in schriftlichen Texten (in diesem Fall Schülertexten) bemerkbar macht. Dies betrifft vor allem das Lexikon - d.h. Wörter aus dem Dialekt werden in geschriebenen Texten verwendet -, aber auch die Morphologie und die Syntax. Selbstverständlich ist die Variation hier nicht so groß wie in der gesprochenen Sprache. Dennoch sollen im Folgenden exemplarisch die Einflüsse vorgestellt werden, weil sie mit Sprachkontakt, d.h. dem Kontakt zwischen zwei ausgebauten Standardsprachen (hier Deutsch-Italienisch und Deutsch-Französisch), einhergehen. 60 8.5.1 Lexikalische Einflüsse Im Corpus aus Südtirol findet sich der Hauptanteil bei Schülern, die aus sehr stark ländlich und dialektal geprägten Gegenden stammen. Der Anteil der Dialekteinflüsse nimmt jedoch von Klassenstufe zu Klassenstufe ab, vgl.: 89. a) [...] diese Traube aufzuklauben. [= aufheben] b) der Traubentschaggl [= Traube] c) [...] da der Aufprall doch etwas fest war. [= stark] d) Links hebt die böse Königin [...] den vergifteten Apfel in einer Hand. [= hält] e) [...] bis es knackst [= bis es 'Klick' macht] f) bis der fertige Kaffee in die Kanne geronnen ist [= gelaufen] In diesen Beispielen werden neben Lexemen, die nur im Dialekt verwendet werden (aufklauben a, Tschaggl b), Wörter gebraucht, die auch in der Standardsprache existieren. Allerdings haben sie dort eine andere Bedeutung (vgl. fest, heben, knacksen, rinnen). Man kann also hier von einer Bedeutungsübernahme (vgl. Kap. 6.2.1.2) aus dem Dialekt sprechen. Dialekteinflüsse auf lexikalischer Ebene zeigen sich in geringerem Maße auch im Textmaterial aus Ostbelgien: 90. a) Als er nun die halb zerpratschten Trauben musterte [...]. [= zermantscht] b) der Möp [= Köter, hier: ungehobelter Mensch] c) die kleine Weinklombe [= Weintraube] 60 Die Beispiele sind Riehl (2001: 258ff.) entnommen. Beispiele von Varietätenkontakt aus Südtirol und Ostbelgien 155 d) Schütten Sie 3 Kaffeelöffel bei. [= hineinschütten] e) [...] und holt sie mit zu einem wichtigen Geschäftstermin. [= mitnehmen] Hier werden in den Beispielen (a)-(c) ebenfalls Dialektwörter verwendet. In den Beispielen (d) und (e) dagegen kommen auch in der Standardsprache vorhandene Wortstämme vor, sie werden allerdings mit einem untypischen Präfix kombiniert. Außerdem wird in Bsp. (e) die weitere Bedeutung von holen ('holen, mitnehmen') aus dem Dialekt übernommen. 8.5.2 Morphologisch-syntaktische Einflüsse Es gibt auch Einflüsse des Dialekts im Bereich der Morphologie. Einige Schüler verwenden bei Verben, deren Partizip II im Dialekt schwach und in der Standardsprache stark flektiert wird, schwache Präteritumsformen (scheinte, bratete, hebte, ist [...] abgehaut) oder umgekehrt analog zum Dialekt gebildete starke Formen (wird ausgeschalten/ eingeschalten). Schüler aus Südtirol zeigen teilweise Dialekteinfluss im Bereich der Kasusrektion (a) und der Genera (b) sowie im Gebrauch des Artikels (c): 91. a) Um ihr herum befinden sich viele Zwergroboter. b) im linken oberen Eck (das Eck = die Ecke) c) das Latein Im ostbelgischen Corpus macht sich die Tatsache bemerkbar, dass in den dort angesiedelten Dialekten häufig Dativ und Akkusativ vertauscht werden: 92. a) [...] kam ein Wolf an die Weintraubenplantage vorbei. b) [...] spaziert vor die Trauben umher. c) im Behälter zurücktun d) Man drücke auf dem Knöpfchen. In den Texten der Schüler aus Ostbelgien finden sich außerdem Beispiele mit dem Richtungsadverb drin für standardsprachliches hinein: 93. a) Setzen sie die gewünschte Kaffeemenge darin. b) [...] und tun ihn mit der spitzen Seite nach unten drin. In Bsp. 93a) kann man sehen, dass das Adverb an die Standardsprache angeglichen wird (darin statt drin). Das ist ein schöner Beleg für phonetische bzw. graphematische Integration, wie sie auch für den Kontakt unterschiedlicher Sprachen typisch ist. In beiden Gebieten wird gelegentlich das Relativpronomen wie im Dialekt durch das Interrogativpronomen wo oder auch was ersetzt: 94. a) eine Weinrebe, wo reife Trauben hingen. b) ein Strauch, wo viele, viele Weintrauben dran hingen. c) Wolkenkratzer, wo die sieben Roboter drin wohnen. d) das Schloß, was sich auf dem Kopf des Schneewittchens befindet. Sprachkontakt vs. Varietätenkontakt 156 Einfluss der Kontaktsprache oder der Kontaktvarietät zeigen syntaktische Konstruktionen im Bereich der Verbstellung. Sehr häufig kommen Nachträge vor (vgl. auch Kap. 6.2.2.1): 95. a) Die Traube ist herangereift an dem Weinstock. b) Plötzlich fallen die Trauben zu Boden durch den heftigen Wind. c) Darauf hin versucht sie sie zu vergiften mit einem Apfel. d) [...] und will Schneewittchen töten, mit einem vergifteten Apfel. In diesem Beispiel zeigt sich ein Phänomen, das in besonderem Maße für die Sprachkontaktforschung interessant ist: Die Ausklammerung der Satzglieder kann nicht nur durch Register der gesprochenen Sprache des Deutschen, sondern auch durch die jeweiligen Kontaktsprachen Italienisch und Französisch motiviert sein. Es zeigt sich damit, dass sich in solchen Fällen die Sprachkontaktphänomene gegenseitig stützen. Erscheinungen, die in zwei Kontaktsprachen oder -varietäten vorkommen, werden mit großer Wahrscheinlichkeit übernommen. 8.6 Zusammenfassung Sprachkontakt gibt es nicht nur zwischen verschiedenen ausgebauten Sprachen, sondern auch zwischen einzelnen Varietäten einer Sprache. Dabei kann man unterscheiden zwischen dem Kontakt zwischen zwei verschiedenen Dialekten oder dem Kontakt zwischen einem Dialekt und der überdachenden Standardsprache. Der Sprachkontakt führt in diesem Falle zu einer Zwischenstufe, die kein eigenes System besitzt, sondern als Mischvarietät angesehen werden kann. Diese Mischvarietät könnte durch die sog. 'Umgangssprache' repräsentiert sein. Allerdings ist diese je nach Region stärker vom Dialekt oder stärker vom Standard dominiert. In Sprachkontaktgebieten findet sich Varietätenkontakt auch in geschriebenen Texten: Hier halten dialektale Formen Einzug in die Schriftlichkeit. 9 Sprach- und Kulturkontakt Die Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachgemeinschaften bestehen nicht nur auf der Ebene des Sprachsystems, also der Lexik, Syntax, Morphologie usw., sondern auch auf der Ebene des Sprachgebrauchs. Die verschiedenen Sprachgemeinschaften bilden ihre eigenen Diskursmuster aus, und zwar im Gesprochenen und Geschriebenen. Das heißt also, man kann im Sprachkontakt nicht nur Grammatik oder Lexik übernehmen, sondern auch die Diskursformen: Übernimmt man diese z.B. aus dem Französischen und spricht Deutsch, verstößt man gegen Diskursregeln des Deutschen oder gegen die in dieser Sprache typischen Sprachrituale. Im eigentlichen Sinne muss man hier von Kulturkontakt sprechen: Ich fülle ein Sprachritual der Sprachgemeinschaft A mit Sprachmaterial der Sprachgemeinschaft B. Sprachkontakt ist dann eine Form von Kulturkontakt, wenn Diskursformen von L2 in L1 übernommen werden oder umgekehrt. Darüber hinaus ist auch die Wahrnehmung von Ähnlichkeiten und Unterschieden in der Welt kulturgebunden. In industrialisierten westlichen Gesellschaften wird Sprache im Sinne von Sprachhandeln verwendet ('to do things with words'), andere Gesellschaften dagegen legen das Schwergewicht auf Herstellung und Beibehaltung guter persönlicher Beziehungen. In diesem Falle ist die soziale Qualität der Kommunikation wichtiger als ihr Inhalt. Vor dem westlichen Hintergrund wird eine derartige Konversation oft als "ineffizientes und bedeutungsloses Gerede" abgetan. Der Kontakt zwischen Sprechern verschiedener Sprachen ist damit gleichzeitig ein Kontakt von Menschen, deren Interaktionen verschiedenen Rahmenbedingungen folgen, wie man das Sprachverhalten interpretieren soll (vgl. Schiffrin 1996: 141). 9.1 Kulturelle Unterschiede und Kulturkontakt in gesprochener Sprache 9.1.1 Muster der Höflichkeit Prominente Beispiele für interkulturelle Unterschiede finden sich in den verschiedenen Formen von Höflichkeitsmustern: Hier gibt es sogar innerhalb der deutschen Sprachgemeinschaft regionale Unterschiede, etwa zwischen Deutschland und Österreich. Während man dort die Grußformel mit vorzüglicher Hochachtung in Briefen immer noch gebraucht, verwendet man in Deutschland mit freundlichen Grüßen. Auch der Gebrauch des Titels in der Anrede ist hier anders geregelt: Herr Magister, Herr Doktor und Frau Professor sind in Österreich die Re- Sprach- und Kulturkontakt 158 gel, in Deutschland wird die erste Form der Anrede gar nicht, die übrigen beiden nur selten verwendet. In Sprachkontaktgebieten können nun solche Höflichkeitsrituale aus dem Repertoire der anderen Diskursgemeinschaft übernommen werden, wobei sie aber in die jeweilige Sprache "übersetzt" werden: So hört man etwa in Namibia sehr häufig die unmittelbar zusammen geäußerte Begrüßungsformel Hallo, wie gehts? in Anlehnung an how are you? und in Ostbelgien Guten Tag, wie geht es Ihnen? in Anlehnung an Bonjour, ça va? Ein weiteres Beispiel für den Einfluss kultureller Konzepte auf die Sprachproduktion ist die Verwendung der Anredeformen: Hier werden die Ausdrücke zwar schnell gelernt, aber die Anwendung bereitet auch fortgeschrittenen Lernern noch Probleme. Die Erklärung mit 'formell' und 'informell' greift nicht, eher sind hier Konzepte wie 'Distanz' und 'Hierarchiemarkierung' ins Feld zu führen (vgl. Roche 2001: 17). Kulturkontakt mit der anglophonen Kultur macht sich im deutschsprachigen Raum dadurch bemerkbar, dass immer häufiger die informelle Anrede mit du verwendet wird. Auch internationale Firmen wie IKEA und H&M verwenden inzwischen weltweit die informelle Anredeform, wenn sie ihre Kunden ansprechen (vgl. Clyne/ Norrby/ Warren 2009: 146ff.). Eine weitere Auswirkung des Kulturkontakts ist eine Art Kompromissform im Deutschen, nämlich die Anrede Sie + Vorname (Bsp.: Claudia, könnten Sie mir bitte mal die Kopie rüberreichen? ). Sie wird in Kontexten verwendet, die weniger offiziell sind, aber doch noch eine gewisse Distanz wahren wollen. Weitere Beobachtungen zur Wirkung des Sprachkontakts bei Anredeformen finden sich bei Clyne (2008): Hier wird v.a. deutlich, dass viele L2-Sprecher des Englischen die Muster ihres Anredesystems auf das Englische übertragen, z.B. verwenden sie bei der formellen Anrede nicht den Titel des Angesprochenen, sondern die einfache Höflichkeitsform Mr. Sie schreiben also Dear Mr. Clyne analog zu Lieber Herr Clyne, obwohl im Englischen in offiziellen Kontexten nur die Anrede Dear Professor Clyne möglich ist. Ein weiteres Beispiel sind unterschiedliche Verhaltensweisen im Danken: Oksaar (2003: 144) führt hier den schwedischen Kulturkontext an, in dem Dankesformeln wesentlich häufiger geäußert werden als im deutschen oder anglophonen Kontext. So bedankt man sich etwa beim Einkaufen bereits, wenn man seinen Wunsch äußert. Man kann die Dankesformel sogar als Abschiedsgruß verwenden. In Kulturkontaktsituationen werden diese kommunikativen Verhaltensformen dann auch übernommen, wenn man eine andere Sprache spricht. So sind zwar dann die Äußerungen sprachlich korrekt, aber pragmatisch unpassend. Umgekehrt gibt es auch Kulturen, in denen die Dankesformel noch weniger verwendet wird. In Griechenland oder Russland verhält man sich pragmatisch nicht korrekt, wenn man sich, wie etwa in Deutschland oder Frankreich, bei einem Kontrolleur für die Rückgabe einer Eintrittskarte oder einer Fahrkarte bedankt. Eine andere Verhaltensweise, die ebenfalls in diesen Bereich gehört, ist die Annahme oder Absage einer Einladung oder Aufforderung. So ist es z.B. im koreanischen Kulturkreis ein Zeichen von Höflichkeit, eine Einladung mehrmals Kulturelle Unterschiede und Kulturkontakt in gesprochener Sprache 159 zurückzuweisen. Ähnlich reagiert man im finno-ugrischen oder russischen Kulturkreis bei der Aufforderung, Speisen oder Getränke anzunehmen. Hier wird das Angebot ebenfalls mehrmals zurückgewiesen. Im deutschen oder anglophonen Kontext würde der Gastgeber das so interpretieren, als würde der Gast wirklich nichts (mehr) zu sich nehmen wollen. Interkulturelle Missverständnisse sind hier vorprogrammiert, und man kann hier Wirkungen des Kulturkontaktes sehr schön beobachten. Ein weiterer Punkt ist der Bereich des Komplimente-Machens: Das Kompliment ist insofern ein interessantes kommunikatives Phänomen, als es in verschiedenen Kulturen vorkommt, seine Verwendung auf einer Skala positiv - negativ jedoch unterschiedlich bewertet wird. Es gehört in zahlreichen Kulturen zur Höflichkeit, unterliegt aber nicht denselben Höflichkeitsnormen wie z.B. Grüßen und Danken, die in vielen Situationen obligatorisch sind. Beim Erstspracherwerb werden Kinder angehalten, situationsadäquat zu grüßen, zu bitten und zu danken, aber nicht Komplimente zu machen. (Oksaar 2003: 144, Hervorhebungen im Original) Da also Komplimente keine obligatorischen kommunikativen Mittel sind, gilt man nicht als unhöflich, wenn man keine Komplimente macht, im Gegensatz dazu, wenn man sich nicht bedankt. Trotzdem stiftet es interkulturelle Verwirrung, wenn jemand Komplimente, die in kontakterhaltender Funktion verwendet werden, zurückweist (vgl. Rametto 2013 zu deutsch-italienischen Kontaktsituationen). Aber auch hier macht sich der Kulturkontakt bemerkbar, und zwar insofern, als in Deutschland und Schweden die Annahme von Komplimenten durch den Einfluss des angelsächsischen Modells im Vormarsch ist (Oksaar 2003: 145). 9.1.2 Kulturspezifik und Sprachkontakt in weiteren Diskursen Sprechakte sind grundsätzlich universal, aber ihre Form ist kulturell bestimmt. So unterscheiden sich Finnen und Engländer in der Art, wie sie nach dem Weg fragen und wie sie Fragen nach dem Weg interpretieren. Gass/ Selinker (2008: 288) geben hier ein Beispiel von Maisa Martin. Ein britischer Tourist fragt einen Finnen: 96. Tourist: Wir suchen den Bahnhof. Können Sie uns helfen? Finne: Ja. (Punkt) [Übersetzung CMR] Die pragmatische Notwendigkeit bei Fragen nach dem Weg auch den Weg zu erklären, ist im Finnischen nicht vorhanden. Daher werden die Antworten von Finnen, auch wenn sie ein grammatikalisch perfektes Englisch sprechen, als sehr abrupt interpretiert. Häufig bricht in den oben zitierten Fällen die Konversation zusammen, weil die L1-Sprecher nicht linguistische Gründe, sondern persönliche dahinter vermuten. Ein weiteres Beispiel, das bei Gass/ Selinker (ebd.) aufgeführt ist, stammt von einem Hebräisch-Muttersprachler, der Englisch als L2 gelernt hat. Er übernimmt Sprach- und Kulturkontakt 160 typische Kommunikationsmuster aus dem Hebräischen in die englischsprachige Interaktion: 97. [Kontext: Der Sprecher hat versprochen, seinem Kommilitonen ein Heft innerhalb von ein oder zwei Tagen zurückzugeben, und hat es fast zwei Wochen behalten] Kommilitone: Ich bin wirklich sauer wegen dem Heft, weil ich es letzte Woche gebraucht hätte, um mich auf den Unterricht vorzu- bereiten. Antwort: Ich habe nichts zu sagen. [Übersetzung CMR] Diese Antwort hört sich für einen Sprecher des Englischen (und auch des Deutschen) ziemlich unhöflich an. Was der Sprecher wirklich damit sagen wollte, war: 'Das ist wirklich nicht zu entschuldigen'. Sprachkontakt äußert sich also in diesen Fällen, wenn man die Verhaltensweisen der einen Sprachkultur in die andere übernimmt. Sehr schön lässt sich auch die Übernahme von Diskurs-Konventionen beim Telefonieren beobachten. Hier kann man inzwischen eine gewisse Internationalisierung feststellen, d.h. vor allem unter jüngeren Deutschen bemerkt man immer häufiger, dass sie sich mit hallo (analog zu engl. hello) statt mit ihrem Namen melden. Auswirkungen des Sprach- und Kulturkontakts beim Antworten am Telefon findet man auch in Südtirol: Deutschsprachige Südtiroler melden sich häufig ebenfalls nicht mit dem Namen, sondern mit hallo oder ja bzw. mit dem italienischen pronto, da man ja nicht sicher sein kann, ob der Anrufende deutsch- oder italienischsprachig ist. Els Oksaar hat immer wieder (besonders 2003) darauf hingewiesen, wie wichtig die Kenntnis von bestimmten Diskursregeln beim Erlernen einer anderen Sprache ist. Oksaar (2003: 39f.) bezeichnet diese Regeln als Behavioreme, kommunikative Verhaltensweisen in unterschiedlichen Situationen des sozialen Kontaktes. Diese können verbal, nonverbal, paraverbal (mimisch-gestisch) und sogar extraverbal sein (das betrifft die Beziehung zu Zeit oder Raum und soziale Variablen). Letzere bezeichnet Oksaar als 'regulierende' Behavioreme, d.h. sie bestimmen die Kommunikationssituation. 9.1.3 Kulturspezifik und Kulturkontakt im nonverbalen Verhalten Ein sehr wichtiger Aspekt kultureller Differenz ist die Zuordnung einer Kultur zu sog. 'Rede- oder Schweigekulturen'. Oksaar (2003: 146f.) teilt diese je nach Situation, Art und Quantität des Redens und Schweigens ein. Kulturkontakt kommt dadurch zustande, dass Sprecher aus einer Schweigekultur wie etwa Finnen, Esten und Schweden ihre Schweigekonventionen auf Redekultursprachen wie Deutsch, Englisch oder Italienisch übertragen. Eine Schweigekultur ist dadurch gekennzeichnet, dass man meistens nur dann redet, wenn man etwas Relevantes zu sagen hat. In diesen Kulturen ist auch die Dauer des Schweigens von großer Bedeutung. Redekulturen halten dagegen den Kontakt dadurch aufrecht, dass sie Kulturelle Unterschiede und Kulturkontakt in gesprochener Sprache 161 auch Belangloses, das nur phatische Funktion hat, von sich geben. Außerdem sind die nonverbalen Signale und Gesprächswörter zur Redeunterstützung in Schweigekulturen viel seltener. Von Raffler-Engel (1996: 302) subsumiert dies unter dem Aspekt "use of time": So gibt es etwa im Japanischen viele echte Pausen in einer Rede, während derer die Zuhörer Zeit haben, die neue Information zu verarbeiten. In der amerikanischen Kultur dagegen versuchen die Redner gerade Pausen zu vermeiden. Statt leerem Schweigen gibt es dann allenfalls gefüllte Pausen, d.h. Gesprächswörter wie well, as you know, die auch gesprächssteuernde Funktion haben, aber eben einen "verbalen Körper". Diese Beobachtung führt uns nun in den Bereich des nonverbalen Verhaltens. Auch hier gibt es viele Unterschiede innerhalb der Kulturen. Es ist allgemein zu beobachten, dass in westlichen Kulturen nonverbales Verhalten weniger stark kodifiziert ist als in östlichen (von Raffler-Engel 1996: 297). Das bedeutet, dass es zwar bestimmte Codes gibt, die in den jeweiligen Sprach- und Kulturgemeinschaften festgelegt sind (z.B. wann man den Kopf schüttelt und wann man nickt), dass aber andere Codes nicht genau definiert sind. Von Raffler-Engel (ebd: 301) führt die folgenden Kategorien des nonverbalen Verhaltens an: Funktion Kategorie Allgemeine Bewegungen des Körpers Bewegungen Positur Kinesik Gesten Aktionsbewegungen Gesichtsausdruck Bewegung des Mundes Bewegung der Augen Selbstpositionierung affektiver Status artifizielle Kommunikation Proxemik (physische Distanz) Haptik Chronemik (Umgang mit Zeit) Tab. 2: Kategorien nonverbalen Verhaltens (nach von Raffler-Engel 1996: 301, leicht gekürzt) Es gibt nonverbales Verhalten, das völlig automatisiert ist und daher für Veränderungen weniger zugänglich. Hierzu gehören sicher die Kategorien des Gesichtsausdrucks und die Proxemik, d.h. die physische Distanz zwischen den Gesprächspartnern (dazu u.). Anders verhält es sich mit den meisten Gesten, die den Sprechern auch bewusst sind und leicht nachgeahmt werden können. Hier ist zu unterscheiden zwischen drei Arten von Gesten (vgl. Ekman 1980): Regulatoren: Das sind Gesten, die den Fluss der Rede regulieren sollen. Unter die Regulatoren fällt nur eine beschränkte Anzahl von Gesten, ihre Häufigkeit und ihre Art des Einsatzes variieren aber je nach Ethnizität, Schichtenzugehörigkeit und Kultur (vgl. Ekman/ Friesen 1969: 69). Sprach- und Kulturkontakt 162 Illustratoren: Das sind redebegleitende Gesten, etwa Bewegungen mit der Hand, dem Finger und/ oder dem Unterarm, die die Bedeutung des gerade Gesagten unterstreichen sollen. Diese Gesten werden gelernt und sind kulturspezifisch. Embleme: Diese haben eine eindeutig definierte Bedeutung und ersetzen meist das gesprochene Wort. Sie werden häufig an Stelle von Worten eingesetzt in Situationen, in denen man nicht sprechen kann (wegen gesellschaftlicher Konventionen oder Lärm). Da sie meist arbiträr, d.h. willkürlich, sind, finden sich hier die meisten kulturspezifischen nonverbalen Ausdrücke. Regulatoren sind relativ universal und wechselseitig verständlich: Man signalisiert durch Kopfnicken, dass man dem Redner zustimmt oder durch Heben der Hand, dass der Sprecher enden soll. Illustratoren dagegen werden je nach Kultur unterschiedlich eingesetzt: Amerikaner und Europäer zeigen die Größe eines Kindes an, indem sie ihre Hand mit der Handfläche nach unten benutzen. In anderen Kulturen kann man so nur die Größe eines Tieres anzeigen, während man im Falle eines menschlichen Wesens die Handfläche nach oben drehen muss. In den meisten mitteleuropäischen Kulturen weist die Handfläche beim Heranwinken nach oben, bei südeuropäischen öfter nach unten (vgl. Crystal 1993: 402). Hier kann Kulturkontakt sich darin äußern, dass man die Form der Geste von der Kontaktkultur übernimmt. Bereits 1941 konnte Efron feststellen, dass italienische und jüdische Immigranten in den USA andere Typen von Regulatoren benutzen, die sich auch wieder von den in der anglophonen Kultur gebrauchten Regulatoren unterschieden. Die Sprecher in der zweiten Generation benutzten dann die im englischen Kontext üblichen Formen, aber diejenigen, die stärker ihren alten Traditionen verhaftet waren, gestikulierten immer noch nach italienischen oder jüdischen Mustern, auch wenn sie Englisch als dominante Sprache hatten (vgl. Ekman/ Friesen 1969: 69). Sehr stark kulturspezifisch sind die Embleme: So wird etwa als Emblem für Selbstmord in der amerikanischen Kultur ein Zeichen verwendet, bei dem man den Finger an die Schläfe hält. In Papua-Neuguinea greift man dagegen mit der Hand an den Hals (Würgegeste) und in Japan schlägt man sich mit der Hand gegen den Bauch. Vgl. die folgenden Beispiele: Abb. 11: Embleme für Selbstmord (aus Ekman 1980: 93) Kulturelle Unterschiede und Kulturkontakt in gesprochener Sprache 163 Umgekehrt kann auch ein und dasselbe Emblem in verschiedenen Kulturen etwas anderes bedeuten: So ist etwa ein typisches Emblem der deutschen Sprachgemeinschaft das Tippen mit dem Zeigefinger an die Stirn zu übersetzen mit "Du hast einen Vogel". In anderen Kulturen kann die gleiche Geste bedeuten, dass die Person besonders klug oder besonders dumm ist (vgl. von Raffler-Engel 1996). Ein weiteres Beispiel: Die Geste, bei der man mit dem Daumen und Zeigefinger einen Ring bildet, bedeutet in der amerikanischen Sprachgemeinschaft 'okay', in der japanischen 'Geld', in Spanien ist es ein Aufmerksamkeitssignal und in der venezolanischen Gesellschaft impliziert es eine Anzüglichkeit (vgl. dazu Poyatos 1988: 61, weitere Beispiele bei Remland 2004: 238ff.). Diese äußere Gleichheit der Gesten kann zu enormen Missverständnissen führen, aber da diese Zeichen auch erlernbar sind, können sie leicht von einer in die andere Kulturgemeinschaft übernommen werden. Grundsätzlich ist es schwierig, den Kulturkontakt im Bereich des nonverbalen Verhaltens zu erforschen. Hier greifen unsere herkömmlichen Methoden der Tonaufnahmen nicht, dazu ist die Auswertung von Videomaterial erforderlich. Meines Wissens existiert aber hierzu noch keine genauere Untersuchung im Bereich der Sprachkontaktforschung. Es gibt nur gelegentliche Hinweise aus Beobachtungen: So bemerkt Morsbach (1988: 194), dass die Koreaner nach dem Zweiten Weltkrieg die Geste des Händeschüttelns als Begrüßungsritual aus der westlichen Kultur übernommen hätten. Er berichtet auch, dass Japaner, die ihre Landsleute in Übersee treffen, diese mal mit der traditionellen Verbeugung und mal mit dem westlichen Händeschütteln begrüßen. Aus meinen eigenen Beobachtungen von Deutschsprachigen in Südtirol kann ich anführen, dass hier bestimmte Gestikulationsweisen des Italienischen übernommen wurden. Wenn die Sprecher das Gesagte besonders betonen wollen, imitieren sie eine italienische Geste, nämlich das Herunterschlagen der Arme mit gleichzeitigem Öffnen der Handflächen, auch wenn sie Deutsch sprechen. Dies würde sich mit den Ausführungen von Matras (1998) decken, der ja feststellt, dass "oral communication patterns" eher entlehnt werden, wenn sie gestenhaften Charakter haben, also der nonverbalen Kommunikation nahe stehen. Matras erklärt das damit, dass die Sprecher versuchen, sich der Kontaktkommunikationsgemeinschaft anzupassen und hier vor allem einen gewissen Sprechhabitus nachahmen. Dazu gehören Gesprächswörter genauso wie bestimmte Gesten. 9.1.4 Proxemik und interkulturelle Unterschiede Ein weiterer nichtsprachlicher Bereich, der durch kulturelle Konventionen geregelt ist, ist der Bereich der Proxemik. Hier geht es um physische Distanz und Nähe von Kommunikationspartnern und um die Ausrichtung der Kommunikation. Sowohl der Abstand als auch die Ausrichtung beruhen auf sozialen Konventionen: So sitzen etwa Nordamerikaner beim Gespräch ihrem Gesprächspartner Sprach- und Kulturkontakt 164 gerne gegenüber (face-to-face), während Chinesen bevorzugt neben den Gesprächspartnern sitzen (Porter/ Samovar 1994: 18). Ein sehr wichtiger Aspekt der Proxemik ist der Abstand zwischen Menschen bei sozialen Begegnungen. Abstand und Haltung von Kommunikationspartnern spiegeln die soziale Beziehung zwischen ihnen wider. Ein Forschungsverfahren ist hier, den Punkt zu bestimmen, bei dem die Menschen das Gefühl bekommen, andere treten ihnen zu nahe. Hier gibt es große kulturelle Unterschiede. In Lateinamerika halten die Menschen generell einen viel geringeren Abstand als in Nordeuropa oder Nordamerika. Während für einen Lateinamerikaner die normale Gesprächsentfernung 45 cm beträgt, beginnt bei Nordeuropäern dort schon die intime Zone. Allerdings ist diese Distanz in hohem Maße vom Kontext abhängig, so wird sie etwa in der Rush-Hour in öffentlichen Verkehrsmitteln völlig außer Kraft gesetzt (vgl. dazu Andersen 2012: 296). In diesen Bereich gehören auch die verschiedenen Berührungsarten: "Innerhalb einer Kultur ist der kommunikative Gehalt von Berührungen meist ziemlich eindeutig, umfassen sie doch einige der ursprünglichsten Arten sozialer Interaktion" (Crystal 1993: 401). In welchen Kontexten man z.B. dem Kommunikationspartner den Arm um die Schulter legen, die Hand geben, ihn umarmen oder küssen kann, unterliegt strengen sozialen Konventionen. Eine objektive Untersuchung des Berührungsverhaltens ist schwierig, aber es ist auch offensichtlich, dass in bestimmten Gesellschaften Berührungen viel häufiger vorkommen als in anderen. Man hat daher eine Einteilung in sog. 'Kontakt- und Nichtkontaktgesellschaften' vorgeschlagen. Die einen suchen Körperkontakt (Lateinamerikaner, Araber, Südeuropäer), die anderen meiden ihn (Nordeuropäer, Inder, Ostasiaten). 61 Crystal (ebd.) zitiert eine Studie von Jourard 1963, in der das Verhalten von Pärchen in Cafés beobachtet wurde: Dabei wurden in Puerto Rico im Durchschnitt 180 Berührungen in der Stunde, in Paris 110, in London dagegen keine einzige registriert. Man kann allerdings davon ausgehen, dass diese Unterschiede (nicht zuletzt auch aufgrund von Kulturkontakt) heute nicht mehr so deutlich ausfallen würden. Unterschiedliches proxemisches Verhalten führt immer wieder zu interkulturellen Konflikten und Missverständnissen. Im Kulturkontakt sollte hier eine Annäherung stattfinden. Meines Wissens ist aber dieser Bereich bisher noch nicht weiter untersucht worden. Viele kulturspezifische Einstellungen und Werte sind in bestimmten Diskurskonventionen institutionalisiert. In noch weit höherem Maße als für die gesprochene Sprache gelten aber diese Konventionen für die geschriebene Sprache. 61 Allerdings zeigen neuere Studien, dass man auch innerhalb der Kulturen noch einmal differenzieren muss, je nachdem, ob es sich um gleichgeschlechtliche oder andersgeschlechtliche Kontakte handelt (vgl. Dolphin 1994). Kulturspezifik und Kulturkontakt in geschriebenen Texten 165 9.2 Kulturspezifik und Kulturkontakt in geschriebenen Texten 9.2.1 Höflichkeit in geschriebenen Texten Auch in geschriebenen Diskursen machen sich unterschiedliche Muster von Höflichkeit bemerkbar. Wir finden direkte Auswirkungen des Sprachkontakts am häufigsten in öffentlichen Aufschriften in Sprachkontaktgebieten. So werden etwa in Südtirol Muster des Italienischen nachgeahmt (Beispiele aus Riehl 2001: 32, zweisprachige Beispiele mit Originalübersetzung): 98. a) Man bittet weder Motorräder noch Fahrräder abzustellen. Danke (Si prega di non posteggiare moto, motorini, biciclette. Grazie, Hauswand, Bozen) b) Wir ersuchen Sie höflich, die Sitzplätze Invaliden, Senioren oder Müttern mit Kleinkindern zu überlassen. Danke (Preghiamo gentilmente ai passeggeri di cedere i posti a sedere agli invalidi, seniori e madri con bambini piccoli. Grazie, Aufschrift im Stadtbus Bozen) c) Sehr geehrter Gast, wir haben Ihre geschätzte Anfrage erhalten, und beeilen uns, Ihnen Prospektmaterial über unsere Stadt zuzusenden. (Anschreiben des Verkehrsamts der Stadt Bozen) Ähnliches gilt für die deutschsprachige Gruppe in Ostbelgien. Hier sind die Höflichkeitsmuster vom Französischen beeinflusst (Beispiele aus Riehl 2001: 47): 99. a) Am Tag der Abreise, werden die Gäste gebeten das Zimmer für 10 Uhr zu räu- men. (frz. Veuillez quitter [...] pour 10h, Pension, Eupen) b) Würden Sie bitte Ihren Fahrausweis vorzeigen. (frz. Veuillez présenter votre ti- tre de transport s.v.p., Bus der TEC) c) Dürfen wir Sie bitten, wegen Störung der Nachtruhe, den Whirlpool nach 22.00 Uhr nicht mehr zu benutzen. (Appartement, Eupen) Diese Unterschiede in den Diskurstraditionen machen sich auch in anderen schriftlichen Texten bemerkbar. Besonderes Augenmerk ist dabei in der bisherigen Forschung auf das Schreiben von akademischen Texten gelegt worden. 9.2.2 Kulturelle Unterschiede und Kulturkontakt in akademischen Texten Was den Aufbau eines Textes oder die Konzeptualisierungsweisen betrifft, gibt es von Kulturgemeinschaft zu Kulturgemeinschaft ziemliche Unterschiede. Kaplan (1972) führt dies plastisch am Beispiel von Argumentationsstrategien in verschiedenen Kulturkreisen vor: Sprach- und Kulturkontakt 166 Abb. 12: Argumentationsstrategien (aus Kaplan 1972: 64) Während hier die englische Strategie ganz linear vom Anfang zum Ende verläuft, ist die semitische Strategie so angelegt, dass parallele Konstruktionen auftreten, wobei der Gedanke des ersten Abschnitts im zweiten vervollständigt wird usw. Die ostasiatische Strategie ist spiralförmig angelegt und das Thema wird aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Die romanische und slawische Strategie zeigen Ähnlichkeiten. Es wird hier eine gewisse Freiheit eingeräumt, abzuschweifen und Exkurse zu machen; die beiden Strategien unterscheiden sich lediglich in der Länge der Abschweifung und Ausführlichkeit der Parenthesen. 62 Außerdem endet der romanische Typ immer mit einer klaren Konklusion, während der slawische Typ eher abrupt aufhört (vgl. Clyne 1981b: 62). Clyne fügt noch hinzu, dass das Deutsche etwa zwischen dem romanischen und dem slawischen Typ anzusiedeln sei. Jedenfalls ist im Deutschen beispielsweise der "Exkurs" institutionalisiert, d.h. es ist erlaubt, allgemeinere und auch periphere zusätzliche Informationen mit einzubringen (Clyne 1987: 213f.). Allerdings ist dieses Modell etwas vereinfacht und plakativ: So wurde Kaplan auch vorgeworfen, seine Darstellung sei zu ethnozentrisch, favorisiere den Darstellungsstil von anglophonen Schreibern und vernachlässige kulturelle Unterschiede innerhalb der Gruppen (z.B. der ostasiatischen Schreiber) (vgl. Connor 1996: 16). Trotzdem war der Anstoß von Kaplan wichtig, um die kulturellen Unterschiede in den Argumentationsstrategien zu thematisieren und unterschiedliche Strategien aufzuzeigen. Ein weiteres Kriterium sind unterschiedliche Vorstellungen von der Wohlgeformtheit der Texte. In Bezug darauf gibt es nämlich verschiedene gesellschaftliche Anforderungen: Anforderung I: Texte sollen interessant, gehaltvoll, aufklärend sein (Schreiberorientiertheit) Anforderung II: Texte sollen gut lesbar, verstehbar, knapp, präzise, wohlgeordnet sein (Leserorientiertheit) Die angelsächsische Seite hat die zweite Anforderung kulturspezifisch stärker ausgeprägt, die deutsche (und auch romanische) Kultur die erste. In bereits in den 80er Jahren von Clyne u.a. durchgeführten Analysen von Aufsatzratgebern (essay- 62 Clyne (1987: 214) weist darauf hin, dass die Tatsache, dass diese Sprachen grammatikalisch ganz unterschiedlich strukturiert sind, eindeutig belegt, dass hier kulturelle Parameter für die Linearität verantwortlich sein müssen und nicht sprachlich-typologische. Kulturspezifik und Kulturkontakt in geschriebenen Texten 167 writing manuals) stellte sich heraus, dass in anglophonen Ländern ein wesentlich stärkeres Augenmerk auf Linearität in der Diskursstruktur und auf Relevanz, d.h. enge Beschränkung auf das formulierte Thema, gelegt wird. Diese Feststellungen im Bereich der schulischen Aufsatzpraxis lassen sich nun auch auf das akademische Schreiben übertragen. In einem Vergleich von deutschen und englischen wissenschaftlichen Artikeln hat Clyne (1987: 81f.) folgende Unterschiede festgestellt: Die deutschen Schreiber geben seltener Definitionen des Themas und der fachlichen Termini weichen häufiger vom Thema ab verfassen asymmetrischere Texte (Textteile haben unterschiedliche Längen) geben weniger explizite Ankündigungen und Definitionen legen ihre Gliederungen stärker hierarchisch an Englischsprachige Schreiber dagegen befolgen die Regeln, dass gleichgeordnete Texte gleich umfangreich sein sollen dass alle Textsegmente direkt aus dem vorgehenden folgen Clyne (1987: 238) begründet dies damit, dass Wissen in der deutschen Tradition idealisiert wird. Deshalb ist es nicht Anliegen eines Schreibers, dem Leser einen leicht lesbaren Text an die Hand zu geben, sondern ihn mit Wissen, Theorie und Gedankenanstößen zu versorgen. Die spezifische Makrostruktur und ein entsprechendes akademisches Sprachregister tragen dazu bei, den Status des Schreibers zu unterstreichen; er möchte sich mit seinem Produkt darstellen. Im anglophonen Kontext kommt dem Schreiber die Aufgabe zu, die Texte gut verstehbar zu machen, im germanophonen kommt die Aufgabe des Textverstehens dem Leser zu. Im Sprachkontakt, d.h. wenn deutsche Schreiber englischsprachige Texte verfassen, ergibt sich nun folgendes Bild: Während typische diskursstrukturelle Muster wie Abschweifung, Diskontinuität, Asymmetrie und stärkere Subordinierung beibehalten werden, kann man im Bereich der sog. advance organizers, das sind textstrukturierende Mittel wie I will now digress, eine Zunahme feststellen: In den deutschsprachigen Texten machen sie 47% aus, in den englischsprachigen 89% (ebd.). Diese Beobachtung ist auch mit der bereits erwähnten These von Matras (1998) in Zusammenhang zu bringen, wonach diskurssteuernde Mittel 63 ein eigenes Subsystem der Sprache bilden und leicht erkannt und übernommen werden können (s. S. 98). Die Makrostruktur eines Textes wird dagegen nicht so einfach als kulturspezifisch erkannt und damit auch die Andersartigkeit des Diskursmusters nicht durchschaut. Ähnliches stellt auch mejrková (1996) bei ihrem Vergleich von englischen und tschechischen wissenschaftlichen Artikeln fest. Ein interessanter Aspekt ist dabei, dass das tschechische akademische Schreiben bereits durch den Kulturkon- 63 Matras (1998) bezieht es nur auf die gesprochene Sprache (oral communication patterns), aber ich möchte das ebenso auf schriftliche Texte ausdehnen. Sprach- und Kulturkontakt 168 takt mit dem Deutschen beeinflusst ist. mejrková spricht hier vom sog. 'teutonischen Stil', der sich u.a. darin äußert, dass der tschechische Schreiber primär text- und nicht leserorientiert schreibt. Dieser Stil wird auch beibehalten, wenn die Schreiber englischsprachige Texte verfassen. Es wird dabei dem Leser nicht die Struktur offen gelegt, die dem Text zugrunde liegt: Es gibt kaum Abschnitte, und diese haben oft auch keine Überschrift. 64 Als ein weiteres Charakteristikum für den deutschen Wissenschaftsstil stellt Adamzik (1999) formale Richtigkeit und Aufbereitung der Forschungsliteratur heraus. Hier fällt besonders der Unterschied zum romanischen Stil auf. Denn dort gilt die Autorenrede als zentral. Dies bestätigte sich auch bei einer Untersuchung zum Schreiben von Seminararbeiten von Studenten aus Venezuela und Deutschland (Kaiser 2002): Die spanischsprachigen Schreiber legen viel stärkeren Wert auf die sprachlich-stilistische Ausformung als die deutschen. Ihr Text soll nicht nur informativ, sondern auch elegant sein. Außerdem sind die Arbeiten stärker wertend, Gefühle werden zum Ausdruck gebracht (mich interessiert, mich überrascht etc.). Die deutschsprachigen Studenten bemühen sich dagegen mehr um Objektivität und legen viel Wert auf formale Richtigkeit (Zitieren, Quellenangaben). In ihren Arbeiten werden auch Unsicherheit und Zweifel ausgedrückt (scheinen, erscheinen, den Anschein haben). Diese stärkere Gewichtung der sprachlich-rhetorischen Ausformung macht sich auch im Sprachkontakt zwischen dem Deutschen und romanischen Sprachen bemerkbar. Dies soll im folgenden Abschnitt dargestellt werden (s. Kap. 9.2.3). Ein ebenfalls wichtiges kulturspezifisches Kriterium bei wissenschaftlichen Texten ist die Selbstreferenz, d.h. inwiefern sich der Schreiber selbst in den Text einbringt. Dies äußert sich auf verschiedenen Ebenen des Textes (vgl. Heinrich/ Riehl 2011): Auf der Diskursebene: Ich-Kommentare in Form von Advance organizers (z.B. im Folgenden werde ich [...]). Hier hat der Ich-Bezug die Funktion, den Leser auf der Ebene des Diskurses zu unterstützen. Auf der Bewertungsebene: Ich-Kommentare in Form von Bewertung und Evaluation von Argumenten (ich bin der Meinung, dass; ich finde, dass). Der Ich- Bezug dient hier dazu, die Aussagen zu relativieren. Auf der Darstellungsebene: Der Text enthält narrative Passagen, in denen der Schreiber über sich selbst berichtet. In diesem Fall wird eigenes Erleben als Argument eingesetzt und eigene Wünsche und Einstellungen werden referiert. 64 Ein Überblick über ältere Studien zu Arabisch, Chinesisch, Japanisch, Koreanisch, Deutsch, Französisch, Spanisch und Tschechisch findet sich bei Connor (1996: 34ff.), ein weiterer Überblick über neuere Studien, v.a. zum Russischen, bei Breitkopf (2006: 17ff.), zum Vergleich mit dem Englischen auch Connor/ Nagelhourt/ Rozycki (2008). Kulturspezifik und Kulturkontakt in geschriebenen Texten 169 Selbstreferenz auf den verschiedenen Stufen bewirkt unterschiedliche Involvierung des Sprechers und unterschiedliche Subjektivität des Textes. Die verschiedenen Sprachgemeinschaften gehen mit diesem Problem unterschiedlich um. So kommt etwa im Russischen (oder im Tschechischen) durchaus Selbstreferenz auf der Bewertungs- und Darstellungsebene vor, im Deutschen ist das eher verpönt (Weinrich 1990 spricht sogar von einem "Ich-Verbot"). Hier gibt es sehr große Unterschiede zwischen den Kulturen (vgl. etwa Kaiser 2002, Breitkopf/ Vassileva 2007, mejrková 2007). Das Englische nimmt wohl eine Zwischenposition ein. Aber auch hier macht sich bereits der Sprachkontakt mit dem Englischen bemerkbar: Ich-Bezug auf der Diskursebene und teilweise auf der Bewertungsebene ist mittlerweile auch in deutschen akademischen Texten zu finden. Auch Breitkopf (2006) stellt in ihrer Untersuchung zum Ausdruck von Subjektivität in deutschen und russischen Zeitschriftenartikeln der Soziologie fest, dass trotz immer noch bestehender Unterschiede im Bereich der Selbstreferenz in den russischen Artikeln unter dem Einfluss von westlichen Traditionen ein Wandel stattfindet: In zunehmendem Maße werden die 1. Person Singular (die in der Sowjetzeit vom kollektiven Plural völlig verdrängt gewesen war) und relativierende Ausdrücke bei Definitionen verwendet. Auch die Anteile von modalisierenden Konstruktionen mit niedrigem Sicherheitsgrad nehmen zu. 9.2.3 Auswirkungen des Kulturkontakts: Beispiele aus Südtirol und Ostbelgien 9.2.3.1 Narrativ-rhetorische Gestaltung im romanischen Kulturkontakt Kulturkontakt kann sich auch darin zeigen, dass man bestimmte Diskurstypen mit einer gewissen Präferenz an die nächste Generation weitergibt und andere nicht. So befassen sich z.B. die deutschsprachigen Minderheiten oder Sprachgruppen, die im romanischsprachigen Kontext leben, in der Schule stärker mit narrativen Texten als die Schüler in Deutschland, und argumentative Texte werden später eingeübt. Das folgende Schema gibt einen Überblick über die Jahrgangsstufen, in denen erzählende und argumentative Texte zum Stoff gehören. Die Zahlen in Klammern geben fakultatives Auftreten an (Stand 2001): E RZÄHLENDE T EXTE A RGUMENTATIVE T EXTE S ÜDTIROL : ALLGEMEINBILDEND bis 9. ab 9./ 10. S ÜDTIROL : BERUFSBILDEND bis 11. ab 11. O STBELGIEN : ALLGEMEINBILDEND bis 9. (10.) ab 10. O STBELGIEN : BERUFSBILDEND bis 9. ab 11. D EUTSCHLAND : G YMNASIUM bis 7. (8.) ab 7./ 8. Tab. 3: Texttypen und Klassenstufen (aus: Riehl 2001: 118) Sprach- und Kulturkontakt 170 Das Schema zeigt, dass in Südtirol und Ostbelgien einerseits viel länger narrative Texte geschrieben werden, anderseits mit dem argumentativen Text später begonnen wird. Dies ist der Grund, warum die Schülerinnen und Schüler in den Sprachkontaktgebieten häufiger narrative Texte schreiben als die Schüler in Deutschland und narrative Elemente auch in die Erörterungen einbauen. Vgl. den folgenden Text aus einer Erörterung einer 17-jährigen Schülerin aus Ostbelgien: 100. Ich war 8 Jahr alt, als ich meinen 1. Französischunterricht erteilt bekam. Auch wenn ich viel über das blöde Französisch geschimpft habe, bin ich heute froh, mich mit Französischsprachigen verständigen (unterhalten) zu können. Ich finde die Mehrsprachigkeit so wichtig, daß ich mit 16 Jahren noch Niederländisch als Wahlfach gewählt habe. Bin ich mit der Schule fertig, kann ich mich in 4 Sprachen weiterhelfen, d.h. in viel mehr Ländern zurechtkommen. (aus: Riehl 2001: 231) Mit dem Einbau narrativer Passagen in argumentative Texte versuchen die Schreiber, ihre persönlichen Erfahrungen mit der Zweisprachigkeit einzubringen. Sie argumentieren hier mit der zwingenden Wahrheit ihres persönlichen Beispiels. Dadurch bringen sie verstärkt den Ich-Bezug auf der Darstellungsebene mit herein. Die stärkere Präsenz des narrativen Musters in den Texten der Südtiroler und ostbelgischen Schüler kann auch damit erklärt werden, dass in den romanischen Ländern der Umgang mit narrativen Texten einen höheren Stellenwert hat. In Deutschland zielt der Aufsatzunterricht eher auf die spätere Integration in die Gesellschaft und deshalb übt man schon relativ früh argumentative Texte ein. In den romanischen Kulturen dagegen legt man mehr Wert auf die spielerischästhetische Vermittlung von Inhalten. Deshalb wird die narrative und rhetorische Gestaltung von Texten stärker betont (s. Riehl 2001). 9.2.3.2 Indirekte Auswirkungen von Kulturkontakt Es gibt auch indirekte Auswirkungen von Sprach- und Kulturkontakt. Durch den fehlenden Umgang mit bestimmten Texten werden diskursspezifische Formulierungsmuster in der Erstsprache nicht beherrscht, die normalerweise beim Einüben der Diskurs- oder Textmuster mitgelernt werden. Erwirbt man dieses Diskursmuster nicht in dem entsprechenden institutionellen Kontext (z.B. in der Schule), sind sie einem nicht bekannt. Dies lässt sich etwa anhand einer Gebrauchsanweisung zeigen. Dieses Muster wird in Südtirol und Ostbelgien in der Schule nicht eingeübt, außerhalb der Schule werden die Schüler ebenfalls kaum mit Gebrauchsanweisungen in ihrer Erstsprache Deutsch konfrontiert, da sie meist inländische Produkte kaufen. Das führt dazu, dass bestimmte Formulierungen, die für diese Textsorte typisch sind, nicht beherrscht werden. So schreibt etwa eine 16jährige Schülerin aus Ostbelgien als Gebrauchsanweisung für eine Kaffeemaschine: 101. Nehmen Sie den Wasserbehalter hinaus und füllen sie ihn mit Wasser. Auf dem Wasserbehälter ist markiert bis wo sie füllen müssen für 2, 4, 6 oder 8 Tassen zu Zusammenfassung 171 erhalten. Dann stellen sie den Wasserbehälter zurück, so wie es den Pfeilen nach marquirt ist. Dann nehmen sie den Filter hinaus, stellen eine Filtertüte hinein und füllen sie mit Kaffee. Dann stellen Sie den Filter wieder so zurück wie es mit den Pfeilen markiert ist. Dann drücken Sie auf den roten Knopf, und die Kaffeemaschine fängt an zu laufen. Wenn das Lämpchen ausgeht ist der Kaffee fertig und noch voller Aroma. Achtung vor Kleinkindern aufbewahren. (vgl. Riehl 2001, CD-Rom, BL3.pdf) Wie der Text erkennen lässt, bereitet es den Schreibern große Schwierigkeiten die Tatsache zu versprachlichen, dass das Wasser entsprechend der Tassenzahl eingefüllt werden soll. Die Schreiberin bedient sich hier deshalb der etwas ungeschickten Formulierung bis wo sie füllen müssen. In der Umschreibung für...zu begegnet man doppeltem Sprachkontakt: Die Formulierung stammt einmal aus dem Dialekt, aber auch aus der französischen Kontaktsprache. Hinausnehmen ist von der Kontaktvarietät beeinflusst. Hier kommt es oft zur Verwechslung von hin- und her-. Außerdem finden wir hier eine typische Satzverknüpfung, die dem narrativen Schema entnommen ist, nämlich die Verknüpfung mit dann. Grundsätzlich kann man feststellen, dass sich Kulturkontakt dahingehend auswirkt, dass entweder bestimmte Diskursmuster direkt aus der Kontaktkultur kopiert werden oder dass sie aus anderen bekannten Textsorten, deren Diskursmuster man in der Erstsprache kennt, übernommen werden (z.B. im Falle der Gebrauchsanweisung das Muster eines Kochrezepts). Die dritte Möglichkeit wäre schließlich, dass man völlig neue Muster erfindet. Dieser Fall kommt allerdings in meinem Textcorpus nicht vor. 9.3 Zusammenfassung Wenn Sprachgemeinschaften in Kontakt treten, beeinflussen sich nicht nur ihre beiden Sprachsysteme, sondern auch bestimmte verbale und nonverbale Verhaltensweisen sowie kulturgeprägte Diskursmuster. Vor allem im Bereich der Höflichkeit und des nonverbalen Verhaltens gibt es große Unterschiede zwischen den Kulturen, die im Kulturkontakt von der einen Kulturgemeinschaft in die andere übernommen werden können. Untersuchungen auf diesem Gebiet stehen aber noch ganz am Anfang. Ähnliches gilt für Diskurstraditionen im Bereich der geschriebenen Sprache: Auch diese sind sehr stark von den verschiedenen kulturellen Traditionen und hier vor allem von Entscheidungen, welche Diskursmuster man an die nachfolgende Generation weitergibt (z.B. durch den Schulunterricht), geprägt. Kulturkontakt macht sich hier zum einen dadurch bemerkbar, dass die Textmuster der einen auf die andere Sprache übertragen werden oder dass andere Textmuster zur Verdeutlichung eines bestimmten Sachverhalts gewählt werden. Indirekte Auswirkungen des Kulturkontakts zeigen sich in der Unsicherheit beim Schreiben von Mustern, die in der jeweiligen Sprache unbekannt sind. 10 Sprachkontakt und ethnische Identität 10.1 Faktoren für Identität Identität ist ein sehr schwer zu definierender Begriff. Er bezeichnet eine Wechselbeziehung zwischen einem inneren Sich-Gleichsein und der Teilhabe an Charakterzügen, die spezifisch für eine bestimmte Gruppe sind. Auf dieser Dualität bauen Gruppen- und Personenidentität auf (Weber 1995: 202). Die Bildung der Identität durchläuft wichtige Phasen in der Präadoleszenz. Dies wird in der Zweitspracherwerbsforschung u.a. als Faktor für Probleme beim Erlernen einer Fremdsprache gesehen. Der Klang der eigenen Stimme hat eine wichtige identitätsbildende Funktion und kann so den Erwerb einer "fremden" Intonation behindern (s.o. Kap. 5.2.2). Was die soziale Identität betrifft, so nimmt sich der Mensch als Mitglied verschiedener Gruppen wahr. Als Faktoren dieser Gruppenbildung können Geschlecht, Rasse, Beruf, Religion, soziale Gruppe, Alter, Wohnort usw. herangezogen werden. Alle diese Faktoren dienen der Identifikation des Individuums und der Situierung des Selbst in einer bestimmten Situation. Deshalb muss man mit einer Verschiebung in der Gewichtung der Faktoren rechnen, da je nach Situation und Gesprächspartner jeweils eine andere Identität relevant wird. So kommt es etwa zu Solidarisierungen in Gesprächen, in denen jeweils verschiedene Gruppen sich zu einer 'Wir-Gruppe' zusammenschließen. Le Page/ Tabouret-Keller (1985) charakterisieren dieses Bemühen um die Konstruktion der eigenen Identität und die Suche nach einer bestimmten Rolle in der jeweiligen Gesprächssituation als "Acts of identity". Identitäten werden damit in sprachlichen Interaktionen konstruiert (vgl. Mair 2003a, Auer 2007). Die symbolische Identifikation mit einer bestimmten Gruppe in einer bestimmten Situation muss jedoch nicht bedeuten, dass der Sprecher diese in einer anderen Situation ebenfalls beansprucht. Nicht alle Identitätsfaktoren haben die gleiche Bedeutung für das Individuum. Ein sehr wichtiger Faktor ist jedoch die sog. 'ethnische Identität'. Diese ist Gegenstand einer kulturellen Festlegung, einer Symbolisierung. Es ist vor allem wichtig, welche Faktoren die Akteure selbst als signifikant für ihre ethnische Identität erachten. Hier spielen u.a. folgende Faktoren eine Rolle (Le Page/ Tabouret-Keller 1985: 209ff.): Körperliche Merkmale Geographische Zuordnung Religiöse oder rituelle Zuordnung Sprachliche Zuordnung Faktoren für Identität 173 Nur das erste Kriterium ist im Prinzip von sprachlichen Faktoren losgelöst, die anderen Zuordnungen können unmittelbar mit Sprache verknüpft sein. 10.1.1 Geographische Zuordnung und Sprache Die geographische Zuordnung kann in die Sprachbezeichnung eingehen, z.B. Bahasa Malaysia ('Sprache des Landes der Malaysier', vgl. Le Page/ Tabouret- Keller 1985: 235). Auf der anderen Seite gibt es wieder extrem lose Verbindungen von Sprache und Region, z.B. in Australien und Südamerika. Dort sind die Kommunikationsgemeinschaften multilingual, und es gibt andere Kriterien, wonach einzelne Sprachen ihren Sprechern zugeordnet werden. Le Page/ Tabouret- Keller (1985: 240ff.) führen ein Beispiel von australischen Sprachen am Kap Keerweer an. Dort werden die Sprachen mit Landbesitz und Totems gewöhnlich vererbt. Manchmal ist die geographische Zuordnung auch nur fiktiv und wird durch sprachliche Merkmale verstärkt: Ein Beispiel dafür ist die Rastafari-Bewegung (benannt nach dem äthiopischen Kaiser Ras Tafari Haile Selassie), die in Jamaika entstand und von dort nach London gelangte. Sie wurde zum Symbol einer Londoner Jugendkultur, die vermeintlich schwarze Kultur- und Sprachformen übernahm, um sich von der Elterngeneration abzugrenzen (vgl. Bechert/ Wildgen 1991: 147). Ähnliches passiert bei Migrantengruppen und deutschen Jugendlichen in den deutschen Großstädten, die eine gewisse Affinität zur türkischen Minderheitenkultur zeigen: Sie bauen türkische Wörter und Versatzstücke in ihre Gespräche ein und etablieren so eine eigene Sprachform. Damit untermauern sie ihre Identität als großstädtische multi-ethnische Gruppe, die die (sprachlichen) Normen der Mehrheitsgesellschaft ablehnt (vgl. Dirim/ Auer 2004, Wiese 2012; vgl. auch u. Rampton 1995). 10.1.2 Religiöse Zuordnung und Sprache Religiöse Zuordnung kann mit Sprache einhergehen, wenn fast identische Sprachen durch religiöse Abgrenzung als verschieden interpretiert werden. Ein Beispiel dafür ist die Panjabi-Sprachgemeinschaft, die sich 1951 in Sikhs und Hindus aufgespaltet hat. Die Sikhs nennen ihre Sprache weiter Panjabi, die Hindus nennen sie Hindi, obwohl es große Sprachunterschiede zum eigentlichen Hindi gibt. Damit werden also nicht-existierende Sprachunterschiede aufgrund religiöser Differenzen neu "konstruiert" (vgl. Le Page/ Tabouret-Keller 1985: 239). Ein ähnlicher, auf ethnischer Basis konstruierter, linguistischer Unterschied ist zwischen dem Kroatischen und Serbischen zu sehen. Bei der Trennung der Gemeinschaft in Serben und Kroaten wurden aus dem Serbokroatischen zwei unabhängige Sprachen geschaffen, obwohl sie bis auf einige Wörter und Laute identisch sind. Damit führt aber die Funktionalisierung von Sprache als Identitätssymbol auf längere Sicht zu einer Divergenz der beiden Sprachen. Sprachkontakt und ethnische Identität 174 10.1.3 Komplexe und instabile Zuordnungen Die direkte Zuordnung von Sprache und ethnischer Identität ist schwierig und nicht so einfach, wie das in westlichen Zivilisationen oft gesehen wird. Wenn ich behaupte: "Ich bin deutschsprachig, also bin ich Deutsche", ist das richtig. Für einen Österreicher ist dieser Satz aber nicht möglich, nur der umgekehrte Fall gilt hier: Wer Österreicher ist, spricht in der Regel Deutsch. Problematischer wird es schon in der Schweiz. Hier gilt weder die erste noch die zweite Behauptung. Wer Schweizer ist, spricht entweder Deutsch, Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch. Schon dieses Beispiel zeigt, wie kompliziert die Verbindung von Sprache und Identität ist, so dass Kremnitz (2000: 137) zu Recht behauptet, sprachliche Identität sei weder auf der Ebene der tatsächlichen Praxis noch auf der der symbolischen Besetzung so konstant [...], wie wir das auf den ersten Blick annehmen, weil es uns lange Zeit suggeriert wurde. Verschiedene Sprechergruppen legen ihren Sprachen ganz unterschiedliche symbolische Bedeutungen bei, oft auch innerhalb des Feldes einer einzelnen Sprache. Da, wie bereits erwähnt, die Zuordnung von Sprache und Ethnie in der Gesellschaft hergestellt wird bzw. von der Wahl der jeweiligen Gruppe selbst abhängt, sind sehr komplexe und auch instabile Zuordnungen zu erwarten. Es gibt eine Skala von sehr rigiden bis zu losen Zuordnungen (vgl. Bechert/ Wildgen 1991: 147ff.): Totemisierung von Sprache: Sprache ist ein Emblem für Identität. Sie kann eine Identität, die verloren ging, wiederherstellen. Reifizierung von Sprache: In etwas gemäßigterer Form wird die Sprache normiert, verschriftlicht und kodifiziert. Die normative Linguistik trägt damit zur Identitätskonstruktion bei. Benennung von Sprache und Sprechern: Eine Variante eines dialektalen Kontinuums wird willkürlich als Sprache bezeichnet. Diffuse Solidargemeinschaften: Die ethnische Identität von Emigranten kann ebenfalls durch sprachliche Mittel konstruiert werden. Ein prominentes Beispiel für die Totemisierung von Sprache ist die Wiedererweckung des Gälischen in Irland. Die Sprache war schon vom Aussterben bedroht, wurde aber reaktiviert und institutionalisiert (Schule, Medien etc.), um als Identitätssymbol zu fungieren (Nic Craith 2000 und u. Kap. 11). Beispiel für die Reifizierung von Sprache ist der Prozess der Verschriftlichung von Minderheitenvarietäten, die durch die Kodifizierung die Präsenz als Sprache erhalten, während sie vorher als Dialekt angesehen wurden (vgl. Pusch 2003). Ähnliche Bewusstseinsbildung kann auch eine zweisprachige Beschilderung und die Präsenz der Sprache in der Schule bewirken. Plötzlich wird eine ursprünglich als Dialekt der Dachsprache angesehene Varietät als eigene Sprache Faktoren für Identität 175 wahrgenommen. Als Beispiel lassen sich die Sprecher des Zoldanischen anführen, einer ladinischen Varietät im Veneto. Die Sprecher hatten ihre Sprache bisher hauptsächlich als italienischen Dialekt eingeschätzt, und erst durch die Änderung des Status' ihrer Sprache als anerkannte Minderheitensprache entwickeln sie nun eine eigene Identität als Ladiner (vgl. Zampolli 2001). Für Benennungen von Sprachen kann der Fall der südafrikanischen Bantusprachen als Beispiel herangezogen werden. Es gibt keinen zentralen Typ und die in jeweils angrenzenden Räumen gesprochenen Sprachen sind wechselseitig verständlich. Wenn man von einem Pol zum anderen schreitet, ändern sich die Sprachen kontinuierlich, so dass sich die Sprache am anderen Pol deutlich von der des Ausgangspunktes unterscheidet. Die Missionare bestimmten jedoch unabhängig von dieser Tatsache das Shona als Zentralvarietät des Bantu und so wurde es die Leitvarietät für die Bantusprachen (vgl. Le Page/ Tabouret-Keller 1985: 240). Als Beispiel für diffuse Solidargemeinschaften lassen sich v.a. Gruppen von Migranten anführen. Die ethnische Identität von Emigranten wird häufig geformt dadurch, dass man an Äußerlichkeiten hängt und eine Pseudo-Identität innerhalb einer "ethnisch desorganisierten [...] Gesellschaft" (Bechert/ Wildgen 1991: 148) konstruiert. Als Beispiel dienen die Chilenen-Deutschen, die eigentlich kein Deutsch mehr sprechen. Trotzdem verwenden sie als Zeichen ihrer Identität Versatzstücke wie bitte, danke, la Frau (als Anredeform) oder el Mädchen (für Dienstmädchen) in ihrer ansonsten spanischsprachigen Rede (vgl. Reiter 1993). Eine interessante Brechung zwischen Sprache und Identität stellt auch der Gebrauch einer Varietät dar, mit der man sich gar nicht identifiziert. So beobachtete etwa Rampton (1995), dass englische Jugendliche sprachliche Anleihen aus dem westindischen Kreol, Indian English oder Panjabi benutzen, um sich von standardsprachlichen Normen zu distanzieren. Rampton bezeichnet dies als crossing. Dirim/ Auer (2004) stellen ebenfalls Parallelen bei deutschen Jugendlichen fest; diese verwenden den von türkischen Jugendlichen kreierten Ethnolekt als Teil ihrer Jugendsprache. Dirim/ Auer sprechen hier von 'Transgression'. In ihren Untersuchungen konnten die beiden Autoren darüber hinaus feststellen, dass es deutsche Jugendliche gibt, die nicht nur Versatzstücke, sondern ganze Gesprächsphasen auf Türkisch verwenden. Dies kann einmal Affiliation mit den Türken, zum anderen aber auch Zugehörigkeit zu einer straßenorientierten Subkultur oder zu bestimmten jugendkulturellen Szenen symbolisieren (ebd.: 41ff.). Vgl. dazu auch die Diskussion zu 'Ethnolekt' und 'Multiethnolekt' in Kap. 7.3.2. Sprachliche Loyalität kann ein bedeutender Faktor für die Identität eines Individuums sein. Das Fehlen einer eigenen Sprache und Kultur kann die Entwicklung von Identität bei Jugendlichen sehr negativ beeinflussen (Oksaar 2003: 156). Untersuchungen zur Verwendung von Kreolsprachen in der Karibik zeigen, dass auch Sprachen oder Varietäten, die in einer Gruppe nicht mehr dominant sind, zwei wichtige Funktionen haben: Innerhalb der Gruppe fungieren sie als zusätzlicher Wir-Code ('we-code') und nach außen sind sie ein wichtiges Zeichen, um Sprachkontakt und ethnische Identität 176 Ethnizität zu demonstrieren und kommunikative Grenzen aufzuzeigen (vgl. Mair 2003b). Man kann also davon ausgehen, dass Sprache eine wichtige Rolle für die Gruppenzugehörigkeit spielt. Grundsätzlich kann der Prozess der Verdrängung durch die Zweitbzw. Landessprache aufgehalten werden, wenn die Erstsprache eine identitätsstiftende Wirkung besitzt. Der Bezug von sprachlich-ethnischer Identität zum Sprachkontakt ist allerdings sehr komplex. Ethnische Solidaritäten können einen externen Faktor bilden, der den Sprachkontakt behindert. Allerdings zeigen eine Reihe von Untersuchungen, dass ethnische Solidaritäten vielmehr durch den Sprachkontakt modifiziert werden und dann wegen veränderter Solidaritäten die Sprachmischung oder gar den Sprachwechsel beschleunigen können (Weber 1995: 207). Eine wichtige Selbstzuordnung treffen in diesem Kontext die Sprecher, die mit zwei Erstsprachen aufgewachsen sind, d.h. im eigentlichen Sinne primär zweisprachig sind. Sie definieren sich nun genau über ihre Mehrsprachigkeit: Auf die Frage: "Als was fühlst du dich? " antworteten die meisten: "als zweisprachig". In diesem Falle wird also eine neue Identität als Mischung zwischen beiden Sprachen und Kulturen konstruiert, die damit Sprachen und Kulturen zueinander in Kontakt setzt und die Grundlage für Sprach- und Kulturkontakt bildet. Wie bereits in Kap. 2.2.5 erwähnt, sind für viele Sprachgemeinschaften Mischcodes die Normalität, d.h. die Sprecher identifizieren sich gerade über diese. Unter den deutschsprachigen Minderheiten ist die Meinung weit verbreitet, dass man eine ganz eigene Form des Deutschen spricht, die dann auch entsprechend benannt wird: 'Russlanddeutsch', 'Rumäniendeutsch', 'Sauerdeutsch' (Transkarpatien) oder einfach 'Unser Deutsch' (Ostbelgien). Diese Varianten des Deutschen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie durch Sprachkontakt geprägt sind. Sie enthalten Elemente des Russischen, Rumänischen, Ukrainischen etc. oder auch Elemente der regionalen Dialekte. Die Identifikation mit diesem Deutsch ermöglicht es, Abweichungen vom Standarddeutschen zu tolerieren. In diesem Zusammenhang sind die Äußerungen zur Identitätsbildung bei den nach 1933 nach Palästina emigrierten deutschen Juden besonders aufschlussreich. In einem groß angelegten Projekt haben Anne Betten und ihre Mitarbeiterinnen 170 emigrierte Juden interviewt, die über 60 Jahre nach ihrer Emigration noch ein perfektes Deutsch sprachen (vgl. Betten 1995, Betten/ Du-nour 2000). In zahlreichen Interviews wird deutlich, dass die Verwendung des Deutschen nicht Teil der ethnischen Identität der Sprecher, sondern Teil ihrer kulturellen Identität ist: Die deutsche Sprache ist Ausdruck der deutschen und mitteleuropäischen Kultur, in der sich viele der Sprecher verwurzelt fühlen. Erstaunlich ist der geringe Anteil von Sprachkontakterscheinungen auch in informellen Passagen, der sich auf lexikalische und semantische Übernahmen beschränkt (vgl. Du-nour 2000). Die Vermeidung von Sprachkontakterscheinungen hängt offensichtlich mit dem hohen Sprachbewusstsein der Sprecher zusammen, das wiederum mit dem Bildungssta- Fallbeispiel 1: Ethnische Identität bei den Minderheiten in Südtirol 177 tus in Zusammenhang zu bringen ist. Viele von ihnen haben die Sprache noch an die zweite Generation weitergegeben, die ebenfalls eine gewisse kulturelle Verbundenheit mit den mitteleuropäischen Wurzeln verbindet (vgl. Betten forthc.). Als Beispiel für die Bedeutung von Sprache und Sprachkontakt für die ethnische Identität möchte ich im Folgenden zwei Fallbeispiele heranziehen, zum einen die Bestimmung von Identität bei den beiden Sprachminderheiten in Südtirol (10.2., nach Riehl 2002b), zum anderen die Bedeutung von 'Muttersprache' für die Identitätsbildung bei den Russlanddeutschen (10.3). 10.2 Fallbeispiel 1: Ethnische Identität bei den Minderheiten in Südtirol 10.2.1 Regionale und nationale Identität Neben den bereits in 10.1 erwähnten vielen Identitäten, über die ein Individuum verfügt, verfügt jeder Mensch auch über "multiple ethnische Identitäten" (Reiterer 1994: 19), die sich als "ineinander verschachtelte Lebenswelten begreifen" (ebd.) lassen. Man kann gleichzeitig Waliser, Brite und Europäer sein. Während die substaatlichen Identitäten eher eine Relevanz im Alltag haben, hat die Identität auf der staatlichen und überstaatlichen Ebene eher symbolhaften Charakter. In diesem Sinne verfügen Gruppen, die regionale Varietäten sprechen, einerseits über die Identität der Region (z.B. Bayer, Badener, Sachse), zum anderen über die Identität der Nation, der sie angehören und deren Nationalsprache sie ebenfalls sprechen (z.B. Deutscher), und darüber hinaus auch über eine übernationale Identität (z.B. Europäer). Haslinger/ Holz (2000: 21) führen drei maßgebliche Kriterien auf, die für die territorial-nationale Identität konstitutiv sind: das Staatsangehörigkeitsrecht die Sprache die Vorstellung, gemeinsamer Abstammung zu sein Das erste Kriterium und die beiden anderen decken sich aber häufig nicht. Bei Sprachminderheiten ist dies besonders problematisch, da sich die Sprache und Kultur der Region von der Sprache und Kultur der Nation unterscheidet. Dies bedeutet: Regionale sprachlich-kulturelle Identität und nationale Identität können in Widerspruch zueinander treten. 10.2.2 Der Sonderfall Südtirol Dieser Widerspruch wird besonders deutlich in Südtirol, der Autonomen Provinz Bozen, die nach dem Ersten Weltkrieg zu Italien kam. Sie stellt auf mehreren Sprachkontakt und ethnische Identität 178 Ebenen einen Sonderfall innerhalb der Minderheitengebiete Italiens dar. Erstens verfügt sie über ein Autonomiestatut, das den Minderheiten zahlreiche Rechte zubilligt. Zweitens leben dort zwei verschiedene Typen von Minderheiten, einmal die sog. 'Grenzminderheit' (dazu oben 4.2.3.1) der deutschsprachigen Südtiroler, die zugleich in der Provinz die Mehrheit bildet, zum zweiten die sog. 'Restminderheit' (ebd.) der Ladiner. Diese Gruppe gehört wiederum zur Minderheit der Dolomitenladiner, die auf drei italienische Provinzen verteilt ist. Südtirol war seit römischer Zeit romanisch besiedelt, aber bereits im 7. Jh. kamen Bajuwaren dorthin und es fand eine allmähliche Germanisierung statt. Das "Tiroler-Sein" war auch im Bewusstsein der Ladiner verankert, da sie gute Kontakte zu den deutschsprachigen Nachbarn pflegten, so dass man von einem jahrhundertelangen Sprach- und Kulturkontakt ausgehen kann. Als Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg zu Italien kam, wurde das Gebiet italianisiert; die Ladiner wurden nicht als Minderheit angesehen, da ihre Sprache als Dialekt des Italienischen eingestuft wurde. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, genauer seit 1972, hat Südtirol eine Autonomie mit zahlreichen Minderheitenrechten (vgl. dazu Eichinger 1996). Die zahlenmäßige Verteilung beträgt 69% Deutschsprachige, 26% Italienischsprachige und 4,5% Ladinischsprachige (vgl. ASTAT 2013). Diese unterschiedlichen Voraussetzungen wirken sich auch auf die nationale Identifikation und Bestimmung einer eigenen Identität aus. Die Ladiner bilden schon seit Jahrhunderten eine ethnische Minderheit mit starkem Eigenständigkeitsbewusstsein, die deutschsprachigen Südtiroler gehörten dagegen bis 1914 zur österreichischen Sprachgemeinschaft. Sie bezeichnen sich aber selbst als 'Deutsche'. 10.2.3. Die Konstruktion von Identität anhand von Sprecheraussagen Die Problematik ihrer Identität spiegelt sich nun darin, dass sich die Sprecher einerseits vom Italienischsein abgrenzen, andererseits aber auch ihre Identifikation mit Österreich ausgeschlossen ist: 65 65 Die Beispiele sind in leicht gekürzter Form aus Riehl (2002b) übernommen. Allerdings wurde die Transkription bis auf die Pausenzeichen ("-" = ca. 1 sec.) vereinfacht. Die Aussagen stammen aus Interviews mit Schülern aus Bozen und Meran in den Jahren 1993-1996. 102. Sprecherin A: 18 Jahre, Mutter: deutschsprachig, Vater: ladinischsprachig Sprecherin B: 18 Jahre, deutschsprachig Interviewerin: Claudia Riehl (= CR) A: Aber (--) sonst eignlich, wenn mi so jemand fragt, ja i (--) meine Antwort is 1 sowieso Ladinerin. Des is (-) von mir gsegn isch isch auch schwer, (-) die 2 (--) irgendeiner Nation zu zu (---) zuzugehören. Ich weiß net, i (--) jetz zum 3 Beispiel im Sport oder so, wenn man (-) haltet man ja a auf eine Nation, 4 (-) Weltmeisterschaften oder so, (-) bin i allm [=immer] für die Italiener. 5 Fallbeispiel 1: Ethnische Identität bei den Minderheiten in Südtirol 179 Des is sowieso keine Frage, [...] aber des isch dann, (-) des Nationendes 6 Nationalgefühl selber isch isch oft (-) eigenlich (--) oft woaß ma net genau, 7 wo (---) wo sich 8 CR: wo man sich dann zuordnet 9 B: Na, i schon, wenn i (-) zum Beispiel jetz in Österreich oder Deutschland 10 oder so irgendwo bin, dann merk i scho, dass i andersch bin, (-) halt (-) 11 mir kimmt vor, i fühl mi scho mehr als Italienierin, kann i mir net vorstelln 12 A: Ja, eben, aber wenn i unt(n) in Italien bin, dann merk i a, dass i andersch 13 bin. Eben sell [=dieses] isch, weil wenn i in Österreich draußen bin, (-) i 14 fühl mi net wie die Österreicher, i fühl mi a [...] net wie die Deutschen, aber 15 wenn i dann ganz runterkum nach Italien, dann bin i a andersch wie, des 16 isch (--) ja, aber net lei [= nur] die Sprache, (-) des ganze Verhalten. 17 In diesem Beispiel sprechen die Sprecherinnen davon, von welchen Gruppen sie sich unterscheiden. Die Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe erfolgt dabei immer durch das Abgrenzen von einer anderen: So fühlen sich die Sprecherinnen mehr als Italienerinnen (Z. 12), in dem Moment, wo sie mit anderen Deutschsprachigen (also Deutschen oder Österreichern) konfrontiert werden. Umgekehrt wird auch in Konfrontation mit Italienern das Anderssein wahrgenommen (Z. 13f.). Dies wird nicht nur an der Sprache, sondern auch am Verhalten festgemacht. Damit wird ein wichtiges Prinzip bestätigt, nämlich dass "die Konstruktion von Alterität [...] konstitutiv für die Konstruktion von Identität" ist (Haslinger/ Holz 2000: 17). Die eigentlich zweisprachige Sprecherin A kann sich dagegen eindeutig als Ladinerin bezeichnen, was für die Zunahme des Selbstbewusstseins der Ladiner spricht. Dies wird auch gefördert durch besondere Aktivitäten der Vereinigungen und durch die stärkere öffentliche Präsenz. Bei den deutschsprachigen Südtirolern ist das problematischer. Denn sie sprechen ja eine Sprache, die in anderen Nationen Staatssprache ist: 103. Sprecher A: 18 Jahre, deutschsprachig A: Ich glaub, dass sich die (-) die deutschsprachigen Südtiroler jetzt eine 1 eigene (-) Identität irgendwie aufgebaut haben, indem sie ihren Dialekt 2 noch sprechen. (-) Sie identifizieren sich da mit allen anderen, die diesen 3 besonderen Dialekt dann sprechen. (--) Dies sind dann die Südtiroler. 4 CR: Aus. Und na 5 A: Ja, ja, Südtiroler und nicht (-) äh und nichts zu tun mit den Österreichern, 6 (-) und Italiener sind Italiener, italienischsprechend. Wir sind Deutsche, (-) 7 deutsch im Sinn von deutschsprachig. 8 Auch dieses Beispiel macht klar, dass hier eine eindeutige Abgrenzung zu Vertretern der italienischen Gruppe, der man national zugehört, und den Österreichern, denen man historisch zugehört, gezogen wird. Einzig und allein die Zugehörigkeit zu den Deutschen wird bejaht, aber nicht im Sinne einer ethnischen Zuordnung, sondern rein auf sprachlicher Ebene (deutsch im Sinn von deutschsprachig, Z. 8). Dadurch entsteht auch eine starke Betonung der regionalen Kultur: Sie be- Sprachkontakt und ethnische Identität 180 ruht auf der Sprache und vor allem auf dem besonderen Dialekt. Dieser bekommt damit einen besonders hohen Symbolwert. Die deutschsprachigen Südtiroler pflegen allerdings auch das Heterostereotyp als Minderheit, d.h. dass sie von anderen als Minderheit angesehen werden. Es herrscht unter ihnen der Topos, außerhalb Südtirols wisse niemand Bescheid, dass es dort Minderheiten gebe. Das bedeutet wiederum ein Problem für die nationale Identität. Man wird nicht als der eigenen Nation zugehörig akzeptiert: 104. Sprecher A: 18 Jahre, deutschsprachig A: In Sizilien unten, haben sie immer gesagt, (-) schau diesen Österreicher 1 an, der so gut Italienisch spricht. Die waren ganz begeistert, (--) na han ich 2 gsagt, ja halt, naja, Südtirol ist halt schon [...] bei Italien, (-) habn sie gsagt, 3 ja wieso soll das bei Italien sein, das ist doch, (-) das war ihnen völlig un- 4 verständlich, sie wollten uns gleiam liebsten gleich wieder loshaben, 5 net? Und sag ja, wollt ihr bei Italien sein? Wieso seid ihrn dabei? Nur we- 6 gen dem Ersten Weltkrieg? Ja, des verstehen sie nicht, und so [...]. Des 7 habn sie irgendwie nicht realisiert, dass es Deutsche in Italien geben kann, 8 das ist irgendwie (-) was äh (--) Unrealistisches für sie. Das konnten sie ir- 9 gendwie nicht vorstellen. 10 Auch hier erscheint ein Topos: Vor allem Süditalienern wird die Einstellung zugeschrieben, Italien sei ein Land für Italiener, dass andere Nationalitäten dort leben, sei unrealistisch. Was unrealistisch ist, stößt gleichzeitig auf Unverständnis. Der Sprecher empfindet diese Haltung - wie viele Südtiroler - als Ablehnung (sie wollten uns gleiam liebsten gleich wieder loshaben, Z. 5) und als Ausgrenzung (Österreicher [...], der so gut Italienisch spricht, Z. 1f.). Diese Ausgrenzung empfinden die Ladiner nicht in dem Maße. Denn, auch wenn sie sagen, dass sie Ladiner sind, so ist das im Bewusstsein ihrer italienischsprachigen Landsleute zumindest eine romanischsprachige Varietät und kann von Laien als norditalienischer Dialekt angesehen werden. Zumindest ist die ladinische Sprache nicht die Staatssprache anderer Nationen wie das Deutsche. Die nationale Identifikation wird bei den Deutsch-Südtirolern auf eine andere Ebene verlagert, auf die Ebene des kulturellen Interesses. Dabei ist aber immer auch die Abgrenzung dieser Kultur von der eigenen regional definierten Kultur wichtig: 105. Sprecherin A: 19 Jahre, deutschsprachig Sprecher B: 18 Jahre, deutschsprachig A: Ich stehe sehr zu meinem (-) zu meiner Kultur, zu meinem Dialekt und (--) 1 zum zum Südtirol, (-) aber (---) ich bin auch sehr italienisch eingestellt, 2 auf der anderen Seite. 3 CR: mhm, mhm. du auch? [zu B] 4 B: Ich glaub, das geht uns allen so. (-) ich weiß nicht, wenn ich irgendwie 5 nach Italien fahr, dann fühl ich mich dort einfach nicht fremd, (--) und es 6 interessiert mich immer (-) immer irgendwie alles dort unten. So wie (--) 7 Fallbeispiel 1: Ethnische Identität bei den Minderheiten in Südtirol 181 jetz warn ma in Mantua zum Beispiel, das hat mir so gefallen, diese italie- 8 nischen Städte [...] Da kann ich mich irgendwie total damit identifizieren 9 und (--) ich (-) es würde mir so was fehlen, wenn ich irgendwie, (-) muss 10 ich auch sagen, es würde mir irgendwie völlig was fehlen, wenn wir, (-) 11 wenn ich von mir aus in Salurn einen Pass rausziehen müsste oder eine 12 Identitätskarte. 13 Die Betonung auf Pass bzw. Personalausweis ('Identitätskarte', Z. 13) zeigt sehr deutlich die Unterschiede zwischen nationaler Identität und Staatszugehörigkeit: Letztere bedeutet ein allgemeines Interesse an der Kultur des Landes, in dem man lebt. Hier erfolgt die Identifikation als Wahl und nicht aufgrund einer ethnischen Zugehörigkeit. 10.2.4 Überblick über die Unterschiede zwischen den beiden Minderheiten Die Gründe für die Unterschiede in der Konstruktion von ethnischen Identitäten zwischen den Minderheitengruppen sind in folgenden Punkten zu sehen: Ladiner Deutschsprachige Es war nie ein Problem, innerhalb anderer Nationen als eigene Ethnie zu leben. Sie waren bis zum Ersten Weltkrieg nie eine Minderheit, sondern gehörten zu einer großen Nation. Sie waren immer eine Minderheit und immer mehrsprachig. Sie waren immer einsprachig. Sie leben in drei Gruppen miteinander. Sie werden alltäglich mit den Problemen des Zusammenlebens der beiden Volksgruppen konfrontiert. Sie haben keine Probleme mit der Anerkennung als Italiener, weil sie eine romanische Sprache sprechen. Sie werden von Italienern außerhalb Südtirols nicht als Italiener anerkannt. 'Ladiner' ist Bezeichnung einer Ethnie mit einer eigenen Sprache, die auch kodifiziert ist. 'Südtiroler' ist die Bezeichnung einer substaatlichen Ethnie ohne eigene kodifizierte Sprache. Der Dialekt wird überdacht durch eine Sprache, die die Staatssprache in anderen Nationen (z.B. Deutschland, Österreich) ist. In diesem Zusammenhang ist wichtig zu erwähnen, dass die starke regionale Orientierung der Südtiroler und ihr Verhaftetsein mit dem Tirolerischen auch Sprachkontaktprozesse verhindert (s.o. S. 41). Sprachkontakt und ethnische Identität 182 10.3 Fallbeispiel 2: Der Begriff 'Muttersprache' bei den Russlanddeutschen Ein weiterer Aspekt, der den identitätsbildenden Charakter von Sprache betrifft, ist die Definition von 'Muttersprache' bei mehrsprachigen Sprechern. Wie in Kap. 1 erwähnt, spricht man aufgrund der komplizierten Konnotation dieses Begriffs 66 in der Spracherwerbsforschung nur mehr von Erstsprache, wobei es durchaus möglich ist, zwei Erstsprachen zu haben (= bilingualer Erstspracherwerb, vgl. Kap. 5.2.3). Für den Laien jedoch hat der Begriff 'Muttersprache' eine zentrale Bedeutung, da dies meist die Sprache ist, durch die man seine sprachlichethnische Identität definiert. Eine Umfrage bei den verbliebenen Deutschsprachigen in Russland (vgl. Berend/ Riehl 2008) ergab, dass Deutsch für die meisten Russlanddeutschen die 'Muttersprache' ist, auch wenn es die eindeutig schwächere Sprache ist, die von einigen sogar passiv nur schwer verstanden wird. Der folgende Ausschnitt mit dem Sprecher KE ist dafür typisch: 106. CR: Was würden Sie sagen, Herr E., ist Ihre Muttersprache? KE: kak? [russ. 'Wie bitte'? ] CR: Was ist Ihre Muttersprache? KE: Meine Muttersprache? Deutsch! [Bsp. Russland, Russ 1] Hier also hat der Sprecher beim ersten Mal die Frage nicht einmal verstanden und fragt auf Russisch nach (kak? = wie bitte? )! Trotzdem ist er der Meinung, dass Deutsch seine Muttersprache sei. Die Begründung dafür ist zum einen emotional: So behauptet etwa eine Sprecherin der dritten Generation, die Deutsch eigentlich auch nicht mehr spricht, Deutsch sei ihre Muttersprache, weil damit das "Gefühl" verbunden sei (vgl. Russ 22). Eine andere Sprecherin (TV) drückt das sehr treffend mit den folgenden Worten aus: 107. CR: Was würden Sie sagen ist Ihre Muttersprache? TV: Mein Muttersprache? (klopft sich auf die Wange) Das ist eine interessante Frage. - Im mein Herz liegt Deutsch. - In mein Kopf liegt Russisch! (lacht) [Bsp. Russland, Russ 20] Diese emotionale Komponente, die sie mit der Sprache verbinden, ist für viele Sprecher das entscheidende Kriterium, das das Deutsche zur Muttersprache macht. Bei anderen Sprechern spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle, was sie als Kind als Erstes gesprochen haben, oder was sie für eine Nationalität in ihrem Pass vermerkt haben. Das Kriterium, welche Sprache sie besser beherrschen, wird kaum diskutiert und wenn, dann interessanterweise gerade bei professionellen Sprechern, die eine hohe Kompetenz im Deutschen haben. So behauptet die folgende Informantin, eine Deutschlehrerin aus St. Petersburg (JS): 66 Dieser Begriff ist nicht nur sehr vielschichtig, sondern wurde auch im Sinne der Einsprachigkeitsideologie missbraucht (Lüdi/ Py 1984: 25; Kremnitz 2000: 135). Förderung von Mehrsprachigkeit zur Erhaltung kultureller Identität 183 108. CR: Wenn ich Sie jetzt frage, was ist Ihre Muttersprache? JS: Ich denke, doch Russisch. Denn Russisch mach ich keine Fehler. - Beim Russischsprechen mach ich keine Fehler! [Bsp. Russland, Russ 22] Insgesamt zeigt sich auch an diesen Beispielen, dass der emotionale Wert der Sprache ein sehr wichtiger Faktor für die Identitätsbildung ist. Sehr schön umschreibt dies auch das folgende bei Crystal (2000: 24) aufgeführte Zitat von Hendrik Stuurman, der den Verlust seiner Muttersprache als Identitätsverlust sieht: I feel that I have drunk the milk of a strange woman, that I grew up alongside another person. I feel like this because I do not speak my mother's language. 10.4 Förderung von Mehrsprachigkeit zur Erhaltung kultureller Identität Die in 10.2 und 10.3 aufgeführten Beispiele der Minderheiten in Südtirol und Russland haben gezeigt, dass die Unterstützung der sprachlich-kulturellen Identität vor allem bei Minderheiten ein entscheidender Faktor ist. In der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen ist dieser Aspekt mit verankert. Sie soll dazu beitragen, die Sprachenvielfalt in Europa zu erhalten, die ein wichtiges kulturelles Erbe ist. Die Förderung der Sprache und Kultur ist aber nicht nur von der staatlichen Förderung abhängig, sondern auch von den Einstellungen der Sprecher gegenüber ihrer Minderheitensprache. Oft ist unter den Eltern immer noch die Vorstellung verbreitet, dass ihren Kindern bessere Berufschancen offen stünden, wenn sie die Landessprache bzw. eine große europäische Kultursprache erwerben. Oksaar (2003: 159) kritisiert diese 'Entweder-oder-Mentalität', denn wie oben bereits erwähnt, geht es hier nicht um die Förderung der regionalen Identität und Regional- (bzw. Minderheiten-)sprache, sondern um die Förderung von Mehrsprachigkeit und damit einer Identität als Mehrsprachiger, so wie das bereits bei den bilingual aufgewachsenen Südtirolern der Fall ist. Außerdem muss diese Förderung von Minderheitensprachen auch im soziokulturellen Rahmen der Familie gesehen werden: Hier ist entscheidend, welches Modell zugrunde liegt, ein normatives oder rationales. Ein normatives Modell legt sehr großen Wert auf die Korrektheit von Sprache, d.h. dass die Kinder "richtig" sprechen. Dies kann dazu führen, dass die Kinder die Sprache nicht mehr sprechen wollen. Ein rationales Modell dagegen erlaubt Sprachkontakterscheinungen in Form von Sprachmischungen oder Code-Switching. Das Prinzip der kommunikativen Verständigung hat hier oberste Priorität (vgl. Oksaar 2003: 160f.). Auch García (2009) weist darauf hin, dass bilinguale Praktiken wie situationelles Code-Switching auch im Unterricht förderlich sein können. Sie verwendet dafür den Begriff translanguaging und versteht darunter den gleichzeitigen und hybriden Gebrauch verschiedener Sprachen. Sie sieht in dieser flexiblen Sprachverwendung eine geeignete Strategie, um den Anforderungen der multilingualen Sprachkontakt und ethnische Identität 184 Wirklichkeit in unseren modernen Gesellschaften zu entsprechen (vgl. dazu auch Busch 2013: 181f.). 10.5 Zusammenfassung Die Zuordnung von Sprache und ethnischer Identität ist sehr komplex und gerade für Minderheiten von großer Wichtigkeit. Die Bedeutung einer Sprache bei der Konstruktion von ethnischer Identität kann dazu beitragen, dass Entwicklungen des Sprachkontakts entgegengearbeitet wird, zumindest denjenigen Entwicklungen, die einen Verlust der Sprache durch Attrition bewirken würden. Andererseits kann die Identifikation mit einer dominanten Sprache auch zu Sprachwechsel führen. Wie die Fallbeispiele zeigen, kann in Sprachkontaktsituationen auch eine mehrsprachige Identität entstehen. Es kann auch zur Aufwertung eines Dialektes kommen (Beispiel: Südtirolerisch). Das emotionale Verhältnis gegenüber einer Sprache als Muttersprache kann Festhalten an der Varietät und damit Spracherhalt bedingen. Mit diesen beiden Extremen 'Sprachwechsel' versus 'Spracherhalt' wird sich das nächste Kapitel auseinandersetzen. 11 Spracherhalt und Sprachwechsel 11.1 Formen des Sprachwechsels In Kap. 10.2 wurde das Ladinische vorgestellt, eine Sprache, die trotz Integration in einen anderen Staat bewahrt wird, und das sogar über lange Zeit. Das Ladinische ist zwar stark durch Sprachkontakt mit dem Deutschen und Italienischen geprägt - es gibt zahlreiche Entlehnungen und Übernahmen - aber im Grunde blieb die Sprache über viele Jahrhunderte erhalten und wird von Generation zu Generation weitergegeben. In so einem Fall sprechen wir von Spracherhalt. Werden Staaten von anderen annektiert, ist die Situation meist anders: Die Sprache des eroberten Staates wird dann häufig von der Eroberersprache verdrängt. Ganz prominente Beispiele dafür sind die romanischsprachigen Länder. Von Frankreich wissen wir, dass dort vor der Eroberung durch die Römer eine keltischsprachige Bevölkerung angesiedelt war, die allmählich romanisiert wurde. Die keltische Sprache wurde dabei aufgegeben. In diesem Fall spricht man von Sprachwechsel. Aber auch hier gibt es Sprachkontakterscheinungen. Denn in solchen Fällen übernimmt die Eroberersprache etwas von der ursprünglichen Sprache, vor allem im Bereich des Wortschatzes (vgl. dazu ausführlicher Kap. 12). In Extremfällen führt der Sprachwechsel dann zum sog. 'Sprachtod'. D.h. eine kleine Sprache wird aufgegeben und verschwindet von der Landkarte. Heute sind weltweit etwa 500 Sprachen vom Aussterben bedroht, darunter sehr viele Indianersprachen und Sprachen auf dem afrikanischen Kontinent. Den Prognosen zufolge sollen in den nächsten hundert Jahren über 50% der Sprachen verschwinden (vgl. Grenoble 2011: 27). Bevor eine Sprache stirbt, erfährt sie meist Vereinfachungen durch Sprachkontakt (s.u.). Sprachwechsel und Sprachtod können miteinander einhergehen, müssen es aber nicht. Es sind drei verschiedene Konstellationen möglich: Sprachwechsel ohne Sprachtod: Das ist der Fall, wenn etwa die Bewohner einer Sprachinsel zur Mehrheitssprache übergehen, ihre Sprachinselsprache aber noch in anderen Gebieten gesprochen wird. Z.B. Deutsch in Chile wird aufgegeben, aber man spricht ja noch Deutsch in anderen Ländern. Sprachwechsel mit Sprachtod: Davon sind die meisten der kleinen Sprachen wie die Sprachen des afrikanischen Kontinents betroffen. Mit dem letzten Sprecher verschwindet die Sprache von der linguistischen Landkarte. Sprachtod ohne Sprachwechsel: Das ist der Fall, wenn ein Volk ausgerottet wird oder durch eine Katastrophe ausstirbt. Ein Beispiel dafür ist das Lower Chinook im Nordwesten der USA. Die Sprecher dieser Sprache starben durch die von den Weißen eingeschleppten Krankheiten (Thomason 2001: 235). Spracherhalt und Sprachwechsel 186 Sprachwechsel kann mehrere Aspekte beinhalten (nach Clyne 2003: 20): Änderung des Sprachverhaltens in einer ganzen Sprachgemeinschaft, in einer Teilgruppe der Sprachgemeinschaft oder beim Individuum Allmähliche Aufgabe oder abrupter Wechsel einer Sprache Wandel in einer Hauptsprache, einer dominanten Sprache (einer Gruppe oder eines Individuums), einer Sprache in einzelnen Domänen oder in einer der Sprachfertigkeiten (Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben) Am interessantesten für die Sprachkontaktforschung ist der Sprachwechsel, der sich in einer ganzen Sprachgemeinschaft und als allmählicher Prozess vollzieht, und als Wandel, bei dem die Hauptsprache der Sprecher betroffen ist. Allerdings beginnt dieser Prozess damit, dass die Sprache zunächst in bestimmten Domänen nicht mehr gesprochen wird. Damit gehen auch stilistische Varianten, die in diesen Domänen gebraucht werden, verloren. Der Wechsel vollzieht sich in fünf Stadien (vgl. Winford 2003: 258): 1. Monolinguismus der L1 2. Bilingualismus mit Dominanz der L1 in der Kommunikation innerhalb der eigenen Gruppe und Gebrauch der L2 außerhalb der Gruppe 3. Zunahme von Sprechern, die nur L2 benutzen und allmählicher Zusammenbruch der Diglossie-Situation 4. Verminderte Sprachkenntnisse und verminderte Verwendung von L1 5. L1 wird völlig durch L2 ersetzt und hinterlässt nur noch Spuren in L2 Sehr intensiver Sprachkontakt kann zwar zur Sprachmischung oder zur radikalen Veränderung einer Sprache führen. Für den Sprachwechsel sind diese Veränderungen aber nur dann verantwortlich, wenn dadurch die Sprache nicht mehr als vollkommen funktionstüchtiges Medium eingesetzt werden kann. Hier ist vor allem das Ausmaß und die Geschwindigkeit der durch den Sprachkontakt bedingten Veränderungen ausschlaggebend. Nach Thomason (2001: 228ff.) vollziehen sich an der Sprache, die allmählich aufgegeben wird, strukturelle Prozesse wie der Verlust von morphosyntaktischen Kategorien oder komplexen syntaktischen Kategorien. Die Sprache wird darüber hinaus vereinfacht. Zusätzlich kommt es auch zu einem Verlust stilistischer Varianten, d.h. die Sprache wird immer mehr reduziert. Es kommt also zu ähnlichen Prozessen wie bei der Pidginisierung, aber im Gegensatz dazu kann man beobachten, dass Elemente wie Verbklassen und Komposita oder auch abgeleitete Wörter noch erhalten sind, die man in prototypischen Pidgins nicht findet. Man könnte dieses Stadium eher mit einem ausgebauten Pidgin oder aber einer Interlanguage vergleichen (s.o. Kap. 5.2.4). Tatsächlich ist hier eine sehr hohe Variation bei den Sprechern zu beobachten, weshalb hier individuelle Spracherosion (attrition s. Kap. 5.3) und gesellschaftlicher Sprachwechsel (shift) ineinandergreifen (s. Riehl forthc. mit Beispielen aus dem Barossa-Deutschen). Faktoren für Spracherhalt und Sprachwechsel 187 Diese Vereinfachung, vor allem der Verlust von Vokabular in bestimmten Bereichen, hat zur Folge, dass man die Sprache nur noch eingeschränkt verwenden kann und dann zwangsläufig in vielen Bereichen auf die L2 zurückgreifen muss. Dafür kann auch der "verschlissene" Input verantwortlich sein, der an die nachfolgenden Generationen weitergegeben wird (vgl. Crystal 2000: 22). Der Sprachwechsel wird dann eingeleitet, wenn die Sprache überhaupt nicht mehr an die nächste Generation weitergegeben wird. Allerdings können hier sprachpolitische Maßnahmen zu einer Revitalisierung führen (s.u. Kap. 11.4). 11.2 Faktoren für Spracherhalt und Sprachwechsel Die Faktoren, die dazu führen, dass die Sprache in einem Fall erhalten bleibt und im anderen Fall ein Wechsel stattfindet, sind zahlreich und ihr Zusammenspiel ist sehr komplex. Im Einzelnen spielen u.a. die folgenden Aspekte eine Rolle: Zustand und Konstellation der Sprachen Bedingungen von Mehrsprachigkeit Kommunikationsbedingungen 11.2.1 Zustand und Konstellation der Sprachen Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass kodifizierte Sprachen mit einer langen literarischen Tradition weniger schnell verschwinden als nur in gesprochener Form existierende Sprachen oder Dialekte. Auch in letzterem Fall spielt es eine Rolle, ob die Sprache in allen oder nur in wenigen Domänen präsent ist. Daneben ist auch die jeweilige Konstellation der Kontaktsprachen bedeutend. Es kommt zum einen darauf an, welchen Status die Umgebungssprache hat: Hier gibt es sog. 'glottophage' Sprachen, d.h. Sprachen, die andere "fressen". Dazu zählt etwa das Englische, das sehr hohes Prestige besitzt, als Weltsprache angesehen wird und zudem keine komplexe Morphologie hat. Besonders in Afrika ist die Kompetenz in dieser Sprache ein erstrebenswertes Gut (vgl. Crystal 2000: 28). Daneben spielt auch die Verwandtschaft der Sprachen eine Rolle. Bei nahe verwandten Sprachen ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass Sprachkontaktphänomene übernommen werden und sich die Minderheitensprache an die Mehrheitssprache angleicht. Das ist z.B. der Fall beim Galizischen und Spanischen (vgl. das Beispiel in Auer 1998: 14ff.). Der Sprachwechsel kann allerdings auch zur Schaffung einer "Ersatzsprache" führen: So sind etwa die Kreolsprachen, die in vielen ehemaligen Kolonien gesprochen werden, aus Pidgins entstanden und ersetzen die ursprünglich dort gesprochenen autochthonen Sprachen. Spracherhalt und Sprachwechsel 188 11.2.2 Bedingungen der Mehrsprachigkeit 11.2.2.1 Migration Wie wir gesehen haben, ist der Hauptgrund dafür, dass die Sprecher verschiedener Sprachen in Kontakt treten, die Migration. Hier gibt es wiederum die verschiedenen Konstellationen (vgl. Kap. 4.2), die sich ebenfalls auf den Spracherhalt bzw. Sprachwechsel auswirken: Wie bereits erwähnt, führt die "normale" Emigration Einzelner immer zu einem Sprachwechsel (sog. 'Drei-Generationen-Modell', s.o. Kap. 4.2.4.2). Kolonisierung dagegen kann Sprachbewahrung nach sich ziehen, wie wir das im Falle vieler Sprachinseln sehen können (z.B. Deutsch in Osteuropa und Lateinamerika). Hierbei handelte es sich ursprünglich um geschlossene ländliche Siedlungen mit Sonderprivilegien. Allerdings muss man auch hier differenzieren: Während etwa die Russlanddeutschen nur in ländlichen Gegenden siedelten, zogen viele der beispielsweise nach Südamerika und in die USA auswandernden Siedler in große Städte, wo sie keine geschlossenen Siedlungsgebiete hatten. Die relative Geschlossenheit des Gebiets kann auch bei modernen Migranten den Spracherhalt über mehrere Generationen bewirken, wie das bereits in den ethnischen Vierteln 'Little Italy' und 'Chinatown' in den USA und neuerdings auch in einigen türkisch dominierten Bezirken deutscher Großstädte der Fall ist (vgl. Kap. 4.2.4). Einen wichtigen Faktor bildet dabei die Heiratspolitik, d.h. ob die Angehörigen der Sprachgemeinschaft nur untereinander heiraten (sog. 'Endogamie') oder ob es viele interethnische Ehen gibt (sog. 'Exogamie'). In den meisten Sprachinseln heirateten die Bewohner zumindest bis zum Zweiten Weltkrieg nur untereinander (s.u. S. 193). 11.2.2.2 Wanderung Ein weiteres Kriterium ist die Wanderung von Sprachgemeinschaften. Hiervon sind unterschiedliche Gruppen betroffen, vor allem aber religiöse Gruppen wie die Juden. So siedelten sich etwa die Sepharden nach ihrer Vertreibung aus Spanien (1492) in verschiedenen Gebieten des östlichen Mittelmeers an und bewahrten weiter ihre Religion und Sprache. Andere haben sich völlig assimiliert: Viele in Deutschland lebende Juden zu Beginn des 20. Jhs. bemühten sich, besser Deutsch zu sprechen als die nicht-jüdischen Deutschen. Sie waren die tragende Säule des deutschen Bildungsbürgertums (vgl. Betten 1995). Der Assimilierungsprozess ging aber meist auch mit der Auflösung der religiösen Bindung einher. Hiermit ist schon ein weiterer wichtiger Faktor für Spracherhalt angesprochen, nämlich die Religion bzw. Konfession. So wird die Sprache wesentlich besser und länger erhalten, wenn sich eine Sprachgemeinschaft auch in einem anderen religiösen oder konfessionellen Umfeld befindet (z.B. in Siebenbürgen, s.u. S. 193). Noch stärker ist der Erhalt der Sprache, wenn diese auch unmittelbar an die Religionsausübung geknüpft ist und sie als die Sprache der heiligen Schriften ange- Faktoren für Spracherhalt und Sprachwechsel 189 sehen wird. Diese Kombination findet sich etwa bei den deutschsprachigen Mennonitengruppen in Kanada und Mexiko oder bei den Amischen in Pennsylvania (vgl. auch o. Kap. 4.2.3.2). 11.2.2.3 Eroberung Historisch gesehen gab es viele Sprachwechselprozesse in der Zeit der Völkerwanderung. Die Eroberer konnten entweder ihre Sprache den anderen aufdrängen oder aber selbst die Sprache des eroberten Volkes übernehmen (als die Franken Gallien erobern, übernehmen sie die dort gesprochene romanische Sprache). Es gibt auch Formen der Amalgamierung des neuen Sprachguts, d.h. es wird in die Sprache integriert. Hier ist vor allem der Einfluss der Normannen in England hervorzuheben (vgl. Kap. 12.1). Eine andere Möglichkeit ist, dass die Sprache der Eroberten als Minderheitensprache erhalten bleibt. Das kann ganz unterschiedliche Auswirkungen haben, wie man an aktuellen Beispielen sieht: In Südtirol, wo die Minderheitensprache offiziell anerkannt und institutionalisiert ist, bleibt die Sprache ohne große Einwirkungen der Mehrheitssprache, im Elsass dagegen ist die Beeinflussung durch das Französische schon wesentlich größer (vgl. Gardner- Chloros 1991, Riehl 2002c). In besonders schwerwiegenden Fällen wird Gewalt angewendet. So wurden nach dem Zweiten Weltkrieg viele deutschsprachige Einwohner Oberschlesiens, des Ermlands, der Masuren, Kaschubei und Niederschlesiens als germanisierte Polen angesehen, die man "repolonisieren" musste: Die Verwendung des Deutschen war in diesen Gruppen nur noch in engster Privatsphäre möglich, aber selbst in ihrem eigenen Haus wurden die Leute teilweise bespitzelt und hatten unter großen Repressalien zu leiden (nach Informantenaussagen). Die schlimmste Form ist der Völkermord, der auch zum Sprachtod führt. Als Beispiele ließen sich hier eine Reihe von Indianerstämmen in Amerika oder die Einwohner von Tasmanien anführen (vgl. Winford 2003: 256). 11.2.3 Kommunikationsbedingungen Sprachwechsel beginnt zwar beim Individuum, hat aber Auswirkungen auf die gesamte Sprachgemeinschaft. Wenn immer mehr Sprecher die Sprache nicht mehr benutzen, finden diejenigen, die sie noch sprechen, immer weniger Kommunikationspartner, mit denen sie diese Sprache verwenden können. In vielen Fällen findet ein Generationenwechsel statt, d.h. die jüngeren Generationen sprechen die angestammte Sprache bereits nicht mehr (vgl. dazu den Fall der Deutschsprachigen in Mittel- und Osteuropa u. Kap. 11.3.2). Hier stirbt die Sprache mit den Sprechern der älteren Generation. Ein entscheidender Faktor ist dabei die Größe der Sprachgemeinschaft. Das lässt sich sehr gut in den osteuropäischen Ländern beobachten, in denen das Deutsche ursprünglich in geschlossenen Dorfgemeinschaften noch als Kommunikationsmittel diente. Mit der Abwanderung der Bewohner nach Deutschland Spracherhalt und Sprachwechsel 190 werden die Kommunikationspartner, die Deutsch sprechen, immer weniger und damit verschwinden auch die Verwendungsmöglichkeiten. Dies soll im Folgenden anhand von Spracherhalt und Sprachwechsel bei Minderheiten (11.3) gezeigt werden. 11.3 Spracherhalt und Sprachwechsel bei Sprachminderheiten 11.3.1 Sprachgebrauchswechsel am Beispiel der Ukraine Wie in Kap. 8 ausgeführt, treffen in vielen Gebieten, in denen Sprachminderheiten leben, nicht nur zwei Sprachen aufeinander, sondern verschiedene Varietäten der Sprachen, z.B. die Standardsprache und ein Dialekt von L1 und die Standardsprache und ein Dialekt von L2. Wir haben es also hier mit einer polyglossischen Situation zu tun, die nicht nur zu Sprachkontakt und Sprachwandel, sondern auch zu Varietätengebrauchswandel führt. Dieser Varietätengebrauchswandel kann maßgeblich verantwortlich für Sprachwechsel sein, wenn die Minderheitensprache nur noch in einer nähesprachlichen Form (d.h. als Dialekt) erscheint und in wenigen Domänen verwendet wird. Das lässt sich etwa zeigen am Beispiel der deutschen Sprachinsel in Transkarpatien (Ukraine), in der Nähe der slowakischen und rumänischen Grenze. Hier spricht die älteste Generation (vor 1932 geboren) noch einen Dialekt des Deutschen, aber auch eine Standardvarietät mit Einflüssen, die größtenteils aus dem Dialekt stammen. Die mittlere Generation (zwischen 1932 und 1952 geboren) verwendet ebenfalls den Dialekt und eine Standardvarietät, die schon sehr viele Kontakterscheinungen aus dem Ukrainischen und Russischen zeigt. Die jüngere Generation (zwischen 1952 und 1975 geboren) beherrscht nur noch den Dialekt, aber auch diese Varietät ist schon stark mit Kontaktphänomenen aus dem Russischen und Ukrainischen durchsetzt. Das Deutsche wird damit in seiner Verwendungsmöglichkeit auf den dörflichen und familiären Bereich eingeschränkt und die Umgebungssprachen werden als Standardsprachen und auch im schriftlichen Verkehr verwendet. Diese Einschränkung auf wenige Domänen und der abnehmende Gebrauch führen zu einem immer stärkeren Kompetenzverlust in der Muttersprache (vgl. Attrition 5.3), so dass diese nicht mehr an die nächste Generation weitergegeben wird. Die Konsequenz ist, dass die meisten der nach 1975 Geborenen das Deutsche nur noch als Fremdsprache in der Schule lernen (vgl. Riehl 2006). 11.3.2 Spracherhalt und Sprachwechsel am Beispiel des Deutschen in Mittel- und Osteuropa Diese gerade am Beispiel der Ukraine dargestellte Situation ist typisch für viele Sprachkontaktgebiete des Deutschen in Mittel- und Osteuropa und lässt sich in der folgenden Tabelle darstellen, die die Verteilung der Sprachen und Varietäten Spracherhalt und Sprachwechsel bei Sprachminderheiten 191 nach Generationen zeigt (L1' bezeichnet die später erworbene Dachsprache von L1): Gebiet Generation 1 (vor 1932 geboren) Generation 2 (zwischen 1932 und 1952 geboren) Generation 3 (zwischen 1952 und 1975 geboren) Generation 4 (nach 1975 geboren) Tschechien (Böhmen) dt. Dialekt L1 Standarddt. L1' Tschechisch L2 dt. Dialekt L1 Tschechisch L1 Tschechisch L1 Tschechisch L1 Standarddt. L2 Polen (Oberschlesien) Standarddt. L1 Polnisch L2 Standarddt. L1 Polnisch L1 Polnisch L1 Polnisch L1 Standarddt. L2 Ungarn dt. Dialekt L1 Standarddt. L1' Ungarisch L2 dt. Dialekt L1 Ungarisch L1 Ungarisch L1 Ungarisch L1 Standarddt. L2 Ukraine (Transkarpatien) dt. Dialekt L1 Standarddt. L1' Ukrainisch L2 (Ungarisch L3) dt. Dialekt L1 Standarddt. L1' Ukrainisch L1 Russisch L2 (dt. Dialekt L1) Ukrainisch L1 Russisch L2 Ukrainisch L1 Russisch L2 (Standarddt. L2) Russland dt. Dialekt L1 Standarddt. L1' Russisch L2 dt. Dialekt L1 (Standarddt. L1') Russisch L1 Russisch L1 (Standarddt. L2) Russisch L1 (Standarddt. L2) Rumänien dt. Dialekt L1 Standarddt. L1' Rumänisch L2 dt. Dialekt L1 Standarddt. L1' Rumänisch L2 dt. Dialekt L1 Standarddt.L1' Rumänisch L2 Standarddt. L1 Rumänisch L1 Tab. 4: Verteilung der Sprachen und Varietäten bei den deutschsprachigen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa Grundsätzlich ist zu bemerken, dass die komplexe polyglossische Situation, in der sich noch die ersten beiden Generationen befinden, abgebaut wird. Die zweite Generation benutzt als Standardsprache ihr Regionaldeutsch oder eine Mischvarietät, die vierte Generation lernt Deutsch als L2. Doch obwohl viele darin eine sehr gute Kompetenz erzielen, gebrauchen sie diese Sprache nicht in der Kommunikation mit der ersten oder zweiten Generation. Denn für diese ist die Standardsprache eine Sprache, die man nicht als Nähesprache (d.h. eine Sprache, mit der auch Emotionen verbunden sind) sprechen kann. Und dies ist der Punkt, an dem Sprachwechsel ansetzt. Eine Ausnahme, die aus der Tabelle ersichtlich ist, bildet Rumänien. Hier verfügen die Sprecher der ersten bis dritten Generation über eine sehr gute Kompetenz in Dialekt, Standarddeutsch und der Zweitsprache Rumänisch (sowie in den ehemals ungarischen Gebieten auch im Ungarischen). Trotzdem finden wir auch hier eine Reduktion der polyglossischen Situation: Es wird zunehmend das Regionaldeutsche als Sprache in der Familie verwendet und der Dialekt wird nicht mehr an die nächste Generation weitergegeben. Durch die Anforderungen der Zweisprachigkeit wird die Diglossie Dialekt-Standard zugunsten des Bilingualismus zurückgeschraubt (Rein 1999: 45). Aber dadurch findet hier im Gegensatz zur Ukraine und anderen Gebieten in Osteuropa kein Sprachwechsel statt, sondern die Sprache bleibt weiter erhalten. Spracherhalt und Sprachwechsel 192 Es sind nun unterschiedliche Bedingungen dafür verantwortlich, dass die deutsche Sprache in der jeweiligen Sprachgemeinschaft bewahrt oder zugunsten der Mehrheitsoder/ und Umgebungssprache aufgegeben wurde (im Folgenden nach Riehl 2008). 11.3.2.1 Externe Faktoren Typus der Siedlung Einer der wichtigsten Faktoren für den Spracherhalt ist der Typus der Siedlung, d.h., ob es sich um geschlossene, rein deutsche Siedlungsgebiete handelt, wie etwa historisch gesehen bei den Wolgadeutschen oder den Siedlungen des Banat oder um gemischte Ansiedlungen, wie man sie z.B. in der Dobrudscha oder in der Bukowina vorfand. Erstere definieren sich über die gemeinsame Abstammung und über ihre angestammte Sprache, letztere gerade durch ihre Mehrsprachigkeit und fehlende regionale Identität. Der zweite Typus der Siedlung findet sich auch in den Städten: Städte sind grundsätzlich immer Zentren der Mehrsprachigkeit (berühmte Beispiele dafür sind Prag oder St. Petersburg im 19. und beginnenden 20. Jh.) und oft in ein anderssprachiges Umland gebettet. Die mehrsprachige Stadtkultur ist vor allem typisch für Ungarn. Städte haben darüber hinaus eine wichtige Funktion im Hinblick auf Sprachausgleich und die Kultivierung einer Standardsprache. Während das Deutsche in den vergangenen Jahrhunderten in den Dörfern nur als Haus- und Umgangssprache gepflegt wurde, hatte es in den Städten den Status einer Kultursprache, die auch als Fremdsprache erworben wurde. Diese äußeren Bedingungen hatten wiederum Auswirkungen auf das Prestige der deutschen Sprache (s.u.). Größe der Sprachgemeinschaft Je kleiner die Gemeinschaft und je offener die Gruppe, desto mehr ist es erforderlich, dass man Kontakt zu Sprechern der Umgebungssprachen pflegt und weitere Sprachen beherrscht. Allerdings gilt hier: Der Weg zum Sprachwechsel führt zwar über die Mehrsprachigkeit, Mehrsprachigkeit ist aber nicht zwingend ein Grund für Sprachwechsel. Denn hier spielt der Bildungsstand der Sprecher eine entscheidende Rolle. Je höher der Bildungsgrad, desto größer ist die Sprachpflege und die Sorge um den Erhalt von Mehrsprachigkeit. Diese wurde vor allem in den städtischen Zentren der österreichisch-ungarischen Monarchie sehr gepflegt. Prestige der Sprache Ein weiterer bedeutender Faktor ist das Prestige des Deutschen im Vergleich mit den Umgebungssprachen. Dies hängt ebenfalls mit dem Sozialgefälle der Sprachgruppen zusammen: In einer mehrsprachigen Gesellschaft stellt der leichte Zugang zu einer dominierenden Sprache eine Begünstigung dar. Sprecher von Minderheitensprachen assimilieren sich häufig an ethnische und sprachliche Gruppen, die bessere Aufstiegschancen besitzen. Allerdings kann es hier durch Spracherhalt und Sprachwechsel bei Sprachminderheiten 193 unterschiedliche Allianzen und die Verschiebung des Einflussbereichs einer Gruppe auch zu einem Wechsel des Prestiges kommen. Für das Deutsche in Osteuropa gilt das vor allem für die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, wo das Prestige gleichsam auf Null gesunken war. Einen großen Prestigeschub gab es dann nach 1990, da die deutsche Sprache von vielen Osteuropäern als Chance für wirtschaftlichen Aufstieg gesehen wurde. Grad der Institutionalisierung Ein anderer Aspekt ist der Institutionalisierungsgrad des Deutschen, d.h., ob es als offizielle Sprache an Schulen und in Vereinen vertreten ist und ob es deutschsprachige Medien gibt. Dies hängt zusammen mit dem juristischen Status, d.h. einer offiziellen staatlichen Anerkennung der Minderheitensprache. Gerade dieser Aspekt kann in hohem Maße von organisiertem Sprachmanagement gesteuert werden (s.u. 11.4). In Gebieten, in denen die deutsche Sprache als Amtssprache anerkannt war, wie beispielsweise in der Wolgarepublik, war die deutsche Sprache Unterrichtssprache, Sprache der Öffentlichkeit und der Medien. Noch in den 20er Jahren waren die deutschsprachigen Zeitungen sehr wenig von der Kontaktsprache beeinflusst und konnten als Sprachnorm dienen. Kontakt zum Mutterland Wichtig für den Erhalt der Sprache ist auch der Kontakt zum "Mutterland", der entweder durch ständigen Nachzug neuer Siedler aus dem geschlossenen deutschen Sprachraum erfolgen kann oder indem man junge Leute zur Ausbildung dorthin schickt. Wie bereits erwähnt, gab es in einigen Kolonien Neuzuzug von Siedlern, der sich aber nur über eine kurze Zeit erstreckte. Anders ist die Situation in den städtischen Zentren, in denen immer wieder neue Arbeitsmigranten zuzogen. Sie kamen nicht nur aus den unterschiedlichsten Regionen des deutschen Sprachraums, sondern brachten auch sprachliche Neuerungen aus dem Mutterland mit. In den Grenzgebieten zu Deutschland oder Österreich und im Kleinstaat Siebenbürgen wurden, wie bereits erwähnt, lange Zeit junge Leute zum Studium oder zur Fachausbildung in deutsche oder österreichische Orte geschickt. Sie wurden ebenfalls mit Neuerungen in der Standardsprache konfrontiert und brachten diese wieder in ihre Heimat mit. In neuerer Zeit besteht dieser Kontakt auch durch den Empfang von Rundfunk- und Fernsehprogrammen aus den deutschsprachigen Ländern. Endogamie und religiöse Bindung Schließlich sind noch zwei weitere Faktoren zu bedenken, die für den Erhalt der Sprache besonders wichtig sind: das Ausmaß der Endogamie und die religiöse Bindung an die Sprache. So waren etwa in Siebenbürgen vor dem Zweiten Weltkrieg Mischehen zwischen Deutschsprachigen und Rumänischsprachigen verpönt. Gemischtsprachige Familien waren daher selten. In der gleichen Gruppe unterschied sich die deutschsprachige Bevölkerung auch von der rumänischsprachigen und von anderen Nationalitäten dadurch, dass sie dem protestantischen Spracherhalt und Sprachwechsel 194 Glauben anhing. Die Messen werden daher noch heute auf Deutsch abgehalten. Ganz anders ist das etwa in Ungarn, wo die deutschsprachige Bevölkerung in der großen Mehrheit die gleiche Konfession hatte wie die ungarischsprachige Umgebung, nämlich römisch-katholisch. Auch in der Ukraine (Transkarpatien) ist festzustellen, dass nach Auflösung der deutschsprachigen Messen die römischkatholische deutschsprachige Bevölkerung ungarische Messen besuchte und dies auch heute noch tut. 11.3.2.2 Interne Faktoren Zu den gerade erwähnten externen Faktoren kommen noch die bereits in 11.2.1 aufgeführten sprachinternen Faktoren hinzu: In den meisten Gebieten deutschsprachiger Minderheiten konnte ursprünglich die deutsche Standardsprache im schulischen Kontext erworben werden. Sobald aber die deutsche Sprache nicht mehr in der Schule gelehrt wurde, wurde das standardsprachliche Dach von der Mehrheits- oder Umgebungssprache eingenommen. Das hat auf sprachstruktureller Ebene zur Folge, dass sprachliche Neuerungen entweder unterbleiben, da sie nicht mehr aus der deutschen Standardsprache übernommen werden können und somit die Dialekte archaischer sind, dass aber andererseits Elemente aus der Kontaktsprache entlehnt werden. Was den Verwandtschaftsgrad des Deutschen mit den Kontaktsprachen betrifft, so ist der Unterschied zu den slawischen Sprachen einerseits und zur rumänischen Sprache andererseits nicht so gravierend, dass hier große Auswirkungen auf ein unterschiedliches Tempo der Sprachmischungsprozesse zu erwarten wären: Tatsächlich beobachtet man nur, dass es im Rumänischen mehr etymologisch verwandte Wörter gibt, die ihre Bedeutung in Analogie zur Kontaktsprache ausdehnen (z.B. prätendieren < rum. a pretinde 'fordern', komplettieren < rum. a completa 'ergänzen' etc.). Beim Sprachkontakt mit dem Ungarischen ist zu erwarten, dass aufgrund der typologischen Verschiedenheit der beiden Sprachen die Sprachmischungsprozesse verlangsamt werden. Allerdings sprechen dagegen Beobachtungen von Földes (1996: 30f.), wonach im deutsch-ungarischen Sprachkontakt sogar morphologischer Transfer von Suffixen stattfindet (s.o. Kap. 6.2.5). 11.3.2.3 Soziopsychische Disposition der Sprecher Ebenfalls als Parameter ist die soziopsychische Disposition der Sprecher anzuführen. Darunter versteht man Einstellungen und Meinungen gegenüber der eigenen Sprache. Diese Einstellung ist natürlich stark vom Prestige der Sprache geprägt. Allerdings muss man hier zwischen dem offenen Prestige (overt prestige), d.h. der offiziellen Anerkennung der Sprache, und dem verdeckten Prestige (covert prestige) unterscheiden. Dieses liegt dann vor, wenn Sprachen eine starke Identitätsfunktion haben. Dann wird der Sprache in der Regel eine sehr positive Einstellung von Seiten der Sprecher entgegengebracht (vgl. o. Kap. 10.2 zur Identität bei den Ladinern). Spracherhalt und Sprachwechsel bei Sprachminderheiten 195 Wenn die Minderheitensprache eine dialektale Varietät ist, die nicht durch die Standardsprache überdacht ist, kann auch eine ablehnende Haltung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Dialekten im Allgemeinen (auch denen in der eigenen Sprache) eine negative Einstellung gegenüber dem Minderheitendialekt zur Folge haben. Diese Problematik zeigt sich in Osteuropa nicht, aber in einer anderen Sprachgemeinschaft mit Deutsch als Minderheitensprache, nämlich im Elsass: Der elsässische Dialekt wird aufgrund der allgemein negativen Bewertung von Dialekten in Frankreich besonders von den Jugendlichen als "retro" eingestuft (vgl. Helfrich 1999). Die deutsche Standardsprache wird dagegen nicht als indigene Sprache betrachtet, sondern gilt als "Sprache der Nachbarn". 11.3.2.4 Auswirkungen der Faktoren Diese verschiedenen Faktoren haben nun in unterschiedlicher Gewichtung und Bündelung Auswirkungen auf Spracherhalts- und Sprachwechselprozesse. Allerdings ist hier davon auszugehen, dass sowohl die Kombination der Faktoren als auch ihre Gewichtung in den verschiedenen historischen Epochen unterschiedlich ausfällt. Bis zum Ersten Weltkrieg waren vor allem die folgenden Faktoren für den Spracherhalt wichtig: Der Status des Deutschen als Kirchensprache Das Prestige der Sprache Der geringe Ausbau der Umgebungssprachen (v.a. als Amtssprachen) Die relativ hohe Zahl der Kommunikationspartner Heute sind die Gründe für Sprachwechsel (in vielen deutschen Sprachgemeinschaften Mittel- und Osteuropas) im Wesentlichen in den folgenden Faktoren zu sehen: Der Verlust des Deutschen als Schulsprache Der Verlust des Deutschen als Sprache der Religionsausübung Der fehlende Zugang zu Medien Die Abwanderung der intellektuellen Schichten Ganz anders ist die Situation in den Sprachgemeinschaften, in denen eine kontinuierliche schulische Ausbildung in deutscher Sprache möglich war und in denen vor allem Intellektuelle wie Lehrer und Pfarrer im Land blieben (Beispiel Rumänien). Allerdings ist hier der massive Bevölkerungsexodus für eine Auflösung vieler Kommunikationssituationen des Deutschen verantwortlich. Spracherhalt und Sprachwechsel 196 11.3.3 Übersicht über die Faktoren für Spracherhalt und Sprachwechsel Die verschiedenen Faktoren, die einen Einfluss auf Spracherhalt und Sprachwechsel haben können, sollen in der folgenden Übersicht noch einmal zusammengefasst werden: Externe Faktoren: Bedingungen des Raumes Größe und Geschlossenheit, Siedlungstyp, Anzahl der Sprecher Bedingungen der Anerkennung Institutionalisierungsgrad der Minderheitensprache, religiöse Bindung, juristischer Status, schichtenspezifische Verteilung Bedingungen der Sprachenkonstellation Ausbau und Prestige der Umgebungssprache(n), Ebenen der Formalität/ Informalität Bedingungen des Sprecherkontaktes Kontakt zum "Mutterland", Kontakt zu Sprechern der Umgebungssprache(n), Ausmaß der Endogamie Interne Faktoren: Bedingungen des Sprachausbaus Überdachungssituation, Kodifizierung Bedingungen der Sprachtypologie Verwandtschaftsgrad der Kontaktsprachen Soziopsychische Disposition: Bedingungen der Sprechereinstellung Einstellungen gegenüber der eigenen Sprache, Funktion der Sprache als Identitätsmarker In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu betonen, dass die jeweiligen Faktoren in jeder Konstellation eine andere Rolle spielen. Allerdings gibt es eine gewisse Hierarchie: Einstellungen gegenüber Sprache und ihre Operationalisierung als Identitätsmarker werden im Wesentlichen von den Bedingungen der Anerkennung und Sprachenkonstellation geprägt. Spracheinstellungen beeinflussen das Sprachverhalten bzw. die individuellen Sprachverhaltensentscheidungen (vgl. Maitz 2005: 92ff.). Diese wiederum sind der ausschlaggebende Punkt für den Spracherhalt, denn dieser ist maßgeblich davon bestimmt, ob Sprecher die Sprache verwenden oder nicht und vor allem davon, ob sie sie an die nächste Generation weitergeben. Die Mechanismen des Sprachverhaltens sind m.E. sehr überzeugend in der Sprachmanagementtheorie dargestellt. Daher soll im Folgenden kurz auf diese Theorie eingegangen werden. Spracherhalt durch Sprachenpolitik und Sprachmanagement 197 11.4 Spracherhalt durch Sprachenpolitik und Sprachmanagement Man kann feststellen, dass Spracherhaltsbemühungen und spracherhaltende Institutionen Sprachwechsel verhindern oder bremsen oder in einigen Fällen sogar rückgängig machen können. Beispiele dafür sind das Gälische in Irland und das Kymrische in Wales. In beiden Fällen haben intensive sprachpolitische Bemühungen Sprachwechselprozesse zumindest vorübergehend gestoppt - dies nicht zuletzt auch durch die Entstehung einer Pop- und Rockszene in der Minderheitensprache (vgl. Heinecke 2000: 95). Die Bedingungen der Anerkennung der Sprache innerhalb der Gesellschaft und auch die Verwendung durch prestigereiche Sprechergruppen (z.B. Politiker oder Popstars) kann das Ansehen der Sprache so stärken, dass es zu Spracherhalt kommen kann. Joshua Fishman hat in diesem Zusammenhang eine sog. Graded Intergenerational Dislocation Scale (GIDS) entwickelt, die die einzelnen Schritte aufzeigt, die nötig sind, um Sprachwechsel aufzuhalten bzw. rückgängig zu machen: Diese Skala reicht (im Extremfall) von der Rekonstruktion der Minderheitensprache und ihrem Erwerb bei Erwachsenen über Weitergabe an die Kinder, Verwendung in der Schule bis zum Gebrauch im gesamten Bildungsbereich, den Medien und auf Regierungsebene (vgl. Fishman 2004: 426ff.). Eine ganz besondere Stellung kommt dabei der sprachlichen Bildung und der Schriftlichkeit in der Minderheitensprache zu (vgl. Hornberger 2010). Grundsätzlich sind unter Sprachenpolitik alle Formen von Bemühungen zu fassen, die die natürliche Sprachpraxis innerhalb einer bestimmten Gruppe modifizieren oder beeinflussen wollen. Das kann durch einfache Interventionen (z.B. in einer Firma wird eine bestimmte Sprache festgelegt) oder durch Planungen auf politischer Ebene (Sprachgesetzgebung) geschehen, ist aber auch durch direktes Eingreifen in einer spezifischen Sprachsituation möglich (Spolsky 2004: 5ff.). Das bedeutet, dass die Beeinflussung des Sprachgebrauchs sowohl in der individuellen Interaktion stattfinden kann, aber auch auf der gesellschaftlichen Ebene in Form von Sprachplanung. Jernudd und Neustupný (1987) haben hier den Terminus Language Management eingeführt. Sprachplanung auf der Mikroebene ist demnach einfaches diskursbasiertes Management und Sprachplanung auf der Makroebene organisiertes Sprachmanagement. Letzteres kann von einzelnen Netzwerken (wie Banken, Firmen, Bibliotheken, Schulen, Geschäften, Krankenhäusern oder anderen Serviceeinrichtungen) ausgehen, aber auch von staatlichen Organen. Das Sprachmanagement auf der Makroebene hat natürlich auch Auswirkungen auf die Mikroebene. Heller (2001: 225) gibt ein Beispiel aus einer französischsprachigen Minderheitenschule in Ontario: 109. Lehrer: pourquoi lit-on? ['warum lesen wir? '] Schüler: pour relaxer ['um zu entspannen'] Lehrer: pour se détendre, 'relaxer' c'est anglais ['um sich zu entspannen, 'relaxen' ist Englisch'] Spracherhalt und Sprachwechsel 198 In diesem Beispiel wirkt die schulinterne Norm: "Im Unterricht wird ausschließlich Französisch gesprochen" auf das Korrekturverhalten des Lehrers. Das beinhaltet auch soziokulturelles Management, da diesem Verhalten auch eine Ideologie wie "Erziehe gute Franko-Ontarier! " zugrunde liegt, die wiederum von politischer und wirtschaftlicher Seite unterstützt wird. Der für die Sprachkontaktforschung interessante Aspekt an diesem Beispiel ist, dass das Lexem relaxer ein völlig in die französische Sprache integriertes Element darstellt, aber trotzdem vom Lehrer beanstandet wird. Das bedeutet, dass nicht nur das Code-Switching, sondern auch Transferphänomene, die in der gesamten Sprachgemeinschaft bereits Konvention sind, korrigiert werden. Ein ähnliches Verhalten ist auch in Südtirol zu beobachten: Hier wird in der Schule stark darauf geachtet, dass keine Italianismen verwendet werden. Beispiele für individuelles Sprachmanagement in der Sprachgemeinschaft findet man auch sehr häufig in Leserbriefen (ein Beispiel aus der FF- Südtiroler Illustrierten 18/ 95, S. 50): 110. "Da lese ich doch in der FF Nr. 16 auf Seite 72 unter einer Werbung als Hinweis für den Verbraucher: 'Distribuiert von ...' Bleibt nur noch die Hoffnung, daß sich die Distributoren von derartigen Vaccaten sich mit dem Honorar ihrer Bemühungen ein Wörterbuch der deutschen Sprache anschaffen. Mit distinten saluten grüßt ...." (distribuiert < it. distribuire 'verteilen', Vaccaten < it. vaccate 'Blödsinn', mit distinten saluten < it. con distinti saluti 'mit freundlichen Grüßen') Wie die Beispiele zeigen, kann Sprachmanagement die Vermeidung von Sprachmischung bewirken. Die Theorie, wie sie von Neustupný und anderen vertreten wird, geht allerdings von einem vierstufigen Prozess aus (vgl. Nekvapil 2006, 2009): Feststellen der Normabweichung Bewertung der Normabweichung (positiv oder negativ) Planung der Korrektur Umsetzung der Korrektur Das bedeutet, dass der Sprecher die Normabweichung entweder selbst feststellen kann und sich verbessert oder dass der Gesprächspartner dies übernimmt - wie in den obigen Beispielen. Aber: Korrektur tritt eben nur in Kraft, wenn die Normabweichung überhaupt bemerkt und dann als negativ bewertet wird. In vielen Gruppen wird dagegen ein Transferphänomen entweder gar nicht bemerkt oder als positiv bewertet. Dann kommt es auch nicht zur Korrektur. Sprachmanagement auf der Mikroebene kann sich wie in den letzten beiden Beispielen auf einzelne Formulierungen beziehen, aber auch grundsätzlich die Sprachwahl betreffen (d.h. welche Sprache die Sprache der Interaktion sein soll). Dies wird ebenfalls von ideologischen Faktoren gesteuert, meist Prestige, Identität oder Aufstiegsorientiertheit. Hier findet Sprachmanagement in allen Formen von Netzwerken statt, bereits schon in der Familie. So berichtet eine deutschspra- Zusammenfassung 199 chige Informantin aus Australien, in deren Familie die strikte Anweisung "Sprich Deutsch" gilt: 111. Da kam man von der Schule nach Hause [...] und dann, ja, spricht man mit den Geschwistern auf Englisch [...] Aber oft war das dann so, dass einer von uns dreien - hat er gesagt: "oh wir müssen Deutsch sprechen." [...] Ja, wir haben uns gegenseitig genervt, weil wir tief innen wussten, dass es gut war." (Sprecherin MH, 25 Jahre, unveröff. Aufnahme) Hier regelt also die Sprachpolitik innerhalb des Netzwerks Familie, die maßgeblich von den Eltern bestimmt wird, den Sprachgebrauch unter den Geschwistern. Die positive Einstellung der Sprache gegenüber ("wir wussten, dass es gut war") steuert das Sprachverhalten und führt damit auch zum Spracherhalt innerhalb dieses Netzwerks. Dass sich Sprachmanagement der Mikro- und Makroebene gegenseitig bedingen, haben Nekvapil/ Nekula (2006) an Formen des Sprachmanagements in multinationalen Firmen in der Tschechischen Republik untersucht: Organisiertes Management (Sprachvorgaben der Firma) beeinflussen das individuelle Management (Sprachwahl im Einzelfall) und umgekehrt. Hier kommt es aber auch zu Situationen, in denen die Sprachplaner individuelle Sprachprobleme unterschätzen oder einfach ignorieren. Insgesamt zeigt sich, dass subjektive Sprachverhaltensnormen, die wiederum von objektiven Normen geprägt sein können, das Sprachverhalten steuern können (vgl. Maitz 2005: 147). Dieses Verhalten ist, wenn es sich als kollektives Verhalten äußert, dann wieder verantwortlich dafür, ob eine Sprache erhalten wird oder nicht, und auch dafür, ob bestimmte Sprachkontaktphänomene akzeptiert werden. Die jeweiligen Sprachverhaltensnormen müssen dabei nicht von einer staatlichen Organisation vorgegeben sein. 11.5 Zusammenfassung Intensiver Sprachkontakt kann zum Sprachwechsel, d.h. zur Aufgabe einer bestimmten Sprache, führen. Allerdings ist hier das Zusammenspiel einer Reihe von externen Faktoren, die wiederum die Einstellung der Sprecher zu ihrer Sprache beeinflussen, verantwortlich. Die wichtigsten Faktoren für den Erhalt einer Sprache in multilingualen Situationen sind die Größe und Geschlossenheit der Gemeinschaft, Endogamie, die Verbindung der Sprache mit der Religion und die Institutionalisierung als Schulsprache. Neuerdings ist auch die Präsenz in den Medien ein nicht zu unterschätzender Faktor. Darüber hinaus kommt noch ihre Funktion als identitätsstiftendes Moment hinzu. Einige dieser Faktoren, wie von oben gesteuerte Anerkennung aber auch die Identitätsfunktion haben eine direkte Auswirkung auf das Sprachmanagement der Sprecher. Dieses wirkt sich dann positiv oder negativ auf den Spracherhalt aus. 12 Historischer Sprachkontakt 12.1 Überblick Die gesamte Geschichte der europäischen Sprachen (und darüber hinaus einer Reihe weiterer Sprachen) kann als eine Geschichte des Sprach- und Kulturkontakts interpretiert werden. Dabei gibt es zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich intensive Kontaktphasen und damit unterschiedlich starke gegenseitige Beeinflussungen: So übte etwa in der Frühphase der romanischen und germanischen Sprachen das Lateinische einen sehr starken Einfluss auf diese Sprachen aus, der sich nicht nur in der Lexik und Semantik, sondern auch in syntaktischen und morphologischen Strukturen bemerkbar macht. Das Englische wiederum kam nicht nur mit der lateinischen Schriftkultur, sondern auch mit dem Altnordischen und dem Französischen, das über lange Zeit die Sprache der herrschenden Schicht war, in intensiven Kontakt. 67 Letzteres belegen etwa die starke Entlehnung französischer Lexik von 1200-1400 und die Phonologisierung von Allophonen (z.B. [f] : [v]). Außerdem werden Partikeln und einige Wortbildungssuffixe übernommen, z.B. -able, das ab dem 14. Jh. auch an heimische Basen angehängt wird (vgl. Thomason/ Kaufman 1988: 308). In der Sprachgeschichtsforschung spricht man in diesem Zusammenhang von Substrat- und Superstratwirkung. Von Substratwirkung ist dann die Rede, wenn nach der Eroberung eines Gebietes die einheimische Bevölkerung ihre Sprache zugunsten der Eroberersprache aufgibt, im Prozess des Erwerbs der Sprache der Eroberer aber strukturelle Merkmale ihrer ursprünglichen Sprache behält. So wurde etwa auf dem Gebiet des heutigen Frankreich die einheimische keltische Bevölkerung romanisiert, aber das Lateinische, das dort gesprochen wurde, übernahm auch Elemente der alten keltischen Sprache (= Substrat). Dies ist nachweisbar vor allem im Wortschatz der Landwirtschaft: afr. mesgue < gall. *mesigus 'Molke', afr. brèche < gall. brisca 'Wabe', afr. lie < gall. l ga 'Trester' (vgl. Wolf/ Hupka 1981: 12). Umgekehrt übernahmen die germanischsprachigen Franken, nachdem sie Gallien eroberten hatten, die dort gesprochene romanische 67 Im Gegensatz zu älteren Annahmen, die davon ausgehen, dass der Kontakt des Englischen mit dem Altnordischen und Französischen Pidginisierungsprozesse des Englischen auslöste, versuchen Thomason/ Kaufman (1988: 306ff.) darzulegen, dass die Vereinfachungsprozesse (Abbau von Deklination und Konjugation), die im Mittelenglischen stattfinden, in der Entwicklung der germanischen Sprachen angelegt sind (wie Beispiele aus skandinavischen Sprachen und dem Niederländischen und Niederdeutschen zeigen). Thomason/ Kaufman führen dafür auch soziolinguistische Gründe an, da nur wenige Englischsprachige auch Französisch lernten und nur die Herrscherschicht zweisprachig war. Überblick 201 Sprache; einige Elemente aus ihrer Sprache flossen aber auch in die romanische Varietät ein: Hier spricht man von Superstratwirkungen. Beispiele sind das 'h aspiré' in Wörtern wie hâte, honte, die Erhaltung der Zweikasusflexion, die Entwicklung des Indefinitpronomens on (dt. man) und die obligatorische Setzung des Personalpronomens beim Verb (je chante wie ich singe, aber lat./ it. canto ohne Personalpronomen). Allerdings hat man es hier nicht mit völlig fremden Erscheinungen zu tun, so dass man, wie in Kap. 6.3.1 dargestellt, von Beschleunigung bereits angelegter Entwicklungstendenzen durch den Sprachkontakt sprechen kann. Anders ist es bei Übernahmen von Präfixen und Suffixen (missi- > mesvgl. afr. mesgarder 'mißhandeln' oder -ard aus Personennamen wie Richard und dann selbstständig angehängt an Bezeichnungen wie afr. couard 'Feigling', bastard 'unehelicher Sohn'). Ähnliches gilt für die Entlehnungen im Bereich des Wortschatzes, die sich in fast allen Lebensbereichen zeigen (vgl. Wolf/ Hupka 1981: 16f.): Heerwesen (épieu 'Speer', heaume 'Helm') Landwirtschaft (blé 'Weizen', gerbe 'Garbe') Tier- und Pflanzenwelt (roseau 'Schilf', frelon 'Hornisse') Hausbau und Wohnung (faîte 'First', salle 'Saal') Charaktereigenschaften/ Empfindungen (hardi 'beherzt', orgueil 'Stolz') Die Bezeichnungen 'Substrat' und 'Superstrat', die auch in der Kreolistik verwendet werden (s.o. Kap. 7.1.3), haben einen etwas negativen Beigeschmack, weil sie implizieren, dass irgendeine Sprache eine andere "unterwirft" und diese Sprache dann untergeht (vgl. Kap. 11.1). Nicht von ungefähr werden sie mit Eroberungen in Verbindung gebracht. Ein neutraler Begriff, der in diesem Zusammenhang geprägt wurde, ist 'Adstrat'. Darunter versteht man wechselseitige sprachlichkulturelle Einflüsse, die wir unter Kulturkontakt definiert haben (s. Kap. 9). Unter 'Adstrat' ist die Beeinflussung durch eine andere Sprache infolge lange währender Nachbarschaft gemeint. Dabei gehen manche Wörter regelrecht auf "Wanderschaft", wie etwa das oben erwähnte frz. orgueil zeigt: Dieses wurde aus dem Fränkischen ins Französische übernommen, dann über das Katalanische weitergegeben an das Spanische (vgl. Coromines/ Pascual 1981: 296f.). Kulturkontakt zeigt sich auch in einer relativ konsistenten Phraseologie. Hier sind viele Sprachkontaktphänomene zu beobachten. Generell kann man davon ausgehen, dass drei Sprachen einen besonders intensiven Einfluss auf andere europäische Sprachen gehabt haben bzw. haben: das Lateinische, das Französische und das Englische. Ich werde im Folgenden einige Phänomene des historischen Sprachkontakts anhand der Geschichte der deutschen Sprache exemplifizieren. Für beide Sprachen kann man verschiedene Kontaktphasen mit dem Deutschen (oder dessen Vorstufen) unterscheiden. Historischer Sprachkontakt 202 12.2 Sprachkontakt in der Geschichte des Deutschen 12.2.1 Erste Kontaktphase: Germanen und Römer Noch zu Zeiten des römischen Imperiums übernahmen die germanischen Völker von den Römern die überlegene Sachkultur 68 und damit auch die dazugehörenden Bezeichnungen. Etwa 500 Wörter werden zu dieser Zeit entlehnt, meist Substantive. Das Alter der jeweiligen Entlehnung ist erkennbar an der Durchführung der zweiten Lautverschiebung: Alle Wörter, die in dieser Phase in die protoalthochdeutsche Sprache Einzug halten, machen die Lautverschiebung später mit. Deshalb steht einem Wort wie lat. pilum das nhd. Pfeil gegenüber. Ebenso erscheint lat. c als k: Keller < cellarium, während es in jüngeren Entlehnungen im Mittelalter vor i und e als z erscheint (vgl. Zelle < cella). Beispiele finden sich in einer Reihe von Bereichen: Kriegswesen: Kampf (< campus), Pfeil (< pilum) römische Verwaltung: Zoll (< tolonium), Kerker (< carcer) Geräte: Spiegel (< speculum), Pfanne (< panna), Schüssel (< scutella) Lebensmittel: Pilz (< boletus), Käse (< caseus), Pfeffer (< piper), Senf (< sinapis) Verkehr und Handel: Straße (< via strata), Markt (< mercatus), Sack (< saccus), Korb (< corbis), Kiste (< cista), Münze (< moneta), Pfund (< pondo) Eine interessante Domäne ist auch der Hausbau: Die Germanen bauten ursprünglich fensterlose Lehmhäuser mit Weidegeflechttragwerk (vgl. Wand < winden, da die Weidenzweige ineinander gewunden wurden) und übernahmen von den Römern nicht nur die Bauweise mit Stein, sondern auch die Bezeichnungen für die dazugehörenden Materialien und Bauteile: Ziegel (< tegula), Mörtel (< mortarium), Mauer (< murus), Pfeiler (< pilarium), Keller (< cellarium), Fenster (< fenestra). Auch Garten- und Weinbau wird eingeführt und damit der zugehörige Wortschatz: Wein (< vinum), Kelter (< calcatura), Kelch (< calix, -cis) (vgl. Stedje 1989: 55). Dabei ist zu beachten, dass die Entlehnungen immer aus den lateinischen Akkusativformen entnommen wurden und nicht aus dem Nominativ (z.B. Kelch aus calcem, daher ch aus c und kein x). Ob in dieser Phase auch morphologische oder syntaktische Strukturen übernommen wurden, lässt sich aufgrund der wenigen spärlichen Quellen aus dieser Zeit nicht nachprüfen. 12.2.2 Das lateinische Mittelalter Die zweite lateinische Welle setzt dann in althochdeutscher Zeit ein: Die vor allem aus Kirche und Klosterkultur übernommenen Wörter sind dadurch charakte- 68 Stedje (1989: 55) beschreibt, dass der germanische Raum zu Zeiten des römischen Imperiums im Vergleich mit seinen westlichen und südlichen Nachbarländern "ein Entwicklungsland" war. Sprachkontakt in der Geschichte des Deutschen 203 risiert, dass sie die lateinischen Plosive p,t,k nicht mehr verschieben, da ja die Entlehnung bereits nach Abschluss der zweiten Lautverschiebung einsetzt. Übernommen werden Bezeichnungen für: kirchliche Einrichtungen und Begriffe: Papst (< papa), Kloster (< mlat. clostrum), Kaplan (< capellanus), Pilger (< vlat. pelegrinus), Kreuz (< crux, crucis), Zelle (< cella), predigen (< praedicare) neue materielle Errungenschaften: Mantel (< mantellum), Teppich (< tapetum), Brezel (< brachitum) neue Pflanzen aus den Klostergärten: Petersilie (< mlat. petrosilium), Zwiebel (< mlat. cipolla), Salbei (< salvia). Ein sehr wichtiger Bereich ist auch die Schreib- und Schriftkultur: Klosterschüler ritzten nicht mehr Runen ins Holz, sondern schreiben (< scribere) mit Tinte (< aqua tincta 'gefärbtes Wasser') auf Pergament (< mlat. pergamentum) oder mit einem Griffel (< graphium) auf eine Tafel (< tabula) (vgl. Stedje 1989: 70). 69 Neben der lexikalischen Übernahme gibt es auch Fälle von semantischer Übernahme (Lehnbedeutung), z.B. Buße: germ. 'Nutzen, Vorteil' > ahd. auch 'Heilung durch Zauber' > ahd. Kirchensprache: 'die religiöse Genugtuung des Sünders vor Gott' für lat. poenitentia. Daneben finden sich Beispiele für Lehnübersetzung: Über-fluss (< super-fluitas), Ge-wissen (< con-scientia), wobei hier das Suffix geebenso wie lat. con- 'mit' bedeutet. Weiteres Beispiel wäre Heiligtum (< sanctuarium); hier übersetzt das deutsche Suffix -tum lat. -arium (vgl. Stedje 1989: 69f., von Polenz 2009: 37f.). Begriffe, die mit der neuen Sachkultur übernommen werden, können auch alte Wörter ganz verdrängen. So dringt mit der griechischen Medizin, die über die römische vermittelt wird, das Wort Arzt (aus vlat. archiater) in die althochdeutsche Sprache und verdrängt das heimische leikari 'Besprecher'. Interessant sind in dieser Phase vor allem die Bereiche der Syntax und Morphosyntax. Hier kann man sagen, dass die althochdeutsche Phase massiv von Sprachkontakt mit dem Lateinischen geprägt ist. Der Grund ist zum einen in den einzelnen Schreibern zu sehen. Alle Schreiber im frühen Mittelalter waren mehrsprachig: Sie waren schriftsprachlich sozialisiert im Lateinischen und ihre Muttersprache war ein althochdeutscher Dialekt. So finden wir eine ähnliche Situation wieder, wie wir sie bei Migrantenkindern gesehen haben, die ihre schriftsprachliche Sozialisation nur in der Mehrheitssprache erhalten. Oder noch besser vergleichbar ist die Situation mit der im heutigen Afrika, wo viele Kinder in der Schule das Schreiben in der jeweiligen Staatssprache erlernen, aber zu Hause eine einheimische Sprache sprechen, die nicht verschriftet ist. In so einer Lage befanden sich die ersten Schreiber in den Anfängen der althochdeutschen Zeit (etwa um 800). Ihr jeweiliger althochdeutscher (oder altniederdeutscher) 69 Das Wort Griffel ist aber auch assoziierbar mit ahd. grîphan ('greifen'), so dass hier die Übernahme zusätzlich gestützt wird. Historischer Sprachkontakt 204 Dialekt wurde nur gesprochen, die Schriftzeugnisse waren auf Lateinisch verfasst. Es lag daher nahe, bestimmte Strukturen von Schriftsprachlichkeit aus dem Lateinischen zu kopieren. Dabei darf man allerdings nicht die sog. 'Interlinearversionen' heranziehen, bei denen Wort für Wort übersetzt wurde, sondern selbstständige Übersetzungstexte. Ein interessantes Beispiel für die althochdeutsche Übersetzungspraxis ist der sog. 'Tatian', eine Übersetzung einer lateinischen Zusammenschau der Evangelien (sog. 'Evangelienharmonie') des Syrers Tatian, die um 830 im Kloster Fulda entstand. Diese Übersetzung ist vor allem deshalb ein wichtiger Zeuge für Sprachkontakt, weil sie teilweise die lateinische Wortstellung nachahmt, dies aber nicht konsequent tut, vgl.: 112. a) et dixit illi: haec tibi omnia dabo, si cadens adoraveris me. inti quad imo: thisu allu gibu ih thir, oba thû nidarfallenti betôs mih. und sagte ihm: dieses alles gebe ich dir, wenn du niederfallend anbetest mich. (Tatian 15,5) b) hora erat quasi sexta was thô zît nâh sehsta war da Zeit nach sechs (Tatian 87,1) Der erste Teil von 112a) ist wörtlich übersetzt, auch die Stellung im Nebensatz folgt dem Lateinischen. Der Hauptsatz lautet dagegen nicht dieses dir alles gebe ich, sondern wie auch nhd. dieses alles gebe ich dir, hier also folgt der Übersetzer nicht der Vorlage. Das Gleiche geschieht im zweiten Beispiel. Statt dem lateinischen Vorbild zu folgen, wird eine für diese Zeit ganz typische Fokussierungsstruktur eingeführt: was thô, nhd. es war da. Dieses Muster hebt Satzglieder besonders hervor und stellt sie in den Vordergrund. Die Partikel thô ist im Übrigen eine heimische Diskurspartikel, die eine typische althochdeutsche Textstruktur erzeugt (vgl. Betten 1987a). Sie gibt eine Vielzahl von lateinischen Partikeln wieder, wie et, autem, tunc, at, vero, ergo, enim usw. oder wird auch wie in Bsp. 112b) selbstständig gesetzt. Auf dem Gebiet dieses sprachlichen Subsystems hat sich der Übersetzer also ganz vom Lateinischen emanzipiert. Diese Beobachtungen decken sich auch mit der oben gemachten Feststellung, dass es sich bei dem System der Diskurspartikeln um ein anderes sprachliches Subsystem handelt, das oft nur von einer Sprache gesteuert wird (s. S. 98). Auf der anderen Seite finden wir in 112a) ein sehr bezeichnendes Phänomen des Sprachkontakts, nämlich eine Nachbildung des lat. Partizips cadens mit dem ahd. Partizip nidarfallenti ('niederfallend'). Da allerdings selbstständig entstandene Prosatexte weitgehend fehlen, kann man nicht durch einen Vergleich zwischen Übersetzungstext und autochthonem Text feststellen, ob dieses Phänomen direkt aus dem Lateinischen übernommen wurde oder sich nur die Frequenz und der Gebrauchskontext durch den Sprachkontakt verändert (vgl. auch Betten 1991). Die althochdeutsche Periode ist stark zwischen zwei Tendenzen hin- und hergerissen: Zum einen unterliegen die einheimischen Texte den Bedingungen der Dichtungssprache, d.h. bestimmten Wortstellungs- und Satzmustern, die Übersetzungstexte dagegen sind von zahlreichen Sprachkontakterscheinungen ge- Sprachkontakt in der Geschichte des Deutschen 205 prägt, die damit erklärbar sind, dass die Schreiber versuchen, die Muster des Lateinischen auf das Deutsche zu übertragen, da sie schriftsprachliche Texte erzeugen wollen. Es ist also hier eine Art Sogwirkung festzustellen, wie etwa im Falle des Pennsylvania-Deutschen, das unter Einfluss des Englischen die Aspektmarkierung, die im Deutschen nur optional angelegt ist, grammatikalisiert (s.o. Kap. 6.3.4). Im Bereich der Diskurssteuerung kann dagegen auf einheimische Muster zurückgegriffen werden. Daher ist es vor dem Hintergrund der Sprachkontaktforschung nicht zu vertreten, mit der älteren Forschung zu behaupten, Texte wie die Tatianübersetzung seien eine "minderwertige Prosadarbietung, [...] ein schlechtes Stück Übersetzungsliteratur" (Lippert 1974, zit. nach Betten 1991: 1315). Sie stellt vielmehr den legitimen Versuch eines zweisprachigen Schreibers dar, fehlende Strukturen seiner Muttersprache durch Anregung der Kontaktsprache nachzubilden. 12.2.3 Klassisches Mittelhochdeutsch: Einflüsse der französischen Dichtungssprache Während sich die Übersetzungsliteratur des Mittelalters allmählich stärker vom Lateinischen distanziert und im Spätmittelalter vorwiegend von Mündlichkeit geprägte Texte liefert (vgl. Riehl 1993, 1995), macht sich nun ein weiterer Sprach- und Kulturkontakt bemerkbar und zwar in der höfischen Dichtung. Mit der Übernahme der französisch-provenzalischen Lebensform kommt es zum Kontakt mit dem Französischen bzw. Provenzalischen (Chrétien de Troyes, Troubadourlyrik etc.). Am deutlichsten wird dies zunächst im Wortschatz, der meist durch das Mittelniederländische (flandrisches Rittertum) in das Mittelhochdeutsche eindringt. 70 Bis ins 14. Jh. werden etwa 2000 Wörter übernommen, von denen allerdings nur noch ein kleiner Teil heute fortlebt. Dies sind vor allem Bezeichnungen für: Kampfspiele (Turnier < afrz. tornei 'ritterliches Waffenspiel') Unterhaltung (Tanz < frz. danse, Melodie < frz. mélodie) Kleidung und Stoffe (schapel < afrz. chapel 'Kranz, Diadem', Samt < afrz. samit) Kostbarkeiten (Rubin < frz. rubin) Neben den Substantiven werden auch eine Reihe von Verben entlehnt, die ritterliche Tätigkeiten beschreiben: turnieren, parlieren, buhurdieren ('Buhurt reiten' = ritterliches Kampfspiel). Bestimmte Entlehnungen wurden auch neben einheimischen Wörtern verwendet, hatten dann aber eine andere Bedeutung, vgl. das folgende Beispiel aus Gottfried von Straßburgs 'Tristan' (vgl. Wolf 1981: 223): 70 Es gibt auch einige flämische Wörter wie dörper (nhd. Tölpel), die aber in diesem Überblick vernachlässigt werden sollen. Historischer Sprachkontakt 206 113. a) vûr war, als uns diz maere seit / daz knappe nie von höfscheit / und von edeles herzen art / baz noch schoner gedelt wart (V. 2261ff.) b) ouch sang er wol ze prîse / schanzune und spaehe wise / refloit und stampenie / alsolher curtosie / treip er vil (V. 2293ff.) Hier wird deutlich, dass der deutsche Begriff höfscheit im Sinne einer Charakterbildung verwendet wird (vgl. den Verweis auf das edele herz in 113a), während das französische Pendant curtosie bestimmte höfische Fertigkeiten wie musikalisches Talent benennt (113b). Der entlehnte Wortschatz wird also als Mittel der stilistischen Differenzierung und zur Konstituierung verschiedener Stilebenen oder Funktiolekte eingesetzt, genau wie heute das Englische (s.u.). Daneben gibt es auch Entlehnungen im Bereich der Morphologie. So wird von Verben, wie den gerade genannten, das Suffix -ieren isoliert und kann ab dem 14. Jh. auch an heimische Basen angehängt werden: vgl. buchstabieren, amtieren. Es dient aber meist zur Ableitung von Verben mit lateinisch-griechischer oder romanischer Basis (vgl. Fleischer/ Barz 2012: 431f.). 71 Ein weiteres Suffix, das in dieser Zeit aus dem Französischen übernommen wird, ist -îe, das aus Wörtern wie melodîe, courtoisîe isoliert wird und im Frühneuhochdeutschen zu -ei wird. Es ist, wie die Bildungen Bäckerei, Druckerei, Brüllerei, Heuchelei etc. zeigen, auch heute noch sehr produktiv. Nicht mehr produktiv, aber aktiv ist heute noch das Suffix -lei, das vom frz. loi kommt (vielerlei, mancherlei). Die fremde Herkunft der Suffixe -ei und -ieren ist vor allem daran festzumachen, dass sie im Gegensatz zu heimischen Endungen die Betonung tragen. Gerade dieser Aspekt sowie die Tatsache, dass die entsprechenden Wörter nach dem Hören eingedeutscht werden (vgl. loschieren mit [ ] nach frz. logier) sprechen für die Übernahme aus der gesprochenen Sprache (vgl. von Polenz 2009: 50). Eine nicht unwesentliche Erscheinung des Sprach- und Kulturkontakts mit dem Französischen in dieser Zeit zeigt sich in der Übernahme eines neuen Höflichkeitsmusters, nämlich der höflichen Anredeform in der 2. Pers. Pl. ir analog zu frz. vous (sog. irzen im Gegensatz zum duzen) (vgl. ebd.: 54). Diese Form des Kulturkontakts im Bereich der Höflichkeitsmuster konnten wir bereits in Kap. 9 feststellen. 12.2.4 Latein in der Frühen Neuzeit Während noch im Früh- und Hochmittelalter alle Insassen eines Klosters mehrsprachig waren, d.h. Latein und einen deutschen Dialekt sprachen, setzt ab dem 13. Jh. eine Laienbewegung ein, im Zuge derer Laienbrüder und -schwestern, die nicht mehr lateinkundig waren, den Klöstern beitreten. Für diese Gruppe wird besonders im 14. Jh. eine ganze Reihe von religiösen und erbaulichen Texten 71 Wir erinnern uns: Die Integration von Verben im aktuellen deutsch-romanischen Sprachkontakt erfolgt ebenfalls mit Hilfe des Suffixes -ieren (s.o. Kap. 6.2.1). Sprachkontakt in der Geschichte des Deutschen 207 übersetzt, die jetzt von Strukturen der Mündlichkeit und nicht mehr durch lateinische Muster geprägt sind (vgl. Riehl 1993). 12.2.4.1 Lateinisch-deutsche Zweisprachigkeit im Humanismus Eine dritte Welle des lateinischen Sprachkontakts tritt dann wieder mit dem Humanismus auf den Plan: Hier erleben wir in germanischen wie romanischen Sprachen eine starke Renaissance des Lateinischen, die sogar dazu führt, dass ursprünglich deutschsprachige Literatur ins Lateinische übersetzt wird. Latein war die ausschließliche Sprache an den neu entstehenden Universitäten und wurde dort nicht nur geschrieben, sondern bis weit ins 17. Jh. hinein auch gesprochen (vgl. von Polenz 2009: 87). Es war nicht nur Lern- und Schulsprache, sondern sollte von den Kindern auch beim Spielen verwendet werden. Da es zudem noch Kirchensprache war, rückte das Lateinische zumindest für die Mönche an die erste Stelle, wurde also besser beherrscht als das Deutsche (vgl. Stolt 1964: 10ff.). Allerdings gibt es hier doch Unterschiede zur modernen Mehrsprachigkeit: Latein war für alle eine gelernte Zweitsprache, es gab damit keinen "Muttersprachler" des Lateinischen und kein sprachliches "Mutterland". Dies zeigt sich schon darin, dass die Aussprache einfach der jeweiligen Erstsprache angepasst wurde. Außerdem stammten die Träger dieser Zweisprachigkeit nur aus der gebildeten Schicht, was zu geringerem Kontakteinfluss auf die deutsche Sprache insgesamt führte (vgl. Stolt 1964: 15). Es werden allerdings in dieser Zeit sehr viele Wörter aus dem Lateinischen (und auch Griechischen) übernommen (Universität, Humanität, Pensum, Text, diskutieren, präparieren, Prozess, Akte, legal u.v.m.). Sogar die alten deutschen Monatsnamen werden durch lateinische Namen ersetzt: z.B. Juli statt Heumonat, Dezember statt Christmonat (vgl. Stedje 1989: 132). Eine wahre Wortschatzflut aus den beiden klassischen Sprachen bereichert den Fachwortschatz. Damit hat sich aber im deutschen Wortschatz nichts anderes ereignet als in anderen westeuropäischen Kultursprachen. Die Zahl der Wortstämme, mit denen neue Wörter gebildet werden konnten, hat sich in vielen semantischen Bereichen nahezu verdoppelt. Aus dem Nebeneinander mit dem autochthonen Wort ergibt sich oft die Möglichkeit der Bedeutungsdifferenzierung: sozial vs. gesellschaftlich, Telegramm vs. Fernschreiben (vgl. von Polenz 2009: 88). Neben lautlich und graphematisch integrierten Lexemen wie supplicatz, disputaz, oratz, reformatz und compositz stehen eine ganze Reihe von nicht-integrierten Lexemen, die mit dem konservativen Rückgriff auf das wiederentdeckte klassische Latein in Zusammenhang stehen: Dies führte auch dazu, dass bestimmte Wörter ihre lateinische oder griechische Flexion im Plural beibehielten: vgl. Index - Indices, Atlas - Atlanten, Thema - Themata, Topos - Topoi, Tempus - Tempora. In diesem Fall entsteht zwar eine Lehnmorphologie (Aikhenvald 2008: 21), aber da diese auf die wenigen Substantive beschränkt bleibt und nicht reihenbildend wirkt, ist sie Teil der lexikalischen Entlehnung. Die Tradition lateinischer und griechischer Flexionssuffixe diente besonders im 16. und 17. Jh. als Statussymbol (auch bei Historischer Sprachkontakt 208 längst bekannten und eingedeutschten Lehnwörtern). In einigen Fällen wird sogar das lateinische Dativ-Suffix -o an Pronomina, Partikeln und Adverbien angehängt: dero, Ihro, anhero, itzo. Neben dem Wortschatz aus dem Lateinischen und Griechischen werden in frühneuhochdeutscher Zeit viele Suffixe und Präfixe übernommen, die an die lateinischen und griechischen Basen angehängt werden, etwa die Suffixe -ität, -ation, -ur, -age, -ant, -al, -abel und Präfixe wie ex-, de-, con-, dis-, hyper-. Allerdings wird in dieser frühen Phase noch viel mit Kombinationen von Suffixen und Präfixen fremder und heimischer Provenienz experimentiert, so dass es hier zu einer Doppel- und Mehrfachsuffigierung kommt, vgl. sakramental, sakramentar, sakramentalisch, sakramentarisch, sakramentarlich oder Sakramenter, Sakramentierer, Sakramentist, sakramenten, sakramentieren, versakramenten (von Polenz 2000: 223). Die Verwendung von Lehnsuffixen mit heimischen Basislexemen war dagegen bereits in frühneuhochdeutscher Zeit eine Ausnahme und diente v.a. satirischer Wortspielerei: Anfechtion, Albertät, Grobität, Thorität (ebd). 12.2.4.2 Code-Switching bei Luther Selbstverständlich waren auch der Reformator Luther und seine Kollegen perfekt zweisprachig im Lateinischen und Deutschen. Das belegt sehr anschaulich ein erstes Zeugnis für Code-Switching, das von Schülern Luthers aufgeschrieben wurde, nämlich Luthers Tischreden. Vgl.: 114. Qui autem vexantur Spiritu tristitiae, inquit, debent summe cavere, ne sint soli, 1 denn Gott hat societatem ecclesiae geschafft et fraternitatem gebotten, sicut 2 scriptura dicit: "Vae homini soli, quia cum cediderit etc." Tristitia quoque cordis 3 coram Deo non placet ei, quanquam tristitiam coram mundo permittat, sed non 4 vult, das ich gegen yhm betrubt sol sein, sicut dicit [lat. Zitat]. Non vult ser- 5 vum, der sich nit guts zu yhm versehe, haec scio, sed wol zehen mal in ei- 6 nem tag wurd ich anderst zu sinn, et tamen resisto Satanae. (Luthers Tisch- 7 reden, ed. von Veit Dietrich 1531, No. 122, zit. nach Auer 1999: 317f.) 8 ['Die aber vom Geist der Traurigkeit geplagt werden, sagt er, müssen sehr genau aufpassen, dass sie nicht allein sind, denn Gott hat die Gemeinschaft der Kirche geschaffen und die Brüderlichkeit geboten, wie die Schrift sagt: "Wehe dem einsamen Menschen, denn wenn er stirbt etc." Traurigkeit des Herzens gegenüber Gott aber gefällt ihm nicht, obwohl er Traurigkeit gegenüber der Welt zulässt, aber nicht will, dass ich ihm gegenüber betrübt bin, wie er sagt: [Zitate]. Er will keinen Diener, der sich nicht gut mit ihm versteht, das weiß ich, aber wohl zehnmal am Tag ändert sich mein Sinn, und trotzdem widerstehe ich dem Satan.'] Stolt (1964) hat gezeigt, dass Luther sehr oft lateinische nominale und auch verbale Elemente in Form von Ad-hoc-Entlehnungen in eine deutschsprachige Äußerung einbringt. Außerdem verwendet er Entlehnungen, die schon in dieser mehrsprachigen Gemeinschaft konventionell geworden sind (wie in Z. 2). Deutsche Sprachkontakt in der Geschichte des Deutschen 209 Einschübe in lateinischen Sätzen sind dagegen eher selten. D.h. Latein kann hier als die Gebersprache (oder eingebettete Sprache) bezeichnet werden. Code- Switching wie in Z. 5-7 findet in beide Richtungen statt und meist satzweise (vgl. auch Auer 1999: 318). Für diese Form von Code-Switching führt Stolt (1964: 252) funktionale Gründe an: Zitatfunktion, Deutlichkeitsstreben, Paraphrasierung, bildhafte Wendungen, die es nur in der einen Sprache gibt, Emotionalität. Obwohl Beispiele wie dieses die Mehrsprachigkeit der schreibenden Elite in dieser Zeit belegen, sind die Einflüsse, die das Lateinische tatsächlich auf die Entwicklung der deutschen Sprache vom 15. bis zum 17. Jh. gehabt hat, sehr umstritten. Viel diskutiert ist der Einfluss des Lateinischen auf bestimmte Satzbaumuster, z.B. Klauseltechnik (Satzschlüsse nach bestimmtem Rhythmus) oder Schachtelsätze. Unumstritten ist das Auftreten dieser Konstruktionen zuerst in der Kanzleisprache, also in Textsorten, die dem Lateinischen nahe stehen und von im Lateinischen gebildeten Schreibern verfertigt werden. Vielfach angenommen hat man den Einfluss des Lateinischen auf die Ausbildung der Verbendstellung im Nebensatz und damit der Nebensatzklammer. Dies hat sich aber letztlich als nicht haltbar erwiesen, da die Wortfolge im Lateinischen ziemlich frei und Verbendstellung keinesfalls die Regel ist (ausführliche Diskussion der Thesen und Gegenthesen bei Betten 1987b: 131ff.). Auch hier dürfte es sich, wie in 6.3.1 dargestellt, lediglich um eine Beschleunigung von im Sprachsystem angelegten Tendenzen durch die Kontaktsprache handeln. 72 Eine andere interessante Erscheinung findet sich in Luthers Bibelübersetzung: Im Gegensatz zu den freieren Übersetzungen im Spätmittelalter, die ähnlich wie der ahd. Tatian und alle anderen autochthonen Texte die heimische Diskurspartikel do/ da (ahd. thô) einsetzen, übersetzt Luther diskurssteuerndes autem oder et (bzw. das griech. Pendant und ) mit aber bzw. und und erzeugt damit eine verfremdende Textstruktur (Beispiel nach Betten 1990: 328): 115. Vnd zween seiner Jünger höreten jn reden / vnd folgeten Jhesu nach. Jhesus aber wandte sich vmb / vnd sahe sie nach folgen / vnd sprach zu jnen / Was suchet jr? Sie aber sprachen zu jm [...] [Et audierunt eum discipuli loquentem et secuti sunt Ihesum. Conversus autem Ihesus et videns eos sequentes se, dicit eis: quid queritis. Qui dixerunt ei: [...], Joh. 1,37f.] Daneben finden sich im ausgehenden 16. Jh. in autochthonen, nicht übersetzten Texten und sogar in volkstümlichen Erzähltexten, die der Kanzleisprache überhaupt nicht nahe stehen, Strukturen, die ebenfalls durch den Sprachkontakt mit dem Lateinischen zu erklären sind, vgl.: 72 Allerdings gilt das wohl nur für die Verbstellung. Der Ausbau des Konjunktionensystems und der hypotaktischen Satzgefüge hat auch etwas mit dem allgemeinen Sprachausbau im Zuge der Entwicklung von schriftsprachlichen Strukturen zu tun und ist universal, nicht einzelsprachlich (vgl. Koch/ Oesterreicher 1985ff.). Dass beim Sprachausbau einer Sprache eine andere als Muster dient, ist nicht ausgeschlossen. Historischer Sprachkontakt 210 116. Als Doct. Faustus dem Keyser sein Begeren / wie gemeldt / erfuellet / hat er 1 sich Abendts / nach dem man gen Hof zu Tisch geblasen / auff eine Zinne 2 gelegt / das Hofgesind auß vnd eingehen zu sehen. Da sihet nun Faustus 3 hinueber in der Ritter Losament [= Unterkunft] / einen schlaffendt vnter 4 dem Fenster liegen (denn es denselben Tag gar heiß war) die Person aber so 5 entschlaffen / hab ich mit Namen nicht nennen woellen / denn es ein Ritter 6 vnd geborner Freyherr war / ob nun wol diese Abenthewer jm zum spott 7 gereicht / so halff doch der Geist Mephostophiles seinem Herrn fleissig / 8 vnd treuwlich darzu / vnd zauberte jhm also schlaffendt / vnter dem Fens- 9 ter ligend / ein Hirschgewicht vff den Kopff. (Historia von D. Johann Faus- 10 ten 1587, S. 79f.) 11 Ähnlich wie schon beim Tatian (s.o.) tauchen Partizipien in prädikativer Funktion auf, wie schlaffendt (Z. 4 und 9) oder vnter dem Fenster ligend (Z. 9f.) (vgl. lat. dormenti et sub fenestra subiacenti). Eine sehr interessante Konstruktion ist in diesem Zusammenhang die sog. 'afinite Konstruktion' wie in den Sätzen Als Doct. Faustus [...] sein Begeren erfuellet (Z. 1), nach dem man gen Hof zu Tisch geblasen (Z. 2), ob nun wol diese Abenthewer jm zum spott gereicht (Z. 7). Hier fehlt also im Nebensatz das finite Verb haben. Es können aber ebenso sein oder auch werden weggelassen werden, gelegentlich auch Modalverben. Diese Konstruktion tritt vor allem auf, wenn zwei wortgleiche Hilfsverben an der Satzgrenze zusammenstoßen würden (erfuellet hat, hat er sich ...). So ist die Konstruktion vermutlich entstanden, verselbstständigt sich dann aber und wird zu einem Mittel syntaktischer Integration. Durch das Fehlen eines finiten Verbs rückt sie in die Nähe von Partizipialkonstruktionen des Lateinischen, bei denen auch das finite Verb fehlt, obwohl die Konstruktionen verschieden sind (vgl. z.B. lat. voluntate imperatoris completa). Eine Unterstützung im Ausbau dieser Konstruktion durch das lateinische Muster ist daher nicht auszuschließen. Es handelt sich also hier nicht um eine direkte Übernahme, sondern um die Unterstützung des Ausbaus eines Musters durch analoge Formen in der Kontaktsprache, eine Replika-Konstruktion (vgl. o. Kap. 6.3.4). Die afinite Konstruktion tritt zuerst in der Kanzleisprache auf, ist also ganz typisch für konzeptionelle Schriftlichkeit, in der 1. Hälfte des 16. Jhs. auch in Geschäftsbriefen. Ab Ende des Jahrhunderts - so wie hier - ist sie in allen Textsorten vertreten und besonders im 17. Jh. sehr beliebt (vgl. Ebert 1986: 132ff.). Ein nicht unwesentlicher Einfluss der lateinischen Schriftlichkeit, die im Humanistenlatein wieder auf klassische Vorbilder zurückgreift, ist in der Komplexität der Sätze zu sehen: Es entsteht eine wahre Virtuosität in der Verschachtelung von Sätzen, die eine stilistische Nachbildung des Humanistenlateins, allerdings auch mit autochthonen Mitteln, bedeutet (vgl. Bsp. 116). In diesem Falle haben wir es wieder mit der Nachahmung stilistisch-rhetorischer Mittel zu tun und damit mit Auswirkungen des Sprach- und Kulturkontakts (vgl. Kap. 9.2.3). Sprachkontakt in der Geschichte des Deutschen 211 12.2.5 Das 18. Jahrhundert: Französisch als Sprache der Höfe Nach dem Humanismus und der Renaissance nimmt der Sprachkontakt mit dem Lateinischen wieder ab, stattdessen nimmt erneut der Einfluss des Französischen zu, besonders in der Alamode-Epoche, der Zeit nach dem 30jährigen Krieg. Vor und nach Ludwig XIV. (1650-1770) ist Frankreich die führende Nation. Adel und gehobenes Bürgertum orientieren sich an der Mode (à la mode) von Paris und am französischen Königshof. Um 1700 ist in diesen Schichten Zweisprachigkeit absolut üblich. Die Sprache des Hofes und damit Prestigesprache ist das Französische. Vielzitiert ist folgender Ausspruch von Voltaire, der 1750 vom Hofe Friedrich II. schreibt: Man spricht nur unsere Sprache. Das Deutsche ist für die Soldaten und die Pferde (vgl. Stedje 1989: 143). Aus dieser Zeit des Sprachkontakts resultieren wieder eine ganze Reihe von Lehnwörtern: im Bereich Mode: Mode, Kostüm, Weste, Parfüm, frisieren, Perücke im Bereich der Küche: Bouillon, Omelette, Ragout, Torte, Serviette, Tasse in der Wohnkultur: Balkon, Salon, Hotel, Gardine, Sofa, Büfett im Gesellschaftsleben: Maskerade, Billard, Karusell, Promenade Neben Substantiven finden sich hier auch eine ganze Reihe von Adjektiven (galant, charmant, curiös, nobel, nett, interessant) und Verben (amüsieren, spendieren, parlieren, maskieren). Allerdings handelt es sich dabei häufig um eine kontextbedingte Auswahl aus herkunftssprachlichen Verwendungsmöglichkeiten. Grundsätzlich werden Lehnwörter nicht in allen Bedeutungen der Herkunftssprache entlehnt, vgl.: Karriere: 'beruflicher Aufstieg', aber nicht: 'Fahrt, Bahn' Plateau: 'Hochebene', aber nicht: 'Platte, Waagschale, Bett' Durch Kontakt mit Reisenden, Händlern und Soldaten in Kriegszeiten gelangten viele Wörter auch in untere Volksschichten und leben heute noch in Mundarten fort (vgl. bair. Trottoir, Böfflamot 'Bœuf à la mode', Berlinisch Budike 'Geschäft', direktemang 'direkt, gerade') (vgl. von Polenz 1994: 100f.). Während es sich bei diesen Wörtern häufig um sog. 'Bedürfniswortschatz' handelt (neue Bezeichnungen werden mit der jeweiligen Sachwelt übernommen), geht der Lehneinfluss so weit, dass auch der Grundwortschatz betroffen ist. Aus dem Französischen übernommene Verwandtschaftsbezeichnungen wie Papa, Mama, Onkel, Tante, Cousin, Cousine verdrängen die ursprünglichen deutschen Begriffe. Die Bezeichnungen Onkel und Tante stehen nun für jeweils zwei Bezeichnungen im Deutschen: für Vetter (= 'Vaterbruder') und Oheim (= 'Mutterbruder') einerseits und für Base (= 'Vaterschwester') und Muhme (= 'Mutterschwester') andererseits. Die Übernahme der französischen Begriffe ist mit einem soziokulturellen Wandel erklärbar: Durch den Verfall des alten Verwandtschaftssystems kommt es zu einer Neutralisierung der Unterscheidung von 'väterlicherseits' vs. 'mütterlicherseits' und 'blutsverwandt' vs. 'heiratsverwandt'. Die lexikalischen Historischer Sprachkontakt 212 Übernahmen haben damit auch einen semantischen Mehrwert (vgl. von Polenz 1994: 85). Etwa die Hälfte der Wörter, die in der Zeit entlehnt wurden, ist wieder verschwunden. Der übertriebene Gebrauch wurde schon damals von den Zeitgenossen kritisiert. Vgl. das folgende Spottgedicht: 117. Reverierte Dame Phoenix meiner ame Gebt mir audientz Euer Gunst meriten Machen zu falliten Meine patientz. (zit. nach Stedje 1989: 143) Die Auswirkungen des Sprachkontakts betreffen auch den Bereich der Morphologie. Hier wird ein neues Pluralmorphem mit den französischen Substantiven entlehnt, danach isoliert und (später auch unter dem Einfluss des Englischen) grammatikalisiert, nämlich der s-Plural. Er ist heute nach bestimmten Wortgruppen obligatorisch, z.B. bei Substantivierungen ohne Ableitungsmorphem (Hochs, Tiefs, Hurras) oder Wörtern mit Stammausgang auf Vokal (Uhus, Omas, Fotos, Dias) (vgl. ähnlich bei von Polenz 1994: 92). Eine weitere Entwicklung im morphologischen Bereich ist die Entstehung sog. 'Konfixe': Das sind Morpheme, die zwar als Basis einer Wortbildung vorkommen können, aber nicht als selbstständige Grundmorpheme (z.B. thermo-, phil-, -meter, -graph, -log). Die Morphemstämme kommen zwar aus dem Griechischen, der Bildungstyp wird aber aus dem Französischen übernommen. Die ersten deutschen Lehnwortbildungen mit diesem Morphemtyp sind Philantropin (1777) und Philantropist (1781). Die Konfixbildung ist heute eine sehr übliche Form der Wortbildung in Wissenschafts- und Fachsprachen (vgl. von Polenz 1994: 98f.). Ein weiterer Kontakteinfluss, der allerdings nur bereits angelegte Tendenzen verstärkt, könnte im Ausbau der von + Dativ-Konstruktion als Ersatz des alten possessiven Genitivs gesehen werden (Das Auto von meinem Freund statt das Auto meines Freundes). Der Grund für den massiven Einfluss des Französischen im 18. Jh. ist in der deutsch-französischen Zweisprachigkeit zu sehen, die in bestimmten Gesellschaftsschichten herrschte. Französisch ist nicht nur die Diplomaten- und Gelehrtensprache und Sprache des gesellschaftlichen Umgangs, sondern selbst im gehobenen Bürgertum werden Kinder zweisprachig erzogen. Thomasius bemerkte Ende des 17. Jhs. sogar: Bey uns Teutschen ist die französische Sprache so gemein geworden, daß an vielen Orten bereits Schuster, Schneider, Kinder und Gesinde dieselbige gut genug reden [...] (zit. nach von Polenz 2009: 101) Diese Tatsache muss auch Auswirkungen auf das Sprachsystem gehabt haben, die aber bisher noch nicht detailliert untersucht wurden. Allerdings weist von Polenz (1994: 67) mit Recht darauf hin, dass das Französische auf bestimmte Sach- Sprachkontakt in der Geschichte des Deutschen 213 gebiete beschränkt und an bestimmte Handlungsrollen und Situationen gebunden war. Er spricht daher in diesem Zusammenhang von einem pragmatisch differenzierten Bilingualismus. Dies lässt sich etwa auch an Beispielen von Code- Switching im Bereich der Briefkorrespondenz bekannter Persönlichkeiten des 18. Jhs. zeigen. Ein sehr umfangreiches Corpus bietet hier die Korrespondenz des preußischen Reformers Karl Frhr. vom Stein. Etwa zwei Drittel seiner Briefe sind deutsch, der Rest französisch, je nach Adressat. Interessant sind hier Sprachmischungen, die innerhalb eines Briefes auftreten, wie in dem folgenden Brief an seine Frau: 118. Des lettres de Hufeland me rassurent entièrement sur la poitrine d'Henriette. Il attribue ses incommodités einem im vorigen Jahr in Böhmen erlittenen und nicht gehörig abgewarteten Ausschlagfieber. Il s'attend pour elle et pour vous, ma chère amie, à un effet extrêmement bienfaisant des eaux de Pyrmont. [...] So, hoffe ich, wird endlich einmal die Einrichtung des Hauses geendigt, und wir werden im Fall sein, es ruhig zu bewohnen. Marianne schickt uns einen Gärtner, ich wünschte, sie besuchte Dich in Nassau. Mme de Löw, née Diede, a été en ville, et je l'ai vue plusieurs fois [...] Adieu, ma chère et bonne amie, je fais de vœux pour votre santé et embrasse les enfants. Wann kommen meine Bücher, meine Papiere und mein Schreibtisch von Prag? (Brief vom 24. Juni 1814, ed. Botzenhart, Bd. 5, S. 36) In diesem Brief fällt beispielsweise auf, dass vom Stein meist themenbezogen zwischen den Sprachen wechselt: Alles was mit der Einrichtung des Hauses zu tun hat, ist auf Deutsch, weitere Nachrichten auf Französisch. Interessant ist auch, dass die persönliche Verabschiedung ebenfalls auf Französisch erfolgt. Das könnte aber mit der Briefkonvention (Floskelhaftigkeit bei Begrüßungs- und Abschiedsformeln) zu tun haben. Auffällig an diesem Beispiel ist besonders der Wechsel vom Französischen ins Deutsche im zweiten Satz. Hier handelt es sich offensichtlich um die Zitatfunktion von Code-Switching: Es werden die Worte de Hufelands wiedergegeben (vgl. dazu und mit weiteren Beispielen auch von Polenz 1994: 71f.). Von Polenz (ebd.: 100) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Französische auch auf dem Gebiet der Stilistik Auswirkungen gehabt haben dürfte: So könnte der etwas stärker sprechsprachlich orientierte französische Briefstil nicht unwesentlich zur Lockerung des stark durch den Kanzleistil bestimmten Stilideals des Deutschen beigetragen haben. Dies ist auch in den oben gezeigten Passagen der mehrsprachigen Korrespondenz festzustellen. 12.2.6 Der Einfluss des Englischen Der Einfluss des Englischen auf die deutsche Sprache begann auf literarischer Ebene schon im 17. und 18. Jh. - durch Handelskolonien in Hamburg oder literarische Zirkel in Zürich, Leipzig und Göttingen -, verstärkt sich aber deutlich im 19. Jh. im Zuge der Industriellen Revolution und der ersten Ansätze der Demokratisierung (von Polenz 1999: 401). England war Vorbild in Industrie und Han- Historischer Sprachkontakt 214 del, im Verkehrs- und Pressewesen. Mit diesen Errungenschaften wird wieder der dazugehörige Wortschatz entlehnt (z.B. Trust, Partner, Tunnel, Waggon, Express, Essay, Reporter, Interview). Die Beziehungen zwischen Deutschland und England wirkten auch im "modischen Gesellschaftsleben[.]" (ebd). Um 1900 hat das Englische als modische Konversationssprache das Französische verdrängt. Im 20. Jh. nahm der Einfluss weiter zu, viele Lehnwörter waren bereits in den 20er Jahren üblich (Film, Bestseller, Jazz, Song, Pullover, Manager, tanken), wurden nur durch puristische Haltungen während des Ersten Weltkrieges und in der Nazizeit wieder zurückgedrängt. Ab 1945 machte sich nun nicht mehr der britische, sondern der angloamerikanische Einfluss bemerkbar und dehnt sich auf alle gesellschaftlichen Schichten aus. Durch Verbreitung des Englischen als schulische Fremdsprache sind die englischen Lehnwörter meist nicht in das deutsche Schriftsystem integriert (d.h. sie werden mit englischer Orthographie geschrieben), wohl aber weitgehend auf lautlicher und auf morphematischer Ebene (d.h. die Wörter sind deklinierbar und konjugierbar). Allerdings kommt es im Bereich der Aussprache zu größeren Schwankungen und zahlreichen Varianten (s. Munske 2010). 73 Insgesamt ist ein Bemühen festzustellen, die Entlehnungen möglichst quellsprachnah zu verwenden. Lautsubstitutionen kommen weitgehend nur bei Sprechern mit wenig Übung im Englischen vor: [ ] statt [s] vor Konsonant in Wörtern wie Spleen, Snob, stop, Monophthong [o: ] oder [e: ] statt Diphthong in Toast, Baby usw. (vgl. von Polenz 1999: 403f.). Viele Lehnwörter decken den Bedarf, andere sind Luxuslehnwörter und werden aus Prestigegründen entlehnt. Meist wird eine Bedeutungsdifferenzierung vorgenommen: Drink ('alkoholisches Getränk'), Hit ('erfolgreicher Schlager'), Meeting ('sportliche, geschäftliche Zusammenkunft'), Bike ('Fahrrad als Sportgerät'). Ein Bedürfnislehnwort in diesem Zusammenhang war das Wort Baby. Im Krankenhaus gibt es nur Säuglinge, Säuglingsstationen und Säuglingsschwestern. Säugling und Kleinkind sind amtliche Bezeichnungen, Baby vermittelt den Gefühlswert (von Polenz 2009: 139f.). Hier lässt sich also eine ganz ähnliche Entwicklung erkennen wie bei den Übernahmen aus dem Französischen im Mittelalter und teilweise auch im 18. Jh. (s. Kap. 12.2.3 und 12.2.5). Neben den lexikalischen Entlehnungen gibt es auch Bedeutungstransfer auf einheimisches Wortmaterial: Das Verb buchen ('in ein Rechnungsbuch eintragen') nimmt die zusätzliche Bedeutung von engl. to book 'einen Platz bestellen' an. Ebenso dehnt das aus dem Lateinischen stammende Wort realisieren ('verwirklichen') unter dem Einfluss von engl. to realize seine Bedeutung auf 'einsehen, bemerken' aus (vgl. Stedje 1989: 24). Eine 1: 1-Übersetzung findet sich dagegen bei der Kollokation das macht Sinn ('it makes sense' statt: das ist sinnvoll). Eine Übernahme im Bereich der Morphosyntax ist die Verwendung der Präposition in bei Jahreszahlen: Das war in 2005 (statt: Das war 2005). Hier könnte Analogiebildung 73 Die Schreibung Ketschup für Ketchup nach der neuen Rechtschreibung ist eigentlich inkonsequent, sie müsste wenn dann Ketschap lauten. Zusammenfassung 215 zu anderen Datumsangaben (im Monat August, im Jahre 2005) den Sprachkontakt unterstützt haben. Eine weitere Tendenz ist der zunehmende Gebrauch von Nominalkonstruktionen vom Typus Kohl-Regierung (statt: Regierung Kohl) in Anlehnung an englische Bildungsmuster wie Bush administration (s. Zifonun 2010). Auf den Einfluss im Bereich des Kulturkontaktes sind wir schon in Kap. 9 eingegangen: Hier werden Anredeformen aus der anglophonen Kultur, nämlich die Möglichkeit des Gebrauchs von Vornamen + höfliche Anrede mit Sie, sowie der Gebrauch von Komplimenten in kontakterhaltender Funktion übernommen. Auch im Bereich des wissenschaftlichen Diskurses ist das Vordringen von Mustern aus dem angelsächsischen Kulturkreis zu beobachten (vgl. Kap. 9.2.2). 12.3 Zusammenfassung In der gesamten Geschichte der deutschen Sprache lassen sich Sprach- und Kulturkontakt feststellen. Die wichtigsten Sprachen und Kulturen, die auf das Deutsche Einfluss hatten, waren dabei das Lateinische, das Französische und das Englische. Der größte und am längsten anhaltende Einfluss bestand auf dem Gebiet des Lexikons, hier wurden vor allem Wörter zusammen mit neuen Errungenschaften übernommen. Als man in mittelalterlichen Schreibstuben das Schreiben mit dem Griffel auf (Wachs-)Tafeln oder Pergament einführte, wurden mit den neuen Techniken auch die Wörter entlehnt. Das gleiche kann man nun bei der Übernahme der neuen Technologie Computer mit seinen Möglichkeiten, etwas auf dem Desktop oder USB-Stick zu speichern oder aus dem Internet zu downloaden, beobachten. Wie die Entlehnungsphase aus dem Französischen zeigt, verschwinden überflüssige Lehnwörter auch wieder aus der Sprache. Ein weiterer wichtiger Aspekt des historischen Sprachkontakts ist die Tatsache, dass ein Großteil der Schreiber im Mittelalter und der Frühen Neuzeit zweisprachig war, so dass sich auch hier der Sprachkontakt beim Individuum auf das Schreiben von Texten und die Struktur der geschriebenen Sprache auswirken konnte. Ähnliche Einflüsse des Französischen sind im 18. Jh. auf den Briefstil des Deutschen anzunehmen. Insofern haben wir es mit den gleichen Prozessen zu tun, die in den vorangehenden Kapiteln vorgestellt wurden. Corpora Australien: Aufnahmen Oktober 2008 - März 2009 in Melbourne. Unveröff. Corpus. Barossa-Deutsch: Aufnahmen 2009-2011. Eine Veröffentlichung der Aufnahmen ist in Planung. Brasilien: Aufnahmen Februar/ März 2012 in Blumenau. Unveröff. Corpus. Namibia: Aufnahmen März/ April 1999 in Windhoek und Grootfontein. Unveröff. Corpus. Ostbelgien: Daten aus teilnehmender Beobachtung und Interviews während der Feldforschungsaufenthalte von Oktober 1993 bis Mai 1996 (vgl. Riehl 2001). Rumänien, Russland, Tschechien, Ungarn: Aufnahmen aus dem DFG-Projekt "Form und Gebrauch des Deutschen in Mittel- und Osteuropa" 2001 (vgl. Eichinger/ Plewnia/ Riehl 2008). Eine Veröffentlichung der Aufnahmen am Deutschen Spracharchiv ist in Planung. Südtirol: Daten aus teilnehmender Beobachtung und Interviews während der Feldforschungsaufenthalte von Oktober 1993 bis Mai 1996 (vgl. Riehl 2001). 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Delaware 125 Deutsch s. auch deutsche Dialekte, Deutsch als Minderheitensprache, Schweizerdeutsch, Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch passim deutsche Dialekte badischer Dialekt 146f. bairischer Dialekt 54, 143, 147, 150, 152 hessischer Dialekt 144f. pfälzischer Dialekt 144f. ripuarischer Dialekt 152 sächsischer Dialekt 115, 146, 152 Wiener Dialekt 147, 152 Deutsch als Minderheitensprache Barossa-Deutsch 92f., 101, 107, 109, 115f., 186 Brasiliendeutsch 97, 101, 114 Hunsrückisch 114, 145 Namibiadeutsch 36, 100f., 104, 106f., 110, 113f., 117f., 120 Niederdeutsch 17f., 142, 144, 148, 153, 200 ostbelgisches Deutsch 103f., 106f., 115, 117, 155, 165, 169f., 176 Pennsylvania-Deutsch (= Pennsylvania-Dutch) 105, 109f., 112, 117, 119, 152, 189, 205 Russlanddeutsch 26, 30, 73, 90, 92, 97f., 100, 104, 106-109, 111, 113f., 116f., 119, 144, 176f., 182, 188 Springbok-German 106, 108, 113, 118, 120 Südtiroler Deutsch 17, 20, 41, 100, 104f., 113, 160, 170, 178-181, 184 Südwesterdeutsch 138 Texas-Deutsch 109 Ungarndeutsch 113 Walserdeutsch 68, 108, 110f., 117, 120 wolgadeutscher Dialekt 137, 144f., 152, 192 Elsässisch 16, 19, 21, 115, 146, 195 Englisch 15, 19ff., 23, 25-30, 32ff., 36, 39f., 48, 50, 60, 65, 69, 81, 83ff., 87, 91, 95, 98, 100-103, 106f., 110, 112f., 115, 119, 121, 124-127, 129, 138, 144f., 152, 158ff., 162, 166-169, 175, 187, 197, 199ff., 205f., 212-215 Ewe 65 Flämisch 64, 205 Frankoprovenzalisch 110, 147, 205 Französisch 15f., 18-21, 23, 32, 39f., 50, 64f., 77, 84f., 95, 101, 103, 110, 115, 125f., 129, 141f., 145ff., 150, 152, 154, 156f., 165, 168, 170f., 174, 189, 197f., 200f., 205f., 211-215 Galizisch 187 Griechisch 16, 130 Guaraní 18 haitianisches Kreol 16, 18 Hausa 65 Hebräisch 18, 159f. Herero 97, 139 Hindi 173 Indian English 175 Irisch-Gälisch 71, 174, 197 Register der Sprachen und Varietäten 240 Italienisch 13, 20-22, 24, 27-30., 32f., 55f., 64, 69f., 72, 81-84, 86, 95, 100, 102, 108, 110-113, 117, 141, 147, 153f., 156, 159, 160, 162f., 165, 174f., 178ff., 185 Japanisch 102, 161, 163, 168 Jiddisch 18, 71 Katalanisch 57, 71, 201 Keltisch 112, 185, 200 Khoekhoegowab 139 Kroatisch 173 Kymrisch 197 Ladinisch 175, 178, 180, 185 Latein 15f., 39, 101, 103, 155, 164, 188, 200-205, 207-211, 214f. limburgische Dialekte 147 Lower Chinook 123, 185 Maghrebinisch 20 Mittelhochdeutsch 205, 235 Niederländisch 18, 25, 30f., 86, 89, 91, 141f., 147, 170, 200, 205 Norwegisch 123 Okzitanisch 71 Panjabi 173, 175 Pidginsprachen Chinese Pidgin English 122 ChinesischesPidgin-Russisch 122, 124 Chinook-Jargon 122-124 Fanakalo 122, 127 Halbdeutsch 100, 137f. Hawaiian Pidgin English 124 Hiri Motu 127 Namibia Black German 139f. Pidgindeutsch 121, 129-139 Russenorsk 122f., 125 Tok Pisin 122, 124, 127 pikardischer Dialekt 152 Polnisch 95, 147, 191 Portugiesisch 65, 95, 114, 126 Rätoromanisch 64, 174 Romani 71 Rumänisch 95, 176, 190f., 193f. Russisch 19f., 22, 25-27, 29f., 56, 69, 73, 90, 95, 98, 107f., 113f., 116, 118, 168f., 176, 182f., 190f. Ruthenisch 20 Sardisch 71 Schweizerdeutsch/ schweizerdt. Dialekte 16, 147, 153 Serbisch 173 Shona 175 Slowenisch 130 Sorbisch 71 Sønderjysk 142 Spanisch 18, 21f., 24, 126, 130, 168, 175, 187, 201 Suaheli 20, 32, 65 Tschechisch 95, 118, 167ff., 191, 199 Türkisch 12, 73, 79, 99, 102, 130, 136, 173, 175, 188 Ukrainisch 20, 23, 49, 176, 190f. Ungarisch 20, 49, 95, 112f., 137, 191f., 194 Wambo 139 Weißrussisch 147 Zoldanisch 175 Sachregister Ad-hoc-Entlehnung s. Ad-hoc-Übernahme Ad-hoc-Mischung 151 Ad-hoc-Übernahme 22, 29f., 39, 41, 151, 208 Adstrat 201 Ähnlichkeitshemmung 89 afinite Konstruktion 210 akademisches Schreiben 165, 167, 169 Akkommodation 28, 141, 143, 145 Akkulturation 89, 91, 140 Akzent 23, 39f., 50, 79f., 122, 150 Akzeptanz (soziale) 40f. Alphabetisierung 77, 79 Alterität 179 Alternation 24 Amtssprache 47, 64f., 193, 195 Angleichungsprozess s. Konvergenz Arbeitsmigration 72, 78, 193 Argumentationsstrategie 165f. Aspekt (grammatischer) 112, 119, 122, 126, 205 Attrition s. Spracherosion Ausgangssprache 27f., 33, 100, 103, 123, 127, 134 Ausgleich (struktureller) 142, 145ff., 150, 153, 192 Ausklammerung 106f., 156 Ausländerregister 15, 120, 125, 128ff., 134f., 140 Auslösewörter 29ff., 151 Bedeutungserweiterung/ -differenzierung 104, 128, 147, 194, 203, 207, 214 Bedeutungsübernahme 36, 96-100, 102ff., 154f., 203, 214 Behaviorem 160 Beobachterparadox 48, 52 BICS 78 bilingual s. auch mehrsprachig 24, 26f., 33, 50, 53, 61, 79, 85, 135, 183 bilinguale Gemeinschaft s. mehrsprachige Gemeinschaft Bilingualismus s. auch Mehrsprachigkeit 19f., 55, 75, 81, 186, 191, 213 Biliteralismus 78 Bioprogramm 126, 140 CALP 78 Code-Mixing 24, 33 Code-Switching 18, 21-29, 31-35, 41f., 52-55, 62, 91, 106, 150f., 198, 208f., 213 flagged 25 funktional 25 nicht-funktional 29, 60, 151 konversationell 26ff. situationell/ situativ 25, 183 intersententiell 33 intrasententiell 33 cognates 59, 102 congruent lexicalization 24, 31 cross language cue competition 84 crosslinguistic influence 95 Dachsprache 46, 141f., 146f., 174, 191 Dialekt 13, 15, 17-21, 24, 30, 43-46, 53f., 61, 67-70, 89, 95, 101f., 110, 112, 114f., 117, 133, 141-156, 171, 174ff., 178-181, 184, 187, 190f., 194f., 203f., 206, 211 Basisdialekt 107, 115, 145, 148-151, 153 Regionaldialekt 20, 145, 149 Dialektabbau 153 Dialektausbau 153 Dialektkontinuum 141, 148, 152, 174 Dialektmischung 67, 142 Diglossie 16-20, 42, 46, 147f., 186, 191 Diskursmarker/ Diskurspartikel 30f., 98f., 116, 152f, 204, 209 Sachregister 242 Diskursmuster 157, 167, 170f. Diskursregeln 157, 160 diskursstrategische Funktion s. Code- Switching, konversationell Divergenz 141, 148f., 152, 173 Domäne 16, 18, 20, 38, 46f., 75, 147, 186f., 190, 202 doppelte Halbsprachigkeit 78 dormant language 89 Drei-Generationen-Regel 72, 188 Drittsprache 90, 121 Dynamic Systems Theory 76 eingebettete Sprache (embedded language) 24, 34, 64, 209 Einpassung s. Integration einsprachig 13, 22, 24, 27, 29, 32, 36, 41, 50-52, 56, 59, 64, 66, 72, 74f., 78, 81, 83ff., 97, 181f. Elizitation, kontrollierte 58 Endogamie 73, 188, 193, 196, 199 Entlehnung s. auch Transfer 12, 22ff., 29f., 38-42, 69, 96-98, 100f., 147, 185, 200-203, 205-208, 214f. Erstsprache 12f., 15, 17, 27, 37, 59, 63, 66, 70f., 76f., 81, 90f., 93, 95, 104, 121- 124, 170f., 176, 182, 207 Erstspracherwerb 159 bilingualer 79ff., 87, 93, 182 Ethnolekt 15, 135ff., 140, 175 Exogamie 188 experimentelle Tests 50ff., 55, 58, 62 Externalisierung von Merkmalen 116 Facilitation 31 falsche Freunde 103 Familiensprache 80f. Fokussierung 126, 204 Fossilisierung 88f., 135 Fremdwort 39f., 100, 103 Gastarbeiter 71, 88, 130, 132, 135 Gastarbeiterdeutsch 15, 100, 129ff., 134ff., 140 Gebersprache 100, 209 Gebrauchssituation/ -kontext 36, 40, 65, 96, 112, 118, 124, 128, 153, 204 Gebrauchssprache 75 gemischtsprachige Familien 80, 193 Generalisierung 111, 118, 130 Genese (von Pidgins) 125f. Monogenese 126, 140 geschriebene Sprache 39, 75, 164, 171, 215 Gesprächswörter s. Diskurspartikel gesprochene Sprache/ Varietät 35, 51, 65, 71, 75, 77, 83, 154, 156f., 167, 175, 206 Geste/ Gestik 98, 129, 153, 161ff. Embleme 162f. Illustratoren 162 Regulatoren 161f. Gewährsperson s. Informant glottophage Sprache 187 Grammatikalisierung 119, 137 H-Varietät 16-20 High Variety s. H-Varietät Hochsprache s. Standardsprache Höflichkeitsmuster 157, 165, 206 Homophone, bilinguale 30f. hybride Formen/ Strukturen 95, 97, 149 Hyperkorrektur 149, 153 Identität 15, 28, 50, 71, 91, 136, 144, 172-184, 192, 194, 196, 198f. ethnische 15, 153, 172, 174, 176f., 182, 184 Gruppenidentität 17, 172 Personenidentität 172 Identitätsbildung/ -konstruktion 15, 172, 174, 176-179, 183f. Immersion 77 Immigranten s. Migranten Infinitiv 36, 101f., 107f., 117f., 120, 128, 130, 145 Informant 26, 43, 47, 49, 51, 70, 182, 189, 199 Input 33, 81, 83, 85, 87f., 90f., 93, 130, 187 Sachregister 243 Input-Switch 151 Insertion 24 Integration (grammatische) 23, 40, 99- 102, 152, 155, 189, 198, 206f., 210, 214 Interaktion (sprachliche) 18, 26f., 48, 98f., 157, 160, 172, 197f. Interferenz 35, 142 Interlanguage 87, 95, 186 Interview 26, 47, 49, 51, 53, 58, 90, 130- 133, 176, 178, 214 gesteuert 43, 61 Intonation 39, 96, 113f., 129, 153, 172 Kasusabbau 109f., 116f. Kasusmarkierung 24, 109, 128 Kasuszusammenfall 109, 111 klarifizierende Merkmale 129 kognitives Prinzip 116, 118, 120 Koiné 138, 145 Koineisierung 127, 139, 145f. Kollokation 92, 104, 214 Koloniebildung/ Kolonisierung 68, 73, 142, 188 Kolonialisierung 18, 65, 121, 127, 138 Kommunikationsmedium 90, 94 Kommunikationspartner 32, 85, 163f., 189f., 195 Kommunikationsradius 67, 70 Kommunikationssystem 98 Kompetenz 18, 23, 27, 31, 34, 49, 60f., 75f., 78f., 88-91, 93, 110, 136, 182, 187, 190f. Kontakteinfluss 53, 70, 107, 111, 114, 140, 207, 212 Kontaktphase 200ff. Kontaktsprache 14f., 31, 36, 38, 40ff., 53, 91, 97-100, 102, 104-108, 111ff., 116, 118ff., 122, 125, 137, 139, 148, 156, 171, 187, 193f., 196, 205, 209f. Kontaktstellung (grammatisch) 66, 107, 118 Kontextstil 52 Kontextualisierungshinweis 26 Konventionalisierung 123 Konvergenz 31, 36, 104, 117, 120, 139, 141ff., 146-149, 152 Konvergenzdruck 145 Kookkurrenzrestriktion 150 Kreolsprache 122, 124, 126f., 175, 187, 201 Kulturkontakt 15, 45, 53, 154, 157-165, 169ff., 176, 178, 200f., 205f., 210, 215 Kulturspezifik 159f., 162, 164-168 L-Varietät 16-20 Low-Variety s. L-Varietät Langzeitstudie (Longitudinalstudie) 90 latente Kategorie 112, 116, 119 Lateralisation 80, 88 Laut-Denken-Protokolle 57f. Lautung s. Transfer, prosodischer/ phonologischer Lehnwort 22f., 30, 37-41, 101f., 208, 211f., 214f. Bedürfnislehnwort 214 Luxuslehnwort 214 Lehnübersetzung 203 Leitfaden 47, 49 Lernergrammatik 87f. Lernervarietät 87, 134, 140 pidginisierte Lernervarietät 134 Lernreihenfolge 134 lexemgebunden 145, 151 Lexifizierersprache 122 Lexikalisierung 24, 30, 110 Lingua franca 65, 124, 126 matched guise-Verfahren 50 Makrostruktur 79, 167 markierte Struktur 126f. Matrix Language Frame Model 33 Matrixsprache 25, 34 mehrsprachig 14, 20, 26, 32f., 35, 39ff., 61, 64f., 73ff., 83, 90, 96, 114, 124, 137, 181-184, 192, 199, 203, 206, 208, 213 mehrsprachige Gesellschaft 12, 21, 24, 63, 74, 77, 90, 121, 192 Mehrsprachigkeit 12, 14, 19, 44, 48, 55f., 59, 65f., 72f., 75-78, 89f., 93f., 170, 176, 183, 187f., 192, 207, 209 individuelle 43, 63, 65, 75f., 93 Sachregister 244 institutionelle 63 territoriale/ gesellschaftliche 63f., 74f. mentale Repräsentation 55, 59 Migranten 12, 14, 32f., 64, 71-74, 76-79, 89f., 95, 121, 137, 162, 173ff., 188, 193, 203 Minderheit 14, 19f.f., 26f., 39, 41, 49, 53, 63f., 66f., 69-74, 77f., 95, 97, 105, 115f., 121, 143, 169, 173, 176ff., 180f., 183f., 190f., 194, 197 allochthone 71 autochthone 70, 73 Grenzminderheit 66, 69, 74, 178 Restminderheit 66, 70, 178 Sprachinselminderheit 66f., 72, 105 Minderheitenrechte 178 Minderheitensprache 19, 26, 38, 64, 67, 71, 174f., 183, 187, 189f., 192-197 Mischsprache/ Mischvarietät 14, 69, 121, 139f. 156, 191 Monitor 32, 56 monolingual s. einsprachig Monolinguismus/ Einsprachigkeit 182, 186 Multiethnolekt 137, 175 multilingual s. mehrsprachig Mundart s. Dialekt Muttersprache 13f., 48, 53, 63, 65, 70, 73, 75, 77ff., 81, 87f., 90f., 94, 124, 128, 130, 135f., 140, 159, 177, 182ff., 190, 203, 205, 207 Muttersprachlicher Unterricht 79 Nähesprache 191 Nationalsprache 17, 65, 177 Negation 84, 87, 107, 118, 122, 129-132, 139 Nehmersprache 23, 40, 96, 112, 119 Netzwerk (soziales) 41, 70, 73, 137, 197ff. nonverbale Kommunikation 15, 129, 160-163, 171 Norm (sprachliche) 78, 96, 106, 135, 173ff., 193, 198f. Ökonomieprinzip 116f., 119f. offizielle Sprache 20, 64ff., 193 optionaler Ausdruck 119 paraverbal 129, 160 Pausenmessung 56 Performanz 34f., 88, 91, 110 Pidgin/ Pidginsprache 15, 121-131, 134f., 138ff., 186f. erweitertes Pidgin 124 Pidgindeutsch 121, 129ff., 137ff. Pidginmerkmale 135 Pidginisierung 14, 100, 117, 125ff., 130, 135, 186, 200 phonetische Kontraste 38, 80 Polyglossie 20, 190f. Prägung 104f. Pragmatik 15, 43, 81, 99, 129, 153, 158f. pragmatische Differenzierung 124, 213 Prestige 17-20, 41, 73, 75, 81, 146f., 151, 187, 192-198, 211, 214 Priming-Tests 58f. Pro-drop-Sprachen 111, 117 Proxemik 161, 163f. Quellsprache 123 Rede- und Schweigekultur 160f. Reduzierung 145f. reflexive Verben 111 Regionalsprache 70f. Relexifizierung 138 Reliktvarietät 93 Salienz 146 Schriftlichkeit, konzeptionelle 210 Schriftsprache 16, 19, 21, 38, 68, 70, 77, 80, 147 Schriftspracherwerb 53, 77 Schriftsprachlichkeit 204 Schulunterricht s. Unterricht Schwellenwerthypothese 91, 93 Semilingualismus, s. Doppelte Halbsprachigkeit Simplifizierung s. Vereinfachung soziokulturell 183, 198, 211 Sachregister 245 soziolinguistische Begriffsbestimmung 12 soziopsychische Disposition 67, 194, 196 Sprachatlas 43f. Sprachdominanz 47f. Spracheinstellungen 47f., 61, 196 Sprachenpolitik 197 Spracherhalt 15, 70, 72f., 184f., 187f., 190, 192, 195ff., 199 Spracherosion 56, 76, 89-91, 93f., 117, 186, 190 Sprachgebrauch 12f., 37, 41, 47ff., 52, 61, 75, 81, 91, 157, 190, 197, 199 Sprachgemeinschaft 12, 16, 18, 20, 22ff., 30f., 39-42, 48, 50f., 53, 62, 66f., 73, 89f., 93, 96ff., 105, 108, 118, 122, 142f., 157, 163, 169, 171, 173, 176, 178, 186, 188f., 192, 195, 198 Sprachinsel 12, 67-71, 73f., 98, 100f., 105, 110, 144f., 185, 188, 190 Sprachkompetenz s. Kompetenz Sprachkontakt 12-16, 21ff., 35-39, 41ff., 45, 49, 51-54, 58, 60-63, 69f., 73f., 85, 90ff., 95ff., 99, 101-105, 107-112, 115- 118, 120f. 127, 137, 140ff., 144, 148f., 152-160, 163, 165, 167-172, 176f., 181, 183-187, 190, 194, 198-207, 209, 211f., 215 indirekt 115 Sprachkontakterscheinungen s. -phänomene Sprachkontaktphänomene 12f., 15, 39, 41, 51f., 60, 62, 69, 73, 84, 91, 95f., 108, 116f., 120f., 149, 156, 176, 183, 185, 187, 199, 201, 204 Sprachmanagement 41, 193, 196-199 Sprachminderheit s. Minderheit Sprachmischung 21, 53, 75, 81, 83f., 176, 183, 186, 194, 198, 213 Sprachplanung 197 Sprachsystem 12, 23, 31, 37, 82ff., 87, 91, 95, 119f., 157, 171, 209, 212 Sprachtod 185, 189 Sprachverlust s. Attrition Sprachwandel 41, 140, 143, 190 Sprachwechsel 15, 19, 23-26, 28, 32, 34, 48, 90, 93, 176, 184-192, 195ff., 199 Sprachmodus 31 bilingual 32 monolingual 27, 32, 51, 90, 93 Staatssprache 63, 66, 74, 141, 146f., 179ff., 203 Stabilität 17, 38, 131, 134 Standardsprache/ -varietät 13, 15, 20, 24, 70, 117, 135, 141f., 145-150, 152-156, 190-195 Stereotype 50, 143, 180 stilistische Varianten 186 Stroop-Test 59f. Subjective Evaluation Test 50 Substrat 124-127, 137, 200f. Superstrat 124, 200f. Territorialprinzip 64 they-code 28 Transfer 14, 22, 24, 33, 35, 39, 41f., 62, 84, 87, 95ff., 108, 110, 113f., 118, 120, 124, 147f., 160, 185, 198, 200ff., 205, 210, 215 prosodisch/ phonologisch 30, 38, 96, 114f., 147, 206 lexikalisch 30f., 39, 96-99, 114, 203, 211f., 214 morphologisch 38f., 96, 112, 147, 194 semantisch (Bedeutung) 36, 60, 102ff., 154, 176, 203, 214 syntaktisch 38, 96, 105, 108 Transferenz 35, 104 Transgression 175 Transkription 53ff., 131, 178 translanguaging 183 Transmigranten 71 trigger-words/ triggering s. Auslösewörter Triglossie 20 typologische Distanz 147 Überdachung (anderssprachige) 67, 70 Übergeneralisierung 100, 117 Übernahme s. Transfer Sachregister 246 Übersetzungsäquivalent 29, 36, 83, 114 Übersetzungstext 204 Übung 85f., 214 Umgangssprache 15, 136, 147-150, 152, 156, 192 Umgebungssprache 15, 41, 49, 69f., 73, 94f., 109, 187, 190, 192, 194ff. Universalität 140 Unterricht 65, 73, 76-79, 88, 93, 121, 170f., 183, 198 Unterrichtssprache 65, 193 Variabilität 88, 135 Varietät 12f., 14-22, 24, 30, 32, 43, 45f., 48, 58, 77, 87, 93, 95, 106, 121, 130, 132, 134-141, 143, 145, 148-152, 156, 171, 174f., 177, 180, 184, 190f., 195, 201 Varietätenkontakt 13, 15, 141f., 150ff., 154, 156 Varietätenspektrum 149 Verbklammer 106, 118 Verbstellung 134, 156, 209 vereinfachte Sprache 15, 121, 125, 127f., 140 Vereinfachung 116f., 119, 122, 125-129, 131, 137, 140, 146, 185, 187, 200 Verkehrssprache 65, 139 Vermeidungsstrategie 95 Verneinung s. Negation Vernetzung (von Sprachen) 43, 45, 58- 62 Verschriftlichung 174 Versprecher 55f. Verstehbarkeit, wechselseitige 123 verwandte Sprachen 16, 18, 24, 30, 58, 89, 103, 113, 123, 127, 139f., 187 Vokabular 38ff., 42, 45, 69f., 73, 81, 83, 85, 91f., 96f., 102f., 114ff., 122, 124, 128, 134, 136, 138, 146f., 185, 187, 200ff., 205-208, 211, 214 we-code 28, 175 Wortfindungsschwierigkeiten 89, 91 Wortstellung s. auch Verbstellung 34, 36, 84f., 96, 105-108, 118f., 128, 130, 133, 204 Wortschatz s. Vokabular Xenolekt s. Ausländerregister Zielsprache 24, 35, 87f., 99, 134f. Zweisprachigkeit 17, 64, 170, 191, 207, 211f. zweisprachige Erziehung 13 Zweitsprache 12f., 37, 59, 71, 78f., 81, 87, 94f., 98, 105, 121, 191, 207 Zweitspracherwerb 78, 87, 135, 172 gesteuert 76, 87 ungesteuert 76, 79, 8 7 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BESTELLEN! Jürg Fleischer Oliver Schallert Historische Syntax des Deutschen Eine Einführung narr Studienbücher 2011, 359 Seiten €[D] 24,90/ SFr 35,90 ISBN 978-3-8233-6568-6 In dieser Einführung werden zentrale Phänomene und Probleme der historischen Syntax des Deutschen behandelt. Da ältere Sprachstufen nur über schriftliche Dokumente zugänglich sind, kommen Fragen der Methodologie und der Interpretation von Quellen ausführlich zur Sprache. Den Kern bildet die Darstellung einzelner syntaktischer Entwicklungen (u.a. Kasussyntax, Kongruenz, Wortstellung). Ausführlich thematisiert wird auch die Erklärung syntaktischen Wandels, wobei externe Ansätze (Normierungen, Sprachkontakt) ebenso zu Wort kommen wie interne (funktionale und formale Erklärungen). Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG ! "# $ www.narr.de JETZT BES TELLEN! Mehrsprachigkeit aus deutscher Perspektive % & ' () * % +& , % ISBN 978-3-8233-6765-9 - ' . ! % / $ 0" "1 " / ' ' / % 2'/ '' 1/ 3 &4 / 3 4 5./ 3 / ! - 1/ 4/ 2' ' $ $ / ' &4 % '' ' $ 3 '' " ' / "4. 6" ' ' $ 7 ' 8 4 2 ' $ $ / ! ! ' / $ / ! ' 2' 0 9 3 2" 2 ' % 3 ' $: $ 4 . ' &4 / $"2/ 3 ' '% / $ ' 4 ' ' ' $ - ' . 0" 3/ ' / 6" ' ' 1/ / ! " ' 9 $ &'/ $ 1/ '' ; ' ' " 0" ' '% 3 " ' " &4 / 0" 6 $ % </ $ / $ 9 / 5/ $% =" / $ $ 2 3 ! ' ' / ! ! " - ' . 1/ / '" ' " - / '.' $ & 1 / $ >" $ $ / ' $ ? ' / 2'/ $ - ' . @ 8 ' $ 3 $ % / ! ' 4 34 " ' $ ? / 4/ 2' $ " / = . "3 $ codeswitching% $ code-mixing / $ ' 3" 4 " : ' 2' - ! $ 93 1 '. $ 3 4 A '.' % $ $ 0" "2 0 / 1 ' 7 / 44 ' cultural practices / % $ $ - 0 - ' . &4 4 "1 $ 3 / $ $ & / $ $ $ '' ' 3 ' ? ? - ' . 3 3 ' $ &" / 3 ! $ 8 ' $ 3 / 1/ B $ $ 9/ "4 % $ " '. $ 5 / 3 ? ' " ' / ! $ $ 3 4 8 ' $ ' / 2"33' Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BESTELLEN! JE Ruth Albert/ Nicole Marx Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachlehrforschung Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht narr studienbücher 2010, 202 Seiten, €[D] 19,90/ SFr 30,50 ISBN 978-3-8233-6590-7 Das Studienbuch bietet eine systematische Anleitung für Studierende, die eine quantitativ vorgehende empirische Untersuchung im Bereich Linguistik/ Sprachlehrforschung planen. Jeder einzelne Schritt wird ausführlich erklärt: vom Finden einer genau definierten Untersuchungsfrage über die Methoden der Datenerhebung (Beobachtung, Befragung, Experiment und Nutzung von Textkorpora) und -auswertung sowie deren statistischer Aufbereitung bis zum Schreiben des Forschungsberichts. Zu allen Kapiteln gibt es Übungsaufgaben mit Lösungshinweisen und ausführliche Hinweise auf weiterführende Literatur. Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BESTELLEN! Claudia Meindl Methodik für Linguisten Eine Einführung in Statistik und Versuchsplanung narr studienbücher 2011, 302 Seiten €[D] 22,90/ SFr 32,90 ISBN 978-3-8233-6627-0 Wie erhebt man linguistische Daten und wertet sie professionell aus? Mit der Umstellung auf Bachelor und Master haben viele Universitäten Lehrveranstaltungen zur Methodik in die Module ihrer Studiengänge aufgenommen. Das Studienbuch gibt dazu passend eine anwendungsorientierte Einführung in die Versuchsplanung und in die beschreibende und erklärende Statistik. Neben Tipps aus der Praxis werden auch die Grundlagen methodischen Arbeitens wie die Erkenntnis-, Mess- und Wahrscheinlichkeitstheorie vermittelt. Mathematikkenntnisse werden nicht vorausgesetzt. Die Autorin erklärt den Umgang mit Formeln, führt aber auch in die gängigen Statistikprogramme (SPSS und R) ein. Durch anschauliche Beispiele und Übungsaufgaben ist das Lehrbuch auch zum Selbststudium geeignet. Zielgruppen: Studenten der Linguistik und der angrenzenden Disziplinen, Lehrende im Bereich Methodenlehre. 077211 Auslieferung August 2011.indd 4 16.08.11 14: 57 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG ! "# $ www.narr.de JETZT BES TELLEN! Wolfgang Dahmen / Günter Holtus Johannes Kramer / Michael Metzeltin Wolfgang Schweickard / Otto Winkelmann (Hrsg.) Südosteuropäische Romania Siedlungs-/ Migrationsgeschichte und Sprachtypologie - ' . 1/ C / ' 2% - $ D % A; ; ; % & ' () * ,E% +& E % ISBN 978-3-8233-6740-6 FFA - $ $ 5"3 ' 6" "G/ / 3 $3 ' $ 3 ./ 3 / $ ' % '" 2'/ 6" ' ' $ "3 A '.' / $ ' "3 6" ' 2' 4 & $" ' / "4 9 ' 3 ' ' $ 1/ 1/ &4 ': 4" " % 8" 4 " " % "4" "3 ' 2% &4 ' / $ 1/ 3 &4 2" ' 2'% / 1/ 8 ' " / $ / 3 1% 1/ & $ / : ' 3 "$ 1/ H ' 3 $ 9 1. / ' / ' $ - I / $ 5/ $ &" ' ' ' 3 $ ' 4 ' - $ $ ./ 3 2/ '/ 6"34 '.' / $ 4 8" 4 " " $ "3 A '.' ? "3/ / $ 5/ 3. / $ > 4 ? & $" ' / "4 - ' . / ' $ / ' ' 3 ' $ - 2 4 / $ / ' 2 ' ; 3' 1 ' $ - $% $ $ &' '/ G/ " "3 J- 2 4 K / - 1/ 1/ H ' "3 / $ 0 ' 5 2" ' / 2' " $ 2"34 '" % $ 3" 4 / $ 2/ '/ ' A . ' & $" ' / "4 2" ' ' ' $ 2 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@francke.de • www.francke.de JETZT BESTELLEN! Nataliya Soultanian Wie russische Kinder Deutsch lernen Sprachförderung in der Familie und im Kindergarten 2012, X, 211 Seiten €[D] 19,99/ SFr 28,90 ISBN 978-3-7720-8445-4 Die Mehrsprachigkeit im Kindesalter ist heute ein vielfältig diskutiertes Thema in Politik, Medien und in wissenschaftlichen Fachkreisen. Immer mehr Kinder wachsen zwei- oder mehrsprachig auf. Allerdings müssen für einen erfolgreichen Zweitspracherwerb besondere Bedingungen geschaffen und bestimmte Verhaltensweisen im Alltag etabliert werden. Dieses Buch führt auf leicht verständliche Weise in die Grundlagen der Mehrsprachigkeit ein und erläutert auch ihre sozialen und kommunikativen Voraussetzungen. Die konkreten Beispiele beschäftigen sich mit russischdeutsch aufwachsenden Kindern und institutionellen sowie familiären Fördermöglichkeiten für sie. Das Buch versteht sich als Ratgeber für Pädagogen, Erzieher und Lehrer und möchte einen Beitrag zum besseren Verständnis kindlicher Spracherwerbsprozesse und zur systematischen Förderung der Kinder leisten. 026012 Auslieferung April 2012.indd 14 02.04.12 14: 41 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BESTELLEN! Natascha Müller / Tanja Kupisch Katrin Schmitz / Katja Cantone Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung narr studienbücher 3., überarbeitete Auflage 2011 309 Seiten €[D] 19,90/ SFr 28,90 ISBN 978-3-8233-6674-4 Die Mehrsprachigkeitsforschung verdeutlicht, welche Chancen sich für Kinder bieten, die in einer mehrsprachigen Umgebung aufwachsen, und wie der Weg zu mehr als einer Muttersprache bewältigt werden kann. Insbesondere die genaue, wissenschaftlich fundierte Kenntnis dieses Wegs kann und soll es erleichtern, auf Kritik und vermeintliche Misserfolge während des Erwerbsprozesses richtig zu reagieren und den Kindern die Möglichkeit zu geben, mehrsprachig in die Schulzeit zu starten. Das Arbeitsbuch hat daher zwei Hauptanliegen: Es wird einerseits in die aktuelle Mehrsprachigkeitsforschung eingeführt, andererseits das empirische Arbeiten mit Spracherwerbsdaten eingeübt. Der Fokus liegt auf der simultanen Mehrsprachigkeit. Die Einführung richtet sich an Studierende der Romanistik (Französisch-Italienisch), Germanistik (Deutsch), Allgemeinen Sprachwissenschaft und Erziehungswissenschaften und soll dazu beitragen, die Thematik in die Ausbildung der zukünftigen Lehrer aufzunehmen. 077211 Auslieferung August 2011.indd 6 16.08.11 14: 57 Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG ! "# $ www.narr.de JETZT BES TELLEN! Jörg Roche Mehrsprachigkeitstheorie Erwerb - Kognition - Transkulturation - Ökologie '/ $ D% F% D & ' () * % +& DD% ISBN 978-3-8233-6697-3 &'/ $ / $ ' $ ? 4 2' $ &4 / $ 8 4 2 ' ! " / % $ " $ ! $ C / $ $ C " $ 3 ' 8 3 ' 0" &4 0 ' $ 8 ' "2/ / / ! $: 3 = "1 $ 6" ' " / $ $ 2/ '/ ' " '1' ? 21 ' ! / $ $ > / / '/ $ A 3 '' / 0" &4 / $ 6/ '/ / ! $ = 4 2' 0 $ C / $ C 7 1 ' / ' 1 ' ' $ ' A" ' / / $ = 2' 2 0" &4 / $ C $ 2/ $ / ' ' 2 ' L 4 ! / ? / '/ / $ "2/ 3 ' ' " . " / ' '/ / / $ 3 4 5 / 3 3M ' N/ 1/ / ' ' ' " 9 ' 2 / -/ $ ' % $ &'/ $ / 3% C % " / / $ - $/ 0 '/ 3 ' 8 4 2 '% 8 2/ '/ '.' / $ &4 0 3 '' / 1/ '/ Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BESTELLEN! Lena Busse / Claudia Schlaak (Hrsg.) Sprachkontakte, Sprachvariation und Sprachwandel Festschrift für Thomas Stehl zum 60. Geburtstag 2011, XXXII, 524 Seiten, €[D] 88,00/ SFr 124,00 ISBN 978-3-8233-6601-0 In der Festschrift zur Feier des 60. Geburtstags von Thomas Stehl finden sich Beiträge vor allem von Sprachwissenschaftlern, aber auch von Literatur- und Kulturwissenschaftlern, die mit dem wissenschaftlichen Lebenswerk des Jubliars eng verbunden sind. Ziel der Festschrift ist es, die wesentlichen Forschungen des Jubilars - dazu zählen vor allem seine Arbeiten im Bereich der Variationslinguistik - zu würdigen und zu seinen wissenschaftlichen Kernfragen Stellung zu nehmen. Alle Beiträge greifen daher aus der Perspektive verschiedener Einzelphilologien sein breit angelegtes und spannendes wissenschaftliches Lebenswerk zu den Bereichen der Kontaktlinguistik, der Mehrsprachigkeit, der Pragmalinguistik, der Variationslinguistik, der Sprachvariation und des Sprachwandels in europäischen und außereuropäischen Ländern, der Geolinguistik, der Kreolistik und der Migrationslinguistik auf. 013411 Auslieferung Februar 2011.indd 4 10.02.11 13: 33 Sprachkontaktforschung beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Sprachen in multilingualen Gesellschaften oder bei mehrsprachigen Individuen wechselseitig beeinflussen. Dies betrifft die Dynamik von sprachlichen Systemen und Wandelprozessen ebenso wie sozio- und psycholinguistische Fragestellungen. Die Einführung gibt einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Ansätze, Methoden und Grundlagen dieser Forschungsrichtung. Sie beschreibt in einfacher, gut lesbarer Form die Wirkungen des Sprachkontakts und die Phänomene an der sprachlichen Oberfläche. Die 3., überarbeitete Auflage berücksichtigt die aktuellen Forschungsansätze und -entwicklungen. „Didaktisch konzipiert und übersichtlich strukturiert“ Europa Ethnica